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German Pages 240 Year 2008
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 193
Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben Vorträge auf dem koreanisch-deutschen Symposium zum Verwaltungsrechtsvergleich vom 13. bis 15. September 2007 am Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer
Herausgegeben von
Jong Hyun Seok und Jan Ziekow
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JONG HYUN SEOK / JAN ZIEKOW (Hrsg.)
Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 193
Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben Vorträge auf dem koreanisch-deutschen Symposium zum Verwaltungsrechtsvergleich vom 13. bis 15. September 2007 am Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer
Herausgegeben von
Jong Hyun Seok und Jan Ziekow
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-12811-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der vorliegende Band fasst die Beiträge zusammen, die im Rahmen des deutsch-koreanischen Symposiums zum Verwaltungsrechtsvergleich 2007 vorgetragen wurden. Der Themenkreis der Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben hat sich als Bereich erwiesen, der in Korea und in Deutschland gleichermaßen von hoher Bedeutung ist. Wie die gesamte verwaltungswissenschaftliche sieht sich auch die verwaltungsrechtliche Forschung in Deutschland in jüngerer Zeit mit einem Wandel der Formen der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben konfrontiert. Das klassische Bild vom Staat als „Leistungsstaat“, der im öffentlichen Interesse stehende Leistungen in Eigenerstellung erbringt, wird zunehmend abgelöst durch die Idee des Gewährleistungsstaats, der zwar Gemeinwohlinteressen zu sichern, die hierfür notwendigen Leistungen aber nicht notwendig eigenhändig zu erbringen hat. Der Gewährleistungsstaat fußt auf dem Prinzip der Verantwortungsstufung, d. h. der Unterscheidung staatlicher Erfüllungs-, Gewährleistungs- und Auffangverantwortung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, mit der Folge einer Öffnung des Blickfelds für eine Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft. An die Stelle eines ausschließlich durch Hierarchie und Subordination gekennzeichneten Verhältnisses von Staat und Gesellschaft tritt die Vorstellung einer kooperativen Gemeinwohlverwirklichung im sog. „kooperativen Staat“. Angeregt durch den Governance-Ansatz, vollzieht sich eine Perspektivenerweiterung vom traditionellen Dualismus staatlicher und gesellschaftlicher Akteure als Steuerungssubjekte und Regelungsadressaten hin zu netzwerkartigen Regelungsstrukturen und institutionellen Arrangements. Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erfolgt in vielfältiger Weise. Sie reicht von unterschiedlichen Formen der Partizipation etwa in Gestalt der Beteiligung an Informationen und Verfahrensabläufen über die Übertragung von substantiellen Beiträgen zur Aufgabenerfüllung im Rahmen von Kooperationsverhältnissen, mithin der funktionalen Privatisierung, bis hin zur materiellen Privatisierung, die durch eine rein marktwettbewerbliche Leistungserstellung unter Zurückbehaltung staatlicher Regulierungs- und ggf. Auffangverantwortung gekennzeichnet ist. Dem kooperativen bzw. Gewährleistungsstaat kommt hierbei die Aufgabe zu, im Rahmen seiner Strukturschaffungspflicht über die Setzung materiell-inhaltlicher Maßstäbe hinaus die notwendigen organisatorischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen zu schaf-
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Vorwort
fen, um die Verwirklichung des Gemeinwohls sicherzustellen. Die Vielzahl gesetzgeberischer und administrativer Initiativen belegt die Aktualität der Thematik und die Dynamik der Entwicklung. Auch in Korea rücken neue Entwicklungen im Verhältnis von Staat und Gesellschaft (kooperativer Staat, Gewährleistungsstaat) und im Staats- und Verwaltungsverständnis (Stichwort: „Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen“) die öffentliche Verwaltung in den Mittelpunkt des Interesses. Die koreanische Verwaltung ist ebenfalls in den vergangenen Jahren vermehrt dazu übergegangen, öffentliche Aufgaben auf Unternehmen in privaten Rechtsformen zu übertragen. Die Ausgliederung bestimmter Funktionen sichert häufig ein höheres Maß an Flexibilität und eröffnet Gestaltungsspielräume, die öffentlich-rechtlichen Einheiten verschlossen bleiben. Ferner bildet das Thema Public Private Partnership (PPP) einen Gegenstand der aktuellen Diskussion, wobei sich Letztere auf langfristig angelegte Kooperationen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand im investiven Bereich der sozialen Infrastruktur bezieht, die von der Planung über die Errichtung und den Betrieb bis zur Verwertung einer Anlage reichen. Darüber hinaus sind die haftungsrechtlichen Konsequenzen der Einbeziehung Privater in die Aufgabenerfüllung der öffentlichen Hand, wie sie z. B. beim Abschleppen verbotswidrig geparkter Kraftfahrzeuge auftreten, gleichfalls höchst relevant und umstritten. In Anbetracht dieser grundlegenden Relevanz hat sich das vom 13. bis 15. September 2007 in Speyer vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer in Kooperation mit der Korea Public Land Law Association durchgeführte Symposium mit verschiedenen aktuellen Facetten des Forschungsfeldes befasst. Jedes der Einzelthemen wurde jeweils aus koreanischer und aus deutscher Sicht behandelt und anschließend vom gesamten Teilnehmerkreis intensiv diskutiert. Die wissenschaftliche Leitung der Veranstaltung lag bei Prof. Dr. Dr. Jong Hyun Seok, Dankook Universität, und Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer. Neben den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind die Veranstalter einer großen Zahl weiterer Personen und Institutionen, ohne deren Unterstützung das Symposium nicht hätte durchgeführt werden können, zu tiefem Dank verpflichtet: Die zur Durchführung benötigten finanziellen Mittel sind von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Korea Research Foundation gewährt worden. Intensiv diskutiert wurde ein Vortrag der Staatssekretärin im Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz, Beate Reich, zu aktuellen rechtspolitischen Fragen. Bei einem Besuch des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg informierten sich die Teilnehmer über die Arbeitsweise des Gerichtshofs und wurden vom Präsidenten des EuGH, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Vassilios Skouris, zu einem Gespräch empfangen. Anlässlich von
Vorwort
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Empfängen erläuterten der Rektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Univ.-Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann, Stellung und Aufgaben der Hochschule und der Oberbürgermeister der Stadt Speyer, Werner Schineller, die Geschichte und Entwicklung der Stadt. Die Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer, Frau Dr. Margrit Seckelmann, und Herr Sachbearbeiter Andreas Jug haben wichtige organisatorische Unterstützung bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Tagung geleistet. Das Tagungsbüro und dort insbesondere Herr Oberamtsrat Helmut Bucher und Frau Lioba Diehl haben jedes noch so anspruchsvolle logistische Problem souverän gemeistert. Herr Dr. Thorsten Siegel und Herr Alexander Windoffer, beide Forschungsreferenten am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, sowie Herr Dr. Alfred Debus, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, haben nicht nur die Manuskripte aufbereitet, sondern auch das Tagungsgeschehen „vor Ort“ begleitet. Auf Herrn Dr. Windoffer lag darüber hinaus die beträchtliche Last der Vorbereitung des bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestellten Antrags. Die Formatierung lag in den bewährten Händen von Frau Erika Koegel und Frau Ruth Nothnagel, beide Sekretärinnen am Lehrstuhl Ziekow. Die Veranstalter verknüpfen mit der Vorlage dieser Dokumentation die Hoffnung, dass die mit Veranstaltungen in Mannheim 2005 und Seoul 2006 begonnene und in Speyer 2007 fortgesetzte koreanisch-deutsche Kooperation auch in Zukunft ertragreich fortgeführt werden kann. Seoul und Speyer, im Februar 2008
Jong Hyun Seok Jan Ziekow
Inhaltsverzeichnis Neue Entwicklungstendenzen des koreanischen Verwaltungsrechts Von Jong Hyun Seok, Seoul ............................................................... ................
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Neue Entwicklungstendenzen im Verhältnis zwischen öffentlicher Verwaltung und Privaten bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben Von Jan Ziekow, Speyer .................................................................................. ..
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Public Private Partnership als neue Form der Erfüllung staatlicher Aufgaben? Von Sung-Soo Kim, Seoul ...................................................................................
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Public Private Partnership als neue Form der Erfüllung staatlicher Aufgaben? Von Peter Baumeister, Mannheim ....................................................................
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Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeit als Form der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge – am Beispiel der Telekommunikation Von Ulrich Stelkens, Speyer .…...................…...................................................
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Staatliche Verantwortung für die Inanspruchnahme von Raum- und Umweltressourcen Von Hae-Ryoung Kim, Seoul ............................................................................ .
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Die Einbeziehung Privater durch Öffentlichkeitsbeteiligung in raumbedeutsame Planungsprozesse Von Annette Guckelberger, Saarbrücken ............................................................ 111 Möglichkeiten und Grenzen der Bürger zur Teilnahme an der Ortsrechtsgesetzgebung der koreanischen Gemeinden Von Kee-Hong Kang, Seoul …........................................................................... 159
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Inhaltsverzeichnis
Bürgerbeteiligung im Kommunalrecht Von Hans-Werner Laubinger, Mainz ................................................................. 173 Staatliche Haftung für Fehlverhalten von Privaten, die in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen sind Von Wolf-Rüdiger Schenke, Mannheim ............................................................. 199 Zugang zu Informationen privater Unternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen Von Dongsoo Song, Chungchongnamdo ............................................................ 213 Zugang zu Informationen privater Unternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen Von Alexander Windoffer, Speyer ...................................................................... 223 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 239
Neue Entwicklungstendenzen des koreanischen Verwaltungsrechts Von Jong Hyun Seok
I. Vorbemerkung Zunächst ist zu bemerken, dass es eine Verwaltung im heutigen Sinne im alten Korea nicht gab und auch ein Verwaltungsrecht im heutigen Sinne des Wortes bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Korea nicht gegeben hat. Es gab eigentlich in der Geschichte Koreas auch keine Rechtswissenschaft im Sinne der deutschen Auffassung. Es kam seit 1910 allmählich zur Ausbildung von Recht und auch von Verwaltungsrecht. Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungsrecht im heutigen Sinne kann man erst in der Ära der ersten Republik unter der Verfassung vom 17.7.1948 wirklich beobachten. 1948 wurde Korea zu einem demokratisch-republikanischen Staat proklamiert. Art. 1 und 2 der koreanischen Verfassung (KV) schreiben nämlich vor, dass die Republik Korea eine demokratische Republik ist und dass die Souveränität der Republik beim Volk liegt; alle Staatsgewalt soll vom Volke ausgehen. Inzwischen sind seit der Verabschiedung der koreanischen Verfassung von 1948 gut 60 Jahre vergangen. Daher befasst man sich mit dem Jubiläumsbeitrag zum 60jährigen Bestehen des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft im Jahre 2008. Zuvor befasste man sich mit dem Jubiläumsbeitrag zu 50 Jahren Verwaltungsrechtswissenschaft im Jahre 1995.
II. Die Unterscheidung der Entwicklungsperioden 1. Die Unterscheidung von Jong Hyun Seok In der Entwicklung des koreanischen Verwaltungsrechts unterscheidet man vier Perioden, nämlich die Anfangsperiode, die Orientierungsperiode (19601970), die Umwandlungsperiode (1971-1979) sowie die Konsolidierung der
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Entwicklung und Wandlung vom Leistungsstaat hin zum Gewährleistungsstaat (1980 bis heute). Das koreanische Verwaltungsrecht ist infolge des Paradigmenwechsels, namentlich der Entwicklung vom Leistungsstaat hin zum Gewährleistungsstaat sowie der Perspektiverweiterung durch den Governance-Ansatz, Wandlungen unterworfen. Daher befindet sich das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in einer neuen Entwicklung hin zur Ausgestaltung als kooperatives Verhältnis. Oben genannte Wandlung einschließlich der Perspektiverweiterung durch den Governance-Ansatz weist Ähnlichkeiten mit Deutschland auf. Auch in Korea hat sich im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, gegründet auf die Idee des Gewährleistungsstaats mit den Prinzipien der Verantwortungsstufung und -teilung, die Vorstellung einer kooperativen Gemeinwohlverwirklichung herausgebildet. Diese geht ebenfalls mit der Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in verschiedenen Formen (Information, Beteiligung, Kooperation etc.) einher, wobei der Schwerpunkt der Kooperationen im investiven Bereich der sozialen Infrastruktur liegt. 2. Unterscheidung von Song Hwa Choi Choi unterscheidet in der Entwicklung die vier Stufen nach folgenden Merkmalen: die Veränderung der Verwaltungsrechtsordnung als Gegenstand der Verwaltungsrechtswissenschaft, die verschiedenen Veränderungen in der Gestaltung der Ordnung zwischen der vollziehenden Gewalt und den Gerichten, Wissenschaftler und deren Forschungsschwerpunkte und wissenschaftliche Hintergründe. Choi gliedert die Entwicklung in vier Stufen, die keine wesentlichen Unterschiede zur Unterteilung von Seok nach Perioden aufweisen, nämlich die erste Stufe (Anfangsperiode), die zweite Stufe (die Orientierungsperiode), die dritte Stufe (die Umwandlungsperiode), die vierte Stufe (die Konsolidierung der Entwicklung). Auf der dritten Stufe (der Umwandlungsperiode) begann die Tendenz, sich mit den bisherigen Lehrmeinungen kritisch auseinander zu setzen und sie zu hinterfragen. Diese kritische Auseinandersetzung hat dazu beigetragen, dass man die bisherige Dogmatik, die sich vornehmlich mit der Lehre vom Verwaltungsakt beschäftigte, unter der Berücksichtigung der Erfordernisse der Verwaltungspraxis umwandelte. Durch die rasche wirtschaftliche Entwicklung in der Folgezeit musste die Verwaltung in verschiedenen Lebensbereichen des Bürgers eingreifend, gestaltend, planend oder leitend tätig werden, um zuerst die Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung zu erreichen und dann die öffentlichen Gemeinwohlinteressen zu verwirklichen. Die Folgen des Erlasses der zahlreichen neuen Gesetze betreffend die wirtschaftliche Entwicklung und so-
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ziale Sicherungsmaßnahmen sowie der verschiedenen Gesetze zur Bewältigung der sozialen Probleme, die sich aus dem Wirtschaftsaufschwung ergaben, veranlassten die traditionelle Verwaltungsrechtswissenschaft zu tiefen Reflexionen. Denn die traditionelle Verwaltungsrechtswissenschaft galt als nur Gerichtsrechtswissenschaft oder Vorlesungsrechtswissenschaft. In dieser Zeit besetzten zahlreiche Wissenschaftler Lehrstühle der Universität, kehrten zahlreiche Wissenschaftler, die im Ausland studiert hatten, zurück, und trieben die wissenschaftlichen Gesellschaften die Forschung in großem Stil voran. Damit begann die kritische Überlegung über das dogmatische System des Verwaltungsrechts. In dieser Zeit entstanden viele Aufsätze und Abhandlungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts; hierzu sind 737 Aufsätze zu verzeichnen. Die meisten betreffen die Themen des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Allein 130 Aufsätze bezogen sich auf den Verwaltungsakt, etwa 203 Abhandlungen befassten sich mit Staatshaftung, Verwaltungsverfahren, Vorverfahren und Verwaltungsklage. Diese dogmatischen Lehrmeinungen waren von Einfluss bei der Erarbeitung des Novellierungsentwurfs der koreanischen Verwaltungsgerichtsordnung von 1984 und des Entwurfs des koreanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes; so ist z. B. die Untätigkeitsfeststellungsklage gesetzlich aufgenommen worden. Choi kennzeichnet die vierte Stufe (die Konsolidierung der Entwicklung) als Ära der Herausforderungen. Die Anforderungen der verschiedenen Fachrichtungen des Verwaltungsrechts, die Notwendigkeit der Orientierung nach Verfassungsprinzipien und rechtspolitischen Überlegungen fordern die koreanische Verwaltungsrechtsdogmatik heraus. Die Verwaltungsrechtler haben die Aufgabe, die Probleme, die sich aus der veränderten Verwaltungspraxis und weiter entwickelten Rechtsordnung ergeben, dogmatisch zu bewältigen. Wenn die Verwaltungsrechtswissenschaft solche Herausforderungen nicht effektiv bewältigen kann, hat dies zur Folge, dass die Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft oder die Wirksamkeit des Rechtsstaatsprinzips gehemmt sind. 3. Unterscheidung von Tschol Yong Kim Kim unterscheidet die Entwicklung der koreanischen Verwaltungsrechtswissenschaft nach den zwei Entwicklungsstufen, nämlich Nachbildungsstufe und eigenständige Einrichtungsstufe, wobei hinsichtlich Letzterer nochmals drei Stufen, nämlich Anfangsstufe, Entwicklungsstufe und Vollendungsstufe zu unterscheiden sind. Die koreanische Verwaltungsrechtswissenschaft begann in der Nachbildungsstufe. Nun befindet sie sich in der Einrichtungs- und Entwicklungsstufe.
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Nachbildungsstufe bedeutet, dass die koreanische Verwaltungsrechtswissenschaft am Anfang ihrer Entwicklung starken Einflüssen des europäischen Rechts ausgesetzt war und auf dem preußischen Rechtssystem aufbauen musste. Denn nach der Befreiung von der japanischen Besatzung im Jahr 1945 musste Korea das japanische Rechtssystem zunächst weiterführen; die von den japanischen Kolonialherren erlassenen Gesetze und Verordnungen galten weiter, wobei Japan sich im Zuge der Meji-Restauration von 1868 ganz der westlichen Welt geöffnet hatte und seit dieser Zeit ein europäisches Rechtssystem übernommen, genauer: das preußische Rechtssystem fast unverändert rezipiert hatte. Eigenständige Stufe, Entwicklungsstufe und Vollendungsstufe ähneln Orientierungsperiode, Umwandlungsperiode und Konsolidierung der Entwicklung nach der Unterscheidung von Seok, so dass man hier nicht näher darauf einzugehen braucht.
III. Die Einbeziehung Privater und die kooperative Verwaltung in Korea 1. Einleitung Seit 1990 ist das koreanische Verwaltungsrecht einem Paradigmenwechsel unterworfen, der sich in der Einbeziehung Privater und der Kooperation mit Privaten in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben äußert, wobei diese Entwicklung von globalen Tendenzen beeinflusst worden ist. Aufgrund Globalisierung und New Public Management im weltweiten Kontext wurde eine Regierungsreform in Gestalt der Veränderung hin zur unternehmerischen Regierung gefordert. Zusätzlich beschleunigt die „Informationsrevolution“ (Internet u. a.) die Veränderung im Zuge des Paradigmenwechsels. Aktuelle Themen sind daher z. B. Deregulierung, Informationsfreiheit, e-Government, verstärkte bürgerliche Partizipation an der Verwaltung sowie die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben in der Form von Auftragsverwaltung (outsourcing). Diese Auftragsverwaltung bedeutet, dass zwischen dem Staat und dem Privaten eine Kooperation in der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben stattfindet. 2. Der Governance-Ansatz in der Verwaltung Der Governance-Ansatz stärkt die Vorstellung von der Gerechtigkeit der Verwaltungsentscheidung. Die Funktion des Rechts liegt sowohl in der Ver-
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wirklichung der sozialen Zielsetzung als auch in der Gestaltung. Dabei wandelt sich normative Kontrolle in ein reflexives, flexibles System. Die Einbeziehung Privater als Kooperationspartner der öffentlichen Verwaltung wurde in vielen Bereichen gesetzlich ermöglicht. Die Partizipation der Bürger als Betroffene am Verwaltungsverfahren war seit jeher in verschiedenen Gesetzen vorgesehen, so z. B. die Vorlage einer schriftlichen Stellungnahme des Eigentümers zur behördlichen Erlaubnis bezüglich des Enteignungsverfahrens (§ 23 Enteignungs- und Entschädigungsgesetz), Meinungsäußerung oder Anhörung vor dem Erlass eines Verwaltungsakts (auf koreanisch „Chobun“ genannt) (§ 27 Abs. 1 KVwVfG). Im kommunalen Bereich beteiligen sich Bürger durch Bürgerbegehren und als Mitglieder verschiedener Ausschüsse. Ohne gesetzliche Grundlage wirken die Bürger auch durch das Internet oder Zeitungen an der Gestaltung der öffentlichen Meinung mit. Es ist zu bemerken, dass Bürgerinitiativen oder NGO (Non Governmental Organizations) eine große Rolle bei der Verstärkung des Governance-Ansatzes in der Verwaltung gespielt haben. Im Jahr 2000 wurde ein Gesetz zur Unterstützung von nichtwirtschaftlichen Verbänden (Nonprofit Organisations) verabschiedet. Nach diesem Gesetz kann eine NPO durch die Regierung mit finanziellen Zuschüssen, Steuerreduzierung oder Postgebührzuschüssen unterstützt werden (§ 10, 11 BmjG), wenn sie beim zuständigen Minister, Oberbürgermeister der Stadt Seoul oder einer überregionalen Stadt, oder einem Provinzchef eingetragen ist (§ 4 BmjG). Das Gesetz bezweckt die Garantie der eigenständigen Tätigkeiten und die Entwicklung der gemeinnützigen Bürgervereine, damit die im öffentlichen Interesse liegenden Tätigkeiten der Bürgervereine gefördert werden und sie zur Entwicklung der demokratischen Gesellschaft beitragen können. Diese NGO spielten bereits eine dominierende Rolle bei der Bildung der öffentlichen Meinung zu Konfliktfällen angesichts verschiedener Verwaltungsentscheidungen, insbesondere der Durchführung von Großvorhaben im Bereich des Umweltrechts und der sozialen Infrastruktur. Sogar die Partizipation von NGO an Verwaltungsentscheidungen wird aufgrund des Gesetzes in der Weise systematisch gewährt, dass bei der Bildung ministerieller beratender Ausschüsse ein Mitglied der NGO vertreten sein müsse. Im Jahr 2004 wurde ein Tunnelbau für die staatliche Eisenbahn am Chonsung-Berg in der Gyungbuk-Provinz lange Zeit blockiert, da eine Nonne mit einem Hungerstreik zum Zwecke des Umweltschutzes gegen die ökologischen Schäden durch den Bau demonstrierte, während viele Mitglieder von Umweltverbänden und Bürger sie unterstützten. In Korea gibt es zahlreiche Beispiele (so z. B. das Saemangeum-Entwässerungsvorhaben im Jahr 2000, Sapae-Tunnelbauvorhaben am Bukhan-Berg in Seoul, den Standortbau von amerikanischen Soldaten anlässlich des Umzugs nach Pyeongtaeg in 2004), wo die Durchführung der staatlichen umweltbezogenen Großvorhaben mit bürgerlichen Verbänden in Konflikt geraten ist. Wo man ein Großvorhaben verwirk-
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licht, gibt es immer Konflikt mit den Umweltverbänden oder Bürgerinitiativen. Somit lässt sich sagen, dass sich das koreanische Verwaltungsrecht in einer Ära der Governance befindet. Besonderer Erwähnung bedarf die auf Wunsch der Privatwirtschaft erfolgte gesetzliche Einführung des Modells einer Unternehmerstadt. Die Unternehmerstadt ist eine Stadt, die von einem privaten Unternehmer als industrieller Standort und hinsichtlich der Wirtschaftstätigkeiten entwickelt wird, um die dominierenden Funktionen von Industrie, Forschung, Tourismus, Freizeit, Geschäftstätigkeiten und Wohnen, Verkehr, Medizin, Kultur usw. als selbständige Mehrzweckfunktionen bereitzustellen (§ 2 Nr. 1 UntStG). Unterscheiden lassen sich insoweit vier Arten, nämlich die an Industrie und Handel orientierte Unternehmerstadt, die wissenschaftsorientierte, die auf Tourismus und Freizeit ausgerichtete und die als Renovationsstandort konzipierte Unternehmerstadt (§ 2 Nr. 1 UntStG). Bei der Entwicklung einer solchen Unternehmerstadt spielen die Unternehmer selbst eine dominierende Rolle, indem sie die Stadt planen und entwickeln, während die Regierung nur unterstützende Verwaltungsmaßnahmen zu ergreifen hat. Die Einführung der Unternehmerstadt in das koreanische Verwaltungsrecht gilt als ein Zeichen für eine kooperative Gemeinwohlverwirklichung mit der Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Bevor ein Unternehmer ein bestimmtes Bauvorhaben durchführen will, muss er zunächst die nach den jeweiligen – über 80 – Gesetzen erforderlichen Baugenehmigungen und Erlaubnisse einholen. Nach verbreiteter Auffassung ist die Einholung dieser Genehmigungen so schwer, dass dies das unternehmerische Bauvorhaben nahezu unmöglich macht. Insbesondere dauert das Genehmigungsverfahren eine extrem lange Zeit. Wegen dieser Umstände haben die Unternehmer kein großes Interesse an Investitionen. Daher sind die Förderung von Investitionen der Unternehmer und die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des Staats zentrale Ziele der koreanischen Regierung. Dies zeigt, dass Staat und Private in dieser kooperativen Weise die öffentlichen Aufgaben zu erfüllen versuchen. 3. Governance-Ansatz bei der kommunalen Verwaltung Seit 1990 forderten die NGO die Erweiterung der Bürgerbeteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung. Danach führte die damalige Regierung einen Bürgeranspruch auf Beaufsichtigung und einen Bürgeranspruch auf die Festsetzung, Novellierung und Aufhebung der Satzungen durch die Änderung des Local Government Act vom 31.12.1990 (Gesetz Nr. 4310) ein. 1994 wurde auch die Bürgerabstimmung durch die Änderung des Local Government Act vom 16.3.1994 (Gesetz Nr. 4741) eingeführt (§ 13-2 Abs. 1 LGA). Die konkreten Bestimmungen über die Bürgerabstimmung wurden der Regelung durch
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Gesetz überlassen, wobei aufgrund des Gesetzesvorbehalts das Bürgerabstimmungsgesetz (abgekürzt: BüasG) vom 29.1.2004 (Gesetz Nr. 7124 in Kraft getreten am 30.8.2004) verabschiedet wurde. Ohne gesetzlichen Grund wurde bereits die Bürgerabstimmung in Buan-Gun im Jahr 2004 über das Ja oder Nein zum staatlichen Errichtungsvorhaben eines Werks für radioaktive Abfälle durchgeführt. Aber die Regierung verneinte die rechtliche Wirkung der Bürgerabstimmung. Durch das Änderungsgesetz des LGA vom 24.5.2006 (Gesetz Nr. 7957) wurde die Bürgerabberufung von Bürgermeistern und Ratmitgliedern eingeführt, wobei Näheres durch das Gesetz über Bürgerabberufung vom 24.5.2006 (Gesetz Nr. 7968) geregelt wird. a) Bürgeranspruch auf Beaufsichtigung Gemeindebürger über 19 Jahren können mit ihrer Unterschrift eine Beaufsichtigung beantragen, wenn man die durchgeführten Maßnahmen zur Erledigung der kommunalen Aufgaben als rechtswidrig oder erheblich gegen die öffentlichen Interessen verstoßend einschätzt. Dabei spielt die Anzahl der Bürger eine große Rolle. Denn diese richtet sich nach der Größe der Verwaltungskörperschaften. Die Anzahl beträgt 500, 300 oder 200 Bürger. Dieser Bürgeranspruch ist auszuschließen, wenn er Ermittlungen oder die Gerichtsbarkeit betrifft, wenn er das Privatleben der einzelnen Person belastend betrifft, wenn er von anderen Organen bereits ermittelt worden ist und sich in Beaufsichtigung befindet, wenn in der gleichen Sache bereits eine Bürgerklage anhängig oder ein gerichtliches Urteil erlassen worden ist (§ 13-4 Abs. 1 LGA). b) Bürgeranspruch auf Festsetzung, Novellierung und Aufhebung der Satzung Gemeindebürger über 19 Jahre können mit ihrer Unterschrift die Festsetzung, Novellierung und Aufhebung beim zuständigen Chef der Selbstverwaltungskörperschaften beantragen, wobei je nach Größe der Selbstverwaltungskörperschaften eine unterschiedliche Anzahl Bürger vorgeschrieben ist. Dieser Bürgeranspruch ist ausgeschlossen, wenn er gegen die Rechtsordnung verstößt, wenn er die Erhebung und Beitreibung der kommunalen Steuern, Nutzungsgebühren, Beiträge oder eine Steuerreduzierung betrifft, wenn er die Errichtung oder Änderung der Verwaltungsorgane betrifft oder sich gegen die Errichtung von öffentlichen Anstalten wendet (§ 13-3 Abs. 1 LGA). Bürger, die einen Bürgeranspruch stellen möchten, müssen einen Vertreter auswählen und diesen in die Antragstellerliste eintragen. Der Vertreter stellt den Festsetzungsentwurf, Novellierungsentwurf oder Aufhebungsentwurf der Satzung auf und legt ihn vor (§ 13-3 Abs. 2 LGA). Der Chef der zuständigen Selbstverwaltungskörperschaft macht ihn antragsgemäß innerhalb von 5 Tagen
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bekannt und legt die Antragstellerliste oder deren Durchschlag an einem bestimmten Ort 10 Tage aus (§ 13-3 Abs. 3 LGA). Wenn jemand gegen die Unterschriften auf der Antragstellerliste Einwände hat, kann er innerhalb der Auslegungsfrist Widerspruch erheben (§ 13-3 Abs. 5 LGA). Der Chef der Selbstverwaltungskörperschaften kann den Antrag annehmen, wenn kein Widerspruch erhoben oder die Entscheidung über den Widerspruch getroffen wurde. Andernfalls weist er ihn ab und teilt dies dem Vertreter mit (§ 13-3 Abs. 6 LGA). Wenn der Chef der Selbstverwaltungskörperschaft den Antrag angenommen hat, legt er den Festsetzungsentwurf dem kommunalen Rat zur Debatte vor und teilt dies dem Vertreter des Antragstellers mit (§ 13-3 Abs. 8 LGA). c) Bürgerabstimmung Die Bürgerabstimmung wurde aufgrund des Änderungsgesetzes zum Local Government Act vom 16.3.1994 und des Bürgerabstimmungsgesetzes (abgekürzt: BüasG) vom 29.1.2004 (Gesetz Nr. 7124, in Kraft seit 30.8.2004) eingeführt, um die Demokratisierung und Verantwortlichkeit der Selbstverwaltung zu fördern und das Gemeinwohl zugunsten des Bürger zu mehren. Bürger über 20 Jahren haben das Abstimmungsrecht. Gegenstand der Bürgerabstimmung sind die durch Satzung geregelten wichtigen Entscheidungen der Selbstverwaltungskörperschaft und Entscheidungen über die Aufhebung, Trennung und Vereinigung oder die Änderung des Gebiets, die Errichtung wichtiger Einrichtungen der kommunalen Körperschaften. Der Chef der Selbstverwaltungskörperschaften kann aufgrund der Forderung der Bürger oder des kommunalen Rates sowie von Amts wegen die Bürgerabstimmung durchführen (§ 9 Abs. 1 BüasG). So können die Anspruchsteller der Bürgerabstimmung mit der in der Satzung bestimmten Anzahl Unterschriften beim Chef der Selbstverwaltungskörperschaften die Durchführung der Bürgerabstimmung beantragen (§ 9 Abs. 2 BüasG). Im Hinblick auf das Verfahren enthält das BüasG Vorschriften über die Vertreterauswahl und die Forderung nach Unterschriften (§ 10 BüasG), die Einschränkung auf die Tätigkeit um die Unterschrift (§ 11 BüasG), die Untersuchung und Feststellung über die Unterschriftenliste (§ 12 BüasG), den Vorschlag einer Bürgerabstimmung (§ 13 BüasG), den Abstimmungstag (§ 14 BüasG) usw. Zur Bürgerabstimmung vorgeschlagene Angelegenheiten sollen festgesetzt werden, wenn ein Drittel der Gesamtzahl der Berechtigten über die Bürgerabstimmung abgestimmt und dabei die Hälfte zugestimmt hat (§ 24 Abs. 1 BüasG). Der Chef der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und die
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kommunalen Räte sollen entsprechend dem festgesetzten Inhalt die aufgrund der Bürgerabstimmung erforderlichen verwaltungs- und finanziellen Maßnahmen treffen (§ 24 Abs. 5 BüasG). Der Chef der Selbstverwaltungskörperschaften und die kommunalen Räte dürfen innerhalb von 2 Jahren die durch die Bürgerabstimmung festgesetzten Angelegenheiten nicht mehr ändern und hierüber keine neue Entscheidung treffen (§ 24 Abs. 6 BüasG). Die Bürgerabstimmung ist anfechtbar. Klageberechtigt sind die zur Bürgerabstimmung Berechtigten. Zuständig für die Bürgerabstimmungsklage ist das Obergericht (§ 25 BüasG). d) Bürgerabberufung Das Änderungsgesetz zum LGA vom 24.5.2006 (Gesetz Nr. 7957) hat die Bürgerabberufung von Bürgermeistern und Ratsmitgliedern eingeführt, wobei Näheres im Gesetz über Bürgerabberufung (abgekürzt: GüB) vom 24.5.2006 (Gesetz Nr. 7968) geregelt ist. Dieses Gesetz bezweckt, die unmittelbare Partizipation der Bürger an der Selbstverwaltung zu erweitern sowie Demokratie und Verantwortlichkeit der kommunalen Verwaltung zu stärken (§ 1 GüB). Personen über 19 Jahre, die als Bürger auf dem Gebiet der betreffenden Selbstverwaltungskörperschaften eingetragen sind, und Ausländer, die im Ausländerregister eingetragen sind, haben das Recht auf Bürgerabberufung (§ 3 GüB). Zunächst ist hierzu eine Wählerliste aufzustellen und festzusetzen (§ 4 GüB). Der Staat und die Selbstverwaltungskörperschaften treffen die erforderlichen Maßnahmen zur Ausübung des Bürgerabberufungsrechts (§ 5 Abs. 1 GüB). Die zur Bürgerabberufung Berechtigten können die Durchführung der Abberufungsabstimmung mit der Unterschrift der Bürger und unter schriftlicher Vorlage von Abberufungsgründen betreffend die Bürgermeister und Ratmitglieder beim zuständigen Wahlausschuss fordern (§ 7 Abs. GüB). Die Bürgerabberufungsabstimmung erfolgt in Form der Abstimmung mit Ja und Nein (§ 15 Abs. 1 GüB). Die Ausübung der Befugnisse der Bürgermeister oder Ratmitglieder, die den Gegenstand der Verfahren der Abberufungsabstimmung bilden, sind suspendiert, bis der zuständige Wahlausschuss die Ergebnisse der Abstimmung bekannt gemacht hat (§ 21 Abs. 1 GüB). Wenn die Bürgerabberufung festgesetzt wird, verlieren die Abberufenen das Amt ab dem bekanntgemachten Tag (§ 23 GüB). Die Wirkung der Bürgerabberufung ist anfechtbar (§ 24 Abs. 1 GüB). Für die Bürgerabberufungsklage ist das Höchste Gericht zuständig (§ 24 Abs. 2 GüB).
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IV. Verantwortungsteilung zwischen der Regierung und den lokalen Regierungen In Korea zeigen sich gesetzgeberische Tendenzen, dem Gedanken der Verantwortungsteilung zwischen der Regierung, lokalen Regierungen, privaten Unternehmern sowie nichtgewerblichen privaten Organisationen Rechnung zu tragen. Die Verantwortungsverteilung zwischen Staat und kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften regelt das Sondergesetz über die Teilung der kommunalen Befugnisse (abgekürzt SGükB), welches 5 Jahre, also bis zum 17.1.2009, gilt. Kommunale Dezentralisierung bedeutet, dass die Befugnisse und die Verantwortung des Staates und der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften effizient geteilt werden, um die Funktionen des Staates und der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften miteinander zu harmonisieren (§ 2 SGükB). Die Grundziele der kommunalen Dezentralisierung liegen darin, dass die Selbstverwaltungskörperschaften die gebietsbezogene Politik eigenständig unter eigener Verantwortung zu verwalten haben und die Rollen zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaften oder Selbstverwaltungskörperschaften untereinander auf effiziente Weise verteilt werden, um zur Einheitlichkeit der Staatspolitik beizutragen und die Selbstverwaltung unter Wahrung der kommunalen Kreativität und Vielfalt zu verwirklichen (§ 3 SGükB). § 4 SGüB schreibt vor, dass zu verabschiedende oder novellierende Gesetze und Verordnungen über die Selbstverwaltung an die Grundziele der kommunalen Dezentralisierung anzupassen sind. Der Staat soll die Politik der kommunalen Dezentralisierung beschließen und durchführen und die dazu erforderlichen Maßnahmen im Hinblick auf die Verwaltung und die Finanzen vorgeben (§ 5 Abs. 1 SGükB). Die kommunalen Körperschaften sollen die Verbesserungsmaßnahmen zur Steigerung der Effizienz hinsichtlich Verwaltung und Finanzen entsprechend der staatlichen Dezentralisierungspolitik durchführen (§ 3 SGükB). Die Aufgabenteilung zwischen dem Staat und den lokalen Regierungen erfolgt unter Berücksichtigung von Erwägungen der Förderung des Nutzens für den Bürger sowie der Effektivität der Ausführungen und ist nach diesen Grundsätzen zwischen dem Staat und den Selbstverwaltungskörperschaften oder zwischen Selbstverwaltungskörperschaften zu teilen (§ 4 Abs. 1 SGükB). So soll der Staat z. B. Aufgaben mit örtlichem Bezug den Gemeinden zuweisen. Wenn die Zuweisung an die Gemeinden nicht angemessen ist, soll der Staat diese Aufgabe der Stadt in Sonderstatus, der überregionalen Stadt und der Provinz zuweisen. Ist auch die Zuweisung an die Stadt in Sonderstatus, die überregionale Stadt und die Provinz nicht angemessen, soll der Staat die Aufgabe selbst übernehmen (§ 4 Abs. 2 SGükB).
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Bei dieser Aufgabenverteilung sollen der Staat und die kommunalen Regierungen die Eigenständigkeit des Privatsektors beachten und die Partizipation des Privatsektors an der Verwaltung erweitern, während die Teilnahme des Staates und der lokalen Regierungen zu minimieren ist (§ 4 Abs. 4 SGükB). Im Hinblick auf die kommunale Dezentralisierung enthält das SGükB weitere Bestimmungen über die Übertragung der Befugnisse und Aufgaben (§ 9 SGükB), die Verbesserung der Organisation der örtlichen Sonderverwaltungsorgane (§ 10 SGükB), die Stärkung der kommunalen Finanzierung und Leistungsfähigkeit (§ 11), die Stärkung der Fähigkeit zur Selbstverwaltung (§ 12 SGükB), die Tätigkeit der kommunalen Räte und die Verbesserung des kommunalen Wahlsystems (§ 13 SGükB), die Erweiterung der bürgerlichen Partizipation (§ 14 SGükB), die Stärkung der Verantwortung der Selbstverwaltung (§ 15 SGükB) und die Aufstellung des kooperativen Systems zwischen dem Staat und lokalen Regierungen (§16 SGükB).
V. Ausblick und Würdigung Als Quintessenz der obigen Darstellungen ist festzuhalten, dass sich die Entwicklung des koreanischen Verwaltungsrechts – ähnlich wie in Deutschland – vom Leistungsstaat hin zum Gewährleistungsstaat orientiert hat. Aktuelle Themen sind Public Private Partnership als neue Form der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeit als Form der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge und die staatshaftungsrechtlichen Folgen eines Fehlverhaltens Privater, die in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen sind. Diese Entwicklungstendenzen wurden systematisch durch die Gesetzgebung, wie oben beispielhaft erwähnt, aufgenommen. Zum Schluss ist noch zu bemerken, dass die Regierung seit 2004 das e-Government in das Verwaltungssystem eingeführt hat. Daraus ergibt sich, dass viele herkömmliche Verwaltungsverfahren und -entscheidungen durch elektronische Verfahren und Entscheidungen ersetzt worden sind oder beide Formen bis zum Abschluss des Systemaufbaus von e-Government noch parallel möglich sind. So lange gibt es dann Dokumente in Papierform und elektronische Dokumente, das heißt das Verwaltungsverfahren offline und Online.
Neue Entwicklungstendenzen im Verhältnis zwischen öffentlicher Verwaltung und Privaten bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben Von Jan Ziekow Das Verhältnis zwischen der öffentlichen Verwaltung und Privaten – soweit es um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben geht – unterliegt in jüngerer Zeit einem beträchtlichen Wandel. Sowohl gewandelte Anschauungen von der Leistungstiefe des öffentlichen Sektors, die politisch in Etiketten wie dem „Schlanken Staat“ oder dem „Aktivierenden Staat“ verdichtet werden1, als auch der Druck leerer öffentlicher Kassen haben nach neuen Wegen zur Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privaten suchen lassen – sich hierin begegnend mit bestimmten Ansätze der Governance-Diskussion2. Parallel hierzu und sich teilweise damit überschneidend finden sich Entwicklungen, die im Interesse einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft administrative Abläufe vereinfachen und verbessern wollen. Die Spannbreite der Bemühungen reicht ___________ 1
Zum „Schlanken Staat“ vgl. Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Sachverständigenrat „Schlanker Staat“, Abschlußbericht, 1997; Klaus G. Meyer-Teschendorf, Handlungsspielräume der Verwaltung im „Schlanken Staat“, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S. 9 ff. Zum „Aktivierenden Staat“ vgl. Stephan von Bandemer/Bernhard Blanke/Josef Hilbert/Josef Schmid, Staatsaufgaben – von der „schleichenden Privatisierung“ zum „aktivierenden Staat“, in: Behrens/Heinze/Hilbert/Stöbe/Walsken (Hrsg.), Den Staat neu denken, 1995, S. 41 ff.; Bernhard Blanke/Henning Schridde, Bürgerengagement und Aktivierender Staat, APuZ B 24-25/99, S. 3 ff. 2 Zu ihr vgl. aus der unübersehbaren Fülle der Stellungnahmen nur Arthur Benz (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2004; Julia von Blumenthal, Governance – eine kritische Zwischenbilanz, ZfP 15 (2005), S. 1149 ff.; Claudio Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 ff.; Klaus König, Governance im Mehrebenensystem, in: Sommermann (Hrsg.), Aktuelle Fragen zu Verfassung und Verwaltung im europäischen Mehrebenensystem, 2003, S. 45 ff.; Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005; ders., Was ist und wozu Governance?, Verw. 40 (2007), S. 463 ff.; Margrit Seckelmann, Good Governance – Importe und Re-Importe, in: Duss/Linder u. a. (Hrsg.), Rechtstransfer in der Geschichte, 2006, S. 108 ff.; dies., Keine Alternative zur Staatlichkeit – zum Konzept der „global governance“, VerwArch 98 (2007), S. 30 ff.; Hans-Heinrich Trute/Wolfgang Denkhaus/Doris Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Verw. 2004, S. 451 ff.
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hier – häufig unter dem allgemeineren Label eines „Bürokratieabbaus“3 – von der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren4 über die Messung der Kosten von Berichtspflichten durch das Standard-Kosten-Modell5 bis hin zu supranational angestoßenen Organisations- und Verfahrenskonzepten. Als dritter Strang, der im Folgenden behandelt werden soll, lässt sich die Forderung nach einer „transparenten Verwaltung“ und die Konzeption eines „Informationsverwaltungsrechts“ benennen6. Alle genannten Entwicklungslinien weisen eine so hohe Komplexität auf, dass Ihnen im Rahmen dieses Beitrags nicht einmal in Grundzügen Rechnung getragen werden kann. In bewusster Komplexitätsreduktion durch Fragmentarisierung wird vielmehr versucht, unter den Stichworten Kommunikation, Information und Kooperation Schlaglichter auf die Diskussion zu richten, die gleichwohl die Ziehung eines verdichtenden Resümees ermöglichen.
___________ 3 Siehe nur Eberhard Bohne (Hrsg.), Bürokratieabbau zwischen Verwaltungsreform und Reformsymbolik, 2006; Timo Hebeler, Bürokratieabbau: ein Systematisierungsversuch eines inflationär gebrauchten Begriffs, DÖD 2007, S. 273 ff.; Werner Jann/Kai Wegrich/Jan Tiessen, „Bürokratisierung“ und Bürokratieabbau im internationalen Vergleich – wo steht Deutschland?, 2007; Carl Dominik Klepper, Bürokratieabbau in Deutschland, 2005; Richard Merk (Hrsg.), Bürokratieabbau und Bürokratiekostenmessung in der Bundesrepublik Deutschland, 2005; Klaus-Heiner Röhl, Bürokratieabbau, 2006. 4 Vgl. Martin Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben, 1991; Annette Guckelberger, Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 17 ff.; Günter Püttner/Annette Guckelberger, Beschleunigung von Verwaltungsverfahren, JuS 2001, 218 ff.; Paul Rombach, Der Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994; Daniel Spitzhorn, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, ZRP 2002, S. 196 ff.; Jan Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren, in: ders. (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 51 ff.; ders./Martin-Peter Oertel/Alexander Windoffer, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, 2004. 5 Dazu Tobias Ernst/Alexander Koop, Bürokratiekostenmessung in Deutschland – das Standard-Kosten-Modell und der Normenkontrollrat, ZG 2006, S. 179 ff.; Frank Frick/Henrik Brinkmann/Tobias Ernst, Das Standard-Kosten-Modell, ZG 2006, S. 28 ff. 6 Jürgen Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, 2004; Rolf Gröschner, Transparente Verwaltung – Konturen eines Informationsverwaltungsrechts, VVDStRL 63 (2004), S. 344 ff.; Johannes Masing, Transparente Verwaltung – Konturen eines Informationsverwaltungsrechts, VVDStRL 63 (2004), S. 377 ff.; Rainer Pitschas, Das Informationsverwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, Verw. 33 (2000), S. 111 ff.; Bernhard Wegener, Der geheime Staat: Arkantradition und Informationsfreiheitsrecht, 2006.
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I. Kommunikation Will ein Wirtschaftsunternehmen heute eine Genehmigung einer Behörde einholen, die es für seine Tätigkeit benötigt, so muss es in aller Regel einen Antrag bei der jeweiligen Behörde stellen.7 Diese Behörde teilt dem Unternehmen dann mit, ob die Antragsunterlagen vollständig sind und der Antrag inhaltlich Aussicht auf Erfolg hat, mit dieser Behörde muss das Unternehmen über die Einzelheiten sprechen etc. – kurz: Die Kommunikationslinien verlaufen zwischen dem Unternehmen und dieser Behörde. Nicht selten aber benötigt ein Unternehmen nicht nur eine Genehmigung, sondern mehrere, d. h.: Das Unternehmen muss mit mehreren Behörden kommunizieren, und das nicht selten gleichzeitig. Das ist verwirrend, kostet viel Zeit und Geld. Für das Unternehmen wäre es viel einfacher, wenn es nur mit einer einzigen Stelle zu tun hätte, die alles für das Unternehmen abwickelt. Bereits seit einigen Jahren ist deshalb versucht worden, durch Bürgerbüros oder Wirtschaftsförderungsgesellschaften der Gemeinden und Länder einem one-shop-stop-Prinzip näher zu kommen und Beratung aus einer Hand anzubieten.8 Mittlerweile ordnet eine europäische Vorschrift, die sog. Dienstleistungsrichtlinie9, die Einrichtung einer solchen einheitlichen Stelle zumindest ___________ 7
Zum Institut der Genehmigung Friedrich Curtius, Entwicklungstendenzen im Genehmigungsrecht, 2005; Thorsten Franz, Die Normstruktur von Erlaubnis und Bewilligung, VerwArch 94 (2003), S. 192 ff.; Athanasios Gromitsaris, Die Lehre von der Genehmigung, VerwArch 88 (1997), S. 52 ff.; ders., Die Unterscheidung zwischen präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt, DÖV 1997, S. 401 ff.; Rainer Wahl, Bedeutungsverlust und Bedeutungsgewinn für das Institut der Genehmigungen, in: Hansmann/Paetow/Rebentisch (Hrsg.), Umweltrecht und richterliche Praxis. Festschrift für Ernst Kutscheidt zum 70. Geburtstag, 2003, S. 199 ff.; ders., Genehmigung und Planungsentscheidung – Überlegungen zu zwei Grundmodellen des Verwaltungsrechts und zu ihrer Kombination, DVBl. 1982, S. 51 ff. 8 Siehe den Überblick bei Felix Hermonies, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 82 ff., 91 ff. 9 RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dez. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABlEG Nr. L 376/36 v. 27.12.2006. Zu ihr neben den in den folgenden Fußnoten Genannten noch Carl Böhret/Dieter Grunow/Jan Ziekow (Hrsg.), Der Vorschlag zu einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Regelungsgehalt – Problemfelder – Akteurspositionen, 2005; Christian Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur Dienstleistungsrichtlinie – und wieder Retour?, DVBl. 2007, S. 336 ff.; ders., Die Dienstleistungsrichtlinie, 2007; Winfried Kluth/Frank Rieger, Die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und berufsrechtlichen Wirkungen von Herkunftslandprinzip und Bestimmungslandprinzip, GewArch 2006, S. 1 ff.; Armin Hatje. Die Dienstleistungsrichtlinie: auf der Suche nach dem liberalen Mehrwert, NJW 2007, 2357 ff.; Dieter Kugelmann, Die Dienstleistungs-Richtlinie der EG zwischen der Liberalisierung von Wachstumsmärkten und europäischem Sozialmodell, EuZW 2005, S. 327 ff.; Markus Möstl, Wirtschaftsüberwachung von Dienstleistungen im Binnenmarkt, DÖV 2006, S. 281 ff.; Christoph Ohler, Der Binnenmarkt als
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für alle grenzüberschreitenden Fälle an: Wenn ein Unternehmen aus einem europäischen Land in einem anderen europäischen Land (soweit es sich jeweils um einen Mitgliedstaat der EU handelt) tätig werden will, so soll es sich nicht mehr mit diversen Behörden auseinandersetzen müssen, sondern nur noch mit einer Stelle (Art. 6 ff. DLRL). In Deutschland ist man sich darüber einig, dass eine solche Wohltat nicht nur Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten vorbehalten sein darf, sondern auch deutschen Unternehmen zur Verfügung stehen muss.10 Wo diese einheitliche Stelle, der sog. einheitliche Ansprechpartner angesiedelt werden soll, ist noch nicht abschließend entschieden und wird voraussichtlich auch in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich geregelt werden. In Betracht kommen neben Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene auch Private, die damit in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einbezogen werden, sei es in alleiniger Trägerschaft oder in Public Private Partnership. Weiter im Spiel sind die Kammern, insbesondere die Industrie- und Handelskammern.11 Die Kammern sind zwar keine echten Privaten, sondern gehören zur mittelbaren Staatsverwaltung, sind aber gleichwohl Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft.12 Nach Art. 6 der Dienstleistungsrichtlinie müssen die Unternehmen alle Formalitäten, die für die Aufnahme und Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlich sind (z.B. die Stellung von Genehmigungsanträgen) über einheitliche Ansprechpart___________ Herausforderung an die Verwaltungsorganisation in den Mitgliedstaaten, BayVBl. 2006, S. 261 ff.; Thomas Pfeiffer/Bernhard Hess u.a., Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Regelungen im Geschäftsbereich des BMVEL, Gutachten im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, 2005; Jan Schlichting/Wolfram Spelten, Die Dienstleistungsrichtlinie, EuZW 2005, S. 238 ff.; Utz Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Teil I: Grundlagen, 2008; Jan Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, S. 179 ff., 217 ff.; ders./Alexander Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister. Anforderungen des Vorschlags einer EU-Dienstleistungsrichtlinie und Gestaltungsoptionen im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, 2007. 10 Dieter Beck, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 167 ff.; Anika Luch/Sönke Schulz, Der personelle Anwendungsbereich der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Verpflichtung zur einheitlichen Umsetzung der Vorgaben für inländische und grenzüberschreitende Sachverhalte, in: Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Teil I: Grundlagen, 2008, S. 33 ff. 11 Bewertung der verschiedenen Optionen bei Felix Hermonies/Andrea Nesseldreher/Thorsten Siegel/Alexander Windoffer, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 63 ff.; Alexander Windoffer, Einheitliche Ansprechpartner nach der EU-Dienstleistungsrichtlinie – Aufgabenprofil und Ansiedlungsoptionen, DVBl. 2006, S. 1210 ff. 12 Zur Stellung der Kammern Jan Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2007, § 4 Rdnr. 10 ff.
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ner abwickeln können. Andererseits ist der Ansprechpartner aber mehr als eine bloße „Poststelle“, die Anträge und Unterlagen einfach nur entgegennimmt und weiterleitet.13 Für das Kommunikationsverhalten zwischen Behörde und Unternehmen stellt die Einrichtung einheitlicher Ansprechpartner vielmehr einen Einschnitt dar: Wenn das Unternehmen es wünscht, dann braucht es mit den Behörden, die die inhaltliche Entscheidung treffen, überhaupt nicht mehr zu kommunizieren. Es kann darauf bestehen, dass es nicht in direkten Kontakt mit den zuständigen Behörden treten muss und alle Verfahrensschritte über den einheitlichen Ansprechpartner abwickeln kann. Das Unternehmen kann sich aber auch von Fall zu Fall anders entscheiden, auf die Inanspruchnahme des einheitlichen Ansprechpartners verzichten und sich unmittelbar an die zuständige Stelle wenden. Weiterhin trifft den einheitlichen Ansprechpartner die Pflicht, bei den zuständigen Stellen auf eine ordnungsgemäße und zügige Erledigung der jeweiligen Verfahrensschritte hinzuwirken.14 Aus der Perspektive des Unternehmens stellt sich also die Verwaltung, wenn das Unternehmen es wünscht, als Einheit dar.15 Dass der einheitliche Ansprechpartner nicht nur eine Durchlaufstelle für die Kommunikation zwischen Unternehmen und entscheidender Behörde ist, sondern eigenständige Aufgaben in dieser Kommunikation hat, wird schon daraus deutlich, dass dem einheitlichen Ansprechpartner umfangreiche Informationsaufgaben zufallen: Der einheitliche Ansprechpartner ist auch dafür zuständig, Informationen u.a. zu den für die Unternehmen geltenden Anforderungen, insbesondere den Verfahren, über die zuständigen Behörden und die Rechtsbehelfe sowie zu Verbänden oder Organisationen bereit zu halten (Art. 7 DLRL).16 Ist das bisherige deutsche Verwaltungsrecht auf die direkte – bipolare – Kommunikation zwischen dem Bürger bzw. dem Unternehmen und der Behörde zugeschnitten, so wird unschwer deutlich, dass beträchtliche Rechtsänderungen erforderlich werden, wenn als Dritter zu diesem Verhältnis der einheitliche Ansprechpartner hinzutritt. Zentral ist zunächst, dass subjektive Rechte des Unternehmens geregelt werden, die Kommunikationswege bestimmen zu ___________ 13
Zur Reichweite dieser Funktion des einheitlichen Ansprechpartners Alexander Windoffer, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 26 ff. 14 Zum Ganzen Alexander Windoffer, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 26 ff. 15 Vgl. Utz Schliesky, Von der Realisierung des Binnenmarkts über die Verwaltungsreform zu einem gemeineuropäischen Verwaltungsrecht? Die Auswirkungen der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Verwaltungsrecht, DVBl. 2005, S. 887 (891). 16 Dazu Alexander Windoffer, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 38 ff.
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können. Dem Unternehmen muss das Recht zuerkannt werden, seine gesamte Kommunikation mit allen Behörden, die für bestimmte das Unternehmen betreffende Entscheidungen zuständig sind, über den einheitlichen Ansprechpartner abzuwickeln oder sich insgesamt oder im Einzelfall doch wieder an die jeweiligen Behörden zu wenden. Weiterhin muss das Unternehmen ein Recht auf Gewährung der genannten Informationen gegen den einheitlichen Ansprechpartner haben.17 Weitere Rechtsänderungen betreffen die Verfahrensausgestaltung18. Die zuständigen Behörden müssen verpflichtet werden, mit dem Unternehmen nur über den einheitlichen Ansprechpartner in Kontakt zu treten, wenn das Unternehmen es wünscht. Der einheitliche Ansprechpartner wiederum muss zur Entgegennahme und zügigen Weiterleitung der gesamten Verfahrenskorrespondenz zwischen Dienstleistungserbringer und zuständiger Behörde verpflichtet sein. Vor allem die Frage, was passiert, wenn der einheitliche Ansprechpartner Unterlagen nur verspätet weiterleitet, muss geregelt werden. Ist eine Handlung des Unternehmens, z. B. die Stellung eines Antrags, an eine bestimmte Frist gebunden, so wirkt fristwahrend nur der Eingang des Antrags bei der zuständigen Behörde. Durch den Eingang des Antrags beim einheitlichen Ansprechpartner kann die Frist hingegen nicht eingehalten werden. Das Risiko einer durch den einheitlichen Ansprechpartner verzögerten Weiterleitung an die zuständige Behörde trüge danach das Unternehmen. Zwar wird man im Regelfall mit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 VwVfG helfen können. Das gilt aber nur für die Fälle, in denen der einheitliche Ansprechpartner für die Weiterleitung des Antrags länger als sonst braucht. Für die anderen Fälle, in denen die Antragsfrist während der Zeit verstreicht, in der der einheitliche Ansprechpartner auch sonst Anträge weiterleitet, kann man dem Unternehmer nur durch Einfügung einer Zugangsfiktion in das Verwaltungsverfahrensgesetz helfen.19 Das Gleiche gilt für den umgekehrten Weg, also für den Weg von der zuständigen Behörde über den einheitlichen Ansprechpartner zum Unternehmen: ___________ 17
Alexander Windoffer, Die Implementierung einheitlicher Ansprechpartner nach der EU-Dienstleistungsrichtlinie, NVwZ 2007, S. 495 (497 ff.). 18 Zu dieser siehe etwa Anne Neidert, Einheitlicher Ansprechpartner: Umsetzungsmodell zum Ablauf des Verwaltungsverfahrens, in: Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Teil I: Grundlagen, 2008, S. 117 ff. 19 Zu diesen Fragen Anika Luch, Die Schaffung des einheitlichen Ansprechpartners unter Berücksichtigung der Verteilung der Verbandskompetenzen in der Bundesrepublik, in: Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Teil I: Grundlagen, 2008, S. 149 (163 ff.); Andrea Nesseldreher, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 150 ff.
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Fristen, die an den Zugang des von der Behörde über den einheitlichen Ansprechpartner versandten Dokuments anknüpfen, laufen erst ab dem Zeitpunkt des Zugangs bei dem Unternehmen. Der einheitliche Ansprechpartner hätte es also in der Hand, die Wirkungen des Handelns der eigentlich zuständigen Behörde zu verzögern. Auch hier hilft nur die Einfügung einer Zugangsfiktion in das Gesetz.20 Das Unternehmen bestimmt aber nicht nur die Kommunikationswege, sondern auch die Art der Kommunikation. Nach bisherigem deutschem Recht beruht die elektronische Kommunikation zwischen Behörde und Bürger in der Regel auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Das heißt: Wer nicht elektronisch kommunizieren wollte, dem konnte das auch nicht aufgezwungen werden, und zwar auch nicht der Behörde.21 Das wird sich jetzt ändern: Die Dienstleistungsrichtlinie geht für die Kommunikation zwischen Unternehmen, einheitlichem Ansprechpartner und zuständiger Behörde grundsätzlich von einem Multikanalzugang aus.22 Das heißt: Sofern nicht im Gesetz eine bestimmte Form, d. h. die Schriftform vorgesehen ist, kann das Unternehmen die Form der Kommunikation wählen. Das gilt jetzt auch für die elektronische Kommunikation. Das Unternehmen hat ein Recht darauf, das Verfahren und alle Formalitäten problemlos aus der Ferne und elektronisch abwickeln zu können (Art. 8 DLRL). Sowohl der einheitliche Ansprechpartner als auch die zuständige Behörde muss also in der Lage sein, das Verfahren komplett elektronisch zu führen. Wo bisher Schriftform vorgesehen war, muss über den bisherigen § 3a Abs. 2 VwVfG hinaus die elektronische Form zulässig sein.23
II. Information Im Bereich der Information lassen sich den dargestellten Wandlungen im Bereich Kommunikation vergleichbare Entwicklungen im Verhältnis zwischen Behörde und Bürger aufzeigen. Pointiert zusammengefasst verhielt es sich über ___________ 20
Alexander Windoffer, Die Implementierung einheitlicher Ansprechpartner nach der EU-Dienstleistungsrichtlinie, NVwZ 2007, S. 495 (498, 500). 21 Jan Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2006, § 3a Rdnr. 4. 22 Arne Franz, Modellskizzen für die Ausgestaltung des „einheitlichen Ansprechpartners“, in: Böhret/Grunow/Ziekow (Hrsg.), Der Vorschlag zu einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Regelungsgehalt – Problemfelder – Akteurspositionen, 2005, S. 235 (239 f.). 23 Zu den informationellen Gesichtspunkten siehe auch Astrid Fahrenkrog/AndreasMichael Hall/Georg Schäfer/Utz Schliesky u.a., Eckpunkte zur Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie mit Verwaltungsinformatik in Ländern und Kommunen, 2006, S. 3 ff.
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lange Zeit so, dass das, was die Behörde an Informationen hatte, den Bürger nichts anging. Daher wurde zuweilen vom sog. Aktengeheimnis gesprochen. Ein Recht auf Akteneinsicht haben nach § 29 VwVfG grundsätzlich nur Beteiligte eines konkreten Verwaltungsverfahrens. Und auch dieses Recht steht unter zahlreichen Einschränkungen: Es reicht zum einen nur so weit wie es zur Geltendmachung der rechtlichen Interessen der Beteiligten erforderlich ist.24 Zum anderen kann die Behörde die Akteneinsicht u. a. schon dann verweigern, wenn durch die Akteneinsicht die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt würde. Eine Überlastung der Behörde, die vor allem bei größeren Verfahren eintreten kann, berechtigt sie dann zur Verweigerung der Akteneinsicht. Schließlich ist das Recht auf Akteneinsicht im Verfahren nach § 29 VwVfG deshalb nicht besonders schlagkräftig, weil es nach § 44a VwGO nicht selbständig gerichtlich durchgesetzt werden kann. Zulässig ist nur, dass der Betroffene gegen die Sachentscheidung der Behörde, also die Entscheidung, die das Verwaltungsverfahren abschließt, klagt und dabei auch rügt, dass ihm zu Unrecht keine Akteneinsicht gewährt wurde.25 Erfolg wird ein Betroffener mit einer solchen Klage nur selten haben, weil die Verweigerung der Akteneinsicht in der Regel keinen Einfluss auf die Sachentscheidung haben wird. Dann aber kann nach § 46 VwVfG die Aufhebung der Sachentscheidung nicht verlangt werden. Daneben haben die Gerichte unter engen Voraussetzungen einen Anspruch auf Informationszugang unmittelbar aus den Grundrechten gewährt. Voraussetzung ist, dass der Betroffene auf die Erlangung der Informationen angewiesen ist, damit er von seinen grundrechtlich geschützten Positionen Gebrauch machen kann.26 Auch hier handelt es sich also nur um ein akzessorisches Recht auf Informationszugang: Dieses Recht wird nicht als solches, sondern wie das nach § 29 VwVfG zur Geltendmachung eines materiellen subjektiven Rechts gewährt. Ansonsten bestimmte die Behörde nach ihrem Ermessen, welche Informationen dem Bürger zugänglich gemacht werden sollten und welche nicht.27 Eine erste Wandlung hat hier zunächst das Umweltinformationsgesetz gebracht, das zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft erlassen wurde. Nach dem Umweltinformationsgesetz (§ 3 Abs. 1) hat jeder ei___________ 24
Zu dieser Voraussetzung Jan Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2006, § 29 Rdnr. 7. 25 Jan Ziekow, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2006, § 44a Rdnr. 46. 26 Vgl. BVerwG NVwZ 2003, S. 1114 ff. 27 Siehe VGH München NVwZ 1999, S. 888 (889).
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nen Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen bei jeder informationspflichtigen Stelle. Informationspflichtige Stellen sind u. a. die Regierung und Behörden, aber auch natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dabei unter staatlicher Kontrolle stehen (§ 2 Abs. 1 UIG)28. Anders als bei den Ansprüchen auf Akteneinsicht ist hier kein rechtliches Interesse desjenigen erforderlich, der den Informationszugang beantragt (§ 3 Abs. 1 S. 1 UIG). Zielrichtung dieses allgemeinen Anspruchs auf Zugang zu Umweltinformationen ist es, das Umweltbewusstsein zu schärfen und die Kontrolle der Behörden durch die Öffentlichkeit im Bereich umweltbezogener Handlungen zu stärken.29 Dieser Ansatz der Umweltinformationsgesetze von Bund und Ländern ist dann durch die Informationsfreiheitsgesetze von Bund und Ländern über den Umweltsektor hinaus verallgemeinert worden. Nach § 1 Abs. 1 des IFG des Bundes hat jeder Bürger, und zwar ohne dass er ein besonderes Interesse an den Informationen haben muss, gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen des Bundes. Einbezogen sind auch natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts, soweit sich eine Behörde dieser Person zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe bedient. Allerdings richtet sich der Antrag auf Informationszugang in diesem Fall nicht gegen diese privaten Personen, sondern gegen die Behörde, die sich der Person zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedient (§ 7 Abs. 1 S. 2 IFG).30 Zu erwähnen ist noch, dass der Bürger grundsätzlich auch die Art des Informationszugangs, also ob ihm eine Auskunft der Behörde genügt oder er Akteneinsicht oder eine andere Art des Informationszugangs haben will, bestimmt (§ 1 Abs. 2 S. 2 IFG) und der Informationsanspruch mit Widerspruch und Klage durchgesetzt werden kann (§ 9 Abs. 4 IFG)31. Der Zweck dieses allgemeinen Informationszugangs besteht zunächst – wie beim Umweltinformationsanspruch – darin, die Kontrolle staatlichen Handelns durch die Bürger zu verbessern32. Kern ist nach der Gesetzesbegründung allerdings ein gewandeltes Staatsverständnis: „Neben das autoritative Handeln des Staates tritt zunehmend eine konsensorientierte Kooperation mit dem Bürger, ___________ 28 Zum Kreis der insoweit informationspflichtigen Stellen Jürgen Fluck/Andreas Theuer, in: dies. (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Stand: Dez. 2007, § 2 UIG Bund Rdnr. 144 ff. 29 Arno Scherzberg, in: Fluck/Theuer (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Stand: Dez. 2007, Einl. UIG Bund Rdnr. 18. 30 Zu den damit verbundenen Problemen Jürgen Fluck, in: ders./Theuer (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Stand: Dez. 2007, § 7 IFG Bund Rdnr. 76 ff. 31 Dazu Jan Ziekow/Alfred Debus, in: Fluck/Theuer (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Stand: Dez. 2007, § 9 IFG Bund Rdnr. 37 ff. 32 Begründung des Entwurfs eines Informationsfreiheitsgesetzes der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks. 15/4493 sub A I.
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die eine gleichgewichtige Informationsverteilung erfordert.“33 Darin tritt eine interessante Ambivalenz des Informationszugangs zutage: Einerseits soll der Bürger die Verwaltung kontrollieren, andererseits soll er mit ihr auf Augenhöhe kooperieren? Mir scheint beim Anspruch auf Informationszugang doch eindeutig die Kontrollfunktion im Vordergrund zu stehen: Die Verwaltung hat nicht mehr die Herrschaft über das Schicksal der bei ihr vorhandenen Informationen. Soweit nicht einer der abschließend aufgezählten Gründe vorliegt, unter denen der Informationszugang verweigert werden darf, bestimmt der Bürger, zu welchen Informationen die Verwaltung Zugang gewähren muss und auf welche Art der Informationszugang erfolgt.
III. Kooperation Dass es in zunehmendem Maße zu Kooperationsbeziehungen zwischen Verwaltungen und Bürgern sowie insbesondere auch Unternehmen kommt, ist in der Wissenschaft oft beschrieben worden.34 In der breiteren Öffentlichkeit beginnt dieses Bewusstsein sich erst langsam zu verankern, seit mehr und mehr von Public Private Partnerships die Rede ist35. Dahinter stehen vor allem zwei ___________ 33
Begründung des Entwurfs eines Informationsfreiheitsgesetzes der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks. 15/4493 sub A I. 34 Siehe nur Peter Arnold, Kooperatives Handeln der nicht-hoheitlichen Verwaltung, in: Dose/Voigt (Hrsg.), Kooperatives Recht, 1995, S. 211 ff.; Arthur Benz, Kooperative Verwaltung, 1994; Nicolai Dose, Die verhandelnde Verwaltung, 1997; Helge Rossen, Vollzug und Verhandlung, 1999; Dongsoo Song, Kooperatives Verwaltungshandeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts, 2000; Erhard Treutner, Kooperativer Rechtsstaat, 1998. 35 Vgl. nur Dietrich Budäus, Public Private Partnership – Kooperationsbedarfe, Grundkategorien und Entwicklungsperspektiven, in: ders. (Hrsg.), Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, 2006, S. 11 ff.; ders./Gernod Grüning, Public Private Partnership – Konzeption und Probleme eines Instruments zur Verwaltungsreform aus Sicht der Public Choice-Theorie, in: Budäus/Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership, 1997, S. 25 ff.; Mark Eggers, Public Private Partnership. Eine strukturierende Analyse auf der Grundlage von ökonomischen und politischen Potentialen, 2004; Wolfgang Gerstlberger/Wolfram Schmittel, Public Private Partnership als neuartiges Regelungsmuster zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen, 2004; Björn Höftmann, Public Private Partnership als Instrument der kooperativen und sektorübergreifenden Leistungsbereitstellung, 2001; Bettina Meyer-Hofmann/Frank Riemenschneider/Oliver Weihrauch (Hrsg.), Public Private Partnership, 2005; Holger Mühlenkamp, Public Private Partnership ökonomisch analysiert. Eine Abhandlung aus der Sicht der Transaktionskostenökonomik und der Neuen Politischen Ökonomie, 2004; Frieder Naschold, Public Private Partnership in den internationalen Modernisierungsstrategien des Staates, in: Budäus/Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership, 1997, S. 67 ff.; Günter Püttner, Chancen und Risiken von PPP aus juristischer Sicht, in: Budäus, a.a.O., S. 97 ff.; Frederik Roentgen, Public-Private Partnership. Eine effizienzorientierte Analyse kommunaler Aufgabenerfüllung unter Einbeziehung erwerbswirtschaftlicher Unternehmungen,
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Konzepte, nämlich erstens das der lernenden Verwaltung: Die Verwaltung ist sich in zunehmendem Maße ihrer eigenen Grenzen bewusst. Sie bezieht Private gezielt in die Verbesserung ihrer organisationalen Leistungsfähigkeit ein, sei es als Informationsgeber, sei es sogar in Form des befristeten Austauschs von Personal mit großen Unternehmen, sei es in anderer Form. Zweitens kommt es im Zuge gewährleistungsstaatlichen Denkens mehr und mehr zu einer Entkoppelung von Aufgabenverantwortung und Aufgabenerfüllung: Der gewährleistende Staat erfüllt öffentliche Aufgaben nicht notwendig selbst, sondern bezieht – in unterschiedlicher Intensität – private Beiträge in die Aufgabenerfüllung ein. Der Staat trägt also nicht mehr die sog. Erfüllungsverantwortung, sondern gewährleistet nur noch, dass die Aufgabe im Gemeinwohlinteresse im Ergebnis auch tatsächlich erfüllt wird.36 Dieser Übergang zu kooperativen Formen kann nicht ohne Konsequenzen für die Struktur des Verwaltungshandelns und des Verwaltungsrechts bleiben. Neben die Steuerung durch hoheitliches Gebot tritt die Steuerung durch Kooperation. Aufgabe des Verwaltungsrechts ist es dabei, das zur Strukturierung dieses Prozesses Erforderliche bereitzustellen.37 Dies ist schon deshalb wichtig, weil sich die Verwaltung durch die Kooperation mit Privaten nicht der Verantwortung entziehen kann, auf eine sachangemessene und rechtlich zulässige Einbeziehung der öffentlichen Interessen in den Kooperationsprozess zu ach___________ 2001; Sibylle Roggencamp, Public Private Partnership – Entstehung und Funktionsweise kooperativer Arrangements zwischen öffentlichem Sektor und Privatwirtschaft, 1999; Friedrich Schoch, Public Private Partnership, in: Erichsen (Hrsg.), Kommunale Verwaltung im Wandel, 1999, S. 101 ff.; Peter J. Tettinger, Public Private Partnership, Möglichkeiten und Grenzen, NWVBl. 2005, S. 1 ff.; Martin Weber/Michael Schäfer/Friedrich Hausmann (Hrsg.), Praxishandbuch Public Private Partnership, 2006; Jan Ziekow (Hrsg.), Public Private Partnership – Projekte, Probleme, Perspektiven –, 2003; ders., Public Private Partnership aus Sicht der Wissenschaft – Überlegungen zu Stand und Aufgaben der Wissenschaft gegenüber hybriden Steuerungsstrukturen –, in: Moderner Staat 2003 – Kongressvorträge-CD; ders., Public Private Partnership – auf dem Weg zur Formierung einer intermediären Innovationsebene?, VerwArch 97 (2006), S. 626 ff.; ders./Alexander Windoffer, Public Private Partnership. Struktur und Erfolgsbedingungen von Kooperationsarenen, 2008. 36 Vgl. zum Konzept der Verantwortungsstufung mit den drei Grundtypen der Erfüllungs-, Gewährleistungs- und Auffangverantwortung etwa Wolfgang Hoffmann-Riem, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff moderner Staatlichkeit, in: Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi (Hrsg.), Staat und Steuern, FS für Klaus Vogel zum 70. Geb., 2000, S. 47 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung: Zum Denken in Verantwortungsstufen, Verw. 31 (1998), S. 415 ff.; Jan Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, 2001, S. 179 ff. m. w. Nachw. 37 Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 444. Zur Bereitstellungsfunktion des Verwaltungsrechts vgl. auch ders., Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 (96 f.).
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ten.38 Zur Verdeutlichung der damit verbundenen Fragen mögen zwei Beispielsfelder dienen: Ein Beispiel ist die Verteilung der Verantwortung für die Erarbeitung der Tatsachengrundlage für kooperatives Handeln. Im Ausgangspunkt fordert der im Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dass die Verwaltung sich die für ihr Handeln benötigten Informationen selbst beschafft.39 Einfachgesetzlichen Niederschlag gefunden hat dies im Untersuchungsgrundsatz des § 24 VwVfG. Seine verfassungsrechtliche Rückbindung verhindert es, dass sich die Verwaltung aus der Verantwortung für die Erstellung einer ihr Handeln tragenden Tatsachengrundlage zurückzieht. Diese rechtlichen Vorgaben ändern aber nichts daran, dass die Verwaltung durch die Kooperation mit Privaten oftmals gerade Informationen und Fähigkeiten erlangen möchte, über die sie bislang selbst nicht verfügt, oder Verantwortung für die Aufgabenerfüllung an den Privaten abgeben will. Zu Recht ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Verwaltung vor der Realität komplexer Wissensgenerierung in besonderem Maße auf Informationsaustausch angewiesen ist.40 Reaktion auf diesen Befund ist die Entwicklung des Konzepts der kooperativen Sachverhaltskonkretisierung. Bekannteste Ausprägung ist die sog. nachvollziehende Amtsermittlung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung: Nach § 6 UVPG hat der Vorhabenträger der Behörde zu Verfahrensbeginn die entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens vorzulegen. Die für die Erfüllung dieser Vorlagepflicht erforderlichen Grundlagen hat der Vorhabenträger selbständig zu ermitteln. Die Behörde hat dann die Angaben des Antragstellers zu prüfen, wobei sie sich aber auf stichprobenartige Kontrollermittlungen beschränken kann.41
___________ 38 Jan Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, 2001, S. 179. 39 Jan Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren, in: ders. (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 51 (71). 40 Vgl. Rainer Pitschas, Allgemeines Verwaltungsrecht als Teil der öffentlichen Informationsordnung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 219 (287); Andreas Voßkuhle, Der Wandel von Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht in der Informationsgesellschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 2000, S. 349 (354 f.). 41 Jens-Peter Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, 1991, S. 126 ff.; ders., Kooperative Verwaltungsverfahren, VerwArch 87 (1996), S. 38 (55 f.).
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Daneben finden sich zahlreiche weitere Regelungen, die Privaten bestimmte Aufgaben der Informationsbeschaffung zuweisen.42 Gerade in komplexen Kooperationen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand ist ein weitergehender Trend unverkennbar, die Erstellung der Tatsachengrundlage, aufgrund derer die Behörde handelt, in Kooperation mit Privaten vorzunehmen. Neuestes gesetzliches Beispiel ist der in das Vergaberecht eingefügte wettbewerbliche Dialog (vgl. § 101 Abs. 5 GWB, § 6a VgV). Dieses Instrument ist insbesondere für PPP-Vergaben eingeführt worden. Im Kern geht es um die Situation, dass die Verwaltung zwar ein Problem hat, jedoch die Mittel nicht kennt, um dieses Problem zu lösen. Sie kann deshalb auch nicht eine normale Ausschreibung durchführen, um von Privaten die wirtschaftlichste Lösung angeboten zu bekommen. Aufgrund ihres Informationsdefizits muss sie vielmehr ein mehrstufiges Verfahren wählen, in dem sie von den Privaten in einem Dialog zunächst einmal Informationen darüber einholt, welche Lösungen auf dem Markt überhaupt zur Verfügung stehen.43
IV. Schlussbetrachtung Die vorstehenden Bemerkungen haben deutlich gemacht, dass sich das deutsche Verwaltungsrecht in einem Prozess des Perspektivenwechsels befindet. Wenn das klassische Merkmal des Verwaltungsrechts das hoheitliche Handeln, das Über-Unterordnungsverhältnis ist, so sieht sich diese Sichtweise mit mehr und mehr Gestaltungsmöglichkeiten des Bürgers konfrontiert. Der Bürger kommt nicht mehr nur als Objekt behördlicher Entscheidung vor, sondern wird zum Mitgestalter. Im Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie bestimmt nicht mehr die Behörde, sondern das Unternehmen über die Kommunikationswege. Wenn das Unternehmen es nicht wünscht, darf die Behörde sich nicht direkt an das Unternehmen wenden. Soweit es die elektronische Kommunikation anbetrifft, ist auch hier der Wunsch des Unternehmens der Behörde Befehl. Im Bereich Information ist die Behörde nicht mehr Herr über die bei ihr vorhandenen In___________ 42 Siehe Jan Ziekow, Inwieweit veranlasst das Neue Steuerungsmodell zu Änderungen des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsverfahrensgesetzes?, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 349 (379 f.). 43 Zum wettbewerblichen Dialog Dietrich Drömann, Wettbewerblicher Dialog und ÖPP-Beschaffungen, NZBau 2007, S. 751 ff.; Martin Meißner, Der Wettbewerbliche Dialog, in: Pitschas/Ziekow (Hrsg.), Vergaberecht im Wandel, 2006, S. 83 ff.; Hermann Müller/Winfried Veil, Wettbewerblicher Dialog und Verhandlungsverfahren im Vergleich, VergabeR 2007, S. 298 ff.
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formationen. Was sie preisgibt und was nicht, entscheidet die Behörde nur noch in Randbereichen, im Übrigen aber der Antrag eines Bürgers auf Informationszugang. Umgekehrt bedarf die Behörde in immer größerem Umfang der von Privaten zur Verfügung gestellten Informationen, um ihre Entscheidung überhaupt sachgerecht treffen zu können. Diese Beispiele unterstützen den neuerdings immer stärker betonten Wandel in der Sicht des Verwaltungsrechts, der sich schlagwortartig in den Worten „Von der Limitierungsfunktion zur Steuerungsfunktion des Verwaltungsrechts“ – wobei diese Funktionen einander nicht widersprechen – zusammenfassen ließe. Die Rolle des Verwaltungsrechts, nicht nur Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers zu begrenzen, sondern das Verwaltungshandeln zu strukturieren, wird in Zukunft wesentlich klarer hervortreten.
Public Private Partnership als neue Form der Erfüllung staatlicher Aufgaben? Unter besonderer Berücksichtigung des koreanischen Gesetzes über Private Finanzierungsinitiativen (KPFIG) Von Sung-Soo Kim
I. Der Begriff und die Zielsetzung der PPP bzw. ÖPP An dieser Stelle stellt sich zunächst die Frage, ob eigentlich die PublicPrivate-Partnership oder auf deutsch Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP) eine „neue Form“ zur Erledigung der öffentlichen Aufgaben darstellt. Oder kann man umgekehrt schon davon ausgehen, dass es sich bei PPP bzw. ÖPP um ein etabliertes oder sogar alltägliches Rechtsinstitut besonders auf kommunaler Ebene handelt? Zumindest gilt diese Feststellung für Korea, wobei seit Jahrzehnten besonders im Bereich der gesellschaftlichen Infrastruktur und Entsorgung verschiedene PPP-Projekte sowohl auf staatlicher als auch kommunaler Ebene in Gang gesetzt worden sind. Dies gilt auch in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar insofern, als es auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene eine Reihe von Vorhaben gibt, bei denen Private an der Erledigung öffentlicher Aufgaben in unterschiedlichen Formen und Inhalten sowie mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten beteiligt werden sollen.1 Der Begriff PPP stammt ursprünglich aus den USA und wurde dort zum Ende des zweiten Weltkriegs erprobt, dann in England in den siebziger Jahren ___________ 1 Nach einer Umfrage des Deutschen Städtetags unter seinen Mitgliedstädten wurde darauf hingewiesen, dass im ersten Halbjahr 2002 53% der antwortenden Verwaltungen PPP/PFI-Projekte durchführen; dies galt für 100% der hessischen Städte, die antworteten, und für 33% der nordrhein-westfälischen. Damit ist also PPP in deutschen Städten und Gemeinden kein unbekanntes Thema; vgl. Detlef Sack, Eine Bestandsaufnahme der Verbreitung, Regelungen und Kooperationspfade vertraglicher PPP in Deutschland í Effizienz, Kooperation und relationaler Vertrag, in: Dietrich Budäus (Hrsg.), Kooperationsformen zwischen Staat und Markt. Theoretische Grundlagen und praktische Ausprägungen von Public Private Partnership, Baden-Baden 2006, S. 55.
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von Premierministerin Thatcher revitalisiert. In beiden Ländern ging es gleichermaßen darum, in Zeiten knapper öffentlicher Haushaltsmittel den Staat „zurücknehmen“ und Private an der Erledigung und Mitfinanzierung öffentlicher Aufgaben zu beteiligen.2 Diese Grundkonstellation wiederholte sich später in Ländern wie Japan, Korea und Deutschland. Der Grundgedanke der PPP ist es, durch eine langfristig angelegte Kooperation der öffentlichen Hand mit Privaten vom Knowhow und der größeren Flexibilität privater Akteure zu profitieren. Die funktionale Privatisierung beschränkt sich also im Unterschied zur formellen Privatisierung nicht auf einen Rechtsformwechsel ins Privatrecht. In Abgrenzung zur materiellen Privatisierung zieht sich der Staat auch nicht vollständig von einer Aufgabe zurück, sondern nimmt diese nach wie vor wahr, zukünftig allerdings im Zusammenwirken mit dem privaten Partner. Dabei werden Ziele, Qualität und gegebenenfalls die Preispolitik vom öffentlichen Partner vorgegeben. Die Projektfinanzierung und die Umsetzung der vereinbarten Ziele obliegen hingegen dem Privaten, was zu einer partiellen Risikoverlagerung vom Staat auf den Projektträger führt.3 Aufgrund der Tatsache, dass die PPP eine relativ neue Erscheinung darstellt, begnügte man sich bislang nur damit, den Begriff und die Modalität der PPP im Rahmen der oben skizzierten Privatisierungsdiskussion zu erfassen.4 Dennoch handelt es sich bei PPP im Verhältnis zur Privatisierung um völlig andere Zielsetzungen und Begriffsmerkmale. Im Allgemeinen bedeutet Privatisierung eine grundlegende Verlagerung von Angelegenheiten, die bisher von der öffentlichen Hand wahrgenommen wurden, in den privaten Bereich. Somit sieht man die eigentliche Zielsetzung der Privatisierung in erster Linie darin, dass anstatt der bisherigen staatlichen Aufgabenerfüllung deren vollständige bzw. teilweise Verlagerung in den privaten Bereich stattfindet. Trotz der Tatsache, dass auch bei der Privatisierung eine Reihe von gegenseitigen Verhandlungen oder Abmachungen zwischen der öffentlichen Hand und den Privaten für Aufgabenerledigung möglich erscheint, sind die Rollen zwischen beiden Akteuren grundsätzlich in folgender Weise geteilt: Der Private erledigt, und der Staat überwacht. Damit wird klar, dass das Hauptmotiv der Privatisierung in der Entlastung der staatlichen Aufgabenerfüllung liegt. An der Tatsache, dass bei einigen Privatisierungsmodellen, z. B. dem Betreibermodell sowie dem Konzessionsmodell, das betroffene Vorhaben von Privaten im eige___________ 2
Heinz Joachim Bonk, Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Vertrags unter besonderer Berücksichtigung der Public Private Partnership, DVBl. 2004, S. 143. 3 Ralf P. Schenke, Verhandlungsverfahren versus wettbewerblicher Dialog: Neuere Entwicklungen im Vergaberecht Öffentlich Privater Partnerschaften(ÖPP)/Public Private Partnership(PPP), DVBl. 2006, S. 1492. 4 Rolf Stober, Rechtlicher Rahmen für Public Private Partnership auf dem Gebiet der Entsorgung, Stuttgart/Dresden 1994, S. 28.
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nen Namen und eigenverantwortlich finanziert, gebaut, betrieben und unterhalten wird, ändert sich grundsätzlich nichts.5 Kein Wunder, dass in diesem Zusammenhang die das Thema der Privatisierung behandelnde juristische Literatur am Ende auf das Vorhandensein einer ausreichenden Steuerungsmöglichkeit der öffentlichen Hand gegenüber den Privaten ihren Schwerpunkt setzt.6 Hier fehlt es an dem für die partnerschaftliche Zusammenarbeit immanenten Synergie-Konzept.7 Vielmehr wird die PPP durch die Interaktion zwischen der öffentlichen Verwaltung und den Privaten geprägt. Dabei kann von einer PPP typischerweise die Rede sein, wenn das Erreichen konvergierender Ziele im Vordergrund steht, wenn die Identität und Verantwortung der Partner intakt bleiben. An dieser Stelle ist deshalb noch an die wesensimmanenten Begriffsmerkmale der PPP zu erinnern. PPP besteht nur dann, wenn die folgenden Elemente vorliegen:8 1. Gleichberechtigung der Beteiligten. Jeder der Partner hat die gleichen Rechte, Argumente vorzubringen; die Zustimmung oder Ablehnung von jeweils einem wirkt sich in der gleichen Weise auf den Ausgang von Verhandlungen aus. 2. Der Schwerpunkt liegt in der Verfolgung der komplementären Ziele, insbesondere der Verfolgung öffentlicher Interessen durch Bereitstellung von Infrastrukturen. 3. Synergie-Komponenten bei der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. 4. Identität und Verantwortung der Partner bleiben intakt. ___________ 5 Im Schrifttum wurde dennoch die Auffassung vertreten, dass die sog. funktionale Privatisierung ein Musterbeispiel für PPP sei. Denn es werde dabei unter Beibehaltung der Aufgabenzuständigkeit des Verwaltungsträgers ein Privater als Verwaltungshelfer bzw. Erfüllungsgehilfe in die Aufgabenerledigung eingeschaltet, und damit finde eine Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und Privaten statt, vgl. Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Aspekte der Gestaltung von Kooperationsverträgen bei Public Private Partnership, DÖV 1998, S. 90. Indessen scheint die Qualifizierung der funktionalen Privatisierung als eine Art von PPP fraglich zu sein, denn der Private ist hier nur als Verwaltungshelfer tätig und deshalb liegt keine Gleichberechtigung der Partner vor. 6 Stober, a.a.O. (Fn. 4), S. 43 ff.; Herbert von Arnim, Rechtsfragen der Privatisierung, Wiesbaden 1995, S. 20 ff.; Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 272 ff. 7 Sung-Soo Kim/Hiroshi Nishihara, Vom paternalistischen zum partnerschaftlichen Rechtsstaat. Entwicklungen im öffentlichen Recht Koreas und Japans an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2000, S. 49. 8 Dietrich Budäus/Gernod Grünig, Public Private Partnership í Konzeption und Probleme eines Instruments zur Verwaltungsreform aus der Sicht der Public ChoiceTheorie, in: Budäus/Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership. Neue Formen öffentlicher Aufgabenerfüllung, Baden-Baden 1997, S. 46 ff., insbesondere S. 54.
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5. Formalisierung bzw. Institutionalisierung der Zusammenarbeit durch vertragliche Vereinbarung. In der Regel ist PPP auf längere Dauer angelegt und zwar auf der Grundlage gesellschaftsrechtlicher Regelungen oder aufgrund besonderer Kooperationsverträge oder Finanzierungsverträge. Verträge, die die üblichen geschäftlichen Beziehungen zwischen öffentlichen und privaten Geschäftspartnern regeln (z.B. Kauf-, Miet-, Pachtverträge etc.) – auch wenn sie längerfristig angelegt sind – fallen nach dieser Definition also nicht unter PPP.9 In diesem Zusammenhang versucht das sog. Grünbuch der Europäischen Kommission,10 wobei dessen Umsetzung in das deutsche Recht in mancherlei Hinsicht nicht unumstritten war, den Begriff der PPP zu definieren. Nach Auffassung der Europäischen Kommission besteht bislang keine gemeinschaftsweit geltende Definition für den Begriff der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP).11 Der Terminus beziehe sich im Allgemeinen auf Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen und Privatunternehmen zwecks Finanzierung, Bau, Renovierung, Betrieb oder Unterhalt einer Infrastruktur oder Bereitstellung einer Dienstleistung. Immerhin sind nach Auffassung der Europäischen Kommission folgende Kriterien charakteristisch für PPP bzw. ÖPP: 1. Die Projektbeziehung, die eine Zusammenarbeit zwischen dem üffentlichen und dem privaten Partner in vielerlei Hinsicht umfasst, ist langfristig angelegt. 2. Die Finanzierung eines Projekts wird zum Teil von der Privatwirtschaft getragen, manchmal über komplizierte Konstruktionen, an denen verschiedene Akteure beteiligt sind. Eine solche private Finanzierung kann durch öffentliche Mittel manchmal jedoch beträchtlich ergänzt werden. ___________ 9 In dieser Hinsicht fallen die meisten Erscheinungsformen der Privatisierung insofern schon aus dem Begriff der PPP heraus, da sie weder Gleichberechtigung zwischen Verwaltung und Privaten noch eine Synergie-Komponente voraussetzen, Sung-Soo Kim/Hiroshi Nishihara, a.a.O. (Fn. 7), S. 50. 10 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, KOM(2004) endg., Brüssel 30.4.2004. 11 In Deutschland versuchte man mit der Entstehung des sog. ÖPP-Beschleunigungsgesetzes vom 8.7.2005, den rechtlichen Begriff der PPP zu definieren. Dies ist jedoch aus einigen Gründen gescheitert. Zuerst ist das ÖPP-Beschleunigungsgesetz als sog. Artikelgesetz konzipiert, bei dem lediglich Ergänzungen und Änderungen entsprechender Fachgesetze bezweckt werden und insofern eine eigenständige Regelung, auch in Form einer Legaldefinition, nicht üblich ist. Außerdem wird der Begriff der ÖPP im ÖPP-Beschleunigungsgesetz mit den Änderungen im Grundsteuergesetz und Grunderwerbssteuergesetz nicht verwandt, siehe Martin Fleckenstein, Abbau von Hemmnissen für Public Private Partnership: Das ÖPP-Beschleunigungsgesetz, DVBl. 2006, S. 76.
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3. Der Wirtschaftsteilnehmer, der sich an verschiedenen Phasen des Projekts (Konzeption, DurchfĂhrung, Inbetriebnahme, Finanzierung) beteiligt, spielt eine wichtige Rolle. Der öffentliche Partner konzentriert sich im Wesentlichen auf die Bestimmung der Ziele im Sinne des öffentlichen Interesses, der Qualität der angebotenen Dienstleistungen oder der Preispolitik und wacht über die Einhaltung dieser Ziele. 4. Es besteht eine Risikoteilung; auf den privaten Partner werden Risiken transferiert, die herkümmlich der öffentliche Sektor trägt. Eine PPP bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass der private Partner sämtliche oder den größten Teil der mit dem Projekt verbundenen Risiken zu tragen hat. Die Teilung des Risikos wird von Fall zu Fall genau festgelegt und hängt im Einzelnen von der Fähigkeit der Beteiligten ab, diese zu beurteilen, zu kontrollieren und zu beherrschen. Diese Ansicht der Europäischen Kommission beruht zwar nach der bisherigen empirischen Erfahrung der PPP-Vorhaben auf dem Begriff der PPP im weiteren Sinne, wobei alle Formen der Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und privaten Partnern für PPP gehalten werden. Dem ist aber insofern entgegenzuhalten, dass es hier an einem wesensimmanenten Merkmal des Be-griffs der PPP fehlt, nämlich der Synergie-Komponente bei der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. In der vorliegenden Abhandlung wird zuerst die Ausgangslage der PPP und KPFIG in Korea untersucht (II). Der Teil III widmet sich den einzelnen rechtlichen Streitpunkten des KPFIG, bei denen es sich um den rechtlichen Charakter des PPP-Vorhabens nach der Rechtsprechung des Koreanischen Verfassungsgerichts handelt, dem sog. Kooperationsvertrag und vor allem um den Prozess der Auswahl des privaten Partners aus vergaberechtlicher Sicht. Im Anschluss daran wird die verfassungsrechtliche Problematik der sog. Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses nach § 47 Abs. 1 des KPFIG analysiert. Diese Abhandlung schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und der Beurteilung, ob die PPP in Korea weiterhin einen festen Bestand haben kann.
II. Die Ausgangslage der PPP und KPFIG in Korea Im Allgemeinen liegen den verschiedenen Vorschlägen für PPP und den damit verbundenen Reformvorhaben der Verwaltungsaufgaben in Korea unterschiedliche Zielsetzungen zugrunde. Abgesehen von den dafür eingesetzten Minimalisierungsargumenten stehen augenblicklich ordnungspolitische und fiskalische Aspekte im Vordergrund. Dazu gehört außerdem auch der Zweck der PPP als Instrument effektiver Erledigung von Verwaltungsaufgaben. Somit setzt man nicht nur auf die passive Seite der PPP, nämlich den Mangel der öffentlichen Finanzen zu lindern, sondern auch auf den aktiven Aspekt, und zwar
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die schöpferische Kraft und Effizienz der Privaten maximal zur Geltung zu bringen. Trotz der nicht zu unterschätzenden ordnungs- und wirtschaftspolitischen Argumente für PPP ist die tatsächliche entscheidende Anziehungskraft der PPP-Diskussion in Korea die finanzpolitische Erwägung. Aus den genannten Gründen kommt es heutzutage im öffentlichen Wirtschaftssektor des Öfteren zu verschiedenen Arten der Zusammenarbeit mit dem privaten Bereich. Hierbei ist die Anwendung privaten Kapitals und privater Technik für die Erweiterung und den Betrieb der Infrastruktur in vielen Staaten von besonderem Interesse.12 Vor allem in Korea waren trotz des sprunghaften Anstiegs des Wirtschaftsvolumens Ende der sechziger Jahre und seiner raschen Industrialisierung die Investitionen in die Infrastruktur gering geblieben. Dies hemmt die koreanische Wirtschaft und schwächt Koreas Position im internationalen Wettbewerb. In Korea wurde schon längst die Notwendigkeit der staatlichen Förderung privater Investitionen für die Entwicklung der Infrastruktur erkannt. Aber dies wurde nur in begrenztem Umfang realisiert, so etwa im Straßenbau, bei Häfen, Bahnhöfen, Parkhäusern usw.13 Tatsächlich wurde der Straßenbau in der Dritten Republik unter dem Staatspräsidenten Park, Jung-Hee in Korea durch ausländische Darlehen und Regierungsgelder finanziert. Ende der achtziger Jahre wurden Pläne aufgestellt, im ganzen Land aufgrund einer enormen Zunahme der Autos bei fehlenden Parkplätzen die Zahl der Parkhäuser zu steigern.14
___________ 12
Sung-Soo Kim/Hiroshi Nishihara, a.a.O. (Fn. 7), S. 51. Aber dies wurde nur in begrenztem Umfang realisiert, so etwa im Straßenbau, bei Häfen, Bahnhöfen, Parkhäusern usw. Der entsprechend geförderte Straßenbau wurde als eine Art von BOT (build-operate-transfer)-System betrieben, in dem die privaten Unternehmen die Straßen mit den dazugehörenden Einrichtungen komplett fertig stellen und dem Staat übertragen, jedoch eine bestimmte Zeit lang durch Erhebung von Gebühren den Investitionsbetrag zurückgewinnen können. Grundlage für solche Vorhaben im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr waren das Gesetz über gebührenpflichtige Straßen und das Straßengesetz. 14 Parkhäuser sind, je nach der sie errichtenden und leitenden Institution, als öffentliche, private oder solche Parkhäuser einzuordnen, bei denen private Institutionen durch den Staat gefördert wurden. Letztere sind jene, die Gebietskörperschaften und private Unternehmen mit einem Zusammenschluss von Grundstück und Kapital gemeinsam erbauen, wobei die privaten Unternehmen für eine gewisse Zeit durch verschiedene gesetzliche Regelungen unterstützt werden und in diesem Zeitraum, ohne ihrerseits dafür Gebühr zahlen zu müssen, von den Nutzern ein Benutzungsentgelt erheben können. Nach Ablauf dieser Zeitspanne sind die Parkhäuser dann der Gebietskörperschaft zu übergeben. 13
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Aber die bisherigen Vorhaben im Bereich der Infrastrukturförderung hatten vor dem Inkrafttreten des KPFIG 199415 aus den folgenden Gründen nur geringen Erfolg: Zunächst stellte sich seitens der privaten Investoren der Aufwand hinsichtlich der notwendigen Investitionen für die Vorhaben als verhältnismäßig hoch dar, während die Rentabilität der Vorhaben höchst fraglich erschien. Zum zweiten forderte die allgemeine Bevölkerung in Korea sehr stark die Öffentlichkeit des durch Privatkapital finanzierten Vorhabens, so dass der Staat den beteiligten Unternehmen die Zusicherung der Rentabilität nicht institutionell gewährleisten konnte. Drittens konnte mangels eines wettbewerblichen und transparenten Verfahrens, insbesondere in Bezug auf die Entscheidung des privaten Partners, der Verdacht der Privilegierung erweckt werden. Viertens konnten infolge des mangelhaften Kreditwesens die Privatunternehmen nicht rechtzeitig mit benötigten Krediten versorgt werden, und es fehlte an anderen institutionellen Möglichkeiten der Unterstützung. Die Regierung unter dem Präsidenten Kim, Young-Sam analysierte den Misserfolg der bisherigen Vorhaben als Folge der Unreife der Investitionsatmosphäre in den beteiligten Unternehmen und des Mangels an unterstützenden institutionellen Einrichtungen und erließ am 3. August 1994 das 58 Paragraphen und 2 Zusatzbestimmungen umfassende Gesetz zur Förderung privater Investitionen in öffentlichen Infrastrukturen (KPFIG). Nach den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Konstellationen ist das KPFIG nach seinem Inkrafttreten zwar mehrmals geändert worden. Der rechtliche Rahmen des KPFIG blieb bislang jedoch intakt.
___________ 15 Vor dem Inkrafttreten des KPFIG waren die PPP-Vorhaben nach verschiedenen gesetzlichen Grundlagen, beispielsweise nach dem Gesetz über die ausgleichende Regionalentwicklung, dem Gesetz über die Förderung der mittleren und kleinen Unternehmen in der Gebietskörperschaft und dem Gesetz über das gebietskörperschaftliche öffentliche Unternehmen, im begrenzten Umfang durchgeführt. Die nach dem Gesetz über die ausgleichende Regionalentwicklung geförderten Vorhaben sind ein Kompromissversuch, in der Region die Öffentlichkeit zu sichern, Finanzquellen zu erschließen und sie zu entwickeln. Wenn der Investitionsplan nach dem Gesetz für die ausgleichende Regionalentwicklung gebilligt und genehmigt wird, werden verschiedene Förderungsmaßnahmen vorgesehen, so z. B. eine Besitz- und Nutzungserlaubnis für öffentliche Einrichtungen. Auch können Grundstücke oder die Einrichtungen, die für das Vorhaben nötig sind, erworben werden; das Recht, die Nebengrundstücke zu kultivieren, wird zur Sicherung des Gewinnertrags gewährleistet; außerdem werden Anwohner umgesiedelt und dafür entschädigt; Investitionen werden über eine Regionalentwicklungskörperschaft gefördert. Das Gesetz über das gebietskörperschaftliche Unternehmen erlaubt den Privaten eine umfangreiche so genannte „third sector“-förmige Beteiligung.
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III. Rechtliche Streitpunkte des KPFIG 1. Rechtlicher Charakter der PPP-Vorhaben nach der Rechtsprechung des Koreanischen Verfassungsgerichts Wie bereits dargelegt, wird PPP dadurch charakterisiert, dass die Verwaltung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit dem privaten Partner zusammenwirkt. Hinsichtlich der Tatsache, dass dabei der Private entweder durch den Einsatz des eigenen Kapitals oder Knowhows eine nicht unwesentliche Rolle spielt, stellt sich die Frage, ob das von ihm zu erledigende PPP-Vorhaben mit der von der Verwaltung eigenständig vollzogenen Aufgabe seinem rechtlichen Charakter nach gleichgestellt werden soll. Anders ausgedrückt: Könnte das PPP-Vorhaben konzeptionell und strukturell so ausgestaltet werden, dass es sich entweder durch Gründung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens oder im Allgemeinen bloß auf Vertragsbasis mehr am Markt und Gewinn als nur am öffentlichen Interesse orientiert? Dieser Frage ist die Rechtsprechung des Koreanischen Verfassungsgerichts am 22.12.2005 durch sein PPP-Urteil nachgegangen.16 a) Maßgeblicher Sachverhalt Hierbei handelt es sich vor allem um den sog. Anwendungsvorrang des § 3 KPFIG, wonach das KPFIG als eine Spezialregelung bei PPP-Vorhaben im Verhältnis zu anderen Gesetzen vorrangige Anwendung findet. In diesem Fall lag eine Normenkonkurrenz zwischen KPFIG und dem Gesetz über gebührenpflichtige Straßen vor. Nach dem § 3 des Gesetzes über gebührenpflichtige Straßen in der Fassung von 2001 werden Gebühren für die Straßenbenutzung erhoben, wenn hierbei zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens soll sich ein erheblicher Vorteil zugunsten des Straßenbenutzers aus der Straßenbenutzung ergeben. Zweitens soll eine Ersatzstraße in Wohnnähe des Straßenbenutzers bestehen, damit er sie benutzen kann, ohne zwangsläufig auf die gebührenpflichtige Straße angewiesen zu sein. Hingegen regelt § 25 Abs. 4 KPFIG nur die gesetzliche Grundlage für die Erhebung einer Benutzungsgebühr, nach der der private Partner zur Gewährleistung der Rentabilität des PPP-Vorhabens für die Benutzung der betroffenen PPP-Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben kann. Dabei sind die gesetzlichen Voraussetzungen der Erhebung der Gebühren im Gegensatz zum § 3 des Gesetzes über gebührenpflichtige Straßen nicht abschließend geregelt worden. ___________ 16
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Daraus ergibt sich die Frage, ob nach dem Anwendungsvorrang des § 3 des KPFIG die Erhebungsvoraussetzungen der Gebühr nach dem § 3 des Gesetzes über gebührenpflichtige Straßen nicht angewendet werden sollen und dementsprechend der private Partner beim PPP-Vorhaben eine Benutzungsgebühr bloß nach § 25 Abs. 4 KPFIG erheben kann. Die Antragssteller waren diejenigen, die in der Nähe von dem neu gebauten internationalen Flughafen in Incheon wohnten und unter Benutzung der mit PPP-Vorhaben gebauten und betriebenen Autobahn nach außerhalb pendelten. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass in der Umgebung des Incheon Flughafens keine Ersatzstraße von Anfang an vorhanden gewesen sei und die Gebührenerträge somit eine ungerechtfertigte Bereicherung darstellten und deshalb rückerstattet werden müssten. Dafür haben sie erfolglos eine Zivilklage beim Incheon Landesgericht erhoben. Nach der Zurückweisung dieser Klage erhoben sie eine normenkontrollförmige Verfassungsbeschwerde beim Koreanischen Verfassungsgericht nach § 68 Abs. 2 des Verfassungsgerichtsgesetzes. Sie waren der Auffassung, dass § 25 Abs. 4 des KPFIG die allgemeine Handlungsfreiheit, Berufsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und das Gleichheitsgebot der Beschwerdeführer verletze und deshalb verfassungswidrig sei. b) Tragende Entscheidungsgründe Das Koreanische Verfassungsgericht ist der Auffassung, dass die in diesem Fall umstrittene Autobahn zwar die einzige Straße, aber doch nicht die einzige Verkehrsmöglichkeit sei, denn für die Beschwerdeführer seien immer noch Schiffe vorhanden und durch die Autobahnbenutzung würden erhebliche Vorteile entstehen. Zur Benutzung der Autobahn, so führt das Verfassungsgericht weiter aus, habe niemand die Beschwerdeführer gezwungen, und deshalb seien ihre allgemeine Handlungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt. Im Verhältnis zum Gesetz über gebührenpflichtige Straßen, wobei die Straßen mit öffentlichen Finanzmitteln gebaut und betrieben würden, seien die durch Private finanzierten Straßen oder Autobahnen darauf ausgerichtet, die investierten Geldsummen wieder zurückzugewinnen und dazu zusätzlich angemessene Gewinne zugunsten des privaten Unternehmens zu gewährleisten. Dafür sei die Bemessungsgrundlage der Höhe der Autobahngebühr in der Weise festgelegt, dass sie möglichst der wirtschaftlichen Rentabilität des privaten Partners Rechnung trage. Dagegen würden bei den gebührenpflichtigen Straßen das Äquivalenz- und Kostendeckungsprinzip als Bemessungsgrundlage der Höhe der Gebühr angewendet, und die Gebührenerhebung solle schließlich nicht unbedingt zu der Gewinnmaximierung des privaten Unternehmens führen.
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c) Zustimmende Würdigung In diesem Urteil hat das Koreanische Verfassungsgericht zum ersten Mal über die Normenkonkurrenz den Anwendungsvorrang des KPFIG festgestellt.17 Von entscheidender Bedeutung ist ferner die Auffassung des Koreanischen Verfassungsgerichts, dass das PPP-Vorhaben von den mit öffentlichen Finanzen zu erledigenden allgemeinen Aufgaben der öffentlichen Hand rechtscharakteristisch zu unterscheiden ist. Die Prüfungsmaßstäbe des Verfassungsgerichts konzentrierten sich zwar auf die Verletzung der betroffenen Grundrechte. Das ist durchaus verständlich, denn es geht hier um den Fall einer Verfassungsbeschwerde. Dennoch stellt sich mit den tragenden Gründen der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung heraus, dass die durch private Unternehmen finanzierten Straßen und Autobahnen ihre Gewinnmöglichkeiten möglichst gewährleistet bekommen sollen. Darüber hinaus geht das Verfassungsgericht von dem grundlegenden Unterschied zwischen allgemeinen Verwaltungsaufgaben und PPP-Vorhaben aus, was zur Folge hat, dass auch die Benutzer der PPP-Vorhaben das unter Umständen relativ hohe Benutzungsentgelt zu entrichten haben. Sind die PPP-Vorhaben mit dem Zwang zur einseitigen Rücksichtnahme auf das öffentliche Interesse belastet, haben sie keinen nachhaltigen Bestand. Meines Erachtens beschränkt sich diese mehr an der wirtschaftlichen Lage der PPP orientierte Betrachtungsweise nicht nur auf die Entscheidung über die Bemessungsgrundlage der Höhe der Benutzungsgebühr. Sie kann sich auch auf die gesamten Konstellationen der PPP-Vorhaben erstrecken, z.B. auf Vorhabensmodalitäten, Risikoverteilung beim Abschluss der Kooperationsverträge, Art und Umfang der Investitionsförderungs- und Sicherungsmaßnahmen zugunsten des privaten Partners, Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses bis hin zu Zulässigkeit und Grenzen der sog. Nebenvorhaben etc.
___________ 17 Aber schon vorher wurde der Anwendungsvorrang des § 3 KPFIG gegenüber anderen Gesetzen vom Landesgericht Seoul vom 13.3.2003 gebilligt, ohne sich mit dem rechtlichen Charakter des PPP-Vorhabens auseinandergesetzt zu haben.
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2. Kooperationsvertrag a) Begriffliche Abgrenzung der PPP auf Vertragsbasis von institutionalisierten PPP nach der Europäischen Kommission aa) PPP auf Vertragsbasis Das sog. Grünbuch der Europäischen Kommission unterscheidet zwei grundlegende PPP-Formen, nämlich PPP auf Vertragsbasis und institutionalisierte PPP.18 Dieser Unterscheidung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die vielfältigen PPP-Formen, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten anzutreffen sind, zwei übergeordneten Modellen zugeordnet werden können. Beide werfen spezifische Fragen der Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen auf. Der Begriff „PPP auf Vertragbasis“ bezeichnet eine Partnerschaft, die sich ausschließlich auf vertragliche Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren stützt. Er steht für unterschiedliche Konstruktionen, mit denen eine oder mehrere mehr oder weniger umfangreiche Aufgaben einem privaten Partner übertragen werden; hierzu gehören Konzeption, Finanzierung, Ausführung, Renovierung oder Nutzung eines Bauwerks oder die Bereitstellung einer Dienstleistung.19 Merkmal eines der bekanntesten Modelle, das häufig als „Konzessionsmodell“ bezeichnet wird, ist die direkte Verbindung zwischen dem privaten Partner und dem Endnutzer: Der private Partner stellt gegenüber der Öffentlichkeit an Stelle des öffentlichen Partners, aber unter dessen Aufsicht, eine Dienstleistung bereit. Ein weiteres Merkmal ist die Art der Vergütung des Auftragnehmers: Die Dienstleistungsempfänger zahlen Gebühren, die gegebenenfalls durch Beihilfen der öffentlichen Stellen ergänzt werden.20 Bei anderen Konstruktionen hat der private Partner die Aufgabe, eine Infrastruktur für die öffentliche Verwaltung aufzubauen und zu betreiben (beispielsweise eine Schule, ein Krankenhaus, eine Strafanstalt, eine Verkehrsinfrastruktur). Typische Ausprägungsform dieses Modells ist die Private Finanzierungsinitiative (PFI). Hier werden keine Gebühren beim Nutzer des Bauwerks oder der Dienstleistungen erhoben; stattdessen erhält der private Partner regelmäßig Zahlungen vom öffentlichen Partner. Diese Zahlungen können eine feste Höhe haben, sie können aber auch variabel berechnet werden, je nach Wert des
___________ 18 19 20
Vgl. Rz. 20 des Grünbuchs. Vgl. Rz. 21 des Grünbuchs. Vgl. Rz. 22 des Grünbuchs.
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Bauwerks oder der entsprechenden Dienstleistungen oder auch nach der Nutzungsfrequenz.21 bb) Institutionalisierte PPP
Als institutionalisierte PPP will die Europäische Kommission all diejenigen Partnerschaften verstanden wissen, bei denen die Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor in Form eines eigenständigen Rechtssubjekts erfolgt.22 Danach könne die Einrichtung einer institutionalisierten PPP entweder dadurch erfolgen, dass ein gemeinsam vom öffentlichen und privaten Sektor unterhaltenes Wirtschaftsgebilde geschaffen oder die Kontrolle über ein bestehendes öffentliches Unternehmen vom privaten Sektor übernommen würde.23 Aufgabe dieses gemeinsamen Gebildes sei es dann, für die Bereitstellung eines Bauwerks oder einer Dienstleistung zugunsten der Öffentlichkeit zu sorgen. In den Mitgliedstaaten griffen die staatlichen Stellen zuweilen auf diese Strukturen zurück, insbesondere für öffentliche Dienstleistungen auf lokaler Ebene (beispielsweise Wasserversorgung oder Müllabfuhr).24 Die direkte Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Partner in einem Rahmen mit eigener Rechtspersönlichkeit ermögliche dem öffentlichen Partner eine weiterhin relativ starke Kontrolle der Abläufe; Anpassungen könne er im Laufe der Zeit den Umständen entsprechend durch seine Präsenz unter den Teilhabern und in den Entscheidungsgremien dieses gemeinsamen Wirtschaftsgebildes bewirken. Die Zusammenarbeit ermögliche es dem öffentlichen Partner außerdem, seine Erfahrungen mit der Bereitstellung der betroffenen Dienstleistungen zu erweitern und sich gleichzeitig von einem privaten Partner unterstützen zu lassen.25 b) Die rechtliche Lage der Kooperationsverträge nach KPFIG aa) Institutionalisierte PPP nach § 2 Nr. 12 KPFIG durch Gründung eines Dritten Sektor-Unternehmens Versucht man nun, in Korea die verschiedenen Handlungsformen und Arten von PPP systematisch zu ordnen, gilt die Unterscheidung der Europäischen Kommission zwischen PPP auf Vertragsbasis und institutionalisierten PPP im ___________ 21 22 23 24 25
Vgl. Rz. 23 des Grünbuchs. Vgl. Rz. 20 des Grünbuchs. Vgl. Rz. 55 des Grünbuchs. Vgl. Rz. 53 des Grünbuchs. Vgl. Rz. 54 des Grünbuchs.
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Grunde genommen auch für Korea. In der Anfangsphase der PPP-Vorhaben erlangte die institutionalisierte PPP in Korea Bedeutung. Dabei spielt das von dem öffentlichen und dem privaten Partner gemeinsam gegründete Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, oft als „the third sector“ bezeichnet, für PPP-Vorhaben die wesentliche Rolle. Die Rechtsinstitution des dritten Sektors stammt ursprünglich aus dem deutschen „gemischtwirtschaftlichen Unternehmen“, das sich seit 1910 und insbesondere im Ersten Weltkrieg entwickelt hat und das nach der Einführung in Japan seit 1960 eine aktive Rolle spielt.26 Immerhin wurde dieser Begriff in Korea seit Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingeführt und nicht nur auf PPP-Vorhaben bezogen, sondern auch im Wirtschaftsverwaltungsbereich als ein allgemeines Einsatzmittel des privaten Sektors verstanden. Der „third sector“ steht zwischen dem Staat und Gebietskörperschaften (first sector) und dem privaten Sektor (second sector). Er wird für die Gewährleistung der Öffentlichkeit des öffentlichen Sektors und der wirtschaftlichen Effizienz des privaten Sektors durch den privaten und öffentlichen Sektor gemeinsam begründet. Die PPPVorhaben werden im Namen des gemeinsamen Unternehmens betrieben.27 Dennoch wird der dritte Sektor in Korea noch im weiteren Sinne als in Japan verstanden, und zwar insofern, als er sowohl die juristischen Personen des Zivil- und Handelsrechts als auch die regionalen Unternehmen des öffentlichen Rechts umfasst.28 ___________ 26
In Deutschland hat es nach dem Zweiten Weltkrieg Befürworter einer Fortführung der Gemischtwirtschaftlichkeit gegeben, allerdings unter sichernden Kautelen. Auf staatlicher Ebene breitete sich die Gemischtwirtschaftlichkeit weiter aus; die Städte behielten ihre Stadtwerke aber durchweg in eigener Regie ohne Beteiligung Dritter. Dagegen ist eine vertragliche PPP in der Nachkriegszeit relativ wenig bekannt; es hat sie mit Sicherheit in der Praxis vielfach gegeben, aber wissenschaftliche Aufmerksamkeit zogen sie nicht auf sich; siehe Günther Püttner, Chancen und Risiken von PPP aus juristischer Sicht, in: Dietrich Budäus (Hrsg.), Kooperationsformen zwischen Staat und Markt. Theoretische Grundlagen und praktische Ausprägungen von Public Private Partnership, Baden-Baden 2006, S. 98. 27 In Korea wird die Form des Unternehmens, das die Gebietskörperschaft und die Privaten gemeinsam finanzieren und betreiben, als „privat und öffentlich gemeinsam finanziertes Vorhaben“ bezeichnet; es ist insoweit dem japanischen Modell ähnlich, als es von dem öffentlichen und privaten Sektor gemeinsam finanziert und betrieben wird. 28 In Japan wird im Allgemeinen der Begriff des third sector im weiteren Sinne als die Körperschaft verstanden, bei der öffentliche Hand und privater Bereich zusammenwirken. Third sector im engeren Sinne meint die Körperschaft nach dem Handels- und bürgerlichen Recht, bei der Gebietskörperschaft oder ein öffentliches Unternehmen und der private Sektor zusammen investieren und Einrichtungen schaffen. Third sector im engsten Sinne meint eine handelsrechtliche Körperschaft, bei der nach dem Handelsund bürgerlichen Recht die Gebietskörperschaft mehr als 25% des gesamten Körperschaftsvermögens investiert; siehe Busan Wirtschaftsforschungsinstitut, Busan 1993, S. 15.
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Der Grund, warum der third sector bislang so beliebt ist, liegt vor allem darin, dass der öffentliche Sektor leicht Finanzquellen für die Investitionen in die öffentlichen Aufgaben erschließen kann und dass er, wenn auch nicht ganz unmittelbar, auf den privaten Sektor einen gewissen Einfluss ausüben kann. Dazu kommt noch die Tatsache, dass die Betriebsfähigkeit, die wirtschaftliche Effizienz und das technische Know-how des privaten Partners genutzt werden können. Damit werden die für die weitere Durchführung des gemeinsamen Vorhabens notwendigen Kenntnisse und Techniken erschlossen. Auf der anderen Seite kann dem privaten Sektor durch Teilnahme des öffentlichen Sektors das fehlende Kapital beschafft werden, Risiken können verteilt werden, bei der Kreditvergabe können die privilegierenden Bedingungen des öffentlichen Sektors ausgeschöpft werden. Auch können Gewinne durch sog. Nebenvorhaben gesichert und Vorteile aus der Tatsache gezogen werden, dass der öffentliche Sektor leichter Angebote erhält. Ferner bestehen Informationsvorteile. Die Probleme des third sectors liegen dagegen in der unklaren Aufteilung der Verantwortung zwischen öffentlichem und privatem Sektor und in der Verringerung der Effizienz der Arbeit wegen des Streits um die Führungspositionen und anderer Meinungsverschiedenheiten.29 Nach § 2 Nr. 12 des KPFIG können der private und der öffentliche Partner gemeinsam ein Wirtschaftsgebilde einrichten, das gleichzeitig nach § 2 Nr. 7 des KPFIG als der Träger eines PPP-Vorhabens anerkannt wird. Dennoch ging die Zahl der oben genannten institutionalisierten PPP durch Gründung eines gemeinsamen Wirtschaftsgebildes in den letzten Jahren in Korea dramatisch zurück. Stattdessen trat die PPP in Form eines Kooperationsvertrags in den Vordergrund. bb) PPP auf Vertragsbasis (1) Begriff, Inhalt und rechtliche Struktur des Kooperationsvertrags Ein konkretes PPP-Vorhaben beginnt in Korea mit dem Abschluss eines sog. Kooperationsvertrags zwischen privatem und öffentlichem Partner. Da das koreanische Verwaltungsverfahrensgesetz anders als die deutschen Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder über den öffentlichrechtlichen Vertrag keine Regelungen traf, findet man die Legaldefinition des Kooperationsvertrags in § 2 Nr. 6 KPFIG. Danach ist ein Kooperationsvertrag eine rechtliche Vereinbarung zwischen der zuständigen Behörde und dem Vorhabensträger in Bezug auf die Bedingungen des Vorhabens. Mit dem Kooperationsvertrag werden die konkreten Bedingungen eines PPP-Vorhabens und die grundlegenden Rechte und Pflichten des Vertragspartners festgelegt. Norma___________ 29
Sung-Soo Kim/Hiroshi Nishihara, a.a.O. (Fn. 7), S. 57.
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lerweise dauert der Abschluss des Kooperationsvertrages von 6 Monaten bis 1 Jahr nach der Entscheidung des privaten Handlungspartners, wobei über alle rechtlichen und tatsächlichen Einzelheiten eines konkreten PPP-Vorhabens zwischen Verhandlungspartnern verhandelt wird und dies darum ein strapaziöses Verfahren darstellt.30 Abgesehen von ganz verschiedenen inhaltlichen Ausformungen des einzelnen Kooperationsvertrags umfasst er im Generellen allgemeine Regelungen, grundlegende Rechte und Pflichten des Vertragspartners, Entscheidung über und Änderung der gesamten Vorhabenskosten, Aufbringung und Einsatz des Kapitals, Planung und Bau des Vorhabens, Erhalt und Betrieb der Einrichtung, Rentabilität des Vorhabens und Gebühren, Förderungsmaßnahmen der zuständigen Behörde, Risikoteilung, Beendigung des Vertrags, Beilegung der Rechtsstreitigkeiten und sonstiges. Bemerkenswert erscheint beim Abschluss des Kooperationsvertrags seine eigenartige Rechtswirkung, wobei gleichzeitig die Entscheidung über die Auswahl des privaten Vorhabensträgers getroffen wird. Nach § 13 Abs. 3 KPFIG wählt der öffentliche Partner, also hier die zuständige Behörde, den privaten Vorhabenspartner mit dem Abschluss des Kooperationsvertrags endgültig aus. Dies bezeichnet man als sog. Verwaltungsvertrag mit Verwaltungsakt, also ein Verwaltungshandeln mit doppeltem rechtlichem Charakter.31 Die Tatsache, dass in der Praxis die zuständige Behörde dem privaten Vertragspartner nachträglich die Auswahlentscheidung mitteilt, ändert seinen doppelten rechtlichen Charakter nicht. Daraus ergibt sich die verwaltungsprozessrechtliche Möglichkeit, nach der die anderen aus dem Auswahlverfahren ausgeschiedenen Bieter mit Klagebefugnis den Verwaltungsakt beim zuständigen Verwaltungsgericht rügen können. Darauf wird später näher eingegangen. (2) Qualifizierung des Kooperationsvertrags Die rechtliche Qualifizierung des Kooperationsvertrags entweder als privatrechtlich oder als öffentlich-rechtlich ist insofern von besonderer Bedeutung, als danach die betreffenden Regelungen und Rechtsprinzipien Anwendung finden und sie schließlich über den Rechtsschutz und die Rechtswege entscheidet. Im Hinblick darauf, dass die Vertragspartner grundsätzlich gleichberechtigt sind und alle Einzelheiten und die grundlegenden Rechte und Pflichten des ___________ 30 Sung-Chul Yun, Eine Studie über private Finanzierungsinitiativen für öffentliche Einrichtungen in Korea, juristische Dissertation, Seoul 2004, S. 150. 31 Chang-Yong Hwang/Sung-Pil Hong/Min-Ung Jung/Yong-Hoon Kwon, Eine Studie über das Rechtssystem in Bezug auf KPFIG und andere Gesetze in Korea, Landforschungsinstitut, Seoul 2004, S. 60; Sung-Chul Yun, a.a.O. (Fn. 30), S. 167.
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Kooperationsvertrags durch freiwillige Vereinbarung der Vertragspartner festgelegt werden, deutet der Kooperationsvertrag nach Auffassung einiger Autoren auf einen privatrechtlichen Charakter hin.32 Der öffentliche Vertragspartner behandelt den privaten Vertragspartner nicht mehr nur als subordiniertes Rechtssubjekt, welches Adressat einseitiger Behördenentscheidungen ist. Vielmehr kommt ein privatrechtlicher Vertrag auch im öffentlichen Recht erst und nur durch übereinstimmende Willenserklärung und den beiderseitigen freiwilligen Konsens zu Stande. In der Tat sind bei manchen Kooperationsverträgen in Korea im Falle von Rechtsstreitigkeiten zivilprozessrechtliche Rechtswege vorgesehen. Bei der rechtlichen Qualifizierung eines Vertrags wird dennoch nicht nur auf das horizontale Verhältnis zwischen den Vertragspartnern, sondern auch auf seine Inhalte und Zielsetzungen abgestellt. Der Grund und Kern des Kooperationsvertrags liegt darin, dass es sich hier um die Mitbeteiligung Privater an der Durchführung einer „öffentlichen Aufgabe“ und die Übertragung eines Hoheitsrechts zur Erhebung des Entgelts handelt. Gerade weil auch in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte weiterhin „Verwaltungsaufgaben“ erledigt werden müssen bzw. sollen, öffentliche Gelder aber vielfach nicht oder nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen, sucht der Staat finanzielle Hilfestellung und Unterstützung gerade bei Privaten durch unterschiedliche Arten und Umfang ihrer finanziellen Mitbeteiligung oder Vorfinanzierung mit unterschiedlichen Formen öffentlicher oder privater Refinanzierung. Diese private Mitbeteiligung zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben durch Kooperationsvertrag führt zwangsläufig zur privaten Mitverantwortung und Verantwortungsteilung im primär öffentlichen Bereich. Wird der Kooperationsvertrag dem öffentlichen Recht zugeordnet, gelten für ihn noch strengere Bindungen als für den privatrechtlichen Vertrag. Insbesondere ist die Verwaltung an die Grundsätze der Gesetz- und Rechtsmäßigkeit, an das Gleichbehandlungsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden. Der Kooperationsvertrag als ein öffentlich-rechtlicher Vertrag genießt insofern keine zivilrechtliche Privatautonomie hinsichtlich des öffentlichen Interesses. In Wirklichkeit werden die Kooperationsverträge zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses der Errichtungspflicht des Vorhabensträgers, der Erhaltungspflicht eines gewissen Niveaus der Dienstleistung, der Kontrolle über die Änderung und Schließung des Vorhabens, dem Ablehnungsverbot der Dienstleistung, dem Differenzierungsverbot, der Kontrolle über Gebührenhöhe und Bedingungen der Dienstleistung unterworfen.
___________ 32
Young-Whan Ahn, Der Rechtsstatus des Verhandlungspartners nach KPFIG, Seoul 2004, mit weiteren Nachweisen.
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Darüber hinaus wird der private Vertragspartner bzw. der Vorhabensträger strikt an das im KPFIG und den damit betroffenen Gesetzen geregelte Verfahren gebunden. Außer dem mit der Auswahlentscheidung als Vorhabensträger anerkannten Vorhaben und damit eng zusammenhängenden Nebenvorhaben wird ihm verboten, andere Vorhaben durchzuführen. Die ganze oder teilweise Veräußerung der Vorhabensgegenstände ist bei der Rechtsaufsichtsbehörde genehmigungspflichtig. Nach § 47 Abs. 1 KPFIG werden der Rechtsaufsichtsbehörde die sog. Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses anheim gestellt, was zur völligen Rückgängigmachung des Kooperationsvertrags führen kann. All dies weist daraufhin, dass es beim Kooperationsvertrag um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geht.33 Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Seoul handele es sich beim Kooperationsvertrag insofern um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, als der private Vertragspartner bzw. der Vorhabensträger zur Durchführung des Vorhabens auf Gründstücke anderer einwirke, Verwaltungs- und Finanzvermögen des Staates und der Gebietskörperschaften unentgeltlich benutzen könne und ihm das Enteignungsrecht zugerechnet werde.34 Schließlich ist die Zuordnung des Kooperationsvertrags zum öffentlichrechtlichen Vertrag auch für den Rechtsweg von Bedeutung. Die Entscheidung für einen Rechtsweg hat unmittelbare Folgen für die Parteistellung vor dem Gericht, vor allem hinsichtlich der Frage, ob der Untersuchungsgrundsatz oder der Verhandlungsgrundsatz Anwendung findet. Für Streitigkeiten aus dem Kooperationsvertrag ist gemäß § 3 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes die Verwaltungsgerichtsbarkeit eröffnet, und zwar durch eine Klage der Parteistreitigkeit nach § 3 Nr. 2. Im Allgemeinen wird eine Klage zur Parteistreitigkeit erhoben, wenn zur Vertragsaufhebung anhand eines dem anderen Partner zugerechneten Grundes eine Rechtsstreitigkeit entsteht. 3. Vergaberechtliche Probleme Nach dem KPFIG ist das Vergabeverfahren dreistufig gestaltet. Zuerst reichen die Bieter entweder nach der Bekanntmachung des öffentlichen Auftraggebers oder auf eigene Initiative dem öffentlichen Auftraggeber Angebote ein (Angebotsphase, § 13 Abs. 1). Danach bewertet der öffentliche Auftraggeber bzw. die zuständige Behörde die Angebote anhand der in der Bekanntmachung oder der Beschreibung festgelegten Entscheidungskriterien. Dabei kann der Bieter, der z. B. dem Vorhaben des öffentlichen Auftraggebers entsprechend ___________ 33
Vgl. Chang-Yong Hwang/Sung-Pil Hong/Min-Ung Jung/Yong-Hoon Kwon, a.a.O. (Fn. 31), S. 59. 34 Entscheidung des Oberlandesgerichts Seoul vom 24.6.2003, 2003 Nu 6483.
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langfristig günstigere Finanzierungsbedingungen vorlegt oder dessen Angebot als das wirtschaftlich günstigste ermittelt wurde, bevorzugt werden (Wertungsund Entscheidungsphase des Verhandlungspartners, Abs. 2). Im Allgemeinen werden einschließlich des bevorzugten Bieters mehr als zwei Anbieter als Verhandlungspartner festgelegt (KPFIG-Rechtsverordnung § 7 Abs. 9). Wie schon dargestellt, kommt das Vergabeverfahren mit dem Abschluss des Kooperationsvertrags zum Ende, wobei gleichzeitig die Entscheidung über die Auswahl des privaten Vorhabensträgers, also des Partners, getroffen wird. Nach § 13 Abs. 3 KPFIG wählt der öffentliche Auftraggeber, also hier die zuständige Behörde, den privaten Vorhabenspartner mit dem Abschluss des Kooperationsvertrags endgültig aus (Auswahlphase, Abs. 3). Dabei redet man vom sog. Verwaltungsvertrag mit Verwaltungsakt, also ein Verwaltungshandeln mit doppeltem rechtlichem Charakter. Besonders problematisch erscheint bei dem oben genannten dreistufigen Verfahren die Phase der Entscheidung des Verhandlungspartners. In der Praxis der PPP-Vorhaben in Korea kommen nicht selten Fälle vor, dass der bevorzugte Verhandlungspartner nach einer langen und strapaziösen Verhandlung ohne ihm zugeordneten Grund aus der Auswahl ausscheidet. Noch bemerkenswerter ist umgekehrt die Tatsache, dass für einige wirtschaftlich günstigere Angebote der Bieter deswegen nicht berücksichtigt wird, weil der bevorzugte Bieter in den meisten Fällen automatisch als endgültiger Partner des öffentlichen Auftraggebers ausgewählt wird. Grundsätzlich beruht diese Problematik der Auftragvergabe in Korea auf der untransparenten und ungerechten Rechtsstruktur des Vergabeverfahrens, insbesondere des Verhandlungsverfahrens. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, denjenigen angemessenen Rechtsschutz zu bieten, die durch dieses ungerechte Verhandlungsverfahren in ihren Rechten verletzt sind. Hier geht es um die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Verhandlungspartner und die Klagebefugnis anderer Bieter, die aus der Verhandlung ausgeschieden sind. a) Rechtlicher Charakter der Entscheidung über den Verhandlungspartner Liegt eine rechtswidrige Entscheidung über den Verhandlungspartner vor, können die anderen Bieter nur dann beim zuständigen Verwaltungsgericht eine Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage erheben, wenn es sich bei ihr um einen Verwaltungsakt oder eine Verwaltungsverfügung im Sinne des § 2 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes handelt. Bei einigen Rechtsstreitigkeiten ging die zuständige Behörde davon aus, dass es sich bei der Entscheidung über den Verhandlungspartner um einen bloßen Vorbereitungsakt handele und sie demzufolge keine die Rechte und Pflichten des Einzelnen regelnde unmittelbare Außenwirkung habe. In diesem Sinne ist es den an dem Verhandlungsverfahren beteiligten Bietern völlig gleichgültig, wer als nur vorübergehender Verhandlungspartner festgelegt wird.
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Diese Auffassung der zuständigen Behörde hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Seoul vom 20.3.2003 zurückgewiesen.35 Im Hinblick darauf, so führte das Gericht aus, dass die zuständige Behörde aufgrund der Wertung der eingereichten Angebote von Bietern über die gesamten Vorhabenskosten, Benutzungslaufzeiten etc. den Verhandlungspartner auswähle und gegebenenfalls mit ihm endgültig den Kooperationsvertrag abschließe, stelle die Entscheidung über den Verhandlungspartner einen Akt mit rechtsverbindlicher Wirkung dar. Während dem bevorzugten Verhandlungspartner ein ausschließliches Recht zum Verhandlungsverfahren zur Auswahl des endgültigen Vorhabensträgers zukomme, schieden andere Bieter aus dem Verhandlungsverfahren aus und ihnen würden notwendigerweise ihre Auswahlrechte als Vorhabensträger entzogen. Daraus folge, dass die Entscheidung über den bevorzugten Verhandlungspartner einen die Rechte und Pflichten anderer Bieter nach außen unmittelbar regelnden Verwaltungsakt im Sinne des § 2 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes darstelle. An diese Rechtsprechung schloss sich auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Seoul vom 24.6.2004 an36, und sie fand weitgehende Resonanz im juristischen Schrifttum in Korea.37 b) Klagebefugnis anderer Bieter Mit der Problematik der rechtlichen Qualifizierung der Entscheidung über den Verhandlungspartner stellt sich die damit zusammenhängende Frage, ob den aus dem Verhandlungsverfahren ausgeschiedenen anderen Bietern nach § 12 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes die Klagebefugnis zuzugestehen ist. Im oben genannten Fall der Entscheidung des Oberlandesgerichts Seoul vertrat die beklagte zuständige Behörde die Meinung, dass der bevorzugte Verhandlungspartner nur einen vorübergehenden Status habe und daher die aus dem Verhandlungsverfahren ausgeschiedenen anderen Bieter aus zweierlei Gründen daran bloß ein tatsächliches, wirtschaftliches, nicht ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von § 12 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes hätten. Zunächst lägen die Zielsetzung und der Sinn der Regelungen über die Entscheidung der Verhandlungspartner dem Gedanken zugrunde, dass sie nur an der Suche nach dem wirtschaftlichsten Angebot orientiert wären, damit nicht ___________ 35 Entscheidung des Verwaltungsgerichts Seoul vom 20.3.2003, 2002 Gu Hap 31572. 36 Entscheidung des Oberlandesgerichts Seoul vom 24.6.2004 2003 Nu 6483. 37 Vgl. Chang-Yong Hwang/Sung-Pil Hong/Min-Ung Jung/Yong-Hoon Kwon, a.a.O. (Fn. 31), S. 46, 47.
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auf die Gewährleistung der Rechtsstellung des bevorzugten Vertragspartners abgestellt würde. Insofern hätten andere Bieter zur Entscheidung über den bevorzugten Verhandlungspartner kein rechtlich geschütztes, sondern bloß ein mittelbares und wirtschaftliches Interesse, also den sog. Rechtsreflex, der verwaltungsprozessrechtlich nicht zu rügen sei. Zweitens bezwecke der § 7 Abs. 9 KPFIG-Rechtsverordnung, wenn mehr als zwei Anbieter als Verhandlungspartner festgelegt werden sollten, dass eine wirksame Konkurrenz zwischen den Bietern vorliege und damit die finanzielle Belastung der öffentlichen Hand und der allgemeinen Steuerzahler gemindert werden könnte. Werde nur ein einziger Bieter als Verhandlungspartner ausgewählt, bestehe kein solcher positiver Druck, und damit sei die zuständige Behörde nicht in der Lage, das wirtschaftlich günstigste Angebot auszuwählen. Daraus ergebe sich, dass die oben erwähnten Regelungen sich nur auf die Verwirklichung des öffentlichen Interesses richteten und dementsprechend keinen drittschützenden Zweck hätten. Diese Auffassung der zuständigen Behörde hat das Oberlandesgericht Seoul ebenfalls zurückgewiesen.38 Mit Nachdruck führte das Gericht aus, dass dem sog. zweiten Verhandlungspartner durch die Entscheidung zugunsten des bevorzugten Verhandlungspartners sein Recht auf die Auswahl als Vorhabensträger entzogen werde. Im Übrigen könne ihm das Recht auf die Auswahl als Vorhabensträger zugeordnet werden, und deshalb sei dessen Interesse nach § 12 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes rechtlich schützwürdig, wenn die Entscheidung über den bevorzugten Vertragspartner von ihm angefochten werde. c) Strukturelle Probleme des Verhandlungsverfahrens Im Grunde genommen kann der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Seoul und Oberlandesgerichts Seoul völlig zugestimmt werden. Meines Erachtens scheinen die rechtlichen Probleme wie die rechtliche Qualifizierung der Entscheidung des Verhandlungspartners bzw. die Klagebefugnis des zweiten oder dritten Bieters eher bagatellisiert zu werden. Vielmehr liegt die grundlegende Rechtsproblematik bezüglich der Auswahl des Vorhabensträgers in der „vergaberechtlichen Unstruktur“ des KPFIG, wonach die vergaberechtlichen Grundsätze wie die Gleichbehandlung, die Nichtdiskriminierung, der gerechte Wettbewerb und vor allem die Transparenz nur schwer Anwendung finden können. Dabei spielt das Verhandlungsverfahren nach KPFIG sicherlich eine negative Rolle. Danach sind keine konkreten Kriterien und Maßstäbe vorhanden, wann und unter welchen Voraussetzungen der öffentliche Auftraggeber mit den Bietern verhandeln kann, sondern die Entschei___________ 38
Entscheidung des Oberlandesgerichts Seoul vom 24.6.2004. 2003 Nu 6483.
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dung über den Verhandlungspartner hängt völlig davon ab, dass der öffentliche Auftraggeber das für wirtschaftlich günstig zu haltende Angebot nur nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auswählt. Strukturell zeichnet sich das Verhandlungsverfahren im Unterschied zu anderen Formen der Auftragsvergabe, wie offene und nicht offene Verfahren, durch verhältnismäßig weitere Spielräume der öffentlichen Hand bei der Aushandlung des Vertragsgegenstandes aus. Das Verhandlungsverfahren dispensiert zwar nicht von den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie den Zuschlagskriterien der Eignung, der Fachkunde sowie der Wirtschaftlichkeit, verlangt aber keinen Submissionstermin und erlaubt gewisse Nachverhandlung.39 Auf der anderen Seite liegt beim Verhandlungsverfahren ein strukturelles Problem vor, das eng mit dem Verhandlungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers zusammenhängt. Häufig führt der öffentliche Auftraggeber beim Verhandlungsverfahren nicht Parallelverhandlungen mit allen Bietern, sondern scheidet im Laufe des Verfahrens einzelne Bieter aus, so dass er im Extremfall am Ende nur noch mit einem Bieter verhandelt. Dies kann aus Gründen der Effizienz oder der Eilbedürftigkeit durchaus geboten sein. Problematisch daran ist, dass der Verhandlungsdruck auf den Bieter mit jedem ausgeschiedenen Bieter abnimmt. Dadurch kann der öffentliche Auftraggeber die Konkurrenzsituation nicht mehr hinreichend nutzen. Darüber hinaus besteht bei jeder verhandlungsbedingten Änderung des Leistungsinhalts und des Leistungsumfangs die Gefahr eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, denn es besteht die Möglichkeit, dass bereits ausgesonderte Bieter auf die geänderten Anforderungen hin ein wirtschaftlicheres Angebot abgegeben hätten. In vielen Fällen wird aus diesem Grund am Ende möglicherweise nicht der Bieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot obsiegen, sondern derjenige, der zum richtigen Zeitpunkt noch während der Verhandlung das wirtschaftlichste Angebot gemacht hat.40 Diese allgemeine Feststellung der strukturellen Problematik des Verhandlungsverfahrens gilt auch für die Entscheidung über Verhandlungspartner nach § 13 Abs. 2 KPFIG und § 7 Abs. 9 KPFIG-Rechtsverordnung. d) Der sog. wettbewerbliche Dialog als Alternative? Inzwischen erlangte der sog. wettbewerbliche Dialog in der neuen Vergabekoordinierungsrichtline (Art. 29) der Europäischen Union in Deutschland eine aktuelle Bedeutung, der als speziell auf die Problematik der PPP zugeschnitte___________ 39
Ralf P. Schenke, a.a.O. (Fn. 3), S. 1494. Hermann Müller, Wettbewerblicher Dialog und Verhandlungsverfahren im Vergleich, Vergaberecht 2007, S. 311 ff. 40
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nes Vergabeverfahren eingeführt worden ist und den der deutsche Gesetzgeber als vierte neue Vergabeart in das GWB (§ 101 Abs. 5) und in § 6a VgV konkretisiert hat. Der Grundgedanke des wettbewerblichen Dialogs liegt darin, Elemente des flexiblen Verhandlungsverfahrens mit dem klassischen, streng formalisierten Vergabeverfahren zu kombinieren.41 Allerdings werden dem wettbewerblichen Dialog schon die voreilige Erwartungen und die Hoffnung beigemessen, dass er das Verhandlungsverfahren weitgehend zurückdrängt und besonders nach Ansicht der Europäischen Kommission damit eine noch gerechtere und transparentere Auftragsvergabe durchgeführt werden kann.42 Auf die Einzelheiten des wettbewerblichen Dialogs sollte hier lieber verzichtet werden. Eigentlich liegt die Zielsetzung des wettbewerblichen Dialogs in der Konzeption des zu vergebenden Auftrags im Rahmen individueller Verhandlungen mit den Dialogpartnern. Es soll ermittelt und festgelegt werden, wie die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. Dabei können alle Einzelheiten des Auftrags erörtert werden. Der Dialog kann sich demnach nicht nur auf technische, sondern auch wirtschaftliche (Preis, Kosten, Einkünfte) oder rechtliche (Risikoverteilung und -begrenzung, Garantien, mögliche Errichtung von Zweckgesellschaften) Aspekte erstrecken. Wenn dies in der Bekanntmachung oder Beschreibung angegeben war, kann der Dialog in verschiedenen aufeinander folgenden Phasen entwickelt werden, um die Zahl der in der Dialogphase zu erörternden Lösungen sukzessiv zu verringern. Im Hinblick auf den Verhandlungsspielraum hat der wettbewerbliche Dialog einen anderen Zweck als das Verhandlungsverfahren. Beim wettbewerblichen Dialog gestalten die beteiligten Unternehmen in einer frühen Phase den zu vergebenden Auftrag mit. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit dem Auftraggeber die Leistungsbeschreibung zu erstellen. Der Dialog ist also eine Art „Vorverfahren zur Bestimmung des Auftragsgegenstandes“.43 ___________ 41
Ralf P. Schenke, a.a.O. (Fn. 3), S. 1494. Damit kritisierte die Europäische Kommission die Anwendung des Verhandlungsverfahrens, denn dies ist gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 93/37/EWG nur in Ausnahmefällen anzuwenden, nämlich dann, wenn es sich bei dem Auftrag um Arbeiten handelt, die ihrer Natur nach oder wegen der damit verbundenen Risiken eine vorherige globale Preisgestaltung nicht zulassen, nicht aber bereits dann, wenn andere Unwägbarkeiten auftreten, wie etwa Probleme mit der vorherigen Preisgestaltung aufgrund der Tatsache, dass die rechtliche und finanztechnische Konstruktion sehr komplex ist. Demzufolge sah die Kommission die in Deutschland in den überwiegenden Fällen praktizierte Anwendung des Verhandlungsverfahrens sehr kritisch an. Vgl. Hans-Peter Schwintowski/Birgit Ortlieb, PPP zwischen Markt und Regulierung – ein Diskussionsbeitrag zum Grünbuch der Europäischen Kommission, in: Dietrich Budäus (Hrsg.), Kooperationsformen zwischen Staat und Markt. Theoretische Grundlagen und praktische Ausprägungen von Public Private Partnership, Baden-Baden 2006, S. 199. 43 Hermann Müller, a.a.O. (Fn. 40), S. 304. 42
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Dagegen liegt der Schwerpunkt des Verhandlungsverfahrens darin, dass die Mitwirkung der Unternehmen in einer späten Phase bei der unmittelbaren Auftragsvergabe stattfindet. Der Auftraggeber hat beim wettbewerblichen Dialog Beratungs- und Mitgestaltungsbedarf in der Phase der Projektfinanzierung. Beim Verhandlungsverfahren sucht er in der Schlussphase des Vergabeverfahrens möglichst günstige Zuschlagsbedingungen für ihn zu verwirklichen. Damit steht zwar fest, dass der wettbewerbliche Dialog und das Verhandlungsverfahren voneinander abgrenzbare Zwecke und Zielsetzungen verfolgen. In der Praxis und in der juristischen Literatur stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen wettbewerblichem Dialog und Verhandlungsverfahren, also konkret welches Verfahren von den beiden einen Anwendungsvorrang verlangen kann. Dazu besteht im deutschen juristischen Schrifttum ein Meinungslabyrinth.44 Davon abgesehen scheint meines Erachtens die Einführung eines wettbewerblichen oder wettbewerbsähnlichen Dialogs als eine Reformstrategie des Koreanischen Vergaberechts wenig erfolgversprechend zu sein. Vor allem ist die Terminologie „Dialog“ uns fremd und unklar. Angesichts dieser Ungewissheit ist schon vorprognostiziert, dass der öffentliche Auftraggeber und auch die Praxis das im Bereich des koreanischen Vergaberechts als ein Gewohnheitsrecht verwurzeltes und mit weniger strengen Anforderungen verbundenes Verhandlungsverfahren vorziehen. Demzufolge wäre die Änderung der § 13 Abs. 2 KPFIG und § 7 Abs. 9 KPFIG-Rechtsverordnung sinnvoller und praktischer, wobei noch konkretere Kriterien und Maßstäbe, wie beispielsweise die Anwendungsvoraussetzungen des Verhandlungsverfahrens geregelt werden, damit der öffentliche Auftraggeber bei der Entscheidung über den Verhandlungspartner nach dem sog. intendierten Ermessen die Zielsetzung des Gesetzgebers vorsichtig einhalten soll. ___________ 44
Zum Teil wird der wettbewerbliche Dialog gegenüber dem Verhandlungsverfahren als vorrangig angesehen. Dabei wird der wettbewerbliche Dialog als das speziellere Verfahren bzw. ein Unterfall des Verhandlungsverfahrens bezeichnet. Nach anderer Ansicht stehen die beiden Verfahren in einem vom Informationsstand des Auftraggebers abhängigen Aliudverhältnis: Je mehr Informationen einer Vergabestelle zur Ausgestaltung der Auftragsbedingungen zur Verfügung stünden, desto eher müsse sie den Auftrag im Verhandlungsverfahren vergeben. Wieder andere meinen, dass ausgesprochen das aufwändige und strapaziöse Verfahren des wettbewerblichen Dialogs nur als ultima ratio angesehen werden könne, während i.d.R. die traditionellen Vergabeverfahren hinreichend seien. Von seiner Funktion her wird dem wettbewerblichen Dialog sogar abgesprochen, ein eigenständiges Verfahren zu sein. Vielmehr sei er nur ein Vorverfahren zur Bestimmung des Auftragsgegenstandes. Schließlich wird vertreten, dass sich die Anwendungsbereiche von Verhandlungsverfahren und wettbewerblichem Dialog überschneiden bzw. die Verfahren nebeneinander anwendbar bleiben; siehe Hermann Müller, a.a.O. (Fn. 40), S. 305, mit weiteren Nachweisen.
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4. Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses nach § 47 Abs. 1 KPFIG a) Rechtslage Mittlerweile stehen als eine sehr aktuelle Rechtsfrage im Bereich der PPP in Korea die sog. Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses nach § 47 Abs. 1 KPFIG im Mittelpunkt. Im Hinblick auf die fehleingeschätzte Rentabilitätsprognose eines PPP-Vorhabens, das trotz der erheblichen finanziellen Unterstützung der öffentlichen Hand keinen weiteren nachhaltigen Bestand haben kann, erwägt man in Korea als ultima ratio die Anwendung der sog. Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses, was gegebenenfalls zur Rücknahme der Auswahl des privaten Partners führt. Zu den Maßnahmen gehören Rücknahme und Änderung der Verwaltungsakte nach § 47 Abs. 1 KPFIG, Stilllegung und Änderung der PPP-Vorhaben, Umzüge, Beseitigung der errichteten PPP-Einrichtungen, Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes und sonstige notwendige Maßnahmen. Diese Maßnahmen kann die zuständige Behörde nur dann treffen, wenn einer von drei folgenden Gründen vorliegt. 1. Wenn aufgrund einer grundlegenden Änderung der Sachlage das PPP-Vorhaben oder dessen effektiver Betrieb das öffentliche Interesse erfordern. 2. Wenn effektiver Bau und Betrieb des PPP-Vorhabens sie erfordern. 3. Wenn Kriege oder Naturkatastrophe vorliegen. Den Schaden des Vorhabensträgers, der sich aus solchen Maßnahmen ergibt, hat die zuständige Behörde zu ersetzen (§ 47 Abs. 2 KPFIG). b) Kritische Würdigung Bei den mit vielen Risiken verbundenen PPP-Vorhaben werden diese Risiken grundsätzlich durch die vertragliche Abmachung, also die Risikoverteilung, im Kooperationsvertrag festgelegt. Liegen verantwortbare Gründe vor, die entweder der öffentlichen Hand oder dem privaten Partner zuzuordnen sind und ist damit die Erfüllung der vertraglichen Rechte und Pflichten nicht mehr als möglich anzusehen, kann jede der beiden Seiten gegenüber dem anderen Partner verlangen, den Kooperationsvertrag aufzuheben und den Schaden zu ersetzen. Anders ausgedrückt sind die Risiken, die im Laufe der PPP entstehen, vertragsrechtlich zu lösen. Bei § 47 Abs. 1 KPFIG tritt die zuständige Behörde nicht als Vertragspartner, sondern als Rechtsaufsichtsbehörde auf, die über die vertraglichen Rechte weit hinaus hoheitliche Gewalt ausübt. Noch problematischer scheint die Rechtsposition des privaten Vertragspartners zu sein, und zwar deswegen, weil die Gründe für die Durchführung der Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses nach § 47 Abs. 1 nicht dem Verantwortungsbereich des privaten
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Partners zuzuordnen sind. Nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen kann die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen treffen, ohne die dem privaten Partner zugerechneten Gründe vorzulegen. Abgesehen von der inhaltlichen Unbestimmtheit der Anwendungsvoraussetzungen des § 47 Abs. 1, insbesondere Nr. 1, könnte er gegen die Vertragsfreiheit und Berufsfreiheit des privaten Partners verstoßen und ist deshalb verfassungsrechtlich höchst fraglich. Darüber hinaus verletzt er insofern das Verhältnismäßigkeitsprinzip, als eine vertragliche Lösung als milderes Mittel zur Überwindung der Krisensituation von PPP-Vorhaben noch vorhanden ist. Damit wird die auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Partner schwerwiegend gefährdet.
IV. Schlussfolgerung Die zu Beginn dieses Vortrags gestellte Frage, ob PPP oder ÖPP eine neue Form der Erfüllung staatlicher Aufgaben darstellen, kann so beantwortet werden: „Nein, sie ist nicht neu, sie ist schon längst da.“ Dass überall in der Welt, wie in den USA, England, Deutschland, Japan und Korea, PPP zu beobachten ist, weist darauf hin, dass es sich bei ihr um ein verallgemeinerungsfähiges Phänomen handelt. Der Grund dafür ist, dass diese einen, wenngleich nicht den einzigen, Weg zur effektiven Erledigung der öffentlichen Aufgabe eröffnet, dennoch zumindest langfristig eine realistische Alternative zu den Engpässen der öffentlichen Haushalte und dem Mangel an Information und Knowhow der öffentlichen Hand bildet. Trotz aller förmlichen und inhaltlichen Verschiedenheiten der PPP in einzelnen Ländern enthält sie ein wesensimmanentes Element, die SynergieKomponente bei der partnerschaftlichen Zusammenarbeit; damit ist sie von der bloßen Privatisierung bzw. dem Verwaltungshelfer abzugrenzen. Es steht zwar fest, dass zur Beibehaltung der Öffentlichkeit der PPP der öffentlichen Hand genügende Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden sollen. Für die erfolgreiche PPP ist jedoch daran festzuhalten, dass sie möglichst der wirtschaftlichen Rentabilität des privaten Partners Rechnung tragen soll. Sonst erweist sie sich langfristig nicht als bestandsfähig. Insofern ist der Rechtsprechung des Koreanischen Verfassungsgerichts zuzustimmen, als die von Privaten finanzierten Straßen oder Autobahnen darauf gerichtet sein müssen, die investierten Geldsummen wieder zurückzugewinnen und dazu zusätzlich angemessene Gewinne zugunsten des privaten Unternehmens zu gewährleisten. Was die rechtliche Qualifizierung des Kooperationsvertrags anbelangt, ist er als ein öffentlich-rechtlicher, also als ein Verwaltungsvertrag anzusehen. Für
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die Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragspartnern eröffnet sich der Verwaltungsrechtsweg der Parteistreitigkeit nach § 3 Nr. 2 des Koreanischen Verwaltungsprozessgesetzes. In einer globalisierten Welt kann das koreanische Vergaberecht von vergaberechtlichen Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gerechtem Wettbewerb und auch Transparenz keine Ausnahme bilden. Anstatt des Verhandlungsverfahrens den sog. wettbewerblichen Dialog oder das wettbewerbsdialogähnliche Verfahren in Korea einzuführen, ist jedoch noch mit Vorsicht zu betrachten. Mit dem Wort der Globalisierung hängt im Bereich des Rechts die sog. „Rechtsstaatliche Runde bzw. Rule of Law Round“ in dem Sinne zusammen, dass alle Rechtssysteme und Rechtskulturen auf der Erde die Minimumstandards der Rechtsstaatlichkeit beachten müssen. Im Hinblick darauf haben die sog. Maßnahmen zugunsten des öffentlichen Interesses nach § 47 Abs. 1 KPFIG keinen Bestand.
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Public Private Partnership als neue Form der Erfüllung staatlicher Aufgaben? Von Peter Baumeister
I. Einleitung Die aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum importierte Bezeichnung „Public Private Partnership“ (kurz „PPP“) hat mittlerweile auch im Wortschatz deutscher Juristen ihren festen Platz. Worum es sich bei der PPP genau handelt, ist allerdings mangels einer allgemein akzeptierten Definition bislang nicht geklärt. Das liegt wesentlich an der Materie selbst, die der Begriff erfassen soll. Sie ist in knapper und abstrakter Form nur schwer greifbar, was sehr plakativ in einer – gern zitierten1 – Formulierung zum Ausdruck kommt, die in Verbindung mit PPP wohl zuerst von Schuppert in seinem Rechtsgutachten zum Verwaltungskooperationsrecht aufgegriffen wurde. Danach stehe der Begriff PPP wie mancher andere in dem Ruf, sich als Versuch zu erweisen, „einen Pudding an die Wand zu nageln“2. Definitionen haben normative Relevanz, wenn es sich bei dem zu definierenden Begriff um ein Tatbestandsmerkmal eines Rechtssatzes handelt. Ist das nicht der Fall, so ist eine Definition lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit. Für die fremdsprachliche Fassung „PPP“ gilt richtigerweise bis heute das letztere; das deutschsprachige, regelmäßig synonym verwendete „Öffentlich Private Partnerschaft“ (kurz ÖPP) hat dagegen seit 2005 Eingang in das Grundsteuergesetz und das Grunderwerbsteuergesetz gefunden3. Angesichts dieser (rela___________ 1 Siehe nur U. Stelkens, „Kooperationsvertrag“ und Vertragsanpassungsansprüche: Zur beabsichtigten Reform der §§ 54 ff. VwVfG, NWVBl. 2006, 1; Ziekow, Public Private Partnership – auf dem Weg zur Formierung einer intermediären Innovationsebene?, VerwArch. 2006, 626 (627). 2 Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts, 2001, S. 4 – mit Hinweis auf diverse Kritik an diesem Begriff (http://www.staatmodern.de/Anlage/original_548354/Gutachten-Prof.-Dr.-Schuppert.pdf – letztes Download: 10.9.2007). 3 Siehe § 3 Abs. 1 S. 3 GrStG und § 4 Nr. 9 GrEStG, beide Regelungen eingeführt durch das ÖPP-Beschleunigungsgesetz vom 1.9.2005, BGBl. I S. 2676 (vollständig lau-
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tiv neuen) Situation sollte bei Definitionen oder Umschreibungen von PPP oder ÖPP stets darauf geachtet werden, ob der jeweilige Begriff gerade in Verbindung mit dem Grundsteuerrecht verwendet wird. Dies mag zukünftig zur Entwicklung einer bereichsspezifischen Definition im Steuerrecht ohne notwendige Auswirkungen auf die allgemeine Verwendung des Begriffs führen. Bevor der Begriff und das dahinterstehende Phänomen noch einmal näher in den Blick genommen werden, reicht es hier vorläufig, den Terminus PPP wie auch den der ÖPP schlicht als Umschreibung einer Zusammenarbeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und Privaten zu begreifen. Diese Zusammenarbeit hat in den letzten Jahren aus mehreren Gründen deutlich an Bedeutung gewonnen und wird, treffen die vielfach verkündeten Prognosen zu, in den nächsten Jahren noch erhebliche Steigerungsraten aufweisen. Über die Hintergründe dieses Anstiegs braucht nicht weiter spekuliert zu werden: Vielfach ist es die blanke Finanznot der öffentlichen Kassen, die zu diesem Mittel greifen lässt. Zugleich zeigen die Erfahrungen aber auch, dass die Zusammenarbeit mit Privaten nicht nur die öffentlichen Haushalte entlasten, sondern auch weiterreichende Vorteile erbringen kann. So geht es mittlerweile auch um die bessere Nutzung privaten Know-hows sowie privater Kreativität und Flexibilität, die zu größerer Effizienz und auch zur Beschleunigung eines Vorhabens führen können. Entsprechende Motivationen lassen sich auch dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum bereits erwähnten ÖPP-Beschleunigungsgesetz vom 14. Juni 20054 entnehmen: „Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) sind ein wichtiger Baustein bei der Modernisierung unseres Staatswesens. Aber auch die Finanzierungskrise öffentlicher Haushalte auf der einen Seite, das hohe Leistungsniveau des Staates und der erhebliche Bedarf an modernen Infrastrukturen auf der anderen Seite zwingen dazu, über die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft neu nachzudenken. Internationale Erfahrungen zeigen: Öffentlich Private Partnerschaften sind ein neuer und oft auch besserer Weg der Bereitstellung von öffentlichen Leistungen.“ Auch der deutsche Gesetzgeber geht also davon aus, dass es sich beim Public Private Partnership um eine neue und häufig vorzugswürdige Möglichkeit der Erbringung staatlicher Leistungen handelt. An diese Feststellung knüpft das Thema des Vortrags an. Im Folgenden soll daher unter juristischem Blickwin___________ tet der etwas ungelenke Gesetzestitel: „Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung von gesetzlichen Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften“). Im Gesetzentwurf (BTDrs. 15/5668) war darüber hinaus die Einführung des Begriffs ÖPP auch in das InvestmentG (§ 2 Abs. 4 Nr. 10, § 2 Abs. 14, § 67 Abs. 1 Nr. 5 Entwurf) vorgesehen (s. Art. 7 ÖPPG-E, BT-Drs. 15/5668, S. 8). 4 BT-Drs. 15/5668, S. 1.
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kel auf die PPP als Mittel zur Erfüllung staatlicher Leistungen sowie kurz auf die Frage ihrer Neuartigkeit eingegangen werden. Zunächst werden wir uns noch einmal mit dem Begriff und den Fällen der PPP bzw. ÖPP befassen, um zumindest eine gewisse Vorstellung von der Art der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Privaten zu erreichen, von der im Weiteren die Rede sein soll (II). Daran schließen sich einige Bemerkungen zum Verhältnis von PPP und funktionaler Privatisierung an (III). Sodann sollen mit dem Vergaberecht, dem Verwaltungsverfahrensrecht sowie dem Haftungsrecht drei Bereiche kurz angesprochen werden, in denen aktuelle oder künftige Rechtsentwicklungen bzw. ein erheblicher fortdauernder Klärungsbedarf zu verzeichnen ist (IV). Schließlich ist ein kurzes Fazit zu ziehen (V).
II. Begriff und Projektbeispiele 1. Der Begriff Die Verwendung der Begriffe PPP und ÖPP erfolgt – wie gesagt – trotz eines mittlerweile überbordenden Schrifttums weiterhin regelmäßig ohne Offenlegung ihrer Bedeutung. Etwas bösartig hat Peter Tettinger den Zustand mit der Bemerkung umschrieben, „jeder ahnt was, aber keiner weiß was Genaueres“5. Diese Bemerkung ist freilich insofern etwas irreführend, als die Bedeutung eines nicht normativen Begriffs niemals „gewusst“, sondern lediglich offengelegt werden kann, weil die Verwendung eines solchen (nicht normativen) Begriffs stets subjektiv bleibt und nicht mit den Kategorien „wahr“ oder „falsch“ gemessen werden kann. Außerhalb des Grundsteuerrechts geht es also um Zweckmäßigkeitsfragen, nicht um Fragen der Rechtsdogmatik6. Die Schwierigkeiten, insoweit eine zweckmäßige Definition zu finden, sind nicht gering zu schätzen. Da die Begriffe PPP und ÖPP Fälle der Zusammenarbeit von Behörden und Privaten erfassen sollen, haftet jedem Definitions- und Abgrenzungsversuch angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Zusammenarbeitsformen ein erhebliches Maß an Unschärfe an. Je größer der Kreis der Fälle ist, die vom Begriff des PPP erfasst werden, umso weniger aussagekräftig ist der Begriff. Je enger der Kreis gezogen wird, umso eher stellt sich die Frage der Legitimation für die Ausgrenzung einzelner Fallgruppen.
___________ 5
Tettinger, Public Private Partnership, Möglichkeiten und Grenzen – ein Sachstandsbericht, NWVBl. 2005, 1 f. 6 In diese Richtung bereits Schuppert (o. Fußn. 2), S. 5.
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In diesem Dilemma weist Ziekow in einer seiner zahlreichen Publikationen zur PPP zutreffend darauf hin, „dass es die – definitorisch abgrenzbaren – Public Private Partnerships nicht gibt“7. Die Verschiedenartigkeit der öffentlichen Aufgaben, die Kooperationen ermöglicht, und der konkreten Ausgestaltung der betreffenden Kooperationen lassen aussagekräftige Definitionen praktisch nicht zu. Entsprechend soll hier erst gar nicht der Versuch einer Definition unternommen werden. Mehr als eine Umschreibung dessen, von dem im Weiteren die Rede sein soll, kann hier nicht geleistet werden. Dazu werden einige dieser Umschreibungen im Folgenden genannt. Im Grünbuch der EG-Kommission aus dem Jahre 2004 heißt es zum Begriff der PPP bzw. ÖPP: „Für den Begriff der öffentlich-privaten Partnerschaft („ÖPP“) gibt es keine gemeinschaftsweit geltende Definition. Der Terminus bezieht sich im Allgemeinen auf Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen und Privatunternehmen zwecks Finanzierung, Bau, Renovierung, Betrieb oder Unterhalt einer Infrastruktur oder die Bereitstellung einer Dienstleistung.“8 Zuvor, im August 2003, hatte eine Beratergruppe im Auftrag eines Lenkungsausschusses im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eine umfangreiche Studie zur PPP im öffentlichen Hochbau vorgelegt9, in der folgende Umschreibung gegeben wird: „PPP kann man abstrakt beschreiben als langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zur wirtschaftlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben, wobei die erforderlichen Ressourcen (zum Beispiel Know-how, Betriebsmittel, Kapital, Personal) von den Partnern in einen gemeinsamen Organisationszusammenhang eingestellt und vorhandene Projektrisiken entsprechend der Risikomanagementkompetenz der Projektpartner angemessen verteilt werden“10. Schließlich finden sich vergleichbare Formulierungen in diversen Leitfäden, von denen hier noch diejenige der „Gesprächsrunde PPP in Bayern“ zitiert werden soll, die sich speziell auf den Bausektor bezieht: „Unter PPP im Baubereich wird allgemein eine vertraglich geregelte, entgeltliche Zusammenarbeit ___________ 7
Ziekow (o. Fußn. 1), VerwArch 2006, 626 (628). Grünbuch zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, 30.4.2004, KOM(2004) 327endg.http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2004/com2004_0327de01.pdf. 9 Siehe kurz zum Hintergrund der Studie die Darstellung auf der homepage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Wirtschaft/branchenfokus,did=31690.html (letztes Download: 10.9.2007). 10 Beratergruppe – PPP im öffentlichen Hochbau, 2003, Teilband I, S. 2 f. (http:// www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/P-R/ppp-im-oeffentlichen-hochbau-leitfaden,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf – letztes Download: 10.9.2007). 8
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zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem privaten Partner über einen langen Zeitraum im Lebenszyklus eines Bauwerks verstanden.“11 Aus der Lehrbuchliteratur sei hier noch die Umschreibung von Ziekow genannt: „PPP sind dadurch gekennzeichnet, dass öffentliche und private Akteure im Rahmen eines längerfristig angelegten, durch eine gemeinsame Zielsetzung gekennzeichneten Projekts auf vertraglicher Basis in verantwortungs- und risikoteiliger Art und Weise zusammenwirken, wobei der private Partner einen substanziellen Beitrag zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe übernimmt.“12 Zur Umschreibung des „Phänomens“ mögen diese Beispiele hier genügen, auch wenn sie als Definition des gesetzlichen Begriffs ÖPP im Steuerrecht noch viel kritischer zu hinterfragen wären. Festzuhalten ist aber, dass manche ähnlich klingenden Beschreibungen substanzielle Unterschiede aufweisen, die nicht übersehen werden sollten. Auf eine wichtige Differenz wird im Folgenden noch hingewiesen. 2. Anwendungsbereiche PPP werden häufig öffentliche Infrastrukturprojekte betreffen. Insoweit kann die Zusammenarbeit die denkbaren verschiedenen Phasen eines Projektes betreffen: Planung, Bau, Finanzierung, Betrieb und Unterhaltung sowie Verwertung. In diesen Bereichen handelt es sich regelmäßig um größere Baumaßnahmen, wie etwa Schul- und Bildungseinrichtungen, soziale Einrichtungen einschließlich Krankenhäuser und Altenheime, Kultureinrichtungen und Veranstaltungszentren, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Verkehrsprojekte, Verwaltungsgebäude aller Art, etwa auch für Polizei, Justiz, Strafvollzug oder Feuerwehr. Neben diesen meist im Vordergrund stehenden, teilweise als „operative Partnerschaften“13 bezeichneten Kooperationen sind auch sog. strategische Partnerschaften denkbar, die nicht auf Errichtung und Betrieb einer Anlage, sondern etwa auf einen Verfahrens-, Informations- oder Techniktransfer gerichtet sein können14.
___________ 11 Gesprächsrunde PPP (Hrsg.), Public Private Partnership zur Realisierung öffentlicher Baumaßnahmen in Bayern, Teil 1, 2005, S. 9. 12 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2007, § 8 Rdnr. 6. 13 Ziekow (o. Fußn. 1), VerwArch. 2006, 626 (629) m. w. Nachw. 14 Ebd.
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III. PPP als Fall der funktionellen Privatisierung? Die PPP wird häufig nicht nur als eine Form der Erfüllung staatlicher oder öffentlicher Aufgaben angesehen, sondern zugleich im Rahmen der Thematik der Privatisierung als ein Fall der sogenannten funktionalen Privatisierung eingeordnet15. Solche Einschätzungen sind allerdings nur mit äußerster Vorsicht vorzunehmen, denn sie treffen nur dann zu, wenn der Begriff der PPP auch entsprechend definiert wird. Insofern ist auf die obigen Definitionen oder Umschreibungen zum Begriff der PPP zurückzukommen und darauf hinzuweisen, dass ein Zusammenhang mit der Thematik der funktionalen Privatisierung auf der Basis der meisten oben zitierten weiten Umschreibungen gerade nicht besteht. Unter der sogenannten funktionalen Privatisierung wird „die Einbeziehung eines zumindest partiell von der öffentlichen Hand unabhängigen Privaten in die Erledigung öffentlicher Aufgaben bei fortbestehender, dem Gebot demokratischer Legitimation Rechnung tragender staatlicher Gewährleistungsverantwortung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung“16 verstanden. Als anerkannte Beispiele sind die Beleihung wie auch die Verwaltungshilfe anzusehen. In allen Fällen muss der vom Hoheitsträger unabhängige Private zumindest an der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe mitwirken. Wird der Begriff oder das Phänomen der PPP so weit verstanden, wie dies in den bereits zitierten Studien und Leitfäden zum Ausdruck kommt, handelt es sich bei den meisten PPP nicht um Fälle funktionaler Privatisierung. Dies gilt vor allem für eine Vielzahl von PPP, die die Herstellung und den Betrieb von größeren Bauprojekten betreffen. Das hängt damit zusammen, dass die öffentliche Aufgabe häufig nicht in der Bereitstellung eines Gebäudes besteht, sondern in der Erbringung einer Dienstleistung (z. B. im Fall der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben). Insofern gilt im Grunde nichts anderes als für den Einkauf von Papier und Schreibgeräten, mit deren Hilfe die staatlichen Bediensteten die öffentliche Aufgabe erfüllen. Diese Einschaltung der privaten Verkäufer von Material stellt keine funktionale Privatisierung dar. Deshalb findet etwa auch keine funktionale Privatisierung polizeilicher Aufgaben wie die der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit statt, wenn das Gebäude, in dem eine Polizeidienststelle untergebracht ist, aufgrund vertraglicher Vereinbarungen von privater Seite geplant, gebaut, finanziert, betrieben und unterhalten wird. Anderes gilt dagegen etwa, wenn die öffentliche Aufgabe gerade in der Bereitstellung einer Einrichtung besteht und diese Einrichtung von privater Seite ___________ 15
Siehe Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 15. Aufl., 2006, § 41 II (S. 279) m. w. Nachw.; Ziekow (o. Fußn. 12), § 8 Rdnr. 2, 6. 16 Ziekow (o. Fußn. 12), § 8 Rdnr. 5.
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betrieben wird. Dies gilt zum Beispiel für kommunale Einrichtungen wie Hallen, Schwimmbäder, Kultureinrichtungen und Ähnliches oder für privat betriebene öffentliche Straßen. Die oben bereits im Zusammenhang mit den Aussagen zum Begriff konstatierte schwere Greifbarkeit der PPP zeigt sich deshalb auch hier. Selbst Kooperationen, die regelmäßig als PPP betrachtet werden, sind nicht notwendigerweise als Privatisierungsfälle anzusehen. Die PPP können deshalb nur dann als Fälle funktionaler Privatisierung begriffen werden, wenn der Begriff auf solche Fälle beschränkt wird, wie dies in der vorausgehend zitierten Definition von Ziekow der Fall ist. Ob allerdings ein derart enges Begriffsverständnis aber allein aus Gründen der dann möglichen Zuordnung zur funktionalen Privatisierung wirklich zweckmäßig ist, erscheint immerhin diskussionswürdig. In vielerlei Hinsicht erscheinen etwa die Kooperationen beim Bau und Betrieb von Polizeidienststelle bzw. Kulturzentrum vergleichbar.
IV. Beispielhafte Rechtsentwicklungen und Fragestellungen 1. Vergaberecht Die zunehmende Beachtung der rechtlichen Fragestellungen von Kooperationen zwischen Behörden und Privaten dürfte auch mit der wachsenden Beachtung des Vergaberechts zusammenhängen. Erst die verstärkte Behandlung des Vergaberechts hat den Zusammenhang mit und vor allem die rechtlichen Schwierigkeiten von Kooperationen aufgedeckt. Das Vergaberecht wird heute nicht selten als „Hemmschuh für die Forcierung neuer Formen der Verwaltungskooperation empfunden“17. Gerade die PPP im Hinblick auf Infrastrukturmaßnahmen, die PPP-Bauprojekte, offenbaren eine tendenzielle Diskrepanz zwischen den Anforderungen des Vergaberechts und den Interessen der öffentlichen Hand im Rahmen der PPP. Einer der Gründe der Attraktivität der PPP ist die Möglichkeit, das Knowhow des Privaten zu Problemlösungen zu nutzen, die der öffentlichen Hand anderenfalls nicht möglich wären. Dem privaten Kooperationspartner werden daher im Idealfall nicht die Mittel, sondern nur die Ziele zur Verwirklichung des Projekts vorgegeben. Dies eröffnet die Chance auf innovative und auch besonders wirtschaft___________ 17 Siehe Uechtritz/Otting, Das „ÖPP-Beschleunigungsgesetz“: Neuer Name, neuer Schwung für „öffentlich-private Partnerschaften“?, NVwZ 2005, 1105 (1106); R. Schenke/Klimpel, Verhandlungsverfahren versus wettbewerblicher Dialog: Neuere Entwicklungen im Vergaberecht Öffentlich Privater Partnerschaften (ÖPP)/Public Private Partnership (PPP), DVBl. 2006, 1492 (1493).
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liche Gestaltungen des Projekts, über die die öffentliche Hand jedenfalls im Vorhinein nicht verfügt und zu denen sie allein möglicherweise nie fähig wäre. Die weitgehende Überlassung der Erreichung der vorgegebenen Ziele steht allerdings in einem erheblichen Spannungsverhältnis zu den Vorgaben des Vergaberechts. Dieses will – bei Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte – einen europaweiten Wettbewerb ermöglichen, weshalb die Vergabe öffentlicher Aufträge einer Reihe von Verfahrensregelungen unterworfen ist, mit denen der günstigste Anbieter zu ermitteln ist, der dann den Zuschlag erhalten muss. Dazu sind vor allem die zu vergebenden Leistungen detailliert zu beschreiben (§ 9 VOB/A). Ist die gewünschte Leistung aber noch nicht entsprechend bekannt, kann auch keine diesbezügliche Ausschreibung erfolgen. Dies macht den Zielkonflikt zwischen Vergaberecht und PPP deutlich. Während das Vergaberecht vor einer Auswahlentscheidung aus Gründen der Vergleichbarkeit der Angebote zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs eine möglichst präzise Beschreibung des zu vergebenden Auftrags verlangt, liegt es in der Logik mancher PPP, gerade keine entsprechenden Vorgaben zu machen, weil damit manche Innovationen von vornherein abgeschnitten wären. Das Erfordernis der vorausgehenden detaillierten Ausschreibung hängt wesentlich mit den Vorgaben des § 101 GWB zusammen, wonach grundsätzlich das offene Verfahren gem. § 101 Abs. 2 GWB zu wählen ist18. Insbesondere das Verhandlungsverfahren, das noch verhältnismäßig weite Spielräume der öffentlichen Hand bei der Aushandlung des Vertragsgegenstands lässt, ist auf Ausnahmefälle beschränkt, die – jedenfalls nach Ansicht der EG-Kommission – auch in den Fällen der PPP regelmäßig nicht vorliegen19. Die damit verbundene Behinderung oder Erschwerung entsprechender Kooperationen erkennt auch das europäische Vergaberecht. In der neuen Vergaberichtlinie wurde deshalb als neues weiteres Vergabeverfahren der wettbewerbliche Dialog eingeführt (Art. 29 VergabeRL). Diesen hat der nationale deutsche Gesetzgeber durch das ÖPP-Beschleunigungsgesetz in das GWB (§ 101 Abs. 5) und in die Vergabeverordnung (§ 6a) übernommen. Ohne dies hier näher ausführen zu können, könnte diese Verfahrensart den Besonderheiten mancher PPP eher Rechnung tragen. Insbesondere ermöglicht der Dialog mit den Bietern die Ermittlung der wirtschaftlichsten Lösung für das konkrete Projekt. Erst nach einer solchen Erarbeitung einer Grundsatzlösung im Dialog sind dazu präzisierte und mit Preisen versehene Angebote einzureichen20. Jedenfalls nach Einführung des wettbewerblichen Dialogs spricht eini___________ 18 19 20
Stellv. Ziekow (o. Fußn. 12), § 9 Rdnr. 56. Vgl. Grünbuch PPP (o. Fußn. 8), Rdnr. 24. Siehe R. Schenke/Klimpel (o. Fußn. 17), DVBl. 2006, 1494 f.
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ges dafür, dass der früher übliche Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren heute als unzulässig anzusehen ist21. Inwieweit die Praxis diese Vorgehensweise in ihr Handlungsinstrumentarium aufnimmt, bleibt abzuwarten. 2. Verwaltungsvertrag Die beiden im Jahre 2001 durch Schuppert und Ziekow für das Bundesinnenministerium erstatteten Gutachten zum Verwaltungskooperationsrecht haben sich vor allem mit dem Regelungsbedarf der PPP im Rahmen des Rechts des Verwaltungsvertrags beschäftigt und insoweit jeweils konkrete Gesetzgebungsvorschläge unterbreitet22. Auf dieser Grundlage hat das Innenministerium ein Reformprojekt im Recht des Verwaltungsvertrags initiiert, dessen Ausgang möglicherweise noch offen ist. Auf der Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten des Bundes und der Länder vom 21./22.4.2004 wurde ein Musterentwurf zur Änderung der §§ 54 ff. VwVfG und LVwVfGe verabschiedet23. Darin wird unter anderem auch die Normierung eines weiteren Vertragstyps, des Kooperationsvertrags, vorgeschlagen24. Angesichts der Ressortkompetenzen in der Bundesregierung für das Zivil- und das Verwaltungsverfahrensrecht (Justiz und Inneres) dürften der Umsetzung einige Hindernisse entgegenstehen. Der Kooperationsvertrag, der die Zusammenarbeit von Behörden und Privaten zum Gegenstand hat, findet sich im öffentlichen Recht bisher ausdrücklich normiert nur in Spezialgesetzen wie im Wohnraumförderungsgesetz (Teil 1, Abschnitt 3, §§ 14 f. WoFG). Zwar schließt das geltende Vertragsrecht nach dem VwVfG Kooperationsverträge nicht aus, eine ausdrückliche Normie___________ 21
Näher R. Schenke/Klimpel (o. Fußn. 17), DVBl. 2006, 1495. Siehe Schuppert (o. Fußn. 2), S. 124 ff.; Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, 2001, 198 ff. (http://www.verwaltung-innovativ.de/Anlage/original_548355/Gut achten-Prof.-Dr.-Ziekow.pdf – letztes Download: 10.9.2007). 23 Siehe dazu etwa Bonk, Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Vertrags unter besonderer Berücksichtigung der Public Private Partnership, DVBl. 2004, 141; Reicherzer, Die gesetzliche Verankerung von Public-Private-Partnerships – Überlegungen zur Novellierung der §§ 54 ff. VwVfG, DÖV 2005, 603; U. Stelkens, „Kooperationsvertrag“ und Vertragsanpassungsansprüche: Zur beabsichtigten Reform der §§ 54 ff. VwVfG, NWVBl. 2006, 1. 24 Normen dazu sollen in § 54, § 56a und § 59 eingefügt werden: § 54 Abs. 3 VwVfG-E: „Die Behörde kann einen öffentlich-rechtlichen Vertrag auch schließen, um Private an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu beteiligen.“; § 56a (Überschrift: Kooperationsvertrag): „Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 54 Abs. 3 kann geschlossen werden, wenn die Behörde sicherstellt, dass ihr ein hinreichender Einfluss auf die ordnungsgemäße Erfüllung der öffentlichen Aufgabe verbleibt. Die Behörde darf nur einen Vertragspartner auswählen, der fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig ist.“ 22
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rung könnte jedoch einerseits die Rechtssicherheit und damit auch die Bereitschaft zu weiteren Kooperationen weiter steigern. Andererseits ist die Steigerung der Rechtssicherheit aber auch nur von begrenzter Natur, da die Frage der Abgrenzung von privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Verträgen damit nicht beantwortet wird. 3. Öffentliche Unternehmen mit privater Beteiligung Eine Form, in der PPP in der Sache schon seit langem praktiziert werden, ist die Gründung von juristischen Personen des Privatrechts in einer Kooperation von öffentlicher Hand und Privaten. Soweit der Gesellschaftszweck in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben besteht, handelt sich um eine institutionelle PPP, die nicht allein durch Kooperationsverträge vollzogen wird. Derartige Kooperationsformen sind seit langem in der Praxis verbreitet und stehen auch weniger im Rampenlicht der Diskussion. Dies ändert nichts daran, dass sich hier z. B. auch vergaberechtliche Fragen stellen. Im vorliegenden Zusammenhang soll aber daneben noch kurz auf einen weiteren Aspekt hingewiesen werden, dem in der Fachliteratur nur wenig Beachtung geschenkt wird, der aber gleichwohl erhebliche praktisch relevante Probleme mit sich bringt. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus der Thematik der Haftung der öffentlichen Hand bei solchen Beteiligungen an privatrechtlichen Kapitalgesellschaften, deren Zweck zumindest auch auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gerichtet ist. Die Haftung des Hoheitsträgers im Fall der Insolvenz des Unternehmens ist bis heute nicht wirklich geklärt25. Auf den ersten Blick ist man geneigt, die Haftung als ein rein gesellschaftsrechtliches Problem anzusehen. Bei näherer Hinsicht lassen sich jedoch Gründe, die für eine gewisse Einwirkung des Umstands, dass der Gesellschaftszweck auch durch die öffentliche Aufgabe geprägt ist, nicht völlig von der Hand weisen. Im Rahmen der durch Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsfigur der Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs26 ___________ 25 Siehe nur v. u. z. Franckenstein, WM 2004, 511; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 323; Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798; Gundlach, LKV 2000, 58; Katz, Kommunale Wirtschaft, 2004, Rdnr. 190; Koch, NdsVBl. 1999, 206 (208 ff.); Kuhl/Wagner, ZIP 1995, 433 (437, 445) m. w. Nachw.; Parmentier, Gläubigerschutz in öffentlichen Unternehmen, 2000; ders., ZIP 2001, 551; ders., DZWiR 2002, 500; ders., DVBl. 2002, 1378; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 187; Raiser, ZGR 1996, 458; Schön, ZGR 1996, 429 (452 ff.); Siegels, in: Hoppe/Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, 2004, § 13 Rdnr. 178 ff., 188 ff. 26 Siehe nur BGHZ 149, 10; 150, 61; 151, 181; NJW 2005, 3137; zuletzt Urt. vom 16.7.2007 – II ZR 3/04; aus der Literatur s. nur Altmeppen, NJW 2002, 321; ders., ZIP 2002, 961; Bitter, WM 2001, 2133; K. Schmidt, NJW 2001, 3577; Ulmer, ZIP 2001, 2021; Wege/Jesch, DÖV 2003, 672; Wilhelm, NJW 2003, 175.
Public Private Partnership als neue Form der Erfüllung staatlicher Aufgaben?
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kann nämlich dem Umstand, dass die Geschäftstätigkeit des Unternehmens maßgeblich durch das Ziel der Erfüllung öffentlicher Aufgaben geprägt war, haftungsauslösende Wirkung zukommen. Agiert das betreffende Unternehmen aus Rücksicht auf die öffentlichen Ziele nicht wie ein normaler Marktteilnehmer, so kann dies die Haftung der öffentlichen Hand auslösen.
V. Ergebnis Aus den vorausgehenden Darlegungen ist schon deutlich geworden, dass es sich beim PPP nicht um eine inhaltlich neue Form der Erfüllung öffentlicher Aufgaben handelt. Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und Privaten sind seit Jahrzehnten bekannt, auch wenn bestimmte Kooperationsformen in der jüngeren Vergangenheit deutlich zugenommen haben dürften. Neu ist allenfalls der Begriff PPP. Selbst auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ist kooperatives und konsensuales Verwaltungshandeln schon lange kein neues Phänomen mehr. Spätestens mit der Anerkennung des öffentlich-rechtlichen oder genauer verwaltungsrechtlichen Vertrages zwischen Hoheitsträgern und Privaten ist ein Ausschnitt dessen, was üblicherweise als PPP bezeichnet wird, seit langem unter anderer Bezeichnung bekannt. Darüber hinaus werden Kooperationen auf privatrechtlicher Basis, etwa in sog. öffentlichen Unternehmen, seit Jahrzehnten praktiziert. Andererseits hat die Begriffsbildung nicht nur zu einer quantitativen Intensivierung der Diskussion, sondern auch zur Identifikation wesentlicher juristischer Fragestellungen und Probleme beigetragen. Wichtige Themen sind infolge der Diskussionen rund um PPP in den Focus geraten. Die Möglichkeiten und Grenzen von Kooperationen werden in den nächsten Jahren sicher weiter ausgeleuchtet werden. Auch wenn es sich beim PPP oder ÖPP also nur um „alten Wein in neuen Schläuchen“ handelt, haben die neuen Schläuche in diesem Fall und entgegen dem üblichen Sinn des Spruchs bereits einen Mehrwert erbracht.
Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeit als Form der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge – am Beispiel der Telekommunikation Von Ulrich Stelkens
I. Einführung Wird – wie im Titel dieses Beitrages – die Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeit als Form der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge verstanden, wird hiermit impliziert, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit privater Unternehmen zugleich staatliche Daseinsvorsorge sein kann, wenn sie nur reguliert wird. Regulierung ist dann also eine staatliche Tätigkeit, die dazu führt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit privater Unternehmen zugleich irgendwie in staatlicher Verantwortung erfolgt. Die Betonung liegt dabei auf „irgendwie“. Das ist jedenfalls das Bild, das entsteht, wenn man sich mit der Literatur zum Thema „Regulierungsverwaltungsrecht“ befasst. Dem entspricht, dass bei Durchsicht der deutschen Literatur zum Regulierungsrecht auch ein eher undeutliches Bild von dem entsteht, was Regulierung ist. Mit Regulierung wird zwar allgemein eine bestimmte Form staatlicher Aufsicht über bestimmte Wirtschaftssektoren, vor allem Netzwirtschaften, verstanden. Bis heute scheint es aber noch nicht in befriedigender Weise gelungen zu beschreiben, in welcher Hinsicht diese Aufsichtsform spezifisch ist und sich von anderen eher „klassischen“ Wirtschaftsaufsichtsaufgaben und -formen unterscheidet.1 Tatsächlich ist dieser Begriff in der deutschen Rechtssprache vergleichs___________ 1 Ausführlich hierzu Michael Fehling, Regulierung als Staatsaufgabe im Gewährleistungsstaat Deutschland – Zu den Konturen eines Regulierungsverwaltungsrechts –, in: Hermann Hill (Hrsg.), Die Zukunft des öffentlichen Sektors, 2006, S. 91, 92 ff.; Hans-Detlef Horn, Die Regulierung im Ordnungswerk des Wirtschaftsverwaltungsrechts, in: Gilbert H. Gornig/Urs Kramer/Uwe Volkmann (Hrsg.), Staat – Wirtschaft – Gemeinde, Festschrift für Werner Frotscher, 2007, S. 379 281 ff.; s. ferner Martin Eifert, Regulierungsstrategien, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19 Rn. 125 ff.
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weise neu2 und tauchte in Deutschland als Rechtsbegriff3 erstmals in Zusammenhang mit der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes auf: Bis in die 1990er Jahre waren bekanntlich in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union Telekommunikationsdienstleistungen (noch) von öffentlichen Unternehmen, in Deutschland der „Deutschen Bundespost“, erbracht worden, denen insoweit ein rechtliches Monopol zustand. Dies war damit gerechtfertigt worden, dass die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Verwaltung, aber auch der einzelne Bürger auf eine funktionsfähige Telekommunikationsinfrastruktur angewiesen ist, so dass die flächendeckende Erbringung dieser Dienstleistungen zu sozial ausgewogenen Preisen als Staatsaufgabe verstanden wurde, die deshalb vom Staat selbst mittels seiner öffentlichen Unternehmen erfüllt wurde.4 Seit den 1980er Jahren wurde die Rechtfertigung dieses Monopolsystems und die Leistungsfähigkeit der staatlichen Unternehmen jedoch mehr und mehr bezweifelt. Zudem verlangte die Haushaltslage den Rückgriff auf privates Kapital, um notwendige Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen, was sich in Deutschland etwa in Zusammenhang mit dem politisch gewünschten Ausbau des Glasfasernetzes durch private Unternehmen bereits zu Zeiten des „alten“ Fernmeldemonopols der Bundespost zeigte.5 Zudem drängte die USA über die WTO und auch auf direkterem Weg auf eine Öffnung des Europäischen Telekommunikationsmarktes (auch) für ausländische Konkurrenz.6 (Auch) dies bewegte die Europäische Kommission dazu, auf eine Abschaffung der staatlichen Fernmeldemonopole in den Mitgliedstaaten hinzuwirken, wobei Ausgangspunkt und Grundlage das Europäische Wettbewerbsrecht (Art. 82 ff. EGV) war.7 Großbritannien war schließlich der erste Mit___________ 2 Siehe nur Martin Bullinger, Regulierung als modernes Instrument zur Ordnung liberalisierter Wirtschaftszweige, DVBl. 2003, 1355, 1356. 3 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2007, § 13 Rn. 13. 4 Peter Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 204 ff.; zusammenfassend auch Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 270 ff.; Martin Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 70 ff. 5 Vgl. hierzu z. B. Alfred Eidenmüller, Netzträgerschaft, Fernmeldeleitungsrecht und öffentlich-rechtlicher Vertrag, DVBl. 1984, 1193 ff.; Rolf Hermes, Breitbandverkabelung in Kooperation mit „beliehenen Unternehmern?“, BB 1984, 96 ff.; allgemein zur „Überforderung“ der Deutschen Bundespost durch die technische Entwicklung im Telekommunikationsbereich: Eifert (Fußn. 4), S. 143 ff. 6 Vgl. Hans-Werner Moritz, Liberalisierung des internationalen Handels mit Basistelefondienstleistungen, MMR 1998, 393 ff. Ausführlich hierzu Klaus W. Grewlich, Konflikt und Ordnung in der globalen Telekommunikation, 1998. 7 Vgl. Mitteilung der Kommission (KOM [87] 290 endg.) „Auf dem Wege zu einer dynamischen Europäischen Volkswirtschaft – Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte, S. 67 ff.; ausführlich zur Entwicklung Stéphane Rodrigues, La Nouvelle Régulation des Services Publics en Europe, Paris 2000, S. 271 ff.
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gliedstaat, der die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes durchführte und hierfür ein Modell entwickelte, das dann mehr oder weniger von den anderen Mitgliedstaaten kopiert und (erst!) anschließend von der Europäischen Gemeinschaft übernommen wurde.8 Dieses Modell bestand und besteht darin, eine neue, relativ unabhängige, vielfach als „Regulierungsbehörde“ bezeichnete Behörde zu gründen und dieser die Aufgabe zuzuweisen, sowohl einen funktionsfähigen und unverfälschten Wettbewerb auf dem neu liberalisierten Telekommunikationsmarkt zu schaffen und zu gewährleisten und zugleich dafür Sorge zu tragen, dass es ein bestimmtes Mindestpaket von Telekommunikationsdiensten gibt, das allen Nutzern, unabhängig von ihrem Wohnsitz, zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung steht. Insoweit wurde als Vorbild wiederum auf die U.S-amerikanischen „regulatory commissions“9 zurückgegriffen,10 dieses Modell jedoch zu einer „Regulation UK Style“ etwas verfremdet.11 Dieses angelsächsische Vorbild war es (wohl), das den Gesetzgeber des „alten“ Telekommunikationsgesetzes von 199612 dazu bewegte, den Begriff „Regulierung“ als Rechtsbegriff zu verwenden. So bezeichnete § 2 TKG (1996) die „Regulierung der Telekommunikation“ als hoheitliche (und damit auch staatliche) Aufgabe, die der so ausdrücklich bezeichneten „Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post“ übertragen wurde. Als Ziele der Regulierung wurden in § 2 Abs. 2 TKG (1996) im Gesetz im Wesentlichen genannt: 1. Wahrung der Interessen der Nutzer; 2. Sicherstellung chancengleichen Wettbewerbs auf dem Telekommunikationsmarkt; 3. Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in § 2 des Postgesetzes von 199713 für die Regulierung des Postmarktes. Auch § 2 des neuen TKG von 200414 übernimmt sie weitgehend unverändert. Nach dem Wortlaut der maß___________ 8
Stéphane Rodrigues (Fußn. 7), S. 284 ff. Ausführlich zur US-amerikanischen Regulierung Tanja Eisenblätter, Regulierung in der Telekommunikation, 2000, S. 151 ff.; Franziska Alice Löhr, Bundesbehörden zwischen Privatisierungsgebot und Infrastrukturauftrag, 2006, S. 520 ff.; Johannes Masing, Die US-amerikanische Tradition der Regulated Industries und die Herausbildung eines Europäischen Regulierungsverwaltungsrechts, AöR 128 (2003), S. 558 ff. 10 Bullinger (Fußn. 2), S. 1356. 11 So Reinhard Ruge, Gewährleistungsverantwortung des Staates und der Regulatory State, 2004, S. 252 ff. 12 Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25.7.1996 (BGBl I, S. 1120). 13 Postgesetz (PostG) vom 22.12.1997 (BGBl I, S. 3294). 14 Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 22.6.2004 (BGBl. I, S. 1190). 9
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geblichen Gesetze war und ist also alles, was die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post tat bzw. die Bundesnetzagentur tut, Regulierung – und zwar Regulierung des Post- und Telekommunikationsmarktes. Dies kam auch in der – durchgängig als wenig gelungen bezeichneten15 und im TKG (2004) nicht mehr enthaltenen – Legaldefinition des Begriffes Regulierung in § 3 Nr. 13 TKG (1996) zum Ausdruck, nach der Regulierung „die Maßnahmen“ sind, „die zur Erreichung der in § 2 Abs. 2 genannten Ziele ergriffen werden und durch die das Verhalten von Telekommunikationsunternehmen beim Angebot von Telekommunikationsdienstleistungen, von Endeinrichtungen und Funkanlagen geregelt werden, sowie die Maßnahmen, die zur Sicherstellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen ergriffen werden.“ In der deutschen Literatur ist nun versucht worden, aus den gesetzlich geregelten Befugnissen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gleichsam induktiv Rückschlüsse auf das Wesen der Regulierung zu ziehen und hieraus dann allgemeine Grundsätze des Regulierungsrechts zu entwickeln.16 Grund für diese Vorgehensweise war wohl auch, dass die Verwendung des Wortes „Regulierung“ in diesem Zusammenhang – wie bereits angedeutet – zunächst nicht europarechtlich nahe gelegt wurde. Erst nach der insoweit gewissermaßen „autonomen“ Übernahme des Regulierungsbegriffs in Deutschland und verschiedenen anderen Mitgliedstaaten findet sich auch in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft zur Telekommunikation17 der ___________ 15 Christian Berringer, Regulierung als Erscheinungsform der Wirtschaftsaufsicht, 2004, S. 83; Thomas von Danwitz, Was ist eigentlich Regulierung?, DÖV 2004, 977; Eisenblätter (Fußn. 9), S. 108 f.; Matthias Ruffert, Regulierung im System des Verwaltungsrechts, AöR 124 (1998), S. 237, 242. 16 Vgl. z. B. Ruffert (Fußn. 15), S. 246 ff.; Wolfgang Spoerr/Markus Deutsch, Das Wirtschaftsverwaltungsrecht der Telekommunikation – Regulierung und Lizenzen als neue Schlüsselbegriffe des Verwaltungsrechts?, DVBl. 1997, 300, 302 f. 17 Erstmals wird der Begriff „nationale Regulierungsbehörde“/„regulatory agency“/„autorité réglementaire nationale“ in der Richtlinie 97/33/EG vom 30.6.1997 über die Zusammenschaltung in der Telekommunikation im Hinblick auf die Sicherstellung eines Universaldienstes und der Interoperabilität durch Anwendung der Grundsätze für einen offenen Netzzugang (ONP) verwendet und deren grundsätzliche Aufgaben in Zusammenhang mit der Netzzusammenschaltung in Art. 9 dieser Richtlinie näher beschrieben (vgl. hierzu Stéphane Rodrigues [Fußn. 7], S. 278 ff.). In Art. 2 lit. g der Richtlinie 98/10/EG vom 26.2.1998 über die Anwendung des offenen Netzzugangs (ONP) beim Sprachtelefondienst und den Universaldienst im Telekommunikationsbereich in einem wettbewerbsorientierten Umfeld wird dann der Begriff „nationale Regulierungsbehörde“ definiert als „die Stelle oder Stellen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat unter anderem mit den in dieser Richtlinie genannten Regulierungsfunktionen betraut wurde(n)“. Allgemeine Grundsätze über die Organisation der Regulierungsbehörde im Bereich der Telekommunikation enthält erst Art. 3 der Richtlinie 2002/21/EG vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie). Näher zu den
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Begriff „Regulierung“ zur Umschreibung der Tätigkeit der Behörden, die zur Überwachung der neu liberalisierten Märkte zuständig sind. Daher hat diese (spätere) gemeinschaftsrechtliche Verwendung des Begriffes „Regulierung“ zur Bestimmung des „deutschen“ Regulierungsbegriffs kaum eine Rolle gespielt. Im Ergebnis scheint es jedenfalls so, als ob es eher der „Geist“ der erfolgreichen Liberalisierung der Telekommunikation im Vereinigten Königreich war als das britische oder US-amerikanische „Regulierungsrecht-Design“ im Detail, das den deutschen Rechtsrahmen beeinflusst hat.18 Daher ist sehr zweifelhaft, ob ein Rechtsvergleich zwischen der deutschen und den angelsächsischen Regulierungsbehörden das Verständnis dessen fördert, was in Deutschland – und auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten – unter „Regulierung“ und Regulierungsverwaltungsrecht zu verstehen ist.19 Die US-amerikanischen und britischen Einflüsse auf den deutschen Rechtsrahmen sind eher vage geblieben; so finden sich in den Gesetzesmaterialien zum TKG (1996) keine Hinweise auf das britische und US-amerikanische Recht.20 ___________ heutigen europäischen Vorgaben für die nationalen Regulierungsbehörden: Ingolf Pernice, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden, Verh. d. 66. DJT, 2006, S. O 85, O 116 ff. 18 von Danwitz (Fußn. 15), S. 978; Horn (Fußn. 1), S. 380; Karl-Heinz Ladeur, Regulierung nach dem TKG, K & R 1999, 479, 480 f.; Wolfgang Schulz, Regulierte Selbstregulierung im Telekommunikationsrecht, Die Verwaltung – Beiheft 4 (2001), S. 101 ff. 19 So aber deutlich der Ansatz z. B. von Berringer (Fußn. 15), S. 88 ff.; Eisenblätter (Fußn. 9), S. 15 (wo knapp und ohne Belege behauptet wird, das TKG sei das „erste deutsche Gesetz, das Regulierung nach amerikanischem Vorbild einführte“, dann aber [auf S. 281 ff.] die mangelnde Vergleichbarkeit beider Systeme betont wird). Etwas differenzierter Klaus Oertel, Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nach §§ 66 ff. TKG, 2000, S. 279 ff.; Kay Windthorst, Der Universaldienst im Bereich der Telekommunikation, 2000, S. 484 ff. 20 Vgl. die eher vagen Ausführungen in BT-Drs. 13/3609, S. 1 f. [Hervorhebung vom Verf.]: „In Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags aus Art. 87f des Grundgesetzes […], besteht ein wesentliches Ziel der gesetzlichen Bestimmungen darin, die staatlichen Rahmenbedingungen in der Telekommunikation so zu gestalten, daß chancengleicher Wettbewerb sichergestellt und funktionsfähiger Wettbewerb gefördert wird. Um dieses Ziel zu erreichen, sind sektorspezifische Regelungen als Ergänzung zum allgemeinen Wettbewerbsrecht erforderlich. Die bestehenden wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die grundsätzlich die Existenz eines funktionsfähigen Wettbewerbs unterstellen und verhaltenskontrollierende Eingriffe und Vorgaben nur bei Vorliegen von Mißbräuchen marktbeherrschender Unternehmen vorsehen, sind für die Umwandlung eines traditionell monopolistisch geprägten Marktes unzureichend. Internationale Erfahrungen zeigen, daß sich wettbewerbliche Strukturen und Verhaltensweisen in diesen Märkten nicht allein durch die Aufhebung von Monopolrechten entwickeln. Potentielle Anbieter haben ohne besondere regulatorische Vorkehrungen keine Chance gegenüber dem dominanten Anbieter.“ Ähnlich BTDrs. 13/3609, S. 33 f.
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Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass jedenfalls in Deutschland der Begriff „Regulierung“ als Rechtsbegriff zur Bezeichnung einer als neuartig empfundenen Form der Wirtschaftsaufsicht durch den Gesetzgeber eingeführt wurde, ohne dass man sich noch hinreichend klar war, was eigentlich das Neuartige an dieser Form der Wirtschaftsaufsicht ist.21 Tatsächlich haben sich die Aufgaben und Befugnisse der deutschen Regulierungsbehörde seit ihrer Errichtung auch deutlich verschoben – und zwar auch unabhängig von gemeinschaftsrechtlichen Zwängen und Einflüssen. Was heute Regulierungsaufgabe ist, ist nicht mehr unbedingt das, was ursprünglich als Regulierungsaufgabe verstanden worden ist. Damit ist nicht gemeint, dass die Befugnisse der früheren Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post mittlerweile auch auf die Bereiche Elektrizität, Gas und Schienenverkehr ausgeweitet worden sind,22 weshalb sie in „Bundesnetzagentur“ umbenannt worden ist.23 Es soll vielmehr um die Veränderung der Marktüberwachungsaufgaben der Regulierungsbehörde als solche gehen, was anhand der Entwicklung der Regulierungsaufgaben im Bereich der Telekommunikation nachgezeichnet werden kann. Dabei soll auch gefragt werden, ob die Annahme tatsächlich zutreffend ist, dass Regulierung die Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge bedeutet.
II. Entwicklung der Telekommunikationsregulierungsaufgaben in Deutschland Von den eingangs genannten gesetzlich definierten Zielen der Regulierung des Telekommunikationsmarktes ist zunächst fast ausschließlich das Regulierungsziel der Sicherstellung chancengleichen Wettbewerbs wahrgenommen worden. Schon die Regulierungsaufgabe „Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung“ wurde wohl als weniger bedeutsam angesehen, viel___________ 21 Ähnlich Johannes Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts, Die Verwaltung 36 (2003), S. 1, 4 f.; ebenso scheint die Entwicklung in Frankreich verlaufen zu sein: Rodrigues (Fußn. 7), S. 218 ff. 22 Tatsächlich lässt sich heute die Tendenz beobachten, jede Tätigkeit der Bundesnetzagentur (aber auch nur dieser) als „Regulierung“ zu bezeichnen: Vgl. Jürgen Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 11 ff. und die Gutachten und Referate zum 66. Deutschen Juristentag 2006 zur Frage „Soll das Recht der Regulierungsverwaltungen übergreifend geregelt werden?“: Vhdlg. 66. DJT (2006): Johannes Masing, Gutachten, S. D 10; Iris Henseler-Unger, Referat, S. O 9 ff.; Thomas Mayen, Referat, S. O 50 ff. Siehe aber auch die gegenteilige Sichtweise, die in Fußn. 48 dargestellt wird. 23 Die „Umtaufung“ erfolgte durch § 1 des Gesetzes über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen vom 7.7.2005 (BGBl. I S. 1970, 2009).
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leicht auch, weil hier kaum praktische Probleme auftraten. Völlig unbeachtet blieb jedoch zunächst die Regulierungsaufgabe „Kundenschutz“.24 Dies änderte sich erst fünf Jahre nach Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes – also nach einer für die Verhältnisse im Telekommunikationsrecht relativ langen Zeit. 1. Wettbewerbsherstellung a) Bei Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes von 1996 wurde Regulierung jedoch eben vor allem als Antwort auf die Frage gesehen, wie der Übergang von einem monopolistisch organisierten Markt in einen Markt mit funktionsfähigem Wettbewerb organisiert werden kann, wenn ein Tätigwerden auf diesem Markt den Zugriff auf eine flächendeckende Infrastruktur erfordert. Hier reicht es nicht aus, wenn das frühere Monopolunternehmen als einziger Inhaber dieser Infrastruktur einfach in den Wettbewerb entlassen wird, um tatsächlichen Wettbewerb auf diesem Markt herzustellen. Vielmehr erfordert eine tatsächliche Marktöffnung, dass alle Marktteilnehmer auf diese Infrastruktur zugreifen können und zwar zu Preisen, die eine Nutzung dieser Infrastruktur als wirtschaftlich erscheinen lassen.25 b) Im Bereich der Telekommunikation war diese Infrastruktur das flächendeckende Telekommunikationsfestnetz, das von dem früheren staatlichen Monopolunternehmen, der Deutschen Bundespost, errichtet worden war. Dieses Netz war im Zuge der Umorganisation der Deutschen Bundespost der neu gegründeten Deutschen Telekom AG übertragen worden, die insoweit Rechtsnachfolgerin der Deutschen Bundespost ist26 und deren Aktien zunächst ausschließlich vom Bund gehalten, später aber weitgehend veräußert wurden.27 Dieses Unternehmen war daher das einzige Unternehmen, das in dem liberalisierten Telekommunikationsmarkt unter Rückgriff auf ein eigenes Telekommunikationsfestnetz Telekommunikationsdienstleistungen anbieten konnte, und trat daher in diesen neuen Markt als Wettbewerber mit überragender Marktmacht ein. Die Deutsche Telekom AG war damit auch nach Wegfall des rechtlichen Monopols auf dem Telekommunikationsmarkt nach wie vor faktischer ___________ 24 Deutlich insoweit auch Rolf Stober, Telekommunikation zwischen öffentlichrechtlicher Steuerung und privatwirtschaftlicher Verantwortung, DÖV 2004, 221, 228. 25 Siehe nur Kühling (Fußn. 22), S. 1 f. 26 Vgl. § 1, § 2 des Gesetzes zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (Postumwandlungsgesetz – PostUmwG) vom 14. September 1994 (BGBl. I, 2325, 2339). 27 Der Bund hält heute noch direkt 14,83 % und über die Kreditanstalt für Wiederaufbau indirekt weitere 16,87 % der Aktien.
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Monopolist,28 vor allem auch, weil sich die Mobilfunknetze der privaten Anbieter erst noch im Aufbau befanden und das wirtschaftliche Potential des mobilen Telefonierens noch nicht vollständig erkannt worden war. c) Die Aufgabe der Regulierungsbehörde, die die Regulierungsdiskussion zunächst prägte, war daher deren Aufgabe zur Demonopolisierung der Deutschen Telekom AG. Dies wurde von der Regulierungsbehörde selbst noch in ihrem Tätigkeitsbericht 2002/2003 als „Zweck des Telekommunikationsgesetzes und wesentliches Regulierungsziel“ bezeichnet29, und auch das BVerwG scheint das gesetzgeberische Konzept der Regulierung vorrangig in der Auflösung von Monopolen zu sehen.30 Um dieses Ziel zu erreichen, räumte bereits das TKG (1996) der Regulierungsbehörde eine Reihe von Befugnissen ein, die ihr ermöglichten, marktbeherrschende Unternehmen – das bedeutete in der Praxis: die Deutsche Telekom AG – zu verpflichten, ihren Konkurrenten Zugang zu ihrem Netz einzuräumen.31 Darüber hinaus unterlag und unterliegt auch die Höhe der Entgelte, die der marktdominante Anbieter für diesen Netzzugang verlangen kann, der Regulierung, um überhöhte Preise und damit künstliche Marktzutrittshindernisse zu unterbinden.32 Im TKG (2004) werden diese Bestimmungen in Teil 2 des Gesetzes unter der Überschrift „Marktregulierung“ zusammengefasst, denen die in den anderen Teilen des Gesetzes genannten anderen Aufgaben der Regulierungsbehörde im Bereich der Telekommunikation, die nicht besonders als „Regulierung“ gekennzeichnet sind, gegenüber gestellt werden. Das TKG (2004) unterscheidet daher offenbar mittlerweile zwischen den Aufgaben der Bundesnetzagentur, die „Regulierung im engeren Sinne“, nämlich „Marktregulierung“ sind, und sonstigen Aufgaben, die § 2 TKG (2004) nur im weiteren Sinne der Regulierung zuordnet.33 Dass die ___________ 28 Siehe nur BVerwG, Urt. vom 25.4.2001 – 6 C 6/00 –, BVerwGE 114, 160, 173 f.; BVerwG, Urt. vom 25.6.2003 – 6 C 17/02 –, BVerwGE 118, 226, 230; BVerwG, Urt. vom 3.12.2003 – 6 C 20/02 –, BVerwGE 119, 282, 287 f. 29 Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, 2003 [http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/203.pdf], S. 320. 30 BVerwG, Urt. vom 10.10.2002 – 6 C 8/01 –, BVerwGE 117, 93, 100 f.; BVerwG, Beschl. vom 15.8.2003 – 20 F 9/03 – NVwZ 2004, 745 (747). 31 Zum Zweck der Zugangsregulierung im Bereich der Telekommunikation etwa BVerwG, Urt. vom 25.4.2001 – 6 C 6/00 –, BVerwGE 114, 160, 176 ff.; BVerwG, Urt. vom 25.6.2003 – 6 C 17/02 –, BVerwGE 118, 226, 231 f.; BVerwG, Urt. vom 3.12.2003 – 6 C 20/02 –, BVerwGE 119, 282, 294 ff. 32 Zum Zweck der Entgeltregulierung im Bereich der Telekommunikation etwa BVerwG, Urt. vom 10.10.2002 – 6 C 8/01 –, BVerwGE 117, 93, 101 f.; BVerwG, Urt. vom 21.1.2004 – 6 C 1/03, BVerwGE 120, 54, 60 ff. 33 Christian Koenig/Sascha Loetz/Andreas Neumann, Telekommunikationsrecht, 2004, S. 109; ähnlich die Differenzierung bei Kühling (Fußn. 22), S. 59, der insoweit zwischen „Wettbewerbsregulierung“ (Zugangsregulierung/Entgeltregulierung) und „sonstiger ökonomischer Regulierung“ (z. B. Universaldienstregulierung) unterscheidet, und Reinhard Ruge, Diskriminierungsfreier Netzzugang im liberalisierten Eisenbahn-
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Marktregulierung hinsichtlich des Festnetzes bisher recht erfolgreich war, lässt sich daran ablesen, dass die Wettbewerber der Deutschen Telekom AG deren Festnetz in ihrer Werbung (z. B. für Handytarife) nicht mehr als „Festnetz der Telekom“, sondern immer öfter als „Deutsches Festnetz“ bezeichnen. d) Die Demonopolisierung eines Unternehmens ist allerdings ein Ziel, das irgendwann einmal erreicht ist, soweit der richtige Weg eingeschlagen worden ist. Wird die Demonopolisierungsaufgabe (und damit die „Marktregulierung“) als Hauptaufgabe der Regulierung angesehen, erscheint daher die Regulierung eines Marktes als Übergangsphänomen und das TKG als ein „Gesetz auf Zeit“:34 Je besser und effektiver die Regulierungsbehörde arbeitet, desto eher macht sie sich damit selbst überflüssig.35 In einem einmal demonopolisierten Markt erscheint auch das normale Kartell- und Wettbewerbsrecht grundsätzlich als ausreichend, um eine Remonopolisierung durch den früheren Monopolisten oder auch ein anderes Unternehmen zu verhindern. Tatsächlich war auch im Gesetzgebungsverfahren zum TKG (1996) der Übergangscharakter der Regulierung betont worden.36 Diese Sichtweise scheint auch dem Europäischen Rechtsrahmen für die Telekommunikation zu Grunde zu liegen.37 So ging auch der Rat der Europäischen Union bei der Verabschiedung des neuen Rechtsrahmens davon aus, dass dieser Rechtsrahmen konzipiert wurde als „Übergangsphase zwischen den derzeit geltenden Rechtsvorschriften und der voraussichtlich künftigen Situation, wenn der Telekommunikationsmarkt so ausgereift sein wird, dass er ausschließlich über das allgemeine Wettbewerbsrecht geregelt wird“.38 Die neuen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sehen daher vor, dass nicht mehr der Markt mit Telekommunikationsleistungen schlechthin der Re___________ markt in Deutschland, AöR 131 (2006), S. 1, 24, der zwischen wettbewerbsbezogenen und gemeinwirtschaftlichen Regulierungszielen unterscheidet. 34 Gesa Maria Gosse, Gesetzliche Vermutungen als Instrument der Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 130. 35 Deutlich etwa Eisenblätter (Fußn. 9), S. 145 ff.; Rodrigues (Fußn. 7), S. 297. 36 Vgl. BT-Drs. 13/3609, S. 52, wo in Zusammenhang mit der Berichtspflicht der Regulierungsbehörde ausgeführt wird, dass hiermit „eine regelmäßige parlamentarische Kontrolle über die Notwendigkeit regulatorischer Maßnahmen erreicht werden“ soll. Ebenso deutlich das Sondergutachten 24 der Monopolkommission „Die Telekommunikation im Wettbewerb, 1996, Rn. 17, wo der „Übergangscharakter der sektorspezifischen Verhaltensaufsicht“ betont wird, der bei „zunehmenden Wettbewerb alsbald durch die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts abgelöst werden“ soll. Siehe hierzu auch Löhr (Fußn. 9), S. 168 f.; ferner Henseler-Unger (Fußn. 22), S. O 19 f., die von der Möglichkeit einer Rückführung der Marktregulierung jedenfalls im Bereich der Telekommunikation ausgeht. Vom TKG als „Gesetz auf Zeit“ spricht heute noch Gosse (Fußn. 34), S. 130 ff. 37 Vgl. Henseler-Unger (Fußn. 22), S. O 19; Karl-Heinz Ladeur, Europäisches Telekommunikationsrecht im Jahre 2001, K & R 2002, 110 (111). 38 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 38/2001 vom 17.9.2001 (Amtsbl. C-337 vom 30.11.2001, S. 34, 51).
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gulierung unterliegen soll, sondern nur solche Teil-Märkte, auf denen sich kein wirksamer Wettbewerb gebildet hat. Welche Märkte dies sind, ist in einem gestuften und recht aufwändigen Marktanalyseverfahren festzustellen, das von den nationalen Regulierungsbehörden in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission durchzuführen ist.39 e) Wird aber als wesentliches Regulierungsziel die Demonopolisierung des früheren Monopolisten verstanden, liegt dem die Überzeugung zu Grunde, dass der Telekommunikationsmarkt ein Markt ist, auf dem die weiteren Regulierungsziele – nämlich die Regulierungsziele der Sicherung einer flächendeckenden Grundversorgung und der Sicherung der Nutzerinteressen – gleichsam von selbst durch die unsichtbare Hand des Marktes sicher gestellt werden, wenn einmal ein funktionsfähiger Wettbewerb hergestellt ist.40 Regulierungsrecht wird dann vor allem als sektorales Wettbewerbsrecht oder als Sonderkartellrecht41 verstanden. Auch wenn mittlerweile weitgehend anerkannt ist, dass gerade die Regulierung des Wettbewerbs in den Netzwirtschaften kaum als Übergangs-, sondern eher als Daueraufgabe (der sog. „Marktbegleitung“) angesehen werden muss,42 kann Regulierung bei dieser Betonung ihrer wettbewerbsrechtlichen Seite nicht als Form der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge verstanden werden. 2. Gewährleistung einer Grundversorgung a) Diese Sichtweise des Regulierungsrechts (allein) als sektorales Wettbewerbsrecht (ggf. mit Übergangscharakter) entsprach allerdings weder dem tatsächlichen europäischen Rechtsrahmen, der schon sehr früh das sog. „Univer___________ 39
Siehe hierzu Koenig/Loetz/Neumann (Fußn. 33), S. 110 ff.; Ladeur (Fußn. 37), S. 112 ff.; Karl-Heinz Ladeur/Christoph Möllers, Der europäische Regulierungsverbund der Telekommunikation im deutschen Verwaltungsrecht, DVBl. 2005, 525 ff.; Ralf Röger, Neue Regulierungsansätze im Telekommunikationsrecht – eine erste Analyse des neuen Telekommunikationsgesetzes 2004, DVBl. 2005, 143, 149 ff.; Ziekow (Fußn. 3), § 14 Rn. 13 ff. 40 So wohl BVerwG, Urt. vom 10.10.2002 – 6 C 8/01 –, BVerwGE 117, 93, 101; ferner Hans-Willi Hefekäuser, Telekommunikationsmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, MMR 1999, 144, 150; Löhr (Fußn. 9), S. 144 f. 41 So etwa Gosse (Fußn. 34), S. 130 ff. 42 So etwa Berringer (Fußn. 15), S. 111 f.; Martin Burgi, Das subjektive Recht im Energie-Regulierungsverwaltungsrecht, DVBl. 2006, 269, 270 f.; Eisenblätter (Fußn. 9), S. 149 f.; Eifert (Fußn. 1), § 19 Rn. 127; Fehling (Fußn. 1), S. 97 f.; Horn (Fußn. 1), S. 385 f.; Löhr (Fußn. 9), S. 168 ff.; Jee-Tai Ryu, Die Rolle des Staates in der Telekommunikation, VerwArch. 97 (2006), S. 541, 553; Franz Jürgen Säcker, Das Regulierungsrecht im Spannungsfeld von öffentlichem und privatem Recht, AöR 130 (2005), S. 180, 188 ff.; einschränkend wohl Pernice (Fußn. 17), S. O 86 f.
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saldienstkonzept“ entwickelte,43 noch den deutschen verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen44 Vorgaben, die der Umsetzung dieses Konzeptes dienten.45 Diese sehen nämlich nach wie vor eine Verantwortung des Staates für eine flächendeckende Versorgung mit angemessenen und ausreichenden Telekommunikationsdienstleistungen vor. Es besteht nach wie vor ein staatliches Interesse daran, dass es trotz der Liberalisierung der Telekommunikation nicht zu einer generellen oder partiellen Unterversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen kommt, etwa weil der Wettbewerb nicht funktioniert oder sich in Form des Rosinenpickens auf lukrative Bereiche beschränkt. In Deutschland wurde dieses staatliche Interesse für so groß erachtet, dass in Art. 87f Abs. 1 GG46 eine entsprechende „Gewährleistungsverantwortung“ des Bundes aufgenommen wurde.47 Rechtstechnisch trägt das Universaldienstkonzept der so begründeten gemeinschaftsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Pflicht zur Gewährleistung einer flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen wie folgt Rechnung: Zunächst legt der Gesetzgeber die Leistungen fest, zu denen Endnutzer unabhängig von ihrem Wohn- und Geschäftsort zu einem erschwinglichen Preis Zugang haben müssen. Stellt die Regulierungsbehörde fest, dass diese Leistungen nicht oder nicht vollständig im Wettbewerb erbracht werden, so kann sie einem Unternehmen die Erbringung dieser sog. Universaldienstleistungen auferlegen. Hierfür erhält dieses Unternehmen dann einen finanziellen Ausgleich. b) Es liegt nahe, in dieser Pflicht zur Sicherstellung einer Grundversorgung und der hiermit verbundenen Befugnis der Regulierungsbehörde zur Auferlegung von Universaldienstleistungen das Element zu sehen, das es rechtfertigt, nach wie vor auch von einer staatlichen Daseinsvorsorge im Bereich der Telekommunikation zu sprechen, die mittels Regulierung durch privatwirtschaftli-
___________ 43
Zur Entwicklung des Universaldienstleistungskonzepts im Bereich der Telekommunikation auf Europäischer Ebene: Christian Stotz, Zwischen Verbraucherschutz und Wettbewerb – Die Universaldienstleistungsrichtlinie 2002/22/EG und ihre Auswirkungen auf das deutsche Telekommunikationsrecht, 2006, S. 10 ff.; Windthorst (Fn. 19), S. 144 ff. 44 Zur Umsetzung des Universaldienstleistungskonzepts in den heutigen §§ 78 ff. TKG (2004) ausführlich Stotz (Fußn. 43), S. 140 ff. 45 So auch Josef Ruthig/Stefan Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, Rn. 369. 46 Eingefügt durch das 41. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 30.8.1994 (BGBl. I, 2245). 47 Vgl. BT-Drs. 12/7269, S. 5. Hiernach zielt Art. 87f Abs. 1 GG auf die „Gewährleistung einer flächendeckenden Grundversorgung durch Sicherung der aus Sicht der Benutzer angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen.“ Dies wird in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 12/8108, S., 5) als Sicherung einer „flächendeckenden Grundversorgung“ bezeichnet.
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che Tätigkeit erfüllt wird.48 Im Bereich der Telekommunikation ist das Universaldienstrecht jedoch praktisch bedeutungslos.49 Dies liegt nicht daran, dass flächendeckend alle denkbaren Telekommunikationsdienstleistungen ohnehin angeboten werden – dies ist etwa bei Breitbandkabelnetzanschlüssen durchaus nicht der Fall50 –, sondern daran, dass dasjenige, was das Gemeinschaftsrecht und das nationale Recht zu den Universaldienstleistungen zählt, weitgehend dem Leistungskatalog entspricht, den die Deutsche Bundespost vor der Liberalisierung erfüllt hatte: Herstellung eines Festnetzanschlusses für jedermann, Bereitstellung eines flächendeckenden Netzes von Telefonhäuschen, Sicherstellung gedruckter Telefonverzeichnisse, Sicherstellung von Auskunftsdiensten. Das Niveau der kraft Gesetzes sicherzustellenden Grundversorgung ist also im Wesentlichen dem Telekommunikationsdienstleistungsniveau der 1990er Jahre nachgebildet.51 Nach den Jahresberichten der Regulierungsbehörde wirft hier allein das flächendeckende Telefonhäuschennetz Probleme auf, weil der Bedarf an öffentlichen Fernsprechern mit zunehmender Verbreitung der Mobiltelefone deutlich zurück geht, so dass der Betrieb öffentlicher Fernsprecher immer unwirtschaftlicher wird.52 c) Heute stellt sich jedoch zunehmend die Frage, ob die vom Gesetz definierten Grundversorgungsleistungen überhaupt noch den realen Bedürfnissen ___________ 48 In diese Richtung etwa Matthias Cornils, Staatliche Infrastrukturverantwortung und kontingente Marktvoraussetzungen, AöR 131 (2006), S. 378, 379 ff.; Michael Frühmorgen, Daseinsvorsorge und Wettbewerb im Telekommunikationsrecht, 2007, S. 148; Horn (Fußn. 1), S. 382 ff. Zur Zugehörigkeit dieser Aufgabe zum Regulierungs(verwaltungs-)recht: Masing (Fußn. 22), S. D 67; ders. (Fußn. 21), S. 25 ff. Ruffert (Fußn. 15), S. 246 f.; Stefan Storr, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden, DVBl. 2006, 1017, 1018; Hans-Heinrich Trute, Regulierung – am Beispiel der Telekommunikation, in: Carl-Eugen Eberle/Martin Ibler/Dieter Lorenz (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart – Festschrift für Winfried Brohm, 2002, S. 169, 172. Demgegenüber sehen etwa Hans Christian Röhl (Soll das Recht der Regulierungsverwaltungen übergreifend geregelt werden?, JZ 2006, 831, 833) und Gabriele Britz („Kommunale Gewährleistungsverantwortung“ – Ein allgemeines Element des Regulierungsrechts in Europa?, Die Verwaltung 37 [2004], S. 145, 148 ff.) in der Aufgabe der Gewährleistung einer Grundversorgung eher eine von den Regulierungsaufgaben zu unterscheidende Aufgabe; sie setzen also „Regulierung“ im Wesentlichen mit „Marktregulierung“ gleich, während § 2 TKG (2004) eher für einen weiten Regulierungsbegriff spricht. 49 Cornils (Fußn. 48), S. 393 f.; Eifert (Fußn. 1), § 19 Rn. 135; Henseler-Unger (Fußn. 22), S. O 15. 50 Siehe zu den Problemen der Errichtung von schnellen Internetanschlüssen im ländlichen Raum Jörg Bülow, Der ländliche Raum braucht die Datenrennstrecke, Die Gemeinde SH 2007, 278 f. und die in dieser Zeitschrift nachfolgend abgedruckten Beiträge. 51 Zur Kritik an diesem „Arme-Leute-Telefon“ Klaus Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation zwischen Staat und Markt, 1999, S. 108 ff. 52 Vgl. Bundesnetzagentur, Jahresbericht 2006, S. 26 f. (http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/9009.pdf); hierzu Cornils (Fußn. 48), S. 399.
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der modernen Informationsgesellschaft entsprechen. Je mehr Dienstleistungen ausschließlich über das Internet angeboten werden, desto notwendiger ist es etwa, dass auch die flächendeckende Möglichkeit besteht, sich mit einem leistungsfähigen Internetanschluss zu versorgen, auch wenn dies in den 1990er Jahren noch nicht zum Leistungsprogramm des damaligen Monopolisten gehörte.53 Je mehr das mobile Telefonieren zur Selbstverständlichkeit wird und mittlerweile auch nahezu flächendeckend möglich ist, fragt sich umgekehrt, ob wirklich noch eine staatliche Verantwortung dafür bestehen muss, dass jedermann gerade Zugang zum Telekommunikationsfestnetz erhält. Es stellt sich also im Telekommunikationsbereich die Frage, ob das Universaldienstleistungssystem als ein im Grundsatz auf eine Minimalausstattung von „JedermannHaushalten“ fixiertes System flexibel genug ist, um der staatlichen Verantwortung für eine flächendeckende und zeitangemessene Telekommunikationsinfrastruktur zu gewährleisten.54 3. Verbraucherschutz a) Damit stellt sich die weitere Frage, ob es heute jedenfalls im Telekommunikationssektor tatsächlich noch die Universaldienstgewährleistungsziele der Regulierung sind, die es rechtfertigen, von einer staatlichen Gewährleistung eines funktionsfähigen und ausreichenden Telekommunikationsmarktes zu sprechen. Zwar besteht kraft Gesetzes nach wie vor eine besondere staatliche Verantwortung für die Sicherstellung einer funktionsfähigen Telekommunikationsinfrastruktur. Dies drückt sich aber heute eher in den Aufgaben der Regulierungsbehörde aus, die dem Kundenschutz dienen sollen. Um dies zu erläutern, sollen die Entwicklung der Verbraucherschutzbestimmungen im Telekommunikationsgesetz und der hiermit verbundenen Überwachungsaufgaben der Regulierungsbehörde nachgezeichnet werden, wobei in dieser Hinsicht die Entwicklung in Deutschland unabhängig von den europäischen Vorgaben erfolgte.55 ___________ 53 Vgl. die Überlegungen der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung vom 24.5.2005 über die Überprüfung des Umfangs des Universaldienstes gemäß Artikel 15 der Richtlinie 2002/22/EG [KOM (2005) 203 endg], S. 8 f.; ferner Stotz (Fußn. 43), S. 46 ff.; für entsprechende Überlegungen in Korea: Ryu (Fußn. 42), S. 563 f. 54 Vgl. hierzu Cornils (Fußn. 48), S. 343 ff.; Eifert (Fußn. 4), S. 186 f.; Hermes (Fußn. 4), S. 250 f. Teilweise wird deshalb auch ein massiver Abbau der Universaldienstleistungen gefordert: Henseler-Unger (Fußn. 22), S. O 15 m. w. N. 55 Zwar enthalten auch Art. 20 ff. der Universaldienstleistungsrichtlinie 2002/22/EG verbraucherschutzrechtliche Bestimmungen. Diese beziehen sich aber im Wesentlichen auf den klassischen „Festnetztelefonanschluss“ und ergänzen insoweit den Universaldienst, indem z. B. Kontrahierungszwänge oder Informationspflichten über Tarife statuiert werden (hierzu und zu ihren Auswirkungen auf das deutsche Recht ausführlich Stotz [Fußn. 43], S. 95 ff., 203 ff.). Es handelt sich eher um Konkretisierungen des AGB-
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b) Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass die Öffnung des Telekommunikationsmarktes natürlich nicht nur redlichen Anbietern Erwerbschancen bietet. Vielmehr bietet er auch Möglichkeiten, auf wettbewerbswidrige oder schlicht betrügerische Weise an Geld zu kommen. Im Telekommunikationsbereich ist dies aus verschiedenen Gründen recht einfach: –
Werden Telekommunikationsdienste zu wettbewerbswidrigen oder betrügerischen Zwecken verwendet, sind die hierfür Verantwortlichen zunächst durch ihre Telefonnummer anonymisiert. Wer gegen sie vorgehen will, muss sich zunächst erkundigen, welche Person sich hinter welcher Nummer verbirgt. Der Nummer als solche sieht man auch nicht an, welches Telekommunikationsunternehmen sie dem Nutzer zugeteilt hat. Man muss also zunächst einmal ermitteln, welchem Unternehmen welche Rufnummerngassen zugeteilt worden sind (vgl. heute § 66h TKG [2004]). Anschließend kann es sein, dass Teile dieser Rufnummerngassen dritten Unternehmen überlassen worden sind, die sie wiederum vierten Unternehmen überlassen usw. Im Einzelfall kann es daher erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen, eine bestimmte Rufnummer nach zu verfolgen, vor allem wenn Schein- und Briefkastenfirmen mit Sitz im Ausland zwischengeschaltet werden.
–
Weitere Missbrauchsmöglichkeiten ergeben sich aus dem InkassoAbrechnungssystem für Telekommunikations-Mehrwertdienste, das in § 21 Abs. 2 Nr. 7 TKG (2004) vorausgesetzt wird:56 Die Forderungen für die Inanspruchnahme der mittels dieser Mehrwertdienste erbrachten Dienstleistungen werden in der Regel nicht von dem Mehrwertanbieter beigetrieben, sondern von dem Unternehmen, bei dem der Nutzer seinen Mobil- oder Festnetztelefonanschluss hat. Dies erschwert für den Kunden in der Praxis ganz erheblich, Einspruch gegen geltend gemachte Forderungen wegen Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten zu erheben.
–
Schließlich ergeben sich Missbrauchsmöglichkeiten aus dem Umstand der zeitversetzten Abrechnung: Wie viel die Inanspruchnahme bestimmter Mehrwertdienste tatsächlich gekostet hat, wird vielen Nutzern – insbesondere auch minderjährigen Nutzern und ihren Eltern – oft erst bewusst, wenn die monatliche Telefonrechnung ins Haus kommt.
___________ Rechts, nicht um Regelungen, die gerade der Regulierungsbehörde Missbrauchs- und Betrugsbekämpfungsaufgaben zuweisen. 56 Ausführlich hierzu Hermann-Josef Piepenbrock/Thorsten Altendorn, in: Martin Geppert/Hermann-Josef Piepenbrock/Raimund Schütz/Fabian Schuster (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 21 Rn. 195 ff.; Sörup, in: Sven-Erik Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2. Aufl. 2007, K Rn. 102 ff.
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c) Im Jahre 2001 wurden diese Probleme sehr deutlich: Drei Unternehmen mit Sitz im Ausland überzogen praktisch alle Faxanschlüsse Deutschlands mit Massen-Fax-Werbung, in der undifferenziert für Telefonmehrwertdienste aller Art geworben wurde. Derartige Faxwerbung ist nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG verboten, weil sie letztlich die Werbekosten teilweise auf den Faxanschlussinhaber verlagert, der schließlich das Papier und den Toner „liefert“, auf dem die Werbung gedruckt wird. Unabhängig davon ist die massenhafte Fabrizierung von Müll durch das eigene Faxgerät und die hiermit verbundene Verstopfung des Faxzugangs schlicht lästig. Wegen der geschilderten Schwierigkeiten, den Inhaber der verwendeten Rufnummern aufzuspüren, war es aber für die Betroffenen unmöglich, Abhilfe mit den normalen zivilrechtlichen und verbraucherschutzrechtlichen Mitteln zu schaffen.57 d) Die weitere Entwicklung ist durch einen der seltenen Fälle gekennzeichnet, in denen es einem Rechtswissenschaftler, nämlich Thomas Hoeren, gelungen ist, mit einem Aufsatz in einer Rechtszeitschrift auf die Politik Einfluss zu nehmen. Verärgert über die Werbefaxe war er nämlich auf die vielleicht nahe liegende Idee gekommen, dass doch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post am einfachsten gegen einen derartigen Missbrauch vorgehen könnte, indem sie Unternehmen, die ihren Telefonanschluss zu wettbewerbswidrigen Zwecken nutzen, die entsprechenden Rufnummern entzieht. Er ging auch davon aus, dass die Regulierungsbehörde bei dem geschilderten massenhaften Missbrauch, der letztlich die gesamte Telefaxinfrastruktur Deutschlands beeinträchtigt hatte, zum Einschreiten verpflichtet sei. Diese Ansicht veröffentlichte er in einem zweiseitigen Artikel in der Neuen Juristischen Wochenschrift. Dort kommt er zu folgendem Fazit: „Damit ist der Weg vorgezeichnet. Unerlaubte Faxwerbung ist zumindest bei der derzeitigen systematischen Massenverschickung ein Tatbestand, der ein Eingreifen der Regulierungsbehörde verlangt. Die Behörde muss hier tätig werden, zunächst mit Abmahnungen, dann mit der Androhung des Lizenzwiderrufs. […]. Der Kunde ist endlich von seinem Albtraum befreit, von Pontius zu Pilatus laufen zu müssen. Er kann und sollte neue Faxwerbung am besten gleich per Fax und mit Hinweis auf diesen Beitrag weiterleiten an die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post – Verbraucherservice –, Postfach 8001, 53105 Bonn, Telefax: 030/22480-515 […].“58
Diese Anregung wurde offenbar massenhaft befolgt. Die Regulierungsbehörde wurde mit Beschwerden und Faxen aufgebrachter Anwälte, die auf diesen Artikel Bezug nahmen, gleichsam überschwemmt. Sie hielt es allerdings zunächst für ausgeschlossen, wegen des Rufnummernmissbrauchs gegen die ___________ 57
Siehe hierzu auch Stober (Fußn. 24), S. 227 f. Thomas Hoeren, Traumjob Fotomodell? – Wie man sich gegen Faxwerbung für 0190-Abrufdienste zur Wehr setzen kann, NJW 2001, 2525, 2526. 58
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Unternehmen vorzugehen.59 Jedoch wurde durchaus die Notwendigkeit gesehen, hier ausdrückliche Befugnisse für die Regulierungsbehörde zu schaffen. Auch das für den Verbraucherschutz zuständige Bundesministerium wurde durch die Aktion aufmerksam, sah die geschilderte Entwicklung offenbar als Fehlentwicklung und als schädlich für die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes insgesamt an. Fast gleichzeitig entstand in der Öffentlichkeit zusätzlich zunehmende Verunsicherung wegen der sog. Dialer-Problematik: Über das Internet waren massenhaft unbemerkt Programme auf privaten PC installiert worden, die unbemerkt – und oft für mehrere Stunden – kostenpflichtige Verbindungen zu teuren Mehrwertdienste-Nummern aufbauten, was die Betroffenen dann erst am Monatsende wegen ihrer extrem hohen Telefonrechnung bemerkten. Wenn der Verbraucher darauf hin die Zahlung verweigerte, wurde von den Gerichten zunächst durchaus unterschiedlich beurteilt, wer die Beweislast dafür trägt, dass die Dialer-Software ohne Wissen und Wollen des Nutzers installiert worden war.60 Zahlreiche Nutzer gingen aber auch deshalb nicht gegen die überhöhten Rechnungen vor, weil sie sich nicht bloßstellen wollten. Denn die von der Dialer-Software angewählten MehrwertdienstNummern waren oft mit Telefonsex-Diensten verknüpft, so dass ein Vorgehen gegen die Telefonrechnung vielfach zugleich die Notwendigkeit begründete, gegen die Vermutung vorzugehen, dass man von derartigen Diensten regelmäßig Gebrauch machte. Das Ganze führte dazu, dass durch Gesetz vom 9. August 200361 der Regulierungsbehörde erstmals eindeutige Befugnisse zur Bekämpfung missbräuchlichen und wettbewerbswidrigen Verhaltens auf dem Telekommunikationsmarkt zugewiesen wurden.62 e) Seither wird der Verbraucherschutz im Telekommunikationsmarkt von der Regulierungsbehörde sehr ernst genommen. Dies kommt auch in ihrer außerordentlich gelungenen Selbstdarstellung im Internet zum Ausdruck.63 Dies änderte aber nichts daran, dass alsbald neue Missbrauchsvarianten entstanden, für deren Untersagung es dann erneut an den nötigen gesetzlichen Aufsichtsinstrumenten der Regulierungsbehörde fehlte. So wurden Mehrwertdienste generiert, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich an Teenager richteten und intensiv im Fernsehen und auf andere Weise beworben wurden: Für teilweise sehr ___________ 59
Vgl. Thomas Hoeren, Die Ahndung unlauterer Faxwerbung durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, NJW 2002, 1521 f. 60 Siehe hierzu die Darstellung der Rechtsentwicklung bei Jan Pohle/Joachim Dorschel, Verantwortlichkeit und Haftung für die Nutzung von Telekommunikationsanschlüssen, CR 2007, 628, 629 f. 61 Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von 0190/0900er-Mehrwertdienstenummern vom 9.8.2003 (BGBl I, S. 1590). 62 Siehe hierzu Roland Bornhofen, 20 Jahre Kundenschutz im TK-Recht – Da war doch was?, CR 2005, 736, 740. 63 www.bundesnetzagentur.de
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hohe Entgelte kann man per SMS Klingeltöne oder Spiele teilweise im Abonnement bestellen und auf sein Mobiltelefon herunterladen. Von einigen Jugendlichen wurden diese Dienste fast täglich in Anspruch genommen: Die Überraschung folgt dann am Monatsende mit der Rechnung des Diensteanbieters.64 Insgesamt fehlte bei diesen Diensten deutlich die Transparenz. Hier wurde nun im Februar 2007 ebenfalls der Gesetzgeber tätig,65 erweiterte die Pflichten der Mehrwertdiensteanbieter, aber auch erneut die Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde in diesem Zusammenhang (§ 66a ff. i.V.m. § 126 TKG [2004]).66 f) Heute kann daher von einer eigenständigen Missbrauchsbekämpfungsaufgabe der Regulierungsbehörde gesprochen werden, die darin besteht das Verhalten aller Marktteilnehmer zu überwachen und Missbräuche ggf. durch Untersagungsverfügungen zu sanktionieren. Das Neue an dieser Tätigkeit ist, dass sie sich nicht primär gegen den ehemaligen Monopolisten und sonstige marktstarke Telekommunikationsunternehmen richtet, sondern in der Praxis vor allem gegen kleinere Unternehmen, die Regelungslücken ausnutzen und immer neue Missbrauchsmöglichkeiten ersinnen.67 Diese Missbrauchsbekämpfungsund Verbraucherschutzaufgabe tritt gleichberechtigt neben die Demonopolisierungs- und die Grundversorgungssicherstellungsaufgabe und ist für die Endkunden heute wohl die sichtbarste und vielleicht auch wichtigste Tätigkeit der Regulierungsbehörde.68 ___________ 64 Zu den geschäftlichen Hintergründen: Jürgen Taeger/Edgar Rose, Informationspflichten beim Klingeltonvertrieb im M-Commerce, K & R 2007, 242. 65 Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften vom 18.2.2007 (BGBl I, S. 106). Zu den kundenschutzrechtlichen Regelungen dieses Gesetzes: Georg Gehlberg, Verbraucherschutz nach dem novellierten Telekommunikationsgesetz (TKG), GewArch 2007, 454 ff.; Marion Ehmann/Matthias Freund, Besonderer Kundenschutz und AGB-Regulierung, in: Martin Wissmann (Hrsg.), Telekommunikationsrecht, 2. Auf. 2006, Kap. 13 Rn. 93 ff.; Sörup (Fußn. 56), K Rn. 390 ff.; Taeger/Rose (Fußn. 64), S. 234 ff.; Sascha Vander, Der neue Rechtsrahmen für Mehrwertdienste, NJW 2007, S. 2580 ff.; Georgios Zagouras, Mehrwertdienste und Verbraucherschutz im TKG, NJW 2007, 1914 ff. 66 Zur Anwendbarkeit des § 126 Abs. 1 TKG auch bei Missachtung des Telekommunikations-Kundenschutzrechts: Ehmann/Freund (Fußn. 65), Kap. 13 Rn. 4, 132; Sörup (Fußn. 56), K Rn. 31, 100 f. 67 Anders die Sichtweise bei Stotz (Fußn. 43), S. 102, der die Notwendigkeit eines besonderen Verbraucherschutzes im Telekommunikationsrecht vor allem mit der überragenden Marktmacht der Deutschen Telekom AG begründet. Allerdings beziehen sich diese Ausführungen auf die Verbraucherschutzregelungen der Universaldienstrichtlinie (s. hierzu Fußn. 55). 68 Wie hier Stober (Fußn. 24), S. 228 f.; ähnlich Rolf Stober, Zum Leitbild eines modernen Regulierungsverwaltungsrechts, in: Rainer Pitschas/Arndt Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung und Politik – Festschrift für Rupert Scholz, 2007, S. 943, 972 (allerdings eher in Zusammenhang mit datenschutzrechtlichen Problemen). Demgegenüber ordnet Masing ([Fußn. 22], S. D 21, D 68 f.) die Kundenschutzaufgaben der Regu-
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g) Diese gesetzgeberischen Reaktionen verdeutlichen einen Aspekt, der in der bisherigen Diskussion zum Regulierungsrecht und zur Entwicklung eines Gewährleistungsstaates wohl nicht hinreichend beachtet worden ist.69 Wurden früher Aufgaben der Daseinsvorsorge von staatlichen Monopolunternehmen erbracht, erschien in diesem Zusammenhang kein spezifischer Kundenschutz notwendig.70 Zwar kamen natürlich auch hier Fehler und rechtswidriges Verhalten vor, jedoch war dies auch aus der Sicht der Unternehmensleitung nicht gewünscht. Vielmehr führte gerade der vielfach gerügte fehlende Anreiz zu wirtschaftlichem Verhalten dazu, dass diese Unternehmen ebenfalls keinen Anreiz dafür entwickeln mussten, sich missbräuchliche Verhaltensweisen zu Zwecken der Gewinnmaximierung auszudenken. Sie hatten Phantasie in diesem Zusammenhang gar nicht nötig. Zu Zeiten des staatlichen Fernmeldemonopols war es daher jedenfalls grundsätzlich gerechtfertigt, das Geschäftsgebaren des staatlichen Monopolisten keiner besonderen externen Kontrolle zu unterwerfen, sondern es reichte aus zu gewährleisten, dass bestimmte Leistungen durch diesen Monopolisten erbracht wurden. Dies ist nach der Liberalisierung anders: Bei privatwirtschaftlichen Unternehmen ist Gewinnmaximierung in der Regel das einzige Handlungsmotiv. Gewinnmaximierungsmöglichkeiten werden soweit wie möglich ausgereizt, ohne dass hierfür eine Rolle spielt, ob das gewinnmaximierende Handeln rechtmäßig oder rechtswidrig ist, solange das Risiko einer Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens gering ist.71 Dies führt zur Entwicklung von Geschäftsmodellen und Missbrauchsvarianten, die weder der Gesetzgeber noch die Regulierungsbehörde voraussehen kann.72 Niemand hat etwa erahnt, wie groß das Interesse bei Jugendlichen für Klingeltöne ist – nämlich so groß, dass sich offenbar mindestens zwei TV-Musiksender in Deutschland weitgehend ___________ lierungsbehörde nicht der Regulierungsverwaltung, sondern der reinen „Fachverwaltung“ zu, die tendenziell systemfremd der Bundesnetzagentur übertragen worden sei; dies passt allerdings nicht dazu, dass der Kunden- und Verbraucherschutz nach wie vor zu den Regulierungszielen des § 2 Abs. 2 Nr. 1 TKG (2004) zählt. 69 Siehe jedoch Andreas Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 266, 320 ff., der die Absicherung der Einhaltung der einschlägigen Vorgaben durch die privaten Akteure als „Achillesferse des Gewährleistungsverwaltungsrechts“ bezeichnet, dann jedoch nur sehr indirekt wirkende Kontrollmechanismen zur Verhinderung von Rechtsbrüchen benennt; ähnlich Wolfgang Weiß, Privatisierung von Staatsaufgaben, 2002, S. 301. 70 Vgl. Bornhofen (Fußn. 62), S. 736. 71 Vgl. Stober, in: Festschrift Scholz (Fußn. 68), S. 962 f. 72 So wird bereits darauf hingewiesen, dass auch das Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften vom 18.2.2007 wieder Lücken enthält, die sich bereits abzeichnende neue Missbrauchsformen ermöglichen: Zagouras (Fußn. 65), S. 1916.
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über Werbung für Klingeltonabonnements finanzieren konnten, die über Mehrwertdienst-Nummern vertrieben werden. Umgekehrt wird die Dreistigkeit vieler Unternehmen im Hinblick auf den Einsatz für den Kunden kostenpflichtiger Warteschleifen immer noch unterschätzt.73 Wird daher nach wie vor von einer staatlichen Verantwortung für eine funktionsfähige Telekommunikationsinfrastruktur ausgegangen, muss auch sichergestellt werden, dass die Funktionsfähigkeit dieser Infrastruktur nicht durch missbräuchliche Praktiken einzelner Unternehmer grundsätzlich gestört wird. Hier haben die Erfahrungen gelehrt, dass in solchen sensiblen Bereichen auch das normale Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht unzureichend ist, um die Kunden vor Missbrauch zu schützen. Die Vorgänge treten meist zugleich massenhaft und unvorhersehbar auf und können von dem einzelnen Nutzer selbst nur sehr ineffektiv bekämpft werden. Dies liegt auch an der Komplexität des Regulierungsrahmens und der hieraus folgenden Vertragsstrukturen der Diensteanbieter. Diese sind – wie etwa das erwähnte Inkasso-Abrechnungssystem – ihrerseits oft Folge der Demonopolisierungsbemühungen der Regulierungsbehörde und des Gesetzgebers, sie verwehren aber dem durchschnittlichen Kunden auch, sich selbst zu helfen.
III. Fazit Als Fazit lässt sich festhalten, dass in der Regulierungs- und Liberalisierungsdiskussion deutlicher, als dies bisher geschieht, dem Umstand Rechnung getragen werden muss, dass die Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge durch Private gegenüber der Erfüllung von Daseinsvorsorgeaufgaben durch staatliche Unternehmen spezifische Missbrauchsgefahren mit sich bringen, denen der Rechtsrahmen der Regulierung Rechnung tragen muss. Es ist verfehlt darauf zu vertrauen, dass Private die früher vom Staat selbst erbrachten Leistungen schon von sich aus in einer Weise anbieten werden, die dem Gebaren eines ordentlichen Kaufmanns entspricht. Vielmehr müssen die gesetzlichen Grundlagen berücksichtigen, dass gerade die Daseinsvorsorgeaufgaben, auf deren Erfüllung jedermann angewiesen ist, auch einen erheblichen Missbrauchsmarkt darstellen. Im deutschen Telekommunikationsrecht tragen dem die neuen Verbraucherschutzvorschriften mittlerweile (weitgehend) Rechnung, so dass sich gerade hierin die staatliche Mitverantwortung für die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen als Teil staatlicher Daseinsvorsorge ausdrückt. In anderen Bereichen des Regulierungsrechts, insbes. im Bereich der ___________ 73
Näher Zagouras (Fußn. 65), S. 1916 f.
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Postregulierung,74 scheint dieses Problem jedoch kaum wahrgenommen zu werden.
___________ 74 Vgl. hierzu Ulrich Stelkens, in: Paul Stelkens/Heinz-Joachim Bonk/Michael Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 41 Rn. 130, 208 (zum Problem der Zuverlässigkeit der Postzustellung und ihre Auswirkungen auf die Bekanntgabe von Verwaltungsakten).
Staatliche Verantwortung für die Inanspruchnahme von Raum- und Umweltressourcen Unter besonderer Berücksichtigung der Einbeziehung Privater durch Öffentlichkeitsbeteiligung in raumbedeutsame Planungsprozesse Von Hae-Ryoung Kim
I. Einleitung Zuerst soll in dieser Abhandlung auf das Thema der Aufgaben des Staates in der modernen Zeit eingegangen werden. Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Idee von der Freiheit der Bürger gegenüber dem Staat sehr stark verankert. Infolge der Idee vom liberal-bürgerlichen Rechtsstaat sollte die Aufgabe des Staates auf die Garantie der öffentlichen Sicherheit für den Bürger begrenzt werden. Für diese Staatsidee ist der Gedanken von der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft relevant. Der Staat darf nicht in die Gesellschaft, in der die normalen Bürger mit ihrer freiheitlichen Tätigkeit ihr Leben selbst gestalten können, eingreifen. Nach dieser Staatsidee sollen die vielfältigen Interessen der Menschen im freien Markt harmonisch verteilt werden. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Erweiterung der Aufgaben des Staates über die öffentliche Sicherheit hinaus gefordert. Diese Forderung resultierte selbstverständlich aus der starken Veränderung der Lebensverhältnisse des Bürgers. Die strikte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft ist nicht möglich, weil der Staat in der Gesellschaft für den Bürger eine große Rolle spielen soll. Der Staat hat nicht nur die Aufgaben im traditionellen Bereich, d. h. in dem Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zu erfüllen, sondern auch in dem Bereich der Gestaltung der Grundlagen des bürgerlichen Lebens. Dazu gehören die Aufsicht über die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Unternehmen, Daseinsvorsorge usw. Der Staat trägt eine Verantwortung für raumbezogene Entwicklungen, die für den Bürger notwendig sind. Zu dem Begriff der raumbezogenen Entwicklung gehören viele Tätigkeiten, die für den Lebensunterhalt des Menschen bedeutsam sind, z. B. die Bauvorhaben der Verkehrswege, Parken usw. Dazu ge-
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hören auch die raumplanerischen Tätigkeiten, die für die zukünftige Nutzung der Flächen erforderlich sind. Die staatliche Aufgabe umfasst heutzutage nicht nur die Bauaufsicht, sondern wurde auch auf die Koordinierung der Flächennutzung erweitert. Die raumplanerischen Tätigkeiten des Staates fanden in der Vergangenheit in einem sehr begrenzten Raum statt, da in Korea bereits vor 600 Jahren die Hauptstadt Seoul (in der Zeit der Lee Dynastie) beplant, gestaltet und die Bebauung in Seoul nach starken planerischen Vorgaben kontrolliert wurde. Aber diese alten bauplanerischen Tätigkeiten des Staates kann man nicht mit den heutigen staatlichen raumbezogenen Tätigkeiten vergleichen, weil sie nur für einen sehr begrenzten Raum angewendet worden waren. Wie in anderen Ländern ist die Geschichte der staatlichen Raumplanung in Korea nicht lang. Die Stadtplanung wurde seit Anfang der 60er Jahre in Korea eingeführt. Vor dieser Zeit war die damalige Regierung Koreas grundsätzlich nicht in der Lage gewesen, eine Stadtplanung in den großen Städten aufzustellen, weil Korea damals zuerst die Ruinen vom Koreakrieg überwinden musste.
II. Überblick über koreanische Raumplanungssysteme 1. Altes Planungssystem Im Jahr 1961 wurde das erste Stadtplanungsgesetz Koreas erlassen. Nach diesem Gesetz hatten manche großen Städte die Stadtpläne aufgestellt. Im Vergleich mit dem Stadtplan wurde die Raumplanung für das ganze Land in Korea ziemlich spät eingeführt. Das Raumplanungsgesetz wurde im Jahr 1970 erlassen. Der erste Raumplan Koreas wurde im Jahr 1971 aufgestellt. Die Raumordnungspläne unterschieden sich von denen, die für das ganze Land, die Provinzräume und die Kreisräume aufzustellen waren. Außer diesen Raumordnungsplänen gab es verschiedene Regionalpläne, die für die nach dem Raumordnungsgesetz von der Zentralregierung festgesetzten Gebieten aufgestellt wurden (wie z. B. Hauptstadt-Seoul-Umlandplan). Diese Regionalpläne waren deshalb die zweite Stufe der raumordnerischen Planung. Die unterstufigen raumordnerischen Pläne hießen Stadtpläne. Die Stadtpläne unterteilten sich in zwei Arten von Plänen, nämlich den Stadtmusterplan und den Stadtbaukontrollplan. Der Stadtmusterplan war nach Inhalt und Funktion mit dem deutschen gemeindlichen Flächennutzungsplan vergleichbar. Er enthielt die Planungsleitsätze für die Entwicklung der Stadtplanungsgebiete, die Untergliederung in Stadtplanungszonen (Wohngebiete, Gewerbegebiete, Industriegebiete und Freihalte-
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zonen usw.). Der Stadtbaukontrollplan ist nach seiner Rechtsstellung mit dem deutschen gemeindlichen Bebauungsplan vergleichbar. Ferner kann dieser Plan eine Bauplanungsentscheidung für eine Fachplanung enthalten, die im Stadtgebiet gebaut wird. In diesem Zusammenhang enthielt die Festsetzung des Stadtbebauungsplans zwei planerische Aspekte: Er war sowohl raumordnerische Planung als auch vorbereitende Planentscheidung für große Bauprojekte im Stadtgebiet. Neben dem Gesetz für Raumplanung gab es in Korea ein Mustergesetz für die Nutzung des Bodens, das Bodennutzungskontrollgesetz. Nach diesem Gesetz wurde das ganze Land in verschiedene Gebiete (Zonen) aufgeteilt, die nach ihrem Charakter festgesetzt wurden als städtische Zone, Ackerland Zone, Forstzone, Industriezone, usw. Die Verzahnung zwischen Stadtplanungsgesetz und Bodennutzungskontrollgesetz wurde in der Weise verwirklicht, dass in städtischen Zonen die Stadtpläne nach dem Stadtplanungsgesetz aufgestellt wurden. Unter der Bodennutzung nach dem altem Planungssystem wurde das ganze Land Koreas grundsätzlich in zwei Zonen aufgeteilt werden, die städtische Zone und die außerhalb von Städten befindliche Zone. Da nur in städtischen Zonen eine ausführliche Bauleitplanung aufgestellt wurde, gab es außerhalb der städtischen Zonen nur die Entwicklungsziele enthaltenden Raumpläne. 2. Erneuertes Raumplanungssystem in Korea Im Jahr 2002 wurde in Korea das Raumplanungssystem erneut geändert. Das Erneuerungsvorhaben des Planungssystems hat den Zweck, dass alle Bodennutzungstätigkeiten nur aufgrund des vorher ausführlich aufgestellten Bauleitplanes durchgeführt werden können. Das dafür neu erlassene Gesetz trat im März 2003 in Kraft. Diese grundlegende Idee ist so zu formulieren: Ohne ausführliche Planung keine Entwicklung. a) Wichtige veränderte Aspekte im neuen Planungssystem Die wichtigsten veränderten Aspekte des Planungssystems sind folgende Punkte: Jede Selbstverwaltungskörperschaft muss nach dem neuen Raumplanungsgesetz in ihrem Zuständigkeitsbereich einen Stadtbaukontrollplan aufstellen. Dies bedeutet, dass es keinen Boden in Korea gibt, wo ohne ausführlich aufgestellten Bauleitplan (Stadtbaukontrollplan) eine Bodennutzungsmaßnahme durchgeführt werden darf. Zu beachten ist die Erteilung der Befugnis zur Vorbereitung und der zur Aufstellung dieses Stadtbaukontrollplans: Die Vorbereitungsbefugnis liegt bei
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den unteren kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften, wohingegen die Aufstellungsbefugnis nur bei den oberen Selbstverwaltungskörperschaften liegt. Außerdem hat der Bau- und Verkehrsminister die Befugnis zur Festsetzung der Grünzonen (Begrenzungszonen der Entwicklung) und der Hochsiedlungszonen in der Stadt, die auch mit dem Stadtbaukontrollplan aufgestellt werden sollen. Angesicht dieser Planaufstellungsbefugnis ist zu bezweifeln, dass in Korea die Planungshoheit der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften anerkannt wird. Diese Frage soll hier nicht weiter vertieft werden. Hinsichtlich seines Inhaltes hat der Stadtbaukontrollplan verschiedene Aspekte. Im Grunde hat dieser Plan zwei wichtige Funktionen: Eine davon ist die Funktion eines Gesamtplans in jeder Gebietskörperschaft. Die andere ist die Funktion einer Standortvorentscheidung bei Großvorhaben, wie z. B. Straßen, Eisenbahn, Flughafen, Park, Markt usw., welche in § 43 dieses Gesetzes geregelt wird. Durch diesen Stadtbaukontrollplan kann jede Gebietskörperschaft ihren Zuständigkeitsbereich in Siedelungsgebiet, Agrarlandgebiet, Natur-Umweltschutzgebiet und in besonderer Bodennutzung bedürftiges Gebiet unterteilen. Die besonderer Bodennutzung bedürftigen Gebiete werden nach ihren Eigenschaften weiter in drei Teilgebiete gegliedert. Der Stadtbaukontrollplan kann im gegebenen Falle als ein präziser Stadtbebauungsplan für bestimmte Stadtblöcke aufgestellt werden. b) Starke Kontrolle der Bodennutzungsmaßnahmen Das neue Landesplanungs- und Bodennutzungsgesetz hat ein starkes Kontrollsystem für Bodennutzung statuiert. Nach diesem Gesetz sollen alle Entwicklungsmaßnahmen, ohne Berücksichtigung in welcher Bodennutzungszone sich die Fläche befindet, vom Chef der Gebietskörperschaften genehmigt werden. Die Genehmigungsbehörde kann bei dieser Genehmigung von dem Unternehmer einen Wiedergutmachungsbeitrag erzwingen. 3. Raumplanung und Umweltschutz a) Berücksichtigung der Umweltschutzbelange bei der Aufstellung der Raumplanung Heutzutage erscheint der Umweltschutz als eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Die ersten staatlichen Maßnahmen für den Umweltschutz wurden in Korea bereits Anfang der 1960er Jahre eingeführt. Im Jahr 1963 wurde das Gesetz für den Abbau der Umweltverschmutzung erlassen. Dieses Gesetz be-
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zweckte, die Umweltverschmutzung zu verhindern, die vom Betrieb einer Fabrik verursacht wurde. Daraus folgt, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung nicht nachhaltig gewesen waren. Eine vorherige bzw. übergeordnete Vorsorge für Umweltschutz konnte man damals nicht erwarten. Anfang der 1970er Jahre wurde das Thema des Umweltschutzes sehr beachtet. Im Jahr 1972 wurde das Amt für Umweltschutz neu gebildet, und das Gesetz für gute Erhaltung der Umwelt ist in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz hatten die Umweltschutzmaßnahmen des Staates im echten Sinne angefangen. Das Gesetz kann inhaltlich im Großen und Ganzen in zwei Teile geteilt werden. Der erste Teil beinhaltet die Prinzipien des Umweltschutzes und die Regelungen über den Aufbau einiger Verwaltungsorganisationen, die für den Umweltschutz zuständig sind. Im zweiten Teil wurden viele Vorschriften hinsichtlich der jeweiligen Emissionen geregelt. Dementsprechend bezeichnete man dieses Gesetz als integriertes Gesetz für Umweltschutz. Etwa 10 Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes wurde es in viele verschiedene Gesetze differenziert, nämlich das Mustergesetz für Umweltpolitik, das Gesetz für Luftreinhaltung, das Gesetz für Wasserschutz, das Gesetz für Bodenschutz usw. Seit den 1980er Jahren wurden viele andere Gesetze erlassen, z.B. das Gesetz für Abfallbeseitigung, das Gesetz für Ressourcenrecycling usw. Besonders zu nennen ist das im Jahr 1980 erlassene Gesetz für die Umweltverträglichkeitsprüfung. Dieses Gesetz wurde zur vorherigen Prüfung der Einwirkung des geplanten Bauvorhabens auf die Umwelt erlassen. Nach diesem Gesetz soll eine frühzeitige Umweltverträglichkeitsprüfung nur bei den Bauvorhaben durchgeführt werden, die in diesem Gesetz genannt werden. In den verschiedenen Landesplanungen sollen die umweltschützenden Belange sehr sorgfältig berücksichtigt werden. Deshalb enthalten manche Planungsgesetze Koreas Umweltschutzklauseln. § 2 des koreanischen Rahmengesetzes für Raumordnung schreibt Folgendes vor: Raumplanungen sollen eine nachhaltige Entwicklung des Landes und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende Bodennutzung gewährleisten und dazu beitragen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Umwelt zu schützen. Bei der planerischen Abwägung ist es nötig, dass alles für die Planung Wichtige bekannt und untersucht worden ist und dass alle Interessen untereinander abgewogen worden sind. Nach dem koreanischen Gesetz für die Umweltverträglichkeitsprüfung kann diese Prüfung vom Unternehmer mit eigenen Finanzmitteln finanziert und nur in dem Zeitpunkt durchgeführt werden, wenn die konkrete Durchführungsplanung des jeweiligen Projektes zustande kommt. Das erscheint mir zu spät, um effektiven Umweltschutz zu verwirklichen, weil die wichtigsten Aspekte für Bauvorhaben bereits bei der Aufstellung des Stadtbaumanagementplans entschieden werden.
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Die Umweltschutzbelange wurden besonders in dem Rahmengesetz für Raumordnung hervorgehoben. § 3 Rahmengesetz zur Umweltschutzpolitik schreibt auch wie folgt vor: Bei Raumplanungen und Bodennutzungen sind schädliche Umwelteinwirkungen auf Menschen und auf schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich zu vermeiden. In neuen Planungsgesetzen Koreas sind die Umweltschutzanforderungen deutlich geregelt. Hinzu kam die Entwicklung und Steigerung des Umweltbewusstseins in der Bevölkerung. Aber es erscheint noch nötig, dass Abwägungsklauseln in die Planungsgesetze eingefügt werden. Damit könnten der Abwägungsvorgang neben der Planung besonders beachtet und die Kontrollmaßstäbe des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses in Korea sichergestellt werden. Die Abwägungsfehlerlehre ist der koreanischen Rechtsprechung immer noch fremd. Die Berücksichtigung der Umweltschutzbelange in dem Aufstellungsverfahren der Landesplanung bedeutet, dass die Umweltschutzbelange frühzeitig bei der Landesentwicklung berücksichtigt werden können. In diesem Sinne wurden in dem neu erlassenen Rahmengesetz für Raumordnung einige Vorschriften eingefügt, welche die noch frühzeitigere Berücksichtigung der Umweltschutzbelange bei der Aufstellung der Raumplanungen betonen. Da die Entwicklungsmaßnahmen und der Umweltschutz untereinander harmonisiert werden sollen, haben diese Vorschriften hohe Bedeutung. Die vorherige Überprüfung der Umwelteinwirkung, die auf der Stufe der Raumplanungen durchgeführt werden soll, wird in Korea als eine strategische-vorherige UVP bezeichnet. Angesichts der Funktionen der Landesplanung und der Stadtbaukontrollplanung ist es erforderlich, dass eine umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Aufstellung dieser Raumplanung durchgeführt wird. Der Stadtbaukontrollplan hat nicht nur die Funktion eines Zielplans für jeweiligen Gebietskörperschaften, sondern auch die Funktion eines Standortvorentscheidungsplans bezüglich der Großprojekte. b) Unzureichende Verzahnung zwischen der gesamten Landesplanung und der Fachplanung In Korea wurde seit den 1960er Jahren die Planungsverwaltung praktiziert. Jede Verwaltungsbehörde stellt ihren Aufgaben entsprechende Pläne auf, die als Fachplan zu nennen sind. In den gesetzlichen Vorschriften wird geregelt, dass die fachplanerischen Inhalte in die Landesplanung eingeführt werden und dafür die Fachbehörden bei der Aufstellung der Landesplanung mitwirken sollen. Aber der Mitwirkungsvorgang zwischen verschiedenen Behörden funktioniert nicht so gut, wie man erwartet hatte.
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Hier ist nur ein Beispiel zu nennen, dass in jüngster Zeit vier Sondergesetze für große Flüsse (Han Fluss, Nakdong Fluss, Kum Fluss, usw.) erlassen worden sind. Nach diesen Gesetzen sollen Gelände, die vom Flussrand weniger als 1 km entfernt sind, als Flussrandschutzgebiet festgesetzt werden. Solche Festsetzung von Flussrandschutzgebieten erscheint mir nicht gerecht, weil bei der Festsetzung dieser Gebiete viele Aspekte der jeweiligen Flüsse nicht berücksichtigt werden. Eine starre Begrenzung auf 1 km ist in vielen Fällen wenig sinnvoll. Diese Sondergebiete nach einzelnen Gesetzen sollten unter Berücksichtigung des raumplanerischen Zielplans nach dem jeweiligen Charakter der Gebiete festgesetzt werden. 4. Beteiligung des Bürgers an der Raumplanung a) Die in Planungsgesetzen vorgeschriebenen Beteiligungsmöglichkeiten Zur Zeit ist in Korea die Beteiligungsmöglichkeit des Bürgers an dem Aufstellungsverfahren der Landesplanungen gering. Dies wird in den neuen Planungsgesetzen nicht geändert. Die frühzeitige Beteiligung an dem Aufstellungsverfahren des Landesplans ist in vielen Aspekten sehr sinnvoll. Zuerst kann sie dazu beitragen, dass die Planer bei der planerischen Abwägung wichtige Aspekte aufdecken. Zweitens spielt die Beteiligung als eine frühzeitige Rechtsschutzmöglichkeit für die Betroffenen eine große Rolle, in deren Rechte durch die Planungen eingegriffen wird. Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass sie ein wichtiges Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen verschiedenen Interessengruppen sein kann. Wenn die verschiedenen Interessengruppen an dem Aufstellungsverfahren der Landespläne teilnehmen würden, könnten sie genauere Informationen über die Sachverhalte der Planung erhalten und zu den Problemen der Planung ein besseres Verständnis bekommen. Im neuen Gesetz für Raumplanung und Bodennutzung wird nur geregelt, dass dem Bürger lediglich die Gelegenheit gegeben wird, seine Meinung über die Planungsentwürfe gegenüber der zuständigen Behörde zu äußern. Das ist für den Rechtsschutz gegen Planungen nicht ausreichend. Deshalb erscheint es erforderlich, dass vor allem für den Stadtbaukontrollplan ein Anhörungsverfahren eingeführt wird, weil dieser Plan bereits ein Bauleitplan für das jeweilige Gebiet ist und gegebenenfalls ein Standortentscheidungsplan für bestimmte Vorhaben ist. Der Beteiligung des Bürgers an der Aufstellung des Landesplans dient auch das Gesetz für Bekanntmachung der Verwaltungsinformationen. Aber es gibt keine Vorschriften für die Verzahnung des Landesplanungsrechtssystems und des Rechtssystems für Bekanntmachung der Verwaltungsinformationen.
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In den Planungsgesetzen gibt es keine Vorschriften, nach denen Anhörungsverfahren vorgeschrieben sind. Das Gesetz für Raumordnung und Bodennutzung hat dem normalen Bürger nur die Gelegenheit gegeben, bei der Aufstellung der Planung schriftlich Einwendungen zu erheben. Und zwar hat der Stadtrat nur die Möglichkeit, über den Stadtplan von der Stadtverwaltung anzuhören und dadurch seine eigene Meinung äußern zu können. Unter diesen Umständen ist es nur sehr eingeschränkt möglich, dass der normale Bürger bei der Planentscheidung Einwendungen erheben kann. Noch schlimmer ist es bei der sog. Fachplanung. Der Name der Fachplanung wird in Korea nicht einheitlich benutzt. Wenn eine einzelne Entscheidung für die Durchführung jeweiliger Projekte gemeint ist, kann der Begriff der Fachplanung in Korea ohne weiteres benutzt werden. Bei den einzelnen Vorschriften, nach denen ein Fachplan aufzustellen ist, gibt es keine ausreichenden Beteiligungsmöglichkeiten des Bürgers. Dafür ist ein Beispiel zu nennen. In jüngster Zeit in Korea ergab sich eine sehr hektisch diskutierte Rechtstreitigkeit über den Bau eines Staudamms. Dieser Staudamm liegt an der Westküste in der Provinz Chunra (Semangum), die etwa 300 km von Seoul entfernt ist. Dieser sog. Semangum-Staudamm wurde vom Ministerium für Agrar zum Zwecke der Ackerlandbeschaffung genehmigt. Bei diesem nach dem Gesetz für Ackerland durchgeführten Genehmigungsverfahren fand keine Bürgerbeteiligung statt. Aufgrund dieser Genehmigung wurde der Staudammbau sehr weitgehend durchgeführt. Während dieser Staudammbauarbeit hatten die Nachbarn und viele Umweltschutzverbände bei dem erstinstanzlichen Gericht einen Antrag gestellt, die Bauarbeiten an dem Staudamm einstellen zu lassen. Diese Kläger behaupteten, dass der Staudammbau angesichts der davon ausgehenden Umwelteinwirkungen und seines Bauzwecks unnötig sei. Daneben beantragte der Kläger die Durchführung der UVP. Im Jahr 2005 hat der Kläger wegen der mangelnden Berücksichtigung der Umwelteinwirkung in der ersten Instanz gewonnen und dadurch wurde der Staudammbau eingestellt. Der Landwirtschaftsminister hatte bei dem oberen Gericht Berufung eingelegt und das Berufungsverfahren gewonnen. Diese Rechtsstreitigkeit wurde endlich beim Obersten Gericht Koreas entschieden. Nach dessen Entscheidung können die Bauarbeiten weiter durchgeführt werden. Bei diesem Fall hat man die wichtige Erfahrung gewonnen, dass für solche raumbedeutsamen und umweltbelastenden Großvorhaben ein förmliches Entscheidungsverfahren, wie das Planfeststellungsverfahren bzw. Plangenehmigungsverfahren in Deutschland, durchgeführt werden soll. Für solche Projekte ist in Korea heutzutage eine UVP durchzuführen. Aber bei dem UVP-Verfahren findet keine Bürgerbeteiligung statt.
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Hinsichtlich der Bürgerbeteiligung bei der Aufstellung des Städtebaukontrollplans hat die Bewegung der Umweltschutzverbände noch größere Bedeutung. In Korea spielen viele altruistische Verbände für Umweltschutz eine große Rolle. Viele Umweltschutzexperten sind Mitglieder dieser Verbände. Es gibt kein Instrument im koreanischen Recht, das den Umweltschutzverbänden eine Sonderstellung bei der Beteiligung am Planungsverfahren zuerkennt. Die Verbandsklage ist in Korea auch fremd. b) Beteiligungsmöglichkeit des Bürgers nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz Koreas In Bezug auf die Verwaltungsentscheidung für raumbedeutsame Projekte ergibt sich die Frage, wie diese Entscheidung zustande kommt. Das Verwaltungsverfahrensgesetz Koreas trat im Jahr 1997 in Kraft. Nach diesem Gesetz soll ein Anhörungsverfahren für belastende Verwaltungsakte (VA) durchgeführt werden. Dieses Gesetz ist für die Aufstellung der Raumplanung subsidiär anwendbar. Da in Korea für den Stadtbaukontrollplan vom Obersten Gericht Koreas der Rechtscharakter als VA anerkannt wurde, ergibt sich hier die Frage, ob beim Planungsverfahren des Stadtbaukontrollplans das Anhörungsverfahren nach dem VwVfG Koreas durchgeführt werden soll. Hinsichtlich der belastenden Einwirkung des Stadtbaukontrollplanes gegenüber den Bürgern erscheint es notwendig, das Anhörungsverfahren durchzuführen. Aber in der Praxis findet das Anhörungsverfahren bei dieser Planung nicht statt. In Korea wird es als üblich angesehen, für die Planung nicht das Anhörungsverfahren des VwVfG Koreas anzuwenden. Dieser Gedanke bezieht sich auf den nicht verwirklichten Versuch, das Planfeststellungsverfahren im VwVfG einzuführen. Demzufolge wird jede Planung nur nach den in den jeweiligen Gesetzen vorgeschriebenen Verfahrensvorschriften aufgestellt. Nach dem koreanischen VwVfG gibt es noch eine andere Verfahrensform, an der sich der Bürger beteiligen kann. Es ist das Verfahren öffentlicher Beratung für das jeweilige Verwaltungshandeln, das für das Leben des Bürgers von Bedeutung ist. Aber bei diesem Verfahren unterscheidet sich die Beteiligung der Betroffenen der Verwaltungsentscheidung nicht von der Beteiligung der Allgemeinheit. An diesem Verfahren nehmen viele Experten teil, und normalerweise wird nur diesen Leuten die Gelegenheit gegeben werden, über die Entscheidungsgegenstände zu sprechen. Deshalb erscheint dieses Verfahren öffentlicher Beratung manchmal als eine „begnadigende Funktion“ der Verwaltung. Die „begnadigende Funktion“ dieses Verfahrens ergibt sich daraus, dass die Verwaltung durch dieses Verfahren über die Entscheidungsgegenstände öffentlich gehört hatte.
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c) Beteiligungsmöglichkeit des Bürgers nach dem Gesetz für kommunale Selbstverwaltung In jüngerer Zeit wurden für das Recht des Einwohners relevante Vorschriften in das Gesetz für kommunale Selbstverwaltung eingefügt. Diese Vorschriften enthalten Folgendes: Die Einwohnerentscheidung (§ 14 Gesetz für kommunale Selbstverwaltung), die Einwohnerinitiative für eine Satzung (§ 15), den Anspruch des Einwohners auf die Durchführung der Inspektion von Aufsichtsbehörden (§ 16), die Einwohnerklage gegen die rechtswidrige Aufgabenerfüllung des Bürgermeisters (§ 17) und den Anspruch des Einwohners auf Abberufung des auf kommunaler Ebene gewählten Beamten (§ 20). Die Einwohnerentscheidung kann durchgeführt werden, wenn der Bürgermeister für die Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe, die für das Leben des Einwohners sehr bedeutsam ist, diese Einwohnerentscheidung vorgeschlagen hat. Da die Inhalte der Stadtpläne für den Einwohner sehr bedeutsam sein können, ist es möglich, dem Bürgermeister der jeweiligen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften diese Einwohnerentscheidung vorzuschlagen. Durch diese Einwohnerentscheidung findet die Einbeziehung Privater bei der Raumplanung statt. Die Bürgerinitiative auf Erlass einer Satzung ist nicht bei der Stadtplanung anzuwenden, weil die Raumpläne und die Stadtpläne in Korea nicht in der Form einer Satzung aufgestellt werden. Der Anspruch des Einwohners auf die Durchführung der Inspektion durch die Aufsichtsbehörde nach § 16 Gesetz für kommunale Selbstverwaltung ist als ein Weg zur Einbeziehung des Einwohners bei der Raumplanung einzuordnen. Diesen Anspruch können die Einwohner, wenn die in einer Satzung vorgeschriebene Zahl erreicht ist, beantragen. Die Gegenstände dieses Anspruchs sind die rechtswidrigen Tätigkeiten der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften. Deshalb kann man diesen Anspruch gegen die als rechtswidrig erscheinende Raumplanung beantragen. Als ein Begehrensmittel des Einwohners gegen die rechtswidrige Raumplanung ist auch die Einwohnerklage nach § 17 Gesetz für kommunale Selbstverwaltung sehr nützlich. Diese Klage kann der Einwohner vor Gericht erheben, wenn der Anspruch auf die oben genannte Inspektion nicht zufriedenstellend erfüllt wurde. Demzufolge kann man gegen die Raumpläne Einwohnerklage erheben, wenn sie nach der Inspektion der Aufsichtsbehörde unklar erscheinen. Zuletzt zu erwähnen ist die Zurückrufung des auf kommunaler Ebene gewählten Beamten. Der Einwohner kann bei der Wahlkommission einen Antrag auf Abberufung stellen, wenn die Abberufungsvoraussetzung erfüllt ist. Das Gesetz schreibt für den Anspruch des Einwohners auf diese Abberufung keine materiellen Voraussetzungen vor. Dieses Gesetz stößt auf starke Kritik, weil der Anspruch auf Abrufung des kommunalen Beamten unnötig sein kann. Die-
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ser Anspruch des Bürgers ist für die gerechte Aufstellung der Raumpläne von großer Bedeutung. d) Einbeziehung Privater durch NGOs In jüngerer Zeit konnten viele NGOs, wie Umweltschutzverbände, sich bei der Aufstellung der raumbedeutsamen Planung und Projekte sehr engagieren. Diese NGOs hatten im Vergleich zu den normalen Bürgern viele Informationen und Kenntnisse über die aufzustellenden Pläne bzw. Projekte. Obwohl diese NGOs nach den gesetzlichen Vorschriften nur als Allgemeinheit anzusehen sind, engagieren sie sich bei Aufstellungsverfahren der raumbedeutsamen und umweltrelevanten Vorhaben sehr stark. Hier ist ein Beispielsfall zu nennen, in dem einige Umweltschutzverbände auf das Bauvorhaben einer Schnellzugstrecke von Seoul bis Pusan sehr großen Einfluss hatten. Ein Plan für den Tunnelbau auf dieser Schnellzugstrecke beim Chun-sung Berg in der Nähe von der Stadt Pusan wurde vom Bauministerium ohne bemerkenswerte Bürgerbeteiligung entschieden. Gegen diesen Tunnelbau sind einige Umweltschutzverbände, Mönche eines buddhistischen Tempels und viele Nachbarn dieses Bauvorhabens vor Gericht gegangen und haben dessen Einstellung beantragt. Ein Kläger davon war der so genannte „Freund der Frösche“. Die Klage der Umweltschutzverbände wurde mangels Klagebefugnis abgelehnt. Aber das Gericht hatte dem Antrag der Mönche des buddhistischen Tempels stattgegeben und die Einstellung des Tunnelbaus angeordnet. Viele Umweltschutzverbände und einige Mönche behaupteten eine Pflicht zur UVP für das Bauvorhaben. Diese Rechtsstreitigkeiten dauerten etwa 3 Jahre lang, und die Tunnelbauarbeiten können endlich nach dem Urteil des Obersten Gerichts weiter durchgeführt werden. Dieser Fall ist nur ein Beispiel dafür, dass die NGOs heutzutage einen sehr starken Einfluss auf die raumbedeutsamen Planungsentscheidungen haben. e) Mitwirkung des Bürgers nach dem Neuen Steuerungsmodell (PPP) Wie oben erwähnt wurde, ist es sehr schwierig, als normaler Bürger bei den Aufstellungsverfahren teilzunehmen. Der Bürger hat nur die Gelegenheit, seine eigene Meinung schriftlich zu äußern. Angesichts der mangelnden Informationen über die Pläne kann der Bürger diese Gelegenheit nur unzureichend nutzen. Aber unter dem Namen des Neuen Steuerungsmodells (new governance) ergibt sich in jüngerer Zeit die Tendenz in Korea, den Bürger für die Verwaltung heranzuziehen. Seit Bildung der heutigen Regierung Koreas, die sich selbst eine Partizipationsregierung des Bürgers nennt, wurden viele Sonderkommissio-
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nen bei den verschiedenen Verwaltungsebenen aufgebaut. In diesen Sonderkommissionen nehmen viele Private als Kommissionsmitglieder teil. Beim Staatspräsidenten gibt es heutzutage über 20 Sonderkommissionen, die entweder gesetzliche Grundlagen haben oder nicht. Beim jeweiligen Verwaltungsapparat gibt es heutzutage ein oder zwei Sonderkommissionen. Diese Kommissionen spielen als Berater oder Entscheidungshilfsorgan eine Rolle. Für die Aufstellung der Raumplanungen wurde eine solche Sonderkommission durch gesetzliche Vorschriften eingeführt. Vor der Aufstellung der Raumordnung für das ganze Land soll der Planentwurf von der beim Ministerium für Bau und Transport gebildeten Kommission für Raumordnung behandelt werden. Etwa die Hälfte der Mitglieder dieser Kommission sind Private. Für die Aufstellung der Stadtpläne spielt die Stadtplankommission eine sehr große Rolle. Diese Kommissionsmitglieder werden aus verschiedenen Fachbereichen von dem Oberbürgermeister ernannt. Diese Stadtplankommission hat im Vergleich zum Stadtrat mehr Macht bei der Aufstellung der Stadtplanung. Deshalb versuchten einige Kommunalräte eine Satzung für die Ernennung dieser Kommissionsmitglieder zu erlassen. Diese Satzungen wurden von den Oberbürgermeistern der jeweiligen Großstädte nach § 159 Abs. 2 des koreanischen Gesetzes für kommunale Selbstverwaltung vor dem Obersten Gericht angegriffen und von diesem für rechtswidrig erklärt. Das Oberste Gericht sieht die Zuständigkeit zur Ernennung dieser Kommissionsmitglieder nicht in dem Zuständigkeitsbereich des Stadtrates liegen. Unter diesen Umständen ist wie folgt zusammenzufassen: In Korea gibt es verschiedene Wege, mit denen Private an der Aufstellung raumbedeutsamer Planungen mitwirken können. Angesichts ihrer positiven Rolle bekommen die NGOs heutzutage von der Regierung viele Geldzuschüsse. Die Teilnahme vieler Privater an Sonderkommissionen ist auch ein guter Weg, den Bürger an der Verwaltung teilnehmen zu lassen. Es gibt viele Zweifel daran, ob als NGOMitglieder an einer Sonderkommission teilnehmende Private die Interessen und Meinungen der normalen Bürger vertreten können. Die Tätigkeiten der NGOs beziehen sich auf die Idee des Neuen Steuerungsmodells (New Public Management). Das Neue Steuerungsmodell wird heutzutage in Korea angewendet. Soweit die Mitwirkung des Bürgers bei der Verwaltung ein wichtiger Aspekt dieses Neuen Steuerungsmodells ist, soll dieser Aspekt durch verfahrensrechtliche Regelungen realisiert werden. Aber die rechtliche Basis für die Mitwirkung des Bürgers bei der Verwaltung ist noch nicht genug ausgebaut. Dieser Aspekt kann teilweise durch die Heranziehung der Privaten als Mitglieder verschiedener Kommissionen realisieren werden. Aber bei diesem Weg gibt es das Problem, dass nur die Leute von der Verwaltung als Kommissionsmitglieder berufen werden, die persönlich als Befürworter gegenüber der Verwaltung gelten.
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Die Tätigkeiten der NGOs sind also sicherlich ein Weg zur Mitwirkung des Bürgers bei der Verwaltung. Diese Tätigkeiten gewinnen heutzutage mit Hilfe des Gesetzes für Bekanntmachung der Verwaltungsinformation eine hohe Bedeutung. Nach diesem Gesetz kann man die Bekanntmachung der Verwaltungsinformationen beanspruchen, soweit dies nicht gesetzlich verboten ist. Die NGOs können mit den von der Verwaltung gegebenen Informationen ihre eigene Auffassung bilden und die Verwaltung auffordern, sie anzunehmen. Die NGOs können mit dem Bürger gemeinsam Klage erheben, soweit die Verwaltung durch VA in die Rechte des Bürgers eingegriffen hat. Obwohl die NGOs keine verletzten rechtsschützenden Interessen haben, können sie im Wege der Beihilfe für den Betroffenen Klage erheben und bei Verwaltungsprozessen mitwirken. Unter diesen Umständen kann die Verwaltung die Tätigkeiten der NGOs nicht außer Acht lassen. f) Einbeziehung Privater durch Privatisierung der Raumplanung Privatisierung ist auch als ein Aspekt des Neuen Steuerungsmodells anzusehen. In Korea ist es üblich, dass der Planentwurf einer Raumplanung von Privaten erarbeitet wird. Den Auftrag für diese Arbeit kann man als ein Mittel der Privatisierung nennen, obwohl die Kompetenz für die Aufstellung der Raumplanung bei der Verwaltung liegt. Durch die Entwicklung der Planungsidee kann sich der Private in der Tat sehr bei der Aufstellung der Raumplanung engagieren. 5. Aufbau des effektiven Rechtsschutzsystems: die Rolle der gerichtlichen Kontrolle Meines Erachtens steht die Einbeziehung Privater in die Verwaltung mit der gerichtlichen Kontrolle der Planungen in enger Beziehung. Die Klagemöglichkeiten des Bürgers, dessen verfahrensrechtlichen Interessen verletzt wurden, sind für die Mitwirkung der Privaten an der Verwaltung von großer Bedeutung. Nicht zuletzt erwähnen möchte ich, dass auch die Klagearten bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch eine wichtige Rolle spielen. Die Einführung der abstrakten Normenkontrolle hat sicherlich einen großen Einfluss bei der Aufstellung der Raumplanungen, die den Rechtscharakter einer Rechtsverordnung haben. Man kann sagen, dass in der Mitte der 70er Jahre die Einführung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO in Deutschland auf die Aufstellung des gemeindlichen Bebauungsplans (Satzung) einen großen Einfluss genommen hatte. Diese Klagemöglichkeiten des Bürgers gegen die Raumplanung erweitern die Gelegenheiten, mit denen der Bürger mehr Informationen über die Planung erhalten und die Mitwirkung an der Verwaltung vergrößern kann.
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Der koreanischen Verwaltungsgerichtsordnung ist das abstrakte Normenkontrollverfahren fremd. Die Verpflichtungsklage, die allgemeine Leistungsklage und die vorbeugende Klage sind auch nicht anerkannt. Deshalb ist das Rechtsschutzsystem nicht ausreichend, den Rechtsschutz des Bürgers zu erfüllen. Im Jahr 2003 wurde ein Forschungskomitee bei dem Obersten Gericht Koreas gebildet, um die KVwGO zu erneuern. Dieses Komitee hatte im Oktober 2004 einen Novellierungsentwurf der VwGO aufgestellt. Ein Schwerpunkt bei diesem Novellierungsentwurf der KVwGO liegt darin, das System der Klagearten umzuformulieren. Die zwei wichtigsten Aspekte sind die Einführung der Verpflichtungsklage und des verwaltungsgerichtlichen abstrakten Normenkontrollverfahrens. Der Novellierungsentwurf der koreanischen VwGO versuchte zuerst die Vermehrung der Klagegegenstände durch die Erweiterung des Begriffes VA. Eine sehr hektische Debatte dreht sich heutzutage um den Versuch zur Einbeziehung der untergesetzlichen Rechtsnormen in den Begriff der VA. Gesichtspunkte der Befürworter dieses Versuchs sind wie folgt darzustellen: Zuerst ist die Rechtsverordnung eine Form des Verwaltungshandelns und hat einen Doppelcharakter als Rechtssetzungs- und als Rechtsanwendungsinstrument. Zweitens hat die Anfechtungsklage gegenüber dem VA nicht nur den Charakter einer Gestaltungsklage, sondern auch den einer Feststellungsklage. Aber diese Argumentation stößt auf starke Kritik. Die Kritik ist wie folgt zusammenzufassen: Vor allem könnte der Versuch, die Rechtsverordnung in den Begriff des VAs einzubeziehen, auf das Verwaltungsrechtssystem eine sehr verwirrende Wirkung mit sich bringen. Die Rechtsverordnung als Rechtssetzungsakt hat nämlich eine allgemeine Bindungswirkung. Demgegenüber ist der Verwaltungsakt eine Regelung für einzelne konkrete Fälle. Das Beteiligungsrecht des Bürgers bei der Raumplanung kann nur durch eine zum Rechtsschutz des Bürgers gut ausgebaute Verwaltungsgerichtsbarkeit garantiert werden. Das Parlament trägt die Verantwortung zum Aufbau der guten Verwaltungsgerichtsbarkeit in Korea.
Die Einbeziehung Privater durch Öffentlichkeitsbeteiligung in raumbedeutsame Planungsprozesse Von Annette Guckelberger
Die Planung des Raumes erfolgt in Deutschland in einem Mehrebenensystem.1 Die räumliche Gesamtplanung setzt sich aus der überörtlichen Raumordnung und der gemeindlichen örtlichen Bauleitplanung zusammen.2 Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ROG sind der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume durch zusammenfassende, übergeordnete Raumordnungspläne und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern. Anzustreben ist eine nachhaltige Raumentwicklung, welche die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Ausgleich bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt (§ 1 Abs. 2 S. 1 ROG). Kennzeichnend für die Raumordnung ist also ihre Überörtlichkeit, da der zu überplanende Raum und die zu gestaltenden Gesichtspunkte über die Gemeindeebene hinausreichen.3 Außerdem ist sie überfachlich, da sie sich auf die räumliche Gesamtstruktur bezieht und als Rahmenplanung den Flächenbedarf unterschiedlicher Fachplanungsträger koordiniert.4 Die überörtliche räumliche Gesamtplanung ist zu einem geringen Teil Sache des Bundes und überwiegend Angelegenheit der Länder.5 Weil mit wenigen Ausnahmen die Gebiete der Gliedstaaten großflächig sind, erfolgt deren räum___________ 1
Siehe dazu Battis/Kersten, DVBl 2007, 152, 157; Guckelberger, DÖV 2006, 973. Hoppe, in: ders./Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 2004, § 1 Rn. 2; Peters, VR 2006, 401. 3 Battis/Kersten, DVBl 2007, 152, 153; Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, 4. Aufl. 2004, § 1 Rn. 8; Ziekow NuR 2002, 701, 702. 4 Battis/Kersten DVBl 2007, 152, 153; Graf, Die Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie im Raumordnungsrecht des Bundes und der Länder, 2006, S. 27; Ziekow, NuR 2002, 701, 702. 5 Graf (Fn. 4), S. 66; Peters, VR 2006, 401; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 3. Aufl. 2005, Rn. 217; s. zu den Kompetenzen für die Raumordnung nach der Föderalismusreform Battis/Kersten, DVBl 2007, 152 ff.; Hoppe, DVBl 2007, 144 ff.; Spannowsky, UPR 2007, 41 ff. 2
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liche Gesamtplanung in der Regel in zwei Schritten. Für das gesamte Landesgebiet ist ein zusammenfassender und übergeordneter Raumordnungsplan aufzustellen (§ 8 Abs. 1 ROG). Meistens werden diese hochstufigen Raumordnungspläne als Landesentwicklungsplan, Landesentwicklungsprogramm oder Landesraumordnungsprogramm bezeichnet und von dem dafür fachlich zuständigen Landesministerium als oberste Landesplanungsbehörde aufgestellt.6 Nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 ROG sind die Länder verpflichtet, so genannte Regionalpläne für Teilräume des Landesgebiets aus ihrem höherstufigen Raumordnungsplan zu entwickeln. In der Mehrzahl der Länder erfolgt die Regionalplanung durch Planungsverbände und Planungsgemeinschaften, welche sich meistens aus Vertretern von Kommunen und Landkreisen zusammensetzen.7 Die Regionalpläne enthalten und koordinieren die für die jeweilige Region bedeutsamen Fachplanungen und Nutzungsvorstellungen. Sie machen unter anderem Aussagen zur intendierten Siedlungs- und Freiraumstruktur, zu den zu sichernden Standorten und Trassen für Infrastrukturvorhaben und legen Vorranggebiete oder Vorrangstandorte für besonders wichtige oder schützenswerte Nutzungen wie für die Siedlungsentwicklung, den Naturschutz, die Rohstoffgewinnung oder die Windenergie fest.8 Auch wenn der Inhalt der Regionalpläne schon präziser ist, ist der Detaillierungsgrad der Raumplanung grundsätzlich grobmaschig und auf Bestimmungen mit Grundsatz- oder Richtliniencharakter beschränkt.9 Deshalb entfalten die Regionalpläne nach herkömmlicher Meinung für die Bürger selbst keine Verbindlichkeit. Erst durch die kommunale Bauleitplanung, die Fachplanung oder eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer raumbedeutsamen Maßnahme erlangen ihre Aussagen sozusagen mittelbar für einzelne Vorhaben Wirksamkeit.10 Den Gemeinden obliegt es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in ihrem Gebiet durch Bauleitpläne vorzubereiten und zu leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB). Der Bauleitplanung liegt gemäß § 1 Abs. 2 BauGB ebenfalls ein zweistufiges System zu Grunde. Im Flächennutzungsplan wird zunächst für das gesamte Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebauliche Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung in den Grundzügen dargestellt. Der Flächennutzungsplan statuiert einen grobmaschigen Rahmen, der im Zuge der Bebauungsplanung weiter auszufüllen und deshalb nur vorbe___________ 6 Peters, VR 2006, 401, 402; Ziekow, Neueste Entwicklungen der mehrstufigen raumbezogenen Gesamtplanung in Deutschland, Public Land Law Review (Korea) 24 (2004), 1 ff. 7 Groß, DWW 2006, 104, 105; Ziekow (Fn. 6). 8 Groß, DWW 2006, 104, 105. 9 Graf (Fn. 4), S. 143; Ziekow, NuR 2002, 701, 702. 10 Groß, DWW 2006, 104, 105; Ziekow, NuR 2002, 701, 702; s. auch Graf (Fn. 4), S. 144.
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reitender Natur ist.11 Als letztes Glied in der Planungskette enthält der Bebauungsplan die Feinplanung. In ihm wird verbindlich und parzellenscharf festgelegt, welcher Nutzung die Grundstücke im Gemeindegebiet zugeführt werden dürfen.12 Als Satzung entfaltet der Bebauungsplan notwendigerweise Außenverbindlichkeit gegenüber den Bürgern (§ 10 BauGB). Je größer der Planungsraum, desto grobmaschiger fallen in der Regel die jeweiligen Planungsaussagen aus. Denn auch noch auf der untersten räumlichen Planungsebene ist eine gestalterische und abwägende Planungsentscheidung zu treffen. Sofern noch ausreichend Spielräume für die nächste Stufe vorhanden sind, schließt dies vereinzelte präzise Vorgaben der übergeordneten Ebene nicht aus. Dementsprechend hatte das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 2005 keine Bedenken gegenüber einer punktuellen Vollregelung in einem Flächennutzungsplan.13 Die verschiedenen Planungsebenen stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr muss die jeweils niedrigere Ebene die Planvorgaben der höheren Ebene übernehmen und, soweit ihr ein diesbezüglicher Spielraum überlassen wird, diese näher ausdifferenzieren. Der Regionalplanung kommt eine vermittelnde Funktion zwischen der hochstufigen Landesraumordnung und der gemeindlichen Bauleitplanung zu.14 Der gemeindliche Flächennutzungsplan stellt wiederum ein wichtiges Bindeglied zur überörtlichen Planungsebene dar, welche nach § 1 Abs. 4 BauGB in den örtlichen Bereich zu integrieren und zu transformieren ist.15 Angesichts der Mehrstufigkeit der räumlichen Gesamtplanung soll nachfolgend insbesondere untersucht werden, welche Beteiligungsmöglichkeiten für Private bei der überörtlichen Raumplanung und der örtlichen Bauleitplanung bestehen. Erst in den letzten Jahren wurde im Hinblick auf Art. 7 der AarhusKonvention (AK)16 sowie in Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUPRL)17 auch für die überörtliche Raumordnung die grundsätzliche Verpflichtung der Planungsträger zur Konsultation der Öffentlichkeit bei ihren Planungen ___________ 11
BVerwG NVwZ-RR 2003, 406; DVBl 2005, 1583, 1585 f.; s. auch Guckelberger, DÖV 2006, 973, 974. 12 BVerwGE 48, 70, 73; Guckelberger, DÖV 2006, 973. 13 BVerwG DVBl 2005, 1583, 1585; s. dazu Guckelberger, DÖV 2006, 973, 979 f. 14 Groß, DWW 2006, 104; Jacoby, Die Strategische Umweltprüfung (SUP) in der Raumplanung, 2000, S. 239; Ziekow, in: ders., Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, 1999, S. 9, 17. 15 BVerwG BauR 2000, 695, 696; Stollmann, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2007, § 4 Rn. 10; Stüer (Fn. 5), Rn. 237. 16 Siehe zur Aarhus-Konvention v. Danwitz, NVwZ 2004, 272 ff.; Durner/Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Arhus-Konvention, 2005; Jeder, JUTR 2002, 145 ff.; Scheyli, AVR 38 (2000), 217 ff. 17 ABl. EG 2001 Nr. L 197/30 ff.
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vorgesehen. Nachdem der Gesetzgeber mit dem EAG Bau aus dem Jahre 2004 für gemeindliche Bauleitpläne eine Umweltprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung als Regelverfahren vorgegeben hat, wurde dieses Erfordernis durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte („BauGB 2007“) wieder zurückgeführt.18 In Deutschland tut man sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch mit dem Gedanken schwer, dass die Ausgestaltung des Verfahrens ein bedeutsamer Faktor für die Erzielung richtiger Sachentscheidungen ist.19 Da im Zuge der Föderalismusreform dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Raumordnung mit einem Abweichungsrecht für die Länder (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG) eingeräumt wurde und infolgedessen das bestehende Raumordnungsgesetz des Bundes bis Ende 2008 an die neue Verfassungsrechtslage angepasst werden soll, kann die vorliegende Gesamtbetrachtung der Einbeziehung Privater in die Planung wertvolle Anhaltspunkte für die bevorstehende Gesetzesnovellierung bieten.
I. Zur Entwicklung und zum Konzept der informierten Öffentlichkeit in der räumlichen Gesamtplanung Bei der gemeindlichen Bauleitplanung finden sich schon früh erste Ansätze, die Bürgerinnen und Bürger in den Planungsprozess zu involvieren. Bereits bei Erlass des Baugesetzbuchs im Jahre 1960 wurde die öffentliche Auslegung der Bauleitpläne verankert und z. B. 1976 das Instrument der frühzeitigen Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung eingeführt.20 Denn bei der Aufstellung der Bauleitpläne werden konkrete räumliche Abwägungsentscheidungen mit un___________ 18
Krautzberger, Die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden an der Umweltprüfung, in: Spannowsky/Krämer, Plan-UP-Richtlinie, 2004, S. 77; s. allgemein zu den Wechselbezügen zwischen dem Ausbau der Verfahrenselemente und ihrer Rückführung im Interesse der Verfahrensbeschleunigung zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland Erbguth, NVwZ 2007, 985, 987 ff.; Schmidt-Aßmann, NVwZ 2007, 40, 43 ff.; Ziekow, BauR 2007, 1169, 1170 f.; s. zur Verfahrensbeschleunigung Guckelberger, in: Ziekow, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 17 ff.; Rommelbach, Der Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994. 19 Siehe dazu Erbguth, NVwZ 2007, 985, 987; Franzius, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2006, § 4 Rn. 50 ff.; Guckelberger, Steuerung des Wasserrechts: Planung, Verfahren und Öffentlichkeit, in: Reinhardt, Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 69, 73 ff.; Kahl, VerwArch 95 (2004), 1, 3 ff.; Ziekow, NVwZ 2005, 263, 264. 20 Siehe dazu Danielzyk, Öffentlichkeitsbeteiligung bei Programmen und Plänen, 2003; Hagenauer, Instrumente der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren der Bauleitplanung. Die Rechtslage in Deutschland und in England, 2006, S. 2; Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, Stand: 83. Erg.-Lfg. März 2007, § 3 Rn. 2a.
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mittelbaren Konsequenzen für die jeweiligen Akteure getroffen.21 Da kaum jemand den Ortsteil oder die Stadt so gut kennt, wie ihre Bewohner, kann ihr lokales, situatives, sozialkulturelles und kommunikatives Wissen die technischen und gestalterischen Überlegungen der Planer im Interesse einer fachlich guten sowie ausgewogenen Planungsentscheidung ergänzen.22 Angesichts der Größe des Planungsraumes sowie des höheren Abstraktionsgrads der raumordnerischen Planaussagen sahen demgegenüber die meisten Bundesländer bis Mitte der 1990er Jahre von einer unmittelbaren Beteiligung der Bürger an der überörtlichen Planung ab, zumal diese im Regelfall keine unmittelbaren Rechtswirkungen für sie entfaltete.23 Erst infolge der Novellierung des Raumordnungsgesetzes 1998 wurde in § 7 ROG explizit geregelt, dass die Länder diejenigen Stellen und Personen des Privatrechts an der Aufstellung der Ziele der Raumordnung beteiligen müssen, für die eine Beachtenspflicht begründet werden soll, und sie darüber hinaus eine Einbeziehung oder Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Aufstellung der Pläne vorsehen können. Von der zuletzt genannten Möglichkeit machten einige Bundesländer Gebrauch, da bei der Aufstellung der Raumordnungspläne nicht nur die Grundsätze der Raumordnung vom Planungsträger gegeneinander und untereinander, sondern auch die auf der jeweiligen Planungsebene erkennbaren und bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange abzuwägen sind. Weil die Behörden der Landes- und Regionalplanung wegen ihrer überörtlichen und begrenzten Zuständigkeit im Vergleich zu den Gemeinden die privaten Belange weniger gut kennen, kann sich die Öffentlichkeitsbeteiligung positiv auf ihre Informationsbasis auswirken.24 Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass Privatpersonen aus verfassungsrechtlichen Gründen ihre Belange bereits auf der übergeordneten Ebene einbringen können müssen, damit ihnen die Ziele der Raumordnung auf nachfolgender Stufe mit strikter Verbindlichkeit entgegengehalten werden können.25 Obwohl es im deutschen Recht durchaus eigenständige Ansätze für die Einbeziehung Privater in die räumliche Gesamtplanung gibt, wird die heutige Öffentlichkeitsbeteiligung hauptsächlich durch völkerrechtliche und gemein___________ 21
Danielzyk (Fn. 20), S. 23. Lamm, DVP 2005, 450, 451; s. auch Fackler, BayVBl 1993, 353, 355. 23 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 460; Grotefels, DVBl 1992, 998 ff. gibt einen Überblick über die damalige Rechtslage; Molitor, Öffentlichkeitsbeteiligung in der Landes- und Regionalplanung, in: Mitschang, Stadt- und Regionalplanung vor neuen Herausforderungen, 2007, S. 33. 24 Danielzyk (Fn. 20), S. 26 ff.; Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungsplänen. Eine Untersuchung zur Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie in das Raumordnungsrecht, 2004, S. 204. 25 BVerwGE 115, 17, 30; Danielzyk (Fn. 20), S. 32 f.; s. auch Hendler, DVBl 2001, 1233, 1241; Uebbing (Fn. 24), S. 204. 22
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schaftsrechtliche Vorgaben geprägt. Während das Gemeinschaftsrecht anfangs nur für die Zulassung konkreter Vorhaben die vorherige Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung vorsah,26 schreibt nunmehr die Richtlinie 2001/42/EG eine solche für eine Vielzahl von Plänen und Programmen vor.27 Damit werden unter anderem die Vorgaben der Aarhus-Konvention28 auf der gemeinschaftsrechtlichen Ebene umgesetzt, die im Interesse eines wirksamen und vorsorgenden Umweltschutzes in verstärktem Maße auf eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft in staatliche Entscheidungen mit Umweltauswirkungen hinwirkt.29 Waren im Jahre 1993 nur Bebauungspläne einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen, durch welche die Zulässigkeit von bestimmten UVP-pflichtigen Vorhaben begründet werden sollte oder die Planfeststellungsbeschlüsse für UVP-pflichtige Vorhaben ersetzten,30 wurde zwischenzeitlich infolge der supra- und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung auf allen Stufen der räumlichen Gesamtplanung, also auch bei den Flächennutzungsplänen und den übergeordneten Raumordnungsplänen, eingeführt. Heute konzentriert sich die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht mehr auf eine einzige Stufe, sondern basiert auf dem Modell einer gleitenden Skala von Prüfungen über mehrere Ebenen hinweg.31 Dahinter steht die Erkenntnis, dass wichtige Vorentscheidungen über die Zulässigkeit industrieller und infrastruktureller Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen vielfach schon auf der übergeordneten Ebene bei der Aufstellung von Plänen und Programmen gefällt werden.32 Um die Umweltbelastungen gering zu halten und etwaigen Fehlentscheidungen vorzubeugen, sind deshalb derartige Auswirkungen aus der Durchführung von Plänen und Programmen bereits bei ihrer Ausarbeitung und ___________ 26 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG 1985 Nr. L 175, S. 40 ff. 27 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG 2001 Nr. L 197, S. 30 ff.; s. zum Weg bis zur Verabschiedung der SUPRichtlinie Jacoby (Fn. 14), S. 123 ff.; Uebbing (Fn. 24), S. 13 ff. 28 Siehe zur Aarhus-Konvention bei Fn. 16. 29 Kroiss, in: Falke/Schlacke, Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht, 2004, S. 37. 30 Krautzberger, UPR 2004, 401, 402; Schubert, NuR 2005, 369; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 402; Ziekow (Fn. 14), S. 19, s. auch auf S. 15 f. zur Herausnahme der Flächennutzungspläne aus der UVP. 31 So Ziekow, NuR 2002, 701, 705. 32 Graf (Fn. 4), S. 40 f.; Guckelberger (Fn. 19), S. 80; Schink, Umweltprüfung für Pläne und Programme: Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben und Fachplanung, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Risikoregulierung und Risikokommunikation – Umweltprüfung für Pläne und Programme, 2005, S. 93 (99); ders., NVwZ 2005, 615; Uebbing (Fn. 24), S. 18 f.
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vor ihrer Annahme zu berücksichtigen.33 Während bei der anlässlich eines konkreten Projektes vorzunehmenden Umweltverträglichkeitsprüfung eine Alternativenprüfung nur nach Maßgabe des Fachrechts stattfindet, sind nunmehr zwingend auf der vorgelagerten Planungsebene etwaige Alternativen einschließlich der Nullvariante zu prüfen.34 Je größer der Planungsmaßstab und die verfügbaren Flächenpotenziale sind, desto eher lassen sich für ein Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen realistische und realisierbare Alternativen einschließlich der Nullvariante ausmachen.35 Dementsprechend ist angesichts der geringen Größe des zu überplanenden Gebiets und der Bindungen durch die Regional- und Flächennutzungsplanung bei der Aufstellung eines Bebauungsplans meistens keine echte Standortalternativenprüfung mehr möglich, sondern nur noch eine Feinregulierung im Plangebiet.36 Im Unterschied zur Umweltverträglichkeitsprüfung eines konkreten Projektes können bei der Umweltprüfung von Plänen die kumulativen und synergetischen Umweltauswirkungen mehrerer im Plangebiet gelegener Vorhaben mit ihren Umwelteffekten in den Blick genommen werden.37 Die Umweltverträglichkeitsprüfung stellt primär ein Verfahrensinstrument zur Aufbereitung der Umweltbelange für die Planung dar, deren zentrales Element neben der Behördenbeteiligung die Einbeziehung Privater in den Planungsprozess ist.38 Der hohe Stellenwert der Öffentlichkeitsbeteiligung zeigt sich unter anderem darin, dass gemäß Art. 3 Abs. 3 AK jede Vertragspartei die Umwelterziehung und das Umweltbewusstsein der Öffentlichkeit in Bezug auf ihre Beteiligungsmöglichkeiten an den Entscheidungsverfahren zu fördern hat (edukatorische Funktion). Das Procedere weist Bezüge zum materiellen Recht auf, wenn jede Vertragspartei die Öffentlichkeitsbeteiligung an den Entscheidungsverfahren gewährleistet, um dadurch das Recht einer jeden Person auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu
___________ 33
Schink (Fn. 32), S. 99; Sydow, DVBl 2006, 65, 68. Graf (Fn. 4), S. 41, 126 f.; Schink (Fn. 32), S. 100; ders., NVwZ 2005, 615, 616; Uebbing (Fn. 24), S. 18 f. 35 Grotefels, Umweltprüfung und Umweltbericht in der Regionalplanung, in: Mitschang, Umweltprüfverfahren in der Stadt und Regionalplanung, 2006, S. 19 (27); Jacoby (Fn. 14), S. 139; Schink (Fn. 32), S. 146; Uechtritz, Umweltprüfung für Pläne und Programme: Raumordung und Bauleitplanung, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Risikoregulierung und Risikokommunikation – Umweltprüfung für Pläne und Programme, 2005, S. 217. 36 Ziekow (Fn. 14), S. 21; s. auch Jacoby (Fn. 14), S. 140; Mitschang, ZfBR 2001, 239, 244; Schink, NVwZ 2005, 615, 616; Uechtritz (Fn. 35), S. 217. 37 Graf (Fn. 4), S. 41; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 42; Schink (Fn. 32), S. 99; ders., NVwZ 2005, 615, 616. 38 Siehe BVerwGE 100, 238, 243; OVG Münster NuR 2007, 360. 34
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schützen.39 Als Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung nennt die Präambel der Aarhus-Konvention unter anderem die Verbesserung der Qualität der planerischen Entscheidungen. Durch die Einbringung der Privaten in die Planungsprozesse erlangen die staatlichen Stellen eine solide Informationsbasis40 und können möglichst rationale, auf Wissen fundierte Entscheidungen treffen.41 Zugleich wird durch die Öffentlichkeitsbeteiligung die Verantwortlichkeit und Transparenz bei den Entscheidungsverfahren und die öffentliche Unterstützung für Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Umwelt vergrößert.42 Nach modernen Erkenntnissen stoßen staatliche Entscheidungen auf größere Akzeptanz, wenn sich die Bürger zuvor in einem offenen Verfahren äußern können.43 Wenn die Aarhus-Konvention davon spricht, dass ihre Durchführung „zur Stärkung der Demokratie“ beitragen wird, wird deutlich, dass der Öffentlichkeitsbeteiligung demokratische Elemente immanent sind, da die Bürger ihre Sichtweise zu bestimmten Vorhaben und Planungen artikulieren können.44 Nach dem 5. Erwägungsgrund der SUP-Richtlinie kommt die Umweltverträglichkeitsprüfung von Plänen und Programmen darüber hinaus den Unternehmen zugute, weil damit ein konsistenter Handlungsrahmen durch Einbeziehung relevanter Umweltinformationen bei der Entscheidungsfindung geboten ___________ 39
Siehe zur „Janusköpfigkeit“ Guckelberger (Fn. 19), S. 86; Schubert, NuR 2005, 369, 370; Walter, Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren und Zugang zu den Gerichten: Die Vorgaben des Völker- und Europarechts, in: Durner/Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Arhus-Konvention, 2005, S. 7 (15). 40 Siehe zu diesem Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung Danielzyk (Fn. 20), S. 18; v. Danwitz, NVwZ 2004, 272, 273; Fisahn, ZUR 2004, 136; Guckelberger (Fn. 19), S. 84; Hagenauer (Fn. 20), S. 28; Schmidt-Aßmann/Ladenburger, in: Rengeling, Handbuch des europäischen und deutschen Umweltrechts, 2003, § 18 Rn. 25; Uebbing (Fn. 24), S. 189. 41 Ekart, Information, Partizipation und Rechtsschutz, 2004, S. 182; Guckelberger (Fn. 19), S. 85; Hagenauer (Fn. 20), S. 29; Schmidt-Aßmann/Ladenburger (Fn. 40), § 18 Rn. 25. 42 So die Präambel der Aarhus-Konvention; s. näher zur Kontrollfunktion der Öffentlichkeitsbeteiligung Danielzyk (Fn. 20), S. 18; Hagenauer (Fn. 20), S. 33 f.; Uebbing (Fn. 24), S. 189. 43 Danielzyk (Fn. 20), S. 19 f.; v. Danwitz, NVwZ 2004, 272, 273; Guckelberger (Fn. 19), S. 85; Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 94; Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996, S. 24 ff., 50 ff., 98 ff.; Ziekow, NuR 2002, 701, 703. 44 Siehe dazu Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 10. Aufl. 2007, § 3 Rn. 2; Fisahn, ZUR 2004, 136, 137; Guckelberger, DÖV 2006, 97, 102 f.; Hagenauer (Fn. 20), S. 25 ff.; Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2006, § 6 Rn. 48; Uebbing (Fn. 24), S. 189. Siehe nur zu den verschiedenen Auffassungen des Demokratieprinzips von Bogdandy, Demokratisch, demokratischer, am demokratischsten? Zur Steigerungsfähigkeit eines Verfassungsprinzips am Beispiel einer Neugestaltung der Verordnungsgebung, in: Bohnert/Gramm/Kindhäuser/Lege/Rinken/Robbers, FS für Hollerbach, 2001, S. 363 ff.
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wird.45 Im deutschen Recht sieht man in der Einbindung der Öffentlichkeit in den staatlichen Entscheidungsfindungsprozess zugleich ein Mittel, das zur frühzeitigen Lösung von Konflikten und zur Vermeidung späterer Rechtsstreitigkeiten beiträgt, sofern die in Aussicht genommene Planung individuelle Rechtspositionen betrifft.46 Alles in allem bildet die Öffentlichkeitsbeteiligung bei raumbedeutsamen Planungen ein vielschichtiges Instrument.47 Wenn nach § 4a Abs. 1 BauGB die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Bauleitplanung „insbesondere“ der vollständigen Ermittlung und zutreffenden Bewertung der von der Planung berührten Belange dient und damit vornehmlich aus der Warte des Planungsträgers beschrieben wird, werden dadurch andere Zwecke dieser Verfahrensweise keinesfalls ausgeschlossen. Je nach Planungsebene kann das Gewicht einzelner Aspekte der Öffentlichkeitsbeteiligung variieren. So kommt der Erwägung eines vorgezogenen Rechtsschutzes bei der überörtlichen Raumplanung angesichts ihrer noch geringen Konkretisierung insgesamt eher untergeordnete Bedeutung zu.48 Die übergeordnete Planungsebene eignet sich in besonderem Maße dazu, anlässlich der Öffentlichkeitsbeteiligung regionale Handlungschancen zu erkennen und durch die Diskussion von Alternativen Flächennutzungskonflikte in einem frühen Stadium zu reduzieren.49 Dies kann sich nicht nur positiv auf die jeweilige Planung selbst auswirken, sondern auch zu Entlastungs- und Beschleunigungseffekten auf nachfolgenden Planungsstufen führen.50 Eine neuere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Bürgerbeteiligung bei der strategischen Planung leichter konstruktiv gestalten lässt, während die konkreteren Planungsstufen eher konfliktgeprägt sind.51 Da die räumliche Planung von oben nach unten detaillierter wird, wird der Planungsträger mit absteigendem Planungsniveau zunehmend konkretere Informationen und Daten im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung erhalten.52
___________ 45 Siehe auch zur Erhöhung der Rechtssicherheit Danielzyk (Fn. 20), S. 18; s. zur Ambivalenz gegenüber dieser Begründung Jacoby (Fn. 14), S. 140 ff. 46 Guckelberger (Fn. 19), S. 84; Hagenauer (Fn. 20), S. 31 f.; Jekel, in: Bohne, Ansätze zur Kodifikation des Umweltrechts in der Europäischen Union, 2005, S. 35 (36). 47 Battis, Partizipation im Städtebaurecht, 1976, S. 213; Hagenauer (Fn. 20), S. 24. Gegen eine rein staatszentrierte Sicht auch Fisahn, ZUR 2004, 136 f. 48 Siehe dazu Trips, Das Verfahren der exekutiven Rechtsetzung, 2005, S. 109 ff. 49 Danielzyk (Fn. 20), S. 19; s. auch Wickrath, DVBl 1992, 998, 1002. 50 Danielzyk (Fn. 20), S. 19. 51 Lamm, DVP 2005, 450. 52 So zum Verhältnis frühzeitige und förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung Hagenauer (Fn. 20), S. 46 f.
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II. Das Verfahren bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen Weil der Bund bislang im Bereich der Raumordnung nur über eine Rahmenkompetenz verfügte, sind seine momentanen Vorgaben zur Aufstellung der Raumordnungspläne gegenüber dem Bauplanungsrecht weniger ausdifferenziert und bedürfen grundsätzlich einer weiteren Ausfüllung durch die Länder.53 § 7 Abs. 5 S. 1 ROG geht von einer generellen Umweltprüfpflichtigkeit aller Raum-ordnungspläne aus, so dass sowohl bei den hochstufigen Landesentwicklungsplänen i.S.d. § 8 ROG als auch bei den Regionalplänen gemäß § 9 ROG eine Umweltprüfung vorzunehmen ist.54 Nach der Einschätzung des Bundesgesetzgebers sind derartige Pläne regelmäßig rahmensetzend für Genehmigungen künftig zu beantragender UVP-pflichtiger Vorhaben oder angesichts ihrer Auswirkungen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen.55 Jedoch können nach § 7 Abs. 5 S. 5 ROG geringfügige Änderungen von Raumordnungsplänen von der Umweltprüfung ausgenommen werden, sofern sie voraussichtlich keine erheblichen – seien es positive oder negative56 – Umweltauswirkungen haben werden.57 Diese Feststellung ist anhand der Kriterien des Anhangs II der SUP-Richtlinie vorzunehmen. Aufgrund der Kann-Formulierung in § 7 Abs. 5 S. 5 ROG müssen die Länder selbst entscheiden, ob sie von dieser Ausnahmemöglichkeit Gebrauch machen wollen. Während in Bayern (Art. 12 Abs. 4 BayLPlG), Rheinland-Pfalz (§ 6a Abs. 4 RhPfLPlG) und im Saarland (§ 4 Abs. 3 SaarlLPlG) bei nicht umweltrelevanten Planänderungen von der Erstellung eines Umweltberichts abgesehen werden „kann,“ haben die Länder Nordrhein-Westfalen,58 Sachsen___________ 53 Siehe dazu Graf (Fn. 4), S. 20; Krämer, in Mitschang, Umweltprüfverfahren in der Stadt- und Regionalplanung, 2006, S. 17. § 22 ROG verpflichtet die Länder, bis zum 31.12.2006 § 7 Abs. 5-10 ROG näher auszufüllen. Andernfalls sollen diese Normen unmittelbar zur Anwendung kommen. 54 Graf (Fn. 4), S. 73; Grotefels, NWVBl 2007, 41 f. Siehe dazu, dass der gesamte Plan und nicht nur Festlegungen mit konkreter Umweltrelevanz einer Umweltprüfung zu unterziehen sind, Schink (Fn. 32), S. 141 ff. 55 BT-Drucks. 15/2550, S. 70; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 42; Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 460, 463; s. auch Kment, NVwZ 2005, 886, 887; Spannowsky, Die Plan-UPRichtlinie und ihre Umsetzung im Raumordnungsrecht, in: ders./Krämer, Plan-UPRichtlinie, 2004, S. 51, 56; Uebbing (Fn. 24), S. 73 ff.; Ziekow, NuR 2002, 701, 704. 56 Siehe dazu Hendler, NuR 2003, 2, 3; Schink, NVwZ 2005, 615, 617 f.; Uebbing (Fn. 24), S. 58 f.; Uechtritz (Fn. 35), S. 216. 57 Siehe dazu, dass eigentlich nur an eine Einzelfallprüfung zu denken ist, Uebbing (Fn. 24), S. 99; s. zum eher geringen Anwendungsbereich dieser Ausnahme Spannowsky, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, Std. Erg.-Lfg. Nov. 2006, K § 7 Rn. 129. 58 Siehe zu § 20 Abs. 6 LPlG NRW Graf (Fn. 4), S. 75.
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Anhalt und Thüringen die Ausnahmemöglichkeit des § 7 Abs. 5 S. 5 ROG nicht aufgegriffen. Nach ihrer Einschätzung ist das so genannte Screening – also die Vorabprüfung der voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen der Planänderung – zu aufwändig, zumal die Feststellung der Geringfügigkeit der Planänderung oft Schwierigkeiten bereite.59 Schließlich ist in Rechnung zu stellen, dass Raumordnungspläne eher selten aufgestellt und geändert werden.60 Das Screening kann verfahrensverlängernd wirken, wenn sich die Notwendigkeit einer Umweltprüfung herausstellen sollte. Außerdem ist der Planungsträger bei Vornahme einer Umweltprüfung auf jeden Fall auf der sicheren Seite, weil ihm kein fehlerhaftes Screeningergebnis angelastet werden kann.61 Im Falle eines Screenings muss dieses spätestens bis zum Beschluss über das Planänderungsverfahren abgeschlossen sein.62 Um sich den Sachverstand anderer öffentlicher Stellen zunutze zu machen und unnötigen Ermittlungs- und Bewertungsaufwand zu vermeiden, sind nach § 7 Abs. 5 S. 6 ROG diejenigen öffentlichen Stellen am Screening zu beteiligen, deren Aufgabenbereich möglicherweise von den Umweltauswirkungen berührt werden kann.63 Meistens ist vorgesehen, dass der Planungsträger beim Screening die öffentlichen Stellen der gleichen Verwaltungsebene zu konsultieren hat.64 Dies ist sachgerecht, weil sich die übergeordneten Behörden an die unteren Stellen wenden können, um sich kundig zu machen.65 Wird im Zuge des Screenings festgestellt, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind, müssen die diesbezüglichen Erwägungen in den Entwurf der Begründung der Planänderung aufgenommen werden (§ 7 Abs. 5 S. 7 ROG). So wird das behördliche Ergebnis der Kontrolle durch die Öffentlichkeit zugeführt66 und von vornherein etwaigen Missbräuchen und Fehlern begegnet. 1. Scoping Im Falle einer Umweltprüfung beginnt das raumplanerische Verfahren mit dem so genannten Scoping, d. h. der Festlegung des Umfangs und Detaillie___________ 59 Grotefels, NWVBl 2007, 41, 42 f.; s. auch Graf (Fn. 4), S. 823; Uebbing (Fn. 24), S. 96 f., 99; kritisch Spannowsky (Fn. 57), K § 7 Rn. 138. 60 Uebbing (Fn. 24), S. 99 f. 61 Graf (Fn. 4), S. 83. 62 Graf (Fn. 4), S. 77. 63 Graf (Fn. 4), S. 77; s. auch Art. 3 Abs. 6 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 SUP-RL. 64 Art. 12 Abs. 4 BayLPlG, § 6 Abs. 4 RhPfLPlG spricht von „in der Regel“; s. auch § 3a Abs. 3 SaarlLPlG. 65 Graf (Fn. 4), S. 81. 66 Graf (Fn. 4), S. 82; Jacoby (Fn. 14), S. 170.
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rungsgrads des Umweltberichts,67 der die Grundlage für das weitere Verfahren der Umweltprüfung bildet. Da mehrere hintereinander geschaltete Umweltprüfungen mit einem beträchtlichen finanziellen und zeitlichen Mehraufwand verbunden sein können,68 bildet das Scoping ein Verfahrensinstrument zur sachgerechten und effizienten Steuerung des nachfolgenden Prüfprozesses.69 Mehrfachprüfungen sollen möglichst durch eine vorherige Abschichtung des Prüfprogramms hinsichtlich der verschiedenen Planungsebenen vermieden werden.70 Die Umweltauswirkungen sind also über die verschiedenen Ebenen hinweg nach und nach abzuarbeiten.71 Weil pro Planungsstufe eine Umweltprüfung stattzufinden hat, kann das Ergebnis des Scopings keinesfalls dahingehend ausfallen, dass auf einer Planungsstufe auf die Durchführung einer Umweltprüfung insgesamt oder Teile davon verzichtet wird.72 Vielmehr sollen beim Scoping die Prüfelemente den verschiedenen Planungsebenen so zugeordnet werden, dass auf der jeweiligen Planungsstufe nur diejenigen Umweltauswirkungen untersucht und geprüft werden, die dort erheblich sind.73 Umweltauswirkungen ohne überörtliche Bedeutung sind deshalb erst auf der Ebene der Bauleitplanung zu behandeln.74 Die höherstufige Ebene sollte möglichst nicht mit Detailprüfungen überfrachtet werden, welche sich wegen der noch fehlenden Projekt- und Standortkonkretisierungen dort nicht sachgerecht durchführen lassen.75 Deshalb fällt die Umweltprüfung bei der hochstufigen Landesplanung eher grobmaschig aus. Bei der Regionalplanung steigen dagegen die Anforderungen an die Detailschärfe der Prüfung angesichts ihrer konkreteren Planaussagen.76 Weil die Ziele der Raumordnung als verbindliche Planungsvorgaben einen höheren Konkretisierungsgrad als die Grundsätze der Raumordnung aufweisen, sind bei ihnen die Umweltauswirkungen verlässlicher zu prüfen.77 Während die Festlegung zentraler Orte in einem Raumordnungsplan über einen eher geringen projektbezogenen Detaillierungsgrad ver___________ 67
§ 7 Abs. 5 S. 4 ROG; s. auch Graf (Fn. 4), S. 84; Ziekow, NuR 2002, 701, 704. Siehe dazu Sydow, DVBl 2006, 65, 67 f. 69 Bunge/Nesemann, in: Storm/Bunge, Handbuch der Umweltverträglichkeitsprüfung, Stand: Juli 2007, Ziffer 0507, S. 43 f., wobei der zunächst festgelegte Prüfrahmen bei Bedarf im Nachhinein geändert werden kann und somit nicht bindend ist. 70 Graf (Fn. 4), S. 90; Schink (Fn. 32), S. 140; Uebbing (Fn. 24), S. 269. 71 Schink (Fn. 32), S. 140. 72 Graf (Fn. 4), S. 93; Schink (Fn. 32), S. 140; Uebbing (Fn. 24), S. 271; Ziekow, NuR 2002, 701, 705. 73 Graf (Fn. 4), S. 94; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 45; Sydow, DVBl 2006, 65, 71; Uebbing (Fn. 24), S. 125; Ziekow, NuR 2002, 701, 705. 74 Grotefels, NWVBl 2007, 41, 45; dies. (Fn. 35), S. 29. 75 Krautzberger, UPR 2004, 401, 404; Sydow, DVBl 2006, 65, 71. 76 Graf (Fn. 4), S. 93 f.; s. auch Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914, 917; Spannowsky (Fn. 55), S. 67. 77 Graf (Fn. 4), S. 85; Uebbing (Fn. 24), S. 267. 68
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fügt, lassen sich z. B. bei der Festlegung eines Standorts für einen Flughafen oder andere raumbedeutsame Verkehrsanlagen die Umweltauswirkungen konkreter abschätzen.78 Wurde bereits bei der Aufstellung des Raumordnungsplans eine Umweltprüfung durchgeführt, kann das Ergebnis der bereits geprüften Planaussagen grundsätzlich auf der nachgeordneten Ebene übernommen werden. Dementsprechend sehen mehrere Länder in Anlehnung an § 7 Abs. 5 S. 8 ROG vor, dass sich die Umweltprüfung bei den Regionalplänen auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränken kann.79 Voraussetzung ist, dass der Regionalplan aus dem vorausgegangenen höherstufigen Plan entwickelt wird. Nur bei einem auf beiden Ebenen im Wesentlichen identischen Planungsgegenstand kann dies zu Doppelprüfungen und einem entsprechenden Mehraufwand führen.80 Da nicht in allen Bundesländern eine explizite Abschichtungsregelung vorhanden ist,81 stellt sich die interessante Frage, ob dann auf der anderen Ebene komplett eine neue Umweltprüfung vorzunehmen ist. Angesichts des Gesetzeswortlauts des § 7 Abs. 5 S. 8 ROG, wonach eine Beschränkung der Umweltprüfung der Regionalpläne auf zusätzliche oder andere Umweltauswirkungen vorgesehen werden „kann“, ist es den Ländern freigestellt, ob sie eine derartige Abschichtung anordnen.82 Allerdings wird man es wohl als ausreichend ansehen können, wenn sich aus dem Kontext des Landesgesetzes der Wille zu einer derartigen Abschichtung entnehmen lässt. Wenn der Bund von seiner neuen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht, sollte eine solche Abschichtung verbindlich vorgegeben werden, um Mehrfachaufwand zu vermeiden und vollzugsfähige Regelungen zu schaffen.83 Gemäß den aktuellen landesrechtlichen Abschichtungsregelungen „kann“ die Planungsbehörde auf die Ergebnisse der vorausgegangenen Planungsstufe zurückgreifen, ohne dazu verpflichtet zu sein.84 Für eine solche Ausgestaltung ___________ 78 Spannowsky, in: Mitschang, Umweltprüfverfahren in der Stadt- und Regionalplanung, 2006, S. 68. 79 Art. 12 Abs. 5 BayLPlG, § 15 Abs. 4 LPlG NRW, § 6a Abs. 5 RhPfLPlG, § 3a Abs. 4 LPlG LSA, § 8 Abs. 3 ThürLPlG. 80 Bunge/Nesemann, in: Strom/Bunge, Handbuch der UVP, 0520, S. 38; Graf (Fn. 4), S. 97. 81 Etwa in Mecklenburg-Vorpommern. 82 Graf (Fn. 4), S. 95; Sydow, DVBl 2006, 65, 72. Auch das Gemeinschaftsrecht ist insoweit nicht zwingend. So heißt es in Erwägungsgrund (9) der SUP-Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten die Planungshierarchie, falls angebracht, zur Vermeidung von Mehrfachprüfungen berücksichtigen „sollten“. 83 So spricht Sydow, DVBl 2006, 65, 72 davon, dass die Länder von der Abschichtungsmöglichkeit umfassend Gebrauch machen „müssen“. 84 Graf (Fn. 4), S. 95.
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spricht, dass es letztlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob die bereits vorgenommene Umweltprüfung qualitativ so ausfällt, dass sie auf der nachfolgenden Ebene ohne weiteres übernehmbar ist.85 Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass die Abschichtungswirkung im Laufe der Zeit schwächer werden kann. Wenn die Daten und Ermittlungsmethoden der Umweltprüfung nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen, ist aus Gründen eines effektiven Umweltschutzes auf der anderen Stufe eine erneute Umweltprüfung geboten.86 Selbst wenn dies im Raumordnungsgesetz keine ausdrückliche Erwähnung findet, muss sich ein übergeordneter Planungsträger die Ergebnisse einer vorausgegangenen Umweltprüfung der niedrigeren Ebene zunutze machen können.87 Dies gebieten Effektivitätserwägungen sowie das Gegenstromprinzip des § 1 Abs. 3 ROG.88 Da die übergeordneten Pläne nicht aus den untergeordneten Plänen entwickelt werden, ist für die Übernahme entscheidend, inwieweit es faktische Zusammenhänge zwischen den Planungsgegenständen gibt. Gemäß § 7 Abs. 5 S. 4 ROG sind beim Scoping zwingend diejenigen öffentlichen Stellen zu beteiligen, deren Aufgabenbereich von den Umweltauswirkungen berührt werden kann. Neben einer verbesserten Informationsbasis für den Planungsträger und der Gewährleistung der erforderlichen Unabhängigkeit89 möchte man durch dieses Verfahrenserfordernis die Wahrscheinlichkeit verringern, dass aufgrund später abgegebener Stellungnahmen der öffentlichen Stellen die Planentwürfe nochmals geändert werden müssen.90 Wie beim Screening hat der Bundesgesetzgeber beim Scoping von einer Verpflichtung zur Beteiligung der Öffentlichkeit abgesehen.91 Erklärt wird dies vor allem damit, dass die Einbeziehung der Privaten in einem so frühen Verfahrensstadium bei der Bestimmung des Untersuchungsgegenstands nicht unbedingt einen weiteren Nutzen erwarten lässt, das Verfahren zu stark ausgeweitet werde und der Verfahrensablauf verzögert würde.92 Insbesondere sind beim Scoping noch keine räumlichen Konflikte endgültig auszuräumen. Wegen des bisherigen ___________ 85
Graf (Fn. 4), S. 95, 97, 104 f.; Ziekow, NuR 2002, 701, 705. Siehe dazu Graf (Fn. 4), S. 101; Krautzberger, UPR 2004, 401, 404; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 402 f. 87 Siehe auch BT-Drucks. 15/2250, S. 42; Grotefels (Fn. 35), S. 30; Spannowsky (Fn. 57), K § 7 Rn. 142. 88 Graf (Fn. 4), S. 91; Spannowsky (Fn. 55), S. 70; Uechtritz (Fn. 35), S. 218 weist darauf hin, dass in dieser Konstellation sprachlich der Begriff Abschichtung nicht so richtig passt. 89 Siehe dazu Ziekow (Fn. 14), S. 28. 90 Graf (Fn. 4), S. 86. 91 Graf (Fn. 4), S. 86; s. dazu, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vom Gemeinschaftsrecht gefordert ist, Uebbing (Fn. 24), S. 190. 92 Graf (Fn. 4), S. 86 f.; s. auch Jacoby (Fn. 14), S. 171. 86
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rahmenrechtlichen Charakters des Raumordnungsrechts konnten die Länder jedoch eine weitergehende Beteiligung der Öffentlichkeit bzw. von Teilen von ihr vorsehen.93 Nach § 15 Abs. 3 LPlG NRW sind auch Privatpersonen am Scoping zu beteiligen, die einer Bindungswirkung der Erfordernisse der Raumordnung nach § 4 ROG unterliegen. Darüber hinaus „können“ Sachverständige und Dritte einbezogen werden. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Einbeziehung der Umweltverbände an dieser Stelle durchaus zu einer verbesserten Informationsbasis, einer größeren Akzeptanz und damit letztlich zur Verfahrensbeschleunigung beitragen kann.94 Bei seiner Novellierung des Raumordnungsgesetzes sollte der Bund überlegen, ob beim raumordnungsrechtlichen Scoping nicht Private weitergehend einbezogen werden können, wie dies auch in § 14f Abs. 4 S. 3 UVPG vorgesehen wurde. 2. Die Erstellung des Umweltberichts sowie die Erarbeitung des Planentwurfs Anschließend obliegt es dem Planungsträger, einen Planentwurf zu erarbeiten. Sofern der jeweilige Raumordnungsplan einer Umweltprüfung zu unterziehen ist, ist zugleich ein Umweltbericht aufzustellen. Dem Landesgesetzgeber ist es dabei nach dem Raumordnungsgesetz freigestellt, ob der Umweltbericht ein eigenständiges Dokument neben dem begründeten Planentwurf bildet oder in die Planbegründung zu integrieren ist,95 wobei er dann angesichts seiner hohen Bedeutung und aus Gründen der Übersichtlichkeit als gesondertes Dokument innerhalb der Entwurfsbegründung ausgewiesen werden sollte.96 Man darf nicht dem Irrtum unterliegen, dass mit dem Umweltbericht die Umweltprüfung abgeschlossen ist. Der Bericht bildet vielmehr die Grundlage für das weitere Verfahren der Umweltprüfung und ist den Behörden und der Öffentlichkeit im Rahmen des anschließenden Konsultationsverfahrens zugänglich zu machen.97 Der Umweltbericht wird aufbauend auf das Scoping erstellt. In ihm werden die voraussichtlich erheblichen Auswirkungen, die die Durchführung des Raumordnungsplans auf die Umwelt hat, sowie anderweitige Planungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der wesentlichen Zwecke des ___________ 93
Graf (Fn. 4), S. 87. Ginzky, UPR 2002, 47, 51; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 44; in diese Richtung Grotefels (Fn. 35), S. 28; Jacoby (Fn. 14), S. 171; s. auch § 12 Abs. 2 Nr. 4 LPlG BW. 95 BT-Drucks. 15/2250, S. 70; Graf (Fn. 4), S. 124. 96 Graf (Fn. 4), S. 124; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 45; Runkel, Das geänderte Raumordnungsgesetz nach dem EAG Bau, in: Mitschang, Stadt- und Regionalplanung vor neuen Herausforderungen, 2007, S. 57 (64); Uebbing (Fn. 24), S. 159 ff. 97 Graf (Fn. 4), S. 107; Schink, NuR 2005, 143, 145; Uechtritz (Fn. 35), S. 215. 94
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Raumordnungsplans ermittelt, beschrieben und bewertet (§ 7 Abs. 5 S. 2 ROG).98 Im Einzelnen enthält der Umweltbericht die in Anhang I der SUP-Richtlinie genannten Angaben und soll Dritten eine Beurteilung der Konsequenzen der Planung im Hinblick auf die Umwelt ermöglichen. Bei der intendierten Ausweisung eines Vorranggebiets für Industrie und Gewerbe in einem Raumordnungsplan wären z. B. die Folgen für das Schutzgut „Boden“ und die „Gesundheit des Menschen“ aufzuzeigen.99 Durch die in den Umweltbericht aufzunehmende Alternativenprüfung soll eine größere Planungsakzeptanz erreicht werden. Vor allem für die Beteiligten und Betroffenen lässt sich die Abwägung des Planungsträgers bei einer Darstellung und Bewertung von Vergleichsmöglichkeiten umweltpolitisch besser nachvollziehen.100 Gemäß Art. 5 Abs. 2 SUP-RL sind für den Umweltbericht nur diejenigen Umweltauswirkungen zu ermitteln, die man nach gegenwärtigem Wissensstand und aktuellen Prüfungsmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Raumordnungsplanes einschließlich seiner Stellung im Entscheidungsprozess vernünftigerweise verlangen kann. Aus diesem Grund muss der Planungsträger anderweitigen Planungsmöglichkeiten nur nachgehen, wenn sie sich aus ökologischer und ökonomischer Perspektive als realistisch und realisierbar erweisen.101 Aufgrund seiner Hochstufigkeit und Abstraktheit wird der Umweltbericht zum Raumordnungsplan für das gesamte Landesgebiet weniger detaillierte Informationen und Analysen enthalten als derjenige zum nachfolgenden, über einen höheren Konkretisierungsgrad verfügende Regionalplan.102 Der Umweltbericht wird regelmäßig auf der Grundlage der Stellungnahmen der Behörden erstellt, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich von den Umweltauswirkungen durch die Durchführung des Plans betroffen sein könnten.103 Je nach Land wird der Beteiligungskreis weiter gezogen. In Mecklenburg-Vorpommern wird den Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen früh___________ 98 Siehe näher zur Bedeutung der europarechtlichen Anforderungen Uebbing (Fn. 24), S. 114 ff. 99 Graf (Fn. 4), S. 110. 100 Graf (Fn. 4), S. 127. 101 Siehe zu den Grenzen der Alternativenprüfung näher Graf (Fn. 4), S. 128 f.; Schink, NuR 2005, 143, 146; Uebbing (Fn. 24), S. 166 ff.; s. näher zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Uebbing (Fn. 24), S. 126 ff., wonach die Prüfung etwas strenger als die Ermittlungspflicht nach dem Abwägungsgebot ausfallen dürfte (S. 147, 154). Ihr folgend Bunge/Nesemann (Fn. 69 ), Ziffer 0507, S. 39. 102 Graf (Fn. 4), S. 111. 103 Art. 12 Abs. 2 BayLPlG; § 6a Abs. 3 RhPfLPlG; § 3a Abs. 3 LPlG LSA. Nach § 3 SaarlLPlG werden die Gebietskörperschaften und der Rat für Nachhaltigkeit beteiligt.
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zeitig Gelegenheit zur Äußerung gegeben,104 in Nordrhein-Westfalen werden die öffentlichen Stellen und Personen des Privatrechts nach § 4 ROG, die durch den Raumordnungsplan in ihrem Aufgabenbereich betroffen sein könnten, zur Mitwirkung aufgefordert.105 In den meisten Ländern wird die Öffentlichkeit bei der Erarbeitung des Planentwurfs und/oder des Umweltberichts nicht beteiligt. In Mecklenburg-Vorpommern gibt jedoch die oberste Landesplanungsbehörde der betroffenen Öffentlichkeit den Entwurf des Landesraumentwicklungsprogramms frühzeitig bekannt sowie Gelegenheit zur Äußerung (§ 7 Abs. 2 S. 1, 2 LPlG M-V). Im Schrifttum sind die Meinungen geteilt, ob die Öffentlichkeit bereits in einer so frühen Phase des Planungsprozesses einbezogen werden sollte. Graf steht einer solchen frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit auf einer ersten Stufe skeptisch gegenüber, weil der Beitrag der Öffentlichkeit zur Erstellung des Planentwurfs angesichts der Abstraktheit und Komplexität der Materie gering einzuschätzen sei.106 Auch ist die Gefahr einer Verzögerung des Planungsprozesses nicht ganz von der Hand zu weisen.107 Andere können einer solchen Verfahrensweise durchaus gewisse Vorteile abgewinnen. Durch eine möglichst frühe Abstimmung im Vorfeld könne der Gefahr vorgebeugt werden, dass erst im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung Belange vorgebracht würden, die eine Planänderung auslösen.108 Die in einem so frühen Planungsstadium noch offene Haltung der Beteiligten könne dazu führen, dass sie sich bei später auftretenden Konflikten unvoreingenommen begegnen und gemeinsam nach geeigneten Lösungen suchen.109 3. Die Konsultation der Öffentlichkeit In Umsetzung des Gemeinschaftsrechts gibt der Bund den Ländern nunmehr obligatorisch vor, dass der Öffentlichkeit frühzeitig und effektiv Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf des Raumordnungsplans, seiner Begründung sowie zum Umweltbericht zu geben ist (§ 7 Abs. 6 S. 1 ROG). Der Gesetzgeber ging dabei insoweit über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus, als die Öffentlichkeitsbeteiligung auf die gesamte Planung und nicht nur den umweltprüfungsrelevanten Teil bezogen wird.110 Eine Öffentlichkeitsbeteili___________ 104
§ 7 Abs. 2 LPlG M-V. § 14 Abs. 2 LPlG NRW; ähnlich § 3 Abs. 10 LPlG LSA; § 10 Abs. 2 ThürLpLG. 106 Graf (Fn. 4), S. 158 ff. 107 Siehe dazu Uebbing (Fn. 24), S. 217. 108 Grotefels/Uebbing NuR 2003, 461, 466; Uebbing (Fn. 24), S. 216 f. verweist darauf, dass insbesondere die Nichtregierungsorganisationen wertvolle Hinweise geben könnten. 109 Danielzyk (Fn. 20), S. 136. 110 Graf (Fn. 4), S. 137 f. 105
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gung ist auch dann durchzuführen, wenn der Plan ausnahmsweise nicht umweltprüfpflichtig ist.111 Da ganz allgemein von Raumordnungsplänen gesprochen wird, gilt dieses Verfahrenserfordernis für den Raumordnungsplan für das gesamte Landesgebiet und die Regionalpläne.112 Im Übrigen hat der Gesetzgeber den Ländern die Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung in den Einzelheiten überlassen, die dabei allerdings an die europarechtlichen Vorgaben gebunden sind.113 a) Der zu beteiligende Personenkreis § 7 Abs. 6 S. 1 ROG spricht davon, dass der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen ist, ohne zu definieren, was unter „Öffentlichkeit“ zu verstehen ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll der Begriff „Öffentlichkeit“ wie in Art. 6 Abs. 4 SUP-RL aufzufassen sein.114 In Anlehnung an die Aarhus-Konvention umfasst die Öffentlichkeit nach Art. 2 lit. d SUP-RL „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen.“ Bei den in Art. 6 SUP-RL geregelten Konsultationen nimmt die Richtlinie dann folgende Differenzierung vor: Gemäß Art. 6 Abs. 1 SUP-RL sind der Planentwurf und der Umweltbericht der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach dem Zusammenspiel von Art. 6 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SUP-RL müssen die Mitgliedstaaten zwingend aber nur den Teilen der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen, die vom Entscheidungsprozess betroffen sind oder voraussichtlich betroffen sein werden oder ein Interesse daran haben, wie dies bei relevanten Nichtregierungsorganisationen, etwa zur Förderung des Umweltschutzes, der Fall ist. Es würde demnach keinesfalls genügen, eine Stellungnahmemöglichkeit den Verbänden vorzubehalten.115 Während also die Unterlagen, zu denen Stellung genommen werden soll, praktisch jedermann zugänglich zu machen sind, kann der Kreis der stellungnahmeberechtigten Personen nachher auf die betroffene bzw. interessierte Öffentlichkeit reduziert werden.116 Ausweislich der Gesetzesmaterialien ging der Bundesgesetzgeber davon aus, dass die Länder die Öffentlichkeitsbeteiligung im Laufe des Planungsprozesses „trich___________ 111
Runkel (Fn. 96), S. 62. Siehe die Definition der Raumordnungspläne in § 3 Nr. 7 ROG; wie hier auch Graf (Fn. 4), S. 138. 113 BT-Drucks. 15/2250, S. 71; Molitor (Fn. 23), S. 35. 114 BT-Drucks. 15/2250, S. 71. 115 Ziekow, NuR 2002, 701, 705; s. auch Danielzyk (Fn. 20), S. 117; Graf (Fn. 4), S. 141; Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 460, 465; Uebbing (Fn. 24), S. 204 f. 116 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 460, 464. 112
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terförmig“ verengen können.117 Da das Gemeinschaftsrecht aber nur einen Mindestrahmen statuiert,118 andererseits der Bundesgesetzgeber nicht explizit vorgeschrieben hat, dass die betroffene Öffentlichkeit stellungnahmeberechtigt ist, bleibt es den Ländern überlassen, ob sie die Öffentlichkeitsbeteiligung als Interessenten- oder Popularbeteiligung ausgestalten wollen.119 Für das Modell einer Interessentenbeteiligung haben sich u. a. Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen entschieden. Nach § 7 Abs. 3 LPlG M-V ist der überarbeitete Entwurf des Landesraumentwicklungsprogramms einschließlich Begründung und Umweltbericht der „betroffenen Öffentlichkeit“ zur Stellungnahme bekannt zu geben. Diese Regelung bleibt insoweit hinter den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen zurück, als die Unterlagen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind. Denn dadurch wird gewährleistet, dass alle potenziell Betroffenen den Planentwurf und Umweltbericht zur Kenntnis nehmen und ihre Betroffenheit im weiteren Verfahren artikulieren können.120 Nach § 14 Abs. 3 S. 2 LPlG NRW ist in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, dass Personen, „die in ihren Belangen berührt werden,“ zu den Dokumenten Stellung nehmen können.121 Die Verengung des zu beteiligenden Personenkreises dürfte auf der Erwägung beruhen, dass man sich von der Interessentenbeteiligung eine geringere finanzielle, organisatorische und zeitliche Belastung des Planungsprozesses als bei einer Popularbeteiligung verspricht.122 Die Mehrzahl der Länder hat von der Verengungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht,123 so dass jede Person und damit auch jede Vereinigung unabhängig von einer Betroffenheit in eigenen Interessen zu der jeweiligen Planung Stellung beziehen kann.124 Angesichts der Großmaßstäblichkeit des Planungsraumes, bei dem es eine Vielzahl von Personen mit einem Interesse an der Planung geben wird, dürfte es im Ergebnis kaum einen gravierenden Unter___________ 117 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 460, 464; Schink, NuR 2005, 143, 147; a. A. wohl Grotefels, NWVBl 2007, 41, 46, wonach § 7 Abs. 6 ROG eine Jedermann-Beteiligung nicht nur bei der Information, sondern auch bei der Gelegenheit zur Stellungnahme vorsehe. 118 Siehe die Erwägung (8) der SUP-Richtlinie; s. auch Graf (Fn. 4), S. 142. 119 Ähnlich auch Graf (Fn. 4), S. 142. 120 Schink, NuR 2005, 143, 147; ders. (Fn. 32), S. 149; Uebbing (Fn. 24), S. 191 f. 121 Siehe dazu Grotefels, NWVBl 2007, 41, 46. 122 Siehe zu diesem generellen Einwand gegen die Popularbeteiligung BR-Drucks. 277/97, S. 5; Ziekow, NuR 2002, 701, 706. Jacoby (Fn. 14), S. 178 ist für eine Beteiligung nur stark eingegrenzter Teile der Öffentlichkeit. 123 Siehe Art. 12 Abs. 2 BayLPlG, § 6 Abs. 4 RhPfLPlG, § 3 Abs. 4 SaarlLPlG, § 3b LPlG LSA, § 10 Abs. 3 ThürLPlG. 124 Siehe zum stellungnahmeberechtigten Personenkreis bei der Popularbeteiligung Graf (Fn. 4), S. 140.
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schied machen, ob eine Interessenten- oder Popularbeteiligung angeordnet wird.125 Eine Beschränkung der Stellungnahmeberechtigung wäre gegenüber der Popularbeteiligung insofern mit einem Mehr an Aufwand verbunden, als die zuständige Behörde die Stellungnahmeberechtigung der Personen prüfen müsste.126 Auch erübrigt sich bei einer Popularbeteiligung eine Sonderregelung für Verbände, weil diese häufig durch die Planung nicht in eigenen Belangen tangiert werden.127 Eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung ist mit einer erhöhten Transparenz verbunden. Dies lässt erwarten, dass die spätere Planungsentscheidung eher akzeptiert und ihre Durchführbarkeit erhöht wird.128 Selbst wenn die Bürger die Auswirkungen der hochstufigen Planung angesichts ihrer Abstraktheit möglicherweise nicht sofort in allen Einzelheiten überschauen können, bedeutet dies nicht, dass von der Öffentlichkeit keinerlei kontrollierende Wirkungen ausgehen können.129 Da bei der Raumordnungsplanung wichtige Vorentscheidungen, beispielsweise über Infrastrukturvorhaben, gefällt werden, kann die Einbeziehung der Bürger in den Planungsprozess ihr Verantwortungsbewusstsein erhöhen und somit einheitsstiftend wirken sowie zu einer umfassenderen Sachverhaltsermittlung beitragen.130 Dementsprechend befürwortet das überwiegende Schrifttum die Einführung einer Popularbeteiligung bei der überörtlichen Raumplanung.131 Die Gefahr einer dadurch bedingten erschwerten Handhabbarkeit des Planungsprozesses wird gering eingeschätzt, zumal die Bürger bislang nur mäßig an der überörtlichen Raumplanung interessiert sind132 und nach bisheriger Planungspraxis meistens nur diejenigen Personen Stellung nehmen, die sich ernsthaft für die Planung interessieren und zu ihr fachlich beitragen können.133 b) Vorherige Bekanntmachung des Konsultationsverfahrens Aufgrund seiner damaligen Rahmengesetzgebungskompetenz hat der Bund die Bekanntmachung und Auslegung der Planungsdokumente nicht näher geregelt. Damit sich die Bürger auf das Beteiligungsverfahren einrichten können, ___________ 125
Uebbing (Fn. 24), S. 119; Ziekow, NuR 2002, 701, 706. Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 464; Molitor (Fn. 23), S. 37; Uebbing (Fn. 24), S. 209; Ziekow, NuR 2002, 701, 706. 127 Uebbing (Fn. 24), S. 211 f.; Ziekow, NuR 2002, 701, 706. 128 Graf (Fn. 4), S. 149; Molitor (Fn. 23), S. 37. 129 Graf (Fn. 4), S. 149. 130 Graf (Fn. 4), S. 148. 131 Graf (Fn. 4), S. 151; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 46; Uebbing (Fn. 24), S. 210; Ziekow, NuR 2002, 701, 706. 132 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 464 f.; s. dazu auch Lamm, DVP 2005, 450, 453. 133 Graf (Fn. 4), S. 150; Uebbing (Fn. 24), S. 210. 126
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sind sie darauf durch eine vorherige Bekanntmachung aufmerksam zu machen.134 Die Bekanntmachung soll eine „Anstoßfunktion“ entfalten und dazu beitragen, dass sich die Bürger tatsächlich Kenntnis von der Planung verschaffen und am Planungsprozess beteiligen.135 Dementsprechend lauten die Landesregelungen dahingehend, dass Ort und Zeit der Auslegung der Planungsdokumente „in angemessener Frist“,136 „mindestens eine Woche“137 bzw. „mindestens zwei Wochen“138 vorher139 bekannt zu geben sind. Da die meisten Vorschriften der zuständigen Behörde insoweit ein gewisses Ermessen einräumen, hat sie sich bei seiner Ausübung am Sinn und Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung zu orientieren. Auffallend häufig wird vorgesehen, dass die Bekanntmachung in den Amtsblättern des Landes bzw. der jeweiligen Gebietskörperschaften erfolgt.140 Da die meisten Bürger aber nicht das herkömmliche Amtsblatt in Druckform beziehen und ihnen oft die Zeit und der Anlass fehlt, sich dort nach etwaigen Planungen zu erkundigen,141 kann man durchaus die Frage aufwerfen, ob diese Regelungen noch dem Sinn und Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie der in § 7 Abs. 6 S. 1 ROG postulierten „effektiven“ Gelegenheit zur Stellungnahme gerecht werden.142 Grundsätzlich dürften diese Regelungen noch mit den europa- und völkerrechtlichen Vorgaben in Einklang stehen. Denn Art. 6 Abs. 2 AK lässt bei der Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten eine öffentliche Bekanntmachung genügen, Art. 6 Abs. 3 AK spricht nur von ausreichend Zeit für die Öffentlichkeit „zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung.“ Nach Art. 6 Abs. 5 SUP-RL obliegt es den ___________ 134
Graf (Fn. 4), S. 153. So für das Planfeststellungsrecht Ziekow, VwVfG, 2006, § 73 Rn. 39; s. auch Danielzyk (Fn. 20), S. 122; Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 460, 465; Uebbing (Fn. 24), S. 213. 136 § 7 Abs. 3 LPlG M-V. 137 § 6 Abs. 4 S. 2 RhPfLPlG, § 10 Abs. 3 S. 3 ThürLPlG. 138 § 14 Abs. 3 S. 2 LPlG NRW, § 3 Abs. 4 S. 2 SaarlLPlG. 139 Insoweit ohne nähere zeitliche Konkretisierung Art. 13 Abs. 2 S. 4 BayLPlG, § 3b S. 3 LPlG LSA. 140 Art. 12 Abs. 2 S. 4 BayLPlG, § 7 Abs. 3 S. 2 LPlG M-V, § 4 Abs. 4 S. 2 SaarlLPlG. 141 I. E. auch Uebbing (Fn. 24), S. 213 f. 142 Letztlich kann dies nur für jedes Land gesondert festgestellt werden, etwa ob in mehreren Amtsblättern auf die Planung aufmerksam gemacht wird. Nach Danielzyk (Fn. 20), S. 122 reicht eine alleinige Bekanntmachung im Amtsblatt auf keinen Fall. Ändern könnte sich die Rechtslage, wenn in einem elektronischen Amtsblatt die Bekanntmachungen mit verbindlicher Wirkung vorgenommen werden könnte. Keine Bedenken hat Knuth, Statement zur Umsetzung der raumordnungsrechtlichen Rahmenvorschriften in Berlin/Brandenburg, in: Mitschang: Stadt- und Regionalplanung vor neuen Herausforderungen, 2007, S. 45 (53). 135
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Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der Information der Öffentlichkeit festzulegen. Allerdings lässt sich Art. 3 Abs. 2 AK entnehmen, dass die staatlichen Stellen die Öffentlichkeit bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen sollen. Dies legt das Ergreifen weiterer Informationsmaßnahmen nahe. Nach einer Studie wird die Bevölkerung vor allem durch die Berichterstattung in der Presse und dem Rundfunk, nur zu einem geringen Teil durch Gespräche im öffentlichen Umfeld und nur am Rande durch amtliche Bekanntmachungen auf Planungen aufmerksam gemacht.143 Graf betont zutreffend, dass die Bekanntmachung bürgernah zu erfolgen hat, um ihren Zweck zu erfüllen.144 Eine geradezu vorbildliche Regelung enthält § 3b S. 2 LPlG LSA, wonach neben der Bekanntmachung nach diesem Gesetz „landesweit in der Tagespresse“ über die Auslegung der Unterlagen zu informieren ist.145 Soweit eine Bekanntmachung in einem Amtsblatt vorgeschrieben wird, hindert dies die zuständigen Stellen nicht, die Öffentlichkeit durch die Einbeziehung weiterer Medien auf die Planung aufmerksam zu machen. Bei einer Novelle des Raumordnungsgesetzes sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass bei der Information im Vorfeld eine bürgernahe, möglichst mehrgleisige Bekanntmachungsstrategie vorgesehen wird. c) Zur Auslegung und zur Stellungnahmefrist Für die Wirksamkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung ist darüber hinaus bedeutsam, wo die Dokumente, zu denen Stellung bezogen werden soll, ausgelegt werden und wie lange die Auslegungsfrist ausfällt. Die landesrechtlichen Regelungen sind in diesen Punkten sehr unterschiedlich. Was die Auslegungsorte anbetrifft, sehen einige Länder vor, dass der Raumordnungsplan für das gesamte Gebiet bei der dafür zuständigen obersten Landesbehörde,146 der Regionalplan bei der dafür zuständigen Stelle auszulegen ist. Andere Länder machen den Raumordnungsplan für das gesamte Landesgebiet der Öffentlichkeit über mehrere Stellen zugänglich. Beispielsweise wird in Nordrhein-Westfalen der Entwurf des Raumordnungsplans zusammen mit den anderen Dokumenten von den Bezirksplanungsbehörden sowie den Kreisen und kreisfreien Städten ausgelegt.147 Für eine Auslegung der Dokumente beim jeweiligen Planungsträger ___________ 143
Lamm, DVP 2005, 450, 454. Graf (Fn. 4), S. 153; so auch Uebbing (Fn. 24), S. 213. 145 Für eine Bekanntmachung in örtlichen Tageszeitungen auch Molitor (Fn. 23), S. 38; Uebbing (Fn. 24), S. 214. Kritisch demgegenüber Knuth (Fn. 142), S. 53 wegen der Kosten. Nach § 14 Abs. 3 S. 2 LPlG NRW hat eine ortsübliche Bekanntmachung zu erfolgen. 146 So Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayLPlG; § 3 Abs. 4 S. 1 SaarlLPlG; § 3b S. 1 LPlG LSA. 147 § 14 Abs. 3 S. 1 LPlG. Ähnliche Regelungen finden sich in § 6 Abs. 4 S. 1 RhPfLPlG, § 10 Abs. 3 S. 2, 3 ThürLPlG. 144
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spricht, dass dieser der Öffentlichkeit am besten zusätzliche Auskünfte über die jeweilige Planung erteilen kann.148 Andererseits kann es sich für die Bürger als überaus beschwerlich erweisen, wenn die Dokumente nur bei einer einzigen Stelle ausgelegt werden und sie eine sehr lange Anfahrtszeit auf sich nehmen müssen, um diese überhaupt einsehen zu können. Um eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung zu gewährleisten, muss deshalb der Auslegungsort in einer für die Bürger zumutbaren Entfernung liegen.149 Vor einer vorschnellen Verwerfung aller gesetzlichen Regelungen, die eine Dokumentenauslegung nur bei einer einzigen Stelle vorsehen, sei aber gewarnt. Denn in kleineren Bundesländern kann die Zumutbarkeit möglicherweise noch gegeben sein. Da bei einer Veröffentlichung der Dokumente im Internet jede Person zu jeder Zeit im Idealfall von zu Hause aus die jeweiligen Dokumente aufrufen und einsehen kann, lassen sich mit den elektronischen Medien derartige Zugangsbarrieren zumindest langfristig überwinden.150 Da zurzeit noch nicht alle Personen über einen Internetanschluss sowie die erforderliche Medienkompetenz verfügen, kann ein Verweis auf die elektronischen Medien etwaige Zugangshürden allenfalls dann kompensieren, wenn sichergestellt ist, dass die betroffenen Personen bei öffentlichen Stellen die entsprechende Hilfe zum Aufruf und zur Ansicht der Planungsdokumente erfahren.151 Auch die landesrechtlichen Fristvorgaben variieren. Die Auslegungsfrist beträgt mindestens einen Monat,152 in Rheinland-Pfalz sechs Wochen153 und in Thüringen154 sowie grundsätzlich in Nordrhein-Westfalen155 zwei Monate. Je nach Bundesland ist die Stellungnahmefrist mit der Auslegungsfrist identisch bzw. endet zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist.156 Da nach Art. 6 Abs. 2 SUP-RL die Öffentlichkeit „innerhalb ausreichend bemessener Fristen“ effektiv Gelegenheit zur Stellungnahme haben muss, ist zu klären, ob eine nur einmonatige Aus- und Stellungnahmefrist noch als ausreichend anzusehen ist. Zum Teil wird eine solche in Anlehnung an die Auslegungsfrist im Planfest___________ 148
Danielzyk (Fn. 20), S. 125. Danielzyk (Fn. 20), S. 125, 138; Graf (Fn. 4), S. 154; Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 466; Molitor (Fn. 23), S. 39; etwas vager Uebbing (Fn. 24), S. 214. 150 Regelungen zu den elektronischen Medien enthalten z. B. Art. 13 Abs. 2 S. 3 BayLPlG, § 6 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 RhPfLPlG; § 3b S. 3 LPlG LSA; s. auch Grotefels, NWVBl 2007, 41, 46; zur elektronischen Gesetzesverkündung Guckelberger, DVBl 2007, 985 ff. 151 Siehe zu den Chancen des Internets Molitor (Fn. 23), S. 39 f. 152 Art. 13 Abs. 2 S. 2 BayLPlG; § 3b S. 2 LPlG LSA; § 3 Abs. 4 S. 1 SaarlLPlG (ohne den Zusatz mindestens). 153 § 6 Abs. 4 S. 1 RhPfLPlG. 154 § 10 Abs. 3 S. 1 ThürLPlG. 155 § 14 Abs. 3 S. 1 LPlG NRW. 156 So in § 6 Abs. 4 S. 2 RhPfLPlG; § 3 Abs. 4 S. 2 SaarlLPlG. 149
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stellungsrecht (§ 73 Abs. 3 VwVfG) und im Bauplanungsrecht (§ 3 Abs. 2 S. 1 BauGB) noch als rechtmäßig angesehen.157 Andere verweisen demgegenüber zutreffend darauf, dass die Raumordnungsplanung im Vergleich zur Bauleitplanung deutlich abstrakter und komplexer ist und sich die Bürger insbesondere wegen des fehlenden Bezugs zum kleinmaßstäblichen Lebensumfeld wesentlich schwieriger in diese hineindenken können.158 Schon im Hinblick auf die Größe des Planungsgebiets müssen sich die Bürger über weit mehr Gegebenheiten und Konsequenzen Gedanken machen als bei der gemeindlichen Bauleitplanung. Deshalb dürfte eine generell mit einem Monat angesetzte Stellungnahmefrist nicht mehr effektiv und angemessen sein.159 Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht ein vergleichender Blick auf die nunmehr geltende Stellungnahmefrist bei Planungen auf der Gemeinschaftsebene. Nach Art. 9 Abs. 4 EG-Verordnung Nr. 1367/2006160 wird für den Eingang von Stellungnahmen eine Frist von mindestens 8 Wochen vorgesehen, sofern nicht die Öffentlichkeit schon einmal Stellung nehmen konnte. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich bei einer Novellierung des Raumordnungsgesetzes eine vergleichbare Regelung wie in Nordrhein-Westfalen. Eine zweimonatige Stellungnahmefrist dürfte, wie an anderen Bundesländern deutlich wird, die Praktikabilität der Raumplanung kaum beeinträchtigen, zumal bei ihr der Realisierungsdruck regelmäßig nicht so hoch ausfällt.161 d) Zur Ausgestaltung der Beteiligung Es gibt verschiedene Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung, die von der reinen Informationsvermittlung über die Mitwirkung, etwa durch Anhörung oder Erörterung bis hin zur Mitentscheidung reichen.162 Indem der Bundesgesetzgeber in § 7 Abs. 6 S. 1 ROG vorgeschrieben hat, dass der Öffentlichkeit „Gelegenheit zur Stellungnahme“ zu geben ist, hat er sich für eine aktive Beteili___________ 157 Danielzyk (Fn. 20), S. 119, hält aber auf S. 123 eine längere Frist für empfehlenswert; Grotefels (Fn. 35), S. 32; Molitor (Fn. 23), S. 39; Uebbing/Grotefels, NuR 2003, 460, 466. 158 Graf (Fn. 4), S. 156; Uebbing (Fn. 24), S. 200 f.; Ziekow, NuR 2002, 701, 705. 159 Wie hier auch Graf (Fn. 4), S. 156 f.; zweifelnd gegenüber einer einmonatigen Frist Uebbing (Fn. 24), S. 219. 160 Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmung des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl EU 2006 Nr. L 264/13 ff. 161 So Ziekow, NuR 2002, 701, 705; s. auch Bunge/Nesemann (Fn. 69), Ziffer 0507, S. 31; Molitor (Fn. 23), S. 39; Uebbing (Fn. 24), S. 220. 162 Siehe näher zur typologischen Aufgliederung Siegel, Die Verfahrensbeteiligung von Behörden und anderen Trägern öffentlicher Belange, 2001, S. 73 ff.
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gungsart entschieden, die zwar auf Rückäußerung angelegt ist, jedoch keine Willensübereinstimmung mit dem Planungsträger erfordert.163 Laut den Gesetzesmaterialien wollte der Bundesgesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs der „Stellungnahme“ verdeutlichen, „dass nicht lediglich die Möglichkeit einer passiven, sondern einer aktiven Beteiligung gefordert wird.“164 Obwohl sich unter die Wendung „Gelegenheit zur Stellungnahme“ z. B. schriftliche Stellungnahmen, öffentliche Anhörungen oder Befragungen subsumieren lassen,165 gehen die meisten Bundesländer davon aus, dass sich die beteiligungsberechtigten Personen einseitig gegenüber dem Planungsträger äußern. Meistens wird explizit von „schriftlichen“,166 teilweise auch von elektronischen167 Stellungnahmen gesprochen. Dieses Formerfordernis ist angesichts der großen Zahl der bei der Raumplanung teilnahmeberechtigten Personen sachgerecht und ermöglicht den zuständigen Stellen, sich eingehend mit dem Vorbringen der Privatpersonen und Vereinigungen auseinanderzusetzen.168 Die Stellungnahmen sind in aller Regel gegenüber dem Planungsträger abzugeben. Denkbar wäre auch, dass sie gegenüber weiteren, die Dokumente auslegenden Stellen geäußert werden können, die dann aber ungefiltert an den zuständigen Planungsträger weiterzuleiten wären.169 Da die stellungnahmeberechtigten Personen durch die Abgabe gegenüber dem Planungsträger nicht unzumutbar belastet werden, trägt diese Ausformung der Effektivität der Öffentlichkeitsbeteiligung hinreichend Rechnung, da sich der Planungsträger nicht vergewissern muss, ob alle Stellungnahmen tatsächlich weitergeleitet wurden. Obwohl der gegenwärtige Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 6 S. 1 ROG der Einführung eines Erörterungstermins, in dem die eingegangenen Informationen in einem mündlichen Gespräch mit der Öffentlichkeit verarbeitet werden,170 nicht entgegenstünde, wird ein solcher auf Landesebene regelmäßig nicht vorgegeben. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass bei der großflächigen Raumordnungsplanung auf Landesebene eine Vielzahl von Personen stellungnahmeberechtigt ist und deshalb erhebliche organisatorische Anstrengungen zur Durchführung eines solchen Termins unternommen werden müssten.171 Man steht also dem mit einem Erörterungstermin verbundenen Aufwand sowie ___________ 163
Siehe dazu näher Siegel (Fn. 161), S. 78 f. BT-Drucks. 15/2250, S. 71. 165 So Graf (Fn. 4), S. 157. 166 Art. 12 Abs. 2 S. 4 BayLPlG; § 7 Abs. 3 S. 2 LPlG M-V; § 6 Abs. 4 S. 3 PhPfLPlG. 167 § 6 Abs. 4 S. 3 RhPfLPlG. 168 Graf (Fn. 4), S. 157; s. auch Uebbing (Fn. 24), S. 218. 169 Graf (Fn. 4), S. 157; gegen eine solche Möglichkeit Uebbing (Fn. 24), S. 215. 170 Siehe dazu Cancik, DÖV 2007, 107 ff.; Guckelberger, DÖV 2006, 97 ff.; Siegel (Fn. 161), S. 80. 171 Graf (Fn. 4), S. 157. 164
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der damit einhergehenden potenziellen Verzögerungsgefahr ablehnend gegenüber. Dies steht im Einklang mit den internationalen Vorgaben, da weder die Aarhus-Konvention noch die SUP-Richtlinie die Mitgliedstaaten zwingend zur Durchführung eines Gesprächstermins mit denjenigen Personen verpflichtet, die sich zur Planung geäußert haben.172 e) Zur „frühzeitigen und effektiven“ Öffentlichkeitsbeteiligung Nach § 7 Abs. 6 S. 1 ROG muss der Öffentlichkeit „frühzeitig und effektiv“ Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Der Bundesgesetzgeber wollte damit zum Ausdruck bringen, „dass die Beteiligung nicht nur formal, sondern auch mit der tatsächlichen Möglichkeit der Einflussnahme auf geplante Ziele der Raumordnung … erfolgt.“173 Die Öffentlichkeitsbeteiligung wird die in sie gesetzten Erwartungen nur erfüllen, wenn die von privater Seite vorgebrachten Erkenntnisse noch in den Planungsprozess einfließen können.174 Dementsprechend soll die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 7 i.V.m. Art. 6 Abs. 4 AK zu einem frühen Zeitpunkt erfolgen, zu dem noch alle Optionen offen stehen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung darf also auf keinen Fall in einem Stadium erfolgen, in dem die Planungsentscheidung bereits irreversibel gefällt wurde.175 Nach dem Landesrecht werden die Stellungnahmen zu dem Planentwurf, seiner Begründung und dem Umweltbericht abgegeben. Weil es hier bereits zu einer gewissen Verfestigung der Planung gekommen ist, ist kritisch zu hinterfragen, ob dies noch dem Frühzeitigkeitskriterium entspricht. Im Ergebnis ist dies zu bejahen, weil sowohl nach § 7 Abs. 6 S. 1 ROG als auch nach Art. 6 Abs. 2 SUP-RL die Stellungnahmemöglichkeit auf den Planentwurf bezogen wird.176 Da der Planungsträger bei seiner Abwägungsentscheidung die Stellungnahmen der Öffentlichkeit zu berücksichtigen hat (§ 7 Abs. 7 S. 2 ROG) und die Öffentlichkeit somit Einfluss auf das Entscheidungsergebnis nehmen kann, wird durch den gewählten Beteiligungszeitpunkt dem Gebot der Frühzeitigkeit noch entsprochen.177 ___________ 172
Danielzyk (Fn. 20), S. 157; Fisahn, ZUR 2004, 136, 139; Graf (Fn. 4), S. 157; Schink, NuR 2005, 143, 147. 173 BT-Drucks. 15/2250, S. 71. 174 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 466. 175 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 466; s. auch Fisahn, ZUR 2004, 136, 139; Kment, NVwZ 2005, 886, 888; Uebbing (Fn. 24), S. 201. 176 Siehe zur SUP-Richtlinie Graf (Fn. 4), S. 158; Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 466; Uebbing (Fn. 24), S. 202; Ziekow, NuR 2002, 701, 702. 177 Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 466; Uebbing (Fn. 24), S. 202; für eine Vereinbarkeit mit der Effektivität der Öffentlichkeitsbeteiligung Danielzyk (Fn. 20), S. 117. Kritisch dagegen Fisahn, ZUR 2004, 136, 139.
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f) Zur Berücksichtigung der abgegebenen Stellungnahmen einschließlich etwaiger Präklusionsregelungen Gemäß § 7 Abs. 7 ROG hat der Planungsträger die Grundsätze der Raumordnung gegen- und untereinander abzuwägen und den Umweltbericht sowie die von der Öffentlichkeit abgegebenen Stellungnahmen bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Das im Anschluss an die Umweltprüfung festgestellte Ergebnis findet also in die allgemeine planerische Abwägung Eingang.178 Sollte sich herausgestellt haben, dass die Annahmen des Umweltberichts ganz oder teilweise nicht zutreffen, muss die Umweltprüfung ergänzt oder wiederholt werden, bevor sie bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann.179 Bei der planerischen Gesamtabwägung kann der Planungsträger anderen als umweltrechtlichen Belangen den Vorrang einräumen. Zwar kommt den Umweltbelangen infolge ihrer systematischen Aufbereitung durch die Umweltprüfung unter Umständen faktisch ein besonderes Gewicht zu, sofern den anderen Belangen nicht in dieser Ermittlungsintensität und -tiefe nachgegangen wurde.180 Bis auf wenige Ausnahmen181 wird aber wegen des verfahrensrechtlichen Charakters eine materiell-rechtliche Wirkung der Umweltprüfung abgelehnt. Durch sie wird den Umweltbelangen in der Abwägung kein besonderes Gewicht in Form eines Optimierungsgebots eingeräumt.182 In mehreren Bundesländern gibt es präzisierende Regelungen zum Prüfumfang des Planungsträgers. § 6 Abs. 4 S. 3 RhPfLPlG bestimmt hinsichtlich der Öffentlichkeitsbeteiligung, dass die fristgemäß vorgebrachten Anregungen zu prüfen sind. Nach § 7 Abs. 3 S. 4 LPlG ist in der Bekanntmachung der Öffentlichkeitsbeteiligung darauf hinzuweisen, dass nicht fristgemäß abgegebene Stellungnahmen im weiteren Verfahren unberücksichtigt bleiben. Ein ähnlicher Hinweis ist in § 10 Abs. 3 S. 4 ThürLPlG vorgesehen. In Absatz 7 wird sodann präzisiert, dass nicht rechtzeitig abgegebene Stellungnahmen im Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung außer Betracht bleiben „können“, sofern die für die Aufstellung des Raumordnungsplans zuständige Stelle ihren Inhalt nicht kannte und nicht hätte kennen müssen oder ihr Inhalt für die Rechtmäßigkeit des Raumordnungsplans keine Relevanz hat. ___________ 178
Schink (Fn. 32), S. 155. Schink (Fn. 32), S. 155; s. zur Wiederholung der Beteiligung bei Änderungen Uebbing (Fn. 24), S. 250 ff. 180 Hoppe, NVwZ 2004, 903, 905; Krämer (Fn. 53), S. 12; Schink, NuR 2005, 143, 148; Schrödter, LKV 2006, 251, 252; Uebbing (Fn. 24), S. 293; s. auch Erbguth, NVwZ 2007, 985, 987. 181 Graf (Fn. 4), S. 188 ff.; Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914, 924. 182 Erbguth NuR 2005, 211, 214 f.; Grotefels, NWVBl 2007, 41, 46 f.; ders. (Fn. 35), S. 35; Uebbing (Fn. 24), S. 291. 179
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Die exakte Bedeutung dieser Regelungen muss für jedes Bundesland gesondert ermittelt werden. Angesichts des Rahmencharakters des bisherigen § 7 ROG ist es den Ländern unbenommen Präklusionsregelungen einzuführen, wonach das verspätete Vorbringen einzelner Personen während des Planungsprozesses (so genannte formelle Präklusion) oder aber auch in einem späteren Gerichtsverfahren (so genannte materielle Präklusion) nicht berücksichtigt wird.183 Derartige Verfahrensregelungen sollen zu einer Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung beitragen und insbesondere der planenden Behörde ab einem bestimmten Zeitpunkt Gewissheit darüber verschaffen, mit welchen Stellungnahmen sie sich auseinandersetzen muss.184 Die Anordnung einer Präklusion lässt sich mit der Aarhus-Konvention und der SUPRichtlinie vereinbaren. Wenn in Art. 6 Abs. 3 AK von ausreichend Zeit zur Beteiligung und in Art. 8 AK von einem ausreichenden zeitlichen Rahmen für eine effektive Beteiligung gesprochen wird, kann auch für die Öffentlichkeitsbeteiligung von Plänen und Programmen nach Art. 7 AK ein zeitliches Limit vorgegeben werden.185 Dementsprechend sieht Art. 6 Abs. 2 SUP-RL eine Stellungnahmemöglichkeit „innerhalb ausreichend bemessener Fristen“ vor. Die zeitliche Befristung impliziert, sofern die Anforderungen an die Angemessenheit der Frist und die Effektivität der Öffentlichkeitsbeteiligung beachtet werden, mögliche negative Folgen für nicht fristgemäß vorgetragene Stellungnahmen.186 Ob eine Präklusion verspätet vorgetragener Stellungnahmen im nationalen Recht eingeführt werden soll, ist vor allem eine politische Entscheidung.187 Gerade bei den hochstufigen Planungen ist in Rechnung zu stellen, dass dadurch bedeutende Weichenstellungen für die nachgeordneten Ebenen getroffen werden, die es weiter zu konkretisieren gilt. Um diese Planungsprozesse nicht unnötig zu belasten, kann es sich durchaus als sinnvoll erweisen, wenn auf der übergeordneten Ebene nicht strikt auf dem Fristablauf beharrt ___________ 183 Siehe zu den verschiedenen Präklusionsformen Niedzwicki, Präklusionsvorschriften des öffentlichen Rechts im Spannungsfeld zwischen Verfahrensbeschleunigung, Einzelfallgerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, 2007, S. 37 ff.; eher skeptisch Erbguth, NVwZ 2007, 985, 989. 184 Siehe dazu Graf (Fn. 4), S. 160 f. 185 Demgegenüber meint Fisahn, ZUR 2004, 136, 138, dass der Konvention eine Präklusion öffentlicher Rechtsansprüche fremd sei, weil es ihr um eine Beteiligung im Sinne des Umweltschutzes gehe. 186 Siehe dazu Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule: Prüfungsumfang, Kontrolldichte, prozessuale Ausgestaltung und Fehlerfolgen, in: ders./Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Arhus-Konvention, 2005, S. 64 (87 f.); Graf (Fn. 4), S. 160 verweist vor allem auf die Ausgestaltungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 5 SUP-RL. Europarechtliche Bedenken finden sich dagegen bei Erbguth, NVwZ 2007, 985, 989. 187 Nach Danielzyk (Fn. 20), S. 120 benötigt die Raumplanung aufgrund ihrer vielfältigen Sachverhalte, der Komplexität der Belange und der erforderliche Planungsprozess ohnehin einen längeren Zeitraum.
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wird.188 Da bei Erlass einer Präklusionsregelung verschiedene kollidierende Belange zueinander in angemessenen Ausgleich zu bringen sind, sprechen gute Gründe für eine eingeschränkte Präklusionswirkung. Wegen seiner Gesetzesbindung muss der Planungsträger eine rechtmäßige Planungsentscheidung treffen. Da es auf der hochstufigen Planungsebene meistens um den Ausgleich eher abstrakter Rechts-positionen geht und damit weniger die subjektiven Rechtspositionen im Vordergrund stehen, ist eine Berücksichtigung verspätet vorgetragener, für die Abwägung entscheidungserheblicher Belange trotz des Fristablaufs durch den Planungsträger geboten. Die Wirkungsweise der Präklusion bestünde dann vornehmlich darin, den beteiligungsberechtigten Personen das Berufen auf ihre vorgetragenen Stellungnahmen abzuschneiden.189 g) Öffentliche Bekanntmachung mit Begründung Nach § 7 Abs. 9 ROG ist der Raumordnungsplan mit seiner die Umweltprüfung betreffenden Begründung öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung korrespondiert mit der Vielzahl beteiligungsberechtigter Personen190 und trägt zu einem hohen Maß an Transparenz für jeden bei. Während früher nur allgemein eine Begründung der Planungsentscheidung vorgeschrieben war, wird diese nunmehr in § 7 Abs. 8 S. 2 ROG präzisiert. Sie muss Angaben darüber enthalten, wie Umwelterwägungen, der Umweltbericht sowie die abgegebenen Stellungnahmen im Plan berücksichtigt wurden und welche Gründe nach Abwägung mit den geprüften anderweitigen Planungsmöglichkeiten für die Festlegungen des Planes entscheidungserheblich waren. Im Raumplanungsrecht ist also der Umweltbericht nicht fortzuschreiben, sondern in der so genannten zusammenfassenden Erklärung aufzuzeigen, wie sich dieser und die anderen genannten Aspekte letztlich auf die Entscheidung ausgewirkt haben.191 Die Publikmachung dieser Angaben wirkt sich in mehrfacher Hinsicht günstig auf die Öffentlichkeitsbeteiligung aus. Der Planungsträger wird sich angesichts der späteren Rechenschaftspflicht von vornherein um eine korrekte Verfahrensweise bemühen und indirekt dazu angehalten, nachträglich über die Wirksamkeit dieses Verfahrensschrittes zu reflektieren.192 Zugleich können ___________ 188
Siehe zu den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten bei der Behördenpräklusion (Fn. 161), S. 187 ff. 189 Für eine Berücksichtigungsmöglichkeit derartiger Aspekte im Planfeststellungsrecht Bonk/Neumann, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 73 Rn. 77 ff.; Wickel, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VwVfG/VwGO, 2006, § 73 Rn. 92, s. zur formellen Präklusion Niedzwicki (Fn. 182), S. 38. 190 Graf (Fn. 4), S. 202. 191 Graf (Fn. 4), S. 198; Uebbing (Fn. 24), S. 159. Siehe dazu, dass nicht auf jede einzelne Stellungnahme eingegangen werden muss, Uebbing (Fn. 24), S. 301. 192 Siehe zur WRRL Guckelberger (Fn. 19), S. 103 f.
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Personen, die Stellungnahmen abgegeben haben, nachvollziehen, inwieweit diese für die Planungsentscheidung relevant waren und daraus die entsprechenden Folgerungen für ihr weiteres Verhalten ziehen.193 h) Fazit Aufgrund der inter- und supranationalen Vorgaben sind die Raumordnungsverfahren in Deutschland wesentlich transparenter geworden. Das zentrale Element der Öffentlichkeitsbeteiligung besteht zurzeit darin, dass die Öffentlichkeit nach Erstellung des Umweltberichts zu diesem, meistens auch dem Planentwurf Stellung nehmen und so den planerischen Entscheidungsfindungsprozess beeinflussen kann. Da diese Öffentlichkeitsbeteiligung für mehrere Bundesländer ein Novum darstellt, verwundert es nicht, dass Ansätze zu einer weiteren Einbeziehung der Öffentlichkeit im Vorfeld beim Scoping oder bei der Erstellung der Planungsdokumente noch wenig ausgeprägt sind. Den Planungsprozess begleitenden, zusätzlichen Beteiligungsstrukturen, etwa in Form von Arbeitskreisen mit den Umweltverbänden oder das Abhalten öffentlicher Veranstaltungen vor Auslegung der Planunterlagen, wird bislang kaum nachgegangen.194 Angesichts des weiten Verfahrensermessens der Planungsbehörden sind ihnen derartige Begleitmaßnahmen ohne gesetzliche Regelung jedenfalls grundsätzlich nicht verwehrt. Insoweit könnte man sogar argumentieren, das Fehlen diesbezüglicher Verfahrensstandards erlaube ihnen erst die Wahl einer der jeweiligen Situation angemessenen Verfahrensweise. Andererseits könnte sich die Planungsbehörde aber auf den Standpunkt stellen, angesichts der fehlenden gesetzlichen Regelung seien keine weiteren Schritte zur Einbeziehung der Privaten in den Planungsprozess gefordert. Deshalb sollte bei Novellierung des Raumordnungsgesetzes überlegt werden, ob nicht durch entsprechende Regelungen eine weitere Öffentlichkeitsbeteiligung gefördert werden könnte, die den Planungsbehörden aber noch die nötigen Spielräume bei der Verfahrensgestaltung belässt. Im Gemeinschaftsrecht gibt es jedenfalls, wie man an Art. 14 Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)195 sieht, erste Ansätze zu einer Ausdifferenzierung der Einbeziehung Privater bei Planungsprozessen. Diese Regelung unterscheidet ___________ 193
Siehe zur WRRL Guckelberger (Fn. 19), S. 103; s. auch Graf (Fn. 4), S. 194 f. Nach Graf (Fn. 4), S. 158 und Schink, NuR 2005, 143, 147 können derartige Maßnahmen sinnvoll sein; s. auch Ginzky, UPR 2002, 47, 51; Molitor (Fn. 23), S. 42. 195 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG 2000 Nr. L 327, S. 1 ff. geändert durch die Entscheidung Nr. 2455/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.11.2001, ABl. EG 2001 Nr. L 331, S. 1 ff. 194
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zwischen der Beteiligung der breiten Öffentlichkeit, die quasi reagierend zu einem ausgearbeiteten Planentwurf Stellung nimmt, und einer weitergehenden verfahrensrechtlichen Einbeziehung besonders interessierter Stellen insbesondere in der Phase der Planaufstellung.196 Die interessierten Stellen sind ein Ausschnitt aus der allgemeinen Öffentlichkeit, die über ein größeres Interesse an der Planung verfügen und sich deshalb verstärkt engagieren möchten.197 Da der mit der Öffentlichkeitsbeteiligung verbundene Aufwand in Form von Humanressourcen und Geld stets zum angestrebten Ergebnis in einem angemessenen Verhältnis stehen muss,198 kann es sich als sachgerecht erweisen, die Öffentlichkeitsbeteiligung in den verschiedenen Phasen des Planungsprozesses unterschiedlich auszugestalten. Auch macht die weitergehende Einbeziehung gewisser Dritter im Vorfeld nur Sinn, wenn damit ein Mehrwert verbunden ist, etwa weil man sich von ihnen wichtige Informationen in einem frühen Stadium oder eine größere Akzeptanz der späteren Planungsentscheidung verspricht.199 Dies steht im Einklang mit Art. 7 AK, der von einer Beteiligung der Öffentlichkeit „während der Vorbereitung der Pläne“ spricht, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken kann. Die Bestimmung verweist auf Art. 6 Abs. 3 AK, der verschiedene Phasen der Öffentlichkeitsbeteiligung erwähnt. Allerdings dürfte den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen ein größerer Spielraum zustehen, zumal die zuständigen Behörden die Öffentlichkeit ermitteln, die sie beteiligen können.200 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass § 7 Abs. 6 S. 2 ROG eine spezielle Regelung zur Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung bei grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen auf einen Nachbarstaat enthält.
III. Das Verfahren bei Aufstellung der Bauleitpläne Angesichts der Vorgaben der Aarhus-Konvention hinsichtlich der Öffentlichkeitsbeteiligung von Plänen und Programmen verwundert es nicht, wenn ___________ 196 Nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 WRRL fördern die Mitgliedstaaten die „aktive“ Beteiligung aller interessierten Stellen an der Umsetzung dieser Richtlinie, insbesondere an der Aufstellung … der Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete. Siehe dazu eingehend Guckelberger (Fn. 19), S. 98 ff. 197 Siehe dazu Guckelberger (Fn. 19), S. 98 m.w.N. 198 Siehe den EU-Leitfaden zur Beteiligung der Öffentlichkeit in Bezug auf die Wasserrahmenrichtlinie „Common Implementation Strategy“ vom 21./22.11.2002, dessen deutsche Übersetzung über die Homepage des Umweltbundesamts abrufbar ist, S. 30; s. zu den verschiedenen kollidierenden Parametern auch Ziekow, NuR 2002, 701, 707. 199 Guckelberger (Fn. 19), S. 114. 200 Art. 7 S. 3 AK gilt nach seinem Wortlaut für die Vorbereitung umweltbezogener Programme.
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die Verfahrensstrukturen bei der Aufstellung der Bauleitpläne denjenigen bei der überörtlichen Raumplanung ähnlich sind. Am Beispiel des Bauplanungsrechts zeigt sich mit aller Deutlichkeit, wie in Deutschland die Beurteilung des Nutzens der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Erstellung der Pläne variiert. Die von der Aarhus-Konvention geforderte Umweltprüfung wurde nicht als eigenständiges Zusatzverfahren etwa in Umweltträgerschaft ausgestaltet, sondern in das bestehende Verfahren zur Aufstellung der Bauleitpläne integriert.201 Obwohl dies an und für sich nach dem Gemeinschaftsrecht nicht notwendig gewesen wäre, hat das EAG Bau 2004 die Durchführung einer Umweltprüfung als Regelverfahren für prinzipiell alle Flächennutzungs- und Bebauungspläne vorgeschrieben und die bauplanungsrechtlich relevanten Umweltverfahren als einheitliches Trägerverfahren zusammengeführt.202 Dahinter stand die Erwägung, dass die Durchführung einer Einzelfallprüfung, ob ein Bauleitplan voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben wird, zu aufwändig ist. Angesichts drohender Rechtsunsicherheiten würde sich die Vornahme eines Screenings in der kommunalen Praxis eher hemmend auswirken.203 Die Umweltprüfung stelle keine Erschwerung für das Bauleitplanverfahren dar, da die Umweltbelange ohnehin für die bauleitplanerische Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu erfassen seien.204 Lediglich für den Fall einer Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplanes, welche die Grundzüge der Planung nicht berührt, oder bei der Aufstellung eines Bebauungsplans für den Innenbereich, bei dem sich der aus der vorhandenen Eigenart der näheren Umgebung ergebende Zulässigkeitsmaßstab nicht wesentlich verändert, sollte das Umweltprüfverfahren entbehrlich sein. Da derartige Pläne überwiegend der Bestandssicherung, nicht aber der Schaffung neuer Baurechte dienen,205 trage die Durchführung einer Umweltprüfung
___________ 201 BT-Drucks. 15/2250, S. 28; Finkelnburg, NVwZ 2004, 897, 899; Hoppe, NVwZ 2004, 903, 906; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 402. 202 BT-Drucks. 15/2250, S. 28, 42; Krautzberger/Stüer, DVBl 2007, 160; Pietzcker, Die Europäisierung der Bauleitplanung – am Beispiel der Umsetzung der Plan-UPRichtlinie, in: Jarass, Europäisierung der Raumplanung – Symposium des Zentralinstituts für Raumplanung am 14. November 2005, 2006, S. 59 (61 f.); Scholz, EurUP 2004, 134, 135, Uechtritz (Fn. 35) S. 173; s. auch Krämer (Fn. 53), S. 13 f. 203 Bunge/Nesemann (Fn. 69), Ziffer 0520, S. 11; Kuschnerus, BauR 2006, 1346, 1349; Pietzcker (Fn. 202), S. 63; Uechtritz (Fn. 35), S. 174; s. zu den Unsicherheiten in der Praxis Bunzel, Schlussfolgerungen aus dem Planspiel zur Novelle des BauGB, in: Spannowsky/Krämer, Plan-UP-Richtlinie, 2004, S. 11, 14. 204 Krautzberger, UPR 2004, 410, 402; ders./Stüer, DVBl 2004, 914, 917; ähnlich Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW), Novellierung des Baugesetzbuchs, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Rn. 056. 205 BT-Drucks. 15 /2250, S. 51; Bunge/Nesemann (Fn. 69), Ziffer 520, S. 12; Gronemeyer, BauR 2007, 815 f.
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bei ihnen kaum zu einer Verbesserung der bauleitplanerischen Abwägung bei.206 Durch das BauGB 2007207 hat der Bundesgesetzgeber seine im Jahre 2004 getroffene Entscheidung, die Mehrzahl der Bauleitpläne einer förmlichen Umweltprüfung zu unterziehen, deutlich relativiert. Denn die so genannten Bebauungspläne der Innenentwicklung können nach dem neu eingefügten § 13a BauGB künftig in einem beschleunigten Verfahren aufgestellt werden, selbst wenn dadurch neue Baurechte geschaffen werden.208 Ein Bebauungsplan der Innenentwicklung liegt vor, wenn er der Widernutzbarmachung von Flächen, der Nachverdichtung oder anderen Maßnahmen der Innenentwicklung dient. Indirekt zielt er also auf eine verringerte Flächeninanspruchnahme im Außenbereich ab.209 In Anlehnung an § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB bezwecken derartige Pläne die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und den Umbau vorhandener Ortsteile210 oder die Umnutzung von Flächen.211 Beispielhaft werden in den Gesetzesmaterialien Gebiete genannt, die einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne des § 34 BauGB bilden, innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche brachgefallene Flächen sowie innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche Gebiete in einem Bebauungsplan, der infolge notwendiger Anpassungsmaßnahmen geändert oder durch einen neuen Bebauungsplan abgelöst werden soll.212 Die europarechtliche Grundlage für die Neuregelung stellt Art. 3 Abs. 5 SUP-RL i.V.m. den Absätzen 3, 4 dar.213 Die im Vergleich zum Raumordnungsrecht weitergehende Möglichkeit eines Absehens von einer förmlichen Umweltprüfung beruht darauf, dass Pläne und Programme, welche die Nutzung kleiner Gebiete auf der lokalen Ebene festlegen, nur dann einer Umweltprüfung bedürfen, wenn die Mitgliedstaaten bestimmen, dass sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Angesichts der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben wird das vereinfachte Verfahren davon abhängig gemacht, dass in dem Bebauungsplan eine Grundfläche von weniger als 20.000 Quadratmetern ___________ 206 Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 403; Pietzcker (Fn. 202), S. 64; Upmeier, BauR 2004, 1382, 1384; kritisch gegenüber dieser Ausnahme Schubert, NuR 2005, 369, 372; für einen zurückhaltenden Gebrauch des vereinfachten Verfahrens Schrödter, LKV 2006, 251, 254. 207 BGBl 2006, Teil I, Nr. 64, S. 3316. 208 Gronemeyer, BauR 2007, 815, 816; s. ausführlich zum beschleunigten Verfahren Spannowsky, NuR 2007, 521 ff. 209 Reidt, NVwZ 2007, 1029; Spannowsky, NuR 2007, 521. 210 BT-Drucks. 16/2496, S. 12; Krautzberger, UPR 2006, 405, 406; ders./Stüer, DVBl 2007, 160, 162. 211 BT-Drucks. 16/2496, S. 12; Krautzberger/Stüer, DVBl 2007, 160, 162. 212 BT-Drucks. 16/2496, S. 12. 213 BT-Drucks. 16/2496, S. 13; Krautzberger, UPR 2006, 405, 406.
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festgesetzt wird. Bei einer Grundfläche zwischen 20.000 und weniger als 70.000 Quadratmetern muss die Gemeinde aufgrund einer überschlägigen Vorprüfung des Einzelfalls zu dem Schluss kommen, dass der Bebauungsplan voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen nach sich ziehen wird. Das vereinfachte Verfahren ist auf jeden Fall ausgeschlossen, wenn durch den Bebauungsplan die Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens begründet wird oder Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung von Fauna-Flora-Habitatund Vogelschutzgebieten bestehen. Da die verfahrensrechtlichen Anforderungen einer förmlichen Umweltprüfung mit mehr Aufwand und Kosten verbunden sind,214 sollte die Neuregelung diese Faktoren reduzieren. Die Bebauungspläne der Innenentwicklung seien angesichts der verringerten Flächeninanspruchnahme mit geringen Umweltproblemen verbunden, zumal die Verpflichtung der Gemeinden zur Berücksichtigung der Umweltauswirkungen im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB bei der Abwägung davon unberührt bleibe.215 Schließlich wurde im Schrifttum geltend gemacht, dass eine generelle Umweltprüfpflichtigkeit aller Bauleitpläne kleine Gemeinden mit geringen Personalkapazitäten überfordern216 und auch im Rahmen des Screenings nahe liegenden Planungsalternativen nachgegangen werden könne.217 Teilweise wird an dieser Neuregelung Kritik geübt. Infolge des weiten Anwendungsbereichs des § 13a BauGB würde der Bebauungsplan der Innenentwicklung faktisch zum Regelfall, wodurch die allgemeinen Verfahrensregelungen der Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltprüfung weitestgehend unterlaufen würden.218 Ob diese Beurteilung des Regel-Ausnahmeverhältnisses zutrifft, wird erst die Praxis zeigen. Da § 13a BauGB nach seinem Wortlaut Bebauungspläne betrifft, ist jedenfalls bei Flächennutzungsplänen weiterhin eine förmliche Umweltprüfung vorzunehmen.219 Gleiches gilt, wenn durch den neuen Bebauungsplan gezielt Flächen außerhalb der Ortslagen einer Bebauung zugeführt werden sollen,220 er sich auf ein Vorhaben bezieht, hinsichtlich dessen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist221 oder den Schwellenwert von 70.000 m2 überschreitet. Schließlich statuiert § 13a BauGB keine ___________ 214 Siehe zu dieser generellen Kritik an der Umweltverträglichkeitsprüfung Pietzcker (Fn. 202), S. 60. 215 Krautzberger, UPR 2006, 405, 407. 216 Uebbing (Fn. 24), S. 97. 217 Uebbing (Fn. 24), S. 97; ähnlich Spannowsky, NuR 2007, 521, 522. 218 Gronemeyer, BauR 2007, 815, 818; s. auch Reidt, NVwZ 2007, 1029, 1030; Spannowsky, NuR 2007, 521, 522. 219 Siehe dazu Hendler, NuR 2003, 2, 10; Jacoby (Fn. 14), S. 153; Pietzcker/Fiedler, DVBl 2002, 929, 932; Uebbing (Fn. 24), S. 83. 220 BT-Drucks. 16/2496, S. 12. 221 Dabei bestehen Zweifel an der richtigen Lesart des § 13a Abs. 1 Nr. 1 BauGB, s. dazu Schmidt-Eichstaedt, BauR 2007, 1148, 1149 f.
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Pflicht für die Gemeinden zur Durchführung eines vereinfachten Verfahrens, sondern stellt dies in ihr Ermessen.222 Dazu müssen sie die Vor- und Nachteile der verschiedenen Verfahrensweisen abwägen. Sie können zwischen dem eher fehleranfälligen beschleunigten Verfahren und den Planerleichterungen des „normalen“ Verfahrens infolge seiner Standardisierung wählen.223 Der nachfolgende Überblick ermöglicht es, die Unterschiede zwischen den Verfahrensweisen zu erfassen. 1. Zur Verfahrensweise bei einer förmlichen Umweltprüfung Nach § 2 Abs. 4 S. 1 BauGB ist die Umweltprüfung ein unselbständiger Teil des Verfahrens zur Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans, in welchem die voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen ermittelt und in einem Umweltbericht beschrieben und bewertet werden. Der Gemeinde wird dabei kein über das bisherige Recht hinausgehendes „Suchverfahren“ zur Klärung ungelöster wissenschaftlicher Probleme aufgegeben.224 Denn die Umweltprüfung ist lediglich auf das zu beziehen, was nach gegenwärtigem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Bauleitplans angemessenerweise verlangt werden kann (§ 2 Abs. 4 S. 3 BauGB). a) Das Scoping § 2 Abs. 4 S. 2 BauGB betont die Rolle der Kommunen bei der Vorbereitung eines effizienten Aufstellungsverfahrens225 und gibt ihnen verbindlich vor, im Scoping den Umfang und Detaillierungsgrad der Belangermittlung für die Abwägung festzulegen. Auch das bauplanungsrechtliche Scoping wird mit einer Abschichtungsregelung kombiniert. Zur Vermeidung von Doppelprüfungen „soll“ die Umweltprüfung in einem zeitlich nachfolgend oder gleichzeitig durchgeführten Bauleitplanverfahren auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden, sofern eine Umweltprüfung für das Plangebiet oder Teile davon in einem Raumordnungs-, Flächennutzungsplanoder Bebauungsplanverfahren durchgeführt wird. Dementsprechend können ___________ 222
Nach § 13a Abs. 1 S. 1 BauGB „kann“ ein Bebauungsplan der Innenentwicklung im vereinfachten Verfahren aufgestellt werden; s. dazu auch Pietzcker/Fiedler, DVBl 2002, 929, 937. 223 Reidt, NVwZ 2007, 1029, 1032. 224 BT-Drucks. 15/2250, S. 42; Krautzberger, UPR 2004, 401, 403; Mitschang, ZfBR 2006, 642, 649; s. auch BVerwGE 100, 238, 248. 225 BT-Drucks. 15/2250, S. 42; Spannowsky, Umweltprüfung im Bauleitplanverfahren nach dem BauGB 2004, 2005, S. 72.
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die Erkenntnisse einer Umweltprüfung in einem Regionalplan auf der Ebene des Flächennutzungsplans und die Erkenntnisse aus der Umweltprüfung bei Erlass eines Flächennutzungsplans auf der anschließenden Bebauungsplanstufe verwertet werden, sofern sie hinreichend aktuell sind und die nötige Konnexität der Planungsgegenstände gegeben ist.226 Die Abschichtungswirkung ist nicht nur von oben nach unten, sondern auch in umgekehrter Richtung möglich, indem etwa aktuelle Umweltprüfungen eines Bebauungsplans bei der Neuaufstellung eines Flächennutzungsplans genutzt werden.227 b) Zweistufiges Konsultationsverfahren Um eine möglichst vollständige Ermittlung und zutreffende Bewertung der Belange der Planung zu gewährleisten, finden bei der Aufstellung der Bauleitpläne eine Beteiligung der Öffentlichkeit und eine Behördenbeteiligung statt. Da die Umweltprüfung in das bisherige Bauplanungsrecht integriert wird, verwundert es nicht, dass die diesbezüglichen Konsultationen innerhalb der gewöhnlichen Verfahrensschritte stattfinden. Die grenzüberschreitende Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung wird in § 4a Abs. 5 BauGB geregelt. aa) Behördenbeteiligung Durch das EAG Bau 2004 wird erstmals in § 4 Abs. 1 BauGB eine frühzeitige Behördenbeteiligung eingeführt. Vor der Erstellung des Planentwurfs sind zur Unterstützung der Gemeinden die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann, frühzeitig zu unterrichten und zur Abgabe von Äußerungen auch im Hinblick auf den erforderlichen Umfang und Detaillierungsgrad der Umweltprüfung aufzufordern. Indem sämtliche und nicht nur in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich betroffene Behörden am Scoping teilnahmeberechtigt sind, geht der deutsche Gesetzgeber über das Gemeinschaftsrecht hinaus.228 Von der frühzeitigen Behördenbeteiligung verspricht man sich, dass in einem frühen Stadium unter Vermeidung unnötiger eigener Ermittlungen alle abwägungserheblichen Belange erkannt werden und sich so die Wahrscheinlichkeit verringert, dass erst aufgrund der im späteren Verfahren abgegebenen behördlichen Stellungnahmen der Planentwurf erneut ergänzt und ausgelegt werden muss.229 Die ___________ 226
BT-Drucks. 15/2250, S. 42; Krautzberger, UPR 2004, 401, 404; gegen eine schematische Anwendung der Abschichtungsregelung Uechtritz (Fn. 35), S. 178. 227 BT-Drucks. 15/2250, S. 42; Krautzberger, UPR 2004, 401, 403 f.; Spannowsky (Fn. 225), S. 78. 228 Schubert, NuR 2005, 369, 373. 229 BT-Drucks. 15/2250, S. 45; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 403.
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Anberaumung eines als Scopingtermin zu bezeichnenden Besprechungstermins wird von Gesetzes wegen nicht vorgesehen, kann sich aber im Einzelfall durchaus empfehlen.230 Sobald der Planentwurf mit einer Begründung und dem von Gesetzes wegen erforderlichen Umweltbericht erstellt wurde, holt die Gemeinde in einem zweiten Schritt die Stellungnahmen der Behörden und Träger öffentlicher Belange ein, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann. Bei dieser förmlichen Beteiligung sind die Stellungnahmen innerhalb einer Frist von einem Monat abzugeben, wobei diese bei Vorliegen eines wichtigen Grundes angemessen verlängert werden soll (§ 4 Abs. 2 BauGB). bb) Öffentlichkeitsbeteiligung (1) Frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB Schon lange ist im Baurecht die Bürgerbeteiligung zweistufig ausgestaltet. § 3 Abs. 1 BauGB verpflichtet die Gemeinden, die Öffentlichkeit möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten sowie ihr Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung zu geben. Wie an der Gesetzesformulierung deutlich wird, schließt die Öffentlichkeitsbeteiligung alle Teile der Bevölkerung ein und steht nicht nur Gemeindeeinwohnern231 oder von der gemeindlichen Bauleitplanung Betroffenen offen.232 Insoweit handelt es sich um eine Popularbeteiligung.233 Da von einer „möglichst frühzeitigen“ Bürgerbeteiligung gesprochen wird, obliegt den Gemeinden die Bestimmung des zweckmäßigen Beteiligungszeitpunkts. Aus dem Regelungskontext folgt, dass die Planung einerseits einen Stand erreicht haben muss, indem sich ihre Ziele und Zwecke dahingehend präzisiert haben, dass darüber diskutiert werden kann. Andererseits darf aber noch keine solche Verfestigung eingetreten sein, dass allenfalls noch über Details gesprochen werden könnte.234 Die frühzeitige Beteiligung muss vor Beginn der öf___________ 230
Spannowsky (Fn. 225), S. 75. BT-Drucks. 15/2250, S. 43; Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 6; Hagenauer (Fn. 20), S. 14; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 403. 232 Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 6; Hagenauer (Fn. 20), S. 15. 233 Hagenauer (Fn. 20), S. 15; s. auch Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 6; Krautzberger (Fn. 20), § 3 Rn. 13a, 20; Schrödter, in: ders., BauGB, 7. Aufl. 2006, § 3 Rn. 14; Stüer (Fn. 5), Rn. 901; Uechtritz (Fn. 35), S. 196. 234 Hagenauer (Fn. 20), S. 15; s. auch Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 7 f., wobei die frühzeitige Bürgerbeteiligung auch schon vor dem Planaufstellungsbeschluss erfolgen kann; Krautzberger (Fn. 20), § 3 Rn. 8a sowie Lamm, DVP 2005, 450, 452. 231
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fentlichen Auslegung des Planentwurfs erfolgt sein.235 Auch hinsichtlich der Ausgestaltung der öffentlichen Unterrichtung und der Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung verfügt die Gemeinde über einen Gestaltungsspielraum, von dem nach Maßgabe des Sinns und Zwecks der Öffentlichkeitsbeteiligung Gebrauch zu machen ist.236 Zu denken wäre etwa an die Anberaumung einer Bürgerversammlung oder Diskussionsveranstaltung, auf die in den amtlichen Bekanntmachungsblättern, durch Zeitungsberichte und Flugblätter aufmerksam gemacht wurde.237 Während nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf auch der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Äußerung zum erforderlichen Umfang und Detaillierungsgrad des Umweltberichts gegeben werden sollte,238 zumal dies im Hinblick auf die zeitgleich durchgeführte Behördenbeteiligung ratsam sei,239 hat der Bundesrat eine Streichung dieser Passage zur Vermeidung verfahrensbelastender Auseinandersetzungen über die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorgaben durch die Gemeinden durchgesetzt.240 Zuvor hatte sich die unabhängige Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs skeptisch gegenüber einer Öffentlichkeitsbeteiligung am Scoping wegen des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands und der negativen Konsequenzen für die Zügigkeit des Verfahrens geäußert.241 Dennoch soll es nach dem Willen des Gesetzgebers der Öffentlichkeit unbenommen sein, sich im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB zum Scoping zu äußern.242 Man kann sich darüber streiten, ob sich nicht durch eine entsprechende gesetzliche Regelung ein grundsätzliches Problem informalen Verwaltungshandelns hätte bereinigen lassen. Schubert hätte eine klare gesetzliche Regelung befürwortet, weil in der Praxis oftmals eine Konsultation von Umweltverbänden im Rahmen des Scopings erfolge und die sachverständige Öffentlichkeit durch wertvolle Äußerungen seine Qualität steigern könne.243 Auch zeigt die jetzige Rechtslage, dass derartige Äußerungen nicht notwendig die Planung verzögern müssen.
___________ 235
Hagenauer (Fn. 20), S. 16. Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 1; Fackler, BayVBl 1993, 353, 356; Hagenauer (Fn. 20), S. 18 ff.; Schrödter (Fn. 233), § 3 Rn. 15; Stüer (Fn. 5), Rn. 902. 237 Stüer (Fn. 5), Rn. 904. 238 BT-Drucks. 15/2250, S. 12 § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BauGB-E. 239 BT-Drucks. 15 /2250, S. 43. 240 BT-Drucks. 15/2250, S. 77; s. auch Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914, 919 und speziell zu den Bedenken mancher Städte Bunzel (Fn. 203), S. 18. 241 BMVBW (Fn. 204), Rn. 052. 242 BT-Drucks. 15/2250, S. 77; 15/2996, S. 63 f.; s. auch Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 9; Uechtritz (Fn. 35), S. 189. 243 Schubert, NuR 2005, 369, 373. 236
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Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 BauGB „kann“ von einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung abgesehen werden, wenn sich die Bebauungsplanung nur unwesentlich auf das Plangebiet und die Nachbargemeinde auswirkt oder die Unterrichtung und Erörterung zuvor schon auf anderer Grundlage erfolgt sind. Satz 3 stellt klar, dass bei einer aufgrund der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgten Planänderung im Interesse der Verfahrensbeschleunigung keine zweite Anhörung nach Absatz 1 vorzunehmen ist, da die Bürger nochmals im Zuge der förmlichen Beteiligung zu der Planung Stellung nehmen können.244 (2) Förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB In einem zweiten Schritt erfolgt sodann die förmliche Bürgerbeteiligung. Gemäß § 3 Abs. 2 BauGB sind die ausgearbeiteten Entwürfe der Bauleitpläne mit Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats öffentlich zu jedermanns Einsicht auszulegen. Durch das EAG Bau 2004 haben die Umweltbelange insoweit eine Verstärkung erfahren, als die Begründung des Planentwurfs den Umweltbericht im Sinne des § 2a BauGB enthalten muss. In ihm werden schon während des Planungsverfahrens für die Öffentlichkeit und die Träger der öffentlichen Belange die voraussichtlichen Umweltauswirkungen als wesentliche Bestandteile der späteren Abwägungsentscheidung zusammenfassend dargestellt.245 Außerdem sind die wesentlichen umweltbezogenen Stellungnahmen zugänglich zu machen. Interessanterweise werden diese Anforderungen mit der Umsetzung von Art. 6 AK zur Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten begründet,246 obwohl man die Bauleitpläne auf den ersten Blick eher Art. 7 AK zuordnen würde. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass schon nach früherem Recht gewisse Bauleitpläne der UVP-Richtlinie für bestimmte Projekte unterlagen und man auf diese Weise etwaigen Umsetzungsdefiziten vorbeugen wollte.247 Durch das Merkmal „vorliegende“ Stellungnahmen soll klargestellt werden, dass diese nicht allein deshalb vorzeitig einzuholen sind, damit sie bei der Öffentlichkeitsbeteiligung ausgelegt werden können.248 Bei den Stellungnahmen braucht es sich nicht notwendig um solche aus der vorgezogenen Behör___________ 244
Siehe dazu Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 11. Spannowsky (Fn. 225), S. 101; s. zur Bedeutung des Umweltberichts auch Schrödter (Fn. 232), § 2 Rn. 92. 246 BT-Drucks. 15/2250, S. 44. 247 Siehe zu dem Bestreben, SUP-RL und UVPRL in ein einheitliches Umweltprüfverfahren zu integrieren BMVBW (Fn. 204), Rn. 014 ff. 248 BT-Drucks. 15/2250, S. 44; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 403. 245
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denbeteiligung zu handeln.249 Es kann sich dabei auch um Gutachten von Naturschutzverbänden oder Privaten handeln.250 Die Gemeinde verfügt hinsichtlich der „Wesentlichkeit“ der Stellungnahmen über einen Einschätzungsspielraum und kann sich, etwa aus Gründen des Verwaltungsaufwands, darüber hinausgehend für eine vollständige Auslegung aller Unterlagen entscheiden.251 Bei der örtlichen Bauleitplanung sind mindestens eine Woche zuvor der Ort und die Dauer der Auslegung ortsüblich bekannt zu machen252 sowie – zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 AK – Angaben dazu, welche „Arten“ umweltbezogener Informationen verfügbar sind.253 Die Bekanntmachung muss Anstoßwirkung entfalten.254 Um die Öffentlichkeit zum rechtzeitigen und wirksamen Gebrauch ihrer Beteiligungsrechte anzuhalten, ist bei der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, dass die Stellungnahmen während der Auslegungsfrist abzugeben sind und verspätete Stellungnahmen bei der Beschlussfassung unberücksichtigt bleiben können. Auf der zweiten Stufe der Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung findet anders als teilweise im Raumordnungsrecht keine Eingrenzung bei der Öffentlichkeitsbeteiligung statt. Sowohl Verbände als auch Personen, die nicht von der Planung besonders betroffen werden, können dazu Stellung nehmen.255 Mit der sehr neutral gehaltenen Formulierung des „Abgebens von Stellungnahmen“ wollte man ungewollte Einengungen vermeiden.256 Mangels entsprechender Formvorgaben können die Stellungnahmen schriftlich, mündlich oder zur Niederschrift der Gemeindeverwaltung abgegeben werden.257 Die Gemeinde ist mangels einer diesbezüglichen gesetzlichen Vorgabe nicht zur Durchführung eines mündlichen Erörterungstermins verpflichtet.258 Der Einzelne verfügt mithin über kein Recht zum mündlichen Vortrag vor dem entscheidungsbefugten Gemeinderat.259 Weil der förmlichen Öf___________ 249
Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914, 919; Krautzberger, UPR 2004, 401, 405. Krautzberger, UPR 2004, 401, 405; Stüer (Fn. 5), Rn. 916. 251 BT-Drucks. 15/2250, S. 44; zu weitgehend Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914, 919; Krautzberger, UPR 2004, 401, 405; s. zur Vereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention Waechter, NordÖR 2006, 140, 142. 252 Siehe näher dazu Hagenauer (Fn. 20), S. 42 f. 253 Siehe zu Letzterem BT-Drucks. 15/2250, S. 44; Krautzberger, UPR 2004, 401, 405. 254 BVerwGE 69, 344, 345; Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 14; Schrödter (Fn. 233), § 3 Rn. 31. 255 Hagenauer (Fn. 20), S. 39 f.; Uechtritz (Fn. 35), S. 196; s. auch Krautzberger (Fn. 20), § 3 Rn. 53; Stüer (Fn. 5), Rn. 932. 256 BT-Drucks. 15/2250, S. 43; Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 18. 257 Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 18; Schrödter (Fn. 233), § 3 Rn. 40; Stüer (Fn. 5), Rn. 932. 258 Hagenauer (Fn. 20), S. 45. 259 Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 18; Krautzberger (Fn. 20), § 3 Rn. 57. 250
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fentlichkeitsbeteiligung schon eine frühzeitige Popularbeteiligung vorausgegangen ist, ist es eher unwahrscheinlich, dass der Gemeinde in diesem Stadium noch völlig „neue“ Aspekte vorgetragen werden. Demgegenüber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie nunmehr Informationen in Form konkreterer Planungsdaten erhält.260 (3) Fazit Die frühzeitige Bürgerbeteiligung bei der gemeindlichen Bauleitplanung entspricht in besonderem Maße den Anforderungen der Aarhus-Konvention,261 da sie zu einem Zeitpunkt einsetzt, in welchem die Planungsoptionen noch offen sind. Die frühzeitige Einbeziehung der Öffentlichkeit kann verhindern, dass aus Nichtwissen Misstrauen oder Widerstand gegen die Planung und ihre spätere Durchführung erwächst.262 Insgesamt haben die Änderungen zur Umsetzung der europäischen Vorgaben und der Aarhus-Konvention zu einer stärkeren Fokussierung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Aufstellung der Bauleitpläne auf die Umweltbelange geführt.263 Da sich die Öffentlichkeitsbeteiligung über mehrere Phasen hinweg erstreckt, bestehen an der einmonatigen Stellungnahmefrist des § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB keine Bedenken. Denn die Öffentlichkeit kann sich aufgrund der vorherigen Beteiligung wesentlich leichter in die Planung hineindenken. Der Planungsraum ist kleiner und die Planung für die Bürger wegen ihrer Konkretheit besser fassbar. Aus planerischer Sicht wird betont, dass die Regelung zur Öffentlichkeitsbeteiligung in § 3 BauGB nur einen Mindestbestand darstellt und sich insbesondere bei konfliktträchtigen Planungen zusätzliche Verfahrensschritte der Öffentlichkeitsbeteiligung auf freiwilliger Basis als sinnvoll erweisen können, indem z. B. zusätzliche Bürgerversammlungen zur Problemherausarbeitung angesetzt und im Dialog mit den Bürgern geeignete Lösungen entwickelt werden.264
___________ 260
Hagenauer (Fn. 20), S. 47 f. Siehe auch BMVBW (Fn. 204), Rn. 049; Fisahn, ZUR 2004, 136, 138. 262 Battis, Partizipation im Städtebaurecht, 1976, S. 44; Hagenauer (Fn. 20), S. 27; Hendler, Die bürgerschaftliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, 1977, S. 39; Lamm, DVP 2005, 450, 452; s. zur Lage vor Einführung der frühzeitigen Bürgerbeteiligung Schrödter (Fn. 233), § 3 Rn. 1. 263 Hagenauer (Fn. 20), S. 95. 264 Lamm, DVP 2005, 450, 455. 261
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c) Die planerische Entscheidung unter Berücksichtigung der Präklusionsvorschrift sowie der Bekanntgabe Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB muss die Gemeinde bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abwägen. Wie bei der Raumordnung führt auch im Bauplanungsrecht die Umweltprüfung nicht per se zu einem höheren Stellenwert der Umweltbelange.265 Im Unterschied zum Raumordnungsrecht und über die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen hinausgehend ist der Umweltbericht während des Verfahrens fortzuschreiben.266 Davon verspricht man sich eine effektivere Aufbereitung des umweltbezogenen Abwägungsmaterials als bei einem statischen Dokument.267 Nach der Präklusionsregelung des § 4a Abs. 6 S. 1 BauGB „können“ im Verfahren der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung verspätet abgegebene Stellungnahmen unberücksichtigt bleiben, sofern die Gemeinde ihren Inhalt nicht kannte und nicht hätte kennen müssen und ihr Inhalt für die Rechtmäßigkeit des Bauleitplans ohne Bedeutung ist. Die Präklusionsregelung soll die Bestandssicherheit der Bauleitpläne erhöhen und wurde vor allem zur Verdeutlichung gegenüber den Stellungnahmeberechtigten aufgenommen, dass ihr Vorbringen gegebenenfalls ohne Infragestellung der Rechtmäßigkeit der Planungsentscheidung unberücksichtigt bleiben kann.268 Da es mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung schwer zu vereinbaren wäre, wenn die Gemeinde eine rechtswidrige Abwägung treffen würde, obwohl ihr dies zum Zeitpunkt der Entscheidung – wenn auch infolge des verspäteten Vorbringens bewusst ist – wurde aus Gründen des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots nur eine eingeschränkte Präklusionswirkung angeordnet.269 Auch die unabhängige Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs hatte sich gegen eine strikte Präklusion ausgesprochen, weil Bauleitpläne im Unterschied zu den Planfeststellungsbeschlüssen „keine mit Konzentrationswirkung ausgestatteten abschließenden Entscheidungen über ein in allen Einzelheiten bekanntes und ‚durchgeplantes‘ Vorhaben sind, sondern gebietsbezogene gesamträumliche Planungen, die lediglich einen Rahmen für erst ___________ 265
Krämer (Fn. 53), S. 16; Krautzberger (Fn. 20), § 2 Rn. 235; Schrödter (Fn. 232), § 2 Rn. 102; Spannowsky (Fn. 225), S. 113. 266 BT-Drucks. 15/2250, S. 49; Mitschang, ZfBR 2006, 642, 650; Pietzcker (Fn. 202), S. 66 f.; Schrödter, LKV 2006, 251, 253; Schubert, NuR 2005, 369, 373; Spannowsky (Fn. 225), S. 101; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 403. 267 Schubert, NuR 2005, 369, 373. 268 BT-Drucks. 15/2250, S. 45; Steinkemper, VBlBW 2004, 401, 404. 269 BT-Drucks. 15/2250, S. 78; Battis (Fn. 44), § 4a Rn. 15; Spannowsky (Fn. 225), S. 106; s. auch Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und europäisches Recht, 2005, S. 1128.
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noch konkret zu projektierende Investitionen setzen.“270 Weil die Gemeinde nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen über die Außerachtlassung der verspäteten Stellungnahmen befindet, ist die Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht und der Aarhus-Konvention konform.271 Der jeweilige Bauleitplan wird von der Gemeinde beschlossen. Dabei verpflichtet § 3 Abs. 2 S. 4 BauGB die Kommunen dazu, denjenigen, die förmlich zum Plan Stellung genommen haben, das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen.272 Wenn eine Planung zu einer dauerhaften Veränderung des unmittelbaren Lebensumfelds der Bevölkerung führt, sollte die Kommunikation dem hohen Stellenwert entsprechen, welche die beabsichtigte Veränderung für die Bürger hat.273 Bei Stellungnahmen mit im Wesentlichen gleichem Inhalt von mehr als 50 Personen kann die Mitteilung dadurch ersetzt werden, dass ortsüblich bekannt gemacht wird, wo in das Ergebnis Einsicht genommen werden kann. Das Bauplanungsrecht weicht also insoweit vom Raumordnungsrecht ab, als die Stellungnahmeberechtigten sich kundig machen können, wie mit ihren Äußerungen umgegangen wurde. Der Umweltbericht bildet einen besonderen Teil der Begründung des Bauleitplanes (§ 9 Abs. 8 i.V.m. § 2a BauGB). Der Beschluss des Planes ist bekannt zu machen. Ihm ist gemäß §§ 6 Abs. 5 S. 3, 10 Abs. 4 BauGB eine zusammenfassende Erklärung beizufügen, in der in knapper und leicht verständlicher Art und Weise dargelegt wird, wie die Umweltbelange und die Ergebnisse der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung in dem Plan berücksichtigt wurden und aus welchen Gründen der Plan nach Abwägung mit den geprüften, in Betracht kommenden anderweitigen Planungsmöglichkeiten gewählt wurde. Im gegenwärtigen Schrifttum wird die zusammenfassende Erklärung oft als eine Art Presseerklärung aufgefasst, die keine rechtlich relevante Regelung, sondern eine für das Planverständnis der Öffentlichkeit hilfreiche Darstellung enthalte.274 Vor einer vorschnellen Herunterspielung der Bedeutung der zusammenfassenden Erklärung sei gewarnt, da sie von Art. 9 Abs. 1 lit. b SUP-RL vorgeschrieben wird und ihr zusammen mit der Planbegründung im Hinblick auf die Verfahrenstransparenz eine besondere Bedeutung zukommt.275 ___________ 270
BMVBW (Fn. 204), Rn. 132. Battis (Fn. 44), § 4a Rn. 15; Kment (Fn. 268), S. 159 ff.; Uechtritz (Fn. 35), S. 200 f.; zweifelnd Spannowsky, Neustrukturierung der Anforderungen an das Bauleitplanverfahren und die Abwägung aufgrund der Plan-UP-Richtlinie, in: ders./Krämer, BauGB-Novelle 2004, 2003, S. 39, 62; ebenso Fisahn, ZUR 2004, 136, 138. 272 Siehe dazu näher Battis (Fn. 44), § 3 Rn. 19. 273 Lamm, DVP 2005, 450, 452. 274 So Battis (Fn. 44), § 6 Rn. 22a; Finkelnburg, NVwZ 2004, 897, 900 f.; s. auch Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914, 921; Spannowsky (Fn. 225), S. 108. 275 Bunge/Nesemann (Fn. 69), Ziffer 0520, S. 21; Spannowsky (Fn. 225), S. 108. 271
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d) Das vereinfachte Verfahren Unter den Voraussetzungen des § 13 BauGB kann ein „vereinfachtes“ und des § 13a BauGB ein „beschleunigtes“ Verfahren durchgeführt werden. Da § 13a Abs. 2 Nr. 1 BauGB auf § 13 Abs. 2 BauGB verweist, ergeben sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor allem folgende Konsequenzen: –
In den Verfahren kann von der ersten Stufe der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung abgesehen werden, d. h. die frühzeitige Unterrichtung und Erörterung von der Planung kann unterbleiben.
–
Die Gemeinde verfügt über ein Wahlrecht, ob sie eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB durchführen oder lediglich der „betroffenen“ Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zur Planung innerhalb angemessener Zeit geben möchte. Auch im zuletzt genannten Fall ist auf die Präklusion der Stellungnahmen hinzuweisen.
–
Ähnlich verfügt sie über ein Wahlrecht, ob sie nur den berührten Trägern öffentlicher Belange Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist geben oder ein Beteiligungsverfahren nach § 4 Abs. 2 BauGB durchführen möchte.
–
Außerdem wird im vereinfachten Verfahren von der Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB abgesehen. Damit entfallen die dafür erforderlichen kommunikativen Instrumente wie der Umweltbericht nach § 2a BauGB, die Angabe der Arten verfügbarer umweltbezogener Informationen nach § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB sowie die zusammenfassenden Erklärung nach §§ 6 Abs. 5 S. 3, 10 Abs. 4 BauGB.
Um Art. 3 Abs. 7 SUP-RL gerecht zu werden, ist sowohl bei einem Bebauungsplan im vereinfachten als auch im beschleunigten Verfahren zuvor ortsüblich bekannt zu machen, dass keine förmliche Umweltprüfung durchgeführt wird (§ 13 Abs. 2 S. 2, 13a Abs. 3 Nr. 1 BauGB). In den Fällen des § 13a Abs. 1 Nr. 2 BauGB sind die sich aus dem Screening ergebenden wesentlichen Gründe für die andere Verfahrensweise anzugeben. Beim beschleunigten Verfahren wird das Absehen von der frühzeitigen Bürgerbeteiligung wiederum etwas zurückgenommen. Denn bei ihm ist ortsüblich bekannt zu machen, wo sich die Öffentlichkeit über die allgemeinen Ziele und Zwecke sowie die wesentlichen Auswirkungen der Planung unterrichten kann und dass sie sich innerhalb einer bestimmten Frist dazu äußern kann. Bei einer Vorprüfung des Einzelfalls darf die Bekanntmachung erst nach ihrem Abschluss erfolgen, weil erst dann Gewissheit über die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens besteht.276 ___________ 276
Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 13 Rn. 18.
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Ein bedeutender Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Bauleitplanverfahren und demjenigen nach §§ 13, 13a BauGB ergibt sich vor allem aus der Möglichkeit zur Zurückführung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Anstelle der normalerweise üblichen Popularbeteiligung kann eine Interessentenbeteiligung erfolgen.277 Der Kreis der Betroffenen reicht dabei über die Grundstückseigentümer hinaus und erfasst auch Mieter, Pächter und Nachbarn.278 Die Gemeinde muss für sich selbst entscheiden, ob sie etwaige Schwierigkeiten bei der Ermittlung des stellungnahmeberechtigten Personenkreises auf sich nehmen will. Insgesamt dürfte sich bei einem unübersichtlichen Kreis der Anzuhörenden die Durchführung einer öffentlichen Auslegung empfehlen.279 Bei der Bestimmung der „angemessenen“ Äußerungsfrist muss sich die Gemeinde am Sinn und Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung orientieren, weshalb auch bei diesen Verfahren die einmonatige Frist beibehalten werden sollte.280 Insgesamt dürfte für die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren vor allem ausschlaggebend sein, dass der mit einer förmlichen Umweltprüfung verbundene Aufwand entfällt.
IV. Gesamtbetrachtung der räumlichen Planungsebenen In den vergangenen Jahren hat die Bedeutung des Umweltschutzes und der Umweltbelange bei der räumlichen Gesamtplanung stetig zugenommen. Vor allem im Völkerrecht und im europäischen Gemeinschaftsrecht erhofft man sich von einer weitgehenden Transparenz und Einbindung der Privatpersonen in den Planungsprozess, dass der Umweltschutz nicht zu kurz kommt und inhaltlich korrekte Planungsentscheidungen getroffen werden. Heute kann es geradezu als Standard der Öffentlichkeitsbeteiligung gelten, dass das Beteiligungsverfahren vorher öffentlich bekannt gemacht wird und jeder den Planentwurf mit weiteren Dokumenten während eines bestimmten Zeitraums einsehen kann. Eine hinreichende und gute Information der Öffentlichkeit ist Conditio sine qua non für konstruktive Partizipationsprozesse und Problemlösungen.281 Während dieser Zeit kann zu der jeweiligen Planung Stellung bezogen werden. Obwohl nach dem Gemeinschaftsrecht eine trichterförmige Verengung der Öffentlichkeitsbeteiligung dahingehend möglich wäre, dass nur die betroffene Öffentlichkeit Stellungnahmen abgeben darf, hat sich im Bauplanungs___________ 277
Krautzberger/Stüer DVBl 2007, 160, 163. Löhr (Fn. 276), § 13 Rn. 5 f.; Schrödter (Fn. 233), § 13 Rn. 16. 279 Löhr (Fn. 276), § 13 Rn. 6; Reidt, NVwZ 2007, 1029, 1031; Schrödter (Fn. 233), § 13 Rn. 10; Sparwasser, VBlBW 2007, 281, 286 bei Fn. 68. 280 Löhr (Fn. 276), § 13 Rn. 8; s. auch Reidt, NVwZ 2007, 1029, 1031. 281 Lamm, DVP 2005, 450, 452. 278
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recht die Popularbeteiligung bewährt. Auch im Raumordnungsrecht wird dieses Beteiligungsmodell favorisiert. Die Planungsentscheidung ist bekannt zu machen. Um die Wirksamkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung zu fördern, müssen die staatlichen Stellen zunehmend Angaben zum Procedere machen. Zurzeit ist die Öffentlichkeitsbeteiligung im Raumordnungsgesetz des Bundes weniger ausdifferenziert, da der Bund im Zeitpunkt seines Erlasses nur über eine Rahmengesetzgebungskompetenz verfügte. Angesichts der Änderung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform kann der Bund künftig eine Vollregelung für das Raumordnungsrecht erlassen, wobei den Ländern jedoch nach dem Grundgesetz eine Abweichungsbefugnis zukommt. Bei der Novellierung des Raumordnungsrechts sollte daher überlegt werden, inwieweit die Öffentlichkeitsbeteiligung ähnlich wie im Bauplanungsrecht ausgestaltet werden kann. Zugleich ist zu hinterfragen, inwieweit die jeweiligen Planungsgegenstände divergierende Regelungen bedingen. So stellt sich z. B. die Frage, an wie vielen Stellen die Entwürfe des Raumordnungsplans zur Einsicht bereitzuhalten sind, vornehmlich bei der übergeordneten Raumplanung. Weil angesichts ihrer Großräumigkeit mit dem Eingang einer größeren Zahl von Stellungnahmen zu rechnen ist, bietet es sich an, die Abgabe schriftlicher Stellungnahmen zu verlangen, während für die örtliche Ebene kein derartiges Formerfordernis vorgesehen ist. Weil der Planungsgegenstand auf der überörtlichen Ebene für die Bürgerinnen und Bürger schwieriger zu erfassen ist als bei den gemeindlichen Bauleitplänen, sollte die Frist zur Abgabe von Stellungnahmen bei der Raumordnung länger als auf der Gemeindeebene ausfallen. Demgegenüber empfiehlt es sich, die gegenwärtige bauplanungsrechtliche Präklusionsregelung für verspätetes Vorbringen auch auf der Ebene der Raumordnung zu übernehmen. Betrachtet man die gegenwärtige Rechtslage im Raumplanungsrecht, werden bei dieser Planung die Behörden und Träger öffentlicher Belange regelmäßig zu einem frühen ersten Zeitpunkt – dem Scoping – beteiligt und können später nochmals zum Planentwurf Stellung nehmen. Demgegenüber ist die Beteiligung der Öffentlichkeit in den meisten Ländern nur einmalig ausgestaltet. Sie kann nur zu dem ausgearbeiteten Planentwurf und dem Umweltbericht Stellung nehmen. Im Bauplanungsrecht erfolgt dagegen sowohl die Behörden- als auch die Öffentlichkeitsbeteiligung zweistufig. Jeder kann sich in einem sehr frühen Zeitpunkt zu den Zielen und Zwecken der Planung äußern, wobei die Äußerungsmöglichkeit der Bürger nicht explizit auf das Scoping bezogen wird. In einer zweiten Phase erfolgt dann die förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung, bei der jeder zum Planentwurf einschließlich des Umweltberichts Stellung nehmen kann. Angesichts dessen, dass der Aarhus-Konvention an einer frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit gelegen ist, muss überlegt werden, ob nicht auch im Raumordnungsrecht die Einbeziehung der Öffentlichkeit zu einem früheren Stadium einsetzen sollte. Alles deutet auf eine „neue Planungskultur“ hin, für
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die weniger ein hierarchisches, sondern kooperatives Verständnis staatlichen Handelns charakteristisch ist, das durch Adressatenorientierung, Dialog und Kooperation sowie durch Projektorientierung gekennzeichnet ist.282 Insgesamt zeichnet sich auf der inter- und supranationalen Ebene der Trend ab, die Öffentlichkeit zu verschiedenen Momenten des langwierigen Planungsprozesses einzubeziehen. Da eine Intensivierung der Öffentlichkeitsbeteiligung jedoch mit mehr Aufwand und Kosten verbunden ist und ihr bereits deshalb Grenzen gezogen sind, muss sorgfältig überlegt werden, an welchen Stellen des Planungsprozesses eine verstärkte Einbeziehung der Öffentlichkeit einen Mehrwert bringt und deshalb eine weitere Ausdifferenzierung sinnvoll ist. Einerseits sollte in den gesetzlichen Normen zum Ausdruck gebracht werden, dass eine über die reine Stellungnahmemöglichkeit hinausgehende Öffentlichkeitsbeteiligung sich auf die Planung positiv auswirken kann. Andererseits sollte sie den Behörden ausreichend Flexibilität belassen, damit sie aus der Vielfalt möglicher Beteiligungsvarianten eine der individuellen Situation angepasste Verfahrensweise auswählen können.283 Im Übrigen sollte stets im Auge behalten werden, dass der Aarhus-Konvention in besonderem Maße an unterstützenden Maßnahmen der dort vorgesehenen Rechte gelegen ist. So haben sich die Vertragsparteien u. a. gemäß Art. 3 Abs. 2 AK um die Sicherstellung zu bemühen, dass öffentliche Bedienstete und Behörden der Öffentlichkeit Unterstützung und Orientierungshilfe für den Zugang zu Informationen und zur Erleichterung der Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren geben. Vor dem Hintergrund dieser Vorgabe kann es deshalb ratsam sein, die Bevölkerung neben den herkömmlichen Amtsblättern durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit und den Einsatz weiterer Medien auf laufende Planungsprozesse aufmerksam zu machen. Insbesondere was die abstrakteren Planungsebenen angeht, sollte der Öffentlichkeit die Bedeutung dieser Planung hinsichtlich der dort zu treffenden Weichenstellungen aufgezeigt und zu einer Beteiligung an ihr motiviert werden. Letztlich muss das Verhalten der Mitgliedstaaten darauf abzielen, dass die Öffentlichkeit tatsächlich von den ihr zustehenden Beteiligungsmöglichkeiten Gebrauch macht. Zunehmend erkennt man, dass die Nutzung elektronischer Medien zu einer Effektuierung und Modernisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung beitragen kann.284
___________ 282 Danielzyk, Grundlagen und Methoden zur Beteiligung der Öffentlichkeit an Plänen der Raumordnung, abgerufen über http://www.region-stuttgart.org/vrsuploads/1_Da nielzyk_Grundlagen_070605_Text.pdf, S. 2. 283 Danielzyk (Fn. 282), S. 12; Molitor (Fn. 23), S. 42. 284 Siehe dazu § 4a Abs. 4 BauGB sowie Krautzberger (Fn. 18), S. 80.
Möglichkeiten und Grenzen der Bürger1 zur Teilnahme an der Ortsrechtsgesetzgebung der koreanischen Gemeinden Von Kee-Hong Kang
I. Entwicklung der Selbstverwaltung in Südkorea Im Jahr 1948 wurde die erste Koreanische Verfassung (KV) erlassen. Im Art. 96 KV von 1948 wurde die kommunale Selbstverwaltung geregelt. Sie ist nun in Art. 117 und 118 KV geregelt. x Art. 117 KV Abs. 1: Die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften erledigen ihre Aufgaben zum Wohl der Einwohner und verwalten ihr Vermögen. Sie können im Rahmen der Gesetze Vorschriften über die Selbstverwaltung erlassen. Abs. 2: Die Arten der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften sind durch Gesetz zu regeln. x Art. 118 KV Abs. 1: Die Selbstverwaltungskörperschaften müssen einen Rat haben. Abs. 2: Die Organisation, die Kompetenzen des Rates, die Wahl der Ratsmitglieder, die Einsetzung des Vorstehers der Selbstverwaltungskörperschaften sowie andere Angelegenheiten bezüglich der Organisation und Verwaltung der Selbstverwaltungskörperschaften sind durch Gesetz zu bestimmen.
___________ 1 Als Anspruchsteller auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung sollen die Bürger von den Privaten unterschieden werden. Bürger im Sinne von Art. 12 KSVG, Art. 6 BRG (Bürgerregistergesetz) ist, wer über einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Gemeindegebiet wohnt. Im Hinblick auf den Anspruch auf Schaffung, Änderung und Abschaffung der Satzung umfasst der Begriff des Privaten die NGO (Non-Governmental Organization), z. B. Greenpeace, Rotes Kreuz usw. Sie spielen auch eine große Rolle bei der Ortsrechtsgesetzgebung in Korea. Aber in dieser Arbeit wird der Gegenstand der Untersuchung auf die „Bürger“ beschränkt.
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Nach dem Art. 96 KV von 1948 wurde das Kommunalselbstverwaltungsgesetz (KSVG) am 4.7.1949 erlassen.2 Es hatte folgende Struktur: Erstens: Die Arten der Selbstverwaltungskörperschaften werden unterteilt in Tukbyul-Shi, Do, Shi, Eub, Myun3 Zweitens: Organe der Selbstverwaltungskörperschaften sind das Beschlussorgan (Gemeinderat) und das Durchführungsorgan (Bürgermeister). Drittens: Die Bürgermeister von Seoul Tukbyul-Shi und Do werden vom Staatspräsidenten ernannt, die Bürgermeister von Shi und der Vertreter von Eub und Myun werden vom Gemeinderat gewählt. Viertens: Die Ratsmitglieder werden für die Dauer von vier Jahren gewählt. Fünftens: Dem Gemeinderat wird das Recht zur Erklärung des Misstrauens gegenüber dem Bürgermeister, dem Bürgermeister das Recht zur Auflösung des Gemeinderats erteilt.4 Am 1.11.1960 wurde das KSVG erneuert geändert. Die wichtigen Änderungen sind folgende: Erstens: Der Bürgermeister wird von den Bürgern unmittelbar gewählt. Zweitens: Das Wahlsystem für Abwesende wird eingeführt. Drittens: Das Misstrauenssystem gegen die Vorsitzendengruppe des Rates wird angenommen. Viertens: Der Innenminister kann den Antrag zur Disziplinarmaßnahme gegen den Bürgermeister von Seoul Tukbyul-Shi, Do und Shi, der Bürgermeister von Do kann den gleichen Antrag gegen den Vertreter von Eub und Myun stellen.5 Am 16.5.1961 ist Chung-Hee Park durch den militärischen Coup-d’état an die Macht gekommen. Er hat der kommunalen Selbstverwaltung schwierige Zeiten gebracht, indem er den Gemeinderat auflöste und dem Innenminister das Recht gab, den Bürgermeister der Selbstverwaltungskörperschaften zu ernennen.6 Am 6.4.1988 wurde das KSVG erneuert geändert. Nach dieser Änderung wurde die erste Wahl der Ratsmitglieder von Grundselbstverwaltungskörperschaften (Grund-SVK) am 26.3.1991 durchgeführt. Am 27.6.1995, vier Jahre später, wurden die zweite Wahl für die Ratsmitglieder und die erste Wahl für ___________ 2 Das KSVG ist am 4.6.1988 ganz neu geändert worden (Gesetz-Nr. 4004). Bis zum 5.7.2007 hat es 18 Änderungen erfahren (Gesetz-Nr. 8435). 3 Zur Zeit gibt es zwei Arten der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften (SVK). Als Großraumkörperschaften (Groß-SVK) gibt es Tukbyul-Shi (Hauptstadt Seoul), Guangyok-Shi (Großstadt) sowie Do (Provinz). Im Gebiet von Groß-SVK bestehen Shi (Stadt), Gun (Kreis) sowie Gu (Stadtteil) als Grundselbstverwaltungskörperschaften (Grund-SVK). Im Jahr 2007 bestehen 16 Groß-SVK (1 Tukbyul-Shi, 6 Guangyok-Shi, 9 Do); die gesamte Gemeindeanzahl beträgt 246. Dazu Jeong-Sun Hong, Der gegenwärtige Stand des Kommunalrechts in Korea, in: Volker Ronge (Hrsg.), Kommunalrecht und Kommunalpraxis in Deutschland und Korea, 2005, S. 16. 4 Sung-Bin Lim, Lehre der Kommunalselbstverwaltung, 2005, S. 122. 5 Sung-Bin Lim (Fn. 4), S. 123. 6 Dazu Nam-Jin Kim, Verfassung, Gesetz, Verordnung und Satzung, Justiz und Verwaltung Nr. 33-8 (1992.8), S. 1.
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die Bürgermeister kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften von den Bürgern unmittelbar durchgeführt. Dies wird als die erste perfekte Durchführung der kommunalen Selbstverwaltung in Korea gewürdigt.7 Die koreanische kommunale Selbstverwaltung hatte für mehr als 50 Jahre lang ihre rechtliche Form, aber ihre materielle Durchführung ist erst vor 12 Jahren gelungen. Am 31.8.1999 wurde das KSVG wieder geändert; damit sind einige Programme eingeführt worden, um die unmittelbare Teilnahme von Bürgern an der Selbstverwaltung zu erweitern. Dazu gehören der Bürgerinspektionsanspruch und der Bürgeranspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung8. Ferner ist der Mechanismus zur Konfliktbehandlung zwischen dem Staat und den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften sowie zwischen verschiedenen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften zu nennen. Beispiele dafür sind der Zentralkonfliktbehandlungsausschuss des Ministeriums für Regierung, Verwaltung und Haushalt, der Kommunalkonfliktbehandlungsausschuss von Do und Shi (Art. 149 KSVG) und die Verfassungsstreitigkeit über die Zuständigkeitskonflikte innerhalb der Staatsorgane, zwischen dem Staat und den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und zwischen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften (Art. 111 I Nr. 4 KV i.V.m. 61 KVG Koreanisches Verfassungsgerichtsgesetz, 107, 148, 172 KSVG). Am 16.1.2004 hat die gegenwärtige Regierung als eine „road map“ (Straßenkarte) für einen bestimmten Zeitraum das Sondergesetz für Kommunale Dezentralisierung (SGKD)9 erlassen, um die Dezentralisierung durchzuführen. Es beinhaltet sieben einzelne Ziele: Erstens: Zuständigkeitsbeteiligung zwischen dem Staat und kommunalen Regierungen. Zweitens: Beteiligung bei der Finanzhoheit zwischen dem Staat und kommunalen Regierungen. Drittens: Verstärkung der Selbstverwaltungsfähigkeit von kommunalen Regierungen. Viertens: Tätigkeitsaktivierung der Ratsmitglieder sowie Verbesserung des kommunalen Wahlsystems. Fünftens: Verantwortungsstärkung von kommunalen Regierungen. Sechstens: Aktivierung der bürgerlichen Gesellschaften. Siebtens: Bildung eines mitwirkenden Verhältnisses zwischen dem Staat und kommunalen Regierungen und zwischen verschiedenen kommunalen Regierungen. Das erste Ziel ist in Art. 9 SGKD geregelt. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Übertragung von staatlichen Angelegenheiten auf die Kommunen. Bis zum Ende Juni 2007 sind 918 staatliche Angelegenheiten auf die Kommunen ___________ 7 Vgl. Jong-Sup Chong, Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2007), S. 819 ff.; Young-Sung Kwon, Verfassungsrecht, 5. neubearbeitete Aufl. (2007), S. 242 f.; Sung-Bin Lim (Fn. 4), S. 126; Seung-Jong Lee, Lehre der Kommunalselbstverwaltung, 2003, S. 1 f. 8 Näher dazu Hee-Gon Kim, Studie über das Bürgeranspruchsrecht auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung im Kommunalgesetz, Öffentliches Recht 28-3 (2000.3), S. 303 ff.; Seung-Joo Baig, Betrachtung über den Anspruch des Bürgers auf Rechtsvorschrift, Öffentliches Landes Recht 22 (2004.7), S. 195 ff. 9 Es gilt vom 16.1.2004 (Gesetz-Nr. 7060) bis 17.1.2009.
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übertragen worden.10 Die gegenwärtige Regierung verbessert die kommunale Selbstverwaltung durch drei Säulen, nämlich Dezentralisierung, Dekonzentration11 und Bürgerbeteiligung.12 Im Folgenden sollen zunächst zwei Fragen behandelt werden: Was gibt es als unmittelbare Teilnahmeformen an der Selbstverwaltung, die das KSVG und das SGKD gewährleisten (II.)? Was beinhaltet das Bürgeranspruchsrecht auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung konkret (III.)? Abschließend wird ein Vorschlag unterbreitet, wie sich das Anspruchssystem im Hinblick auf die Politik zur Verstärkung der Funktion des kommunalen Rates in der gesamten Normenordnung entwickeln soll (IV.).
II. Unmittelbare Teilnahmeformen im Kommunalselbstverwaltungsgesetz (KSVG) Es gibt fünf Arten unmittelbarer Teilnahmeformen von Bürgern, die im KSVG ausdrücklich geregelt sind, nämlich Bürgerabstimmung, Bürgerinspektionsanspruch, Bürgerklage, Bürgerabwahl und Bürgeranspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung.13 1. Bürgerabstimmung Gemäß Art. 14 KSVG kann der Bürgermeister zum Beispiel bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde auf Antrag von Bürgern, des Rats und von Amts wegen zur Bürgerabstimmung überweisen.14 Gegenstand, Initiator, Vor___________ 10 Siehe die Übertragungsliste http://newdpla.2n2.co.kr/section/info/business.html (21.8.2007). 11 Damit werden Aufgaben der obersten Behörden auf öffentlich-rechtliche Unternehmen, Universitäten oder Kommunen verteilt. 12 Vgl. Sung-Bin Lim (Fn. 4), S. 129; Seung-Jong Lee (Fn. 7), S. 4. 13 Dazu allgemein Jong-Hyun Seok, Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl. (2005), S. 80 f., 103 ff.; Jeong-Sun Hong, Koreanisches Verwaltungsrecht II, 2007, Rn. 288 ff.; Jee-Tai Ryu, Neues Verwaltungsrecht, 11. Aufl. (2007), S. 723 ff.; ders., Betrachtung über die aktuellen Probleme der kommunalen Selbstverwaltung, Öffentliches Recht Studie 28-1 (1999.10), S. 25; Hyun-Cho Kim, The Improving Ways of Direct Democracy of Local Government in Korea, in: Local Government Journal 2003, pp. 122. Als ähnliche Institution gibt es im deutschen Kommunalrecht Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (§ 26 GO NW). 14 Vgl. dazu Ju-Hee Lee, Kommunalrecht Lehre und Praktische Fälle, 2007, S. 148 sowie Bong-Gi Shin, Zur Bürgerabstimmung zur Endlageranziehung, Selbstverwaltung Dezember 2005, S. 67 ff.
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aussetzungen der Initiative und Verfahren der Bürgerabstimmung sind im Bürgerabstimmungsgesetz15 (BAG) geregelt. Bürger, die in der Gemeinde wohnen und das 20. Lebensjahr vollendet haben, haben das Recht zur Bürgerabstimmung. Ausländer, die in der Gemeinde wohnen, das 20. Lebensjahr vollendet haben und sich nach dem Aufenthaltsgesetz weiter in Korea aufhalten können, haben, wenn die betroffene Satzung der Gemeinde sie als Abstimmungsberechtigte bestimmt, auch das Bürgerabstimmungsrecht (Art. 5 BAG). Zur Bürgerabstimmung Berechtigte, die Einwände gegen die Gültigkeit der Abstimmung haben, können innerhalb von 14 Tagen nach der Bürgerabstimmung nach Art. 25 BAG bei dem Staatswahlausschuss Widerspruch erheben. Als Beispiel dafür kann folgender Vorgang genannt werden: Am 2.11.2005 fand in vier Gemeinden (Gunsan, Pyohang, Kyongju und Youngduk) eine Bürgerabstimmung über die Atommüllendlagerung statt. Die Zustimmung betrug in Gundsan 84,4%, in Pyohang 67,5%, in Kyongju 89,5% und in Young-duk 79,3%. Die Gemeinde Kyongju wurde durch die Entscheidung Endlagerort. Dadurch erhielt die Stadt Kyongju etwa 3 Billionen Won als staatlichen Zuschuss. 2. Bürgerinspektionsanspruch Gemäß Art. 16 KSVG können Bürger, die in der Gemeinde wohnen und das 19. Lebensjahr vollendet haben, bei der Aufsichtsbehörde einen Inspektionsanspruch erheben, wenn sie davon überzeugt sind, dass die Durchführung der Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit der Gemeinde und des Bürgermeisters gehören, gegen Rechtsvorschriften oder öffentliche Interessen verstößt. Anders als bei der Bürgerabstimmung können Ausländer nicht am Inspektionsanspruchsverfahren teilnehmen. Gemäß Art. 16 I 1 KSVG werden die folgenden Gegenstände aus dem Anwendungsbereich des Inspektionsanspruchs ausgeschlossen: Erstens: Sachen, die in Beziehung zu einem Ermittlungsverfahren oder einer gerichtlichen Entscheidung stehen. Zweitens: Sachen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass in das Privatleben von Dritten eingegriffen wird. Drittens: Sachen, die eine andere Aufsichtsbehörde bereits inspiziert hat oder die noch in Inspektion stehen; sie können aber Inspektionsgegenstand sein, obwohl die Sache bereits von einem anderen Aufsichtsorgan inspiziert wurde, wenn etwas Neues gefunden oder etwas ausgelassen wird und wenn sie gemäß Art. 17 KSVG der Gegenstand der Bürgerklage sind. ___________ 15
Am 29.1.2004 wurde es als Gesetz-Nr. 7124 erlassen und am 11.5.2007 geändert.
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Der zuständige Minister sowie die Bürgermeister von Shi und Do (Provinz) haben innerhalb von 60 Tagen die beanspruchte Inspektion zu erledigen. Das Ergebnis soll schriftlich dem Anspruchsvertreter und dem Bürgermeister der betroffenen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften mitgeteilt und bekannt gemacht werden. Der zuständige Minister sowie die Bürgermeister von Shi und Do können den Bürgermeister der betroffenen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft die geeignete Maßnahme gegen das Inspektionsergebnis ergreifen lassen. Der Bürgermeister muss dem zuständigen Minister sowie Bürgermeister von Shi und Do davon berichten, welche Maßnahme ergriffen worden ist.16 Vom Mai 2000 bis 31.12.2006 wurde ein Bürgerinspektionsanspruch zu 93 Gegenständen erhoben. Davon sind 48 Gegenstände erledigt worden, und 41 sind wegen eines Voraussetzungsmangels abgewiesen worden. Einige Gegenstände werden noch von bestimmten Aufsichtsbehörden geprüft.17 3. Bürgerklage Gemäß Art. 17 I KSVG können die Bürger beim Gericht gegen den Bürgermeister Klage erheben, wenn er sich bezüglich folgender Gegenstände rechtswidrig verhalten hat: Erstens bei der Ausgabe der öffentlichen Gelder; zweitens beim Erwerb, der Verwaltung und Handhabung des Vermögens; drittens beim Kauf und Verkauf, Miete oder dem Abschluss anderer Verträge sowie im Falle von „Faulheit“ bei der Auferlegung und Einziehung öffentlicher Gelder betreffend Gemeindeabgaben, Nutzungskosten, Gebühren und Bußgelder. Bevor die Bürger bezüglich Art. 16 I KSVG die Bürgerklage erheben, müssen sie den Bürgerinspektionsanspruch gestellt haben, und die Inspektion muss ein Fehlverhalten des Bürgermeisters zum Ergebnis haben. Jeder, der den Bürgerinspektionsanspruch erhoben hat, kann die Bürgerklage stellen. Es wird auch für möglich gehalten, allein die Klage zu erheben.18 Gemäß Art. 17 II KSVG bestehen vier Bürgerklagen: Die Klage auf Unterlassung des schädigenden Verhaltens (Art. 17 II Nr. 1 KSVG), die Klage auf Zurücknahme der Verwaltungsverfügung (Art. 17 II Nr. 2 KSVG), die Klage auf Bestätigung der Rechtswidrigkeit der Säumigkeit (Art. 17 II Nr. 3 KSVG) und die Klage auf Forderung des Schadenersatzes (Art. 17 II Nr. 4 KSVG). Das System der Bürgerklage dient dazu, die Ehrlichkeit und Transparenz der ___________ 16
Dazu näher Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 161 ff. Allgemein Jong-Hyun Seok (Fn. 13), S. 107 ff.; Jee-Tae Ryu (Fn. 13), S. 724 f.; Jeong-Sun Hong (Fn. 13), Rn. 293 ff. 17 Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 175 ff. 18 Jeong-Sun Hong (Fn. 13), Rn. 299; Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 187.
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Selbstverwaltung zu stärken. Es wird als eine objektive Klage sowie Volksklage verstanden.19 Bis Juni 2007 gab es 5 Fälle der Bürgerklage betreffend rechtswidrigen Straßenbau, Budgetverschwendung für die Biomüllbehandlungseinrichtung und Aufgabendurchführungskosten.20 4. Bürgerabwahl Gemäß Art. 20 KSVG haben die Bürger das Recht, den Bürgermeister sowie die Mitglieder des Rates abzuwählen. Um die Bürgerabwahl durchzuführen, ist die Unterzeichnung durch eine bestimmte Anzahl von Bürgern erforderlich. Zur Abwahl des Bürgermeisters von Gwangyeok-Shi und Do (Provinz) sind über 10% der Abwahlberechtigten erforderlich, beim Bürgermeister von Shi, Gun und Gu über 15%. Bei den Ratsmitgliedern von Gwangyeok-Shi, Do, Shi, Gun und Gu sind über 20% der Abwahlberechtigten erforderlich (Art. 7 I Gesetz über die Bürgerabwahl: GBa). Nach Art. 22 I GBa wird das Ergebnis der Bürgerabwahl festgestellt, wenn über 1/3 der Abwahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen haben und wenn davon bei über 50% Zustimmung zur Abwahl besteht. Gemäß Art. 23 I GBa wird der Betroffene aus dem Amt abgewählt, indem das Ergebnis der Abwahl festgestellt und bekanntgemacht wird. Er kann sich nicht bei der Ersatzwahl bewerben. Gemäß Art. 1 GBa liegt das Ziel der Bürgerabwahl darin, die unmittelbare Teilnahme der Bürger an der kommunalen Selbstverwaltung zu erweitern und Demokratie und Verantwortlichkeit der Selbstverwaltung zu verstärken.21 Das Gesetz über die Bürgerabwahl wurde vor einem Jahr erlassen und erst am 25.2.2007 in Kraft gesetzt. Daher gibt es noch keinen Beispielsfall.
___________ 19
Jong-Hyun Seok (Fn. 13), S. 111; Jee-Tae Ryu (Fn. 13), S. 725; Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 181. 20 Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 200. 21 Vgl. Jeong-Sun Hong (Fn. 13), Rn. 305; Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 206.
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III. Bürgeranspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung 1. Hintergrund der Einführung Wie ein Blick in die Geschichte22 der koreanischen kommunalen Selbstverwaltung zeigt, ist die Selbstverwaltung erst im Jahr 1991 wieder richtig aufgebaut worden. Damals wurde betont, dass die ergänzenden Mittel, durch die die Bürger unmittelbar an der kommunalen Selbstverwaltung teilnehmen können, geschaffen werden sollen. Als das KSVG am 31.8.1999 geändert wurde, ist das Bürgeranspruchsrecht23 auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung in Art. 13-3 (nun Art. 15) KSVG eingeführt worden. 2. Hauptinhalt a) Anspruchsteller sowie Anspruchsgegner Gemäß Art. 15 I KSVG bedarf der Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung der Beteiligung einer bestimmten Anzahl von Wahlberechtigten, die das 19. Lebensjahr vollendet haben; für diesen Anspruch ist die Unterzeichnung durch diese Bürger erforderlich. Die Anzahl Unterzeichner ist je nach Kommunen unterschiedlich geregelt: Bei Gwangyeok-Shi und Do (Provinz) sowie Großstädten, die über 500.000 Einwohner haben, ist die Unterzeichnung durch über 1% der Gesamteinwohner erforderlich. Bei Shi, Gun und Gu ist eine Unterzeichnung durch über 2% erforderlich. Ausländer können nicht daran teilnehmen. Der Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung ist bei dem Bürgermeister der betroffenen Selbstverwaltungskörperschaften zu erheben. b) Anspruchsgegenstand Im Art. 117 I KV wird geregelt: „Die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften erledigen ihre Aufgaben zum Wohl der Einwohner und verwalten ihr Vermögen; sie können im Rahmen der Gesetze Vorschriften über die Selbstverwaltung erlassen.“ Danach konkretisiert Art. 22 KSVG, dass die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften im Rahmen des Gesetzes Sat___________ 22
Siehe I. Hee-Gon Kim (Fn. 8), S. 304 ff.; Seung-Joo Baig (Fn. 8), S. 197 ff.; Jong-Hyun Seok (Fn. 13), S. 105; Jeong-Sun Hong (Fn. 13), Rn. 290 ff.; Jee-Tae Ryu (Fn. 13), S. 725 ff.; Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 149 ff. 23
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zungen über ihre Angelegenheiten erlassen können. Aber sie bedürfen der Ermächtigung durch ein Gesetz, wenn sie eine Satzung erlassen, die das Recht der Bürger beschränkt, den Bürgern Pflichten auferlegt oder eine Strafbestimmung aufstellt. Die Grenzen des Anspruchsrechts auf Schaffung, Änderung und Abschaffung der Satzung liegen in dem durch Art. 117 I KV und Art. 22 KSVG gesetzten rechtlichen Rahmen. Dies kann umgekehrt so verstanden werden, dass die Möglichkeiten, durch die die Bürger an der Schaffung, Änderung und Abschaffung der Satzung teilnehmen können, mit den Möglichkeiten übereinstimmen, durch die die Gemeinderäte ihre Satzung erlassen können; d. h. die Bürger können durch das Anspruchsrecht an der Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung über die eigenen Angelegenheiten der Gemeinde und die den Selbstverwaltungskörperschaften aufgetragenen Angelegenheiten teilnehmen.24 Aber die Nebenbestimmung des Art. 15 I KSVG regelt, dass das Anspruchsrecht auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung nicht bei folgenden Gegenständen besteht: Erstens bei Sachen, die gegen Rechtsvorschriften verstoßen; zweitens bei Sachen, die die Auferlegung, Einziehung und den Erlass von Gemeindeabgaben, Nutzungskosten, Gebühren und Beiträgen betreffen; drittens bei Sachen, die die Einrichtung oder Änderung von Verwaltungsorganen betreffen oder die sich gegen die Errichtung der öffentlichen Einrichtungen wenden.25 c) Anspruchsverfahren aa) Unterzeichnung Zunächst bedarf es der Unterzeichnung durch eine bestimmte Anzahl von Bürgern26, wenn man beim Bürgermeister den Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung erheben will.
___________ 24 Hee-Gon Kim (Fn. 8), S. 316; Jong-Hyun Seok (Fn. 13), S. 105; Jeong-Sun Hong (Fn. 13), Rn. 290a. Vgl auch Ju-Hee Lee (Fn. 14), S. 149 ff.; Seung-Joo Baig (Fn. 8), S. 208. 25 Dazu gibt es folgende Meinung: Es sei bezüglich des Wesens der Satzung problematisch, die als das autonome und örtliche Recht verstanden wird, dass das KSVG die Ausnahmegegenstände des Anspruchs auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung einfach unterschiedslos bestimme. Jeong-Sun Hong (Fn. 13), Rn. 290a; auch Seung-Joo Baig (Fn. 8), S. 209. 26 Dazu bereits III. 2. a).
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bb) Auswahl des Anspruchsvertreters Beim Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung fordert Art. 15 II KSVG von den Anspruchstellern, dass sie ihren Vertreter wählen und ihn und die Anspruchsteller in das Register eintragen. Der Vertreter muss den Entwurf zur Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung selber vorbereiten und vorlegen. cc) Auslegung des Anspruchstellerregisters sowie seiner Kopie Gemäß Art. 15 III KSVG hat der Bürgermeister den Anspruch innerhalb von fünf Tagen nach der Erhebung bekannt zu machen. Er muss das Anspruchstellerregister sowie seine Kopie in einem öffentlichen Raum zehn Tage zur Einsicht auslegen lassen. dd) Beanstandung des Anspruchstellerregisters Wer Zweifel an den Unterschriften im Anspruchstellerregister hat, kann dies gemäß Art. 15 IV KSVG innerhalb des Auslegungszeitraums gegenüber dem Bürgermeister beanstanden. In diesem Fall hat der Bürgermeister die Unterzeichnungen innerhalb von vierzehn Tagen nach dem Ende des Auslegungszeitraums zu prüfen und zu entscheiden, ob sie rechtmäßig sind. Er hat das Anspruchstellerregister zu ändern und dies demjenigen, der die Beanstandung erhoben hat, sowie dem Vertreter mitzuteilen, wenn er davon überzeugt ist, dass der Antrag zu Recht beanstandet ist. In gleicher Weise hat er demjenigen, der die Beanstandung erhoben hat, das Ergebnis der Entscheidung unverzüglich mitzuteilen, wenn er entschieden hat, dass der Antrag zu Unrecht beanstandet worden ist. ee) Annahme sowie Bekanntmachung des Anspruchs Gemäß Art. 15 VI KSVG hat der Bürgermeister den Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung anzunehmen, wenn das Anspruchstellerregister nicht beanstandet wurde und wenn der Anspruch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des Art. 15 KSVG erfüllt. Er hat den Anspruch abzuweisen und dies dem Vertreter der Anspruchsteller mitzuteilen, wenn der Anspruch die Voraussetzungen nicht erfüllt. Gemäß Art. 15 VII KSVG hat der Bürgermeister dem Vertreter der Anspruchsteller die Chance zur Meinungsäußerung zu geben, wenn er ihn abweist.
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d) Vorlage an den Gemeinderat Gemäß Art. 15 VIII KSVG hat der Bürgermeister innerhalb von sechzig Tagen nach der Annahme des Anspruchs dem Gemeinderat den Entwurf des Anspruchs auf Schaffung, Änderung und Abschaffung der Satzung vorzulegen. Das Ergebnis hat er dem Vertreter der Anspruchsteller mitzuteilen. 3. Würdigung Es fällt allein in die Zuständigkeit des Gemeinderates, den Entwurf als Satzung anzunehmen oder nicht. Der Versuch zur Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung durch den Bürger scheitert, wenn der Rat gegen den Wunsch der Bürger entscheidet. Der Rat ist nicht verpflichtet, den Entwurf unbedingt als Satzung anzunehmen. Aber es besteht in der Praxis dabei die Möglichkeit, dass der Rat einfach aus Mangel an Interesse den Entwurf nicht beachtet, obwohl die Bürger viel Mühe für die Stellung des Antrags auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung aufgewandt haben.27 Daher gibt es eine Auffassung, dass über den Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung unter bestimmten Voraussetzungen durch Bürgerabstimmung zu entscheiden ist.28 Hiergegen wird kritisch eingewandt, dass das System des Anspruchs auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung von den Bürgern als ein ergänzendes Mittel verstanden werden muss, das den Nachteil der mittelbaren Demokratie in der kommunalen Selbstverwaltung ausgleichen kann. Daher sollte der Gedanke korrigiert werden, dass der Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung von den Bürgern unbedingt durch den Gemeinderat akzeptiert werden muss.29 Da auch ein Missbrauch des Anspruchs auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung durch die Bürger in Betracht kommt, ist die kritische Auffassung für besser zu halten. Auch die folgenden Gegenstände sind als Probleme zu sehen: Erstens können hinsichtlich der zu erlassenden Satzung Interessenkonflikte zwischen den Bürgern entstehen. Zweitens kann es Misstrauen oder Konflikte zwischen dem Rat und Bürgern verursachen, wenn der Anspruch vom Gemeinderat abgewie___________ 27 Zutreffend Jong-Hyun Seok (Fn. 13), S. 106; Jee-Tae Ryu (Fn. 13), S. 724; ders. (Fn. 13), Öffentliches Recht Studie 28-1 (1999.10), S. 27; Hee-Gon Kim (Fn. 8), S. 319; Seung-Joo Baig (Fn. 8), S. 210 f. In Japan gab es 1071 Fälle zum Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung von 1982 bis 1992. Davon wurden 119 Fälle (11%) als Satzung angenommen (Hee-Gon Kim [Fn. 8], S. 320). 28 Jee-Tae Ryu (Fn. 13), S. 724; ders. (Fn. 13), Öffentliches Recht Studie 28-1 (1999.10), S. 27. 29 Hee-Gon Kim (Fn. 8), S. 320.
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sen wird.30 Drittens enthält das Anspruchssystem auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung keine konkrete Verfahrensregelung.31 Viertens ist der Prozentanteil, der zur Durchführung des Anspruchsrechts auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung erforderlich ist, in der kommunalen Praxis zu hoch.32 Fünftens werden viele Gegenstände, die für den Anspruch auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung wichtig sind, wie z. B. Gemeindeabgabe, Nutzungsgebühr, Gebühr und Bußgeld, aus dem Bereich des Anspruchsrechts ausgeschlossen.33 Das Anspruchssystem auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung durch die Bürger ist unter dem Gesichtspunkt von großer Bedeutung, dass es unmittelbar von den Gemeindebürgern beantragt wird, obwohl es für die kommunale Selbstverwaltung als ergänzendes Mittel erachtet wird. In der Praxis werden viele Satzungen der Gemeinde nach einer Mustersatzung des Ministeriums erlassen.34 Im Hinblick auf das Bedürfnis der Bürger und die örtlichen Merkmale der Gemeinde hat es große Bedeutung, dass die Bürger unmittelbar an der Setzung von Ortsrecht teilnehmen können, um die wahre kommunale Selbstverwaltung zu verwirklichen. Daher ist es erforderlich, das Anspruchssystem auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung in der kommunalen Verwaltung stärker zu aktivieren, soweit es nicht gegen die Zuständigkeit des Gemeinderates verstößt. Da Nutzungskosten, Gebühr und Bußgeld usw.35 mit dem Leben der Bürger in engem Zusammenhang stehen, wäre es ein besserer Weg, sie als Gegenstand des Anspruchs auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung zuzulassen.
IV. Resümee Das Anspruchssystem auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung durch die Bürger ist im Rahmen des Art. 117, 118 KV und Art. 22 KSVG ___________ 30
Hee-Gon Kim (Fn. 7), S. 320 f. Jong-Hyun Seok (Fn. 11), S. 106; Hee-Gon Kim (Fn. 7), S. 321; Seung-Joo Baig (Fn. 7), S. 210. 32 Jong-Hyun Seok (Fn. 11), S. 106; Jee-Tae Ryu (Fn. 11), S. 723 f.; Hee-Gon Kim (Fn. 7), S. 318; Seung-Joo Baig (Fn. 7), S. 210; vgl. auch Jeong-Sun Hong (Fn. 11), Rn. 290b. 33 Jeong-Sun Hong (Fn. 11), Rn. 290a; Seung-Joo Baig (Fn. 7), S. 217 f. 34 Näher dazu Sung-Kyu Cho, Rechtliche Studie über das Satzungsverfahren, Local Government Law Journal Vol. 7-1 (2007.3), S. 90 f. 35 Die Gemeindeabgaben sind von der Ortsrechtsetzung ausgeschlossen, da sie im Hinblick auf das Gesetz über die Gemeindeabgabe (GGA) unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen (vgl. Art. 3 I GGA). 31
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zu betrachten. Dies bedeutet, dass es in der hierarchischen Normenordnung, d. h. Verfassung – Gesetz – Rechtsverordnung – Satzung, sowie in ihrem Wirkungsbereich ausgeführt werden soll.36 Das System soll mit Blick auf die demokratische Legitimation des Gemeinderates als ein ergänzendes Mittel der unmittelbaren Teilnahme der Bürger durchgeführt werden. Sonst kann es gegen die demokratische Legitimation des Gemeinderates verstoßen.37 Durch das Anspruchssystem können die Probleme der uniformierten Schaffung, Änderung oder Abschaffung von Satzungen gemäß den Mustersatzungen des Ministeriums überwunden werden. Auch im Hinblick auf das Wesen der Gemeindesatzung als Orts- und Autonomierecht kann erwartet werden, dass die Autonomie der Teilgemeinschaft (Gemeinde) in der Staatsgemeinschaft38 harmonisiert sowie gestärkt wird, wenn das Anspruchssystem auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung von den Bürgern aktiviert wird.
Literaturverzeichnis Baig, Seung-Joo, Betrachtung über den Anspruch des Bürgers auf Rechtsvorschrift, Öffentliches Landes Recht 22 (2004.7) Cho, Sung-Kyu, Rechtliche Studie über das Satzungsverfahren, Local Government Law Journal Vol. 7-1 (2007.3) Choi, Seung-Won, The Nature of Municipal Ordinances, Local Government Law Journal Vol. 5-1 (2006.6) Chong, Jong-Sup, Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2007) Hong, Jeong-Sun, Koreanisches Verwaltungsrecht II, 2007 Kim, Hae-Ryong, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 160. Kim, Hee-Gon, Studie über das Bürgeranspruchsrecht auf Schaffung, Änderung oder Abschaffung der Satzung im Kommunalgesetz, Öffentliches Recht 28-3 (2000.3) Kim, Hyun-Cho, The Improving Ways of Direct Democracy of Local Government in Korea, in: Local Government Journal 2003 Kim, Nam-Jin, Verfassung, Gesetz, Verordnung und Satzung, Justiz und Verwaltung Nr. 33-8 (1992.8) Kwon, Young-Sung, Verfassungsrecht, 5. neubearbeitete Aufl. (2007) Lee, Ju-Hee, Kommunalrecht Lehre und Praktische Fälle, 2007 Lee, Seung-Jong, Lehre der Kommunalselbstverwaltung, 2003
___________ 36
Vgl. Nam-Jin Kim (Fn. 6), S. 1 f. Vgl. Hae-Ryong Kim, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 160. 38 Seung-Won Choi, The Nature of Municipal Ordinances, Local Government Law Journal Vol. 5-1 (2006.6), S. 400, 404. 37
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Lim, Sung-Bin, Lehre der Kommunalselbstverwaltung, 2005 Ryu, Jee-Tai, Neues Verwaltungsrecht, 11. Aufl. (2007), S. 723 ff. – Betrachtung über die aktuellen Probleme der kommunalen Selbstverwaltung, Öffentliches Recht Studie 28-1 (1999. 10) Seok, Jong-Hyun, Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl. (2005) Shin, Bong-Gi, Zur Bürgerabstimmung zur Endlageranziehung, Selbstverwaltung Dezember 2005
Bürgerbeteiligung im Kommunalrecht Von Hans-Werner Laubinger
Zur Veranschaulichung der juristischen Probleme, mit denen ich mich beschäftigen werde, möchte ich Ihnen einen praktischen Fall schildern, an dem ich selbst mitgewirkt und dem ich viele Stunden geopfert habe: den Kampf um die Erhaltung des Hallen- und Freibades in dem Mainzer Stadtteil Mombach*.
I. Zur Einführung: Der Kampf um das Mombacher Schwimmbad Angesichts der angespannten Haushaltssituation beschloss der Stadtrat der Stadt Mainz Anfang des Jahres 2005 drastische Sparmaßnahmen. Davon betroffen war auch das damals von der Stadt betriebene Hallen- und Freibad „Am Großen Sand“ in Mainz-Mombach. Die von den drei „den Haushalt tragenden Fraktionen“ (CDU, SPD und F.D.P.) beschlossenen Kürzungen der Haushaltsmittel liefen auf eine Schließung des gesamten Bades oder zumindest des Hallenbades hinaus. Gegen diese Pläne erhob sich Widerstand in der Mainzer Bevölkerung, der dazu führte, dass sich am 16. Februar 2005 die „Bürgerinitiative Mombacher Schwimmbad“ bildete. Da die Stadt an ihren Plänen festhielt, entschloss sich die Bürgerinitiative, ein Bürgerbegehren in die Wege zu leiten. In der Zeit von 17. April 2005 bis Mitte Juli 2005 sammelte sie auf Unterschriftsformularen insgesamt mehr als 21.000 Unterschriften. Die ausgefüllten Unterschriftsformulare wurden dem Oberbürgermeister am 18. Juli 2005 übergeben. Unter dem Eindruck des öffentlichen Protestes gegen die beabsichtigte Schließung des Bades veranstaltete die Stadt eine Art Ausschreibung mit dem Ziel, das Bad von einem Privaten betreiben zu lassen, falls dadurch die für die ___________ * Der Vortrag verfolgt nicht das Ziel, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zutage zu fördern, sondern hat den Zweck, den koreanischen Teilnehmern an dem Symposium und koreanischen Lesern die Beteiligung der Einwohner und Bürger einer (rheinlandpfälzischen) Gemeinde anhand eines konkreten Falles möglichst anschaulich zu schildern.
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Stadt anfallenden Kosten um 900.000 € gesenkt würden. Eine solche private Betreiberin fand sich schließlich in Gestalt der „Schwimmbad Mainzer Schwimmverein gGmbH“, die zu diesem Zweck von dem Mainzer Schwimmverein 01 ins Leben gerufen wurde. Sie und die Stadt schlossen am 20. Dezember 2005 einen „Übernahme- und Konzessionsvertrag“. Dessen § 1 Abs. 2 Satz 1 sieht Folgendes vor: „Die Stadt übergibt dem Betreiber das in Abs. 1 genannte Grundstück mit allen darauf stehenden Gebäuden und sonstigen Nutzflächen einschl. der dazugehörigen Parkplatzflächen, der Einrichtungen, des Inventars und sonstigen Zubehörs zum Betrieb des Freibades, Hallenbades und der Traglufthalle.“
In dem Vertrag verpflichtete sich die Stadt, dem neuen Betreiber jährlich einen Zuschuss von etwas mehr als einer Million Euro zu zahlen. Zuvor hatte die Stadt jährlich etwa zwei Millionen Euro für die Unterhaltung des Bades aufwenden müssen. Der Betrieb des Bades ging vertragsgemäß am 1. Februar 2006 auf die neue Betreiberin über. In seiner Sitzung am 5. Oktober 2005 fasste der Stadtrat den Beschluss, mit dem Abschluss des „Übernahme- und Konzessionsvertrages“ habe sich das Bürgerbegehren erledigt. Dem widersprach die Bürgerinitiative. Da keine Einigung über die Erledigung des Bürgerbegehrens erzielt werden konnte, erhoben die auf den Unterschriftsformularen benannten Vertretungsberechtigten1 am 13. März 2006 Klage beim VG Mainz mit dem Antrag festzustellen, dass der Stadtrat nicht berechtigt gewesen sei, das Bürgerbegehren für erledigt zu erklären. In der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2006 nahmen die Vertretungsberechtigten die Klage zurück, nachdem das Gericht einerseits angedeutet hatte, seiner Ansicht nach sei das Bürgerbegehren erledigt, aber andererseits erklärt hatte, die Stadt dürfe das Schwimmbad auch dann nicht einfach schließen, wenn die neue Betreiberin zahlungsunfähig werden und den Betrieb nicht aufrechterhalten könne. Soviel zu dem Bürgerbegehren, das in Wirklichkeit viel verwickelter war, als ich in der zur Verfügung stehenden Zeit darstellen kann. Ich werde auf das Bürgerbegehren im Verlaufe der folgenden Ausführungen immer wieder zurückkommen.
___________ 1 Nicht die Bürgerinitiative. Wer befugt ist, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gerichtlich geltend zu machen (die auf den Unterschriftsformularen als Vertretungsberechtigte, alle Unterzeichner des Bürgerbegehrens oder/und alle Gemeindebürger), ist ungeklärt (siehe unten Fn. 10); eine Bürgerinitiative kann zwar Initiatorin eines Bürgerbegehrens sein, ist aber (wohl) nicht klagebefugt.
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II. Überblick über die kommunale Bürgerbeteiligung Die Bürger der Gemeinden und Kreise können auf mannigfache Weise auf Entscheidungen ihrer Kommunen Einfluss nehmen. Die rechtliche Grundlage dafür bietet teils das Bundes-, teils das Landesrecht. 1. Beteiligung der Bürger in der Bauleitplanung Eine praktisch bedeutsame, wenn nicht die bedeutsamste Form der Bürgerbeteiligung sieht das Baugesetzbuch vor, nämlich die Beteiligung an der Bauleitplanung, also der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind die Bürger möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen (also Alternativen), die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten. Den Bürgern ist ferner Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben. An diese frühzeitige schließt sich die förmliche Bürgerbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB an: Der Entwurf des Flächennutzungs- bzw. des Bebauungsplans muss mitsamt der Begründung (beim Flächennutzungsplan heißt er Erläuterungsbericht) auf die Dauer eines Monats öffentlich ausgelegt werden. Während dieser Zeit kann jedermann Anregungen für die Änderung des Plans vorbringen, ohne ein berechtigtes oder gar ein rechtlich geschütztes Interesse nachweisen zu müssen. Nach Ablauf der Auslegungsfrist sind die fristgemäß vorgebrachten Anregungen von der Gemeinde zu prüfen; zuständig dafür sind die Gemeindeverwaltung und der Gemeinderat (Stadtrat) oder einer seiner Ausschüsse, z. B. der Bauausschuss. Das Ergebnis der Prüfung ist dem Bürger, der die Anregung vorgebracht hat, mitzuteilen. Die Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens steht weitgehend im Ermessen der Gemeinde, erfordert aber eine effektive Beteiligungsmöglichkeit. Ein probates Mittel dafür ist eine Bürgerversammlung, die häufig im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung veranstaltet wird. An ihr kann jeder Interessierte teilnehmen, ohne Rücksicht darauf, ob er durch die Planung betroffen ist und ob er Bürger der Gemeinde ist. Tatsächlich nehmen an dieser Veranstaltung aber ganz überwiegend solche Personen teil, die als Grundstückseigentümer, Mieter oder Pächter von der Planung betroffen sein könnten. In diesen Bürgerversammlungen geht es oftmals hoch her, weil unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen. Das führt zu heftigen Auseinandersetzungen sowohl zwischen den Vertretern der Gemeinde einerseits und einzelnen Bürgern andererseits als auch zu lautstarken Wortgefechten zwischen mehreren Bürgern mit unterschiedlichen Interessen.
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2. Beteiligung der Bürger im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren Eine weitere praktisch bedeutsame Bürgerbeteiligung auf bundesrechtlicher Grundlage findet im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren statt. Gemäß § 10 Abs. 3 BImSchG sind der Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nebst den vom Antragsteller eingereichten Unterlagen einen Monat zur Einsicht auszulegen. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist „kann die Öffentlichkeit“, d. h. kann jedermann, schriftlich Einwendungen erheben. Die Genehmigungsbehörde hat die Einwendungen mit dem Antragsteller und den Einwendern zu erörtern (§ 10 Abs. 6 BImSchG). Dies geschieht in einem sog. Erörterungstermin, bei dem es oft ebenso heftig zugeht wie bei den Bürgerversammlungen im Rahmen der baurechtlichen frühzeitigen Bürgerbeteiligung. Der Genehmigungsbescheid ist auch den Einwendern zuzustellen (§10 Abs. 7 BImSchG). 3. Beteiligung der Bürger im Planfeststellungsverfahren Ganz ähnlich verläuft die Beteiligung der Bürger dann, wenn ein Planfeststellungsverfahren stattfindet. Die einschlägigen Vorschriften finden sich heute in den §§ 73 und 74 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG) bzw. den entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder, auf die die Bundes- und Landesgesetze verweisen, die die Durchführung von Planfeststellungsverfahren vorschreiben2. In allen diesen Fällen steht das Recht, an der Bürgerbeteiligung teilzunehmen, nicht nur den Bürgern einer bestimmten Gemeinde zu, sondern jedermann. Anders verhält es sich mit der Bürgerbeteiligung, die das Kommunalrecht vorsieht und der ich mich jetzt zuwenden werde.
III. Die Beteiligung der Bürger aufgrund des Kommunalrechts Wie Sie sicherlich wissen, ist das Kommunalrecht (Kommunalverfassungsrecht) in Deutschland eine der letzten Domänen der Landesgesetzgeber. Diese haben für die Gemeinden (einschließlich Städte) Gemeindeordnungen, für die Landkreise (Land)Kreisordnungen erlassen. Diese weichen von Land zu Land in mannigfacher Hinsicht voneinander ab; dies gilt auch für die Vorschriften ___________ 2
Siehe dazu Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., Köln/Berlin/ Bonn/München 1995 mit Nachtrag 1998, S. 326 ff. insbes. 376 ff.
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über die Beteiligung der Bürger. Schon aus zeitlichen Gründen ist es mir nicht möglich, die einschlägigen Gesetze aller 13 Flächenländer der Bundesrepublik zu verarbeiten, deshalb werde ich mich auf das rheinland-pfälzische Recht beschränken und hier den Schwerpunkt unter weitgehender Vernachlässigung der Landkreisordnung auf die Gemeindeordnung legen. Ein paar Angaben über die Anzahl der Bürgerbegehren in der Bundesrepublik, ihre Verteilung auf die einzelnen Bundesländer und die von ihnen behandelten Themen enthält der Anhang. 1. Vormerkung Die §§ 16 bis 17a der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung (GemO) sehen eine Reihe unterschiedlicher Instrumente vor, die es den Einwohnern oder den Bürgern der Gemeinde ermöglichen, auf Sachentscheidungen der Gemeindeorgane Einfluss zu nehmen. Vorweg eine Klarstellung zur Terminologie. Die Gemeindeordnung unterscheidet zwischen Einwohnern und Bürgern. Einwohner der Gemeinde ist, wer in der Gemeinde wohnt (§ 13 Abs. 1 GemO), unabhängig davon, wie alt er ist und ob er Deutscher oder Ausländer ist. Bürger hingegen ist nur derjenige Einwohner, der kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3): Er muss erstens Deutscher oder Staatsangehöriger eines EU-Staates sein. Er muss zweitens das 18. Lebensjahr vollendet haben, also volljährig sein. Er muss drittens wenigstens drei Monate in der Gemeinde leben. Und er muss viertens die Fähigkeit besitzen, öffentliche Ämter zu bekleiden. Nur die Bürger der Gemeinde haben das Recht, den Gemeinderat (Stadtrat) und den (Ober-) Bürgermeister zu wählen und zum Mitglied des Gemeinderats gewählt zu werden (§ 14 Abs. 1 GemO). Und nur sie sind berechtigt, aber auch verpflichtet, gemeindliche Ehrenämter zu übernehmen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 GemO). Nur nebenbei: Die Gemeinden sind seit fast zweihundert Jahren Gebietskörperschaften. Die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung betont dies in § 1 Abs. 2 Satz 1. Wesensmerkmal von Körperschaften ist, dass sie Mitglied haben. Mitglieder sind solche Personen, die auf die Geschicke eines Verbandes von Rechts wegen Einfluss nehmen können. Dieses Recht haben die Bürger, weil ihnen das aktive Wahlrecht zusteht. Sie und nur sie sind daher Mitglieder der Gemeinde. 2. Unterrichtung der Einwohner Nun zu den Beteiligungsformen. § 15 Abs. 1 GemO verpflichtet die Gemeindeverwaltung, die Einwohner (also nicht nur die Bürger) über wichtige
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Gemeindeangelegenheiten in geeigneter Form zu unterrichten. Dies kann etwa durch Pressemitteilungen geschehen. Von einer Bürgerbeteiligung kann man hier noch nicht sprechen. 3. Einwohnerversammlung Dem kommt die in § 16 GemO vorgesehene Einwohnerversammlung schon ein Stück näher. Auch sie dient zwar der Unterrichtung der Einwohner und Bürger (Abs. 1 Satz 1), die jedoch in eine Aussprache übergehen kann, wie sich aus Abs. 3 Satz 4 ergibt, wonach grundsätzlich nur Einwohner und Bürger der Gemeinde das Wort erhalten. In jeder Gemeinde soll zwar jährlich mindestens eine Einwohnerversammlung abgehalten werden (§ 16 Abs. 1 Satz 1 GemO); aber das steht wohl nur auf dem Papier. Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Durchführung einer Einwohnerversammlung steht keinem Einwohner zu. Wir mussten deshalb die Einwohnerschaft und die Presse mobilisieren, um auf den Oberbürgermeister Druck auszuüben. Ihm obliegt die Einladung, und er leitet die Einwohnerversammlung. Mit Schreiben vom 16. März 2005 forderte die Bürgerinitiative den Oberbürgermeister auf, eine Einwohnerversammlung einzuberufen und auf dieser darzulegen, weshalb die Schließung des Schwimmbades notwendig sei. Der OB kam dieser Aufforderung nach und berief für den 22. April 2005 eine Einwohnerversammlung ein. In einem Bericht der örtlichen Presse heißt es dazu zusammenfassend: „Es war kein leichter Gang für Oberbürgermeister Jens Beutel, Finanzdezernent Kurt Merkator (beide SPD) und Sportdezernent Norbert Schüler (CDU) am Freitagabend: In der Eintrachthalle versuchten sie rund 250 skeptischen Bürgern zu erläutern, warum die Stadt nicht mehr in der Lage sei, das Hallenbad Am Großen Sand zu subventionieren.“
Diese Veranstaltung hatte keinen rechtlichen, wohl aber einen politischen Zusammenhang mit dem Bürgerbegehren. Sie diente dazu, auf den OB und den Stadtrat – auch mehrere seiner Mitglieder aus allen Fraktionen waren erschienen – Druck auszuüben. Die Einwohnerversammlung bescherte uns übrigens einen Etappensieg. Der Hintergrund war folgender: Es gab und gibt in Mainz noch ein zweites Schwimmbad, das Taubertsbergbad. Es wurde vor einigen Jahren von der Stadt mit Kosten von 18 Millionen Euro errichtet, wird aber nicht von der Stadt, sondern von einer privaten Gesellschaft betrieben. Der Betrieb lief und läuft wohl noch immer schleppend. Deshalb hegten wir den Verdacht, dass die Stadt das Mombacher Bad auch deshalb schließen wolle, um dessen Besucher zu veranlassen, das Taubertsbergbad zu besuchen. Wir vermuteten ferner, dass sich ein Beleg für diesen Verdacht aus dem Vertrag ergeben könnte, den die Stadt mit dem Betreiber des Taubertsbergbades abgeschlossen hatte.
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Deshalb hatten wir den Oberbürgermeister (OB) vor der Einwohnerversammlung mehrfach mündlich und schriftlich aufgefordert, diesen Vertrag offenzulegen. Das hatte der OB jeweils mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt. Auf der Einwohnerversammlung haben wir dies dem OB mit scharfen Worten vorgehalten. Dann geschah etwas Überraschendes: Der OB wandte sich an den Finanzdezernenten der Stadt und wies ihn an, uns Einsicht in den Vertrag zu gewähren. Dies geschah denn auch kurze Zeit später. Zu unserer Enttäuschung enthielt der Vertrag, den wir in ständiger Gegenwart des Finanzdezernenten in dessen Amtsräumen lesen durften, nicht erkennbar Verfängliches. Umso weniger verständlich ist es, dass der OB uns zuvor so hartnäckig die Einsichtnahme verweigert hatte.
4. Fragestunde des Gemeinderates Der Gemeinderat kann gemäß § 16a GemO bei öffentlichen Sitzungen Einwohnern die Gelegenheit geben, Fragen aus dem Bereich der örtlichen Verwaltung zu stellen sowie Anregungen und Vorschläge zu unterbreiten. Ein Anspruch hierauf steht den Einwohnern nicht zu. Auch von diesem Instrument hat unsere Bürgerinitiative Gebrauch gemacht. Sie durfte in einer Sitzung des Stadtrats zu den Plänen der Stadt, die auf eine Schließung des Mombacher Schwimmbades hinausliefen, Stellung nehmen und Vorschläge dafür unterbreiten, wie es gelingen könnte, das Schwimmbad zu erhalten und zugleich die Aufwendungen der Stadt zu reduzieren. Das allein reichte allerdings – wie sich alsbald zeigte – nicht aus, um die Stadt von ihren verkappten Schließungsabsichten abzubringen. 5. Einwohnerantrag § 17 Abs. 1 Satz 1 GemO räumt den Bürgern und den mindestens 16 Jahre alten Einwohnern das Recht ein zu beantragen, dass der Gemeinderat über bestimmte Angelegenheiten der örtlichen Selbstverwaltung, für deren Entscheidung er zuständig ist, berät und entscheidet. Das ist wenig präzise ausgedrückt. Jene Bürger und Einwohner sollen nicht nur das Recht haben, einen Antrag zu stellen, sondern sie sollen das Recht darauf haben, dass sich der Gemeinderat mit einem bestimmten Gegenstand befasst und über ihn entscheidet. Sie haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass die Entscheidung in einem bestimmten Sinne fällt. Für unsere Bürgerinitiative war dieses Instrument bedeutungslos, denn der Stadtrat hatte sich bereits mehrfach mit dem Schicksal des Mombacher Schwimmbades befasst. Ein Einwohnerantrag wäre demzufolge ein untaugliches Mittel gewesen, um eine andere Entscheidung des Stadtrates herbeizuführen.
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Von diesem Instrument ist in Mainz in jüngster Zeit jedoch in folgender Sache Gebrauch gemacht worden. Die Stadtwerke Mainz – eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die zu einem Drittel der Stadt gehört – beabsichtigt, am Mainzer Rheinufer ein riesiges Kohleheizkraftwerk zu errichten. Große Teile der Bevölkerung diesseits und jenseits des Rheins lehnen dieses Vorhaben vehement ab; es hat sich denn auch prompt eine neue Bürgerinitiative gebildet, die den schönen Namen KoMa (Kohlenfreies Mainz) führt. Da die Angelegenheit brisant ist, haben die meisten im Stadtrat vertretenen Parteien sich zunächst beharrlich geweigert, sich im Stadtrat mit diesem Vorhaben zu befassen. Schließlich mussten sie es doch tun, nachdem die Bürgerinitiative erfolgreich einen Bürgerantrag eingebracht hatte. Die Mehrheit des Stadtrates sprach sich dabei für den Bau des Kraftwerks aus.
Der Einwohnerantrag muss ein bestimmtes Begehren enthalten, und dieses muss begründet werden (§ 17 Abs. 2 Satz 1 GemO). Das Begehren muss von einer bestimmten Anzahl von Einwohnern der Gemeinde unterstützt werden. Wie groß diese Zahl ist, hängt von der Einwohnerzahl ab (vgl. § 17 Abs. 3 GemO). In Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern müssen 2 v.H. der Einwohner durch ihre Unterschrift den Antrag unterstützen, höchstens jedoch 2.000. Dies gilt etwa für Mainz, das knapp 200.000 Einwohner zählt. Die Einwohner, die den Einwohnerantrag unterstützen wollen, tragen sich auf Unterschriftslisten ein, die nicht von der Gemeinde, sondern von den Initiatoren des Antrags (z. B. von einer Bürgerinitiative) in Umlauf gesetzt werden. Jede Unterschriftsliste muss den vollen Wortlaut des Begehrens enthalten. Jeder Unterzeichner muss seinen Namen und seine Anschrift angeben, so dass festgestellt werden kann, ob er tatsächlich Einwohner der Gemeinde ist; ist die Identität des Unterzeichners nicht feststellbar, ist seine Unterschrift ungültig (§ 17 Abs. 4 Satz 2 GemO) mit der Folge, dass sie nicht mitzählt bei der Feststellung, ob die notwendige Anzahl von Unterstützern erreicht worden ist. Über die Zulässigkeit des Einwohnerantrags entscheidet der Gemeinderat (§ 17 Abs. 6 Satz 1), nachdem zuvor die Gemeindeverwaltung die Gültigkeit der Unterschriften geprüft hat (Abs. 6 Satz 2). Die Zulässigkeit des Antrags hängt insbesondere davon ab, dass – er von der erforderlichen Anzahl von Einwohnern durch deren Unterschrift unterstützt worden ist, – er etwas Bestimmtes begehrt, über das der Gemeinderat entscheiden darf, d.h. das in dessen Zuständigkeit fällt, – jede Unterschriftsliste den vollen Wortlaut des Antrags enthält. Der Einwohnerantrag ist beispielsweise dann unzulässig, wenn er den Gemeinderat zwingen soll, über eine Angelegenheit zu diskutieren und zu beschließen, die in die Zuständigkeit des Bundes, des Landes oder des Bürgermeisters fällt, z. B. über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan.
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Ist der Einwohnerantrag zulässig, hat der Gemeinderat ihn innerhalb von drei Monaten zu beraten und darüber zu entscheiden (§ 17 Abs. 6 Satz 3). Bevor der Gemeinderat seine Entscheidung fällt, muss er die Personen anhören, die berechtigt sind, den Antrag zu vertreten (§ 17 Abs. 6 Satz 4); welche Personen dies sind, muss sich aus dem Einwohnerantrag ergeben (§ 17 Abs. 2 Satz 2). Die Entscheidung des Gemeinderates ist mit den wesentlichen Gründen öffentlich bekanntzumachen (§ 17 Abs. 6 Satz 5). Darüber, wie dies zu geschehen hat, trifft die Gemeindeordnung keine Entscheidung. Deshalb dürfte auf die Durchführungsverordnung zur Gemeindeordnung (GemODVO) zurückzugreifen sein. Danach können öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinde, soweit gesetzlich nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, nur erfolgen –
entweder im Amtsblatt der Gemeinde oder
–
in einer oder mehreren Zeitungen, die mindest einmal wöchentlich erscheinen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 GemDVO).
Es reicht also nicht aus, dass der (Ober)Bürgermeister nach der Abstimmung das Ergebnis bekanntgibt und es begründet.
Keine Auskunft gibt die Gemeindeordnung auch darüber, ob und ggf. welche Rechtsbehelfe den Vertretungsberechtigten zustehen, falls der Gemeinderat den Einwohnerantrag für unzulässig erklärt und sich weigert, über ihn zu beraten und zu beschließen. Hier dürften dieselben Grundsätze gelten wie in dem Fall, dass der Gemeinderat ein Bürgerbegehren für unzulässig erklärt und sich weigert, einen Bürgerentscheid herbeizuführen. Deshalb kann ich auf meine späteren Ausführungen dazu verweisen. 6. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sind die mit Abstand effektivsten Instrumente der Beteiligung von Bürgern an der Entscheidung von kommunalen Sachfragen3. Sie sind Ausdruck unmittelbarer (im Gegensatz zu repräsentati___________ 3 Deshalb verwundert es nicht, dass diese beiden Instrumente im Mittelpunkt zahlreicher Entscheidungen und literarischer Arbeiten stehen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihnen bieten insbesondere die Dissertationen von Ulrike Dustmann, Die Regelung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Kommunalverfassungen der Flächenstaaten der Bundesrepublik Deutschland, Frankf. a. M. 2000, Georg Hüllen, Rechtsschutzprobleme beim Bürgerbegehren, Diss. jur. Würzburg 1999; Klaus Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid: dargestellt am Beispiel des § 26 der nordrheinwestfälischen Gemeindeordnung, Baden-Baden 1997, und Ute Spieß, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid: Elemente direkter Demokratie, dargestellt am hessischen Kommunalrecht, Stuttgart 1998. Aus der reichhaltigen Aufsatzliteratur sei hingewiesen auf von Danwitz, Bürgerbegehren in der kommunalen Willensbildung, DVBl. 1996, 134 ff.; Frotscher/Knecht, Bürgerbegehren zur Festlegung der Zahl haupt-
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ver) Demokratie und bilden das Gegenstück zu Volksbegehren und Volksentscheid, die in den meisten Bundesländern statthaft sind. Wie schon die Bezeichnung „Bürger-“ zum Ausdruck bringt, stehen diese Instrumente nicht allen Einwohnern, sondern nur den Bürgern der Gemeinde zu Gebote, also den Personen, die berechtigt sind, den Gemeinderat und den Bürgermeister zu wählen. Das ist konsequent, weil die Bürger sich mittels dieser Instrumente gewissermaßen an die Stelle des Gemeinderates setzen können, wie ich noch zeigen werde. Die beiden Instrumente stehen in einem Stufenverhältnis: Zu einem Bürgerentscheid kommt es nur und erst dann, wenn ein Bürgerbegehren Erfolg gehabt hat. Das Bürgerbegehren ist – so formuliert es § 17a Abs. 1 Satz 1 GemO – der Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids. Weder der Bürgermeister noch der Gemeinderat kann auf eigene Initiative die Durchführung eines Bürgerentscheids anordnen. Beide Instrumente sind in einer einzigen, recht umfangreichen Vorschrift geregelt: in § 17a GemO. a) Das Bürgerbegehren Es liegt weitgehend in den Händen eines oder mehrerer Gemeindebürger, oft einer Bürgerinitiative, die sich gerade zu dem Zweck bildet, ein Bürgerbegehren in Gang zu setzen. Bürgerinitiativen sind auf freiwilliger Basis gebildete Zusammenschlüsse von Personen zur Verfolgung eines oder mehrerer Ziele. Sie sind wohl zumeist als nichtrechtsfähige Vereine organisiert, können aber auch in einer anderen geeigneten Rechtsform, z. B. als eingetragener Verein oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts, auftreten. Die Bürgerinitiative ist also keine bestimmte Rechtsform. ___________ amtlicher Beigeordneter, DÖV 2005, 797 ff.; Geitmann, Bürgerbegehren und -entscheid demokratisch handhaben und ausgestalten, VBlBW 2007, 321 ff.; Hager, Rechtspraktische und rechtspolitische Notizen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, VerwArch. 84 (1993), 97 ff.; Hein, 10 Jahre Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern – neue (statistische) Erkenntnisse, BayVBl. 2006, 627 ff.; Klenke, Rechtsfragen zum Bürgerbegehren nach dem nordrhein-westfälischen Kommunalverfassungsrecht, NWVBl. 2002, 45 ff.; Meyer, Rechtsschutz bei kommunalen Bürgerbegehren und -entscheiden, NVwZ 2003, 183 f.; Muckel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, 223 ff.; Peine/Starke, Rechtsprobleme beim Vollzug von Bürgerentscheiden, DÖV 2007, 740 ff.; Ritgen, Die Zulässigkeit von Bürgerbegehren – Rechtspraxis und rechtpolitische Desiderate, NWVBl. 2003, 87 ff.; Thum, 10 Jahre Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern – Grundlagen, Erfahrungen, Bewertungen und neue Entwicklungen, BayVBl. 2006, 613 ff. Im Folgenden wird auf Einzelnachweise weitgehend verzichtet.
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aa) Gegenstand des Bürgerbegehrens Gegenstand eines Bürgerbegehrens können – wie es in § 17a Abs. 1 Satz 1 heißt – „wichtige Angelegenheiten einer Gemeinde“ sein. Was wichtige Angelegenheiten sind, präzisiert der Satz 2 des Abs. 1, nämlich 1. die Errichtung, wesentliche Erweiterung oder Aufhebung einer öffentlichen Einrichtung, die der Gesamtheit der Einwohner zu dienen bestimmt ist, 2. die Änderung des Gemeindegebiets und die Änderung des Gebiets von Verbandsgemeinden sowie 3. die Bildung, Änderung und Auflösung von Ortsbezirken. Abs. 1 Satz 3 ermächtigt die Gemeinden, in ihrer Hauptsatzung weitere Gemeindeangelegenheit für wichtig zu erklären. Diese Vorschriften legen den Schluss nahe, dass „wichtige Angelegenheiten“ im Sinne des Satzes 1 nur solche sind, die entweder in Satz 2 genannt sind oder die von der Gemeinde zu wichtigen Angelegenheiten erklärt worden sind. Damit ist es jedoch kaum zu vereinbaren, dass der Abs. 2 des § 17a eine Reihe von Angelegenheiten ausdrücklich ausschließt, die nicht unter den Katalog von Abs. 1 Satz 2 fallen, wie etwa die Aufstellung von Bauleitplänen (Nr. 6) oder planfeststellungsbedürftige Vorhaben (Nr. 7). Dieses Ausschlusses hätte es nicht bedurft, wenn der Begriff „wichtige Angelegenheiten“ in Satz 1 durch den Katalog des Satzes 2 abschließend ausgefüllt würde. Andererseits lässt sich jedoch auch die Ansicht vertreten, Abs. 2 habe die Funktion, die Gemeinde daran zu hindern, die in Abs. 2 genannten Angelegenheiten zu „wichtigen Angelegenheiten“ zu erklären. Doch das mag hier auf sich beruhen. In der Affäre Mombacher Schwimmbad ergaben sich für uns keinerlei Probleme. Denn ein städtisches Schwimmbad ist ohne jeden Zweifel eine „öffentliche Einrichtung, die der Gesamtheit der Einwohner zu dienen bestimmt ist“ im Sinne von § 17a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Und es ging um die Aufhebung dieser Einrichtung, obwohl die im Stadtrat vertretenen Parteien immer wieder beteuerten, sie würden das Bad nur zu gern aufrechterhalten. Das hat ihnen weder die Bürgerinitiative noch die Bevölkerung geglaubt. bb) Quorum Ähnlich wie der Einwohnerantrag muss auch das Bürgerbegehren von einer bestimmten Anzahl von Bürgern durch ihre Unterschrift unterstützt werden. Diese Anzahl ist wiederum nach der Einwohnerzahl der Gemeinden gestaffelt (siehe § 17a Abs. 3 Satz 3). Da Mainz knapp unter 200.000 Einwohner hat,
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musste die Bürgerinitiative 12.000 wahlberechtigte Einwohner dazu bringen, ihre Unterschrift zu leisten. Das ist uns mühelos gelungen. Wir überbrachten dem Oberbürgermeister Unterschriftslisten mit insgesamt mehr als 21.000 Unterschriften4. Ich muss allerdings eingestehen, dass eine nicht ganz unerhebliche Zahl von Personen sich mehrfach eingetragen hatten und dass nicht alle Unterzeichner Mainzer Bürger, sondern Studenten waren oder in benachbarten Gemeinden wohnten. Aber mehr als die erforderlichen 12.000 einwandfreien Unterschriften waren mit Sicherheit darunter. cc) Einreichungsfrist Die Unterschriftlisten müssen bei der Gemeindeverwaltung eingereicht werden, und zwar häufig innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist. Dies stellt eine beträchtliche Hürde dar. Bürgerbegehren scheitern erfahrungsgemäß nicht selten, weil die Frist für seine Einreichung so knapp bemessen ist, dass die erforderliche Zahl von Unterschriften nicht rechtzeitig gesammelt werden kann. In dieser Hinsicht bestehen von Land zu Land erhebliche Unterschiede. Nach rheinland-pfälzischem Recht besteht eine Einreichungsfrist nur dann, wenn sich das Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Gemeinderates richtet (sog. kassatorisches Bürgerbegehren5; in diesem Fall sind die Unterschriftlisten innerhalb von zwei Monaten nach der Beschlussfassung des Gemeinderates einzureichen (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2). Innerhalb von zwei Monaten 12.000 Unterschriften zu sammeln, ist wahrlich nicht einfach. Um diese Klippe sind wir herumgekommen mit dem Argument, der Stadtrat habe noch keinen eindeutigen Beschluss des Inhalts gefasst, das Schwimmbad solle geschlossen werden. Dieses Argument wurde von der Stadt akzeptiert mit der Folge, dass wir an keine Frist gebunden waren. dd) Formulierung des Begehrens Erhebliche Probleme bereitete uns – wie auch anderen Initiatoren von Bürgerbegehren – dessen Formulierung. Das Begehren muss nämlich – die zu entscheidende Gemeindeangelegenheit in Form einer mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortenden Frage, ___________ 4
Das von uns verwendete Unterschriftenformular ist im Anhang wiedergegeben. Zur Unterscheidung von kassatorischen und initiierenden Bürgerbegehren, die sich nicht gegen einen Gemeinderatsbeschluss richten, siehe OVG NRW, Urt. vom 28.1.2003, NWVBl. 2003, 312 ff. = NVwZ-RR 2003, 584 ff.; VG Düsseldorf, Urt. vom 2.3.2007, juris. 5
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– eine Begründung sowie – einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der begehrten Maßnahme enthalten (§ 17a Abs. 3 Satz 2). Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit, dass jede Unterschriftenliste den vollen Wortlaut des Bürgerbegehrens enthalten muss (Abs. 3 Satz 5); denn die Angaben müssen einerseits so knapp sein, dass sie nach Möglichkeit auf eine DIN A 4-Seite passen und noch Platz für Unterschriften lassen; andererseits müssen die Angaben hinreichend aussagekräftig sein. Die Frage, über die die Bürger im Bürgerentscheid befinden sollen, muss sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Auch das ist nicht immer ganz leicht zu bewerkstelligen, etwa dann, wenn mehrere gleichwertige Lösungen des Problems in Betracht kommen. In unserem Fall bereitete die Formulierung der Frage glücklicherweise keine größeren Probleme. Sie lautete nach einiger Diskussion innerhalb der Bürgerinitiative wie folgt: „Sind Sie dafür, dass das Mombacher Schwimmbad (Hallenbad, Freibad und Traglufthalle) für die Mainzer Bevölkerung, Schulen und Vereine geöffnet bleibt.“
Die drei Komponenten des Bades – Hallenbad, Freibad und Traglufthalle – wurden aufgezählt, weil ein Teil des Stadtrates dazu neigte, nur das Hallenbad zu schließen, da es besonders hohe Kosten verursacht. Die Traglufthalle wird jeweils für die kalte Jahreszeit über dem großen Schwimmbecken des Freibades errichtet; ob auch deren Erhaltung gefordert werden sollte, war innerhalb der Bürgerinitiative zeitweise umstritten, weil die Traglufthalle schlecht gedämmt ist, deshalb viel Energie verbraucht und die Umwelt belastet. Einiger Diskussionen bedurfte es auch, bis wir uns auf die Forderung geeinigt hatten, das Bad solle „geöffnet bleiben“, d.h. der Badebetrieb solle aufrechterhalten bleiben. Als Alternative wurde erwogen zu fordern, die Stadt solle das Bad weiterbetreiben. Die Formulierung wurde jedoch verworfen, um die Möglichkeit offenzulassen, dass das Bad nicht mehr von der Stadt, sondern von einem anderen Träger betrieben wird. So ist denn auch gekommen, wie ich eingangs dargestellt habe.
ee) Begründung und Kostendeckungsvorschlag Der Antrag wurde damit begründet, das Schwimmbad sei aus sozialen, gesundheitlichen und sportlichen Gründen für die Bürger, Schulen (Schwimmunterricht) und Vereine (insbesondere die Schwimmvereine) unverzichtbar.
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Die mit Abstand größten Schwierigkeiten verursachte das gesetzliche Erfordernis eines Kostendeckungsvorschlags6. In dem Bürgerbegehren – und das bedeutet: auf dem Unterschriftsformular – muss dargelegt werden, wie das vorgeschlagene Vorhaben, finanziert werden soll. Dieser Finanzierungsvorschlag muss sowohl realistisch als auch rechtmäßig sein. Hierzu gibt es eine reichhaltige verwaltungsrechtliche Rechtsprechung, die wiederspiegelt, welche Probleme dieses Erfordernis den Initiatoren von Bürgerbegehren sehr häufig bereitet; an ihm sind bereits zahlreiche Bürgerbegehren gescheitert. Über die Ausgestaltung unseres Kostendeckungsvorschlags habe wir lange Diskussionen innerhalb der Bürgerinitiative und auch mit der Stadtverwaltung geführt, die eine Reihe von Positionen anzweifelte. Die Stadt erklärte sich – nicht zuletzt unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Presse – bereit, einen Betriebskostenzuschuss von 900.000 Euro zu zahlen. Diesen Betrag stellten wir in unseren Kostendeckungsvorschlag ein, der mit Einnahmen und Ausgaben von 1.500.000 Euro und einem Überschuss von 100.000 Euro abschloss. Diese Planung hat sich inzwischen auf fast wundersame Weise bestätigt: Am 18. Juli 2007 berichtete der neue Betreiber des Schwimmbades in der örtlichen Presse7 unter der Überschrift „Im Bad klingeln die Kassen“, er habe im ersten Jahr einen Gewinn von etwas über 100.000 Euro Gewinn gemacht. Dabei darf man freilich nicht vergessen, dass dieses gute Ergebnis nicht zuletzt dem Betriebskostenzuschuss der Stadt in Höhe von gut einer Million Euro zu verdanken ist; ohne diese Finanzspritze hätte das Bad ein Defizit von ca. 900.000 Euro erwirtschaftet. Das ist nicht Ungewöhnliches, denn alle kommunalen Schwimmbäder sind Zuschussbetriebe. Durch die Privatisierung des Mombacher Bades hat sich der Aufwand der Stadt für diese Einrichtung jedoch auf etwa die Hälfte reduziert. ff) Benennung von Vertretungsberechtigten Die Unterschriftsformulare müssen außer den schon genannten Angaben bis zu drei Personen benennen, die berechtigt sein sollen, das Bürgerbegehren zu vertreten (§ 17a Abs. 3 Satz 2). Bei uns übernahmen diese Funktion eine junge Frau, die das Bürgerbegehren initiiert hatte, und ein junger Mann – eine glückliche Wahl, wie sich herausstellte. ___________ 6
Siehe dazu etwa HessVGH, Beschl. vom 23.11.1995, NVwZ-RR 1996, 409 = EzKommR 2331.26 (Ls.); VG Düsseldorf, Urt. vom 26.2.1999, EzKommR 2331.95; HessVGH, Urt. vom 28.10.1999, DVBl. 2000, 928 ff. = NVwZ-RR 2000, 451 ff.; OVG NRW, Beschl. vom 21.11.2007, juris; VG Aachen, Urt. vom 30.8.2007, juris; Waechter, Anforderungen an Kostendeckungsvorschläge für Bürgerbegehren, NordÖR 2005, 89 ff. 7 Allgemeine Zeitung (AZ) Mainz vom 18.7.2007, S. 10.
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gg) Prüfung der Eintragungen in den Listen (auf den Unterschriftsformularen) Wenn die Unterschriftslisten eingereicht worden sind, muss die Gemeindeverwaltung als erstes prüfen, ob die Eintragungen in den Listen gültig sind (§ 17a Abs. 4 Satz 3). Ungültig sind solche Eintragungen, welche die Person des Unterzeichners nach Namen und Anschrift nicht zweifelsfrei erkennen lassen (§ 17a Abs. 3 Satz 6). Das bedeutet, dass die Gemeinde prüfen muss, ob jeder einzelne Unterzeichner im gemeindlichen Melderegister verzeichnet und ob er kommunalwahlberechtigt ist. Kommunalwahlberechtigt sind nicht nur Deutsche, sondern auch EU-Ausländer, nicht hingegen Koreaner, die in Mainz ihren Wohnsitz haben. In unserem Fall hätte die Stadt also mehr als 21.000 Unterschriften überprüfen müssen. Das hätte die Stadt schätzungsweise 100.000 bis 200.000 Euro gekostet. Deshalb verwundert es nicht, dass die Stadt keine Eile zeigte, sich an diese Arbeit zu machen. Stattdessen trieb sie das Privatisierungsprojekt voran. Das führt schließlich – wie schon dargestellt – zum Abschluss des Überlassungsvertrages mit dem von dem Schwimmverein ins Leben gerufenen Trägerverein, der nunmehr der neue Betreiber ist; die Stadt ist nach wie vor Eigentümerin der Grundstücke und des Zubehörs. hh) Erledigung des Bürgerbegehrens Nach Abschluss des Vertrages erklärte die Stadt das Bürgerbegehren für erledigt. Dem haben wir sofort widersprochen mit folgender Begründung: Ein Bürgerbegehren erledigt sich durch einen Ratsbeschluss nur dann, wenn dieser das Begehren der Bürger vollen Umfang erfüllt, d.h. wenn die Bürger, die sich durch ihre Unterschrift für die Durchführung eines Bürgerentscheids ausgesprochen haben, so gestellt werden, als wenn der von ihnen beantragte Bürgerentscheid durchgeführt wäre und Erfolg gehabt hätte8. Wäre ein Bürgerentscheid über das Bürgerbegehren durchgeführt worden und hätte er Erfolg gehabt, so wäre die Stadt gemäß § 17a Abs. 8 verpflichtet gewesen, den Betrieb des Schwimmbades auf die Dauer von mindestens drei Jahren zu gewährleis___________ 8
So auch Ulrike Dustmann (Fn. 3) S. 155: „Nach allgemeiner Ansicht erledigt sich ein Bürgerentscheid durch einen Ratsbeschluss, wenn dieser inhaltlich mit einem erfolgreichen Bürgerentscheid übereinstimmt. Ein bloßes ‚sich bereit erklären‘ zur späteren Durchführung der Maßnahme, das Versprechen von Ersatzmaßnahmen oder das Abändern eines Ratsbeschlusses, gegen den ein Bürgerbegehren gerichtet ist, genügt einer Erledigung dann nicht wenn das Begehren neben der Aufhebung noch ein darüber hinausgehendes Ziel verfolgt.“ Zur Erledigung von Bürgerbegehren siehe ferner OVG Koblenz, Urteile vom 6.2.1996 (NVwZ-RR 1997, 241 ff. = EzKommR 2331.53) und 25.11.1997 (EzKommR 2331.70); BayVGH, Beschl. vom 10.6.1998 (EzKommR 2331.79).
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ten. Unser Bürgerbegehren wäre infolgedessen nur dann erledigt gewesen, wenn sichergestellt gewesen wäre, dass der Betrieb des Schwimmbades zumindest auf die Dauer von drei Jahren nach dem Ratsbeschluss aufrechterhalten wird. Und daran fehlte es trotz des Überlassungsvertrages, weil das wirtschaftliche Schicksal des neuen Betreibers ungewiss war und noch immer ist. Um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, schlugen wir mehrfach vor, der Stadtrat möge beschließt, dass die Stadt auf die Dauer von drei Jahren ab Beschlussfassung den Badebetrieb im bisherigen Umfang – sei es in eigener, sei es in fremder Trägerschaft – gewährleistet. Mit einem solchen Stadtratsbeschluss wäre dann, aber auch erst dann das Bürgerbegehren erledigt. Da die Stadt hierauf nicht einging, erhoben wir schließlich Feststellungsklage zum VG Mainz, die wir in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen haben, um die Auseinandersetzung zu einem Ende zu bringen. Auf diese Weise ist es nicht zum Bürgerentscheid gekommen, ja der Stadtrat hat noch nicht einmal über die Zulässigkeit unseres Bürgerbegehrens entschieden. Wie die Entscheidung des Stadtrats ausgefallen wäre, ist ungewiss. Wir wollen im Folgenden einmal die beiden Alternativen durchspielen. ii) Rechtsschutz Stellen wir uns vor, der Stadtrat hätte unser Bürgerbegehren für unzulässig erklärt, beispielsweise mit der Begründung, unser Kostendeckungsvorschlag sei völlig unrealistisch. Alsdann hätte sich uns die Frage gestellt, ob wir die Möglichkeit hätten, dagegen gerichtlich vorzugehen. Dass für eine Auseinandersetzung hierüber nach § 40 Abs. 1 Satz VwGO der Verwaltungsrechtsweg offensteht, ist völlig unbestritten; denn es handelt sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, weil die für die Entscheidung des Streits maßgebenden Vorschriften (insbesondere § 17a GemO) dem öffentlichen Recht angehören und die Streitbeteiligten keine Verfassungsorgane sind. Heftig umstritten in Rechtsprechung und Schrifttum ist hingegen, wer sich in diesem Streit gegenübersteht, welche rechtliche Qualität die Entscheidung des Gemeinderats hat und welche die richtige Klageart ist. Diese drei Fragen hängen eng zusammen. Die wohl herrschende Meinung9 nimmt an, Kontrahenten seien auf der einen Seite die Gemeinde, auf der anderen Seite alle Gemeindebürger oder diejenigen ___________ 9 VGH Baden Württemberg (Mannheim), Urteile vom 14.11.1983 (NVwZ 1985, 288 ff.) und 8.2.1988 (DÖV 1988, 476 f.); Bayerischer VGH (München), Urteile vom 18.3.1998 (BayVBl. 1998, 402 ff. = NVwZ-RR 1999, 137 ff.) und 31.3.1999 (EzKommR 2331.99); OVG Brandenburg (Frankfurt/Oder), Beschl. vom 1.11.2002 (LKV
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Bürger, die das Bürgerbegehren unterschrieben haben, oder die von ihnen zu Vertretern Bestellten10. Diese Streitteile stünden sich in einem normalen Außenrechtsverhältnis gegenüber. Die Entscheidung des Gemeinderats über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens sei ein Verwaltungsakt, und dieser könne von jedem einzelnen Unterzeichner des Bürgerbegehrens angefochten werden; da ihm mit der Aufhebung des Ratsbeschlusses allein aber nicht gedient sei, müsse er nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Verpflichtungsklage11 erheben mit dem Antrag, die Gemeinde zu verurteilen, das Bürgerbegehren für ___________ 2003, 229 ff.); Hessischer VGH (Kassel), Urt. vom 28.10.1999 (DVBl. 2000, 929 ff. = NVwZ-RR 2000, 451 ff.); OVG Mecklenburg-Vorpommern (Greifswald), Urt. vom 24.7.1996 (DVBl. 1997, 1282 ff. = NVwZ 1997, 306 ff. = EzKommR 2331.43); OVG Nordrhein-Westfalen (Münster), Urteile vom 5.2.2002 (NWVBl. 2002, 346 ff. = EzKommR 2331.138); VG Berlin, Urt. vom 26.4.2007 (juris); VG Dessau, Urt. vom 23.3.2003 (LKV 1996, 75 = EzKommR 2331.23-25); VG Düsseldorf, Urteile vom 13.2.1998 (NWVBl. 1998, 368), 20.11.1998 (EzKommR 2331.89), 26.2.1999 (EzKommR 2331.95), 6.12.2002 (EzKommR 2331.144) und 28.11.2003 (EzKommR 2331.158); VG Minden, Urt. vom 1.8.2007 (juris); VG Regensburg, Urt. vom 2.2.2005 (EzKommR 2331.168). 10 Auf die Frage, ob klagebefugt nur die auf den Formularen genannten Vertreter oder alle Unterzeichner des Bürgerbegehrens oder alle Bürger der Gemeinde sind, kann hier nicht eingegangen werden. Nach Ansicht VG Regensburg (Beschl. vom 1.2.1996, EzKommR 2331.30) schließt das Erfordernis der Vertreterbenennung die Klagebefugnis anderer Gemeindebürger nicht aus. Der HessVGH (Beschl. vom 16.7.1996, EzKommR 2331.42) führt aus, einem „Bürgerbegehren“ selbst fehle die Antragsbefugnis für einen Eilantrag nach § 123 VwGO. Jedoch könnten die Mitunterzeichner eines Bürgerbegehrens die ihnen als Mitunterzeichner des Bürgerbegehrens zustehenden Rechte im eigenen Namen geltend machen. Nach dem Urteil des OVG NRW vom 9.12.1991 (DVBl. 1998, 785 = EzKommR 2331.75) und dem Urteil des BayVGH vom 10.3.1999 (EzKommR 2331.96) sind die Vertreter eines Bürgerbegehrens ähnlich wie Prozessstandschafter zur Geltendmachung der Rechte hinsichtlich eines Bürgerbegehrens im eigenen Namen befugt. In dem Beschluss des VG Potsdam vom 26.2.2007 (juris) heißt es: Die Antragstellerin könne als „(Mit-)Unterzeichnerin des Bürgerbegehrens nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 GO geltend machen, dass das Bürgerbegehren zulässig und den Bürgern der Gemeinde zur Abstimmung vorzulegen sei. Dieses subjektiv-öffentliche Recht sei Ausfluss des verfassungsrechtlich verbürgten Individualrechts auf politische Mitgestaltung durch die Beteiligung an Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden (Art. 22 Abs. 2 Satz 1, Art. 21 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg). Seine Geltendmachung sei weder auf eine Klageerhebung bzw. Antragstellung durch alle Unterzeichner gemeinsam noch durch bestimmte Vertreter des Bürgerbegehrens beschränkt; denn solche Beschränkungen sehe das brandenburgische Kommunalrecht, das für Bürgerbegehren – anders als für Einwohneranträge (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 4 GO) – die Benennung von Vertretern nicht zwingend verlangt, nicht vor.“ 11 Das VG Hamburg plädiert in seinem Urteil vom 22.1.2007 (juris) für eine allgemeine Leistungsklage mit dem Argument, die Kläger begehrten nicht einen Verwaltungsakt, sondern eine tatsächliche Leistung, nämlich die Durchführung eines Bürgerentscheids.
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zulässig zu erklären und infolgedessen den angestrebten Bürgerentscheid durchzuführen. Eine Minderheitsmeinung, zu der sich auch das OVG Rheinland-Pfalz bekennt, nimmt hingegen folgenden Standpunkt ein: Diejenigen Bürger, die das Bürgerbegehren durch ihre Unterschrift unterstützen, bilden ein „Quasi-Organ“ der Gemeinde, das zu den in § 28 Abs. 1 Satz 1 GemO genannten Organen, nämlich Gemeinderat und Bürgermeister, hinzutritt. Im Streit über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens stehen sich dessen Unterstützer und der Gemeinderat (Stadtrat) gegenüber. Es handelt es sich also um einen Innenrechtsstreit zwischen zwei gemeindlichen Organen, um eine Organstreitigkeit, genauer: um eine Kommunalverfassungsstreitigkeit. Demzufolge ist der Beschluss des Gemeinderates über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens kein Verwaltungsakt, so dass Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ausscheiden. Nach heutigem Verständnis stellt die Kommunalverfassungsstreitigkeit – ebenso wie andere Organstreitigkeiten – keine eigenständige Klageart (Klageart sui generis) dar, sondern wird als allgemeine Leistungs- oder als allgemeine Feststellungsklage ausgetragen. Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedarf es daher nicht. Die Konzeption der Minderheitsmeinung wird sehr anschaulich entwickelt in dem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 6.2.199612. In ihm hatte das Gericht über eine Klage zu entscheiden, mit der die Kläger die Feststellung begehrten, der Gemeinderat habe zu Unrecht ein Bürgerbegehren für unzulässig erklärt, das sich gegen die Pläne des Gemeinderates für einen Schulneubau wandte. Das OVG führte dazu aus: „Die Klage ist als Feststellungsklage im Kommunalverfassungsstreit zulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 1. Dezember 1994 – 7 B 12954/94.OVG – NVwZ-RR 1995, S. 411, 412) sind Beteiligte im Falle des Streits um die Zulässigkeit eines Einwohnerantrags – entsprechendes gilt hier für das Bürgerbegehren – kommunale Organe, die um die Abgrenzung innerorganschaftlicher Zuständigkeiten und Rechte streiten, im Falle von Einwohnerantrag und Bürgerbegehren auf der Aktivseite diese Institutionen selbst als gemeindliche Quasi-Organe, auf der Passivseite das entsprechende Kontrastorgan, hier der die Zulässigkeit verneinende Gemeinderat (vgl. zu der Kontraststellung des Gemeinderats und insbesondere dessen besonderen Rollenkonflikt, weil er sich als Repräsentativorgan durch die Akte unmittelbarer Demokratie auf Gemeindeebene in seinen Kompetenzen in Frage gestellt sehen kann, von Arnim, DÖV 1990, 85 f.; von Danwitz, DVBl. 1996, 134,
___________ 12
Urt. vom 6.2.1996 AS 25, 285 ff. = NVwZ-RR 1997, 241 ff. = EzKommR 2331.53. Ebenso das Urteil des OVG RP vom 1.12.1994 (AS 25, 79 ff. = NVwZ-RR 1995, 411 ff.) und sein Beschluss vom 10.10.2003 (AS 31, 27 ff.); OVG Bremen, Beschl. vom 2.3.2004, NordÖR 2004, 240 ff. = NVwZ-RR 2005, 54 ff.; NdsOVG, Urt. vom 8.12.1997, NdsVBl. 1998, 96 f.; SächsOVG, Urt. vom 6.2.1997, SächsVBl. 1997, 215 ff. = NVwZ-RR 1997, 253 ff.; VG Leipzig, Urt. vom 7.2.2000, LKV 2000, 556 f. = EzKommR 2331. 115 (Ls.); VG Koblenz, Urt. vom 20.6.1996, EzKommR 2331.39.
Bürgerbeteiligung im Kommunalrecht
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136). Weder die hinter dem Einwohnerantrag bzw. dem Bürgerbegehren stehenden Initiatoren noch die unterschreibenden Bürger werden in Rechten ihres Außenrechtskreises tangiert. Nur das gemeindliche Quasi-Organ Einwohnerantrag oder Bürgerbegehren13 selbst, handelnd durch seine ‚Vertreter‘ kann im Klagewege entsprechende Feststellungen erstreiten bzw. dieses Feststellungsbegehren sichernde Verhaltensweisen erstreben. Die Initiative stammt zwar aus dem vorstaatlichen, gesellschaftlichen Raum, tritt aber mit der Konstituierung ihrer Handlungsfähigkeit nach Einreichung des Begehrens bei der Gemeindeverwaltung in die Ebene einer gemeindlichen Quasi-Organstellung ein – bezogen allerdings einzig auf das vertretene Sachanliegen (missverständlich von Danwitz, a.a.O., S. 141 m.w.N., wenn unter Anspielung auf die Verteidigung des Wahlrechtes einzelner davon die Rede ist, die Bürger als Unterzeichner einer Initiative könnten keine Rechte im Wege des Kommunalverfassungsstreits geltend machen). Richtige Klageart ist danach für die Verteidigung solcher Rechte des gemeindlichen Innenrechtskreises die Feststellungsklage, ggf. können zur Sicherung der Rechtspositionen insbesondere mit Blick auf ein Verfahren der einstweiligen Anordnung Unterlassungsansprüche gegenüber einem ausführenden Organ der Gemeinde geltend gemacht werden. Die Feststellungsklage ist im vorliegenden Fragenkreis denkbar etwa dahingehend, dass festgestellt wird, dass das Begehren die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, dass keine Erledigung eingetreten ist, ggf. nach erfolgreichen Begehren, dass etwa die Sperrfrist gemäß § 17a Abs. 8 Satz 2 GemO durch Beschlüsse des Gemeinderats verletzt wird. Wegen dieser rechtlichen Ausgangslage stellt im übrigen die Mitteilung der Entscheidung des Gemeinderats über die (Un-)Zulässigkeit des Bürgerbegehrens keinen Verwaltungsakt dar, der den Weg der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage eröffnen würde. Gerade wegen des typischen Konflikts der Interessen zwischen Initiative und Gemeinderat ist die unmittelbare Anrufung der Gerichte im Wege des Kommunalverfassungsstreits die geeignete Form der Auseinandersetzung. Eine ausdrückliche anderslautende gesetzliche Bestimmung, die eine Entscheidung in der Form eines Verwaltungsaktes und die dagegen gerichtete Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage mit der Notwendigkeit eines Vorverfahrens vorsehen würde, kennt das rheinland-pfälzische Recht nicht (vgl. dazu im Gegensatz die badenwürttembergische Regelung im Kommunalwahlrecht, § 8 Abs. 3 KWG BW, von Danwitz, a.a.O., S. 141, Hager, VerwArch. 1993 (84), S. 97 ff., 115). Beteiligtenfähig ist das gemeindliche Quasi-Organ selbst, vertreten wird dieses durch die in §§ 17, 17a GemO genannten Vertreter, die ihm zur rechtlichen Handlungsfähigkeit verhelfen. Für die Zulässigkeit der Klage muss es ausreichen, dass eine Vertretungsberechtigung der Kläger – soweit diese im Mittelpunkt des sachlichen Streits steht – möglich erscheint. Sofern sich ihre Rechtsanschauung als richtig erweisen sollte, dass nämlich die Vertreterbestellung mit dem Einreichungsschreiben erfolgen kann, sind sie wirksame Vertreter des kommunalen Quasi-Organs und auch zur gerichtlichen Vertretung befugt. Ob im Rubrum der Name der Initiative erscheint, unter der das Begehren öffentlich aufgetreten ist, oder nur – bei einer ansonsten namenlo-
___________ 13
Das ist schief ausgedrückt. Quasi-Organ sind nicht der Einwohnerantrag bzw. das Bürgerbegehren, sondern diejenigen Personen, die durch ihre Unterschrift den Antrag bzw. das Begehren unterstützen, in ihrer organschaftlichen Verbundenheit, also nicht als Individuen.
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sen Initiative – die Namen der Vertreter, ist eine Frage der Verhältnisse im einzelnen Fall. Es spricht deshalb im vorliegenden Fall trotz des gekennzeichneten Gegenstands des Rechtsstreits nichts dagegen, bei der vorliegenden „namenlosen“ Initiative das Rubrum unter dem Namen der Vertreter zu führen14.“
Die Mehrheitsmeinung einerseits und die Minderheitsmeinung andererseits zeitigen handfeste praktische Konsequenzen, u.a. in Hinblick auf die Verfahrenskosten: Schließt man sich der herrschenden Ansicht an, müssen die Kläger im Falle des Unterliegens für die Verfahrenskosten, u.U. auch für die Anwaltskosten der Gemeinde, aufkommen. Folgt man der Konzeption der Minderheitsmeinung, hat die Gemeinde – wie bei Organstreitigkeiten stets – die gesamten Verfahrenskosten zu tragen, ohne Rücksicht darauf, wer den Rechtsstreit gewinnt. Die Gemeinde muss den Klägern, selbst wenn diese unterliegen, sogar deren Aufwendungen, z.B. für einen Rechtsanwalt, ersetzen. Eben dies kam uns im Kampf um das Schwimmbad zugute. Wir haben die Klage gegen die Erledigungserklärung des Stadtrats zurückgezogen. Das hätte „normalerweise“ zur Folge gehabt, dass die Unterzeichner des Bürgerbegehrens oder deren Vertreter die Prozesskosten hätten tragen müssen (§ 155 Abs. 2 VwGO). Das blieb uns erspart. Im Gegenteil: Die Stadt musste den Rechtsanwalt honorieren, den wir aus unseren Reihen engagiert hatten. Das hatten wir der Stadt vorher mehrfach angekündigt, um sie zum Einlenken zu bewegen, leider vergebens. Ob die Mehrheits- oder die Minderheitsmeinung den Vorzug verdient, ist schwer zu entscheiden. Beide haben gute Gründe für und gegen sich. Zugunsten der Minderheitsmeinung spricht, dass das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid der innergemeindlichen Willensbildung dienen; der Bürgerentscheid steht einem Gemeinderatsbeschluss gleich, und das Bürgerbegehren hat eine ähnlich Funktion wie der Antrag einer Gemeinderatsfraktion. Die Unterstützer eines Bürgerbegehrens verfolgen in aller Regel keine egoistischen Ziele, sondern wollen das Wohl aller Einwohner fördern; sie befinden sich deshalb in einer anderen Situation als der Bürger, der einen Bauantrag stellt oder eine andere gemeindliche Leistung begehrt. Angesichts dessen erscheint es auch nicht unbillig, dass er vom Prozessrisiko freigestellt wird. Auf der anderen Seite ist den Vertretern der herrschenden Ansicht zuzugeben, dass die Gemeindeordnung die gemeindlichen Organe wohl abschließend aufzählen will, so dass es problematisch ist, weitere Organe oder „Quasi___________ 14 Die voraufgehenden Ausführungen des Gerichts zum Rubrum (Bezeichnung des Klägers) stoßen auf Bedenken. Bei der Konzeption der Minderheitsmeinung sind Kläger weder die Bürgerinitiative oder die Initiatoren des Bürgerbegehrens noch die auf den Unterschriftslisten benannten Vertretungsberechtigten, sondern die Gesamtheit der Personen, die das Bürgerbegehren unterschrieben haben, in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit.
Bürgerbeteiligung im Kommunalrecht
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Organe“ zu erfinden. Das legt es nahe, dass die einzelnen Unterstützer des Bürgerbegehrens oder deren Vertreter gegen die Gemeinde klagen müssen, wenn deren Rat das Bürgerbegehren für unzulässig erklärt. Es stellt sich dann allerdings die Frage, woraus sich die Klagebefugnis ergibt. jj) Vorläufiger Rechtsschutz Beide Auffassungen gehen davon aus, dass die Initiatoren des Bürgerbegehrens vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können, wenn die Gemeinde sich anschickt, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, das Ziel des Bürgerbegehrens zu vereiteln. Einigkeit besteht darüber, dass die Einbringung des Bürgerbegehrens keine aufschiebende Wirkung im Sinne von § 80 VwGO hat. Die Einlegung eines Widerspruchs nach § 68 VwGO kommt dann in Betracht, wenn die Gemeinde einen Verwaltungsakt erlässt, der das Bürgerbegehren ad absurdum führt. Gegen gemeindliche Maßnahmen, die keine VA-Qualität haben, hilft nur der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung15. Die Frage nach einem geeigneten Rechtsschutzmittel hätte sich uns beispielsweise dann gestellt, wenn die Stadt das Schwimmbad geschlossen hätte, als wir noch dabei waren, Unterschriften zu sammeln, oder in der Zeit nach Einreichung des Bürgerbegehrens, aber vor Entscheidung des Stadtrats über die Zulässigkeit des Begehrens. b) Der Bürgerentscheid Hätte der Stadtrat unser Bürgerbegehren für zulässig befunden, hätte die Stadt einen Bürgerentscheid herbeiführen müssen, ohne dass es dazu eines Antrages seitens der Vertretungsberechtigten bedurft hätte. Der Verfahrensabschnitt zwischen dem Ratbeschluss über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und dem Bürgerentscheid liegt – anders als das Verfahren, das dem Bürgerbegehren voraufgeht – in der Hand der Gemeindeverwaltung. Das Nähere regelt das rheinland-pfälzische Kommunalwahlgesetz16 in seinen §§ 67 bis 70. Da___________ 15
Die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO wird denn auch von der einhelligen Meinung als adäquates Mittel des vorläufigen Rechtsschutz für die Initiatoren von Bürgerbegehren befürwortet: BayVGH, Beschl. vom 30.11.1995, BayVBl. 1996, 181 = NVwZ-RR 1996, 284 = EzKommR 2331.27 Ls.); Beschl. des BayVGH vom 22.10.1996, BayVBl. 1997, 313 = EzKommR 2331.61 und zahlreiche weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen. 16 Landesgesetz über die Wahlen zu den kommunalen Vertretungsorganen (Kommunalwahlgesetz – KWG) i.d.F. vom 31.1.1994 (GVBl. S. 137).
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nach muss der Bürgerentscheid unverzüglich nach der Entscheidung des Gemeinderates über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durchgeführt werden (§ 68 Abs. 1 Satz 1 KWG). Zuvor müssen die Bürger über die Auffassungen der Gemeindeorgane – d.h. des Gemeinderates und des Bürgermeisters – durch eine amtliche Bekanntmachung informiert werden (§ 17a Abs. 6 GemO). Der Bürgerentscheid selbst wird wie eine Kommunalwahl durchgeführt. Die Bürger werden also individuell von dem bevorstehenden Bürgerentscheid benachrichtigt und aufgefordert, sich an der Abstimmung in dem jeweils zuständigen Wahllokal zu beteiligen. Dort erhalten sie einen Stimmzettel; dieser muss die zu entscheidende Frage enthalten und auf „Ja“ und „Nein“ lauten (§ 69 KWG). Der Wahlausschuss stellt das Ergebnis des Bürgerentscheids fest, das der Wahlleiter dem Gemeinderat und der Öffentlichkeit mitteilt (§ 70 KWG). Der Bürgerentscheid ist nur dann erfolgreich, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt werden: Zum einen muss mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen für das Bürgerbegehren votieren. Und zum anderen müssen mehr als 30 % der stimmberechtigten Gemeindebürger dem Bürgerbegehren ihre Stimme geben. Die erste Voraussetzung ist in der Regel ohne größere Schwierigkeiten erreichbar, weil sich an Bürgerentscheiden zumeist nur solche Bürger beteiligen, die mit dem Bürgerbegehren sympathisieren. Größere Probleme bereitet die zweite Voraussetzung, nämlich hinreichend viele Bürger dazu zu bewegen, das Wahllokal aufzusuchen. Dies gelingt am ehesten, wenn gleichzeitig eine Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahl stattfindet. Genau dies haben wir seinerzeit angestrebt, während die Stadt eine Zusammenlegung des Bürgerentscheids mit einer Wahl vermeiden wollte. Deshalb stellte sie die Behauptung auf, eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung verbiete die Kombination von Landtagswahl und Bürgerentscheid. Einen Beleg für diese Behauptung konnte die Stadt jedoch nicht vorbringen, im Gegenteil: Wir konfrontierten die Stadt mit einer Entscheidung, die diese Kombination ausdrücklich gutheißt17. Eine solche Verbindung liegt auch deshalb nahe, weil ein separat durchgeführter Bürgerentscheid die Stadt schätzungsweise mehrere hunderttausend Euro gekostet hätte. Der erfolgreiche Bürgerentscheid steht einem Beschluss des Gemeinderates gleich (§ 17a Abs. 8 Satz 1 GemO). Der Gemeinderat kann ihn frühestens nach drei Jahren abändern (§ 17a Abs. 8 Satz 3 GemO). Die Gemeinde ist verpflichtet, den Bürgerentscheid auszuführen, also die begehrte Handlung vorzunehmen bzw. zu unterlassen. Tut sie dies nicht, kann sie dazu durch die Aufsichtsbehörde oder mit Hilfe der Verwaltungsgerichte gezwungen werden. ___________ 17 VGH BW, Beschl. vom 8.3.2001, NVwZ-RR 2001, 681: Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verbietet nicht die Abstimmung über einen Bürgerentscheid am Tag der Landtagswahl.
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Ein lehrreiches Beispiel dafür, welche Schwierigkeiten bei der Umsetzung eines Bürgerentscheids auftauchen können, bietet der Streit um die geplante Waldschlößchenbrücke in Dresden, der nicht nur die Tageszeitungen, das Magazin DER SPIEGEL18 und die Verwaltungsgerichte19, sondern auch das Bundesverfassungsgericht20 beschäftigt hat.
IV. Schlussbemerkung Die Instrumente der kommunalen Bürgerbeteiligung, die ich Ihnen wegen der begrenzten Zeit nur sehr oberflächlich habe vorstellen können, sind bei den Kommunalpolitikern nicht sonderlich beliebt, weil sie ihnen lästig sind. Es besteht auch die Gefahr, dass Querulanten und Geltungssüchtige diese Instrumente missbrauchen. Gleichwohl halte ich sie, vor allem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, für vielleicht nicht unentbehrliche, aber doch nützliche Mittel des „schlichten Bürgers“, auf kommunale Sachentscheidungen Einfluss zu nehmen.
Anhang Einige Daten zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid Bei einem Vergleich, den der Verein „Mehr Demokratie e.V.“21 angestellt hat, kommt Rheinland-Pfalz nicht gut weg: „Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wurden in Rheinland-Pfalz mit dem Landesgesetz zur Änderung im Oktober 1993 eingeführt. Doch im Vergleich der Bundesländer belegt das Land den letzten Platz. Umfangreiche Themenverbote in der Gemeindeordnung machen Bürgerbegehren zu Fragen der Stadtplanung oder über den Bau von Windrädern und Mobilfunkantennen unmöglich. Zudem ist die Zahl der von Bürgerbegehren geforderten Unterschriften von 15 Prozent aller Bürger viel zu hoch. Die Mindestzustimmungshürde von 30 Prozent aller Stimmberechtigten ist die höchste der Republik: Nur das Saarland kennt eine vergleichbar überzogen hohe Hürde. Das Verfahren ist bürgerfeindlich und muss dringend verbessert werden.“ Das Institut für Politikwissenschaft, Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie, der Philipps-Universität Marburg22 verfügt über die wohl umfangreichs-
___________ 18
Angriff auf das Unsichtbare, DER SPIEGEL 27/2007, S. 156 ff. SächsOVG, Beschl. vom 9.3.2007, SächsVBl. 2007, 137 ff. = DÖV 2007, 564 ff. 20 BVerfG, Beschl. vom 29.5.2007, DVBl. 2007, 901 ff. = NVwZ 2007, 1176 ff. = SächsVBl. 2007, 215 ff. 21 URL: http://www.mehr-demokratie.de/305.html. 19
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te Datenbank zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. In der Datenbank wurden bislang 4307 Bürgerbegehren erfasst, die im Zeitraum von 1975 bis 2007 eingeleitet wurden. Da in den meisten Ländern keine amtliche Statistik geführt wird, handelt es sich allerdings nicht um eine vollständige Statistik zum Themenbereich.
Die von der Forschungsstelle erfassten Bürgerbegehren verteilten sich sehr ungleichmäßig auf die einzelnen Bundesländer:
Bundesland
Anzahl
Anteil
1
0.02
365
8.47
1751
40.65
19
0.44
193
4.48
2
0.05
47
1.09
274
6.36
92
2.14
Niedersachsen
172
3.99
Nordrhein-Westfalen
476
11.05
Rheinland-Pfalz
125
2.90
Saarland
10
0.23
Sachsen
222
5.15
Sachsen-Anhalt
218
5.06
Schleswig-Holstein
277
6.43
63
1.46
Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern
Thüringen
Eine Unterteilung der Bürgerbegehren nach Themenbereichen ergab folgendes Bild:
___________ 22
URL: http://cgi-host.uni-marburg.de/~mittendv/fsportal/modules.php?op=modload&name=BBDB&file=index.
Bürgerbeteiligung im Kommunalrecht Themenbereich
197
Anzahl
Anteil
Entsorgungsprojekte
222
5.15
Gebietsreform
541
12.56
Gebühren und Abgaben
58
1.35
Hauptsatzung
67
1.56
Kulturprojekte
200
4.64
Planungssatzungen (Bauleitplanung)
193
4.48
Sonstiges
179
4.16
Verkehrsprojekte
720
16.72
Wirtschaftsprojekte
528
12.26
Wirtschaftsprojekte (Mobilfunk)
85
1.97
Wohngebietsprojekte
93
2.16
Öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen
841
19.53
Öffentliche Infrastruktur / Soziales
546
12.68
198
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Unterschriftsformular
Staatliche Haftung für Fehlverhalten von Privaten, die in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen sind Von Wolf-Rüdiger Schenke
I. Einführung in die Problematik Die Frage einer staatlichen Haftung für das Fehlverhalten Privater, die in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen sind, gewinnt schon seit geraumer Zeit erheblich an praktischer Bedeutung. Das erklärt sich daraus, dass der Staat zunehmend dazu übergeht, Private in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einzuschalten bzw. sich ihrer zu bedienen. Diese funktionale Privatisierung1 ist durch eine Einschaltung Privater in die Erfüllung staatlicher Aufgaben gekennzeichnet, ohne dass dadurch der Staat aus seiner Verantwortung für die Erfüllung ihm obliegender Aufgaben entlassen wird. Staatliche Aufgaben werden damit vielfach in Kooperation zwischen Staat und Privaten durchgeführt. Beredten Ausdruck findet dieses Phänomen im Begriff der Public Private Partnerships2, der freilich sehr heterogene Phänomene umfasst und keinen rechtsdogmatischen Gehalt hat. Gefördert wurde die Einschaltung Privater in die Erfüllung staatlicher Aufgaben vor allem durch die Erwartung, dass bei einer solchen Privatisierung staatlicher Aufgaben oftmals Effizienzgewinne zu erwarten seien und, hiermit Hand in Hand gehend, staatliche finanzielle Ressourcen geschont werden könnten. Nicht eingegangen wird durch mich auf die materielle Privatisierung, die durch das Europäische Gemeinschaftsrecht und eine hierfür charakteristische stärkere Betonung des Wettbewerbsgedankens wesentliche Impulse erfahren hat. Diese materielle Privatisierung ist dadurch gekennzeichnet, dass bei ihr eine Übertragung bestimmter Aufgaben auf einen privaten Rechtsträger in der Weise erfolgt, dass dieser zugleich die volle Verantwortung für die Aufgabenerledigung übernimmt3. Die staatlichen Aufgaben werden hier zu einer Aufga___________ 1
Siehe dazu näher Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999. Dazu näher mit eingeh. Nachw. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3, 5. Aufl. 2004, § 92; Ziekow, VerwArch. Bd. 97 (2006), 626 ff. 3 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 3, 5. Aufl. 2004, Vor § 90, Rdnr. 13. 2
Wolf-Rüdiger Schenke
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be des privaten Rechtsträgers. Hier können sich folglich Schadensersatzansprüche gegen den Staat in der Regel nur aus der Verletzung von staatlichen Gewährleistungs- und Aufsichtspflichten ergeben, wobei sich insoweit die oftmals schwer zu beantwortende Frage eines Drittbezugs der staatlichen Gewährleistungs- bzw. Aufsichtsfunktionen4 stellt. Ohne die Bejahung eines solchen Drittbezugs scheidet eine staatliche Haftung von vorneherein aus.
II. In Betracht kommende Haftungsgrundlagen 1. Der Amtshaftungsanspruch Bei dieser Einschaltung Privater in die Erfüllung staatlicher Aufgaben muss der Frage nach einer Haftung des Staates für das Fehlverhalten Privater zwangsläufig immer größere Relevanz zukommen. Sie zu beantworten ist nicht leicht, und dementsprechend fallen die hierauf gegebenen Antworten sehr unterschiedlich aus. Ursächlich dafür ist nicht nur, dass das Recht staatlicher Ersatzleistungen primär darauf zugeschnitten ist, dass der Staat die ihm obliegenden staatlichen Aufgaben durch seine Bediensteten, insbesondere also durch seine Beamten, wahrnimmt. Die Problematik kompliziert sich noch zusätzlich dadurch, dass das Recht der staatlichen Ersatzleistungen ohnehin schon zu einem erheblichen Teil auf antiquierten Vorstellungen aufbaut. Deutlich wird dies am Institut der in § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG verankerten staatlichen Amtshaftung. Sie beruht auf den überholten Vorstellungen der noch der Gedankenwelt der konstitutionellen Monarchie verhafteten Mandatstheorie5, nach der nur rechtmäßiges Verhalten staatlicher Bediensteter dem Staat zurechenbar sei. Diese Vorstellung, dass der Staat nicht unrecht handeln könne, ist aber mit modernen rechtsstaatlichen Vorstellungen unvereinbar6, denn der Rechtsstaat muss auch die Möglichkeit staatlichen Unrechts anerkennen und ihr rechtsstaatlich begegnen. Durch die befreiende Übernahme der Haftung Bediensteter, wie sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Haftungsgesetzen geregelt wurde und nunmehr auch in Art. 34 GG – ähnlich wie vorher schon in Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung – ihre verfassungsrechtliche Verankerung erfahren hat, sind die hier bestehenden Defizite der deliktischen staatli___________ 4
Zur Frage des Drittbezugs von staatlichen Versicherungsaufsichtspflichten s. näher Schenke, in: Festschrift für Egon Lorenz zum 60. Geburtstag, 1994, S. 473 ff.; zur Frage des Drittbezugs von staatlichen Bankenaufsichtspflichten Schenke/Ruthig, NJW 1994, 2324 ff. 5 Dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 7 f.; Jürgen Kohl, Die Lehre von der Unrechtsfähigkeit des Staates, 1977, S. 78 ff. 6 Dazu Jürgen Kohl, Die Lehre von der Unrechtsfähigkeit des Staates, 1977.
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chen Haftung wenigstens partiell kompensiert worden, ohne dass freilich hierdurch die Amtshaftung den Charakter einer echten Staatshaftung angenommen hat. 2. Der Anspruch aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff Der Behebung von Lücken im Deliktsrecht diente auch die richterrechtliche Entwicklung eines Instituts des enteignungsgleichen Eingriffs7, das bei rechtswidrigen Eingriffen in das Eigentumsgrundrecht dem Verletzten einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch einräumt. Die richterrechtliche Entwicklung dieses Instituts durch eine Analogie zur Enteignungsentschädigung bei rechtmäßigen Eigentumseingriffen8 war zwar dogmatisch verfehlt9, da sich die Interessenlage bei einer rechtmäßigen Enteignung, die hingenommen werden muss, und einem rechtswidrigen Eigentumseingriff, den man nicht zu dulden hat, grundlegend unterscheidet und insoweit die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorlagen. Die jahrzehntelange Rechtsprechung hat aber zur Bildung von Gewohnheitsrecht10 geführt und stellt heute einen wichtigen Baustein eines rechtsstaatlichen Staatshaftungsrechts dar. Dessen Ausbau würde zusätzlich gefördert, wenn man die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff durch eine Haftung aus aufopferungsgleichem Eingriff ergänzte, die bei allen rechtswidrigen Eingriffen in ein nicht vermögenswertes Recht ebenfalls einen Entschädigungsanspruch gewährte11. Allerdings hat die Rechtsprechung diesen Schritt bisher nur partiell vollzogen, indem sie Aufopferungsansprüche und dementsprechend auch Ansprüche aus aufopferungsgleichem Eingriff nur bei Eingriffen in die in Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Grundrechte anerkannte12, durch die Leben und Gesundheit, die körperliche Unversehrtheit und die Bewegungsfreiheit geschützt werden. Nicht in den Anwendungsbereich der Ansprüche aus Aufopferung bzw. dem aufopferungsgleichen Eingriff wurden durch die Rechtsprechung bisher andere spezielle Freiheitsgrundrechte wie
___________ 7
Dazu näher Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 213 ff. m. w. Nachw. Siehe dazu BGHZ 6, 270, 279 unter Bezugnahme auf „Art. 14 GG insgesamt“. 9 Siehe BVerfGE 58, 300, 320; Kritik an dem der früheren BGH-Rechtsprechung zugrunde liegenden Erst-Recht-Schluss schon vorher in der Literatur bei Heidenhain, Amtshaftung und Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff, 1965, passim; s. auch Schenke, DVBl. 1975, 121, 122. 10 Schenke, NJW 1991, 1777, 1778; für die Anerkennung des Anspruchs aus enteignungsgleichen Eingriffs als richterrechtliche Ausprägung des Aufopferungsgedankens BGHZ 90, 17, 29 ff. 11 Dafür Schenke, NJW 1991, 1777, 1786 ff. 12 BGHZ 65, 196, 205. 8
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insbesondere die Berufsfreiheit einbezogen13; auch das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit14, durch das die Freiheitssphäre des Bürgers umfassend geschützt wird, soweit nicht ein spezielles Freiheitsgrundrecht einschlägig ist, wird aus dem Anwendungsbereich dieser Ansprüche ausgeklammert. 3. Ansprüche aus vertraglichen oder quasivertraglichen öffentlichrechtlichen Schuldverhältnissen Neben die Amtshaftung sowie die Institute des enteignungsgleichen Eingriffs und des aufopferungsgleichen Eingriffs tritt die Haftung aus der Verletzung vertraglicher und quasivertraglicher öffentlichrechtlicher Schuldverhältnisse15. Eine vertragliche Haftung kommt z. B. dann in Betracht, wenn zwischen der Gemeinde und ihren Einwohnern öffentlichrechtliche Verträge geschlossen werden, welche die Benutzung der gemeindlichen Wasserversorgung zum Gegenstand haben und die Gemeinde diese Wasserversorgung durch ein privates Unternehmen durchführen lässt, durch dessen Verschulden wiederum einem Benutzer ein Schaden entsteht. Quasivertragliche öffentlichrechtliche Schuldverhältnisse sind dann gegeben, wenn zwischen der Gemeinde und den Benutzern keine Verträge abgeschlossen werden, die Benutzung aber z. B. durch eine Satzung oder einen Verwaltungsakt näher geregelt und öffentlichrechtlich ausgestaltet wird und damit eine ähnliche Verdichtung der Rechtsbeziehungen wie beim Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrags bewirkt wird. Bei solchen vertraglichen oder quasivertraglichen öffentlichrechtlichen Schuldverhältnissen ergeben sich bei einem Fehlverhalten des Privaten, dessen sich der Hoheitsträger – im Beispielfall die Gemeinde – bei der Erfüllung der ihr im Verhältnis zum Benutzer obliegenden Verpflichtungen bedient, keine besonderen Probleme. Der Private ist hier Erfüllungsgehilfe des Hoheitsträgers, so dass der Hoheitsträger in analoger Anwendung des § 278 BGB für ein schuldhaftes Fehlverhalten des Privaten einzustehen hat.
___________ 13 Dazu BGHZ 111, 349, 355 ff.; 132, 181, 188; krit. hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 28, Rdnr. 3; Schenke, NJW 1991, 1777, 1780 ff. 14 Für dessen Einbeziehung Schenke, NJW 1991, 1777, 1781, 1786 f. 15 Dazu näher Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 29, Rdnrn. 2 ff.
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III. Die Amtshaftung des Staates für das Fehlverhalten Privater Die folgenden Ausführungen werden sich mit der Amtshaftung für das Handeln Privater beschäftigen. Diese bildet zu Recht den Schwerpunkt der Diskussion, da sich dort die eigentlichen Probleme der hier behandelten Thematik ergeben. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich im Übrigen prinzipiell auch auf die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff und aus aufopferungsgleichem Eingriff übertragen. Jedenfalls stellt sich das Problem der Zurechnung privaten Handelns an den Hoheitsträger dort in derselben Weise wie bei der Amtshaftung. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass sich bei einer Haftung aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff erstens möglicherweise noch weitere Einschränkungen der Haftung unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit des Eingriffs ergeben und diese Ansprüche zweitens nur auf eine Entschädigung gerichtet sind, die in der Regel umfangmäßig hinter dem auf Schadensersatz in Geld gerichteten Amtshaftungsanspruch zurückbleiben wird. 1. Repräsentative Beispielsfälle Zur Demonstration der sich hier stellenden Probleme zunächst einige Beispiele, an Hand derer die Besonderheiten einzelner einschlägiger Fallkonstellationen deutlich gemacht werden sollen: Fall 1: Durch einen Fehler des amtlich bestellten privaten Sachverständigen A, der eine nach den gesetzlichen Regelungen in bestimmten zeitlichen Abständen durchzuführende technische Überprüfung von Kraftfahrzeugen (sog. TÜV) vornimmt, wird ein dem Kraftfahrzeug anhaftender technischer Defekt übersehen. Aufgrund dieses Defekts verunglückt der Halter des Fahrzeugs schwer16. Fall 2: Der Schüler S ist durch die Polizei als Schülerlotse ausgebildet worden, um an einem Verkehrsübergang vor der Schule seinen Mitschülern durch eine Verkehrsregulierung eine ungefährdete Überquerung der dort sehr belebten Straße zu ermöglichen. Durch eine missverständliche Verkehrsregulierung kommt es zu einem Unfall, bei dem sowohl ein Mitschüler wie auch ein Autofahrer verletzt werden17. Fall 3: Die Polizei beauftragt ein privates Abschleppunternehmen mittels eines privatrechtlichen Vertrages damit, ein Unfallfahrzeug zu bergen. Wegen ___________ 16 17
Siehe dazu auch BGHZ 49, 108 = NJW 1968, 443. Zu einem ähnlichen Fall OLG Köln, NJW 1968, 655.
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der unsachgemäßen Ausführung der polizeilich angeordneten Bergungsmaßnahme wird ein anderer Verkehrsteilnehmer erheblich verletzt; an seinem Kraftfahrzeug entsteht ein erheblicher Schaden18. Fall 4: Bei der Behandlung eines Soldaten, die im Auftrag der Bundeswehr durch Ärzte eines zivilen Krankenhauses durchgeführt wird, erleidet der Bundeswehrsoldat aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers einen erheblichen Gesundheitsschaden19. Fall 5: Eine Gemeinde führt ihre Wasserversorgung auf privatrechtlicher Basis durch, indem mit den Benutzern privatrechtliche Werklieferungsverträge abgeschlossen werden. Durch ein Verschulden eines privaten Unternehmers, dessen sich die Gemeinde bei der Reparatur des Leitungsnetzes bedient20, entsteht eine Überschwemmung mit erheblichen Wasserschäden bei einigen Gemeindebewohnern. Bei all den geschilderten Fällen stellt sich die Frage, ob hier ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung gegen einen Hoheitsträger in Betracht kommt. Eng zusammenhängend damit ist zu klären, ob der Private (zumindest auch) schadensersatzpflichtig ist und ob der Hoheitsträger dann, wenn er schadensersatzpflichtig ist, bei dem Privaten wenigstens Rückgriff nehmen kann (dazu später unter IV.). 2. Der haftungsrechtliche Beamtenbegriff Die entscheidende Frage, die sich hier in Bezug auf die Anwendung des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG stellt, ist die, ob der durch den Hoheitsträger zur Erfüllung seiner Aufgaben herangezogene Private in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt hat. Auf die (zu verneinende) Frage, ob der Handelnde ein Beamter im Sinne des § 839 BGB ist, kommt es nicht an, denn § 839 BGB, nach dem es für die dort geregelte Eigenhaftung des Beamten von entscheidender Bedeutung ist, ob dieser Beamter im Sinne der Beamtengesetze ist (sogenannter staatsrechtlicher Beamtenbegriff), wird heute bei hoheitlichem
___________ 18
Siehe dazu BGH, NJW 1993, 1258 ff. Siehe dazu BGH, NJW 1996, 2431 f. 20 Zum Fall einer Beschädigung von Versorgungsleitungen durch eine von der Stadt mit Kanalisationsarbeiten beauftragte Baufirma s. BGH, VersR 1967, 859; in diesem Fall ging es aber um eine öffentlichrechtliche Tätigkeit, in deren Rahmen die Beschädigung vorgenommen wurde. Die Entscheidung ist überdies durch die spätere Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 1993, 1258 ff. und NJW 1996, 2431 f.) überholt. 19
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Handeln durch Art. 34 GG überlagert und weitgehend verdrängt21. Art. 34 GG normiert insoweit nicht nur eine befreiende Schuldübernahme hinsichtlich eines öffentlichrechtlichen Fehlverhaltens eines Beamten, indem er ihn von einer persönlichen Haftung befreit und an seiner Stelle der leistungsfähigere Hoheitsträger verpflichtet wird, der ihm das öffentliche Amt anvertraut hat. Art. 34 GG verändert und erweitert vielmehr zugleich den Anwendungsbereich des § 839 BGB. Maßgeblich ist danach bei hoheitlichem Handeln nicht mehr, ob ein Beamter im Sinne der Beamtengesetze schuldhaft ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflichten verletzt hat, sondern ob der Handelnde in Ausübung eines öffentlichen Amtes tätig gewesen ist. In Ausübung eines öffentlichen Amtes handeln kann demgemäß nach heute allgemein anerkannter Ansicht nicht nur ein Beamter im beamtenrechtlichen Sinn, sondern auch ein Angestellter oder Arbeiter, der öffentlichrechtlich tätig wird, ebenso ein Minister oder ein Parlamentsabgeordneter22. Zur Kennzeichnung dieser Personen, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes handeln, verwendet man vielfach den Begriff des Beamten im haftungsrechtlichen Sinn. Nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes und damit nicht als Beamter im haftungsrechtlichen Sinn handelt hingegen eine für den Staat tätige Person, wenn diese privatrechtlich tätig wird; das gilt selbst dann, wenn die Person ein Beamter im Sinne der Beamtengesetze ist. Insoweit findet die befreiende Schuldübernahme, wie sie in Art. 34 GG vorgeschrieben wird, keine Anwendung. Der privatrechtlich handelnde Beamte haftet nach wie vor nach § 839 BGB. Die Haftung seines Dienstherrn für sein privatrechtliches Fehlverhalten richtet sich in dem seltenen Fall, in welchem dem Beamten die Stellung eines Organs zukommt, nach §§ 89, 31, 823 BGB, sonst nach § 831 BGB, der eine Haftung für den Verrichtungsgehilfen normiert, die allerdings dann ausgeschlossen wird, wenn der Dienstherr nachweisen kann, dass er bei der Auswahl und der Überwachung des Beamten die erforderliche Sorgfalt walten ließ. Nicht von § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG erfasst wird unbestreitbar der Fall, bei dem eine juristische Person des öffentlichen Rechts sich sowohl in Bezug auf die von ihr wahrgenommenen Aufgaben wie auch in Bezug auf die zu deren Erfüllung eingesetzten Mittel nicht von einem Privaten unterscheidet. Das trifft bei einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Staates zu, ebenso grundsätzlich bei dem Handeln, das der staatlichen Bedarfsdeckung dient. Man spricht hier von einem rein fiskalischen Handeln des Staates.
___________ 21 Zum Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG s. näher Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 26; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 6 ff. 22 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 26, Rdnr. 12; Schenke, DVBl. 1975, 121, 124.
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Nicht so eindeutig ist die Rechtslage dann, wenn staatliche Verwaltungsaufgaben z. B. der so genannten Daseinsvorsorge (wie etwa der Wasserversorgung oder der Müllabfuhr) durch den Staat nicht mit öffentlichrechtlichen, sondern mit privatrechtlichen Mitteln wahrgenommen werden. Zur Kennzeichnung dieser Tätigkeit wird der Begriff des Verwaltungsprivatrechts verwandt. Bei verwaltungsprivatrechtlicher Tätigkeit sprechen zwar m. E. gute Gründe dafür, dass der Staat sich nicht durch Flucht in das Privatrecht der im Vergleich zum Privatrecht weiter reichenden Haftung des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG entziehen darf23, die ganz herrschende Meinung24 lehnt diese Auffassung aber ab. a) Die Amtshaftung bei Beleihung Privater Die Frage, ob der Staat dort, wo er sich zur Erfüllung seiner Aufgaben Privater bedient, nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG haftet, wird heute einhellig bejaht, wenn der Staat Private mit Hoheitsgewalt beleiht25. Ein solcher Beliehener ist in unserem ersten Fall der Sachverständige, da er bei der gesetzlich vorgeschriebenen Überwachung von Kraftfahrzeugen hoheitliche Aufgaben mit öffentlichrechtlichen Mitteln wahrnimmt und hierzu auch, wie dies für eine Beleihung erforderlich ist, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes mit Hoheitsgewalt beliehen wurde. Für sein Fehlverhalten haftet derjenige Hoheitsträger, der ihm die Erfüllung der öffentlichrechtlich zu erfüllenden Aufgabe anvertraut hat, also im Beispielsfall das Land. Eine Haftung des Sachverständigen gegenüber dem Geschädigten scheidet demgegenüber aus. b) Die Amtshaftung für unselbstständige Verwaltungshelfer Schwerer fällt die Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit der Amtshaftung in den Fällen zwei bis vier. Hier liegt nämlich keine Beleihung vor. Es fehlt jeweils an einem Gesetz, durch das oder auf Grund dessen eine Übertragung von Hoheitsgewalt an die Privaten erfolgte. Da sich die Verwaltung ihrer bei der Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgabe bedient, spricht man bei ihnen von so genannten Verwaltungshelfern. Deren Stellung zu dem Hoheitsträger, dem sie bei der Erfüllung seiner Aufgaben helfen, kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Je nach dem Grad der Abhängigkeit von dem Ho___________ 23
Dazu näher Schenke, DÖV 1989, 365, 370 f.; s. auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 28. 24 Siehe z. B. Detterbeck/Windhorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, § 9, Rdnr. 8; Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 43, Rdnrn. 5 f.; BGHZ 34, 99, 101. 25 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 26, Rdnr. 13; BGHZ 49, 108, 113.
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heitsträger kann man von unselbstständigen oder von selbstständigen Verwaltungshelfern sprechen. Unselbstständige Verwaltungshelfer sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bei der Wahrnehmung der ihnen anvertrauten Verwaltungstätigkeit einer sehr weitreichenden Direktionsbefugnis des Hoheitsträgers unterworfen sind, für die öffentlichrechtliche Vorschriften anwendbar sind. Sie stellen damit bildlich gesprochen nur Werkzeuge des Hoheitsträgers dar. Ein Beispiel hierfür liefert der Schülerlotse S in Fall 2. Bei einem solchen unselbstständigen Verwaltungsträger hat sich die Rechtsprechung schon relativ zeitig dafür ausgesprochen, diesen als einen in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelnden Amtsträger zu qualifizieren26. Dementsprechend haftet das Land als Träger der Polizeihoheit in dem Schülerlotsenfall für das Fehlverhalten des S und scheidet dessen persönliche Haftung gegenüber den Geschädigten aus. c) Die Amtshaftung für selbstständige Verwaltungshelfer im Bereich der Eingriffsverwaltung Dagegen hätte die Rechtsprechung in den Fällen drei und vier eine Haftung zunächst verneint, da auch hier kein Fall der Beleihung vorliegt, der Private sich nicht in demselben Abhängigkeitsverhältnis befindet wie der Schüler, sondern ein selbstständiger Unternehmer ist, und das Rechtsverhältnis zwischen diesem und dem Hoheitsträger, der sich seiner bedient, in der Regel auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen und damit privatrechtlicher Natur sein wird. Eine Haftung des Hoheitsträgers wäre damit nur dann in Betracht gekommen, wenn dem Staat bei der Auswahl und Überwachung der Privaten ein Verschulden anzulasten gewesen wäre. Diese restriktive Anwendung der Amtshaftung hat der Bundesgerichtshof aber mit Recht in einer Anfang 1993 ergangenen Entscheidung, die den Fall 3 betraf, aufgegeben. Als Begründung hierfür wies er darauf hin27, dass die auf privatrechtlicher Grundlage beruhende Heranziehung privater Unternehmer zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben unterschiedliche Fallgestaltungen umfasst, die sich sowohl durch den Charakter der jeweils wahrgenommenen Aufgabe als auch durch die unterschiedliche Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe sowie durch den Grad der Einbindung des Unternehmens in den behördlichen Pflichtenkreis voneinander unterscheiden. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund trete, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden öffentlichen hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers sei, desto näher liege es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinn anzusehen. Danach könne sich die öf___________ 26
OLG Köln, NJW 1968, 655; zust. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998,
S. 18. 27
BGH, NJW 1993, 1258, 1259.
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fentliche Hand jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten ihrer Bediensteten grundsätzlich nicht dadurch entziehen, dass sie die Durchführung einer von ihr angeordneten Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer übertrage. Da sich im Streitfall die Anordnung, das Unfallfahrzeug zu bergen und abzuschleppen, sowie deren Durchführung materiell als polizeiliche Vollstreckungsmaßnahme darstelle, bejahte der BGH eine Haftung des Trägers der Polizei für das Fehlverhalten des Abschleppunternehmers und verneinte damit zugleich dessen unmittelbare Haftung gegenüber dem geschädigten Verkehrsteilnehmer. Als Begründung für diese Auffassung wies der BGH zusätzlich darauf hin, dass in Fällen dieser Art der Dritte gleichsam als „Erfüllungsgehilfe“ der Polizei tätig werde28, und zwar nicht nur gegenüber dem Eigentümer des abzuschleppenden Fahrzeugs, sondern auch gegenüber Verkehrsteilnehmern wie dem Geschädigten. Der Auffassung des BGH ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Es wäre in der Tat nicht überzeugend, wenn der Staat sich der Haftung dadurch entziehen könnte, dass er eine öffentlichrechtliche Tätigkeit nicht durch seine eigenen Bediensteten, sondern durch Private wahrnehmen lässt, die unter seiner Regie stehen. Das Einstehenmüssen des Staates und dessen Haftung erscheint nicht zuletzt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Staat sich bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben im Bereich der Eingriffsverwaltung Privater bedienen darf, ohne dass diese mit Hoheitsgewalt beliehen sind. Nur dies trägt der bezüglich des Ob des Handelns bestehenden Direktionsbefugnis des Staates gegenüber dem Privaten und einer sich daraus ergebenden staatlichen Verantwortung Rechnung. Dadurch werden zugleich die Risiken vermieden, die sich für den Verletzten dann ergeben müssten, wenn er statt auf den solventen Hoheitsträger auf den Privaten als Schuldner verwiesen würde. Eine wesentliche dogmatische Stütze für diese Auffassung, auf die merkwürdigerweise bei der bisherigen Diskussion der Problematik kaum zurückgegriffen wurde29, ergibt sich m. E. daraus, dass sich der primäre Rechtsschutz heute gerade in dem vom BGH entschiedenen Fall der Ersatzvornahme nach einhelliger Meinung gegen den Hoheitsträger und nicht gegen den Privaten richtet30. Bedenkt man, dass diesem Rechtsschutz, sofern sich die Ersatzvornahme noch nicht erledigt hat, Beseitigungsansprüche des Verletzten gegen den Hoheitsträger zugrunde liegen, so ist es angesichts des sonst allgemein an___________ 28
BGH, NJW 1993, 1258, 1259. Ein ähnlicher Ansatz wie hier aber auch bei Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 399 ff. 30 Siehe zum Rechtsschutz gegen die Ersatzvornahme z. B. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl. 2007, Rdnrn. 553, 575. 29
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erkannten systematisch-funktionalen Zusammenhangs von Beseitigungsansprüchen und bei Verschulden eingreifenden Schadensersatzansprüchen nur konsequent, denselben Schritt auch in Bezug auf die Schadensersatzansprüche wegen Amtshaftung zu vollziehen. Für die insoweit maßgebliche Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und dem Verletzten kann es denn auch in der Tat nicht maßgeblich sein, in welcher Rechtsbeziehung der Staat zu dem für ihn handelnden Privaten steht; maßgeblich ist nur dessen Tatherrschaft in Bezug auf das Ob des Handelns. Wenig hilfreich scheint es mir demgegenüber zu sein, wenn der BGH31 die Bejahung einer staatlichen Amtshaftung mit dem Argument zu untermauern sucht, der private Unternehmer werde in dem vom Gericht entschiedenen Fall gleichsam als „Erfüllungsgehilfe“ der Polizei tätig. Der Rechtsgedanke des § 278 BGB, in dem die Haftung des Schuldners für einen Erfüllungsgehilfen normiert wird, ist nur auf eine Verdichtung von Rechtsbeziehungen zwischen einem begrenzten Kreis von Rechtspersonen zugeschnitten, passt aber als solcher nicht in das Deliktsrecht. Zwar ergibt sich bei der Gleichsetzung von staatlichen Handlungen mit Handlungen Privater, die vom Staat dirigiert werden, ein ähnlicher Effekt wie über § 278 BGB. Den dogmatischen Ausgangspunkt hierfür liefert aber die in § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG statuierte deliktische Haftung des Staates für alle in Ausübung eines öffentlichen Amtes Handelnden, unabhängig davon, welchen Status sie haben, insbesondere unabhängig davon, ob sie einen Organstatus aufweisen. In diesem Punkt besteht ein wesentlicher Unterschied gegenüber einer privatrechtlichen deliktsrechtlichen Haftung des Staates für ein Fehlverhalten seiner Bediensteten, die nur dann in derselben Weise uneingeschränkt zum Zuge kommt, wenn der handelnde Bedienstete Organ ist, nicht aber wenn er nur als Verrichtungsgehilfe zu qualifizieren ist. Für die im Vergleich hierzu weiterreichende staatliche Haftung bei öffentlichrechtlichem Handeln lassen sich gute Gründe anführen; sie bildet nicht zuletzt einen Ausgleich dafür, dass der Staat über ein weit größeres Machtpotential verfügt als ein Privater. Von daher gesehen überzeugt denn auch nicht die gelegentlich geäußerte Ansicht32, es sei nicht einzusehen, warum der Staat bei einer von ihm veranlassten Wahrnehmung einer öffentlichrechtlichen Tätigkeit durch Private schlechter stehen solle als ein Privater, der eine andere Person zu bestimmten Verrichtungen veranlasst und für deren Fehlverhalten nur nach § 831 BGB einzustehen hat. Die staatliche Haftung für das Fehlverhalten öffentlichrechtlich handelnder Privater steht vielmehr durchaus im Einklang mit den rechtlichen Wertungen, die das deutsche System der öffentlichrechtlichen Ersatzleistungen prägen. ___________ 31 32
BGH, NJW 1993, 1258, 1259. So aber Stelkens, JZ 2004, 656, 660.
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d) Die Amtshaftung für selbstständige Verwaltungshelfer im Bereich der Leistungsverwaltung Der BGH hatte im Fall 3 noch ausdrücklich betont, dass eine staatliche Haftung für das Fehlverhalten Privater jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung gelte33 und an dieser Formulierung auch in späteren Entscheidungen zu dieser Thematik vielfach festgehalten. Damit wurde offen gelassen, ob diese Grundsätze auch auf die Leistungsverwaltung übertragbar sind. Dies ist aber grundsätzlich zu bejahen. Bei einer öffentlichrechtlichen Ausgestaltung der Leistungsverwaltung besteht kein Anlass, von den Grundsätzen abzuweichen, die für den Bereich der Eingriffsverwaltung anerkannt sind. Auch hier würde nämlich die öffentliche Hand, wenn sie die Leistungen durch ihre Bediensteten erbringen lässt, für diese nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG einzustehen haben. Es ist deshalb nur konsequent, wenn dort, wo sich die öffentliche Hand Privater bedient, um eine Leistung in einem öffentlichrechtlichen Leistungsverhältnis zu erbringen, sie im Falle eines schuldhaften Verhaltens der Privaten für diese ebenfalls nach Amtshaftungsgrundsätzen einzustehen hat. Deshalb hat sich der BGH34 im Fall 4 zu Recht dafür ausgesprochen, dass dann, wenn Ärzte des Gesundheitsdienstes bei der Behandlung eines Bundeswehrangehörigen Ärzte eines Zivilkrankenhauses heranziehen, der Bund für das Verhalten der privaten Ärzte nach Maßgabe des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG schadensersatzpflichtig sein kann. Dem Umstand, dass der hinzugezogene Zivilarzt Weisungen des Bundeswehrarztes allenfalls hinsichtlich des Umfangs seiner Tätigkeit zu beachten hat und eine weitergehende, inhaltliche Gebundenheit nicht vorliegt, wurde als unbeachtlich angesehen35, zumal letztere durch die Natur der ärztlichen Tätigkeit ausgeschlossen sei. Entscheidend bleibe vielmehr, dass die Behandlung des Bundeswehrangehörigen Bestandteil der kraft eines öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses zu gewährenden Gesundheitsfürsorge sei. Soweit Aufgaben der Leistungsverwaltung durch die öffentliche Hand allerdings privatrechtlich erfüllt werden, wie dies im Fall 5 zutrifft, kommt eine Amtshaftung nicht zum Tragen. Es ist dies eine Konsequenz dessen, dass die h. M.36 bei der Beantwortung der Frage, ob in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt wird, nicht darauf abstellt, welche Aufgabe die öffentliche Hand wahrnimmt, sondern nur maßgeblich sein soll, ob sie diese mit öffentlichrechtlichen Mitteln durchführt, also die Tätigkeit öffentlichrechtlich ist. Folgt man dieser Ansicht, gegen die sich durchaus gute Argumente vorbringen ___________ 33
BGH, NJW 1993, 1258, 1259. BGH, NJW 1996, 2431, 2432. 35 BGH, NJW 1996, 2431, 2432. 36 BGHZ 110, 253, 255; Papier, in: Münchener Kommentar, 4. Aufl. 2004, § 839, Rdnr. 143; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl. 2000, § 67, Rdnr. 18. 34
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lassen37, so haftet der Staat selbst dann, wenn er die Aufgabe durch seine eigenen Bediensteten vornimmt, nicht nach Amtshaftungsgrundsätzen, sondern nach den allgemeinen privatrechtlichen Regelungen des Deliktrechts. Ist der Bedienstete der öffentlichen Hand kein Organ der juristischen Person des öffentlichen Rechts, so haftet die öffentliche Hand für unerlaubte Handlungen – soweit kein Organisations- oder Aufsichtsverschulden vorliegt – folglich nur im Rahmen des § 831 BGB mit der Möglichkeit einer Exkulpation. Dann ist es aber nur folgerichtig, dasselbe auch dort anzunehmen, wo die öffentliche Hand sich bei einer verwaltungsprivatrechtlichen Tätigkeit statt eigener Bediensteter Privater bedient und diese – was keineswegs immer zuzutreffen braucht – als Verrichtungsgehilfen zu qualifizieren sind. Soweit sich nicht eindeutig beantworten lässt, ob eine Aufgabe der Leistungsverwaltung mit öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Mitteln wahrgenommen wird, besteht aber auch hier eine Vermutung für den öffentlichrechtlichen Charakter der Tätigkeit38 und damit für eine Haftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Diese Vermutung wird jedenfalls nicht dadurch widerlegt, dass Private für die öffentliche Hand tätig werden und deren Beauftragung mittels eines privatrechtlichen Vertrags erfolgt. 3. Der Rückgriff des Staates auf Private im Rahmen der Amtshaftung Hat die öffentliche Hand nach dem vorher Ausgeführten für das Verhalten Privater nach den Grundsätzen der Amtshaftung einzustehen, so scheidet damit zugleich eine persönliche Haftung der Privaten gegenüber dem Verletzten aus. Nicht ausgeschlossen wird dadurch jedoch ein Regressanspruch der öffentlichen Hand gegen den in Ausübung eines öffentlichen Amts handelnden Privaten. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff gem. Art. 34 S. 2 GG ausdrücklich vorbehalten. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung wie auch nach deren systematischem Zusammenhang müsste damit in den Fällen einfacher Fahrlässigkeit der Rückgriff auf den in Ausübung eines öffentlichen Amtes Handelnden stets ausgeschlossen sein. Der BGH39 hat aber im Jahre 2004 unter Berufung auf einen kurz vorher veröffentlichten Aufsatz von Ulrich Stelkens40 betont, dass in den Fällen, in denen der Staat durch freie Dienst- oder Werkverträge oder ähnliche Vertragsgestaltungen selbstständigen Privatunter___________ 37
Siehe dazu näher Schenke, DÖV 1989, 365, 370 f. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2007, Rdnr. 110; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. I, 12. Aufl. 2007, § 42, Rdnrn. 42 f. 39 BGHZ 161, 6, 12. 40 Ulrich Stelkens, JZ 2004, 656, 660; a. A. die früher h. M., vgl. z. B. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 120. 38
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nehmen in beschränktem Umfang die Erfüllung hoheitlicher Verwaltungsaufgaben überträgt, eine einschränkende Auslegung bzw. teleologische Reduktion des Art. 34 S. 2 GG geboten ist, so dass ein Regress auch bei einfacher Fahrlässigkeit in Betracht kommt. Dem ist zuzustimmen. Die Entstehungsgeschichte wie die Teleologie des Art. 34 S. 2 GG sprechen dafür, dass diese Vorschrift die Entschlussfähigkeit und Entschlussfreudigkeit von Beamten im haftungsrechtlichen Sinn steigern soll und auf dem Gebot der Fürsorge gegenüber den öffentlichen Bediensteten beruht. Sie ist damit von ähnlichen Erwägungen getragen wie die im Arbeitsrecht anerkannten Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer. Diese Zielsetzung passt aber nicht auf den Fall, dass ein privater Unternehmer von der öffentlichen Hand durch einen Werkvertrag zur Erfüllung einer staatlichen Aufgabe herangezogen wird, wie dies etwa in dem oben genannten Abschleppfall zutrifft. Insoweit kann bei dem Abschleppunternehmer deshalb bereits dann Rückgriff genommen werden, wenn diesem nur leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
IV. Resümee Die Rechtsprechung hat die Probleme, die sich aus einer zunehmenden Einbeziehung Privater in die Erfüllung staatlicher Aufgaben ergeben, durch eine sachgerechte, rechtsstaatlichen Erfordernissen genügende Fortentwicklung des Amtshaftungsrechts im Wesentlichen bewältigt. Sie hat damit im Rahmen des Haftungsrechts sichergestellt, dass sich der Staat durch den Einsatz Privater bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben nicht den haftungsrechtlichen Konsequenzen zu entziehen vermag, die sich dann ergeben würden, wenn er seine Aufgaben durch eigene Bedienstete erfüllt. Streiten kann man darüber, ob der Staat nicht allgemein bei der Erfüllung seiner Aufgaben durch privatrechtliche Mittel, also im Bereich des sogenannten Verwaltungsprivatrechts, ebenfalls nach Amtshaftungsgrundsätzen schadensersatzpflichtig sein sollte, was zwangsläufig auch Folgen für einen Einsatz Privater bei der Wahrnehmung privatrechtlicher Tätigkeit haben müsste. Die dem Staat durch die Ausklammerung des Verwaltungsprivatrechts aus dem Anwendungsbereich der Amtshaftung eröffnete Möglichkeit, sich durch Formenaustausch einer im Vergleich zur privatrechtlichen Haftung weiterreichenden Haftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu entziehen, erscheint unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht unproblematisch. Aber das wäre ein Gegenstand für ein anderes Referat.
Zugang zu Informationen privater Unternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen Von Dongsoo Song
I. Einleitung Die öffentlichen Aufgaben wurden in der Vergangenheit je nach Wirtschaftssektor nahezu ausschließlich oder zumindest in wesentlichem Umfang von klassischen öffentlichen Unternehmen wahrgenommen. Viele öffentliche Unternehmen sind heute Gegenstand der Privatisierung und Liberalisierung.1 Privatisierungs- und Liberalisierungsprojekte haben Bestand wie auch Erscheinungsbild der öffentlichen Aufgaben in den letzten Jahren stark verändert. Neben die öffentlichen Unternehmen und teilweise an deren Stelle treten in stärkerem Ausmaß als bisher gemischtwirtschaftliche Unternehmen und andere Formen von Public Private Partnerships (PPP) sowie gewerbliche private Unternehmen. Die Frage, in welcher Weise öffentliche Aufgaben erfüllt werden können und sollen, kann heute vor dem Hintergrund vieler und unterschiedlicher Erfahrungen diskutiert werden.2 Jahrzehntelang war behördliches Handeln vom Grundsatz des Amtsgeheimnisses geprägt. Mit der Verabschiedung des am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen koreanischen Informationsfreiheitsgesetzes (KIFG) hat der koreanische Gesetzgeber nunmehr Neuland betreten. Nach dem Vorbild des in den USA existierenden Freedom of Information-Act (FOIA) wurde auch für Korea ein Gesetz geschaffen, dessen Zweck einzig darin liegt, jeder natürlichen wie auch juristischen Personen den Zugang zu den bei öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen zu gewährleisten. Die entscheidende Neuerung dieses Gesetzes ist darin zu sehen, dass den Bürgerinnen und Bürgern in Abkehr von der Tradi___________ 1
Seit Ende der 1990er Jahre werden in Korea Privatisierungen von öffentlichen Unternehmen im Zuge der Reformpolitik umgesetzt. Diese Folgen beziehen sich auf Dienstleistungssektoren, Wasser- und Energieversorgung (Posco, KT, Doosan), Verkehr (Korail) sowie Bildung (Daehan Publishing & Printing Ltd, Co) und Kultur (KT&G). 2 Vgl. dazu statt vieler Jaag, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 1995, 287ff.
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tion der beschränkten Aktenzugänglichkeit ein allgemeines, verfahrensunabhängiges Akteneinsichtsrecht gewährt wird.
II. Grundlagen der Informationsfreiheit 1. Begriff Informationsfreiheit wird in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet. Zum einen wird der Begriff synonym verwendet zum Begriff der Rezipientenfreiheit, also der Freiheit, sich ungehindert aus allgemeinen Quellen informieren zu dürfen. Zum anderen wird der Begriff auch als andere Bezeichnung für Informationszugangsfreiheit bzw. Informationstransparenz verwendet. Unter Informationstransparenz versteht man die Bestrebungen, die verfügbaren öffentlichen Quellen zu erhöhen. In diesem Rahmen können z.B. Ämter und Behörden verpflichtet werden, ihre Akte und Vorgänge zu veröffentlichen (Öffentlichkeitsprinzip) bzw. für Bürger zugänglich zu gestalten (Verwaltungstransparenz) und zu diesem Zweck verbindliche Qualitätsstandards für den Zugang zu definieren. Das koreanische Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 21 Koreanische Verfassung (KV) hat kein verfassungsgeschichtliches Vorbild. Die Informationszugangsfreiheit ist die Grundlage der demokratischen Meinungsbildung und das notwendige Gegenstück zur Meinungsfreiheit sowie zum Datenschutz.3 Es beinhaltet das eigenständige Recht, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen informieren zu dürfen.4 Allgemein zugänglich sind dabei solche Informationsquellen, die technisch geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Das Grundrecht ist damit zunächst ein Abwehrrecht gegen staatliche Behinderungen des Zugangs zu Informationen, die von Dritten angeboten werden, und begründet grundsätzlich keinen Anspruch gegen den Staat auf Zugang zu amtlichen Informationen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn staatliche Stellen durch gesetzliche Vorgaben dazu verpflichtet sind, Zugang zu in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Informationsquellen zu gewähren.
___________ 3 4
KVerfGE, Urt. vom 4.9.1989, Az. 88 Hunma 22. KOGH, Urt. vom 21.9.1999, Az. 97 Nu 5114.
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2. Entwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes Während der Freedom of Information-Act (FOIA) bereits seit 1966 in USA bestand5, erhielten entsprechende Regelungen in Korea erst in den 1990er Jahre Einzug. Vor dem Hintergrund des überwundenen Militärregimes bestand in Korea der Wunsch nach Demokratisierung. Es gab auch den Wunsch nach zukünftiger Absicherung des Rechtsstaats und der Teilhabe seiner Bürger, der in der neuen Verfassung in unterschiedlicher Weise Niederschlag gefunden hat. Erst 1992 rückte das Thema Informationsfreiheit verstärkt in die politische Diskussion zum Wahlkampf, als auf Kommunalebene eine erste Informationsfreiheitssatzung vorgelegt wurde.6 Nach der Verwaltungsvorschrift über Informationsfreiheit im Jahr 19947 wurde der Gesetzesentwurf im Dezember 1996 mit großer Mehrheit beschlossen und verkündet. 3. Bedeutung des Informationsfreiheitsgesetzes Das koreanische Informationsfreiheitsgesetz (KIFG), das seit 1998 in Kraft getreten ist, gewährt jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu Informationen von öffentlichen Stellen. Eine Darlegung eines Interesses – rechtlicher, wirtschaftlicher oder sonstiger Art – ist nicht erforderlich. Zweck des Informationsfreiheitsgesetzes ist es, staatliches Handeln transparent zu machen und durch den freien Zugang zu Informationen nicht nur die Nachvollziehbarkeit, sondern auch die Akzeptanz behördlicher Entscheidungen zu steigern.8 Ziel der Einführung eines Informationszugangsrechts ist es nach dem Willen des Gesetzgebers darüber hinaus, die Mitsprachen der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf das Handeln der staatlichen Organe dadurch zu optimieren, dass ihnen eine verbesserte Argumentationsgrundlage an die Hand gegeben wird. In diesem Sinne soll das Informationszugangsrecht dazu dienen, die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an der Verwaltung zu fördern und die Kontrolle staatlichen Handelns zu steigern.9 ___________ 5 Dazu Gellmann, Electronic Freedom of Information, DuD 1998, 446. Von den europäischen Staaten ist Schweden der Staat mit der längsten Tradition eines allgemeinen Akteneinsichtsrecht: schon im Jahr 1766 war in der Verfassung des Schwedischen Königreiches der erste allgemeine Akteneinsichtsanspruch verankert. 6 Cheongjusi-Satzung über Verwaltungsinformationsfreiheit vom 25.11.1991. 7 Allgemeine Verwaltungsvorschrift über Informationsfreiheit vom 2.3.1994 (Nr. 288). 8 Vgl. Fluck, Verwaltungstransparenz durch Informationsfreiheit, DVBl. 2006, 1406. 9 Vgl. dazu Bieber, Informationsrechte Dritter im Verwaltungsverfahren, DÖV 1991, 857; Kloepfer/von Lewinski, Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG), DVBl. 2005, 1279.
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III. Recht auf Informationszugang Das Recht auf freien Informationszugang ist in § 5 Abs. 1 KIFG verankert. Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. 1. Anspruchsgegner: öffentliche Stelle Gemäß § 2 Abs. 3 KIFG gilt das KIFG für jede öffentliche Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Im Sinne des KIFG sind öffentliche Stellen beispielsweise staatliche Organe (Parlament, Gerichte, Oberste Verwaltungsorgane und Behörden), Gebietskörperschaften sowie öffentliche Unternehmen. Der Begriff der öffentlichen Stelle ist dabei nicht organisatorisch-verwaltungstechnisch, sondern funktionell-teleologisch zu verstehen. Ein Unternehmen gilt auch dann als öffentliche Stelle, wenn zwar Private beteiligt sind, aber die öffentliche Hand die Mehrheit der Anteile hat.10 Diese Rechtsfolge wird oft nicht bedacht, wenn die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer GmbH oder eine Aktiengesellschaft vorgesehen wird. Die Frage, in welcher Rechtsform diese öffentliche Aufgabe erfüllt wird, ist damit ohne Bedeutung. Bedient sich eine Kommune zur Erfüllung einer gemeindlichen Aufgabe eines privaten, auf der Basis eines privatrechtlichen Vertrages tätig werdenden Unternehmers, so werden die seitens der Kommune im Rahmen der Vertragsabwicklung angelegten Vorgänge trotz des privatrechtlichen Charakters der zwischen der Kommune und dem Unternehmer bestehenden Rechtsbeziehungen grundsätzlich vom Anwendungsbereich des KIFG erfasst. Auch Schulen und Universitäten sind öffentliche Stellen im Sinne des KIFG. 2. Anspruchsberechtigter Gemäß § 5 KIFG setzt die Geltendmachung des Informationszuganges grundsätzlich die koreanische Staatsangehörigkeit voraus. Das Informationszugangsrecht wird ausnahmsweise Ausländern, die in Korea ihren Wohnsitz haben, gewährt. Der Anspruch gilt auch für juristische Personen des Privatrechts. Bürgerinitiativen, Verbände und NGO können also ein Antragsrecht haben.11 ___________ 10
Vgl. Schmitz/Jastrow, Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, NVwZ 2005,
988. 11
Seol Kye-Kyoung, A Study on the Disclosure of Official Information, Law of Foreign Studies, Vol. 19 (2005), 291.
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3. Anspruchsinhalt: Informationen Der Begriff der amtlichen Information ist grundsätzlich weit zu verstehen. Nach § 2 KIFG sind amtliche Informationen im Sinne dieses Gesetzes alle in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder auf sonstigen Informationsträgern vorhandenen Informationen, die im dienstlichen Zusammenhang erlangt wurden. Informationsträger sind alle Medien, die Informationen in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder in sonstiger Form speichern können. Entwürfe oder Notizen, die nicht dazu bestimmt sind, zu einem Vorgang dazuzugehören, fallen nicht unter den Begriff der Informationen. Die Begrenzung des Zugangsrechtes auf vorhandene Informationen bedeutet zugleich, dass die Behörde nicht verpflichtet ist, die erwünschten Informationen zu beschaffen oder Dokumente dem Auskunftsbegehren entsprechend aufzubereiten. Eine behördliche Beschaffungspflicht von Informationen besteht selbst dann nicht, wenn die nachgefragten Informationen aufgrund der bestehenden Zuständigkeiten eigentlich vorliegen müssten, faktisch aber nicht vorhanden sind.12 In diesem Falle weist der Informationsanspruch im Rahmen der ihm zukommenden Kontrollfunktion lediglich auf das bei der betroffenen Behörde offenbar vorhandene Vollzugdefizit hin. 4. Veröffentlichungspflicht Nach § 8 Abs. 1 KIFG müssen alle öffentlichen Stellen unabhängig von konkreten Anträgen auf Informationszugang bestimmte Informationen allgemeiner Art von Amts wegen öffentlich bekannt machen. Dabei handelt es sich um Verzeichnisse, aus denen sich die vorhandenen Informationssammlungen und Informationszwecke erkennen lassen, um Register und Pläne. So wird gewährleistet, dass der Antragsteller überhaupt weiß, welche Informationen in öffentlichen Stellen vorhanden sind. Diese Informationen sollen im Internet veröffentlicht werden. Beinhalten solche Verzeichnisse z. B. personenbezogene Daten nach § 9 KIFG, kann dies einer Zugänglichmachung entgegenstehen. 5. Der Vorrang bereichsspezifischer Regelungen Soweit besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen bestehen, gehen sie den Vorschriften des KIFG vor (§ 4 Abs. 1 KIFG). Das KIFG ist somit als ein so genanntes Auffanggesetz konzipiert, das ___________ 12
Vgl. Chae Woo-Suk, A legal Study on the Cases relating to Freedom of Information Act, Land Public Law, Vol. 24 (2004), 598f.
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nur dann zur Anwendung gelangt, wenn und soweit nicht bereits bereichsspezifische Gesetze einen solchen Informationsanspruch fachspezifisch regeln.
IV. Verfahren 1. Antrag Gemäß § 10 Abs. 1 KIFG beginnt das Verfahren mit dem Antrag an die öffentliche Stelle, der grundsätzlich an keine besondere Form gebunden ist. Der Antrag kann schriftlich, mündlich oder in elektronischer Form gestellt werden. Er muss hinreichend bestimmt sein und insbesondere erkennen lassen, auf welche Informationen er gerichtet ist. Einzige Voraussetzung für die Gewährung des Informationszuganges ist somit die Stellung eines möglichst konkreten Antrags. Weitere Formalia sind nicht zu beachten. Einer Begründung des Antrags auf Informationszugang bedarf es nicht. Auch ein rechtliches oder ein sonstiges berechtigtes Interesse ist nicht nachzuweisen. Der Antragsteller kann wählen, wie er Zugang zu den Informationen erhalten möchte. Nur wenn besondere Gründe vorliegen, wie etwa deutlich höherer Verwaltungsaufwand, kann die öffentliche Stelle entscheiden, ob sie Auskunft erteilen möchte, Akteneinsicht gewähren will oder die Informationen auf sonstige Weise zur Verfügung stellt. 2. Frist § 11 Abs. 1 KIFG sieht vor, dass über den Informationszugang unverzüglich, spätestens innerhalb von 10 Tagen ab Antragstellung, entschieden werden soll. Die öffentliche Stelle soll unverzüglich entscheiden, ob sie die angefragten Informationen herausgibt. Zu einer zeitlichen Verzögerung kann es jedoch dann kommen, wenn der begehrte Informationszugang beispielsweise von der Einwilligung einer dritten, betroffenen Person abhängig ist. 3. Gebühren Das Ziel des KIFG, zur Förderung der Transparenz des Verwaltungshandelns den Anspruch auf Informationszugang in weitest möglichem Umfang zu gewährleisten, steht der Erhebung prohibitiver Kosten entgegen. Gem. § 17 Abs. 1 KIFG werden Gebühren so erhoben, dass der Informationszugangsanspruch wirksam wahrgenommen werden kann. Die Regelung in § 17 Abs. 2 KIFG stellt Auskünfte für Gemeinwohl oder Wissenschaft kostenfrei. Die kon-
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kretisierende Gebührenverordnung hat das Ministerium des Innern erlassen. Anders als in Deutschland wird also im koreanischen IFG hinsichtlich der Kosten nach dem Zweck der Anfrage differenziert.
V. Ausnahmen Bei allem Bemühen um Offenheit und Transparenz des Verwaltungshandelns liegt es dennoch auf der Hand, dass auch das Recht auf freien Zugang zu amtlichen Informationen nicht uneingeschränkt gelten kann. So setzen z. B. Datenschutzrechte Dritter oder auch Belange der inneren Sicherheit dem Informationszugang Grenzen. § 9 KIFG enthält selber einen Katalog von Ausnahmetatbeständen, durch die das Recht auf Informationszugang eingeschränkt oder ganz verwehrt werden kann. Um aber den gesetzgeberisch erklärten Zweck der Gewährleistung einer effektiven Kontrolle staatlichen Verwaltungshandelns und den damit korrespondierenden Anspruch auf freien Zugang zu vorhandenen amtlichen Informationen nicht leer laufen zu lassen, sind die in § 9 dargestellten Ausnahmetatbestände eng auszulegen.13 1. Öffentliche Belange Ausnahmeregelungen wegen Gefährdung öffentlicher Belange finden sich in § 9 Abs. 1 Nr. 2 KIFG. Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen, soweit und solange das Bekanntwerden der Information die staatliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Wiedervereinigung oder die internationalen Beziehungen erheblich beeinträchtigen würde. § 9 Abs. 1 Nr. 2 KIFG betrifft den Schutz hochrangiger öffentlicher Interessen, nämlich verschiedene Aspekte des Staatswohls. Diese Formulierungen sind aber sehr weit gefasst, da sie jeweils bloße Gefährdungen einschließen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung liegen nur dann vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalles klar ist, dass eine Freigabe der begehrten Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Beeinträchtigung der Schutzgüter führen würde. Dabei ist die koreani-
___________ 13
Es wird in manchen Ländern kritisiert, dass unklar ist, was man unter Ausnahmeregelungen versteht. Dazu vgl. Bräutigam, Das deutsche Informationsfreiheitsgesetz aus rechtsvergleichender Sicht, DVBl. 2006, 952 ff.; Kyoung Keon, Protection of Personal Data in Freedom of Information, Law of Information, Vol. 6, 61ff.
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sche Rechtsprechung sehr zurückhaltend, was die Überprüfung von Entscheidungen der Exekutive im Bereich Sicherheit betrifft.14 2. Gerichtliche Verfahren Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen, soweit und solange das Bekanntwerden der Information ein gerichtliches Verfahren, ein Ordnungswidrigkeiten- oder Disziplinarverfahren erheblich beeinträchtigen würde. 3. Entscheidungsbildungsprozess Das Streben nach Transparenz und Offenheit erfährt dort eine Einschränkung, wo die Effektivität des Verwaltungshandelns gefährdet ist. § 9 Abs. 1 Nr. 5 KIFG beschreibt daher einige Ablehnungstatbestände zum Schutz des behördlichen Entscheidungsbildungsprozesses. Diese Regelung stellt klar, dass sich der Schutz im Wesentlichen auf den Prozess der Entscheidungsfindung, nicht aber auf die Ergebnisse des Verwaltungshandelns bezieht. Um eine unbefangene und unabhängige Entscheidungsfindung zu gewährleisten, sieht auch Nr. 5 vor, dass ein Antrag auf Informationszugang abgelehnt werden kann, wenn sich der Inhalt auf den Prozess der Willensbildung innerhalb von und zwischen öffentlichen Stellen bezieht. 4. Personenbezogene Daten Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem allgemeinen Informationszugangsrecht und dem Recht auf Datenschutz um einander widersprechende Gewährleistungen zu handeln. Richtig ist, dass beide Rechte gegeneinander abgewogen werden müssen, da sie in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Gleichwohl sind beide Rechte untrennbar miteinander verknüpft. Das zwischen Datenschutz und Informationszugang bestehende Spannungsverhältnis wird im KIFG aufgelöst: Grundsätzlich ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Informationen personenbezogene Daten offenbart werden, es sei denn, es liegt einer der in § 9 Abs. 1 Nr. 6 KIFG aufgeführten Ausnahmetatbestände vor, die einen Zugang zu personenbezogenen Daten ausnahmsweise zulassen. Informationen über ___________ 14 KOGH, Urt. vom 18.3.2004, Az. 2001 Du 8254 (Eine Statistik der Schutz und Bewährung bezieht sich auf die staatliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Wiedervereinigung oder die internationalen Beziehungen).
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Namen und Amtsstellung von Beschäftigten sollen z. B. grundsätzlich zugänglich gemacht werden. Es wird kritisiert, dass bei dem Schutz von personenbezogenen Daten eine Abwägung zwischen dem Interesse des Dritten an informationeller Selbstbestimmung und dem Interesse des Antragstellers an Herausgabe der Information stattfindet.15 Somit sei es letztlich in die Hände des Beamten gelegt und nicht durch das Gesetz vorgegeben, welches Rechtsgut Vorrang genieße. 5. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse Die Vorschrift enthält eine Einschränkung des Informationszugangsrechtes zum Schutze sensibler Unternehmensdaten. Dem Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen dient § 9 Abs. 1 Nr. 7 KIFG. Es wird kritisiert, dass unklar ist, was man unter Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen versteht.16 Nach der Definition des BGH sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Tatsachen, die im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stehen, nicht offenkundig sind, nach dem Willen des Geschäftsinhabers geheim gehalten werden sollen, und ein berechtigtes Interesse des Geschäftsinhabers an einer Geheimhaltung anzuerkennen ist.17 Will man das gesetzlich garantierte Informationszugangsrecht nicht wirkungslos werden lassen, wird man diese Regelung eng auslegen müssen. Es kann also nicht alles, was Unternehmen als Geschäftsgeheimnis bezeichnen, als solches anerkannt werden.
VI. Ablehnung eines Antrags 1. Form Da der Antrag formlos gestellt werden kann (schriftlich, elektronisch, mündlich), kann er auch in unterschiedlicher Form beantwortet werden, soweit diese dem Informationsinteresse des Antragstellers gerecht wird. Nach § 13 Abs. 4 KIFG hat die Ablehnung eines Antrags auf Informationszugang dennoch immer schriftlich zu erfolgen und ist zu begründen. ___________ 15 Kyoung Keon, Protection of Personal Data in Freedom of Information, Law of Information, Vol. 6, 79f. 16 Bräutigam, Das deutsche Informationsfreiheitsgesetz aus rechtsvergleichender Sicht, DVBl. 2006, 954. 17 BGH, Urt. vom 10.5.1995, DB 1995, 2260 = NJW 1995, 2301.
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2. Rechtsschutz Nicht immer ist der begehrte Informationsanspruch gegeben. Wird ein Antrag auf Informationszugang abgelehnt, so sind die unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten zu beachten.18 Im Falle der Ablehnung seines Informationsbegehrens hat der Antragsteller zuerst das Recht, einen Einwand gegen die Ablehnungsentscheidung zu erheben. Hierauf ist er gem. § 13 Abs. 4 KIFG hinzuweisen. Die Einschaltung des Rechtseinwands kann zusätzlich zu Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 19 KIFG erfolgen. Es handelt sich bei der Informationserteilung, ebenso wie bei der Ablehnung, um einen Verwaltungsakt, der nicht lediglich Teil eines Verfahrens ist. Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn die Ablehnung des Antrags rechtswidrig war. Eine Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn kein Verweigerungsgrund nach § 9 KIFG greift. Bloße Plausibilität des Anführens eines Verweigerungsgrundes durch die Behörde genügt nicht, um Widerspruch oder Klage zurückzuweisen. Vielmehr muss die Überzeugung bestehen, dass der Informationszugang rechtmäßig verweigert wurde.
VII. Fazit Individuelle Informationsrechte des Bürgers sind in der Informationsgesellschaft notwendig, um seine Rechtsstellung zu sichern. Sie beruhen auf der Bedeutung von Öffentlichkeit in der Demokratie. Das KIFG ist ein wichtiges Strukturelement moderner Verwaltung und bedeutet die Abkehr vom alten Grundsatz des allg. Amtsgeheimnisses. Die Informationszugangsfreiheit ist die Grundlage der Meinungsbildung und das notwendige Gegenstück zur Meinungsfreiheit sowie zum Datenschutz. Die Einzelheiten des KIFG sind dagegen nicht immer überzeugend geregelt. Berechtige Kritik trifft die zahlreichen Ausnahmeregelungen – gerade im Bereich der staatlichen Sicherheit wurden sehr weitgehend Ausnahmeregelungen eingeführt. Diese Ausnahmen lassen das Gesetz teilweise als Kodifizierung des Amtgeheimnisses wirken, nicht als ein Informationsfreiheitsgesetz.
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Vgl. Kim Bae Won, Informationsfreiheitsklage und gerichtliche Überprüfung, Public Law, Vol. 29-2, 193ff.
Zugang zu Informationen privater Unternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen Von Alexander Windoffer
I. Gegenstand und Gang der Darstellung Die in jüngerer Zeit in erheblichem Maße erweiterten Möglichkeiten des Bürgers, Zugang zu Verwaltungsinformationen zu erhalten und hierbei insbesondere auch auf Informationen privater Unternehmen zugreifen zu können, deren sich die öffentliche Hand zur Erledigung ihrer Aufgaben bedient, sind in zweifacher Hinsicht Ausdruck des Formenwandels in der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, der auf ein modifiziertes Verständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft zurückzuführen ist.1 Zum ersten tragen auf breiterer Basis gewährte Informationsrechte der Erkenntnis Rechnung, dass Information als Steuerungsressource im Zeitalter von Governance zunehmend an Bedeutung gewinnt,2 womit letztlich auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung die Charakterisierung unseres modernen Gemeinwesens als „Informationsgesellschaft“3 Bestätigung findet. Zum zweiten bildet die Ausdehnung des Informationszugangs auf die bei Privaten vorhandenen Informationen die logische ___________ 1 Vgl. hierzu statt vieler Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat – Vom Nutzen der Governance-Perspektive für die Rechtswissenschaft, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2006, S. 195 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 102 ff. 2 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft: Perspektiven der Systembildung, in: ders./Hoffmann-Riem, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 2000, S. 405 ff.; Willand, Gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Standardisierung im Umweltrecht, 2003, S. 276 ff. 3 Allgemein zum Phänomen der „Informationsgesellschaft“ Schink, Die Informationsgesellschaft. Charakterisierung eines neuen gesellschaftlichen Konzeptes anhand quantitativer Indikatoren und qualitativer Veränderungen, 2004. Speziell zur sog. „Informationsverwaltung“ Pitschas, Allgemeines Verwaltungsrecht als Teil der öffentlichen Informationsordnung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, 1993, S. 219 ff.; Vesting, Nachbarwissenschaftlich informierte und reflektierte Verwaltungsrechtswissenschaft – „Verkehrsregeln“ und „Verkehrsströme“, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 253 (282 ff.) m.w.N.
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Konsequenz des zunehmenden Rückgriffs der öffentlichen Hand auf private Organisationsformen, Kooperationspartner oder Aufgabenträger. Das Thema dieses Vortrags ergänzt mithin die auf diesem Symposium behandelten Themenkreise „Public Private Partnership“ und „Regulierung“ um die informationsrechtlichen Folgen von Privatisierungen. Desgleichen weist es insoweit Berührpunkte zu den Themen „Öffentlichkeitsbeteiligung“ sowie „Bürgerbeteiligung“ auf, als die Zielrichtung der von konkreten Verwaltungsverfahren unabhängigen Informationsrechte sich in weiten Teilen mit derjenigen der Beteiligung der Bürger bzw. der Öffentlichkeit4 in komplexen Verwaltungsverfahren deckt. In beiden Fällen spielt außer dem Zweck, dem Bürger die Wahrung subjektiver Rechte und Interessen zu ermöglichen, der Gedanke der Partizipation eine wichtige Rolle. Ähnlich wie die Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung übt die Informationsfreiheit in weitestem Sinne eine Kontroll-, Informations- und Legitimationsfunktion aus;5 sie soll Verwaltungshandeln transparent machen, womit es einerseits kontrollierbar wird, andererseits aber auch seine Akzeptanz gefördert wird. Im Folgenden soll zunächst vergleichend gegenübergestellt werden, welche Erweiterungen der Zugang zu Verwaltungsinformationen durch die Informationsgesetze im Verhältnis zur vor ihrem Erlass geltenden Rechtslage insgesamt erfahren hat (hierzu unten II.). Als Beispiele mögen hier auf der einen Seite der Anspruch auf Erteilung von Umweltinformationen nach den Umweltinformationsgesetzen (UIG) sowie die allgemeine Informationsfreiheit nach den Informationsfreiheitsgesetzen (IFG) und auf der anderen Seite – die frühere Rechtslage repräsentierend – das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 29 VwVfG dienen. Bezogen auf den Zugang zu Informationen Privater sind sodann der Kreis der materiell Verpflichteten und der Anspruchsgegner zu bestimmen (hierzu unten III.) sowie Inhalt und Grenzen des Informationsrechts näher darzustellen (hierzu unten IV.). Die Abhandlung schließt mit der Behandlung der Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten dem Bürger im Falle der Verweigerung der Informationsgewährung zur Verfügung stehen (hierzu unten V.).
___________ 4 Hierzu Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind – Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Aarhus-Konvention, ZUR 2004, S. 136 ff.; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 73 Rn. 8 ff. 5 Stabno, Informationsfreiheitsgesetz, Online-Kommentar, 2006, S. 38 f. m.w.N.
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II. Die Erweiterung der Informationsrechte durch die UIG/IFG 1. Rechtslage vor Einführung der UIG/IFG, am Beispiel der Akteneinsicht Die wesentlichen Neuerungen durch die Informationsgesetze werden anschaulich, wenn man sich zunächst die Rechtslage vor ihrer Einführung vergegenwärtigt. Beispielhaft hierfür lässt sich das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 29 VwVfG6 heranziehen, welches gleichsam den „Klassiker“ der Informationsrechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung bildet.7 Dieses Recht unterliegt folgenden Beschränkungen: – Mit Blick auf die zeitliche Dimension besteht ein Anspruch auf Akteneinsicht nur während eines Verwaltungsverfahrens. Außerhalb eines solchen stand die Gewährung von Akteneinsicht vor Erlass der Informationsgesetze im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.8 – Zum Kreis der Berechtigten zählen gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG lediglich die Beteiligten i. S. v. § 13 VwVfG. Dies bedeutet, dass der Akteneinsicht ersuchende Bürger entweder Antragsteller bzw. -gegner, Adressat des zu erlassenden Verwaltungsakts (bzw. Partner eines öffentlichrechtlichen Vertrags) oder zum Verfahren hinzugezogener Drittbetroffener sein muss. – Des Weiteren ist Voraussetzung, dass auf Seiten des Berechtigten ein rechtliches Interesse vorliegt; dies ist der Fall, wenn die Akteneinsicht zur Beseitigung von Unsicherheiten betreffend ein Rechtsverhältnis beitragen, der Regelung eines rechtlich relevanten Verhaltens dienen oder die Grundlage für eine Anspruchsverfolgung schaffen soll.9 Der Anspruch besteht demgemäß nur insoweit, als die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidigung dieser rechtlichen Interessen erforderlich ist (§ 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Auch für Akteneinsichtsgesuche außerhalb von Verwaltungsverfahren wurde vor Erlass der Informationsgesetze ein berechtigtes Interesse gefordert.10 ___________ 6
Die folgenden Ausführungen zum VwVfG gelten ebenso für die entsprechenden Bestimmungen des SGB X, welches ein Akteneinsichtsrecht in § 25 vorsieht. 7 Zwar bestanden auch vor Erlass der hier behandelten Informationsgesetze bereits voraussetzungslose Informationsansprüche, so etwa nach § 3 Abs. 1 S. 1 StUG und § 5 Abs. 1 BArchG. Hierbei handelt es sich aber um einen Informationszugang in gegenständlich und bezogen auf die zugänglichen Quellen äußerst begrenzten Nischenbereichen, welche die frühere Rechtslage in keinster Weise repräsentativ widerspiegeln. 8 BVerwGE 69, 278 (279); Ziekow, VwVfG, 2006, § 29 Rn. 2 m.w.N. 9 Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 4), § 29 Rn. 42. 10 BVerwGE 69, 278 (279 f.) m.w.N.
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– Die Berechtigung erstreckt sich nur auf die das gegenständliche Verwaltungsverfahren betreffenden Akten.11 – Materiell Informationspflichtiger und Anspruchsgegner ist lediglich die verfahrensführende Behörde. Ein Zugang zu Informationen privater Unternehmer oder gar ein Direktanspruch gegen diese besteht nicht, es sei denn, die Betreffenden erfüllen ausnahmsweise, nämlich als Beliehene, den funktionellen Behördenbegriff des § 1 Abs. 4 VwVfG. – Schließlich ist auch der Rechtsschutz bei Verweigerung der Akteneinsicht eingeschränkt. Erfolgt die Ablehnung während eines Verwaltungsverfahrens, handelt es sich nämlich um eine gemäß § 44 a VwGO grundsätzlich12 nicht isoliert, sondern nur gemeinsam mit der Sachentscheidung anfechtbare Verfahrenshandlung. Die nach Maßgabe von § 29 VwVfG zu gewährende Akteneinsicht ist somit nicht selbständig einklagbar. 2. Rechtslage nach Einführung der UIG/IFG a) Rechtsgrundlagen der Informationsansprüche Als bedeutendste Beispiele für Informationsmöglichkeiten, die erheblich über das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG hinausgehen, lassen sich die Bereiche der Umweltinformationen und der allgemeinen Informationsfreiheit anführen. Das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen findet seinen Ursprung in der europäischen Richtlinie 90/313/EWG vom 7.6.1990,13 welche bis Ende 1992 umzusetzen war. Nachdem die Richtlinie mangels rechtzeitiger Umsetzung in Deutschland ab 1.1.1993 unmittelbare Geltung erlangt hatte, kam der Gesetzgeber seiner Verpflichtung mit dem zum 16.7.1994 in Kraft getretenen Umweltinformationsgesetz (UIG) nach.14 Dieses galt sowohl für die Bundesals auch Landesebene. Zurückgehend auf die Richtlinie 2003/4/EG vom 28.1.2003, die ihrerseits eine Reaktion – erstens – auf erkannten Optimierungs___________ 11
Guckelberger, Informatisierung der Verwaltung und Zugang zu Verwaltungsinformationen, VerwArch 2006, 62 (73). 12 Ausnahmen gelten vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG bei unzumutbaren Nachteilen infolge Verweigerung einer gerichtlichen Überprüfung, vgl. BVerfG, NJW 1991, 415 f. 13 Hierzu Scherzberg, Der freie Zugang zu Informationen über die Umwelt. Rechtsfragen der Richtlinie 90/313/EWG, UPR 1992, 48 ff. 14 Zu diesem außer der Kommentarliteratur etwa Erbguth/Stollmann, Zum Entwurf eines Umweltinformationsgesetzes, UPR 1994, 81 ff.; Scherzberg, Freedom of information – deutsch gewendet – Das neue Umweltinformationsgesetz, DVBl 1994, 733 ff.; Turiaux, Das neue Umweltinformationsgesetz, NJW 1994, 2319 ff.
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bedarf15 und – zweitens – die Vorgaben der Århus-Konvention16 darstellt,17 erließ der Bundesgesetzgeber mit Wirkung vom 14.2.2005 das neue UIG, welches diesmal aus Kompetenzgründen nur informationspflichtige Stellen des Bundes erfasst.18 Während der Bund mit dem o. g. Termin seiner Umsetzungspflicht in zeitlicher Hinsicht exakt nachkam, galt bzw. gilt in den Ländern, die kein entsprechendes UIG erlassen haben, die Richtlinie 2003/4/EG unmittelbar. Gegenwärtig betrifft dies noch ein Bundesland, welches aber bereits einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht hat. Die (nicht auf völkerrechtlichen oder europäischen Vorgaben beruhende) allgemeine Informationsfreiheit gründet sich auf Bundesebene auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vom 5.9.2005, in Kraft seit 1.1.2006.19 Vergleichbare Informationsgesetze bestehen auf Landesebene derzeit in 8 Bundesländern. Während das UIG zum IFG im Verhältnis der Spezialität steht, bleiben die verwaltungsverfahrensrechtlichen Akteneinsichtsrechte von den Ansprüchen aus den Informationsgesetzen unberührt (§ 3 Abs. 1 S. 2 UIG, § 1 Abs. 3 IFG).20
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Siehe Erwägungsgründe 4, 6 ff. Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, von der EU gezeichnet am 25.6.1998. Das Übereinkommen wird in Bezug genommen in Erwägungsgrund 5 der RL 2003/4/EG. 17 Hierzu v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 ff.; Schlacke, Aarhus-Konvention: Information, Beteiligung und Rechtschutz in Umweltangelegenheiten. Auswirkungen von völker- und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben auf das deutsche Umweltrecht, UVP-Report 2005, 67 ff.; Ziekow, Strategien zur Umsetzung der Århus-Konvention in Deutschland: Einbettung in das allgemeine Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht oder sektorspezifische Sonderlösung für das Umweltrecht?, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005, S. 39 ff. 18 BT-Drs. 15/3406, S. 1, 12. 19 Im Jahr 2006 gingen auf Bundesebene 2278 auf das IFG gestützte Anträge ein, von denen 605 auf die Bundesministerien und 1673 auf die ihnen nachgeordneten Behörden entfielen; vgl. BT-Drs. 16/4042, S. 2 und Anhang (Gesamtstatistik). 20 Zum Verhältnis des IFG zu anderen Gesetzen OVG Münster, NWVBl. 2006, 296 f.; Rossi, Informationsfreiheitsgesetz, 2006, § 1 Rn. 102 ff.; Stabno (Fn. 5), S. 66 ff. 16
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b) Wesentliche Unterschiede zum Akteneinsichtsrecht Stellt man die aus den neuen Informationsgesetzen21 resultierenden Berechtigungen denjenigen aus § 29 VwVfG gegenüber, so ergeben sich folgende Unterschiede:22 – Die Informationsansprüche bestehen unabhängig von laufenden Verwaltungsverfahren, erfahren in der zeitlichen Dimension mithin keine Beschränkung auf die Dauer eines solchen Verfahrens. – Berechtigter ist „jeder“ (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG) bzw. „jede Person“ (§ 3 Abs. 1 S. 1 UIG), d. h. natürliche und juristische Personen, wobei bezogen auf juristische Personen nur solche des Privatrechts begünstigt sein sollen.23 – Die Ansprüche sind voraussetzungslos, mithin nicht an das Bestehen eines rechtlichen Interesses gebunden (s. explizit § 3 Abs. 1 S. 1 UIG). Freilich ist das Informationsinteresse des Antragstellers nicht insgesamt bedeutungslos, sondern bei der Abwägung im Rahmen der Entscheidung über einen evtl. Ausschluss des Anspruchs zu berücksichtigen.24 Insgesamt besteht allerdings allein eine Begründungslast auf Seiten der informationspflichtigen Stelle, nicht des Antragstellers. – Mangels Verknüpfung mit einem laufenden Verwaltungsverfahren erfasst der Anspruch nicht lediglich die dieses Verfahren betreffenden Akten, sondern erstreckt sich grundsätzlich auf alle amtlichen Informationen bzw. Umweltinformationen (§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 IFG; §§ 3 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 3 UIG).25 – Der Kreis der materiell Informationspflichtigen bezieht neben Behörden auch private Unternehmen ein, wobei Letztere im Bereich der Umweltinformationen auch Anspruchsgegner sind, während im Bereich der allgemeinen Informationsfreiheit der Anspruch je nach Gesetzeslage u. U. gegen die Behörde zu richten ist, welche den Privaten in die Aufgabenerfüllung einbezogen hat.26 ___________ 21 Zu den Unterschieden zwischen beiden Regelwerken Schrader, UIG und IFG – Umweltinformationsgesetz und Informationsfreiheitsgesetz im Vergleich, ZUR 2005, 568 ff. 22 Paragraphenangaben ohne Benennung des Rechtsträgers beziehen sich in der weiteren Darstellung auf die jeweiligen Gesetze des Bundes. 23 BT-Drs. 15/3406, S. 15; BT-Drs. 15/4493, S. 7. Zur Kritik an dieser strikten Einschränkung Stabno (Fn. 5), S. 50 m.w.N. 24 Hierzu unten IV. 2. 25 Zum Gegenstand der Ansprüche im Einzelnen s. unten IV. 1. 26 Siehe dazu unten III. 2.
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– Die Ansprüche können selbständig auf dem Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht werden; da die Informationsgewährung, auch soweit ein Verwaltungsverfahren läuft, keine Verfahrenshandlung i.S.v. § 44a VwGO darstellt, gilt die dort angeordnete Beschränkung für Rechtsbehelfe nicht.27 c) Ursachen für die Erweiterung der Informationsrechte Die Ursachen dieser Ausweitung der Informationsansprüche des Bürgers liegen, soweit Umweltinformationen betroffen sind, in den bereits unter a) dargestellten rechtlichen Verpflichtungen, die sich aus den europäischen Richtlinien sowie aus der auch von Deutschland gezeichneten Århus-Konvention ergeben. Im Hinblick auf die allgemeine Informationsfreiheit bestanden solche rechtlichen Vorgaben nicht. Die Einräumung eines voraussetzungslosen Informationsrechts auch über den Bereich der Umweltinformationen hinaus ist daher vornehmlich politisch motiviert. Auf Bundesebene waren hier die bereits eingangs geschilderten Überlegungen zur Effektuierung des Rechts- und Interessenschutzes infolge Transparenz des Verwaltungshandelns, zur Förderung der Partizipation – auch als Ausdruck eines Wandels des Verwaltungsverständnisses hin zu kooperativem und konsensorientiertem Handeln –, zur Verbesserung der Kontrolle und zur Stärkung der Akzeptanz leitend, wobei rechtsvergleichende Hinweise auf einschlägige Gesetze im europäischen und internationalen Raum die Notwendigkeit einer Reaktion auf entsprechende globale Tendenzen unterstreichen.28
III. Kreis der informationspflichtigen Privaten Wendet man sich nun der Frage zu, welche privaten Unternehmen Informationen zu erteilen haben, so ist zwischen zwei Tatbeständen zu unterscheiden, nämlich der materiellen Informationspflicht einerseits und der Eigenschaft als Anspruchsgegner des Informationsanspruchs andererseits. Diese Differenzierung ist deswegen von Bedeutung, weil die Informationsgesetze, wie bereits erwähnt,29 nicht stets vorsehen, dass der Anspruch direkt gegenüber dem Privaten geltend gemacht werden kann.
___________ 27
Guckelberger, Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Umweltinformationsanspruchs, UPR 2006, 89 (91); zu den Rechtsschutzfragen im Einzelnen s. unten V. 28 Zum Ganzen BT-Drs. 15/4493, S. 6. 29 Siehe oben II. 2. b).
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1. Materiell verpflichtete private Stellen Die materielle Informationspflicht erfasst zunächst sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen des Privatrechts (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG; § 1 Abs. 1 S. 2 IFG), somit jegliche privaten Unternehmen unabhängig von der Rechtsform. Weiter ist Voraussetzung, dass diese Privaten in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einbezogen werden. Die Informationsgesetze verwenden diesbezüglich voneinander abweichende Formulierungen, die z. T. Unklarheiten hinsichtlich des Anwendungsbereichs hervorgerufen haben. So wird z. B. gefordert, dass – die Behörde sich der privaten Person zur Erfüllung ihrer öffentlichrechtlichen Aufgaben bedient (§ 1 Abs. 1 S. 3 IFG; § 3 Abs. 4, 1. Alt. IFG SH), dieser Person die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben übertragen wird (§ 3 Abs. 4, 2. Alt. IFG SH) oder sie öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnimmt (§ 1 Abs. 4 IFG NRW), oder – die private Person öffentliche Aufgaben wahrnimmt oder (umweltbezogene) öffentliche Dienstleistungen erbringt und dabei der Kontrolle des Bundes oder einer unter Bundesaufsicht stehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterliegt (§ 2 Abs. 1 Nr. UIG).30 Die Formulierung „öffentlich-rechtliche Aufgaben“ im Unterschied zu „öffentliche Aufgaben“ hat einen Streit darüber ausgelöst, ob die Informationspflicht des Privaten davon abhängig ist, dass er in öffentlich-rechtlichen Handlungsformen tätig wird.31 Die Forderung nach einem solchen Tätigwerden ist jedoch zu verneinen. Vielmehr wird man „öffentlich-rechtliche Aufgaben“, ebenso wie „öffentliche Aufgaben“ und im Unterschied etwa zu „öffentlichrechtliche Verwaltungstätigkeit“ i.S.v. § 1 Abs. 1 VwVfG32, als handlungsform-unabhängig betrachten müssen.33 Eine auf öffentlich-rechtliche Handlungsformen beschränkte Auslegung verbietet sich schon angesichts Art. 2 Nr. 2 Buchst c. RL 2003/4/EG, der ebenfalls lediglich von „öffentlichen Aufgaben“ spricht. Außerdem erlangt die Erstreckung der Informationspflichten ___________ 30 Der Begriff der Kontrolle wird in § 2 Abs. 2 UIG näher bestimmt. Er erfasst entweder von der öffentlichen Hand über Kapital-, Stimmrechts- oder Mitgliedermehrheit in Organen beherrschte Unternehmen oder solche, die gegenüber Dritten besonderen Pflichten (z. B. Kontrahierungszwang) unterliegen oder mit besonderen Rechten (z. B. Anschluss- und Benutzungszwang) ausgestattet sind. 31 In diesem Sinne VG Schleswig-Holstein, Urt. vom 7.9.2005 – 6 A 269/04. 32 Hierzu OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 800 (803). 33 So deutlich BT-Drs. 12/7138 S. 11 zum UIG 1994; Merten, Umweltinformationsgesetz und privatrechtliches Handeln der Verwaltung, NVwZ 2005, 1157 (1158 f.).
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auf Private nur dann eine eigenständige Bedeutung, wenn auch das Tätigwerden derselben in Privatrechtsform erfasst wird,34 zumal die Informationsgesetze gerade auch solche Private erfassen sollen, die nicht beliehen werden.35 Die Vorschriften zur Einbeziehung Privater enthalten keine Klarstellung und damit einhergehende Beschränkung, dass (nur) Beliehene unter die informationspflichtigen Privaten fallen.36 Beliehene sind nämlich schon unter den Begriff der Behörde bzw. öffentlichen Stelle zu subsumieren37 und werden daher von diesen Bestimmungen überhaupt nicht erfasst. Im Übrigen sollte der Personenkreis, der nach den Vorschriften über die Einbeziehung Privater zu behandeln ist, möglichst weit gezogen werden. Dies erscheint erforderlich, um Defiziten der Informationsfreiheit oder ihrer effektiven Durchsetzung vorzubeugen, die sich durch die Wahl bestimmter Organisationsformen und Modi der Aufgabenerfüllung ergeben könnten. So sind bei Informationsgesetzen, die – wie das UIG – zwei potentielle Anspruchsgegner vorsehen, Unklarheiten bezüglich der Zuordnung zu den öffentlichen oder privaten Stellen und die Gefahr einer Informationsverweigerung unter Verweis auf den jeweils anderen Verpflichteten zu vermeiden.38 Daher sollten etwa Eigengesellschaften, d. h. zu 100% von der öffentlichen Hand getragene Unternehmen in Privatrechtsform, als private Stellen eingestuft werden;39 dass sich die öffentliche Hand durch diese Rechtsformwahl nicht i. S. e. „Flucht ins Privatrecht“ den Informationspflichten soll entziehen können, bedarf keiner vertieften Erörterung. Ebenso sollten zur Verhinderung von Abgrenzungsschwierigkeiten Verwaltungshelfer, wie im Bereich der allgemeinen Informationsfreiheit auch,40 als umweltinformationspflichtige Private behandelt werden, und zwar unabhängig davon, ob es sich um selbständige oder unselbständige Hilfspersonen handelt. Abzulehnen ist aus diesem Grunde die vom Bundesgesetzgeber intendierte Ausnahme der Verwaltungshelfer von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG unter Hinweis auf das Erfordernis einer Aufgabenwahrnehmung im eigenen
___________ 34 Vgl. Schomerus, in: ders./Schrader/Wegener, Umweltinformationsgesetz, 2. Aufl. 2002, § 2 Rn. 15 f. 35 Vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 8. 36 So aber VG Düsseldorf, NWVBl. 2006, 305 f. 37 Vgl. Scheel, in: Berger/Roth/Scheel, Informationsfreiheitsgesetz, 2006, § 1 Rn. 31 f.; Schomerus (Fn. 34), § 3 Rn. 9; Stabno (Fn. 5), S. 60; a.A. Fluck/Theuer, in: dies. (Hrsg.), Informationsfreiheitsrecht, Stand März 2007, § 2 UIG Bund Rn. 231. 38 Vgl. Schomerus (Fn. 34), § 2 Rn. 25. 39 Ebenso Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags NRW, Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) auf juristische Personen des Privatrechts in öffentlicher Hand, 2004. 40 So explizit BT-Drs. 15/4493, S. 8.
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Namen,41 und zwar selbst wenn in diesem Fall die Informationserteilung über die Behörde sichergestellt wäre. Bedenken bestehen schließlich auch in Bezug auf den gemeinschaftsrechtlich so nicht vorgegebenen engen Kontrollbegriff des § 2 Abs. 2 UIG, der nicht von der öffentlichen Hand beherrschte bzw. nicht mit den genannten Sonderrechten oder -pflichten versehene Unternehmen von der Informationspflicht ausnimmt – ein Ergebnis, das die mit der RL 2003/4/EG erstrebten Optimierungsziele42 schwerlich fördern dürfte. Zu den materiell informationspflichtigen privaten Unternehmen sind unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen somit zu zählen: – Eigengesellschaften der öffentlichen Hand; – gemischtwirtschaftliche Gesellschaften, vor allem PPP-Projektgesellschaften unter Beteiligung der öffentlichen Hand; eine Beherrschung durch Letztere sollte zur Vermeidung von Defiziten der Informationsfreiheit nicht gefordert werden; – private PPP-Projektgesellschaften ohne Beteiligung der öffentlichen Hand, die von einem austauschvertraglich mit den staatlichen Stellen verbundenen Kooperationspartner getragen werden; – sonstige Unternehmen, die als selbständige oder unselbständige Verwaltungshelfer in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einbezogen werden. Beliehene fallen wie erwähnt nicht unter die privaten Stellen, da sie den Behörden bzw. öffentlichen Stellen zuzuordnen sind. 2. Anspruchsgegner § 4 Abs. 1 UIG 2005 und die Umweltinformationsgesetze der Länder sehen – anders als noch § 9 Abs. 1 UIG 1994 – jeweils die Möglichkeit einer direkten Inanspruchnahme des materiell informationspflichtigen Privaten vor. Im Bereich der allgemeinen Informationsfreiheit besteht auf Bundesebene kein Direktanspruch gegen das Unternehmen, sondern der Antrag ist an die Behörde zu richten, die sich des Privaten zur Aufgabenerfüllung bedient (§ 7 Abs. 1 S. 2 IFG). Die Behörde hat sich die Informationen vom Privaten zu verschaffen, der ihr gegenüber im Innenverhältnis zur Bereitstellung verpflichtet ___________ 41
So BT-Drs. 15/3406, S. 14; Fluck/Theuer (Fn. 37), § 2 UIG Bund Rn. 240; wie hier zur gleichlautenden Anforderung („Aufgaben wahrnehmen“) in § 2 Nr. 2 UIG 1994 dagegen Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, Hinweise zur Anwendung des Umweltinformationsgesetzes (UIG), 2002, S. 7; Schomerus (Fn. 34), § 2 Rn. 25. 42 Siehe hierzu die Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere Nr. 11 und 12.
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ist. Die bislang erlassenen Ländergesetze sehen überwiegend Gleiches vor, sei es im Wege der dynamischen Verweisung auf das IFG,43 sei es durch Aufnahme einer entsprechenden Regelung.44 In einigen Ländern können die informationspflichtigen Unternehmen dagegen auch direkt in Anspruch genommen werden.45
IV. Inhalt und Grenzen der Informationsansprüche 1. Gegenstand der Informationsansprüche Der Anspruch nach dem UIG umfasst die bei der informationspflichtigen Stelle vorhandenen oder von Dritten für sie bereitgehaltenen46 Umweltinformationen. Dies sind gemäß dem Katalog des § 2 Abs. 3 UIG47 unabhängig von der Art ihrer Speicherung alle Daten über – den Zustand der Umweltbestandteile einschließlich ihrer Wechselwirkungen; – umweltrelevante Einwirkungsfaktoren; – Maßnahmen oder Tätigkeiten, welche sich auf die Umweltbestandteile oder die Einwirkungsfaktoren auswirken oder Umweltschutzzwecken dienen; – Berichte über die Umsetzung des Umweltrechts; – wirtschaftliche Analysen bezogen auf umweltrelevante Maßnahmen oder Tätigkeiten; – den Zustand der menschlichen Gesundheit, Sicherheit und Lebensbedingungen (einschließlich Kontamination der Lebensmittelkette) sowie über Bauwerke und Kulturstätten, soweit jeweils vom Umweltzustand, den Einwirkungsfaktoren, Maßnahmen oder Tätigkeiten betroffen. Im Unterschied zum UIG enthält das IFG keinen Katalog, sondern erstreckt sich allgemein auf amtliche Informationen, worunter gemäß § 2 Nr. 1 IFG alle amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen zu verstehen sind, ebenfalls un___________ 43
Siehe etwa § 1 Abs. 1 S. 1 HmbIFG. Siehe etwa § 6 Abs. 4 IFG SH. 45 Siehe etwa § 2 Abs. 4 AIG Brbg; § 4 Abs. 1 IFG NRW; hierzu auch OVG Münster, NWVBl. 2006, 295 f. 46 Zu den beiden Verfügbarkeitsalternativen Fluck/Theuer (Fn. 37), § 2 UIG Bund Rn. 399 ff., 410 ff. 47 Hierzu im Einzelnen Fluck/Theuer (Fn. 37), § 2 UIG Bund Rn. 269 ff. 44
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abhängig von der Art der Aufzeichnung; Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, gehören nicht dazu. 2. Ausschluss der Informationsansprüche Die Ansprüche nach den Informationsgesetzen gelten zwar voraussetzungs-, aber nicht schrankenlos. Entsprechend sehen die Regelwerke umfangreiche Ausschlusskataloge vor, die im Detaillierungsgrad die Ausnahmetatbestände etwa des § 29 Abs. 3 VwVfG bezogen auf das Akteneinsichtsrecht deutlich übertreffen, letztlich aber die gleichen Interessen schützen. Ausschlussgründe bilden daher – der Schutz besonderer öffentlicher Belange (§ 8 UIG; §§ 3, 4 IFG), z. B. der Außenbeziehungen oder der öffentlichen Sicherheit, desgleichen Vertraulichkeitsinteressen sowie der Schutz des (ungehinderten) behördlichen Entscheidungsprozesses;48 das UIG sieht hier allerdings jeweils eine Abwägung gegen das öffentlichen Interesse an Bekanntgabe vor, welches bei Überwiegen zur Erteilung der Information führt; – der Datenschutz (§ 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UIG; § 5 IFG),49 freilich vorbehaltlich Einwilligung oder überwiegenden Informations- bzw. öffentlichen Bekanntgabeinteresses; – der Schutz sonstiger (privater) Belange (§ 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 UIG; § 6 IFG), namentlich des geistigen Eigentums sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen,50 wobei diese Belange im Bereich des UIG ebenfalls wieder gegen das öffentliche Interesse an Bekanntgabe abzuwägen sind. 3. Modalitäten der Informationserteilung Die Informationen werden auf Antrag in Form von Auskünften, Akteneinsicht oder in sonstiger Weise gewährt. Hierbei steht die Art der Erteilung im Ermessen des Antragsgegners, der allerdings entsprechende Wünsche des Berechtigten zu berücksichtigen hat und nur aus wichtigem Grund, z. B. wegen deutlich höheren Verwaltungsaufwands, ablehnen darf (§ 3 Abs. 2 UIG; § 1 ___________ 48
Zu Letzterem Roth, in: Berger/Roth/Scheel (Fn. 37), § 4 Rn. 1 ff. Hierzu Roßnagel, Konflikte zwischen Informationsfreiheit und Datenschutz?, MMR 2007, 16 ff.; Stabno (Fn. 5), S. 105 ff. 50 Hierzu Kiethe/Gröschke, Informationsfreiheitsgesetz – Informationsfreiheit contra Betriebsgeheimnis? – Notwendige Vorkehrungen für den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, WRP 2006, 303 ff.; Rossi (Fn. 20), § 9 Rn. 6 ff., 61 ff. 49
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Abs. 2 IFG).51 Besteht der Anspruch infolge Ausschlussgründen nur zum Teil, sind die von diesen Gründen nicht betroffenen Informationen zugänglich zu machen (§ 5 Abs. 3 UIG; § 7 Abs. 2 IFG). Informationen nach dem IFG sind unverzüglich, jedenfalls möglichst binnen Monatfrist zu erteilen, d. h. tatsächlich bereitzustellen,52 diejenigen nach dem UIG ebenfalls innerhalb eines Monats bzw. in komplexen Fällen binnen zwei Monaten; diese Fristen gelten auch für die Ablehnung des Antrags, sei es, dass diese insgesamt oder nur hinsichtlich der gewünschten Modalitäten erfolgt (§§ 3 Abs. 3 S. 2, 5 Abs. 1 UIG; § 7 Abs. 5 S. 2, 9 Abs. 1 IFG). Informationen nach dem UIG oder IFG werden grundsätzlich nicht gratis gewährt, sondern stellen kostenpflichtige Leistungen dar. Erteilen die privaten Unternehmen Umweltinformationen selbst, können sie hierfür gemäß § 12 Abs. 4 UIG nach den für die Behörden geltenden Grundsätzen betreffend die Zulässigkeit der Kostenerhebung und die Bemessung der Gebühren eine Kostenerstattung verlangen, wobei sich die jeweiligen Entgelte und Auslagen hier ebenfalls nach den Kostensätzen der UIGKostV bestimmen. Im Bereich der allgemeinen Informationsfreiheit, wo der Anspruch gegenüber der Behörde geltend gemacht wird, erhebt diese Gebühren und Auslagen nach § 10 IFG i.V.m. der IFGGebV. In beiden Fällen sind einfache (mündliche und schriftliche) Auskünfte aber kostenfrei gestellt.
V. Rechtsschutzmöglichkeiten des Informationssuchenden Abschließend ist der Frage nachzugehen, welche Möglichkeiten dem Informationsberechtigten zur Verfügung stehen, um seinen Anspruch auf Erteilung von Informationen rechtlich durchzusetzen. Wie unter II. 2. b) ausgeführt, sind die voraussetzungslos gewährten Informationsansprüche selbständig gerichtlich verfolgbar. Im Einzelnen bedarf es allerdings der Differenzierung zwischen der Rechtslage nach dem UIG einerseits und dem IFG andererseits. 1. Umweltinformationen Gemäß § 6 Abs. 1 UIG ist für Streitigkeiten nach dem UIG der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, unabhängig davon, ob ein Anspruch gegen öffentliche ___________ 51
In gleichem Sinne zu § 4 Abs. 1 UIG 1994 bereits BVerwGE 102, 282 (284 ff.). Für eine Interpretation in diesem Sinne Berger, in: Berger/Roth/Scheel (Fn. 37), § 7 Rn. 20; Rossi (Fn. 20), § 7 Rn. 41 f.; a.A. Schmitz/Jastrow, Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, NVwZ 2005, 984 (990), wonach schon eine Bescheidung innerhalb dieses Zeitraums genüge. 52
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oder private Stellen geltend gemacht wird. Ein Vorverfahren ist allerdings nur bei Ansprüchen gegen öffentliche Stellen durchzuführen (§ 6 Abs. 2 UIG); richtige Klageart ist dort die Verpflichtungsklage bzw. bei Säumigkeit die Untätigkeitsklage, da (jedenfalls) die Ablehnung des Informationsanspruchs einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG darstellt.53 Im Falle der Inanspruchnahme privater Unternehmen sieht § 6 Abs. 3 und 4 UIG dagegen kein Widerspruchsverfahren, sondern ein Selbstüberprüfungsverfahren vor, welches – anders als regelmäßig das Vorverfahren bei Verpflichtungsklagen – fakultativ ist, mithin keine Voraussetzung für die Klageerhebung bildet. Nicht zuletzt angesichts dieser Verschiedenbehandlung stellt sich die Frage nach der für die Verfolgung von Informationsansprüchen gegen Private statthaften Klageart. Hier wird man zutreffenderweise nicht von einer Verpflichtungsklage ausgehen können, sondern die – nicht fristgebundene – allgemeine Leistungsklage für die richtige Vorgehensweise halten müssen, da die besseren Gründe dafür sprechen, in der Ablehnung des Informationsgesuchs durch Private keinen Verwaltungsakt zu erblicken.54 Zwar könnten § 5 Abs. 1 S. 4 UIG, der die Anwendung von § 39 Abs. 2 VwVfG ausschließt, und die unterschiedslose Verwendung des Begriffs „Ablehnungsbescheid“ in der Gesetzesbegründung55 auf einen solchen schließen lassen. Indes ist dem UIG keine Regelung zu entnehmen, wonach den Unternehmen entsprechende Befugnisse für ein hoheitliches Tätigwerden mittels Verwaltungsakts, die bei Privaten die Ausnahme bilden56 und zwingend einer gesetzlichen Grundlage bedürfen,57 übertragen würden. Diesbezüglich sei daran erinnert, dass es sich bei den privaten informationspflichtigen Stellen gemäß § 2 Nr. 2 UIG gerade nicht um Beliehene handelt.58 Überdies wären in diesem Fall die explizite Anordnung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 6 Abs. 1 UIG) und die spezielle Kostenerstattungsregelung in § 12 Abs. 4 UIG überflüssig sowie, um noch einmal darauf zurückzukommen, die o. g. Sonderregelung betreffend das Vorverfahren wenig nachvollziehbar.59 Im Falle von Klagen auf Informationszugang stellt sich die Problematik der Vereinbarkeit mit den im Verwaltungsprozessrecht (§§ 99, 100 VwGO) vorge___________ 53 So – auch für die stattgebende Entscheidung – Guckelberger (Fn. 27), S. 91; Rossi (Fn. 20), § 9 Rn. 23; Stabno (Fn. 5), S. 157, 162 f.; betreffend die Akteneinsicht Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 4), § 29 Rn. 81. 54 Guckelberger, (Fn. 27), S. 92 f.; dies. (Fn. 11), S. 78 f.; a.A. Schomerus/Clausen, Informationspflichten Privater nach dem neuen Umweltinformationsgesetz am Beispiel der Exportkreditversicherung, ZUR 2005, 575 (580). 55 BT-Drs. 15/3406, S. 17. 56 BVerfGE 9, 268 (284); BVerwGE 57, 55 (59); BVerwG DÖV 2006, 651; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2007, § 8 Rn. 12. 57 BVerwG DÖV 2006, 651; StGH Bremen, NordÖR 2002, 60 (61). 58 Siehe oben III. 1. 59 Zum Ganzen Guckelberger (Fn. 27), S. 92 f.; dies. (Fn. 11), S. 78 f.
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sehenen Aktenvorlagepflichten und -einsichtsrechten. Denn zu den nach § 99 Abs. 1 VwGO dem Gericht vorzulegenden Akten und Unterlagen gehören auch die hauptsächlich streitbefangenen, nach den Informationsgesetzen angeforderten Dokumente.60 Um einerseits zu verhindern, dass der vom Anspruchsgegner geltend gemachte Geheimhaltungszweck vereitelt und das Rechtsschutzziel der Hauptsache, nämlich die Gewährung der streitbefangenen Information, vorzeitig erreicht wird, andererseits aber dennoch die Frage gerichtlich klären zu können, ob die Aktenvorlage verweigert werden darf, sieht der 2001 geänderte § 99 Abs. 2 VwGO nunmehr ein sog. „in-camera“-Verfahren vor einem Fachsenat des OVG vor.61 Für die in diesem Verfahren vorzulegenden Dokumente besteht dann gemäß § 99 Abs. 2 S. 9 VwGO das aufgrund § 100 VwGO gewährte Recht der Beteiligten auf Akteneinsicht konsequenterweise nicht. 2. Allgemeine Informationsfreiheit Im Bereich des IFG gestaltet sich die Situation insofern einfacher, als hier der Anspruch gegenüber der Behörde geltend gemacht wird und sich in Bezug auf den Rechtsschutz keine Besonderheiten ergeben. Art. 9 Abs. 4 IFG stellt klar, dass gegen die – als Verwaltungsakt zu qualifizierende62 – Ablehnungsentscheidung Widerspruch und Verpflichtungsklage zulässig sind. Bleibt die erstrebte Behördenentscheidung über ein Informationsgesuch aus, steht dem Antragsteller nach Maßgabe von § 75 VwGO die Untätigkeitsklage offen.
VI. Fazit Mit den neuen Informationsgesetzen geht eine erhebliche Erweiterung der Informationsrechte des Bürgers einher. Diesen steht nunmehr unabhängig von ihrer Stellung in einem konkreten Verfahren sowie von materiellen Zugangsvoraussetzungen ein selbständig einklagbarer Anspruch auf Erteilung eines breiten Spektrums von Verwaltungsinformationen nicht nur der Behörden, sondern auch der in die öffentliche Aufgabenerledigung einbezogenen privaten Unternehmen zu. Freilich weisen UIG und IFG hinsichtlich der Behandlung bestimmter Privater (insbesondere Verwaltungshelfer), der Handlungsformen ihrer Tätigkeit, der Möglichkeiten eines Direktanspruchs gegen die Unternehmen und des Rechtsschutzes Unklarheiten bzw. Divergenzen auf. Insgesamt ___________ 60 61 62
BVerwG, DVBl. 2006, 1245 f. Hierzu Guckelberger (Fn. 27), S. 94 f. Siehe oben 1.
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sind die Regelwerke jedoch im Sinne der Interessenwahrnehmung und Partizipation des Bürgers sowie der Transparenz und Akzeptanz des Verwaltungshandelns zu begrüßen. Sie tragen der zunehmenden Bedeutung von Information als Steuerungsressource sowie – durch die Einbeziehung privater Unternehmen in den Kreis der Verpflichteten – auch dem Formenwandel staatlicher Aufgabenerfüllung Rechnung. Allerdings sei davor gewarnt, die o. g. Einsichten in einen aus Übermotivation gespeisten inflationären Erlass zusammenhangloser und ggf. sogar widersprüchlicher Informationsgesetze münden zu lassen mit der Folge, dass der Bürger sich in einem undurchdringlichen Dickicht von Vorschriften wiederfindet, was letztlich zu Lasten einer effektiven Wahrnehmung seiner Rechte geht. So stehen aktuell beispielsweise mit dem im ersten Anlauf gescheiterten Verbraucherinformationsgesetz63 und zahlreichen auf Information gerichteten Vorgaben der EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG64 weitere umfangreiche Gesetzgebungsvorhaben vor der Tür. Diese könnten einen Anlass bieten, dem Gedanken an eine Kodifikation65 sämtlicher bestehender und künftiger Informationsrechte unter Einschluss u. a. auch des Datenschutzrechts in einem Informationsgesetzbuch näher zu treten.
___________ 63
BT-Drs. 16/1408. Siehe Art. 7, 21, 22, 26, 27 DLRL; zu den Informationspflichten nach Art. 7 und 21 DLRL Windoffer, in: Ziekow/Windoffer (Hrsg.), Ein einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleister, 2007, S. 38 ff. 65 Hierzu bereits Berliner Datenschutzbeauftragter, Jahresbericht 1990, I. 2.; Garstka, Zur Wissensordnung der Informationsverarbeitung – Plädoyer für ein allgemeines Informationsgesetz, in: Taeger/Wiebe (Hrsg.), Informatik – Wirtschaft – Recht: Regulierung in der Wissensgesellschaft, Festschrift für Wolfgang Kilian, 2004, S. 189 ff.; Kloepfer, Informationsgesetzbuch – Zukunftsvision?, K & R 1999, 241 ff.; ders., Informationsrecht, 2002, § 1 Rn. 93, § 4 Rn. 19. 64
Verzeichnis der Autoren Prof. Dr. Peter Baumeister, Universität Mannheim/SRH Hochschule Heidelberg Prof. Dr. Annette Guckelberger, Universität des Saarlandes Dr. Kee-Hong Kang, Korea Research Institute for Local Administration Prof. Dr. Hae-Ryoung Kim, Hankook University of Foreign Studies Prof. Dr. Sung Soo Kim, Hanyang Universität Prof. Dr. Hans-Werner Laubinger, Universität Mainz Prof. Dr. Dr. Jong Hyun Seok, Dankook Universität/Korean Public Land Law Association Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, Universität Mannheim Prof. Dr. Dongsoo Song, Dankook Universität Prof. Dr. Ulrich Stelkens, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Alexander Windoffer, Deutsches Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer Prof. Dr. Jan Ziekow, Deutsches Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer/Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer