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German Pages 218 [237] Year 2020
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 450 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Yannick Diehl
Die Dogmatik der „Berücksichtigung“ im Internationalen Deliktsrecht Zu Art. 17 Rom II-VO
Mohr Siebeck
Yannick Diehl, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Potsdam; Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Potsdam; seit 2018 Rechtsreferendar im Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts; 2019 Promotion. orcid.org/0000-0003-4669-1129
ISBN 978-3-16-159655-1 / eISBN 978-3-16-159656-8 DOI 10.1628/978-3-16-159656-8 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2018 fertiggestellt und lag der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam vom Sommersemester 2018 bis zum Wintersemester 2019/20 als Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Juni 2018 umfangreich ausgewertet und eingearbeitet. Bis September 2019 konnten vereinzelt Neuerscheinungen des Schrifttums und neue Rechtsprechung ergänzt werden. Die Arbeit geht auf die Anregung und Betreuung durch Professor Götz Schulze zurück. Völlig überraschend ist Professor Schulze im Oktober 2018 im Alter von nur 54 Jahren verstorben. Er hat mich bereits zu Studienzeiten maßgeblich geprägt und mir durch die Einbindung in seinen Potsdamer Lehrstuhl zunächst als Student und später als akademischer Mitarbeiter den Zugang zur akademischen Welt eröffnet. Ich verdanke ihm sehr viel. Er fehlt mir ganz persönlich und als Ratgeber und akademischer Lehrer. Das Thema der vorliegenden Arbeit war ihm bereits seit Jahrzehnten ein akademisches Herzensanliegen. Umso bedauerlicher ist es, dass er den Abschluss meines Promotionsverfahrens nicht mehr miterleben durfte. Ich danke Professor Rolf Wagner für die Übernahme des Erstgutachtens, seine verbindliche Art und die engagierte Betreuung des Promotionsverfahrens. Auch er begleitet meinen Weg bereits seit meinen Studienzeiten und hat maßgeblich dazu beigetragen, mein Interesse für das Internationale Privatrecht zu wecken. In der erwähnten Ausnahmesituation hätte ich mir keinen besseren Betreuer für diese Arbeit wünschen können. Professor Heinz-Peter Mansel gilt mein Dank für die sofortige Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens, den produktiven inhaltlichen Austausch und nicht zuletzt die feinfühlige Reaktion auf die Ausnahmesituation an Professor Schulzes Lehrstuhl. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht (Hamburg) danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe. Herrn Jonathan Jung und Herrn Dr. Philip Matuschka danke ich für die Manuskriptkorrektur und ihre wertvollen Anregungen. Ferner danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen und Freundinnen und Freunden vom Potsdamer Lehrstuhl, insbesondere Frau Lara Hanner, Frau Ulrike Ising und Herrn Malte Ising für die schönen bleibenden Erinnerungen. Meinem Kollegen und Freund
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Vorwort
Herrn Ass. iur. Pirmin Emanuel Schreiner bin ich besonders zu Dank verpflichtet für die enge Zusammenarbeit, die intensiven Diskussionen und die bereichernde Unterstützung dieses Promotionsprojektes. Meinen Eltern Anke und Ulrich Diehl danke ich für Ihre Unterstützung und stets interessierte Begleitung meines Weges. Der größte Dank gilt meiner Frau Elina Rubertus, deren unermüdliche Unterstützung während der langen Zeit des Studiums und des Promotionsverfahrens über alle Schwierigkeiten hinweg bewundernswert und keineswegs selbstverständlich ist. Potsdam im März 2020
Yannick Diehl
Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................ V Inhaltsverzeichnis ................................................................................ IX Abkürzungsverzeichnis ..................................................................... XV
Erster Teil: Grundlagen .................................................................. 1 Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss.............................................. 3 Kapitel 2: Das Deliktsstatut................................................................. 15
Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips........................................................... 57 Kapitel 3: Die hergebrachte Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts ohne geschriebene Grundlage .............................................. 59 Kapitel 4: Eigener Ansatz: Die Berücksichtigung als Renormativierung der Verhaltensregel auf Sachrechtsebene ......... 109
Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO ............................................... 133 Kapitel 5: Historie ............................................................................. 135 Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO ......................................................................... 141 Kapitel 7: Ausgewählte Einzelfragen ................................................. 185
Vierter Teil: Schluss.................................................................... 191 Kapitel 8: Übertragung der Ergebnisse auf die Fallbeispiele ............ 193
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Inhaltsübersicht
Kapitel 9: Zusammenfassung und wesentliche Ergebnisse ................. 201 Literaturverzeichnis ........................................................................... 207 Sachverzeichnis ................................................................................. 217
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................ V Inhaltsübersicht ................................................................................. VII Abkürzungsverzeichnis ..................................................................... XV
Erster Teil: Grundlagen .................................................................. 1 Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss.............................................. 3 I. Art. 17 Rom II-VO ........................................................................... 4 1. Anerkannte Anwendungsbereiche ............................................... 6 2. Offene Fragen ............................................................................. 7 II. Fallbeispiele ..................................................................................... 8 1. Sprengung im Gebirge ................................................................ 8 2. Transnationale Textilproduktion ................................................. 9 a) Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza ..................................... 9 b) Brand in der Textilfabrik Ali Enterprise ................................ 9 3. Flugzeugabsturz ........................................................................ 10 III. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes ................................. 10 1. Haftung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen .................................................... 10 2. Reichweite der Datumtheorie.................................................... 11 IV. Gang der Untersuchung .................................................................. 12
Kapitel 2: Das Deliktsstatut................................................................. 15 I. Autonomes Kollisionsrecht ............................................................ 15 1. Historie ..................................................................................... 15 2. Die Grundregel des Art. 40 Abs. 1 EGBGB .............................. 16 a) Platzdelikte.......................................................................... 17 b) Distanzdelikte ..................................................................... 18 c) Sicherheits- und Verhaltensregeln ....................................... 19 II. Vereinheitlichtes Kollisionsrecht: Die Rom II-VO ......................... 19
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Inhaltsverzeichnis
1. Anwendungsbereich ................................................................. 20 2. Verweisungssystem der Rom II-VO ......................................... 21 a) Unerlaubte Handlung .......................................................... 21 aa) Platzdelikte .................................................................. 23 bb) Distanzdelikte .............................................................. 23 cc) Indirekte Schadensfolgen ............................................. 24 (1) Behandlungskosten............................................... 25 (2) Ansprüche mittelbar geschädigter Personen ......... 25 b) Freie Rechtswahl ................................................................. 26 c) Umfang des Deliktsstatuts ................................................... 27 III. Lösung der Ausgangssachverhalte ................................................. 28 1. Sprengung im Gebirge .............................................................. 28 2. Transnationale Textilproduktion ............................................... 30 3. Flugzeugabsturz ........................................................................ 33 IV. Wertungsfragen und Zweckbestimmungen ..................................... 35 1. Delikt im materiellen Recht ...................................................... 36 a) Kompensation ..................................................................... 37 b) Verhaltenssteuerung und Prävention ................................... 38 c) Strafe und Rache ................................................................. 40 d) Zwischenergebnis: Die Zwecke des materiellen Deliktsrechts ..................................................... 41 2. Delikt im IPR............................................................................ 42 a) Funktion des Internationalen Privatrechts ............................ 42 b) Materielle Einflüsse im IPR der unerlaubten Handlungen ... 43 c) Besondere Zweckbestimmungen der Rom II-VO ................ 47 3. Leistungsfähigkeit und Kritik der Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO .......................................................... 47 a) Aufgabe der Tatortregel und des Ubiquitätsprinzips ............ 48 b) Einführung des Erfolgsortprinzips ....................................... 50 c) Auswirkungen auf das Berücksichtigungsprinzip ................ 52 d) Insbesondere: Menschenrechtsverletzungen ........................ 54
Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips........................................................... 57 Kapitel 3: Die hergebrachte Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts ohne geschriebene Grundlage .................................................. 59 I. Erscheinungsformen in der Literatur .............................................. 60 1. Datumtheorie als historischer Ausgangspunkt........................... 60 a) Currie .................................................................................. 61
Inhaltsverzeichnis
b) Ehrenzweig ......................................................................... 61 aa) Moral data ................................................................... 63 bb) Local data .................................................................... 64 cc) Die Datumtheorie als Teil des lex fori approach .......... 64 2. Methodische Einordnung .......................................................... 66 a) Ausländisches Recht als zu berücksichtigende Sachverhaltstatsache............................................................ 67 aa) Methodischer Ansatz ................................................... 67 bb) Kritik ........................................................................... 68 b) Zwei-Stufen-Theorie ........................................................... 69 aa) Methodischer Ansatz ................................................... 69 bb) Kritik ........................................................................... 70 c) Anwendung von Sicherheits- und Verhaltensregeln ............ 71 aa) Sonderanknüpfung ....................................................... 71 bb) Anwendungsermessen und Rechtsfortbildung .............. 72 cc) Kritik ........................................................................... 73 d) Auslegung und Substitution................................................. 74 aa) Methodischer Ansatz ................................................... 74 bb) Kritik ........................................................................... 76 3. Gegenstand der Berücksichtigung ............................................. 77 a) Berücksichtigung von Rechtswirkungen und Rechtserwartungen .............................................................. 77 aa) Rechtswirkungen ......................................................... 79 bb) Rechtserwartungen ...................................................... 82 b) Rechtsquellen ...................................................................... 83 c) Sonderfälle: Örtlich gebundene und örtlich ungebundene local data ............................................................................ 85 II. Erscheinungsformen in der Rechtsprechung ................................... 88 1. (Echte) Berücksichtigung von Rechtserwartungen .................... 88 a) Straßenverkehr .................................................................... 88 aa) BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 58/77 ........................ 89 bb) BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94 ...................... 91 cc) BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08 ........................ 92 b) Private Normen (am Beispiel der FIS-Verhaltensregeln) ..... 94 aa) OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00 ............. 94 bb) OLG Brandenburg, Urt. v. 10.1.2006 – 6 U 64/05 ....... 95 c) Bauliche Sicherheitsstandards: BGH, Urt. v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86 ............................ 96 2. (Unechte) Berücksichtigung von Rechtswirkungen ................... 98 a) Gesetzliche Verbote/Unmöglichkeit .................................... 98 aa) RG, Urt. v. 28.6.1918 Rep. II. 69/18 = RGZ 93, 182.... 98 bb) BGH, Urt. v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82 ..................... 99
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Inhaltsverzeichnis
cc) LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17/ OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17 . 100 b) Handeln unter falschem Recht ........................................... 102 aa) BGH, Urt. v. 19.6.1967 – III ZR 225/65 .................... 103 bb) OLG Schleswig, Urt. v. 9.7.2014 – Wx 15/14 ............ 103 c) Familienrecht: AG München, Urt. v. 5.12.1980 – 82 F 6399/80 ................ 104 III. Zwischenergebnis ........................................................................ 105
Kapitel 4: Eigener Ansatz: Die Berücksichtigung als Renormativierung der Verhaltensregel auf Sachrechtsebene ............. 109 I. Dogmatik der Normberücksichtigung im internationalen Privatrecht ........................................................... 109 1. Normanwendung als Rechtsmethode ...................................... 109 2. Normberücksichtigung als Rechtsdogmatik des internationalen Deliktsrechts ........................................................................... 112 a) Ungeeignetheit der Verhaltensnorm als Berücksichtigungsgegenstand............................................ 113 b) Erwartungen des lokalen Verkehrskreises als faktisches Element im internationalen Deliktsrecht ........... 114 aa) Verkehrskreis im internationalen Deliktsrecht ........... 114 bb) Ermittlung des konkreten Verkehrskreises im Einzelfall.............................................................. 116 c) Renormativierung der Sicherheits- und Verhaltensregel .... 118 d) Vertiefungsbeispiel ........................................................... 120 3. Rechtsfolge: Die Berücksichtigung als Vermutungsregel........ 122 II. Gegenstand der Berücksichtigung ................................................ 124 1. Berücksichtigung von Rechtswirkungen und Rechtserwartungen........................................................... 125 2. Rechtsquellen ......................................................................... 125 3. Sonderfälle: Örtlich gebundene und örtlich ungebundene local data................................................................................ 126 III. IPR-Methodik: Die Berücksichtigung als zweite Stufe ................. 127 IV. Ergebnis ....................................................................................... 129
Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO ............................................... 133 Kapitel 5: Historie ............................................................................. 135
Inhaltsverzeichnis
I. Vergleichbare Regelungen und Konzepte..................................... 135 1. Art. 7 HStrVÜ ........................................................................ 135 2. Art. 9 HProdHÜ...................................................................... 136 II. Europäischer Entstehungsprozess ................................................. 137
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO ............................................................................. 141 I. Ratio ............................................................................................ 141 1. Platzdelikte: Ergänzung des Deliktsstatuts .............................. 144 2. Distanzdelikte: Korrektur des Anknüpfungsergebnisses ......... 145 3. Spezielle Anknüpfungsnormen: Art. 5-14 Rom II-VO ............ 149 4. Zwischenergebnis ................................................................... 150 II. Normstruktur................................................................................ 151 1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen .............................. 152 a) Haftungsbegründendes Ereignis ........................................ 152 b) Teleologische Reduktion des sachlichen Anwendungsbereiches ....................................................... 153 c) Räumlicher Anwendungsbereich ....................................... 154 2. Sicherheits- und Verhaltensregeln .......................................... 155 a) Rechtsquellen .................................................................... 155 b) Inhaltliche Anforderungen ................................................. 158 c) Ort und Zeitpunkt .............................................................. 158 d) Fallgruppen ....................................................................... 160 aa) Allgemeiner Verhaltens- und Sorgfaltsmaßstab und Verschuldenserfordernis ..................................... 160 bb) Straßenverkehrsregeln ............................................... 163 cc) Soft Law ..................................................................... 164 (1) Menschenrechte und Corporate Social Responsibility (CSR) ............... 165 (2) Privat gesetztes Recht......................................... 167 dd) Unterscheidung zwischen örtlichen und überörtlichen data ..................................................... 168 3. Berücksichtigung .................................................................... 169 a) Dogmatik .......................................................................... 169 b) Methodik ........................................................................... 171 aa) Sachrechtliche Berücksichtigung ............................... 171 bb) Anwendung ............................................................... 172 cc) Zwei-Stufen-Theorie .................................................. 173 4. Angemessenheit ...................................................................... 174 a) Platzdelikte........................................................................ 174
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Inhaltsverzeichnis
b) Distanzdelikte ................................................................... 176 5. Rechtsfolge ............................................................................. 178 a) Vermutungsfunktion des Art. 17 Rom II-VO..................... 178 b) Verhältnis zu Art. 22 Rom II-VO ...................................... 179 III. Zwischenergebnis ........................................................................ 180
Kapitel 7: Ausgewählte Einzelfragen ................................................. 185 I. Anwendung bei Mitverschulden ................................................... 185 II. Rechtswahl hinsichtlich Sicherheits- und Verhaltensregeln .......... 186 III. Prozessuale Konsequenzen........................................................... 187 1. Die Ermittlung ausländischen Rechts ...................................... 187 2. Ausländisches Recht als Tatsache ........................................... 187 IV. Allseitigkeit des Art. 17 Rom II-VO ............................................ 188
Vierter Teil: Schluss.................................................................... 191 Kapitel 8: Übertragung der Ergebnisse auf die Fallbeispiele ............ 193 I. Sprengung im Gebirge ................................................................. 193 II. Transnationale Textilproduktion .................................................. 196 III. Flugzeugabsturz ........................................................................... 199
Kapitel 9: Zusammenfassung und wesentliche Ergebnisse ................. 201 I. Die Entwicklung des Deliktsstatuts .............................................. 201 II. Wechselwirkungen zwischen materiellem und internationalem Deliktsrecht ........................................................ 201 III. Die Berücksichtigung im internationalen Privatrecht ................... 202 IV. Dogmatik und Funktion der Berücksichtigung im internationalen Deliktsrecht ......................................................... 203 V. Art. 17 Rom II-VO ....................................................................... 204 Literaturverzeichnis ........................................................................... 207 Sachverzeichnis ................................................................................. 217
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. AcP a.E. AEUV a.F. AG AGB a.M. Am.J.Comp.L. Anm. Art. ARSP Aufl. ausf. Az. BB Bd. BeckOGK-BGB BeckOK-BGB BeckRS Begr. BGB BGBl. BGHZ BGH Brüssel Ia-VO
BT-Drs. Buff.L.Rev. BVerfG bzw. Cal.L.Rev. c.i.c. Col.L.Rev. Com/Kom CSR dt.
andere(r) Ansicht Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte(r) Fassung Amtsgericht allgemeine Geschäftsbedingungen am Main The American Journal of Comparative Law Anmerkung Artikel Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Auflage ausführlich/e/n Aktenzeichen Betriebs-Berater Band beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Bürgerlichen Gesetzbuch Beck’scher Online- Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Beck online Rechtsprechung Begründer/Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesgerichtshof Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 12.12.2012 Bundestagsdrucksache Buffalo Law Review Bundesverfassungsgericht beziehungsweise California Law Review culpa in contrahendo Columbia Law Review Kommission Corporate Social Responsibility deutscher
XVI Dok. ebd. Einl EncycPIL ErwG EGBGB Einl. endg. EP et al. EU EuGH EUV EuZ EuZW f./ff. FamRZ FIS Fn. FS gem. Gesamthrsg. ggf. g.h.M. GPR GS HAVE Herv. HGB HK-BGB h.M. HProdHÜ Hrsg. HStrVÜ i.E. insb. IPR IPRax IPRspr. i.S.d. i.S.e. i.S.v. i.V.m. JR JZ Kap. KOM krit. LA
Abkürzungsverzeichnis Dokument ebenda Einleitung Encyclopedia of Private International Law Erwägungsgrund Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Einleitung endgültig Europäisches Parlament und andere Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Zeitschrift für Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fédération Internationale de Ski Fußnote Festschrift gemäß Gesamtherausgeber gegebenenfalls ganz herrschende Meinung Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union (vormals Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht) Gedächtnisschrift Haftung und Versicherung Hervorhebung(en) Handelsgesetzbuch Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch herrschende Meinung Haager Abkommen über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht vom 2.10.1973 Herausgeber Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht vom 4.5.1971 im Ergebnis insbesondere Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts im Sinne der/des im Sinne einer/s im Sinne von in Verbindung mit Juristische Rundschau JuristenZeitung Kapitel Europäische Kommission kritisch/e Liber Amicorum
Abkürzungsverzeichnis LG lit. LMK MA MÜ
MüKo m.N.z. m.w.N. Nachw. NJOZ NJW NJW-RR NK-BGB Nr. NZV o.g. OGH OLG r+s RabelsZ RefE RegE RG RGBl. RGZ Riv.dir.int.priv.proc. RIW Rn. Rom I-VO
Rom II-VO
Rspr. S. Slg. sog. SpuRt str. st. Rspr. StVO SZIER/RSDIE u.a. UK Urt. USA v.
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Landgericht litera Lindenmaier-Möhring Kommentierte BGH-Rechtsprechung Massachusetts Montrealer Übereinkommen vom 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr Münchener Kommentar mit Nachweisen zur mit weiteren Nachweisen Nachweis(e) Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nomos Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Nummer Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht oben genannte/n/r/s Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht recht und schaden Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rivista di diritto internazionale privato e processuale Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 17.6.2008 Verordnung (EG) 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 11.7.2007 Rechtsprechung Satz/Seite Sammlung sogenannte/n/r/s Zeitschrift für Sport und Recht strittig ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsordnung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäsches Recht unter anderem United Kingdom Urteil United States of America vom/von
XVIII Verf. VersR vgl. Vorbem YbPIL z.B. ZEuP ZfSch ZGR ZJS z.T. ZPO zust. ZVglRWiss ZVR
Abkürzungsverzeichnis Verfasser Versicherungsrecht vergleiche Vorbemerkung/en Yearbook of Private International Law zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das Juristische Studium zum Teil Zivilprozessordnung zustimmend/e/r Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht
Erster Teil: Grundlagen
Kapitel 1
Einleitung und Problemaufriss „ ,Wer in Rom lebt, muss wie ein Römer leben‘ und darf es auch.“ Leo Raape, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. Berlin/Frankfurt a.M. 1955, S. 537. (Hervorhebung im Original)
Im europäisch vereinheitlichten Kollisionsrecht ist seit In-Kraft-Treten der Rom II-VO zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in grenzüberschreitenden Deliktsfällen grundsätzlich an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der streitenden Parteien anzuknüpfen (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO). In den meisten übrigen Fällen gilt das sogenannte Erfolgsortprinzip (Art. 4 Abs. 1 Rom IIVO). Aus deutscher Sicht ist eine der Neuerungen der deliktischen Grundanknüpfung somit das völlige Außerachtbleiben des deliktischen Handlungsorts als möglicher Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des anwendbaren Rechts.1 Der Handlungsort ist aber gleichwohl ein wesentliches Element des deliktischen Sachverhalts, insbesondere im internationalen grenzüberschreitenden Rechtsverkehr. Geografisch liegt hier der Ursprung der Rechts- bzw. Rechtsgutverletzung, und mithin der kausale Auslöser des zu ersetzenden Schadens. Das autonome deutsche Kollisionsrecht stellt aus diesem Grund in Art. 40 Abs. 1 EGBGB bis heute auf den Tatort als Anknüpfungspunkt für internationalprivatrechtliche Deliktsfälle ab, der neben der Anknüpfung an den Erfolgsort auch eine solche an den Handlungsort zulässt. Nach hundertjähriger Rechtsprechung,2 entsprechend umfangreichen Entwicklungen im Schrifttum3 und spät erfolgter positiv-rechtlicher Normierung des Tatortprinzips in Art. 40 Abs. 1 EGBGB schien die Anknüpfung an den Tatort in Stein gemeißelt. Dem hat der europäische Verordnungsgeber indes mit der Anknüpfung an den Erfolgsort in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO eine Absage erteilt.4 1 Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 3, 8 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 11, 19; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 1, 5. Vgl. ferner Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 5, 24. 2 RG, Urt. v. 20.11.1888 – II 225/88 = RGZ 23, 305, 306; Junker, in: FS W. Lorenz II, 321, 323 f. m.w.N.; Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 105 ff. Ebenso Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 8; von Hein, ZEuP 2009, 6, 9. 3 Exemplarisch: Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1; Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601. 4 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 35. Krit. Kühne, in: FS Deutsch, 817, 822.
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Erster Teil: Grundlagen
Es liegt aber auf der Hand, dass die internationalprivatrechtliche Betrachtung eines grenzüberschreitenden Delikts gleichwohl nicht ohne Bezugnahme des Handlungsorts auskommen kann.5 Einhellig wird daher angenommen, dass die grundlegende Bedeutung des Handlungsorts bereits in der Kollisionsregel des Art. 4 Rom II-VO enthalten ist. Abwägungen von berechtigten Täter- und Opfererwartungen werden bereits in der abstrakten Anknüpfungsnorm und damit losgelöst vom Einzelfall mitgedacht.6 Damit bleibt für das Sachrecht der am Handlungsort geltenden Rechtsordnung grundsätzlich kein Platz, es sei denn, Handlungs- und Erfolgsort sind identisch oder der Handlungsort entspricht dem Ort des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Parteien (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO). Der Handlungsort repräsentiert aber das unmittelbare rechtliche und tatsächliche Umfeld des Schädigers. Hier ist er insbesondere Handlungsanweisungen und Verhaltensstandards ausgesetzt, an die er sich im Zweifel halten wird. Nicht immer ist vorhersehbar, ob und wie sich eine in Staat A vorgenommene Handlung in Staat B auswirken wird oder nicht. Für den Schädiger ist auch nicht zwangsläufig ersichtlich, welchen Verhaltensmaßstab die Rechtsordnung des Staates B anlegt. All dies hat zur Folge, dass im Einzelfall abweichend vom Deliktsstatut auch weiterhin das Bedürfnis nach Heranziehung der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts besteht. Unklar aber ist, in welchen Fällen diesem Bedürfnis billigerweise nachgegeben werden muss und in welchen Fällen an der Erfolgsortanknüpfung festgehalten werden sollte. Unklar ist auch, welcher dogmatische und methodische Weg zur Erreichung eines insoweit angemessenen Ergebnisses gegangen werden muss.
I. Art. 17 Rom II-VO Der europäische Verordnungsgeber erkennt diesen Umstand und löst ihn in Art. 17 Rom II-VO. Demnach sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts im Einzelfall faktisch und soweit angemessen zu berücksichtigen. Mit der ausdrücklichen Normierung des Berücksichtigens ist scheinbar eine Abgrenzung von den klassischen IPR-Methoden der Verweisung auf ausländisches Recht mit dessen anschließender Anwendung sowie der Anerkennung ausländischer Rechtslagen intendiert.7 Obwohl das anwendbare Recht in den relevanten Konstellationen durch das Kollisionsrecht bereits bestimmt wurde, sollen Regeln einer weiteren, nicht anwendbaren, Rechtsordnung berücksichtigt werden. Der europäische Verordnungsgeber greift hier auf ein 5 von Hein, ZEuP 2009, 6, 16: „nicht schlechthin irrelevant“. Vgl. ferner Stoll, in: GS Lüderitz, 733, 735. 6 Vgl. ErwG 16 Rom II-VO; Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 187 f., 190. 7 Dok. KOM(2003) 427 endg., S. 28.
Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss
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Phänomen zurück, das im Schrifttum8 schon seit knapp 60 Jahren bekannt ist und seither kontrovers diskutiert wird: die Datumtheorie. Der Datumtheorie scheinbar folgend normiert Art. 17 Rom II-VO also einen Berücksichtigungsbefehl für „Sicherheits- und Verhaltensregeln“. Bewusst soll in dieser Untersuchung die Terminologie „Befehl“ eingesetzt werden. Art. 17 Rom II-VO enthält ein imperatives Element, so wie nahezu jeder gesetzliche Tatbestand eine verbindliche Anweisung an den Rechtsanwender enthält. Die Identifizierung des imperativen Kerns des Art. 17 Rom II-VO ist allerdings komplex und schwer zu verstehen. Das macht die Vorschrift zu einem gerade von der Rechtsprechung stiefmütterlich behandelten9 und methodisch schwer einzuordnenden Fremdkörper innerhalb des Verweisungssystems der Rom II-VO und des Methodenkanons des Internationalen Privatrechts. Es wirkt mitunter so, als ob Art. 17 Rom II-VO kaum als vollwertige Norm wahrgenommen und in der Rechtspraxis zuweilen übergangen wird.10 Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dem zugrundeliegenden Prinzip des Art. 17 Rom II-VO um einen integralen Bestandteil nicht nur des europäisch vereinheitlichten Kollisionsrechts, sondern des internationalen Deliktsrechts insgesamt handelt. Der Wortlaut der Norm gestattet vielfältige Auslegungsmöglichkeiten in Bezug auf die Dogmatik und Methodik der Berücksichtigung. Dies spiegelt auch ein erster Schrifttumsbefund:11 Die Diskussion der Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts im internationalen Privatrecht erfolgt in der Sache so zahlreich wie heterogen, wobei nahezu alle Stimmen zu identischen Ergebnissen finden.12
8 Grundlegend Ehrenzweig, Buff.L.Rev. 55 (1966–1967), 55; Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36. Stellvertretend für die europäische Rezeption: Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183; Heßler, Sachrechtliche Generalklausel; Looschelders, Anpassung, S. 26, 28, 70; Mansel, Personalstatut, S. 49 f.; Lorenz, E., FamRZ 1987, 645; Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155; Schulze, G., IPRax 2010, 290; Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819; Weller, IPRax 2014, 225; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747. 9 So findet sich bisher soweit ersichtlich kein Urteil des BGH oder des EuGH zu Art. 17 Rom II-VO. 10 Zu diesem Ergebnis kommt im Hinblick auf Art. 40 EGBGB bereits Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Art. 40 EGBGB Rn. 58 m.w.N. z. Rspr. Aus jüngerer Zeit siehe z.B. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – VI ZR 206/14, NJW-RR 2015, 1056. Der BGH geht nicht auf Art. 17 Rom II-VO ein, obwohl dies notwendig gewesen wäre. Dazu krit. Anm. Lindner/Thelen, ZJS 2015, 609, 609. Ferner OLG München, Urt. v. 4.11.2016 – 10 U 2408/16, BeckRS 2016, 19435 m. Anm. Frese, NZV 2017, 53, der ebenfalls dogmatische und methodische Klarheit hinsichtlich der Anwendung von Art. 17 Rom II-VO schuldig bleibt. 11 Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 8 (S. 5). 12 Dazu unten Kap. 3 I. (S. 60 ff.).
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Erster Teil: Grundlagen
1. Anerkannte Anwendungsbereiche Art. 17 Rom II-VO ist mit Blick auf seine Historie13 und die Erwägungsgründe 33 und 34 der Rom II-VO zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Kollisionsrecht der Straßenverkehrsunfälle erwachsen. Im allseits anerkannten Kernbereich der Vorschrift werden daher typischerweise Straßenverkehrsunfälle erfasst, bei denen die Unfallbeteiligten einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, der nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO auch das Deliktsstatut bestimmt.14 Wenn dies nun z.B. auf zwei Deutsche zutrifft, die im englischen Linksverkehr in einen Straßenverkehrsunfall verwickelt sind, verfängt Art. 17 Rom II-VO und verhilft dem englischen Linksfahrgebot trotz der Anwendung des deutschen Rechts zur Berücksichtigung. Derjenige Unfallbeteiligte, der sich hier auf das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 1, 2 der deutschen Straßenverkehrsordnung beruft, wird nach Maßgabe des Art. 17 Rom II-VO daher erfolglos bleiben. Art. 17 Rom II-VO wird im Falle der Straßenverkehrsunfälle zudem von Erwägungsgrund 33 Rom II-VO flankiert, der eine vergleichbare Berücksichtigungsanordnung etwa für die Berechnung von Schmerzensgeldgrenzen enthält.15 Im Unterschied zu Art. 17 Rom II-VO wird hier jedoch nicht auf Regeln normativen Gehalts, sondern auf alle tatsächlichen Umstände des Auslandssachverhalts abgestellt.16 Weitere, in Einzelheiten kontrovers diskutierte, im Ganzen aber überwiegend anerkannte Fälle der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln sind etwa Unfälle auf Ski-Pisten unter Geltung der FIS-Verhaltensregeln17 oder auch öffentlich-rechtliche (Anlagen-)Genehmigungen des Staates, in dem die schädigende Handlung stattfindet18. Diese und ähnliche Fallgestaltungen bilden den anerkannten Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO und wurden auch vor In-Kraft-Treten der Rom II-VO entweder aufgrund vergleichbarer Vorschriften19 oder ohne geschriebene Grund13
Dazu unten Kap. 5 (S. 135 ff.). MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4, 9 („‚Keimzelle‘ der Regelung“); BeckOK-BGB/Spickhoff, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 3. 15 Dazu Rentsch, GPR 2015, 191, 193 f; Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 57. 16 Rentsch, GPR 2015, 191, 194. 17 Siehe hierzu aber unten Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.) und Kap. 6 II. 2, d) cc) (2) (S. 167 f.). 18 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 22 ff.; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 172; Fuglinszky, in: Politik und Internationales Privatrecht, 111, 119 ff. Die Anwendung des Art. 17 Rom II-VO auf öffentlich-rechtliche Genehmigungen ablehnend Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 309; Mankowski, IPRax 2010, 389, 390 f; Matthes, GPR 2011, 146, 150 f. 19 Art. 7 des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht v. 4.5.1971 (HStVÜ): „Unabhängig von dem anzuwendenden Recht sind bei der Bestimmung die am Ort und zur Zeit des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften zu berücksichtigen.“ Art. 9 des Haager Übereinkommens über das auf die 14
Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss
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lage anerkannt und von der rechtswissenschaftlichen Literatur vielfach beschrieben.20 2. Offene Fragen Die Lösung der anerkannten Fallgestaltungen aus dem Bereich der Verkehrsunfälle und Parallelsportarten21 durch die Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln leuchtet zunächst ein und wird daher vielerorts als „selbstverständlich“22 und der „Natur der Sache“ entsprechend beschrieben.23 Allerdings sind diese Fallgestaltungen häufig sehr einfach strukturiert. Zumeist handelt es sich um sogenannte Platzdelikte24 und die Abweichung des anwendbaren Rechts von dem Recht des Handlungsorts erfolgt eher zufällig. Gerade weil die Lösung dieser Konstellationen sich aufzudrängen scheint, fehlt es in Rechtsprechung und Schrifttum bisher an einer präzisen dogmatischen Begründung für das Berücksichtigungsprinzip. Die Berücksichtigung als Rechtsphänomen ist bislang theoretisch kaum begründet, sondern wird schlicht als gegeben hingenommen.25 Es ist daher erforderlich, die dogmatische Funktionsweise des Berücksichtigungsprinzips im Kontext des internationalen Deliktsrechts grundlegend herzuleiten. Die so angestrebte Herleitung soll zudem ermöglichen, den Anwendungsbereich des Berücksichtigungsprinzips möglichst widerspruchsfrei auch auf kompliziertere Sachverhaltskonstellationen, etwa Distanzdelikte, zu übertragen. Daneben stellen sich insbesondere im Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO verschiedene tatbestandsspezifische Einzelfragen. Einerseits wird zu klären sein, ob der geografische und zeitliche Bezugspunkt der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln der Ort und die Zeit einer organisatorischen Leitentscheidung sein kann.26 Wenig erschlossen ist außerdem die Frage, ob das Berücksichtigungsprinzip und Art. 17 Rom II-VO als allseitige Norm zu verstehen sind – ob also Normen der lex fori ebenso wie Normen der ausländischen lex causae zu berücksichtigen sein können:27 Den anerProdukthaftung anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (HProdHÜ): „The aplication of Articles 4, 5 and 6 shall not preclude consideration being given to the rules of conduct and safety prevailing in the State where the product was introduced into the market.“ 20 Palandt-BGB/Thorn, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1. Vgl. ferner MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 9. 21 Zu diesem Begriff MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 698 f. 22 Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2 f. Vgl. auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 778. 23 BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265, 267 f. Siehe auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 160. 24 Palandt-BGB/Thorn, Art. 4 Rom II-VO Rn. 26. 25 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 216. 26 Insoweit kritisch Stoll, in: GS Lüderitz, 733, 738 f. 27 Dazu Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 73.
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Erster Teil: Grundlagen
kannten Fällen der Datumtheorie und des Art. 17 Rom II-VO ist gemein, dass sie in der Regel bei Anwendung der lex fori zur Berücksichtigung von Verhaltensnormen der lex loci delicti führen. Wenig beschrieben und durchaus problematisch ist dagegen der umgekehrte Fall einer Berücksichtigung von data, also tatsachengleich wirkender nicht anwendbarer Rechtsnormen, der lex fori unter Anwendung eines fremden Rechts. Solche Konstellationen können sich aber auf Grundlage der sogleich folgenden Sachverhaltsgestaltungen ergeben, die als Leitlinie für den Fortgang der Untersuchung dienen sollen.
II. Fallbeispiele 1. Sprengung im Gebirge In Anlehnung an das Beispiel von Symeonides verdeutlicht der folgende Ausgangsfall die Grundstruktur und Funktionsweise des Art. 17 Rom II-VO bei Vorliegen eines Distanzdelikts:28 Bei Sprengarbeiten in den französischen Alpen, durchgeführt durch den österreichischen Sprengmeister S, führt eine Explosion zu einer Erschütterung auf der italienischen Gebirgsseite und löst dort eine Lawine aus. Durch den Abgang der Lawine werden einige englische Touristen auf italienischem Staatsgebiet geschädigt. Dem S war es im Zeitpunkt der Sprengung nicht möglich, den Abgang der Lawine und die daraus resultierenden Folgen zu erkennen. Es fragt sich, nach welchem Recht die Schadensersatzansprüche der englischen Touristen gegen den S zu beurteilen sind. In einer Abwandlung ist anzunehmen, dass die Touristen ebenfalls die österreichische Staatsangehörigkeit und ebenfalls ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben. Daneben kann die subjektive Motivationslage des S jeweils variiert werden: einerseits kann unterstellt werden, dass S das Unglück sicher vorhersah oder womöglich sogar zielgerichtet eine Lawine auf italienischem Staatsgebiet auslösen wollte; andererseits kann angenommen werden, dass er nicht von dem Abgang einer Lawine ausging, als er die Sprengung vornahm und dies auch nicht vorhersehen konnte.
28 Vgl. Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 173, 187. Zu den Bergbaufällen Siehe ausführlich auch Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Art 40 EGBGB Rn. 51.
Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss
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2. Transnationale Textilproduktion Vielfach wurden in der jüngeren rechtswissenschaftlichen Literatur auch die Fälle des deutschen Textilunternehmens K diskutiert.29 Diese vorliegend in vereinfachter Form unterstellten Sachverhalte werfen neben menschenrechtlichen Problemstellungen auch Fragen des internationalen Deliktsrechts auf. a) Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza Am 24.4.2013 stürzte nahe der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka das achtgeschossige Gebäude Rana Plaza ein. In dem Gebäude wurden hauptsächlich Textilprodukte für das deutsche Textilunternehmen K produziert. Der Einsturz der Textilfabrik forderte nach übereinstimmenden Berichten tausende Verletzungs- und Todesopfer.30 Bisher ist in tatsächlicher Hinsicht ungeklärt, ob ein für den Einsturz der Fabrik kausales Verhalten in Deutschland stattgefunden hat. Für die hiesige Untersuchung wird dies unterstellt. Die Vertreter des Unternehmens K haben demnach Leitentscheidungen in der Firmenzentrale in Deutschland getroffen, die unter Außerachtlassung deutscher Sicherheits- und Verhaltensstandards, etwa Belegungsgrenzen u.ä., zu dem Einsturz der Fabrik geführt haben. Diese Leitentscheidungen haben – hier unterstellt – die bangladeschischen Sicherheits- und Verhaltensvorschriften eingehalten.31 b) Brand in der Textilfabrik Ali Enterprise Ein rechtlich vergleichbarer Fall ereignete sich am 11.9.2012 in einer Textilfabrik der Ali Enterprises in Pakistan. In dem Fabrikgebäude brach ein Feuer aus, erneut waren hohe Opferzahlen die Folge.32 Die Fabrik, in der das Feuer ausbrach, entsprach unterstellt zwar den Feuerschutzstandards vor Ort, nicht aber jenen des deutschen Rechts. Auch in diesem Fall wurden Überreste der Produktion für die K gefunden und es ist davon auszugehen, dass die K den größten Teil der Fabrik durch ihre Produktion ausgelastet hat.33 29
Pförtner, in: Politik und Internationales Privatrecht, 93, 95 f; Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, S. 427; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387. 30 Ausführlich zum Geschehen nur Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, S. 426 f. 31 Tatsächlich war dies wohl nicht der Fall, vgl. Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, S. 427. 32 Thomale/Hübner, JZ 2017, 385. 33 Im Gegensatz zum ersten Fall ist war hier eine Klage von Angehörigen der Opfer gegen die K am Landgericht Dortmund (Az. 7 O 95/15) anhängig. Unter Anwendung des pakistanischen Rechts hat das Landgericht Dortmund die Klage allerdings wegen Verjährung der Ansprüche abgewiesen. Das Urteil ist abgedruckt in IPRax 2019, 317 m. Anm. Ostendorf, IPRax 2019, 297. Vgl. ferner Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 386.
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Erster Teil: Grundlagen
3. Flugzeugabsturz Am 24.3.2015 zerschellte eine von Barcelona in Richtung Düsseldorf fliegende Maschine des Typs Airbus A320-211 in den französischen Alpen. Die Unglücksmaschine gehörte zur Flotte des Luftfahrtunternehmens G, einer Tochtergesellschaft der L. Beide Fluggesellschaften haben ihren Sitz in Deutschland. Der Absturzgrund ist nach den gesicherten Erkenntnissen der Auswertung der Flugdatenschreiber der Suizid des Co-Piloten, der unter psychischen Problemen litt und bereits im Jahr 2009 eine depressive Episode durchlitt. Für kurze Zeit wurde ihm daher keine Verlängerung des Flugtauglichkeitszeugnisses erteilt. Bei neuerlicher Ausstellung des Flugtauglichkeitszeugnisses des Co-Piloten durch die Fluggesellschaft waren die psychischen Erkrankungen demnach bekannt und wurden auch mit einem Vermerk gekennzeichnet. Gleichwohl wurde im Rahmen der Verlängerung der Flugtauglichkeit durch die Fluggesellschaft kein Psychiater oder Psychologe mehr hinzugezogen. Auch wurden trotz des Vermerks die Intervalle der Flugtauglichkeitsprüfung nicht verkürzt. Alle 144 an Bord befindlichen Passagiere und die Crewmitglieder starben infolge des Absturzes der Maschine. Unter den Opfern befand sich hier unterstellt der Österreicher O, der in Österreich auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Fraglich ist, nach welchem Recht sich Schadensersatzansprüche (insbesondere Schockschäden) der Ehefrau E des O richten; die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte wird unterstellt.34 E hat die spanische Staatsangehörigkeit und lebt in Spanien.
III. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes Um den hier zu betrachtenden internationalprivatrechtlichen Problemstellungen gerecht werden zu können, ist zunächst eine sachliche Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes vorzunehmen. 1. Haftung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt im internationalen Privatrecht. So sollen Methodik und Ratio der einschlägigen Vorschriften des internationalen Privatrechts auf die Frage hin untersucht werden, ob ein ausreichendes Instrumentarium zur Verfügung steht, um den oben vorangestellten Lebenssachverhalten auf internationalprivatrechtlich gerechte Weise begegnen zu können. Der kon34 Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich i.E. aus Art. 33 Abs. 1 MÜ, das der Brüssel Ia-VO vorgeht. Dazu Weller/Rentsch/Thomale, NJW 2015, 1909 f.
Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss
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krete Themenkomplex der transnationalen Textilproduktion wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur ganz überwiegend als Problem von Menschenrechtsverletzungen behandelt.35 Wann immer die Menschenrechte und deren Verletzung die Dogmatik und Methodik des internationalen Privatrechts beeinflussen, wird darauf Bezug zu nehmen sein. Gleichwohl soll die vorliegende Untersuchung keine unmittelbare Haftungsbegründung auf Grundlage von Menschenrechtsverletzungen nachweisen, denn die Menschenrechte binden zunächst einmal nur Staaten bzw. staatsähnliche Gebilde rechtlich unmittelbar.36 Freilich kann privates Verhalten die geschützten Menschenrechte Dritter beeinträchtigen. Eine Verletzung der Menschenrechte geht dagegen immer von staatlichem Handeln aus. Zudem fehlt den hier unterstellten Sachverhalten eine spezifisch menschenrechtliche Problemstellung. So greifen bauliche Mängel mittelbar zwar in menschenrechtlich geschützte Positionen ein, wenn sie Menschen an Körper, Gesundheit oder gar Leben schädigen; dies trifft aber auf jegliche andere deliktische Fallkonstellation ebenfalls zu, die gerade als rein innerstaatliche Fälle deshalb auch nicht als Menschenrechtsproblem zu behandeln sind.37 2. Reichweite der Datumtheorie Eine weitere Begrenzung der Arbeit liegt im sachlichen Umfang, in dem die Datumtheorie und das Berücksichtigungsprinzip betrachtet werden sollen. Gemeinhin wird die Datumtheorie als allgemeines Theorem dem gesamten besonderen Teil des internationalen Privatrechts vorangestellt.38 Dem soll hier nicht grundlegend widersprochen werden. Die Herleitung der Datumtheorie insbesondere aus der Rechtsprechung (unten, Kapitel 3 II. (S. 88 ff.).) bezieht daher sachlich breit gefächerte Lebenssachverhalte mit Bezügen zum Vertrags-, Erbund Familienrecht mit ein. Gleichwohl kann bereits vorweggenommen werden, dass die Auseinandersetzung mit der Datumtheorie und dem Berücksichti35 Aus der umfangreichen jüngeren Literatur siehe etwa Birk/Heger, ARSP 102 (2016), 128 ff.; Mansel, ZGR 2018, 439 ff.; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499 ff.; Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843 ff.; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 ff.; Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387 ff., sowie monografisch Güngör, Sorgfaltspflichten und Osieka, Zivilrechtliche Haftung. Vgl. auch Halfmeier, in: FS Magnus, 433, 438 f. Bereits 1995 setzt sich Fischer, in: FS Remmers, 447, mit dem Themenkomplex der Schadensersatzansprüche auf Grundlage von Menschenrechtsverletzungen auseinander. 36 Anhand des deutschen Rechts statt vieler: Birk/Heger, ARSP 102 (2016), 128, 134; Spießhofer, NJW 2014, 2473, 2475. Vgl. ferner unten Kap. 6 II. 2. d) cc) (1) (S. 165 ff.). Die jedenfalls mittelbare Drittwirkung der Menschenrechte betonen Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 395. 37 Birk/Heger, ARSP 102 (2016), 128, 129. 38 BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 51; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 779. Vgl. auch MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 270; Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 705; Sonnenberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 429, 440.
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Erster Teil: Grundlagen
gungsprinzip an vielen Stellen gerade daran krankt, dass sie in der Berücksichtigung ein nahezu universelles Instrumentarium erblickt. Es wird sich insoweit zeigen, dass sich die Funktionsweise der Berücksichtigung äußerst heterogen in Abhängigkeit des konkreten Berücksichtigungsgegenstandes und des zivilrechtlichen Anwendungsgebietes darstellt.39 Daher soll im Kern eine Beschränkung dieser Arbeit auf das internationale Deliktsrecht vorgenommen werden. Diese Abgrenzung resultiert aus der Einsicht, dass die Datumtheorie in Bezug auf die unterschiedlichen Sachgebiete des besonderen Teils differenzierende methodische Analysen und Dogmatiken verlangt,40 die in ihrer Breite Anliegen und Umfang dieser Arbeit übertreffen. Daher soll hier vor allem eine vertiefte Darstellung der internationaldeliktsrechtlichen Problemstellungen gelingen. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus der Schwerpunktsetzung der Untersuchung. Maßgebliches Ziel der Bearbeitung ist die Entwicklung einer belastbaren Berücksichtigungsdogmatik im Sinne einer Analyse und theoretischen Verortung des Berücksichtigungsvorgangs.41 Wie zu zeigen sein wird, konzentriert sich die Schriftumsdebatte im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts dagegen vornehmlich auf Fragen der Methodik des IPR.
IV. Gang der Untersuchung Nach einer grundlegenden überblicksartigen Darstellung des Deliktsstatuts (Kapitel 2) und der darauf basierenden kollisionsrechtlichen Lösung der Ausgangssachverhalte werden im Wesentlichen drei zentrale Komplexe untersucht: 1. Zunächst wird das Berücksichtigungsprinzip dargestellt und historisch hergeleitet. Nach einer Kritik folgt ein eigenes dogmatisches Konzept für die Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht. Dieses Konzept dient später als Basis für die Dogmatik des Art. 17 Rom II-VO. Zur Abstützung des neuen Konzepts erfolgt stets die Einbettung in bestehende Anknüpfungssysteme und die Abgrenzung zu bereits bekannten Vorschlägen. 2. Die Überlegungen zur Neukonzeption der Berücksichtigung werden sodann in die Auslegung des Art. 17 Rom II-VO überführt, der de lege lata die Grundlage für die Ausgangsfälle bildet. Dazu wird der Wortlaut der Norm
39
Krit. dazu Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 77. Wohl a.A. Sonnenberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 429, 440. 40 Umfangreich weist dies Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 79 ff. nach. 41 Dazu und allgemein zum Begriff der Dogmatik im internationalen Privatrecht Mansel, in: FS Canaris II, 739.
Kapitel 1: Einleitung und Problemaufriss
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analysiert. Den Schwerpunkt der Betrachtung bildet auch hier die Entwicklung einer konsistenten Berücksichtigungsdogmatik. 3. Die vorliegende Untersuchung will aber nicht nur eine Antwort auf die aufgeworfenen Rechtsfragen finden, sondern auf dieser Grundlage vor allem angemessene Lösungen für die vorangestellten Sachverhalte entwickeln und so die vorgeschlagene Neukonzeption der Datumtheorie auf ihre Umsetzbarkeit überprüfen. Daher erfolgt neben der Erörterung der dargestellten Rechtsprobleme auch die Subsumtion der vorangestellten Sachverhalte unter das Deliktsstatut der Rom II-VO. In einem abschließenden Teil werden die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst (Kapitel 9). Die gesamte Untersuchung wird dabei von den vorangestellten Fallgestaltungen flankiert, auf die an gegebener Stelle immer wieder zurückzukommen sein wird.
Kapitel 2
Das Deliktsstatut Ausgangspunkt zur Lösung der vorangestellten Sachverhalte und zur Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts sind das Anknüpfungssystem sowie die Zweck- und Zielsetzungen des sog. Deliktsstatuts. Das Deliktsstatut ergibt sich auf nationaler Ebene aus dem autonomen deutschen Kollisionsrecht. Der insoweit einschlägige Regelungskomplex ist Art. 40–42 EGBGB. Das europäisch vereinheitlichte und heute auf den ganz überwiegenden Teil der deliktischen Sachverhalte mit Auslandsbezug anwendbare Kollisionsrecht enthält dagegen die Rom II-VO.
I. Autonomes Kollisionsrecht 1. Historie Die Art. 40–42 EGBGB in ihrer heutigen Fassung traten erst am 1.6.1999 durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen in Kraft,1 wobei ihr wesentlicher Regelungsgehalt in richterrechtlicher Ausprägung des Art. 12 EGBGB a.F. bereits zuvor galt.2 Die Motive des deutschen Gesetzgebers für die Normierung dieses kollisionsrechtlich bis dahin weitgehend ungeregelten3 Lebensbereiches der unerlaubten Handlungen lagen offenbar in der Vorahnung, dass der europäische Verordnungsgeber aufgrund der durch den Amsterdamer Vertrag neu geschaffenen Rechtsetzungskompetenzen seine Arbeiten an der Rom II-VO alsbald wieder aufnehmen würde.4 Es sollte daher ein deutsches Vorbild für die zu erwartenden Regelungen des harmonisierten Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse geschaffen werden, um die eigene Verhandlungsposition im europäischen Verordnungsgebungsprozess zu stärken.5 Diese Vorgehensweise hat zwar Kritik erfahren, insbesondere weil vermeintlich ein Gesetz ge1 Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 71; Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 8 f. 2 Schneeweiss, Verhältnis, S. 1 f.; Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 8 f.; Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 611. 3 Vgl. Hohloch, Deliktsstatut, S. 221. 4 Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 71. Vgl. hierzu auch Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 701; Wagner, R., IPRax 2008, 314, 315. 5 Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 71; Spickhoff, NJW 1999, 2209, 2215; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376.
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Erster Teil: Grundlagen
schaffen wurde, das mit dem erwartbaren In-Kraft-Treten der Rom II-VO obsolet werden würde.6 Gleichwohl ist aber bis heute zumindest außerhalb des zeitlichen und/oder sachlichen Anwendungsbereiches der Rom II-VO auf die Art. 40 ff. EGBGB zurückzugreifen (etwa im Falle von Persönlichkeitsrechtsverletzungen, vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO).7 Das nachhaltige Verdienst des vorgenannten legislativen Tätigwerdens des deutschen Gesetzgebers besteht daher vor allem in der Normierung eines bis dahin fast vollständig auf Richterrecht beruhenden Lebensbereiches.8 2. Die Grundregel des Art. 40 Abs. 1 EGBGB Art. 40 Abs. 1 EGBGB enthält die Grundanknüpfung des autonomen deutschen Deliktskollisionsrechts und bestimmt: „Ansprüche aus unerlaubter Handlung unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Der Verletzte kann verlangen, daß anstelle dieses Rechts das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Erfolg eingetreten ist. […]“
Das autonome deutsche Kollisionsrecht sieht in Art. 40 Abs. 1 EGBGB damit die Anknüpfung der unerlaubten Handlung nach dem sogenannten (ubiquitären) Tatortprinzip vor,9 soweit kein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthaltsort der Parteien10 besteht. Das auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung anzuwendende Recht richtet sich mithin nach dem deliktischen Tatort. Der Begriff des Tatorts ist indes unpräzise und daher konkretisierungsbedürftig. Ihm liegt ursprünglich die Vorstellung zugrunde, dass jedes Delikt örtlich auf einen bestimmbaren und regelmäßig singulären Tatort zurückgeführt werden kann.11 In der Diskussion12 zum Tatortprinzip hat sich indes schnell gezeigt, dass eine solch einfache Anknüpfungslösung nicht möglich ist, denn es können entweder der Ort der schädigenden Handlung oder der Ort des unmittelbaren Schadens-
6
Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 71; Wagner, R., IPRax 2008, 314. Dazu auch MüKo-BGB/Junker, Vor Art. 38 EGBGB Rn. 3 f.; Junker, in: FS W. Lorenz II, 321. 7 von Hein, ZEuP 2009, 6, 15 sowie Mankowski, Interessenpolitik, S. 79. Ausführlich zu den verbliebenen Anwendungsbereichen des autonomen Deliktskollisionsrechts nach Art. 40–42 EGBGB MüKo-BGB/Junker, Vor Art. 38 EGBGB Rn. 22 ff.; NK-BGB/Wagner, G., Art. 40 EGBGB Rn. 42 ff.; Wagner, R., IPRax 2008, 314, 316. 8 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 1; Wagner, R., IPRax 2008, 314, 315. Dazu auch von Bar, IPR BT, § 6 Rn. 650. 9 Junker, in: FS W. Lorenz II, 321, 323; Stoll, in: GS Lüderitz, 733 ff. 10 Dies ergibt sich aus Abs. 2 der Vorschrift. Zum gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungspunkt des internationalen Deliktsrechts siehe bereits ausführlich Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 616 ff. 11 Vgl. zu diesem Gedanken MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 51: „[...] ein Tatort iSd Abs. 1 ist immer vorhanden […]“. 12 Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 101 f.
Kapitel 2: Das Deliktsstatut
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eintritts, der sogenannte Erfolgsort, als Tatort verstanden werden.13 Dies spiegelt der Wortlaut des Art. 40 Abs. 1 EGBGB, indem er in Satz 1 die Anknüpfung an den Handlungsort und in Satz 2 die wahlweise Anknüpfung an den Erfolgsort vorsieht. Nach heutigem Verständnis versucht die Tatortregel (insbesondere in ihrer Ausprägung durch das Ubiquitätsprinzip) daher, einer unterstellten ubiquitären Verteilung des deliktischen Tatorts gerecht zu werden.14 Je nach Fallgestaltung ergeben sich verschiedene Probleme bei der Lokalisierung des Tatorts. a) Platzdelikte Das Platzdelikt ist die einfachste Form des deliktischen Kollisionsfalles. Hier befinden sich der Ort der deliktischen Handlung und der Ort des Erfolgseintritts im selben Staat. Der internationale Bezug des Sachverhalts wird also nicht durch einen sich geografisch auf mehrere Staaten erstreckenden deliktischen Geschehensablauf hergestellt, sondern durch Sachverhaltselemente wie etwa den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Wird auf einen solchen Fall das Tatortprinzip angewandt, so stellt sich zunächst kein dogmatisch kompliziertes Problem.15 Sowohl die Anknüpfung an den Handlungsort wie auch an den Erfolgsort führen zur Anwendbarkeit desselben Rechts. Komplizierter gestaltet sich die rechtliche Betrachtung der Platzdelikte mitunter, wenn nicht nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB, sondern nach Art. 40 Abs. 2 EGBGB angeknüpft wird. Das maßgebliche Anknüpfungsmoment ist dann der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten.16 Aus dieser Anknüpfung können sich Konstellationen wie der eingangs beschriebene Verkehrsunfall zweier Inländer im Ausland ergeben. In diesen Fällen findet dann das gemeinsame Aufenthaltsrecht Anwendung, das nicht mit dem Recht des Tatorts übereinstimmt. In der Folge stellt sich womöglich die Frage nach dem Einfluss der (nicht anwendbaren) lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts.17
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Statt aller NK-BGB/G. Wagner, Art. 40 EGBGB Rn. 16. Vgl. bereits RG, Urt. v. 20.11.1888 – II 222/88 = RGZ 23, 305, 306; BGH, Urt. v. 23.6.1964 – VI ZR 180/63, NJW 1964, 2012. 15 Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 103. Die Bestimmung des konkreten Tatorts kann im Einzelfall freilich erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten bereiten, dazu ausführlich Hohloch, Deliktsstatut, S. 103 ff. 16 MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 50; Dörner, JR 1994, 6, 7 f. 17 Dörner, JR 1994, 6, 9. 14
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b) Distanzdelikte Art. 40 Abs. 1 EGBGB zeichnet sich insbesondere durch seinen Umgang mit Distanzdelikten aus.18 Bei Distanzdelikten liegen der Handlungsort (= Ort der Verletzungshandlung) und der Erfolgsort (= Ort des Schadenseintritts) in unterschiedlichen Staaten. Die schädigende Handlung als haftungsbegründendes Ereignis findet mithin in Staat A statt, während der Schaden in Staat B eintritt und somit dort den Erfolgsort begründet.19 Art. 40 Abs. 1 EGBGB modifiziert für diese Fälle das Tatortprinzip und sieht hier eine Anknüpfung nach dem Ubiquitätsprinzip in Form eines Wahlrechts vor.20 Demnach hat der Geschädigte das Recht, zwischen den in Betracht kommenden Rechtsordnungen zu wählen. Er kann sich zwischen dem Recht des Handlungsorts und dem Recht des Erfolgsorts entscheiden. Die Ausübung des Wahlrechts (sog. Optierung) ist bis zum Ende des frühen ersten Termins bzw. des schriftlichen Vorverfahrens zulässig, Art. 40 Abs. 1 a.E. EGBGB. Optiert der Geschädigte für keine der beiden Rechtsordnungen und liegt auch keine Rechtswahl nach Art. 42 EGBGB vor, so kommt das Recht des Handlungsorts zur Anwendung.21 Ursprünglich war für Art. 40 Abs. 1 EGBGB sogar vorgesehen, dass in jedem Falle das für den Geschädigten günstigere Recht zur Anwendung kommen musste (sogenanntes Günstigkeitsprinzip).22 Diese Regelung des Referentenentwurfs aus dem Jahr 1984 entsprach der bis dahin verbreitet praktizierten richterrechtlichen Ausprägung der Deliktsanknüpfung.23 Sie hätte jedoch zur Folge gehabt, dass in jedem Falle von Amts wegen zu ermitteln gewesen wäre, wie die Rechtslage nach allen in Betracht kommenden Rechtsordnungen zu beurteilen wäre und welches Ergebnis für den Geschädigten danach günstiger ausfiele.24 Dies hätte einen enormen Ermittlungsaufwand für das Gericht zur Folge gehabt, sodass die vorgeschlagene Regelung 18 MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 29; NK-BGB/Wagner, G., Art. 40 EGBGB Rn. 20, vgl. dort auch zu Streudelikten. Ferner Hohloch, Deliktsstatut, S. 104; Junker, in: FS W. Lorenz II, 321, 322; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 821. 19 BeckOK-BGB/Spickhoff, Art. 40 EGBGB Rn. 19; MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 29; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 4; von Bar, IPR BT, § 6 Rn. 650; Hohloch, Deliktsstatut, S. 104. 20 MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 29 ff. 21 MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 23; NK-BGB/G. Wagner, Art. 40 EGBGB Rn. 16, 20; Spickhoff, NJW 1999, 2209, 2213. Zu Rechtsnatur, Voraussetzungen und Qualifikation der Optierung nur MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 35 ff. 22 Art. 40 Abs. 1 RefE 1984, abgedruckt bei von Bar, IPR BT, § 6 Rn. 651. Siehe hierzu Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Vorbem zu Art 38 ff EGBGB Rn. 4, sowie Art. 40 EGBGB Rn. 9 und Wagner, R., IPRax 1998, 429, 433. Krit. zum Günstigkeitsprinzip bereits Schneeweiss, Verhältnis, S. 32 f.; befürwortend dagegen bereits Delachaux, Anknüpfung, S. 180 f. 23 Vgl. Begr. RegE 1999, BT-Drucks. 14/343, 11 m. umfangr. Nachw. zur Rspr. 24 Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376; Wagner, R., IPRax 1998, 429, 433.
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aus prozessökonomischen Gründen zugunsten der heute gültigen Fassung mit einem Wahlrecht des Geschädigten aufgegeben wurde.25 c) Sicherheits- und Verhaltensregeln Hinsichtlich der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln, die nicht dem nach Art. 40 ff. EGBGB berufenen Recht entstammen, hat der Gesetzgeber ausweislich der Materialien bewusst auf eine ausdrückliche Regelung verzichtet.26 Insoweit war der Gesetzgeber der Ansicht, eine solche Berücksichtigung verstehe sich im Einzelfall von selbst bzw. ergebe sich aus der Natur der Sache und lag damit weitgehend im Einklang mit der Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums.27 In methodischer und dogmatischer Hinsicht hilft die kurze Stellungnahme des Gesetzgebers freilich nur wenig weiter.28 Immerhin kann aber als Ausgangspunkt für diese Untersuchung festgehalten werden, dass dem historischen Gesetzgeber des autonomen internationalen Deliktsrechts die Problematik der lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln, die je nach Fallgestaltung vom Deliktsstatut nicht erfasst werden, offenbar bekannt war.29
II. Vereinheitlichtes Kollisionsrecht: Die Rom II-VO Seit ihrem In-Kraft-Treten am 11.1.2009 verdrängt die Rom II-VO für den ganz überwiegenden Teil der außervertraglichen Schuldverhältnisse das autonome Kollisionsrecht. Die Verordnung hat eine herausragende Stellung im Verbund der kollisionsrechtlichen Sekundärrechtsakte. Es handelt sich um die erste europäisch vereinheitlichte Verordnung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts. Ihre (wechselvolle) Entstehungsgeschichte ist dementsprechend umfangreich dokumentiert und hinlänglich bekannt, sodass für die vorliegende Untersuchung auf Ausführungen hierzu unter Verweis auf ausführliche Darstellungen verzichtet wird.30 Als Instrument der justiziellen Zusam25
Begr. RegE 1999, BT-Drucks. 14/343, 11; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 824; BeckOKBGB/Spickhoff, Art. 40 EGBGB Rn. 19; Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Art. 40 EGBGB Rn. 6; Kegel/Schurig, IPR, § 18 IV, S. 725 f. Krit. Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 704 f. 26 Begr. RegE 1999, BT-Drucks. 14/343, 11. Dazu auch Dörner, in: FS Stoll, 491, 496; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 142. 27 So auch BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265, 267 f.; Dörner, in: FS Stoll, 491, 496. 28 Dörner, in: FS Stoll, 491, 496. 29 Zur Berücksichtigung als ungeschriebene Methode des autonomen IPR S. BeckOGKBGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 51 ff. 30 ABl. EU Nr. L 199 v. 31.7.2007, S. 40; Calliess/Halfmeier, Rome Regulations, Art. 1 Rome II Rn. 1 ff.; Dickinson, Rome II, 1.43 ff.; Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./
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menarbeit in Zivilsachen sind die Begriffe der Verordnung autonom auszulegen.31 Dem EuGH kommt nach Art. 267 AEUV das Auslegungsmonopol zu.32 1. Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung erstreckt sich gemäß Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO auf Zivil- und Handelssachen mit Auslandsberührung.33 Die Verordnung stellt in negativer Abgrenzung klar, dass hoheitliches Handeln vom Begriff der Zivil- und Handelssache nicht umfasst ist.34 Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO enthält zusätzlich einen Ausnahmenkatalog, der einzelne Sachgebiete vom Anwendungsbereich der Verordnung ausschließt.35 Im Ganzen lässt sich aber feststellen, dass die Verordnung umfassende kollisionsrechtliche Regelungen vorhält und nahezu das gesamte Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse erfasst.36 Als außervertraglich werden solche Schuldverhältnisse erfasst, die nicht auf der Eingehung einer freiwilligen Verpflichtung beruhen.37 Von Bedeutung auch für die vorliegende Arbeit ist der räumlich-personelle Anwendungsbereich der Verordnung. Die Rom II-VO ist gem. Art. 3 als loi uniforme ausgestaltet und gilt somit universell und damit auch im Verhältnis zu Drittstaaten.38 Die Rom II-VO ist gemäß ihrer Art. 31 f. auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die sich nach dem Inkrafttreten der Verordnung am 11.1.2009 ereignet haben.39
Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 68; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3; NK-BGB/Knöfel, Vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 3; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 60; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 206 f.; von Hein, VersR 2007, 440; Junker, NJW 2007, 3675, 3676; Wagner, G., IPRax 2006, 372; Wagner, R., EuZW 1999, 709; Wagner, R., in: FS Kropholler, 715; Wagner, R., IPRax 2008, 314, 315. 31 Dickinson, Rome II, 3.05; MüKo-BGB/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 30; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Einleitung Rn. 23 f; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 209. 32 MüKo-BGB/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 30; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Einleitung Rn. 22; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 209. 33 Dickinson, Rome II, 3.75; von Hein, ZEuP 2009, 6, 12; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 178. 34 Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 216. 35 Junker, NJW 2007, 3675, 3677. 36 Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 63 f.; Wagner, R., IPRax 2008, 314, 315. 37 Dickinson, Rome II, 3.87, 3.104 ff.; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 218 f. 38 Brödermann, NJW 2010, 807, 809; von Hein, ZEuP 2009, 6, 15; Junker, NJW 2007, 3675, 3677. Zu den Einzelheiten siehe unten Kap. 6 II. 1. c) (S. 154 f.). 39 Dazu klarstellend EuGH, Urt. v. 17.11.2011, C-412/10 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA, ECLI:EU:C:2011:747, Rn. 23, 33.
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2. Verweisungssystem der Rom II-VO Das Verweisungssystem der Rom II-VO basiert auf einer groben Einteilung in drei Abschnitte: Anknüpfungsregeln finden sich für (z.T. typisierte) unerlaubte Handlungen (Kapitel II Rom II-VO), desgleichen für Fälle der ungerechtfertigten Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag sowie der vorvertraglichen Schuldverhältnisse (Kapitel III Rom II-VO) und für die freie Rechtswahl (Kapitel IV Rom II-VO).40 a) Unerlaubte Handlung Kapitel II enthält für besondere Erscheinungsformen der unerlaubten Handlung kollisionsrechtliche Verweisungstatbestände in den Art. 5–9.41 Für das Anliegen dieser Untersuchung ist indes vor allem die Generalklausel des Art. 4 Rom II-VO von zentraler Bedeutung. Die Vorschrift fungiert ausweislich ihrer Überschrift als „Allgemeine Kollisionsnorm“. Sie ist nach ihrem Wortlaut und nach ihrer systematischen Stellung in Kapitel II allerdings nur auf die nicht besonders erfassten Fälle der unerlaubten Handlung anwendbar.42 Das schmälert die praktische Bedeutung der Vorschrift freilich nicht.43 Gerade als allgemeine Norm unterfällt ihr ein Großteil der Lebenssachverhalte.44 Art. 4 Rom II-VO enthält drei Absätze, die einer inneren Systematik von speziellem Regelfall (Abs. 2), generellem Auffangtatbestand (Abs. 1) und Ausweichklausel (Abs. 3)45 folgen.46 Demnach richtet sich das anwendbare Recht gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO grundsätzlich nach dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem, sofern ein solcher vorhanden ist. In autonomer Auslegung hat der EuGH den gewöhnlichen Aufenthalt einer (natürlichen) Person zunächst als den Ort des „ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt[s] seiner Lebensinteressen“ definiert.47 Diese Defi40
Dazu auch Junker, NJW 2007, 3675, 3676. Dazu Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 5. 42 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 2 f. Zur Begriffsbestimmung ausführlich MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rn. 13 ff.; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 17 ff. 43 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 3. A.A. Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 9. 44 Zuzugeben ist insoweit aber, dass sich der Anwendungsbereich in der Praxis sachlich wohl überwiegend auf Straßenverkehrs- und Sportunfälle beschränkt, vgl. Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 252; Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 9 f. 45 Ausführlich hierzu Stoll, in: FS Reischauer, 389, 396 ff. 46 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 2; MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 7 f.; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 1; Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 6. 47 EuGH, Urt. v. 15.9.1994 – C-452/93 P, ECLI:EU:C:1994:332 Rn. 22 Fernández/Kommission. Zu dieser Definition auch Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 11 f., der keinen sachlichen Anlass für eine autonome Auslegung des Begriffs sieht. 41
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Erster Teil: Grundlagen
nition erscheint zuweilen unpräzise, etwa wenn mehrere Interessenschwerpunkte in unterschiedlichen Staaten existieren,48 und ist daher vom EuGH einzelfallabhängig weiter modifiziert worden.49 Eine einheitliche Definition des gewöhnlichen Aufenthalts hat die EuGH-Rechtsprechung bislang allerdings nicht hervorgebracht.50 In der Regel reichen die entwickelten Teildefinitionen aber zur Lokalisierung des gewöhnlichen Aufenthalts und für die Entwicklung einer autonomen rechtsakt- bzw. einzelfallabhängigen Begriffsdefinition aus.51 Für juristische Personen enthält Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO eine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts, die an den Ort der Hauptverwaltung anknüpft, sofern nicht ein schadensbegründendes Ereignis aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung vorliegt. Liegt kein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem vor, so erfolgt die Anknüpfung nach Absatz 1. Danach bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Ort des Schadenseintritts. Dieser Wortlaut der deutschen Sprachfassung nötigt dem Rechtsanwender eine Konkretisierung ab. Die Formulierung „in dem der Schaden eintritt“ (englische Sprachfassung: „the country in which the damage occurs“) meint tatsächlich nicht den Ort, an dem der Geschädigte irgendeinen konkreten Schaden erlitten hat, sondern nur den Ort der ersten Rechts- bzw. Rechtsgutverletzung. Es findet alse eine Anknüpfung an den Erfolgsort der schädigenden Handlung statt.52 Gestützt wird diese Auslegung durch den letzten Halbsatz der Vorschrift, der eine Anknüpfung unabhängig vom Staat des schadensbegründenden Ereignisses (also des Handlungsorts) verlangt. Während das autonome Kollisionsrecht in Art. 40 Abs. 1 EGBGB am Ubiquitätsprinzip festhält und auch das europäische Zivilverfahrensrecht in Auslegung durch den EuGH gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO alternativ auf den Handlungs- oder den Erfolgsort abstellt,53 beschränkt sich Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO dem Wortlaut nach somit auf den Ort des Schadenseintritts.54 48
Näher hierzu NK-BGB/Schulze, G., Art. 28 EGBGB Rn. 12 ff. Für den Bereich der Persönlichkeitsverletzungen: EuGH, Urt. v. 25.10.2011 – C509/09, C-161/10, ECLI:EU:C:2011:685 Rn. 49 eDate Advertising. 50 NK-BGB/Schulze, G., Art. 28 EGBGB Rn. 15. 51 NK-BGB/Schulze, G., Art. 28 EGBGB Rn. 15; Rentsch, GPR 2015, 191, 195 ff. Siehe auch Dickinson, Rome II, 3.48 ff.; von Hein, ZEuP 2009, 6, 18. 52 Zum Ganzen Wagner, G., IPRax 2008, 1, 4, der das Erfolgsortprinzip anschaulich aus einem Vergleich mit der englischen Sprachfassung der Verordnung herleitet. Siehe auch Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 7; de Lima Pinheiro, Riv.dir.int.priv.proc. 44 (2008), 5, 17; von Hein, ZEuP 2009, 6, 16; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 187; Trüten, EuZ 2008, 82, 85 f. 53 Junker, NJW 2007, 3675, 3678 m.w.N. zur Rspr. 54 G.h.M., Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 7, 13 f. m.w.N.; MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 18; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 1. Zu Art. 7 Brüssel Ia-VO siehe Musielak/Voit/Stadler, Art. 7 EuGVVO n.F. Rn. 19; Saenger-ZPO/Dörner, Art. 7 EuGVVO Rn. 32. 49
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In Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO eröffnet die Verordnung schließlich eine Korrekturmöglichkeit für den Fall einer vorhandenen und vom Deliktsstatut abweichenden offensichtlich engeren Verbindung. Bereits die ersten beiden Abätze haben das Ziel, objektiv das Recht der engsten Verbindung zu bestimmen.55 Für den Fall, dass dies durch abstrakte Bestimmungen nicht gelingt, soll Absatz 3 eine Lösung bieten.56 Entscheidend ist, dass Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO auf eine „offensichtlich engere Verbindung“ abstellt und damit restriktiv anzuwenden ist.57 Typischerweise wird von der Vorschrift die akzessorische Anknüpfung an ein bestehendes Vertragsverhältnis intendiert, wie sich aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 a.E. Rom II-VO ergibt.58 Zu beachten ist zudem, dass der Wortlaut für die akzessorische Anknüpfung einen Vertrag „zwischen den Parteien“, also zwischen Schädiger und Geschädigtem verlangt.59 Die Bestimmung des Deliktsstatuts war bereits im autonomen deutschen IPR nicht immer unproblematisch. Auch das als Grundanknüpfung konzipierte Erfolgsortprinzip im vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht hat trotz seiner Klarheit nicht alle kollisionsrechtlichen Probleme auflösen können. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach der Anknüpfung an den Erfolgsort stellt sich im Wesentlichen in drei Fallkonstellationen unterschiedlich dar: aa) Platzdelikte Ebenso wie im autonomen Kollisionsrecht sind auch in der Rom II-VO Platzdelikte regelmäßig die unproblematischste Fallgruppe. Handlungs- und Erfolgsort sind identisch und stellen meist auch das anwendbare Recht. Anderes ergibt sich allenfalls dann, wenn die Beteiligten einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben und daher die Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 2 Rom IIVO erfolgen muss. In diesen Fällen kann der Handlungsort vom anwendbaren Recht abweichen. bb) Distanzdelikte Die Anknüpfung an den Erfolgsort in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO hat vor allem für mehr Klarheit hinsichtlich der Anknüpfung von Distanzdelikten gesorgt. Da der Handlungsort nicht mehr als Anknüpfungspunkt zur Verfügung steht, müssen und können weder der Rechtsanwender, noch der Geschädigte eine Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Statut fällen, sondern es ist stets 55
Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 4. de Lima Pinheiro, Riv.dir.int.priv.proc. 44 (2008), 5, 19. 57 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 46; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 82. Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 12 betont ausdrücklich die geringe praktische Relevanz der Vorschrift. 58 Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 12. 59 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 50; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 66. 56
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Erster Teil: Grundlagen
an den Erfolgsort anzuknüpfen.60 Auch die speziellen Anknüpfungsnormen für typisierte Varianten des grenzüberschreitenden Delikts sehen grundsätzlich kein subjektives Element zur Ermittlung des Statuts mehr vor. Eine Ausnahme bildet insoweit nur der auf Umweltdelikte beschränkte61 Art. 7 Rom II-VO. Hier sieht auch die Rom II-VO ein Wahlrecht nach dem Ubiquitätsprinzip weiterhin vor.62 Eine strukturell vergleichbare Fallgruppe bilden die sogenannten Streudelikte. Dabei handelt es sich um deliktische Handlungen, die zu mehreren Erfolgsorten in verschiedenen Staaten führen. Auch in diesen Fällen ist mit dem starken Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO für jeden Schaden gesondert an den jeweiligen Erfolgsort anzuknüpfen (sogenannte Mosaikbetrachtung).63 Für besondere Fälle wird zudem vertreten, dass unter strengen Voraussetzungen auch eine Anknüpfung an den Schwerpunkt der unerlaubten Handlung in Form eines Haupterfolgsorts oder gar des Handlungsorts möglich sein soll.64 Zu beachten ist indes, dass typische Erscheinungsformen des Streudelikts, etwa Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Umweltdelikte, regelmäßig nicht unter Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO fallen.65 Solche Delikte unterfallen entweder besonderen Anknüpfungsregeln (Art. 7 Rom II-VO) oder sind gänzlich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom IIVO). Die Diskussion um die kollisionsrechtliche Behandlung von Distanzdelikten im Hinblick auf das Tatortprinzip66 kann aufgrund der Eindeutigkeit des Wortlauts im Rahmen der kollisionsrechtlichen Bestimmung des Deliktsstatuts durch die Rom II-VO somit mangels Bedeutung für das Ergebnis vernachlässigt werden. cc) Indirekte Schadensfolgen Eine Neuerung im Vergleich zum autonomen deutschen Kollisionsrecht bildet Art. 4 Abs. 1 a.E. Rom II-VO. Hier findet sich eine Klarstellung für „indirekte
60 Dickinson, Rome II, 4.33, 4.35; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 47. Dagegen sieht Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 9 keinen Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO für Distanzdelikte mehr vor. 61 Dazu ausführlich Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 77, 79 f. 62 Matthes, GPR 2011, 146, 148. 63 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 49 f. 64 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 32; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 51. 65 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 31; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 48. 66 Nachweise siehe unten Kap. 2 Fn. 202, 203 (S. 48).
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Schadensfolgen“. Dabei handelt es sich um Schäden, die in einem anderen Staat als der ursprüngliche (Erst-)Schaden auftreten.67 (1) Behandlungskosten Typischerweise fallen unter diese Fallgruppe Behandlungskosten körpergeschädigter Personen, die abseits ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts geschädigt werden und anschließend eine Heilbehandlung am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Anspruch nehmen.68 Ansprüche auf Ersatz der Behandlungskosten richten sich sodann gem. Art. 4 Abs. 1 a.E. Rom II-VO und Erwägungsgrund 17 allerdings nicht nach dem Recht des Orts, an dem die Heilbehandlung vorgenommen wird, sondern vollumfänglich nach dem Recht des Orts des ersten Schadenseintrittes, mithin dem Ort des unmittelbaren Eingriffs in das Rechtsgut.69 (2) Ansprüche mittelbar geschädigter Personen Eine weitere Fallgruppe für indirekte Schadensfolgen sind nach jüngerer EuGH-Judikatur70 die sogenannten „Schock- und Trauerschäden“ naher Angehöriger.71 Hierbei handelt es sich um Schäden von Zweitgeschädigten, etwa Ehegatten oder Eltern, die in Folge der Todesnachricht des durch deliktische Handlungen ums Leben gekommenen Angehörigen einen Schock oder ein behandlungsbedürftiges Trauma erleiden und so einen relevanten Schaden zurückbehalten.72 Der Anspruchsberechtigte des Erstschadens und der Anspruchsberechtigte des Zweitschadens sind in diesen Fällen also nicht identisch. Gleichzeitig können Angehörige zudem reine Vermögensschäden, etwa in Form des Verlustes von Unterhaltsleistungen durch Tod oder Invalidität des
67 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 14 m.w.N.; MüKoBGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 28 ff.; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4; Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 10 f. 68 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 37; Differenzierend MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 30, der zumindest den späteren Todeseintritt als eigenen Schaden qualifizieren möchte. Krit. dazu Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 16. 69 Dazu Stoll, in: FS Reischauer, 389, 399 f. Die Problematik des Schockschadens behandelt Stoll ebd. Auch ohne ausdrücklichen Ausschluss durch den Wortlaut ist Art. 40 Abs. 1 EGBGB ebenfalls so zu verstehen, dass Verletzungsfolgeschäden nicht umfasst sind: BeckOK-BGB/Spickhoff, Art. 40 EGBGB Rn. 24; MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 31. 70 EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 Lazar/Allianz SpA, ECLI:EU:C:2015:802, Rn. 25. 71 Ausführlich Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 18; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 52 ff. 72 MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 186.
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unmittelbar geschädigten nahen Angehörigen erleiden.73 Den so vermögensoder nichtvermögensgeschädigten Personen kann je nach nationalem Sachrecht zwar ein eigener Anspruch auf Schadensersatz zustehen.74 Diese Ansprüche hat der EuGH in jüngster Rechtsprechung allerdings gleichwohl unselbstständig an das Deliktsstatut des Schadensersatzanspruches des Erstgeschädigten angeknüpft.75 b) Freie Rechtswahl Dem Kontext des internationalen Vertragsrechts entstammt der Vorrang der Partei- und Privatautonomie im IPR.76 Den Parteien steht dort grundsätzlich ein Wahlrecht zugunsten einer (und damit zuungunsten einer oder mehrerer anderer) Rechtsordnung zu, Art. 3 Rom I-VO. Ähnliche Mechanismen zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte enthält das internationale Zivilverfahrensrecht in Art. 25 Brüssel Ia-VO. Auch im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse soll diese Möglichkeit grundsätzlich fruchtbar gemacht werden. Dies ist freilich nur mit Einschränkungen möglich, insbesondere da ein deliktischer Lebenssachverhalt regelmäßig nicht im Voraus plan- oder verhandelbar ist. Art. 14 Abs. 1 lit. a) Rom II-VO sieht daher uneingeschränkt nur die Möglichkeit einer nachträglichen Rechtswahl vor.77 Die Wahl des anwendbaren Rechts vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses lässt Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II-VO dagegen nur im Rahmen einer kommerziellen Tätigkeit aller beteiligten Parteien zu,78 da hier der Eintritt 73
Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 31. So zum Beispiel im italienischen Recht, vgl. Jaeger, VersR 2017, 1041, 1043; Kadner Graziano, RIW 2016, 227 jeweils m.w.N. Das deutsche Recht kannte bisher im Grundsatz keinen eigenen Anspruch des zweitgeschädigten Angehörigen. Den betroffenen Personen konnte allenfalls ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB zustehen. Die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung setzte hierfür bislang äußerst hohe Hürden in Form einer Erheblichkeitsschwelle, weil der Ersatz reiner Vermögensschäden dem deutschen Deliktsrecht im Grundsatz fremd ist. Dazu BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 56, 163, 166 f. sowie aus jüngerer Zeit BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 f., Rn. 7 m.N.z. st. Rspr. Vgl. auch MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 186 ff. m.w.N. Seit dem 22.7.2017 enthält das deutsche Recht in § 844 Abs. 3 S. 1 BGB einen eigenen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, über den reine Vermögensschäden ersetzt werden können. Dazu Jaeger, VersR 2017, 1041 m.w.N. 75 EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 Lazar/Allianz SpA, ECLI:EU:C:2015:802, Rn. 25, 30. 76 Vgl. dazu Art. 3 Rom I-VO sowie Dok. KOM(2003) 427 (endg.), S. 24 f. Zum Ganzen MüKo-BGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 8. 77 MüKo-BGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 16; von Hein, ZEuP 2009, 6, 20; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 215. 78 MüKo-BGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 21 ff.; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 215. 74
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von deliktischen Haftungstatbeständen zwischen konkreten Parteien absehbarer und planbarer erscheint als im allgemeinen Rechtsverkehr. Auch eine Teilrechtswahl lässt Art. 14 Rom II-VO nach herrschender Meinung im Ergebnis zu.79 Das Resultat einer solchen Teilrechtswahl ist die ausnahmsweise Möglichkeit einer an sich unzulässigen dépeçage im internationalen Deliktsrecht. Dabei handelt es sich um die Aufspaltung des Deliktsstatuts in mehrere Einzelstatute.80 Soweit eine wirksame Rechtswahl getroffen wurde, geht sie der objektiven Anknüpfung vor.81 c) Umfang des Deliktsstatuts Das Deliktsstatut folgt hinsichtlich seines Umfanges sowohl im autonomen Kollisionsrecht als auch in der Rom II-VO dem sogenannten Prinzip der Einheitsanknüpfung82. Der Begriff „unerlaubte Handlung“ und die Verweisungen des Deliktsstatuts sind demnach grundsätzlich weit zu verstehen.83 Einheitliche Schadensereignisse werden stets nur einer Rechtsordnung unterstellt, um den inneren Entscheidungseinklang zu gewährleisten.84 Die Aufspaltung (dépeçage) des Deliktsstatuts durch Sonderanknüpfung einzelner Tatbestandsmerkmale soll aus Gründen der Rechtssicherheit85 so weit wie möglich vermieden werden. Davon ausgenommen sind freilich klassische Vorfragen wie etwa der Bestand eines Sachenrechts86 und die Möglichkeit der Teilrechtswahl.87 Für die Rom II-VO ergibt sich dies aus Art. 15, der umfangreich alle wesentlichen Elemente des Deliktstatbestandes den Verweisungsnormen der Verordnung unterstellt. Insbesondere werden in lit. a) und lit. c) der Grund und der 79
MüKo-BGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 37; Rauscher/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 14 Rom II-VO Rn. 34; Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 152 f. Zurückhaltend NKBGB/Gebauer, Art. 14 Rom II-VO Rn. 32; Palandt-BGB/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 4. A.A. (Unzulässigkeit der Teilrechtswahl und der damit verbundenen dépeçage): Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 14 Rome II Rn. 35; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 240. 80 Zum Begriff siehe MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 105; Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 5 ff.; Mansel, in: FS Canaris II, 739, 747 ff. Ausführlich hierzu sogleich unten. 81 MüKo-BGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 38. 82 Zu diesem Begriff MüKo-BGB/Junker, Art. 15 Rom II-VO Rn. 5 m.w.N. sowie Mansel, in: FS Canaris II, 739, 771 f. 83 MüKo-BGB/Junker, Art. 15 Rom II-VO Rn. 5; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 2. Für das autonome Recht siehe MüKo-BGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 99; Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Vorbem zu Art. 40 EGBGB Rn. 1. Vgl. auch NK-BGB/Dörner, Art. 40 EGBGB Rn. 6; Wagner, R., IPRax 1998, 429, 432. 84 Mansel, VersR 1984, 97, 103. 85 Vgl. MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 106. Siehe dazu auch die Ausführungen zu den Zwecken des Deliktsrechts unten Kap. 2 IV. 1. (S. 36 ff.). 86 Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 18. 87 Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 172.
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Erster Teil: Grundlagen
Umfang der Haftung, sowie das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens einheitlich dem Deliktsstatut unterstellt. Eine dépeçage jedenfalls des objektiven Deliktsstatuts ist damit erkennbar auch vom Verordnungsgeber nicht gewollt.88 Der Wortlaut in den einzelnen Kollisionsnormen selbst spricht ebenfalls gegen eine dépeçage. So finden sich etwa in Art. 4 Rom II-VO ausschließlich direkte Artikel („das Recht des Staates“; „das Recht dieses [...] Staates“89). Daraus ergibt sich, dass gerade keine Maßgeblichkeit mehrerer und ggf. voneinander abweichender Rechtsordnungen für den Einzelfall gewollt ist.90 Anderes kann sich allenfalls für die ohnehin nur eingeschränkt mögliche und hier wenig relevante subjektive Anknüpfung des Deliktsstatuts ergeben.91
III. Lösung der Ausgangssachverhalte Auf Grundlage des dargelegten Anknüpfungssystems der Rom II-VO werden die zu Beginn der Arbeit vorangestellten problematischen Sachverhalte92 im Folgenden einer kollisionsrechtlichen Lösung zugeführt. Der Anwendungsbereich der Rom II-VO ist für jeden der Sachverhalte eröffnet. Es handelt sich jeweils um privatrechtliche Streitigkeiten, die keinen öffentlich-rechtlichen Bezug aufweisen. Eine Auslandsberührung ist stets vorhanden und die zeitliche Anwendbarkeit der Verordnung wird im Zweifel unterstellt. Einzig im Falle des Flugzeugunglücks sind Konkurrenzen der Rom II-VO zu anderen Staatsverträgen zu beachten. Erforderlich ist zunächst die internationalprivatrechtliche Qualifikation der unterstellten Lebenssachverhalte, die jeweils zu den Tatbeständen der unerlaubten Handlung in Art. 4 Rom II-VO führt. 1. Sprengung im Gebirge Die geltend gemachten Ansprüche der geschädigten englischen Ski-Touristen des Ausgangssachverhalts zielen auf Schadensersatz aufgrund von Eingriffen in die körperliche und gesundheitliche Integrität. Neben Heilbehandlungskosten kommen insbesondere Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche wegen entgangenen Gewinns, etwa Verdienstausfall, in Betracht. Es handelt sich bei allen geltend gemachten Ansprüchen mangels vertraglicher Bindung jeweils um solche aus unerlaubter Handlung. Eine Rechtswahl haben die einander unbekannten Parteien nicht getroffen. Im Grundfall verbindet sie auch kein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt im 88 Differenzierend hierzu vgl. Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 172 ff. mit Darstellung der ganz vereinzelt vertretenen Gegenansicht. 89 Hervorhebungen d. Verf. 90 Hierzu krit. Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 172 f. 91 Dazu ausführlich Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 149 ff. 92 Siehe oben, Kap. 1 II (S. 8 ff.).
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Sinne von Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO, da der Sprengmeister S seinen Wohnsitz in Österreich hat, während die geschädigten Touristen aus England stammen. Somit ist gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO an den Erfolgsort der deliktischen Handlung anzuknüpfen.93 Die erste unmittelbare Beeinträchtigung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität der Geschädigten trat im Zeitpunkt des Zusammenpralls mit der abgehenden Lawine ein. Dies geschah auf italienischem Staatsgebiet. Die Sprengung im Gebirge ist demnach ein Distanzdelikt. Während der Handlungsort in Frankreich liegt, tritt der Erfolg der Handlung mit der ersten Rechtsbeeinträchtigung bzw. Rechtsgutverletzung auf italienischem Staatsgebiet ein. Das italienische Recht ist als Erfolgsortrecht auf die geltend gemachten deliktischen Schadensersatzansprüche anzuwenden.94 Damit liegt die Problemstellung des ersten Beispiels offen: Die Auslösung der Sprengung und damit das schadensursächliche Verhalten des S ist auf der französischen Seite der Alpen belegen. Das anwendbare Recht richtet sich dagegen nach dem in Italien belegenen Erfolgsort. Der Handlungsort weicht somit geografisch vom Erfolgsort und der darauf basierenden lex causae ab. Fraglich ist daher, nach welchen Sicherheits- und Verhaltensregeln der S billigerweise seine Sprengungen durchführen durfte. Nicht weniger problematisch ist das Ergebnis der Abwandlung: Hier kommt als gemeinsames Aufenthaltsrecht das österreichische Recht gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO zur Anwendung. Auch hier weicht der Handlungsort vom Deliktsstatut geografisch ab und wirft so die Frage nach der Relevanz der lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln auf, zumal Schädiger und Geschädigte einander nicht kannten und die rechtliche Verbindung über den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt überaus zufällig erscheint.95 Die Variationen der subjektiven Motivlage des S haben auf die objektive Bestimmung des anwendbaren Rechts insoweit keinen Einfluss. Gem. Art. 17 Rom II-VO können die französischen Sicherheitsbestimmungen als Grundlage für den Verhaltensmaßstab des S berücksichtigt werden. Ob eine solche Berücksichtigung angemessen ist und in welchem Umfang die französischen Bestimmungen berücksichtigt werden müssen, hängt objektiv davon ab, ob der Erfolgsort bzw. der gemeinsame gewöhnliche Aufenthaltsort der Beteiligten als Anknüpfungsmoment eine internationalprivatrechtlich gerechte 93
Eine Qualifikation des Geschehens als Umweltdelikt gem. Art. 7 Rom II-VO erscheint zwar auf den ersten Blick denkbar, scheitert nach hier vertretener Ansicht aber an der mangelnden Zerstörung der Umwelt, da der Abgang der Lawine alleine noch nicht als Umweltschaden zu qualifizieren ist, vgl. ErwG 24 Rom II-VO. Hilfsweise kann für die hier exemplarisch unterstellten Sachverhalte davon ausgegangen werden, dass die Geschädigten ihr Optionsrecht aus Art. 7 Rom II-VO nicht gebrauchen und es somit bei der Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO bleibt. 94 Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 187. 95 Dazu BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733; Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 201.
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Erster Teil: Grundlagen
Lösung herbeiführt oder nicht. Im Falle der Abwandlung, also bei einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der einander nicht bekannten Beteiligten in einem Drittstaat wird dies aufgrund der geringen Vorhersehbarkeit des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts kaum der Fall sein, sodass in diesem Fall die französischen Sicherheits- und Verhaltensregeln herangezogen werden können. Soweit keine Anzeichen dafür bestehen, dass der S gezielt einen Schadenserfolg in einem anderen Staat als demjenigen der deliktischen Handlung herbeiführen wollte, können die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes grundsätzlich zur Bestimmung des Verhaltensmaßstabes herangezogen werden. Anders liegt es, wenn die subjektive Motivlage des Schädigers auf die Herbeiführung eines Schadens im Ausland gerichtet ist. Hier erscheint es nicht angemessen, den Sicherheits- und Verhaltensmaßstab am Handlungsort, in casu Italien, auszurichten.96 Aus dieser Fülle von Einzelfallmerkmalen ergibt sich, in welcher Intensität die zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln das Deliktsstatut ergänzen bzw. korrigieren. Die Anwendung des Art. 17 Rom II-VO erfolgt demnach besonders einzelfallabhängig und führt im Ergebnis regelmäßig zum tatbestandlichen Vorliegen oder Nichtvorliegen des deliktsrechtlichen Verschuldenserfordernisses. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Kriterien zu entwickeln bzw. zu vertiefen, die die Einzelfallabhängigkeit des Art. 17 Rom IIVO und der Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln konturieren und zumindest partiell durch abstrakte Regeln ersetzen. 2. Transnationale Textilproduktion In den Textilproduktionssachverhalten sind Schadensersatzansprüche der überlebenden Arbeiterinnen und Arbeiter aus den beiden betroffenen Fabriken denkbar. Dabei kann es sich um den Ausgleich von Heilbehandlungskosten, Schmerzensgeldzahlungen aufgrund erlittener Traumata oder den Ausgleich von Verdienstausfall und dauerhafter Arbeitsunfähigkeit handeln. Die denkbaren Sachverhaltskonstellationen und haftungsbegründenden Lebensumstände sind demnach breit gestreut und decken ein großes Spektrum von Anspruchsbegründungen ab. Insbesondere muss davon ausgegangen werden, dass gleichermaßen Vermögens- und Nichtvermögensschäden geltend gemacht werden. Nicht nur die Überlebenden der Schadensereignisse, sondern auch deren Angehörige und die Hinterbliebenen der Todesopfer können überdies anspruchsberechtigt sein. Abhängig von der Struktur und dem System des anwendbaren Rechts kommen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche in Betracht.97 96
Näher dazu siehe unten, Kap. 6 II. 4. b) (S. 176 ff.). Neben Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, die Schäden an der körperlichen und gesundheitlichen Integrität sowie Sachschäden zur Folge haben, sind zusätzlich und unter engen Voraussetzungen auch Anspruchsbegründungen aus Geschäftsführung ohne Auftrag und bereicherungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen denkbar. Ausführlich hierzu Osieka, 97
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Ähnlich wie die Beispielsfälle der Gebirgssprengung liegen auch die Textilproduktionssachverhalte als Distanzdelikte vor. Dies ist erörterungsbedürftig, da ein kursorischer Blick auf das Geschehen zunächst ein Platzdelikt vermuten lässt. Immerhin ist das vermeintlich vollständige Schadensgeschehen an einem einzigen, geografisch konkret bestimmbaren Ort belegen. Dabei handelt es sich jeweils um den Ort des Zusammensturzes bzw. des Ausbrennens der Fabrikgebäude. Hier können die unmittelbar zum Schaden führende deliktische Handlung, etwa das Entfachen des Feuers oder die Überbelegung der Fabrik, ebenso verortet werden wie der Schadenseintritt und damit der deliktische Erfolg selbst.98 Denn hier traten die unmittelbaren Beeinträchtigungen von Körper und Gesundheit oder gar Leben ein. Auch Eigentumsbeeinträchtigungen wie etwa Sachbeschädigungen können unmittelbar auf den Ort dieses Geschehens zurückgeführt werden. Die vorliegende Betrachtung zielt dagegen ebenso wie jüngere Auseinandersetzungen zum Themenkomplex der Menschenrechtsverletzungen transnationaler Unternehmen99 auf einen deutlich früheren Zeitpunkt der Kausalkette ab. Betrachtet wird das Verhalten des Textilunternehmens im Hintergrund. So soll untersucht werden, wie die organisatorischen Leitentscheidungen in den Zentralen des Mutterkonzerns in Deutschland das kollisionsrechtliche Ergebnis beeinflussen.100 Die Vorverlagerung der Betrachtung innerhalb der Kausalkette mag in materiellrechtlicher Hinsicht zunächst Bedenken bezüglich der Zurechenbarkeit des Geschehens hervorrufen. Dies bleibt für die kollisionsrechtliche Qualifikation des Lebenssachverhalts indes ohne größere Relevanz. Hier ist lediglich erforderlich, dass ein deliktisches Geschehen zumindest denkbar ist und durch den Geschädigten plausibel dargelegt wird.101 Die Zurechnung des deliktischen Verhaltens zum deliktischen Erfolg bleibt dagegen auch weiterhin dem materiellen Recht vorbehalten. Damit ist der Handlungsort im kollisionsrechtlichen Sinne am Ort der organisatorischen Leitentscheidung des Mutterkonzerns in Deutschland belegen. Eine kollisionsrechtliche Anknüpfung an diesen Handlungsort sieht die Rom II-VO indes nicht vor. Mangels Rechtswahl und gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ist zur Bestimmung des Deliktsstatuts daher Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO einschlägig. Demnach ist an den Erfolgsort anzuknüpfen, der in den Textilproduktionssachverhalten am Ort des Zusammenbruchs der Fabriken liegt. Denn dort traten die Zivilrechtliche Haftung, S. 172 ff. sowie S. 208 ff. Diese Aspekte bleiben vorliegend mangels Bedeutung für die Untersuchungsziele außer Acht. 98 Güngör, Sorgfaltspflichten, S. 119 f. 99 Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 35 (S. 11). 100 Güngör, Sorgfaltspflichten, S. 119, stellt dagegen auf ein Unterlassen des Mutterkonzerns ab. 101 BeckOGK-BGB/Rühl, Art. 4 Rom II-VO Rn. 56; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391. Krit. dazu jedenfalls hinsichtlich des internationalen Zivilverfahrensrechts Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 735.
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Erster Teil: Grundlagen
unmittelbaren erste Schädigungen des Körpers oder des Lebens der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter ein. Mithin ist jeweils das Recht des Produktionsstaats kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen. In den beiden hier unterstellten Sachverhaltskonstellationen ist daher nach der deliktischen Grundanknüpfungsregel pakistanisches bzw. bangladeschisches Recht auf die Schadensersatzansprüche der unmittelbar und mittelbar geschädigten Personen anzuwenden.102 Von diesem Statut kann mangels Rechtswahl allenfalls noch nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO abgewichen werden, wenn eine offensichtlich engere Verbindung des Sachverhalts zu einem anderen Recht besteht. Die Vorschrift dient der Abwägung von Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit und kommt in Ausnahmefällen zur Anwendung.103 Sie enthält den klassischen kollisionsrechtlichen Gedanken, dass bei Kollision zweier Rechtssysteme das „beste“ Recht im Sinne von räumlicher oder sachlicher Geeignetheit anzuwenden ist.104 Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ist demnach als Ausweichklausel restriktiv zu handhaben. Die Vorschrift gewährleistet mithin keine materiellrechtlich basierte Abweichung von dem objektiven Deliktsstatut zugunsten einer anderen Rechtsordnung mit einem mutmaßlich höheren Schutzniveau zugunsten des Geschädigten.105 Soweit also neben einem mutmaßlich höheren materiellrechtlichen Schutzniveau keine weiteren Anhaltspunkte für eine offensichtlich engere Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung als der kollisionsrechtlich berufenen bestehen, kann nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO das deutsche Recht in den Textilproduktionsfällen kollisionsrechtlich nicht zur Anwendung gebracht werden. Insgesamt bleibt es daher bei der Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom IIVO, wonach das drittstaatliche Recht auf die vorliegenden Sachverhalte anzuwenden ist.106 Auch im zweiten Fallbeispiel liegt somit eine Abweichung des Handlungsorts vom Erfolgsort, der die lex causae bestimmt, vor, sodass eine Anwendung des Art. 17 Rom II-VO in Betracht kommt. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob der frühe Handlungszeitpunkt (siehe oben) dazu führt, dass Sicherheits- und Verhaltensregeln des Ortes der organisatorischen Leitentscheidung berücksichtigt werden müssen. Denkbar wäre somit, dass die Leitentscheidung an einem deutschen Firmensitz zur Berücksichtigung deutscher Arbeitsschutzbestimmungen oder baulicher Sicherheitsstandards am Schadensort in Bangladesch oder Pakistan führt. Auch hier lässt sich der Wortlaut des 102 Zu diesem Ergebnis kommen ebenso Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391; Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 739 f.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 393. 103 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 46. 104 Vgl. dazu auch ErwG 14 der Verordnung, der einen Ausgleich von Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit fordert. 105 So aber Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391 f. Wie hier Mansel, ZGR 2018, 439, 456 ff. Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 741. 106 So i.E. auch Enneking, Foreign direct liability, S. 218 und Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 394.
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Art. 17 Rom II-VO prima facie auf die Sachverhalte anwenden, sodass man Verstöße des Unternehmens bzw. seiner Vertreter gegen die zu berücksichtigenden deutschen Sicherheits- und Verhaltensregeln abhängig von einer Angemessenheitsprüfung im Einzelfall grundsätzlich bejahen könnte und somit im Ergebnis zu einem Verschulden und der daraus resultierenden Haftpflicht der Beteiligten gelangen könnte. Ebenso wie bei der Gebirgssprengung ist in diesen Fällen damit das materielle Ergebnis unter Hinzuziehung des Art. 17 Rom II-VO zu ermitteln. Allerdings bleibt auch hier zunächst noch fraglich, nach welchen abstrakten Kriterien die Berücksichtigung von (in casu deutschen) Sicherheits- und Verhaltensregeln dogmatisch stattfindet und wo sie ihre Grenzen findet.107 3. Flugzeugabsturz Die Konstellation des Flugzeugabsturzes ist in kollisionsrechtlicher Hinsicht anspruchsvoll. Denn auch hier findet eine besonders frühe Betrachtung der Kausalkette statt. So kann der unmittelbar handelnde Co-Pilot aufgrund seines Todes selbst nicht mehr in Anspruch genommen werden. Ansprüche gegen den oder die Rechtsnachfolger bleiben für diese Untersuchung außer Betracht. Was bleibt, ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Hinterbliebenen gegenüber der Fluggesellschaft. Ebenso wie in den Fällen der transnationalen Textilproduktion kommt ausschließlich eine Haftung aus Organisationsverschulden in Betracht. Ansatzpunkt für eine vorwerfbare deliktische Handlung sind insoweit die Ausstellung des Flugtauglichkeitszeugnisses und die Einteilung des Co-Piloten für den betroffenen Flug oder alternativ die unterlassene Überprüfung der Flugtauglichkeit des Co-Piloten. Die Rom II-VO steht in Fällen von Flugzeugunglücken in Konkurrenz zu staatsvertraglichen Regelungen und wird insoweit teilweise überlagert. Insbesondere kommt das Montrealer Übereinkommen108 vorrangig zur Anwendung. Gleichwohl verbleibt ein Restanwendungsbereich der Rom II-VO, der sich vor allem auf die Haftungsausfüllung, also Fragen der Schadensberechnung und zurechnung bezieht.109 Für die Zwecke der vorliegenden Betrachtung wird die Rom II-VO als uneingeschränkt anwendbar unterstellt, um den exemplarischen Wert der Sachverhaltskonstellation110 zu erhalten. Im Rahmen der Rom II-VO stellt sich sodann die Frage nach dem anwendbaren Recht. Da die Beteiligten keinen gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben (für die Fluggesellschaft vgl. Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO), kann die Anknüpfung lediglich über 107
Dazu unten Kap. 6 II (S. 151 ff.). Für Deutschland gilt das Montrealer Übereinkommen seit dem 28.6.2004, BGBl. 2004 II 1371. Zum Anwendungsvorrang und zum Inhalt des Montrealer Übereinkommens Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R Rn. 261. 109 Ausführlich dazu Weller/Rentsch/Thomale, NJW 2015, 1909. 110 Vgl. insoweit unten Kap. 8 III (S. 199 f.). 108
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Art. 4 Abs. 1 oder Abs. 3 Rom II-VO erfolgen. Im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO muss der Erfolgsort des Angehörigenschadens lokalisiert werden. Als solcher kommt prima facie der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des geschädigten Angehörigen, hier der Ehefrau, in Betracht. Demnach käme spanisches Recht zur Anwendung, denn in Spanien erleidet die Ehefrau ihren Schock- bzw. Trauerschaden ebenso wie die Einbuße etwaiger Unterhalts- und Versorgungsansprüche. Indes enthält Art. 4 Abs. 1 a.E. Rom II-VO einen Ausschluss für indirekte Ansprüche, die nur mittelbar entstanden und damit nicht allein auf das ursprüngliche Erstschadensereignis (in casu den Flugzeugabsturz) zurückzuführen sind. Mit der jüngeren EuGH-Rechtsprechung ist ein solcher Angehörigenschaden als „indirekt“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 a.E. Rom II-VO zu qualifizieren.111 Damit ist der Angehörigenschaden nicht an einen eigenen Erfolgsort in Abgrenzung zu dem Erfolgsort des unmittelbaren Schadensereignisses anzuknüpfen. Vielmehr muss mit dem EuGH gemäß Art. 4 Abs. 1 a.E. Rom II-VO das auf Ansprüche des unmittelbar Geschädigten anwendbare Recht auch auf Folgeansprüche der mittelbar geschädigten Angehörigen erstreckt werden.112 Der unmittelbare Erstschaden besteht vorliegend in der Beeinträchtigung des Rechtsguts „Leben“ des O. Diese Beeinträchtigung fand am Ort des Absturzes in Frankreich statt und begründet dort den Erfolgsort im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Demnach ist für die aus dem Absturzgeschehen resultierenden Ansprüche der Angehörigen französisches Recht anwendbar. Eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Recht gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO besteht schon deshalb nicht, weil gleichermaßen die spanische, österreichische und die deutsche Rechtsordnung für ein solches Ausweichen in Betracht kämen und keine dieser Rechtsordnungen „offensichtlich“ enger als die jeweils anderen mit dem Sachverhalt verbunden ist.113 111 EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 Lazar/Allianz SpA, ECLI:EU:C:2015:802, Rn. 30. 112 EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 Lazar/Allianz SpA, ECLI:EU:C:2015:802, Rn. 25. 113 Eine davon abweichende und im Ergebnis abzulehnende Lösung kommt nach Kadner Graziano, RIW 2016, 227, 228, in Betracht, wenn die Rechtsprechung des EuGH zur Anknüpfung des Angehörigenschadens nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auch auf Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO übertragen werden kann. Grundlage der offensichtlich engeren Verbindung zu einem anderen Recht als desjenigen des Erfolgsorts ist dann das Vertragsverhältnis zwischen dem unmittelbaren Opfer des Flugzeugabsturzes und der Fluggesellschaft. Die Ansprüche des unmittelbar Geschädigten werden akzessorisch an das Vertragsstatut angeknüpft. Versteht man den Angehörigenschaden mit dem EuGH als indirekten Schaden i.S.v. Art. 4 Abs. 1 a.E. Rom II-VO, so könnte das Deliktsstatut für Ansprüche der mittelbar Geschädigten ebenfalls dem (kraft Rechtswahl deutschen) Vertragsstatut des unmittelbar Geschädigten folgen. Ein solcher Ansatz lässt sich allerdings nur schwer mit dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO vereinbaren, der gerade keine Entsprechung des letzten Halbsatzes des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO enthält. Zudem verlangt Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, dass ein Vertrag
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Es bleibt im Ergebnis damit bei der Anknüpfung an den Erfolgsort und der Anwendung des französischen Sachrechts. Dabei ist offenkundig, dass es der Fluggesellschaft ebenso wie dem Fluggast bzw. seinen Angehörigen in solchen Fällen kaum zumutbar ist, den Absturzort und damit das anwendbare Recht rechtssicher vorherzusehen. Nach Art. 17 Rom II-VO sind daher die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts zu berücksichtigen. In dem vorliegenden Fall wurde insoweit auf die Ausstellung des Flugtauglichkeitszeugnisses und die Einteilung des Co-Piloten für den betroffenen Flug abgestellt, alternativ kommt auch die Unterlassung der ordnungsgemäßen Überprüfung der Flugtauglichkeit in Betracht. All diese Handlungen fanden unterstellt am Sitz der Fluggesellschaft und mithin in Deutschland statt. Maßgeblich für rechtmäßiges bzw. schuldloses Verhalten der für die Fluggesellschaft handelnden natürlichen Personen sind daher die Sicherheits- und Verhaltensregeln des deutschen Rechts.
IV. Wertungsfragen und Zweckbestimmungen Die Lösung der Ausgangsfälle verdeutlicht die Problemstellung der Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht: So leuchtet bei einer Abweichung des Handlungsorts von dem Deliktsstatut meist ein, dass die Heranziehung der lokalen Sicherheitsund Verhaltensregeln des deliktischen Handlungsorts für eine billige Entscheidung über die Haftpflicht des Schädigers sinnvoll und regelmäßig erforderlich ist. Gemein ist daher allen Beispielsfällen, dass neben den Sachnormen des anwendbaren Rechts auch lokale Verhaltensnormen einer anderen Rechtsordnung im Wege der „Berücksichtigung“ Einfluss auf die Rechtsfindung entfalten. Dies widerspricht zunächst der für das Deliktsstatut vorgeschriebenen Anknüpfung nach dem Einheitsprinzip. Der besonders weite Umfang des Deliktsstatuts wird somit in Frage gestellt. Im autonomen Recht basiert diese Berücksichtigung auf ungeschriebenen Grundsätzen. Die Rom II-VO enthält dagegen eine ausdrückliche Normierung des Berücksichtigungsprinzips in Art. 17. Beide Ansätze, die ungeschriebene wie auch die ausdrücklich vorgeschriebene Berücksichtigung, reagieren auf Eigentümlichkeiten des grenzüberschreitenden Delikts und die besonderen Zweckbestimmungen des Kollisionsrechts der internationalen Delikte. So ist die (legislative) kollisionsrechtliche Handhabung des grenzüberschreitenden Delikts besonders anspruchsvoll, weil hier die Grenzen zwischen materieller und internationalprivatrechtlicher Zweckbestimmung kaum trennscharf zu
„zwischen den Parteien“ bestehen muss, was bei Angehörigenschäden regelmäßig nicht der Fall ist.
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ziehen sind.114 Internationalprivatrechtliche Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts, materiellrechtlich gerechter Schadensausgleich und wirkungsvolle Verhaltenssteuerung sind miteinander bestmöglich in Einklang zu bringen. Gleichzeitig widerstreiten jene Zweckbestimmungen mitunter und führen so zu Friktionen.115 Neben den zentralen methodischen und dogmatischen Problemen und allgemeinen Zweckbestimmungen wirft die Berücksichtigung weitere Folgefragen auf. Besonders wichtig erscheint insoweit, welche Normen bzw. Regeln berücksichtigt werden können und mithin als Berücksichtigungsgegenstand überhaupt geeignet sind. Umschrieben wird der vorliegend untersuchte Berücksichtigungsgegenstand im internationalen Deliktsrecht als „Sicherheits- und Verhaltensregel“.116 Im materiellen Recht ist die tatbestandliche Einhaltung oder Nichteinhaltung solcher Anforderungen an das individuelle Verhalten Teil der Haftungsbegründung.117 Sicherheits- und Verhaltensnormen sind in international verknüpften Sachverhalten also immer dann zu berücksichtigen, wenn die persönliche Verantwortlichkeit im Sinne eines Verschuldens oder die Frage der Rechtmäßigkeit des Schädigerverhaltens untersucht wird. Der Gegenstand des Art. 17 Rom II-VO und des ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzips tangiert mithin sowohl das Kollisions- als auch das Sachrecht. Er bewegt sich wertungsmäßig auf einer Schnittstelle von Kollisionsrecht und Sachrecht,118 verbindet deren Zwecke miteinander und erfordert einleitend daher eine Abgrenzung beider Rechtsgebiete und ihrer grundlegenden Zweckbestimmungen. 1. Delikt im materiellen Recht Für Ansprüche aus Tatbeständen, die nicht auf vertraglichen Vereinbarungen beruhen, wird im deutschen Sachrecht der Oberbegriff der außervertraglichen Schuldverhältnisse verwendet. Hierunter fallen neben der unerlaubten Handlung auch Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigter Bereicherung. Der engere Begriff „unerlaubte Handlung“ bzw. „Delikt“ (§§ 823 BGB ff.) umfasst dagegen vor allem verschuldensabhängige, also auf individuell vorwerfbarem Fehlverhalten basierende Haftungstatbestände.119 Das Deliktsrecht zieht damit legislativ die Grenze zwischen den Güter- und
114 Für eine strikte Trennung aber Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 30. 115 Kühne, in: FS Deutsch, 817, 821 f. 116 Dazu ausführlich unten Kap. 6 II. 2 (S. 155 ff.). Dies entspricht im Übrigen auch dem Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO. 117 Vgl. MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 63 f. 118 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 192 spricht insoweit von einer „dogmatischen Bruchstelle“. 119 MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 63 f.
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Freiheitssphären einzelner Rechtssubjekte.120 Es verfolgt grundlegend das Ziel, Freiheiten des Einzelnen mit den schutzwürdigen Interessen eines Anderen bzw. des gesamten Rechtsverkehrs einer bestimmten räumlichen Sphäre in Einklang zu bringen.121 Die schuldhafte und rechtswidrige Verletzung rechtlich geschützter und insofern berechtigter Interessen und Güter zieht daher dem Grunde nach eine Haftpflicht nach sich.122 Daneben kennt das deutsche Sachrecht auch auf reiner Gefährdung beruhende Haftungstatbestände.123 Öffnet der Schädiger einen Verkehrskreis oder schafft er eine Gefahrenquelle, so kann sich auch hieraus eine Haftungsbegründung ergeben, ohne dass es auf ein weiteres Verschulden ankommt.124 Der Nutzen eines Risikos korrespondiert insoweit mit der Verantwortung für die Risikoverwirklichung.125 Ein durch Verschulden oder Gefährdung entstandener ersatzfähiger Schaden ist nach alldem durch den Schädiger zu ersetzen. Die im Deliktsrecht verankerten Haftungstatbestände folgen unterschiedlichen wertenden Erwägungen und Zwecksetzungen. a) Kompensation Die Zwecke des Deliktsrechts orientieren sich rechtspolitisch und rechtshistorisch vor allem an den Interessen und Erwartungen des Opfers der Schädigungshandlung. Der kompensatorischen Funktion kommt so jedenfalls auf den ersten Blick die größte Bedeutung für die Zwecke des Deliktsrechts zu.126 Jeder auf Delikt beruhende Schadensersatzanspruch setzt daher einen bestehenden und auszugleichenden, das heißt ersatzfähigen Schaden voraus.127 Das Deliktsrecht ist gerade dazu geschaffen, einen eingetretenen Schaden möglichst vollkommen, idealerweise im Wege der sogenannten Naturalrestitution, zu beseitigen, § 249 Abs. 1 BGB.128 Wenigstens aber soll in Form von Geldzahlungen eine Wiedergutmachung und damit ein Ausgleich des erlittenen Schadens
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Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 75, S. 350. von Hein, Günstigkeitsprinzip, 31; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 75, S. 350; Magnus, HAVE 2017, 25, 27. 122 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 9; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 75, S. 351 f. 123 Magnus, HAVE 2017, 25, 32 f. Einschränkend Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 75, S. 352; Canaris, VersR 2005, 577, der eine Einordnung der Gefährdungshaftung als „unerlaubte Handlung“ ablehnt. 124 Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 75, S. 352. 125 Vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1976 – VI ZR 177/75 = BGHZ 67, 129, 130. 126 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 43; Magnus, HAVE 2017, 25, 26 f. 127 BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 7. 128 MüKo-BGB/G. Wagner, Vor § 823 BGB Rn. 43; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1167. 121
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Erster Teil: Grundlagen
erfolgen, § 249 Abs. 2 BGB.129 Diese Verpflichtungen sollen im Grundsatz den Urheber des Schadensereignisses treffen. In normativer Hinsicht können kompensatorische Erwägungen indes kaum die Haftungsbegründung stützen, da sie lediglich an die Rechtsfolge der Haftungsnormen anknüpfen.130 Der Schadensausgleich ist kein Selbstzweck, nicht jeder Schaden ist (unabhängig von seiner Entstehung) auszugleichen.131 Dass ein Schaden auszugleichen sein soll, sagt also noch nichts über die einzufordernden tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsbegründung aus.132 Im Gegenteil liegt der Verdacht einer Tautologie allzu nahe, wenn aus der Rechtsfolge des Schadensersatzes auf den deliktischen Haftungsgrund geschlossen wird.133 Es handelt sich bei kompensatorischen Erwägungen in normativer Hinsicht daher lediglich um Aspekte der Ausfüllung der Rechtsfolge des Haftungsgrundes. Die heutige Lebensrealität gerade in westlichen Gesellschaften trübt die Schlagkraft des Kompensationsgedankens im Deliktsrecht zusätzlich. So kann eine „großflächige Überlagerung des Deliktsrechts durch das Sozial- und Privatversicherungsrecht“ festgestellt werden.134 Dies führt dazu, dass in deliktsrechtlichen Streitigkeiten vielfach nicht mehr die Schadlosstellung des unmittelbar Geschädigten, sondern seines Versicherers den Streitgegenstand bildet und daher nur noch mittelbar der erlittene Schaden durch den Zweck der Normen des Deliktsrechts gespiegelt wird.135 Insoweit scheint zumindest denkbar, nicht länger in der Schadenskompensation, sondern in der gerechten Zuteilung des Schadens zu einer natürlichen oder juristischen Person den zentralen schadensbezogenen Zweck des Deliktsrechts zu sehen.136 Die auf den ersten Blick wichtigsten Grundlagen des Deliktsrechts und der Schädigerverantwortlichkeit verlieren so an Bedeutung und rücken andere Zielsetzungen wie etwa die Verhaltenssteuerung in den Vordergrund. b) Verhaltenssteuerung und Prävention Jüngere Entwicklungen etwa aus dem Bereich der Persönlichkeitsschutzes haben einen neuen Schwerpunkt in der Zwecksetzung des Deliktsrechts hervor-
129
MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 43, sieht dies als Regelfall an. BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 8; MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 43; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 374. 131 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 43; Kötz, in: FS Steindorff, 643, 644. 132 Schneeweiss, Verhältnis, S. 63. 133 von Hein, Günstigkeitsprinzip, S. 30. 134 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 44. Krit. Magnus, HAVE 2017, 25, 27. 135 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 44. 136 Offenlassend MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 44. Vgl. Magnus, HAVE 2017, 25, 27, der auch in der mittelbaren Schadenskompensation einen wichtigen Zweck des Deliktsrechts verwirklicht sieht. 130
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gebracht.137 So erstarkt ergänzend neben der kompensatorischen Funktion die verhaltenssteuernde bzw. präventive Funktion des Deliktsrechts. Koordiniert wird auch hierdurch die rechtliche Grenzziehung zwischen der Freiheitssphäre des Einen und den schutzwürdigen Interessen des Anderen. Der präventive Zweck des Deliktsrechts wird zu wesentlichen Teilen aus rechtsökonomischen Erwägungen hergeleitet.138 Gerade im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist das Interesse an der Verhinderung deliktischer Eingriffe besonders hoch,139 da das Opfer der Verletzungshandlung etwa in Folge rufschädigender Delikte Reputationseinbußen zu befürchten hat, die durch Ausgleichshandlungen meist nicht vollständig ausgeräumt werden können. Im schlimmsten Falle folgen aus solchen Rufschädigungen nicht nur Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen, sondern auch wirtschaftliche Schäden, etwa in Form von Auftragsrückgängen. Das Deliktsrecht soll daher präventiv und damit abschreckend auf den Schädiger wirken.140 Damit setzt die deliktische Haftung das Vorhandensein eines Verhaltensmaßstabes und einen dagegen schuldhaft verstoßenden Normadressaten voraus.141 Das Deliktsrecht geht davon aus, dass der potentielle Schädiger durch abstrakte Verhaltensnormen zu einem umsichtigen und im besten Falle schadlosen Verhalten animiert werden kann, um gar nicht erst schadensersatzpflichtig zu werden.142 Erfüllt er die Verhaltensanforderung schuldhaft nicht, so verstößt er in haftungsbegründender Weise gegen den Verhaltensmaßstab. Die präventive Funktion des Deliktsrechts verwirklicht ihr rechtspolitisches Ziel im Einzelfall denklogisch aber nur dann, wenn der potentielle Schädiger tatsächlich Kenntnis von der Verhaltensnorm hatte und angesichts der drohenden Kompensationspflicht auf die Realisierung der Schädigungshandlung verzichtet. Dass dies in den allermeisten Fällen aus verschiedenen Gründen, jedenfalls schon aufgrund fehlender Kenntnis von den Verhaltensregeln, nicht geschehen wird, ist ebenfalls offensichtlich.143 Daher kann die tatsächliche Verhinderung der Schädigung im Einzelfall lediglich ein Nebenprodukt der präventiven Funktion des Deliktsrechts sein.144 Im Ganzen schafft das Deliktsrecht viel137
BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = BGHZ 128, 1, 15 f.; MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 46; von Hein, Günstigkeitsprinzip, S. 30; Wagner, G., AcP 206 (2006) 352, 384. 138 Grundlegend Kötz, in: FS Steindorff, 643, 646 ff. 139 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 46. 140 Der BGH spricht insoweit von einem „echte[n] Hemmungseffekt“, BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = BGHZ 128, 1, 1. Dazu auch Wagner, G., AcP 206 (2006) 352, 384. 141 Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1167. 142 BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = BGHZ 128, 1, 16; BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 9; Magnus, HAVE 2017, 25, 27; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 374. 143 Dazu ausführlich Korch, Haftung, S. 30 ff. 144 Kötz, in: FS Steindorff, 643.
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Erster Teil: Grundlagen
mehr einen allgemeinen Verhaltensanreiz, der im Einzelfall die beabsichtigte Verhaltenssteuerung bewirken kann, aber nicht muss.145 Entscheidender Aspekt der verhaltenssteuernden Ratio des Deliktsrechts ist es vielmehr, dass sich die berechtigten Erwartungen des Geschädigten auf die Einhaltung des legislativen Verhaltensmaßstabes stützen können.146 Der Bestand von Verhaltensnormen schafft mithin innerhalb seines räumlichen Anwendungsbereiches vor allem auch einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Geschädigten. Verhaltensleitende Normen können sich demnach nicht nur auf das Schädiger-, sondern auch auf das Geschädigtenverhalten auswirken. Dies zeigt sich etwa im Umfang abgeschlossener Versicherungen oder auch anhand ganz praktischer Sicherheitsvorkehrungen wie etwa dem Einzäunen von Grundstücken. Die Verhaltenssteuerung allein trägt die Ratio des materiellen Deliktsrecht indes ebenfalls nicht.147 Festzustellen bleibt stets, ob aus dem Verstoß gegen die Verhaltensregel auch ein ersatzfähiger Schaden erwachsen ist. Daher ist auch dieser Zweck nach h.M. isoliert betrachtet nicht dazu in der Lage, die deliktische Haftung insgesamt normativ zu untermauern. Es braucht neben dem nicht zuletzt auch staatlichen und ordnungsrechtlichen Interesse an Verhaltenssteuerung und Prävention immer auch einen ersatzfähigen Schaden (Haftungsausfüllung, siehe oben).148 c) Strafe und Rache Diskutiert werden darüber hinaus weitere Ziele und Zwecke des Deliktsrechts. Insbesondere kommen ein strafender Charakter und die damit eng verbundene Funktion der persönlichen Genugtuung oder gar Rache in Betracht.149 Aus einigen europäischen, vor allem aber den US-amerikanischen Rechtsordnungen und dem common law ist in diesem Zusammenhang die Rechtsfigur der punitive damages bekannt.150 Dabei handelt es sich um einen über die reine Kompensation hinausgehenden Strafschadensersatz, der jedoch regelmäßig einen Verstoß gegen den deutschen ordre public begründet.151
145
von Hein, Günstigkeitsprinzip, S. 32 f. von Hein, Günstigkeitsprinzip, S. 32 f. 147 Magnus, HAVE 2017, 25, 27. 148 BGH, Urt. v. 6.12.2005 – VI ZR 265/04 = BGHZ 165, 203 Rn. 14: „Der Präventionsgedanke allein vermag die Gewährung einer Geldentschädigung [...] nicht zu tragen.“ m.w.N. A.A. MüKo-BGB/Wagner, Vor § 823 BGB Rn. 45 ff. Offenlassend BeckOKBGB/Förster, § 823 BGB Rn. 10. 149 Dazu BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 11; Wagner, G., AcP 206 (2006) 352, 380 ff. 150 MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 48; Klode, NJOZ 2009, 1762; Magnus, HAVE 2017, 25, 27. 151 BGH, Urt. v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91 = BGHZ 118, 312, 338, 344 f. sowie Klode, NJOZ 2009, 1762, 1763. 146
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Die verbundenen Aspekte der Strafe und Genugtuung durch Vergeltung bzw. Rache sind nach verbreitetem kontinentaleuropäischem Verständnis allerdings vornehmlich in den Theorien zum Strafzweck und damit originär im Strafrecht zu verorten.152 Nach Maßgabe des deutschen Sachrechts und mit Blick auf die strikte Trennung von Strafrecht und Zivilrecht sowie das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung ist daher keine dieser Funktionen originär dem privaten Deliktsrecht zuzuordnen,153 wenngleich insbesondere mit der Möglichkeit des Schmerzensgeldanspruchs auch der Gedanke der persönlichen Genugtuung maßvollen Eingang in das materielle Deliktsrecht gefunden hat.154 Dies zeigt sich insbesondere im Bereich der bereits erwähnten Persönlichkeitsrechtsverletzungen155 und neuerdings beim Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 S. 1 BGB.156 d) Zwischenergebnis: Zwecke des materiellen Deliktsrechts In der Gesamtschau kann mithin eine grobe Zweiteilung des materiellen Deliktsrechts festgestellt werden, die im deutschen Recht in einer Aufteilung in Haftungsbegründung einerseits und Haftungsausfüllung andererseits resultiert.157 Da für sich weder die Haftungsbegründung ohne ersatzfähigen Schaden, noch der ersatzfähige Schaden ohne Haftungsbegründung eine normative Grundlage für die Haftpflicht des deliktisch Handelnden liefern, ist für materiellrechtliche Erwägungen eine funktionelle Trennung beider Aspekte nicht sinnvoll denkbar.158 Kompensation und Verhaltenssteuerung können somit nur in Kombination miteinander die normativen Grundlagen der Haftung aus unerlaubter Handlung bilden.159 Diese innere Geschlossenheit des materiellen Deliktsrechts strahlt freilich auch in die Ratio der Kollisionsnormen des internationalen Deliktsrecht ein. Es liegt zudem auf der Hand, dass die Dogmatik und der Bedarf an einer Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht nicht ohne den präventiven Zweck des materiellen Deliktsrechts auskommt. 152
MüKo-BGB/Wagner, G., Vor § 823 BGB Rn. 50. Vgl. auch Schneeweiss, Verhältnis,
S. 6 f. 153 Dies sah auch der historische Gesetzgeber des BGB (1900) so: Mot. II S. 10. Ferner BGH, Urt. v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91 = BGHZ 118, 312, 344. 154 BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 13; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1167; Magnus, HAVE 2017, 25, 27. 155 BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = BGHZ 128, 1. Vgl. ferner bereits oben Kap. 2 IV. 1. b) (S. 38 ff.). 156 Dazu oben Kap. 2 Fn. 69 (S. 38 ff.). 157 Kötz, in: FS Steindorff, 643, 644 f; Magnus, HAVE 2017, 25, 26. 158 Kegel/Schurig, IPR, § 18 IV, S. 723: „[...] kein Delikt ohne Handlung; kein Delikt ohne Erfolg.“ Dazu auch Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 172. 159 Statt vieler BeckOK-BGB/Förster, § 823 BGB Rn. 6, 8.
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2. Delikt im IPR a) Funktion des Internationalen Privatrechts Mit seinem Postulat von der Suche nach dem „Sitz des Rechtsverhältnisses“160 begründete von Savigny das Fundament des modernen IPR. Ausgehend von den Traditionen von Savignys und der darauf aufbauenden internationalprivatrechtlichen Interessenlehre Kegels161 hat das internationale Privatrecht im Unterschied zum materiellen Sachrecht demnach ausschließlich die Aufgabe, das räumlich beste Recht für einen Lebenssachverhalt mit Auslandsbezug zu bestimmen.162 Das IPR ist im Grundsatz mithin als neutrales Ordnungsrecht zu verstehen, das allein der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit verpflichtet ist.163 Anders gewendet: Das IPR dient dem Zweck, das auf einen Sachverhalt anzuwendende Entscheidungsrecht zu bestimmen,164 unabhängig vom Inhalt und materiellrechtlichen Anwendungsergebnis der in Frage kommenden nationalen (Sach-)Rechtsordnungen.165 Dem liegt die Vorstellung von der Gleichwertigkeit der nationalen Rechtsordnungen zugrunde (sogenannter multilateraler Ansatz166).167 Gemeinhin werden kollisionsrechtliche Normen demnach als gerecht beschrieben, wenn sie möglichst hohe Rechtssicherheit im Sinne von Vorhersehbarkeit des anwendbaren Sachrechts gewährleisten.168 Zudem ist auch der internationale Entscheidungseinklang ein wesentlicher Garant für die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit.169 Dies setzt im Wesentlichen voraus, dass
160 von Savigny, Bd. VIII, S. 108: „[...] worin dasselbe [das Rechtsverhältnis, Verf.] seinen Sitz hat.“ Dazu ausführlich Reuter, RabelsZ 81 (2017), 661; Schurig, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, 5, 6 f. 161 Kegel, in: FS Lewald, 259; Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 131 ff. Vgl. hierzu auch Schurig, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, 5, 11 f.; Staudinger/Sturm/Sturm, Einl IPR, Rn. 57 sowie Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 755. 162 Hohloch, Deliktsstatut, S. 231 f; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 752. Dazu auch Kühne, in: FS Heldrich, 815, 816; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 820; Staudinger/Sturm/Sturm, Einl IPR, Rn. 56. 163 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 12 f.; Hohloch, Deliktsstatut, S. 231; Kegel/Schurig, IPR, § 1 VIII, S. 55; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 162. 164 Mansel, in: FS Canaris II, 739, 746. 165 Hohloch, Deliktsstatut, S. 231 f.; Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 132. Beachte überdies die Differenzierungen bei Schurig, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, 5, 11 ff. 166 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 29, 75 f. 167 von Bar, JZ 1985, 961; Mansel, in: FS Canaris II, 739, 743. 168 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, S. 143. Krit. zu Terminologie und Dogmatik der Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts Czempiel, Deliktsstatut, S. 26 ff., 180. 169 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, S. 139 f. In Bezug auf die Rom II-VO von Hein, ZEuP 2009, 6, 9.
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die kollisionsrechtliche Bewertung eines Sachverhalts nach möglichst vielen IPR-Rechtsordnungen zu identischen Ergebnissen führt. Dem steht zuweilen freilich das Ziel der Einzelfallgerechtigkeit bzw. des sogenannten inneren Entscheidungseinklangs entgegen.170 Im Gegensatz zu den Zweckbestimmungen des internationalen Privatrechts hat das materielle Recht die Aufgabe der (Wieder)Herstellung der sachlichen Gerechtigkeit (siehe oben). Demzufolge ist nach Kegel „die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit der materiellprivatrechtlichen funktionell vorgeordnet.“171 Daraus folgt, dass auch das IPR der unerlaubten Handlungen in Abgrenzung zum materiellen Recht grundsätzlich eigenen, abstrakten Zweckbestimmungen folgt. Materiellrechtliche Erwägungen aus Gesichtspunkten etwa der Sympathie oder der Antipathie gegenüber dem Schädiger oder dem Geschädigten oder der materiellen Einzelfallgerechtigkeit sollten daher wenig bis keinen Einfluss auf die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts entfalten dürfen.172 b) Materielle Einflüsse im IPR der unerlaubten Handlungen Die grundsätzlich autonomen Zwecke des IPR führen allerdings nicht dazu, dass der Blick auf das Sachrecht völlig verschlossen bleibt. Vielmehr ist es so, dass IPR und Sachrecht einer gemeinsamen Rechtsordnung entstammen und daher auch (aber nicht ausschließlich) gemeinsamen, übergeordneten abstrakten Zwecken folgen und durch gemeinsame Systembegriffe miteinander verbunden sind.173 Auch das internationale Privatrecht wird also von materiellrechtlichen Einflüssen durchdrungen.174 Dies geschieht einerseits bereits im 170
Vgl. insoweit Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rn. 31 f. Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 131. 172 Vgl. Stoll, in: GS Lüderitz, 733, 736 ff. So aber Kegel/Schurig, IPR, § 18 IV., S. 725 und jüngst jedenfalls i.E. auch Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391. Dazu krit. Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 29; Czempiel, Deliktsstatut, S. 45 f.; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 822 f.; Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 116; Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 706 sowie Wagner, G., IPRax 2006, 372, 377 („normative Leere des Ubiquitätsprinzips“). 173 Mansel, in: FS Canaris II, 739, 750 f. m.w.N. Dabei ist einschränkend freilich zu beachten, dass mit der europäischen Verordnungsgebung inzwischen durchaus divergierende Interessen in der Verordnungs- und Gesetzgebung der europäischen und der nationalen Rechtsetzung bestehen. Dazu Mansel, in: FS Canaris II, 739, 756 ff. Bereits zum alten Recht Spickhoff, NJW 1999, 2209. 174 Schon von Bar, JZ 1985, 961, 965; Lüderitz, IPR, Rn. 30. Ferner de Lima Pinheiro, Riv.dir.int.priv.proc. 44 (2008), 5, 16; Mansel, in: FS Canaris II, 739, 747; Schurig, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, 5, 12. Im Rahmen der Rom II-VO Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rn. 47 ff; Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 433 f. Vgl. zu den materiellrechtlichen Zwecken im Einzelnen MüKoBGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 3 f sowie Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 767 ff. Zu den hieraus entstehenden Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung siehe nur Kegel/Schurig, IPR, § 1 VIII, S. 56. 171
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Prozess der Normierung der Anknüpfungsregeln, der selbstverständlich von ähnlichen oder identischen gesetzgeberischen Wertungen und Vorstellungen geprägt ist wie die sachrechtliche Gesetzgebung. Die neutrale Suche nach dem „Sitz des Rechtsverhältnisses“ tritt zugunsten materiellrechtlicher Erwägungen aber auch im Kollisionsrecht selbst zurück. Dies ist etwa in solchen Vorschriften zu beobachten, die eine Rechtswahl durch die Parteien, Ausweichmechanismen, alternative Anknüpfungen oder gar ein Günstigkeitsprinzip vorsehen und die Entscheidung über das anzuwendende Recht somit dem Rechtsanwender oder den beteiligten Parteien überlassen.175 Kühne bezeichnet solche Tendenzen als „Lokalisationsschwäche“ des IPR.176 Die Kritik geht dahin, dass das IPR seine Funktion als Ordnungsrecht bzw. als Rechtsanwendungsrecht durch immer stärker ausgeprägte materiellrechtliche Einflüsse verliert und die ursprüngliche Dogmatik einer möglichst wertneutralen Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses mithin „erodiert“177. Davon ist selbstverständlich auch das IPR der unerlaubten Handlung nicht ausgenommen, 178 wenngleich von Savigny gerade für dieses Rechtsgebiet eine Ausnahme machte: Er vertrat für das internationale Deliktsrecht die Ansicht, dass das anzuwendende Recht in jedem Falle die lex fori sein müsse.179 Dieser Ansatz beruht auf der nach von Savigny „streng positiven, zwingenden Natur“ der Deliktsregeln und der Annahme, dass das Deliktsrecht daher international zwingender Natur sei. Aus heutiger Sicht könnte man dahinter eine Dogmatik vergleichbar derjenigen der Eingriffsnormen oder des ordre public vermuten.180 Bis heute verbirgt sich hinter dieser „streng positiven, zwingenden Natur“ des Deliktsrechts das kollisionsrechtliche Grundproblem des internationalen Deliktsrechts. Denn der besonders positivistische Charakter des Deliktsrechts erfordert eine besonders umfassende Kollisionsnorm. Wo an anderer Stelle, etwa im internationalen Vertragsrecht, die Hürden für eine dépeçage, also eine kollisionsrechtliche Statutsspaltung im Wege der Sonderanknüpfung, geringer erscheinen,181 muss im internationalen Deliktsrecht auf dem sog. Einheitsprinzip bestanden werden, weil die sachrechtliche Kombination aus Verhaltensanforderung und hierauf basierender Kompensationspflicht konzeptionell in sich 175 Krit. insb. zur Anknüpfung an eine „wesentlich engere Verbindung“ Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 701. Kritisch auch Stoll, in: GS Lüderitz, 733, 736. 176 Kühne, in: FS Heldrich, 815, 817. 177 Kühne, in: FS Heldrich, 815, 816 f. 178 Wagner, G., IPRax 2006, 372, 374. 179 von Savigny, Bd. VIII, S. 275 f., S. 278. Vgl. auch Stoll, IPRax 1989, 89; Wagner, G., RabelsZ 62 (1998), 243, 260 f.; Hohloch, Deliktsstatut, S. 43; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819 f.; Kadner Graziano, Deliktsrecht, V. 3. a), S. 23. 180 Schurig, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, 5, 8. Vgl. dazu auch Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 83 f. 181 Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 58 ff.
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geschlossen ist.182 Freilich kann heute aber auch nicht mehr der ausschließlichen und insoweit unilateralen lex fori-Anknüpfung von Savignys gefolgt werden. Auch wenn nach moderneren Kollisionsrechtskonzepten ein ausländisches Recht zur Anwendung kommt, muss die Einheitsanknüpfung daher jedenfalls im Grundsatz gewährleistet werden. Die Notwendigkeit der Einheitsanknüpfung ergibt sich vorwiegend aus dem Zusammenspiel von materiellem und internationalem Deliktsrecht: Das materielle Deliktsrecht beruht wie gesehen auf verschiedenen Zwecksetzungen. Dabei besteht eine enge Verflechtung der einzelnen Wertungen dieses Rechtsgebietes. Daraus ergibt sich die besonders enge sachliche Geschlossenheit des gesamten Deliktsrechts. Trifft der nationale Gesetzgeber z.B. eine Entscheidung zugunsten einer niedrigschwelligen Haftungsbegründung, etwa wenn er bereits die reine Gefährdung des Rechtsverkehrs für eine Haftungsbegründung ausreichen lässt, so kann er diese Strenge mitunter durch Ausnahmetatbestände oder Exkulpationsmöglichkeiten kompensieren. Auch kann er den Umfang der Haftungsverpflichtung geringer gestalten, als dies etwa für vorsätzliche Schädigungen vorgesehen ist,183 oder die maximale Haftungshöhe begrenzen. Umgekehrt können höherschwellige Haftungsbegründungsvorausetzungen einen schärferen Haftungsrahmen zur Folge haben, etwa wenn bei Verletzung eines Rahmenrechts die Lehre vom Begehungsunrecht den positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit des Schädigerhandelns erfordert.184 All diese Aspekte können mit der savigny’schen Wendung vom „streng positiven Charakter“ des materiellen Deliktsrechts umschrieben werden. Im Kollisionsrecht, insbesondere bei der Bestimmung des Umfangs des Deliktsstatuts, führt dies zu Besonderheiten, da mit den Auflockerungen und Flexibilisierungen der Anknüpfungsregeln mitunter die Notwendigkeit einer Aufspaltung des Deliktsstatuts geschaffen wird: Die Anknüpfung von Platzdelikten an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ist beispielsweise nur selten zugleich auch die Anknüpfung an das räumlich „beste“ Recht. Wenn also als „Auflockerung“ nicht an den Ort des deliktischen Geschehens, sondern davon abweichend an den Ort des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts angeknüpft wird, so reichen die Vorschriften dieses Statuts allein nicht aus, um auch den örtlichen Verhaltensanforderungen gerecht zu werden. Mittelbar löst die Auflockerung des Deliktsstatuts daher das Bedürfnis nach zusätzlicher Heranziehung einzelner örtlich gebundener Regeln des nicht anwendbaren Rechts aus, weil sie dem umfassenden Charakter des Deliktsstatuts kaum gerecht werden kann. Die Auflockerungen dürfen aufgrund des Einheitsprinzips allerdings grundsätzlich nicht dazu führen, dass der kollisionsrechtliche Mangel ohne 182
Siehe oben Kap. 2 IV. 2. b) (S. 43 ff.). Ebenso Mansel, VersR 1984, 97, 103. Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 172 f. 184 Insoweit krit. MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 4 ff.; Wagner, G., in: Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 189, 215 ff. 183
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Erster Teil: Grundlagen
Weiteres durch ergänzende Heranziehung des nicht anwendbaren Rechts am Tatort ausgeglichen wird. Deutlich wird dies am Beispiel der Gefährdungshaftung nach den Vorschriften des deutschen Straßenverkehrsgesetzes im Vergleich zu den Regelungen des englischen tort law. Während das deutsche Recht die reine Gefährdung durch den Betrieb eines Fahrzeugs im Schadensfalle bereits für die Haftungsbegründung ausreichen lässt (§§ 7, 18 StVG), ist nach englischem Recht im Rahmen einer neglience-Haftung185 mindestens der Nachweis eines Verstoßes gegen die duty of care (= im Verkehr erforderliche Sorgfalt) erforderlich. Würde also im Falle eines Verkehrsunfalls bei nicht nachweisbarer Fahrlässigkeit englisches Recht angewandt, so läge keine Haftungsbegründung vor. Keinesfalls kann in einer solchen Konstellation nun etwa die Gefährdungshaftung im Wege einer Sonderanknüpfung als selbstständige Teilfrage nach deutschem Recht geltend gemacht werden. Dies würde zu einer unzulässigen und unsachgemäßen Sonderbehandlung führen, die die innere Geschlossenheit der Ratio des englischen tort law unterwandern würde. Umgekehrt kann sich der Schädiger in einem solchen Fall bei anwendbarem deutschen Recht auch nicht auf das Verschuldenserfordernis des nicht anwendbaren tort law berufen.186 Um solche Friktionen zu vermeiden, sind sowohl der haftungsbegründende als auch der haftungsausfüllende Teil der materiellen Deliktstatbestände im Wege der Einheitsanknüpfung von der Verweisung umfasst. Die einzelnen Tatbestandselemente, wie etwa die Verletzung eines absoluten Rechts oder die kausale und schuldhafte Erfolgsverursachung sind einheitlich dem Deliktsstatut zu unterstellen. Auch die Zurechnung fremden Verhaltens unterfällt dem Deliktsstatut. Für eine dépeçage bleibt daher grundsätzlich kein Raum. Nicht zuletzt ist die authentische Anwendung des kollisionsrechtlich bestimmten Rechts zu gewährleisten.187 Insgesamt sind somit grundsätzlich alle Elemente des deliktischen Lebenssachverhalts möglichst einer einzigen Rechtsordnung zu unterstellen.188
185
Dazu Wagner, G., in: Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 189, 220 ff. So aber mit äußerst zweifelhafter Begründung LG Cottbus, Urt. v. 3.6.2015 – 4 O 48/08, BeckRS 2016, 11830. Siehe hierzu auch die Berufungsinstanz OLG Brandenburg, Urt. v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, NJW-RR 2016, 1038 Rn. 22, 24. Wie hier MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 17. Vgl. zu den zahlreichen, letztlich erfolglosen Anknüpfungsdifferenzierungen des Schrifttums Czempiel, Deliktsstatut, S. 37 f. 187 Vgl. dazu Looschelders, Anpassung, S. 74 f. Mit Blick auf das internationale Deliktsrecht und die Verletzung von Menschenrechten siehe unten Kap. 2 IV. 3. d) (S. 54 ff.). 188 Allg. Auffassung: Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Vorbem zu Art. 40 EGBGB Rn. 1; 16 m.w.N.; Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 188. Zur Rom II-VO Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 182 f.; von Hein, ZEuP 2009, 6, 18 f.; Symeonides, in: FS Jayme, 935, 939. Stoll, in: FS Reischauer, 389, 394, spricht sich in diesem Sinne etwa gegen eine selbstständige Teilanknüpfung der Deliktsfähigkeit aus. 186
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c) Besondere Zweckbestimmungen der Rom II-VO Das vereinheitlichte bzw. europäisierte internationale Privatrecht, hier interessierend in Form der Rom II-VO, verfolgt ebenso wie das autonome Kollisionsrecht das savigny’sche Ziel der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit in Form der Anwendung des räumlich besten Rechts.189 Insoweit werden sowohl das europäisch vereinheitlichte, als auch das autonome internationale Deliktsrecht von einer Schnittmenge gemeinsamer Zwecke und Grundwertungen getragen. Daneben sollen die für alle europäischen Sekundärrechtsakte typischen Ziele verwirklicht werden. Dazu gehört zuvorderst das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs. Übergeordnet verbindet alle europäischen Primärund Sekundärrechtsakte zudem das gemeinsame Ziel der Gewährleistung und Förderung des europäischen Binnenmarktes (Erwägungsgrund 6).190 Überdies soll das sogenannte forum shopping so weit wie möglich eingeschränkt und verhindert werden,191 sowie Rechtssicherheit im räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Verordnungen geschaffen werden.192 Diese Ziele manifestieren sich rechtsdogmatisch im Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung nach Art. 24 Rom II-VO.193 Zugleich haben sie auch Eingang in die Erwägungsgründe 6, 14 und 16 der Verordnung gefunden.194 Auch Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, der die akzessorische Anknüpfung an ein bestehendes Vertragsverhältnis vorsieht, will insbesondere dem forum shopping und der dépeçage bei Anspruchskonkurrenz von deliktischen und vertraglichen Ansprüchen vorbeugen.195 3. Leistungsfähigkeit und Kritik der Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO Der Gesetzgeber ist mit den vorstehenden Zwecksetzungen hinsichtlich der Grundanknüpfungsregel des internationalen Deliktsrechts vor die Entscheidung der Anknüpfung entweder an den Handlungs- oder an den Erfolgsort gestellt.196 Am offensichtlichsten fällt aus deutscher Sicht daher auf, dass der 189
von Hein, in: FS Kropholler, 553, 564. Brödermann, NJW 2010, 807, 809; Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl. Rom II-VO Rn. 2. Krit. Kühne, in: FS Deutsch, 817, 823, der in der Förderung des Binnenmarktes vor allem governmental interests verwirklicht sieht. 191 Statt aller Wagner, R., IPRax 2008, 314, 315. 192 Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R., Rn. 282; Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl. Rom II-VO Rn. 35. 193 Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl. Rom II-VO Rn. 35. 194 Dazu auch Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R., Rn. 282. 195 Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 173; von Hein, in: FS Kropholler, 553, 564. 196 Mankowski, Interessenpolitik, 66. Rechtsvergleichend Junker, in: FS W. Lorenz II, 321, 325 ff. 190
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europäische Verordnungsgeber mit der Grundanknüpfung der Rom II-VO auch eine grundsätzliche Entscheidung gegen das im deutschen Recht hergebrachte ubiquitäre Tatortprinzip gefällt hat und sich stattdessen dem Erfolgsortprinzip zugewandt hat. Lediglich im Bereich der Umweltschädigungen ist als Ausfluss des Ubiquitätsprinzips auch der Tatort als optionaler Anknüpfungspunkt erhalten geblieben (Art. 7 Rom II-VO).197 a) Aufgabe der Tatortregel und des Ubiquitätsprinzips Das Für und Wider der ubiquitären Tatortregel ist vielfach dargestellt worden.198 Die Tatortregel wird dem grenzüberschreitenden Deliktsfall vor allem dann gerecht, wenn Handlungs- und Erfolgsort im selben Staat liegen.199 Fallen Handlungs- und Erfolgsort dagegen geografisch auseinander, so reicht die pauschale Anknüpfung an den Tatort allein nicht aus.200 Eine differenzierende Betrachtung und die Entscheidung für einen der beiden in Betracht kommenden Orte ist in diesen Fällen erforderlich.201 Vor allem die ältere Literatur plädiert für einen stärkeren Einfluss des Handlungsorts in der kollisionsrechtlichen Bewertung eines Auslandssachverhalts, da sie der Perspektive des Schädigers am nächsten komme202 und die Bestimmung des Erfolgsorts zufällig erscheine.203 Ein wichtiges Argument der Kritiker der Tatortregel und der Anknüpfung insbesondere an den Handlungsort ist dagegen die in die Willkür des Schädigers gestellte Anknüpfung von deliktischen Sachverhalten. So könnte der Schädiger gezielt den Ort seiner Schädigungshandlung ins Ausland verlagern und so das maßgebliche Recht zu Ungunsten des Geschädigten beeinflussen. Der Geschädigte bzw. potenziell Geschädigte kann dagegen nicht vorhersehen, nach welchen Verhaltensregeln er oder der Schädiger zu handeln haben. Dies führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit.204 Im ungünstigsten Fall hat dies zur 197
Matthes, GPR 2011, 146, 148; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 379 f. Delachaux, Anknüpfung, S. 169 f., 179 f.; Kegel/Schurig, IPR, § 18 IV, S. 725 f.; Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 609 ff.; Schneeweiss, Verhältnis, S. 6 f. Rechtsvergleichend Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 101 ff. 199 Rühl, Statut und Effizienz, S. 645. 200 NK-BGB/Wagner, G., Art. 40 EGBGB Rn. 20; Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 609; Schneeweiss, Verhältnis, S. 9, 71. 201 Dazu Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 700 f. 202 Nachweise und ausführliche Darstellung bei Schneeweiss, Verhältnis, S. 6 f., 34. Ferner Delachaux, Anknüpfung, S. 155 ff.; Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 107. Allgemein zur Argumentation für den Handlungsort als Grundregel Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 26. 203 Delachaux, Anknüpfung, S. 160. 204 Rühl, Statut und Effizienz, S. 655; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376; ähnlich NKBGB/Wagner, G., Art. 40 EGBGB Rn. 20. Gegen den Handlungsort als Anknüpfungspunkt führt die ältere Literatur zudem den inzwischen weitgehend überwundenen Gedanken einer governmental interests analyses an, vgl. Schneeweiss, Verhältnis, S. 97 f. 198
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Folge, dass der Schadensersatzanspruch einer ausländischen Rechtsordnung untersteht, die der Geschädigte nicht vorhersehen konnte und deren Schutz geringer ausfällt als der des inländischen Erfolgsortrechts, während der Schädiger von dem geringeren Schutzstandard der Rechtsordnung des Staates, in dem die Schädigungshandlung vorgenommen wurde, profitiert.205 Dagegen führen die Befürworter der Tatortregel an, dass es insoweit gerade auf den Schädiger ankomme, denn dieser müsse vorhersehen können, nach welchem Recht er sich verhalten müsse.206 Nur so können sich präventive Zwecke des Deliktsrechts im IPR überhaupt verwirklichen.207 Im autonomen deutschen Recht ist überdies mit der Möglichkeit, für eine Anknüpfung an den Erfolgsort zu optieren, innerhalb des Tatortprinzips eine erhebliche Begünstigung des Opfers der deliktischen Handlung geschaffen worden.208 Gleichwohl wird dieses Argument des Opferschutzes jedenfalls unter dem deutschen autonomen IPR getrübt, da in prozessualer Hinsicht die Kosten für die (vorprozessuale und damit nicht ersatzfähige) gutachterliche Ermittlung des günstigsten Rechts nunmehr faktisch bei dem Opfer liegen.209 Im (deutschen) Schrifttum ist die Nachricht, dass das Ubiquitätsprinzip im vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht nicht übernommen wurde, teilweise positiv,210 auf der anderen Seite aber auch skeptisch bis ablehnend aufgenommen worden.211 Verfechter der Neuregelung haben gleichwohl immer wieder auf die Leistungsfähigkeit des Erfolgsortprinzips (dazu sogleich unten) hingewiesen.212 Dass die im autonomen deutschen Kollisionsrecht fortgeltende Tatortregel auf der Ebene des europäisch vereinheitlichten Kollisionsrechts aufgegeben wurde, ist für den Fortgang dieser Arbeit von entscheidender Bedeutung. Wenn das auf die Schadensersatzansprüche der Geschädigten aus den Ausgangsfällen anwendbare Recht nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 40 205
Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376. Kühne, in: FS Deutsch, 817, 821. Dies räumen grds. auch Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 26 ein. Dagegen Junker, in: LA Schurig, 81, 83 f. 207 Ausführlich zu den Zwecken des materiellen und internationalen Deliktsrechts siehe oben Kap. 2 IV (S. 35 ff.). 208 NK-BGB/Wagner, G., Art. 40 EGBGB Rn. 20 („sachlich nicht gerechtfertigt“). Beachte aber die erheblichen Einwände von Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 704. 209 BeckOK-BGB/Spickhoff, Art. 40 EGBGB Rn. 19; Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 706 f. m.w.N. Vgl. dazu Junker, in: FS W. Lorenz II, 321, 340 f. 210 Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 8; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 377. 211 Kühne, in: FS Deutsch, 817, 821 f., 832; Kühne, LA Schurig, 129, 145; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 192. Skeptisch nach dem Diskussionsbericht von Stürner/Weller, IPRax 2006, 390 auch Junker, der sich später aber etwas versöhnlicher gegenüber dem Erfolgsortprinzip in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO zeigt: Junker, in: LA Schurig, 81, 83 f. 212 So bereits früh Wagner, R., EuZW 1999, 709, 711. Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 72. Ebenso Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 8 f. 206
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Abs. 1 EGBGB zu bestimmen wäre, könnten sich die Geschädigten auf das Recht des Staates der schädigenden Handlung berufen. Dies führte z.B. in den Textilproduktionssachverhalten und im Fall des Flugzeugabsturzes dazu, dass jeweils das deutsche Recht Anwendung fände. Voraussetzung wäre der Nachweis einer schädigenden Handlung z.B. in Form eines Organisationsverschuldens in Deutschland. Liegt eine solche Handlung nachgewiesenermaßen vor, so stellt sich die Frage nach der Berücksichtigung inländischer data nicht, denn die lex causae entspräche damit dem Recht des Handlungsorts. b) Einführung des Erfolgsortprinzips Im Falle des Auseinanderfallens von Erfolgsort und gewöhnlichem Aufenthalt des Geschädigten ist in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle die Anwendbarkeit des Rechts des Erfolgsorts aus Geschädigtensicht am vorhersehbarsten.213 Grundsätzlich kann daher von einem schützenswerten Vertrauen des Geschädigten in die Anwendung des Erfolgsortrechts ausgegangen werden.214 Darüber hinaus liegt es in der Regel auch materiell im Interesse des Geschädigten, dass sein eigenes Umweltrecht angewandt wird.215 Denn der Geschädigte eines deliktischen Verhaltens wird sich überwiegend an den Grenzen seiner Umweltrechtsordnung ausrichten.216 Dies betrifft nicht nur das eigene aktive Verhalten, sondern auch diejenigen passiven Vorkehrungen, die im Hinblick auf die Verhütung bzw. Absicherung möglicher Eingriffe in die eigenen Rechte und Rechtsgüter getroffen werden, etwa wenn es um den Abschluss von Versicherungen geht.217 Der Schädiger dagegen muss grundsätzlich mit der Anwendbarkeit einer fremden Rechtsordnung rechnen, soweit sein Verhalten zu Schäden im Ausland führt. Für die Grundregel des Erfolgsortprinzips gilt wertungsmäßig insoweit ein „weit gefasstes Veranlasserprinzip“218: Die Vorhersehbarkeit des Orts des Erfolgseintrittes aus der Schädigerperspektive ist für die Anwendbarkeit des Erfolgsortrechts tatbestandlich nicht relevant.219 Zudem streitet auch das Ziel des Gleichlaufs von forum und ius für die Erfolgsortanknüpfung, wenngleich in Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch weiterhin
213 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 5; MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom IIVO Rn. 30; Wagner, R., EuZW 1999, 709, 711. 214 Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376. 215 Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376. 216 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 5; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 30; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376. 217 von Hein, ZEuP 2009, 6, 16. 218 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 32. 219 Ebd. Krit. hierzu MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4.
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die internationale Zuständigkeit nach dem Tatortprinzip begründet wird.220 Denn in der Regel wird der Erfolgsort am gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten liegen, der seine Klage aus Praktikabilitäts- und Kostengründen in seinem Heimatstaat und damit regelmäßig am Erfolgsort erheben wird.221 Zwar kann dieses Ergebnis auch nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB erreicht werden. Erforderlich ist danach allerdings, dass sich der Geschädigte ausdrücklich auf das Erfolgsortprinzip beruft. Wenn der Schaden dagegen im Ausland verursacht wird und im Inland eintritt, ist es „ganz selbstverständlich“222, dass ein inländischer Geschädigter auch vor einem inländischen Gericht klagt. Nach der neuen Erfolgsortregel der Rom II-VO wird in diesem Fall ganz ohne Optierung des Geschädigten zugleich die lex fori zur Anwendung kommen. Mit all diesen Erwägungen sieht auch der Verordnungsgeber ausweislich Erwägungsgrund 16 Rom II-VO in der Erfolgsortanknüpfung einen „gerechten Interessenausgleich“ und eine „moderne“ Kollisionsregel. Dem nunmehr maßgeblichen Erfolgsortprinzip ist in manchen Fällen allerdings eine gewisse Zufälligkeit immanent. Deutlich wird dies vor allem am Beispiel von Flugzeugabstürzen:223 Die Flugroute etwa im eingangs dargestellten Beispielsfall führte von Barcelona (Spanien) nach Düsseldorf (Deutschland). Der Absturzort befand sich auf französischem Staatsgebiet.224 Es lässt sich in diesem Fall kaum begründen, aus welchen sachlichen Gründen das französische Erfolgsortrecht für die haftungsausfüllenden Voraussetzungen der Ansprüche der mehrheitlich deutschen und spanischen Passagiere bzw. für die Ansprüche ihrer Angehörigen das französische anwendbar sein soll.225 Extrembeispiele wie dieses kommen in der Praxis allerdings nur selten vor und begründen daher keinen generellen Rechtsunsicherheiteinwand gegen das Erfolgsortprinzip. 220
St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 30.11.1976 – C-21/76 Handelswerkerij G.J. Bier B.V./ Mines de Potasse d’Alsace S. A., Slg. 1976, 1735, 1746 f., Rn. 15/19. Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 7; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 377. 221 Anders Mankowski, Interessenpolitik, S. 69, der davon ausgeht, dass der Geschädigte immer am Erfolgsort (unabhängig vom Ort des gewöhnlichen Aufenthalts) klagen wird. Wie hier von Hein, ZEuP 2009, 6, 17. 222 Wagner, G., IPRax 2006, 372, 377. 223 Rühl, Statut und Effizienz, S. 654. 224 Zum genauen Verlauf vgl. (letzter Aufruf am 23.3.2020). 225 Weller/Rentsch/Thomale, NJW 2015, 1909, 1911. Insoweit bleibt aber zu beachten, dass sich mit der neuen EuGH-Rechtsprechung zur unselbstständigen Anknüpfung der Schadensersatzansprüche indirekt geschädigter Personen die Rechtslage zusätzlich verkompliziert hat. Denkbar wäre demnach, die Rechtsprechung zu Art. 4 I a.E. Rom II-VO auf Art. 4 III Rom II-VO zu erstrecken. Die Folge wäre eine akzessorische Anknüpfung der Schadensersatzansprüche an das Vertragsstatut des Beförderungsvertrages zwischen Fluggesellschaft und Erstgeschädigtem. Ausführlich hierzu oben Kap. 2 Fn. 113 (S. 34 f.). Ferner Kadner Graziano, RIW 2016, 227, 228 f.
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In der Gesamtheit der Erwägungen aus Schutz des Geschädigten, Rechtssicherheit im Sinne von Vorhersehbarkeit hinsichtlich des anwendbaren Rechts, Verhaltenssteuerung und Gleichlauf von forum und ius gewährt der Verordnungsgeber in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO somit der Anknüpfung an den Erfolgsort den Vorzug.226 Damit geht die Überwindung der im autonomen Recht noch immer nicht abschließend geklärten Diskussion um die Anknüpfung von Distanzdelikten einher.227 Ebenso wie die Abschaffung des Tatortprinzips228 wirkt sich auch die Einführung des Erfolgsortprinzips auf die hier vorangestellten Sachverhalte aus. (Nur) in den Konstellationen des Auseinanderfallens von Handlungsort und Deliktsstatut besteht überhaupt Bedarf an der Berücksichtigung lokaler Sicherheits- und Verhaltensregeln. Da sich bei Distanzdelikten das anwendbare Recht nach dem Erfolgsortprinzip richtet, stellt sich demnach regelmäßig die Frage, welcher Verhaltensmaßstab gem. Art. 17 Rom II-VO am Handlungsort zu beachten ist. c) Auswirkungen auf das Berücksichtigungsprinzip Die deutsche Rechtsprechung und mit ihr der deutsche Gesetzgeber sind einer klaren Entscheidung zugunsten des Erfolgs- oder Handlungsorts als Anknüpfungspunkt lange Zeit mit der ubiquitären Anknüpfung an den Tatort aus dem Weg gegangen.229 Sie haben die erforderliche internationalprivatrechtliche Abwägung dieser potenziellen Anknüpfungspunkte zunächst einem Günstigkeitsprinzip, später der geschädigten Partei überlassen.230 Mit Blick auf den Rechtssicherheitsgedanken war dies kein besonders überzeugendes Vorgehen.231 Umso erfreulicher ist es, dass mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO nunmehr eine eindeutigere Anknüpfungsregel zugunsten des Erfolgsorts geschaffen wurde. Mit der positiven Entscheidung für die Erfolgsortanknüpfung als Grundanknüpfungsregel der Rom II-VO hat sich das Problem der zwischen Handlungs- und Erfolgsort widerstreitenden Erwägungen indes nicht gänzlich erledigt. Die Frage nach dem Einfluss des Handlungsortrechtes verlagert sich im Einzelfall lediglich in den Bereich der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts.232 Insgesamt scheint der legislative Zustand also 226 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 31 ff. Insoweit krit. MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 3 f. 227 Vgl. dazu Wagner, R., EuZW 1999, 709, 711. 228 Siehe oben, Kap. 2 II. 2 (S. 21 ff.). 229 Krit. auch Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 701. Dagegen betont die „notwendige Flexibilität“ dieser Regelungen Spickhoff, NJW 1999, 2209, 2010. 230 Vgl. Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 704. 231 Hohloch, Deliktsstatut, S. 109; Schurig, in: GS Lüderitz, 699, 701 m.w.N. Vgl. auch Stoll, in: GS Lüderitz, 733, 735 sowie Trüten, EuZ 2008, 82, 85. 232 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 26. Vgl. auch MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4.
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paradox: Die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines Verhaltensmaßstabes, der nicht dem Deliktsstatut entstammt, entspringt dem Umstand, dass zugunsten materiellrechtlicher Erwägungen wie Einzelfallgerechtigkeit und Opferbegünstigung im Gesetzgebungsprozess oder innerhalb der internationalprivatrechtlichen Regelungsmechanismen das durch Einheitsanknüpfung gefundene Deliktsstatut der Rom II-VO gerade nicht mehr zu materiell überzeugenden Lösungen führt, weil etwa die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Deliktsstatuts keinen überzeugenden Verhaltensmaßstab für den tatsächlichen deliktischen Handlungsort vorhalten. Die Argumente für und gegen die Anknüpfung von Delikten an den Handlungsort sind somit nahezu identisch mit den Argumenten für und gegen die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts. Während für die Geltung des Verhaltensmaßstabs des Handlungsorts der Schutz des Schädigers und die Vorhersehbarkeit der rechtlichen Anforderungen an sein Verhalten (und damit eine wirkungsvolle Verhaltenssteuerung) sprechen, wird die Geltung des Verhaltensmaßstabes des Erfolgsorts eher den schutzwürdigen Interessen des Geschädigten gerecht. Dieser kann sich anhand der lokalen Verhaltensregeln des Erfolgsorts rechtssicher gegen die Zumutungen der lokalen Erfolgsortrechtsordnung schützen.233 Der wesentliche Unterschied zwischen der Anknüpfung des Delikts an den Handlungsort und der Berücksichtigung der am Handlungsort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln besteht im Umfang und in der Qualität der Einbeziehung der Rechtsordnung des Handlungsorts. Die Anknüpfung an den Handlungsort unterstellt das gesamte Delikt dem am Ort der schadensbegründenden Handlung geltenden Recht. Dagegen führt die Berücksichtigung der am Handlungsort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln lediglich zu einer Ergänzung bzw. Korrektur des Anknüpfungsergebnisses.234 Damit hat die Berücksichtigung gegenüber der Anknüpfung das Potential, den berechtigten Interessen sowohl des Schädigers als auch des Geschädigten durch eine Abwägung angemessen Rechnung zu tragen. Das Erfolgsortprinzip als Grundanknüpfungsregel kann also um den Verhaltensmaßstab des Handlungsorts ergänzt werden. In einigen Fällen kann es auch durch die Berücksichtigung der lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln korrigiert werden.235 Kritischen Stimmen zufolge kann die Berücksichtigung allerdings nur zum Preis der faktischen Aufspaltung des Deliktsstatuts erfolgen, selbst wenn man sich terminologisch mit dem Begriff „Berücksichtigung“ abzugrenzen ver-
233
Zu dieser Argumentation siehe Kegel/Schurig, IPR, § 18, IV, S. 723. NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158. Zur Korrekturfunktion der Datumtheorie siehe auch Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 56. 235 Zu Art. 17 Rom II-VO in diesem Zusammenhang NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom IIVO Rn. 1; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 5. 234
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Erster Teil: Grundlagen
sucht.236 Soweit nach dieser Ansicht zwingend eine Sonderanknüpfung vorgenommen wird237 und somit eine Aufspaltung des Deliktsstatuts in Haftungsbegründungsstatut einerseits und Verhaltensstatut andererseits vorgenommen werde, sei allerdings zwingend eine noch weitergehende Aufspaltung des Verhaltensstatuts zu vermeiden.238 Dieser Kritik soll mit dem hier zu entwickelnden Konzept entgegengetreten werden. Anzuerkennen ist, dass auch im europäisch vereinheitlichten internationalen Deliktsrecht wie gesehen ein Trend zur Auflockerung des Deliktsstatuts beobachtet werden kann: Die objektiven Grundanknüpfungen der europäischen Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des IPR folgen immer öfter dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien. Dies hat im internationalen Deliktsrecht zur Folge, dass Deliktsstatut und Handlungsort häufiger auseinanderfallen als unter Geltung der Tatortregel (siehe oben). Das Berücksichtigungsprinzip intendiert gerade keine Statutsspaltung, sondern lässt die Rechtsanwendungsentscheidung völlig unangetastet.239 Dass beides, also Einheitsanknüpfung und Berücksichtigung, nicht gleichzeitig zu haben sei, trifft nicht zu. Zuzugeben ist aber ein hoher dogmatischer Begründungsaufwand für das Konzept der Berücksichtigung neben der Einheitsanknüpfung. Konsequenterweise müssen mithin klare Kriterien zur Abgrenzung von Rechtsanwendung und Rechtsberücksichtigung geschaffen werden. Die dogmatische Herleitung und Begründung dieser Methode ist daher äußerst problematisch und gleichzeitig für die Stabilisierung des Berücksichtigungsprinzips im Verweisungssystem des Kollisionsrechts essenziell.240 d) Insbesondere: Menschenrechtsverletzungen Die oben erzielten Anknüpfungsergebnisse führen namentlich in den Fällen transnationaler Lieferketten von in Deutschland ansässigen und im Ausland produzierenden Unternehmen zu Ergebnissen, die als sachlich zweifelhaft oder unbefriedigend kritisiert werden.241 Sie führen dazu, dass transnationale Unternehmen des globalen Nordens in deliktsrechtlicher Hinsicht vermeintlich nicht an die Einhaltung der meist höheren Verhaltensstandards am Ort ihres Sitzes gebunden sind, und sich stattdessen lediglich am Recht des Produktionsorts messen lassen müssen.242
236
Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 194 ff. Ausführlich dazu unten Kap. 3 I. 2. c) aa) (S. 71 f.). 238 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 194. 239 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 3 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 22. 240 Dies betont auch Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 216. 241 Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 849. Vgl. ferner die Kritik von Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 779 ff. 242 Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 749. 237
Kapitel 2: Das Deliktsstatut
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Zwar wird zurecht und häufig darauf hingewiesen, dass der Eingriff in Leib, Leben, Gesundheit und zumeist auch das Eigentum von vermutlich jeder Rechtsordnung der Welt missbilligt wird und ein solcher Fall als reiner Inlandsfall wohl kaum als Menschenrechtsfall behandelt würde.243 Das internationale Privatrecht verlangt indes nicht bloß die abstrakte Anwendung der Normen einer fremden Rechtsordnung, sondern die Anwendung des fremden Rechts wie es auch in der ausländischen Rechtspraxis durch einen ausländischen Richter geschehen würde. Es verlangt die Anwendung von „law in action“.244 Dies kann in der Rechtspraxis zu einem erheblich niedrigeren Schutzstandard in den Produktionsländern deutscher Unternehmen führen, als dies in Deutschland der Fall wäre. Zudem ist denkbar, dass auch die Rechtsordnungen an sich die Einschränkbarkeit von Rechtsgütern und Rechten etwa auf der Ebene der Rechtswidrigkeit deutlich niedrigschwelliger ermöglichen, als dies in Europa der Fall ist.245 Gleichwohl muss mit den vorangegangenen Überlegungen246 ganz grundlegend festgestellt werden, dass diese Problemstellungen nicht eigentlich die Materie des IPR betrifft. Im Gegenteil kann konstatiert werden, dass das hier gefundene Anknüpfungsergebnis mit den Zielen des IPR geradezu übereinstimmt. Das IPR geht von der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen aus, ist vom gegenseitigen Respekt der Rechtsordnungen untereinander geprägt und hat demnach zunächst keinen Anlass, aus materiellrechtlichen Erwägungen eine Ungerechtigkeit im Ergebnis der Rechtsanwendungsfrage zu vermuten.247 Auch von der lex fori als ungerecht empfundene Rechtssysteme, denen es im äußersten Fall sogar an demokratischer Legitimation mangelt, sind grundsätzlich vom IPR zu respektieren.248 Allenfalls der für die hiesigen Zwecke nicht näher zu betrachtende ordre public (Art. 26 Rom II-VO) könnte hinsichtlich dieser Bedenken Abhilfe verschaffen. Aber auch dieses Instrument der reinen Ergebniskorrektur gerät in den hier unterstellten Fällen schnell an seine Grenzen.249
243 Birk/Heger, ARSP 102 (2016), 128, 129, 133; Grabosch, in: Transnationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen im Völkerrecht, 69, 92; Stürner, in: FS CoesterWaltjen, 843, 850. Vgl. ferner Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 722. 244 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 140. Treffend Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 849 m.w.N. 245 Zum Ganzen Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 849 f. 246 Zu den Zwecken des IPR siehe ausführlich oben, Kap. 2 IV. 2. a) (S. 42 f.). 247 Pförtner, in: Politik und Internationales Privatrecht, 93, 96 f. Vgl. auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 12 f.; Staudinger/Sturm/Sturm, Einl IPR, Rn. 56; Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 58 f. 248 Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 849; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 393. 249 Ausführlich Pförtner, in: Politik und Internationales Privatrecht, 93, 102 ff.; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 393. Allgemein für eine Anwendung des ordre public bei
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Erster Teil: Grundlagen
Was bleibt, ist demnach die Möglichkeit, die Berücksichtigung eines womöglich strengeren europäischen bzw. deutschen Verhaltensmaßstabes zu etablieren. Im europäisch vereinheitlichten internationalen Deliktsrecht erfolgt dies in Art. 17 Rom II-VO. Für die Lösung internationaler Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Unternehmen setzt hier eine in jüngerer Zeit vermehrt250 geäußerte Überlegung an: Soweit die Anwendung der lex causae zur Feststellung eines für den Schadenserfolg kausalen und zurechenbaren Organisationsverhaltens führt, könnte Art. 17 Rom II-VO dem am Ort dieser Organisationshandlung geltenden Verhaltensmaßstab zur Berücksichtigung verhelfen. Die Konsequenz hieraus wäre ein verschärfter Verschuldensmaßstab etwa auf Grundlage von Brand- oder Arbeitsschutzbestimmungen des Handlungsorts. Übertragen auf die Textilproduktionsfälle bedeutete dies, dass im Rahmen des Verschuldenserfordernisses bzw. des abstrakten Verhaltensmaßstabes die Frage der Einschlägigkeit deutscher Sicherheits- und Verhaltensvorschriften zu beantworten wäre.
Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Unternehmen Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 396 f. 250 Enneking, Foreign direct liability, S. 220; Güngör, Sorgfaltspflichten, S. 117 ff.; Schulz, Alien Tort Statute, S. 302 f; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2502. Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 851, möchte zumindest den Rechtsgedanken des Art. 17 Rom IIVO in diesen Fällen fruchtbar machen. Ausdrücklich gegen eine Lösung dieser Sachverhalte über Art. 17 Rom II-VO Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 742 f.
Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
Kapitel 3
Die hergebrachte Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts ohne geschriebene Grundlage Die Lösungen der Ausgangsfälle und die einleitenden Ausführungen zum grenzüberschreitenden Delikt haben gezeigt, dass die strengen Zweckbestimmungen des internationalen Deliktsrechts und das Prinzip der Einheitsanknüpfung an ihre Grenzen stoßen, wenn der deliktische Handlungsort geografisch nicht mit dem Anknüpfungspunkt der einschlägigen Kollisionsnorm übereinstimmt. Es entsteht – und das ist allgemein anerkannt – das Bedürfnis nach einem Verhaltensmaßstab, der sich an den lokalen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des Handlungsorts ausrichtet.1 In solchen Fällen kann ein sowohl internationalprivatrechtlich als auch materiellrechtlich überzeugendes Ergebnis daher mutmaßlich nur unter Heranziehung des nicht zur Anwendung berufenen Rechts des Handlungsorts erzielt werden.2 Dieser Vorgang wird rechtsterminologisch regelmäßig als Berücksichtigung einer nicht anwendbaren Norm als Sachverhaltstatsache (datum) bezeichnet.3 Für eine solche Berücksichtigung kommen im Deliktsrecht zuvorderst die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts in Betracht. Berücksichtigt werden grob betrachtet also solche Normen, die potenziell als lokaler Verhaltensmaßstab für den Schädiger vorhersehbar waren. In anderen Bereichen der Zivilrechtsordnung wird aber auch die Heranziehung anderer Vorschriften, etwa lokaler Vertragsauslegungs- oder Feiertagsregeln4 oder lokaler Prohibitions- und Verbotsvorschriften5 als „Berücksichtigung“ bezeichnet. Teilweise wird auch die Fallgruppe des „Handelns unter falschem Recht“ unter die Berücksichtigung lokaler Normen gefasst.6 Indes kann vor allem eine gemeinsame Wurzel all dieser Fallgruppen in der historischen Entwicklung der Berücksichtigung ausgemacht 1
Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 1; BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1, 3. 2 Vgl. Looschelders, Anpassung, S. 86. 3 So spricht etwa der Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO von „berücksichtigen“, dazu ausführlich unten Kap. 6 II. 3 (S. 169 ff.). 4 BGH, Urt. v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, NJW-RR 2006, 1694, 1695 Rn. 17 (zu Art. 32 Abs. 2 EGBGB a.F.). In diesem Sinne ist auch (der wenig praxisrelevante) Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO zu verstehen, MüKo-BGB/Spellenberg, Art. 12 Rom I-VO Rn. 171, 173. 5 Ausführlich dazu siehe unten Kap. 3 I. 3. a) (S. 77 ff.) sowie Kap. 3 II. 2. a) (S. 98 ff.). 6 Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 78; Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 44 f. Beachte im Hinblick auf diese Fallgruppe aber die erheblichen Bedenken von Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 706 f.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
werden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass in dogmatischer Hinsicht elementare Unterschiede zwischen der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im Deliktsrecht und der Berücksichtigung aller anderen als data bezeichneten Rechtsnormen besteht. Dies liegt vorwiegend an der Besonderheit der verhaltenssteuernden Zielsetzung der Sicherheits- und Verhaltensregeln.7 Nachfolgend wird unter diesen Prämissen herausgearbeitet werden, was unter dem Begriff „Berücksichtigung“ im internationalen Deliktsrecht überhaupt zu verstehen ist. Dabei wird zur Kontextualisierung des deliktsrechtlichen Berücksichtigungsvorgangs und zu Abgrenzungszwecken immer wieder auch auf diejenigen Fallgruppen zurückzukommen sein, die neben der deliktsrechtlichen Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln ebenfalls ganz überwiegend als Berücksichtigung von local data bezeichnet werden. Als eigenständiges Phänomen wird die Berücksichtigung historisch zunächst von Autoren des Schrifttums ausdrücklich beschrieben (dazu I.), wenngleich bereits das Reichsgericht bedeutend früher einer Berücksichtigungsdogmatik recht nahekommt (dazu II.).
I. Erscheinungsformen in der Literatur 1. Datumtheorie als historischer Ausgangspunkt Der Begriff datum entstammt der US-amerikanischen Rechtstradition. Er wird im internationalprivatrechtlichen Kontext erstmals von Currie verwendet8 und in der Folge grundlegend von Ehrenzweig fortentwickelt.9 Hierauf aufbauend hat sich in den vergangenen 40 Jahren eine inzwischen kaum mehr zu überblickende kontinentaleuropäische Rezeption entwickelt.10 Der kontinentaleuropäische Berücksichtigungsvorgang wird dabei vielerorts zumindest terminologisch mit der US-amerikanischen Datumtheorie verglichen und vereinzelt wenigstens partiell gleichgesetzt.11 Richtig ist insoweit, dass eine begriffsgeschichtliche Rückführung der heute üblichen Berücksichtigung auf die Datum7
Vgl. dazu oben Kap. 2 IV. 1. b) (S. 38 ff.). Currie, Col.L.Rev. 58 (1958), 964, 1022. Dazu Ehrenzweig, Private International Law, General Part I, S. 83. Krit. bereits im Hinblick auf die Einführung der Terminologie und für das Erreichen identischer Ergebnisse nur durch Auslegung der Sachnormen der lex fori durch den entscheidenden Richter: Kay, Cal.L.Rev. 53 (1965), 47, 59 f. 9 Ehrenzweig, Buff.L.Rev. 55 (1966–1967), 55; hierzu auch Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 37 ff. 10 Eingeleitet werden diese Entwicklungen durch Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36. Stellvertretend für das jüngere Schrifttum siehe etwa Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747. Siehe ferner die Nachweise oben Kap. 1 Fn. 8 (S. 5). 11 Eckert, GPR 2015, 303, 305; von Hein, VersR 2007, 440, 446; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 141; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 823 f.; Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 230. 8
Kapitel 3: Die hergebrachte Berücksichtigung
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theorie möglich erscheint.12 Richtig ist aber gleichfalls, dass die Datumtheorie in ihrer ursprünglichen Form kaum in ein streng positives dogmatisches oder methodisches Korsett nach kontinentaleuropäischer bzw. savigny’scher Rechtsauffassung gepresst werden kann. Es lassen sich für die Berücksichtigung von nicht anwendbaren Rechtsnormen insoweit allenfalls Parallelen und historische Grundlagen in der Datumtheorie finden. a) Currie Der 1958 veröffentlichte Aufsatz „On the Displacement of the Law of the Forum“ von Currie gilt jedenfalls hinsichtlich der heute etablierten Terminologie der data als früheste Referenz.13 Der Aufsatz erwähnt u.a. „some datum which will be relevant in the application of the rule of decision“14
und bereitet so bereits den Weg für die Dogmatik der Zwei-Stufen-Lehre, die insbesondere Heßler später für den kontinentaleuropäischen Rechtsraum fortentwickeln wird.15 Über die Erwähnung und damit die terminologische Einführung des Begriffs datum geht der Aufsatz im Hinblick auf unser heutiges Verständnis von der Datumtheorie allerdings nicht hinaus.16 b) Ehrenzweig Die Theorienbildung nimmt in der Folge erst bei Ehrenzweig präzisere Konturen an. Im Ausgangspunkt handelt es sich bei der Datumtheorie lediglich um eine rechtsrealistische Beobachtung und Beschreibung der US-amerikanischen Rechtsprechungspraxis in Fällen mit interlokalem bzw. internationalem Bezug.17 Von einem geschlossenen Theorem ist Ehrenzweig zunächst also weit entfernt – intendiert war wohl eher eine Bestandsaufnahme der Rechtspraxis. Die Erkenntnisse, die Ehrenzweig durch die Beobachtung und Beschreibung der Gerichtspraxis gewann, überführte er später gleichwohl in seinen lex fori approach.18 Daraus bildete sich eine erste theoretische Grundlage für weiterführende Rezeptionen der Datumtheorie. 12 von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 150; Weller, IPRax 2014, 225, 231 Fn. 144; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 777. 13 EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1166; Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 40; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 156. 14 Currie, Col.L.Rev. 58 (1958), 964, 1022, Hervorh. d. Verf. 15 Dazu unten, Kap. 3 I. 2. b) (S. 69 ff.). 16 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 156. 17 Ehrenzweig, Private International Law, General Part I, S. 86; Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 37; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 156; Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585, 598 f. 18 Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 41 f.; ausführlich zum lex fori approach Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585, 58 ff. sowie unten Kap. 3 I. 1. b) cc) (S. 64 f.). Krit. Heller, Realität, S. 78 ff.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
Die wichtigste Erkenntnis der ehrenzweig’schen Bestandsaufnahme bestand zunächst darin, dass die US-amerikanischen Gerichte in der ganz überwiegenden Mehrzahl der grenzüberschreitenden Sachverhalte zugunsten der lex fori auf die Anwendung des kollisionsrechtlich berufenen und von der lex fori abweichenden Sachrechts verzichteten.19 Die Gerichte wendeten fremdes Recht offenbar nur dann an, wenn sich das berufene Sachrecht nicht vom Sachrecht der lex fori unterschied (Ehrenzweig sprach insoweit von „nonconflict cases“, da die Übereinstimmung des Sachrechts der in Frage kommenden Rechtsordnungen stets zu den gleichen Ergebnissen führt).20 Ehrenzweig konnte allerdings auch Ausnahmen von diesem richterlichen Verhalten feststellen. Einige Normen des fremden Rechts, etwa lokale Straßenverkehrsregeln, wurden auch von den amerikanischen Gerichten nicht ignoriert. Wenn die Anwendung solcher Normen des ausländischen Rechts unausweichlich erschien, bezogen die Gerichte sie mit in die Rechtsfindung ein. Ehrenzweigs Beobachtungen münden daher schließlich in die Überlegung, dass ein Auslandssachverhalt Tatsachen (data) enthalten kann, die in ihrem faktischen Einfluss auf den zu verhandelnden Lebenssachverhalt so stark sind, dass sie unabhängig von dem anzuwendenden Recht Eingang in die richterliche Entscheidung finden müssen.21 Der Richter kommt demnach schlicht nicht umhin, solche Tatsachen notwendig zu beachten.22 Die Besonderheit liegt darin, dass Ehrenzweig als datum insbesondere auch Rechtsnormen, wie etwa lokale rules of the road, also Verkehrsordnungsregeln, erblickt. Diese Überlegungen sind das, was heute normativ (und damit weit über Ehrenzweigs zunächst überwiegend deskriptive Überlegungen hinausgehend) als Datumtheorie bezeichnet wird. Diese Erkenntnisse und die hieraus resultierenden Schlussfolgerungen für das interlokale bzw. internationale Privatrecht stützt Ehrenzweig durch rechtspsychologische Erwägungen ab: Ehrenzweig widmete die späten Jahre seiner wissenschaftlichen Tätigkeit vornehmlich der Rechtssoziologie und -psychologie.23 Ursprünglich ist die Datumtheorie daher kein Versuch, eine strenge Dogmatik nach kontinentaleuropäischer Vorstellung zu entwickeln.24 Viel19
Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 37. Ehrenzweig, Private International Law, General Part I, S. 86 f.; Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 37; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 156 m.w.N.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 312. 21 Ehrenzweig, Private International Law, General Part I, S. 85. 22 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 157. Vgl. Looschelders, Anpassung, S. 28. 23 Siehe etwa Ehrenzweig, Psychoanalytic Jurisprudence, 1971, dt. Übersetzung 1973: Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft; Ehrenzweig, in: FS Husserl, 65. Ausführlich auch Hessel, Ehrenzweig, S. 22 ff., 30. 24 Heßler, Sachrechtliche Generalklausel, S. 151, spricht in diesem Zusammenhang treffend von einem „heuristischen Prinzip“. Vgl. auch Stoll, in: FS Reischauer, 389, 393. 20
Kapitel 3: Die hergebrachte Berücksichtigung
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mehr fragt sie ganz im Sinne des american legal realism25 nach den inneren und äußeren Zwängen der richterlichen Entscheidung und beschreibt Tatsächliches, begründet aber nichts Normatives.26 Um seinen Ansatz zu konkretisieren, teilt Ehrenzweig die von Currie erwähnten data in moral data einerseits und local data andererseits ein. aa) Moral data Die sogenannten moral data sind für Ehrenzweig von entscheidender Bedeutung. Dabei handelt es sich um moralische Wertvorstellungen von Gerechtigkeit und Billigkeit („justice and equity“27), die die richterliche Entscheidung beeinflussen und die nach Ehrenzweig psychologisch zwingend sind.28 Dies hat zur Konsequenz, dass moral data unabhängig vom anwendbaren Recht stets nach der lex fori zu beurteilen sind.29 Die Ausgangssituation ist nach dem Gesagten also ein Ausnahmefall:30 Das Gericht muss zunächst die Anwendbarkeit fremden Rechts bejahen, was nach Ehrenzweig in der Praxis selten bis nie vorkommt (siehe oben). Sodann kommt der Richter psychologisch nicht umhin, gewisse eigene, durch die lex fori determinierte Wertvorstellungen in die Rechtsfindung einzubringen.31 Als solche moral data begreift Ehrenzweig beispielsweise die gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung.32 Als (zweifelhaftes) Beispiel für moral data im deutschen Recht wird z.B. die Berücksichtigung innerhalb einer Generalklausel angeführt, soweit die Generalklausel ein billiges Werturteil des Richters verlangt (z.B. § 138 Abs. 1 BGB33). Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass die Kategorie der moral data in der Rezeption der Datumtheorie jedenfalls im kontinentaleuropäischen Rechtsraum nur wenig Beachtung gefunden hat.34 Dies liegt daran, dass die nach Ehrenzweig wohl zwingende psychologische Unfähigkeit des Gerichts zur Abstraktion und Übertragung fremder Moral- und Wertvorstellungen auf die Be25
Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 37; Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585, 598. Zum amerikanischen legal realism und den Einflüssen der Rechtspsychologie ausführlich Fikentscher, Methoden Bd. II, S. 295 ff. 26 In diesem Sinne auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 156 f. 27 Ehrenzweig, Buff.L.Rev. 55 (1966–1967), 55, 56. 28 Vgl. hierzu auch Looschelders, Anpassung, S. 28; Schulze, G., IPRax 2010, 290, 294. 29 EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1166; Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 39. 30 Looschelders, Anpassung, S. 28. 31 Looschelders, Anpassung, S. 28. 32 Ehrenzweig, Buff.L.Rev. 55 (1966–1967), 55, 56. 33 Vgl. Schulze, G., IPRax 2010, 290, 294. 34 Näher hierzu und auch zum Folgenden Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158. Vgl. ferner Looschelders, Anpassung, S. 28, der die Kategorie der moral data für die Beurteilung von Sachverhalten mit Auslandsberührung für nicht relevant hält.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
wertung eines Sachverhalts zwar denkbar, jedenfalls in ihrer Absolutheit aber wohl nicht haltbar ist.35 bb) Local data Das praktisch deutlich relevantere Gegenstück zu moral data, die stets nach der lex fori zu beurteilen sind, bilden die sog. local data. Dabei handelt es sich nach Ehrenzweig um tatsachengleich wirkende, örtlich gebundene Normen, die einer kollisionsrechtlich nicht zur Anwendung berufenen Rechtsordnung entstammen.36 Local data treten also in dem von Ehrenzweig beschriebenen Normalfall der Anwendung der lex fori als kollisionsrechtlich nicht anwendbare lokale Normen des fremden Rechts in Erscheinung. Um solche Normen handelt es sich z.B. auch bei den im Zentrum dieser Untersuchung stehenden Sicherheits- und Verhaltensregeln des lokalen materiellen Rechts. Im Gegensatz zu moral data sind local data nicht stets der lex fori zu entnehmen, sondern können auch einer ausländischen Rechtsordnung entstammen. Entscheidend ist, dass local data stets, und damit auch gegen das Ergebnis der kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts, zu berücksichtigen sind. Voraussetzung hierfür ist die theoretische Trennung von kollisionsrechtlicher Anwendung und kollisionsrechtlicher Berücksichtigung.37 Bei Ehrenzweig erfolgt die Berücksichtigung auf der Ebene des Sachrechts, wobei die Trennung von Kollisionsrecht und Sachrecht im US-amerikanischen Rechtsrealismus ohnehin nicht so streng verläuft wie im kontinentaleuropäischen IPR.38 Bei der Bestimmung des konkreten Gegenstands dieser Tatsachen sind zunächst keine qualitativen Grenzen zu ziehen. Insbesondere können auch Rechtssätze und -regeln als Tatsachen zu berücksichtigen sein. cc) Die Datumtheorie als Teil des lex fori approach Ehrenzweig entwickelt ein eigenes Konzept für die Bestimmung des anwendbaren Rechts in grenzüberschreitenden Fällen, den sogenannten lex fori
35 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158; Kegel/Schurig, IPR, § 1 VIII, S. 60; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 313. 36 Ehrenzweig, Buff.L.Rev. 55 (1966–1967), 55, 56, stuft allerdings auch solche Tatsachen als local data ein, die kontinentaleuropäisch als Vorfrage behandelt werden (etwa die Frage nach der Wirksamkeit der Ehe im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Witwenrente [workmen’s compensation]); vgl. dazu bereits Currie, Col.L.Rev. 58 (1958), 964, 1022 f. 37 Dazu auch Mankowski, IPRax 2016, 485, 490. Beachte aber die Differenzierung unten Kap. 4 I. 1 (S. 109 ff.). 38 Allgemein zu den Unvereinbarkeiten von Datumtheorie und kontinentaleuropäischen Ansätzen siehe nur Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 84 f. Vgl. zu den Besonderheiten der US-amerikanischen Kollisionsrechte auch Looschelders, Anpassung, S. 24 f.
Kapitel 3: Die hergebrachte Berücksichtigung
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approach39. In dieses Konzept integriert er seine rechtsrealistischen Beobachtungen (siehe oben). Diese Übertragung kann als frühe Erscheinungsform einer Datumtheorie bezeichnet werden. Zivilrechtsfälle mit interlokalem bzw. internationalem Bezug folgen demnach im Wesentlichen einem Prüfungsprogramm von sieben Stufen:40 1. Moral data unterliegen keiner kollisionsrechtlichen Verweisung, sondern sind vom Richter stets nach den Wertungen der lex fori zu beurteilen. 2. Für local data ausländischer Rechtsordnungen besteht stets eine Berücksichtigungsfähigkeit, unabhängig von der Anwendung inländischer Sachnormen. 3. Alle anderen auf den Sachverhalt anzuwendenden oder heranzuziehenden Normen unterliegen der kollisionsrechtlichen Verweisung. Die kollisionsrechtlichen Verweisungsregeln sind dabei der lex fori zu entnehmen. Die im amerikanischen Recht selten vorkommenden festen Kollisionsregeln haben Vorrang. 4. Soweit keine positiven Kollisionsregeln existieren, ist auf „inchoate rules“, also unvollkommene Kollisionsregeln, zurückzugreifen, die in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung zur Anwendung eines bestimmten Rechts führen. 5. In Ermangelung an „inchoate rules“ ist auf die Sachnormen der lex fori zurückzugreifen. Soweit ihr Zweck die Anwendung ausländischen Rechts verlangt, ist dem zu folgen. 6. Ist auch dies nicht erfolgreich, so sind die Sachnormen der lex fori anzuwenden. 7. Die Anwendung des lex fori approach steht dabei stets unter dem forum conveniens-Vorbehalt.
Zum Verständnis der Funktionsweise der Datumtheorie in ihrer ursprünglichen Form muss somit der vorstehende lex fori approach Ehrenzweigs immer mitgedacht werden. Der lex fori approach ist daher der wohl größte Fallstrick bei der Übertragung der Datumtheorie in ein dogmatisches Konzept:41 Die Datumtheorie in ihrer ursprünglichen Bedeutung kann kaum außerhalb der Gedankengänge Ehrenzweig isoliert werden. Jede Berücksichtigungsdogmatik im strengen kontinentaleuropäischen Kollisionsrechtssystem nimmt daher lediglich den Grundgedanken einer allgemeinen Kategorie des lokalen datums auf und verwendet sie in neuem Kontext.42 Eine eigenständige und vollwertige Methode des kontinentaleuropäischen IPR kann in der Datumtheorie selbst daher nicht erblickt werden.
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Dazu Heller, Realität, S. 78 ff; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 312 f. Die hiesige Darstellung des lex fori approach lehnt sich an Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 41 f. und Wagner, E., Statutenwechsel, S. 176 f. an. Vgl. auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 312 f. 41 Krit. zum lex fori approach auch Looschelders, Anpassung, S. 26. 42 Vgl. insoweit auch Heßler, in: Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht, 137, 166 f.; ferner NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 64 f. 40
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
2. Methodische Einordnung Das Grundprinzip der Datumtheorie nach Ehrenzweig besteht wie gesehen in der tatsachengleichen „Berücksichtigung“ von Rechtsnormen, die einer Rechtsordnung entstammen, die nicht durch kollisionsrechtlichen Befehl zur Anwendung berufen ist. Der Dreh- und Angelpunkt der maßgeblich von Jayme angestoßenen43 europäischen Schrifttumsdiskussion war dabei stets die Frage nach der methodischen Einordnung dieser Berücksichtigung. Darüber, was unter „Berücksichtigung“ zu verstehen ist und wie sich dieses Prinzip in den Methodenkanon des IPR eingliedern lässt, besteht seither ein zu großen Teilen ungelöster Streit.44 Sinnvoll lassen sich allenfalls methodische Grundströmungen kanalisieren. So finden sich Stimmen in der Literatur, die in der Berücksichtigung von data eine eigenständige Methodik erblicken, die entweder auf Ebene des Kollisionsrechts45 oder tatsachengleich erst auf Ebene des Sachrechts46 anzuwenden ist. Dogmatisch besonders ausdifferenziert gehen etwa die Vertreter der Zwei-Stufen-Lehre vor, die die Berücksichtigung im Rahmen des Tatbestandes von Normen (insbesondere Generalklauseln) des Sachrechts vornehmen.47 Andere erblicken in der Berücksichtigung dagegen keine Erweiterung des kollisionsrechtlichen Methodenkanons und möchten mithilfe anerkannter Methoden, etwa der Sonderanknüpfung48 oder der Substitution und Auslegung des anwendbaren Sachrechts49 auskommen. Aus der methodischen Verortung ergibt sich eine ganze Reihe von Folgeproblemen. So ist unklar, wie das Verhältnis des anwendbaren Rechts und der nur zu berücksichtigenden Normen und Regeln zueinander ist. Es kommen insoweit kumulative ebenso wie alternative Lösungsmodelle in Betracht.50 Auch die Frage nach dem Berücksichtigungsgegenstand erscheint für die methodische Betrachtung zentral. Mit der positiven Entscheidung für einen der vertretenen methodischen Ansätze wird zudem auch die Frage entschieden, ob es sich bei der Berücksich43
Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36. Dörner, in: FS Stoll, 491, 496 f. 45 Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 369 f.; BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 51 f. 46 MüKo-BGB/von Hein, Einl. IPR Rn. 271; Rentsch, GPR 2015, 191, 194. 47 Der wichtigste Vertreter dieses Ansatzes ist Heßler, Sachrechtliche Generalklausel. Siehe auch Lorenz, E., FamRZ 1987, 645; Mansel, Personalstatut, S. 49 f. Rn. 39. 48 Dörner, JR 1994, 6, 10, spricht insoweit von einer „Spaltung des Deliktsstatuts“; Kegel/Schurig, IPR, S. 59 f.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 312 f. 49 Explizit vertreten wurde diese Ansicht von MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 7 sowie Rn. 608 ff. Daran anschließend von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 129 und Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 435. Krit. ggü. der Datumtheorie auch Heller, Realität, S. 99 f.; 101 f. 50 Krit. insoweit Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 48, der stets eine anwendbare Norm voraussetzt. Im Rahmen von Art. 9 HProdHÜ Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 49. 44
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tigung um ein originär kollisionsrechtliches oder doch um ein materiellrechtliches Phänomen handelt, was konsequenterweise ebenfalls nicht unumstritten ist. Während etwa die Sonderanknüpfung eindeutig dem etablierten Methodenkanon des Kollisionsrechts angehört und die sachrechtliche Berücksichtigung wohl eher materiellrechtlichen Erwägungen folgt, fragt sich für die ZweiStufen-Theorie und ähnlich differenzierende Lösungen, welchem Teil der Privatrechtsordnung die Berücksichtigung zuzuordnen ist. Die Besonderheit des (methodischen) Streitstandes besteht jedenfalls für das internationale Deliktsrecht darin, dass zwar in der Sache, nicht aber im Ergebnis Uneinigkeit besteht:51 Übergreifend wird das Ziel verfolgt, die durch die starre Einheitsanknüpfung hervorgerufenen unbefriedigenden Ergebnisse52 durch die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts zu korrigieren bzw. zu ergänzen.53 Ein Streitentscheid hinsichtlich der methodischen Grundlagen scheint für das rechtliche Ergebnis daher regelmäßig nicht erforderlich zu sein. Im Lichte eines rechtsstaatlichen Verständnisses des Rechtsfindungsprozesses ist eine klare, nachvollziehbare und vor allem vorhersehbare und reproduzierbare Methodik und Dogmatik der Berücksichtigung aber unabdingbar.54 a) Ausländisches Recht als zu berücksichtigende Sachverhaltstatsache aa) Methodischer Ansatz Die Ausgangsüberlegungen Ehrenzweigs werden besonders in der frühen kontinentaleuropäischen Rezeption häufig schlicht als tatsachengleiche Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts oder vereinzelt auch als sogenannter Auslandssachverhalt beschrieben.55 Letztere Begriffsprägung ist indes bereits älter als die Entwicklung der ehrenzweig’schen Datumtheorie und geht maßgeblich auf Kegel zurück.56 Normen können demnach als tatsächliche Sachverhalts- bzw. Tatbestandselemente zu berücksichtigen sein, wenn sie dem ausländischen, nicht anwendbaren Recht entstammen.57 Im Ausgangspunkt der 51
Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 163 Fn. 49. Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158, spricht insoweit von „holzschnittartigen Anwendungsergebnissen“. Vgl. dazu auch Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 49. 53 Looschelders, Anpassung, S. 99; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158. 54 Dazu unten Kap. 4 (S. 109 ff.). 55 Looschelders, Anpassung, S. 68 f; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 174 f. Überblicksartig zur frühen Rezeption der Datumtheorie im deutschen Schrifttum Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 704 f. 56 Kegel/Schurig, IPR, § 1 VIII 2. zurück. Dazu auch Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 706; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1, VII Rn. 129 f. 57 BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 51; MüKo-BGB/von Hein, Einl. IPR Rn. 271; Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1; Stoll, in: FS Lipstein, 259, 260; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 778. 52
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Datumtheorie ist es also Voraussetzung für die Berücksichtigung von local data, dass es sich bei der lex causae um die lex fori handelt, die von Normen des nicht anwendbaren ausländischen Rechts tatsächlich beeinflusst wird und daher in die Rechtsfindung einfließt. Dieser Vorgang wird in Abgrenzung zur Anwendung von Sachrecht regelmäßig als Berücksichtigung bezeichnet. bb) Kritik Die schlichte Bezeichnung als „Berücksichtigung“ unter Berufung auf eine Tatbestandswirkung der zu berücksichtigenden Norm sieht sich zurecht Kritik ausgesetzt.58 Sie ist in normativer Hinsicht weitgehend nichtssagend. So bleiben die Unterschiede zwischen Rechtsanwendung und Rechtsberücksichtigung besonders in der frühen Rezeption der Datumtheorie unklar.59 Es fehlt vor allem an dogmatischen Erwägungen, aber auch die methodische Einordnung bleibt an vielen Stellen zu vage.60 Hier zeigt sich ein zentraler Geburtsfehler der Datumtheorie. Aus der Beschreibung des Tatsächlichen, also der amerikanischen Gerichtspraxis,61 soll ein methodisch und dogmatisch kohärentes, normatives Rechtsprinzip entwickelt werden. Dazu ist ein hoher Begründungsaufwand notwendig, den die frühe Rezeption meist nicht leistet. Dazu wäre erforderlich, dass sich die Diskussion zwar auf die Datumtheorie als historischen Ausgangspunkt einigt, gleichzeitig aber die methodische und dogmatische Abnabelung von der US-amerikanischen Vorlage betreibt.62 Auch dies ist in der frühen Rezeption der Datumtheorie nicht erkennbar.63 Als besonders frühe Erscheinung der kontinentaleuropäischen Rezeption der Datumtheorie kann der Bezeichnung des Gesamtkomplexes als „Berücksichtigung als Sachverhaltstatsache“ nach alldem vor allem zugutegehalten werden, dass sie die Problemstellung erkennt und nach einem Lösungsweg sucht, während gerade die frühen Gegenstimmen von Datumtheorie und Berücksichtigungsprinzip im Ergebnis vor allem auf die Negierung der gesamten Problemstellung zielen und damit nur wenig Konstruktives zur Entwicklung des Berücksichtigungsprinzips beitragen.
58 Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 82. Zu weitgehend (vgl. insoweit unten, Kap. 3 I. 2. d) bb) (S. 76 f.)) dagegen MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 609; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 835. 59 Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 82 f. 60 Zur Kritik siehe insb. MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 608 f.; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 635 ff. 61 Dazu oben Kap. 3 I. 1. b) (S. 61 ff.). 62 Krit. mit ähnlicher Stoßrichtung auch Looschelders, Anpassung, S. 107. 63 Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 85.
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b) Zwei-Stufen-Theorie aa) Methodischer Ansatz Als eine der zentralen Weiterentwicklungen der Datumtheorie greift Heßler die Zwei-Stufen-Lehre Jayme’s64 auf und gestaltet sie anhand familienrechtlicher Generalklauseln ausführlich fort.65 Dieser Ansatz ist ein wichtiger erster Schritt zur Überführung der Datumtheorie in ein methodisches und insbesondere in ein dogmatisches Konzept nach kontinentaleuropäischen IPR-Prinzipien. Er leistet damit bereits viele notwendige Ergänzungen der inhaltlich zunächst unvollständig gebliebenen Rezeption. Der Zwei-Stufen-Lehre liegt die Annahme zugrunde, dass die Auslandsberührung eines Sachverhalts nicht nur im Rahmen der kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Sachrechts beachtet werden muss.66 Vielmehr geht Heßler davon aus, dass die zur Anwendung berufenen sachrechtlichen Normen ihre Öffnung für die Beachtung der Auslandsberührung materiellrechtlich selbst bestimmen.67 Die namensgebenden zwei Stufen entsprechen somit dem Kollisionsrecht als erster Stufe der Rechtsfindung und dem Sachrecht als zweiter Stufe der Rechtsfindung. Der Auslandssachverhalt ist zunächst auf der ersten Stufe in Bezug zu nehmen und kollisionsrechtlich zu betrachten. Dieser erste Schritt führt zum anwendbaren Sachrecht. Sodann erfolgt auf zweiter (nunmehr sachrechtlicher) Stufe eine erneute Bezugnahme des Auslandsbezuges des Sachverhalts, sofern das berufene Sachrecht dies erneut erforderlich macht. Für eine solche sachrechtliche Beachtung von local data sind nach Heßler Generalklauseln am besten geeignet.68 So kann etwa die materiellrechtliche Bestimmung des Kindeswohlsbegriffs nach § 1741 Abs. 1 BGB erforderlich machen, dass Einflüsse einer ausländischen Rechtsordnung berücksichtigt werden müssen. Die Zwei-Stufen-Theorie berührt hier nicht den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl.69 Es bleibt also bei der Anwendung deutschen Rechts. Wohl aber ist das ausländische Recht nach Heßler im Rahmen der 64
Jayme, IPRax 1996, 237, 242; Jayme, in: FS Müller-Freienfels, 341, 369 f. Vgl. auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 161 f., jeweils m.w.N. 65 Heßler, Sachrechtliche Generalklausel; Lorenz, E., FamRZ 1987, 645. 66 Mansel, Personalstatut, S. 49 f. Rn. 39; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 161; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 777. 67 Heßler, Sachrechtliche Generalklausel, S. 169 f. 68 Heßler, Sachrechtliche Generalklausel, S. 173 ff., der seine Untersuchung auf familienrechtliche Generalklauseln konzentriert. Vgl. ferner Jayme, in: FS Müller-Freienfels, 341, 369; Lorenz, E., FamRZ 1987, 645; Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 703. 69 Ausdrücklich auf Grundlage des Gleichheitssatzes Mansel, Personalstatut, S. 49 Rn. 39. Ebenfalls entwickelt die Zwei-Stufen-Theorie anhand des Gleichheitssatzes Looschelders, Anpassung, S. 93 f.
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sachrechtlichen Auslegungsregel des § 1741 Abs. 1 BGB heranzuziehen und damit zu berücksichtigen.70 Heßler beschränkt seine Ausformung der ZweiStufen-Theorie noch auf die Generalklauseln. Inzwischen ist aber anerkannt, dass an sich jede nationale Norm einen Berücksichtigungsbefehl für ausländisches Recht enthalten kann.71 Wesentliches Alleinstellungsmerkmal der ZweiStufen-Theorie gerade im Vergleich zu einer rein sachrechtlichen Auslegungsmethode (dazu sogleich unten) ist, dass beide Stufen der Ermittlung des anwendbaren Rechts und der Berücksichtigung des nicht anwendbaren Rechts kollisionsrechtlichen Wertungen und Maßstäben folgen.72 bb) Kritik Der Blick der Zwei-Stufen-Theorie geht auf der zweiten Stufe also von der inländischen Norm, die sich selbst für den Auslandssachverhalt öffnet, auf den ausländischen Rechtssatz. Es erscheint auf den ersten Blick daher zweifelhaft, ob die Zwei-Stufen-Lehre noch als kollisionsrechtliches Instrument im savigny’schen Sinne gelten kann. Vielmehr ist es doch so, dass der kollisionsrechtliche Vorgang des Bestimmens des anwendbaren Rechts bereits abgeschlossen ist73, mit der Folge, dass die Zwei-Stufen-Theorie den territorialen Anwendungsbereich der inländischen Sachnorm ausweitet. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass in diesem Ansatz Anklänge der scheinbar längst überwundenen Statutentheorie aufscheinen. Die „Fragestellung vom Gesetz her“74 leitet den Blick des Rechtsanwenders auf der zweiten Stufe ebenso wie sie dies überwiegend (aber nicht ausschließlich) auch im Rahmen der Statutenlehre tut.75 Eine solche Kritik lässt sich aber mit Schurig auflösen, der darauf hinweist, dass die Statutenlehre gerade nicht auf die autonome gesetzgeberische Kompetenz und Wertung des normerlassenden Staates aufbaut, sondern von der universellen Richtigkeit des räumlichen Anwendungsbereiches einer Norm ausgeht.76 Dagegen hängt die Berücksichtigungsfähigkeit einer Norm nach der Zwei-Stufen-Theorie von der autonomen gesetzgeberischen Wertung einer räumlichen Öffnung der Norm ab. Damit ist auch klar, dass die Zwei-StufenTheorie zwar erst auf der Ebene des Sachrechts zur Anwendung kommt, funktional aber gleichwohl ein originär kollisionsrechtliches Instrument ist. Denn
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Heßler, Sachrechtliche Generalklausel, 169 f., 174. Dannemann, in: FS Stoll, 417, 419; Lorenz, E., FamRZ 1987, 645, 646; Looschelders, Anpassung, S. 99; Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 703; Mülbert, IPRax 1986, 140, 141. 72 Looschelders, Anpassung, S. 94, 105; Lorenz, E., FamRZ 1987, 645, 647. 73 Mansel, Personalstatut, S. 49 Rn. 39. 74 Dazu Kropholler, Internationales Privatrecht, § 2 II S. 11 f., § 3 II S. 18. Zu dieser Formulierung im Kontext der Statutenlehre Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 109 ff. 75 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 114. 76 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 110 f.; Schurig, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, 5, 6 f. 71
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die Erwägungen zur territorialen Fragestellung des Sachverhalts (und auch die Statutentheorie) beschäftigen sich allein mit der Frage des im Einzelfall maßgeblichen nationalen Rechts. Im Gegensatz dazu gehen die anderen bisher betrachteten Ansätze von einem so starken faktischen Gewicht der ausländischen Norm aus, dass sie ihre Berücksichtigung dem anwendbaren Recht geradezu aufzwingt. Dagegen blickt die Zwei-Stufen-Theorie von der anwendbaren Norm auf die zu berücksichtigende Norm. Nur wenn das anwendbare Recht das Bedürfnis nach einer ausländischen Norm aufwirft, ist die ausländische Norm zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweisen lassen sich näher am kollisionsrechtlichen denn am sachrechtlichen System verorten. c) Anwendung von Sicherheits- und Verhaltensregeln Sucht man nach Gegenmodellen zur tatbestandlichen Berücksichtigung und zur Zwei-Stufen-Lehre, so kommt die internationalprivatrechtliche Methode der Verweisung und daraus folgend der Anwendung ausländischen Rechts in Betracht. Dieses Ergebnis kann internationalprivatrechtlich auf zwei unterschiedlichen Wegen erreicht werden. aa) Sonderanknüpfung Der wohl wichtigste Gegenentwurf zur Hinzufügung des Berücksichtigungsprinzips zum Methodenkanon des IPR77 ist die Anwendung bereits etablierter internationalprivatrechtlicher Methoden. Zuvorderst scheint es hier möglich, die Methode der Sonderanknüpfung fruchtbar zu machen.78 Hierzu ist zunächst eine Eingrenzung des Begriffs der Sonderanknüpfung vorzunehmen, da mitunter völlig unterschiedliche internationalprivatrechtliche Phänomene als Sonderanknüpfung bezeichnet werden: Nicht hilfreich und zu begrifflicher Verwirrung beitragend ist es insoweit, wenn beispielsweise die Anknüpfungsregeln für die besonderen Vertragstypen in Art. 5–8 Rom I-VO als Sonderanknüpfungs- bzw. Sonderkollisionsnormen bezeichnet werden.79
77 Ausdrücklich Mankowski, IPRax 2016, 485, 490; BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 51; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774, 779; Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 56. 78 Dörner, JR 1994, 6, 9; Dörner, in: FS Stoll, 491, 498; Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 197. Bereits vor der Einführung der Datumtheorie in die Diskussion vertreten dies z.B. Delachaux, Anknüpfung, S. 203 f. m.w.N. zur älteren Literatur; Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 618. 79 So aber z.B. BeckOK-BGB/Spickhoff, Art. 4 Rom II-VO Rn. 3. Für eine „Sonderanknüpfung“ einzelner Deliktstypen Rühl, Statut und Effizienz, S. 659 ff.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 44. Günstiger erscheint es, wenn etwa MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 78 in diesen Fällen von „besonders anzuknüpfenden Delikten“ und
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Die Sonderanknüpfung führt vielmehr zu einer Abspaltung einzelner (Teil)Fragen des Statuts und damit zu einer dépeçage80. Grundsätzlich ist es demnach möglich und z.T. auch geboten, sachlich abspaltbare Elemente eines einheitlichen Lebenssachverhalts einer gesonderten (selbstständigen oder unselbstständigen81) Anknüpfung zuzuführen.82 Im Deliktsrecht können im Falle einer Sachbeschädigung typischerweise etwa Eigentumsverhältnisse auf diese Weise zu klären sein.83 Voraussetzung ist dabei stets, dass die Bildung von Einzelstatuten nicht zu einer sachlichen Entstellung des Anknüpfungsgegenstandes, also etwa der unerlaubten Handlung, führt. Daher können integrale Bestandteile des Statuts nicht abgespalten werden.84 Übertragen auf die Frage nach der Maßgeblichkeit lokaler Sicherheits- und Verhaltensregeln im Deliktsrecht kann die Methode der Sonderanknüpfung in zweierlei Hinsicht umgesetzt werden. Erstens erscheint es denkbar, ein eigenes Verhaltensstatut zu bilden, das als selbstständig anzuknüpfende Vorfrage immer dann relevant würde, wenn das Sachrecht die Frage nach dem rechtmäßigen Verhalten des Schädigers aufwirft. Zweitens könnten die einzelnen verhaltensrelevanten Elemente des sachrechtlichen Deliktstatbestandes einer Sonderanknüpfung zugeführt werden. Dazu würden etwa die Rechtswidrigkeit oder das Verschulden als Sonderstatut einer anderen Rechtsordnung unterstellt als der Rest der Haftungsbegründungsvoraussetzungen.85 bb) Anwendungsermessen und Rechtsfortbildung Differenzierende Lösungsansätze im jüngeren Schrifttum möchten einen anderen Weg beschreiten, die Berücksichtigung sozusagen als tertium im kollisionsrechtlichen Methodengefüge auffassen. Der Berücksichtigungsbefehl kann demnach als Ermessenseinräumung auf kollisionsrechtlicher Ebene in Erscheinung treten. Die Berücksichtigung sei demnach ebenfalls im Ergebnis als Anwendung zu verstehen, allerdings steht die Frage des „Ob“ und des Umfangs der Anwendung einer lokalen Sicherheits- und Verhaltensregel unter dem VorWagner, G., IPRax 2006, 372, 378 von Spezialkollisionsnormen sprechen. Wie hier ausdrücklich auch Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 15. 80 Dörner, in: FS Stoll, 491, 497. Zum Begriff siehe oben Kap. 2 II. 2. c) (S. 27 f.). 81 Dazu MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 169 f. 82 Ausführlich zum Ganzen Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 433. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 43 ff., bezeichnen die Anknüpfung von Teilfragen als Sonderanknüpfung. 83 MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 165. 84 Aus diesen Gründen sind vor allem Grenzfälle umstritten. Beispielsweise ist nicht abschließend geklärt, ob die Deliktsfähigkeit dem Deliktsstatut unterfällt oder dem Statut der Rechts- und Geschäftsfähigkeit zugeordnet werden muss. Zu diesem Streit siehe schon Delachaux, Anknüpfung, S. 204 f. 85 BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265; Dörner, in: FS Stoll, 491, 497.
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behalt richterlichen Ermessens.86 Der Anwendungsbefehl der Kollisionsnorm ist als Rechtsfolge damit nicht mehr zwingend. cc) Kritik Die nach den vorgestellten Ansätzen vorzunehmende Anwendung der Sicherheits- und Verhaltensregeln führt zu hoher Rechtssicherheit hinsichtlich des methodischen Vorgangs der Verweisung. Insbesondere entspricht sie dem etablierten internationalprivatrechtlichen Methodenkanon. Für die Anwendung der Sicherheits- und Verhaltensregeln als Ergebnis einer Anknüpfung als selbstständige Teilfrage des Deliktsstatuts spricht immerhin, dass in den relevanten Fallgestaltungen die notwendige Korrektur des Deliktsstatuts auf eine sehr vorhersehbare Weise erfolgt und der Rechtsanwender eine klare Handlungsanweisung vorfindet – anders, als dies prima facie im Falle der wesentlich weicheren Formulierung der Berücksichtigung erscheint. Die entscheidende Schwäche der Anwendung von Sicherheits- und Verhaltensregeln liegt aber in der (von den Ansätzen dieser Methode gerade beabsichtigten oder wenigstens bewusst in Kauf genommenen) Aufspaltung des Deliktsstatuts.87 Bereits von Savigny erkannte die besondere systematische Geschlossenheit des deliktischen Sachrechts.88 Die Einzelaspekte der Zwecke und Zielsetzungen des Deliktsrechts, etwa Schadenskompensation und Verhaltenssteuerung, kommen nicht ohne einander aus, sondern fügen sich gemeinsam zu einem geschlossenen Gesamtsystem.89 Entnimmt man also den deliktischen Verhaltensmaßstab einem vom Deliktsstatut abweichenden Sonderstatut oder einer entsprechenden Teilanknüpfung,90 so besteht die Gefahr einer Zerschlagung des Gesamtkonzeptes des de86 BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 52; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 366, 369; de Lima Pinheiro, Riv.dir.int.priv.proc. 44 (2008), 5, 33. Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch Harms, die ihr Promotionsprojekt und die These der Datumtheorie als tertium im Methodengefüge des IPR im Rahmen eines Doktorandenkolloqiums an der Universität Potsdam am 17. Februar 2017 vorgestellt hat. Bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung der hiesigen Arbeit war die monografische Ausarbeitung noch nicht veröffentlicht. Bis zur Drucklegung der vorliegenden Arbeit ist sie unter dem Titel „Neuauflage der Datumtheorie im Internationalen Privatrecht“, Tübingen 2019, erschienen. 87 Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 28; Looschelders, Anpassung, S. 87. Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 172. Vgl. auch Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 3; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2. 88 Siehe oben, Kap. 2 IV. 2 (S. 42 ff.). 89 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 27 f. Ausführlich hierzu siehe oben Kap. 2 IV. 1 (S. 36 ff.). 90 So z.B. von Bar, JZ 1985, 961, 968; Dörner, in: FS Stoll, 491, 498; Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 195. Wohl auch Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 88, der sich ebd. aber auch für die Berücksichtigung als Sachverhaltstatsache offen zeigt.
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liktischen Sachrechts.91 Dies gilt auch dann, wenn dem Richter ein „Anwendungsermessen“ eingeräumt wird. Denn auch dies führt nicht dazu, dass der im Ergebnis zu erzielende Anwendungsbefehl in irgendeiner Form „abgeschwächt“ würde, sodass am Ende ein „Weniger“ an Anwendung das kollisionsrechtliche Ergebnis wäre. Das Kollisionsrecht ist insoweit schlicht der falsche Ort für die überwiegend an materieller Gerechtigkeit orientierte und damit sachrechtlich geleitete Ermessenausübung. Stets führt es zu einem absoluten Ergebnis: der Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit einer oder mehrerer Rechtsnormen. Zudem können beide Ansätze auch nicht in ausreichendem Maße internationalprivatrechtliche Rechtssicherheit gewährleisten. Denn das Vorhersehbarkeitsargument mag zwar für das anzuwendende Recht gelten. Die Aufspaltung des Gesamtstatuts ist jedoch nur wenig vorhersehbar. Erfolgt diese Aufspaltung zusätzlich im Wege einer Ermessensentscheidung im Einzelfall, so verstärkt sich die Unvorhersehbarkeit der Aufspaltung des Deliktsstatuts noch weiter. Die methodische Einordnung des Berücksichtigungsprinzips als Sonderanknüpfung kann daher im Ganzen nicht überzeugen. Rechtshistorisch betrachtet ist die Methode der Sonderanknüpfung zudem eng mit Erscheinungsformen der Eingriffsnormen und des ordre public verknüpft.92 Einer Sonderanknüpfung zugänglich sind daher vor allem zwingende Vorschriften, die aus übergeordneten Interessen in Privatrechtsverhältnisse eingreifen.93 Dabei kann nicht übersehen werden, dass etwa Straßenverkehrsvorschriften und ähnliche öffentlich-rechtliche Verhaltensvorgaben lediglich Ordnungscharakter ohne unmittelbaren Bezug zum Privatrecht aufweisen.94 Eine Einordnung der Sicherheits- und Verhaltensregeln als Eingriffsnormen scheidet daher in aller Regel aus.95 Schließlich können Sicherheits- und Verhaltensregeln auch nicht als klassische Vorfrage im engeren Sinne angeknüpft werden, da einer solchen lediglich präjudizielle Rechtsverhältnisse zugänglich sind.96 Bei Sicherheits- und Verhaltensregeln handelt es sich dagegen um einen integralen Bestandteil der Haftungsbegründung, der nicht abspaltbar erscheint. d) Auslegung und Substitution aa) Methodischer Ansatz Namentlich Sonnenberger lehnt sowohl die Bezeichnung „Datumtheorie“ als auch die Zwei-Stufen-Theorie ausdrücklich ab. Eine sachliche Zugehörigkeit 91
MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 28; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 172 f. 92 Vgl. MüKo-BGB/Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 18 f. 93 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 173. 94 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 173. 95 Daraus erklärt sich u.a., weshalb Art. 17 Rom II-VO trotz der Existenz des Art. 16 Rom II-VO geschaffen wurde. 96 Vgl. Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rn. 52.
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der Berücksichtigung zum IPR verneint er ebenso.97 Dementsprechend sei auch eine um die Datumtheorie oder das Berücksichtigungsprinzip ergänzte Methodenvielfalt im IPR nicht ziel-, sondern „irreführend“98. Es handele sich bei den Erscheinungsformen der Datumtheorie vielmehr um ein rein sachrechtliches Phänomen, dem mit der Auslegung der maßgeblichen Sachrechtsnormen zu begegnen sei;99 eine Nähe zur Substitution sei im Ansatz erkennbar.100 Konkret bedeutet dies, dass die Auslegung etwa des Begriffs der Rechtswidrigkeit bzw. Schuld im anwendbaren Sachrecht „mit Hilfe drittstaatlicher Normen präzisiert werden“101 kann. Dabei handele es sich um „[...] ganz normale Auslegung und Konkretisierung deutschen Sachrechts [...].“102 Wertungen des ausländischen Rechts werden demnach herangezogen, um dem Auslandsbezug des Sachverhalts angemessen Rechnung tragen zu können.103 Sonnenberger betont, dass Aufgabe des Kollisionsrechts allein die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts sei und liegt damit auf einer Linie mit von Savigny und Kegel.104 Dementsprechend gehöre es nicht zu den Aufgaben des Kollisionsrechts, über eine wie auch immer sachrechtlich ausgestaltete Beachtung oder Berücksichtigung fremden Rechts zu bestimmen.105 Sonnenberger befürchtet einen unnötigen Methodenmix im IPR, der im Ergebnis vor allem Rechtsunsicherheit hervorbringe.106
97 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 609; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 835. Ihm folgend Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 435. 98 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 7. 99 Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 835. 100 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 608. Dies bekräftigt Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 435. Siehe dazu Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164. 101 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 7. Ebenso Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 835. 102 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 609. 103 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 609; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 835, dem folgend Kuckein, Berücksichtigung, S. 116 f. Unklar Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264, der zwar verlangt, dass „an die Stelle der inländischen Verhaltensnormen oder Schutzgesetze die entsprechenden, am Handlungsort geltenden Verhaltensnormen oder Schutzgesetze zu treten [haben], soweit es dem Sinn und Zweck der maßgebenden Haftungsnormen des Deliktsstatuts entspricht.“, und damit der Substitution nahesteht, andererseits aber betont, dass die Verhaltensregeln nur zu berücksichtigen und nicht anzuwenden seien. 104 Siehe oben Kap. 2 IV. 2 a) (S. 42 ff.). 105 Vgl. dazu Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 836. 106 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 608. Gegen solche Bedenken wendet sich Weller, IPRax 2014, 225, 231; Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 81 ff.
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bb) Kritik Kritik erfahren die durchaus beachtlichen Argumente Sonnenbergers freilich durch die Verfechter der Datumtheorie107. Als zentrales Gegenargument wird angeführt, dass der Ansatz Sonnenbergers versäume, eine vor allem wertungsmäßig überzeugende dogmatische Begründung für die Beachtung fremden Rechts auf der Ebene des Sachrechts zu liefern.108 Denn über die territoriale Begrenzung des Sachrechts und die Tatsache, dass die kollisionsrechtliche Bestimmung des anwendbaren Rechts abschließend erfolgt ist und im Anschluss daran gleichwohl auf Ebene des nationalen Sachrechts die Anwendung, Beachtung oder Berücksichtigung eines ausländischen Rechts stattfindet, kommt auch Sonnenberger nicht hinweg:109 „Das Recht kann diese [nicht anwendbaren Normen, Anm. d. Verf.] aber ebenfalls in die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts einfließen lassen, ihnen als gesellschaftlich relevantem Sachumstand ebenfalls Tatbestandswirkung einräumen.“110 Entscheidend gegen die Behauptung, die Erscheinungsformen der Datumtheorie seien rein sachrechtlicher Natur, spricht also der Umstand, dass das anwendbare Recht bereits bestimmt wurde und die fraglichen Sicherheits- und Verhaltensregeln gerade nicht zur Anwendung berufen sind. Gleichwohl beeinflussen sie auch nach Sonnenberger die Rechtsfindung. Die Kollision der Rechtsordnungen ist somit trotz erfolgter Bestimmung des anwendbaren Rechts genau genommen noch nicht überwunden. Sonnenberger streitet dafür, rein sachrechtliche Kriterien die Heranziehung von nicht anwendbarem Recht leiten zu lassen.111 Dieser Vorgang kann nach hier vertretener Überzeugung indes nur auf Grundlage der Zwecksetzungen und Interessen des internationalen Privatrechts erfolgen,112 denn es handelt sich um ein Problem der Kollision von Rechtsordnungen. Ob und wie die ausländischen Normen das anwendbare Sachrecht präzisieren, muss also insbesondere nach den Kriterien der Vorhersehbarkeit113 des einschlägigen Rechts und des internationalen Entscheidungseinklangs festgestellt werden. Sonnenberger selbst räumt zudem ein, dass jedenfalls die von ihm hergestellte Nähe zur Substitution jedenfalls unmittelbar nicht übertragbar ist.114 107
Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164. Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164. 109 Vgl. zu diesem Argument Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f. 110 Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 835. 111 Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 836 Fn. 74. Vgl. auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164. 112 So auch Looschelders, Anpassung, S. 94, 105. 113 Dies betont auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f. 114 MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 608. Demnach steht die Datumtheorie „[d]en Substitutionsfällen und Auslandstatsachen nahe [...]“ (Hervorh. d. Verf.). 108
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Denn insoweit muss beachtet werden, dass die Substitution nur zur Lösung von Vorfragen geeignet ist. 3. Gegenstand der Berücksichtigung Neben Erwägungen zur Methodik der Berücksichtigung ist auch der Berücksichtigungsgegenstand, also das, was Ehrenzweig als data bezeichnet, Teil der Diskussion geworden. Insoweit ist zu differenzieren: Einerseits erstrecken sich das Schrifttum115 und auch die Rechtsprechung116 zum Berücksichtigungsprinzip auf eine Vielzahl unterschiedlich gelagerter Fallgestaltungen aus unterschiedlichen Lebensbereichen.117 Schrifttum und Rechtsprechung sehen die Berücksichtigung ausländischen Rechts also nicht lediglich für das internationale Deliktsrecht und Sicherheits- und Verhaltensregeln vor. Andererseits lassen sich mit Blick auf die Vielzahl der Fallgestaltungen erhebliche Unterschiede ausmachen, denen nicht immer im notwendigen Umfang Rechnung getragen wird.118 a) Berücksichtigung von Rechtswirkungen und Rechtserwartungen Die allgemeine Beschreibung des Phänomens als Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts greift vor allem hinsichtlich des konkreten Berücksichtigungsgegenstandes zu kurz und bedarf insoweit der dogmatischen und begrifflichen Konkretisierung. Diese Erkenntnis hat sich im Schrifttum zumindest vereinzelt durchgesetzt und als ersten Schritt auf dem Weg zu einer Berücksichtigungsdogmatik eine Auseinandersetzung mit der Frage nach dem konkreten Berücksichtigungsgegenstand hervorgebracht. Diese Präzisierung der Anforderungen an den Berücksichtigungsgegenstand findet weitgehend unabhängig von der oben diskutierten methodischen Verortung des Berücksichtigungsprinzips im System des internationalen Privatrechts statt. Im Ergebnis haben sich im Schrifttum zur Bestimmung des Berücksichtigungsgegenstandes zwei Fallgruppen herausgebildet: Die Berücksichtigung von Rechtswirkungen einerseits und die Berücksichtigung von Rechtserwartungen andererseits.119
A.A. wohl Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 435 f., der für die Berücksichtigung an der Methode der Substitution festhalten möchte. 115 Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 8 (S. 5). 116 Rechtsprechungsübersicht siehe unten Kap. 3 II (S. 88 ff.). 117 Siehe auch dazu die Rechtsprechungsübersicht unten Kap. 3 II (S. 88 ff.). 118 Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 77. Siehe auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff., der Transposition, Adaption, Substitution und Datumtheorie gleichermaßen als Berücksichtigung bezeichnet. 119 Terminologie nach Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158.
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Daneben wird ausführlich diskutiert, ob der Berücksichtigungsgegenstand in örtlich gebundene und örtlich ungebunde Normen unterteilt werden kann.120 Im Schrifttum lässt sich eine erste (nicht-terminologische) Abgrenzung von Rechtswirkungen und Rechtserwartungen als Berücksichtigungsgegenstand bereits früh ausmachen. Schurig unterscheidet data nach ortsgebundenen (Verhaltens-)Regeln (Rechtserwartungen) und örtlich unabhängigen Auswirkungen der Anwendung ausländischer Regeln, mithin den faktischen Auswirkungen bereits bestehenden und gegebenenfalls angewandten Rechts (Rechtswirkungen). Die Besonderheit in Schurigs Konzept sind die Konsequenzen dieser Unterscheidung für die Methodik der Berücksichtigung. Die Verkehrsregel (als Verhaltensregel) ist demzufolge immer durch kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl anzuknüpfen (Methodik der Sonderanknüpfung), während etwa ein die Unmöglichkeit begründendes rechtliches Leistungsverbot (als Auswirkung ausländischen Rechts) als Auslandsbezug im materiellen Recht zu berücksichtigen ist (Methodik der Berücksichtigung auf sachrechtlicher Tatbestandsebene).121 Schurigs Differenzierungen zeigen, dass die Berücksichtigung im IPR mitunter völlig unterschiedliche methodische und dogmatische Herangehensweisen erfordert. Der Begriff „Berücksichtigung“ kann demnach der ihm regelmäßig zugeschriebenen universellen Bedeutung kaum gerecht werden.122 Schulze entwickelt den Berücksichtigungsgegenstand auch terminologisch ausdrücklich auf der Grundlage einer Unterscheidung von Rechtserwartungen und Rechtswirkungen als mögliche Berücksichtigungsgegenstände. Während Schurig noch eine methodische Trennung fordert, anderenfalls gar von einer „Vermengung“ spricht123, fasst Schulze zunächst124 beide Fallgruppen unter dem Oberbegriff der Datumtheorie zusammen.125 In der sachlichen Unterscheidung beider Kategorien finden sich dagegen keine Unterschiede. So zählt 120
Ausführlich hierzu siehe unten Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.). Zum Ganzen Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 312 f., der in der Datumtheorie insoweit eine überflüssige „Vermengung“ zweier unterschiedlicher Rechtsprobleme sieht, sowie Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 230. Eine parallele Diskussion lässt sich innerhalb der methodischen Überlegungen zum Einfluss von Eingriffsnormen beobachten, vgl. Kuckein, Berücksichtigung, S. 72 ff.; Junker, JZ 1991, 699, 701 f.; Sonnenberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 429, 440 f.; Zimmer, IPRax 1993, 65, 67 f. 122 Wohl nahezu erschöpfend ausdifferenzierend ist insoweit die Darstellung bei Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 77 ff. Für die vorliegende Untersuchung ist allerdings vor allem die Gruppe der Sicherheits- und Verhaltensregeln interessant, die Dannemann der Methode der Sonderanknüpfung unterwirft, wobei er alternativ auch die sachrechtliche Berücksichtigung zulassen möchte: Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 88. 123 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 313. 124 Beachte insoweit aber jüngst BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 51 f. hinsichtlich der methodischen Differenzierung von kollisionsrechtlicher und sachrechtlicher Berücksichtigung. 125 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 159 f. 121
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Schulze zu den berücksichtigungsfähigen Rechtswirkungen etwa Prohibitionsvorschriften126 und nach der lex fori nicht anerkannte bzw. nicht anzuerkennende Adoptionen, die im Ausland aber Bestand haben und so auf die Bemessung der Unterhaltsgrenzen nach dem inländischen Recht faktisch einwirken müssen.127 Nachfolgend wird die im Schrifttum so entwickelte Unterscheidung von Rechtswirkungen und Rechtserwartungen als Berücksichtigungsgegenstandes analysiert und für die hiesigen Bemühungen konkretisiert. aa) Rechtswirkungen Zunächst kommen Rechtswirkungen, also das faktische Resultat der Existenz einer Norm als Berücksichtigungsgegenstand in Betracht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass schon der Bestand, wenigstens aber die Durchsetzbarkeit einer bestehenden Norm Tatsachen schafft.128 Überwiegend wird die Schrifttumsdiskussion um die faktischen Auswirkungen von Normen am Beispiel von Eingriffsnormen geführt.129 Hier drängt sich das Problem der tatsächlichen Berücksichtigung von Normen stärker auf als etwa im Deliktsrecht, denn die Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen ist selbstverständlich als die Berücksichtigung lokaler Verhaltensnormen. Sie ist daher als dogmatisches Problem insgesamt leichter zu identifizieren: Während Eingriffsnormen der lex fori im Wege einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung unter bestimmten Voraussetzungen angewandt werden (vgl. Art. 34 EGBGB a.F., Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, Art. 16 Rom II-VO), können drittstaatliche Eingriffsnormen nach herrschender Meinung auch durch sachrechtliche Berücksichtigung zu beachten sein.130 Diese Form der tatsächlichen Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen hat indes vornehmlich im Vertragsrecht Relevanz und betrifft dort etwa die tatsächlichen Auswirkungen von ausländischen Prohibitionsvorschriften.131 Die Grundsätze zur Möglichkeit der sachrechtlichen Berücksichtigung132 drittstaatlicher Eingriffsnormen weisen gleichwohl hohe Schnittmengen mit dem hier untersuchten Berücksichtigungsprinzip hinsichtlich der 126
Dazu unten Kap. 3 II. 2. a) (S. 98 ff.). Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 159. So auch OGH Wien IPRax 1997, 266 m. abl. Anm. Mottl, IPRax 1997, 294. 128 Mankowski, IPRax 2016, 485, 489 f. 129 Kuckein, Berücksichtigung, 110 ff.; Junker, JZ 1991, 699, 702; Mörsdorf, JZ 2018, 156, 159; Mülbert, IPRax 1986, 140; Pfeiffer, Th., ZVglRWiss 116 (2017), 439, 447 ff.; Zimmer, IPRax 1993, 65. Mit Blick auf Art. 17 Rom II-VO BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 67. Vgl. ferner Sonnenberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 429, 441, 443. 130 EuGH, Urt. v. 18.10.2016 – C-135/15 Republik Griechenland/Nikiforidis, ECLI:EU:C:2016:774 Rn. 51. Dazu Pfeiffer, Th., LMK 2016, 382315. Ferner Junker, JZ 1991, 699, 702; Mörsdorf, JZ 2018, 156, 159. 131 Junker, JZ 1991, 699, 702. 132 Dazu Kuckein, Berücksichtigung, S. 110 ff. 127
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Sicherheits- und Verhaltensregeln des Deliktsrechts auf. Sie können daher für die hiesigen Betrachtungen herangezogen und übertragen werden. Zu beachten ist insoweit aber, dass für das Berücksichtigungsprinzip im Allgemeinen nicht erforderlich ist, dass es sich bei dem zu berücksichtigenden Recht um lokale Eingriffsnormen handelt.133 Verbotsnormen etwa schaffen tatsächliche Sanktionsbedrohungen oder jedenfalls die individuell empfundene Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung einer angedrohten Sanktion. Auf die spezifische Qualität der Verbotsnorm als Eingriffsnorm kommt es für diese tatsächlichen Auswirkungen nicht an. Normen beeinflussen so mutmaßlich das Verhalten der Normadressaten. Auf dieser Grundlage kann beispielsweise angenommen werden, dass eine ausländische, nicht anwendbare Prohibitionsvorschrift, die Sanktionsdrohungen bis hin zur Todesstrafe beinhaltet, schon ihrem Bestand nach eine tatsächliche (und somit nicht rechtliche134) Unmöglichkeit im Sinne von § 275 Abs. 2 BGB oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB begründen kann.135 Die Kategorisierung der Rechtswirkung als Berücksichtigungsgegenstand bringt indes insgesamt nur wenig neue Erkenntnisse. Allenfalls rechtspraktisch ergeben sich hier Problemstellungen bei der Ermittlung der als Rechtswirkung vorliegenden Tatsachengrundlage. Wenn solche auf bestimmten Rechtsnormen basierenden Tatsachen nun zur Rechtsfindung herangezogen werden, so liegt an sich ein ganz normaler Subsumtionsvorgang vor.136 Der Unterschied zur Subsumtion „gewöhnlicher“ Sachverhaltselemente besteht regelmäßig allein in dem Umstand, dass hier eine kausale Verbindung des Sachverhaltselements (etwa der realen Sanktionsdrohung) zu einer nicht anwendbaren Norm besteht; gegebenenfalls tritt eine rechtliche bzw. normative Wertung hinzu. Das Sachverhaltselement selbst entspricht aber nicht der zu berücksichtigenden Norm oder ihrem Regelungsgehalt (etwa dem normativen Verbot), sondern lediglich ihrem tatsächlichen Resultat.137 Solche „Fakten sind nicht ‚anwendbar‘, sondern schlicht da. Mit ihnen muss das Recht leben und arbeiten.“138 Eine 133 Vgl. Güngör, Sorgfaltspflichten, S. 118; Pfeiffer, Th., LMK 2016, 382315. Vgl. ferner Mankowski, IPRax 2016, 485, 490. 134 A.A. LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154 m. insoweit krit. Anm. Mörsdorf, JZ 2018, 156, 159. Darstellung des Urteils unten Kap. 3 II. 2. a) cc) (S. 100 ff.). 135 So bereits RG, Urt. v. 28.6.1918 – Rep. II. 69/18 = RGZ 93, 182. Ebenso BGH, Urt. v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746; Pfeiffer, Th., ZVglRWiss 116 (2017), 439, 448, 451 f. Zu den Anforderungen an die konkrete Sanktionsdrohung im Einzelfall Kuckein, Berücksichtigung, S. 112 f. 136 Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 40, 43, 49; Weller, IPRax 2014, 225, 229; Mankowski, IPRax 2016, 485, 409: „Sie [Die Berücksichtigung, Verf.] determiniert Untersätze bei der Subsumtion unter Tatbestandsmerkmale aus den Sachnormen der lex causae.“ Vgl. auch Kuckein, Berücksichtigung, S. 112. 137 Mankowski, IPRax 2016, 485, 489 f. 138 Mankowski, IPRax 2016, 485, 490.
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dogmatische Sonderbehandlung in Abgrenzung zu „gewöhnlichen“ Sachverhaltselementen ist daher nicht erforderlich.139 Sie dient offenbar in narrativer Form der Klarstellung rechtlich weitgehend unproblematischer bzw. geläufiger Rechtsvorgänge und -abläufe. Zudem ist nicht erforderlich, dass die zu berücksichtigende Norm eine Eingriffsnorm ist. Denn für die Ermittlung der Tatsachengrundlage des zu entscheidenden Sachverhalts kommt es auf solch normative Wertungen gerade nicht an.140 Fallgruppen finden sich reichlich. Exemplarisch kann auf die bereits erwähnte Fallgruppe der unmöglichen Vertragserfüllung aufgrund ausländischer, nicht anwendbarer Verbotsvorschriften verwiesen werden. Ebenso wie ein Stein, der den Zufahrtsweg zum Lieferort versperrt und so eine faktische, gleichsam physische Unmöglichkeit auslöst,141 geschieht dies etwa durch eine auf einer Verbotsnorm beruhenden und tatsächlich bestehenden ausländischen Sanktionsdrohung, die den Handel mit Alkohol mit dem Tode sanktioniert.142 Eine solche lokale Vorschrift kann zu einer faktischen Unmöglichkeit der Vertragserfüllung nach Maßgabe der lex cause führen.143 Auch hier ist freilich erforderlich, dass zumindest die Gefahr der Sanktionierung eines zuwiderlaufenden Verhaltens faktisch besteht.144 Die Leistung wird dem Verpflichteten auf dieser faktischen Grundlage unzumutbar. Wichtig ist für diese Fallgruppe aber, dass nicht der normative Gehalt, etwa eine Verhaltensanforderung oder ein rechtliches Verbot, sondern nur das tatsächliche Resultat aus dem Bestand der (nicht anwendbaren!) Norm durch die Berücksichtigung in die Rechtsfindung einfließt.145 Deutlich wird diese Unterscheidung auch am Beispiel des § 275 BGB: Während die kollisionsrechtliche Anwendbarkeit einer ausländischen Verbotsnorm z.B. im Wege der Sonderanknüpfung zu einer rechtlichen Un-
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Mankowski, IPRax 2016, 485, 490, 493. Vgl. auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 312 f. 140 Junker, JZ 1991, 699, 702; Kuckein, Berücksichtigung, S. 96. 141 Kuckein, Berücksichtigung, S. 110. Junker, JZ 1991, 699, 702 unter Verweis auf einen ähnlichen Vergleich (Naturereignis) Kegels. 142 Kuckein, Berücksichtigung, S. 96, 112, der zudem zutreffend herausstellt, dass solche Rechtswirkungen auch einer Inhaltskontrolle und dem ordre-public-Einwand nicht zugänglich sind. 143 BGH, Urt. v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. Das rechtliche Verbot benennt als Datum bereits Ehrenzweig, Private International Law, General Part I, S. 86: „Again, a claim of impossibility of performance may be based on such data as foreign prohibitions.“ Siehe hierzu auch die Rechtsprechungsübersicht unten, Kap. 3 II. 2. a) (S. 98 ff.) sowie Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 313. 144 Zu den konkreten Anforderungen an die faktischen Auswirkungen der zu berücksichtigenden Norm Kuckein, Berücksichtigung, S. 112 f. 145 Junker, JZ 1991, 699, 702.
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möglichkeit führt, kommt für eine Berücksichtigung der Norm nur eine faktische Unmöglichkeit bzw. die Unzumutbarkeit der Leistung in Betracht.146 Die Fallgruppe der zu berücksichtigenden Rechtswirkungen betrifft demnach nicht unmittelbar den Gegenstand dieser Untersuchung,147 sondern dient vor allem der Abgrenzung. Denn letztlich werden hier lediglich Tatsachen, also Sachverhaltselemente, im Wege der Subsumtion in die Rechtsfindung einbezogen.148 Die Bezeichnung als „Berücksichtigung“ erfüllt in diesem Falle daher kaum weiterführende Funktionen. Es ließe sich folglich auch von einer unechten Berücksichtigung sprechen. bb) Rechtserwartungen Von der Berücksichtigung von Rechtswirkungen ist demnach die echte Berücksichtigung der Rechtserwartungen der beteiligten Parteien zu unterscheiden. Damit sind vor allem Sicherheits- und Verhaltensregeln gemeint, die den konkreten deliktischen Verschuldensmaßstab bilden oder ausfüllen.149 Hier liegt also der Kern der für diese Arbeit zentralen deliktsrechtlichen Betrachtung. Gemeint ist in Abgrenzung zu den Rechtswirkungen die Berücksichtigung ganzer Rechtsnormen und nicht lediglich der hierauf kausal beruhenden Tatsachen. Die Besonderheit liegt in dem Erfordernis der Berücksichtigung des normativen Elements der Sicherheits- und Verhaltensregeln. Zimmer spricht bezogen auf Eingriffsnormen von einer „normativen Berücksichtigung“.150 Übertragen auf das Deliktsrecht besteht das Ziel darin, über den Berücksichtigungsvorgang zu einer konkreten, normativen Verhaltensanforderung zu finden. Dieser Verhaltensmaßstab soll aber nicht lediglich einer nicht anwendbaren Norm entnommen werden, sondern ein „faktisch[es]“151 Element aufweisen. Im Unterschied zur Berücksichtigung von Rechtswirkungen begnügt sich die Rechtsnormberücksichtigung also nicht mit der Einbeziehung der durch ausländisches Recht geschaffenen Tatsachen. Vielmehr soll die Schnittmenge von normativer Verhaltensanforderung und faktischer Rechtserwartung ermittelt werden. Hier liegt die zentrale dogmatische Herausforderung der Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln. Dies ist
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Ausführlich Kuckein, Berücksichtigung, S. 112 ff. Siehe auch Junker, JZ 1991, 699,
702. 147 Insb. Kuckein, Berücksichtigung, behandelt diese Form der Berücksichtigung ausschließlich als Fallgruppe der sog. Eingriffsnormen. Auch Junker, JZ 1991, 699, 702, betont, dass es sich hierbei nicht um die Berücksichtigung des normativen Gehaltes der berücksichtigten Norm handelt. 148 Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 40, 43, 49; Weller, IPRax 2014, 225, 229. 149 Vgl. dazu auch den Wortlaut von Art. 17 Rom II-VO, der von „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ spricht. 150 Zimmer, IPRax 1993, 65, 67 f. Ebenso Kuckein, Berücksichtigung, S. 73. 151 Vgl. Art. 17 Rom II-VO.
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zudem der wesentliche Unterschied zur Berücksichtigung der Rechtswirkungen nicht anwendbaren Rechts.152 Entscheidend an dieser Fallgruppe ist, dass normative Anforderungen in Form einer Verhaltensanweisung berücksichtigt werden sollen und am Ende des Berücksichtigungsvorgangs eine (hier zu entwickelnde) renormativierte153 Verhaltensanforderung steht. Diese rechtfertigt sich aus den vertrauensbildenden Wirkungen der zu berücksichtigenden Regel und kann daher als Berücksichtigung von Rechtserwartungen beschrieben werden.154 Rechtserwartungen in diesem Sinne beziehen sich vor allem auf den im Rahmen dieser Untersuchung besonders relevanten Verhaltensmaßstab, der von vertraglichen und deliktischen Schadensersatztatbeständen regelmäßig vorausgesetzt wird.155 b) Rechtsquellen Klärungsbedarf besteht zudem hinsichtlich der rechtsqualitativen Anforderungen an die zu berücksichtigenden Normen und Regeln. Relevanz entfaltet diese Frage regelmäßig, wenn privat gesetzte Regelwerke und Einzelvorschriften, etwa Verbandsregeln oder mittels privater Selbstverpflichtungserklärung in Kraft gesetzte private Verhaltenskodizes berücksichtigt werden sollen. Ganz herrschend wird davon ausgegangen, dass auch solche rein privaten Normen und Regelwerke berücksichtigt werden können. Es kommt demnach nicht auf die formelle Geltung der zu berücksichtigenden Norm am Handlungsort an, sondern auf deren faktische Geltung ebendort.156 Bemerkenswert erscheint, dass sich soweit ersichtlich kaum Stimmen finden, die die Berücksichtigung auf staatliches Recht beschränken wollen.157 Zunächst leuchtet ein, dass jedenfalls solche Regeln und Normen berücksichtigt werden können, die entweder positives Recht des lokalen Gesetzgebers sind oder diesem zumindest gleichstehen. Letzteres trifft in den meisten Rechtsordnungen vor allem auf Gewohnheitsrecht zu. Darüber hinaus müssen stets auch solche Regeln berücksichtigungsfähig sein, die im Rahmen der nach dem lokalen Recht zulässigen privatautonomen Rechtsgestaltung durch die Beteiligten wirksam in ihre Rechtsbeziehungen einbezogen werden. Typischerweise können etwa die Mitglieder des Weltskiverbandes FIS durch ihre Verbandsmitgliedschaft auch an die FIS-
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Fallgruppen dieses Typus’ behandelt ausführlich Mankowski, IPRax 2016, 485. Zu diesem Begriff und seiner Dogmatik Siehe ausführlich unten Kap. 4 (S. 109 ff.). 154 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 160 f., 165. 155 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 160. 156 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 432; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 173. 157 Diehl, IPRax 2018, 371, 374 f. Einschränkend mit Blick auf Art. 17 Rom II-VO auch Eckert, GPR 2015, 303, 306. 153
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Verhaltensregeln für Skifahrer und Snowboarder158 gebunden werden.159 Allerdings bleibt für die praktisch seltenen Fälle160 der wirksamen privatautonomen Einbeziehung von grundsätzlich unverbindlichen Regelwerken stets zu bedenken, dass es im Einzelfall meist nicht auf eine Berücksichtigung im internationalprivatrechtlichen Sinne ankommt. Vielmehr liegt hier in den meisten Fällen eine materiellrechtliche Einbeziehung des nichtformellen Rechts vor, das in den Grenzen der Parteiautonomie und der anwendbaren objektiven Rechtsordnung unmittelbar angewandt werden kann.161 Internationalprivatrechtliche Probleme hinsichtlich der rechtsqualitativen Anforderungen an die zu berücksichtigenden Regeln ergeben sich daher schwerpunktmäßig bei einseitigen Verpflichtungserklärungen ohne genau definierbaren Erklärungsempfänger und bei gänzlich unverbindlichen Regelwerken. Ersteres betrifft z.B. die Berücksichtigung von sogenannten rules of conduct als Erscheinungsform des CSR-Konzeptes.162 Dabei handelt es sich um einseitige Absichtsbekundungen oder auch einseitige Verpflichtungserklärungen. Der Erklärende verpflichtet sich damit zur Einhaltung bestimmter Verhaltensstandards. Solche Erklärungen finden sich gerade in jüngerer Zeit vor allem im Bereich der transnationalen Produktion global agierender Unternehmen. Sie sind zudem zwischenzeitlich teilweise auch legislativ erfasst worden.163 Die ganz herrschende Meinung geht mit einem überaus weiten Verständnis davon aus, dass selbst solche Regeln, die den Mindestanforderungen an verbindliches Recht nicht genügen, berücksichtigungsfähig sind.164 Voraussetzung ist demnach allein eine faktische Bindungswirkung der zu berücksichtigenden Regel am Handlungsort in Form eines schutzwürdigen Vertrauens in die (wie auch immer geartete) Geltung dieser Regeln. Dies erscheint im Lichte der Mehrzahl der dargelegten methodischen Konzepte konsequent, soweit ausdrücklich auf die Tatbestandswirkung bzw. die Rechtsregel als datum abgestellt wird. Erreichen demnach also etwa die FIS-Verhaltensregeln weder die
158 (zuletzt aufgerufen am 23.3.2020). 159 Ausführlich Sälzer, Skiunfälle, S. 134 ff., mit Hinweis auf die geringe praktische Bedeutung dieses Modells. 160 Sälzer, Skiunfälle, S. 137 f. 161 Dazu Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 459 sowie von Hein, SpuRt 2005, 9, 11. 162 Dazu ausführlich unten Kap. 6 II. 2. d) cc) (1) (S. 165 ff.). 163 Insb. durch die Umsetzung der RL 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, BGBl. 2017 I 20, 802. Ausführlich zu Erscheinungsformen der CSR siehe unten Kap. 6 II. 2. d) cc) (1) (S. 165 ff.). 164 Nachw. siehe oben Kap. 3 Fn. 156 (S. 83).
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Qualität von positivem Parlaments- noch von ungeschriebenem Gewohnheitsrecht, so sind sie gleichwohl zu berücksichtigen, sofern ihre faktische Geltung am deliktischen Handlungsort festgestellt werden kann.165 Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für unverbindliche Verhaltensstandards wie etwa Codes of Conduct.166 c) Sonderfälle: Örtlich gebundene und örtlich ungebundene local data Ein Sonderproblem der Berücksichtigung von Rechtserwartungen tritt regelmäßig im Rahmen sogenannter Insassenunfälle auf.167 Dabei handelt es sich um Straßenverkehrsunfälle im Ausland, die durch ein Fehlverhalten des Fahrers zu einer deliktischen Schädigung der Rechte und/oder Rechtsgüter des Beifahrers führen.168 In der Folge stellt sich die Frage nach der Schadensersatzpflicht des Fahrers gegenüber dem Beifahrer. Meist sind Fahrer und Beifahrer identischer Nationalität und haben einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt. Zudem besteht eine rechtliche Sonderverbindung durch die gemeinsame Fahrt: Häufig ist mindestens eine Schicksalsgemeinschaft, ein Gefälligkeitsverhältnis oder (nach deutschem Recht) auch eine BGB-Innengesellschaft anzunehmen.169 Probleme bereiten diese Fälle bei der Bestimmung der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln, wenn das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Beteiligten anwendbar ist und der Unfall- und damit Handlungsort hiervon abweicht. Es stellt sich die Frage, ob statt der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts diejenigen des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts für die Bestimmung des einschlägigen Verhaltensmaßstabs heranzuziehen sind. Verbreitet hat sich in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung von örtlich gebundenen und örtlich ungebundenen data entwickelt. Auch in diesem Diskussionspunkt hat sich allerdings weniger eine abstrakte Regel, als vielmehr die Entwicklung von Fallgruppen durchsetzen können.
165 Vgl. von Hein, SpuRt 2005, 9, 11 m.w.N. Unklar erscheint dabei freilich, was unter einer „faktischen Bindungswirkung“ genau zu verstehen ist. Vgl. zu einem möglichen Lösungsansatz unten Kap. 4 I. 2. b) (S. 114 ff.). 166 Enneking, Foreign direct liability, S. 220 f. 167 Andere praktisch relevante Konstellationen außerhalb von Straßenverkehrsunfällen kommen nur sehr selten vor. Relevanz haben insoweit vor allem Gruppenreisen erlangt, für die sich parallele Probleme ergeben können: Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 27 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 30. Rechtspraktisch ist die Handhabung dieser Fälle aber nicht anders gelagert als im Bereich der Straßenverkehrsunfälle (beachte aber einschränkend von Hein, SpuRt 2005, 9, 12). 168 BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541; Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 m. Anm. Spickhoff, LMK 2009, 280900; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 443 f. 169 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 178.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
Örtlich gebundene Sicherheits- und Verhaltensregeln dienen unmittelbar ordnend für den lokalen Verkehr. Stoll kategorisiert solche Regeln als örtlich gebunden, die die „Teilnahme am allgemeinen Verkehr“ regeln170 und damit auch dem Drittschutz171 dienen. Dazu zählen vor allem Vorfahrts- und Geschwindigkeitsregeln und die verpflichtend zu benutzende Fahrbahnseite.172 Auffällig ist, dass die meisten dieser Vorschriften öffentlichrechtlichen Charakter aufweisen. Es wird daher mitunter vertreten, dass solche Vorschriften nur nach den Grundsätzen des internationalen öffentlichen Rechts berücksichtigt oder angewandt werden können.173 Dieser Einwand greift indes nicht durch, da auch diese Normen nach herrschender Meinung gerade nicht zur Anwendung berufen sind.174 Vielmehr sind lediglich ihre faktischen, vertrauensbildenden und damit Rechtserwartungen begründenden Elemente der für den Auslandssachverhalt und die Berücksichtigung entscheidende Gesichtspunkt.175 Für die Betrachtung solcher Fakten kommt es nicht darauf an, welchem Rechtsgebiet die zugrundeliegende Norm entstammt.176 Andere Vorschriften, etwa zu Gurtanlegepflichten177 oder zu den zulässigen Höchstgrenzen der Blutalkoholkonzentration von Fahrzeugführern178 weisen dagegen eine geringere territoriale Gebundenheit auf und sind daher als nicht streng territorial einzuordnen.179 Solche Regeln ordnen nicht unmittelbar den allgemeinen Verkehr, haben weniger drittschützenden Charakter als streng territoriale Regeln und können daher abhängig von einer Sonderverbindung zwischen den Beteiligten territorial flexibler Geltung beanspruchen.180 Schwierigkeiten bereiten solche Fallgruppen, die nicht eindeutig zuzuordnen sind.181 Dazu zählen etwa lokale Anforderungen an die Reifenprofiltiefe oder die Verpflichtung zur Nutzung des Tagfahrlichts bzw. der Nebelscheinwerfer182. Solche Regeln werden sowohl von Ordnungsinteressen als auch von Drittschutzinteressen geprägt und können daher nicht ohne Weiteres kategorisiert werden. Dieses Problem entschärft sich in den meisten Fällen allerdings 170
Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 178. Erstmals nimmt die Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen Verkehrsregeln wohl Schwimann, ZVR 1978, 161, 170, vor. 171 Insoweit zurückhaltend Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 445 f. 172 Vgl. weiterführend auch Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 422. 173 Vgl. Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 429 m.w.N. 174 Zur methodischen Verortung siehe oben Kap. 3 I. 2. (S. 66 ff.). 175 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 173. 176 Vgl. Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 432. 177 Dazu OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.10.1984 – 1 U 292/83, r+s 1985, 171. 178 BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541; Stoll, in: FS Lipstein, 259, 266. 179 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 17. 180 In diesem Sinne BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541. 181 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 168 f. 182 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 177. Vgl. in diesem Sinne zur „Kraftfahrzeugausstattung“ Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 446 f.
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in gewissem Maße von selbst. So wird die Nichteinhaltung der Pflicht zur Benutzung des Tagfahrlichts wohl kaum als alleinige Handlungsursache zu einer Schädigung des Beifahrers führen. Die Entscheidung darüber, ob eine örtlich gebundene oder eine überörtliche Sicherheits- und Verhaltensregel vorliegt, muss zudem ohnehin einzelfallabhängig durch richterliche Ermessensausübung und Beweiswürdigung erfolgen. Die Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen data ist insgesamt nicht immer unstrittig geblieben. Während die herrschende Meinung und überwiegend auch die Rechtsprechung seit jeher aus Gründen der Rechtssicherheit entschieden für eine solche Differenzierung eintreten,183 hält Dornis dies noch heute aufgrund praktischer Schwierigkeiten für nicht hilfreich.184 Die Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen data ist entgegen dieser Einwände jedenfalls dann erforderlich und hilfreich, wenn die zu beurteilende Personenkonstellation aus einem reinen Binnenverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht, das eine vom Deliktsstatut abweichende gemeinsame Rechtserwartung zwischen den Beteiligten begründet. Dies betrifft z.B. Reisegruppen ebenso wie die bereits erwähnten Insassenunfälle und wird meist dann relevant, wenn die gemeinsame Rechtserwartung grenzüberschreitend „mitgenommen“ werden soll. Wenn in solchen Fällen bereits keine „Überörtlichkeit“ der zu berücksichtigenden Norm (etwa eine Geschwindigkeitsbegrenzung) vorliegt, ist die Berücksichtigung ausgeschlossen. An der Unterscheidung der zu berücksichtigenden data nach örtlicher und überörtlicher Wirkung ist daher festzuhalten.
183 Stoll, in: FS Lipstein, 259, 265 f.; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 163, 178. Ebenso Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 17; Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3; Palandt-BGB/Thorn, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5; von Bar, JZ 1985, 961, 966. Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Vorbem zu Art. 40 EGBGB Rn. 59 spricht von „örtlichen Exklusivnormen“; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 144 f. spricht von „streng territorialen“ Rechtsnormen. BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541; Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733 ff.; Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485 (beachte zu letzterem aber einschränkend Spickhoff, LMK 2009, 280900). Vgl. auch Brandt, Sonderanknüpfung, S. 40 f. 184 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 193 f. Ebenso Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 447 f. Zurückhaltender EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1170, 1173. Ohne Differenzierung nach örtlicher Gebundenheit der einzelnen Sicherheits- und Verhaltensregeln auch Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 6. Mit Blick auf Art. 17 Rom II-VO krit.MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 13.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
II. Erscheinungsformen in der Rechtsprechung Das Problem der Berücksichtigung nicht zur Anwendung berufenen Rechts beschäftigte bereits das Reichsgericht.185 Anklänge des Grundgedankens der Datumtheorie finden sich seither in der Rechtsprechung zu völlig unterschiedlichen Lebensbereichen. Eine ausdrückliche methodische Auseinandersetzung findet allenfalls ganz vereinzelt statt.186 Vielmehr hat sich über die Jahre eine Praxis entwickelt, die hinsichtlich des Umgangs mit nicht anwendbaren Normen mit Ausdrücken wie „selbstverständlich“ oder „Natur der Sache“187 operiert. Im Ganzen lässt der Rechtsprechungsbefund daher allenfalls auf die rechtspraktische Etablierung eines im Einzelfall zu konkretisierenden Berücksichtigungsvorgangs schließen. Die nachfolgende Rechtsprechungsübersicht lässt analog zu den Fallgruppen des Schrifttums eine Sonderstellung der Berücksichtigung von Verhaltensnormen im internationalen Deliktsrecht erkennen. Während in nahezu allen anderen Teilgebieten des Privatrechts regelmäßig die Berücksichtigung der faktischen Auswirkungen einer Rechtsnorm (etwa die faktisch drohende Sanktionierung eines Verstoßes gegen eine lokale Prohibitionsvorschrift) ausreicht, muss hier gerade das normative Element der zu berücksichtigenden Norm für die Rechtsfindung erhalten werden. Die vorstehende Kategorisierung der Berücksichtigung nach dem Berücksichtigungsgegenstand (Rechtserwartungen einerseits und Rechtswirkungen andererseits) lässt sich also auch auf die Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung übertragen. 1. (Echte) Berücksichtigung von Rechtserwartungen a) Straßenverkehr Besonders im Bereich der grenzüberschreitenden Straßenverkehrsunfälle findet sich umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung und Sonderanknüpfung von lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln.188 185
RG, Urt. v. 28.6.1918 – Rep. II. 69/18 = RGZ 93, 182. Ausführliche Darstellung der Entscheidung unten Kap. 3 II. 2. a) aa) (S. 98 ff.). 186 Dies konstatiert bereits Mansel, Personalstatut, S. 50 Rn. 41. Eine Ausnahme bildet jüngst das AG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 30.6.2017 – 3a C 278/16. Dazu Jayme, IPRax 2017, 644. 187 BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265, 267 f. 188 BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265, 267 f.; Urt. v. 5.10.1976 – VI ZR 253/75, IPRspr. 1976 Nr. 17; Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541; NJW 1989, 3095; Urt. v. 7.7.1992 – VI ZR 1/92, NJW 1992, 3091; Urt. v. 28.10.1992 – IV ZR 328/91, BeckRS 1992, 31062690; Urt. v. 28.10.1992 – IV ZR 325/91, NJW 1993, 1009; Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732; Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482. Ausführlich mit ebenfalls umfangreicher Aufzählung der einschlägigen Rechtsprechung Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 420 ff.
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So handelt es sich bei Straßenverkehrsunfällen um den anerkannten Kernbereich und die wohl praxisrelevanteste Fallgruppe des Berücksichtigungsprinzips. Im autonomen Kollisionsrecht hat besonders die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hin zu einer Anknüpfung von Deliktsfällen an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten189 zu einem deutlichen Anstieg der Berücksichtigungsfälle geführt.190 Häufig handelt es sich bei den praxisrelevanten Unfallgeschehen um Insassenunfälle. Die Lebenssachverhalte dieser Fallgruppe verlaufen ebenso wie die Entscheidungsfindung nach einem wiederkehrenden Muster: Meist liegt ein Unfallgeschehen im Ausland zugrunde, bei dem der Fahrzeugführer örtliche Verhaltensnormen missachtet und so die Schädigung seines Beifahrers herbeiführt. Das Gericht hat sich sodann nach der Feststellung des anwendbaren Rechts damit zu beschäftigen, ob die Parteien stillschweigend einen Haftungsverzicht für einfach fahrlässiges Handeln vereinbart haben und ob bei anwendbarem deutschen Recht eine BGB-Innengesellschaft besteht, die den Haftungsmaßstab für den Innenausgleich ebenfalls beeinflussen könnte. Anschließend stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Fahrer mindestens grob fahrlässig gehandelt hat oder nicht. Dies wird meist anhand der örtlichen Sicherheits- und Verhaltensregeln des Unfallorts festgestellt. Ausnahmsweise werden in solchen Insassenkonstellationen zum Teil aber auch die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Rechts des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Beteiligten (der in diesen Fällen regelmäßig auch die lex causae bestimmt) herangezogen.191 Besondere Relevanz entfaltet im Bereich der Straßenverkehrsunfälle daher auch die Diskussion um die Kategorisierung der local data als örtlich und überörtlich.192 Entscheidend wirkt sich dieser Streitstand etwa aus, wenn im Rahmen der Schuldfrage erheblich ist, ob die festgestellte Höhe der Blutalkoholkonzentration (BAK) eines Kraftfahrzeugführers für die Begründung einer groben Fahrlässigkeit allein bereits ausreicht oder ob weitere Indizien hinzutreten müssen. Aus der Rechtsprechungsfülle haben drei höchstrichterliche Urteile besonderen exemplarischen Wert und werden daher nachfolgend dargestellt. aa) BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 58/77 Dem Urteil des BGH193 lag ein Insassenunfall in Österreich zugrunde. Zwei Angestellte eines deutschen Zirkusunternehmens fuhren mit einem LKW durch 189 BGH, Urt. v. 7.7.1992 – VI ZR 1/92, NJW 1992, 3091 ff. Dazu ausführlich Dörner, JR 1994, 6, 7 ff. 190 Nachw. siehe oben Kap. 3 Fn. 188 (S. 88). 191 Näher hierzu siehe oben Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.) und unten Kap. 4 II. 3. (S. 126 ff.), Kap. 6 II. 4. a) (S. 174 ff.). 192 Zum Streitstand siehe oben Kap. 3 I 3. c) (S. 85 ff.). 193 BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541.
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verschiedene Ortschaften in Österreich und plakatierten Werbung für die anstehenden Zirkusveranstaltungen. Während einer dieser Fahrten verlor der Fahrzeugführer und Beklagte die Kontrolle über das Fahrzeug und kippte in einen Straßengraben. Der Beifahrer wurde bei dem Unfall getötet. Der Fahrzeugführer hatte zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,2‰. Zum Zeitpunkt des Unfalls galt nach gefestigter Rechtsprechung für die Fahrtüchtigkeit eines Fahrzeugführers in Deutschland eine Blutalkoholkonzentrationsgrenze von 1,3 ‰, während in Österreich bereits eine Grenze von 0,8 ‰ einzuhalten war. In Folge des Unfalls macht die Unfallversicherung des getöteten Arbeiters bereits geleistete Sterbegeldkosten und Rentenzahlungen gegen den Fahrzeugführer geltend. Als Statut für die geltend gemachten Ansprüche bestimmt der BGH zunächst das deutsche Recht. Hierunter fasst er ausdrücklich auch den abstrakten Verhaltensmaßstab, also die Voraussetzungen des grob fahrlässigen Verhaltens. Allerdings sei „bei der Beurteilung der straßenverkehrsrechtlichen Fragen“194 das österreichische Recht anzuwenden. Hierunter fasst er indes gerade nicht die maßgeblichen BAK-Grenzen. Diese entnimmt er im Ergebnis dem deutschen Recht und damit dem Deliktsstatut. Dies begründet der BGH mit dem subjektiven Element des (deutschen) Fahrlässigkeitsbegriffes. Die Entscheidung des BGH entspricht im Ergebnis also der Unterscheidung von örtlich gebundenen und örtlich ungebundenen Verhaltensregeln195 und lässt in diesem Fall die grenzüberschreitende Mitnahme überörtlicher data des deutschen Rechts zu. Dies gelingt ohne größere Schwierigkeiten, weil dem Sachverhalt eine Insassenkonstellation zugrundeliegt und das Gericht daher davon ausgehen konnte, dass die Beteiligten gemeinsame Rechtserwartungen hatten. Insgesamt fällt dabei auf, dass sich das Gericht kaum zu internationalprivatrechtlichen Fragen positioniert. Ganz selbstverständlich scheinen die örtlichen Blutalkoholkonzentrationsgrenzen nicht zu den „straßenverkehrsrechtlichen Fragen“ des Unfallorts, sondern zum Deliktsstatut zu gehören. Gleichwohl sieht sich das Gericht offenbar dazu gezwungen, die Abweichung der lokalen österreichischen Blutalkoholkonzentrationsgrenzen zumindest in die materiellrechtliche Abwägung miteinzubeziehen. Einen Bezugspunkt zu den theoretischen Unterbauten des Berücksichtigungsprinzips enthält das Urteil damit zumindest ansatzweise.
194 So die Vorinstanz, vgl. BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541 unter I. 1. 195 Siehe oben Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.).
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bb) BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94 Der Senat setzt sich knapp 20 Jahre später erneut mit seiner Entscheidung auseinander,196 um eine Abgrenzung zu Sachverhalten ohne Insassenkonstellation vorzunehmen und gleichzeitig zu betonen, dass er sich selbst nicht widerspreche.197 Dem späteren Urteil lag ebenfalls ein Verkehrsunfallgeschehen in Österreich zugrunde. Zwei einander unbekannte deutsche Staatsangehörige kollidierten mit ihren Fahrzeugen. Der Sachverhalt unterlag aufgrund der gemeinsamen Staatsangehörigkeit von Schädiger und Geschädigtem ebenfalls dem deutschen Recht. Zu beurteilen waren vor allem die jeweiligen Verschuldensund Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten. Dazu stellt der BGH zunächst fest, dass nach deutschem Recht hinsichtlich des Mitverschuldensanteils des Geschädigten der Maßstab der groben Fahrlässigkeit anzulegen sein und zieht hierzu die in der deutschen Rechtsprechung entwickelte abstrakte Begriffsbestimmung des „Verletzens der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in besonders schweren Maße“198 heran. Insoweit liegt der BGH auf einer Linie mit dem früheren Urteil (siehe oben). Zur Feststellung der groben Fahrlässigkeit seien abweichend vom deutschen Deliktsstatut die österreichischen Verkehrsregeln maßgeblich. Auch die Frage, ob der Verstoß gegen die lokale Regel als grobes Verkehrsverhalten einzustufen ist, unterstellt der BGH dem österreichischen Recht.199 Abweichend von dem früheren Urteil lässt der BGH hier keine überörtliche Mitnahme der Sicherheits- und Verhaltensregeln des gemeinsamen Umweltrechts der Beteiligten zu. Dies rechtfertige sich aus dem Umstand, dass „[…] die Beteiligten erst im Zeitpunkt des Unfalls nur zufällig am Tatort zusammengeführt werden.“200 Zudem war in dem früheren Urteil die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit das Einfallstor für die BAK-Grenzen des deutschen Rechts. In dem jüngeren Urteil ging es dagegen um eine Haftung aus § 17 StVG, dem eine Gefährdungshaftung zugrunde liegt. Der BGH betont, dass insoweit der objektiven Seite der groben Fahrlässigkeit größeres Gewicht zukommen müsse als in der früheren Entscheidung.201
196 BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 734 f. Dazu auch Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 424 ff. 197 Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 424 ff. 198 BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733 m.w.N. zur st. Rspr. 199 BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733. Zu den daraus resultierenden Unschärfen in der Urteilsbegründung vgl. Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 425. 200 BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733. Vgl. zu den Wertungsschwierigkeiten in solchen Konstellationen bereits Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 619 ff. sowie Stoll, in: FS Reischauer, 389, 405 ff. 201 BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733.
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cc) BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08 Anschaulich und für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung von zentraler Bedeutung ist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2009, die ebenfalls noch zum autonomen deutschen IPR ergangen ist.202 Hier hatten zwei angehende Medizinerinnen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland im Rahmen ihrer Ausbildung das praktische Jahr gemeinsam in Südafrika verbracht. Gemeinsam hatten sie auch einen Mietwagen für die Dauer ihres Aufenthalts auf den Namen der späteren Schädigerin gemietet. Aufgrund der ungewohnten Anforderungen des Linksverkehrs verursachte die fahrzeugführende Beklagte einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, bei dem die Klägerin als Beifahrerin schwer verletzt wurde. Etwa bestehende Schäden der Insassen des entgegenkommenden Fahrzeugs waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Der BGH hatte nun zunächst darüber zu entscheiden, ob zwischen den Parteien ein Haftungsausschluss für einfach fahrlässig verursachte vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche bestand. Dies bejaht das Gericht. Streitig war sodann die Frage, welcher Verschuldensgrad dem schadensursächlichen Verhalten der Beklagten zugrunde lag, konkret: ob die Beklagte grob fahrlässig gehandelt hatte oder nicht. Dazu stellt der BGH zunächst fest, dass deutsches Recht auf den Sachverhalt anzuwenden sei.203 Sodann unterscheidet das Gericht: grundsätzlich sei eine Sonderanknüpfung für local data vorzunehmen.204 Diese richteten sich grundsätzlich nach dem Recht des Tatorts, verstanden als deliktischer Handlungsort. Der BGH folgt hier einem besonders weiten Verständnis, indem er (abweichend von seiner früheren Entscheidung siehe oben) nicht nur die geltenden Verkehrsnormen, sondern auch den lokalen abstrakten Sorgfaltsmaßstab grundsätzlich im Wege der Sonderanknüpfung anwendet. Als hier einschlägige Ausnahme und damit als Durchbrechung des Tatortprinzips betrachtet der BGH allerdings den Fall der besonderen Rechtsbeziehungen zwischen Insassen desselben Fahrzeugs. In diesen Fällen rechtfertige sich „die Anwendung des Rechts des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in Durchbrechung des Tatortprinzips aus der Erwägung, dass die Bet. ihre Rechtsbeziehungen zueinander – und damit auch die Sorgfaltspflichten des einen gegenüber dem anderen – in dem Fahrzeug gewissermaßen mitgenommen haben.“
Damit ergibt sich für den BGH eine Zweiteilung: Während das südafrikanische Linksfahrgebot als örtlich gebundene Verkehrsregel aufgrund einer Sonderanknüpfung anzuwenden ist, unterstellt das Gericht den Sorgfaltsmaßstab 202
BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 m. Anm. Seibl, IPRax 2010,
347. 203
BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485 Rn. 9 f, 32. BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485 Rn. 32. Zustimmend Seibl, IPRax 2010, 347, 352. 204
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als überörtlichen Teil der Verkehrsregel dem deutschen Recht.205 Auch hier übernimmt der BGH also die Unterscheidung von örtlich gebundenen data und überörtlichen data. Dogmatisch versucht die Entscheidung, eine Art RegelAusnahme-Prinzip zu etablieren. Bemerkenswert ist, dass der BGH dies tut, obwohl offenbar auch ein Dritter als Unfallgegner und Geschädigter beteiligt war. Dieser Dritte war freilich nicht Verfahrensbeteiligter. Gleichwohl müsste der BGH konsequenterweise einen abweichenden Haftungsmaßstab hinsichtlich des Verhaltens der Beklagten gegenüber dem Dritten anwenden, da dieser vor dem Unfall in keiner Rechtsbeziehung zu den Insassen des gegnerischen Fahrzeugs stand. Das identische Verhalten der Fahrzeugführerin kann demnach gegenüber ihrer Beifahrerin als einfach fahrlässig, gegenüber dem Dritten als grob fahrlässig zu bewerten sein. Ein weiterer Teilaspekt der Urteilsbegründung verdient mit Blick auf den Fortgang dieser Untersuchung nähere Betrachtung. Der BGH stellt fest, dass den äußeren Umstände der dem Unfall unmittelbar vorhergehenden Situation entscheidende Bedeutung für die Unfallentstehung zukommt. Konkret führt das Gericht aus: „Der Umstand, dass die National Road N 7 im Unfallzeitpunkt nicht befahren war, begünstigte dabei sogar den Rückfall in automatisierte Verhaltensweisen. Denn vorhandener Verkehr hätte der Bekl. die Notwendigkeit der Nutzung der linken Fahrbahn unmittelbar vor Augen geführt.“206
Bemerkenswert hieran ist, dass der BGH einen Zusammenhang zwischen den tatsächlichen Umständen der Unfallsituation und dem konkreten, unfallkausalen Verhalten der Schädigerin herstellt. Die Ausführungen lassen insoweit darauf schließen, dass auch der BGH den Einfluss der faktischen Situation auf das individuelle Verhalten anerkennt. Rechtserwartungen und Vertrauen auf ein bestimmtes verkehrsgerechtes Verhalten werden auch durch die faktischen Gegebenheiten am Handlungsort beeinflusst.207 Insgesamt hat sich der BGH in dieser Entscheidung ungewöhnlich ausführlich und in der Sache bemerkenswert ausdifferenzierend mit den Erscheinungsformen von local data im internationalen Deliktsrecht auseinandergesetzt. Bedauerlich erscheint dabei, dass von einer Berücksichtigung gar nicht erst die Rede ist. Vielmehr löst der BGH sämtliche Rechtsprobleme über die Methode der Sonderanknüpfung. Ganz konsequent erscheint dies freilich nicht: Zwar soll nach der BGH-Lösung das lokale Verkehrsrecht Anwendung finden. Gleichwohl stellt das Gericht auf das örtliche Verkehrsaufkommen und die damit einhergehenden Rechtserwartungen der Beteiligten ab. Hieraus leitet der 205
BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485 Rn. 32. BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485 Rn. 37. 207 Dazu oben, Kap. 3 I. 3. a) (S. 77 ff.). Zur Neukonzeptionierung des Berücksichtigungsprinzips im internationalen Deliktsrecht anhand dieses Grundgedankens siehe unten Kap. 4 (S. 109 ff.). 206
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BGH zwar lediglich ab, dass der Fahrzeugführerin jedenfalls subjektiv keine besonders grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Damit unterwandert er indes den normativen Kern der südafrikanischen Vorschrift. Denn wenn tatsächlich die lokalen Vorschriften kraft Sonderanknüpfung anwendbar sein sollen, müsste allein das normwidrige Fahren auf der falschen Straßenseite bereits als grob fahrlässig eingestuft werden, ohne dass es darüber hinaus auch auf lokale Verkehrserwartungen ankommen kann. b) Private Normen (am Beispiel der FIS-Verhaltensregeln) Vielfach ist analysiert worden, dass die konkret zu berücksichtigenden Vorschriften keinen allzu engen legislativen Anforderungen genügen müssen. Dies betrifft auch Verhaltensvorschriften, die nicht den Anforderungen an positives Parlamentsrecht genügen. So ist bereits früh anerkannt worden, dass auch privat gesetzte Normen, etwa die FIS-Verhaltensregeln für den Ski-Fahrer, im Schadensfalle zu berücksichtigen sein können.208 Dabei ist gerade mit Blick auf die FIS-Regeln zu beachten, dass hochumstritten ist, welche rechtliche Qualität diesen Vorschriften beizumessen ist.209 In der deutschen (obergerichtlichen) Rechtsprechung finden sich vor allem Entscheidungen, die sich auf eine gewohnheitsrechtliche Qualität dieser Regeln stützen.210 Dem treten Stimmen der Literatur entgegen.211 aa) OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00 Das OLG Hamm hatte in diesem Zusammenhang über den Skiunfall zweier Deutscher auf italienischem Staatsgebiet zu entscheiden.212 Zweifelhaft und streitig waren insbesondere die Mitverschuldensanteile der Unfallgegner. Insoweit wurden von beiden Seiten Verstöße der jeweils anderen Seite gegen einzelne FIS-Verhaltensregeln geltend gemacht. Das OLG stellt zunächst in Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Unfallgegner nach dem zeitlich anwendbaren alten Recht213 die Anwendbarkeit des materiellen 208
Siehe oben Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.). Sälzer, Skiunfälle, S. 134 ff.; Heermann/Götze, NJW 2003, 3253, 3254; Kreutz, causa sport 2014, 23 ff.; Tienes, NJOZ 2011, 1553 ff. 210 OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00, NJW-RR 2001, 1537, 1538. Dem folgend u.a. OLG Brandenburg, Urt. v. 16.4.2008 – 7 U 200/07, BeckRS 2008, 07466; OLG Koblenz, Beschl. v. 2.3.2011 – 1273/10, BeckRS 2011, 06548; OLG München, Grund- und Teil-Endurteil v. 30.11.2016 – 3 U 2750/16, IPRax 2018, 414. Vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.4.1996 – 22 U 259/95, VersR 1997, 193, 194. 211 MüKo-BGB/Wagner, G., § 823 BGB Rn. 700 (Fn. 3067); Sälzer, Skiunfälle, S. 138 ff.; Diehl, IPRax 2018, 371, 373 f.; Kreutz, causa sport 2014, 23. 212 OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00, NJW-RR 2001, 1537. 213 § 1 der Verordnung über die Rechtsanwendung bei Schädigung deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets vom 7.12.1942, RGBl. 1942 I 706. 209
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deutschen Rechts fest.214 Daran anschließend kommt das Gericht ohne eingehende Prüfung zu dem Schluss, dass sich die Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen an Skiläufer nach „einhelliger Ansicht jedenfalls in allen Alpenländern übereinstimmend nach den Regeln des internationalen Skiverbandes (FISRegeln) als dort geltendem Gewohnheitsrecht“ richteten.215 bb) OLG Brandenburg, Urt. v. 10.1.2006 – 6 U 64/05 Dem folgt das OLG Brandenburg.216 Dieses hatte über einen Ski-Unfall zweier Deutscher auf österreichischem Staatsgebiet zu entscheiden. Im Rahmen der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines der beiden Beteiligten stellt es wie bereits zuvor das OLG Hamm auf die FIS-Verhaltensregeln als „in den Alpenländern und insbesondere in Österreich geltendes Gewohnheitsrecht“ ab.217 Abgesehen von den Sachverhaltsdetails und den im Einzelnen umstrittenen Unfallhergängen ist die internationalprivatrechtliche Herangehensweise der Rechtsprechung zu den FIS-Regeln aus zweierlei Gesichtspunkten interessant: Erstens behandeln die beiden exemplarisch vorgestellten Urteilsbegründungen die Maßgeblichkeit der FIS-Regeln als örtlich geltende Verhaltensregeln218 ähnlich wie die bis dahin ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung die Verkehrsregeln bei internationalen Verkehrsunfällen219. Dies erscheint aufgrund der Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen und der Lebensrealität nur folgerichtig. Zweitens, und hierin kann eine bis heute anhaltende Entwicklung der Datumtheorie gesehen werden, ziehen beide Gerichte die Verhaltensregeln für Skiläufer des internationalen Skiverbandes FIS zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit bzw. des Verschuldens des Schädigerverhaltens heran.220 Dies ist bemerkenswert, da diese Regeln von einem privaten Verband geschaffene Normen sind. Es handelt sich mithin zunächst nicht um staatliches Recht.221 214
OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00, NJW-RR 2001, 1537. OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00, NJW-RR 2001, 1537. 216 OLG Brandenburg, Urt. v. 10.1.2006 – 6 U 64/05, NJW-RR 2006, 1458. 217 OLG Brandenburg, Urt. v. 10.1.2006 – 6 U 64/05, NJW-RR 2006, 1458, 1459. Die von den Gerichten schlicht unterstellte normentheoretische Einordnung der FIS-Verbandsregeln als Gewohnheitsrecht erscheint indes äußerst zweifelhaft und ist im Einzelnen umstritten. Siehe hierzu ausführlich Sälzer, Skiunfälle, S. 139 ff.; Diehl, IPRax 2018, 371, 373 f.; Kreutz, causa sport 2014, 23. 218 OLG Brandenburg, Urt. v. 10.1.2006 – 6 U 64/05, NJW-RR 2006, 1458, 1459. Vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00, NJW-RR 2001, 1537. So auch Sälzer, Skiunfälle, S. 294. 219 Dazu oben Kap. 3 II. 1. a) (S. 88 ff.). 220 OLG Hamm, Urt. v. 17.5.2001 – 27 U 209/00, NJW-RR 2001, 1537; OLG Brandenburg, Urt. v. 10.1.2006 – 6 U 64/05, NJW-RR 2006, 1458, 1459. 221 Sälzer, Skiunfälle, S. 134; Tienes, NJOZ 2011, 1553. 215
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Fraglich ist, wie sich dies auf die Dogmatik und Auslegung der Datumtheorie auswirkt. Zunächst läge es freilich nahe, von dieser Rechtsprechung auf die generelle Berücksichtigungsfähigkeit nicht staatlichen Rechts zu schließen. Dies würdigt die hier betrachtete Rechtsprechung indes nicht ausreichend. Beide Gerichte stellen im Wege der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung222 auf die FIS-Regeln als am Handlungsort geltendes Recht ab. Dabei ist zu beachten, dass die Gerichte ausdrücklich von einer gewohnheitsrechtlichen Qualität der FIS-Regeln am Ort der schädigenden Handlung ausgehen.223 Gewohnheitsrecht kommt die gleiche Rechtsqualität zu wie positivem staatlichen Recht.224 Im Ergebnis kann durch diese Rechtsprechung daher lediglich die These abgestützt werden, dass auch ungeschriebenes geltendes Recht, mithin Gewohnheitsrecht, als Berücksichtigungsgegenstand herangezogen und berücksichtigt werden kann. Zu weit geht nach hier vertretener Ansicht allein auf Grundlage der hier betrachteten Rechtsprechung hingegen der Schluss, dass auch rein privates Recht zu berücksichtigen ist.225 Denn die Gerichte berücksichtigen ausdrücklich nur dem positiven Recht gleichrangige Normen, während rein privates Recht in seiner Verbindlichkeit gerade nicht dem positiven Recht gleichgestellt ist. Als weiterer Unterschied kann festgehalten werden, dass es sich bei den FISVerhaltensregeln im Gegensatz etwa zu den Straßenverkehrsvorschriften jedenfalls nicht um öffentliches Recht handelt. Die sachliche Zugehörigkeit der Sicherheits- und Verhaltensstandards zum öffentlichen Recht ist demnach für die Berücksichtigungsfähigkeit nicht erforderlich. c) Bauliche Sicherheitsstandards: BGH, Urt. v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86 Im Bereich der baulichen Sicherheitsstandards kann BGHZ 103, 298 als Grundsatzurteil für die Rezeption der Datumtheorie in der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung betrachtet werden. Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Cran Canaria gebucht und war vor Ort aufgrund einer nicht ausreichend gesicherten Holzbrüstung von dem Hotelbalkon gestürzt. Die Folge waren Körperschäden, aus der Behandlungskosten in Spanien und Deutschland sowie die Berufsunfähigkeit des Klägers resultierten. Der BGH urteilte zutreffend im Anschluss an die Begründung des Berufungsgerichts, der Reiseveranstalter habe nach dem anwendbaren deutschen 222 Insoweit stehen beide Gerichte ebenfalls im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung zu grenzüberschreitenden Straßenverkehrsunfällen, vgl. oben Kap. 3 II. 1. a) (S. 88 ff.). 223 Diese Wertung begegnet indes erheblichen Bedenken. Vgl. dazu ausführlich Sälzer, Skiunfälle, S. 138 ff. sowie Kreutz, causa sport 2014, 23, 26 f. 224 BGH, Beschl. v.4.9.2013 – XII ZB 526/12, NJW 2014, 387 Rn. 17; BVerfG, Beschl. v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83, NJW 1989, 666, 667; Sälzer, Skiunfälle, S. 140. 225 Diehl, IPRax 2018, 371, 375 f.
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Recht vertraglich gemäß § 278 BGB für die nachlässige Sicherheitsüberprüfungspraxis der Leitung des Vertragshotels einzustehen, was hier nicht weiter vertieft werden soll. Bemerkenswert erscheint vielmehr, dass der BGH im Rahmen der nach deutschem Recht erfolgenden Prüfung der deliktischen Verantwortlichkeit der Beklagten auf inländische Verhaltensstandards abstellt ohne zuvor kollisionsrechtlich das anwendbare Recht zu bestimmen oder gar die Datumtheorie ausdrücklich zu erwähnen. So schließt der BGH nicht aus, dass der bauliche Zustand der Ferienanlage den örtlich üblichen baulichen Sicherheitsstandards des spanischen Rechts bzw. der spanischen Baupraxis entsprach. Er stellt sogar fest, dass die Bauweise gerade in südlichen Urlaubsregionen „oft weniger solide“ sei.226 Diesen Maßstab der üblicherweise leichten, weniger soliden Bauweise (local data des spanischen Rechts) zieht der BGH aber gerade nicht zur Feststellung der Verantwortlichkeit der Beklagten heran. Im Gegenteil leitet er hieraus strengere Sicherheits- und Verhaltensanforderungen in Form von Überwachungspflichten für den Reiseveranstalter her.227 Mit den vorausgegangenen Ausführungen kann der BGH hier in unterschiedlicher Weise interpretiert werden. Einerseits kann die Bildung eines strengeren Verhaltensmaßstabes nach deutschem Recht darauf beruhen, dass die Vertragspartner hier die gemeinsame Rechtserwartung der Einhaltung oder wenigstens der Orientierung anhand deutscher Sicherheitsstandards teilen und der BGH dies für berücksichtigenswert hält.228 Dagegen spricht allerdings, dass die deutschen Sicherheits- und Verhaltensstandards für die Errichtung von Gebäuden bereits von dem Deliktsstatut erfasst sind. Vorzugswürdig erscheint daher die Erklärung, dass der BGH zwar die lokalen Baustandards erkennt, ihnen aber die Berücksichtigungsfähigkeit abspricht. Es bleibt demnach bei den Baustandards des deutschen Deliktsstatuts. Übertragen auf das Berücksichtigungsprinzip ließe sich dieser Entscheidung also eine Negativfunktion entnehmen: Die Rechtserwartung der Parteien kann dazu führen, dass bestimmte Normen gerade nicht berücksichtigt werden dürfen.229 Eine methodische Einordung dieses Vorgehens bleibt der BGH freilich auch hier schuldig. Mit den dargestellten Schrifttumsansätzen ließe sich der Begründungsansatz des BGH allenfalls als Mitnahme überörtlicher data des deutschen Rechts in den spanischen Verkehrskreis interpretieren.
226
BGH, Urt. v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86 = BGHZ 103, 298, 306. BGH, Urt. v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86 = BGHZ 103, 298, 305 f. 228 Das Urteil etwas überdehnend kommt Stoll, IPRax 1989, 89, 93 zu dem Schluss, der Reiseveranstalter habe nach der Rechtserwartung des Kunden die Sicherheit der Ferienunterkunft „nach deutschen Maßstäben“ auch im Ausland zu gewährleisten. 229 Vgl. insoweit auch unten Kap. 6 II. 4. a) (S. 174 ff.). 227
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2. (Unechte) Berücksichtigung von Rechtswirkungen Neben der Berücksichtigung von Rechtserwartungen lässt sich auch in der Rechtsprechung die Berücksichtigung von Rechtswirkungen nachweisen. Dabei sind die grundlegenden dogmatischen Unterschiede zur Berücksichtigung von Rechtserwartungen (dazu oben, Kap. 3 I. 3. a) bb), S. 82 f.) zu bedenken. Für das hier zu entwickelnde Berücksichtigungskonzept im internationalen Deliktsrecht dienen diese Fallgruppen daher vornehmlich der sachlichen Abgrenzung. a) Gesetzliche Verbote/Unmöglichkeit Ein besonders praxisrelevanter Anwendungsbereich der unechten Berücksichtigung sind gesetzliche Verbote, die insbesondere in Form von Prohibition230, also dem Verbot der Einfuhr oder des Verkaufs von Alkohol, sowie im Bereich des Kulturgüterschutzes231 auftreten.232 Die Berücksichtigung solcher nicht anwendbaren Verbotsvorschriften unterscheidet sich wie bereits gezeigt ganz wesentlich von der Berücksichtigung ausländischer Sicherheits- und Verhaltensregeln. Hier wird lediglich die faktische Auswirkung einer Norm berücksichtigt, nicht aber das normative Element selbst. aa) RG, Urt. v. 28.6.1918 Rep. II. 69/18 = RGZ 93, 182 Lange vor den ersten Entwicklungsschritten zu einer Datumtheorie setzte sich bereits das Reichsgericht233 mit gesetzlichen Verboten einer nicht anwendbaren Rechtsordnung auseinander, die die Unmöglichkeit der Leistung des Beklagten herbeiführten. Das Reichsgericht hatte einen Fall zu entscheiden, in dem sich eine englische Gesellschaft gegenüber dem deutschen Kläger dauerhaft zur Lieferung von Wein verpflichtet hatte. Die englische Beklagte stellte die Weinlieferungen nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges ein. Inzwischen hatte Großbritannien ein „Verbot des Handels mit dem Feinde“234 erlassen, weshalb sich die Beklagte auf rechtliche Unmöglichkeit der Vertragserfüllung berief. Das Reichsgericht verneint zwar die Anwendbarkeit des englischen Rechts. Insbesondere stellt es eindeutig heraus, dass eine unmittelbare Anwendung der englischen Verbotsnorm ausgeschlossen sei. Es stellt vielmehr 230
Grundlegend BGH, Urt. v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. BGH, Urt. v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 = BGHZ 59, 82. Vgl. dazu Kienle/Weller, IPRax 2004, 290, 293 f. Ausführlich auch Siehr, in: FS Lorenz I, 525, 537 f. sowie unten Kap. 3 Fn. 238 (S. 100). 232 Weitere Beispiele auch aus dem Erbrecht und aus dem öffentlichen Recht finden sich bei Dannemann, in: FS Stoll, 417, 421 f. 233 RG, Urt. v. 28.6.1918 – Rep. II. 69/18 = RGZ 93, 182. Dazu Mankowski, IPRax 2016, 485, 490 f.; Pfeiffer, Th., ZVglRWiss 116 (2017), 439, 448. 234 Sog. Trading with the Enemy Act 1914, 4 & 5 Geo. 5 c. 87. 231
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„auf die Wirkung des englischen Verbots auf die unter englischem Rechte stehende Beklagte“ ab und schließt hieraus auf die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung: Das Gericht „konnte und durfte also die Augen vor dem Bestehen der englischen Act nicht verschließen.“ Ausdrücklich stellt das RG abschließend fest, dass es sich in diesem Fall um eine „tatsächliche Unmöglichkeit“ handele. Die Urteilsbegründung des Reichsgerichts erscheint im Kontext der bis heute andauernden Diskussionen um die Berücksichtigung faktischer Normwirkungen unter zwei Gesichtspunkten bereits bemerkenswert ausdifferenziert und sachgerecht:235 Erstens stellt das Gericht klar heraus, dass es das englische Verbotsgesetz nicht anwendet. Zweitens führt es diesen Gedanken konsequent fort und stellt nicht etwa auf ein rechtliches, sondern ausdrücklich auf ein faktisches Erfüllungshindernis ab. Heute lassen sich diese beiden grundlegenden Feststellungen des Reichsgerichts in methodischer Hinsicht mit der Zwei-Stufen-Lehre236 beschreiben. bb) BGH, Urt. v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82 Bekannter ist eine BGH-Entscheidung, die das Verbot des Handels mit Alkohol in Iran betraf.237 Eine iranische Importfirma hatte im Jahr 1977 bei einer deutschen Brauerei eine größere Menge Bierdosen bestellt. Ein Teil der Lieferung war, wie bei der Überprüfung der Lieferung festgestellt wurde, mangelhaft und unbrauchbar. Daraufhin schlossen die Parteien im Jahr 1978 einen Vergleich, der unter anderem weitere, von der Klägerin künftig noch zu bestellende Lieferungen von Bierdosen zu einem deutlich vergünstigten Preis bis in das Jahr 1980 vorsah. Nachdem im Jahr 1979 die islamische Revolution im Iran stattgefunden hatte, untersagte die neue Regierung unter Androhung der Todesstrafe den Import und Handel mit alkoholischen Getränken. Die iranische Importfirma verlangte daraufhin Schadensersatz für die mangelhaft gelieferten Bierdosen. Der BGH geht von der Anwendbarkeit des deutschen Rechts aus. Eine Unmöglichkeit der Leistungserbringung lag in diesem Fall nicht vor, weil der Inhalt des Vergleichs lediglich einen vergünstigten Preis für zukünftig durch die Klägerin auszulösende Bestellungen enthielt. Der BGH geht hinsichtlich des Vergleichs aber von einer Störung der Geschäftsgrundlage aus. Dies begründet er auf Grundlage des iranischen Verbotsgesetzes, obwohl dieses nicht anwendbar ist: „Denn die Inanspruchnahme eines Vorzugspreises war für die Kl. wirtschaftlich sinnvoll nur, wenn sie die bei der Bekl. bestellte Ware auch verwerten konnte.“ Das Gericht stellt also als Auswirkung des reinen Bestandes des iranischen Gesetzes eine faktische Unverwertbarkeit hinsichtlich der vergünstigt erwerbbaren Bierdosen fest. Diese Unverwertbarkeit begründet sodann den 235
Ebenso Pfeiffer, Th., ZVglRWiss 116 (2017), 439, 448 Dazu oben Kap. 3 I. 2. b) (S. 69 ff.). 237 BGH, Urt. v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. 236
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Wegfall der Geschäftsgrundlage des geschlossenen Vergleichs. Tatsächlich entschied auch der BGH damit ganz im Sinne der Zwei-Stufen-Lehre im Rahmen der Heranziehung von Generalklauseln des deutschen Sachrechts, es liege ein Wegfall der Geschäftsgrundlage für den Vergleich vor, wenn der Bierliefervertrag der Parteien erst nach Vertragsschluss einer Prohibition im Auslieferungsland unterfällt.238 cc) LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17/OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17 Beträchtliche Aufmerksamkeit239 haben in diesem Kontext jüngst die Urteile des LG Frankfurt a.M.240 sowie der Nachfolgeinstanz OLG Frankfurt a.M.241 erfahren. Einem israelischen Staatsangehörigen wurde die vertragsgemäße Beförderung von Frankfurt/M. nach Bangkok mit Zwischenstopp in Kuwait-Stadt durch die Fluggesellschaft Kuwait Air verweigert. Der Kläger hatte das Flugticket über das Internet gebucht und zunächst eine Bestätigung erhalten. Kuwait Air „stornierte“ den Vertrag allerdings, nachdem ihr die israelische Staatsangehörigkeit des Klägers bekannt geworden war. Die Airline begründete die Verweigerung der Vertragserfüllung mit dem kuwaitischen Gesetz Nr. 21 aus 1964 (Einheitsgesetz zum Israelboykott). Danach sei ihr der Abschluss von Verträgen mit israelischen Staatsangehörigen untersagt. Verstöße gegen dieses Gesetz seien mit Gefängnisstrafen, harter Gefängnisarbeit oder mit Geldstrafe bedroht.242 Die Klage des Fluggastes richtete sich in ihrem Hauptantrag auf Vertragserfüllung in Form einer Beförderung zum nächstmöglichen Zeitpunkt und insbesondere mit dem vorgesehenen Transitaufenthalt in Kuwait-Stadt.243
238 Lediglich entfernt verwandt mit diesen Erscheinungsformen der unechten Berücksichtigung sind Fälle aus dem Bereich des Kulturgüterschutzes. Der BGH (Urt. v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 = BGHZ 59, 82 = NJW 1972, 1575, dazu Siehr, in: FS Lorenz I, 525) stützte sich in dem besonders bekannt gewordenen Falle der Versicherung des nach nigerianischem Recht illegalen Transports kulturgüterrechtlich geschützter nigerianischer Bronzefiguren im deutschen Sachrecht auf § 138 BGB. Generalklauseln wie diese enthalten Anstands- und Sittlichkeitsvorstellungen der lex fori. Hier wird daher regelmäßig davon ausgegangen, es liege ein Fall der moral data i.S.d. Datumtheorie Ehrenzweigs vor. Das ist zwar zutreffend. Allerdings übersieht dieser Ansatz, dass gleichwohl Rechtsnormen des nicht anwendbaren Sachrechts in solchen Fällen herangezogen und als Tatsache berücksichtigt werden. Ehrenzweig stellte für seine moral data dagegen nicht auf Rechtssätze des ausländischen Rechts ab, sondern auf Sittlichkeitsvorstellungen der lex fori. 239 Dazu Mörsdorf, JZ 2018, 156, 159. 240 LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153 m. Anm. Mörsdorf, JZ 2018, 156, 159; Freitag, NJW 2018, 430. 241 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591 m. zust. Anm. Tonner, NJW 2018, 3595. 242 LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154. 243 LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154.
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Das Landgericht hält die Klage für unbegründet. Mangels Rechtswahl stellt es zunächst gemäß Art. 5 Abs. 2 Rom I-VO die Anwendbarkeit des deutschen Rechts aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers in Berlin fest.244 Materiellrechtliche Anspruchsgrundlage des Klägers ist demnach § 631 BGB in Verbindung mit dem Beförderungsvertrag. Dieser Vertrag ist zunächst wirksam geschlossen worden, was im Verfahren auch unbestritten blieb.245 Das Landgericht versäumt zunächst, auf die Möglichkeit einer Anwendung des kuwaitischen Gesetzes als Eingriffsnorm gemäß Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO einzugehen.246 Vielmehr geht es von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Vertragserfüllung gemäß § 275 Abs. 1 BGB aus. Es führt insoweit aus, dass die Fluggesellschaft dem kuwaitischen Gesetz Nr. 21 des Jahres 1964 „unterfällt“247, die Tatbestandsvoraussetzungen jenes Gesetzes erfüllt seien und sich die Beklagte durch die Erfüllung des Vertrages daher strafbar machen würde.248 Dem Urteil fehlt es im Detail an einer kohärenten dogmatischen Begründung der Unmöglichkeit der Vertragserfüllung, wenngleich sich dies nicht negativ auf das zutreffende rechtliche Ergebnis auswirkt.249 Das Landgericht geht in den Urteilsgründen ausdrücklich von einer Unzumutbarkeit der Vertragserfüllung aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit aus. Dem kann nicht gefolgt werden, weil nicht klar wird, weshalb dann nicht bereits der Vertragsschluss selbst nach § 134 BGB unwirksam war.250 Denn wenn Kuwait Air dem kuwaitischen Gesetz Nr. 21 aus 1964 „unterfällt“ und das Landgericht daher von drohender Strafbarkeit ausgeht, so geht es offenbar doch von einer Anwendbarkeit des kuwaitischen Gesetzes aus. Im Ergebnis stellt sich die Ausgangssituation dieser Entscheidung damit ganz parallel zu der eingangs erläuterten Entscheidung des Reichsgerichts dar, jedenfalls wenn hier nicht bereits eine Anwendung des kuwaitischen Gesetzes als Eingriffsnorm gemäß Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO einschlägig ist.251 Auch hier unterliegt die vertragsbrüchige Partei einem ausländischen Verbotsgesetz, das eine reale Sanktionsdrohung ausspricht und durch die zuständigen Stellen faktisch durchgesetzt zu werden droht, unabhängig von der Entscheidung des deutschen Gerichts. Richtigerweise liegt daher faktische Unmöglichkeit der Vertragserfüllung vor.
244
LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154. LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154. 246 Dazu krit. Mörsdorf, JZ 2018, 156, 158 f; Freitag, NJW 2018, 430, 433. 247 LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154. 248 LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.11.2017 – 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154. Auf die Diskriminierungsproblematik des Sachverhalts soll hier nicht weiter eingegangen werden. Dazu Mörsdorf, JZ 2018, 156, 158, 160. 249 Mörsdorf, JZ 2018, 156, 159. 250 Mörsdorf, JZ 2018, 156, 157. 251 Dazu ausführlich Mörsdorf, JZ 2018, 156, 158; Freitag, NJW 2018, 430, 433. 245
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Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. bestätigt das landgerichtliche Urteil im Ergebnis. Die Begründung weicht von dem instanzgerichtlichen Urteil indes ab. In Übereinstimmung mit den dargestellten kritischen Literaturstimmen erkennt das Oberlandesgericht keine rechtliche Unmöglichkeit der Vertragserfüllung,252 sondern sieht das Boykottgesetz als ein die Unmöglichkeit begründendes tatsächliches Hindernis an.253 Zuvor begründet das Gericht ausführlich, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Eingriffsnorm nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO grundsätzlich erfüllt seien.254 Es lehnt die Berücksichtigung der kuwaitischen Normen im Rahmen des gerichtlichen Ermessensspielraums allerdings ab, weil es die Verbotsnormen als „inhaltlich inakzeptabel“ ansieht255 und attestiert dem Gesetz insoweit einen „nicht internationalisierungsfähigen Inhalt“.256 b) Handeln unter falschem Recht Als weitere Fallgruppe der Rezeption der Datumtheorie durch die Rechtsprechung wird vereinzelt auch das sogenannte Handeln unter falschem Recht herangezogen.257 Typischerweise entstammen die hierunter zu fassenden Fallgestaltungen dem Erbrecht. Da das Kollisionsrecht die Möglichkeit einer Rechtswahl auf diesem Rechtsgebiet in der Regel eng begrenzt,258 kommt es mitunter vor, dass irrig oder bewusst nach Maßgabe eines Rechts letztwillig verfügt wird, das auf den Erbfall nicht anwendbar ist.259
252
OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591, 3592 Rn. 29 f. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591, 3593 Rn. 42, 44: „Danach können die faktische Existenz der kuwaitischen Verbotsnorm und ihre Auswirkungen ein der Vertragserfüllung tatsächlich entgegenstehendes Leistungshindernis bilden.“ 254 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591, 3592 Rn. 31 ff. 255 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591, 3593 Rn. 36 ff. 256 OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591, 3594 Rn. 37. 257 Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 44 f.; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 834. Ausführlich hierzu auch Heßler, Sachrechtliche Generalklausel, S. 154 ff. Differenzierend Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 165 Fn. 61 und a.A. Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 706 f., der in der Fallgruppe methodisch eine Substitution erblickt. 258 Siehe etwa Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F., der eine Rechtswahl nur für im Inland belegenes unbewegliches Vermögen zuließ, sowie Art. 22 Abs. 1 EuErbVO, der die Rechtswahl abweichend von Art. 21 EuErbVO nur zugunsten des Rechts des Staates zulässt, dem der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtswahl oder des Todes angehört. 259 Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 834. 253
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aa) BGH, Urt. v. 19.6.1967 – III ZR 225/65 Der BGH hatte bereits 1967260 nach Maßgabe des deutschen Rechts über den Inhalt eines nach („unter“) kanadischem Recht errichteten Testaments zu entscheiden. Der Erblasser hatte als Kenner des kanadischen Rechts materiellrechtliche Rechtsinstitute des angloamerikanischen Rechtsraumes in seinem Testament verwendet. Insbesondere kam es auf die Auslegung des Rechtsinstituts der satisfaction an. Die Berufung machte insoweit geltend, dass das Testament nach kanadischen Rechtsgrundsätzen auszulegen sei. Dem trat der BGH mit dem Argument entgegen, dass dies einer Rechtswahl durch den Erblasser gleichkäme, die allerdings in casu nicht zulässig war. Die dogmatische Lösung des BGH steht aus heutiger ex post-Sicht auf dem Fundament von Datumtheorie und Zwei-Stufen-Lehre, wenngleich beides zum Entscheidungszeitpunkt in der Rechtsliteratur noch in weiter Ferne lag. Im Rahmen der Auslegung der Willenserklärung des Erblassers stellt der BGH gemäß § 133 BGB auf den wirklichen Willen des Erblassers ab. Im Einzelnen führt er aus, dass „der Erblasser in Kanada die Rechte studiert und in den Begriffen und Vorstellungen des englischen Rechts gedacht und gehandelt“ habe. Diese Erkenntnis dient dem BGH als Einfallstor für die Berücksichtigung der kanadischen, kollisionsrechtlich nicht anwendbaren Rechtsnormen. Dem Reichsgericht261 in der Begründung nicht unähnlich betont der BGH auch hier, dass kanadisches Recht mangels Rechtswahlmöglichkeit gerade nicht anzuwenden sei. Es fragt sich allerdings, ob hier tatsächlich Rechtswirkungen, also auf einem fremden Recht beruhende Fakten berücksichtigt werden. Denn im Ergebnis kann hier kein objektiver Faktenbestand ermittelt werden, sondern lediglich die subjektive, womöglich rechtsirrige Vorstellung des Erblassers. Tendenziell ist mit Mansel in diesen Fällen also keine Spielart der Berücksichtigung bzw. der Datumtheorie, sondern eine Substitution zu erblicken.262 bb) OLG Schleswig, Urt. v. 9.7.2014 – Wx 15/14 Ähnlich geht in der jüngeren Rechtsprechung das OLG Schleswig vor.263 Dessen Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein in Deutschland lebender deutscher Staatsangehöriger nach englischem Recht testiert hatte und einen aus dem englischen Recht stammenden sogenannten Trust264 zur Bestimmung seiner Erbfolge verfügt hatte. Seine Erben hatte der Erblasser in dem Testament 260
BGH, Urt. v. 19.6.1967 – III ZR 225/65, IPRspr. 1966/67 Nr. 168b, 537. RG, Urt. v. 28.6.1918 – Rep. II. 69/18 = RGZ 93, 182. Darstellung der Entscheidung oben Kap. 3 II. 2. a) aa) (S. 98 ff.). 262 Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 706 f. 263 OLG Schleswig, Beschl. v. 9.7.2014 – 3 Wx 15/14, IPRax 2016, 163. 264 Dabei handelt es sich um ein aus dem Common Law stammendes Modell der Vermögensverwaltung, das im Kontext des deutschen Erbrechts sowohl als Nachlassverwaltung, als auch Erbeinsetzung verstanden werden kann: Dutta, IPRax 2016, 139, 140 f. 261
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
als Trustee bezeichnet. Nach Feststellung der Anwendbarkeit des deutschen Rechts gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. legt das OLG auch hier den wirklichen Erblasserwillen nach §§ 133, 2084 BGB unter Berücksichtigung der englischen materiellen Erbrechtsinstitute aus. Die Fallgruppe des Handelns unter falschem Recht gehört zu den dogmatisch greifbareren, da subjektive (Fehl-)Vorstellungen rechtlich gewürdigt werden müssen. Dieser Vorgang der Rechtsanwendung erlaubt ohnehin einen vergleichsweise großen Ermessensspielraum und ist zudem auch im reinen Inlandsfall stark einzelfallabhängig. Dies führt dazu, dass mit den bereits oben geäußerten Bedenken auch die Einwände Sonnenbergers gegen die Datumtheorie an dieser Stelle ihr größtes Gewicht entfalten können. Zuzugestehen ist, dass die Erforschung des wahren Willens eines Erklärenden im deutschen Recht die Einbeziehung aller willensbildenden Umstände erfordert.265 Hier ist daher durchaus fraglich, ob es sich bei der Berücksichtigung ausländischer Rechtsinstitute beim Handeln unter falschem Recht überhaupt um ein Problem des IPR handelt, oder ob es sich um ein reines Auslegungs- bzw. Substitutionsproblem des inländischen Sachrechts handelt.266 c) Familienrecht: AG München, Urt. v. 5.12.1980 – 82 F 6399/80 Als letzte Fallgruppe bzw. letztes Nebengebiet des Privatrechts zum Nachweis der Datumtheorie in der Rechtsprechung kann das Familienrecht herangezogen werden. Dem Familienrecht kommt mit Blick auf die Datumtheorie besondere Bedeutung zu, weil Heßler seine Interpretation der Zwei-Stufen-Lehre maßgeblich anhand dieses Rechtsgebiets entwickelte.267 Dies, da sich hier besonders viele ausfüllungsbedürftige Generalklauseln und wertungsabhängige unbestimmte Rechtsbegriffe finden. Dazu gehören etwa die Begriffe des Kindeswohls und der unzumutbaren Härte im Scheidungsrecht. Auf dem Heidelberger Symposium zu Ehrenzweigs Wirken im IPR stellt Heßler einen für die Zwei-Stufen-Lehre paradigmatischen Fall des AG München268 vor.269 Hier hatten zwei pakistanische Staatsangehörige muslimischen Glaubens die Anerkennung der Scheidung ihrer Ehe vor der bayerischen Verwaltung beantragt. Diese lehnte die Anerkennung ab, da der Ehemann die Ehe einseitig (aber mit Einverständnis der Ehefrau) durch talaq vor einem Notar in Deutschland geschieden hatte. Dies ist nach deutschem Recht nicht zulässig, wurde aber in Pakistan zuvor behördlich registriert. 265
MüKo-BGB/Busche, § 133 BGB Rn. 12. Dazu auch Mansel, in: FS Lorenz I, 689, 706 f.; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 165 Fn. 61; Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 834. 267 Siehe oben Kap. 3 I. 2. b) (S. 69 ff.). 268 AG München, Urt. v. 5.12.1980 – 82 F 6399/80, IPRax 1982, 250 (Leitsätze) m. Anm. Jayme. 269 Heßler, in: Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht, 137, 138 ff. 266
Kapitel 3: Die hergebrachte Berücksichtigung
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Das AG München stellt die Anwendbarkeit deutschen Rechts fest und sieht sich nun vor das Problem gestellt, dass das nach deutschem Recht für die Scheidung erforderliche Zerrüttungsprinzip nicht eingehalten wurde und das Trennungsjahr, dass die Zerrüttung der Ehe vermuten lässt, nicht abgelaufen ist. Die Lösung des AG München lautet, dass es unzumutbar sei, die Ehe nicht zu scheiden, da eine Scheidung nach dem Heimatrecht der Parteien bereits erfolgt und behördlich registriert war. Heßler interpretiert dies als Berücksichtigung eines fremden Rechts, die zum Vorliegen einer unzumutbaren Härte im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB führt. Folgt man diesem Ansatz, so werden mit dem oben Gesagten auch in diesem Fall lediglich die faktischen Auswirkungen ausländischen Rechts berücksichtigt.
III. Zwischenergebnis Das Anliegen der Berücksichtigung nicht zur Anwendung berufenen Rechts ist nachvollziehbar und wird als Problem sowohl von der Literatur als auch von der Rechtsprechung identifiziert und anerkannt. Insoweit besteht an der Erforderlichkeit der Berücksichtigung bzw. eines Äquivalents zur Berücksichtigung kaum noch Zweifel. Die theoretische Untermauerung der Berücksichtigung kann aber noch immer nicht als abgeschlossen bezeichnet werden. Vielerorts fehlt es insbesondere an einer klaren Trennung von Methode und Dogmatik. In der europäischen Schrifttumsrezeption der ursprünglichen Datumtheorie haben sich zwei parallele Stränge herausgebildet. Einerseits fand eine umfangreiche Diskussion zur Frage der methodischen Verortung der Datumtheorie im Verweisungssystem des IPR statt. Andererseits setzte sich die Literatur mit der Fortentwicklung des ursprünglich amerikanischen Begriffs der local data und ihrer Herleitung aus den Rechtserwartungen der Parteien und den Rechtswirkungen der zu berücksichtigenden Norm auseinander. Die ursprüngliche Unterscheidung von local data und moral data hat sich dabei weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur etablieren können.270 Die dargestellten methodischen Ansätze weisen sämtlich Schwächen auf, keiner kann restlos überzeugen. Für die hier primär zu betrachtende Berücksichtigung von deliktischen Sicherheits- und Verhaltensregeln bleibt zunächst festzuhalten, dass sich das Berücksichtigungsproblem nach dem überwiegenden Teil der Schrifttumsansätze wohl erst auf der sachrechtlichen Ebene stellt. Ob ein Verschulden oder eine Rechtswidrigkeit verlangt wird, entscheidet das materielle Recht. Erst hier ergibt sich überhaupt der Bedarf an einem lokalen oder überörtlichen Verhaltensmaßstab. Heßler bezeichnet dies als zweite Stufe, Sonnenberger spricht von der Auslegung des Sachrechts und auch die Methode der sachrechtlichen Berücksichtigung beschreibt das Problem innerhalb der 270
Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
Betrachtung und Auslegung materiellrechtlicher Normen. Übergreifend wird in der Breite des Schrifttums zumeist davon ausgegangen, dass das Berücksichtigungsprinzip gleichwohl vornehmlich von internationalprivatrechtlichen Zweckbestimmungen und Erwägungen bestimmt wird.271 Einzig die Ansätze der Sonderanknüpfung und des Anwendungsermessens sind dabei auf eine bereits vollständig etablierte, originär kollisionsrechtliche Methode zurückzuführen. Gleichzeitig steht am Ende der Schrifttumsauswertung die Erkenntnis, dass die meisten Stimmen anerkennen, dass dem Einfluss des Auslandsbezugs im hier betrachteten Gesamtkontext nicht immer allein durch den kollisionsrechtlichen Verweisungsbefehl Rechnung getragen werden kann. Dieser Befund besteht auch und gerade ohne eine Normierung der Datumtheorie. Wenn besonders kritische Autoren wie etwa Sonnenberger272 betonen, dass die Datumtheorie kein Teil des internationalen Privatrechts sei, so muss dem entgegnet werden, dass auch dieser Ansatz eine Beeinflussung des Sachverhalts durch das kollisionsrechtlich diskriminierte Recht zumindest wertungsmäßig letztlich zulässt. Während das Schrifttum demnach besonders in den Einzelheiten des Berücksichtigungsprinzips divergierende Ansätze hervorgebracht hat, bleibt die Rechtsprechung die terminologische und dogmatische Einordnung des richterlichen Vorgehens zumeist schuldig. Auch auf methodische Erwägungen lassen sich die Gerichte in der Regel nicht ein. Dennoch ist die Rechtsprechung in nahezu jedem Zweig des Privatrechts mit dem Problem einer faktischen Aufdrängung des nicht zur Anwendung berufenen Rechts konfrontiert. In vielen Fällen gibt die Rechtsprechung diesem Geltungsdrang nach und lässt die Beeinflussung der Rechtsfindung durch solche Normen und Rechtsauswirkungen zu. Allzu häufig fehlen indes dogmatische Begründungen und fast nie findet eine ausdrückliche Identifizierung des rechtlichen Vorgangs als Erscheinungsform der Datumtheorie statt.273 Es kann insoweit exemplarisch darauf verwiesen werden, dass die deutsche Rechtsprechung im hier besonders interessierenden Bereich der Straßenverkehrsregeln und der FIS-Verhaltensregeln offenbar in nahezu jeder einschlägigen Entscheidung zu einer Sonderanknüpfung der Sicherheits- und Verhaltensregeln an das Recht des Orts der schadensursächlichen Handlung tendiert.274 Ob und inwieweit dies als generelle Position der Rechtsprechung zur Datumtheorie im Kontext des Deliktsrechts gelten kann, bleibt indes unklar. Zweifel ergeben sich zumindest mit Blick auf die Straßenverkehrsregeln. Diese gehören in aller Regel dem öffentlichen Recht an und 271
Mit Ausnahme Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 836 Fn. 74. Oben, Kap. 3 I. 2. d) (S. 74 ff.). 273 Einzig das AG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 30.6.2017 – 3a C 278/16 setzt sich von diesem Befund ab. Dazu Jayme, IPRax 2017, 644. 274 Siehe oben Kap. 3 II. 1. a), b) (S. 88 ff.). 272
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wären im Falle einer echten Sonderanknüpfung daher konsequenterweise nach den Regeln des internationalen öffentlichen Rechts anzuknüpfen.275 Die Rechtsprechung geht indes in keinem der dargestellten Urteile so vor, was die Frage aufwirft, ob tatsächlich eine Sonderanknüpfung gewollt ist.276 Dagegen fügt sich die Rechtsprechung einer nicht näher bezeichneten Berücksichtigungsmethodik, wenn es um die unechte Berücksichtigung von Rechtswirkungen ausländischen Rechts geht. Gerade im Familienrecht und in den Prohibitionsfällen stellt der BGH auf faktische Auswirkungen ausländischen Rechts auf den Lebenssachverhalt auch nach der kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts ab, regelmäßig jedoch ohne tiefgehende Argumentationen oder dogmatische Ansätze für dieses Vorgehen anzubieten. Eine bemerkenswerte Ausnahme hinsichtlich der Begründungstiefe hat das Reichsgericht bereits vor einem Jahrhundert geliefert.277 Übergreifend wird die methodische Verortung der Berücksichtigung zwar breit diskutiert. Dabei bleibt aber außer Acht, dass vor allem die Dogmatik der Berücksichtigung erhebliche, nicht zuletzt rechtspraktische Probleme aufwirft. Die Vernachlässigung der Dogmatik führt zu ganz fundamentalen Bedenken. Letztlich handelt es sich dabei um eine Frage der Rechtssicherheit und der Reproduzierbarkeit gerichtlicher Entscheidungen. Das Erfordernis einer belastbaren Berücksichtigungsdogmatik entspringt damit dem (europäischen) Rechtsstaatsprinzip, vgl. Art. 6 EUV.
275
Dazu Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 429. Insoweit kritisch Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 429. 277 Dazu oben Kap. 3 II. 2. a) aa) (S. 98 ff.). 276
Kapitel 4
Eigener Ansatz: Die Berücksichtigung als Renormativierung der Verhaltensregel auf Sachrechtsebene Nach dem Vorstehenden hat die Eingliederung des Berücksichtigungsprinzips in den Methodenkanon des IPR große Beachtung im wissenschaftlichen Diskurs erfahren, während die zugrundeliegende Dogmatik nur rudimentär ergründet wurde. Für die Entwicklung eines eigenständigen Berücksichtigungsprinzips liegt in der Beschreibung eines reproduzierbaren Rechtsfindungsvorganges folgerichtig die größte Hürde. Daher wird in dem nachfolgenden Kapitel zunächst der rechtspraktische Vorgang der Berücksichtigung analysiert, um hieraus Schlüsse für eine grundlegende Dogmatik der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht ziehen zu können. Abschließend wird der so entwickelte Berücksichtigungsvorgang in das methodische Gefüge des internationalen Privatrechts eingegliedert. Dogmatik der Normberücksichtigung im IPR
I. Dogmatik der Normberücksichtigung im internationalen Privatrecht 1. Normanwendung als Rechtsmethode Zur Neukonzeptionierung des Berücksichtigungsprinzips ist zunächst ein ganz grundlegendes Missverständnis aufzulösen, das vor allem in der frühen Rezeption der Datumtheorie immer wieder aufscheint. In großer Breite wird offenbar davon ausgegangen, dass eine Abgrenzung von Rechtsanwendung und Rechtsberücksichtigung auf methodischer Ebene möglich ist, dass also ein qualitativer Unterschied zwischen der Anwendung und der Berücksichtigung von Recht besteht.1 Es herrscht ein Vorverständnis, das die Berücksichtigung
1
Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2 f.; Kuckein, Berücksichtigung, 53; Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264. Wohl auch MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 3. Differenzierend Looschelders, Anpassung, S. 98 f.: „Die Grenze zur Rechtsanwendung wird erst dann überschritten, wenn die Wertungen der betreffenden Sachnorm sich bei der Beantwortung der betreffenden Rechtsfrage unmittelbar, d. h. ohne Rücksicht auf das ‚an sich‘ anwendbare Recht durchsetzen.“ Jüngere Entwicklungen weisen dagegen vermehrt in eine andere Richtung: BeckOGKBGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 52. Krit. bereits Zimmer, IPRax 1993, 65, 66.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
zumeist als alternatives methodisches Modell neben der Anwendung begreift.2 Ein solches Verständnis ordnet die Berücksichtigungsanordnung ebenso wie die Anwendungsanordnung als Rechtsfolge der IPR-Norm ein.3 Diese Grundannahme zeigt sich beispielhaft, wenn etwa die Berücksichtigung als ein „Weniger“ oder „Minus“ zur Anwendung bezeichnet wird,4 oder wenn davon die Rede ist, dass Art. 17 Rom II-VO „keine strikte Rechtsanwendungsregel ist“5. Dem kann indes nicht gefolgt werden.6 Allenfalls in dogmatischer Hinsicht können Unterschiede zwischen Anwendung und Berücksichtigung von Rechtsnormen ermittelt werden.7 Die Rechtsfolge aller IPR-Normen besteht dagegen in der Anwendbarkeit der jeweils berufenen Norm.8 Den Vertretern der Sonderanknüpfungslösungen zur Datumtheorie (siehe oben) ist mithin vor allem zugutezuhalten, dass sie die Rechtsberücksichtigung richtigerweise nicht als Alternative zur Rechtsanwendung konstruieren. Ausgangspunkt des Berücksichtigungsprinzips ist folglich, dass Normen im Rechtsfindungsvorgang und damit rechtstechnisch stets angewandt werden. Zwar können unterschiedliche Rechtsmethoden wie etwa die richterliche Rechtsfortbildung die Normanwendung beeinflussen oder modifizieren.9 Dies ändert jedoch nichts daran, dass die zugrundeliegende Norm selbst bei extensiver Auslegung oder methodischer Ausformung stets angewandt wird.10 Auch die Ausfüllung etwa von Generalklauseln wie § 276 Abs. 2 BGB oder unbestimmten Rechtsbegriffen mündet letztlich in der Anwendung einer mitunter ungeschriebenen Norm, die der Richter im Zweifel selbst auf Grundlage der 2 Ähnlich bereits Zimmer, IPRax 1993, 65, 66. Kritisch zum Verhältnis von Anwendung und Berücksichtigung auch MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl IPR Rn. 608 f. 3 Insb. für den Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO wird dies vielerorts vertreten. BeckOGKBGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 59 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 23; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 61 ff.; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10. 4 Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1, VII Rn. 129. Wohl auch Pfeiffer, Th., LA Schurig, 229, 235. 5 Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4. Ähnlich MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2, 23. 6 Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 80. Zweifelnd auch Mansel und G. Schulze in ihren Diskussionsbeiträgen bei Schmiegel, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 85, 86. 7 Einen ähnlichen Ansatz vertritt Looschelders, Anpassung, S. 108 f., der eine Abgrenzung von Anwendung und Berücksichtigung über die unmittelbare Herbeiführung und Geltung der Rechtsfolge der anzuwendenden bzw. nur zu berücksichtigenden Norm betreibt. Dazu auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 778. 8 Vgl. Zimmer, IPRax 1993, 65, 66. Im Grundsatz auch Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 233 f. 9 Dazu ausführlich Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187 ff.; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2410 ff. 10 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836, 838 Rn. 53; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 33; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2410.
Kapitel 4: Eigener Ansatz: Die Renormativierung
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Generalklausel oder des unbestimmten Rechtsbegriffes geschaffen hat.11 So verhält es sich etwa bei der Konkretisierung von Verkehrssicherungspflichten im Einzelfall. Aus all dem folgt, dass die internationalprivatrechtlichen Unterschiede zwischen der Rechtsanwendung und der Rechtsberücksichtigung im Rahmen des Tatbestandes der IPR-Norm und hier vor allem bei der Ermittlung der den sachrechtlichen Subsumtionsvorgang leitenden Norm bestehen. Im Falle der Rechtsanwendung handelt es sich dabei um Normen des internationalprivatrechtlich anwendbaren Sachrechts. Im Falle der Rechtsberücksichtigung ist die Ausgangslage dagegen komplizierter. Denn jedenfalls soll hier ein Unterschied zur „regulären“ Rechtsanwendung bestehen. Normen eines nicht anwendbaren Rechts sollen eben gerade nicht angewandt werden. Wenn aber rechtstechnisch wie gezeigt nur die Normanwendung als methodischer Vorgang möglich ist12 und eine nicht anwendbare Norm gleichwohl in die Rechtsfindung einbezogen werden muss, kommt als abgrenzbarer Berücksichtigungsvorgang nur eine modifizierte Anwendung dieser Norm in Betracht.13 Für diese Modifizierung gilt es Kriterien zu entwickeln und in eine eigenständige Dogmatik zu überführen (dazu unten, 2.). Auch in der Analyse der Rechtsprechung14 ist in den hier interessierenden Fällen des internationalen Deliktsrechts bisher keine Unterscheidung zwischen Anwendung und echter Berücksichtigung ausländischen Rechts als unterschiedliche Methoden auszumachen, obwohl die Gerichte gerade im Bereich der internationalen Straßenverkehrsunfälle regelmäßig mit dem Problem der Berücksichtigung lokaler Straßenverkehrsregeln befasst sind.15 Selbst wenn die ausländischen lokalen Verkehrsregeln lediglich zu berücksichtigen sind, werden sie im Ergebnis regelmäßig schlicht angewandt. Der Richter der Tatsacheninstanz stellt beispielsweise fest, dass der Unfallfahrer in England auf der rechten Fahrbahnseite gefahren ist und so unter Verstoß gegen das lokale Linksfahrgebot den Unfall verursacht hat.16 Auf dieser Grundlage geht er 11
Ausführlich Weber, AcP 192 (1992), 516, 563 f., der in diesem Zusammenhang von einem richterlichen Wertungsrecht im Einzelfall spricht und die Subjektivität der generalklauselbasierten Einzelfallentscheidung betont. Auch Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 676 (m.w.N.) beschreibt den Prozess der richterlichen Normbildung auf Grundlage von Generalklauseln: „Wenn sich Wertungskriterien weder aus einschlägigen Normen noch aus Hinweisen des Gesetzgebers ergeben […], müssen sie im Einzelfall vom Richter gesetzt werden.“ Vgl. zum Ganzen auch Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort Rechtsfortbildung. Ferner BVerfG, Beschl. v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836, 837 Rn. 52; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2410. 12 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 33. 13 Vgl. hierzu bereits Lorenz, E., FamRZ 1987, 645, 647. 14 Dazu oben, Kap. 3 II. (S. 88 ff.). 15 Jüngst etwa OLG München, Urt. v. 4.11.2016 – 10 U 2408/16, BeckRS 2016, 19435 m. Anm. Frese, NZV 2017, 53. 16 Ohne jegliche dogmatische Begründung etwa LG Mainz, Urt. v. 17.8.1998 – 7 O 391,97, NJW-RR 2000, 31.
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
sodann von einer schuldhaft begangenen unerlaubten Handlung aus, selbst wenn beispielsweise das deutsche Recht anwendbar ist und die Verschuldensfrage aufgeworfen hat.17 Der zugrundeliegende rechtliche Vorgang wird vielerorts als Berücksichtigung lokalen (in casu englischen) Straßenverkehrsrechts bezeichnet, obwohl nicht so recht erkennbar ist, worin nun der Unterschied zur unmittelbaren Anwendung der kollisionsrechtlich nicht zur Anwendung berufenen lokalen Verkehrsregeln liegt. Großen Teilen der bisherigen Rechtsprechung zur Berücksichtigung fehlt es insoweit an Differenziertheit. Ausnahmen finden sich höchst selten und vornehmlich in den unteren Instanzen.18 Zu Beginn der Neukonzeptionierung des Berücksichtigungsvorgangs steht also die Erkenntnis, dass der Rechtsanwender technisch stets und ausschließlich mit der Auslegung und Anwendung von Normen betraut ist. Rechtsanwendung und Rechtsberücksichtigung sind daher keine alternativen Modelle auf ein und derselben Ebene. Vielmehr wird mit dem Begriff „Berücksichtigung“ ein rechtsdogmatischer Vorgang beschrieben, der aus einer bestehenden Verhaltensnorm eine neue Norm ableitet und diese auf Rechtsfolgenseite zur Anwendung beruft (dazu sogleich).19 2. Normberücksichtigung als Rechtsdogmatik des internationalen Deliktsrechts Nach der Schaffung der Grundlagen für die dogmatische Neukonstruktion der Normberücksichtigung muss nun konkretisiert werden, was gemeinhin recht oberflächlich abgehandelt wird: Regelmäßig wird für die Berücksichtigung schlicht darauf abgestellt, dass die ausländische, von der lex causae abweichende Sicherheits- oder Verhaltensregel den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt einer Tatsache gleich präge und sich hieraus das Bedürfnis der Berücksichtigung jener nicht anwendbaren Regeln ergebe.20 Dies erscheint indes unpräzise und führt mitunter zu den bestehenden methodischen und dogmatischen Friktionen.21 Für das internationale Deliktsrecht lässt sich die aufzulösende Problemstellung auf die Frage zuspitzen, ob kollisionsrechtlich nicht anwendbare Sicherheits- und Verhaltensregeln als Tatsachenelemente des 17
LG Mainz, Urt. v. 17.8.1998 – 7 O 391,97, NJW-RR 2000, 31. Jüngst AG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 30.6.2017 – 3a C 278/16. Dazu Jayme, IPRax 2017, 644. 19 Vgl. insoweit Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 234: „In dem Maße, in dem das fragliche Ortsrecht zu berücksichtigen ist, wird auf dieses verwiesen.“ 20 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 22; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/ EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 178; Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229: „[...] tatsachengleiche [...] oder -ähnliche Funktion rechtlicher Regelungen“ sowie 229, 230: „[...] örtliche [...] Regeln [...], die den Sachverhalt ohne Rücksicht auf das maßgebende Statut gleich einer Tatsache prägen und sich deshalb durchsetzen.“ Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 778. 21 Vgl. Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 82 f. 18
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Sachverhalts zu betrachten sind und somit eine eigene Subsumtionsfähigkeit erlangen können, ohne dass dabei auf ihren verhaltensleitenden Normgehalt verzichtet werden muss.22 Konkret muss also ermittelt werden, ob eine nicht unmittelbar anwendbare Norm in Abgrenzung zur üblichen Rechtsanwendung einen normativen Verhaltensmaßstab liefern kann. a) Ungeeignetheit der Verhaltensnorm als Berücksichtigungsgegenstand Dazu muss ein geeignetes Datum für die Berücksichtigung gefunden werden. Zunächst käme hierfür der reine Bestand der zu berücksichtigenden Verhaltensnorm als Tatsache in Betracht. Ein solcher Ansatz erscheint indes kaum zielführend, weil sich alleine aus dem reinen Bestand einer Norm für die Lebensrealität nichts weiter ergibt. Hinzutreten muss eine Verwirklichung der Norm in der Lebensrealität, die Norm muss also faktische Veränderungen im Tatsächlichen herbeiführen. Dass Recht in diesem Sinne Tatsachen schaffen kann, ist dabei allgemein anerkannt.23 Denn jedenfalls die zwangsweise Durchsetzung abstrakter verwaltungsrechtlicher Sanktionen oder auf dem Privatrecht basierender Urteile, aber auch die individuell real empfundene Wahrscheinlichkeit einer solchen Durchsetzung wirken sich auf die Lebensverhältnisse im Geltungsbereich dieses Rechts tatsächlich aus.24 Für die Zwecke der Verhaltenssteuerung wurde dies bereits in der Analyse der Ratio des Deliktsrecht gezeigt.25 Allerdings ist zweifelhaft, ob auch ein konkreter deliktischer Lebenssachverhalt als Einzelfall von einem abstrakten Normenbestand beeinflusst werden kann, wie es in den Grundannahmen der Datumtheorie und ihrer Rezeption angelegt ist (siehe oben). Der typische, meist unvorsätzlich herbeigeführte deliktische Lebenssachverhalt ist ein tatsächliches Geschehen, das in räumlichen, zeitlichen und personellen Grenzen konkret, singulär und meist plötzlich und unerwartet abläuft. Der häufigste Fall ist der fahrlässig herbeigeführte und daher im Geschehensablauf regelmäßig unkontrollierbare deliktische Erfolg. Eine abstrakt bestehende Norm, gar ein ganzer Normenbestand, vermag ein solch individuelles, unkontrollierbares und konkretes Geschehen nicht unmittelbar tatsächlich zu prägen. Anders gewendet: Der Ablauf eines konkreten deliktischen Geschehensablaufes ändert sich nicht allein deshalb, weil eine bestehende Norm gerade dieses Geschehen verhindern soll. Die Verhaltensnorm selbst kann daher kein geeignetes datum im Sinne der Datumtheorie sein.
22
Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 231. Ausführlich hierzu siehe oben Kap. 3 I. 3. a) (S. 77 ff.). 24 Mankowski, IPRax 2016, 485, 489. 25 Siehe oben Kap. 2 IV. 1. b) (S. 38 ff.). 23
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
b) Erwartungen des lokalen Verkehrskreises als faktisches Element im internationalen Deliktsrecht aa) Verkehrskreis im internationalen Deliktsrecht Zur weiteren Annäherung an ein eigenständiges dogmatisches Berücksichtigungskonzept muss daher ein Perspektivwechsel stattfinden. Die abstrakte Norm darf nach dem oben Gesagten nicht ohne Weiteres mit der tatsächlichen Lebensrealität gleichgesetzt werden. Dass in England das Linksfahrgebot gilt, sagt folglich zunächst nichts über die tatsächlich vor Ort herrschenden Straßenverkehrsverhältnisse und das tatsächlich erwartbare Verhalten der Verkehrsteilnehmer aus. Um lebenswirkliche Auswirkungen zu erzielen, müssen erst die Durchsetzbarkeit dieses Gebotes auf Grundlage staatlicher Autorität oder die allgemeine Überzeugung von der Norm und deren Befolgung hinzutreten.26 Erst so verwirklicht sich die Norm in der Lebensrealität – und selbst dann nicht allumfassend: „Rechtsfahrer“ wird es in England gleichwohl ganz vereinzelt auch weiterhin geben. Der reine Bestand an Sollens-Sätzen spiegelt mithin niemals vollständig die konkrete Lebensrealität. Nicht der konkrete deliktische Lebenssachverhalt ist daher im Rahmen des Berücksichtigungsbefehls das maßgebliche faktische Element, das von Verhaltensnormen als local data geprägt wird, sondern vielmehr der lokale, ökonomisch-soziologische Verkehrskreis am Ort des deliktischen Geschehens. Dabei handelt es sich um den wandelbaren geografischen und personellen Rahmen, in dem die schadensbegründende Handlung vorgenommen wird.27 Erste Ansätze zu einer Übertragung der Lehre von den Verkehrskreisen auf das internationale Deliktsrecht finden sich bereits 1985 bei v. Bar, der das Deliktsstatut aufspalten und jedenfalls im Bereich der Fahrlässigkeit anhand von Verkehrskreiserwartungen das Haftungsbegründungsstatut ermitteln möchte, während für die Haftungsausfüllung auch weiterhin die Tatortregel gelten soll.28 Von einer Berücksichtigung ist dort konsequenterweise noch keine Rede. Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Deutsch29, der bereits eine Unterscheidung von internen und externen Verkehrskreisen im internationalen Deliktsrecht vornimmt, und bei Schulze: „Danach sind die konkreten Umstände zu analysieren, die die Rechtserwartung der Personen gebildet und damit zu der faktischen Wirksamkeit der Norm geführt haben.“30 Eine größere Rezep26
Mankowski, IPRax 2016, 485, 489 f. Ähnlich bereits Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Vorbem zu Art. 40 EGBGB Rn. 58 sowie Dannemann, in: FS Stoll, 417, 425; Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 174. Vgl. auch Palandt-BGB/Thorn, Art. 17 Rom II-VO, Rn. 5. 28 von Bar, JZ 1985, 961, 966 ff. Ähnlich schon Stoll, in: FS Lipstein, 259, 263 f.; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 174. 29 Deutsch, in: Grundfragen des Privatrechts, 19, 29. 30 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 165. 27
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tion war diesen Ansätzen bisher bedauerlicherweise aber nicht beschieden. Die Verwirklichung von Rechtsnormen im Tatsächlichen beschreiben jüngst ausführlich Mankowski31 und Th. Pfeiffer32. Die Kombination beider Ansätze, also der internationalprivatrechtlichen Verkehrskreisbetrachtung einerseits und der Verwirklichung von Rechtsnormen als Tatsachenelemente, verhilft zu dem hier vertretenen Konzept für die Berücksichtigung nicht zur Anwendung berufener Sicherheits- und Verhaltensregeln des deliktischen Handlungsorts. Die Verkehrskreislehre entstammt ursprünglich dem Sachrecht. Sie ist vor allem zur Ermittlung des Verhaltensmaßstabs bei Fahrlässigkeitsdelikten heranzuziehen.33 Im deutschen Recht bestimmt § 276 Abs. 2 BGB: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“
Die Norm stellt auf einen bestehenden „Verkehr“ ab. Dieser Verkehr wird vorwiegend gruppenbezogen verstanden. Zur Ermittlung eines konkreten Verhaltensmaßstabes im Einzelfall wird also etwa auf Berufs-, Alters- oder Bildungskreise abgestellt.34 Es gilt ein rein objektiver Verhaltensmaßstab.35 Nicht die durchschnittlichen persönlichen Fähigkeiten der Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises, sondern die tatsächliche Übung innerhalb des Verkehrskreises konstituiert also die Verkehrserwartung und den damit korrespondierenden Verhaltensmaßstab.36 Dieser Gedanke leitet in dieser Untersuchung auch den Verkehrskreis als Bezugspunkt der local data in der hier vorgestellten Berücksichtigungsdogmatik.37 Für das Berücksichtigungsprinzip und das internationale Privatrecht mit seinen vom materiellen Recht abweichenden Gerechtigkeitsvorstellungen muss diese Lehre allerdings unter drei Gesichtspunkten modifiziert werden: Erstens ist der einschlägige Verkehrskreis nur sekundär gruppenbezogen, also personell, und primär räumlich anhand der territorialen Anwendungsgrenzen der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregel zu bestimmen.38 Das entspricht dem Gedanken der räumlichen Zuordnung eines Sachverhalts durch das internationale Privatrecht.39 Zweitens gilt es normbezogen zwischen internen
31
Mankowski, IPRax 2016, 485, 489 f. Pfeiffer, Th., ZVglRWiss 116 (2017), 439, 445, 447 f. 33 Wohl erstmals in RG, Urt. v. 7.12.1929 – I 192/29 = RGZ 126, 329, 331. 34 BeckOK-BGB/Lorenz, § 276 BGB Rn. 21 f.; MüKo-BGB/Grundmann, § 276 BGB Rn. 57 ff.; NK-BGB/Schulze, § 276 BGB Rn. 14. 35 MüKo-BGB/Grundmann, § 276 BGB Rn. 55. 36 MüKo-BGB/Grundmann, § 276 BGB Rn. 55, 67. Vgl. für den hier interessierenden Kontext der Berücksichtigung Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 165. 37 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 174. 38 Vgl. schon von Bar, JZ 1985, 961, 966. 39 Vertiefend dazu siehe oben Kap. 2 IV. 2. a) (S. 42). 32
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und externen Verkehrskreisen zu unterscheiden.40 Damit kann das territoriale Bestimmungsmoment wieder aufgeweicht werden, wenn etwa eine örtlich nicht gebundene Sicherheits- und Verhaltensregel zu berücksichtigen ist.41 Dies betrifft beispielsweise die bereits dargelegten Insassenunfälle. Drittens ist erforderlich, die Verkehrskreislehre für die Zwecke des internationalen Privatrechts auch auf Vorsatzdelikte zu erstrecken, da die zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensnormen den Verschuldensmaßstab bilden sollen. Davon unabhängig ist die Frage, ob vorsätzlich oder fahrlässig gegen diesen Maßstab verstoßen wurde. Als Gegenstand der Berücksichtigung wird demnach jedes verschuldensabhängige Verhalten im internationalprivatrechtlichen Verkehrskreis betrachtet. Übertragen auf die Dogmatik der Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln ergibt sich, dass die einzelne Sicherheits- und Verhaltensregel im Einzelfall lediglich mittelbar ihren Einfluss entfaltet. Die unmittelbare Einwirkung der Verhaltensregel als Sollens-Satz auf das Sein erfolgt für das Deliktsrecht dagegen im Verkehrskreis des Handlungsorts. Der faktisch durchsetzbare abstrakte Normenbestand „schafft Fakten, die man schlechterdings nicht leugnen kann“42 und wirkt mithin konstituierend und rechtfertigend auf die berechtigten Erwartungen des erfassten Verkehrskreises.43 Diese berechtigte Rechtserwartung bildet das zu berücksichtigende Faktum bzw. datum. Der Vorgang lässt sich wiederum anhand des Beispiels eines Verkehrsunfalles in England illustrieren: Hier wirkt das abstrakt bestehende Linksfahrgebot auf das Verhalten des gesamten Verkehrskreises ein. Im Ergebnis wird es von den Verkehrsteilnehmern tatsächlich befolgt.44 Gleichzeitig prägt es die lokale Verkehrserwartung. Die Teilnehmer am Straßenverkehr unter dem englischen Linksfahrgebot erwarten also ein entsprechendes Verhalten auch von den anderen Straßenverkehrsteilnehmern.45 bb) Ermittlung des konkreten Verkehrskreises im Einzelfall Der maßgebliche Verkehrskreis ist nach dem hier vorgelegten Konzept als einzelfallabhängig wandelbar anzusehen. Dies betrifft die besonders umstrittenen Fälle, in denen Schädiger und Geschädigter durch eine Sonderbeziehung 40
Vgl. Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 438 f. Dazu siehe oben Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.). 42 Mankowski, IPRax 2016, 485, 489. 43 Dannemann, in: FS Stoll, 417, 425: „Ein nicht anwendbares Recht prägt die örtliche Verkehrsanschauung [...]“. Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 202; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 160, 165; Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 174. 44 Ähnlich bereits Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 160. Vgl. auch Wolf, Deliktsstatut, S. 239. Ferner LG Mainz, Urt. v. 17.8.1998 – 7 O 391,97, NJW-RR 2000, 31 f. 45 Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264 f. 41
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miteinander verbunden sind und in der Regel einen gemeinsamen Aufenthalt und die damit verbundenen Rechtsvorstellungen und -erwartungen teilen. Es stellt sich in diesen Konstellationen regelmäßig die Frage, ob Rechtsnormen überörtlich wirken, ob die an einem deliktischen Geschehen beteiligten Parteien die Sicherheits- und Verhaltensregeln ihrer gemeinsamen Heimatrechtsordnung also grenzüberschreitend „mitnehmen“ können.46 Bekannt ist das Beispiel des Beifahrers im Fahrzeug des Fahrzeugführers und die damit verbundenen Überlegungen zu der Frage der örtlichen Gebundenheit von data.47 In der Entwicklung der Rechtsprechung erscheinen die Entscheidungen zur Gurtanlegepflicht48 sowie zu den BAK-Grenzen49 prägend. Überträgt man die hiesigen Überlegungen zur Normberücksichtigung auf jene Sachverhalte, so ergibt sich Folgendes: die Bestimmung des für die berechtigten Rechtserwartungen der Beteiligten maßgeblichen Verkehrskreises führt in den meisten Fällen zu einer Übereinstimmung mit dem geografischen Rechtsraum des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Beteiligten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Fahrer und Beifahrer durch eine Sonderverbindung miteinander verbunden sind.50 Wenn der Fahrer beispielsweise vergisst, den Beifahrer, der auf dem in Liegeposition befindlichen Beifahrersitz unangeschnallt schläft, auf die Fortsetzung der Fahrt hinzuweisen und sodann unverschuldet in einen Unfall gerät, so kann es für die Frage seines Mitverschuldens gegenüber dem Beifahrer regelmäßig nicht auf die lokalen Vorschriften des Handlungsorts zur Anschnallpflicht ankommen.51 Vielmehr ist es so, dass die beiden Fahrzeuginsassen die gemeinsame Rechtserwartung des sie verbindenden Verkehrskreises ihres gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts teilen. Mit einigen Vertretern des Schrifttums lässt sich in diesen Fällen von einem „internen Verkehrskreis“ sprechen.52 Das Gegenstück ist der „externe Verkehrskreis“, der sich auf die örtlich zwingenden Sicherheits- und Verhaltensregeln erstreckt.53 Die Maßgeblichkeit des internen Verkehrskreises für Personen mit gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthalt gilt nicht uneingeschränkt. Der in diesen 46
Zum Meinungsstand im Schrifttum vgl. oben Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.). Sog. Insassenunfall. Dazu von Bar, JZ 1985, 961, 967. Zur Überörtlichkeit von data siehe Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 439 ff.; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 177 f.; Deutsch, in: Grundfragen des Privatrechts, 19, 29 f. 48 OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.10.1984 – 1 U 292/83, r+s 1985, 171. 49 BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541, Darstellung der Entscheidung oben Kap. 3 II. 1. a) aa) (S. 89 ff.). 50 Dies ist in den Beifahrerfällen regelmäßig schon durch die Schicksalsgemeinschaft der Autoinsassen erfüllt. Vgl. Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 165. 51 OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.10.1984 – 1 U 292/83, r+s 1985, 171, 172. Ebenso Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264 f. Krit. Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 193 f. 52 Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 438 ff. 53 Ebenso ließe sich die Unterscheidung terminologisch durch eine Einteilung in subjektive und objektive Verkehrskreise erreichen. 47
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Fällen maßgebliche Verkehrskreis ist vielmehr ebenfalls als wandelbar zu verstehen. Das bedeutet, dass im Einzelfall ein an sich zwischen den Beteiligten übereinstimmender Verkehrskreis ausnahmsweise auch durch einen von den lokalen Verkehrserwartungen geprägten externen Verkehrskreis ersetzt oder zumindest zeitweise überlagert werden kann. Befinden sich die betroffenen Personen etwa bereits mehrere Monate vor dem Schadensereignis am Ort der unerlaubten Handlung, so kann es gerechtfertigt erscheinen, die lokale Verkehrserwartung als Maßstab heranzuziehen. Weniger zielführend scheint dagegen, den lokalen Verkehrskreis heranzuziehen, wenn Fahrer und Beifahrer nur auf der Durchreise sind. Wenn innerhalb kurzer Zeit mehrere Länder durchquert werden, ist es überzeugender, die Verkehrserwartung von gemeinschaftlich Reisenden hinsichtlich überörtlicher data anhand des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zu bestimmen, als anhand lokaler Bestimmungen, denn es erscheint unwahrscheinlich, dass die Reisenden mit jedem Grenzübertritt auch die überörtlichen Verhaltenserwartungen anpassen. Der Wandelbarkeit des Verkehrskreises unterliegen freilich solche Regeln nicht, die örtlich zwingend sind.54 Wenn dagegen etwa Dornis jüngst kritisiert, dass die Rechtserwartung längst nicht so flexibel oder konkret ausgeprägt sei, wie es für eine grenzüberschreitende Mitnahme von data erforderlich wäre,55 so kann dem im Sinne der bisherigen Ausführungen mit dem Argument entgegengetreten werden, dass gerade dies besonders einzelfallabhängig ist und einer solch pauschalen Wertung daher nicht zugänglich erscheint. Die (berechtigte) Rechtserwartung zweier Parteien mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, die seit sechs Monaten gemeinsam in einem Entwicklungsland leben, mag dahingehen, dass keine Gurtanlegepflicht zu beachten ist und somit den lokalen Verhaltensmaßstab antizipieren. Ganz anders kann es dagegen liegen, wenn sich die identischen Personen auf einer gemeinsamen Autoreise befinden und in lediglich einem von fünf durchquerten Ländern keine Gurtanlegepflicht herrscht. Hier muss sich die berechtigte Verkehrserwartung für Insassenkonstellationen und Gruppenreisen an dem gemeinsamen überörtlichen (und somit nicht gewandelten) Verhaltensmaßstab orientieren.56 c) Renormativierung der Sicherheits- und Verhaltensregel Die Feststellung des Verkehrskreises und des datums reicht für einen vollständigen Rechtsfindungsvorgang allein nicht aus. Sind das tatsächliche Verkehrsverhalten und die damit korrespondierende Rechtserwartung des einschlägigen Verkehrskreises einmal festgestellt, so schließen sich weitere Schritte der Berücksichtigungsdogmatik an. Aus der Verkehrserwartung ist nunmehr das 54
Dazu siehe unten Kap. 4 II. 3. (S. 126 f.). Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 194, 210 f. 56 von Bar, JZ 1985, 961, 967. 55
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normative Element des durch den Rechtsanwender neu zu bildenden Verhaltensmaßstabes zu ermitteln. Es ist etwa festzustellen, ob das Linksfahrgebot die Verkehrserwartung, an der sich der Schädiger messen lassen muss, für die richterliche Schaffung einer Verhaltensnorm konstruktiv ausreichend geprägt hat. Auf einen unmittelbaren und nach dem örtlichen Recht sanktionierbaren Verstoß gegen das englische Linksfahrgebot kommt es im Beispielsfall also nicht an, denn das käme im Ergebnis der Anwendung einer kollisionsrechtlich nicht zur Anwendung berufenen Regel gleich. Dogmatisch geschieht nach dem hier vorgelegten Konzept zusammenfassend vielmehr das Folgende: Zunächst wird eine nicht anwendbare Norm auf ihre faktischen Auswirkungen in einem bestimmten Verkehrskreis überprüft. Die faktische Auswirkung der Norm besteht meist in einem bestimmten Verhalten der überwiegenden Mehrheit und einer darauf basierenden Verhaltenserwartung der Teilnehmer des lokalen Verkehrskreises am Handlungsort. Dieses faktische Verhalten und diese Rechtserwartung können freilich von dem Regelungsgehalt einer territorial gültigen Sicherheits- und Verhaltensnorm abweichen. Werden etwa Verhaltensregeln im lokalen Verkehrskreis faktisch nicht befolgt oder ist z.B. der Straßenverkehr vor Ort trotz abstraktem verkehrsordnenden Normenbestandes so unkoordiniert, dass jedem Verkehrsteilnehmer offenbar ist, dass ein alleiniges Befolgen der abstrakten Verkehrsregeln für ein objektiv sorgfältiges Handeln nicht ausreicht, so ist dies in der Bestimmung der faktischen Normauswirkungen zu beachten. Sind die faktischen Gegebenheiten festgestellt, so folgt die (richterliche) Schaffung einer hierauf basierenden neuen Verhaltensnorm. Dieser Vorgang ist die Renormativierung der nicht anwendbaren lokalen Sicherheits- und Verhaltensregel des deliktischen Handlungsorts. Die neu zu schaffende Verhaltensnorm soll möglichst exakt mit dem Verkehrsverhalten und der Verkehrserwartung vor Ort als faktischem Sachverhaltselement übereinstimmen. Das Resultat ist eine neue Norm, die den im Einzelfall maßgeblichen Verhaltensmaßstab bildet.57 Methodisch wird sie auf Rechtsfolgenseite der Berücksichtigungsanordnung ebenso wie jede andere anwendbare Rechtsnorm angewandt. Der dogmatische Weg zur Ermittlung dieser Norm kann aber als Berücksichtigung einer nicht anwendbaren Norm beschrieben werden, denn eine unmittelbare Anwendung der Sicherheits- oder Verhaltensregel findet damit gerade nicht statt. Vielmehr wird die Regel nur noch berücksichtigt, das Element der 57
Aus der Methodenlehre ist das von Fikentscher, Methoden Bd. IV, S. 185 ff., 202 ff., 269 ff., umfangreich entwickelte Konzept der sog. „Fallnorm“ bekannt. Demnach ist jeder Einzelfall nach einem aus dem objektiven Recht abgeleiteten Rechtssatz, der Fallnorm, zu beurteilen. Z.T. kritisch zum Konzept der „Fallnorm“ Braun, Deduktion, S. 32 f. sowie Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 4 f. Für die Zwecke der hiesigen Untersuchung kann mangels Relevanz dahinstehen, ob die Renormativierung mit dem breit angelegten methodischen Konzept der „Fallnorm“ erklärt werden kann, sodass hierauf nicht vertieft eingegangen wird.
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Mittelbarkeit, dass dem Ausdruck „Berücksichtigung“ anhaftet, wird verwirklicht.58 Die Praktikabilität des hier vorgeschlagenen Ansatzes kann auf Rechtsfolgenseite durch Vermutungsregeln und Beweislastumkehr erreicht werden. Der (vorsätzliche oder fahrlässige) Verstoß gegen die lokale Norm des Handlungsorts kann demnach die widerlegliche Vermutung für das Verschulden des Schädigers begründen.59 d) Vertiefungsbeispiel Der vorgestellte Ansatz soll an einem –völlig hypothetischen – Beispiel verdeutlicht werden: Unterstellt, zwei Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland erleiden unabhängig voneinander Schiffbruch in der Südsee. Beide überleben und stranden an unterschiedlichen Küsten einer unbewohnten Insel. Beiden gelingt es, fahrtüchtige Vehikel zu konstruieren, die immerhin eine Geschwindigkeit von bis zu 40 Km/h erreichen können. Eines Tages begegnen sich beide frontal mit ihren Fahrzeugen aufeinander zufahrend. Sie fragen sich, auf welcher „Straßenseite“ sie wohl zu fahren haben. Das Beispiel verdeutlicht zunächst die Unzulänglichkeiten der hergebrachten Argumentationen zur Normberücksichtigung, die sich auf die „Natur der Sache“60 und Ähnliches stützen. Es zeigt, worauf es bei der Feststellung des faktischen Elements der Normberücksichtigung ankommt: Nicht etwa auf den abstrakten, von der lex causae (in casu deutsches Recht61) abweichenden Normenbestand, denn dieser bringt den Rechtsanwender im Beispielsfall nicht im Sinne einer sachgerechten Rechtsfindung weiter, sondern auf die berechtigten Verkehrserwartungen der Beteiligten. Eventuell besteht auf der Insel, die zum Staatsgebiet beispielsweise Neuseelands gehört, ein Linksfahrgebot. Unmittelbar einleuchtend ist gleichwohl, dass der Verhaltensmaßstab in diesem Fall gerade nicht aus dieser abstrakten Norm hergeleitet werden kann, weil sie faktisch keinen Einfluss auf die Verkehrserwartungen der Beteiligten entfaltet. Dies ist für beide Parteien auch völlig offensichtlich. Hier zeigen sich die Besonderheiten des Straßenverkehrsunfalls: Zwar wird der Straßenverkehrsunfall stets als Schulbeispiel für die Datumtheorie und den Berücksichtigungsbefehl herangezogen.62 Tatsächlich basiert das Beispiel des Straßenverkehrs aber auf 58 Vgl. in diesem Sinne zur Abgrenzung von Berücksichtigung und Anwendung auch Mankowski, IPRax 2016, 485, 490. 59 Ausführlich dazu unten Kap. 4 I. 3. (S. 122). Vgl. auch Freitag, NJW 2018, 430, 433. 60 BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265, 267 f. 61 Ein anderes, hier zu vernachlässigendes kollisionsrechtliches Ergebnis könnte sich allenfalls aus Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ergeben, soweit eine offensichtlich engere Verbindung mit dem Recht der Südseeinsel bestünde. Dies würde das hiesige Beispiel allerdings unnötig überstrapazieren. 62 Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 14 (S. 6).
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dem denkbar speziellsten Fall der Berücksichtigung von Verhaltensregeln: Mit dem Straßenverkehr ist jedermann nahezu täglich in Kontakt. Selbst wer sich nur als Fußgänger fortbewegt, begibt sich bewusst in ein bestehendes hoch ausdifferenziertes System von öffentlich-rechtlichen und gewohnheitsrechtlichen Regeln, sobald er das Haus verlässt.63 Ein hinsichtlich dieser Regelungsdichte vergleichbar alltäglicher Lebensbereich existiert nicht. Das macht den Verkehrsunfall gleichzeitig zum idealtypischen und zum denkbar ungeeignetsten Beispiel für den Berücksichtigungsbefehl und die Datumtheorie: Nur hier kann so sorglos mit der Natur der Sache oder einem Sich-von-selbst-Verstehen argumentiert werden, denn nur hier besteht in nahezu jedem Falle eine mehr oder minder konkrete Rechtserwartung bei allen Beteiligten.64 Die Anwendung oder Berücksichtigung konkreter Sicherheits- und Verhaltensregeln kommt im Vertiefungsbeispiel demnach nicht in Betracht. Das Beispiel ist letztlich so archaisch konstruiert, dass den Beteiligten nichts als die berechtigte Erwartung des jeweils Anderen zur Ermittlung des einschlägigen Verhaltensmaßstabes bleibt. Diese Erwartungen sind billigerweise auf vernünftiges Verhalten gerichtet. Objektive Kriterien für einen Verhaltensmaßstab bestehen im Einzelfall regelmäßig nicht, sodass die Parteien nur durch konkrete Kommunikation zu einem sorgfältigen Verhalten finden können. Weder Berücksichtigungs-, noch Anwendungsbefehl führen hier also weiter. Ähnlich könnte sich die Situation darstellen, wenn zwar ein Normenbestand vorhanden ist, dieser jedoch noch nicht etabliert ist. Das könnte etwa der Fall sein, wenn die Verhaltensnorm erst kurze Zeit in Kraft ist und daher noch nicht Bestandteil des kollektiven Rechtsempfindens geworden ist. In solch einer Konstellation kann es daher insgesamt unangemessen erscheinen, eine Sicherheitsund Verhaltensregel zu berücksichtigen, die die allgemeinen Erwartungen des Verkehrskreises am Ort ihrer Geltung noch nicht nachhaltig beeinflusst hat. Unterstützung findet diese Analyse nach hier vertretener Überzeugung auch in der Rechtsprechung des BGH. So hat er im Falle des Unfalls mit einem Mietwagen in Südafrika das Versagen im Straßenverkehr einer den Linksverkehr nicht gewohnten Fahrzeugführerin unter anderem darauf zurückgeführt, dass unmittelbar vor dem Unfallgeschehen kein Verkehrsaufkommen vorhanden war. Der BGH führt diesen Gedanken zugunsten der Schädigerin sogar noch weiter und stellt insoweit fest, dass ein vorhandenes Verkehrsaufkommen mutmaßlich dazu geführt hätte, dass der Beklagten die Notwendigkeit der Nutzung der linken Fahrbahnseite „unmittelbar vor Augen geführt“ worden wäre.65 Hier stellt der BGH mithin auf einen Verhaltensmaßstab ab, der sich unmittelbar aus dem tatsächlichen Verhalten der Verkehrskreisteilnehmer vor Ort 63
Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 437 f. Vgl. auch Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 438. 65 BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 Rn. 37. Ausführliche Darstellung der Entscheidung oben Kap. 3 II. 1. a) cc) (S. 92 ff.). 64
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ergibt. Ebenso hätte es der Schädigerin demnach zugutekommen müssen, wenn ein sich fehlverhaltender Verkehrsteilnehmer auf der Hauptstraße befunden hätte, der z.B. die rechte Fahrspur genutzt hätte. Denn dann wäre durch faktisches Verhalten eine Verkehrserwartung impliziert worden, die nicht den lokalen Gegebenheiten entsprach. 3. Rechtsfolge: Die Berücksichtigung als Vermutungsregel Entscheidende Bedeutung kommt der Bestimmung der Rechtsfolge des Berücksichtigungsbefehls zu. Dazu ist noch einmal klarzustellen, dass die Berücksichtigung nach dem hier vorgelegten Konzept als Dogmatik auf Tatbestandsebene verstanden wird. Die Rechtsfolge ist wie an anderer Stelle gezeigt wurde die Anwendung der renormativierten, also neu geschaffenen Verhaltensnorm für den Einzelfall.66 Die neu geschaffene Verhaltensnorm muss aus einer geltenden Rechtsnorm abgeleitet sein, die aber nicht zwingend vom IPR zur Anwendung berufen ist.67 Damit ist die Berücksichtigung keine Rechtsfolge einer IPR-Norm. Dies kann nur die Anwendung einer Norm sein. Fraglich ist daher, welche Rechtsfolge mit der tatbestandlichen Berücksichtigungsdogmatik korrespondiert. Kollisionsrechtlich nicht zur Anwendung berufene lokale Sicherheits- und Verhaltensregeln sind nach dem hier entwickelten Konzept keinesfalls contra legem zur Anwendung zu bringen. Schon die tautologische Anmutung dieser Erkenntnis zeigt, dass die Sonderanknüpfungslösungen dem Sinn und Zweck weder der Berücksichtigung noch des internationalen Privatrechts entsprechen. Gleichwohl konstituieren die lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln den im Einzelfall maßgeblichen konkreten Verhaltensmaßstab, soweit sie nach dem gezeigten Verkehrskreisgedanken zu berücksichtigen sind. Insoweit könnte man nunmehr einwenden, es bedürfe einer solch komplexen Berücksichtigungskonstruktion nicht. Denn das Verkehrskreiskonzept bzw. vergleichbare Äquivalente hält nahezu jede nationale Sachrechtsordnung für ihr Deliktsrecht 66
Dazu oben Kap. 4 I. 2. c) (S. 118 ff.). Auf den ersten Blick wirft die Renormativierung auch die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Sollen auf, vgl. bereits Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155. Etwaige Bedenken hinsichtlich eines möglichen naturalistischen Fehlschlusses, also eines Schlusses vom Sollen (der Verhaltensnorm) auf das Sein (das tatsächliche Verkehrsverhalten), greifen insoweit für die hiesigen Zwecke nicht durch. Denn vorliegend soll gerade keine Gleichsetzung von Sollen und Sein (und umgekehrt) stattfinden. Vielmehr ist tatsächlich zu ermitteln, welche lokale Verkehrserwartung vorherrscht und/oder welche reale Sanktionsdrohung existiert. Die Rückführbarkeit der tatsächlichen Verhältnisse auf den normativen Gehalt einer lokalen Rechtsnorm ist dabei sekundär und muss nicht einmal zwingend vorhanden sein. Rechtspraktisch wird der Zusammenhang zwischen Norm und tatsächlichem Verhalten nachfolgend daher nicht durch einen Schluss von dem Sollen auf das Sein ermittelt, sondern lediglich durch eine widerlegbare tatsächliche Vermutung hergestellt. 67
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bereits selbst vor. Im deliktischen Einzelfall ist bei einem räumlichen Auseinanderfallen von Deliktsstatut und Handlungsort im Zweifel ohnehin eine konkrete Verhaltensanforderung maßgeblich, die auf Grundlage des abstrakten Verhaltensmaßstabes der lex causae zu bilden ist.68 Daher kann die Berücksichtigungsdogmatik zur tatbestandlichen Ermittlung des Verhaltensmaßstabes meist nur wenig Neues beitragen. Identische Ergebnisse können regelmäßig mit der alleinigen Anwendung des berufenen Sachrechts und sodann mithilfe der Verkehrskreislehre erzielt werden.69 Dieser Erkenntnis kommt zentrale Bedeutung zu: Gerade bei grenzüberschreitenden Straßenverkehrsunfällen scheint die Befürchtung zu bestehen, dass ohne die konkrete lokale Verkehrsregel (etwa das Linksfahrgebot) eine adäquate Beurteilung des Lebenssachverhalts geradezu unmöglich wird. Daher wird die Berücksichtigung dieser Normen als „selbstverständlich“ bezeichnet.70 Dies ist ein Irrtum. Regelt keine konkrete Verhaltensnorm den Lebenssachverhalt, so fällt der Rechtsanwender auf den abstrakten Verhaltensmaßstab des anwendbaren Rechts zurück.71 Bekannt sind etwa Fälle des In-Verkehr-Bringens oder Lieferns nicht ausreichend gesicherter gefährlicher Ware72 oder nicht ausreichend erfolgter Warnung vor neuartigen Produkten.73 Keine konkrete Norm bestimmt, ob der Sorgfaltspflichtige hier Warnhinweise anbringen muss und worauf genau hingewiesen werden muss. Gleichwohl sind Gerichte mithilfe von § 276 Abs. 2 BGB in der Lage, eine konkrete Verhaltensanforderung, eine ungeschriebene Verhaltensnorm für den Einzelfall zu entwickeln und das Verhalten des Schädigers hieran zu messen.74 Es erschließt sich nicht, warum ein solches Vorgehen mangels räumlich anwendbarem konkreten Verhaltensmaßstab nicht auch für Lebensbereiche wie den Straßenverkehr möglich sein soll. Allerdings bereitet die Ermittlung eines konkreten Verhaltensmaßstabes mitunter praktische Probleme. In der Regel wird die Subsumtion eines Sachverhalts unter eine eindeutige Straßenverkehrsvorschrift einfacher gelingen als die Ermittlung des Fehlverhaltens auf Grundlage einer abstrakten Verhaltensanweisung. Dem tatbestandlichen Berücksichtigungsvorgang verbleibt als Mehrwert daher vor allem eine Funktion als Vermutungsregel: Die nicht anwendbare ausländische Sicherheits- und Verhaltensregel kann als Indikator für das lokale Verkehrsverhalten und die lokale Verkehrserwartung herangezogen werden. Verstößt also der Schädiger mit seinem Verhalten gegen die lokale Sicherheits- und Verhaltensvorschrift, so ordnet das Berücksichtigungsprinzip 68
So schon Stoll, in: FS Lipstein, 259, 264; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160,
174. 69
Vgl. Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 174. Vgl. Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36, 39. 71 MüKo-BGB/Grundmann, § 276 BGB Rn. 61. 72 BGH, Urt. v. 28.4.1976 – VIII ZR 244/74 = BGHZ 66, 208. 73 BGH, Urt. v. 17.3.1981 – VI ZR 191/79 = BGHZ 80, 186. 74 MüKo-BGB/Grundmann, § 276 BGB Rn. 61. 70
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an, dass hieraus eine widerlegliche Vermutung für einen Verstoß des Schädigers gegen den nach Maßgabe des abstrakten Verhaltensmaßstabes der lex causae entwickelten konkreten Verhaltensmaßstab des Einzelfalls folgt.75 Diese Vermutung kann der Schädiger freilich entkräften, indem er nachweist, dass die Sicherheits- und Verhaltensregel am Ort des Geschehens (bzw. im einschlägigen Verkehrskreis) allgemein gerade nicht befolgt wird, faktisch also nicht gilt, und dementsprechend auch kein Vertrauen des Verkehrskreises auf ein normentsprechendes Verhalten besteht.76 Funktion und Rechtsfolge der Berücksichtigung liegen nach dem hier vertretenen Konzept somit in einer widerleglichen Vermutung auf Grundlage des nicht anwendbaren lokalen Normenbestandes. Damit zeigt sich auch, dass die Bedeutung des Berücksichtigungsprinzips im internationalen Deliktsrecht insgesamt wohl geringer ist, als die bisherige Auseinandersetzung vermuten lässt. Denn auch ohne die Berücksichtigung nicht anwendbarer Normen kann auf Basis des materiellrechtlichen abstrakten Verhaltensmaßstabes im Einzelfall ein sachgerechtes Ergebnis erzielt werden. Der Gesetzgeber ist ferner ohne Weiteres in der Lage, Sonderanknüpfungsregeln zu schaffen und lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln so zu stärkerer Geltung zu verhelfen.77 Dies geschieht regelmäßig aus den gezeigten Gründen aber nicht. Über diesen Umstand versuchen die meisten bekannten Konzepte hinwegzuhelfen, indem sie der „Berücksichtigung“ größere Bedeutung und mehr Regelungsgehalt zuweisen als rechtsdogmatisch angezeigt ist. Dem wird mit dem hier vorgestellten Konzept und mit dem Gedanken der Methodenehrlichkeit entgegengetreten.
II. Gegenstand der Berücksichtigung Aus der Neukonzeptionierung der Berücksichtigung im internationalen Deliktsrecht lassen sich auch Erkenntnisse für die Berücksichtigung als allgemeines Prinzip des internationalen Privatrechts ableiten. Es ergeben sich insbesondere Konsequenzen für den konkreten Berücksichtigungsgegenstand. Zur Verdeutlichung und Abgrenzung des hier vorgestellten Konzeptes können die in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen aufgegriffen werden. Dort findet sich die Unterscheidung zwischen der Berücksichtigung von Rechtswirkungen einerseits und Rechtserwartungen andererseits.78 Daneben
75
Vgl. Freitag, NJW 2018, 430, 433. Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei Freitag, NJW 2018, 430, 433. 77 Vgl. insoweit bereits die Kritik zu Art. 17 Rom II-VO bei Symeonides, A.m.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 213. 78 Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 231; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158 f. 76
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steht die Möglichkeit der Unterscheidung örtlicher und überörtlicher data als Berücksichtigungsgegenstand infrage. 1. Berücksichtigung von Rechtswirkungen und Rechtserwartungen Die Unterscheidung zwischen (unechter) Berücksichtigung von Rechtswirkungen und (echter) Berücksichtigung von Rechtserwartungen79 kann auf die Neukonzeption des Berücksichtigungsprinzips übertragen werden. So ist die Dogmatik der Renormativierung allein für die echte Berücksichtigung heranzuziehen, während die unechte Berücksichtigung einer herkömmlichen Ermittlung und Subsumtion von Sachverhaltstatsachen entspricht.80 Für die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im Deliktsrecht ist regelmäßig eine echte Berücksichtigung von Rechtserwartungen vorzunehmen. 2. Rechtsquellen Nicht ganz eindeutig erscheint die Frage, welchen Rechtsquellen die zu berücksichtigenden Verhaltensregeln zu entstammen haben bzw. welche Rechtsqualität für eine Berücksichtigung erforderlich ist.81 Die ganz herrschende Meinung folgt in dieser Frage einem weiten Verständnis und möchte auch rein private Normen, etwa die FIS-Verhaltensregeln, als local data berücksichtigen.82 Dabei stellt sich ein ganz grundlegendes Problem. Wenn die zu berücksichtigenden Normen weder nach der lex causae, noch nach der lex fori Rechtsqualität im Sinne von formellem Recht oder Gewohnheitsrecht zukommt, so erschließt sich nicht ohne Weiteres, warum diese Normen überhaupt Einfluss auf die internationalprivatrechtlichen und grenzüberschreitenden Bezüge des Sachverhalts entfalten sollten. Nach Art. 14 Rom II-VO ist nichtstaatliches Recht nach ganz herrschender Meinung nicht wählbar.83 Folgt man der herrschenden Meinung, so soll es für außervertragliche Ansprüche aber als Tatsache ebenso wie staatliches Recht Berücksichtigungsfähigkeit erlangen können.84 Damit geht eine Aufwertung einher, die sich kaum überzeugend begründen lässt. Andererseits führt die oben entwickelte Renormativierungsdogmatik zunächst lediglich zu einer Auswertung der lokalen Verkehrskreiserwartungen und zu einer Überführung dieser Erwartungen in eine neue, ungeschriebene 79
Siehe oben Kap. 3 I. 3. a) (S. 77 ff.). Siehe oben Kap. 3 I. 3. a) aa) (S. 79 ff.). 81 Siehe oben Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.). 82 Vgl. Stoll, in: FS Lipstein, 259, 265. Für weitere Nachw. siehe oben Kap. 3 Fn. 156 (S. 83). 83 MüKo-BGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 15; von Hein, ZEuP 2009, 6, 22. Mit Einschränkungen auch Rauscher/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 14 Rom II-VO Rn. 37 f. 84 Im Vertragsrecht kann nichtstaatliches Recht überdies als dispositives Recht etwa in Form von AGB gem. § 305 ff. BGB einbezogen werden. 80
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
Sicherheits- und Verhaltensnorm. Prägt also eine nicht-positive und nicht-gewohnheitsrechtliche Norm die lokale Verkehrsanschauung, so wird ihr normativer Gehalt automatisch auch im Ergebnis der Renormativierung gespiegelt. Dem stehen die eben dargelegten Bedenken nicht entgegen. Aus dem Bestand der ungeschriebenen bzw. nicht-gewohnheitsrechtlichen Sicherheits- und Verhaltensregeln kann allerdings keine Vermutungswirkung abgeleitet werden. Von einer nicht-positiven und nicht-gewohnheitsrechtlichen Sicherheits- und Verhaltensregel darf daher nicht auf das lokale Verkehrsverhalten geschlossen werden. 3. Sonderfälle: Örtlich gebundene und örtlich ungebundene local data Folgt man für den Fall einer Sonderbeziehung zwischen den Beteiligten85 der Unterteilung von data in örtlich und überörtlich, so können lokale Sicherheitsund Verhaltensvorschriften in unterschiedlicher Intensität an den Ort der schädigenden Handlung territorial gebunden sein. Positivrechtliche Verkehrsvorschriften, die etwa die im Straßenverkehr verbindlich zu nutzende Straßenseite oder Vorfahrtsregeln und Höchstgeschwindigkeitsgrenzen festlegen, sind demnach als streng territorial gebunden anzusehen.86 Die Intensität der territorialen Gebundenheit lässt sich freilich nur schwer feststellen. Hilfreich kann auch hier die Betrachtung des lokalen Verkehrskreises erscheinen. Eine Verhaltensnorm erzeugt wie gesehen87 nicht nur eine Rechts- bzw. Verhaltenspflicht. Sie erzeugt spiegelbildlich auch eine (regelmäßig berechtigte) vertrauensbasierte Rechtserwartung bei anderen Verkehrskreisteilnehmern. Auf diese Rechtserwartung stellt das Berücksichtigungsprinzip ab.88 Die Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen data beeinflusst damit sowohl den Berücksichtigungsgegenstand selbst, als auch die Ermittlung des einschlägigen Verkehrskreises. Dass die Rechtserwartung zweier Englandreisender mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland hinsichtlich der Verkehrsregeln auch den Linksverkehr spätestens dann erfasst, wenn sie sich aktiv am Straßenverkehr beteiligen und das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer wahrnehmen, leuchtet ein. Hierin kann daher eine besonders hohe örtliche Gebundenheit der zugrundeliegenden Verkehrsvorschriften erblickt werden. Anders kann es jedoch z.B. bei Blutalkoholgrenzen oder der Gurtanlegepflicht liegen: diese Verhaltensvorschriften sind nicht unmittelbar aus dem tatsächlichen Verkehrsgeschehen ersichtlich und werden zudem meist richter85 Dies betrifft insb. die sog. Insassenunfälle. Ausführlich hierzu siehe oben Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.) sowie Kap. 3 II. 1. a) aa), cc) (S. 89 f., 92 ff.). 86 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 177. 87 Siehe oben, Kap. 2 IV. 1. b) (S. 38 ff.). 88 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158. Auf die Erwartungen des Reisekunden an die Sicherheitsstandards seiner Ferienauskunft stellt bereits Stoll, IPRax 1989, 89, 93 ab.
Kapitel 4: Eigener Ansatz: Die Renormativierung
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rechtlich festgelegt oder bleiben je nach Rechtsordnung sogar gänzlich ungeregelt. Die darauf bezogene Rechtserwartung lässt sich daher nicht ohne Weiteres aus den örtlichen Umständen des Ziellandes ableiten. Die zugrundeliegende Verhaltensnorm weist somit eine geringere örtliche Gebundenheit als etwa das Linksfahrgebot auf. Aus den Umständen des Einzelfalls ergibt sich, ob die Vermutungsregeln des Berücksichtigungsprinzips eingreifen oder nicht. Grundlegende Voraussetzung für eine grenzüberschreitende Mitnahme der local data des gemeinsamen Heimatorts der Beteiligten ist dabei stets eine Sonderbeziehung.89 Meist besteht diese in der Schicksalsgemeinschaft von Insassen ein und desselben Fahrzeugs. Diese Schicksalsgemeinschaft teilt einen gemeinsamen Verkehrskreis, der mitunter auf die überörtlichen Verhaltensregeln etwa des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsorts gerichtet ist. Die Gurtanlegepflicht bzw. die maßgeblichen Blutalkoholgrenzen können sich demnach aus einem anderen Recht als dem des Handlungsorts ergeben.90
III. IPR-Methodik: Die Berücksichtigung als zweite Stufe Nach der Konstruktion einer grundlegenden Berücksichtigungsdogmatik kann nunmehr die Verortung der Berücksichtigung im Methodengefüge des IPR erfolgen. Die Auswertung des Schrifttums hat gezeigt, dass hierzu gänzlich unterschiedliche Ansätze vertreten werden, die stets in engem Zusammenhang mit dem jeweils ausdrücklich oder mutmaßlich unterstellten dogmatischen Konzept der Berücksichtigung stehen.91 Denkbar erscheint zunächst, die durch die Renormativierung erzeugte einzelfallabhängige Verhaltensnorm im Wege einer Sonderanknüpfung zur Anwendung zu bringen. Damit fände ein Nacheinander von Berücksichtigungsdogmatik und Berücksichtigungsmethode auf der Ebene des Kollisionsrechts statt: Zuerst müsste im Wege der Renormativierung eine Verhaltensnorm erzeugt werden, die anschließend im Wege der Sonderanknüpfung zur Anwendung gebracht würde. Damit entstünde eine Parallelität zu der Anknüpfung von Vorfragen wie etwa der Bestimmung der Eigentümerstellung im internationalen Sachenrecht. Die Folge einer solchen Lösung wäre indes die Aufspaltung des Deliktsstatus durch dépeçage. Es entstünde gewissermaßen eine eigens anzuknüpfende Verhaltensmaßstabvorfrage. Eine solche Aufspaltung des De-
89
BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733 f.; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 178. 90 OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.10.1984 – 1 U 292/83, r+s 1985, 171, 172; BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 548/77, VersR 1978, 541; Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 177. 91 Siehe oben Kap. 3 I. 2. (S. 66 ff.).
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Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
liktsstatuts ist indes aus den aufgezeigten Gründen92 zu vermeiden, sodass die Sonderanknüpfung als methodische Grundlage der Berücksichtigung im internationalen Deliktsrecht verschlossen bleibt. Zugleich wurde gezeigt, dass die Berücksichtigung keine alternative Rechtsmethode zur Anwendung ist, sondern einen dogmatischen Rechtsfindungsvorgang beschreibt. Dieser Vorgang beruht auf internationalprivatrechtlichen Zweckbestimmungen und Gerechtigkeitserwägungen,93 denn das Bedürfnis an der Einbeziehung des Handlungsortrechtes und die Bestimmung des im Einzelfall maßgeblichen Verkehrskreises beruhen maßgeblich auf Vorhersehbarkeitskriterien.94 Relevant wird all dies aber erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit der Schädigungshandlung bzw. des persönlichen Verschuldens des Schädigers. Diese Frage kann schlechterdings nur das materielle Recht aufwerfen. Es stellt sich somit das Problem, dass mit der Berücksichtigung zwar eine rechtliche Frage vorliegt, die sich erst im materiellen Recht stellt, deren Lösung wertungsmäßig aber zu großen Teilen den Problemstellungen und Zwecksetzungen des IPR entspricht.95 Diese Einsicht unterscheidet die Zwei-StufenTheorie von der Kritik Sonnenbergers, der von einem rein sachrechtlichen Phänomen ausgeht.96 Einzig die Verortung des Rechtsphänomens „Berücksichtigung“ nehmen beide Ansätze identisch auf der Ebene des Sachrechts vor. Während Sonnenberger aber rein materiellrechtliche Erwägungen den weiteren Berücksichtigungsvorgang leiten lässt,97 können über die Zwei-Stufen-Theorie insbesondere die internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeitserwägungen, vornehmlich die Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts, in den Rechtsfindungsvorgang einbezogen werden.98 Nach meiner Ansicht fügt sich die Berücksichtigungsdogmatik mit dem Renormativierungsvorgang daher am besten in das Konzept der Zwei-Stufen-Lehre99 ein. Demnach ist zunächst das anwendbare Recht zu bestimmen (erste Stufe). Öffnet sich auf sachrechtlicher Ebene nunmehr eine Norm der lex causae räumlich für die spezifischen Besonderheiten der Auslandsbeziehung des Sachverhalts (zweite Stufe), so ist dieser erneut in Bezug zu nehmen. Auf dieser zweiten Stufe können auch Normen des
92
Siehe oben Kap. 2 II. 2. c) (S. 27 f.) sowie Kap. 2 IV. (S. 35 ff.). Ausführlich zu den Zwecken des IPR siehe oben Kap. 2 IV. 2. a) (S. 42 ff.). 94 Vgl. insoweit auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f. 95 Looschelders, Anpassung, S. 94, 105. 96 Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 836 f. 97 So ausdrücklich Sonnenberger, in: FS Rebmann, 819, 836 Fn. 74. 98 Looschelders, Anpassung, S. 94, 105; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f. 99 Ausführlich hierzu siehe oben Kap. 3 I. 2. b) (S. 69 ff.). 93
Kapitel 4: Eigener Ansatz: Die Renormativierung
129
nicht anwendbaren ausländischen Rechts im Wege der Renormativierung berücksichtigt werden.100
IV. Ergebnis Aus dem Vorstehenden ergibt sich nunmehr ein vollständiges Bild der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht. Begrifflich handelt es sich bei der Berücksichtigung entgegen verbreiteter Ansicht um eine alternative Methode zur Rechtsanwendung, sondern um einen rechtsdogmatischen Vorgang auf sachrechtlicher Tatbestandsebene. Dieser Vorgang basiert im Hinblick auf die IPR-Methodik auf der sogenannten Zwei-Stufen-Theorie. Es hat sich zudem gezeigt, dass die Bedeutung des Berücksichtigungsprinzips geringer ist, als weithin angenommen wird. So unterstützt die Berücksichtigung von lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts regelmäßig nur die Konkretisierung des abstrakten Verhaltensmaßstabes der lex causae, die im Zweifel auch ohne die lokalen Normen nach allgemeinen Maßstäben vorzunehmen wäre. Entscheidender Mehrwert kann aber in der Vermutungsfunktion der lokalen Sicherheits- und Verhaltensnormen erblickt werden. Ihr Bestand indiziert tatbestandlich die berechtigte Erwartung des einschlägigen Verkehrskreises. Der nachhaltige rechtliche Mehrwert des Berücksichtigungskonzeptes ist daher eine beweisrechtliche widerlegliche Vermutung hinsichtlich der konkreten Verkehrserwartung im Einzelfall.101 Aus den vorangegangenen Überlegungen ergeben sich eine Reihe von sachlichen und methodischen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Verhaltensstandards. Die Frage nach dem richtigen Verhaltensmaßstab wirft nach der Zwei-Stufen-Theorie im hier verstandenen Sinne regelmäßig das Sachrecht auf. Wertungsmäßig muss unter maßgeblicher Mitwirkung internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeitskriterien der Verhaltensmaßstab für den Einzelfall ermittelt werden. Das Prüfungsprogramm für die Berücksichtigung nicht zur Anwendung berufener Verhaltensregeln im internationalen Deliktsfall besteht nach dem hier entwickelten Vorschlag daher aus den folgenden Schritten: 1. Grundsätzlich kommt die Berücksichtigung in Betracht, wenn der deliktische Handlungsort und das Deliktsstatut nicht übereinstimmen. Anderenfalls können die Sicherheits- und Verhaltensregeln ohne Weiteres dem Deliktsstatut unmittelbar entnommen werden.102 100
Dies bildet auch der Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO ab. Die Norm stellt auf die materiellrechtliche „Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird“ ab. Vgl. Jayme, IPRax 2017, 644, 645. 101 Vgl. dazu Freitag, NJW 2018, 430, 433. 102 So bereits Stoll, in: FS Lipstein, 259, 260 f.
130
Zweiter Teil: Struktur und Funktion des Berücksichtigungsprinzips
2. Erfordert der Sachverhalt demnach eine Lösung über die Berücksichtigungsdogmatik, so muss als nächstes festgestellt werden, aus welchem Verkehrskreis die berechtigten Verkehrserwartungen zu entnehmen sind. Das kann der Ort der schädigenden Handlung ebenso wie der Ort des Umweltrechts des Geschädigten oder schlicht der Erfolgsort sein. Die Bestimmung des einschlägigen Verkehrskreises muss je nach Komplexität und Vielfalt der beteiligten Interessengruppen in einer Abwägung stattfinden. Einige Grundregeln können dazu als Vermutung zugrunde gelegt werden. So kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Geschädigte auf die Geltung seines Umweltrechts vertraut, während der Schädiger freilich daran interessiert ist, dass die Verhaltensregeln am Handlungsort maßgeblich sind.103 Hierauf kann sich der Schädiger deutlich einfacher und intuitiver einstellen als auf die Vorgaben eines davon abweichenden Rechtssystems.104 Einzelfallabhängig sind gegebenenfalls interne und externe Verkehrskreise zu unterscheiden, die entweder eine überörtliche Mitnahme von Sicherheits- und Verhaltensregeln ermöglichen oder die Bindung an lokale Vorschriften manifestieren. 3. Ist der maßgebliche Verkehrskreis gefunden, so muss in einem dritten Schritt der tatsächliche Einfluss der abstrakten Verhaltensnorm auf die Verkehrserwartung festgestellt werden. Ihre bloße Existenz entfaltet dabei Indizwirkung, sodass widerleglich vermutet werden kann, dass die Erwartung des Verkehrskreises der Einhaltung der normierten Verhaltensgebote entspricht. Diese Konstruktion einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung macht das hier vorgeschlagene Prüfungsprogramm auch für die Rechtsanwendung praktikabel. Der Verstoß gegen eine ausländische Sicherheits- und Verhaltensregel indiziert mithin ein Verhalten, das nicht den berechtigten Erwartungen des maßgeblichen Verkehrskreises entspricht. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Feststellung eines den Sicherheits- und Verhaltensregeln entsprechenden Verhaltens die widerlegliche Vermutung eines rechtmäßigen Verhaltens begründet. Der maßgebliche Verkehrskreis ist zudem wandelbar. Insbesondere in den Fällen, in denen Schädiger und Geschädigter einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt teilen, kann der die berechtigten Erwartungen der Beteiligten prägende Verkehrskreis mit dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt übereinstimmen. Möglich ist aber auch, dass sich der Verkehrskreis am Handlungsort durch besonders lange Aufenthaltszeiten oder ähnliche, eine enge Verbindung begründende Umstände so festigt, dass eine Verlagerung stattfinden muss.
103 Brandt, Sonderanknüpfung, S. 37; Schurig, in: GS Lüderitz, 699; Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 849; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376. 104 Ausführlich zur Bestimmung des maßgeblichen Verkehrskreises anhand des Wortlauts von Art. 17 Rom II-VO siehe unten Kap. 6 II. 4. b) (S. 176 ff.).
Kapitel 4: Eigener Ansatz: Die Renormativierung
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4. Das Ergebnis des Berücksichtigungsvorganges ist der konkrete Verhaltensmaßstab des Einzelfalls in Form einer anwendbaren Verhaltensnorm. Diese Verhaltensnorm findet innerhalb der lex causae Anwendung, im deutschen Recht etwa bei der Bestimmung der Rechtmäßigkeit bzw. Schuldhaftigkeit des deliktischen Verhaltens.
Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
Kapitel 5
Historie Nach der Neukonstruktion der Berücksichtigungsdogmatik folgt nunmehr die Analyse des positivrechtlichen Wortlauts des Art. 17 Rom II-VO. Dabei ist zu beachten, dass die Auslegung des Art. 17 Rom II-VO ebenso wie die Rom IIVO im Ganzen verordnungsautonom, d.h. im Lichte der Ziele und Zwecke der Rom II-VO zu erfolgen hat, vgl. Art. 19 Abs. 1 EUV.1 Dem EuGH kommt insoweit das Auslegungsmonopol zu.2 Bisher ist zu Art. 17 Rom II-VO allerdings noch keine Rechtsprechung des EuGH ergangen.3
I. Vergleichbare Regelungen und Konzepte Art. 17 Rom II-VO ist nach dem Vorbild verschiedener bereits existierender Vorschriften in die Rom II-VO aufgenommen worden.4 Gleichwohl unterscheidet sich der Regelungsgehalt der Norm zum Teil erheblich von den historischen Vorbildern. 1. Art. 7 HStrVÜ Der wichtigste historische Ankerpunkt des Art. 17 Rom II-VO entstammt dem Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht vom 4.5.1971.5 Dessen Art. 7 bestimmt: „Unabhängig von dem anzuwendenden Recht sind bei der Bestimmung der Haftung die am Ort und zur Zeit des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften zu berücksichtigen.“
1
Im Einzelnen siehe oben, Kap. 2 II (S. 19 ff.). Statt aller Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Einleitung Rom II-VO Rn. 22 f. 3 Auch die höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung hat sich bisher nicht mit Art. 17 Rom II-VO befasst. 4 Dok. KOM(2003) 427 endg. S. 28; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 7; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 211. 5 Dickinson, Rome II, 15.27; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3. Eine ausführliche Darstellung zum Übereinkommen findet sich z.B. bei Czaplinski, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 291 ff. 2
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
Die Vorschrift diente Art. 17 Rom II-VO als unmittelbares Vorbild.6 Der wichtigste Unterschied zu Art. 17 Rom II-VO liegt in dem auf Straßenverkehrsunfälle begrenzten sachlichen Anwendungsbereich des HStrVÜ, der auch im Wortlaut der Einzelnorm deutlich wird. So spricht Art. 7 HStrVÜ nicht von einem haftungs- oder schadensbegründenden Ereignis, sondern lediglich von einem „Unfall“. Dagegen ist Art. 17 Rom II-VO sachlich kaum beschränkt,7 sondern erfasst grundsätzlich alle außervertraglichen Schuldverhältnisse, die dem Anwendungsbereich der Rom II-VO unterfallen.8 Mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland liegt ein weiterer Unterschied darin, dass das HStrVÜ hierzulande nicht ratifiziert wurde und damit von den deutschen Gerichten grundsätzlich nicht als staatsvertragliches Kollisionsrecht i.S.v. Art. 3 Nr. 2 EGBGB angewandt wird.9 Da das HStrVÜ allerdings als loi uniforme ausgestaltet ist (Art. 11), kann es gleichwohl im Rahmen einer zu einem ausländischen Recht führenden Gesamtverweisung auch von deutschen Gerichten anzuwenden sein.10 2. Art. 9 HProdHÜ Ebenso wie das HStrVÜ ist auch das Haager Abkommen über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht vom 2.10.1973 in Deutschland nicht wirksam.11 Art. 9 HProdHÜ gilt aber ebenfalls als Parallel- bzw. Vorgängervorschrift zu Art. 17 Rom II-VO.12 Die Vorschrift bestimmt:13 „The application of Articles 4, 5 and 6 shall not preclude consideration being given to the rules of conduct and safety prevailing in the State where the product was introduced into the market.“
Auch hier sind erhebliche inhaltliche Unterschiede sowohl zu Art. 7 HStrVÜ, als auch zu Art. 17 Rom II-VO festzustellen. So folgt Art. 9 HProdHÜ dem sogenannten Marktortprinzip. Die Regelung entnimmt die einschlägigen 6
MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 2; Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 416. 7 Statt vieler von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 154. 8 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 13 f., 43. Siehe ferner ErwG 34 S. 2 Rom II-VO sowie ausführlich zum Anwendungsbereich der Vorschrift siehe unten Kap. 6 II. 1. (S. 152 ff.). 9 Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 329. 10 Da die Rom II-VO allerdings ausschließlich Sachnormverweisungen enthält, tritt dieser Fall nur noch in den seltenen Fällen der Anwendbarkeit des deutschen autonomen Kollisionsrechts ein. 11 Eingehend Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner, R./Reder, EU-Wirtschaftsrecht, Kap. R, Rn. 347. Allgemein zum Übereinkommen Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 35 ff. 12 Dok. KOM(2003) 427 endg. S. 28; Dickinson, Rome II, 15.27; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 142. 13 Englischer und französischer Volltext abgedruckt in RabelsZ 37 (1973), 595.
Kapitel 5: Historie
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Sicherheits- und Verhaltensregeln mithin nicht dem Handlungsort, sondern dem Auswirkungs- bzw. Zielort der Schädigungshandlung.14 Auffällig ist zudem, dass Art. 9 HProdHÜ im direkten Vergleich mit Art. 7 HStrVÜ und Art. 17 Rom II-VO den unklarsten Wortlaut hat. Ganz untypisch erscheint die negative Formulierung „The application [...] shall not preclude [...]“ bzw. „L’application [...] ne fait pas obstacle [...]“ (= „Die Anwendung der Artikel 4, 5 und 6 schließt nicht aus [...]“). Diese Formulierung lässt den Rechtsanwender ohne positive tatbestandliche Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften zurück. Die Vorschrift ist daher zurecht für ihr erhebliches Rechtsunsicherheitspotential kritisiert worden.15 Insgesamt kann ihr außer der Parallele der positivrechtlichen Normierung des Grundgedankens der Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts für die hiesigen Zwecke daher nicht viel entnommen werden.
II. Europäischer Entstehungsprozess Zwar war der europäische Einigungsprozess zur Rom II-VO insgesamt von vielen Kontroversen geprägt.16 Die legislative Entstehungsgeschichte des Art. 17 Rom II-VO verlief dagegen aber ohne größeren Diskussionsbedarf.17 Gleichwohl wurde der Normwortlaut im Laufe der Entwicklung der Verordnung mehrmals geringfügig verändert.18 Zunächst enthielt die Vorschrift im ersten Kommissionsvorschlag keine konkretisierenden Anweisungen für die Berücksichtigungsdogmatik. Sie lautete schlicht: „Unabhängig vom anzuwendenden Recht sind bei der Feststellung der Haftung die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort und zum Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses zu berücksichtigen.“19
Der erste Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments ersetzte „zu berücksichtigen“ durch „...wie ein Sachverhaltselement zu berücksichtigen, sofern dies angemessen ist.“, 14
Str., im Einzelnen siehe Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 50. Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 170. Zur kontroversen Entstehungsgeschichte der Vorschrift und den erheblichen Auslegungsproblemen im Einzelnen Wandt, Internationale Produkthaftung, 47 ff. 16 Nachweise siehe oben Kap. 2 Fn. 30 (S. 19). 17 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 15 f.; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 9; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 141. 18 Hierzu MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 9 sowie zur Entwicklung der englischen Sprachfassung Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 15; Dickinson, Rome II, 15.27, Fn. 77. 19 Dok. KOM(2003) 427 endg. S. 41. Dazu Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 30. 15
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
und trug damit eine erste Weichenstellung zur Konkretisierung der Berücksichtigungsdogmatik des Art. 17 Rom II-VO bei. Von nun an war im weiteren Verlauf stets das „faktische“ Element in der Vorschrift enthalten. Die Kommission trug diesen neuen Wortlaut inhaltlich im Wesentlichen mit.20 Trotzdem wurde die Norm nochmals modifiziert. In der gültigen Fassung besagt sie, dass Sicherheits- und Verhaltensregeln „faktisch und soweit angemessen“ zu berücksichtigen sind. Dieser endgültige Wortlaut wurde wiederum erst auf Vorschlag des Europäischen Parlaments eingefügt:21 „Bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, sind faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.“
Die Ergänzungen des Wortlauts insbesondere um das Angemessenheitserfordernis sollten das Ermessen der Gerichte, die die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen haben, stärken.22 Insoweit ist inhaltlich aber auch eine gewisse Widersprüchlichkeit im Wortlaut festzustellen. Einerseits wird mit der Formulierung „[...] sind [...] zu berücksichtigen [...]“ das Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Berücksichtigung jedenfalls für den Fall des Vorliegens von Sicherheits- und Verhaltensregeln i.S.d. Vorschrift scheinbar vollständig ausgeräumt. Andererseits erlaubt die Formulierung „soweit angemessen“ auch die Interpretation, dass das „Ob“ der Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln ebenfalls im Ermessen des Gerichts liegt. Wohl herrschend hat sich auf Grundlage der Entstehungsgeschichte die Auffassung herausgebildet, dass dem Gericht auch die Nicht-Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln möglich sein soll.23 Dies ergibt sich insbesondere aus der Begründung zum Änderungsantrag des europäischen Parlamentes.24 Demnach sollen durch das Angemessenheitserfordernis Wettbewerbs- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO vollständig ausscheiden. Übertragen auch auf andere Sachgebiete ist daher denkbar, dass die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln des Orts des haftungsbegründenden Ereignisses insgesamt unangemessen er-
20
Dok. KOM(2006) 83 endg. S. 2, 19. EP-Dokument A6 211/2005 endg. S. 34. Vgl. auch Dok. KOM(2003) 427 endg. S. 28. Zum Ganzen Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 90. 22 Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 90. 23 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 30; Dickinson, Rome II, 15.33; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 26 f.; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 66; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11. A.A. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 65. 24 EP-Dokument A6 211/2005 endg. S. 34. 21
Kapitel 5: Historie
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scheint. In diesem Falle steht es dem Richter frei, diese Regeln nicht zu berücksichtigen.25
25 Vgl. insoweit auch AG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 30.6.2017 – 3a C 278/16 m. zust. Anm. Jayme, IPRax 2017, 644. Krit. zum Ermessensbegriff des Art. 17 Rom II-VO NKBGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 80. Näher unten Kap. 6 II. 4. (S. 174 ff.).
Kapitel 6
Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO I. Ratio Art. 17 Rom II-VO liegen funktionell vor allem kollisionsrechtliche Wertungen zugrunde.1 Mit der Vorschrift soll die Vorhersehbarkeit des für das Schädigerverhalten maßgeblichen Verhaltensrechts gewährleistet werden.2 Die Vorschrift durchbricht das sog. Einheitsprinzip des Deliktsstatuts.3 Diese Durchbrechung ist regelmäßig dann erforderlich, wenn das kollisionsrechtlich zur Anwendung berufene Recht allein nicht zu überzeugenden Ergebnissen führen kann. Im Deliktsrecht ist das vornehmlich dann der Fall, wenn Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts nicht zur Anwendung berufen sind und das Deliktsstatut den deliktischen Verhaltensmaßstab bildet.4 Neben den primär kollisionsrechtlichen Zielen werden in Art. 17 Rom II-VO daher verstärkt auch materiellrechtliche Interessen verfolgt.5 Das macht der Wortlaut insbesondere mit der Formulierung „bei der Beurteilung des Verhaltens“ deutlich.6 Die Verhaltenssteuerung ist ein originär materiellrechtlicher Zweck des Deliktsrechts.7 Die Erforderlichkeit der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensnormen, die nicht dem Deliktsstatut entstammen, ist eine Folge der materiellrechtlichen Durchdringung bzw. Beeinflussung der kollisionsrechtlichen Anknüpfungsregeln, insbesondere in Form der Zurückdrängung der Anknüpfung an den Handlungsort.8 Materiellrechtliche Verhaltenssteuerung kann sinnvoll aber nur dann gelingen, wenn es dem Schädiger überhaupt möglich 1 I.E. wohl a.A. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2, der vor allem einen sachrechtlichen Regelungsgehalt verwirklicht sieht. 2 Siehe auch von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 140. 3 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2. Zum Umfang des Deliktsstatuts und zum Prinzip der Einheitsanknüpfung vgl. oben Kap. 2 II. 2. c) (S. 27 f.). 4 Ausführlich oben Kap. 2 IV. 3. c) (S. 52 ff.). 5 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2 f. In der Literatur finden sich Formulierungen wie „keine echte Kollisionsnorm“, Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 178. 6 Vgl. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11. 7 Siehe oben Kap. 2 IV. 1. b) (S. 38 ff.). 8 Dazu oben Kap. 2 IV. 2. b) (S. 43 ff.).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
ist, das für sein Verhalten maßgebliche Recht vorherzusehen9. Die Vorhersehbarkeit des einschlägigen Rechts ist wiederum ein originär internationalprivatrechtlicher Normzweck. Insgesamt steht Art. 17 Rom II-VO also ebenso wie das ungeschriebene Berücksichtigungsprinzip10 zwischen Kollisions- und Sachrecht und verbindet Erwägungen aus beiden Rechtsgebieten miteinander,11 wobei kollisionsrechtliche Grundwertungen überwiegen12. Dies ergibt sich unter anderem daraus, dass Art. 17 Rom II-VO Teil einer kollisionsrechtlichen Rechtsquelle ist und sich auch funktionell in das kollisionsrechtliche Gesamtsystem der Rom II-VO eingliedert. Mit Blick auf die Ratio des (internationalen) Deliktsrechts ist überdies zu beachten, dass Art. 17 Rom II-VO offensichtlich den Schädiger in den Mittelpunkt seines Anwendungsbereiches stellt. Der Geschädigte ist von Verhaltensvorschriften dagegen allenfalls mittelbar betroffen.13 Die Besonderheit der positivierten Erscheinungsform des Berücksichtigungsprinzips besteht zudem darin, dass die eher am Geschädigten orientierten Grundwertungen der Rom IIVO bei der Anwendung von Art. 17 Rom II-VO gleichwohl nicht aus dem Blick geraten dürfen. Insbesondere dürfen weder die Auslegung, noch die Anwendung des Art. 17 Rom II-VO zu einer versteckten Wiedereinführung eines Ubiquitäts- oder gar Günstigkeitsprinzips führen. Der Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO legt eine solche Möglichkeit der Ubiquität zwar zunächst nahe, indem er auf den „Ort [...] des haftungsbegründenden Ereignisses“ abstellt. Allerdings gewährt Art. 17 Rom II-VO gerade keine abweichende Anknüpfung, sondern lediglich die Berücksichtigung der Regeln des Handlungsortes. Die unmissverständliche Grundanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO i.V.m. Erwägungsgrund 16 an das Erfolgsortprinzip überwindet Art. 17 Rom II-VO daher nicht.14 Zudem wurde bereits gezeigt, dass im Verordnungsgebungsprozess eine bewusste Entscheidung gegen das insbesondere aus Art. 40 Abs. 1 EGBGB bekannte Ubiquitätsprinzip gefällt wurde.15 Diese gesetzgeberische Entscheidung würde durch die versteckte Wiedereinführung des Ubiquitätsprinzips durch Art. 17 Rom II-VO unzulässig umgangen. Die Grundlage der Anwendung des Art. 17 Rom II-VO ist daher stets das Vorliegen je eines kollisionsrechtlich zur Anwendung berufenen und eines oder mehrerer (bei Sachverhaltsbezügen zu mehreren Rechtsordnungen) kollisionsrechtlich nicht zur
9 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 2, 27; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1. Zu diesem Gedanken auch im autonomen Recht vgl. NK-BGB/G. Wagner, Art. 40 EGBGB Rn. 13 f. 10 Dazu oben Kap. 3 (S. 59 ff.). 11 Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 236. 12 Wohl a.A. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2. 13 Vgl. oben Kap. 2 IV. 3. a), b) (S. 48 ff.). 14 Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 742. 15 Siehe oben Kap. 2 II. 2. a) (S. 21 ff.). Ferner Kap. 2 IV. 3 (S. 47 ff.).
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Anwendung berufenen, gleichsam diskriminierten Rechte.16 Die Auswahlentscheidung zugunsten des anwendbaren Rechts ist stets gefallen, bevor Art. 17 Rom II-VO zum Zuge kommt.17 Das Deliktsstatut selbst bleibt von Art. 17 Rom II-VO unangetastet.18 Anders gewendet: Art. 17 Rom II-VO ist stets gemeinsam und im Zusammenhang mit der den Auslandssachverhalt leitenden Kollisionsnorm zu lesen19 und ist damit Teil eines umfassenden internationalprivatrechtlichen Gesamtabwägungsprozesses innerhalb der Rom II-VO. Die Erwägungsgründe 16 und 34 stützen diese Interpretation der Vorschrift. Erwägungsgrund 34 Satz 120 verlangt für Art. 17 Rom II-VO die „Wahrung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Parteien“ gerade ohne den Interessen einer der Parteien eine größere Priorität gegenüber der anderen zu verleihen.21 Der Verordnungsgeber betont diese innere Geschlossenheit des Erfolgsortprinzips in Erwägungsgrund 16 Rom II-VO: „[...] Die Anknüpfung an den Staat, in dem der Schaden selbst eingetreten ist (lex loci damni), schafft einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und der Person, die geschädigt wurde, und entspricht der modernen Konzeption der zivilrechtlichen Haftung und der Entwicklung der Gefährdungshaftung.“
Damit unterstreicht der Verordnungsgeber auch die umfassende Abwägung, die das Erfolgsortprinzip bereits enthält. Diese Abwägung erstreckt sich auch auf die Möglichkeit der Anknüpfung des Deliktsstatuts an den Handlungsort.22 Der Verordnungsgeber ist überzeugt, dass die Anknüpfung an den Erfolgsort dem grenzüberschreitenden Delikt am ehesten gerecht wird.23 Damit ist eine versteckte Rückkehr zum Ubiquitätsprinzip über Art. 17 Rom II-VO unter historischen, systematischen und wertungsmäßigen Gesichtspunkten ausgeschlossen.24 Die pauschale Verdrängung des Erfolgsorts durch den Handlungsort gewährt Art. 17 Rom II-VO mithin nicht. Daher liegt es prima facie nahe, dem Verordnungsgeber eine gewisse Widersprüchlichkeit vorzuwerfen, wenn er in Erwägungsgrund 34 Rom II-VO postuliert:
16
Terminologie nach Dannemann, Ungewollte Diskriminierung, S. 80. Zu diesem Nacheinander vgl. Weller, IPRax 2014, 225, 231. 18 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 3; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2, 22; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 178. 19 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4. 20 Siehe auch von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 140. 21 Siehe dazu auch Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 171. 22 MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4, 18; Rauscher/Unberath/Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 3. 23 Vgl. MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 4, 18; Rauscher/Unberath/ Cziupka/Pabst, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Rom II-VO Rn. 2 ff. 24 Vgl. insoweit Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 5, 24; MüKoBGB/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 19. 17
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„Zur Wahrung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Parteien müssen, soweit dies angemessen ist, die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Staates, in dem die schädigende Handlung begangen wurde, selbst dann beachtet werden, wenn auf das außervertragliche Schuldverhältnis das Recht eines anderen Staates anzuwenden ist. [...]“
Um diese mutmaßliche Widersprüchlichkeit aufzulösen, ist eine vertiefte Annäherung an die Ratio des Art. 17 Rom II-VO notwendig. Eine solche lässt sich sinnvoll über eine Kategorisierung der von der Vorschrift erfassten Fallgestaltungen nach Platz- und Distanzdelikten25 bewerkstelligen. Mutmaßlich mangels praktischer Erscheinungsformen ist die trennscharfe Unterscheidung von Platz- und Distanzdelikt im Anwendungsbereich des Berücksichtigungsprinzips von der Rechtsprechung bisher nicht dezidiert vorgenommen worden. Im Schrifttum aber findet sich diese Unterscheidung im Rahmen von Art. 17 Rom II-VO bereits an einigen Stellen.26 1. Platzdelikte: Ergänzung des Deliktsstatuts Die zentrale Konstellation der von Art. 17 Rom II-VO erfassten Fallgruppen ist das Platzdelikt, mit dem eine vom Handlungsort abweichende Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten einhergeht. Solche Formen des Platzdelikts standen auch dem historischen Verordnungsgeber bei der Einführung des Art. 17 Rom II-VO vor Augen.27 Diese Konstellationen ergeben sich meist aus der Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO28 und entsprechen auch der Dogmatik des Art. 7 HStrVÜ. Solche Fälle sind strukturell einfacher als diejenigen des Distanzdelikts, weil zumeist keine der beteiligten Parteien in ihren Erwartungen an den Verhaltensmaßstab schutzwürdiger erscheint als die jeweils andere. Da es sich um ein Platzdelikt handelt, auf das das Recht eines anderen Staates anwendbar ist, können die örtlichen Sicherheits- und Verhaltensregeln schlicht zur notwendigen Ergänzung des Rechts des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsorts herangezogen werden.29 Typisch ist etwa die Fallgruppe der Straßenverkehrsunfälle, für die oftmals mit der „Natur der Sache“ oder einem „Sich-von-selbstVerstehen“ argumentiert wird.30 Es erscheint schlicht logisch, dass zwei Parteien, die sich am selben Ort befinden, auch von der Anwendung der lokalen 25 Zur Unterscheidung siehe oben Kap. 2 I. 2. a), b) (S. 17 ff.) sowie Kap. 2 II. 2. a) aa), bb) (S. 23 ff.). 26 Z.B. bei EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1170; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rn. 9, 19 f., 27; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 171 f.; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 5. 27 Siehe oben, Kap. 5 (S. 135 ff.). 28 EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1170. 29 von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 143. 30 BGH, Urt. v. 23.11.1971 – VI ZR 97/70, IPRspr. 1971 Nr. 18 = BGHZ 57, 265, 267 f. Vgl. auch Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 160 m.w.N. auch zur Rspr.
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Verhaltensregeln ausgehen (dürfen bzw. müssen). Art. 17 Rom II-VO „spricht [...] eine Selbstverständlichkeit aus.“31 Daher kann hier in den meisten Fällen wohl keine Interessendiskrepanz hinsichtlich der internationalprivatrecht-lichen Gerechtigkeit festgestellt werden.32 Einzig die Problematik der örtlich gebundenen bzw. ungebundenen local data kann hier zu Problemen führen. Dies ist für die Beurteilung der sogenannten Insassenunfälle relevant.33 2. Distanzdelikte: Korrektur des Anknüpfungsergebnisses Im Rahmen von Distanzdelikten birgt die Analyse der Normratio indes deutlich komplexere Probleme.34 Diese Fallgruppe ist für den Fortgang der Untersuchung und die Eingruppierung etwa der Sprengmeister- und Textilproduktionssachverhalte die wichtigste: Art. 17 Rom II-VO findet hier Anwendung, weil Handlungs- und Erfolgsort räumlich auseinanderfallen.35 Handlungs- und Erfolgsort sind also faktisch nicht identisch, die Anknüpfung des Deliktsstatuts kann aber nur zugunsten eines der beiden Orte oder den wiederum geografisch abweichenden Ort des gemeinsamen Aufenthalts erfolgen. Dass Art. 17 Rom II-VO solche Distanzdelikte überhaupt umfasst, ist zunächst nicht selbstverständlich, sondern lässt sich historisch herleiten. So lassen Art. 17 Rom II-VO und insbesondere die Erwägungsgründe 33 und 34 Rom II-VO zwar inhaltlich noch immer ihre Wurzeln im Lebensbereich der Straßenverkehrsunfälle erkennen.36 Allerdings ist in Art. 17 Rom II-VO nicht mehr auf den Unfallort, sondern auf den Handlungsort abzustellen.37 Dies ergibt sich etwa auch daraus, dass Erwägungsgrund 34 die Straßenverkehrsregeln ausdrücklich nur als Beispiele für den Begriff der Sicherheits- und Verhaltensregeln in Art. 17 Rom II-VO anführt. Insgesamt lässt sich daher vorsichtig vermuten, dass bei der Übernahme des Art. 7 HStrVÜ in die Rom IIVO eines nicht recht bedacht oder zumindest billigend in Kauf genommen wurde: Da das HStrVÜ sachlich auf Straßenverkehrsunfälle beschränkt ist, kann die Berücksichtigungsregel des Art. 7 HStrVÜ ausschließlich auf Platzdelikte Anwendung finden. Ein Straßenverkehrsunfall als Distanzdelikt ist dagegen kaum denkbar und wird in der Praxis so gut wie nie vorkommen.38 Distanzdelikte werden von Art. 7 HStrVÜ daher zumindest faktisch nicht erfasst. 31
Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 89. Vgl. auch Jayme, in: GS Ehrenzweig, 36,
39. 32 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 71; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 27. 33 Krit. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 73. 34 EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1171. 35 Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3. 36 Dies betont ausdrücklich MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4. 37 Dazu ausführlich oben Kap. 5 I. 1. (S. 135 f.). 38 Vgl. Hohloch, YbPIL 9 (2007), 1, 9. Zum autonomen Recht ebenso Junker, in: FS W. Lorenz II, 321, 322 f.
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Anders ist nun aber der Anwendungsbereich der Rom II-VO angelegt, der auch Distanzdelikte erfasst. Die Berücksichtigungsregel des Art. 17 Rom II-VO ist somit gerade nicht auf Platzdelikte beschränkt.39 Das hat insbesondere Auswirkungen auf die Auslegung des Art. 17 Rom II-VO unter Gesichtspunkten der ratio legis, denn die Vorschrift erfüllt in Anwendung auf Distanzdelikte eine gänzlich andere Funktion als in Anwendung auf Platzdelikte. Die insofern übermäßig anmutende Weite des Wortlauts wurde bereits früh erkannt,40 aber nicht beseitigt. Erschien die Abkehr vom Ubiquitätsprinzip mit Blick auf die Distanzdelikte bisher überwiegend gewinnbringend, weil keine Entscheidung für oder gegen den Handlungs- oder Erfolgsort mehr notwendig ist,41 so zeigen sich hier nun erhebliche Friktionen.42 Es wurde bereits gezeigt, dass sich die Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Argumenten für und gegen den Handlungsbzw. Erfolgsort inzwischen gänzlich in die Berücksichtigungsdogmatik verlagert hat.43 Die Meinungen könnten in Bezug auf Art. 17 Rom II-VO diesbezüglich kaum weiter auseinanderliegen: Während in Art. 17 Rom II-VO vereinzelt eine Art Günstigkeitsprinzip zugunsten des Geschädigten erblickt wird,44 argumentiert die ganz herrschende Meinung für eine internationalprivatrechtliche Schutzfunktion der Norm grundsätzlich nur zugunsten des Schädigers.45 Treten gleichwohl Unwuchten im Ergebnis auf, so sollen diese im Zweifel über das Angemessenheitserfordernis des Art. 17 Rom II-VO ausgeglichen und korrigiert werden.46
39
Vgl. MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 9; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 12. Ferner von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 140. 40 Hamburg Group of Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1, 44. Insoweit kritisch bereits zu Art. 142 Abs. 2 Schweizer IPR-Gesetz und zum Vorentwurf eines EG-Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (abgedruckt in: RabelsZ 37 (1974), 211): Staudinger/von Hoffmann, Art. 38–42 EGBGB, Vorbem zu Art. 40 EGBGB Rn. 60. 41 Dazu oben Kap. 2 IV. 3. (S. 47 ff.). und Trüten, EuZ 2008, 82, 85 f. 42 Vgl. insoweit auch Mankowski, Interessenpolitik, 67. 43 Ausführlich dazu siehe oben Kap. 2 IV. 3. c) (S. 52 ff.). 44 Vgl. etwa Symeonides, in: FS Jayme, 935, 943; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 213 f. I.E. wohl auch Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 370. Differenzierend EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1169, 1171 sowie Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11 f. 45 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5–5.4; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 1 f.; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 171; Trüten, EuZ 2008, 82, 86; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 140 f.; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 5; Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 743. In diese Richtung auch HK-BGB/Dörner, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1 und NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2. Zurückhaltend MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 26 m.w.N. auch zum autonomen Recht. 46 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5.4.
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Der herrschenden Meinung muss hier der Vorzug gebühren. Art. 17 Rom IIVO schützt demnach grundsätzlich nur den Schädiger. Die Schutzfunktion des Art. 17 Rom II-VO beruht dabei nicht auf materiellrechtlichen, sondern auf internationalprivatrechtlichen Erwägungen. Der Schädiger wird also nur in seiner berechtigten Erwartung hinsichtlich der Einschlägigkeit der Sicherheitsund Verhaltensregeln geschützt, nicht aber hinsichtlich deren Inhalt. Es muss ihm unabhängig von der materiellrechtlichen Ausgestaltung der Verhaltensregeln stets möglich sein, die maßgeblichen Normen vorherzusehen. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen: Lässt man die Möglichkeit der ubiquitären Anknüpfung nach einem Günstigkeits- bzw. Wahlprinzip (Art. 40 Abs. 1 EGBGB) außer Acht, so bleibt die Anknüpfung an den Erfolgsort die für den Geschädigten günstigste. Diese Überlegung beruht auf der Annahme, dass sich der Geschädigte regelmäßig nicht fortbewegt und daher an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort geschädigt wird. Das Umweltrecht des Geschädigten und das Erfolgsortrecht sind meist (aber nicht immer) identisch. Die Rechtserwartung des Geschädigten und damit die internationalprivatrechtlich gerechteste Anknüpfung ist aus Geschädigtensicht daher regelmäßig die Erfolgsortanknüpfung: Der grundsätzlich höchste rechtliche Schutzstandard, den ein Geschädigter berechtigterweise erwarten darf, ist derjenige seines unmittelbaren Umweltrechts. Nach dessen Maßgaben kann er sich schützen, beispielsweise durch den Abschluss von Versicherungen oder archaischeren Maßnahmen wie dem Errichten einer Grundstücksmauer.47 Der Verordnungsgeber hat sich in der Rom II-VO mit dem Erfolgsortprinzip demnach grundsätzlich für eine Wertung der überwiegenden Schutzwürdigkeit der Rechtserwartungen des Geschädigten entschieden.48 Dagegen mutet er dem Schädiger grundsätzlich zu, den mutmaßlichen oder sicheren Erfolgsort seiner Handlung samt der an diesem Ort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln vorherzusehen.49 Nur ausnahmsweise erscheint dem Verordnungsgeber diese Anknüpfung in ihrem sachlichen Ergebnis unbillig. Dafür hat er Art. 17 Rom II-VO vorgesehen. Solche Konstellationen sind gemeint, wenn in Erwägungsgrund 34 Rom II-VO die „Wahrung eines angemessenen Interessenausgleichs“ angemahnt wird. Auffällig erscheint hier die Wahl des Wortes „Wahrung“ (engl.: „In order to strike“; frz.: „En vue d’assurer“), denn damit löst sich der nur scheinbar bestehende Widerspruch der Erwägungsgründe: Während Erwägungsgrund 16 Rom II-VO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO davon ausgeht, dass das Erfolgsortprinzip einen angemessenen Interessenausgleich „schafft“, ist Erwägungsgrund 34 Rom II-VO i.V.m. Art. 17 Rom II-VO bemüht, eben diesen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Parteien (und nicht einseitig zu Gunsten einer 47
Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 4 Rome II Rn. 5. MüKo-BGB/Junker, Art. 4 Rn. 3, 18; Mankowski, Interessenpolitik, 66. 49 NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 79; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/ EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11. 48
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der Parteien50) zu „wahren“, also im Falle des drohenden Verlustes des angemessenen Interessenausgleiches Gegenmaßnahmen zu ergreifen.51 Die Erwägungsgründe zeigen hier mithin auf, dass sich die Vorschriften nicht widersprechen, sondern gegenseitig ergänzen und ineinandergreifen. Wenn der Verordnungsgeber also bereits unter Maßgabe der höheren Schutzwürdigkeit des Geschädigten als Grundanknüpfung das Erfolgsortprinzip normiert und hierin einen angemessenen Interessenausgleich erblickt hat, kann Art. 17 Rom II-VO grundsätzlich nicht zu einer noch weiteren Ausdehnung des internationalprivatrechtlichen Schutzstandards der Interessen und Erwartungen des Geschädigten geschaffen worden sein.52 Denn die Grundwertung der Erfolgsortanknüpfung bevorteilt den Geschädigten nach internationalprivatrechtlichen Wertungen bereits. Art. 17 Rom II-VO ist daher zur Wahrung des angemessenen Interessenausgleichs grundsätzlich nur dann heranzuziehen, wenn gerade die Bevorteilung des Geschädigten durch das Erfolgsortprinzip bzw. die damit einhergehende Benachteiligung des Schädigers doch zu einem unbilligen Ergebnis führt. Aus der Schädigerperspektive bedeutet dies für die Fallgruppe der Distanzdelikte, dass der Schädiger mithilfe des Art. 17 Rom II-VO nicht unbillig belastet werden soll. Es verstößt gegen internationalprivatrechtliche Gerechtigkeitsvorstellungen, dem Geschädigten zu Lasten des Schädigers einen über den maximal vorhersehbaren Schutzstandard des Erfolgsorts hinausgehenden Schutz zuzubilligen. Ausnahmen können unter Angemessenheitserwägungen freilich aber dann angezeigt sein, wenn der Schädiger seine Handlung gezielt zur Umgehung der Verhaltensmaßstäbe seines Umweltrechts auf ein Land mit einem geringeren Schutzstandards ausrichtet.53 Daher kann es für den angemessenen Interessenausgleich erforderlich sein, dem kollisionsrechtlichen Ergebnis mit einer Korrekturmöglichkeit zu begegnen.54 Daraus folgt, dass ausnahmsweise auch am Handlungsort bestehende strengere Sicherheits- und Verhaltensregeln unter bestimmten Voraussetzungen zu berücksichtigen sein können.55 Der erhöhte Schutz des Geschädigten ist dabei allerdings nicht das
50 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 26; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11 f. 51 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 2. 52 Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 742 f. Vgl. auch Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 2. von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 147, spricht von einem „sicheren Hafen“ für den Schädiger. 53 Siehe dazu unten Kap. 6 II. 4. (S. 174 ff.). 54 Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 743. Vgl. auch Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 2; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158. 55 von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 152. Dazu Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11.
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leitende internationalprivatrechtliche Motiv, sondern lediglich ein (aus materiellrechtlicher Sicht mitunter begrüßenswertes) Nebenprodukt. 3. Spezielle Anknüpfungsnormen: Art. 5–14 Rom II-VO Die hier vorliegende Untersuchung stützt sich ganz zentral auf die Grundanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Art. 17 Rom II-VO steht allerdings unter der Überschrift der „Gemeinsame[n] Vorschriften“. Die hier entwickelte Dogmatik, vor allem aber die Ratio des Art. 17 Rom II-VO ist daher systematisch auch auf die speziellen Kollisionsregeln der Rom II-VO zu erstrecken. Auch hier ist demnach eine Auslegung des Art. 17 Rom II-VO im engen Zusammenhang mit dem Sinn und Zweck der zugrundeliegenden Kollisionsregel vorzunehmen.56 Das bedeutet etwa für den Fall einer Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO oder einer Anknüpfung an den Erfolgsort nach Art. 7 Rom II-VO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO im Falle eines Umweltdelikts, dass auch hier die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts grundsätzlich berücksichtigt werden müssen.57 Der Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO, der von „Haftung“ spricht, ist insoweit zu eng geraten.58 Mit Blick etwa auf Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO) und Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) ist daher ein extensives Wortlautverständnis angezeigt.59 Auch diese außervertraglichen Schuldverhältnisse unterfallen mithin dem Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang vor allem die mitunter besonders hohe Ausdifferenzierung der speziellen Anknüpfungsnormen. So ist etwa die Ausgestaltung der Anknüpfungsregeln von Kartell- und Wettbewerbsverletzungen in Art. 6 Rom II-VO oder Produkthaftungssachverhalten in Art. 5 Rom II-VO derart komplex, dass bereits fraglich wäre, ob eine weitere Korrektur oder Ergänzung dieser Tatbestände überhaupt angemessen erscheint.60 Dem Verordnungsgebungsprozess kann insoweit aber ein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass eine Beschränkung des Anwendungsbereiches von Art. 17 Rom II-VO beabsichtigt war.61 Zudem hat die Analyse der Historie der Norm gezeigt, dass das richterliche Ermessen im Einzelfall auch die Nichtberücksichtigung der lokalen Normen zulässt. Insoweit erscheint es zunächst also unschädlich, Ratio und Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO auch auf 56
BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 70. MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 9. 58 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 7, 13. 59 G.h.M.: BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 7, 13; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 8 ff.; Dickinson, Rome II, 15.34; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 6; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 13; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2, jeweils m.w.N. 60 Vgl. dazu nur MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 7 ff., 20. 61 EP-Dokument A6 211/2005 endg. S. 34; vgl. oben Kap. 5 II. (S. 137 ff.). 57
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die speziellen Anknüpfungsnormen der Verordnung zu erstrecken und die gezeigten Friktionen erst innerhalb des Angemessenheitserfordernisses aufzulösen. 4. Zwischenergebnis Art. 17 Rom II-VO verfolgt für die zwei wichtigsten Erscheinungsformen des grenzüberschreitenden Delikts nach alldem divergierende Zwecke und Zielsetzungen. Handelt es sich bei dem Deliktsgeschehen um ein Platzdelikt, so ergänzt Art. 17 Rom II-VO das Deliktsstatut in den tatbestandlichen Verhaltensanforderungen des Sachrechts um die meist logisch erforderlichen local data des Handlungsorts. In diesem Falle eint Schädiger und Geschädigten die berechtigte Erwartung der Maßgeblichkeit eines lokalen Verhaltensmaßstabes. Die Vorhersehbarkeit des Verhaltensmaßstabes des Handlungsorts ist für beide Parteien gleichermaßen anzunehmen. Weder der eine noch der andere wird insoweit nach internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeitsvorstellungen in der Vorhersehbarkeit der maßgeblichen Sicherheits- und Verhaltensregeln bevorzugt oder benachteiligt. Für Distanzdelikte kommt Art. 17 Rom II-VO eine darüberhinausgehende Funktion zu. Während der Geschädigte in seinen berechtigten Erwartungen und Interessen internationalprivatrechtlich durch die Anknüpfung an den Erfolgsort bereits hinreichend bedacht wird, kann es gegenüber dem Schädiger als unbillige Härte erscheinen, die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts nicht zu berücksichtigen. Art. 17 Rom II-VO fungiert im Rahmen von Distanzdelikten daher auch als Schutzvorschrift zugunsten des Schädigers. Aufgabe des Rechtsanwenders ist nun die Abwägung im Einzelfall. So muss bestimmt werden, in welchem Umfang die einschlägige Kollisionsnorm selbst bereits die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit gewährleistet. Aus dieser Überlegung ergibt sich in einem zweiten Schritt gleichsam der Umfang des Korrekturbedarfs nach Art. 17 Rom II-VO.62 Beide Fallgruppen eint übergreifend der (im Kern internationalprivatrechtliche) Zweck der Gewährleistung der Vorhersehbarkeit derjenigen Verhaltensregeln, die für das Schädigerverhalten maßgebend sind.63 Nur so kann eine sinnvolle materiellrechtliche Verhaltenssteuerung erreicht werden. Sonderprobleme bereitet zudem die Funktion des Art. 17 Rom II-VO im Zusammenspiel mit den speziellen Anknüpfungsnormen der Rom II-VO. Einzelfallabhängig muss hier im Rahmen von Angemessenheitserwägungen entschieden werden, ob es überhaupt sachgerecht erscheint, die zusätzliche Berück62
Ausführlich zur Angemessenheit siehe unten Kap. 6 II. 4. (S. 174 ff.). Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 2; 27; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 27; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 79; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 12; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f. 63
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sichtigung von Sicherheits- und Verhaltensnormen einer nicht anwendbaren Rechtsordnung vorzunehmen.
II. Normstruktur Die tatbestandliche Struktur des Art. 17 Rom II-VO wird von der Terminologie der faktischen und angemessenen Berücksichtigung dominiert. Weitere wesentliche Merkmale des Normtatbestands sind der Begriff der „Sicherheitsund Verhaltensregeln“, die „in Kraft“ sein müssen, sowie der „Ort [...] des haftungsbegründenden Ereignisses“. Auslegungsbedarf besteht zunächst hinsichtlich der normativen Anforderungen an die zu berücksichtigenden Regeln (dazu 2.). Ebenso wie im Geltungsbereich des ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzips stellt sich hier die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit nicht staatlichen Rechts.64 Hierunter fallen mitunter die neuerdings immer öfter in Erscheinung tretenden Selbstverpflichtungserklärungen (sog. Codes of Conduct) globaler Konsumgüterproduzenten, aber auch die Menschenrechte, an deren Achtung die Unternehmen jedenfalls nicht unmittelbar gebunden sind.65 Ebenfalls auslegungsbedürftig erscheint die räumlich-zeitliche Dimension der Vorschrift (dazu im Folgenden 1. a), 2. c)). Art. 17 Rom II-VO stellt auf solche Sicherheits- und Verhaltensregeln ab, die an dem „Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses“ gelten. Insbesondere für die kollisionsrechtliche Beurteilung von Distanzdelikten kann dies das entscheidende Tatbestandsmerkmal der Vorschrift sein. Denkbar ist zum Beispiel, dass Ort und Zeit der schädigenden Handlung bei zurechenbarem Organhandeln einer juristischen Person am Ort einer organisatorischen Leitentscheidung belegen sind. Das bedeutete etwa für die Textilproduktionssachverhalte, dass nicht die Sicherheits- und Verhaltensregeln von Bangladesch oder Pakistan als Teil des Deliktsstatuts anzuwenden, sondern solche der deutschen Rechtsordnung zu berücksichtigen wären. Sowohl die Dogmatik als auch die Methodik der Berücksichtigung werden im Wesentlichen durch die Wendung „faktisch und soweit angemessen“ determiniert (dazu 3.). Dabei handelt es sich um eine überaus weiche Formulierung, die stark einzelfall- und wertungsgebunden ist und sich in die Tradition der Datumtheorie einzureihen versucht. Die Formulierung „faktisch“ weist nach hiesiger Auffassung auf die in Kapitel 4 entwickelte Dogmatik der Renormativierung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht. Mit der Formulierung „soweit angemessen“ verlangt die Vorschrift schließlich 64 Zu diesem Problem im Rahmen des ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzips siehe oben Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.). 65 Nachweise siehe oben Kap. 1 Fn. 36 (S. 11).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
eine umfangreiche Interessenabwägung. Auch hier bereitet vor allem das Distanzdelikt die größten dogmatischen Probleme. 1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen Die allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen der Vorschrift sind zunächst identisch dem sachlichen, räumlich und zeitlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO.66 a) Haftungsbegründendes Ereignis Dieser Anwendungsbereich wird für Art. 17 Rom II-VO allerdings durch das Erfordernis des geografischen Auseinanderfallens des Handlungsorts und dem Ort der lex causae verengt, da sonst keine sinnvolle Funktion für Art. 17 Rom II-VO bestünde.67 Dass die Formulierung „haftungsbegründendes Ereignis“ allein auf den deliktischen Handlungsort abstellt, ist dabei nicht selbstverständlich. Vielmehr ergeben sich erhebliche Inkonsequenzen im Wortlaut gerade im Vergleich mit Parallelformulierungen.68 So knüpft Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO an den Ort, „in dem der Schaden eintritt“, in Abgrenzung zu dem Ort, „an dem das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind“, an. Auch Art. 7 Rom II-VO stellt für den Handlungsort auf den Ort des „schadensbegründende[n] Ereignis[ses]“ ab. Daraus ergibt sich, dass der Begriff des Schadenseintrittsorts enger sein muss als derjenige des Orts des schadensbegründenden Ereignisses. Diese Auslegung stützt auch der Vergleich mit Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO. Hier stellt der Verordnungsgeber auf den Ort ab, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Der EuGH versteht hierunter sowohl den deliktischen Handlungs- als auch den Erfolgsort.69 Zwar weichen die Formulierungen jeweils geringfügig voneinander ab. Es kann aber festgestellt werden, dass der europäische Verordnungsgeber von dem Ort eines bestimmten Ereignisses spricht, wenn er ein umfassendes Begriffsverständnis verfolgt. Aus dieser Reihe bricht nun Art. 17 Rom II-VO aus. Auch hier wird auf einen Ereignisort, genauer: den „Ort [...] des haftungsbegründenden Ereignisses“ abgestellt. Damit liegt eine dritte, geringfügig abweichende Wortlautgestaltung
66
Vgl. NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 13. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5.4. Vgl. auch EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1166 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 1; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3. 68 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 43 spricht von einem terminologischen „Fremdkörper“. 69 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 30.11.1976 – C-21/76 Handelswerkerij G. J. Bier B. V./ Mines de Potasse d’Alsace S.A., Slg. 1976, 1735, 1746 f. Rn. 15/19. 67
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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vor.70 Hier wird nicht auf ein schadensbegründendes oder schädigendes, sondern auf ein haftungsbegründendes Ereignis abgestellt. Damit wird der Rechtsanwender vor erhebliche Auslegungsschwierigkeiten gestellt. Denn klar ist im Lichte der EuGH-Judikatur, dass dem „Ereignisort“ stets ein weites Verständnis zugrunde liegt. Andererseits ist die Haftungsbegründung begrifflich enger mit dem Schädiger verbunden als die Schadensbegründung bzw. Schädigung, die am deliktischen Erfolg und damit in nicht geringem Umfange begrifflich an der Person des Geschädigten orientiert ist. Überdies liegt in der Haftungsbegründung zugleich auch die Schadensbegründung (nicht aber umgekehrt), wie die Analyse der Ratio des Deliktsrechts gezeigt hat.71 Es erscheint daher ebenso denkbar, überhaupt keinen Unterschied zwischen Schadens- und Haftungsbegründung i.S.d. unterschiedlichen Verordnungswortlaute zu ziehen.72 Dennoch kann in Art. 17 Rom II-VO ebenso wie in Erwägungsgrund 34 S. 1 Rom II-VO nur vom Handlungsort die Rede sein. Dies lässt sich zwar nur schwerlich auf einen Wortlautvergleich stützen, ergibt sich im Ergebnis aber jedenfalls aus der systematischen Funktion und der Historie der Norm. Zudem ist die Norm „Bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird [...]“ anzuwenden. Auch in dieser Formulierung liegt denklogisch ausschließlich ein Hinweis auf den deliktischen Handlungsort. b) Teleologische Reduktion des sachlichen Anwendungsbereiches Gegen die ausufernde Weite des sachlichen Anwendungsbereiches von Art. 17 Rom II-VO sind bereits früh (in der Entwicklungsphase der Vorschrift) fundamentale Bedenken geäußert worden, die eine teleologische Reduktion des Tatbestandes auf Fälle des Platzdelikts nahelegen.73 Die Schwierigkeiten, die eine Ausweitung des Funktionsumfangs der Vorschrift in Bezug auf Distanzdelikte mit sich bringt, wurden bereits im Rahmen der Analyse der Ratio der Vorschrift aufgezeigt.74 Diesen Bedenken hat der europäische Verordnungsgeber indes nicht nachgegeben. Daher muss mit dem starken umfassenden Wortlaut und der historischen Entwicklung der Norm argumentiert werden, dass die Verordnung für eine teleologische Reduktion des Art. 17 Rom II-VO auf Platzdelikte nicht offen erscheint. Art. 17 Rom II-VO ist mithin im Lichte der jeweils anwendbaren Kollisionsnorm und der rechtlichen Einordnung des zugrundeliegenden deliktischen Geschehens im Einzelfall auszulegen und sowohl auf Platz- als auch Distanzdelikte anzuwenden. 70 Vgl. zu den Wortlautungenauigkeiten auch MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 8, 18 ff.; NKBGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 49. 71 Siehe oben Kap. 2 IV. 1. (S. 36 ff.). 72 Zu weiteren Einzelheiten siehe unten Kap. 6 II. 2. c) (S. 158 ff.). 73 Hamburg Group of Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1, 43. I.E. gegen eine solche teleologische Reduktion MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 9. 74 Siehe oben Kap. 6 I. (S. 141 ff.).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
c) Räumlicher Anwendungsbereich Probleme bereitet, wie bereits an anderer Stelle angedeutet,75 der räumlich universelle Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO. Erst durch die räumliche Öffnung des europäischen kollisionsrechtlichen Rechtsakts in Art. 3 Rom IIVO ist es überhaupt möglich, Art. 17 Rom II-VO auch auf Sachverhalte beispielsweise mit dem hier interessierenden Bezug der Textilproduktionssachverhalte zu asiatischen Drittstaaten anzuwenden. Hinzu tritt der Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung in Art. 24 Rom II-VO. All dies ist im Sinne einer weltoffenen und der Globalisierung Rechnung tragenden Gesamtkonzeption des europäisch vereinheitlichten Kollisionsrechts grundsätzlich zu begrüßen,76 allerdings äußern manche Autoren generelle Bedenken hinsichtlich der Kompetenz der EU (bzw. im maßgeblichen Zeitpunkt der EG) für ein universell geltendes Rechtsinstrument.77 Die universelle Anwendbarkeit führt vor allem aber zu neuen Problemen in der Rechtsanwendung: Gerade die Anwendung von Eingriffsnormen (Art. 16 Rom II-VO) oder die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln (Art. 17 Rom II-VO) aus Drittstaaten kann dazu führen, dass der Rechts- und Schutzstandard der Union unterwandert wird.78 Umgekehrt ist es so, dass die Anwendung oder Berücksichtigung von Eingriffsnormen oder Sicherheits- und Verhaltensregeln aus mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unter Anwendung eines drittstaatlichen Rechts einen versteckten oder offenen Werteimperialismus befürchten lässt. All dies kollidiert mit der internationalprivatrechtlichen Vorstellung von der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen.79 Bedenkenswert ist daher der Vorschlag, den räumlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO für die Fälle des Art. 17 Rom II-VO auf Binnensachverhalte zwischen Mitgliedstaaten zu beschränken.80 Rüppell weist diesbezüglich im Grundsatz aber auch zutreffend darauf hin, dass mit dem Wortlaut „soweit angemessen“ ein ausreichender Ermessensspielraum eröffnet wird, um billige Ergebnisse in der Rechtsanwendung zu erreichen.81 De lege lata mag das eine gangbare Lösung sein. Wenig überzeugend erscheint gleichwohl, dass dem Rechtsanwender im Einzelfall komplexe Wertungen zugemutet werden, die eine ausreichend bestimmte und damit rechtssichere Norm bereits abstrakt enthalten sollte. Es handelt sich also um Wertungen, die originär dem Verordnungsgeber und nicht dem Rechtsanwender obliegen. Die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs der Norm liegt im Falle des Art. 17 Rom II-VO 75
Siehe oben, Kap. 2 II. 1. (S. 20 ff.). Trüten, EuZ 2008, 82, 84 f. 77 Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485, 494. Dazu auch von Hein, ZEuP 2009, 6, 15. 78 Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 91. 79 Dazu oben Kap. 2 Fn. 205 (S. 49). 80 Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 91. 81 Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 91. 76
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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also maßgeblich in den Händen des nationalen Richters, obwohl es sich hierbei um eine originär gesetzgeberische Aufgabe handelt. 2. Sicherheits- und Verhaltensregeln Ein für die praktische Bedeutung des Art. 17 Rom II-VO wesentliches Tatbestandsmerkmal ist das der „Sicherheits- und Verhaltensregel“. Dieses Tatbestandsmerkmal bestimmt den Berücksichtigungsgegenstand. Soweit die im Einzelfall möglicherweise zu berücksichtigende Norm oder Regel keine „Sicherheits- und Verhaltensregel“ ist, ist der Tatbestand der Norm nicht erfüllt.82 Eine Berücksichtigung findet dann nicht statt. Der Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals kommt somit weichenstellende Bedeutung zu. a) Rechtsquellen Der Begriff „Sicherheits- und Verhaltensregel“ ist nach ganz überwiegender Ansicht untechnisch und damit umfassend zu verstehen.83 Damit wird weitgehende Parallelität zu den Anforderungen an local data im Rahmen der ungeschriebenen Berücksichtigung hergestellt.84 Es kommt im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO nach herrschender Meinung daher nicht auf eine besondere Rechtsqualität der zu berücksichtigenden Regeln an.85 So soll es weder auf eine ausdrückliche Normierung, noch auf das Rechtsgebiet, dem die Regeln zuzuordnen sind, ankommen.86 Es ist allgemein anerkannt, dass der Begriff „Regel“ sowie das Telos der Vorschrift keine „gesetzliche Regel[n] im technischen Sinn“87 verlangen. Daraus ließe sich für die Berücksichtigungsfähigkeit der Sicherheits- und Verhaltensregeln als einzige Voraussetzung ableiten, dass sie am maßgeblichen Handlungsort einen Verhaltensmaßstab vorgeben, der durch das tatsächliche Verkehrsverhalten gespiegelt werden kann. Unter Rückgriff auf die Datumtheorie wird hieraus zudem vereinzelt ein Erst-Recht-Schluss a majore ad minus abgeleitet: Wenn schon formelle Gesetze lediglich als 82
Diehl, IPRax 2018, 371, 373. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 21; Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 19; Dickinson, Rome II, 15.32; Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, 367; EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1172 f.; Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4 f.; Enneking, Foreign direct liability, S. 220; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 146 f. Zurückhaltend (analoge Anwendung des Art. 17 Rom II-VO auf rechtlich nicht verbindliche Verhaltensstandards) NKBGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 33. 84 Dazu oben Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.). 85 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 21; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10, 30; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4 f. 86 So schon Kahn-Freund, Recueil des Cours 1968 II, 1, 97; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 89. 87 von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 146 f. Siehe auch Dickinson, Rome II, 15.31. 83
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
Tatsachenelemente zu berücksichtigen seien, so müsse dies erst recht für private Standards und ähnliche Sicherheits- und Verhaltensnormen gelten.88 Dies überzeugt indes nicht. Das Gegenteil ist richtig: Wenn schon das Sachrecht des Handlungsorts die zu berücksichtigenden Regeln nicht anwendet, sondern beispielsweise lediglich als Auslegungshilfe in die Rechtsfindung einfließen lässt,89 erschließt sich nicht, warum das Kollisionsrecht über Art. 17 Rom II-VO eine Gleichbehandlung des privaten Rechts mit positivem Recht vornehmen sollte.90 Dazu ist zunächst festzustellen, dass im Gegensatz zum ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzip zur Bestimmung der Anforderungen an die Rechtsqualität des Berücksichtigungsgegenstandes nunmehr sowohl ein konkreter Normwortlaut, als auch ein ergänzender Erwägungsgrund zur Verfügung stehen. Beide enthalten Aussagen über die erforderliche Rechtsqualität der zu berücksichtigenden Normen. Erwägungsgrund 34 Rom II-VO verweist zunächst auf „[...] Sicherheits- und Verhaltensregeln des Staates, in dem die schädigende Handlung begangen wurde [...]“ und im weiteren Verlauf auf „alle Vorschriften“. Beide Formulierungen können rechtstechnisch verstanden werden und weisen auf staatliches Recht hin.91 Demnach müsste den Sicherheits- und Verhaltensregeln des Art. 17 Rom II-VO positive Rechtsnormqualität zukommen. Diese Wortlautauslegung wird allerdings durch die sprachlich offenere Fassung des Art. 17 Rom II-VO teilweise entkräftet.92 Hier ist lediglich von „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ die Rede. Die Vorschrift gewährt damit zunächst ein weiteres und unverbindlicheres Begriffsverständnis als der korrespondierende Erwägungsgrund.93 Wieder eingeschränkt wird diese Weite des Wortlauts in Art. 17 Rom II-VO allerdings durch die Anforderung des In-Kraft-Seins der Sicherheits- und Verhaltensnorm am Handlungsort. Verbreitet findet sich die Annahme, dass hierunter eine mindestens faktische Geltung der Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort gemeint sei.94 Dem kann indes nicht gefolgt werden. Die Analyse des Wortlauts und der Grammatik der Norm ergibt vielmehr, dass sich 88
Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 19; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 147. 89 Dies trifft beispielsweise auf die österreichische Interpretation der FIS-Regeln zu, vgl. OGH, Teilurteil v. 1.9.2010 – 3 Ob 89/10z, SpuRt 2011, 21, 22; OGH, Urteil v. 1.3.2012 – 1 Ob 16/12b, SpuRt 2013, 112, 113. Ähnlich OGH, Beschl. v. 25.11.2015 – 8 Ob 90/15s, SpuRt 2016, 112, 113. Ferner Sälzer, Skiunfälle, S. 156 m.w.N. zum österreichischen Schrifttum. 90 Diehl, IPRax 2018, 371, 374 ff. 91 Diehl, IPRax 2018, 371, 374 f. 92 Dickinson, Rome II, 15.30 ff.; Diehl, IPRax 2018, 371, 374 f.; Eckert, GPR 2015, 303, 306. 93 Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 367. 94 Vgl. oben Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.) sowie oben Kap. 6 Fn. 83 (S. 155).
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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der Begriff „faktisch“ auf die Dogmatik der Berücksichtigung und damit gerade nicht auf die Rechtsqualität des Berücksichtigungsgegenstandes bezieht:95 Die Sicherheits- und Verhaltensregeln sind „faktisch und soweit angemessen“ zu berücksichtigen. Diese Formulierung enthält keinen Hinweis auf eine Entkräftung oder Abmilderung der Formulierung „in Kraft“, die sich unmittelbar auf die zu berücksichtigenden Regeln bezieht. Ein solches In-Kraft-Sein kann nach hier vertretener Überzeugung ausschließlich auf formelle Rechtsnormen und vergleichbare Erscheinungen wie etwa Gewohnheitsrecht zutreffen.96 Diese Anforderungen erfüllt privates Recht, etwa in Form von Vereinssatzungen oder allgemeinen Spiel- und Sportregeln, nicht.97 Gleichwohl sind solche Regeln freilich nicht gänzlich dem Anwendungsbereich des Art. 17 Rom IIVO entzogen. Soweit sie nach dem Handlungsortrecht durch privatautonome Rechtsgestaltung wirksam sind, etwa durch Einbeziehung in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder durch verbandsrechtliche Bindungswirkung gegenüber einzelnen Verbandsmitgliedern, erfüllen sie ebenso wie Gewohnheitsrecht die Anforderung des „In-Kraft-Seins“ i.S.v. Art. 17 Rom II-VO. Dies gilt konsequenterweise grundsätzlich auch für alle anderen Erscheinungsformen des sog. soft law.98 Allerdings ist in diesen Konstellationen einzelfallabhängig festzustellen, ob es einer Berücksichtigung überhaupt bedarf, oder ob die Einbeziehung der nicht-staatlichen Normen rein materiellrechtlicher Natur ist und zu einer materiellrechtlichen Rechtswahl führt. Auch Erwägungen aus der Normsystematik stützen diesen Standpunkt: Hier droht im äußersten Falle eine Unterwanderung der Kompetenzen des Souveräns am Handlungsort. Wenn dieser den nicht-staatlichen Sicherheits- und Verhaltensregeln in seinem Hoheitsgebiet keine Rechtsqualität zukommen lässt, kann nichts Anderes durch Art. 17 Rom II-VO erzwungen werden.99 Insgesamt kann also festgestellt werden, dass Art. 17 Rom II-VO entgegen dem ersten Eindruck und der herrschenden Meinung ein durchaus enges Verständnis bei der Bestimmung der möglichen Rechtsquellen der „Sicherheitsund Verhaltensregeln“ nahelegt. Berücksichtigt werden nach hier vertretener Überzeugung daher ausschließlich positivrechtliche Normen und geltendes Gewohnheitsrecht sowie privatautonom wirksam vereinbarte Normen und Regeln. Damit geht zudem eine Steigerung der Rechtssicherheit einher, denn das zu berücksichtigende Recht wird auf klar und eindeutig bestimmbare Rechtsquellen beschränkt.
95
Diehl, IPRax 2018, 371, 375. Diehl, IPRax 2018, 371, 375. Ähnlich NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 33, der im Ergebnis über eine Analogie aber auch rechtlich nicht verbindliche Verhaltensstandards berücksichtigen möchte. 97 Diehl, IPRax 2018, 371, 375 f. 98 Dazu sogleich unten Kap. 6 II. 2. d) cc) (S. 164 ff.). 99 Diehl, IPRax 2018, 371, 375. 96
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
b) Inhaltliche Anforderungen Neben den Anforderungen an die Rechtsqualität der Sicherheits- und Verhaltensregeln ist auch deren Inhalt von entscheidender Bedeutung. Hinsichtlich der Wortlautauslegung werden verschiedene Ansätze vertreten. So ist einerseits denkbar, dass die Formulierung „Sicherheits- und Verhaltensregel“ eine Kumulation der Eigenschaften Sicherheit und Verhalten erfordert (also „Regeln betreffend die Sicherheit und das Verhalten“). Dies ließe sich mit dem Bindewort „und“ erklären.100 Ein so verstandener Wortlaut deutete also auf einen sachlichen Zusammenhang der Begriffe Sicherheit und Verhalten hin. Andererseits lässt sich das „und“ auch als Ausdruck von Alternativität (etwa „Sicherheitsregeln einerseits und Verhaltensregeln andererseits“) interpretieren.101 Eine solche Einordnung des Wortlauts ließe zu, dass reine Sicherheitsregeln ohne verhaltenssteuernde Elemente berücksichtigt werden könnten. Umgekehrt wären auch reine Verhaltensregeln ohne konkreten Sicherheitsbezug berücksichtigungsfähig, also Regeln, die eine rein prophylaktische Wirkung haben.102 Solche Regeln existieren etwa in Form von Verhaltensvorschriften bei der Finanzberatung, die kaum als sicherheitsrelevant beschrieben werden können und dennoch bestimmte Verhaltenspflichten vorschreiben.103 Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass der Begriff der „Sicherheitsund Verhaltensregeln“ weitgehend unbestimmt ist. Der Verordnungsgeber hat keine konkretisierenden Angaben zur Interpretation dieses Begriffes gemacht.104 Soweit in sachlicher Hinsicht festgestellt werden kann, dass die zu berücksichtigende Regel sowohl verhaltenssteuernde Elemente aufweist, als auch sicherheitsrelevant erscheint, so sind die Anforderungen jedenfalls erfüllt. Enthält die Norm nur eines der beiden Elemente, so muss einzelfallabhängig nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ermittelt werden, ob eine Berücksichtigung erfolgen kann oder nicht. Ein pauschaler Ausschluss der letztgenannten Normgruppen wird durch den Wortlaut jedenfalls nicht gewährt.105 c) Ort und Zeitpunkt Die räumlich-zeitliche Dimension des Art. 17 Rom II-VO regelt die Vorschrift ebenfalls ausdrücklich. Art. 17 Rom II-VO spricht von solchen Sicherheitsund Verhaltensregeln,
100
MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11. BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 37. In diese Richtung wohl auch NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 35 ff. 102 Ausführlich dazu NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 36. 103 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 37 m.w.N. 104 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11. 105 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 37. 101
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„[...] die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.“
Mit „Ort [...] des haftungsbegründenden Ereignisses [...]“ ist grundsätzlich der deliktische Handlungsort gemeint.106 Das ist zunächst einmal der Ort, an dem der Schädiger die Kausalkette zur Herbeiführung des Schadenserfolgs in Gang gesetzt hat.107 Der Handlungsort in Art. 17 Rom II-VO bildet in geografischer Hinsicht somit ein Gegenstück zu dem Erfolgsort des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO bzw. zum Ort des gemeinsamen Umweltrechtes der Parteien in Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO.108 Abweichungen vom Begriff des Handlungsorts in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ergeben sich für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunktes des haftungsbegründenden Ereignisses. Grundsätzlich gilt für die Anknüpfungsregeln der Rom II-VO insoweit ein weites Verständnis. Es reicht z.B. im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO aus, dass eine unerlaubte Handlung „in Rede steht“109 und ein Schaden geltend gemacht wird. Auch wenn die Anforderungen an die Kausalität und Zurechenbarkeit niedriger anzusetzen sind als im materiellen Recht, kann allerdings nicht pauschal jedes kausale Ereignis als „Handlungsort“ qualifiziert werden.110 Für Art. 17 Rom II-VO sind indes gröbere Maßstäbe anzusetzen. Darauf weist der abweichende Wortlaut der Vorschrift hin.111 Dabei geht es um die Bestimmung des Orts des „haftungsbegründenden Ereignisses“ in Abgrenzung zum Ort des „schadensbegründenden Ereignisses“ in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Die Haftungsbegründung ist dabei schon terminologisch näher am Schädigerverhalten zu verorten als die Schadensbegründung.112 Zur Haftungsbegründung können etwa auch Fragen der Zurechnung fremden Verhaltens gezählt werden, die für die Schadensbegründung weniger relevant sind. Insgesamt lässt der Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO damit ein weiteres Verständnis des Handlungsorts zu als etwa Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO oder Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO. Dies entspricht darüber hinaus auch der Ergänzungs- und Korrekturfunktion der Vorschrift, zumal die Gefahr einer übermäßigen Weite des Wortlauts durch das Angemessenheitserfordernis ausreichend abgefedert wird. Der maßgebliche Zeitpunkt der unerlaubten Handlung wird für die Anwendung des Art. 17 Rom II-VO gerade in Konstellationen mit mehreren poten106
Siehe oben Kap. 6 II. 1. a) (S. 152 f.). Ebenso MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom IIVO Rn. 18; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 89. 107 von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 147 f.; Zum autonomen Recht NK-BGB/G.Wagner, Art. 40 EGBGB Rn. 16. 108 Vgl. Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 7. 109 BeckOGK-BGB/Rühl, Art. 4 Rom II-VO Rn. 56. 110 Für den Bereich des internationalen Zivilverfahrensrechts Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 735. 111 Dazu oben Kap. 6 II. 1. b) (S. 153). 112 Siehe oben Kap. 6 II. 1. b) (S. 153).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
ziellen Schädigern daher letztlich durch die Auswahl des Schädigers (Klagegegners) durch den Geschädigten (Kläger) bestimmt. Wenn beispielsweise das transnational agierende Textilunternehmen in Anspruch genommen wird, so richtet sich der Vorwurf der Schädigung samt Schädigungsort und -zeit nach dem konkreten Einzelfallgeschehen. Es reicht für die internationalprivatrechtliche Beurteilung des Geschehens ungeachtet der Begründetheit des materiellen Anspruchs aus, dass eine deliktische Schädigung behauptet wird und jedenfalls denkbar erscheint.113 Der Nachweis der Zurechenbarkeit und Kausalität im materiellrechtlichen Sinne ist insoweit nicht erforderlich. Ebenso verhält es sich im Rahmen der Bestimmung des Zeitpunktes der schädigenden Handlung in Art. 17 Rom II-VO. Überdies kommt Art. 17 Rom II-VO erneut eine Schutzfunktion zugunsten des Schädigers zu. Dieser soll mit der Bestimmung eines festen maßgeblichen Zeitpunktes vor einer nachteiligen nachträglichen Änderung der maßgeblichen Sicherheits- und Verhaltensregeln geschützt werden.114 Soweit also z.B. in den Textilproduktionssachverhalten Ort und Zeit des schädigenden Ereignisses zu bestimmen sind, kann unter internationalprivatrechtlichen Erwägungen auch eine organisatorische Leitentscheidung in Deutschland zeitlicher und geografischer Bezugspunkt des Delikts sein. Entscheidend für die Bestimmung der relevanten Handlung samt Handlungsort und -zeitpunkt ist die Person des in Anspruch genommenen Schädigers. Das Angemessenheitserfordernis des Art. 17 Rom II-VO bleibt von der Lokalisierung der schädigenden Handlung freilich unberührt. d) Fallgruppen Unter diesen erforderlichen Einschränkungen des Begriffs der „Sicherheitsund Verhaltensregeln“ ist die Auseinandersetzung mit (u.a.) den nachfolgenden in Rechtsprechung und Schrifttum besonders relevanten Fallgruppen zu führen: aa) Allgemeiner Verhaltens- und Sorgfaltsmaßstab und Verschuldenserfordernis Grundlegend stellt sich zunächst die Frage, welche Aspekte des allgemeinen materiellrechtlichen Verhaltens- bzw. Sorgfaltsmaßstabs von Art. 17 Rom IIVO umfasst werden und somit lediglich zu berücksichtigen sind. Eine erste Überlegung betrifft dabei abstrakt die Art des Verschuldens, die für die Haftung vorausgesetzt wird. So stellt sich im Rahmen der Feststellung der Schädigerverantwortlichkeit beispielsweise aus Sicht des deutschen Sachrechts 113
Nachw. siehe oben Kap. 2 Fn. 101 (S. 31). BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 57, 57.1. Vgl. auch MüKoBGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 21; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 48. 114
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regelmäßig die Frage, ob für die Begründung der Haftung Verschulden oder Gefährdung vorausgesetzt wird und im Falle der Verschuldenshaftung, ob fahrlässiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten für die Haftungsbegründung ausreicht. Diese Anforderungen könnten im Wege der Berücksichtigung nach Art. 17 Rom II-VO auf Grundlage des Handlungsortrechts zu ermitteln sein. Dies würde voraussetzen, dass der nach dem Handlungsortrecht vorausgesetzte Grad an Schädigerverantwortlichkeit als „Sicherheits- und Verhaltensregel“ i.S.v. Art. 17 Rom II-VO zu subsumieren wäre. Übertragen auf das deutsche Sachrecht wäre demnach etwa der Verhaltensmaßstab i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB nur zu berücksichtigen, nicht aber anzuwenden. Damit würde der allgemeine Verhaltensmaßstab nicht dem Deliktsstatut entnommen, sondern von dem lediglich zu berücksichtigenden Verhaltensmaßstab verdrängt. Unter den Begriff des abstrakten Verhaltensmaßstabs zählen dabei auch die am Handlungsort entwickelten abstrakten Auslegungs- und Anwendungsgrundsätze. Das bedeutet etwa für das deutsche Sachrecht, dass der groben Fahrlässigkeit nicht ausschließlich objektive, sondern auch subjektive Kriterien zugrunde liegen.115 Relevanz entfalten diese Überlegungen, sobald sich der Schädiger darauf beruft, dass nach dem Handlungsortrecht ein Verschulden tatbestandlich vorliegen muss, während das Deliktsstatut lediglich eine Gefährdungshaftung vorsieht oder umgekehrt der Geschädigte Gefährdungshaftung am Handlungsort geltend macht, während sich der Schädiger auf die für ihn günstigere Verschuldenshaftung der lex causae beruft.116 In der Minderheit sind in diesem Zusammenhang diejenigen Autoren, die den allgemeinen Handlungsmaßstab (und damit Generalklauseln wie etwa § 276 Abs. 2 BGB) dem Art. 17 Rom II-VO unterstellen wollen.117 Die Gegenauffassung und wohl herrschende Meinung versteht den allgemeinen Verhaltensmaßstab dagegen als nicht vom Begriff der „Sicherheits- und Verhaltensregel“ umfasst.118 Damit ist der allgemeine Verhaltensmaßstab stets Teil des Deliktstatuts und nicht als Regel eines nicht anwendbaren Rechts zu berücksichtigen. Hierfür spricht vor allem, dass Art. 17 Rom II-VO lediglich als Korrektiv bzw. als Ergänzung zum auch weiterhin gültigen Deliktsstatut fungiert.119 Zudem wurde bereits gezeigt, 115 St. Rspr. seit BGH, Urt. v. 11.5.1953 – IV ZR 170/52 = BGHZ 10, 14. Siehe dazu BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 40. 116 Für ein Beispiel siehe oben Kap. 2 IV 2. b) (S. 46). 117 EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1172 ff.; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 823 f.; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 6; nach altem Recht i.E. wohl auch BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733. 118 BGH, Urt. v. 21.2.1978 – VI ZR 58/77, VersR 1978, 541; Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 16 f.; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 37, 45; Sälzer, Skiunfälle, S. 290 f.; Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 232. Noch zum autonomen Recht Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 450. 119 Oben Kap. 6 I. 2 (S. 145 ff.).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
dass der Umfang des Deliktsstatuts weit zu verstehen ist und im Rahmen des Einheitsprinzips auch den allgemeinen Verhaltens- und Sorgfaltsmaßstab umfasst.120 Der allgemeine Sorgfaltsmaßstab ist ein elementarer Bestandteil des materiellen Deliktsrechts und entscheidet im Zweifel über die gesamte Anspruchsbegründung. Er ist daher nicht vom Deliktsstatut abspaltbar und unterfällt gem. Art. 15 lit. a) Rom II-VO dem Deliktsstatut.121 Zurecht wird daher angeführt, dass das Unterstellen des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabes von der Anknüpfung des Deliktsstatuts nach Art. 4 ff. Rom II-VO zu wenig übrigließe.122 Das Ergebnis dieses Vorgehens käme einer unzulässigen dépeçage gleich.123 Daneben greift auch hier das Wortlautargument: Die Formulierung „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ meint spezielle, konkrete Regelungen (siehe oben). Hierunter lässt sich der allgemeine, abstrakte Verhaltensmaßstab wie er sich in Deutschland aus § 276 BGB ergibt auch bei großzügiger Auslegung nicht subsumieren.124 Die Generalklausel etwa des § 276 Abs. 2 BGB ist keine Regel, die Sicherheit und Verhalten betrifft. Sie dient vielmehr als mit Erwägungen aus Sicherheits- und Verhaltensaspekten auszufüllende Auffangklausel. Sie ist zunächst also nahezu inhaltsleer. Zu berücksichtigen sind daher nur diejenigen Regeln, die den abstrakten und inhaltsleeren Verhaltensmaßstab konkretisieren und ausfüllen sollen (dazu sogleich unten). Nach dem hier vertretenen Ansatz der Renormativierung lässt sich ein abstrakter Rechtsbegriff wie die grobe Fahrlässigkeit zudem schlicht nicht als faktisches Element analysieren. Die Rechtserwartung, aus der sich konkrete Verhaltensanforderungen ableiten lassen,125 basiert stets auf einem konkreten Lebensgeschehen, nicht aber auf einer abstrakten rechtlichen Wertung. Die Art der persönlichen Schädigerverantwortlichkeit kann als abstrakte Voraussetzung aufgrund der anderenfalls zu erwartenden materiellrechtlichen Friktionen daher zusammenfassend nur das Deliktsstatut bestimmen.126 Ein zweites, aber abzugrenzendes Problem ergibt sich für die Frage, welcher der beteiligten Rechtsordnungen die Einordnung des konkreten Verstoßes als
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Ausführlich oben Kap. 2 II. 2. c) (S. 27 f.). In diesem Sinne BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 38; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 450. 122 Sälzer, Skiunfälle, S. 290 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 16 („Weichenstellung des Art. 4 Abs. 1“). 123 Dazu oben Kap. 2 IV. 2. (S. 42 ff.). 124 Sälzer, Skiunfälle, S. 290 f.; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 16. 125 Dazu ausführlich oben Kap. 4 I. 2. b) (S. 114 ff.) sowie Kap. 4 II. 1. (S. 125). 126 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 38. Ausführlich dazu auch MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 17; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 450 f. A.A. BGH, Urt. v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485 Rn. 32; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 189. 121
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich gebührt.127 Auch hierfür kommen entweder das Deliktsstatut oder das Handlungsortrecht in Betracht. In diesen Bereich gehören etwa die Konkretisierungen, die in der deutschen Rechtsprechung zur Bestimmung des abstrakten Fahrlässigkeitsmaßstabes gebildet wurden. Beispielsweise hat der BGH im dargelegten Insassenunfall128 die Voraussetzung der groben Fahrlässigkeit dem deutschen Recht entnommen, die Frage nach der Einordnung des konkreten Verstoßes als fahrlässig oder grob fahrlässig dagegen dem ausländischen (berücksichtigten) Recht überlassen.129 Zur Begründung dieser Differenzierung wird vor allem angeführt, dass nur das Rechtssystem, dem die zu berücksichtigende Sicherheits- und Verhaltensnorm entstammt, entscheiden könne, ob ein Verstoß gegen die Regel den Anforderungen des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit genüge.130 Im Ergebnis ergibt sich also eine Zweiteilung. Während der abstrakte Verhaltensmaßstab in Form des Verschuldens oder der Gefährdung durch das Deliktsstatut festgelegt wird, kann für die Konkretisierung und Ausfüllung dieses Maßstabes, also die Bewertung des Schädigerverhaltens als fahrlässig oder vorsätzlich, gemäß Art. 17 Rom II-VO das Handlungsortrecht zu berücksichtigen sein. Freilich bleibt zu beachten, dass sich die Bestimmung des abstrakten Verhaltensmaßstabes und die Konkretisierung des abstrakten Verhaltensmaßstabes inhaltlich überschneiden können und einzelfallabhängig mitunter auch vollumfänglich entweder dem Deliktsstatut oder gemäß Art. 17 Rom II-VO dem Handlungsortrecht unterstellt werden müssen.131 bb) Straßenverkehrsregeln Allgemein anerkannt und in jahrzehntelanger Rechtsprechung zu Vorgängerregelungen und ungeschriebenem Recht etabliert ist die Anwendung des Art. 17 Rom II-VO auf Straßenverkehrsunfälle.132 Die Vorschrift hat in diesem Lebensbereich ihren Ursprung, mit Art. 7 HStrVÜ findet sich eine hierauf sachlich beschränkte Vorgängervorschrift, die im Verordnungsgebungsprozess eine wesentliche Rolle gespielt hat.133 Hierin hat der Verordnungsgeber eindeutig den Regelungsschwerpunkt des Art. 17 Rom II-VO erblickt und dies in Erwägungsgrund 34 S. 2 Rom II-VO zusätzlich ausdrücklich betont. Aus diesem Erwägungsgrund ergibt sich aber auch, dass Art. 17 Rom II-VO gerade 127
BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 41. BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733. 129 BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733. 130 In diesem Sinne BGH, Urt. v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732, 733; BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 40. 131 Dazu BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 41. 132 Ausführlich MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 12 f. und Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 420 ff. 133 Dazu oben Kap. 5 I. (S. 135 ff.). 128
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
nicht auf Straßenverkehrsregeln beschränkt ist.134 Vielmehr dient die ausdrückliche Erwähnung der Straßenverkehrsregeln lediglich als Beispiel für Sicherheits- und Verhaltensregeln. cc) Soft law Großer Diskussionsbedarf besteht auch bei der Eingruppierung von soft law als Sicherheits- und Verhaltensregeln des Art. 17 Rom II-VO. Unter soft law sind in einem weiten Sinne solche Regeln zu verstehen, die formal keine Bindungswirkung entfalten.135 Insbesondere Akteure des Privatrechts sind zunächst nicht unmittelbar an solche Regeln gebunden.136 Hierunter fallen private Regelungswerke wie die FIS-Regeln oder sog. Codes of Conduct transnational produzierender Konzerne137. Auch die Menschenrechte sind bei weitem Verständnis unter diesen Begriff zu fassen. Sie binden zwar Staaten und bilden insoweit hard law.138 Gegenüber Privaten besteht dagegen keine unmittelbare Bindungswirkung. Insoweit sind die Menschenrechte also lediglich soft law.139 Die hier erreichte Ausgangslage spricht gegen eine generelle Subsumtion von soft law unter Art. 17 Rom II-VO, der ja gerade verlangt, dass die zu berücksichtigenden Regeln „in Kraft“ sein müssen. In diesem Zusammenhang wurden bereits die Voraussetzungen erarbeitet, die an die Rechtsqualität bzw. die rechtliche Bindungswirkung der zu berücksichtigen Sicherheits- und Verhaltensregeln zu stellen sind.140 Im Einzelfall kann aber zu differenzieren sein. Insbesondere die inzwischen immer häufiger in Erscheinung tretenden verrechtlichten Formen der sog. Corporate Social Responsibility141 geben Anlass, auch soft law auf Berücksichtigungsfähigkeit zu untersuchen. Daneben ist auch unter Art. 17 Rom II-VO die Einordnung der FIS-Regeln ein besonders häufig auftretendes Rechtsproblem. Für die zwei genannten Fallgruppen ist die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit von soft law insgesamt also besonders praxisrelevant. Daher werden diese beiden Fallgruppen nachfolgend überblicksartig gesondert erörtert. 134 Vgl. MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 6; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4 ff. 135 Enneking, Foreign direct liability, S. 220; Kreutz, causa sport 2014, 23, 29; Spießhofer, NJW 2014, 2473, 2474; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 387. 136 Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 36 (S. 11). 137 Schulz, Alien Tort Statute, S. 302 f; Kreutz, causa sport 2014, 23, 29. 138 Vgl. Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2504; Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 721 f. 139 Vgl. etwa zu den Menschenrechten in Form der UN-Leitprinzipien Spießhofer, NJW 2014, 2473, 2475 ff. 140 Siehe oben Kap. 6 II. 2. a) (S. 155 ff.). 141 Etwa in Form von selbstverpflichtenden sog. codes of conduct. Monografisch zum Begriff der Corporate Social Responsibility jüngst Kapoor, CSR und Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung.
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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(1) Menschenrechte und Corporate Social Responsibility (CSR) Die Globalisierung und insbesondere die Verlagerung von Massenproduktionen in den globalen Süden durch die Konsumgüterproduzenten des globalen Nordens haben zu einer Situation geführt, die das internationale Privatrecht herausfordert. Privatrechtliche Schadensersatzansprüche verbinden inzwischen Prozessparteien, die einen halben Globus weit voneinander entfernt sind. Auch Art. 17 Rom II-VO wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt.142 Die Frage nach der räumlichen Dimension der Vorschrift stellt sich ebenso wie diejenige nach ihrer sachlichen Dimension. Hier muss insbesondere geklärt werden, ob Art. 17 Rom II-VO in der Lage ist, Rechtsverstöße in globalen Liefer- und Produktionsketten internationalprivatrechtlich abzubilden und ob das immer stärker diskutierte sogenannte soft law in Form von grundsätzlich unverbindlichen Verhaltensstandards wie etwa Codes of Conduct als Ausfluss der Corporate Social Responsibility, aber auch die Menschenrechte, unter den Begriff der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Art. 17 Rom IIVO zu fassen sind.143 Die Ausgangsprobleme dieser Fallgestaltungen liegen vor allem im materiellen Recht. So besteht meist eine Liefer- und Produktionskette, deren „Kopf“, meist in Form einer Muttergesellschaft, zivilrechtlich haftbar gemacht werden soll. Dies entspricht etwa den Textilproduktionssachverhalten. Hier soll dem im globalen Norden ansässigen Mutterkonzern ein rechtliches Fehlverhalten vorgeworfen werden, um eine Haftpflicht für den Erfolgseintritt am anderen Ende der Produktionskette im globalen Süden zu begründen.144 Dies wirft unabhängig vom anzuwendenden oder zu berücksichtigenden Recht ganz erhebliche Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme im materiellen Recht auf.145 Zudem dürften Beweisschwierigkeiten die Regel sein. Soweit es aber gelingt, die erforderliche Kausalität und Zurechnung zwischen dem (zuzurechnenden organschaftlichen) Verhalten des Mutterkonzerns und dem Erfolgseintritt im lokalen Produktionsmarkt nachzuweisen, ist alsbald auch die rechtliche Vorwerfbarkeit jenes Verhaltens zu ermitteln. In diesem Zusammenhang erscheint fraglich, ob für die Beurteilung des Schädigerverhaltens auch die Menschenrechte146 oder privatautonom bindende, einseitige Verpflichtungserklärungen des Schädigers berücksichtigungsfähig nach Art. 17 Rom II-VO sind.
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Nachw. siehe oben Kap. 2 Fn. 250 (S. 56). Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2504. 144 Vgl. Güngör, Sorgfaltspflichten, S. 119 ff. Konkrete Beispiele finden sich bei SaageMaaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2500. 145 Ausführlich Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 757 ff., 771 ff. 146 In schriftlicher Form beispielsweise nach der EMRK oder den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. 143
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
Mit dem bisher Gesagten147 ist für die Berücksichtigungsfähigkeit von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art. 17 Rom II-VO Bindungswirkung der Normen am Handlungsort zu verlangen. Den Menschenrechten fehlt es genau daran,148 sie können daher nicht pauschal berücksichtigt werden. Auch die im deutschen Recht verankerten Grundrechte, die private Unternehmen zumindest mittelbar binden, können nicht berücksichtigt werden. Sie sind zwar positives staatliches Recht und damit im Gegensatz zu den Menschenrechten hard law. Allerdings unterfallen Sie nicht dem engen Begriff der „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ des Art. 17 Rom II-VO, denn ihr Zweck besteht in einer abstrakten Abwehrfunktion gegenüber dem Staat.149 Hinreichend bestimmte Sicherheits- und Verhaltensanforderungen für den Einzelfall lassen sich den Grundrechten dagegen nicht entnehmen, sondern müssen durch konkretisierende Gesetze mit Bindungswirkung auch zwischen Privaten erst entwickelt werden150 sodass eine Berücksichtigung im Rahmen von Art. 17 Rom II-VO ausgeschlossen ist.151 Ebensolches gilt regelmäßig auch für Codes of Conduct, die zumeist Absichtserklärungen enthalten, aber keine konkreten Ansprüche einzelner Adressaten begründen152. Die Probleme bei der Feststellung der rechtlichen Bindungswirkung von CSR und Codes of Conduct zeigen sich exemplarisch an der CSR-Richtlinie und deren Umsetzung. Zwar werden bestimmten Konzernen in den neuen §§ 289a–289e HGB und §§ 315a–315d HGB bestimmte Handlungspflichten auferlegt. Diese Verpflichtungen der Konzerne beschränken sich indes auf Berichte und Erklärungen, etwa zu Belangen aus Umwelt- und Menschenrechten.153 Eine konkrete und vor allem sanktionierbare Verhaltenspflicht über diese Berichts- und Erklärungspflichten hinaus ergibt sich aus diesen Vorschriften indes gerade nicht.154 Insbesondere entstehen bei einer Verletzung der Berichtspflichten allenfalls Ansprüche der Gesellschaft bzw. der Aktionäre gegenüber dem Vorstand und/oder Aufsichtsrat; Ansprüche der unmittelbar durch die Menschrechtsverletzungen Betroffenen entstehen dagegen gerade
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Insb. oben Kap. 6 II. 2. a) (S. 155 ff.). Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 36 (S. 11). 149 Spießhofer, NJW 2014, 2473, 2475. 150 Spießhofer, NJW 2014, 2473, 2475. 151 Stellte man dagegen auf eine universelle Bindungswirkung etwa der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ab, so wäre kollisionsrechtlich in der Regel bereits keine Berücksichtigung dieser Prinzipien erforderlich, da die UN-Prinzipien als Teil nahezu jeder Rechtsordnung der Welt bereits Teil des jeweils berufenen Deliktsstatuts wären. Vgl. Spießhofer, NJW 2014, 2473, 2475. 152 Enneking, Foreign direct liability, S. 388; Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 778. Zurückhaltend, aber i.E. a.A. Schulz, Alien Tort Statute, S. 303. 153 Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 411 f. 154 Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 777. 148
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nicht.155 Die CSR-Richtlinie steht damit geradezu paradigmatisch für das Grundproblem des gesamten Komplexes der transnationalen Konzernstrukturen. Verbindlichkeit entsteht allenfalls dann, wenn CSR-basierte Verhaltenskodizes oder auch die Menschenrechte aufgrund parteiautonomer Einbeziehung zwischen den Parteien wirksam geworden sind. Dazu wird in den meisten Fällen indes ein Vertragsverhältnis erforderlich sein. Unter engen Voraussetzungen kann auch eine einseitige Verpflichtungserklärung Bindungswirkung entfalten. Die meisten aktuellen Erklärungen dieser Art sind insoweit aber bewusst unterschwellig formuliert, sodass sich hieraus meist nichts weiter ergibt. Insbesondere fehlt es regelmäßig an einem konkreten Adressaten der Selbstverpflichtungserklärung. Der Empfängerkreis solcher Verhaltenskodizes ist in der Regel unbeschränkt, die Erklärungen sind regelmäßig öffentlich zugänglich und damit von jedermann einsehbar. Ein konkreter Gläubiger(kreis) der erklärten Selbstverpflichtung ist diesen Erklärungen indes nicht zu entnehmen, sodass keine konkrete, einforderbare Verhaltenspflicht entsteht und die Berücksichtigung solcher Regeln und Normen nach Art. 17 Rom II-VO daher mit dem hier vorgelegten Konzept mangels Rechtsqualität ausscheidet. (2) Privat gesetztes Recht In den Bereich des soft law lassen sich bei weitem Verständnis auch Regelwerke privater Verbände einordnen.156 Nahezu exemplarisch ist diese Diskussion anhand der von dem privaten Sportverband FIS entwickelten Verhaltensregeln im Skisport geführt worden.157 Die Überlegungen zum Straßenverkehrsunfallrecht sind durch die Rechtsprechung insoweit prima facie konsequent auch auf den Bereich der Verhaltensregeln im Skisport übertragen worden.158 Abstrahiert lässt sich für die herrschende Meinung insgesamt sagen, dass Sicherheits- und Verhaltensregeln in ihrer jeweiligen Ausprägung durch das Straßenverkehrsunfallrecht, Sportverhaltensregeln u.ä. in allen Lebensbereichen, die eine Art Verkehrsfluss umfassen (insbesondere im Sport und im motorisierten- und nichtmotorisierten Verkehr) berücksichtigt werden können.159 In Deutschland entspricht dies regelmäßig denjenigen Lebensbereichen, die überwiegend nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung geregelt werden. Für die Einordnung der FIS-Regeln als „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ i.S.v. Art. 17 Rom II-VO kann zunächst festgehalten werden, dass sie offenkundig der Sicherheit im Sinne von Unfallverhütung und Ordnung des Ski155
Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 412 f. Kreutz, causa sport 2014, 23, 29. 157 Siehe oben Kap. 3 II. 1. b) (S. 94 ff.). 158 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 34. 159 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 34; Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2, 4. 156
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
verkehrs dienen sollen. Zur Erreichung dieses Ziels enthalten sie zudem vorrangig Elemente der Verhaltenssteuerung in Form von Verhaltensappellen.160 In sachlicher Hinsicht entsprechen sie damit den Anforderungen des Art. 17 Rom II-VO. Fraglich erscheint, ob sie auch den formellen Anforderungen des Begriffs „Regel“ und der Qualifikation „in Kraft“ entsprechen. Dafür ist nach dem Gesagten erforderlich, dass die FIS-Regeln nach Maßgabe des am Handlungsort geltenden Rechts rechtsverbindliche Wirkung entfalten. Sie müssen mindestens den Anforderungen an das Gewohnheitsrecht entsprechen oder im Wege der Privatautonomie verbindliche Wirkung erlangen.161 Im Ergebnis lässt sich daher entgegen der herrschenden Meinung festhalten, dass die FIS-Regeln und ähnliche privat gesetzte Standards in der Regel grundsätzlich nicht dem Art. 17 Rom II-VO unterfallen.162 Anders liegt es aber, wenn sich die Geltung solcher Regeln etwa aus dem Binnenverhältnis der Beteiligten, durch Vertragsschluss oder gemeinsame Verbandsangehörigkeit, ergibt.163 dd) Unterscheidung zwischen örtlichen und überörtlichen data Die Unterscheidung von local data in solche, die örtlich gebunden sind und solche, die überörtliche Wirkung haben, kann als eine der zentralen Weiterentwicklungen der Datumtheorie durch das Schrifttum angesehen werden.164 Die deutsche Rechtsprechung hat diese Unterscheidung im Rahmen des ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzips bereits mehrfach vorgenommen.165 Auch im Rahmen des Tatbestandes von Art. 17 Rom II-VO wird eine solche Unterscheidung nunmehr diskutiert. Dabei scheint zweifelhaft, ob dem Wortlaut überhaupt eine inhaltliche Differenzierung bei der Auslegung des Begriffes der „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ entnommen werden kann. Einige Literaturstimmen differenzieren auch im tatbestandlichen Rahmen von Art. 17 Rom II-VO nach örtlichen und überörtlichen data.166 Dabei stützt sich diese Ansicht maßgeblich auf die Fortführung der bereits zum ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzip entwickelten Ansätze.167 Für eine solche Unterscheidung spricht zudem, dass der Wortlaut die Entscheidung über das Ob und Wie der Berücksichtigung in das Ermessen des Richters stellt.
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Eckert, GPR 2015, 303, 306; Sälzer, Skiunfälle, S. 294. Dazu ausführlich oben Kap. 6 II. 2. a) (S. 155 ff.). Diehl, IPRax 2018, 371, 375 f. 162 A.A. Pfeiffer, A., ZfSch 2010, 542, 546. 163 Siehe oben Kap. 3 I. 3. b) (S. 83 ff.). 164 Oben Kap. 3 I. 3. c) (S. 85 ff.). 165 Nachw. siehe oben Kap. 3 II. 1. a) (S. 88 ff.). 166 Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3; de Lima Pinheiro, Riv.dir. int.priv.proc. 44 (2008), 5, 33 f. 167 NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 38. 161
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Die Vertreter der Gegenansicht sind der Auffassung, dass Art. 17 Rom IIVO jedenfalls tatbestandlich keine Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen local data zulässt. Hierzu führen sie insbesondere den Wortlaut der Norm als Argument an.168 So sehen weder Art. 17 Rom II-VO noch Erwägungsgrund 34 der Verordnung eine solche Unterscheidung ausdrücklich vor. Sie müsste also als ungeschriebenes Tatbestandselement Eingang in die Vorschrift gefunden haben. Daher fragt sich, ob dies dem Telos entspricht. Dazu wird erwogen, dass die Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen local data nicht zweckdienlich sei, da sie mit hoher Rechtsunsicherheit einherginge.169 Die örtliche Gebundenheit festzustellen stellt sich insoweit als große Schwierigkeit dar, die sich von abstrakten Regeln kaum erfassen lässt. Während etwa Geschwindigkeitsbegrenzungen und die Festlegung einer bestimmten Straßenseite noch problemlos als örtlich gebundene local data erfasst werden können, lässt sich die Frage, wie es sich etwa mit dem Gebot der Verwendung des Tagfahrlichtes oder der Einhaltung einer Mindesttiefe des Reifenprofils verhält, kaum abstrakt beantworten.170 Diese Einwände überzeugen. Richtigerweise kann dem Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO keine unmittelbare Unterscheidung von örtlich gebundenen und örtlich ungebundenen Sicherheits- und Verhaltensregeln entnommen werden, zumal ausdrücklich ohnehin nur die Sicherheits- und Verhaltensregeln nur eines Orts, des Handlungsorts, berücksichtigt werden können.171 Mit einer differenzierenden Schrifttumsansicht ist als Tatbestandsmerkmal daher lediglich die Qualität der zu berücksichtigenden Regel als Sicherheits- und Verhaltensregel festzustellen. Das macht die Unterscheidung von örtlichen und überörtlichen Regelungen aber nicht obsolet. Vielmehr verlagert sich deren Einfluss in die Prüfung der Angemessenheit der Normberücksichtigung.172 3. Berücksichtigung a) Dogmatik Kern und verordnungsinternes Unterscheidungsmerkmal des Art. 17 Rom IIVO ist der Berücksichtigungsbefehl. Erforderlich ist auch im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO eine allgemeingültige und möglichst breit anerkannte Dogmatik, die die Vorhersehbarkeit der Funktionsweise des Art. 17 Rom II-VO
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BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 31; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 13; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 38. 169 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 193 f., 210. 170 Stoll, in: Vorschläge und Gutachten, 160, 177; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 446 ff. 171 Ausführlich hierzu siehe unten Kap. 6 II. 4. (S. 174 ff.). 172 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 13; NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom IIVO Rn. 39. Dazu unten Kap. 6 II. 4. (S. 174 ff.).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
und zugleich den internationalen Entscheidungseinklang fördert.173 Dem Rechtsanwender muss klar sein, welche Handlungsanforderung der positivrechtliche Berücksichtigungsbefehl an ihn stellt. Wesentliche Anforderung an die Auslegung des abstrakten Berücksichtigungsbegriffes ist daher die Reproduzierbarkeit des zugrundeliegenden dogmatischen Vorgangs. Historie, Wortlaut und Ratio der Norm zeigen, dass Art. 17 Rom II-VO auf die Datumtheorie und deren Rezeption zurückgeführt werden kann.174 Vorliegend wurde in diesem historischen Kontext ein umfassendes Konzept für die Berücksichtigung entwickelt. Wie fügt sich dies nun in den Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO ein? Kapitel 4 dieser Untersuchung zeigt, dass der Berücksichtigungsbefehl und insbesondere seine Abgrenzung zur Anwendung von Recht in der Vergangenheit große tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, z.T. auch Missverständnisse verursacht hat. Diese terminologischen Diskrepanzen und die Unsicherheit hinsichtlich der konkreten rechtspraktischen Umsetzung der Berücksichtigung175 prägen zunächst auch die Betrachtung des Art. 17 Rom II-VO. Die Übertragung der Erkenntnisse zur Bedeutung und Funktionsweise der Berücksichtigung auf den positivrechtlichen Art. 17 Rom II-VO gebietet die Vorschrift aber schon deshalb, weil die faktische Berücksichtigung Teil des Normwortlauts ist: Art. 17 Rom II-VO bestimmt, dass der Rechtsanwender die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Orts der schadensursächlichen Handlung „faktisch [...] zu berücksichtigen“ hat. In diesem Rahmen ist die in Kapitel 4 entwickelte Dogmatik der Renormativierung von Sicherheits- und Verhaltensregeln auf den Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO vollständig übertragbar. Der Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO lässt dies ohne größere Schwierigkeiten zu. Denn die Norm verlangt nicht lediglich eine „Berücksichtigung“ von Sicherheits- und Verhaltensnormen. Vielmehr präzisiert sie für die Dogmatik der Berücksichtigung, dass diese „faktisch und soweit angemessen“ zu erfolgen hat. „Faktisch“ lässt sich in negativer Abgrenzung als jedenfalls nicht „normativ“ definieren. Damit ist eine unmittelbare Anwendung der lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln als Rechtsnormen nach dem Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO ausgeschlossen. Bei Art. 17 Rom II-VO handelt es sich mithin nicht um eine Kollisionsnorm.176 Vielmehr implementiert die Norm damit den hier entwickelten Renormativierungsansatz vollumfänglich über die Begriffe „faktisch“ und „soweit angemessen“ in die Sachrechtsanwendung. 173
Vgl. dazu auch Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 180 (insb. Fn. 89). Dazu oben Kap. 5 (S. 135 ff.). Ferner EncycPIL/Dornis, Stichwort Local data, S. 1166 f. 175 Hierzu ausführlich oben, Kap. 4 I. 1. (S. 109 ff.). 176 In diesem Sinne auch Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 3; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 10. A.A. wohl Mankowski, IPRax 2010, 389, 390; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 5. 174
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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b) Methodik Damit determiniert bereits die Dogmatik des Art. 17 Rom II-VO in nicht unerheblichem Maße die Methodikfrage. Im Ausgangspunkt stellt sich gerade im Schrifttum aber auch hier die Frage, was unter „berücksichtigen“ i.S.v. Art. 17 Rom II-VO unter methodischen Gesichtspunkten zu verstehen ist. Einhellig wird der spezifische Berücksichtigungsbefehl des Art. 17 Rom II-VO wie das ungeschriebene Berücksichtigungsprinzip zunächst in Abgrenzung zum „klassisch“ savigny’schen Rechtsanwendungsbefehl des IPR ausgelegt.177 Diese Vorstellung prägte auch den Verordnungsgebungsprozess. So stellt die Kommission in der Begründung ihres Verordnungsvorschlags fest: „Es gilt, zwischen der Berücksichtigung fremden Rechts und seiner Anwendung zu unterscheiden [...].“178 Wohl noch überwiegend wird insoweit befunden, dass die Berücksichtigung ein Minus zur Anwendung, in ihrer Wirkweise also schwächer als die Anwendung sei.179 Differenzierung sei jedoch geboten, wenn es um die Frage der praktischen Auswirkungen der Abgrenzung von Anwendung und Berücksichtigung geht. So wird beispielsweise vertreten, dass das Minus zur Anwendung auch auf null reduziert werden könne und damit im Ergebnis einer Anwendung gleichkomme.180 Dem ist mit den oben gewonnenen Erkenntnissen zu entgegnen, dass zwar das Ergebnis von Anwendung und Berücksichtigung im Einzelfall identisch sein kann. Die dahinterstehende Dogmatik unterscheidet sich wie gezeigt aber erheblich181 und verlangt präzise Konturierung. Auch hier gilt: Anwendung und Berücksichtigung stehen nicht als alternative Methoden nebeneinander.182 Der Wortlaut der Norm ist hinsichtlich der methodischen Anforderungen nur eingeschränkt aufschlussreich. Dies hat zur Folge, dass auch nach der Positivierung verschiedene methodische Ansätze vertreten werden. aa) Sachrechtliche Berücksichtigung Wohl überwiegend findet sich eine methodische Eingliederung des Berücksichtigungsbefehls in Art. 17 Rom II-VO nach den Kriterien der sachrechtlichen Tatbestandsausfüllung.183 Die nach Art. 17 Rom II-VO zu 177
Z.B. Dickinson, Rome II, 15.33; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 176, 178. Dok. KOM(2003) 427 endg., S. 28. 179 Ausführlich zu dieser Terminologie Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 235. 180 Pfeiffer, Th., in: LA Schurig, 229, 234 vertritt dies beispielsweise für die Problematik der Straßenverkehrsunfälle. Ähnlich NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 62; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 212 f. 181 Krit. auch Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 176 f. 182 Ausführlich oben Kap. 4 I. 1 (S. 109 ff.). 183 Dickinson, Rome II, 15.33; Erman-BGB/Hohloch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4; MüKoBGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2 f.; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 8, 10. 178
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln sind demnach abweichend vom Deliktsstatut als Tatsachenelement heranzuziehen, aber nicht anzuwenden.184 Wie bereits in der Entwicklung der Berücksichtigungsdogmatik gezeigt wurde, reicht diese abstrakte Erklärung des Phänomens der Berücksichtigung jedoch nicht aus, sondern bleibt zu sehr im Vagen. Denn auch hier besteht das Problem, dass ganz überwiegend mit lediglich narrativem Effekt eine Berücksichtigung der Norm als Tatsache bzw. Sachverhaltselement behauptet wird, ohne dass eine klar nachzuvollziehende methodische Abgrenzung zur Rechtsanwendung gelingt. Zudem bleibt ungeklärt, ob es sich bei Art. 17 Rom II-VO um ein kollisions- oder materiellrechtliches Phänomen handelt. Die sachrechtliche Berücksichtigung eignet sich daher nicht für die Bestimmung der methodischen Ratio des Berücksichtigungsprinzips in Art. 17 Rom II-VO. bb) Anwendung Auch in Bezug auf Art. 17 Rom II-VO finden sich weiterhin Stimmen, die die Methode der Sonderanknüpfung und damit im Ergebnis die Anwendung der Sicherheits- und Verhaltensregeln befürworten.185 Exemplarisch für diese Auffassung bezeichnet Dornis die Berücksichtigung in einer jüngeren Auseinandersetzung mit der Datumtheorie186 als „irreführend[e] [...] Ausweichterminologie“187. Die fremden Rechtsnormen behielten demnach ihre Rechtsqualität. Auch wenn die Bezeichnung „Berücksichtigung“ vorherrschend sei, finde tatsächlich immer eine Anwendung und die Durchsetzung der Regelungszwecke dieser Vorschriften statt.188
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MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 177 f.; Frese, NZV 2017, 53. 185 So z.B. Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 366; Mankowski, IPRax 2010, 389, 390; Pfeiffer, A., ZfSch 2010, 542, 546; Trüten, EuZ 2008, 82, 86; Wagner, G., IPRax 2008, 1, 5. Unter dem Vorbehalt richterlichen Ermessens auch de Lima Pinheiro, Riv.dir.int.priv.proc. 44 (2008), 5, 33. In Betracht zieht dies zunächst auch Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 212 f., der diese Möglichkeit aufgrund der legislativen Historie und des Wortlauts wieder verwirft. Gegen die Anwendung von Sicherheits- und Verhaltensregeln auch Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 177 f. Stoll vertrat zwar für viele Jahre den Ansatz der sachrechtlichen Berücksichtigung i.S.d. Datumtheorie; inzwischen zieht er jedoch die Methode der Sonderanknüpfung auch für Art. 17 Rom II-VO vor: Stoll, in: FS Reischauer, 389, 408 unter Verweis auf Dörner, in: FS Stoll, 491, 498, der die Methode der Sonderanknüpfung noch vor der Einführung des Art. 17 Rom II-VO vertrat und heute für die Berücksichtigung auf Sachrechtsebene eintritt: HK-BGB/Dörner, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2. 186 Hierzu und auch zum Folgenden Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 196 f. 187 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 197. 188 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 195.
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Im Sinne der Rechtsklarheit und einer mutmaßlichen Methodenehrlichkeit mag die damit angestrebte Lösung zunächst reizvoll erscheinen. Allein: Sie steht wie gezeigt weder im Einklang mit Ratio und Wortlaut, noch mit der Dogmatik des Art. 17 Rom II-VO. Letzteres erkennt auch Dornis an und benennt insoweit den „klaren Gesetzeswortlaut“189 des Art. 17 Rom II-VO, der gerade nicht von einer Anwendung, Sonderanknüpfung, Vorfrage oder Verweisung, sondern von der Berücksichtigung spricht. In der Sache will Dornis aber gleichwohl und damit contra legem an der Sonderanknüpfung festhalten. Dagegen spricht indes nicht nur der klare Wortlaut „zu berücksichtigen“. Auch die Begründung der Kommission zu ihrem Vorschlag von 2003 lässt eindeutig erkennen, dass der Verordnungsgeber einen klaren Unterschied zwischen der Anwendung und der Berücksichtigung einer Norm sieht:190 „Es gilt, zwischen der Berücksichtigung fremden Rechts und seiner Anwendung zu unterscheiden [...]“191. Dem lässt sich entnehmen, dass jedenfalls eine Anwendung vom Verordnungsgeber eindeutig nicht intendiert war. Die Anwendung einer Norm als Rechtssatz, wie sie die Sonderanknüpfung zur Folge hat192, kann daher insgesamt nicht als vom Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO umfasst betrachtet werden.193 cc) Zwei-Stufen-Theorie Der Wortlaut macht vielmehr deutlich, dass mit der Berücksichtigung ein methodischer Vorgang sui generis beabsichtigt ist, indem er auf die „faktisch[e]“ Berücksichtigung abstellt. Noch eindeutiger war dies in der ursprünglich vom Parlament vorgeschlagenen Fassung, in der es hieß, der fremde Rechtssatz sei „[...] wie ein Sachverhaltselement zu berücksichtigen, sofern dies angemessen ist“.
Dies kann so verstanden werden, dass der zu berücksichtigende Rechtssatz als Faktum, mithin als subsumtionsfähiges Sachverhaltselement Eingang in die rechtliche Wertung finden soll. Dies wird mit der hier vorgeschlagenen Renormativierung erreicht. Art. 17 Rom II-VO ist Teil einer kollisionsrechtlichen Verordnung. Damit bewegt sich Art. 17 Rom II-VO ebenso wie das Berücksichtigungsprinzip weitgehend in den Bahnen der Zwei-Stufen-Theorie.194 Erforderlich ist demnach ein materiellrechtlicher Normentatbestand, der mithilfe
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Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 197. von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 140. 191 Begr. zum Vorschlag der Kommission vom 22.6.2003, Dok. KOM(2003) 427 endg. S. 28. 192 Näher hierzu siehe oben Kap. 3 I. 2. c) aa) (S. 71 f.). 193 Dickinson, Rome II, 15.33; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2 f.; Aubart, Behandlung der dépeçage, S. 173; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 176; Sälzer, Skiunfälle, S. 176; 290; von Hein, in: FS Kropholler, 553, 564. 194 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4; Rentsch, GPR 2015, 191, 194. 190
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des nach Art. 17 Rom II-VO zu berücksichtigenden Rechts auszufüllen ist.195 Rechtspraktisch bedeutet dies, dass Art. 17 Rom II-VO auf der (ersten) Stufe des Kollisionsrechts zunächst keine Bedeutung zukommt.196 Erst auf der (zweiten) Stufe des Sachrechts, also in der sachrechtlichen Beurteilung des Lebenssachverhalts, kommt Art. 17 Rom II-VO demnach zum Tragen. 4. Angemessenheit Die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art. 17 Rom II-VO unterliegt einer Angemessenheitskontrolle. Dieses Angemessenheitserfordernis bestimmt gleichermaßen über „Ob“ und „Wie“ (i.S.v. „wie umfangreich“) der faktischen Berücksichtigung.197 Während der Wortlaut der Norm also zunächst mit der faktischen Berücksichtigung den rechtstechnischen Vorgang einer Renormativierung beschreibt, kommt der Angemessenheitskontrolle die entscheidende internationalprivatrechtliche Interessenabwägung der Zwei-Stufen-Theorie zu. Der rechtspraktische Anknüpfungspunkt für diese Abwägung ist die Lokalisierung des für die Parteien billigerweise erwartbaren und damit internationalprivatrechtlich vorhersehbaren Verkehrskreises der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln. Dabei gibt Art. 17 Rom II-VO bereits einschränkend vor, dass ohnehin ausschließlich Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts berücksichtigt werden können. Die Angemessenheitskontrolle reduziert sich damit auf die Frage, ob der Verkehrskreis des deliktischen Handlungsorts für die Parteien angemessenerweise vorhersehbar und erwartbar war. In sachlicher Hinsicht ist das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit gedanklich zunächst aufzuspalten. Die Analyse der Ratio des Art. 17 Rom II-VO hat diese Zweiteilung der Ziele und Zwecke der Norm gezeigt.198 Daraus ergeben sich im Rahmen der Angemessenheitsprüfung die Ergänzungsfunktion für Platzdelikte und die Korrekturfunktion für Distanzdelikte. a) Platzdelikte Die ratio legis erstreckt sich für Platzdelikte auf eine Ergänzung des Deliktsstatuts.199 Typischerweise kann hier erneut der Verkehrsunfall im Ausland als Beispiel dienen. Wenn die Unfallbeteiligten einen gemeinsamen Aufenthalt in einem anderen Land als dem Ort des Unfallgeschehens teilen, ist kollisions195
So auch Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 178 f. Rentsch, GPR 2015, 191, 194. 197 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 30; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 26; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 11. 198 Dazu oben Kap. 2 IV. 1. d) (S. 41). 199 Vgl. MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 19, der diese Funktion als partielle Wiederherstellung der Tatortanknüpfung bezeichnet. 196
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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rechtlich hieran anzuknüpfen. Gleichzeitig erscheint in dieser Situation aus internationalprivatrechtlichen wie auch materiellrechtlichen Gründen keine der beteiligten Parteien hinsichtlich der Berücksichtigung lokaler Sicherheits- und Verhaltensregeln schützenswerter als die jeweils andere. Schädiger und Geschädigter konnten vielmehr gleichermaßen die maßgeblichen Sicherheits- und Verhaltensregeln für das deliktische Geschehen vorhersehen. Wertungsmäßig entstehen bei solchen Platz- und Punktdelikten daher regelmäßig keine Friktionen, wenn nach Art. 17 Rom II-VO Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts berücksichtigt werden.200 Art. 17 Rom II-VO funktioniert hier weitgehend ordnungsrechtlich und damit überwiegend wertneutral. Die Berücksichtigung erscheint „evident“201 bzw. „selbstverständlich“202 und daher tatbestandsmäßig angemessen.203 Innerhalb der Angemessenheitsprüfung erlangt im Rahmen von Platzdelikten aber die Unterscheidung von örtlich gebundenen und überörtlichen data ihre wesentliche Bedeutung.204 Denn diese Unterscheidung findet wie gezeigt nicht eigenständig als Tatbestandsvoraussetzung oder innerhalb des Tatbestandsmerkmals der „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ statt.205 Die Unterscheidung von local data nach örtlicher Gebundenheit hat im Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO zudem eine deutlich begrenztere Funktion als im ungeschriebenen Recht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut. Art. 17 Rom II-VO lässt ausdrücklich lediglich die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts zu. Daraus lässt sich rückschließen, dass Sicherheits- und Verhaltensregeln, die einer vom Handlungsort abweichenden Rechtsordnung entstammen, jedenfalls nicht zu berücksichtigen sind.206 Findet also ein Insassenunfall zweier Deutscher im Ausland statt und ist Deliktsstatut das deutsche Recht, so können etwa die Blutalkoholgrenzen des deutschen Rechts nicht überörtlich und grenzüberschreitend im Wege der Berücksichtigung „mitgenommen“ werden. Denn die Regeln des deutschen Rechts sind in diesem Fall gerade nicht am Ort der haftungsbegründenden Handlung in Kraft. Art. 17 Rom II-VO erfüllt in diesem Falle vielmehr eine negative Funktion, indem er vorgibt, welche Regeln des Handlungsorts aus Angemessenheitserwägungen nicht zu berücksichtigen sind. Im Beispielsfalle gibt Art. 17 Rom IIVO demnach vor, dass die örtlichen Blutalkoholgrenzen des (ausländischen) Handlungsorts nicht berücksichtigt werden dürfen. Stattdessen sind sie dem anwendbaren Recht zu entnehmen und unterfallen regulär dem Deliktsstatut nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO. Demnach kann die Unterscheidung von local 200
BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 71. Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 158. 202 Nachw. siehe oben Kap. 1 Fn. 22 (S. 7). 203 Vgl. Wagner, G., IPRax 2008, 1, 5. 204 In der Sache zurückhaltend BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 72 f. 205 Dazu siehe oben Kap. 6 II. 2. d) dd) (S. 168 f.). 206 A.A. Dickinson, Rome II, 15.15.34. 201
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data in örtlich gebundene und örtlich ungebundene eingeschränkt auch unter Art. 17 Rom II-VO Bedeutung erlangen.207 b) Distanzdelikte Liegt dagegen ein Distanzdelikt vor, so ergänzt Art. 17 Rom II-VO das Deliktsstatut nicht, sondern er korrigiert und verengt es.208 Die Vorschrift erfüllt in diesen Konstellationen originär kollisionsrechtliche Funktionen. Denn maßgeblich für die Angemessenheit der Berücksichtigung nicht anwendbarer Sicherheits- und Verhaltensregeln ist die (internationalprivatrechtliche) Vorhersehbarkeit des einschlägigen Verhaltensmaßstabes des Handlungsorts.209 Freilich erfüllt diese internationalprivatrechtliche Funktion wie gezeigt als Nebenprodukt mitunter auch das Bedürfnis nach materiellrechtlicher Korrektur des im Einzelfall unzureichenden Ergebnisses der Rechtsanwendung.210 In der Bestimmbarkeit der Angemessenheitsvoraussetzungen für die Berücksichtigung lokaler Sicherheits- und Verhaltensregeln liegt indes das größte Defizit des Art. 17 Rom II-VO. So gibt der Verordnungsgeber keine weiteren Anhaltspunkte oder Kriterien zur Konkretisierung des Angemessenheitserfordernisses vor. Es finden sich allenfalls Hinweise auf eine intendierte Ermessensstärkung zugunsten des Rechtsanwenders. Damit verbunden sind indes erhebliche Anwendungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheit. Zur Lösung hilft hier allein die Systematik der Verordnung weiter. So wurde gezeigt, dass die Rom II-VO und insbesondere die Grundanknüpfungsregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO zunächst die Interessen des Geschädigten erheblich begünstigt. Diese Begünstigung nimmt bewusst in Kauf, dass berechtigte Schädigerinteressen wie etwa ein rechtssicher vorhersehbarer Verhaltensmaßstab zurückbleiben. Auch das materiellrechtliche (staatliche) Ziel einer wirkungsvollen Verhaltenssteuerung wird durch eine solche Anknüpfung gefährdet. Wenn Art. 17 Rom II-VO daher auf die Konstellation eines Distanzdelikts angewandt wird, kann dies grundsätzlich nur zum Zweck eines angemessenen Interessenausgleiches zugunsten der aus Schädigersicht vorhersehbaren Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts erfolgen.211 Ganz entscheidendes Gewicht kommt daher der Angemessenheitsprüfung zu. Letztlich erzwingt die Vorschrift in diesen Fällen eine erneute Prüfung der Interessen aller Beteiligten und die Begünstigung entweder des Schädigers oder des Geschädigten durch 207
NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 39. Vgl. insoweit auch MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 29. 208 MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 20; Trüten, EuZ 2008, 82, 86. 209 Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f.; Symeonides, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 213. A.A. (jedenfalls auf Ebene des Kollisionsrechts) nach altem Recht Lorenz, W., in: Vorschläge und Gutachten, 97, 116. 210 Siehe oben Kap. 6 I. 2. (S. 145 ff.). 211 Vgl. Wagner, G., RabelsZ 80 (2016), 717, 742.
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den Rechtsanwender. Dies geschieht auch dann, wenn Art. 17 Rom II-VO nicht angewandt wird, denn in diesem Fall wird wie gezeigt regelmäßig der Geschädigte von dem Recht des Erfolgsorts profitieren. Art. 17 Rom II-VO ist daher restriktiv anzuwenden. Art. 17 Rom II-VO enthält eine internationalprivatrechtliche, nicht aber eine materiellrechtliche Günstigkeitsregel zum Schutz des Schädigers, dessen Verhaltensmaßstab an den Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts ausgerichtet werden muss, soweit dies angemessen erscheint. Anhaltspunkt für die Bestimmung der Angemessenheit einer Berücksichtigung lokaler Sicherheits- und Verhaltensregeln ist somit die Vorhersehbarkeit der Einschlägigkeit dieser Regeln.212 Maßgeblich ist insoweit vor allem die Schädigersicht, denn der Schädiger muss sich im Zweifel auf die Regeln am Handlungsort verlassen und berufen können. Zusätzliche besondere internationalprivatrechtliche Voraussetzung bei Distanzdelikten ist daher, dass der Schädiger das einschlägige Erfolgsortrecht 1. nicht vorhersehen konnte, 2. nicht vorhersehen musste, 3. nicht vorhergesehen hat. Hat der Schädiger demnach das einschlägige Erfolgsortrecht positiv gekannt bzw. vorhergesehen oder hätte er dies tun müssen, so ist er in Bezug auf seine Rechtserwartungen nicht mehr schutzwürdig. Art. 17 Rom II-VO verfängt sodann mangels Angemessenheit einer Berücksichtigung der lokalen Sicherheitsund Verhaltensregeln nicht. Grundsätzlich keine Bedeutung kommt dabei dem z.T. als maßgeblich unterstellten Kriterium zu, ob die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort strenger oder großzügiger als diejenigen der lex causae sind, denn auch hinsichtlich dieser Fragestellung trifft Art. 17 Rom II-VO keine Aussage.213 Dabei wird erwogen, dass die Berücksichtigung eines strengeren Verhaltensmaßstabes am Handlungsort den Geschädigten schützt, während die Berücksichtigung eines großzügigeren Verhaltensmaßstabes am Handlungsort den Schädiger schützt. Im Einzelfall mag dies das Ergebnis der Berücksichtigung sein. Diese Kriterien entsprechen aber nicht dem internationalprivatrechtlichen Blickwinkel der Vorhersehbarkeit der maßgeblichen Sicherheits- und Verhaltensregeln. Sie beruhen allein auf materiellrechtlichen Gerechtigkeitserwägungen, die dem Art. 17 Rom II-VO gerade nicht entnommen werden
212
BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 77; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 27; Schulze, G., in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 155, 164 f.; Symeonides,Am.J.Comp.L. 56 (2008), 173, 213. Vgl. zur Vorhersehbarkeit in anderem Zusammenhang bereits Delachaux, Anknüpfung, S. 162. 213 So i.E. auch BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 81.
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können. Sie sind nach dem hier vertretenen Ansatz daher ohne Belang für die Entscheidung über die Angemessenheit der Berücksichtigung im Einzelfall.214 Dieser Grundgedanke steht darüber hinaus im Einklang mit der Rechtsfigur der sogenannten Gesetzesumgehung im internationalen Privatrecht. Darunter wird im Allgemeinen die Manipulation des anzuwendenden Rechts durch gezielte Veränderung des maßgeblichen internationalprivatrechtlichen Anknüpfungsmoments, etwa durch Verlagerung des Vertragsabschlussortes, verstanden.215 Auf diese Weise kann beispielsweise ein im Vergleich zum Vertragsstatut weniger strenges Formstatut erreicht werden. Erscheint dieses Ergebnis unangemessen, so kann eine Korrektur des Anknüpfungsvorgangs über die Grundsätze der Gesetzesumgehung erreicht werden. Zu beachten ist allerdings, dass die Privatautonomie und das Ziel der Rechtssicherheit eine äußerst restriktive Anwendung dieser Grundsätze gebieten und eine praktische Anwendung daher kaum vorkommt.216 Liegt ein Fall der Gesetzesumgehung trotz dieser strengen Anforderungen vor, so ist demnach strukturell vergleichbar mit dem Regelungsmechanismus des Art. 17 Rom II-VO unter Angemessenheitsgesichtspunkten eine Korrektur des Anknüpfungsvorgangs vorgenommen werden.217 5. Rechtsfolge a) Vermutungsfunktion des Art. 17 Rom II-VO Ebenso wie für die Berücksichtigung im autonomen Recht ergibt sich aus der Renormativierungsdogmatik für Art. 17 Rom II-VO vor allem die Funktion einer gesetzlichen Vermutungsregel.218 Der Wortlaut der Norm wird nach dem hier vertretenen Konzept eng ausgelegt, sodass die Berücksichtigung selbst nicht als Rechtsfolge der Norm, sondern als Tatbestandsmerkmal verstanden wird. Liegt demnach eine Sicherheits- und Verhaltensregel i.S.v. Art. 17 Rom II-VO vor und erscheint deren Berücksichtigung angemessen, so lässt die Vorschrift auf Rechtsfolgenseite eine widerlegliche Vermutung hinsichtlich der berechtigten Verhaltenserwartungen des lokalen Verkehrskreises zu.219 Insbesondere Lehmann wendet sich ausdrücklich gegen eine Beschränkung der Funktion des Art. 17 Rom II-VO auf die Regulierung der Beweislast.220 214
BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 81. MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 282 m.w.N. 216 MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 284. 217 Die dogmatische Einordnung der Gesetzesumgehung ist im Einzelnen umstritten. Sie wird vereinzelt und je nach Erscheinungsform etwa als Fall des ordre public, aber auch als teleologische Reduktion behandelt. Näher MüKo-BGB/von Hein, Einl IPR Rn. 282, 284, jeweils m.w.N. 218 Ausführlich oben Kap. 4 I. 3. (S. 122 ff.). Vgl. auch Freitag, NJW 2018, 430, 433. 219 Freitag, NJW 2018, 430, 433. 220 NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5. Vgl. auch Eckert, GPR 2015, 303, 305. 215
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Die Vorschrift beschränke sich nicht auf die Ermittlung des Verschuldens, sondern decke darüber hinaus auch „zahlreiche andere Fragen“ ab. Für das hier vertretene Berücksichtigungskonzept kann insoweit noch einmal klargestellt werden, dass sich die Beweis- bzw. Vermutungsfunktion des Art. 17 Rom IIVO nicht unmittelbar auf das Verschulden, sondern lediglich auf die faktischen Auswirkungen der lokalen Regel an ihrem Geltungsort bezieht. Diese Vermutung kann sich sowohl auf Sicherheits- und Verhaltensregeln beziehen, die im materiellen Recht für die Feststellung des Verschuldens, als auch für solche, die für die Feststellung etwa der Rechtswidrigkeit oder „zahlreiche andere Fragen“221 relevant sind. Erst in einem zweiten Schritt führt diese Vermutung zu der Annahme, dass ein Verstoß gegen die lokale Norm auch das persönliche Verschulden des Schädigers indiziert.222 b) Verhältnis zu Art. 22 Rom II-VO Wenn Art. 17 Rom II-VO eine gesetzliche Vermutung aufstellt, so muss sein Verhältnis zu Art. 22 Rom II-VO und Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO geklärt werden. Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO schließt zunächst Fragen des Beweises vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung aus. Grundsätzlich werden Fragen der Beweislast daher nach autonomem Recht angeknüpft. Dort besteht zwar besonders in Detailfragen Streit, in der Regel findet aber die lex fori Anwendung auf Beweisfragen.223 Ausnahmen in Form von eigenen Kollisionsregeln für Form und Beweis enthalten Art. 21, 22 Rom II-VO. Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt, dass die lex causae auch insoweit anzuwenden ist, als sie gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt. Vorliegend ist herausgearbeitet worden, dass Art. 17 Rom II-VO eine gesetzliche Vermutung enthält.224 Prima facie entspricht Art. 17 Rom II-VO damit dem Anknüpfungsgegenstand des Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO. Dagegen erscheint auch zur Bestimmung der Konkurrenz zu Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO die bereits herausgearbeitete Verortung des Art. 17 Rom II-VO nach dem Konzept der Zwei- Stufen-Lehre sinnvoll.225 Art. 17 Rom II-VO kommt demnach erst innerhalb der Normen der lex causae zur Anwendung, unterliegt aber maßgeblich kollisionsrechtlichen Wertungen und Zielen. Die Vorschrift muss daher funktionell neben Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO einen Anwendungsbereich haben. Dazu kann zunächst festgestellt werden, dass Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO dem Wortlaut nach sowohl in der deutschen, als auch in der
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NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 5. Dazu oben Kap. 4 I. 3. (S. 122 ff.). Vgl. ferner Freitag, NJW 2018, 430, 433. 223 Dok. KOM(2003) 427 endg. S. 29. 224 Siehe oben, Kap. 6 II. 5. a) (S. 178 f.). 225 Dazu oben Kap. 6 II. 3. b) (S. 171 ff.). 222
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
englischen und französischen Sprachfassung offen formuliert ist.226 So wird nicht pauschal die lex causae für Beweisfragen berufen, sondern nur für den Fall, dass sie auch tatsächlich gesetzliche Vermutungen oder Beweislastverteilungsnormen enthält („insoweit“). Für alle anderen Fälle ist dagegen vorgesehen, dass die lex fori und mit ihr das autonome Kollisionsrecht über Fragen des Beweises und der gesetzlichen Vermutungen entscheidet. Daneben kann nach hier vertretener Überzeugung aber auch Art. 17 Rom II-VO, der zusammen und gleichberechtigt mit Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO als „gemeinsame Vorschrift“ des Kapitels V fungiert, diese Lücke füllen. Aus alldem ergibt sich, dass Art. 17 Rom II-VO als systematische Ausnahmeregel, jedenfalls aber als Einschränkung gegenüber Art. 22 Rom II-VO verdrängende Wirkung zukommt.227 De lege ferenda ließe sich mehr Klarheit schaffen, indem man die Aufzählung des Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO ergänzte. Die Vorschrift könnte demnach künftig wie folgt lauten: „Diese Verordnung gilt unbeschadet der Artikel 17, 21 und 22 nicht für den Beweis und das Verfahren.“
III. Zwischenergebnis Die Untersuchung der Normstruktur des Art. 17 Rom II-VO hat gezeigt, dass die Vorschrift im Bereich der unerlaubten Handlung ganz grundlegend nach Platz- und Distanzdelikten unterscheidet. Bereits in den Erwägungen zur Ratio der Vorschrift haben sich völlig unterschiedliche Funktionen der Norm herauskristallisiert. Für die Anknüpfung von Platzdelikten fungiert Art. 17 Rom IIVO als sinnvolle, in vielen Fällen ganz selbstverständliche Ergänzung des Deliktsstatuts. Im Rahmen der Angemessenheit kann zudem die Unterscheidung von örtlichen- und überörtlichen data fruchtbar gemacht werden. Anders stellt sich die Situation des Distanzdelikts dar. Hier zielt die Ratio des Art. 17 Rom II-VO nicht auf eine Ergänzung des Deliktsstatuts, sondern korrigiert die Anknüpfung an den Erfolgsort wertungsmäßig in solchen Fällen, in denen der Schädiger übermäßig benachteiligt wurde. Diese Korrektur steht zumeist den Interessen des Geschädigten entgegen. Gleichwohl kann ein solches Vorgehen notwendig sein, da die berechtigten Interessen und Erwartungen des Geschädigten bereits mit der Anknüpfung an den Erfolgsort ganz grundlegend und meist zulasten des Schädigers beachtet wurden. Ebenso wie das ungeschriebene Berücksichtigungsprinzip lässt auch der Wortlaut des 226
BeckOGK-BGB/Varga, Art. 22 Rom II-VO Rn. 5: „[...]bewusst unvollständig ausgestaltet.“ 227 U.a. als Einschränkung des Art. 22 Rom II-VO betrachten Art. 17 Rom II-VO auch Rauscher/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 22 Rom II-VO Rn. 8 und MüKo-BGB/Junker, Art. 22 Rom II-VO Rn. 9.
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
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Art. 17 Rom II-VO nach alldem ein Prüfungsprogramm zu, das im Wesentlichen der Renormativierung entspricht und damit auf der Übertragung der Verkehrskreislehre auf das internationale Deliktsrecht und den darauf beruhenden berechtigten Parteierwartungen basiert.228 Dogmatisch findet auch hier ein Renormativierungsprozess statt. Im Unterschied zu den ungeschriebenen Ansätzen ist die Berücksichtigung hier sogar im positiven Wortlaut der Norm verankert. Wortlaut und Systematik der Vorschrift verorten ihre Funktion im Kollisionsrecht, den Prüfungsstandort hingegen auf der Ebene des Sachrechts. Art. 17 Rom II-VO ist somit keine reine Kollisionsnorm,229 sondern verhilft zur Ausfüllung des nach dem Deliktsstatut anwendbaren Sachrechts und steht somit in der Nachfolge der Zwei-Stufen-Theorie. Die Ausfüllung dieser Sachnormen wird hier anhand der folgenden Kriterien vorgeschlagen: 1. Der Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO ist nur dann eröffnet, wenn der deliktische Handlungsort und das Deliktsstatut nicht übereinstimmen. Anderenfalls können die Sicherheits- und Verhaltensregeln ohne Weiteres dem Deliktsstatut unmittelbar entnommen werden. 2. Ist Art. 17 Rom II-VO anwendbar, so ist zunächst das Vorliegen einer kollisionsrechtlich nicht anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregel am Handlungsort und zur Handlungszeit festzustellen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm; die Wortlautpassagen „am Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses“ sowie „in Kraft“ verlangen aber zusätzliche Konkretisierung durch den Rechtsanwender. Dabei handelt es sich einerseits um räumlich-zeitliche Vorgaben, andererseits wird aber auch auf die Geltung bzw. das „in-Kraft“-Sein der Normen am Handlungsort abgestellt. Zusätzlich muss in sachlicher Hinsicht überprüft werden, ob die zu berücksichtigenden Regeln tatsächlich Sicherheit und Verhalten betreffen. Berücksichtigt werden zudem abweichend vom ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzip ausschließlich Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts. Art. 17 Rom II-VO kann aber auch negativ bestimmen, dass deren Berücksichtigung insgesamt unangemessen wäre und daher nicht vorzunehmen ist. In diesen Fällen bleibt es bei der Anwendbarkeit der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Deliktsstatuts. 3. Sodann muss der tatsächliche Einfluss der abstrakten Verhaltensnorm auf die Verkehrserwartung festgestellt werden. Auch dies fordert der Wortlaut der Norm: die Sicherheits- und Verhaltensregeln sind demnach „faktisch“ zu berücksichtigen. Eine faktische Auswirkung ihrer Existenz muss mithin auch hier nachgewiesen werden. Wie bereits im Rahmen der Renormativierungsdogmatik gezeigt wurde, kann aber auch hier davon ausgegangen werden, dass die bloße Existenz einer Sicherheits- und Verhaltensregel am Handlungsort eine 228 Im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO stellt auch Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 367 auf die Verkehrskreislehre ab. 229 Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 178.
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
Indizwirkung entfaltet. Es kann demnach in Form einer tatsächlichen Vermutung widerleglich vermutet werden, dass die berechtigte Erwartung des Verkehrskreises am Handlungsort der Einhaltung der normierten Verhaltensgebote entspricht. Daraus folgt, dass die Feststellung eines den Sicherheits- und Verhaltensregeln entsprechenden Verhaltens die widerlegliche Vermutung eines rechtmäßigen Verhaltens i.S.v. Art. 17 Rom II-VO begründet. 4. Es folgt die Angemessenheitskontrolle. Dazu muss festgestellt werden, aus welchem Verkehrskreis die berechtigten Verkehrserwartungen der Beteiligten zu rekrutieren sind. Der Wortlaut gibt hier lediglich Anhaltspunkte für die Bestimmung des Verkehrskreises vor. Klar aber ist nach dem Vorstehenden, dass dieser Vorgang von internationalprivatrechtlichen Interessen und Zweckbestimmungen geleitet wird. Der einfachste und vermutlich häufigste Fall liegt vor, wenn der Verkehrskreis mit dem territorialen Anwendungsbereich nationaler Rechtsordnungen übereinstimmt – es kann sich dabei z.B. um den Ort der schädigenden Handlung ebenso wie um den Ort des Umweltrechts des Geschädigten oder schlicht den Erfolgsort handeln. Dies ist eine rein geografische Bestimmung des maßgeblichen Verkehrskreises. Die Bestimmung des Verkehrskreises muss je nach Komplexität und Vielfältigkeit der beteiligten Parteien und ihrer Interessen zudem mittels einer Abwägung stattfinden, wie der Wortlaut „soweit angemessen“ vorgibt. Damit öffnet sich die Norm für weitere Erwägungen, die ungeschrieben die räumlichzeitliche Dimension der Vorschrift ergänzen oder ersetzen. In diesem Sinne sind vor allem die internationalprivatrechtlichen Parteiinteressen heranzuziehen. Einige der internationalprivatrechtlich geprägten Grundregeln können daher ebenso wie im Rahmen der Renormativierungsdogmatik als Vermutung zugrunde gelegt werden. So kann auch unter Art. 17 Rom II-VO grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Geschädigte mindestens auf die Geltung des Sicherheits- und Verhaltensstandards des Umweltrechts am Ort des Schadenseintritts vertraut, während der Schädiger freilich daran interessiert ist, dass die Verhaltensregeln am Handlungsort maßgeblich sind.230 Hierauf kann sich der Schädiger deutlich einfacher und intuitiver einstellen als auf die Vorgaben eines anderen Staates. Materiellrechtliche Erwägungen, wie etwa das Interesse des Schädigers an den für ihn mildesten Sicherheits- und Verhaltensregeln dürfen dagegen nicht in die Wertung einfließen. Maßgebend bleibt allein der vorhersehbarste Verhaltensstandard.231 Hinzu kommt hier in Abgrenzung zur Datumtheorie als heuristischem Prinzip, dass hinsichtlich der berechtigten Erwartungen des Geschädigten der europäische Verordnungsgeber bereits im Sinne 230 Brandt, Sonderanknüpfung, S. 37; Schurig, in: GS Lüderitz, 699; Stürner, in: FS Coester-Waltjen, 843, 849; Wagner, G., IPRax 2006, 372, 376. 231 von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 152.
Kapitel 6: Normstruktur und Regelungsgehalt des Art. 17 Rom II-VO
183
dieser Vermutungen gehandelt hat, indem er die Erfolgsortanknüpfung in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO eingeführt hat.232 In einer wertenden Abwägung, die alle Kriterien des Art. 17 Rom II-VO einbezieht, ist letztlich der im Einzelfall für die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln maßgebliche Verkehrskreis festzustellen. Von besonderem Interesse für den Einzelfall erscheint hier, dass subjektive Elemente wie etwa die Kenntnis des Schädigers von dem späteren Erfolgsort bereits im Zeitpunkt der schädigenden Handlung die Schutzwürdigkeit seiner Interessen maßgeblich mindern kann. Hieraus lässt sich eine Einschränkung der individuellen Interessen im Sinne einer Berechtigungsprüfung ableiten. 5. Als Ergebnis der Prüfung des Art. 17 Rom II-VO steht fest, ob eine berücksichtigungsfähige Sicherheits- und Verhaltensregel vorliegt. Soweit dies der Fall ist, besteht eine widerlegliche Vermutung zugunsten einer lokalen Verkehrserwartung, die den normativen Anforderungen der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregel entspricht. Dieser Verkehrserwartung in renormativierter Form muss der Schädiger sodann entsprechen, um sich sorgfältig zu verhalten. Dem Geschädigten als auch dem Schädiger steht es aber frei, den Nachweis darüber zu führen, dass die lokale Verkehrserwartung eine andere ist, als die Sicherheits- und Verhaltensregel indiziert.
232
Junker, NJW 2007, 3675, 3678; Kühne, in: FS Deutsch, 817, 821 m. Verw. auf ErwG 16 der Verordnung.
Kapitel 7
Ausgewählte Einzelfragen Über die Berücksichtigung hinaus wirft Art. 17 Rom II-VO vielfältige und z.T. umstrittene Einzelfragen auf. Wesentliche Fragestellungen dieser Art werden nachfolgend dargestellt.
I. Anwendung bei Mitverschulden Legislativ unvollständig erscheint Art. 17 Rom II-VO in Bezug auf das Verhalten des Geschädigten. Dieses Problem stellt sich regelmäßig dann, wenn eine Anpassung der Höhe des ersatzfähigen Schadens auf der Grundlage des Mitverschuldens erfolgen soll. Die teleologische Notwendigkeit der Anwendung des Art. 17 Rom II-VO auch auf das Verhalten des Geschädigten ist insoweit inzwischen allseits identifiziert und anerkannt.1 Für den Ansatz dieser Arbeit kann die notwendige Erstreckung des Art. 17 Rom II-VO auf die Beurteilung des Verhaltens des Geschädigten zudem eine argumentative Stütze sein. Die Maßgeblichkeit der berechtigten Verkehrskreiserwartungen für die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort gilt konsequenterweise auch für einen mitverschuldenden Anspruchsgegner. Um die nötige Konsistenz des internationalprivatrechtlichen Ergebnisses zu gewährleisten, muss die einschlägige Verkehrserwartung im Binnenverhältnis der Parteien daher auf beiden Seiten entweder identisch sein oder auf gemeinsame Schnittmengen reduziert werden. Hier kann also in einem spiegelbildlichen Verfahren die Überprüfung des gefundenen maßgeblichen Verkehrskreises vorgenommen werden: Wenn auch aus Opfersicht der gefundene Verkehrskreis für die Bestimmung der tatsächlichen Auswirkungen der Sicherheits- und Verhaltensregeln angemessen und daher einschlägig ist, kann hierin eine Bestätigung für die vorangegangenen Überlegungen gesehen werden.
1 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 29; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 25; Rauscher/Lehmann, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 25 f.; von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 152 f.; Rüppell, Berücksichtigungsfähigkeit, S. 88 (z.T. auf Grundlage einer Analogiebildung).
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
II. Rechtswahl hinsichtlich Sicherheits- und Verhaltensregeln Schließlich ist umstritten, ob eine Rechtswahl hinsichtlich der Sicherheits- und Verhaltensregeln erfolgen kann. Es muss insoweit also das Verhältnis des Art. 17 Rom II-VO zu Art. 14 Rom II-VO ermittelt werden. Die Befürworter einer solchen Rechtswahl stellen den verordnungsübergreifenden Gedanken der Parteiautonomie und die inter-partes-Wirkung der Rechtswahl in den Vordergrund.2 Soweit also keine Drittinteressen durch eine etwaige Wahl der Sicherheits- und Verhaltensregeln eines anderen als des Handlungsorts betroffen sind, solle die Rechtswahl ohne weiteres zulässig sein.3 Nach richtiger Ansicht ist die Möglichkeit der (regelmäßig nachträglichen) Wahl der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln gemäß Art. 14 Rom II-VO indes ausgeschlossen.4 Dies ergibt sich einerseits aus der systematischen Stellung des Art. 17 Rom II-VO in Kapitel V. (Gemeinsame Vorschriften) der Verordnung. Die Vorschriften dieses Kapitels gelten übergreifend für alle dem Kapitel V. vorhergehenden Kollisionsregeln,5 nicht aber für die anderen Vorschriften des Kapitels V. Zudem streiten sowohl der Wortlaut als auch das Telos der Vorschrift gegen die Möglichkeit einer Rechtswahl, da die „faktische Berücksichtigung“ einer Rechtswahl schon gar nicht zugänglich ist. Denn wählen kann man nur „Recht“. Bei dem Berücksichtigungsgegenstand des Art. 17 Rom II-VO handelt es sich wie gesehen aber gerade nicht mehr um Recht, sondern um Tatsachen bzw. Fakten. Ein Faktum kann denklogisch aber nicht gewählt werden. Dies käme im Ergebnis einer Wahl des einschlägigen Sachverhaltselements gleich und würde zu erheblichen Friktionen und rechtsstaatlichen Bedenken führen.6 Die Möglichkeit der Wahl der einschlägigen Sicherheits- und Verhaltensregeln ist daher abzulehnen. Gleichwohl ist freilich denkbar, dass eine solche Wahl von Sicherheits- und Verhaltensregeln die maßgebliche Erwartungshaltung der beteiligten Personen hinsichtlich des einzuhaltenden Verhaltensmaßstabs jedenfalls im Binnenverhältnis beeinflusst. Unter dem Angemessenheitsvorbehalt des Berücksichtigungsprinzips ist daher zumindest eine mittelbare Wahlmöglichkeit gegeben, wobei 2 NK-BGB/Lehmann, Art. 17 Rom II-VO Rn. 19, 81 f.; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Rom II-VO Rn. 3a. 3 LG Traunstein, Urt. v. 5.4.2000 – 3 O 4673/98, SpuRt 2002, 20 m. ablehnender Anm. von Hein, SpuRt 2005, 9. 4 Bittmann, in: Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 238; von Hein, SpuRt 2005, 9, 12. Die Rechtswahl von territorial nicht gebundenen Sicherheits- und Verhaltensregeln will Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 6 zulassen. Ähnlich MüKoBGB/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 47. Vgl. auch Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 459. 5 Calliess/von Hein, Rome Regulations, Art. 17 Rome II Rn. 6; MüKo-BGB/Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 6; Sälzer, Skiunfälle, S. 296. 6 So auch Sälzer, Skiunfälle, S. 296.
Kapitel 7: Ausgewählte Einzelfragen
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insbesondere die missbräuchliche Wahl von Sicherheits- und Verhaltensregeln zu Umgehungszwecken ausgeschlossen ist.
III. Prozessuale Konsequenzen Im Zusammenhang mit dem Berücksichtigungsprinzip und Art. 17 Rom II-VO wird aus deutscher Perspektive immer wieder auf das Problem der Revisibilität ausländischen Rechts hingewiesen.7 Insofern stellt sich für das zu berücksichtigende Recht mitunter die Frage nach der Revisionsfestigkeit. 1. Die Ermittlung ausländischen Rechts Soweit es auf die Anwendung ausländischen Rechts ankommt, ist gem. § 293 ZPO der Inhalt dieses Rechts von Amts wegen zu ermitteln. Das ausländische Recht ist nach der Rechtsprechung8 und der wohl herrschenden Meinung auch nach der Änderung des § 545 ZPO nicht als Recht i.S.v. § 545 Abs. 1 ZPO anzusehen und daher nicht revisibel.9 2. Ausländisches Recht als Tatsache Dornis bemängelt zurecht die Inkonsistenz, dass bisher das nur berücksichtigte Recht prozessual stets wie anwendbares ausländisches Recht behandelt wurde.10 Konsequenterweise kann diese Rechtspraxis nach dem hier vorgeschlagenen Konzept keinen Bestand haben. Abseits der komplexen Erwägungen zur Revisibilität ausländischen Rechts kann für die Zwecke dieser Untersuchung darauf hingewiesen werden, dass das zu berücksichtigende Recht nach dem vorgelegten Konzept nicht als Recht, sondern als Tatsachengrundlage Eingang in den Rechtsstreit findet. Denn die renormativierte Verhaltensregel kann zwar auf eine nicht anwendbare, ausländische Rechtsnorm zurückgeführt werden. Die Verkehrserwartung, die letztlich den Verhaltensmaßstab vorgibt, ist aber Teil der Tatsachengrundlage des Sachverhalts. Für die Funktion und die Zwecke des Berücksichtigungsprinzips kann also kein Zweifel daran bestehen, dass das ausländische Recht hier nicht als Recht zu betrachten ist. Vielmehr geht es um die Ermittlung der Tatsachengrundlage des Sachverhalts. Diese ist nicht revisibel. Es erschließt sich ohnehin nicht, warum ein ausdrücklich nicht
7
Vgl. etwa von Hein, in: FS von Hoffmann, 139, 153. BGH, Urt. v. 19.3.1958 – IV ZR 148/57 = BGHZ 27, 47, 49; Urt. v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656, 3658 Rn. 18 ff. 9 Dazu Remien, ZVglRWiss 115 (2016), 570, 577 f., 583 f. Für die frühen Schrifttumsreaktionen auf die Gesetzesänderung S. Eichel, IPRax 2009, 389, 391 ff. sowie Hess/Hübner, NJW 2009, 3132. 10 Dornis, SZIER/RSDIE 2015, 183, 197. 8
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Dritter Teil: Art. 17 Rom II-VO
zur Anwendung berufenes Recht prozessual gleichwohl wie Recht behandelt werden sollte. Vielmehr ist es schlicht nicht möglich, solche Erscheinungsformen unter den Wortlaut „Verletzung des Rechts“ des § 545 Abs. 1 ZPO zu subsumieren.11
IV. Allseitigkeit des Art. 17 Rom II-VO Gesonderte Betrachtung verdienen Berücksichtigungsbefehl und Art. 17 Rom II-VO zudem hinsichtlich der sog. Allseitigkeit der Berücksichtigungsmethode.12 Im Kern geht es dabei um die Frage, ob das zuständige Gericht nur die Sicherheits- und Verhaltensregeln einer ausländischen Rechtsordnung berücksichtigen kann und darf, oder ob es auch die Normen seiner eigenen Rechtsordnung zu berücksichtigen hat, wenn ausländisches Recht anwendbar ist.13 Die Erforderlichkeit des allseitigen Ausbaus der Berücksichtigung zeigt sich etwa in den Textilproduktionssachverhalten. Erheben die Kläger ihre Schadensersatzklage vor einem deutschen Gericht und ist pakistanisches Recht anwendbar (siehe oben), so stellt sich für das deutsche Gericht die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit seiner eigenen deutschen Sicherheits- und Verhaltensregeln. Bereits Ehrenzweig trat für die Berücksichtigung von data der lex fori ein. Er sah dies allerdings vor allem für die Kategorie der sog. moral data vor.14 Die Begründung für diese Form der allseitigen Berücksichtigung liegt nach Ehrenzweig in der Rechtssoziologie. Danach ist der Richter in seiner Entscheidung an bestimmte Standards der lex fori psychologisch bzw. soziologisch gebunden. Auch Art. 17 Rom II-VO lässt diese allseitige Berücksichtigung zu – freilich ohne auf Begründungen aus der Rechtssoziologie zurückzugreifen und ohne eine Kategorisierung nach moral data und local data vorzunehmen. Die Vorschrift unterscheidet augenscheinlich gerade nicht zwischen der Berücksichtigung von data der lex causae und data der lex fori. Als alleinige räumliche Begrenzung bestimmt Art. 17 Rom II-VO, dass lediglich die Sicherheitsund Verhaltensregeln des Handlungsorts berücksichtigt werden können. Ob dieses Handlungsortrecht gleichzeitig lex fori ist oder nicht, schränkt Art. 17 Rom II-VO nicht ein. Grundsätzlich lässt der Wortlaut demnach die allseitige 11 Ausdrücklich möchte dagegen BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 91 f., an der Behandlung des lediglich berücksichtigten Rechts als Recht i.S.v. § 545 Abs. 1 ZPO festhalten. 12 BeckOGK-BGB/Schulze, G., Art. 3 EGBGB Rn. 54, sieht in diesen Konstellationen eine Nähe des Berücksichtigungsprinzips zu den besonderen ordre-public-Klauseln, die inländisches Recht für anwendbar erklären. 13 Enneking, Foreign direct liability, S. 220 Fn. 74; Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 73. 14 Hierzu und auch zum Folgenden siehe oben Kap. 3 I. 1. b) bb) (S. 64 f.).
Kapitel 7: Ausgewählte Einzelfragen
189
Anwendung des Berücksichtigungsprinzips zu. Dem stehen die o.g. Bedenken nur scheinbar entgegen. Es trifft zwar zu, dass dem Rechtsanwender einiges abverlangt wird, wenn er „sein“ eigenes Heimatrecht nicht anwenden, sondern nur berücksichtigen darf. Diese Bedenken äußern sich vor allem hinsichtlich der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses der Rechtsanwendung. Im Kern geht es daher um Rechtssicherheit. Da mit dem vorgelegten Renormativierungskonzept nunmehr aber eine klare und rechtspraktisch reproduzierbare und nachvollziehbare Dogmatik für den Berücksichtigungsbefehl vorliegt, kann ein besonders hohes Maß an Rechtssicherheit gewährleistet werden. Der inländische Richter kann somit ohne größeren Aufwand auch die Sicherheits- und Verhaltensregeln des deutschen Rechts berücksichtigen. Zudem ist dem vereinheitlichten Kollisionsrecht das Problem an sich nicht unbekannt. Im Rahmen der Frage nach dem Einfluss von Eingriffsnormen auf die Rechtsfindung besteht ein paralleles Problem: Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bestimmt für die Eingriffsnormen des Erfüllungsstaates, der nicht gleichzeitig Forumsstaat ist, dass ihnen „Wirkung verliehen werden“ kann. Dieser Formulierung haftet ebenso wie der Berücksichtigung ein Element der Mittelbarkeit an. Hinsichtlich der Eingriffsnormen des Forumstaates hat sich der Verordnungsgeber dagegen für die unbedingte „Anwendung“ der Eingriffsnormen entschieden, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO. Dass hier eine ganz bewusste Differenzierung der Zugehörigkeit der Eingriffsnormen zu einer ausländischen oder inländischen Rechtsordnung vorgenommen wird,15 lässt kaum den Schluss zu, dass der Verordnungsgeber das Problem in der Rom II-VO schlicht übersehen haben könnte, wenngleich zuzugeben ist, dass die Rom II-VO freilich etwas älter ist als die Rom I-VO.
15
Insb. zu Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO und zu den daraus resultierenden Auslegungsschwierigkeiten siehe Sonnenberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 429, 438 ff.
Vierter Teil: Schluss
Kapitel 8
Übertragung der Ergebnisse auf die Fallbeispiele Unter der Prämisse der gefundenen Struktur des Art. 17 Rom II-VO sowie der festgestellten Dogmatik in den Fällen der Berücksichtigung kann nunmehr eine Konkretisierung der Fallbeispiele1 und ihrer Lösungen2 vorgeschlagen werden. In allen Ausgangsfällen hat die kollisionsrechtliche Beurteilung der Sachverhalte zu dem Ergebnis geführt, dass das Deliktsstatut nicht dem Ort der deliktischen Handlung entspricht. Dem Wortlaut nach eindeutig sind in solchen Fällen die Sicherheits- und Verhaltensregeln des jeweiligen Handlungsortes gem. Art. 17 Rom II-VO zu berücksichtigen, wobei eingangs kritisiert wurde, dass rechtspraktisch bei der Anwendung des Art. 17 Rom II-VO bisher eine zu starke Einzelfallabhängigkeit besteht und abstrakte Kriterien für eine rechtssichere Anwendung des Art. 17 Rom II-VO fehlen. Diese Lücke schließen die vorangegangenen Kapitel, sodass eine neuerliche Betrachtung der Ausgangsfälle zu weiteren Konkretisierungen führt.
I. Sprengung im Gebirge Das Ergebnis für die Sprengungssachverhalte lautete, dass jeweils das Recht des Erfolgsorts, mithin das italienische Recht, zur Anwendung berufen ist. Nach hier vertretener Auffassung sind Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts im Rahmen der Zwei-Stufen-Theorie zu berücksichtigen. Art. 17 Rom II-VO kommt daher nicht im Kollisionsrecht, sondern innerhalb des Sachrechts zum Zuge. Dies geschieht im materiellen Deliktsrecht in der Regel dann, wenn die Rechtswidrigkeit oder die persönliche Vorwerfbarkeit (Schuld) des deliktischen Handelns in Frage stehen. Dazu ist zunächst der abstrakte Verhaltensmaßstab nach den Vorgaben des anwendbaren italienischen Rechts zu ermitteln. Sodann ist Art. 17 Rom II-VO tatbestandlich zu prüfen. In den Fällen der Gebirgssprengung kommen als zu berücksichtigende Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts typischerweise öffentlichrechtliche Normen und Vorgaben zur Durchführung der Sprengungen in Betracht. Die Subsumtion dieser Normen unter das Tatbestandsmerkmal „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ dürfte regelmäßig ohne größere Probleme zu bewerkstelligen sein, da sie sowohl der Gewährleistung von Sicherheit, als auch
1 2
Siehe oben Kap. 1 II (S. 8 ff.). Zu den kollisionsrechtlichen Ergebnissen siehe oben Kap. 2 III (S. 28 ff.).
194
Vierter Teil: Schluss
der Verhaltenssteuerung dienen. Der Handlungsort ist ebenfalls ohne Schwierigkeiten als Ort der Herbeiführung der Sprengung in Frankreich zu lokalisieren. Fraglich ist, ob im Rahmen der Angemessenheitsprüfung des Art. 17 Rom II-VO auf die Verkehrserwartungen des Handlungsorts abzustellen ist und die zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln damit dem Recht des Handlungsorts entnommen werden können. Dies ist nach einer Negativprüfung nur dann nicht der Fall, wenn die miteinander abzuwägenden berechtigten internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien nicht auf die Verkehrserwartungen des Handlungsorts gerichtet sind. Das Interesse und die internationalprivatrechtliche Schutzwürdigkeit des Schädigers sind grundsätzlich auf die Geltung der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts gerichtet. Dieser Verhaltensmaßstab ist für ihn naheliegend und daher rechtssicher vorherzusehen. Abweichungen von dieser Grundannahme können sich ergeben, wenn der Schädiger den Erfolgsort vorhersehen konnte oder seine Handlung gar gezielt auf einen vom Handlungsort abweichenden Erfolgsort ausgerichtet hat. Erfolgte die Sprengung dagegen ohne dass der Schädiger den Erfolgseintritt im Nachbarstaat vorhersehen konnte oder musste, so musste er nicht von der Maßgeblichkeit der Sicherheitsund Verhaltensregeln des Erfolgsorts ausgehen. Während der Schädiger also im Grundfall ohne Bezug zum Erfolgsort gehandelt hat und daher von den Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts ausgehen durfte, stellt sich dies in der Abwandlung anders dar: Das Interesse des Schädigers an der Maßgeblichkeit des Verhaltensmaßstabes des Handlungsorts mag zwar noch immer subjektiv gegeben sein; es ist indes nicht mehr bzw. kaum noch schutzwürdig, da der Schädiger den Erfolgsort vorhersehen konnte oder sogar gezielt auf den Erfolgseintritt in einem anderen Staat hingewirkt hat. Damit ist er hinsichtlich seiner Erwartungen nicht schutzwürdig i.S.v. Art. 17 Rom II-VO. Die Bestimmung der internationalprivatrechtlichen Interessenlage der geschädigten englischen Touristen ist dagegen komplexer. Es wurde gezeigt, dass grundsätzlich ein Interesse des Geschädigten an der Geltung des für ihn gewohnten Umweltrechts am Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts besteht.3 Dies entspräche im vorliegenden Fall dem englischen Recht. Die Geschädigten haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt und damit ihren gewohnten Verkehrskreis jedoch kurzzeitig zur Urlaubszwecken verlassen und sind in einem davon abweichenden Staat geschädigt worden. Daher muss davon ausgegangen werden, dass für sie die Geltung der Sicherheits- und Verhaltensregeln an dem Ort, an dem sie geschädigt wurden, naheliegend erscheint. Dies ist vorliegend der Ort des Erfolgseintritts, mithin Italien. Die objektive Bestimmung des einschlägigen Verkehrskreises nach räumlichen und zeitlichen Kriterien führt zusammenfassend zum Ort der schädigenden Handlung, mithin nach Frankreich. Dagegen führt die Bestimmung der 3
Siehe oben Kap. 2 IV. 3. c) (S. 52 ff.).
Kapitel 8: Übertragung der Ergebnisse auf die Fallbeispiele
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internationalprivatrechtlichen Parteiinteressen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der S hat ein berechtigtes Interesse an der Maßgeblichkeit der Sicherheitsund Verhaltensregeln des Handlungsorts, während die Geschädigten auf die Verhaltensregeln am Erfolgsort vertrauen durften. Die internationalprivatrechtliche Ratio des Art. 17 Rom II-VO verfolgt wie gesehen nicht zuletzt eine Korrekturfunktion zugunsten der Vorhersehbarkeit der maßgeblichen Sicherheits- und Verhaltensregeln aus Sicht des Schädigers. Das für den Geschädigten vorhersehbarere und insoweit internationalprivatrechtlich günstigere Erfolgsortprinzip (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO) soll im Zweifel so korrigiert werden, dass gerade der Schädiger die verhaltensleitenden Regeln vorhersehen kann.4 Mithin überwiegen im Grundfall die zeitlich-geografischen Wertungen des Art. 17 Rom II-VO in Kombination mit den berechtigten Erwartungen des S die internationalprivatrechtlichen Interessen der Geschädigten, die bereits durch das Erfolgsortprinzip des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO geschützt werden. Daher ist der Verkehrskreis des Handlungsorts, der hier identisch mit dem Staatsterritorium Frankreichs und den dort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln ist, für die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln einschlägig. Anders sind die vorgeschlagenen Abwandlungen des Sachverhalts zu bewerten. Hier richtet sich die subjektive Motivlage des Schädigers gerade auf den Erfolg in einem vom Handlungsort abweichenden Staat. Der Schädiger konnte den Erfolgsort vorhersehen oder hat ihn sogar gezielt für den Schadenseintritt ausgewählt. In diesen Fällen besteht keine internationalprivatrechtliche Schutzwürdigkeit für den Schädiger zugunsten einer Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort nach Art. 17 Rom II-VO. Somit ist in diesem Fall den berechtigten Interessen und Erwartungen der Geschädigten der Vorzug zu gewähren. Die Sicherheits- und Verhaltensregeln sind in einem letzten Prüfungsschritt in Abgrenzung zur Anwendung von Normen nur „faktisch“ zu berücksichtigen. Voraussetzung ist demnach eine faktische Beeinflussung der berechtigten Verkehrserwartungen durch den abstrakten Normenbestand im maßgeblichen Verkehrskreis. Dieser kann widerleglich vermutet werden. Anhaltspunkte für eine mögliche Widerlegung der Beeinflussung des lokalen Verkehrskreises durch die abstrakten Sicherheits- und Verhaltensnormen bestehen vorliegend nicht. Damit stellt Art. 17 Rom II-VO die widerlegliche Vermutung zugunsten der faktischen Geltung der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts auf. Soweit demnach ein Verstoß des Schädigers gegen die einschlägigen Sicherheits- und Verhaltensregeln vorliegt, ist von einem Verschulden auszugehen. Ein solcher Verstoß indiziert ein Verhalten, das nicht den Erwartungen des Verkehrskreises entspricht.
4
Näher dazu siehe oben Kap. 6 I. 2. (S. 145 ff.).
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Vierter Teil: Schluss
Mithin liegen in der Abwandlung des Sachverhaltes alle Voraussetzungen des Art. 17 Rom II-VO vor; innerhalb des italienischen Sachrechts sind im Wege der Renormativierung die französischen Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen.
II. Transnationale Textilproduktion Die zentralen Schwierigkeiten der Textilproduktionssachverhalte liegen im materiellen Recht. Bevor Art. 17 Rom II-VO nach der Zwei-Stufen-Theorie auf materieller Stufe überhaupt Relevanz erlangen kann, ist nach den meisten Rechtsordnungen erforderlich, dass jedenfalls Kausalität und Zurechenbarkeit des deliktischen Erfolgs nachweisbar sind.5 In der Regel wird dieser Nachweis durch den Geschädigten über komplexe Lieferketten und -netzwerke zu führen sein und daher kaum gelingen. Soweit dies allerdings gelingt und das anwendbare drittstaatliche (in casu pakistanische bzw. bangladeschische) Recht6 zudem über ein Verschuldenserfordernis oder eine ähnliche tatbestandliche Voraussetzung die Frage nach dem Schädigerverhalten aufwirft, kommt Art. 17 Rom II-VO zur Anwendung. Sollte demnach ein Verstoß gegen einschlägige Sicherheits- und Verhaltensregeln nachweisbar sein, könnte darin die Rechtswidrigkeit oder das Verschulden der für das Textilunternehmen in Deutschland organisatorisch handelnden Personen in zurechenbarer Weise begründet liegen, obwohl die nach dem anwendbaren drittstaatlichen Recht niedrigeren Sicherheitsstandards mutmaßlich beachtet und eingehalten wurden. Tatbestandlich ist im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO dafür zunächst der Handlungsort zu bestimmen. Dies erfolgt in Übereinstimmung mit dem oben Gesagten7 in Abhängigkeit von dem Klägerbegehren. Soweit hier also ein Textilproduzent mit Sitz in Deutschland aufgrund einer organisatorischen Leitentscheidung am Firmensitz in Anspruch genommen wird, liegt der Handlungsort i.S.v. Art. 17 Rom II-VO in Deutschland.8 Die zu berücksichtigenden local data sind damit allein dem deutschen Recht zu entnehmen. Sodann sind die konkret zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln zu bestimmen. Hierfür kommen in den einschlägigen Fällen Arbeitsschutzvorschriften und bauliche Sicherheitsstandards, insbesondere Vorschriften über den Feuerschutz, in Betracht. Beiden Sachverhalten ist insoweit gemein, dass die entstandenen Schäden ursächlich unter anderem auf bauliche Mängel zurück5 Zur materiellrechtlichen Haftungsbegründung nach dem deutschen Sachrecht siehe Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 393 ff. 6 Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts siehe oben Kap. 2 III. 2. (S. 30 ff.). 7 Oben Kap. 6 II. 1. a) (S. 152 f.), Kap. 6 II. 2. c) (S. 158 ff.). 8 BeckOGK-BGB/Maultzsch, Art. 17 Rom II-VO Rn. 45.2; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2502.
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zuführen sind. Dass die Fabrik in Bangladesch kollabierte, hat physische Ursachen und ist Folge von Überbelegung und Überreizung der baulichen Kapazitäten. Denkbar sind auch Fehler bei der statischen Planung. Im Falle der ausgebrannten Fabrik in Pakistan stellt sich zuvorderst die Frage nach dem Brandschutz. Wenn die Opferzahl unter Einhaltung brandschutzrechtlicher Sicherheitsvorschriften geringer ausgefallen wäre, kann ein Verstoß gegen diese Vorschriften ein Indiz für die Verantwortlichkeit der beteiligten Akteure für die entstandenen Personenschäden sein. All diese Regeln betreffen nicht nur Aspekte der Sicherheit, sondern enthalten auch Elemente der Verhaltenssteuerung. Sie entsprechen inhaltlich damit den Anforderungen an den Wortlaut des Art. 17 Rom II-VO. Zudem sind sie in Deutschland positives Recht und damit auch am Handlungsort „in Kraft“. Damit liegen zunächst alle tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung vor. Art. 17 Rom II-VO eröffnet in diesen Fällen mithin grundsätzlich die Möglichkeit einer Renormativierung der lokalen Verkehrserwartungen. Innerhalb der Berücksichtigungs- bzw. Renormativierungsdogmatik lässt Art. 17 Rom II-VO die widerlegliche Vermutung zu, dass die lokale Verkehrserwartung in Deutschland den normativen Anforderungen der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln entspricht. Dem Textilproduzenten K steht allerdings die Möglichkeit offen, eine davon abweichende tatsächliche Verkehrserwartung im Geltungsbereich dieser Sicherheits- und Verhaltensregeln, mithin in Deutschland, nachzuweisen. Darüber hinaus muss das Angemessenheitserfordernis des Art. 17 Rom IIVO eingehalten werden. Hier entscheidet sich, ob und in welchem Umfang eine Berücksichtigung stattzufinden hat. Die Prüfung der Angemessenheit beruht nach dem hier vertretenen Konzept vornehmlich auf der Bestimmung desjenigen Verkehrskreises, dem die verhaltensmaßstabbildende Verkehrserwartung entnommen werden darf. Es muss somit bestimmt werden, ob sich die berechtigte Verkehrserwartung der Beteiligten im konkreten Einzelfall tatsächlich auf die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsorts (in casu Deutschland) erstreckt. Dabei sind ganz überwiegend internationalprivatrechtliche Wertungen zugrundezulegen. Das größte Problem in den Textilproduktionsfällen ist mithin nicht etwa die Feststellung des konkreten Berücksichtigungsgegenstandes und der damit einhergehenden faktischen Wirkungen. Vielmehr stellt sich problematisch die nahezu vollständig auf kollisionsrechtlichen Erwägungen beruhende Frage nach der Bestimmung des einschlägigen Verkehrskreises. Soweit in casu auf die Schädigerinteressen und -erwartungen abgestellt wird, muss festgestellt werden, dass Auswirkungen der schädigenden Handlung abseits des Handlungsorts nicht nur vorhersehbar waren, sondern gezielt mindestens in Kauf genommen werden sollten. Insoweit hatte die K den Geschehensablauf von Beginn an selbst in der Hand und hätte zumindest Präventivmaßnahmen i.S.d. deutschen Sicherheits- und Verhaltensvorschriften ergreifen können. Soweit
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am Handlungsort strengere Maßgaben gelten, muss die Schädigerin daher nicht vor deren Anwendung bzw. Berücksichtigung geschützt werden, denn neben dem Recht des Erfolgsorts waren auch diese Regeln des Handlungsorts für sie als potenziell einschlägig vorhersehbar. Andererseits ergibt sich aus rein internationalprivatrechtlicher Perspektive zunächst auch kein Grund, weshalb die Schädigerin nicht von den für sie günstigeren Standards des Erfolgsorts ausgehen können soll. Schließlich hat sie ihre Handlung gezielt auf diesen Ort ausgerichtet; es war ihr mithin ohne Weiteres möglich, die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Erfolgsorts vorherzusehen.9 Zudem sind die berechtigten Interessen und Erwartungen der Geschädigten wohl kaum auf den Handlungsort gerichtet. Insbesondere sollte nicht pauschal unterstellt werden, dass der Geschädigte stets und im Zweifel ohne konkrete Kenntnis das für ihn günstigste (Verhaltens-)Recht erwarten darf. Vielmehr sollte das Kriterium der Vorhersehbarkeit des maßgeblichen Rechts ausschlaggebend sein. Die Ausgangslagen der Sachverhalte aus der transnationalen Textilproduktion legen die Vorhersehbarkeit des Erfolgsorts und der Anwendbarkeit eines anderen Rechts als desjenigen am Erfolgsort billigerweise kaum nahe. Denn die Grundkonstellationen (einstürzende oder ausbrennende Fabrik, Suizide der Arbeiterinnen und Arbeiter) erinnern meist an ein Platz- und Punktdelikt. Allerdings kann sich nach jüngeren Entwicklungen auch ein anderes Bild ergeben. Denn inzwischen ist die öffentliche Aufmerksamkeit jedenfalls in den Konsumentenländern des globalen Nordens bzw. Westens deutlich erhöht. Sensibilisierung ist eingetreten und hat sich auch auf die Produktionsländer übertragen. Es werden Fälle bekannt, in denen Arbeiterinnen und Arbeiter persönliche Hilferufe in die Kleidungsstücke einnähen.10 Solche Erscheinungen lassen vermuten, dass sich inzwischen ein ganz konkretes Bewusstsein für die Zielorte der lokalen Textilproduktion bei den Arbeiterinnen und Arbeitern entwickelt hat. Solche Vorkommnisse bleiben freilich auch den Mutterkonzernen am Ende der Lieferkette nicht verborgen. Daraus könnte sich im Einzelfall ergeben, dass sowohl die organisatorisch verantwortlichen Mutterkonzerne, als auch die einzelnen Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produktionsländern hinsichtlich der zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln eine gemeinsame Rechtserwartung teilen, die den Erwartungen des lokalen Verkehrskreises am Ort der Zentrale des Mutterkonzerns entspricht. Solche Umstände liegen den hier unterstellten Beispielsfällen allerdings nicht zugrunde. Folgt man dem hier vertretenen Grundgedanken einer überwiegend internationalprivatrechtlichen Ratio des Art. 17 Rom II-VO, so kann daher zusammenfassend den deutschen Sicherheits- und Verhaltensregeln im Ergebnis 9
Vgl. zu diesen Erwägungen bereits oben Kap. 6 II. 4. (S. 174 ff.). (letzter Aufruf: 23.3.2020). 10
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nicht zur Berücksichtigung verholfen werden. Sowohl für den Schädiger, als auch für die Geschädigten überwiegt die Vorhersehbarkeit derjenigen Verhaltensnormen, die am Ort des Schädigungserfolges gelten. Eine Abweichung hiervon wäre nicht angemessen i.S.v. Art. 17 Rom II-VO i.Vm. Erwägungsgrund 16 sowie Erwägungsgrund 34 und ist daher nicht angezeigt. Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass die allseitige Berücksichtigung von data der lex fori11, mithin eine Art „Datenexport“12, restriktiv zu handhaben ist. Selbst wenn diese local data strenger sind als diejenigen im Geltungsbereich der lex causae, geht mit dem allseitigen „Export“ heimischer data immer auch die Gefahr eines Werteimperialismus einher. Daher muss abschließend festgestellt werden, dass die wohl ganz überwiegend empfundenen materiellen Ungerechtigkeiten dieser Sachverhalte über Art. 17 Rom II-VO nicht ausgeglichen werden können. Soweit die Schädigerin K die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Erfolgsorts in Bangladesch bzw. Pakistan eingehalten hat, liegt rechtmäßiges Verhalten und damit keine Haftungsbegründung vor.
III. Flugzeugabsturz Im Fall des Flugzeugabsturzes ist an den Erfolgsort in den französischen Alpen anzuknüpfen, weshalb französisches Recht zur Anwendung kommt.13 Insoweit liegt eine Abweichung des Deliktsstatuts vom Ort der organisatorischen Leitentscheidung des Flugunternehmens in Deutschland vor. Damit öffnet sich der Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO und wirft die Frage auf, welche sachrechtlichen Sicherheits- und Verhaltensregeln zur Feststellung der Flugtauglichkeit des Co-Piloten oder der Einteilung des Piloten für den Unglücksflug zu berücksichtigen sind. In Betracht kommen hierfür erneut ausschließlich Sicherheits- und Verhaltensvorschriften des Handlungsorts, mithin des deutschen Rechts; denn hier fand (vorliegend unterstellt14) die organisatorische 11
Dazu oben Kap. 7 IV. (S. 188 f.). Terminologie nach Weller, IPRax 2014, 225, 230 („Datenimport“); Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774 („Rechtsimport“, Hervorhebung im Original) sowie Weller, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 53, 73 ff. In der Terminologie ähnlich der Diskussionsbeitrag Nordmeiers bei Schmiegel, in: Die Person im Internationalen Privatrecht, 85, 86 f. 13 Siehe oben Kap. 2 III. 3. (S. 33 ff.). 14 Tatsächlich berufen sich einige der Kläger im Falle der Germanwings-Maschine auf US-amerikanisches Recht, da die Ausbildung des Co-Piloten in der Flugschule der Lufthansa im US-Bundesstaat Arizona stattfand. Dies beruht u.a. auf der Hoffnung, dass die US-amerikanischen Schadensersatz- und Schmerzensgeldsätze auch der Höhe nach auf die Ansprüche der Kläger angewendet werden. Vgl. insoweit (zuletzt aufgerufen am 23.3.2020). 12
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Leitentscheidung der Ausstellung der Flugtauglichkeitsbescheinigung bzw. der Einteilung des Co-Piloten für den Unglücksflug statt. In sachlicher Hinsicht betreffen die zu berücksichtigenden Vorgaben über die Ausstellung von Flugtauglichkeitszeugnissen und über die Einteilung der Piloten zu bestimmten Flügen elementare Sicherheitsbelange, soweit es um die Sicherstellung eines reibungslosen Flugbetriebs und die Minimierung und Prävention menschlicher Fehler geht. Zugleich enthalten diese Vorschriften auch Verhaltensanweisungen für die verantwortlichen Ärzte und organisatorisch Verantwortlichen der Fluggesellschaften. Die inhaltlichen Anforderungen der Sicherheits- und Verhaltensregeln sind damit erfüllt. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist nunmehr über das „Ob“ und ggf. über den Umfang der Berücksichtigung der nicht anwendbaren Normen zu entscheiden. Diese Unterscheidung unterliegt wie auch in den anderen Ausgangsfällen internationalprivatrechtlichen Erwägungen; vornehmlich muss die Vorhersehbarkeit des maßgeblichen Verhaltensmaßstabes für den Schädiger, in geringerem Umfange auch für den Geschädigten gewährleistet werden. Auch in diesem Zusammenhang handelt es sich bei Flugzeugabstürzen um Extrembeispiele. Denn es erscheint sowohl für den Schädiger als auch für den Geschädigten mit Blick auf Sicherheits- und Verhaltensregeln, insbesondere die Durchführung von Schulungen, psychologischen Tests und die Kriterien für die Einteilung der Piloten und die Erstellung von Flugplänen nur das Heimatrecht der Fluggesellschaft als hinreichend vorhersehbar und erwartbar, selbst wenn das Statut des Beförderungsvertrag von dem Heimatrecht des Flugunternehmens verschieden ist. Jeder Passagier in einem Flugzeug muss mangels engerer Verbindungen zu anderen Rechtsordnungen von den nationalen Bestimmungen der Heimatbasis der Fluggesellschaft ausgehen (dürfen). Daher sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln der deutschen Rechtsordnung im Falle des Flugzeugabsturzes uneingeschränkt zu berücksichtigen und bestimmen damit über die Ausfüllung des Verschuldensmaßstabes des anwendbaren Deliktsrechts. Über alles Weitere entscheidet das anwendbare Sachrecht.
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Zusammenfassung und wesentliche Ergebnisse I. Die Entwicklung des Deliktsstatuts Die Anknüpfung des Deliktsstatuts in ihrer heutigen Form ist das Ergebnis intensiver Diskussionen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Im autonomen Recht beherrscht bis heute das sog. Ubiquitätsprinzip als Grundanknüpfungsregel die Bestimmung des anwendbaren Rechts, Art. 40 Abs. 1 EGBGB. Die Rom IIVO beschreitet mit der Anknüpfung an den Erfolgsort in Art. 4 Abs. 1 einen anderen Weg. Gemein ist beiden Anknüpfungsvarianten, dass das savigny‘sche Ziel der Zuordnung des Rechtsverhältnisses zu der räumlich besten Rechtsordnung verwirklicht werden soll.
II. Wechselwirkungen zwischen materiellem und internationalem Deliktsrecht Eine der Besonderheiten des Deliktsstatuts besteht in der sachlichen Verbindung von internationalem Privatrecht und materiellem Deliktsrecht. Hochausdifferenzierte und in Abhängigkeit zueinander stehende Ausgleichs- und Verhaltenssteuerungsfunktionen leiten das materielle Deliktsrecht. Diese Funktionen strahlen in die Konzeption des internationalen Deliktsrechts ein. Sie führen zu einer strengen Anknüpfung nach dem Einheitsprinzip; die dépeçage ist hinsichtlich der integralen Bestandteile des Deliktsrechts daher grundsätzlich ausgeschlossen. Lediglich klassische Vorfragen können sonderangeknüpft werden. Aus dieser Geschlossenheit des materiellen Rechts und der damit verbundenen Einheitsanknüpfung ergeben sich im Einzelfall indes Folgeprobleme: Wo der einschlägige Anknüpfungspunkt des Deliktsstatuts geografisch nicht mit dem Ort des Schädigerverhaltens (Handlungsort) übereinstimmt, muss regelmäßig auch den lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort Bedeutung für die Rechtsfindung zukommen. Solche Konstellationen ergeben sich vornehmlich für Distanzdelikte, die nach dem Recht des Erfolgsorts zu beurteilen sind (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 40 Abs. 1 EGBGB) und für solche Platzdelikte, die nicht an den Handlungs- und Erfolgsort, sondern etwa an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien angeknüpft werden (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO, Art. 40 Abs. 2 EGBGB). Denn regelmäßig erschiene es offenkundig unsachgemäß oder jedenfalls mit Blick auf die Schutz-
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bedürftigkeit des Schädigers unbillig, wenn man das deliktische Handeln in diesen Fällen ausschließlich an den Verhaltensregeln der anwendbaren und von dem Handlungsort abweichenden Rechtsordnung mäße. Die somit erforderliche Einbeziehung der lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln gewährleistet im autonomen Recht eine ungeschriebene Berücksichtigungsregel. Im europäischen Kollisionsrecht bestimmt dies ausdrücklich Art. 17 Rom II-VO.
III. Die Berücksichtigung im internationalen Privatrecht Die Berücksichtigung einzelner nicht anwendbarer Rechtsnormen wird zwar bereits seit Jahrzehnten ausführlich diskutiert. Sie ist aber bis zur Positivierung in Art. 17 Rom II-VO nicht zu breiter Anerkennung als fester Bestandteil des Methodenkanons im internationalen Privatrecht gelangt. Noch immer wird die Berücksichtigung in Schrifttum und Rechtsprechung überaus heterogen beschrieben und eingesetzt. Die historische Schnittstelle der meisten theoretischen Ansätze liegt in der durch Ehrenzweig begründeten und von Jayme weiterentwickelten Datumtheorie. Von Beginn an sah sich die generelle Idee einer weiteren Methode im IPR ebenso wie die Berücksichtigung selbst starker Kritik ausgesetzt, die zum Teil bis heute anhält. Spätestens mit der gesetzgeberischen Einführung des Art. 17 Rom II-VO ist indes anzuerkennen, dass die Berücksichtigung über die Jahre zum festen Bestandteil des Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse geworden ist. Es wurde gezeigt, dass grundlegend zwischen der echten und der unechten Berücksichtigung nicht anwendbarer Rechtsnormen zu unterscheiden ist. Die unechte Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts bezeichnet die Einbeziehung von Rechtswirkungen, die Teil des Sachverhalts geworden sind. Dazu zählen zuvorderst real bestehende und empfindbare Sanktionsdrohungen, die kausal auf dem Bestand einer Rechtsnorm beruhen. Solche Rechtswirkungen enthalten keinen verhaltensleitenden, insbesondere normativen Kern. Sie sind schlicht tatsächlich existent, werden Teil des Sachverhalts und müssen daher ebenso wie jede andere Sachverhaltstatsache subsumiert werden. Ihren Hauptanwendungsbereich entfaltet die unechte Berücksichtigung bei der Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen. Dort findet auch der größte Teil der Schrifttumsauseinandersetzung mit dieser Form der Berücksichtigung statt. Die echte Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts betrifft dagegen vor allem das Deliktsrecht. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um die Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkungen einer Norm. Vielmehr soll die nicht anwendbare Norm in ihrem normativen, verhaltensleitenden Gehalt gewürdigt werden, ohne jedoch angewandt zu werden. Im Deliktsrecht muss also ein für das Schädigerverhalten maßgeblicher Sollenssatz gefunden werden, der zwar auf einer nicht anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregel beruht; diese Norm darf aber gerade
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nicht unmittelbar angewandt werden. Das Schrifttum beschreibt diese Erscheinungsform vielerorts als Berücksichtigung von Rechtserwartungen.
IV. Dogmatik und Funktion der Berücksichtigung im internationalen Deliktsrecht Zentrales Ziel dieser Untersuchung ist es daher, eine nachvollziehbare, reproduzierbare und möglichst auch praktisch handhabbare Berücksichtigungsdogmatik für das internationale Deliktsrecht zu entwickeln. Das Resultat dieser Zielsetzung ist die Dogmatik der Renormativierung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im internationalen Deliktsrecht. Dabei ist zunächst zu beachten, dass sich dieses Konzept nur auf verhaltenssteuernde Normen und somit die echte Berücksichtigung anwenden lässt. Die Berücksichtigung von Rechtswirkungen (siehe oben) bleibt daher außer Acht. Bei der Renormativierung handelt es sich um eine Analyse und Übertragung der Verkehrserwartungen des lokalen Verkehrskreises. Um eine lokale Sicherheits- und Verhaltensnorm unterscheidbar von der reinen Rechtsanwendung zu berücksichtigen, wird zunächst überprüft, ob und wie die Norm tatsächlich befolgt wird. Diese tatsächliche Umsetzung der Sicherheits- und Verhaltensregel durch die Teilnehmer des lokalen Verkehrskreises begründet Umfang und Ausmaß der im Einzelfall zu berücksichtigenden Verhaltensanforderungen. Die Renormativierung besteht also in der Bildung eines Verhaltensmaßstabes aus den üblichen Verhaltensweisen des lokalen Verkehrskreises. Diese Verhaltensweisen können meist auf die zu berücksichtigende abstrakte Sicherheits- und Verhaltensregel zurückgeführt werden. Zunächst besteht eine Schwäche dieses Ansatzes darin, dass die berechtigten Erwartungen des lokalen Verkehrskreises auch ohne Zuhilfenahme von lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln analysiert und in eine neue Verhaltensnorm überführt werden könnten. Damit wäre der Umweg über eine Berücksichtigung solcher Normen überflüssig. Nach dem hier entwickelten Konzept kommt dem Berücksichtigungsprinzip daher zentral eine weitere Funktion zu: Der Berücksichtigung liegt der Gedanke zugrunde, dass mit einer verhaltenssteuernden Regel grundsätzlich auch eine Erwartungshaltung der Teilnehmer des Verkehrskreises, für die die Regel gilt, korrespondiert. Es wird davon ausgegangen, dass die Verhaltensregel in ihrem personellen und territorialen Geltungsbereich tatsächlich befolgt wird. Hieraus lässt sich eine Vermutungsfunktion des Berücksichtigungskonzeptes ableiten: Die Berücksichtigung in ihrer ungeschriebenen und geschriebenen (Art. 17 Rom II-VO) Ausprägung lässt widerleglich vermuten, dass sich ein lokaler Verkehrskreis stets an den lokal geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln ausrichtet. Dies begründet einen Vertrauensschutz hinsichtlich jener Regeln und rechtfertigt deren von dem Delikts-
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statut abweichenden Berücksichtigung. Soweit daher eine Berücksichtigung von lokalen Sicherheits- und Verhaltensregeln vorzunehmen ist, müssen die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort nicht positiv nachgewiesen werden, sondern werden widerleglich als mit dem Regelungsgehalt der einschlägigen Sicherheits- und Verhaltensregeln übereinstimmend vermutet. Mit der Renormativierungsdogmatik ist damit zunächst nur das „Wie“ der Berücksichtigung beschrieben. Das „Ob“ richtet sich dagegen nach hergebrachten internationalprivatrechtlichen Erwägungen und hier zuvorderst nach der Vorhersehbarkeit der zu berücksichtigenden Regeln. Daraus lässt sich ableiten, dass die Berücksichtigung funktionell dem internationalen Privatrecht zuzuordnen ist. Methodisch kommt ihr dagegen erst auf der Ebene des Sachrechts, etwa bei der Bestimmung von Rechtswidrigkeit und Schuld des Schädigers Bedeutung zu. Diese Konstruktion fügt sich in den theoretischen Rahmen der Zwei-Stufen-Theorie.
V. Art. 17 Rom II-VO Art. 17 Rom II-VO enthält nunmehr eine positive Berücksichtigungsanordnung. Die Vorschrift basiert auf verschiedenen Vorbildern. Sie entspricht im Wortlaut mit wenigen Abweichungen Art. 7 HStrVÜ. Ein entscheidender Unterschied zu dieser Vorgängervorschrift liegt indes im umfassenden sachlichen Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO: Während Art. 7 HStrVÜ ausschließlich auf Straßenverkehrsunfälle und damit auf Platzdelikte anzuwenden ist, gilt Art. 17 Rom II-VO für alle Erscheinungsformen der durch die Rom IIVO erfassten außervertraglichen Schuldverhältnisse. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist dabei allerdings ausschließlich das Recht der unerlaubten Handlung. Hier ist von entscheidender Bedeutung, dass auch Distanzdelikte vom Anwendungsbereich des Art. 17 Rom II-VO umfasst sind. Die Ratio des Art. 17 Rom II-VO divergiert daher abhängig von dem zugrundeliegenden internationalprivatrechtlichen Deliktstypus. Für Platzdelikte soll Art. 17 Rom II-VO als Ergänzung des Deliktsstatuts fungieren, während die Anknüpfung von Distanzdelikten mithilfe des Art. 17 Rom II-VO regelmäßig korrigiert werden soll. Dabei können beide Funktionen des Art. 17 Rom IIVO durch die entwickelte Dogmatik der Renormativierung erfüllt werden. Die Vorschrift ordnet dies durch die Formulierung „[...] faktisch und soweit angemessen [...] zu berücksichtigen [...]“ an. Eine wichtige Ergänzung gegenüber dem ungeschriebenen Berücksichtigungsprinzip nimmt Art. 17 Rom II-VO mit dem Erfordernis einer Angemessenheitskontrolle vor. So kommt eine Berücksichtigung nur dann in Betracht, wenn und soweit sie angemessen erscheint. Damit wird insbesondere das „Ob“ der Berücksichtigung gesteuert; aber auch der Umfang der Berücksichtigung kann über das Erfordernis der Angemessenheit gesteuert werden, etwa, ob nur
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eine einzelne Sicherheits- und Verhaltensregel oder ein ganzes Regelwerk berücksichtigt werden soll. Die Angemessenheit der Berücksichtigung unterliegt dabei vornehmlich internationalprivatrechtlichen Prinzipien. Zuvorderst müssen hier die Vorhersehbarkeit des einschlägigen Verhaltensmaßstabes und der Schutz des Schädigers beachtet werden. Gerade das Angemessenheitserfordernis trägt also die insgesamt überwiegend internationalprivatrechtliche Ratio des Art. 17 Rom II-VO und ordnet die Vorschrift daher trotz der Anwendung auf Ebene des Sachrechts funktionell klar dem internationalen Privatrecht zu.
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Sachverzeichnis Akzessorische Anknüpfung 23, 47, 51 Allseitigkeit der Berücksichtigung 188 f. American legal realism 63 Angemessenheit 29, 53, 121. 137 ff., 146 ff., 150 f., 154, 159, 169, 174 ff., 182, 185 f., 194, 197, 200, 204 f. Bauliche Sicherheitsstandards 96 ff., 196 Berücksichtigung 4 ff., 52 ff., 59 f., 109 ff., 151 ff., 169 ff., 202 f. – echte 79 ff., 88 ff., 111, 125, 202 – unechte 82 ff., 98 ff., 125, 202 Beweis – ausländischen Rechts 187 f. – Vermutung 120, 122 ff., 126 f., 129 f., 178 ff., 182 f., 195, 197, 203 f. Binnenmarkt 47 Blutalkoholgrenzen 86, 89 f., 126 f., 175 Brüssel Ia-VO 26, 50 f., 152, 159 Codes of Conduct 84, 85, 151, 164 f., 166 f. Currie, Brainerd 60, 63 data/datum 77 ff., 125 f., 155 ff. – local 59 f., 63 ff., 67 ff., 85 ff., 92 f., 97. 105 f., 114 f., 125 ff., 150, 155, 168 f., 175 f., 188 f., 199 – moral 63 ff., 100, 105 f., 188 f. Datumtheorie 4 f., 7 f., 11 f., 59 ff., 74 ff., 78 f., 95 f., 100, 102 f., 104 ff., 109 ff., 113 f., 151, 168, 170, 172, 202 f.
Delikt – Distanzdelikt 8 ff., 18 ff., 23 f., 52, 144 ff., 151, 153, 174, 176 ff., 180 ff., 201, 204 – Platzdelikt 17, 23, 144, 153, 174 f., 180 ff., 201, 204 – Zwecke 36 ff., 52 f., 73, 141 f., 158, 176, 203 dépeçage 27 f., 44 ff., 71 f., 127 f., 162, 201 Ehrenzweig, Albert Armin 4 f., 60 ff., 77, 81, 104, 188, 202 Eingriffsnorm 44, 74, 78 ff., 101 f., 154, 189, Einheitsprinzip 27 f., 35, 44 ff., 53 f., 59, 67, 141, 161 f., 201 Entscheidungseinklang 27 f., 42 f., 47, 76, 169 f. Ermessen 72 ff., 87, 102, 104, 106, 138 f., 149 f., 154, 168 Fallnorm 119 FIS-Verhaltensregeln, siehe auch Skiunfall forum shopping 47 Generalklausel 21, 63, 66, 69 f., 99 f., 110 f., 161 f. – familienrechtliche 104 f. Gerichtsstand, siehe auch Brüssel IaVO Gewohnheitsrecht 83 ff., 94 ff., 121, 125 f., 157, 168 gewöhnlicher Aufenthalt 1, 6, 16 f., 21 f., 25, 29 f., 45 f., 50 f., 54, 85, 89, 92 f., 101, 117 f., 120 f., 126 f., 130, 144 f., 194, 201 Grundrechte 166
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Sachverzeichnis
Handeln unter falschem Recht 59 f., 102 ff. Hinterbliebenengeld 26, 41 indirekte Schadensfolgen 24 ff., 34, 51, 152, Insassenunfall 85 ff., 116 ff., 126 f., 144 f., 163, 175 f. Kompensation, siehe auch Delikt, Zwecke lex fori approach 61, 64 f. Linksverkehr 6, 92 f., 111 f., 114, 116, 119 ff., 126 f., 169 local data, siehe auch data Menschenrechte 10 f., 164 ff., Mitverschulden 91, 94 f., 117, 185 ff. moral data, siehe auch data Organisationsverschulden 31 ff., 50, 151, 160, 196 ff., 199 f. Prävention, siehe auch Delikt, Zwecke Produkthaftung 136 f., 149 Prohibition 60, 79 f., 88, 98 ff., 107 Rache, siehe auch Delikt, Zwecke Rechtsfortbildung 72 f., 110 f. Rechtssicherheit 27, 32, 42, 47, 73 f., 87, 107, 157, 178, 189 Rechtswahl 18, 21, 26 ff., 44, 102 f., 125, 149, 157, 186 f. Renormativierung 109 ff., 118 ff., 162, 170, 174, 181, 196 f., 203 f. Rom I-VO 26, 59, 71, 79, 101 f., 189 Savigny, Friedrich Carl von 42, 44, 73, 201 Skiunfall 6, 28 ff., 83 ff., 94 ff. 167 f., Soft Law 156 f., 164 ff.
Sonderanknüpfung 27, 44 f., 53 f., 66 f., 71 ff., 78 ff., 88 ff., 106 f., 122 ff., 127 f., 172 f. Statutenlehre 70 f. Strafe, siehe Delikt, Zwecke Streudelikt 24 Substitution 66, 74 ff., 102 ff. Tatortregel 1, 16 ff., 24, 46 ff., 51 ff., 92, 114 Trading with the Enemy Act 98 Trust 103 f. Ubiquitätsprinzip, siehe auch Tatortregel Umweltschäden 24, 29, 48 Unmöglichkeit 78, 80 ff., 98 ff. Verbotsnorm, siehe auch Prohibition Verhaltensteuerung, siehe auch Delikt, Zwecke Verkehrserwartung 94, 114 ff., 116, 129 f., 181 ff., 185, 187, 194, 197, 203 Verkehrskreis siehe auch Verkehrserwartung – externer und interner 114, 115 ff., 130 Verkehrsunfall 6 f., 46, 85 ff., 88 ff., 111 f., 116 f., 120 f., 123 f., 126 f., 136 f., 144 f., 163 f., 167 f. 174 f., 204 Verschulden 36 ff., 46, 56, 72, 82, 91 ff., 95, 105, 111 f., 116, 120, 128, 160 ff., 178 f., 185 f., 196, 200 Vorhersehbarkeit des maßgeblichen Rechts 4, 30, 36, 42, 48 ff., 52 f., 59, 73 f., 76, 128 f., 141 f., 148, 150 f., 169 f., 174 ff., 189, 194 f., 197 ff., 199 f., 204 f. Zwei-Stufen-Theorie 61, 66 f., 69 ff., 74, 100, 103, 104 f., 127 ff., 174, 179, 181, 193, 196