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German Pages 404 Year 2017
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 384 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Sarah Woyciechowski
Haftungsgrenzen im französischen Deliktsrecht Zur Reichweite der deliktischen Generalklausel in Art. 1382 f. Code civil
Mohr Siebeck
Sarah Woyciechowski, geboren 1988; Studium der Rechtswissenschaften in Münster und Montréal (LL.M.); Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Rechtsgeschichte in Münster; Research Assistant am Institute of Comparative Law in Montréal (McGill University); 2016 Promotion; derzeit Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin.
D6; Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster.
ISBN 978-3-16-155267-0 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Jahr 2016 als Dissertation vorgelegen. Mein herzlicher Dank gebührt an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Nils Jansen, der dieses Thema angeregt hat und mir bei der Entstehung der Arbeit zu jeder Zeit mit Hinweisen, Rat und Kritik zur Seite stand. Ich habe mich an seinem Lehrstuhl immer sehr wohl gefühlt und dort ideale Bedingungen zum Verfassen dieser Arbeit vorgefunden. Herrn Professor Dr. Gerald Mäsch danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank gilt auch den Professoren und Doktoranden der Rheinisch-Westfälischen-Graduiertenschule „Recht als Wissenschaft“ und des „Programme in European Private Law for Postgraduates“, mit denen ich einzelne Fragen der Arbeit diskutieren konnte; sie haben mir wertvolle Ratschläge gegeben und neue Perspektiven auf die Fragestellung eröffnet. Bedanken möchte ich mich auch bei David Gilles für die unkomplizierte Zusendung seiner Dissertation „La pensée juridique de Jean Domat“, die ich auf anderem Weg nicht erhalten konnte und die mir wertvolle Einblicke in das juristische Denken Domats gebracht hat. Herzlich danken möchte ich auch allen Freunden und Kollegen, die mich beim Korrekturlesen der Arbeit unterstützt haben. Besonderer Dank gilt Elisabeth Wirion, die mir mit ihren Kenntnissen des französischen Rechts geholfen hat, Struktur und Ordnung in mein Verständnis der französischen Rechtswissenschaft zu bringen, sowie Andrea Ammendola und Kristin Vorbeck, die in einer schwierigen Phase für mich da waren. Von Herzen danken möchte ich auch meinen Geschwistern Judith und Daniel für ihre Unterstützung während der Promotion und ihre unendliche Geduld mit mir. Großer Dank gilt auch der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mich während des Studiums und der Promotion finanziell und ideell gefördert hat, sowie der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg, für den großzügigen Zuschuss zu den Druckkosten. Literatur und Rechtsprechung sind bis Mitte 2016 berücksichtigt. Auch die Änderungen des Code civil durch die französische Reform des Vertrags- und allgemeinen Schuldrechts, die am 1.10.2016 in Kraft getreten sind, wurden eingearbeitet.
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Vorwort
Diese Arbeit ist meinen Eltern gewidmet, die mich immer gefördert und in jeder Lebenslage bedingungslos unterstützt haben. Ich kann ihnen nicht genug dafür danken. Berlin, im August 2017
Sarah Woyciechowski
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis
Vorwort .. ................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis .............................................................................XIX
Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips ..........................................15 A. Die Entwicklung im Naturrecht ................................................................15 B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht ..........................................52 C. Ergebnis zu Kapitel 1 .............................................................................126
Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert: Der Umfang der deliktischen Haftung von 1804–1900...............128 A. Herangehensweise an das neue Gesetz ...................................................129 B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung .............................................140 C. Der Code civil in Deutschland ...............................................................227 D. Ergebnisse zur Entwicklung im 19. Jahrhundert ....................................259
Kapitel 3: Die Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert .............261 A. Faute und fait illicite ..............................................................................262 B. Ersatzfähiger Schaden ...........................................................................301
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Inhaltsübersicht
C. Kausalität ..............................................................................................329 D. „Techniken“ zur Einschränkung der Haftung ........................................340 E. Einige Ergebnisse zu Teil 3 ....................................................................345
Gesamtergebnis .....................................................................................348 Schrifttumsverzeichnis ...............................................................................353 A. Quellen zu Kapitel 1 ...............................................................................353 B. Literatur .................................................................................................356 C. Urteilsanmerkungen ...............................................................................377 Sachregister ................................................................................................379
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort .. ................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis .............................................................................XIX
Einleitung ................................................................................................... 1 I. Ausgangspunkt: zwei verschiedene Regelungsmodelle .................... 1 II. Praktische Unterschiede der Regelungen: die Ersatzfähigkeit primärer Vermögensschäden ............................. 3 1. Konsequenzen der restriktiven Haltung im deutschen Recht ...... 4 2. Gründe für den Ausschluss primärer Vermögensschäden ........... 4 3. Konsequenzen der offenen Regelung im französischen Recht .... 5 III. Begründung des umfassenden Ersatzes im französischen Recht ....... 7 IV. Gegenstand der Arbeit ..................................................................... 9 V. Gang der Untersuchung ...................................................................12 VI. Terminologie ..................................................................................13
Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips ..........................................15 A. Die Entwicklung im Naturrecht ................................................................15 I. Hugo Grotius ..................................................................................16 1. De iure praedae commentarius (1604) ......................................17 a) Oberste Prinzipien ...............................................................18 b) Gerechter Krieg und subjektive Rechte ................................19 c) Zwischenergebnis ................................................................20 2. Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid (um 1621) ....21 a) System des Schadensersatzes und subjektive Rechte ...........21 b) Zwischenergebnis ................................................................24 3. De iure belli ac pacis (1625) .....................................................24 a) Grundlagen des Rechtssystems ............................................25
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Inhaltsverzeichnis
b) Subjektive Rechte als zentraler Bestandteil ..........................28 c) Das Schadensersatzrecht ......................................................29 aa) Schaden .........................................................................30 (1) Schwierigkeiten bei der Schadensfeststellung ............31 (2) Umfang der Ersatzpflicht ...........................................32 bb) Sonderfall „Nichtigkeit einer irrtümlichen Willenserklärung“ .....................................................................33 cc) faute ...............................................................................37 d) Zwischenergebnis .................................................................37 e) Exkurs: Einflüsse auf Grotius...............................................38 4. Zwischenergebnis zu Grotius.....................................................39 II. Samuel Pufendorf ............................................................................41 1. Naturrechtliches Verständnis und Pflichtenlehre .......................42 2. Schadensersatzrecht ...................................................................44 a) Einzelheiten zur Ersatzpflicht ..............................................46 b) Haftung für die Nichtigkeit einer irrtumsbehafteten Willenserklärung .................................................................49 3. Zwischenergebnis zu Pufendorf .................................................51 B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht ..........................................52 I. Ancien droit (allgemein) .................................................................53 1. Überblick...................................................................................54 2. Deliktische Haftung ...................................................................59 a) Nur im Zusammenhang mit Strafen/droit criminel ...............60 b) Lex Aquilia erläutert ............................................................62 c) Haftung für die Nichtigkeit eines Vertrags ...........................65 II. Jean Domat .....................................................................................66 1. Anliegen Domats .......................................................................68 2. Grundlagen des Rechtssystems und Methode ............................70 3. Schadensersatzrecht ...................................................................74 a) Die deliktische Generalklausel bei Domat ............................75 b) Ersatzpflicht im Falle nichtiger Verträge .............................79 c) Bedeutung der Generalklausel ..............................................81 4. Zwischenergebnis zu Domat ......................................................81 5. Ausstrahlung .............................................................................84 a) Henri-François d’Aguesseau ...............................................86 aa) Exkurs: Das Schadensersatzrecht bei Christian Wolff ..............................................................................88 bb) Parallelen bei d’Aguesseau ............................................91 b) Michel Prévost de la Jannès ................................................92 III. Robert Joseph Pothier .....................................................................94 1. Einstellung zum römischen Recht ..............................................95
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2. Werke ........................................................................................97 3. Traité des obligations ................................................................99 a) Ausführungen zur deliktischen Haftung ...............................99 b) Ersatzpflicht bei nichtigen Verträgen .................................101 aa) Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen ..........................101 bb) Andere Fälle „vorvertraglichen Verschuldens“ ............102 c) Umfang der deliktischen Haftung .......................................104 4. Zwischenergebnis zu Pothier ...................................................105 IV. Entstehung des Code civil .............................................................108 1. (Verfassungs-)Rechtliche Vorgaben und Zuständigkeit ........... 108 2. Entwürfe ..................................................................................110 a) Die Entwürfe von Cambacérès...........................................112 b) Zwischenergebnis ..............................................................117 3. Der „finale“ Entwurf ...............................................................118 a) Regelung der deliktischen Haftung ....................................120 b) Begründungen und Motive .................................................121 aa) Treilhard (Corps législatif) ..........................................121 bb) Bertrand de Greuille (Tribunal) ..................................122 cc) Tarrible (Corps législatif) ............................................123 4. Zwischenergebnis zur Entstehung des Code civil ....................124 C. Ergebnis zu Kapitel 1 .............................................................................126
Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert: Der Umfang der deliktischen Haftung von 1804–1900...............128 A. Herangehensweise an das neue Gesetz ...................................................129 Rückgriff auf das Ancien droit ......................................................130 Natürliche Billigkeit, équité ..........................................................133 Rechtsvergleichende Auslegung ....................................................134 Der Wille des Gesetzgebers ..........................................................135 1. Gesetzesmaterialien .................................................................135 2. École de l’exégèse ...................................................................136 3. Das Verhältnis zur Rechtsprechung .........................................138 V. Zwischenergebnis zur Herangehensweise an das neue Gesetz .......139
I. II. III. IV.
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung .............................................140 I. Behandlung durch die Lehre .........................................................140 1. Eigenständige Bedeutung von fait illicite und faute .................142 a) Fait illicite .........................................................................143 b) Faute .................................................................................145
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2. Erfordernis einer Rechtsverletzung ..........................................147 a) Rechtsverletzung als Grenze erlaubten Verhaltens .............147 b) Verständnis in der Lehre ....................................................148 aa) Ausgangspunkt: Toullier ..............................................149 bb) Weiterführung in der französischen Lehre ...................151 cc) Zachariae und Übersetzungen ......................................153 dd) Ausdehnung bei Laurent ..............................................156 c) Verortung innerhalb der deliktischen Generalklausel .........159 d) Zwischenergebnis zur Rechtsverletzung ............................160 3. Rechtsgebrauch .......................................................................161 a) Beispielsfälle .....................................................................163 b) Einschränkungen ...............................................................166 4. Praxisbezug .............................................................................168 a) Häufige Fallgruppen im Rahmen der Art. 1382 f. Cc .........168 b) Spezialfall: Haftung von Notaren .......................................171 c) Spezielle Haftungstatbestände ............................................175 aa) Schäden durch wilde Tiere ...........................................175 bb) Arbeitsunfälle ..............................................................176 d) Zwischenergebnis ..............................................................178 5. Ersatz vertraglicher Schäden über die Art. 1382 f. Cc .............179 6. Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen ......................181 a) Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen ................................182 b) Error in persona ................................................................183 c) Widerruf eines Angebots ....................................................185 d) Zwischenergebnis ..............................................................186 7. Zwischenergebnis zur Behandlung durch die Lehre .................187 II. Rechtsprechungspraxis ..................................................................190 1. Vorbemerkungen zur Analyse .................................................190 a) Untersuchungsgegenstand ..................................................190 b) Besonderheiten des französischen Urteilsstils .................... 192 2. Fallgruppen .............................................................................195 a) Eigentum............................................................................195 aa) Beeinträchtigungen nachbarlicher Grundstücke ...........196 bb) Feuerschäden ...............................................................198 cc) Bergbau und Minen ......................................................199 dd) Kaninchen, Wild ..........................................................200 ee) Gewerbliches/geistiges Eigentum .................................201 ff) Sonstige Eigentumsverletzungen...................................202 b) Leben, Körper, Gesundheit ................................................204 aa) Duelle ..........................................................................204 bb) Unfälle durch öffentliche Verkehrsmittel ..................... 205 cc) Arbeitsunfälle ..............................................................206 dd) Exkurs 1: Ersatzberechtigte im Todesfall .....................208
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ee) Exkurs 2: Das Verhältnis zu strafrechtlichen Urteilen ............................................................................210 c) Ansehen, Ehre ....................................................................211 aa) Heiratsversprechen; Verführung, Ehebruch ..................211 bb) (Öffentliche) Beleidigungen ........................................212 cc) Prozessführung ............................................................213 dd) Exkurs 3: Ersatz moralischen Schadens .......................213 d) „Vermögen“ .......................................................................214 aa) Notarhaftung ................................................................214 bb) Aufsichtsrat/Verwaltungsrat Gesellschaft ....................217 cc) Sonstige Fälle ..............................................................219 e) Verletzung von Vertragspflichten ......................................219 3. Zwischenergebnis zur Rechtsprechungspraxis .........................222 III. Vergleichende Auswertung ...........................................................225 C. Der Code civil in Deutschland ...............................................................227 I. Die Rezeption des Code civil in Deutschland ................................227 1. Gesetzliche Besonderheiten in Deutschland.............................229 a) Die deliktische Generalklausel im Badischen Landrecht...................................................................................229 b) Spezialgesetzliche reichseinheitliche Regelungen .............. 231 2. Der Umgang mit dem Code civil/Badischen Landrecht ........... 233 a) Lehre..................................................................................233 b) Gerichte .............................................................................235 II. Das Verständnis der deutschen Lehre vom Umfang der deliktischen Haftung ........................................................................237 1. Badisches Landrecht ................................................................237 2. Rheinisches Recht ...................................................................242 3. Vergleichende Ergebnisse .......................................................243 III. Die Rechtsprechung deutscher Gerichte ........................................244 1. Genereller Überblick: Rechtsverletzungen und Fallgruppen ..........................................................................................245 a) Leben und Körper ..............................................................245 b) Eigentum ...........................................................................247 c) Ehre und Ansehen ..............................................................248 d) Vermögen als solches ........................................................249 e) Vorvertragliches Verschulden ............................................250 f) Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen .............................252 2. Abweichende Rechtsprechung zu Einzelfragen .......................253 a) Verlöbnisbruch und Verführung zum Beischlaf .................253 b) Beeinträchtigungen nachbarlicher Grundstücke .................254 c) Ersatz moralischen Schadens .............................................255
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3. Fälle, die gerade nicht über die Art. 1382 f. Cc/LRS entschieden wurden .................................................................256 IV. Ergebnis zum deutschen und französischen Verständnis ...............258 D. Ergebnis zur Entwicklung im 19. Jahrhundert .......................................259
Kapitel 3: Die Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert .............261 A. Faute und fait illicite ..............................................................................262 I. Die Bedeutung der faute für die deliktische Haftung .....................262 1. Notwendigkeit des Erfordernisses: théories du risque und objektive Haftung ....................................................................262 2. Beweiserleichterungen in bestimmten Situationen ...................265 a) Strikte Haftung bei bestimmten Verletzungen ....................265 b) Haftung des gardien ..........................................................266 3. Autonomer Schutz subjektiver Rechte .....................................268 4. Beibehaltung der faute .............................................................269 II. Die faute in der Lehre ...................................................................269 1. Anknüpfung an Rechtsverletzung und fait illicite ....................271 2. Die faute als Verletzung einer Pflicht ......................................274 a) Ausgangspunkt Planiol: manquement à une obligation préexistante .......................................................................275 b) Kritik und abweichendes Verständnis ................................ 276 c) Konkretisierungen der Pflichtverletzung ............................277 aa) Obligations déterminées...............................................278 bb) Obligation générale de prudence et de diligence .........278 cc) Übertragung der im Vertragsrecht üblichen Einteilung der Obligationen auf das Deliktsrecht? .............279 3. Die faute als „erreur de conduite“ ............................................282 a) Beurteilungsperspektive .....................................................283 b) Vergleichsmaßstab .............................................................284 c) Einwände der Lehre ...........................................................285 4. Zwischenergebnis zur faute in der Lehre .................................286 III. Verständnis der Rechtsprechung ...................................................286 1. Pflichtverletzung als Element der faute ...................................287 a) Obligations déterminées .....................................................288 b) Obligation générale de prudence et de diligence ...............288 aa) Beurteilungsperspektive ...............................................289 bb) Anerkannte Kategorien ................................................290 2. Zwischenergebnis zum Verständnis der Rechtsprechung .........291 IV. Ausdehnung der faute durch die théorie de l’abus du droit ...........291
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V. Exkurs: Die Bedeutung der Pflichtverletzung im kanadischen Recht (Québec).............................................................................297 VI. Zwischenergebnis zu faute und fait illicite ....................................300 B. Ersatzfähiger Schaden ...........................................................................301 I. Generelle Unbegrenztheit des Schadensbegriffs ............................301 II. Rechtsverletzung als Begrenzung ..................................................303 III. Erneuter Verzicht auf einschränkende Kriterien ............................309 1. Veranschaulichung des weiten Verständnisses ........................310 a) Ersatz emotionaler Schäden ...............................................311 b) Primäre Vermögensschäden ...............................................314 aa) Verlust einer Chance ....................................................315 bb) Vorvertragliches Verschulden......................................320 (1) Widerruf eines Angebots..........................................320 (2) Nichtige Verträge .....................................................322 (3) Abbruch von Vertragsverhandlungen .......................323 2. Entwicklung einschränkender Kriterien ...................................325 IV. Zwischenergebnis zum ersatzfähigen Schaden .............................328 C. Kausalität ..............................................................................................329 I. Bezugspunkte der Kausalität .........................................................330 II. Auslegung in Lehre und Rechtsprechung ......................................331 1. Ansätze der Lehre ....................................................................332 a) Äquivalenztheorie ..............................................................332 b) Adäquanztheorie ................................................................333 c) Proximité des causes; conséquence immédiate ...................333 2. Vorgehen der Rechtsprechung .................................................333 a) Ausgangspunkt: ein weites Verständnis .............................334 b) Einschränkungen ...............................................................334 aa) Bestimmung nach dem Grad der faute..........................334 bb) Exklusive Ursachen .....................................................335 cc) Relativität ....................................................................335 III. Beweislast und Kausalitätsvermutungen .......................................336 IV. Anwendung der perte d’une chance-Doktrin? ...............................337 V. Ausschlussgründe .........................................................................338 VI. Zwischenergebnis zur Kausalität ................................................... 339 D. „Techniken“ zur Einschränkung der Haftung ........................................340 I. Non-cumul des responsabilités ......................................................340 II. Ausdehnung vertraglicher Pflichten ..............................................343 E. Einige Ergebnisse zu Teil 3 ....................................................................345
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Inhaltsverzeichnis
Gesamtergebnis .....................................................................................348 Schrifttumsverzeichnis ...............................................................................353 A. Quellen zu Kapitel 1 ...............................................................................353 B. Literatur .................................................................................................356 C. Urteilsanmerkungen ...............................................................................377 Sachregister ................................................................................................379
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ABGB a.A. a.a.O. AcP al. ALR Am. J. Comp. L. Anm. AppG(H) Art. Ass. plén. B.R. Bad. Annalen Bad. Rgbl. BGB BGH Bull. civ. Bulletin des lois BT-Drs. bzw. CA Can. Bar. Rev. cap. Cass. ch. com. Cass. ch. mixte Cass. ch. réun. Cass. civ./sec. civ. Cass. crim./sec. crim. Cass. req./sec. req. Cc Cc2016 CC CcLC
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich), 1811 anderer Ansicht am angegebenen Ort Archiv für die civilistische Praxis alinéa Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) American Journal of Comparative Law Anmerkung Appellationsgerichtshof Artikel Assemblée plénière Les rapports judiciaires officiel de Québec, Banc de la Reine Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte Großherzoglich Badisches Regierungsblatt Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bulletin des arrêts des chambres civiles de la Cour de cassation Bulletin des lois de la République française/de l’Empire français Bundestagsdrucksache beziehungsweise Cour d’appel The Canadian Bar Review caput/capitulum/capita/capitula Handelskammer der Cour de cassation Gemischte Kammer der Cour de cassation Vereinigte Kammer der Cour de cassation Zivilkammer der Cour de cassation Strafkammer der Cour de cassation Chambre des requêtes der Cour de cassation Code civil (1804) Code civil in der Fassung vom 1.10.2016 nach der Reform des Vertrags- und allgemeinen Schuldrechts Conseil constitutionnel Civil Code of Lower Canada
XX CcQ CE Cels. ch. chap. CI CR D.
D. Jur. gén.
D.A. D.C. D.H.
D.P.
dens. ders. dies. DRiZ dub. esp. f./ff. Fn. Gaz. judic. et com Gaz. Pal.
ggf. Hg. hgg. von Inst. IR J. JBl. JCP JherJB JORF
Abkürzungsverzeichnis Code civil du Québec Conseil d’État Celsus chambre (Kammer) chapitre Cour impériale Cour royale Recueil Dalloz, 1924–1955; Recueil Dalloz Sirey de doctrine, de jurisprudence et de législation, seit 1955 Jurisprudence générale, recueil périodique et critique de jurisprudence, de législation et de doctrine (Dalloz), 1825–1923 Recueil analytique de jurisprudence et de législation (Dalloz), 1939–1944 Recueil critique de jurisprudence et de législation (Dalloz), 1941–1944 Recueil hebdomadaire de jurisprudence en matière civile, commerciale, criminelle, administrative et de droit public (Dalloz), 1924–1938 Recueil périodique et critique de jurisprudence, de législation et de doctrine en matière civile, commerciale, criminelle, administrative et de droit public (Dalloz), 1924–1940 denselben derselbe dieselbe(-n) Deutsche Richterzeitung dubitatio espèce folgende Fußnote(-n) Gazette judiciaire et commerciale de Lyon La gazette du palais, contenant la jurisprudence, la doctrine et la législation publiées dans le journal et le recueil mensuel des sommaires, seit 1886 gegebenenfalls Herausgeber herausgegeben von Institutiones Iustiniani Informations rapides Jurisprudence Justizblatt La semaine juridique (édition générale)/JurisClasseur périodique Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Journal officiel de la République Française
Abkürzungsverzeichnis Journal des audiences Jura JW JZ La L Rev lib. Lk. LRS (Rh.) KassH m.w.N. Mt. NJW Nr. ÖBA OG OGH OHG OJLSt OLG OR Pan. Pomp. qu. RabelsZ Rec. CE Rev. crit. Resp. civ. et assur. RGBl RGZ Rh. AppGH RhA
RHD RIDC Rn. ROHG Rspr. RTD civ. S. Sir.
XXI
Journal des audiences de la Cour de cassation, ou Recueil des arrêts de cette cour, 1791–1824 Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Louisiana Law Review liber Evangelium nach Lukas Landrechtssatz (Rheinischer) Kassationshof mit weiteren Nachweisen Evangelium nach Matthäus Neue Juristische Wochenschrift Nummer BankArchiv – Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen (Österreich) Obergericht Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberhofgericht Oxford Journal of Legal Studies Oberlandesgericht Obligationenrecht (Schweiz), 1911 Panorama Sextus Pomponius quaestio Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des décisions du Conseil d'Etat (Recueil Lebon) Revue critique de législation et de jurisprudence Responsabilité civile et assurances Deutsches Reichsgesetzblatt Entscheidungssammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinischer Appellationsgerichtshof (zu Berlin) Archiv für das Civil- und Kriminalrecht der königlich-preußischen Rheinprovinzen, Köln 1820–1906, Neue Folge Revue historique du droit français et étranger Revue internationale de droit comparé Randnummer Reichsoberhandelsgericht Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit civil Seite Recueil Sirey = Recueil général des lois et des arrêts en matière civile, criminelle, administrative et de droit public, begründet durch Jean-Baptiste Sirey, 1791, 1804, 1809–1828, 1831–1949
XXII sec. Somm. tit. u.a. Ulp. vgl. z.B. Zak ZDR ZEuP ZfrzCR ZRG Germ. Abt. ZRG Rom. Abt.
Abkürzungsverzeichnis section Sommaire titre unter anderem Ulpianus vergleiche zum Beispiel Zivilrecht aktuell (Zeitschrift) Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für französisches Civilrecht Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (germanistische Abteilung) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (romanistische Abteilung)
Einleitung Einleitung
Während der BGB-Beratungen musste sich die 2. Kommission mit dem Antrag auseinandersetzen, die deliktische Haftung nach schweizerischem (und französischem) Vorbild durch eine ganz allgemein gehaltene Generalklausel zu regeln: „Wer einem Anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es aus Vorsatz, sei es aus Fahrlässigkeit, ist ihm zum Ersatze verpflichtet.“ 1 Die Mehrheit der Kommission lehnte diesen Antrag ganz entschieden ab: Die Voraussetzungen für den Eintritt der Ersatzpflicht müssten klar normiert sein, ansonsten würde die Lösung auf den Richter abgeladen. Dies sei aber nicht mit dem deutschen Verständnis von der Stellung des Richters vereinbar. Die größte Befürchtung sahen die Kommissionsmitglieder darin, dass man andernfalls zu „ähnlichen Auswüchsen gelangen würde, welche zahlreiche Urteile der franz. Gerichte aufweisen“2 – dem Richter müssten daher durch das Gesetz selbst objektive Maßstäbe an die Hand gegeben werden. I. Ausgangspunkt: zwei verschiedene Regelungsmodelle Ein bloßer Blick in den Code civil scheint zu zeigen, was die Befürchtungen der 2. Kommission erzeugt hat. Die deliktische Generalklausel im französischen Recht ist ganz ähnlich formuliert wie in dem zitierten Vorschlag. In Art. 1382 Cc3 aus dem Jahr 1804 heißt es:
1 Jakobs/Schubert, Beratung, S. 895 (Antrag 6a, von Cuny); Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle II, S. 566, 570 f. Für eine Orientierung an Art. 1382 Cc sprach sich auch Fels, Außerkontraktliche Schadensersatzpflicht, S. 7, aus. 2 Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle II, S. 571; Mugdan, Denkschrift, S. 1267. Dazu auch Linckelmann, Schadensersatzpflicht, S. 8 f.: der Code civil setze lediglich eine schuldhafte Interessenverletzung voraus; dies habe „jene ungeahnte Ausdehnung ermöglicht, welche bald als ein Zeichen gesunder Fortbildung des Rechtes, bald als ein Zeichen gefährlicher Entartung angesehen wird.“ 3 Mit Ordonnance vom 10.2.2016 (Ordonnance Nr. 2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations, JORF, Nr. 0035 du 11 février 2016, Text Nr. 26) hat der französische Gesetzgeber das Vertragsund allgemeine Schuldrecht reformiert. Die neuen Vorschriften sind am 1.10.2016 in Kraft getreten. Die Änderungen betreffen die Stellung und Nummerierung der bisherigen Art. 1382 f. Cc, nicht jedoch deren Inhalt. Siehe dazu auch unten VI.
2
Einleitung
„Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.“ – „Jedes menschliche Verhalten, welches einem anderen einen Schaden zufügt, verpflichtet denjenigen, durch dessen faute der Schaden eingetreten ist, diesen zu ersetzen.“ 4
Art. 1383 Cc ergänzt, dass dabei jede Art von Fahrlässigkeit genügt. 5 Aus dem Wortlaut der Vorschriften lassen sich damit keinerlei Beschränkungen der Haftung entnehmen: Es bedarf lediglich einer faute,6 eines Schadens sowie einer kausalen Verbindung zwischen diesen. Objektive Maßstäbe für den Richter ergeben sich daraus tatsächlich nicht. 7 Was viele deutsche Juristen Ende des 19. Jahrhunderts als „Auswüchse“ und „gefährliche Entartungen“ 8 der französischen Rechtsprechung empfanden und kritisierten, stellt zumindest gegenwärtig für französische Juristen eine Selbstverständlichkeit dar: Grundsätzlich begründet jeder Schaden die Ersatzpflicht, unabhängig von der Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter. 9 Der deutsche Gesetzgeber entschied sich mit § 823 I BGB bewusst gegen eine derart weite Haftung und machte die allgemeine deliktische Haftung von der Verletzung bestimmter absoluter Rechte und Rechtsgüter abhängig. Genau diese enumerierte er in der Generalklausel: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ Laut den Protokollen erfolgte diese Enumeration zwar eigentlich nur aus redaktionellen Gründen; 10 nunmehr stellt sie allerdings ein wesentliches Merkmal und Kennzeichen der 4
Eigene, sinngemäße Übersetzung. Bei Übersetzungen ohne nähere Kennzeichnung handelt es sich stets um eigene sinngemäße Übersetzungen. 5 „Chacun est responsable du dommage qu'il a causé non seulement par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“ 6 Der Begriff „faute“ lässt sich ohne Bedeutungsverlust nur schwer ins Deutsche übersetzen, was in Teil 2 der Arbeit deutlich werden wird. Er meint insbesondere nicht einfach nur „Verschulden“ nach deutschem Verständnis. Der Begriff wird daher in der Arbeit beibehalten und an den entscheidenden Stellen näher erläutert. 7 In der französischen Lehre gilt die daraus ebenfalls folgende Anpassungsfähigkeit als großer Vorteil der französischen Regelung: Viney, Principe général, Nr. 5; Rémy, Réflexions, S. 36 f. 8 Linckelmann, Schadensersatzpflicht, S. 8 f. Siehe bereits Fn. 2. 9 Siehe statt aller nur Fabre-Magnan, Droit des obligations, S. 84 f.; Rémy/Borghetti, Projet de réforme, Nr. 6; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 248-1. Gleichwohl stoßen das Fehlen objektiver Kriterien und der damit verbundene Umfang des richterlichen Ermessens auch auf Kritik: Viney, Principe général, Nr. 12, 15; Rémy, Réflexions, S. 39. 10 Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle VI, S. 200 f. Näher zur Gesetzgebungsgeschichte des § 823 I BGB Linckelmann, Schadensersatzpflicht, S. 8 ff.; Benöhr, Redaktion, S. 499 ff.; Keppmann, Dogmengeschichtliche Entwicklung, S. 91 ff.; HKK/Schiemann, §§ 823–830, Nr. 20 ff. Gordley, Historical accident, S. 25 ff., bezeichnet den gesetzlichen Ausschluss fahrlässig verursachter primärer Vermögensschäden als „historischen Unfall“.
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deutschen deliktischen Generalklausel dar und unterscheidet diese damit ganz wesentlich von der Regelung in den Art. 1382 f. Cc. II. Praktische Unterschiede der Regelungen: die Ersatzfähigkeit primärer Vermögensschäden In der praktischen Rechtsanwendung sind mit den beiden Haftungsmodellen ganz unterschiedliche Konsequenzen verbunden – sowohl für den Geschädigten als auch für den Schädiger macht es einen großen Unterschied, ob der „Schutzbereichs des Deliktsrechts“ 11 auf bestimmte Rechte und Rechtsgüter beschränkt ist (deutsches Recht) oder nicht (französisches Recht). Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Haftung für primäre Vermögensschäden. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen dem Geschädigten lediglich ein finanzieller Schaden entsteht, ohne dass er eine Verletzung seiner Person oder seiner Güter – mithin eines absoluten Rechts – erlitten hätte. Kauft A Aktien einer Firma, weil ihm B vorher von der hervorragenden Auftragslage berichtet hat, die sich jedoch als falsch herausstellt, und verlieren die Aktien aufgrund der folgenden Insolvenz der Firma ihren Wert, hat A lediglich einen Vermögensnachteil erlitten. Das Gleiche gilt, wenn A testamentarisch von B als Erbe einer Geldsumme eingesetzt werden sollte, der Notar C es bis zum Tod des B aber versäumt, das Testament aufzusetzen. 12 Die Verletzung absoluter Rechte liegt in diesen Situationen gerade nicht vor. Klassisch sind weiterhin Fälle, in denen ein direkt Geschädigter zwar eine Rechtsgutsverletzung, ein Dritter dagegen aus demselben Verhalten nur einen primären Vermögensschaden erleidet. 13 Das verletzte Interesse des Dritten hängt dabei nicht notwendig von dem unmittelbar verletzten Interesse ab. 14 In den berühmten „Stromkabelfällen“ etwa zerstört ein Arbeiter bei Bauarbeiten fahrlässig ein unterirdisches Starkstromkabel eines Elektrizitätswerks. Als Folge fällt in einem angrenzenden Betrieb mangels Stromversorgung die Produktion für einige Tage aus. 15 Besteht für den Betrieb ein deliktischer Anspruch auf Ersatz des dadurch entstandenen Ausfalls gegen den Verursacher? Oder: C verursacht einen Autounfall, infolge dessen die Stadtmitte längere Zeit blockiert ist. Die Busgesellschaft A erleidet dadurch einen Verlust, da sie im entsprechenden Gebiet für mehrere Stunden keine Busse einsetzen kann. 16 11
Wagner, Grundstrukturen, S. 225 ff. Beispiele aus Bussani/Palmer, The notion of pure economic loss, S. 13 f. 13 In Frankreich spricht man hier in Bezug auf die Geschädigten von „victimes par ricochet“, für die Schäden auch von „préjudices réfléchis“; ausführlich dazu Lambert-Faivre, Dommage par ricochet; Dupichot, Préjudices réfléchis; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 677. Zu der in dieser Arbeit verwendeten Terminologie siehe gleich unter VI. 14 Litten, Drittvermögensschäden, S. 2. 15 Bussani/Palmer, Pure economic loss, Case 2, S. 192. Siehe für die deutsche Rechtsprechung z.B. BGHZ 29, 65, Entscheidung vom 9.12.1958. 16 Cass. civ. 2 e, 28.4.1965, D. 1965, J., 777, Anm. Esmein. 12
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Auch hier stellt sich die Frage, ob die Busgesellschaft von C Ersatz für ihren Verlust bekommen kann. Die Liste von Beispielen ließe sich noch weiter fortsetzen; gemeinsam ist ihnen, dass der Ersatzbegehrende lediglich Einbußen in seinem Vermögen erlitten hat. 1. Konsequenzen der restriktiven Haltung im deutschen Recht Verlangt eine Rechtsordnung für die deliktische Haftung die Verletzung eines absoluten Rechts, erhält der Geschädigte keinen Ersatz, wenn er lediglich einen primären Vermögensschaden erlitten hat. Dies ist der Fall im deutschen Deliktsrecht.17 Wie gezeigt, setzt die Haftung nach § 823 I BGB die Verletzung eines enumerierten Rechts oder Rechtsguts voraus. Daneben gewähren zwar die §§ 823 II und 826 BGB Ersatzansprüche, die sämtliche Schädigungen erfassen – dies setzt einschränkend jedoch die Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 II BGB) oder eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) voraus. Bei nur fahrlässigen Verletzungen des bloßen Vermögens gewährt das deutsche Recht grundsätzlich also keinen Ersatz. Damit scheiden in der Regel auch Ersatzansprüche Dritter aus, die durch die unmittelbare Verletzung einer anderen Person einen Schaden erleiden. 18 2. Gründe für den Ausschluss primärer Vermögensschäden Der Grund für die restriktive Haltung des deutschen Rechts besteht darin, dass auf diese Weise die allgemeine Handlungsfreiheit erhalten werden soll: Bei einer Haftung auch für primäre Vermögensschäden müsste jedes wettbewerbliche Handeln ausscheiden. 19 Zudem sollte es nicht dem Richter obliegen, in
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Ein expliziter Bezug auf das Vermögen als solches erfolgte in den BGB-Beratungen nicht. Nach Erlass des BGB betonten allerdings beispielsweise Oertmann oder von Gierke ausdrücklich, dass das Vermögen als solches kein in dieser Form durch das BGB geschütztes Recht darstelle: Einerseits gebe es kein subjektives Recht am Vermögen als solchem, andererseits wären sonst §§ 823 II und 826 BGB gegenstandslos, da nahezu immer auch § 823 I BGB einschlägig wäre, Oertmann, Schuldverhältnisse, § 823, Nr. 3 f); von Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 899. Kurz nach Inkrafttreten des BGB hatte sich auch schon das Reichsgericht in ähnlicher Weise geäußert: RGZ 51, 92–94, 93, Urteil vom 15.3.1902; RGZ 57, 353–358, 354, Urteil vom 29.2.1904; RGZ 58, 24–31, 28, Urteil vom 27.2.1904. 18 Dies betrifft insbesondere immaterielle Schäden, die durch die Tötung einer nahestehenden Person entstehen, aber grundsätzlich auch primäre Vermögensschäden. Eine Ausnahme statuiert § 844 BGB: Bestimmte Personen können in diesem Fall gegen den Schädiger Ersatzansprüche für die verursachten Vermögensschäden, z.B. für entfallene Unterhaltsleistungen (§ 844 II BGB), geltend machen. 19 Deutsch, Ersatz reiner Vermögensschäden, S. 57; auch S. 71: Das allgemeine Lebensrisiko trage der Geschädigte. Picker, Positive Forderungsverletzung, S. 471, spricht davon, dass die „für das Zusammenleben unerläßliche „vernünftige“ und „sozialadäquate“ Handlungsfreiheit“ erhalten werden müsse.
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jedem Fall die Freiheitssphären von Geschädigtem und Handelndem zu bestimmen und abzugrenzen.20 Der Ersatz fahrlässig verursachter primärer Vermögensschäden begegnet aber auch weiteren generellen Bedenken: Kritiker wenden zum einen ein, dass ein Ausschluss derartiger Schäden notwendig sei, um eine übermäßige Ausdehnung der Ersatzberechtigten zu vermeiden (sog. „Kanalisierung der Schadensabwicklung“). 21 Zum anderen sei mit dem Ersatz ein Eingriff in das Vertragsrecht verbunden, das die Risikoverteilung zwischen den Parteien besonders regele und spezielle Rechtsbehelfe für Leistungsstörungen bereithalte.22 3. Konsequenzen der offenen Regelung im französischen Recht Verzichtet eine Rechtsordnung dagegen auf Begrenzungen des deliktischen Schutzbereichs wie das Erfordernis einer Rechts- oder Rechtsgutsverletzung, bereitet auch der Ersatz primärer Vermögensschäden kein Problem. Im Hinblick auf deren Ersatz nach französischem Recht ist zunächst zu beachten, dass sie in Frankreich keine eigenständige Schadenskategorie darstellen – der Begriff als solcher existiert im französischen Deliktsrecht auch nicht. 23 Primäre Vermögensschäden werden ohne Besonderheit als materielle Schäden ersetzt und unterliegen prinzipiell keinen Beschränkungen. 24 Daraus folgt jedoch nicht, dass es für den Ersatz überhaupt keine Begrenzungen gäbe. Die Rechtsprechung kann für diese allerdings nur auf die allgemeinen Voraussetzungen der deliktischen Haftung zurückgreifen: Neben der faute und einer kausalen Verbindung begrenzt insbesondere das Erfordernis eines sicheren und direkten Schadens (dommage certain et direct) die Haftung.25 Mitunter sind die von der
20 Litten, Drittvermögensschäden, S. 3. Siehe dazu und zu den Befürchtungen vor „Auswüchsen“ der Rechtsprechung bereits oben S. 1 f. 21 Wagner, Grundstrukturen, S. 230: dies ermögliche den Ausschluss von Ersatzansprüchen nur mittelbar/indirekt Geschädigter; Bussani/Palmer, The notion of pure economic loss, S. 16 ff. 22 Wagner, Grundstrukturen, S. 231 f. 23 Lapoyade Deschamps, Préjudice économique pur, S. 89; Fabre-Magnan, Droit des obligations, S. 113 f.; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 251: „L’expression ‘préjudice économique pur’ ne figure ni dans les textes ni dans les décisions rendues par les juridictions françaises.“ Nach Calfayan, Notion de préjudice, Nr. 73, ist der Ausdruck zwar gebräuchlich, jedoch nicht unter Juristen, sondern eher unter Versicherern. 24 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 251, betonen, dass es sich bei primären Vermögensschäden um wichtige Schäden handele (insbesondere im industriellen Bereich). Dem häufig vorgebrachten Einwand der schweren Mess- sowie Beweisbarkeit halten sie entgegen, dass sich diese Probleme auch bei Körperschäden ergeben und dort gleichwohl ein Ersatz ohne Frage gewährt werde; ähnlich Bussani/Palmer, The notion of pure economic loss, S. 18 f. 25 In einigen Fällen stellt sich die Anwendung dieser Kriterien jedoch als nicht unproblematisch dar. Sowohl bei Aufwendungen, die durch das Verhalten Dritter nutzlos werden, als
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Rechtsprechung angewendeten Methoden zur Begrenzung des Anwendungsbereichs dabei allerdings nicht klar erkennbar. 26 In der französischen Lehre gibt es immer wieder auch Stimmen, die sich für allgemein strengere Haftungsvoraussetzungen bei primären Vermögensschäden aussprechen: Nach Starck soll es in diesen Fällen auf eine faute ankommen, bei Verletzungen des Lebens, des Körpers oder der Güter einer Person dagegen nicht.27 Berg führt diese Theorie auf eine Beeinflussung durch das deutsche Recht zurück. 28 Zu allgemein akzeptierten Einschränkungen führten diese Vorschläge bisher jedoch nicht. Bereits an dieser Stelle kann vorweggenommen werden, dass beide eben erwähnten Einwände gegen den Ersatz primärer Vermögensschäden auch im französischen Recht sichtbar werden. Die Problematik eines a priori unbeschränkten Kreises von Ersatzberechtigten zeigt sich insbesondere bei den victimes par ricochet.29 Zum Schutz der vertraglichen Sonderbeziehung hat die französische Rechtswissenschaft allerdings eine eigene Methode entwickelt.30 Insgesamt zeigt sich anhand des Ersatzes primärer Vermögensschäden also deutlich, dass die Regelung der deliktischen Haftung im deutschen und im fran-
auch bei der Verwirklichung normaler Risiken lehnt die Rechtsprechung einen Ersatzanspruch mit Verweis auf das Fehlen eines dommage certain (für frustrierte Aufwendungen Cass. civ. 1re, 8.7.1954, Bull. civ. 1954, I, Nr. 238; für normale Risiken Cass. civ. 2 e, 14.11.1958, Gaz. Pal. 1959, I, 31) oder einer ausreichenden kausalen Verbindung (Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 181 ff. m.N.) ab. Berg betont demgegenüber, dass es dieser Begründung gar nicht bedürfe: Der Code civil rücke für die Ersatzfähigkeit fahrlässiger Schädigungen die berechtigten Erwartungen des Geschädigten in den Mittelpunkt: a.a.O., Nr. 76 ff. mit Verweis auf Luhmann, Rechtssoziologie, S. 27 ff. Der Geschädigte könne aber nicht darauf vertrauen, dass Dritte ihr Verhalten derart gestalten, dass vergebliche Aufwendungen anderer verhindert werden (a.a.O., Nr. 85, 178 ff.). Gleichermaßen könne auch nur ein Ersatz bei anormalen Risiken erwartet werden, a.a.O., Nr. 86. So auch schon Planiol, Responsabilité civile II, S. 86; Josserand, Esprit des droits, Nr. 261. 26 Viney, Modération et limitation, S. 133, spricht vom „l’emploi de méthodes indirectes et quasi-occultes“. 27 Starck, Responsabilité civile, S. 198: „Mais, sur le terrain des préjudices purement économiques ou purement moraux, l’existence de nombreux droits de nuire fait que beaucoup de dommages, directement autorisés par la loi, ne donnent pas lieu à réparation. En c e cas les intérêts de la victime ne sont pas garantis en principe, ils ne forment pas la substance d’un droit ou d’une liberté individuelle. Et c’est ici que la faute intervient. Elle forme la limite subjective de nos droits et libertés que jamais on ne peut franchir impunément. Or, il faut remarquer que le rôle de la faute en ce domaine est prépondérante.“ Für einen eingeschränkten Schutz auch Deliyannis, Acte illicite, Nr. 95, 213. 28 Berg, Influence du droit allemand, Nr. 8. 29 Ausführlich dazu unten S. 310 ff. 30 Dazu unten S. 340 ff.
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zösischen Recht in dieser Hinsicht gegenwärtig zu teilweise sehr unterschiedlichen Ergebnissen führt. 31 Das deutsche Recht stärkt die allgemeine Handlungsfreiheit des Schädigers, das französische Recht dagegen den Schutz des Geschädigten. 32 Wie umfassend das französische (im Gegensatz zum deutschen) Recht Ersatz gewährt, wird zudem auch bei der generellen Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden Dritter deutlich. III. Begründung des umfassenden Ersatzes im französischen Recht Ein vergleichender Blick in das österreichische und das schweizerische Recht zeigt, dass der offene Wortlaut der deliktischen Generalklausel alleine nicht der Grund für die weite Auslegung der Art. 1382 f. Cc sein kann. Zwar stellt er eine notwendige Bedingung hierfür dar, jedoch keine ausreichende. Dies wird deutlich anhand des Art. 1295 ABGB33 sowie des Art. 41 OR,34 den deliktischen Generalklauseln in Österreich und der Schweiz. Beide sind ähnlich offen formuliert wie Art. 1382 Cc und lassen vom Wortlaut her keine Beschränkungen der Haftung erkennen. Gleichwohl ist zu beiden allgemein anerkannt, dass sie die Verletzung subjektiver, absoluter Rechte voraussetzen. 35 Im französischen Recht findet man kaum Begründungen der weiten Auslegung der deliktischen Generalklausel; vereinzelt erfolgt der schlichte Hinweis, 31
Insgesamt sind die Unterschiede tatsächlich allerdings nicht so groß, wie man vermuten würde: Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 632; Wagner, Grundstrukturen, S. 229; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Nr. 44. 32 Picker, Forderungsverletzung, S. 470 ff.; Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 583; ders., Influence du droit allemand, Nr. 2; HKK/Schiemann, §§ 823–830, Nr. 17. Wie schon die Motive zeigen, liegt dem Verteilungsprinzip des BGB eine freiheitliche Rechtsordnung zugrunde: Was nicht widerrechtlich ist, ist erlaubt, Mugdan, Motive, S. 725 f.; Peukert, Güterzuordnung, S. 245. Die gesetzliche Haftung des Schuldners stellt demgegenüber eine Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit (und insgesamt seiner Freiheitsrechte) dar, die der Rechtfertigung bedarf. Die abschließende Aufzählung in § 823 I BGB dient folglich auch dazu, die (allgemeine Handlungs-)Freiheit zu wahren und eine übermäßige Einschränkung derselben zu verhindern, Peukert, a.a.O., S. 245 f. 33 Art. 1295 I ABGB: „Jedermann ist berechtigt, von dem Beschädiger den Ersatz des Schadens, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern; der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein.“ 34 Art. 41 OR (= Art. 50 OR von 1871): „Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.“ 35 Zur Entwicklung im schweizerischen Recht siehe nur Immenhauser, Dogma, S. 373 ff., 388 ff. m.w.N. Zur Auslegung in Österreich Koziol, Generalnorm, S. 360 m.w.N.; so auch Zimmermann, Law of obligations, S. 1042. Der OGH betonte in einer Entscheidung vom 12.4.1984, JBl. 1985, 38: „Die Verursachung eines Vermögensschadens macht daher nur dann ersatzpflichtig, wenn sich die Rechtswidrigkeit der Schädigung z.B. aus der Verletzung vertraglicher Pflichten, aus der Verletzung absoluter Rechte oder aus der Übertretung von Schutzgesetzen ableiten lässt.“ Ebenso OGH, 15.12.1994, ÖBA 1994, 400; OGH, 17.11.2015, Zak 2016, S. 18.
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dass dies das Verständnis der Gesetzgebungskommission gewesen sei. 36 Im Zentrum stehen dabei insbesondere die Ausführungen von Tarrible vor dem Corps législatif zu den Art. 1382 f. Cc: „Cette disposition embrasse dans sa vaste latitude tous les genres de dommages, et les assujettit à une réparation uniforme, qui a pour mesure la valeur du préjudice souffert. Depuis l’homicide jusqu’à la légère blessure, depuis l’incendie d’un édifice jusqu’à la rupture d’un meuble chétif; tout est déclaré susceptible d’une appréciation qui indemnisera la personne lésée des dommages quelconques qu’elle a éprouvés.“ 37
Jede Art von Schäden soll danach ersetzt werden. Die meisten Juristen erachten es dabei jedoch nicht für nötig, das Verständnis der Gesetzgebungskommission und deren Aussagen näher zu beleuchten; die Verweise stehen zumeist isoliert, ohne Betrachtung der Entstehung des Code civil oder der deliktischen Haftung im Ancien droit, also des vor der Französischen Revolution in Frankreich geltenden Rechts. Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung Borghettis umso interessanter, dass die Begründungen der Redaktoren zur deliktischen Haftung wenig aussagekräftig seien; Tarribles Rede mache vielmehr deutlich, dass die Redaktoren nur ein begrenztes Anwendungsfeld vor Augen hatten. 38 Er stützt sich dabei darauf, dass Tarrible in der beispielhaften Aufzählung lediglich auf Verletzungen des Lebens, des Körpers sowie des Eigentums eingeht. In eine ähnliche Richtung geht auch Rémy in einem Beitrag zur Vorstellung eines französischen Reformvorschlags für die (deliktische) Haftung im Jahr 2011: Die gesetzliche Normierung einer Generalklausel zu Beginn des 19. Jahrhunderts sei das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung gewesen, die in den Art. 1382 f. Cc ihren Ausdruck fand, aber zu diesem Zeitpunkt einer gemeinen zivilen europäischen Tradition entsprach. 39 Nach Rémy bestehe das „spezifische Merkmal des französischen Systems“ nun darin, die Entwicklung fortgeführt und im 19. und 20. Jahrhundert durch Rechtsprechung und Lehre für eine Ausweitung der Haftung gesorgt zu haben. 40 Die Bewertungen Borghettis und Rémys legen damit nahe, dass das Verständnis, das die Gesetzgebungskommission bei Erlass der Vorschrift von der deliktischen Haftung hatte, ein anderes war, als es heute in der französischen Lehre und Rechtsprechung allgemein angenommen wird, und dass der weite Umfang der deliktischen Haftung erst 36 Planiol, Droit civil, Nr. 863; Mazeaud/Tunc, Responsabilité civile, Nr. 210; Viney, Principe général, Nr. 12. 37 Fenet, Travaux préparatoires du Code Civil XIII, S. 488. – „Diese Bestimmung erfasst in ihrer umfassenden Breite alle Arten von Schäden und unterwirft diese einem einheitlichen Ersatz, der sich nach dem Wert des erlittenen Nachteils bemisst. Von der Tötung bis zur geringsten Blessur, von dem Brand eines Gebäudes bis zur Beschädigung eines mickrigen Möbelstücks; alles wird für geeignet erklärt für eine Beurteilung, die die verletzte Person für sämtliche erlittenen Schäden entschädigt.“ 38 Borghetti, Intérêts protégés, S. 160. 39 Rémy, Réflexions, S. 22. 40 Rémy, Réflexions, S. 22.
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Entwicklungen in den Jahrhunderten nach Inkrafttreten des Code civil geschuldet ist.41 IV. Gegenstand der Arbeit Im Hinblick auf die in jüngerer Zeit unternommenen europäischen Bestrebungen, (auch) das Deliktsrecht zu vereinheitlichen,42 ist es von besonderer Bedeutung, sich mit Regelungen der Nachbarländer auseinanderzusetzen, die von den Vorschriften der eigenen Rechtsordnung abweichen – insbesondere, wenn sie in wichtigen Fragen zu konträren Ergebnissen führen. Dies gilt natürlich zum einen im Hinblick auf die aktuelle Auslegung der jeweiligen Vorschriften und die damit verbundenen Unterschiede zum eigenen Recht. Im Falle des französischen Rechts und der Art. 1382 f. Cc erscheint es jedoch noch viel elementarer, auch aus rechtshistorischer Sicht die Entwicklung dieser Vorschriften nachzuvollziehen und ihre Besonderheiten zu verstehen, da der weite Umfang der deliktischen Haftung, wie angedeutet, dort möglicherweise nicht von jeher eine Selbstverständlichkeit darstellte, sondern sich erst im Laufe der Zeit entwickelte. Obwohl es sich bei den Art. 1382 f. Cc um zentrale Normen des französischen Zivilrechts handelt, gibt es bisher weder französische noch deutsche rechtswissenschaftliche Arbeiten, in denen der Umfang der deliktischen Haftung im hier verstandenen Sinne schwerpunktmäßig betrachtet wird. 43 Auch für die Entwicklung ab dem Jahr 1804 fehlt es bisher an einer umfassenden Aufarbeitung der hier aufgeworfenen Fragen. Dies betrifft insbesondere die Analyse der französischen Rechtsprechung sowie die vergleichende Untersuchung des deutschen Verständnisses vom Umfang der deliktischen Haftung nach den Art. 1382 f. Cc.
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So auch Bussani/Palmer, Liability regimes, S. 127. Siehe dazu Art. VI.-1:101, VI.-2:101 ff. DCFR sowie insbesondere Art. 1:101, 2:101 ff. PETL. Zu letzteren auch von Bar, Non-contractual liability, S. 229 ff. (zur Grundnorm in Art. 1:101 PETL), 299 ff. (zum ersatzfähigen Schaden und den geschützten Interessen in Art. 2:101 ff. PETL); zu den Vereinheitlichungsentwürfen aus französischer Sicht Rémy, Réflexions, S. 48 ff. 43 In jüngerer Zeit hat sich Olivier Descamps ausführlich mit der Entwicklung des den Art. 1382 f. Cc zugrunde liegenden Prinzips des Ersatzes verursachter Schäden im Naturrecht und im Ancien droit auseinandergesetzt: Origines de la responsabilité. Ihm geht es jedoch nicht darum, den jeweiligen Umfang der Ersatzpflicht kritisch zu hinterfragen, sondern mehr um eine generelle Darstellung der Entwicklung. Er rückt die Formulierung als solche und den Aufbau der Werke in den Mittelpunkt und geht auf den Inhalt nur oberflächlich ein. Weder in französischen Abhandlungen zum Deliktsrecht noch in rechtshistorischen Darstellungen erfolgt(e) eine kritische Auseinandersetzung mit den Fragen, welches Verständnis die Gesetzgebungskommission im Jahre 1804 von den Art. 1382 f. Cc hatte, wie dies durch das Verständnis im Ancien droit beeinflusst wurde und wie sich das Verständnis unter dem Code civil möglicherweise verändert hat. Gleiches gilt auch für rechtsvergleichende Werke und Sammelbände. 42
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Anliegen dieser Arbeit ist es daher, der Frage nachzugehen, wie der Umfang der deliktischen Generalklausel im französischen Recht zu verschiedenen Zeiten jeweils verstanden wurde und wie sich das Verständnis vom Umfang der Haftung entwickelt hat. Mit „Umfang“ der deliktischen Haftung ist dabei gemeint, ob es irgendwelche objektiven Beschränkungen der Haftung gab, wie etwa das Erfordernis einer Rechts(guts-)verletzung. Mit den Worten Gerhard Wagners könnte man auch fragen: Inwiefern stellt es ein „wesentliches Merkmal der französischen Rechtstradition“ dar, „den Schutzbereich des Deliktsrechts nicht auf bestimmte Rechtsgüter zu beschränken“44? Begrenzungen des Schutzbereichs können sich dabei aus der faute oder aus dem ersatzfähigen Schaden ergeben. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen daher diese beiden Voraussetzungen der deliktischen Haftung. Freilich setzt das Bestehen eines Ersatzanspruchs auch eine kausale Verbindung zwischen faute und Schaden voraus. Der lien de causalité findet zwar auch bei den Juristen des Ancien droit sowie im 19. Jahrhundert Erwähnung – zu einer selbständigen Haftungsvoraussetzung entwickelte er sich jedoch erst im 20. Jahrhundert. Die Bedeutung dieses Erfordernisses für den Umfang der deliktischen Haftung ist weiterhin gering; 45 die Ausführungen dazu fallen daher entsprechend kürzer aus. Auch im Hinblick auf die Voraussetzung der faute erscheinen einige Ausführungen und Klarstellungen zum Untersuchungsgegenstand angebracht. Ohne an dieser Stelle näher ins Detail gehen zu wollen, setzt sich die faute nach dem Verständnis der französischen Lehre grundsätzlich aus einem objektiven und einem subjektiven Element zusammen. Letzteres betrifft vor allem Fragen der Zurechenbarkeit (imputabilité). Auf den Umfang der Haftung hat dies keine Auswirkungen; aus diesem Grund wird auf diese Fragen hier nicht näher eingegangen. Weiterhin erfolgt in den Arbeiten zum Deliktsrecht im Rahmen der faute auch eine Erörterung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens – sämtliche Rechtfertigungsgründe spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle und lassen bei ihrem Vorliegen die faute entfallen. Auch dies hat zunächst nichts mit dem Umfang der Haftung im hier verstandenen Sinne zu tun. Dies gilt im Prinzip auch für den Rechtsgebrauch: Wo jemand nur von seinem eigenen Recht Gebrauch macht, soll die faute entfallen. Eine Rückausnahme gilt allerdings, wo das Recht missbraucht und nur zur Schädigung einer anderen Person ausgeübt wurde (abus de droit). Obwohl es sich hierbei ebenfalls um einen Rechtfertigungsgrund handelt, wird der Problematik in dieser Arbeit im Rahmen der faute nachgegangen. Wie sich zeigen wird, hat die französische Lehre diese 44 Wagner, Grundstrukturen, S. 224, der in diesem Zusammenhang Flour/Aubert, Obligations8, Nr. 86, zitiert. 45 So auch Mäsch, Chance und Schaden, S. 162.
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Frage immer direkt im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer Rechtsverletzung als Element der faute erörtert und so die Grenzen einer Rechtsverletzung aufgezeigt. Als die deliktische Haftung begründende Verhalten kommen sowohl aktive Handlungen als auch Unterlassungen in Betracht. Die Haftung für die Nichtvornahme bestimmter Handlungen erfordert dabei zu vielen Punkten spezielle Erörterungen und zog in der französischen Lehre häufig längere Darstellungen nach sich. Eine Berücksichtigung dieser Besonderheiten hätte die Ausführungen an vielen Stellen um einiges in die Länge gezogen, ohne für den Umfang der Haftung relevante Änderungen oder Ergänzungen zu bringen. Daher werden spezifische Erörterungen zu Unterlassungen in dieser Arbeit ausgeklammert. Von der Untersuchung grundsätzlich ausgenommen sind schließlich auch Konstellationen, die nach deutschem Recht nicht unter die allgemeine Vorschrift des § 823 I BGB, sondern unter die §§ 823 II und 826 BGB fallen. Die Art. 1382 f. Cc erfassen freilich auch solche Fälle. Ersetzt das französische Recht primäre Vermögensschäden, die durch eine arglistige Schädigung verursacht wurden, stellt dies jedoch keine Besonderheit dar. Das römische Recht etwa gewährte dem Geschädigten in derartigen Fällen eine actio doli (actio de dolo);46 im deutschen Recht enthält § 826 BGB eine ähnliche Regelung. 47 Grund für die Haftung ist dabei die Arglist des Handelnden, nicht dessen (einfaches) Verschulden. 48 Auf die Verletzung eines subjektiven Rechts kam es dabei jedoch nicht unbedingt an. 49 Gleiches gilt im Falle eines Gesetzesverstoßes.50 Der Fokus liegt somit auf Fällen, in denen dem Handelnden lediglich Fahrlässigkeit zur Last fiel.
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Näher dazu Zimmermann, Law of obligations, S. 228, 664 ff. Die actio doli hat sich nicht direkt auf die deutsche Regelung ausgewirkt, die „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ gelangte erst über Umwege in den Entwurf, näher dazu HKK/Schiemann, §§ 823–830, Nr. 69. 48 HKK/Schiemann, §§ 823–830, Nr. 38. 49 Windscheid, Pandektenrecht I, § 101, teilte unerlaubte Verhalten ein in „Verletzungen eines subjektiven Rechts“ und „verbotene Verhalten (Vergehen, Delikt)“. Letztere konnten zwar zugleich die Verletzung eines subjektiven Rechts darstellen, mussten dies aber nicht – wie im Falle des Betrugs. Für Windscheid bestand hier eine Haftung, obwohl nach seiner Sicht gerade keine Rechtsverletzung vorlag. Den Betrug wiederum bezeichnete er als besonders wichtige Form des dolus, ders., Pandektenrecht II, § 451. Das heutige Verständnis, dass im Falle eines Betrugs gleichwohl die Verletzung eines subjektiven Rechts vorliegt – nämlich des Rechts, nicht betrogen zu werden –, erforderte das Begreifen von Schutzgesetzen (§ 823 II BGB) als subjektive Rechte. Siehe dazu auch Jansen, Gesetzliche Schuldverhältnisse, VII.1. 50 Die Lehre vom Schutzzweck der Norm (relativité aquilienne) findet auch in Frankreich gelegentlich Anwendung; die Gerichte stehen ihr dabei nach Berg, Influence du droit allemand, Nr. 24 f. m.w.N., sogar offener gegenüber als das Schrifttum. 47
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V. Gang der Untersuchung Das Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung im französischen Recht nachvollziehen zu können, erfordert zunächst eine Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte der deliktischen Generalklausel im generellen und der Art. 1382 f. Cc im speziellen (Kapitel 1). Das allgemeine Prinzip, durch eigenes Fehlverhalten bei anderen verursachte Schäden zu ersetzen, fand im Naturrecht bei dem Niederländer Hugo Grotius seine Ausgestaltung als deliktische Generalklausel und gelangte über Jean Domat in den französischen Diskurs. Auf die Rechtspraxis im Ancien droit hatte dies zunächst keine Auswirkungen – bis zur Französischen Revolution galt das römische Recht. Umso wichtiger ist im Hinblick auf die deliktische Generalklausel in den Art. 1382 f. Cc daher die Untersuchung, woran sich der französische Gesetzgeber diesbezüglich orientiert hat. Im Mittelpunkt des ersten Teils steht damit das allgemeine Verständnis der französischen Lehre im Ancien droit von der deliktischen Generalklausel, und im Besonderen vom Umfang der Haftung. War der Umfang der Haftung in irgendeiner Form beschränkt oder bereits ähnlich weit wie nach gegenwärtigem Verständnis? Lassen sich in der französischen Lehre Einflüsse von Grotius, Pufendorf oder anderen Naturrechtlern erkennen, die sich um die Entwicklung der deliktischen Generalklausel verdient gemacht haben? Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ermöglicht dann eine Befassung mit der Gesetzgebungsgeschichte konkretere Einschätzungen dazu, wie die Gesetzgebungskommission die Art. 1382 f. Cc verstanden hat. Im zweiten und dritten Kapitel geht es um den Umfang der deliktischen Haftung unter dem Code civil seit dem Jahr 1804. Zeitlich sind dabei zwei Phasen zu unterscheiden, die eine separate Betrachtung erfordern. Zunächst geht es um das Verständnis der französischen deliktischen Generalklausel im 19. Jahrhundert (Kapitel 2). Französische Lehre und Rechtsprechung verfolgten dabei ganz eigenständige Methoden und Herangehensweisen, sodass auch insofern eine separate Untersuchung angemessen erschien. Da die Ausführungen in der Lehre überwiegend theoretischer Natur und ohne praktischen Bezug waren, lässt erst eine Untersuchung der französischen Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts erkennen, in welchen Fällen die Gerichte die Art. 1382 f. Cc in der Praxis tatsächlich anwendeten. Dabei werden für das Verständnis vom Umfang der Haftung interessante Unterschiede zwischen französischer Lehre und Rechtsprechung erkennbar. Das spezifische Vorgehen der französischen Rechtsprechung zeigt im Anschluss noch deutlicher eine Untersuchung des deutschen Umgangs und Verständnisses der Art. 1382 f. Cc, die von 1804 bis 1900 in verschiedenen Gebieten Deutschlands geltendes Recht waren. Die Jahrhundertwende markierte in der französischen Lehre einen Einschnitt. Das Verständnis von der faute änderte sich grundlegend, und der Schaden entwickelte sich zu einem zentralen Element der deliktischen Haftung. Da-
Einleitung
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neben etablierte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts das Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs als eigenständige Voraussetzung der Haftung. Doch nicht nur die Lehre, auch die Rechtsprechung beeinflusste aktiv das Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung. Kapitel 3 geht diesen Entwicklungen nach und filtert die „Techniken“ heraus, die die französische Rechtswissenschaft im Hinblick auf den Umfang der deliktischen Haftung (Ausweitung oder Einschränkung) verwendete. VI. Terminologie Vorweg sind noch einige in der Arbeit verwendete Begriffe näher zu erklären. Wenn im Folgenden von „der Lehre“ die Rede ist, liegt dem nicht das Verständnis zugrunde, dass es sich dabei um eine einheitliche, uniforme Gruppe handelte.51 An der jeweiligen Stelle drückt dieser Begriff vielmehr aus, dass die näher betrachteten Juristen im Hinblick auf eine gewisse Frage oder Einstellung übereinstimmten und sich insofern verallgemeinernde Aussagen treffen lassen. Damit soll jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es in diesem Zusammenhang auch abweichende Ansichten gab. Durch die Neuregelung des französischen Vertrags- und allgemeinen Schuldrechts, die am 1.10.2016 in Kraft getreten ist, findet sich die deliktische Haftung nun in den Art. 1240-1244 Cc2016, mit der allgemeinen deliktischen Generalklausel in Art. 1240 Cc2016 (vorher Art. 1382 Cc) und Art. 1241 Cc2016 (bisher Art. 1383 Cc).52 Geändert haben sich dabei nur die Artikelnummer und die Stellung im Code civil; der Wortlaut der Vorschriften entspricht auch weiterhin dem aus dem Jahr 1804.53 Da es sich hier um eine rechtshistorische Arbeit handelt und die Art. 1382 f. Cc in dem untersuchten Zeitraum die einschlägigen Normen waren, beziehen sich die Ausführungen durchgängig auf diese. Wo die Reform jedoch auch zu Änderungen von in der Arbeit zitierten Vorschriften (des Vertrags- oder allgemeinen Schuldrechts) geführt oder ausdrückliche Regelungen für bisher nicht gesetzlich geregelte Rechtsfragen geschaffen hat, erfolgt freilich ein Hinweis auf die seit Oktober 2016 geltende Rechtslage. „Rechtsverletzung“ ist ein zentraler Begriff der Arbeit. Gemeint ist damit grundsätzlich die Verletzung eines subjektiven absoluten Rechts und nicht auch die Verletzung des Rechts als solchem, also etwa der Verstoß gegen eine gesetzliche Regelung. Was genau die französische Rechtswissenschaft im 51
Siehe auch Malaurie, Réaction de la doctrine, S. 83. In den Art. 1245 bis 1245-17 Cc2016 ist nun auch die Produkthaftung innerhalb des Code civil geregelt. 53 Der Ministerrat hat bei der Vorstellung der Ordonnance zur Änderung des Vertragsund allgemeinen Schuldrechts im Februar 2016 allerdings angekündigt, dass in naher Zukunft auch eine Reform der Art. 1382-1386 Cc erfolgen werde, siehe (zuletzt abgerufen am 14.6.2017). 52
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Einleitung
19. Jahrhundert allerdings unter einer „Rechtsverletzung“ verstand, wird Kapitel 2 erhellen. Wird in der Arbeit von „mittelbar“ Geschädigten/Verletzten gesprochen, geht es um die im französischen Recht als „victimes par ricochet“ bezeichneten Personen. Darunter fallen Personen, die durch die Handlung des Schädigers nicht direkt eine Rechtsgutsverletzung erleiden, sondern lediglich indirekt geschädigt werden. In Betracht kommen dabei in erster Linie primäre Vermögensschäden,54 aber auch immaterielle Schäden wie Verletzungen des sogenannten Affektionsinteresses (emotionale Schäden). 55 Entsprechend meint die Verwendung des Begriffs „mittelbare“ Schäden in diesem Zusammenhang ausschließlich die bei Dritten durch die direkte Schädigung eines anderen hervorgerufenen Schäden. 56 Verweisen französische Juristen im Rahmen ihrer Ausführungen auf bestimmte römisch-rechtliche Vorschriften, dann geht es in diesem Zusammenhang darum, wie die betreffende Person die römischen Quellen verstanden hat. Ob dieses Verständnis einem heute allgemein akzeptierten Verständnis der jeweiligen Quellen entspricht, ist dabei grundsätzlich nicht relevant.
54 Litten, Drittvermögensschäden, S. 1 f., bevorzugt in diesem Zusammenhang den Begriff „Drittvermögensschäden“. 55 Siehe insbesondere S. 311 ff. 56 Litten, Drittvermögensschäden, S. 1 f., hält die Verwendung des Begriffs „mittelbare Schäden“ für problematisch, da diese Bezeichnung nach deutschem Verständnis auch mittelbare Folgen direkt Geschädigter sowie Rechtsgutsverletzungen Dritter („Fernwirkungsschäden“) erfasse, was zu Verwirrung führe. Genau um diese Fälle geht es in dieser Arbeit jedoch nicht; im jeweiligen Zusammenhang geht klar hervor, was mit dem Begriff gemeint ist, sodass die von Litten vermutete Verwirrung hier nicht zu befürchten ist.
Kapitel 1
Die Entwicklung des Prinzips Der Code civil ist eine der ersten Kodifikationen, die eine Generalklausel für die deliktische Haftung aufweisen. Dies stellte eine Abkehr von der im römischen Recht das Deliktsrecht beherrschenden Kasuistik dar; ein generelles Prinzip der Haftung für eigenes Fehlverhalten in Form einer Generalklausel gab es dort nicht. Daher stellt sich zunächst die Frage, woher dieses Prinzip eigentlich kommt, auf wen es zurückzuführen ist und wie es schließlich in den Code civil gelangt ist.
A. Die Entwicklung im Naturrecht A. Entwicklung im Naturrecht
Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung findet sich im Naturrecht. Der erste, der ein allgemeines Prinzip der deliktischen Haftung ausdrücklich formulierte, war Hugo Grotius (I.).1 Im Anschluss an diesen setzte sich auch Samuel Pufendorf damit auseinander und entwickelte es weiter (II.). Um eine mögliche Beeinflussung französischer Juristen aufzeigen und die Entwicklung der Formulierung besser analysieren zu können, liegen der Arbeit die französischen Ausgaben der einschlägigen Texte zugrunde, nämlich die Übersetzungen von Jean Barbeyrac zu Grotius’ „De iure belli ac pacis“ („Le Droit de la Guerre et de la Paix“, 1729) oder Pufendorfs „De iure naturae et gentium“ („Le droit de la nature et de gens“, 1706).
1 Dies stellt Rotondi, Dalla lex Aquilia all’art. 1151 Cod. Civ., S. 465–578, überzeugend dar, siehe – auch m.N. zu Kritik und abweichenden Auffassungen – Feenstra, Grotius’ doctrine of liability, S. 130 f.; Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 55. Dazu auch Pennrich, Inhalt des Schadensersatzes, S. 17 m.w.N.
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
I. Hugo Grotius Im Leben des niederländischen Juristen Hugo Grotius (1583–1645)2 nahm die Theologie einen bedeutenden Platz ein. 3 Obwohl er die religiösen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts, die längst die Politik ergriffen hatten, am eigenen Leib zu spüren bekam, 4 blieb die Religion weiterhin Teil seines Denkens – wenn auch in gemäßigter Form. 5 Einem bestimmten Glaubenssatz hatte er sich dabei nicht verschrieben. 6 Grotius hat viele seiner Konzepte und Prinzipien nicht vollständig neu entwickelt. Sein naturrechtliches System vereinigt unterschiedliche philosophische Gedanken, ohne dass eine bestimmte Philosophie klar erkennbar wäre. 7 Er war stark von den spanischen Spätscholastikern beeinflusst, im Deliktsrecht insbesondere von deren Lehre über die restitutio.8 Grotius verweist an vielen Stellen auf Thomas von Aquin (Summa theologiae, 1265–1273), Dominicus de Soto (De iustitia et iure, 1556), Diego de Covarruvias (Regulae Peccatum. De regulis iuris, 1554) und insbesondere Leonhardus Lessius (De Iustitia et Iure, 1605).9 Wurde er auch von diesen inspiriert, so hat er doch deren Konzepte entscheidend weiterentwickelt und ihnen ein eigenes Gepräge gegeben – er hat 2 Ausführlich zur Biographie Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Hugo Grotius“, S. 183 ff.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 263 ff.; Zimmermann/Carey Miller, Generis humani iuris consultus: Hugo Grotius, S. 1 ff. m.w.N. Grotius hatte weiterhin auch Geschichte und Philologie studiert. 3 Feenstra, Grotius et le droit privé européen, S. 456; Villey, Pensée juridique moderne, S. 599; Schiedermair, The influence of Grotius’ thought, S. 400. Hervorzuheben ist daneben insbesondere seine humanistische Einstellung, Wolf, Große Rechtsdenker, S. 260; Villey, a.a.O., S. 604. 4 1618 wurde er als bekennender Arminianer (zum Arminianismus Ruskowski, Arminianism, S. 712 f.) verhaftet, 1619 zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Güter wurden beschlagnahmt. Zwei Jahre später gelang ihm die Flucht aus der Festung Loevestein, wo er während seiner Gefangenschaft unter anderem die „Inleidinge tot de Hollandsche Rechtsgeleerdheid“ schrieb, ins Exil nach Paris. Siehe dazu Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Hugo Grotius“, S. 184 f.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 269 ff. m.w.N. 5 Dies wird sich deutlich in „De iure belli ac pacis“ zeigen, unten S. 24 ff. 6 Villey, Pensée juridique moderne, S. 603 f. 7 Schiedermair, The influence of Grotius’ thought, S. 400 f., spricht daher von “Grotius’ Eklektizismus”: Es sei ihm nicht darum gegangen, eine „Philosophie des Naturrechts“ zu begründen, sondern um die Entwicklung eines systematischen Rechtssystems, aufbauend auf dem Naturrecht. Villey, Pensée juridique moderne, S. 605: Bei Grotius werde das Verhältnis zwischen Philosophie und Recht deutlich. 8 Siehe dazu nur Feenstra, Responsabilité civile avant Grotius, S. 325 ff.; ders., Deliktsrecht bei Grotius, S. 430 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 176 ff.; ders., Struktur des Haftungsrechts, S. 328 m.w.N.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 257 ff. Gemeinsamkeiten zwischen Grotius und den Scholastikern zeigt Nufer, Restitutionslehre, S. 72 ff., auf. Detailliert zur Restitutionslehre Jansen, Restitutionslehre bei Francisco de Vitoria, S. 195 ff.; Thieme, Seconde scolastique espagnole, S. 14 ff. 9 Für Nachweise und einzelne Stellen siehe Feenstra, Deliktsrecht bei Grotius, S. 431.
A. Entwicklung im Naturrecht
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sie aus ihrem theoretischen Fundament gelöst und in die weltliche Rechtspraxis eingeführt.10 Zudem war seine Darstellung wesentlich einfacher und verständlicher gehalten und damit einem breiteren Adressatenkreis zugänglich. 11 Aus diesem Grund bildet Grotius den wirklichen Anfangspunkt der hier zu betrachtenden Entwicklung. 12 Mit der deliktischen Haftung setzte er sich vor allem in „De iure praedae commentarius“ (1.), „Inleidinge tot de Hollandsche Rechtsgeleerdheid“ (2.) und besonders in „De iure belli ac pacis“ (3.) auseinander. 13 1. De iure praedae commentarius (1604) Der Anlass für Grotius, sich 1604 mit dem Kriegsrecht auseinanderzusetzen, war eine Auftragsarbeit der Vereinigten Ostindienkompanie der Niederlande (VOC = Verenigde Oostindische Compagnie). 14 1603 hatte der niederländische Kapitän Jacob van Heemskerck in der Straße von Singapur ein portugiesisches Segelschiff angegriffen und erbeutet. Eine Autorisierung zu diesem Handeln durch die United Amsterdam Company (welche zur VOC gehörte) konnte er nicht vorweisen: Der Einsatz von Gewalt war nur zur Selbstverteidigung und zur Wiedergutmachung erlittener Schäden gestattet; beides traf in seinem Fall nicht zu. Eine Rechtfertigung konnte nur darin bestehen, dass die VOC sich in
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Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 21. A.A. Sauter, Philosophische Grundlagen, S. 91 ff.: dieser ist der Auffassung, dass „… Grotius vielmehr die von den spanischen Naturrechtlern übernommene Tradition fortsetzen wollte …“, nicht aber für eine Neuerung stehe. 11 Gordley, Philosophical origins, S. 130. 12 Basdevant, Hugo Grotius, S. 265: „[Grotius] marque le point de départ de tout le mouvement doctrinal qu’il a suivi.“ – Eine weitergehende Beschäftigung mit den spanischen Spätscholastikern würde in diesem Rahmen zu weit führen. Für w.N. siehe z.B. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz; Kohler, Spanische Naturrechtslehrer, S. 235 ff.; Bergfeld, Katholische Moraltheologie, S. 1016 ff.; Truyol Serra, Grotius et les classiques espagnols du droit des gens, S. 431 ff. Zu den „Vorläufern des Grotius“ auch Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 5 ff. 13 Rabbie, Grotius on damages in case of homicide, S. 109 ff., weist darauf hin, dass sich Grotius auch in einem weiteren Werk zu der Ersatzpflicht, die aus Delikten entsteht, äußert und dabei ähnliche Gedanken wie in der „Inleidinge“ (dazu gleich S. 21 ff.) formuliert: In „Defensio fidei catholicae de satisfactione christi“, Lugdunum Batavorum 1617, S. 42, heißt es im zweiten Kapitel: „Et hactenus naturaliter etiam ex delicto creditores fieri possumus. Neque id locum habet in his duntaxat delictis, in quibus rei corporalis acceptio intercedit: sed in aliis etiam factis alicui noxiis. ita qui alterum vulneravit debet & Mercedes medicis praestitas & impendia ob curationem facta, & operarum intertrimentum. L. ult. D. de his qui effud. Mirati sunt quidam quod Aristoteles homicidium quoque posuerit inter συναλλάγματα, in quibus versatur τὸ διορθωτικὸν δίκαιον, sed recte notavit Eustathius, non alia id ratione fieri quam quia uxori, liberis aut cognatis occisi aliqua soleat fieri damni compensatio, de qua videre est in I. 4. § I. ad L. Corn.“ 14 Siehe dazu sowie zu den Hintergründen der Arbeit van Ittersum, Introduction, S. xiii ff.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 267.
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
einem gerechten Krieg befand. 15 Grotius, der beauftragt war, eine solche Rechtfertigung zu verfassen, 16 setzte sich daher mit dem universellen Recht des Krieges und gerechten Ursachen für einen solchen auseinander. Allem voran stellte er Prolegomena, in denen er die Quellen des Rechts erläuterte und allgemeine Grundsätze für das Verhalten des Menschen herleitete. Das vorgefallene Geschehen sah er als repräsentativ an, weshalb seine Ausführungen nicht nur auf den konkreten Fall zu beziehen seien, sondern auch allgemeine Anwendung finden könnten. 17 Die Grundlage seiner Überlegungen bildete nicht geschriebenes Recht, sondern das, welches sich aus der Natur herleitet18 und dem damit universelle Geltung zukommt. a) Oberste Prinzipien In „De iure praedae commentarius (DJPC)“, erstmals im Jahr 1868 veröffentlicht,19 spiegelt sich deutlich der religiöse Hintergrund Grotius’ wider: Den Willen Gottes sieht er als oberstes Prinzip, als Regula I an: „Quod Deus se velle significarit, id ius est“, 20 aus diesem leite sich das Naturrecht ab. 21 Aber auch den übereinstimmenden Willen der Menschheit erhebt er zum Recht: „Quod consensus hominum velle cunctos significaverit, id ius est“ (Regula II).22 Aus diesen Regeln ergeben sich bestimmte Gesetze, die für ein Zusammenleben in Gesellschaft, wonach der Mensch ein starkes Bedürfnis habe, unerlässlich seien. 23 Lex III statuiert ein Schädigungsverbot („Ne quis alterum 15 Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 78. Zu der Behandlung des Kriegsrechts durch Grotius siehe auch dens., Grotius et la doctrine de la guerre juste. 16 Dass dabei ein Werk wie „De iure praedae commentarius“ herauskommen würde, war nicht beabsichtigt; Grotius sollte lediglich eine kurze formale Verteidigung schreiben: van Ittersum, Introduction, S. xiv f. 17 Grotius, DJPC, I, S. 5. 18 Grotius, DJPC, I, S. 5 ff. 19 Die weiteren Ausführungen beziehen sich auf diese Ausgabe aus dem Jahr 1868 von Hamaker. Das zwölfte Kapitel veröffentlichte Grotius bereits 1609 unter dem Titel „Mare Liberum“. 20 Grotius, DJPC, II, S. 7 f. 21 Grotius, DJPC, II, S. 8. Auch im Folgenden verweist Grotius immer wieder auf die Heilige Schrift und zitiert daraus, aus dem Alten Testament vor allem die Bücher des Moses, aus dem Neuen Testament die Evangelien nach Matthäus und Lukas oder die Apostelbriefe. In Kapitel III ist der Bezug besonders stark: Grotius geht hier der Frage nach, ob ein Krieg überhaupt gerecht sein kann. Er zeigt dabei auf, wie Gott dazu stehe und wo dieser selbst einen Krieg gebilligt oder sogar angeregt habe. 22 Grotius, DJPC, II, S. 12. 23 Tuck, Natural rights theories, S. 59 f., sieht in diesem Gedanken bereits erste Anzeichen für eine spätere Loslösung vom göttlichen Willen: Die Gesetze werden zwar hier noch auf Gott zurückgeführt; ihr oberstes Anliegen sei es aber, das Leben des Menschen in Gesellschaft zu ermöglichen. Genau das rückt später ins Zentrum und begünstigt eine Verselbstständigung.
A. Entwicklung im Naturrecht
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laedat“)24 und bildet damit die Grundlage für die Ersatzpflicht: Ist eine schädigende Handlung nämlich doch vorgefallen, so verlange die ausgleichende Gerechtigkeit, dass Übeltaten berichtigt werden: „malefacta corrigenda“ (Lex V).25 Die Folge sei, dass derjenige, der durch die üble Tat einen Verlust erleidet, von dem Schädiger das genaue Äquivalent dieser Einbuße erhält. Es sei ein Gebot der Gerechtigkeit, dass erlittener Verlust ersetzt wird und es Genugtuung für Schäden gibt. 26 b) Gerechter Krieg und subjektive Rechte Durch die verschiedenen Regeln und Gesetze, die Grotius in den Prolegomena erläutert, kommen den Menschen bestimmte Rechte zu. Könne sich ein Handelnder auf ein derartiges Recht berufen, so sei sein Verhalten gerecht; werde etwas entgegen dem Recht getan, so stelle dies eine iniuria dar, und derartige Handlungen seien widerrechtlich. 27 Diese Erwägungen dienen Grotius nun dazu, den Übergang von den allgemeinen Prinzipien auf den Krieg zu bewerkstelligen: 28 Ein gerechter Krieg sei dann gegeben, wenn er in der Ausführung eines Rechts bestehe.29 Alle unsere Rechte lassen sich dabei auf vier der Gesetze zurückführen, die er in den Prolegomena erläutert, und daraus folgt, dass die Entstehung eines gerechten Krieges nur aus vier sich aus diesen Gesetzen ergebenden Gründen zulässig ist:30 Notwehr, Verteidigung der eigenen Sachen und Rechte (auch Wiederbeschaffung von Genommenem), die Eintreibung von Schulden sowie unerlaubte Handlungen. Die sich daraus ergebenden Rechte zieht Grotius heran, um einen Krieg zu rechtfertigen,31 und misst ihnen damit besondere Bedeutung zu. Im Zusammenhang mit dem Schadensersatzrecht ist der vierte Grund hervorzuheben. Nach diesem ist eine Rechtfertigung dann gegeben, wenn Missetaten oder Verletzungen begangen worden sind. 32 Die allgemeine Relevanz der Ausführungen von Grotius in diesem Kapitel ergibt sich dadurch, dass er diese nicht nur zur Rechtfertigung von Kriegen
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Grotius, DJPC, II, S. 13 f. Dazu sowie zum Folgenden Grotius, DJPC, II, S. 15. Dieses Gebot sei ebenso in der Bibel enthalten, Grotius, DJPC, III, S. 36, denn in Lk. 6, 31 heißt es: „Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, also tut ihnen gleich auch ihr“ (ebenso Mt. 7, 12). Grotius verweist ebenso auf die Scholastiker, die statt des Begriffs der ausgleichenden Gerechtigkeit den der „restitution“ verwendeten. 26 Grotius, DJPC, II, S. 15. 27 Grotius, DJPC, II, S. 30. 28 Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 80. 29 Grotius, DJPC, II, S. 30. 30 Alle weiteren Gesetze gehen in diesen vieren auf und bilden daher keine eigenständigen Gründe für einen gerechten Krieg, vgl. Grotius, DJPC, VII, S. 67. 31 Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 85. 32 Grotius, DJPC, VII, S. 68. 25
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
aufstellt, sondern sie auch auf die Möglichkeiten Privater, gegen derartige Verhalten vorzugehen, bezieht: Die dargestellten Fälle begründeten private Klagerechte der Betroffenen, insbesondere bei Entschädigungsforderungen im Falle von deliktischen Schädigungen. 33 Haggenmacher sieht bereits hier die in der Person begründeten „subjektiven Rechte“ 34 des Einzelnen durchscheinen, die bei Grotius in späteren Werken eine zentrale Stellung einnehmen werden. 35 Eine explizite Auseinandersetzung mit ihnen erfolgt in diesem Werk allerdings noch nicht.36 c) Zwischenergebnis In „De iure praedae commentarius“ stellte Grotius die Prinzipien auf, die entscheidend für die Schadensersatzpflicht und deren Begründung sind. Er leitete diese aus dem Naturrecht ab, welches seine Grundlage in dem Willen Gottes habe. Seine Argumentation zur Rechtfertigung eines Krieges, der er über diese Materie hinaus allgemeine Geltung beimaß, stützte er auf die Verletzung eines durch das Naturrecht gegebenen Rechts. Das Prinzip selbst, Schäden, die man anderen zugefügt hat, zu ersetzen, erläuterte er eher en passant; er hob es weder als allgemeines Prinzip des Haftungsrecht hervor, noch bettete er es in ein System des Haftungsrechts ein oder ging näher darauf ein. Dennoch ist es in seinen Ausführungen bereits vorgezeichnet und liegt der Darstellung zu Grunde. Wie sich im Folgenden zeigen wird, stellt „De iure praedae commentarius“ in mehfacher Hinsicht eine Art Vorstufe zu den späteren Werken Grotius’ dar:37 Das
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Grotius, DJPC, VII, S. 70. Siehe ebenso Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 86, der auch diese erstaunliche Parallele hervorhebt. 34 Generell zu der Entwicklung von subjektiven Rechten siehe Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 313 ff.; Villey, Leçons d’histoire, S. 221 ff.; Coing, Zur Geschichte des Begriffs „Subjektives Recht“, S. 241 ff. 35 Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 73 ff., insbesondere S. 80. Siehe zu den subjektiven Rechte bei Grotius auch Villey, Pensée juridique moderne, S. 627 ff., sowie vor allem unten S. 28 f. 36 Eine Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht nahm Grotius allerdings, wie Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 81 f., hervorhebt, in anderem Zusammenhang vor. In Kapitel zwölf (siehe dazu auch Fn. 19) setzt er sich damit auseinander, welche Rechte unter anderem an dem Meer bestehen und differenziert zwischen Rechten der Allgemeinheit an Sachen und Rechten des Einzelnen. In einer Replik auf geäußerte Kritik unterschied er nun: „… quibus in locis ius non potest significare normam aliquam iusti, sed facultatem moralem in re: ut cum dicimus haec res est iuris mei, id est habeo in ea dominium aut usum aut simile aliquid“ (Grotius, Defensio Capitis quinti Maris liberi oppugnati a Guilielmo Welwodo, fol. 10’a). Der norma aliqua iusti als objektivem Recht stellt er die facultas moralis in re als subjektives Recht gegenüber; diese Umschreibung des subjektiven Rechts griff er in „De iure belli ac pacis“ später wieder auf, dazu unten Fn. 69. 37 So auch Villey, Pensée juridique moderne, S. 607; Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 111, 115; Tuck, Natural rights theories, S. 59.
A. Entwicklung im Naturrecht
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Konzept der subjektiven Rechte und die Prinzipien des Haftungsrechts sind hier bereits angelegt und werden später weiterentwickelt. 2. Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid (um 1621) Ausführliche Erörterungen zum Schadensersatz finden sich dann in der „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“.38 Grotius ging es hier nicht in erster Linie darum, ein naturrechtliches Rechtssystem zu entwickeln; sein Anliegen war es, das zu seiner Zeit in Holland geltende Recht darzustellen. 39 Er bettete dieses jedoch in das Naturrecht ein 40 und ging damit über eine Darstellung des positiven Rechts hinaus. a) System des Schadensersatzes und subjektive Rechte Bereits der Aufbau der „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“ bringt Grotius’ Konzept der subjektiven Rechte zum Ausdruck: Nach einem allgemeinen Teil folgt ein Buch zum Sachenrecht (beheering) und eins zum Schuldrecht (inschuld), denn die (subjektiven) Rechte hinsichtlich dessen, „was uns gehört“ (toe-behoren), könnten in dinglichen Rechten (beheering) oder in Schuldrechten (inschuld) bestehen.41 Buch III zu den Schuldrechten (inschuld), also zu dem, was geschuldet wird, beginnt Grotius mit einigen allgemeinen Bemerkungen. Gegenüber anderen Menschen bestünden zunächst drei Pflichten (im weiten Sinne): Güte (weldaed), anderen gegenüber sein Wort halten (trouw) sowie Wiedergutmachung bei Fehlverhalten (misdaed).42 Persönliche Rechte beruhten naturrechtlich auf zwei Entstehungsgründen: Verträge (toezegging) und Ungleichheit (onevenheid).43 Aus einer Ungleichheit, die entsteht, „wenn jemand gegen sei-
38 Die Ausführungen beziehen sich auf die Ausgabe von Dovring/Fischer/Meijers (1965). Grotius hatte dieses Buch um 1621 fertiggestellt, jedoch erst 1631 veröffentlicht. Zu den Gründen dafür und näher zur Entstehung des Buches siehe Wellschmied, Entstehung und Bedeutung der Inleidinge, S. 154 ff. 39 Grotius, Inleidinge, Vorrede van den eersten druk, s. xxix f.; siehe auch Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 94. 40 Feenstra, Grotius‘ doctrine of liability, S. 132; ders, Grotius, S. 267. 41 Grotius, Inleidinge, II, 1, Nr. 57 ff. Grotius richtet damit sein ganzes Werk nach den subjektiven Rechten aus und begründet es auf diesen: Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 97. 42 Grotius, Inleidinge, III, 1, Nr. 3. Nach Tuck, Natural rights theories, S. 67, könne das Naturrecht damit aber auf eine einfache Regel reduziert werden: die Achtung der Rechte anderer Menschen. Deutlicher zum Ausdruck kommt dies aber erst in „De iure belli ac pacis“, siehe unten um Fn. 64. 43 Grotius, Inleidinge, III, 1, Nr. 7, 9 ff. Feenstra, Grotius‘ doctrine of liability, S. 133, weist darauf hin, dass Grotius diesen Begriff von den spanischen Spätscholastikern übernommen hat. In „De iure praedae commentarius“ findet er sich noch nicht. Haggenmacher,
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
nen Willen durch das Fehlverhalten (misdaed) eines anderen einen Verlust erlitten hat“, 44 erwachse die Pflicht zur Entschädigung, auch wenn der Schädiger nicht bereichert sei, denn es genüge, dass der Verlust auf seinem Fehlverhalten beruhe. Eine ausführliche Erläuterung der Verbindlichkeiten, die durch misdaed entstehen, erfolgt ab Kapitel 32. Der Bezug zum Naturrecht ist an dieser Stelle besonders deutlich. Als misdaet(d) (Delikte) versteht Grotius „Handlungen oder Unterlassungen, die von Natur aus ungesetzlich oder durch Gesetz verboten sind“ (Nr. 3). 45 Von Natur aus ungesetzlich sei es dabei nach Nr. 5, „wenn man anderen etwas nimmt, was diesen gehört, einem anderen gegen dessen Willen einen Nachteil zufügt oder allgemein alles, was gegen die Regeln der Vernunft, die sich aus dem Naturrecht ergeben, verstößt“. 46 Aus derartigem Verhalten könne einerseits die Bestrafung des Schädigers folgen, andererseits der Ersatzanspruch des Geschädigten. Die Pflicht zum Ersatz werde zwar durch das Zivilrecht näher ausgeformt, sei aber ein naturrechtliches Gebot47 und ergebe sich auch ohne förmliche Forderung oder gerichtliches Urteil direkt aus dem Naturrecht (Nr. 9). Es schließen sich nähere Erläuterungen an, wie das Naturrecht die Ersatzpflicht gebietet (Nr. 11). 48 Die Ersatzpflicht treffe jeden, der durch sein Fehlverhalten, welches in einem Tun (doen; Nr. 13) oder Unterlassen (laten; Nr. 14) bestehen kann, eine Verletzung verursacht habe (Nr. 12): „Tot weder-evening dan zijn gehouden alle die
Droits subjectifs, S. 93, hebt jedoch das hinter diesem Prinzip stehende Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit hervor, auf das Grotius in „De iure praedae commentarius“ eingeht und welches auch hier zum Tragen kommt: Es geht um die Wiederherstellung der vermögenswerten Gleichheit, die durch das schädigende Verhalten gegen den Willen des Betroffenen zerstört worden ist. 44 Grotius, Inleidinge, III, 1, Nr. 18. Am Rand findet sich hier der Verweis von Grotius auf den Begriff „maleficium“, in dem er anscheinend die Entsprechung zu „misdaed“ sieht. 45 Grotius, Inleidinge, III, 32, Nr. 3: „Misdaet is een doen ofte laten, zijnde uit zich zelve ofte door eenige wet ongeoorloft.“ Die Nummern im Haupttext beziehen sich auf Grotius, Inleidinge, III, 32. 46 Grotius, Inleidinge, III, 32, Nr. 5. 47 Grotius, Inleidinge, III, 32, Nr. 7: „Maer de schuld van weder-evening des onevenheids komt uit het aengheboren recht“. Lee, The jurisprudence of Holland, S. 461, übersetzt dies mit „But the duty of making compensation for the inequality resulting from wrong comes from the law of nature …“. 48 Grotius will damit den Unterschied zum positiven Recht aufzeigen. Wenig später (Nr. 20) kommt er aber zu dem Schluss, dass Naturrecht und positives Zivilrecht hinsichtlich der Frage der Kompensation viel näher zusammenliegen als bei anderen Themen. Ein Unterschied sei allerdings, dass das Zivilrecht manchmal die Höhe der Kompensation, die an sich immer ungewiss sei, festsetze oder diese durch pönale Elemente erhöhe. Zudem beziehe sich das Naturrecht nur auf wirkliche Vorkommnisse, und die Bildung von Analogien wie im Zivilrecht sei ihm fremd (Nr. 22).
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iemand door misdaed hebben verkort“. 49 Für einige Fälle bestehen dabei jedoch Besonderheiten, die Grotius bereits hier erwähnt (Nr. 16): So könne bei der Tötung eines Menschen das genommene Leben zwar nicht zurückgegeben werden. Der Schädiger sei jedoch denjenigen verpflichtet, die unter dem Tod leiden.50 An dieser Stelle findet sich lediglich der allgemeine Grundsatz, in Kapitel 33 folgen dann nähere Ausführungen:51 Der Witwe, den Kindern sowie anderen Personen, die der Getötete durch seine Arbeit versorgt hatte, ist für den durch den Wegfall des Unterhalts entstandenen Schaden Ersatz zu leisten.52 Nach diesen allgemeinen Erörterungen zur naturrechtlichen Herleitung des Prinzips geht Grotius in den folgenden Kapiteln auf die Ausformung der deliktischen Haftung im holländischen Recht ein und stellt diese anhand der einzelnen Delikte dar. Die Delikte seien nach den verschiedenen Dingen zu unterscheiden, die zu Individuen gehören: das Leben, der Körper, die Freiheit, die Ehre und das Eigentum. 53 Hier kommt Grotius’ Konzept der absoluten subjektiven Rechte zum Ausdruck: Dem Einzelnen sind bestimmte rechtlich geschützte Rechtsgüter ausschließlich zugewiesen. 54 Genau diese erörtert er dann im Rahmen der Ersatzpflicht näher: die Verletzung des Lebens (Kapitel 33), des Körpers (Kapitel 34), der Freiheit (Kapitel 35), der Ehre (Kapitel 36) sowie 49
Lee, The jurisprudence of Holland, S. 461: „The duty of compensation attaches to all who have injured another by any wrongful act …“. 50 Die Erben des Getöteten haben grundsätzlich zwar keinen Ersatzanspruch gegen den Schädiger (Grotius, Inleidinge, III, 32, Nr. 10), Ausnahmen bilden jedoch Beerdigungs- und „andere durch die unerlaubte Handlung verursachte“ Kosten (a.a.O., III, 33, Nr. 2). 51 Zu diesen Bestimmungen, die sich im römischen Recht so nicht finden, Feenstra, Deliktsrecht bei Grotius, S. 441, sowie ders., Responsabilité civile avant Grotius, S. 326 ff. Feenstra sieht hier eine Beeinflussung u.a. durch de Soto und Lessius, schließt aber auch nicht aus, dass das niederländische Recht entsprechende Regelungen enthielt, an denen sich Grotius orientiert haben könnte. 52 Als weitere Besonderheit betont er, dass die Höhe der Kompensation nicht immer leicht festzustellen sei, nämlich dann, wenn jemand einer Sache beraubt wird, die ihm zwar noch nicht gehört, die er aber in Zukunft wahrscheinlich erhalten wird – ob er diesen Vorteil aber auch wirklich erlangt hätte, ist in diesem Fall noch ungewiss, und es ist daher nicht der tatsächliche spätere Wert anzurechnen, sondern nur ein geringerer, der der Ungewissheit Ausdruck verleiht (Grotius, Inleidinge, III, 32, Nr. 16). 53 Grotius, Inleidinge, III, 33, Nr. 1. Diese Zuordnung hatte er schon in Buch II, Kapitel 1 vorgenommen und er verweist nun auf diese Stelle. Sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Alle Sachen, die zu Individuen gehören, sind entweder veräußerlich oder unveräußerlich (Nr. 41). Zu den unveräußerlichen gehören solche, die so wichtig sind, dass sie z u einem anderen Menschen nicht gehören können: das Leben, der Körper, die Freiheit, die Ehre (Nr. 42); Eigentum dagegen kann als „veräußerliche Sache“ auf andere übertragen werden (Nr. 49). 54 Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 329 mit Verweis auf Grotius, Inleidinge, I, 2, Nr. 28: Die Rechte des Einzelnen über eigene Sachen sowie die Befugnisse zu deren Verteidigung und rechtlicher Verfolgung bestimme das Privatrecht.
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des Eigentums (Kapitel 37). Die möglichen Verletzungen, für die es Ersatz gibt, führt Grotius in abschließender Weise auf; andere Fälle hat er anscheinend gedanklich nicht einbezogen. 55 b) Zwischenergebnis In der „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“ erörterte Grotius in den Kapiteln 32 ff. des dritten Buches das holländische Deliktsrecht. Sein Werk ist durchzogen von dem Grundgedanken, dass dem Menschen bestimmte Rechte (von Natur aus) zustehen, welche gegen eine Beeinträchtigung durch andere geschützt sind. Die Pflicht, „Ungleichheiten“ zu ersetzen, leitete er aus dem Naturrecht ab; 56 sie treffe jeden, der durch sein Fehlverhalten diesen Zustand verursacht hat. Grotius formulierte die Ersatzpflicht als allgemeines Prinzip, losgelöst von kasuistischem Denken. Anschließend erläuterte er separat und vergleichsweise ausführlich die möglichen Rechtsverletzungen: Verletzungen von Leben, Körper, Freiheit, Ehre und Eigentum. Er maß diesen abschließenden Charakter bei und beschränkte die Ersatzpflicht damit. Insbesondere der starke Bezug zum Naturrecht und die Herleitung der Ersatzpflicht aus diesem haben dazu geführt, dass das Werk über die Darstellung des holländischen Rechts hinaus von allgemeinem Interesse ist. 3. De iure belli ac pacis (1625) Die größte Bedeutung erlangte jedoch das 1625 veröffentlichte Werk „De iure belli ac pacis“. 57 Grotius beschäftigte sich darin mit Kriegen und dem in diesem Zusammenhang anwendbaren Recht.58 Ausgangspunkt und Grundlage seiner Gedanken waren hier das Naturrecht und die sich aus diesem ableitenden Vor-
55 Grotius’ Wortwahl in Inleidinge, III, 33, Nr. 1 lässt eine Begrenzung auf die dort aufgeführten Rechtsgüter erkennen: „Delicts proper are conveniently distinguished according to the different character of the things which belong to individuals: these we have said above are life, body, personal liberty, honour, and property.“ (Lee, The jurisprudence of Holland, S. 471). 56 Ein Rückgriff auf die Heilige Schrift oder den Willen Gottes – womit seine Ausführungen in „De iure praedae commentarius“ noch durchzogen waren – findet sich hier allerdings nicht. Insgesamt mangelt es in der „Inleidinge“ an Quellenangaben. Dies ist jedoch darauf zurückzuführen, dass Grotius keine Bücher oder Hilfsmittel zur Verfügung standen, Wellschmied, Entstehung und Bedeutung der Inleidinge, S. 157. 57 Schiedermair, The influence of Grotius’ thought, S. 401; Feenstra, Grotius, S. 267, bezeichnet es als Grotius’ „Meisterwerk“. 58 Es geht um gerechte Ursachen für einen Krieg – damit meint er nicht nur Kriege zwischen Staaten, sondern auch solche zwischen Privaten – und wie ein solcher zu führen ist; daneben handelt er auch das Recht der Menschen untereinander ab.
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schriften. In diesem Ansatz spiegeln sich deutlich die gesellschaftlichen, politischen und vor allem religiösen Umstände zu Lebzeiten Grotius’ wider59 – gleichzeitig lassen sie seine gewandelten Vorstellungen erkennen: Die Reformation hatte zu religiösen Auseinandersetzungen in ganz Europa geführt, unvereinbare ideologische Gegensätze standen sich gegenüber; jede Konfession verbreitete ihre eigene, allein gültige Wahrheit und spaltete so die Gesellschaft; grausame Kriege wurden im Namen der Religion geführt. Die Kirche wollte an dieser Situation nichts ändern; Frieden war nur durch Rechtsstaatlichkeit möglich. Nur ein weltliches, „neutrales“ Recht konnte bei allen Konfessionen Akzeptanz finden und allgemein respektiert werden. Die Quelle des Rechts war daher für Grotius das Naturrecht: Er wollte sein Rechtssystem auf Prinzipien begründen, die so vollkommen einleuchtend und überzeugend sind, dass sie von niemandem bestritten werden können. 60 a) Grundlagen des Rechtssystems Grotius stellt der Abhandlung einen discours prélimaire voran, in dem er den Menschen und die Beziehungen der Menschen untereinander in das System des Naturrechts einordnet und grundlegende Prinzipien erläutert, die das Zusammenleben bestimmen. Zu Beginn begründet Grotius die Notwendigkeit von Recht und der Prinzipien des Naturrechts. 61 Der Mensch unterscheide sich vom Tier durch vielerlei Vorzüge. Das Besondere an Menschen sei das Verlangen, in einer Gesellschaft zu leben (sociabilité naturelle/appetitus societatis), und zwar friedlich und geregelt.62 Genau das leite sein Verhalten, und nicht das Streben nach dem persönlichen Nutzen. 63 Das Bemühen, die Gesellschaft zu erhalten, bilde die Quelle genereller (Rechts-)Regeln, wie
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Siehe zu der folgenden Darstellung dieser Umstände Schiedermair, The influence of Grotius’ thought, S. 404 ff.; Villey, Pensée juridique moderne, S. 599 ff. 60 Grotius, DGP, discours préliminaire, § 40. Den Nutzen seiner Arbeit sah er selbst darin, dass es bisher an einer systematischen und vollständigen Darstellung des Rechts fehlte. An einer solchen bestand aber seiner Auffassung nach ein großes Interesse, Grotius, DGP, discours préliminaire, §§ 1, 31, 38. Er bemängelte vor allem, dass in bisherigen Versuchen die Verschiedenartigkeit der Rechtsquellen (Naturrecht, göttliches Recht, Völkerrecht, Zivilrecht, kanonisches Recht) nicht berücksichtigt wurde, a.a.O., § 38. 61 Zu den weiteren Ausführungen siehe auch Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 11 ff. 62 Grotius, DGP, discours préliminaire, § 7. 63 Auch das Leben in Gemeinschaft biete dem Menschen, der von Natur aus schwach ist, zwar Vorteile. Das sei jedoch nicht der Grund, der den Menschen zu diesem Verhalten veranlasse: Das Bedürfnis nach Geselligkeit und einem Leben in Gemeinschaft bestünde auch, wenn dies für den Menschen keinerlei Vorteile hätte, Grotius, DGP, Discours préliminaire, §§ 17, 19; siehe auch Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 13. Damit stellte sich Grotius hier in Gegensatz zu Karneades (Grotius, DGP, Discours préliminaire, §§ 6 f.). Dieser vertrat
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„Que l’on est obligé de tenir sa parole: Que l’on doit réparer le Dommage qu’on a causé par sa faute“;64
es sei also die Vernunft, die den Menschen dazu veranlasse, diese Beschränkungen einzuhalten. 65 Grotius erwähnt hier das Prinzip, verursachte Schäden wiedergutzumachen: 66 Es bilde eine Voraussetzung für das Bestehen der Gesellschaft und sei erforderlich, um diese zu erhalten. Doch nicht nur das: Aus der moralischen Pflicht, Schäden zu ersetzen, folgert Grotius ein Recht des Geschädigten auf Entschädigung – er stützt sein Rechtssystem auf unumstößliche moralische Grundsätze und verleiht den Rechten dadurch absolute Geltung.67 Recht und Moral sind bei ihm daher eng miteinander verknüpft. Dies zeigt sich auch an einer weiteren Stelle ganz deutlich: Grotius beginnt das erste Kapitel des ersten Buches unter anderem mit der Frage, was eigentlich Recht ist. Der Begriff „Recht“ meine dabei Verschiedenes. Erstens bezeichne er das, was rechtmäßig ist (I, 1, § 3, Nr. 1: „ce qui est juste“).68 Diese Bedeutung sei zu unterscheiden von einer weiteren, nämlich dem Recht als mit der Person verbundener moralischer Eigenschaft (qualité morale/qualitas moralis), kraft derer man legitim etwas haben oder machen könne. 69 Recht in diesem zweiten Sinne bezeichnet also die subjektiven Rechte einer Person. Schließlich gebe es noch das Recht im weitesten Sinne (I, 1, § 9). Es habe die gleiche Bedeutung
die Auffassung, dass jeder Mensch – oder generell jedes Tier – nur seinen persönlichen Vorteil im Sinn habe und die Gesetze nur dazu dienten, diesen zu erreichen. Siehe zu dieser Auseinandersetzung Tuck, Grotius, Carneades and Hobbes, S. 43 ff. 64 Grotius, DGP, Discours préliminaire, § 8 („promissorum implendorum obligatio, damni culpa dati reparatio“). In der „Inleidinge“, III, 1, Nr. 3, führte Grotius genau diese auch schon als Pflichten des Menschen an; dazu auch oben bei Fn. 42. 65 Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 11. Villey, Pensée juridique moderne, S. 620: Nach Grotius’ Vorstellung kann die Ordnung allein durch Beachtung moralischer Prinzipien aufrechterhalten werden. 66 Bereits in der „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“ sah Grotius die Ersatzpflicht als Gebot des Naturrechts an, vgl. oben Fn. 47. 67 Villey, Pensée juridique moderne, S. 621, 629 f. Ders. kritisiert Grotius für diese Folgerung wenig später: In der Philosophie seien diese moralischen Grundsätze ganz anders verstanden worden, a.a.O., S. 631. Gleichwohl sei er durch diesen Schluss von der moralischen Pflicht auf das Recht zur Entschädigung „der Vater der Formulierung des Art. 1382 [Code civil, S.W.]“, a.a.O., S. 630. 68 „Nam jus hic nihil aliud quam quod justum est significat“. „Le droit de la guerre“ umfasst daher alles, was im Krieg (gegenüber dem Feind) rechtmäßig ist. 69 Grotius, DGP, I, 1, § 4: „En ce sens le Droit est une qualité morale, attachée à la personne, en vertu de quoi on peut légitimement avoir ou faire certaines choses.“ Grotius bezieht sich an dieser Stelle auch auf die bereits zuvor erwähnte „facultas moralis“ (siehe Fn. 36): „Qualitas autem moralis perfecta, facultas nobis dicitur“ und führt in DGP, I, 1, § 5 weiter aus: „Facultatem Jurisconsulti nomine sui appellant, nos posthac jus proprie aut stricte dictum appellabimus: sub quo continentur potestas, tum in se, quae libertas dicitur, tum in alios; siehe dazu auch noch S. 28 f. sowie bei Fn. 77.
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wie loi/lex, verstanden als Regel moralischen Handelns, die zu dem verpflichtet, was gut und lobenswert ist. 70 Er unterteilt dieses – Aristoteles folgend – in Naturrecht und freiwilliges (selbst gesetztes) Recht. 71 Das Naturrecht bestehe aus Prinzipien der Vernunft, die einem zu erkennen geben, ob ein Verhalten verwerflich ist oder nicht; das Naturrecht leitet sich also aus der Vernunft ab. Ein Merkmal dieses Rechts sei seine Unveränderlichkeit: Selbst Gott könne es nicht ändern (I, 1, § 10, Nr. 5). Aber Grotius löst sich noch weiter von der theologischen Fundierung: Selbst wenn es gar keinen Gott gäbe, hätte dies keinen Einfluss auf das Naturrecht. 72 Daran wird schon deutlich, dass sich Grotius’ Vorstellungen hinsichtlich der Beziehung zwischen Naturrecht und dem Willen Gottes gegenüber seinem ersten Werk gewandelt haben: 73 Hat er das Naturrecht in „De iure praedae commentarius“ noch aus dem Willen Gottes abgeleitet, so unterscheidet er beide nun und sieht letzteren als weitere Quelle des Rechts an (I, 1, §§ 12, 49). Dennoch stünden sie nicht unverbunden nebeneinander, denn es sei von Gott gewollt, dass es derartige Prinzipien, wie sie das Naturrecht bestimmt, gibt (I, 1, § 12). Der Wille Gottes widerspreche niemals dem wahren Naturrecht (I, 1, § 49).74
70 Moralische Regeln bilden damit Rechtssätze: Villey, Pensée juridique moderne, S. 615 f. 71 Grotius, DGP, I, 1, § 9, Nr. 2. Diese Trennung von positivem Recht und Naturrecht unterscheidet Grotius von seinen Vorgängern: Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 5. 72 Grotius, DGP, Discours préliminaire, § 11. Zu dem Bezug zwischen Vernunft, Theologie und Recht siehe Winiger, Rationales Pflichtenrecht, S. 42 ff. 73 Zu Grotius’ Gottesverständnis siehe Winiger, Rationales Pflichtenrecht, S. 32 ff. Dennoch sind die göttlichen Gesetze für ihn weiterhin von Bedeutung, besteht sein Anliegen in dem Werk doch auch darin, diese zu erläutern, vgl. Grotius, DGP, Discours préliminaire, § 1. Die Selbständigkeit des Naturrechts unterscheidet sich aber von seinen vorherigen Werken und Vorstellungen, Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 16 f.: Grotius habe „die Einheit von Naturrecht und göttlichem Gesetz“ zerrissen. Die Werke von Grotius werden daher auch als Ausgangspunkt der Säkularisierung betrachtet: Haakonssen, History of political thought, S. 247. Eben diese war, wie bereits oben gezeigt, durch die Umstände der Zeit – die Spaltung in religiösen Fragen – aber geboten: Wollte Grotius ein universelles Rechtssystem schaffen, musste er dieses auf die Vernunft gründen, siehe Villey, Pensée juridique moderne, S. 611. 74 Nach Grotius lässt sich das Gegenteil beispielhaft zeigen: Die Heilige Schrift bestärke die oben angeführten Prinzipien des Naturrechts zum Erhalt der Gesellschaft: Durch die gemeinsame Abstammung der Menschen habe die Natur eine Art Verwandtschaft zwischen ihnen geschaffen und dies führe dazu, dass es für den Einzelnen nicht gut sei, sich schlecht gegenüber anderen zu verhalten (Grotius, DGP, Discours préliminaire, § 14). Grotius hebt damit einerseits das Naturrecht als autonome Rechtsquelle hervor, betont aber zugleich den Zusammenhang mit dem Willen Gottes, Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 13 f.
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b) Subjektive Rechte als zentraler Bestandteil Wie schon in der „Inleidinge“ stehen die subjektiven Rechte im Zentrum von Grotius’ System. 75 Er versteht sie – wie bereits erwähnt – als mit der Person verbundene moralische Eigenschaft, kraft derer man legitim etwas haben oder machen kann (I, 1, § 4);76 sie besteht in Form von Herrschaftsrechten (droits réels/jura realia) oder persönlichen Rechten (droits personnels/jura mere personalia). Das Recht im Sinne einer moralischen Eigenschaft kann entweder schon vollkommen oder noch unvollkommen sein. Im ersten Fall bezeichnet Grotius es als faculté/facultas, im zweiten als aptitude/aptitudo (I, 1, § 4, Nr. 2). Zur faculté gehöre das „Seinige“ bzw. das, was einem gehört, und Grotius will es als Recht im strengen Sinne verstanden wissen (I, 1, § 5, Nr. 1).77 Es umfasse die Gewalt über sich (Freiheit) und andere, das Eigentum sowie die Befugnis, einzufordern was einem geschuldet ist. Mit letzterem korrespondiere die Pflicht des Schuldners zu leisten. Die subjektiven Rechte bilden den Ausgangspunkt und das logische Fundament für das Recht des Krieges. Grundvoraussetzung für einen legitimen Krieg sei nämlich, dass der Handelnde eine Verletzung oder Ungerechtigkeit, eine iniuria, durch den Anzugreifenden erlitten hat (II, 1, § 1, Nr. 4). Eine iniuria sei dann gegeben, wenn ein subjektives Recht verletzt ist. 78 Die subjektiven Rechte wiederum, die Grotius im zweiten Buch im Einzelnen erläutert, gehen in den Rechtfertigungsgründen für einen Krieg auf. 79 Gerechtfertigt sei daher zum Beispiel ein Krieg zur Erhaltung des Lebens oder der Glieder (I, 2, § 1, Nr. 5). Das Ziel der Gesellschaft sei es, dass jeder friedlich das genießen kann, was ihm gehört. Dazu zählen das Leben, die Glieder und die Freiheit; ein anderer könne diese nicht rechtmäßig beanspruchen (Nr. 6). 80 Ein Verhalten, 75 Villey, Pensée juridique moderne, S. 627; Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 98. Durch wen Grotius dabei beeinflusst worden ist, dazu unten S. 32 f. 76 Das Recht als eine Art Macht anzusehen, die der Mensch hat und die in seiner Person begründet ist, und die damit einhergehende „Subjektivierung“ sieht Haakonssen, History of political thought, S. 240, als eine bedeutende Neuerung durch Grotius an. 77 Im lateinischen Original heißt es an dieser Stelle facultas moralis. Wie bereits oben gezeigt, findet sich genau diese Formulierung bereits im Zusammenhang mit „De iure praedae commentarius“: Grotius stellt dort die facultas moralis in re dem objektiven Recht gegenüber. Dies zeigt, dass sein Verständnis der subjektiven Rechte schon dort sehr ähnlich war. 78 Grotius, DGP, I, 2, § 1, Nr. 4, 6. 79 Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, S. 177. Sie lassen sich auf vier legitime Gründe reduzieren: Verteidigung, (Wieder-)Beschaffung dessen, was einem genommen wurde, Bestrafung sowie Verfolgung dessen, was einem geschuldet ist (II, 1, § 2, Nr. 7). Näher zu den Kriegsgründen bei Grotius Ottenwälder, Naturrechtslehre, S. 44 ff. Was dagegen die „Vorgänger“ von Grotius als legitime Kriegsgründe ansahen, analysiert Nys, Le droit de la guerre, insbesondere S. 71–105. 80 Die Sachen, die uns gehören (nôtres/nostrum), sind entweder das Recht der einzelnen Person (droit particulier) und mit dieser verbunden (wie das Leben, die Glieder, die Freiheit)
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durch das die Rechte eines anderen verletzt werden, laufe der Natur der Gesellschaft zuwider und sei durch die rechte Vernunft daher untersagt (Nr. 6, 7). Umgekehrt bedeutet das jedoch auch, dass die Gesellschaft nur erhalten bleiben kann, wenn die Rechte anderer respektiert werden. 81 Wie schon in „De iure praedae commentarius“ misst Grotius diesen Gedanken über das Kriegsrecht hinaus auch generelle Bedeutung bei, denn er bezieht sie auch auf den Prozess vor Gericht: Der Einsatz von Gewalt sei erst dort zulässig, wo die Justiz keine Hilfe gewähren könne; materiell seien die Gründe übertragbar.82 Daher hätten auch gerichtliche Klagen entweder die Abwehr einer drohenden Verletzung oder bereits erlittene Verletzungen zum Inhalt: In letzterem Fall könne entweder Entschädigung oder Bestrafung angestrebt werden (II, 1, § 2, Nr. 2 ff.). c) Das Schadensersatzrecht Die Entschädigung betrifft zum einen alle Sachen, die uns gehören (ce qui est nôtre/quod nostrum est) oder gehörten, und die darauf gestützten Klagen sind dingliche oder persönliche; zum anderen erfasst sie Sachen, die uns geschuldet sind (ce qui nous est dû/quod nobis debetur).83 Wann genau eine Entschädigung verlangt werden kann und welches die Voraussetzungen dafür sind, das ist eine andere Frage, der Grotius im zweiten Buch mit einem Kapitel zum Schadensersatz nachgeht. Es geht darin um die Obligation, die durch Delikte entsteht. 84 Als Delikt versteht er nach II, 17, § 1, Nr. 2 „toute faute commise … au préjudice de ce à quoi on étoit tenu ou purement & simplement entant qu’Homme, ou à cause d’une certaine qualité particulière, dont on est revétu“. 85
Aus der Verursachung eines Schadens durch ein solches Verhalten folge naturgemäß die Verpflichtung, diesen zu ersetzen:
oder stehen allen Menschen gemeinsam rechtlich zu (droit commun/communi hominum jure): „Le droit commun à tous les Hommes, a pour objet ou directement certaines choses corporelles, ou bien certaines actions, que l’on exige d’autrui“, Grotius, DGP, II, 2, § 1, Nr. 3. 81 Tuck, Natural rights theories, S. 73. Haakonssen, History of political thought, S. 243: „… for Grotius the natural law concept of “living socially” meant no more than living without injuring the rights of others …“. 82 Grotius, DGP, II, 1, § 2, Nr. 1; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, S. 177. 83 Grotius, DGP, II, 1, § 2, Nr. 5. 84 Grotius, DGP, II, 17, § 1, Nr. 1. Als weiteren Entstehungsgrund von Obligationen führt Grotius Vereinbarungen an; um die soll es hier jedoch nicht gehen. 85 „Maleficium hic appellamus culpam omnem, sive in faciendo, sive in non faciendo, pugnantem cum eo quod aut homines communiter, aut pro ratione certæ qualitatis facere debent.“
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„Or, quand on a causé du dommage par une faute comme celle-là, on est naturellement tenu de le réparer.“ 86
Das Haftungsrecht findet bei Grotius seine Grundlage in dieser allgemeinen Formulierung. Durch sie alleine wird die Pflicht, durch eigenes Fehlverhalten verursachte Schäden zu ersetzen, als generell verpflichtendes Prinzip ausgedrückt. Im Zentrum der Darstellung stehen also nicht mehr die einzelnen Delikte, wie dies in der „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“ noch der Fall war,87 sondern das allgemeine Prinzip als solches, das von sich aus die Haftung begründet und aus dem sich für den Verletzten ein Recht auf Ersatz ergibt. Grundlage für die Haftung ist eine Generalklausel, deren Tatbestandsvoraussetzungen klar umschrieben sind: faute, Kausalität und Schaden. aa) Schaden Im Anschluss an das allgemeine Prinzip fährt Grotius mit der Erläuterung des Schadens fort. Ein Schaden sei dann gegeben, wenn jemandem „das Seinige“ genommen wird, er also weniger hat, als ihm der Natur nach, aufgrund vorangegangenen menschlichen Handelns oder dem Gesetz nach gebührt. 88 Was fällt nun alles darunter, insbesondere: Was gehört naturgemäß der Person? Grotius führt dazu in § 2, Nr. 2 das Leben, den Körper, die Glieder, die Ehre, das Ansehen und das freie Handeln an – eben jene Rechtsgüter, die er im ersten Buch als untrennbar mit der Person verbunden dargestellt hat und deren Verletzung der Gesellschaft widerspreche und eine gewaltsame Reaktion erlaube. 89 Das vorangegangene menschliche Handeln erfasse das Eigentum an Sachen (Eigentum als durch den Menschen geschaffenes Institut) sowie deren Erwerb durch
86 Grotius, DGP, II, 17, § 1, Nr. 3 („Ex tali culpa obligatio naturaliter oritur, si damnum datum est, nempe ut id resarciatur.“). Barbeyrac verweist in der Übersetzung an dieser Stelle in Fußnote 4 darauf, dass sich dieses auch in den Digesten findet: „Lib. IX Tit. II Ad Leg. Aquil. & dans les Titres suivans“ sowie in den Dekreten, Lib. V. Tit. XXXVI. De injuriis & damno dato. 87 Das allgemeine Prinzip findet sich zwar auch dort, rückte aber nicht in den Mittelpunkt. Schon durch den Aufbau – jedes Delikt wird in einem separaten Kapitel erörtert – lag der Fokus viel mehr auf den einzelnen Delikten und nicht auf dem übergreifenden Prinzip. 88 Grotius, DGP, II, 17, § 2, Nr. 1. Der Mensch erhalte durch bestimmte Gesetze Rechte. Diese müssten ihm aber bereits vollkommen zustehen und dürften nicht lediglich eine Möglichkeit zum Rechtserwerb geben (a.a.O., Nr. 4). 89 Siehe oben Fn. 80. Im Unterschied zu der Aufzählung in der „Inleidinge“ wird das Eigentum nicht mit den übrigen Rechtsgütern auf eine Stufe gestellt: Grotius unterscheidet zwischen Rechten in der eigenen Person und solchen „facto humano“, Feenstra, Grotius‘ doctrine of liability, S. 141; siehe auch Grotius, DGP, I, 2, § 1, Nr. 5: Die Rechte, die in der eigenen Person bestehen, existierten bereits vor (und unabhängig von) der Einführung des Eigentums.
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Vereinbarung. 90 Darunter scheint Grotius allerdings auch vertragliche Ansprüche zu fassen; aus heutiger Perspektive gelten diese als relative Rechte und unterfallen damit gerade nicht dem Schutzbereich des Deliktsrechts. Jansen erklärt dies mit einer konzeptuellen Annäherung der vertraglichen Verpflichtung an die Übertragung eines dominium. In der schuldrechtlichen Verpflichtung erblicke Grotius bereits eine wirtschaftliche Zuweisung des Rechtsguts an den Gläubiger.91 Grotius sieht die aufgeführten Rechtsgüter als dem Menschen als subjektive Rechte zugewiesen und als grundsätzlich gegenüber jedermann (absolut) geschützt an. Werden sie ohne Rechtfertigung verletzt, stelle dies eine iniuria dar, die bei schuldhaftem Handeln die Haftung begründe. 92 Die Verletzung eines dieser Rechtsgüter ist daher insofern Voraussetzung der Haftung, als nur dann ein ersatzfähiger Schaden vorliegt. 93 (1) Schwierigkeiten bei der Schadensfeststellung Doch nicht immer ist das Vorliegen eines Schadens oder sein Umfang einfach und sicher festzustellen. Grotius erörtert daher auch Problemfälle, bei denen diese Fragen streitig waren. Viele der von ihm aufgezeigten Probleme bereiten insbesondere hinsichtlich der Berechnung des Schadens auch heute noch Schwierigkeiten. Ein erstes Beispiel betrifft die Einstellung in den öffentlichen Dienst. 94 Grotius erläutert hier und im Folgenden Fälle, die auch die Spätscholastiker bereits diskutierten. 95 Wer mit der Besetzung einer Stelle betraut ist, hat dafür eine geeignete bzw. – wie Grotius schreibt – würdige Person auszuwählen. Entscheide sich der Verantwortliche jedoch für einen ungeeigneten Bewerber und verursache dies dem Staat einen Schaden, so bestehe kein Zweifel, dass der Auswählende dem Staat für diesen Schaden Ersatz leisten müsse. Schwieriger sei dagegen der Fall zu beurteilen, in dem ein Kandidat von einer anderen Person durch Gewalt oder List an der Bewerbung gehindert werde. Welches Recht 90 Hierauf geht Grotius in diesem Zusammenhang nicht näher ein, sondern verweist auf die vorhergehenden Kapitel: Grotius, DGP, II, 17, § 2, Nr. 3. 91 Struktur des Haftungsrechts, S. 331, Fn. 414 m.w.N. mit Verweis auf Grotius, DGP, II, 11, § 4, Nr. 1. Grotius unterscheidet an dieser Stelle allerdings im Hinblick auf persönliche Klagen verschiedene Entstehungsgründe von Obligationen: Vereinbarungen, Delikte, das Gesetz, Quasi-Verträge und Quasi-Delikte. Jansen, a.a.O., weist zudem darauf hin, dass Grotius schuldrechtliche Verpflichtungen in der Inleidinge, III, 1, 1, sogar als „Eigentumsrecht“ einordne. 92 Grotius, DGP, I, 2, § 1, Nr. 6; II, 17, § 1. Siehe dazu auch Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 330 ff. 93 Grotius, DGP, II, 17, § 2. 94 Siehe zum Folgenden Grotius, DGP, II, 17, § 3, Nr. 1 f. 95 Vgl. z.B. Soto, De iustitia et iure, lib. IV, qu. VI; Lessius, De iustitia et iure, lib. II, cap. XII, dub. XVIII; Covarruvias, Regulae Peccatum, pars II, § 7.
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ist hier verletzt und wie ist der Ersatz zu bemessen? Zunächst bestehe kein Recht des Bewerbers, die Stelle auch tatsächlich zu erhalten; allein aus der Besetzung mit einer anderen Person könne sich daher kein ersatzfähiger Schaden ergeben. Grotius sieht aber ausdrücklich auch die persönliche Freiheit des Menschen als geschütztes Recht an (§ 2, Nr. 2) und Ausfluss dieser ist es, sich wie alle anderen um eine Stelle bemühen zu können. Dieser Möglichkeit wird er beraubt. Lässt sich damit eine Verletzung der Freiheit – und damit auch eines (subjektiven) Rechts – bejahen, stellt sich die Frage nach dem erlittenen Schaden. Dass der Kandidat bei einer Bewerbung die Stelle tatsächlich erhalten hätte, stehe nicht fest. Er könne daher nicht den vollen Wert der Stelle ersetzt verlangen; die Höhe des Ersatzes richte sich nach der Wahrscheinlichkeit, dass die Bewerbung tatsächlich erfolgreich gewesen wäre. Als einen mit diesem vergleichbaren Fall sieht Grotius jenen an, in dem ein Testierender von einem anderen daran gehindert wird, zugunsten einer dritten Person ein Vermächtnis zu machen. Zum einen geht Grotius dabei auf das Recht des Testierenden ein, frei über seine Sachen zu verfügen und nach eigenem Belieben Vermächtnisse auszusprechen – er werde in seiner Freiheit beschränkt. Zum anderen sieht er es aber auch als eine Art Recht an, ein Vermächtnis erhalten zu können – durch das Einwirken auf den Testierenden würden die Erwartungen des „Benachteiligten“ zunichte gemacht. Von einem vollkommenen Recht des Benachteiligten kann in diesem Fall allerdings noch nicht gesprochen werden.96 Der Umfang des Schadensersatzes kann weiterhin in Konstellationen Schwierigkeiten bereiten, in denen der entgangene Vorteil nicht genau beziffert werden kann. 97 Die Verwüstung eines bestellten Feldes stellt zwar unproblematisch eine Verletzung des Eigentums dar. Die Höhe des Schadens ist dagegen nicht so leicht zu bestimmen: Ob es später eine gute Ernte gegeben hätte, kann nicht gesagt werden. Allein dass Hoffnung auf eine solche bestand, könne nicht zu einem vollen Ersatz des Erwarteten führen. Es sei vielmehr nur ein Anteil zu ersetzen, der sich an der Wahrscheinlichkeit einer guten Ernte orientiere.
96 Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 329, Fn. 402, stellt hier auf das Recht des Testierenden, ein Testament zu errichten, und das im Falle der Verhinderung vorliegende Unrecht (iniuria) ab, nicht jedoch auf den Benachteiligten. 97 Grotius, DGP, II, 17, § 5.
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(2) Umfang der Ersatzpflicht Im Folgenden erläutert Grotius näher, worin die Ersatzpflicht im Einzelnen besteht.98 So sei auch für (unbeabsichtigte) Folgen zu haften. Im Falle der Tötung eines Menschen seien nicht nur etwaig angefallene Arztkosten zu ersetzen, sondern der Verursacher sei auch denjenigen zum Unterhalt verpflichtet, die durch den Tod ihren Versorger verlieren: dessen Eltern, Ehefrau, Kindern.99 Dieser Fall unterscheidet sich von den vorhergehenden in gewisser Weise: Die Betroffenen sind nicht selbst in einem ihnen naturgemäß gebührenden Recht wie Leben, Körper oder Freiheit verletzt. Allerdings betont Grotius, dass diese Zahlung keinen Ersatz für das genommene Leben darstelle: Das Leben sei – ganz im Sinne des römischen Rechts 100 – keiner Schätzung zugänglich. Der Grund für die Zahlung muss daher doch bei den Hinterbliebenen liegen. Durch die Tötung entgehen ihnen aber lediglich finanzielle Vorteile. Besteht jedoch eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Getöteten, verlieren sie etwas, was ihnen gesetzlich zusteht; sie sind in ihrem Recht auf Unterhalt verletzt. Ganz zu Beginn hatte Grotius ja auch klar gemacht, dass ein Schaden auch dann bestünde, wenn jemand weniger habe, als ihm dem Gesetz nach gebühre. Dennoch sah er anscheinend ein Bedürfnis dafür, dieses Beispiel an dieser Stelle zu erläutern. Möglich ist, dass nach seinem Verständnis von der Haftung derartige mittelbare Verletzungen und solche Schäden normalerweise nicht von der Generalklausel erfasst sein sollen, er diese also durchaus begrenzt verstand, der vorliegende Fall jedoch eine besondere Ausnahme darstellte, die daher von ihm hervorgehoben wurde. bb) Sonderfall „Nichtigkeit einer irrtümlichen Willenserklärung“ Die Beispiele, auf die Grotius im Rahmen des Schadensersatzes eingeht, betreffen wie gezeigt die Verletzung subjektiver Rechte. Dies gilt auch für den Fall, dass jemand eine andere Person durch List, Gewalt oder Drohung zum Abschluss eines Vertrages oder zur Abgabe eines Versprechens bringt. Der Betroffene könne seine Willenserklärung widerrufen, denn aus der natürlichen Freiheit ergebe sich ein Recht, nicht betrogen oder gezwungen zu werden. 101 Verletzt ist in diesem Fall die Freiheit, an die Grotius auch anknüpft. Während 98
Grotius, DGP, II, 17, §§ 12 ff. Weitere Rechtsgutsverletzungen betrachtet er anschließend kurz in §§ 14 ff. – es geht dabei um Verletzungen des Eigentums, des Lebens sowie des Körpers. 99 So auch Lessius, De iustitia, lib. II, cap. IX, dub. XXVI, nn. 151 ff. Die Höhe der Zahlung richtet sich in diesem Fall nach dem Wert des verlorenen Unterhalts, was insbesondere von dem Alter des Getöteten abhängt. 100 „Liberum corpus nullam recipit aestimationem“, D. 9,3,7, siehe Zimmermann, Law of Obligations, S. 1015. 101 Grotius, DGP, II, 17, § 17. Siehe dazu auch a.a.O., II, 11, § 7, Nr. 2 f.: die Erklärung sei wirksam, der Geschädigte könne sie aber widerrufen; Diesselhorst, Versprechen, S. 96.
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dieses Beispiel sich also ohne Probleme in die bisherige Darstellung einordnen lässt, stellt sich dies in einer ähnlichen Frage jedoch zumindest auf den ersten Blick ganz anders dar. Dabei geht es darum, welche Folgen an eine auf einem Irrtum basierende Vereinbarung geknüpft sind. Grotius betont hier zum einen, dass derartige Vereinbarungen bzw. Versprechen nichtig sind. 102 Zum anderen sei der Versprechende, der im Hinblick auf den Gegenstand des Versprechens oder seine Willensäußerung nachlässig war, verpflichtet, dem Versprechensempfänger den daraus resultierenden Schaden zu ersetzen: „Que s’il y a eu, de la part du Promettant, de la négligence à s’informer de la chose, ou à exprimer sa pensée, & que celui, à qui il a promis, en aît reçû du dommage: le Promettant doit le reparer, non en vertu de la Promesse, mais en vertu de la maxime qui veut qu’on repare le dommage qu’on a causé par sa faute; de quoi nous traiterons ci-dessus dans un Chapitre à part.“103
Bemerkenswert an der Anordnung dieser Rechtsfolge ist weniger die Ersatzpflicht als solche – schon im Discours préliminaire betont Grotius die Notwendigkeit des „Worthaltens“ für das Bestehen der Gesellschaft 104 –, als deren Fundament: Grotius begründet diese explizit nicht vertraglich, sondern deliktisch (ex damno per culpam dato)! Damit wendet er sich in dieser Hinsicht nicht nur von seinen Vorgängern ab, die die Ersatzpflicht noch aus dem (unwirksamen) Vertrag abgeleitet haben, 105 sondern bezieht die deliktische Haftung ausdrücklich auf einen Fall, in dem es gerade nicht um die Verletzung eines subjektiven 102 Grotius, DGP, II, 11, § 6, Nr. 2: „[S]i une Promesse est fondée sur la présomtion de quelque fait qui ne se trouve pas tel que l’a cru le Promettant, elle n’a naturellement aucune force; parce qu’alors il est certain que le Promettant n’a donné sa parole que sous une condition qui ne s’est point vérifiée par l’événement.“ Grotius orientierte sich hier an Thomas von Aquin, siehe Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 243. Vor Augen hatte Grotius hier den von Cicero aufgeworfenen Fall, dass ein Vater eine Person als seinen Erben neu einsetzt, nachdem er fälschlicherweise von dem Tod seines Sohnes und bisherigen Erben benachrichtigt wurde, a.a.O. mit Verweis auf Cicero. Da der Vater die neue Erbeinsetzung nur unter der falschen Voraussetzung des Todes seines Sohnes gemacht hatte, sei diese unwirksam. 103 Grotius, DGP, II, 11, § 6, Nr. 3. Im lateinischen Originaltext heißt es an dieser Stelle: „Quod si promissor negligens fuit in re exploranda, aut in sensu suo exprimendo, et damnum inde alter passus sit, tenebitur id resarcire promissor, non ex vi promissionis, sed ex damno per culpam dato, de quo capita infra agemus.“ 104 „Que l’on est obligé de tenir sa parole“, Grotius, DGP, Discours préliminaire, § 8. Siehe dazu auch oben S. 26 und Fn. 64. Daraus lässt sich aber ebenso folgern, dass dort, wo es nicht möglich ist, sein Wort (oder ein Versprechen) zu halten, zumindest eine Pflicht folgt, den durch den Wortbruch entstandenen Schaden zu ersetzen. 105 Ausführlich zu der Behandlung derartiger Fälle vorvertraglichen Verschuldens (Nichtigkeit einer Willenserklärung aufgrund Irrtums oder im Falle des Verkaufs nichtverkehrsfähiger Sachen) vom römischen Recht bis zum Naturrecht: Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 193 ff.; ders., Histoire du droit des obligations, S. 573–578 (in komprimierter Form);
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Rechts geht: Ganz überwiegend handelt es sich in diesen Situationen doch um reine Vermögensschäden. Wie ist dies nun aber mit den bisherigen Feststellungen vereinbar, dass Grotius die deliktische Haftung an die Verletzung subjektiver Rechte geknüpft hat? Folgt aus dieser Stelle im Vertragsrecht, dass Grotius doch (bewusst oder unbewusst) sämtliche Schäden, und damit eben auch primäre Vermögensschäden, unter die deliktische Generalklausel fassen wollte und dass es auf die Verletzung subjektiver Rechte damit nicht mehr ankommen sollte? Dieser Schluss mag auf den ersten Blick naheliegen, 106 greift aber doch zu kurz. Zunächst missachtet er die herausragende Stellung, die Grotius den subjektiven Rechten in seinem Rechtssystem zukommen lässt. Gerade im Kapitel zum Schadensersatzrecht tritt dies deutlich zutage. Von dem Ersatz primärer Vermögensschäden ist dort dagegen an keiner Stelle die Rede; alle Beispiele betreffen lediglich die Verletzung subjektiver Rechte. Auch auf die Schadensersatzpflicht als Folge nichtiger Willenserklärungen, insbesondere den Ersatz des damit verbundenen Vertrauensschadens,107 geht er in diesem Kapitel nirgendwo weiter ein. 108 Trotz des ständigen Bezugs auf subjektive Rechte schloss er gleichwohl den Ersatz für anderweitige Verletzungen nicht explizit aus und den Umfang der Haftung damit nicht festgezurrt. Das ermöglichte es ihm, diesen Fall unter die deliktische Haftung zu fassen – obwohl eben kein subjektives Recht verletzt ist.109 Dennoch sollte der Versprechensempfänger, der auf den Bestand des Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 55–235; Procchi, Culpa in contrahendo, S. 19– 149. Speziell zu der Irrtumsproblematik Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 41–173. – Auf den Vertrag als Grundlage der Haftung stellten z.B. Vinnius (In quatuor institutionum imperialum commentarus, S. 755) oder Donellus (Commentarii de iure civili libri, Band 7, § 31 [S. 212]) ab, zitiert nach Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 206 f. Lessius dagegen hat keine klare Aussage zur Natur der Ersatzpflicht getroffen. Grotius’ Konzept unterscheidet sich auch insofern von Lessius’, als er den Anwendungsbereich der Haftung nicht beschränkt; demgegenüber setzte Lessius das Vorliegen einer res integra voraus, Procchi, Culpa in contrahendo, S. 129. 106 Für den Ersatz auch primärer Vermögensschäden Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 246; Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 56; Zimmermann, Law of Obligations, S. 1035 f. Diesselhorst, Versprechen, S. 96, Fn. 17, stellt in Frage, „ob Grotius den Begriff des Vermögensschadens vorliegend zureichend gefaßt hat“, bezieht weiter jedoch keine Stellung. 107 Diesselhorst, Versprechen, S. 96, Fn. 17; Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 251, vermutet, dass Grotius einfach die generellen Regeln (damnum emergens, lucrum cessans) auf diesen Fall anwenden wollte und auf eine Erwähnung daher verzichtete. 108 Bei dem Verweis von Grotius handelt es sich folglich um einen ganz generellen auf das Kapitel zum Schadensersatz, nicht jedoch um die Ankündigung näherer Erläuterungen zu dieser speziellen Frage an späterer Stelle. 109 Aus genau diesem Grund lehnte Savigny dagegen eine Haftung des Irrenden jedoch ab: Primäre Vermögenschäden seien nicht vom deliktischen Anspruch erfasst (und eine vertragliche Ersatzpflicht scheide aus, da hier keine vertragliche Pflichtverletzung vorliege).
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Versprechens bzw. der Vereinbarung vertraut hat, nicht ohne Schutz dastehen.110 Beim Vertragsschluss hebt Grotius hervor, dass die vorvertragliche Phase die Beziehung der Menschen untereinander verändere und besondere Pflichten begründe.111 Dies lässt sich im Hinblick auf die eigene Sorgfalt auch auf Versprechen beziehen, denn auch dort vertraut der andere Beteiligte auf die Gültigkeit der Erklärung. In Anbetracht der Nichtigkeit der Vereinbarung scheint es für Grotius – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – dabei allerdings eine logische Konsequenz gewesen zu sein, für den Schutz auf das Deliktsrecht abzustellen.112 Daraus folgt jedoch nicht zwingend, dass er auch über diesen Fall hinaus ganz generell solche primären Vermögensschäden unter die deliktische Generalklausel fassen wollte. Seine weiteren Darstellungen (insbesondere im Rahmen der deliktischen Haftung) legen eher nahe, dass er solche Fälle im Übrigen nicht vor Augen hatte. 113 Dies lässt es gerechtfertigt erscheinen, die Haftung für die Nichtigkeit irrtumsbehafteter Willenserklärungen als Sonderfall zu betrachten, der etwas außerhalb der „generellen“ deliktischen Haftung stand.114 Dafür spricht auch, dass er diesen Fall nicht systematisch mit Die Antwort der deutschen Lehre auf dieses Problem war Jherings „culpa in contrahendo“, Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 178, Fn. 167 m.w.N. 110 Siehe auch Procchi, Culpa in contrahendo, S. 129, mit Verweis auf Thomas von Aquin; Diesselhorst, Versprechen, S. 96; Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 178. 111 Grotius, DGP, II, 12, § 9, Nr. 1: „Par rapport aux actes qui précédent l’engagement, l’égalité demande que quiconque traite avec un autre, lui déclare de bonne foi les défauts qu’il connoît dans la chose dont il s’agit. Cela est non seulement établi par les Loix Civiles, mais encore conforme à la nature même de l’affaire. Car il y a entre les Contractans une société plus particulière, que celle qui unit généralement tous les Hommes.“ Konkret geht es hier zwar um das Verschweigen von Mängeln bzw. die Pflicht zur Aufklärung über etwaige Mängel. Gleichwohl lässt diese Stelle erkennen, dass Grotius den Beginn von Verhandlungen als wichtigen Punkt ansieht, an dem sich das Verhältnis der Verhandelnden zueinander intensiviert. Siehe dazu auch Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 256: mit Beginn der Verhandlungen entstehe ein „rapport de confiance accru“ zwischen den Parteien. Um ein vertragliches Verhältnis handele es sich dabei aber noch nicht. 112 Procchi, Culpa in contrahendo, S. 128. Wie ders., a.a.O., S. 126 f., ausführt, fand schon in der Juristengeneration vor Grotius eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der aquilischen Haftung über die Kasuistik des römischen Rechts hinaus statt. Auf diese Weise musste die kaufvertragliche Klage trotz Fehlens eines wirksamen Kaufvertrags nicht mehr zur Gewährung von Schadensersatz herangezogen werden. 113 So auch Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 330 f., 333, der auch darauf verweist, dass es auch in der „Inleidinge“ eine derartige Kategorie nicht gab. Ebenso HKK/Schiemann, §§823–830, Nr. 48: Grotius gehe es bei der Haftung um „Sanktion für die unberechtigte Verletzung eines absolut geschützten subjektiven Rechts, das einem anderen zusteht“. Für die gegenteilige Auffassung siehe Fn. 106. 114 Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 237, 240, sieht sie dagegen als ganz normalen Anwendungsfall der deliktischen Generalklausel. Dies liegt allerdings daran, dass er davon ausgeht, dass Grotius’ Generalklausel grundsätzlich auch primäre Vermögensschäden erfassen sollte, siehe Fn. 106.
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dem deliktischen Schadensersatz verknüpft. Grotius wollte hier aus Billigkeitsgründen Schadensersatz gewähren – da ihm der vertragliche Weg jedoch versperrt war (oder unlogisch erschien), blieb nur die deliktische Haftung. cc) faute Was die faute anbelangt, so enthält das Kapitel zum Schadensersatz dazu keine Ausführungen; diese finden sich jedoch im dritten Buch. Grotius zitiert dort Aristoteles und schließt sich diesem an: Ein Schaden könne auf dreierlei Art und Weise verursacht werden. Zu unterscheiden seien injure (iniuria, vorsätzliches Handeln), simple faute (Fahrlässigkeit) sowie malheur (infortunium, Unglück); nur in den ersten beiden Fällen bestehe eine Ersatzpflicht, bei bloßem Unglück dagegen nicht. 115 Ersatz ist damit nur zu leisten, wenn den Handelnden eine gewisse Schuld trifft. 116 d) Zwischenergebnis Grotius stellte in „De iure belli ac pacis“ ein allgemeines Prinzip der deliktischen Haftung auf und führte eine Generalklausel als Grundlage der Ersatzpflicht ein. Trotz der weiten Formulierung dieser Klausel knüpft Grotius die Pflicht zum Ersatz an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter. Alle Beispiele und Problemfälle, die Grotius in Kapitel 17 erläutert, betreffen genau die in § 2, Nr. 2 aufgeführten Güter: Bei der Hinderung am Testieren ist die persönliche Freiheit verletzt, 117 bei der Verwüstung eines Feldes das Eigentum. Und auch die weiteren Ausführungen betreffen nur das Leben (§ 13), die körperliche Unversehrtheit (§ 14), das Eigentum (§ 16) sowie die persönliche Freiheit (§ 17). Wo diese nicht unmittelbar betroffen sind, sind weitere Begründungen erforderlich. Grotius scheint damit eine klare Vorstellung von dem gehabt zu haben, was von der Ersatzpflicht erfasst sein kann und soll. Nicht in dieses Bild einordnen lässt sich allerdings auf den ersten Blick die deliktische Ersatzpflicht im Falle der Nichtigkeit irrtumsbehafteter Willenserklärungen, stehen hier doch in erster Linie primäre Vermögensschäden in Frage. Von diesem Sonderfall, auf den Grotius an keiner Stelle, insbesondere nicht im Kapitel zum deliktischen Schadensersatz, weiter eingeht, auf den generellen Ersatz primärer Vermögensschäden zu schließen, führt jedoch zu weit. Grotius hat diese Fälle
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Grotius, DGP, III, 11, § 4, Nr. 2 ff.; dazu auch Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 210 m.w.N. 116 So auch Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 226. Mangels Verschulden lehnt Grotius daher auch ein Einstehen für Tiere/Sklaven ab, DGP, II, 17, § 21: Dies sei mit dem Naturrecht unvereinbar. 117 Nach Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 329, Fn. 402, scheint Grotius damit unter das Konzept der subjektiven Rechte auch „bestimmte gesetzlich normierte Handlungsbefugnisse“ zu fassen.
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zwar nicht explizit von der Generalklausel ausgeschlossen oder letztere ausdrücklich auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkt. Vor Augen gehabt hat er solche Fälle jedoch offensichtlich nicht, geht es in seinen Erläuterungen doch immer (nur) um die Verletzung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, des Eigentums oder der Freiheit. Auch die im Übrigen zentrale Bedeutung der subjektiven Rechte lässt darauf schließen, dass es ihm ganz wesentlich um deren Schutz ging – das Vermögen als solches stellt jedoch gerade kein vergleichbares Recht dar und dessen Schutz hatte er offenbar grundsätzlich nicht vor Augen. Freilich ist bei alldem auch zu beachten, dass Grotius’ Rechtsverständnis sich von unserem heutigen durchaus unterschied und er bestimmte Rechte deliktisch schützen wollte, die aus heutiger Perspektive als relative Rechte gelten und gerade nicht von der deliktischen Generalklausel erfasst sind. Dies betrifft insbesondere vertragliche Ansprüche: Grotius stellt die schuldrechtliche Verpflichtung der Eigentumsübertragung gleich und weist das Rechtsgut wirtschaftlich bereits dem Gläubiger zu. Der Schutzbereich der deliktischen Haftung ist bei ihm damit weiter als etwa in § 823 I BGB; ein Ersatz sämtlicher Schädigungen war damit aber gleichwohl nicht verbunden. 118 e) Exkurs: Einflüsse auf Grotius Im Gegensatz zur „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“ ist „De iure belli ac pacis“ voller Quellenangaben, Verweisen und Zitaten. Grotius gibt im discours préliminaire selbst an, dass von den Philosophen Aristoteles für ihn am wichtigsten sei und begründet dies auch. 119 Daneben hebt er die Heilige Schrift (§§ 49 ff.) sowie die spanischen Spätscholastiker (§ 53) hervor.120 Aber auch wo er keine Quellen angibt und Verweise fehlen, lassen sich zum Teil deutlich die Gedanken und Vorstellungen anderer erkennen, insbesondere auch bei den diskutierten Beispielsfällen. 121 Wie gezeigt kommt den subjektiven Rechten in Grotius’ System eine Schlüsselrolle zu. In „De iure praedae commentarius“ sind sie angedeutet, in der „Inleidinge“ bestimmen sie bereits den Aufbau des Buches und in „De iure belli ac pacis“ stehen sie im Mittelpunkt seines Rechtssystems. Die Bedeutung, die Grotius ihnen beimisst, und ihre genaue Ausgestaltung finden sich zuvor so nicht, und es kann als ein echtes Verdienst des Holländers angesehen werden, sein System an ihnen ausgerichtet zu
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Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 331, Fn. 415. Grotius, DGP, discours préliminaire, §§ 43 ff. Besonders häufig zitiert werden zudem Seneca und Cicero. Letzterer erscheint in der Übersetzung von Barbeyrac 189 Mal, Aristoteles dagegen nur 118 Mal. Grotius verfügte über sehr profundes theologisches, rechtliches sowie philosophisches Wissen: Schiedermair, The influence of Grotius’ thought, S. 400. 120 Siehe dazu auch oben Fn. 8, 12. Diese Angabe lässt sich anhand der Häufigkeit der Zitierungen bestätigen: Feenstra, Grotius et le droit privé européen, S. 460 m.w.N. 121 Siehe z.B. oben Fn. 95, 99. 119
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haben. Dennoch sind seine Gedanken nicht an sich innovativ. 122 Bei seinem Konzept der subjektiven Rechte ist deutlich ein Einfluss des Humanisten Hugo Donellus zu erkennen.123 Dieser unterschied die subjektiven Rechte, allgemein verstanden als die dem Einzelnen zustehende Rechtsmacht, danach, was dem Einzelnen als wirklich Eigenes zustehe und was ihm lediglich geschuldet sei. 124 Zu ersterem zählte er neben dem Eigentum auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die Ehre und verstand diese als absolute Rechte, die dem Inhaber vollständig zugewiesen sind. Auf diese bezog er das Schädigungsverbot Ulpians (alterum non laedere)125 im Sinne eines Beeinträchtigungsverbots der Rechtssphären (iura) anderer. Eben jene Beeinträchtigung, nämlich der Verletzungserfolg, mache eine schädigende Handlung bei Zugrundelegung eines erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitsbegriffs zu einer rechtswidrigen, einer Verletzung iniuria:126 iniuria meinte damit die objektive Verletzung eines geschützten Rechts. 127 Die Parallelen bei Grotius sind offensichtlich: Die moralische Eigenschaft, kraft derer man etwas haben oder machen kann, findet in der Rechtsmacht Donellus’ ebenso eine Entsprechung wie die Unterteilung in das, was uns gehört (ce qui est nôtre), und das, was uns geschuldet ist (ce qui nous est dû), und auch Grotius’ Verständnis von der iniuria findet sich bei Donellus.128 4. Zwischenergebnis zu Grotius Ausgangspunkt für das grotianische Rechtssystem ist das Naturrecht; die sich daraus ergebenden Prinzipien sind die Pfeiler seines Konstrukts. Er sieht es als
122 Villey, Pensée juridique moderne, S. 628. Nach Wolf, Große Rechtsdenker, S. 257, trifft dies nicht nur auf das Konzept der subjektiven Rechte, sondern allgemein zu. 123 Feenstra, Deliktsrecht bei Grotius, S. 434 f. Siehe dazu auch insbesondere Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 324 ff.; Herrmann, Schutz der Persönlichkeit, S. 33 ff.; HKK/Schiemann, §§ 823–830, Nr. 48. Zu den subjektiven Rechten bei Donellus auch Coing, Zur Geschichte des Begriffs „Subjektives Recht“, S. 251 ff.; Herrmann, a.a.O., S. 20 ff. Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, S. 178 f.; ders., Droits subjectifs, S. 116 f., weist auch auf eine Beeinflussung in diesem Punkt durch die spanischen Spätscholastiker Molina oder Suárez sowie den Holländer Lessius hin. 124 Dazu sowie zum Folgenden Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 324 ff. 125 Ulp. D. 1,1,10,1. 126 Donellus, Commentarii de iure civili, lib. II, cap. VIII, § 4; siehe dazu Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 326. 127 Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 326. 128 Grotius ging allerdings insofern über die Darstellung Donellus‘ hinaus, als er die Haftung auch auf die Tötung eines Menschen erstreckte (Verletzung des Lebens). Donellus wollte in seinem Werk jedoch nur das römische Recht neu ordnen, und die Lex Aquilia sah für die Tötung eines Menschen gerade keinen Ersatz vor, Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 327 f., 332 f.; da es Grotius darum nicht ging, konnte er die Haftung erweitern und einen allgemeinen Grundsatz der Deliktshaftung formulieren.
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ein durch das Naturrecht vorgegebenes Prinzip an, dass durch eigenes Verhalten verursachte Schäden zu ersetzen sind. Das Prinzip selbst und seine Herleitung finden sich in allen untersuchten Werken, die jeweilige Stellung und Bedeutung im Gesamtkonzept wechselt jedoch. In „De iure praedae commentarius“ zog er es primär als Rechtsfertigungsgrund für einen Krieg heran, in der „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-geleerdheid“ legte er es schon der Ersatzpflicht zu Grunde, die damit auf einer ganz allgemeinen Regelung basierte; die Haftung blieb aber an den einzelnen Delikten ausgerichtet. In „De iure belli ac pacis“, wo er ausgehend vom Recht des Krieges sein gesamtes Rechtssystem darstellte und viele bereits zuvor entwickelte Gedanken aufgriff, zusammenführte und weiterentwickelte, vollzog er den nächsten Schritt und rückte das Prinzip ins Zentrum: Er formulierte zum ersten Mal eine deliktische Generalklausel als Grundlage der Haftung. Wesentlicher Bestandteil seines Konzepts sind die subjektiven Rechte. Er unterteilt sie in Herrschafts- und persönliche Rechte, und sie bezeichnen das, was dem Einzelnen gehört oder geschuldet wird. Auf sie gründet sich auch sein Haftungsrecht: Trotz der weiten Formulierung der Generalklausel knüpft der Schadensersatz an die Verletzung dieser bestimmten „subjektiven“ Rechte an; ein umfassender Ersatz über die erläuterten Fälle hinaus scheint dabei grundsätzlich nicht gemeint gewesen zu sein. Obwohl sich in vielen seiner Ausführungen deutlich die Gedanken anderer widerspiegeln, kommt Grotius eine ganz eigene Bedeutung im Hinblick auf die Fortentwicklung des Rechts zu: Er hat ein neues System geformt und die bestehenden Konzepte und Begriffe weiterentwickelt und transformiert. 129 Obwohl die Religion auch in „De iure belli ac pacis“ noch einen unverkennbaren Platz einnimmt, so ist es Grotius doch gelungen, sein Rechtssystem gewissermaßen davon zu lösen. Viele der von ihm diskutierten Fälle und Beispiele finden sich zwar bereits bei den Spätscholastikern – neu bei Grotius ist jedoch die Inklusion in das weltliche (Natur-)Recht. Mit der Formulierung der Generalklausel bildet er den Ausgangspunkt für die Entwicklung der deliktischen Haftung nicht nur bis zum Code civil, sondern auch im Hinblick auf die weiteren
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Feenstra, Grotius et le droit privé européen, S. 465. So auch Basdevant, Hugo Grotius, S. 264: „Son mérite propre est d’avoir fait la synthèse des éléments fournis par ses précurseurs.“ So sehr er auch von den spanischen Spätscholastikern beeinflusst war, in „De iure belli ac pacis“ wendet er sich von deren Konzepten gerade ab: Für die Lehre von der restitutio zeigt dies Jansen, Nichtvertragliche Schuldverhältnisse, S. 934 ff.
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naturrechtlichen europäischen Kodifikationen, die diese Regelung übernommen haben. In gewisser Weise kann er daher mit Villey als „législateur de l’Europe moderne“130 bezeichnet werden.131 Dies ließ es geboten erscheinen, sich mit seinen Vorstellungen und vor allem seinem Konzept der subjektiven Rechte so ausführlich auseinanderzusetzen: Seine Gedanken stehen am Anfang der Entwicklung, die im Folgenden weiter betrachtet werden soll. Nur auf diese Weise war es möglich, eine Vorstellung von seinem Konzept und im speziellen seinem Verständnis der deliktischen Haftung zu erlangen. Bei dem weiteren Vorgehen ist stets zu berücksichtigen, welches Verständnis Grotius von dem Umfang seiner Generalklausel hatte, und die weitere Untersuchung soll von der Frage geleitet sein, ob und wenn ja wie sich dieses Verständnis möglicherweise geändert hat. II. Samuel Pufendorf Verfolgt man die Entwicklung der deliktischen Generalklausel, die bei Grotius ihren Anfang genommen hat, weiter, so stößt man schnell auf Samuel Pufendorf (1632–1694).132 Pufendorfs wichtigstes Werk, „De iure naturae et gentium“ (1672), liest sich an wesentlichen Punkten wie eine Synthese von Grotius und Hobbes, mit deren Werken er gut vertraut war; 133 beide werden nicht nur regelmäßig zitiert, häufig sind ganze Abschnitte wörtlich übernommen. Wirklich innovativ war daher auch Pufendorf offenbar nicht. Häufig wurde er lediglich als Systematiker und Aufbereiter der grotianischen Werke dargestellt, 134
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Villey, Pensée juridique moderne, S. 597. Im Hinblick auf die deliktische Haftung im Code civil bezeichnet ders. Grotius als „père de la formule de l’article 1382“; vielleicht wäre es in Anbetracht der weiteren Entwicklung hier jedoch angebrachter, von ihm als „grandpère“ zu sprechen. 131 Ganz ähnlich Schiedermair, The influence of Grotius’ thought, S. 408, der „De iure belli ac pacis” als „the first attempt to create a modern code of law” bezeichnet. 132 Der gebürtige Sachse studierte zunächst Theologie, später Philosophie und Jurisprudenz. Für eine ausführliche Biographie siehe Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Samuel Pufendorf“, S. 349 ff.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 317 ff. oder Luig, Übersetzung, S. 222 ff. 133 Kempe, Geselligkeit im Widerstreit, S. 62; Luig, Übersetzung, S. 231; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 317, 323; Randelzhofer, Pflichtenlehre, S. 15. Beide hatten ganz unterschiedliche Ansätze und Pufendorf stand daher an einem „Scheideweg“: Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 146. Zur Aufstellung seiner Lehre bediente er sich Methoden beider: Diesselhorst, Vermögensrechtssystem, S. 6. 134 Nachweise bei Fiorillo, Von Grotius zu Pufendorf, S. 221 ff.; Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 24. Jedenfalls im Stil war er diesem sehr ähnlich: Auch er hat seine Darstellung möglichst unkompliziert gehalten, um so auch juristische und philosophische Laien zu erreichen, Gordley, Philosophical origins, S. 130.
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seinen philosophischen Leistungen wurde eher bescheidenes Ansehen zuteil, 135 zwischenzeitlich geriet er gar in Vergessenheit. 136 Auf der anderen Seite wird er als der Überwinder der Scholastik angesehen, der das Naturrechtssystem auf eine neue Grundlage stellte und damit wesentliche Neuerung brachte. 137 Wie dem auch sei – im 18. Jahrhundert, aber auch schon zu Lebzeiten, hatte er einen hohen Bekanntheitsgrad. 138 Insbesondere durch die Übersetzungen von Jean Barbeyrac gelangte Pufendorf auch in Frankreich zu Ansehen. 139 Doch nicht nur das: Sein System fand auch in die naturrechtlichen Kodifikationen Einzug.140 Bezugspunkt der folgenden Darstellung ist neben Le droit de la nature et des gens („De iure naturae et gentium“, 1672) auch Les devoirs de l’homme et du citoien („De officio hominis et civis juxta legem naturalem“, 1673), eine als Anfängerlehrbuch herausgegebene Kurzfassung des erstgenannten, in der Pufendorf zum Teil sehr prägnant die nach eigener Angabe „principales matières du Droit Naturel“141 erläutert. 1. Naturrechtliches Verständnis und Pflichtenlehre Ausgangspunkt von Pufendorfs naturrechtlichem Verständnis ist die strikte Trennung des Naturrechts von der Moraltheologie: Das Naturrecht ergebe sich allein aus der Natur des Menschen. 142 Im Mittelpunkt seines Konzepts stehen nicht wie bei Grotius die subjektiven Rechte, sondern die Pflichten, die dem Menschen durch das Naturrecht auferlegt werden. Nach Pufendorf werden
135 Gordley, Philosophical origins, S. 128; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 337; Sauter, Philosophische Grundlagen, S. 116 m.w.N. 136 Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Samuel Pufendorf“, S. 350; Welzel, Naturrechtslehre, S. 1 ff.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 364. 137 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 149: „… hat er die Macht der protestantischen Scholastik gebrochen und die Grundsätze des neuen profanen Naturrechts durchgesetzt“; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 317. Genau darum sei es nach Sauter, Philosophische Grundlagen, S. 118, 120, Pufendorf auch gegangen. 138 Denzer, Leben, Werk und Wirkung, S. 174; Goyard-Fabre, Pufendorf et le droit naturel, S. 14, 17 f. Allein die Anzahl von Kommentierungen und Übersetzungen seiner Werke – für eine Übersicht siehe Wolf, Große Rechtsdenker, S. 367 f.; Sauter, Philosophische Grundlagen, S. 114, Fn. 6 – lässt seine Bedeutung erkennen. 139 Näher zu diesen Übersetzungen und der Person Barbeyracs siehe Laurent, Pufendorf et la loi naturelle, S. 64 ff. Die Werke Pufendorfs fanden in Frankreich eine große Leserschaft, siehe nur Avril, Pufendorf, S. 379. Auch Pothier hat sich laut Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 27 (Fn. 7) mit diesem auseinandergesetzt. 140 Immenhauser, Dogma, S. 183. 141 Pufendorf, DHC, Préface de l’auteur, S. XLII. 142 Pufendorf, DHC, Préface de l’auteur, S. XLIV ff. Daraus folge aber nicht, dass diese Wissenschaften in vielen Fragen nicht übereinstimmen würden.
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Pflichten zunächst durch die Vernunft, positives Recht sowie göttliche Offenbarung begründet; 143 das Naturrecht wiederum werde durch jene geformt, die die Vernunft vorgibt. 144 Ziel des Naturrechts sei es, dem Menschen ein Leben in Gesellschaft zu ermöglichen; es erwachse aus einem Bedürfnis nach Geselligkeit, nach einem friedlichen Zusammenleben: 145 Die „Sociabilité“ (socialitas) sei oberstes Anliegen. 146 Denn auf sich allein gestellt sei der Mensch hilflos, nur gemeinsam mit anderen könne er bestehen. 147 Pufendorf sieht in der Sociabilité – anders als noch Grotius148 – jedoch nicht lediglich ein Bedürfnis des Menschen, sondern eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Menschen überhaupt überleben kann. 149 Genau dieses Wissen leite aber sein Verhalten, kennzeichne ihn doch sein Trieb zur Selbsterhaltung. 150 Gleichermaßen lasse sich jedoch feststellen, dass er eine Neigung habe, (für den eigenen Vorteil) anderen Schaden zuzufügen. 151 Dies sowie die Schwäche 152 des Einzelnen erforderten die Existenz von Gesetzen und Vorgaben für sein Verhalten. 153 Für den Menschen bestehe das oberste Gebot, auf welches das gesamte Naturrecht zurückzuführen sei,154 darin, diese Gemeinschaft zwischen den Menschen zu erhalten.155 Das verlange zum einen, dass er alles in seiner Macht Stehende tut, 143
Pufendorf, DHC, Préface de l’auteur, § 1. Pufendorf, DNG, II, 3, § 13. Die Notwendigkeit von Pflichten und Geboten, wie sie das Naturrecht vorschreibt, ergebe sich aus der Verdorbenheit des Menschen, vgl. dens., DHC, Préface de l’auteur, S. LIII ff. 145 Pufendorf, DNG II, 3, § 15. 146 Siehe auch Goyard-Fabre, Pufendorf et le droit naturel, S. 69. Klein, Samuel Pufendorf und die Anfänge der Naturrechtslehre, S. 433, spricht vom „systembedingenden Prinzip“. Sauter, Philosophische Grundlagen, S. 148, stellt auch hier eine Mischung der Gedanken von Grotius und Hobbes fest; ähnlich Kempe, Geselligkeit im Widerstreit, S. 62. Das Neue an dem Verständnis Pufendorfs von diesem Begriff arbeitet Fiorillo, Tra egoismo e società, S. 37 ff., heraus. 147 Pufendorf, DHC, I, 3, § 7; ders., DNG, II, 3, § 14. Dies erfordert eine gewisse Anstrengung des Menschen, Randelzhofer, Pflichtenlehre, S. 16. 148 Siehe oben Fn. 63. 149 Kempe, Geselligkeit im Widerstreit, S. 62; Luig, Übersetzung, S. 235; Welzel, Naturrechtslehre, S. 42; ders., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 154. 150 Pufendorf, DNG, II, 3, §§ 14 f.; II, 1, § 6. 151 Pufendorf, DHC, I, 3, §§ 4 f.; ders., DNG, II, 3, § 14; II, 1, § 6. 152 Im Lateinischen verwendet Pufendorf den Begriff „imbecillitas“. Für das Naturrechtskonzept Pufendorfs hat sie besondere Bedeutung, siehe nur Welzel, Naturrechtslehre, S. 43 f.; Wolf, Große Rechtsdenker, S. 327, 347 ff. 153 Pufendorf, DNG, II, 2, § 8: „Enfin la foiblesse des Hommes demandoit aussi qu’ils ne vécussent pas sans quelque Loi. … il falloit lui imposer certaines Loix auxquelles il dût conformer sa vie. Au reste qu’une Liberté absolue & sans bornes ne convienne pas à la Nature humaine …“. 154 Pufendorf, DNG, II, 3, § 19. 155 Dieses sei gleichermaßen in dem Gebot der Nächstenliebe enthalten, Pufendorf, DHC, Préface de l’auteur, S. LVII. 144
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um dieses Ziel zu erreichen und zu fördern (Hilfsgebot); zum anderen ist alles, was diesem Ziel zuwiderläuft und schadet, verboten (Verletzungsverbot). 156 Notwendige Voraussetzung für die Selbsterhaltung sei daher die Befolgung gewisser Pflichten;157 sie lenken das Verhalten des Menschen 158 und ihnen kommt zentrale Bedeutung zu. Indem Pufendorf sie als Rechtsregeln ausgestaltet, bewirkt er, dass ihre Einhaltung auch durchsetzbar ist. 159 Die Pflichten, die das Naturrecht vorgibt, beziehen sich nach Pufendorf auf verschiedene Objekte: Sie bestünden gegenüber Gott, sich selbst und anderen Menschen. 160 Letztere wiederum seien zu unterteilen in „absolute“ (devoirs absolus/officia absoluta) und „hypothetische“ Pflichten (devoirs conditionnels/officia hypothetica):161 Die „absoluten“ Pflichten gelten für alle Menschen, in welchem Zustand sie sich auch befinden, und zwar von Natur aus, auch ohne das Zutun der Menschen und unabhängig von deren Willen; die „hypothetischen“ oder auch „bedingten“ Pflichten setzen eine Begründung durch den Menschen voraus, sie existieren durch seinen Willen. Im Folgenden sind lediglich die absoluten Pflichten gegenüber anderen Menschen von Interesse, insbesondere die Pflicht, verursachte Schäden zu ersetzen. 2. Schadensersatzrecht Pufendorf wendet sich den „absoluten“ Pflichten im dritten Buch zu. An oberster Stelle – und daher gleich im ersten Kapitel behandelt – steht für ihn die Pflicht, anderen nicht zu schaden und verursachte Schäden zu ersetzen: „… il faut mettre au premier rang les deux maximes suivantes; Ne faire du mal à personne; & , Réparer le dommage que l’on peut avoir causé.“162
156 Pufendorf, DHC, I, 3, § 9: „… tout ce qui contribue nécessairement & en général à cette Sociabilité universelle, doit être tenu pour prescrit par le Droit Naturel; & tout ce, au contraire, qui la trouble ou la détruit, doit être censé défendu par le même Droit.“ 157 Luig, Übersetzung, S. 235. Die Pflichterfüllung und das ihr zugrunde liegende menschliche Verhalten stellt Pufendorf daher ganz an den Anfang des Lehrbuchs: DHC, I, 1. 158 Randelzhofer, Pflichtenlehre, S. 17; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht, S. 142. 159 Luig, Übersetzung, S. 236. 160 Pufendorf, DHC, I, 3, § 13. In „De iure naturae et gentium“ unterteilt Pufendorf die Pflichten nur in solche gegenüber sich selbst und gegenüber anderen Menschen: II, 3, § 24. Die Pflichten gegenüber Gott betont er bereits in II, 3, § 15. Er widmet ihnen anschließend kein eigenes Kapitel, sondern erörtert sie ausführlicher zusammen mit den Pflichten gegen sich selbst in II, 3, § 3 f.; dazu auch Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht, S. 142. Barbeyrac verweist in seinem Kommentar zu II, 3, § 24 (Fn. 1) darauf hin, dass die Pflichten gegenüber Gott an sich in dem dortigen Zusammenhang aufzuführen seien. 161 Pufendorf, DNG, II, 3, § 24; III, 1, § 1. 162 Pufendorf, DNG, III, 1, § 1; ders., DHC, I, 6, § 2: „Ut ne quis alterum laedat, utque, si quod damnum alteri dederit, id reparet.“
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Das Schädigungsverbot – auf Ulpians „alterum non laedere“ rückführbar 163 – sieht er nicht nur als die allgemeinste und einfachste Maxime an, sondern zugleich auch als die notwendigste: Ohne diese könne eine Gesellschaft unter den Menschen nicht bestehen. Aus ihr ergebe sich, dass bestimmte Sachen anderer als unantastbar zu respektieren seien, wie das Leben, der Körper, die Glieder, die Ehre, das Ansehen oder die Freiheit als Dinge, die dem Menschen von Natur aus gegeben sind; daneben gelte dies aber auch für solche Sachen, die erst durch menschliche Einführung oder Vereinbarung erworben werden. 164 Was uns gehört darf von anderen weder weggenommen, verunstaltet oder beschädigt, noch darf uns der Gebrauch vorenthalten werden. Als Folge des Schädigungsverbotes ergebe sich die zweite Maxime, nämlich die Pflicht zum Ersatz verursachter Schäden: „De là il s’ensuit, que si l’on a fait du mal, ou causé du dommage à autrui, de quelque manière que ce soit qui puisse légitimement nous être imputée, il faut le réparer, autant qu’il dépend de nous.“165
Nur durch diese Schadensersatzpflicht könne die Einhaltung des Verletzungsverbots und damit moralischer Verhaltensanforderungen gewährleistet werden: Die Menschen würden ja sonst nie aufhören, anderen Schaden zuzufügen. 166 Die Pflicht zum Ersatz bildet damit das notwendige Gegenstück zum Schädigungsverbot. Ganz ähnlich wie Grotius stellt Pufendorf hier zunächst das allgemeine Prinzip als solches in Form einer Generalklausel auf. Er formuliert diese allerdings nicht so pointiert wie jener:167 Die einzelnen Tatbestandmerkmale stechen nicht so deutlich hervor und die Formulierung ist aufgrund ihrer Länge insgesamt nicht so prägnant und etwas unhandlicher; den Begriff der faute verwendet er an dieser Stelle nicht. Anders als Grotius erörtert er diese aber direkt im Rahmen des Schadensersatzes – dazu gleich näher.
163 Ulp. D. 1,1,10,1. Siehe dazu auch Immenhauser, Dogma, S. 181 f. Nach Schröder, Zivilrechtliche Haftung, S. 153 ff., handelt es sich dabei nicht um ein Schädigungsverbot, sondern um ein Pflichtverletzungsverbot. 164 Pufendorf, DNG, III, 1, 1: „Cette maxime tend donc à mettre en sureté, & à faire respecter aux autres comme autant de choses sacrées, non seulement tout ce que nous tenons immédiatement de la Nature, par exemple nôtre Vie, nôtre Corps, nos Membres, nôtre Honneur, nôtre Réputation, nôtre Liberté; mais encore tous les établissemens & toutes les Conventions, en vertu desquelles on aquiert quelque chose, & qui sans cela deviendroient entièrement inutiles.“ 165 Pufendorf, DNG, III, 1, § 2 („Ex hocce porro præcepto consequitur, si cui abs aliquo læsio sit illata, damnumque datum ullo modo, qui ipsi recte potest imputari; id quantum ejus fieri potest, ab eodem esse sarciendum.“). [Kursivierung im Original] 166 Pufendorf, DNG, III, 1, § 2; ders., DHC, I, 6, § 4. 167 Für eine Gegenüberstellung siehe die Übersicht auf S. 107.
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a) Einzelheiten zur Ersatzpflicht Auf die Aufstellung des Prinzips folgt auch bei Pufendorf eine nähere Darstellung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Generalklausel. Er beginnt ebenfalls mit dem Schaden (DNG, III, 1, § 3). Diesen will er nicht nur als die Beschädigung von Sachen, sondern in einem weiten Sinne verstanden wissen: Jede Verletzung unserer Güter, der Person, des Ansehens und der Ehre; jede Schädigung dessen, was wir aktuell besitzen – in der lateinischen Fassung heißt es „quod nostrum jam est“ 168 –, also jede Anmaßung dessen, was uns aufgrund eines vollkommenen Rechts (droit parfait/jus perfectum), welches sich aus der Natur, menschlichem Handeln oder Gesetz ergeben kann, zusteht, soll erfasst sein.169 Dieser Bezug auf das „droit parfait“ findet sich zuvor schon an einer anderen Stelle: Die Verletzung eines solchen bezeichne man nämlich als injure/iniuria170. Obwohl Pufendorf einleitend explizit ein weites Verständnis betont, lassen sich in der sich anschließenden Aufzählung Einschränkungen erkennen: Die Ersatzpflicht bestehe einerseits bei einer Verletzung der Dinge, die dem Menschen von Natur aus gegeben sind, sowie bei einer Verletzung seiner Güter, also des Eigentums; andererseits dann, wenn ein „vollkommenes Recht“ verletzt ist. Das Erfordernis der Vollkommenheit betont er, um klarzustellen, dass es gerade nicht ausreicht, dass die Möglichkeit besteht, etwas besitzen zu können; denn in diesem Fall gehöre die betreffende Sache noch nicht zu dem „Seinigen“. 171 Pufendorfs Rechtssystem ist zwar nicht wie bei Grotius an den subjektiven Rechten ausgerichtet, im Rahmen des Schadensersatzes kommt ihnen bei ihm aber ebenso eine zentrale Bedeutung zu: Die Ersatzpflicht knüpft auch hier an die Verletzung eines subjektiven Rechts an.172 Dass Pufendorf bei allen Unterschieden, die sonst sein Werk von Grotius trennen, dessen Schadensersatzrecht übernommen hat, zeigt sich deutlich bei Pufendorfs weiteren Erläuterungen zum Schadensersatz.
168 Vgl. Pufendorf, DNG, III, 1, § 3; ders., DHC, I, 6, § 5. Diese Formulierung entspricht ziemlich der Definition der subjektiven Rechte bei Grotius bzw. Donellus, vgl. oben S. 24 bzw. S. 33 f. sowie Herrmann, Schutz der Persönlichkeit, S. 38. 169 Pufendorf, DNG, III, 1, § 3: „… renferme toute sorte de lézion & de préjudice, soit à l’égard de nos biens, soit à l’égard de nôtre personne, soit à l’égard de nôtre réputation, & de nôtre honneur. Il faut donc entendre par là tout endommagement, dégât, altération, diminution, vol, ou soustraction de ce que l’on possède actuellement: toute usurpation de ce que l’on devoit avoir en vertu d’un droit parfait, soit qu’on tienne ce droit de la Nature, soit qu’on l’ait aquis par quelque acte humain, ou par quelque Loi.“ [Kursivierung im Original] 170 Pufendorf, DNG, I, 7, § 15. Hinzukommen müsse dafür aber ein „dessein prémédité“, also Vorsatz. 171 Pufendorf, DNG, III, 1, § 3. Genau wie Grotius zitiert Pufendorf an dieser Stelle Aristoteles und Cicero, die gewählten Passagen sind identisch. Ein Verweis auf Grotius erfolgt allerdings nicht. 172 A.A. jedoch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 197 ff. m.w.N.
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Er geht nun ebenfalls dazu über, tatbestandliche Problembereiche zu erläutern. Gleich bei seinem ersten Beispiel verweist er auf Grotius und beginnt wie dieser mit der Problematik der Einstellung in den öffentlichen Dienst. Auch er betont, dass zwischen dem Recht gegenüber dem Staat und demjenigen gegenüber den Mitmenschen zu unterscheiden sei: Alleine die Eignung für einen Posten gebe einer Person kein Recht darauf, diesen auch zu erhalten, sondern nur ein Recht, sich darum zu bewerben. Wer allerdings an einer Bewerbung gehindert werde, könne Ersatz verlangen, der der Ungewissheit der Situation und der Erfolgschancen Rechnung trägt. Pufendorf übernimmt hier die Wertungen von Grotius – ohne jedoch die subjektiven Rechte dabei so herauszustellen wie dieser. Im Folgenden verzichtet er dann auf einige Beispiele und geht gleich auf Folgeschäden und den Ersatz für entgangene Früchte ein. 173 Darauf folgen Ausführungen zu den Verantwortlichen und zu der solidarischen Haftung mehrerer Täter. Einen auffallenden Unterschied stellt dann § 6 dar, in dem Pufendorf das Problem der faute in das Kapitel zum Schadensersatz integriert. Inhaltlich liegt er zwar auch hier – trotz anderer Begrifflichkeiten – im Wesentlichen 174 mit Grotius auf einer Linie: Er unterscheidet absichtliche Verursachung (malicieusement & de propos délibéré/dolo malo destinatoque consilio), Fahrlässigkeit (sans dessein & par une simple négligence/solam culpam citra propositum quidem, non tamen absque negligentia) und Zufall (cas fortuit/casum fortuitum).175 Nur in den ersten beiden Fällen bestehe die Pflicht zum Ersatz. Dadurch dass Pufendorf die faute an dieser Stelle behandelt, rückt er sie viel näher an die Generalklausel und zeigt deutlicher, dass es sich um eine Voraussetzung der Haftung handelt. 176 Dies war allerdings auch notwendig, denn in der Generalklausel selbst verwendet er diesen Begriff ja nicht. Es folgt ein Abschnitt zu dem Umfang der Ersatzpflicht 177 – wieder lehnen sich die Ausführungen stark an Grotius an, im Detail sind aber auch Abweichungen erkennbar. Bei der Tötung eines Menschen sind nicht nur etwaig entstandene Arztkosten zu ersetzen; die Hinterbliebenen, die durch die Tötung ihren Versorger verlieren, sind ebenfalls zu entschädigen – der Umfang richtet sich auch bei Pufendorf nach dem Alter des Verstorbenen, zudem kommt es 173 Sein Beispiel in diesem Zusammenhang: Wer den Brand eines Hauses verursacht, schulde nicht nur Ersatz für den Wiederaufbau, sondern auch für den Verlust der Mieteinnahmen, auf die der Vermieter während der Unbewohnbarkeit verzichten muss. 174 Pufendorf vertritt allerdings eine andere Auffassung zum Thema „Gefährdungshaftung“: Er bejaht eine Haftung für durch Tiere oder Sklaven verursachte Schäden: DNG, III, 1, § 6; für Grotius siehe oben Fn. 116. 175 Pufendorf, DNG, III, 1, § 6. 176 Dies ist insofern interessant, als die faute im 19. Jahrhundert auch zu der zentralen Voraussetzung der deliktischen Generalklausel werden sollte, dazu unten S. 142 ff. Die französischen Juristen hatten dabei allerdings ein ganz anderes Verständnis von diesem Begriff als die Naturrechtler. 177 Pufendorf, DNG, III, 1, § 7.
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aber auch auf das der Bedürftigen an. Weiterhin betont er in diesem Zusammenhang, dass bei der Bemessung des Ersatzes dagegen nicht zu berücksichtigen sei, was der Verstorbene bei einem Weiterleben sonst hätte erlangen oder verdienen können: Dies stehe nicht sicher fest und könne daher nicht als dem Verstorbenen gehörig bezeichnet werden. Bei einer genauen Betrachtung lässt sich ein weiterer Unterschied zu Grotius entdecken: Hatte der noch ganz im Einklang mit dem römischen Recht betont, dass die zu leistende Zahlung keinen Ersatz für das genommene Leben darstelle, da das Leben keiner Schätzung zugänglich sei, 178 wendet sich Pufendorf von diesem Verständnis etwas ab. 179 Auch Pufendorf sagt zunächst, dass das Leben einer freien Person nicht schätzbar sei, ergänzt dann aber, dass, wenn es dies denn doch wäre, es keinen gäbe, dem der Wert zu zahlen wäre, denn das Leben des Verstorbenen gehört ja nicht den Verwandten oder Erben; diese hätten nur ein Interesse an dessen Erhalt. 180 Das gesamte Kapitel zum Schadensersatzrecht zeigt sehr deutliche Anleihen bei Grotius. Pufendorf wählt einen etwas anderen Einstieg, der aber seiner übrigen Gliederung und seinem Pflichtenkonzept geschuldet ist. Auch er stellt das allgemeine Prinzip in Form einer deliktischen Generalklausel an den Anfang und ins Zentrum seiner Erörterung. Obwohl sie inhaltlich der von Grotius aufgestellten entspricht, ist sie weniger prägnant formuliert. 181 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale faute, dommage und Kausalität, die auch später die Generalklauseln der Naturrechtskodifikationen charakterisieren werden, treten nicht so markant in Erscheinung; der Begriff faute wird in der Formulierung selbst nicht verwendet, sondern erst später und auch dort nur nebenbei. Die faute dann aber inhaltlich im Rahmen des Schadensersatzes zu erörtern, stellt eine Besonderheit gegenüber Grotius dar. Im Übrigen zeigt sich jedoch, dass sich Pufendorfs Verständnis von dem des Grotius nicht unterscheidet. Er folgt nicht nur dem gleichen Aufbau (Schaden mit Beispielen, Verantwortliche und Haftung Mehrerer, Umfang des Ersatzes mit Beispielen für die einzelnen Rechtsgutsverletzungen), sondern einzelne Abschnitte sind sogar teils wörtlich 178
Grotius, DGP, II, 17, § 13, Nr. 3; siehe oben S. 33. So auch Descamps, Origines de la responsabilité, S. 414. 180 Pufendorf, DNG, III, 1, § 7. Anders sei dies dagegen bei einem Sklaven: Dessen Leben gehöre allein seinem Herren, es sei mit anderen Gegenständen vergleichbar und habe einen Wert, den der Herr als Ersatz einfordern könne. – Wird jemand durch die Tat eines anderen zum Krüppel, ist ihm auch zu ersetzen, was er durch seinen Zustand nicht mehr gewinnen kann. Oder: Wird das Gesicht einer Frau entstellt, sind ihr die Nachteile, die dadurch entstehen – hier ist etwa an ihre verminderte Aussicht auf eine Verheiratung zu denken –, zu ersetzen. Besondere Erörterung findet schließlich der Missbrauch einer Frau. Der Verlust ihrer Jungfräulichkeit mindert ihren Wert und stellt daher einen Schaden dar. Ersatz kann entweder in einer Entschädigung in Geld zu leisten sein oder in der Verpflichtung bestehen, die Frau zu heiraten. Das Kapitel schließt mit der Ersatzpflicht des Diebes ab: Dieser habe die entwendete Sache zurückzugewähren und sämtliche Schäden zu ersetzen, die durch die Entwendung eingetreten sind. 181 Etwas anders akzentuiert Kupisch, La responsabilità da atto illecito, S. 134 ff. 179
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übernommen – ohne dass sich dort immer explizite Verweise auf Grotius finden würden. Die Beispiele im Rahmen der Rechtsgutsverletzungen stellt Pufendorf allerdings wesentlich ausführlicher dar als Grotius: Während sich bei diesem jeweils nur ein bis zwei Sätze finden, widmet Pufendorf ihnen lange Abschnitte. Hier und dort weicht Pufendorf bei Detailfragen von Grotius ab und setzt so eigene Akzente. Hinsichtlich der Schädigungen, die von der Ersatzpflicht erfasst sind, hat das aber keine Auswirkungen. Es ist daher davon auszugehen, dass auch sein Verständnis mit dem von Grotius übereinstimmte.182 Wie dieser knüpft auch Pufendorf die Ersatzpflicht an die Verletzung subjektiver Rechte 183 und scheint eine konkrete Vorstellung davon gehabt zu haben, wann und wofür es Ersatz gibt. Im Rahmen der Erläuterung des Schadensersatzes bezieht er andere Posten nicht in seine Darstellung ein. b) Haftung für die Nichtigkeit einer irrtumsbehafteten Willenserklärung Nichtsdestotrotz positioniert aber auch er sich in ähnlicher Weise wie Grotius zur Frage des Ersatzes bei der Nichtigkeit einer im Irrtum abgegebenen Willenserklärung. Während die inhaltlichen Gemeinsamkeiten dabei zwar überwiegen, lassen sich bei Pufendorf gleichwohl auch gewisse Unterschiede ausmachen. Zunächst sieht auch Pufendorf ein Versprechen, das auf irrtümlichen Annahmen beruht, als nichtig an und statuiert für die Fahrlässigkeit in Bezug auf den Irrtum eine Ersatzpflicht des Irrenden: „Mais si le promettant a négligé par sa faute de s’informer de la chose sur quoi il a fondé son consentement, il est tenu de réparer le dommage que recoit par là celui qui avoit compté sur cette vaine Promesse.“ 184
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So auch Goyard-Fabre, Pufendorf et le droit naturel, S. 92 f. In DNG, I, 1, § 20 erklärt Pufendorf, was er unter dem Begriff Recht (droit) versteht: Er werde nicht nur für Gesetze oder im Zusammenhang mit dem Urteil eines Richters verwendet, sondern bedeute auch die „qualité Morale par laquelle on a légitimement l’empire sur les Personnes, & la possession des Choses; ou en vertu de quoi on nous doit quelque chose“. Dieses Verständnis von dem Recht als moralischer Eigenschaft findet sich auch bei Grotius in DGP, I, 1, § 4. Mit diesem Recht ist aber auch die Verpflichtung verknüpft, die Pufendorf in I, 6, § 5 als „qualité morale opérative (bzw. „qualitas moralis operativa“), par laquelle on est tenu de faire ou de souffrir quelque chose“ bezeichnet: Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht, S. 131 m.N. Näher zu den subjektiven Rechten bei Pufendorf und dem Zusammenhang mit seinem Pflichtenkonzept Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 186 ff. 184 Pufendorf, DNG, III, 6, § 6. Dies gilt freilich umso mehr, wenn der Irrtum durch einen Betrug der anderen Partei hervorgerufen wurde, a.a.O., § 8. 183
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Im Gegensatz zu Grotius soll diese aber nur die Fahrlässigkeit hinsichtlich der Information über den Gegenstand erfassen, nicht jedoch diejenige, bei der Willensäußerung. 185 Weiterhin trifft Pufendorf an dieser Stelle keine vergleichbar ausdrückliche Aussage zur Natur der Schadensersatzpflicht – ein direkter Verweis auf das Deliktsrecht fehlt bei ihm. Etwas konkreter wird er dagegen im Zusammenhang mit dem Irrtum bei Verträgen. Sein Anknüpfungspunkt ist der Schulfall, dass jemand Pferde kauft, weil er während einer Reise die unrichtige Nachricht bekommen hat, dass die Pferde in seinem Stall gestorben seien (was er damit stillschweigend zur Voraussetzung des Kaufes macht). Pufendorf folgert, dass der Irrende zwar nicht an den Vertrag gebunden sei (sofern der Vertragspartner noch nicht geleistet hat), die Regeln der Billigkeit ihn aber zum Ersatz verpflichten („per aequitatem obligetur“). 186 Von einer faute ist hier nicht die Rede, dafür hebt er die Billigkeit hervor. Schließlich geht er auf das vorvertragliche Verschulden noch im Falle von anfänglicher Unmöglichkeit ein. Das Versprechen bzw. der Vertrag sei nichtig, da die Möglichkeit der Leistung stillschweigend vorausgesetzt wurde – für die Ersatzpflicht knüpft er wieder an Fahrlässigkeit und faute: „mais à cause de sa négligence, & de sa faute, il sera tenu des dommages & intérêts envers celui à qui il avoit promis : bien entendu que sous dommages & intérêts on ne comprenne pas la perte du gain & du profit que l’on espéroit de l’accomplissement de cette Promesse qui se trouve sans effet.“ 187
Das vorwerfbare Verhalten besteht hier darin, etwas versprochen zu haben, was man bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt als unmöglich hätte erkennen müssen. 188 Obwohl Pufendorf nicht ausdrücklich die außervertragliche Natur des Schadensersatzes betonte, liegt im Anschluss an Grotius nahe, dass auch er von einer deliktischen Haftung ausging. 189 Gerade im Hinblick auf die doch 185
Der Grund dafür besteht darin, dass die Unwirksamkeit des Versprechens nach Pufendorf voraussetzt, dass der Versprechende deutlich gemacht hat, dass er das Vorliegen dieses Umstands als Bedingung für das Versprechen ansieht – entsprechend kann auch nur in diesem Fall Schadensersatz geschuldet sein, Diesselhorst, Vermögensrechtssystem, S. 78, Fn. 87; Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 264. Zu den Unterschieden bei Pufendorf im Übrigen Diesselhorst, a.a.O., S. 80, Fn. 94; siehe auch Procchi, Culpa in contrahendo, S. 132 f. 186 Pufendorf, DNG, III, 6, § 7: „il n’est point obligé à tenir son marché; quoi que par les règles de l’Equité, il doive dédommager le Vendeur du profit cessant, ou du moins du dommage émergent.“ 187 Pufendorf, DNG, III, 7, § 2. 188 Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 269: die faute bestehe demnach in der Verletzung einer Sorgfaltspflicht. 189 Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 211; ders., Histoire du droit des obligations, S. 577; Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 262 ff. Procchi, Culpa in contrahendo, S. 134, sieht hier nichts anderes als die Anwendung des generellen Prinzips, das Pufendorf zu Beginn des dritten Buches aufgestellt hat (vgl. oben Fn. 162): „Ut ne quis alterum laedat, utque, si quod damnum alteri dederit, id reparet.“ (Pufendorf, DNG, III, 1, § 1). Dies liegt
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bestehenden Unterschiede lässt sich eine klare Aussage dazu allerdings nicht treffen. 190 Wie schon bei Grotius findet sich aber auch bei ihm an keiner weiteren Stelle ein Bezug auf diesen Fall, oder konkreter: den Ersatz primärer Vermögensschäden. Da auch er im Rahmen der Haftung immer nur Beispiele erläuterte, in denen es um die Verletzung subjektiver Rechte geht, die er in diesem Zusammenhang auch betonte, liegt es nahe, auch bei Pufendorf das „vorvertragliche Verschulden“ (die Haftung für die Nichtigkeit einer Willenserklärung, die auf einem Irrtum beruht) als Sonderfall anzusehen. Auch wenn er den Ersatz primärer Vermögensschäden nicht bewusst von der Haftung ausschließen wollte, so hat er doch grundsätzlich solche Fälle nicht vor Augen gehabt und der Ersatzpflicht damit gedanklich gewisse Grenzen gesetzt. 191 Dem steht nicht entgegen, dass er im Rahmen der Ersatzpflicht zunächst von einem weiten Verständnis des Schadens ausgeht: Durch die anschließend angeführten Beispielsfälle und den Bezug auf die Verletzung eines „vollkommenen Rechts“ wird deutlich, dass grundsätzlich auch bei ihm nur bestimmte Rechte und Rechtsgüter geschützt sein sollen. 3. Zwischenergebnis zu Pufendorf Pufendorfs System und seine Herangehensweise unterscheiden sich in einigen Punkten nicht unwesentlich von denen Grotius’, und auch sein Naturrechtsverständnis ist ein anderes. 192 Stehen bei dem einen die subjektiven Rechte im Mittelpunkt (und bestimmen die Gliederung des Werkes), baut der andere sein Naturrechtssystem auf seiner Pflichtenlehre auf. Der starke Bezug zur Scholastik findet sich bei Pufendorf nicht mehr in diesem Maße; seine deliktische Generalklausel gründet er direkt auf das Prinzip „alterum non laedere“. 193 Beide betrachteten das Naturrecht losgelöst vom göttlichen Willen, ohne einen Bezug zur Religion kamen sie aber nicht aus. 194 Gerade für Pufendorf war es
nahe, denn dieses generelle Prinzip stellt Pufendorf an den Anfang des Buches und damit allem Folgenden (wie der Ersatzpflicht beim Irrtum) voran. 190 Nach Procchi, Culpa in contrahendo, S. 148, hat Pufendorf trotz Nichtigkeit des Vertrags eine vertragliche Haftung des fahrlässigen Verkäufers bevorzugt. 191 Siehe dazu auch Schröder, Zivilrechtliche Haftung, S. 154: im späten Naturrecht habe es kein allgemeines Schädigungsverbot gegeben, nach dem sämtliche Vermögensschäden ersetzt worden wären. 192 Für eine ausführliche Analyse siehe Fiorillo, Von Grotius zu Pufendorf, S. 229 ff. 193 Immenhauser, Dogma, S. 182. 194 Für Grotius siehe insbesondere oben S. 25 f., für Pufendorf siehe Luig, Übersetzung, S. 233.
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aber wichtig, ein übergreifendes Naturrecht zu schaffen, losgelöst von etwaigen Autoritäten wie der Heiligen Schrift oder der aristotelischen Philosophie;195 sein Haftungssystem fußt allein auf naturrechtlichen Prinzipien. 196 So groß die Unterschiede in einzelnen Fragen sein mögen, in dem hier relevanten Zusammenhang besteht eine frappierende Ähnlichkeit: Das Kapitel zum Schadensersatz ist inhaltlich fast identisch. Auch Pufendorf stützt sein Haftungsrecht auf das allgemeine Prinzip, dass durch eigenes Verhalten verursachte Schäden zu ersetzen sind, und knüpft den Ersatz an die Verletzung subjektiver Rechte. An dieser grundsätzlichen Prämisse ändert auch der (möglicherweise deliktisch gewährte) Ersatz primärer Vermögensschäden im Falle irrtumsbehafteter Willenserklärungen nichts. Was vom Umfang der Haftung erfasst ist, zählt auch Pufendorf im Einzelnen auf. Anschließend führt er die gleichen Beispiele an; immer sind nur bestimmte Rechte und Rechtsgüter betroffen. Trotz unterschiedlicher Formulierungen der Generalklausel und des Schadens lässt sich hinsichtlich seines Verständnisses vom Umfang der deliktischen Haftung inhaltlich keine Abweichung von seinem Vorgänger erkennen. Der anderslautende Wortlaut stellt eine gewisse Neuerung dar, diese erstreckt sich – wie die Beibehaltung der Beispiele nahelegt – aber (wohl) nicht auf den Umfang der Ersatzpflicht. Insgesamt liegt in Bezug auf Darstellung und Inhalt eine derart große Übereinstimmung vor, dass ein anderes Verständnis nicht anzunehmen ist. Samuel Pufendorf übernahm die deliktische Generalklausel von Hugo Grotius, entwickelte sie fort197 und verband mit ihr trotz abweichender Formulierung ein ähnliches Verständnis. Eine Bedeutungsverschiebung ist bei ihm aber eher nicht zu erkennen. Die Entwicklung, die bei dem Holländer begonnen hat, nimmt nun also bei Pufendorf ihren Lauf. Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie dieses allgemeine Prinzip der deliktischen Haftung Einzug in das französische Recht gefunden hat und inwieweit dabei Einflüsse von Grotius und Pufendorf erkennbar sind.
B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht
Dank der Übersetzungen von Jean Barbeyrac (1674–1744) lagen die Werke von Grotius und Pufendorf auch in französischer Sprache vor und waren damit 195 Diesselhorst, Vermögensrechtssystem, S. 3 f. m.N. Ganz anders Grotius (insbesondere in Bezug auf Aristoteles), siehe Haggenmacher, Droits subjectifs, S. 129; Gordley, Philosophical origins, S. 121 ff. 196 Daher schreibt Immenhauser, Dogma, S. 182: „Damit war die Emanzipation des Privatrechts [nicht nur von den antiken Quellen, …] endgültig vollzogen.“ 197 Siehe insbesondere Kupisch, La responsabilità da atto illecito, S. 136.
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den französischen Juristen zugänglich. Descamps bezeichnet Barbeyrac im Hinblick auf das allgemeine Prinzip der deliktischen Haftung daher auch als „facteur de transmission“. 198 Doch auch schon während des 17. Jahrhunderts erhielt das allgemeine Prinzip der Haftung für verschuldete Schäden Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs: Jean Domat (1625–1696) war der erste Franzose, der die deliktische Haftung auf eine Generalklausel stützte. Ähnliches findet sich später bei Robert Joseph Pothier (1699–1772). Beide haben nicht nur zur Entwicklung dieses Prinzips beigetragen, sondern waren auch für die Entstehung des Code civil von besonderer Bedeutung: 199 Die Redaktoren des Code civil haben insbesondere die Werke von Pothier, der wie Domat in großem Maße von der Naturrechtsschule beeinflusst war, geschätzt und an vielen Stellen als Vorlage verwendet.200 Während der Code civil in anderen Fragen schlicht das im Ancien Régime geltende Recht, das Ancien droit, übernahm, 201 stellt sich die Situation für die deliktische Haftung etwas anders dar. Das Obligationenrecht war erheblich durch das römische Recht geprägt. Gerade davon grenzten sich Domat, Pothier sowie viele andere Juristen des Ancien droit aber ab; Gleiches gilt auch für Art. 1382 Cc. Um die Entstehung der Art. 1382 f. Cc besser einordnen und nachvollziehen zu können, soll daher im Folgenden zunächst ein Blick auf das Ancien droit und den wissenschaftlichen Diskurs zu dieser Zeit geworfen werden (I.), bevor es anschließend um die deliktische Haftung bei Domat (II.) und Pothier (III.) sowie – nach einem kurzen Exkurs (IV.) – die Entstehung des Code civil (V.) geht. I. Ancien droit (allgemein) Eine Beschäftigung mit der Rechtslage und dem wissenschaftlichen Diskurs im Ancien Régime ist unerlässlich, um die Errungenschaften durch Domat, Pothier und den Code civil würdigen zu können. Dafür sind zunächst kurz die generellen Umstände und die zu dieser Zeit hauptsächlich diskutierten Fragen zu betrachten (1.), anschließend geht es konkret um die deliktische Haftung (2.).
198
Descamps, Origines de la responsabilité, S. 416 ff. Siehe nur Mazeaud/Tunc, Responsabilité civile, Nr. 36 ff.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 619; Gilles, Doctrine, S. 62; ders., L’esprit de la codification, S. 102 ff. 200 Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 114. 201 A. Esmein, L’originalité du Code civil, S. 5: Die wirklich neuen Elemente waren gering; das Ancien droit sowie das während der Revolution geschaffene Recht (droit intermédiaire) stellten die primären Quellen dar. 199
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
1. Überblick Vor Erlass des Code civil gab es kein einheitliches Recht in Frankreich, das Land war unterteilt in das pays de droit écrit 202 (Südfrankreich) und das pays de droit coutumier (Nordfrankreich).203 Diese Unterteilung verfestigte sich ab dem 12. Jahrhundert mit dem „Eindringen“ 204 des römischen Rechts, das beide Landesteile unterschiedlich stark prägte. 205 Im Süden erfolgte der Einfluss des römischen Rechts auf das französische Recht vorrangig durch Rechtsschulen und die juristische Ausbildung. 206 Begünstigt, wenn nicht sogar überhaupt ermöglicht, wurde dies dadurch, dass das römische Recht als den lokalen Rechten überlegen angesehen wurde: Es sei viel weiter entwickelt und umfassender und trage vereinheitlichende Elemente in sich. 207 Mit dem 16. Jahrhundert bildete es eine Art „Coutume“ des Südens208 und prägte unverkennbar das droit écrit.209 Im Norden Frankreichs beschränkte sich der Einfluss des römischen
202 „Pays du droit coutumier/écrit“ wird häufig mit „Länder des Gewohnheitsrechts/geschriebenen Rechts“ übersetzt. Diese Übersetzung kann jedoch zu Verwirrung führen. Entscheidend ist, dass es sich jeweils um ein bestimmtes Gebiet (im Norden bzw. Süden Frankreichs) handelte, in dessen Provinzen Gewohnheitsrecht bzw. das römische Recht Anwendung fand; dieses Verständnis liegt dem weiteren Text zugrunde. 203 Siehe zu der Unterteilung z.B. Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 19 ff.; Sagnac, Législation civile, S. 1 ff.: „La France, en 1789, n’a guère d’autre unité que celle du territoire: elle obéit tout entière au roi.“ Für den ungefähren Verlauf dieser Grenze siehe dens., a.a.O., S. 2; Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 103. Neben römischem Recht und Gewohnheitsrecht galten darüber hinaus im ganzen Königreich zu bestimmten Fragen Regelungen des kanonischen Rechts, königliche Verordnungen und Edikte sowie Feudalrecht, siehe nur Gilles, Doctrine, S. 63; Noda, Jean Domat et le Code Civil français, S. 15 f. 204 Lévy, Pénétration du droit romain, S. 475 ff. 205 Für die Entwicklung bis zum 16. Jahrhundert siehe auch Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 103 ff. 206 Daneben fand es Verbreitung durch die Praxis sowie durch Legisten am königlichen Hof, Lévy, Pénétration du droit romain, S. 478 ff.; Thireau, Du Moulin, S. 92. 207 Thireau, Du Moulin, S. 92. Zwar regte sich hier auch ein gewisser Widerstand – viele Juristen kritisierten das römische Recht als „fremdes“ und gelehrtes Recht, Lévy, Pénétration du droit romain, S. 485 –, der in der Verschriftlichung lokaler Coutumes einen Ausdruck fand. (Dies betraf z.B. Städte wie Perpignan, Montpellier oder Carcassonne. Schon Alfons von Poitier (†1271) hatte allerdings die Bitte einiger Freiherren, ihre Coutumes behalten zu können, mit der Begründung abgelehnt, das römische Recht sei „sicherer und vollkommener“: Lévy, a.a.O., S. 486). Die Rezeption des römischen Rechts konnte dies jedoch nicht aufhalten. 208 Pasquier, L’interprétation des institutes de Justinian, I, 16; Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 115. 209 Thireau, Du Moulin, S. 92, spricht von dessen „triomphe absolu“.
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Rechts dagegen auf Äußerlichkeiten 210 – vorherrschend war hier Gewohnheitsrecht.211 Dass es hier nicht zu einem stärkeren Einfluss des römischen Rechts kam, lag wohl insbesondere an der offiziellen Redaktion der Coutumes, die Charles VII. und seine Nachfolger ab 1453 vorantrieben und anordneten. 212 Die Verschriftlichung ließ ein Bewusstsein dafür aufkommen, dass es ein eigenständiges französisches Recht gab, das zu bestimmten Fragen spezielle Regelungen enthielt, die vom römischen Recht abwichen. 213 Gleichermaßen offenbarte sie jedoch auch die Vielfältigkeit und Verschiedenartigkeit der Coutumes,214 was Rechtsunsicherheit entstehen ließ. Ausgehend von dem daraus resultierenden Bemühen um eine Vereinheitlichung der Coutumes entbrannte eine Diskussion, ob es nicht ein droit commun in Frankreich gebe, das stattdessen anzuwenden sei. 215 Obwohl diese Frage in erster Linie für das pays du droit coutumier von Interesse war,216 beschäftigte sich die gesamte französische 210 Die Präsenz des römischen Rechts wurde überhaupt erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts deutlich und zeigte sich in der Verwendung romanistischer Terminologie, in der Bezugnahme auf römische Quellen sowie dem an den Digesten orientierten Aufbau bestimmter Coutumes: Lévy, Pénétration du droit romain, S. 494 f. 211 Dabei darf jedoch kein falscher Eindruck von den Coutumes entstehen: Insbesondere nach ihrer Aufzeichnung stellten sie sich nahezu wie Gesetzbücher dar: A. Esmein, L’originalité du Code civil, S. 17. 212 Thireau, Du Moulin, S. 94; van Kan, Efforts de codification, S. 16 ff. Auf der anderen Seite ermöglichte es die Aufstellung der Coutumes allerdings auch, dass sich Regelungen des römischen Rechts in diesen etablieren konnten, Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 112, 116; Lefebvre-Teillard, Facteurs d’unification, S. 80. Auf diese Weise steht Charles VII. damit am Anfang einer ersten Kodifikationsbewegung in Frankreich, van Kan, a.a.O., S. 32. Ausführlich zu diesem Prozess auch Thireau, Comparatisme et naissance, S. 153 ff. 213 Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 112; Thireau, Comparatisme et naissance, S. 154 f. In erster Linie diente die Verschriftlichung des örtlichen Rechts freilich dazu, für mehr Klarheit zu sorgen und die Rechtskenntnis zu erhöhen: van Kan, Efforts de codification, S. 17 ff. Die ablehnende Haltung gegenüber dem römischen Recht, in Verbindung mit einer nationaleren Einstellung, erhielt ab dem 16. Jahrhundert durch das Aufkommen des Humanismus Auftrieb, Thireau, Comparatisme et naissance, S. 158 ff. 214 Petot, Le droit commun, S. 412. Fast jede Stadt und Region hatte ihre eigenen Regelungen: Es gab ungefähr 65 allgemeine Coutumes und mehr als 300 lokale, die zu den allgemeinen spezifische Abweichungen enthielten, Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 20; Sagnac, Législation civile, S. 1. 215 Der Begriff droit commun coutumier kam in Frankreich bereits ab dem 13. Jahrhundert auf: ausführlich dazu Petot, Le droit commun, S. 414 ff. Die Frage nach einem droit commun gewann in der Praxis immer wieder aufs Neue an Relevanz, wenn eine Coutume für ein bestimmtes Rechtsproblem eine Lücke aufwies. 216 Im Zuge dieser Diskussion stellte sich immer wieder auch die Frage nach der Bedeutung des römischen Rechts und dessen Autorität im gewohnheitsrechtlich geprägten Frankreich. Exemplarisch dafür sind die konträren Auffassungen der Pariser Parlamentspräsidenten – die Parlamente waren im Ancien Régime ein Judikativorgan – Lizet und Thou: de Ferrière, Histoire du droit romain, S. 342; Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 112. Einen ausführlichen Überblick über die Einstellung zum römischen Recht während des Ancien
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
Doktrin mit der Suche nach einem etwaigen gemeinsamen Recht. 217 Als Grundlage für ein solches kamen drei Optionen ernsthaft in Betracht: 218 der Rückgriff auf eine schon existierende Coutume und deren Ausdehnung auf das ganze (gewohnheitsrechtliche) Land,219 eine Übernahme des römischen Rechts 220 oder das Herausfiltern gemeinsamer Grundsätze aller Coutumes.221 Im Ergebnis blieb die Diskussion in der Lehre rein akademischer Natur. 222 Ende des
Régime gibt de Ferrière, a.a.O., S. 329 ff. Die Kontroverse stellte kein französisches Spezifikum dar, sondern wurde in ähnlicher Weise auch in den anderen europäischen Rechtsordnungen geführt: näher dazu Luig, Institutionenlehrbücher, S. 66 ff. m.w.N. 217 Siehe z. B. de Ferrière, Nouveau commentaire, S. 3 f. Begünstigt wurde dies durch die Reformierung zahlreicher großer Coutumes im 16. Jahrhundert, Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 165. 218 Zu dieser Suche nach einem droit commun siehe auch Noda, Domat et le Code Civil, S. 16; Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit , S. 99; Gilles, Doctrine, S. 63; Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 30 ff. 219 Dafür bot sich insbesondere die Coutume von Paris nach ihrer Überarbeitung im Jahr 1580 an. Choppin erblickt in ihr einen „Abriss des französischen Rechts“: „… Paris serait désormais l’abrégé du droit français, comme il est l‘abrégé de l’univers“, zitiert nach Rigaudière, L’unification du droit, S. 1566; siehe auch Halpérin, L’impossible Code civil, S. 31. Guy Coquille (1523–1603) wollte bei Lücken der lokalen Coutumes zugunsten der Coutume von Paris immerhin ein Wahlrecht einräumen: Questions et responses, S. 6; dazu auch Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 184. Und François Bourjon (1680–1751) betrachtete sie sogar ganz ausdrücklich als das droit commun coutumier: Le droit commun de la France; dazu auch Martin, La Coutume de Paris, S. 21. Die Überlegenheit der Coutume von Paris war später allgemein anerkannt, Luig, Institutionenlehrbücher, S. 76. 220 Viele Juristen betrachteten das römische Recht als das droit commun, z.B. Boutaric, Les instituts de Justinien, Préface, S. XV; Loyseau, Traicté du déguerpissement, II, 6, Nr. 5. Sehr deutlich tritt dies bei Bretonnier (1656–1727) schon im Titel seiner Einleitung hervor: Préface contenant l’éloge du droit romain, et une Dissertation pour montrer que le Droit Romain est le Droit commun de la France. Ausführlich zu dieser Einleitung Krynen, Droit romain, S. 25 ff. Auch Jean Bouhier (1673–1746) und Claude Joseph de Ferrière (1666– 1747/48) priesen die Exzellenz des römischen Rechts: siehe Bouhier, Les coutumes du duché de Bourgogne, chap. II (De l’excellence du Droit Romain par dessus celui de nos Coûtumes) sowie chap. II, Nr. 7 ff., 26; de Ferrière, Histoire du droit romain, chap. XXXI (De l’excellence du Droit Romain). 221 Besonders hervorzuheben sind hier die Bemühungen Charles du Moulins (1500–1566) und François Hotmans (1524–1590). Näher dazu Thireau, Du Moulin, S. 115 ff.; Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 186; Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 31; van Kan, Efforts de codification, S. 34, 48. 222 Zu den Vereinheitlichungsversuchen und den Gründen für das Scheitern bis zum Code civil siehe auch König, Pothier und das römische Recht, S. 21 ff.; Petot, Le droit commun en France, S. 412; Sagnac, Législation civile, S. 3 ff. Durch den Einfluss des römischen Rechts war eine Vereinheitlichung lange Zeit nicht durchsetzbar, Thireau, Du Moulin, S. 120.
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17. Jahrhunderts erreichten allerdings Ludwig XIV. (König von 1643–1715)223 und Ludwig XV. (König von 1715–1774)224 durch königliche Ordonnanzen zumindest in einzelnen Bereichen eine gewisse Vereinheitlichung, 225 nämlich im Hinblick auf den Zivilprozess (Ordonnance civile, 1665), den Strafprozess (Ordonnance criminelle, 1670), das Handelsrecht (Ordonnance du commerce, 1673), die Marine (Ordonnance de la marine, 1681), Schenkungen (1731), Testamente (1735) sowie die Einsetzung von Nacherben (1747). 226 Gerade die drei zuletzt genannten Ordonnanzen, die von d‘Aguesseau227 verfasst wurden, dienten den Redaktoren des Code civil als Vorlage, und einige ihrer Regelungen sind auch heute noch geltendes Recht in Frankreich. 228
223 Als Initiator ist an dessen Seite insbesondere Jean-Baptiste Colbert hervorzuheben: Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation, S. 243 ff. Ihm ging es um Uniformität und Vereinfachung, aber auch um Rechtssicherheit: van Kan, Efforts de codification, S. 80; Rigaudière, L’unification du droit, S. 1556 f. 224 Treibende Kraft war dabei Kanzler Henri-François d‘Aguesseau, siehe Regnault, Ordonnances civiles I, S. 49 ff. Seine Werke sind von dem Gedanken durchzogen, ein einheitliches Recht zu schaffen, um die durch die Diversität und Widersprüchlichkeit der Coutumes entstandene Rechtsunsicherheit zu beseitigen und die Rechtsprechung zu vereinheitlichen: siehe das Vorwort zur Ordonnanz von 1735, abgedruckt in Regnault, Ordonnances civiles II, S. 208 f.; eine das ganze Recht umfassende, vollständige Vereinheitlichung hielt er jedoch nicht für durchführbar: Insbesondere der Umfang dieses Vorhabens schreckte ihn ab, van Kan, Efforts de codification, S. 102 ff. Dazu auch Woyciechowski, Formerfordernisse, S. 111. 225 van Kan, Efforts de codification, S. 65 f.; Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation, S. 243. Für einen Überblick siehe Rigaudière, L’unification du droit, S. 1553 ff.; Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 37 ff. Lefebvre-Teillard, Facteurs d’unification, S. 83, verweist darauf, dass sich die Könige zwar in die Reformierung der Coutumes eingebracht hätten, sich für die vollständige Zusammenlegung zu einer einzigen aber nicht autorisiert ansahen; sie seien deshalb „gardien[s] des coutumes“ gewesen. 226 Während die ersten Vereinheitlichungen Ludwigs XIV. einigen Juristen nicht weit genug gingen (so z.B. de Lamoignon, Vie de M. le premier président, S. XXXI, XXXVII; dazu van Kan, Efforts de codification, S. 83), hielten andere eine generelle Vereinheitlichung für nicht durchführbar (etwa Auzanet, vgl. van Kan, a.a.O., S. 82 m.w.N.). 227 Neben diesen Arbeiten im Dienste des Königs ist d‘Aguesseau vor allem durch seinen Einfluss auf Pothier hervorzuheben. Siehe dazu unten S. 86 ff. sowie insbesondere S. 94 ff. 228 Renoux-Zagamé, Aguesseau, S. 8; Arnaud, Origines doctrinales, S. 107: Sie waren für die Redaktoren des Code civil eine beliebte Quelle. Speziell für das Erbrecht siehe Woyciechowski, Formerfordernisse, S. 111 ff.
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Obwohl viele Juristen des Ancien droit dem römischen Recht grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden229 – damit einher ging eine Aufwertung des eigenen Rechts 230 –, kam es auch im Norden nicht zu dessen vollständiger Verdrängung: In den Regelungen sah man Vernunft, Billigkeit und natürliche Gerechtigkeit verwirklicht; 231 man betrachtete es als raison écrit.232 Der fortbestehende Einfluss des römischen Rechts wird aber auch rein äußerlich erkennbar: Viele Juristen auch des pays du droit coutumier übernahmen in ihren Werken den Aufbau der Institutionen Justinians und der klassischen Einteilung des römischen Rechts, um so eine gewisse Ordnung in ihre Erläuterungen der Coutumes und des französischen Rechts zu bringen: 233 Antoine Loisel (Institutes coustumières, 1607), Guy Coquille (Institution au droit des François, 1607), Claude Fleury (Institution au droit françois, 1665/66), Gabriel Argou (Institution au droit françois, 1692), Francois Boutaric (Les Instituts de l’empereur Justinien conferées avec le droit francais, 1738) oder Claude Serres (Les Institutions du droit françois suivant l’ordre de celles de Justinien, 1753) – um nur einige Beispiele zu nennen. Zwar fand trotz dieser
229 Ein Einwand gegen das römische Recht lautete, dass ihm keine verpflichtende Kraft zukomme. Damit sollte die politische Unabhängigkeit von Rom ausgedrückt werden: so z.B. bei Coquille, Institutions au droit des Français, S. 17, 28. Dazu Thireau, Du Moulin, S. 96 f.; Luig, Institutionenlehrbücher, S. 71. Eine Ausnahme gelte allerdings für das pays de droit écrit, da das römische Recht dort kraft königlicher Autorisierung Anwendung finde, Serres, Institutions du droit françois, I, 2, § 2; de Ferrière, Histoire du droit romain, S. 333. Weiterhin erschien das römische Recht den französischen Juristen fremd und veraltet; als für eine andere Zeit, eine andere Gesellschaft sowie andere Umstände geschaffen, Krynen, Droit romain, S. 23; Meynial, Rôle joué par la doctrine, S. 273; Thireau, L’alliance des lois romaines, S. 356. Die Ablehnung gegenüber dem römischen Recht erhält einen sehr klaren Ausdruck im „Antitribonian“ von Hotman (1567). 230 Thireau, L’alliance des lois romaines, S. 352, 356. Das eigenständig Französische wurde hervorgehoben und bewusst beibehaltene Unterschiede betont. Als Folge kam ein gewisses Nationalgefühl auf – was sich auch dadurch äußerte, dass nicht mehr auf Latein, sondern auf Französisch veröffentlicht wurde: Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 183. 231 Thireau, Du Moulin, S. 99 ff., 106 f.; ders., L’alliance des lois romaines, S. 365, 369 ff. 232 Siehe dazu schon L’Hommeau, Les maximes générales du droict françois, S. 35: „… on ne se sert du droit Romain, que pour en tirer quelques raisons, & non pour servir de loy“; Coquille, Institutions au droit des François, S. 95: „à nous le droict Romain ne sert que pour raison“; ders., Questions et responses, S. 4; Diderot, Encyclopédie, „Droit romain“, S. 425: „Toutes les nations policées, même celles qui ont des loix particulières, ont toujours regardé le droit romain comme un corps de principes fondées sur la raison & sur l’équité, s’est pourquoi on y a recours au défaut des loix particulières du pays“. Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 24. 233 Zu diesem Aufbau und der „Suche nach einem Plan“ siehe Chêne, L’enseignement du droit français, S. 290 ff.; Thireau, L’alliance des lois romaines, S. 364; Luig, Institutionenlehrbücher, S. 74 f.
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äußerlichen Anlehnung auch hier eine gewisse Entwicklung statt – die französischen Juristen versuchten, das Recht in seiner „ordre naturel“ darzustellen und hoben die subjektiven Rechte des Einzelnen hervor. 234 Die Wahl dieser Darstellungsform belegt jedoch eine gewisse Orientierung am römischen Recht.235 Schließlich gab es aber auch Rechtsbereiche, in denen dem römischen Recht auch im Norden eine noch weitergehende Bedeutung zukam. In speziellen Fällen erfolgten ein bewusster Rückgriff auf und eine Übernahme von Instituten des römischen Rechts. 236 Zudem wurden bestimmte Fragen von den Coutumes nicht geregelt, sodass in diesen Fällen nur das römische Recht zur Anwendung kam und die Coutumes damit verdrängte. Aufgrund der identischen Rechtsquelle waren die Unterschiede zwischen den Landesteilen hier daher nicht so erheblich.237 Dies betraf unter anderem das Obligationenrecht,238 und insbesondere die deliktische Haftung. 2. Deliktische Haftung Eine Analyse verschiedener Coutumes, darunter der von Paris, Orléans, Anjou, Bourgogne und Poitou,239 hat ergeben, dass in ihnen keine eigenständigen Regelungen zur deliktischen Haftung existierten. Dieser Bereich war nach wie vor vom römischen Recht beherrscht. Aber auch in vielen Darstellungen und Erläuterungen der Coutumes wird auf diese Frage entweder gar nicht eingegangen (so vornehmlich in den Werken von Juristen aus dem droit coutumier, z.B. bei du Moulin240 oder Coquille) oder es erfolgt nur ein Hinweis auf Klagemöglichkeiten: de Ferrière weist darauf hin, dass persönliche Klagen (actions personnelles) auch im Falle von „délits“ gegeben seien. 241 Einzelne Regelungen oder konkrete Beispielsfälle werden dagegen nicht erläutert. 234
Arnaud, Origines doctrinales, S. 153 ff.; Chêne, L’enseignement du droit français, S. 299 ff. 235 Dies dürfte auch daran gelegen haben, dass das römische Recht bis 1679 ausschließlicher Lehrstoff in den Universitäten und allen Juristen daher bestens vertraut gewesen war, Thireau, L’alliance des lois romaines, S. 362. 236 Lévy, Pénétration du droit romain, S. 498. 237 Halpérin, L’impossible Code Civil, S. 24, 27 f. 238 Thireau, Du Moulin, S. 101; Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 167 ff.; Dunoyer, Blackstone et Pothier, S. 74. 239 Laurière, Texte des coutumes de la prévôté et vicomté de Paris (Paris 1777); Pothier, Coutumes des duché, bailliage et prévôté d'Orléans (Paris 1780); Pocquet de Livonniere, Coustumes du pays et duché d'Anjou (Paris 1725); Bouhier, Les coutumes du duché de Bourgogne (Dijon 1742); Boucheul, Coûtumier general ou corps et compilation de tous les commentateurs sur la coûtume du comté et pays de Poitou (Poitiers 1727). Für eine Gesamtschau der Coutumes siehe Bourdot de Richebourg, Nouveau coutumier général (Paris 1724). 240 Die Coutume von Paris enthielt keine Bestimmungen zur deliktischen Haftung oder zur Kompensation deliktischer Schäden, vgl. du Moulin, La Coustume de Paris. 241 de Ferrière, Nouveau commentaire, S. 205.
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Erfolgen dennoch Ausführungen zur deliktischen Haftung, so stehen sie in der Regel entweder nur im Zusammenhang mit dem droit criminel und Strafen (a) oder es werden lediglich die Bestimmungen der lex Aquilia erläutert (b). Schadensersatz im Falle nichtiger Verträge (bedingt durch Irrtum oder anfängliche Unmöglichkeit; vorvertragliches Verschulden) fand im Gegensatz zu den Darstellungen bei Grotius und Pufendorf nicht im Deliktsrecht seine Grundlage, sondern im Vertragsrecht (c). Festzuhalten bleibt zudem, dass neben dem römischen Recht auch der christlichen Moral besondere Bedeutung zukam. 242 Deutlichen Ausdruck findet dies bei Étienne Pasquier (1529–1615): Dieser verbindet die Prinzipien „neminem laedere“ und „ius suum cuique tribuere“ direkt mit der Bibel: Sie seien in Gottes Gebot „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ enthalten. 243 a) Nur im Zusammenhang mit Strafen/droit criminel Dass viele Juristen die deliktische Haftung nur im Zusammenhang mit dem Strafrecht oder mit Strafen erwähnten,244 belegt deutlich, dass strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung im Ancien droit nicht strikt getrennt waren – die Unterscheidung vollzog sich erst allmählich und wurde vollständig erst mit dem Code civil erreicht. 245 Auch bei der Erörterung von Delikten und Verbrechen – einem typischen Anknüpfungspunkt für die deliktische Haftung – wird zwar auf Schadensersatz (dommage & intérêts) sowie den zivilen Weg hingewiesen, ersterer dabei aber oft explizit als Strafe eingeordnet, so bei Fleury (1640–1723)246 oder in der Coutume von Paris.247 Allerdings finden sich nichtsdestotrotz auch Verknüpfungen zu einer allgemeinen deliktischen Haftung –
242
Gilles, L’influence du droit romain, S. 35. Pasquier, L’interprétation des Institutes de Justinian, I, 6. 244 So z.B. bei Bouhier, Les coutumes du duché de Bourgogne, Tit. XXXIII (S. 147) oder Loisel, Institutes coutumiers, Livre VI. 245 Zur Entwicklung siehe Descamps, Origines de la responsabilité, S. 273 ff.: Erstmalig bei Pothier war der Strafcharakter nicht mehr präsent. Mazeaud/Tunc, Responsabilité civile, Rn. 33 ff.; Demogue, Réparation civile, Introduction historique; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 651 ff. 246 Fleury, Institution au droit françois, chap. XXX: „Mais pour des injures médiocres, elles se poursuivent civilement, et la peine n’est autre que: réparation d’honneur, dédommagement, s’il y a du tort souffert, et quelquefois amende.“ Das Delikt definiert er als Handlung, die gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstößt; an die Verletzung einer anderen Person knüpft er damit nicht an. 247 Du Moulin, Coustumes de la prevosté et vicomté de Paris, Band 2, Art. CCXCI: „… sur peine de tous dépens, dommage & interests“. 243
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nur eben überwiegend in anderem, nämlich strafrechtlichem Zusammenhang. 248 Deutlich wird dies bei François Lange (1610–1684).249 Dieser unterscheidet als in der Person begründete Klagen250 zunächst „actions civiles“ und „actions criminelles“; unter letzteren versteht er „jene, mit denen wir die Behebung des Unrechts oder der Beleidigung, die uns oder unseren Angehörigen zugefügt wurde, verlangen“. 251 Die réparation civile bezeichnet er als „accessoire du crime“ 252 und folglich finden sich nähere Erläuterungen auch nur in dem Buch zum Strafrecht: Wer eine andere Person verletze, erhalte nur eine Geldstrafe in Form von dommages & interests; handele der Schädiger allerdings ohne Vorsatz, so sei nur eine zivilrechtliche Verfolgung sowie Verurteilung zu dommages & interests möglich.253 Zwar fehlt hier eine klare Trennung von Strafe und Schadensersatz, letzteren knüpft er aber an das Vorliegen einer faute, denn dommage & interêts versteht er als „la recompense & l’indemnité d’une perte soufferte par la faute d’autrui, que celui qui a causé cette perte, est condamné de payer à celui qui l’a soufferte“254 – damit stimmt er mit den späteren deliktischen Generalklauseln überein. Seine Formulierung ist diesen recht ähnlich und unterscheidet sich nur dadurch, dass an die Stelle der Strafe die Schadensersatzpflicht tritt. Immer wieder wird auf die Unterteilung im römischen Recht Bezug genommen, die zwischen solchen Taten unterscheidet, an deren Verfolgung ein öffentliches Interesse besteht (so bei Verbrechen und schweren Vergehen; crimes publics), und solchen, die nur für den Einzelnen Abhilfe schaffen sollen (délits 248 Etwas anders stellte sich dies allerdings in der Encyclopédie von Diderot dar. Im Rahmen des Schadens wird erst das allgemeine Prinzip hervorgehoben („Celui qui cause le dommage, de quelque manière que ce soit, doit le réparer“: a.a.O., „Dommage“, S. 226) und dann hinzugefügt, dass bei böswilligem Handeln auch eine Strafe erfolge – hier wurde also getrennt. Im Übrigen seien „dommages et intérêts“ zu leisten. Der Betrag, der bei der Verursachung eines „tort“ als Entschädigung zu leisten sei, sei die „réparation civile“ (a.a.O., „Réparation civile“, S. 331); von dieser wird die Wiederherstellung der Ehre („réparation d‘honneur“) unterschieden. Unter dem Stichwort „Délit“, S. 598 f., wird schließlich ebenfalls zwischen Ersatz und Strafe differenziert. Weiterhin ist bemerkenswert, dass die Begriffe „tort“ und „injure“ dabei (nur) an bestimmte Rechtsgüter anknüpfen: „Le tort regarde particulierement les biens & la réputation … L’injure regarde proprement les qualités personnels …“, a.a.O., „Tort, Injure“, S. 680. 249 Lange, Nouvelle pratique civile (Paris 1706). 250 Diese „actions personnelles“ rührten aus Obligationen her, deren Entstehungsgrund Verträge, Quasiverträge, „maléfices“ und „quasi Malefices“ seien. Den Begriff „Malefice“ wiederum setzt er mit „Délit“ gleich und definiert dies als Handlung, die gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und daher mit einer Strafe belegt ist; Quasimalefices (oder Quasidelikte) seien dagegen durch Unvorsichtigkeit verursacht, Lange, Nouvelle pratique civile, III, 10. 251 Lange, Nouvelle pratique civile, III, 1. 252 Lange, Nouvelle pratique civile, IV, 23. 253 Lange, Nouvelle pratique civile, I, 4, S. 8 f. 254 Lange, Nouvelle pratique civile, IV, 36.
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privés).255 Dazu heißt es zum Beispiel bei Claude Fleury, dass dem Einzelnen durch dedommagement Genüge getan werde, der Öffentlichkeit durch peines.256 Ähnlich formuliert es auch Gabriel Argou (1640–1703): Aus Verbrechen resultiere die Pflicht, den Schaden zu ersetzen, den man verursacht hat, und zwar einerseits gegenüber der Öffentlichkeit in Form einer Strafe, andererseits gegenüber dem Geschädigten durch dommage & intérêts.257 Es gebe Verbrechen, an deren Verfolgung die Öffentlichkeit ein Interesse habe; der Einzelne könne hier keine Bestrafung erteilen, denn Privatrache sei untersagt; er könne sich aber als Zivilpartei anschließen und Entschädigung für seinen Verlust verlangen – der Schadensersatz nahm also den Platz ein, der früher der privaten Rache vorbehalten war. 258 Daneben gebe es leichtere Verbrechen, in denen von vornherein nur dommage & intérêts und geringe Strafen möglich seien.259 Argou scheint also zwischen Schadensersatz und Strafe zu differenzieren, und die Formulierung „celui qui le [le crime, S.W.] commet s’oblige à en faire la réparation, quoiqu’il n’ait point eu envie de s’obliger“ 260 weist nicht nur vom Stil, sondern auch inhaltlich große Ähnlichkeit mit den bisherigen zivilrechtlichen deliktischen Generalklauseln bzw. verallgemeinernden Regelungen auf. Dieses Bild wird allerdings dadurch gestört, dass Argou die Verurteilung zu dommage & intérêts als „mildeste aller Strafen“ bezeichnet. 261 b) Lex Aquilia erläutert Daneben gibt es eine Reihe von Werken, die zur deliktischen Haftung lediglich die Bestimmungen der lex Aquilia erläutern und ggf. auf Abweichungen des in Frankreich geltenden Rechts hinweisen – sie beziehen sich gemeinhin auf die von der lex Aquilia erfassten Fälle.262 Dass diese Regelungen dabei tatsächlich (auch) in (Nord-)Frankreich galten, wird kaum explizit gesagt, 263 es lässt sich aber im Umkehrschluss aus anderen Anmerkungen ableiten. So erläutert Pasquier zunächst einige Bestimmungen der lex Aquilia, bevor er dann zu einer bestimmten Regelung gelangt und sagt, dass diese keine Anwendung in Frankreich mehr finde.264 Auf einige Werke von Juristen beider Landesteile soll nun kurz exemplarisch eingegangen werden: Boutaric und Serres lassen sich dem 255
Z.B. bei Lange, Nouvelle pratique civile, I, 1. Fleury, Institution au droit françois, chap. XXX, XXXII. 257 Argou, Institution au droit françois, III, 1. 258 Gilles, L’influence du droit romain, S. 35. 259 Argou, Institution au droit françois, III, 38, S. 351. 260 Argou, Institution au droit françois, III, 38. 261 Argou, Institution au droit françois, III, 39: „La plus douce de toutes les peines est la condamnation aux dommages & intérêts, par forme d’intérêts civils“. 262 Siehe dazu auch Gilles, L’influence du droit romain, S. 41. 263 Ganz allgemein zur Geltung bestimmter Regelungen aber Pasquier, L’interprétation des Institutes de Justinian, I, 17. 264 Pasquier, L’interprétation des Institutes de Justinian, IV, 3, S. 749. 256
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droit écrit zuordnen, Bourjon dem droit coutumier. Besondere Aufmerksamkeit verdient zudem Julien. François de Boutaric (1672–1733) vergleicht in seinen Instituts de Justinien (erschienen 1738) die Regelungen des römischen Rechts mit denen des französischen. Er geht im Deliktsrecht zunächst auf die Trennung zwischen crimes publics und délits privés ein und sagt, dass es diese Trennung in Frankreich nicht gebe.265 In Titel 3 kommt er zur lex Aquilia. Diese regele die Entschädigung für Verluste und Schäden, die durch eigenes Verhalten verursacht wurden. In Frankreich gebe es kaum eine Regelung, die nicht angewendet würde, außer der, dass die Strafe sich nach dem Höchstwert eines Sklaven oder Tieres innerhalb des Jahres oder 37 Tagen nach dem Delikt bemesse; es sei schlicht dommage & interêts zu leisten.266 Dies gelte auch, wenn ein freier Mensch getötet worden sei – ein wichtiger Hinweis, denn im römischen Recht gab es diese Regelung gerade nicht. 267 Er geht im Folgenden auf weitere Fälle der lex Aquilia ein und vermerkt an einigen Stellen, dass eine bestimmte Wertung nicht mehr angebracht sei. 268 Claude Serres (1695–1768) verweist ebenso erst auf die Einteilung der Verbrechen nach römischem Recht und erläutert in Titel III die lex Aquilia. Die Strafen, die diese für die Tötung eines Sklaven oder Tieres vorsehe, 269 seien in Frankreich abgeschafft. Stattdessen gebe es dommages & intérêts.270 Anschließend erläutert er einzelne Fragen der lex Aquilia in Bezug auf Fälle, in denen in Frankreich abweichende Regeln gelten. Dass die lex Aquilia auch im gewohnheitsrechtlichen Teil Frankreichs die deliktische Haftung regelte, zeigt sich am besten bei François Bourjon (†1751), einem Juristen aus dem pays du droit coutumier. Dieser erörtert das droit commun Frankreichs sowie die Coutume von Paris. Im Rahmen der deliktischen Haftung allerdings lehnt er sich stark an das römische Recht an und geht in dem Buch „actions“ auf einzelne Fallgruppen ein. Dabei nimmt er immer wieder Bezug auf die lex Aquilia und betont, dass es sich bei der Regelung um droit commun handele.271 Um eine Verallgemeinerung über die einzelnen
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Boutaric, Les instituts de Justinien, IV, 1. Boutaric, Les instituts de Justinien, IV, 3. 267 Die Verletzung eines Freien wurde nicht von der lex Aquilia erfasst, siehe nur Zimmermann, Law of Obligations, S. 1014 f. m.w.N. Dieser Ansicht waren auch noch Grotius und Pufendorf, siehe oben Fn. 100 und 180. 268 So z.B. Boutaric, Les instituts de Justinien, IV, 3, § 5: „La distinction dont use Justinien en ces deux Paragraphes, ne peut être plus judicieuse …“. 269 Damit bezieht er sich vermutlich auf die soeben erwähnte Bemessung der Strafe nach dem Höchstwert eines Sklaven oder Tieres. Näher dazu z.B. Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 242 ff. m.w.N. 270 Serres, Institutions du droit françois, IV, 3, § 1. 271 Z.B. Bourjon, Le droit commun de la France, VI, 3, 7, Nr. 1. 266
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Fallgruppen hinaus bemüht er sich nicht. Der Aufbau seines Werks weist allerdings deutliche Parallelen zum Aufbau des Code civil auf272 und ist insofern von besonderem Interesse. Zudem belegen seine Ausführungen zweifellos die Bedeutung des römischen Rechts in diesem Rechtsbereich. Schließlich ist in diesem Zusammenhang Jean Joseph Julien (1704–1789) hervorzuheben. Auch dieser bezieht sich in seinen Ausführungen auf die lex Aquilia. Er verweist darauf, dass das römische Recht zwischen délits privés und crimes publics differenziere,273 und betont, dass es in Frankreich aber Unterschiede gebe: vorsätzlich verursachte Schäden und Beleidigungen seien Privatdelikte.274 Das Besondere an Julien ist jedoch, dass neben dieser Anlehnung an das römische Recht ebenso ganz offensichtlich eine Beeinflussung durch das Naturrecht bei ihm erkennbar ist: Julien lehnt sich stark an die Ausführungen von Grotius an und zitiert diesen an vielen Stellen. Er formuliert für die deliktische Haftung eine ähnliche allgemeine Klausel: „Soit qu’il s’agisse d’un délit privé ou d’un crime public, celui qui le commet s’oblige à en faire la reparation“,275 und verweist für die verschiedenen Fälle auf die Ausführungen des Holländers.276 Dies belegt, dass die Werke der Naturrechtler auch in Frankreich bekannt waren und dort den wissenschaftlichen Diskurs geprägt haben und dass auch (unbekanntere) Juristen wie Julien von Grotius oder Pufendorf beeinflusst wurden. Gleichzeitig zeigt sich damit aber auch die Weiterentwicklung des gemeinen römischen Rechts aufgrund naturrechtlichen Einflusses. Ausdruck erhält dies auch in der „Collection de décisions nouvelles et de notions relatives à la jurisprudence“ von Jean-Baptiste Denisart. Jeder Schaden sei „une infraction à la loi naturelle qui défend de nuire à autrui, neminem laedere; c’est pourquoi il est dû une réparation“. 277 Zum Umfang des Schadens und für die verschiedenen Beispiele verweist Denisart auf Pufendorf, Grotius und Domat. Auch inhaltlich stimmt er vollkommen mit diesen überein: Der Schaden könne die Person, die Ehre und die Güter treffen 278 – auch hier findet sich also die Anknüpfung an bestimmte Rechtsgüter. Gleichzeitig fällt aber ebenso der Bezug zum römischen Recht und zur aquilischen Haftung auf. 279 272 Siehe Descamps, Origines de la responsabilité, S. 433 f. Bourjons Buch VI, Titel 3 enthält „les actions qui naissent des quasi-contrats et des engagements qui se forment par le seul fait“, Buch III, Titel 4 Code civil umfasst als „engagements qui se forment sans convention“ ebenso erst quasi-contrats und im Anschluss délits und quasi-délits. Auch die im Anschluss an das allgemeine Prinzip behandelten Fälle stimmen überein: Haftung für fahrlässiges Verhalten, Tierhalterhaftung, Haftung des Gebäudebesitzers sowie des Eigentümers, vgl. Art. 1383-1386 Cc und Bourjon, Le droit commun de la France, VI, 3, 5-9. 273 Julien, Elémens de jurisprudence, III, 14, Nr. 1 f. 274 Julien, Elémens de jurisprudence, III, 14, Nr. 5. 275 Julien, Elémens de jurisprudence, III, 14, Nr. 9. 276 Julien, Elémens de jurisprudence, III, 14, Nr. 9 ff. 277 Denisart, Collection de décisions nouvelles, „Dommage“, § III, Nr. 1. 278 Denisart, Collection de décisions nouvelles, „Dommage“, § I, Nr. 2. 279 Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 131 f.
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c) Haftung für die Nichtigkeit eines Vertrags Trotz der prinzipiellen Anknüpfung an die Verletzung subjektiver Rechte sahen Grotius und wohl auch Pufendorf die Grundlage für die Haftung im Falle der verschuldeten Nichtigkeit eines Vertrags (aufgrund eines Irrtums oder anfänglicher Unmöglichkeit) im Deliktsrecht. 280 Nach der bisherigen Darstellung des Ancien droit erstaunt es nicht, dass die französischen Juristen sich dem nicht anschlossen, sondern die Grundlage der Haftung getreu dem römischen Recht mehrheitlich 281 im Vertragsrecht sahen. 282 Die Erörterung dieser Frage erfolgte häufig im Rahmen des Kaufrechts, und zwar bezüglich des Verkaufs nicht verkehrsfähiger Sachen. 283 Dazu zählten vor allem heilige sowie öffentliche Sachen (choses sacrées oder publiques). Der Verkauf derartiger Sachen stellte eine Unmöglichkeit dar, und der Kaufvertrag war folglich nichtig. Allerdings sollte der Vertrag insofern doch bestehen, als daraus eine Schadensersatzpflicht des Verkäufers bzw. ein Recht des gutgläubigen Käufers auf Schadensersatz erwuchs – anderweitige Rechte und Pflichten bestanden demgegenüber jedoch nicht.284 Deutlich zum Ausdruck brachte dies zum Beispiel Argou: „On ne peut pas vendre les choses qui ne sont pas dans le commerce, comme les choses sacrées: néanmois, si l’acquéreur est dans la bonne foi, le contrat subsiste, à l’effet de lui donner des dommages & intérêts contre le vendeur.“285 Inhaltlich identisch sind die Lösungen bei Charondas le Caron,286 Denisart287 280
Dazu oben S. 33 ff. (Grotius) und S. 49 ff. (Pufendorf). Dabei ist jedoch zu bemerken, dass einige diese Frage überhaupt nicht ansprachen. Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 208, will ein gewisses „Desinteresse“ an dieser Fragestellung festgestellt haben und verweist auf die fehlende Behandlung im Répertoire Guyot oder bei Mercier, Remarques du droit francois. 282 Dass im römischen Recht trotz Nichtigkeit des Vertrages eine actio empti gewährt wurde, hatte primär einen prozessualen Grund. Neben der actio empti kamen für derartige Fälle nur eine actio doli oder eine Klage aus der lex Aquilia in Betracht – keine von ihnen hätte jedoch einen umfassenden Schutz geboten und alle Situationen erfasst, denn die Klage aus der lex Aquilia beispielsweise war nur bei bestimmten, abschließend aufgeführten Verletzungen anwendbar. Die Klage aus dem Kaufvertrag bot dem Geschädigten somit weitaus größeren Schutz: Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 202; ders., Histoire du droit des obligations, S. 574 ff. 283 Zur Behandlung dieser Frage im Ancien droit siehe Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 208 ff. sowie Procchi, Culpa in contrahendo, S. 140, Fn. 185. 284 Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 203 f. 285 Argou, Institution au droit françois, III, 23. 286 Charondas le Caron, Pandectes, II, 29: „toutesfois encores qu’elle ne soit au commerce des hommes, ou qu’elle soit perie ou ruinee, si est-ce que si l’achepteur en estoit ignorant, la vendition tiendra & aura effect, non pour en avoir par l’achepteur la tradition, ains son interest pour avoir esté deceu par le vendeur.“ 287 Denisart, Collection de décisions nouvelles, Band 4, „Vente“, Rn. 15: „Quoique ces biens ne puissent être vendus, si néanmois, l’acquéreur est dans la bonne foi, le contrat subsiste pour lui donner une action en dommages & intérêts contre le vendeur.“ 281
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und Serres.288 De Ferrière stellte gar klar, dass dies in ganz Frankreich befolgt werde.289 Auch hier zeigt sich in dieser Frage also die Verbundenheit mit dem römischen Recht, ebenso aber eine Resistenz gegenüber naturrechtlichem Einfluss. Noch deutlicher wird diese Weiterentwicklung des gemeinen römischen Rechts allerdings bei einem anderen: Jean Domat. II. Jean Domat Jean Domat (1625–1696)290 zählt zu den bedeutendsten und einflussreichsten französischen Juristen des Ancien droit.291 Sein Studium der Rechtswissenschaft in Bourges stand ganz unter dem Zeichen der von Cujas hinterlassenen
288
Serres, Institutions du droit françois, III, 20, § 2, selbst stellt zwar nicht ausdrücklich auf den Vertrag ab, verweist jedoch auf Vinnius, wodurch klar wird, dass auch er die Grundlage im Vertragsrecht sieht, denn Vinnius gewährt bei dem Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen dem Käufer eine actio ex empto: Es müsse nicht auf eine actio doli abgestellt werden, die Klage aus dem Kaufvertrag genüge, siehe Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 206 mit Verweis auf Vinnius, In quatuor institutionum imperialum commentarus, S. 755. 289 de Ferrière, Traduction des institutes, S. 123: „l’acheteur peut intenter contre le vendeur l’action d’achat; non pas pour le faire condamner à lui livrer la chose vendue, mais pour le faire condamner en tous ses dommages et intérêts pour l’avoir trompé, l. 4 ff. de eodem. Droit François: Ce Paragraphe est observé par toute la France.“ [eigene Hervorhebung] Siehe auch dens., La science parfaite des notaires, V, 1 (S. 414): „De ce que nous venons de dire, il s’ensuit que la vente des choses sacrées & de Droit divin, ou des choses publiques, est nulle & ne produit aucune obligation de part ni d’autre, si ce n’est que le Vendeur sache que la chose est hors de commerce, & que l’Acheteur l’ignore, auquel cas le Vendeur est obligé, non pas à livrer la chose, mais aux dommages & intérêts de l’Acheteur qu’il a trompé.“ 290 Zur Biographie siehe insbesondere Voeltzel, Jean Domat, S. 37 ff.; Gilles, Pensée juridique, S. 13 ff. m.w.N.; Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 10 ff.; Holthöfer, Domat, S. 180 ff.; Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Jean Domat“, S. 112 ff.; Renoux-Zagamé, Domat, S. 254 ff. 291 Am Anfang seiner Ausbildung standen die studia humanitatis in Paris. Diese Zeit sollte Domat in seinem weiteren Werde- und Wirkungsgang entscheidend prägen: Zum einen beschäftigte er sich dort unter anderem bereits intensiv mit Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften; nicht unbedeutender ist zum anderen die dort gemachte Bekanntschaft von Blaise Pascal, mit dem ihm Zeit seines Lebens eine enge Freundschaft verband, Voeltzel, Jean Domat, S. 48 ff.; Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 537, 545. Noda, Domat et le Code Civil, S. 11: Pascal habe das Denken Domats maßgeblich beeinflusst. Obwohl bei Jesuiten ausgebildet, wurde er durch Pascal zu einem glühenden Anhänger des Jansenismus, einer auf den niederländischen Theologen Cornelius Jansen (1585–1638) zurückgehenden Bewegung innerhalb der katholischen Kirche, die sich mit ihrer Gnadenlehre insbesondere gegen die Jesuiten richtete: Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 19 ff. (Ausführlich zum Jansenismus Gres-Gayer, Jansenism, S. 715 ff. Nicht nur die Kirche verurteilte die Bewegung, auch die politischen Verantwortlichen empfanden sie bald als Bedrohung [Noda, a.a.O., S. 7 f.: der Jansenismus war ein Ausdruck der résistance]. Es kam zu Verfolgung und
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humanistischen Lehre des römischen Rechts. 292 Diese Ausbildung im römischen Recht prägte das juristische Denken Domats, ebenso hatten aber Religion, Philosophie und Moral besondere Bedeutung für ihn. 293 In seinen Werken, von denen im Weiteren hauptsächlich „Les loix civiles dans leur ordre naturel“ (1689 ff.) und der diesen vorangestellte „Traité des loix“ von Interesse sind,294 stechen neben dem klassischen aristotelischen Naturrecht der Bezug auf die Werke von Grotius und Pufendorf hervor,295 und auch die Theologie der spanischen Spätscholastik wird als Bezugspunkt seines Denkens ausgemacht.296 Die Bedeutung Domats für die Entstehung des Code civil wird unterschiedlich beurteilt.297 Einige sehen einen direkten Einfluss auf die Kodifikation 298 oder einzelne Vorschriften. 299 Uneinigkeit besteht auch hinsichtlich einer direkten oder indirekten Beeinflussung Pothiers.300 Fest steht jedoch: Domat hat die Entstehung des Code civil durch seine (Vor-)Arbeiten zumindest begünstigt.301 Er hat als erster in Frankreich eine Systematisierung der Rechtsquellen Verhaftung). – Domat hat seine religiösen Auffassungen aber immer verteidigt: Gilles, Pensée juridique, S. 16; Baudelot, a.a.O., S. 17. 292 Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 535. 293 Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 536. 294 Daneben wird auch auf einige der von Domat gehaltenen Ansprachen („Harangues“) Bezug genommen. In ihnen äußert er bereits ganz ähnliche Gedanken. Von 1655 an war Domat avocat du roi in Clermont, nahm 1665 an den Grands Jours d’Auvergne teil und ging 1683 auf Veranlassung von Ludwig XIV. nach Paris, wo er seine juristischen Werke verfasste, Voeltzel, Jean Domat, S. 57 ff., 62 ff.; Holthöfer, Domat, S. 180; Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 37. 295 Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 540, 545; Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 26. 296 Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 70 f. m.w.N., 104 f.; Thieme, Seconde scolastique espagnole, S. 18; Todescan, Domat et les sources du droit, S. 56; Gilles, Pensée juridique, S. 272. – Der Einfluss der Spätscholastiker mag erstaunlich erscheinen, handelte es sich bei ihnen doch vor allem um Jesuiten. Dieser Bezug lässt jedoch Domats Ausbildung erkennen. 297 Für einen Überblick siehe Gilles, Pensée juridique, S. 11 ff. m.w.N. Noda, Domat et le Code Civil, S. 9, 13, misst ihm große Bedeutung bei; ebenso Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 26 f. Arnaud, Origines doctrinales, S. 147, widerspricht dieser Einschätzung aus bestimmten Gründen. 298 Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 538; Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 26 f. 299 Noda, Domat et le Code Civil, S. 23 ff., untersucht dies für das Deliktsrecht und kommt zu einem positiven Ergebnis: Die Einteilung in Art. 1370 Cc sei wie bei Domat und auch die Entwürfe zum Code civil wiesen Übereinstimmungen mit Domats Werk auf. Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 552: Domat habe vielen Vorschriften einen Sinn gegeben, der auch im Code civil noch unverändert fortbestehe. 300 So Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 552. 301 Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 226; Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 535, 539, 557.
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vorgenommen 302 und im Deliktsrecht im Anschluss an Grotius303 eine Generalklausel aufgestellt. 304 Vor allem seine Methode zeichnete ihn aus und ebnete seinem Erfolg in Frankreich (und seinem Einfluss auf den Code civil) sowie seiner Ausstrahlung auf die europäische Rechtswissenschaft den Weg.305 1. Anliegen Domats Wie viele andere seiner Zeitgenossen setzte sich auch Domat zunächst intensiv mit dem römischen Recht auseinander. In „Legum Delectus ex libris Digestorum et Codicis“ stellt er die Vorschriften des römischen Rechts dar, die für seine Zeit und die Praxis von Bedeutung waren 306 – im Schadensersatzrecht finden sich folglich die Regeln der lex Aquilia.307 Mit dieser Analyse leistete er die Grundlagenarbeit, auf der seine „Loix civiles“ aufbauen konnten. Was genau ihn zum Verfassen der „Loix civiles“ veranlasste, lässt die eben dargestellte Rechtslage im 17. Jahrhundert erkennen: Auch Domat empfand die durch das Nebeneinander von römischem Recht, Gewohnheitsrecht, Edikten, Verordnungen und teilweise auch kanonischem Recht entstandene Rechtsunsicherheit als störend.308 Das französische Recht bot sich aus seiner Sicht für eine Vereinheitlichung allerdings nicht an: Es fehle an einer festen und absoluten Autorität.309 Als Grundlage für ein einheitliches Recht sah Domat vielmehr das römische Recht – zu dieser Zeit in Frankreich auch als „loix civiles“ bezeichnet310 – als geeignet an: 311 Es verinnerliche die Prinzipien des Naturrechts und der Billigkeit wie kein anderes gesetztes Recht, 312 weswegen er die Bücher des 302
Todescan, Domat et les sources du droit, S. 55. Gilles, Doctrine, S. 67. 304 Noda, Domat et le Code Civil, S. 28. Dazu gleich S. 75. 305 Gilles, Doctrine, S. 85; ders., L’esprit de la codification, S. 140; Noda, Domat et le Code Civil, S. 15; Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 549, 551. Näher zur Methode S. 70 ff. 306 Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 54 f. 307 Domat, Legum Delectus, IX, 2. 308 Domat geht auf die einzelnen Rechtsquellen im Traité des loix noch ausführlicher ein: a.a.O., XIII, 9 f. 309 Dazu sowie zum Folgenden jeweils Domat, Loix civiles, Préface, Sur le dessein de ce Livre [Seitenangaben fehlen]. 310 Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 98. 311 Grundlage der „Loix civiles“ war daher das römische Recht. Enthielt das französische Gewohnheitsrecht in bestimmten Rechtsfragen Regelungen, die von diesem abwichen, ignorierte Domat dies schlicht und erörterte nur das römische Recht, siehe Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 137, 171. Domat habe es als einfacher angesehen, das römische Recht zu verbessern als die Coutumes zu reformieren, ders., a.a.O., S. 171. 312 Dazu auch Arnaud, Origines doctrinales, S. 69 ff.; Noda, Jean Domat et le Code Civil français, S. 16. Domat ging es genau darum, derartige Regeln zu finden: Gilles, L’influence du droit romain, S. 57 f. Daneben dürfte auch Domats juristische Ausbildung, die am römischen Recht orientiert und ausgerichtet war, diese Wahl erklären, siehe dens., Deux regards sur le droit romain, S. 149. 303
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römischen Rechts auch als „dépôt des règles naturelles de l’équité“ bezeichnete.313 Als großen Nachteil empfand er jedoch die große Unübersichtlichkeit und mangelnde Systematik der Digesten, die es dem Rechtsanwender erschwerten, übergeordnete Prinzipien zu erkennen und das Recht zu verstehen.314 Vielfach finde man nur eine Anhäufung von Regeln ohne inhaltlichen Zusammenhang, der Bezug zu generellen Prinzipien sei nicht sichtbar, und Unnützes und Überflüssiges erschwerten das Lesen und Erkennen des Wesentlichen. Zudem seien viele Regeln auf spezielle Fälle zugeschnitten, allgemeine Prinzipien würden dagegen fehlen. Viele Anwendungsfehler hätten ihre Ursache in diesen Defiziten. Ein Anliegen Domats war es daher, die Regeln des römischen Rechts in ihre natürliche Ordnung zu bringen, sie also unter übergreifende und beherrschende Prinzipien zu stellen, um dadurch das Studium des Rechts zu vereinfachen und es nützlicher und angenehmer zu machen, denn trotz der aufgezeigten Mängel war er von deren Eignung für einen „corpus iuris“ überzeugt. 315 Sein primäres Ziel war es aber nicht, eine „Kodifikation“ zu schaffen oder das Recht zu vereinheitlichen, sondern eine Art Lehrbuch zu schreiben und das römische Recht verständlich darzustellen.316 Dies wollte er durch eine gewisse Kürzung sowie mehr Klarheit erreichen: Unnützes sollte gestrichen, vergleichbare Fälle unter verallgemeinernde Prinzipien zusammengefasst werden. Gleichwohl sollte seine Darstellung aber kein bloßer Abriss des römischen Rechts sein: Domat bemühte sich, alle wichtigen Details beizubehalten und legte großen Wert darauf, eine Regelung nicht aus ihrem (Sinn-)Zusammenhang zu reißen. Dennoch war er auch bemüht – wo ihm dies erforderlich erschien –, eine Anpassung an seine Zeit vorzunehmen und das Recht auf ein christliches Fundament zu stellen.317 Gewisse Änderungen betreffen auch die Struktur der Darstellung: Domat wich nicht nur von der klassischen römischen Dreiteilung in personae, res, actiones ab, sondern wählte auch eine andere Einteilung im Obligationenrecht
313 Domat, Loix civiles, Préface, Sur le dessein de ce Livre. Um das mit Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 125, zu verdeutlichen: Das römische Recht stelle zwar nicht das Naturrecht dar, aber alle naturrechtlichen Regeln fänden im römischen Recht ihren Niederschlag. 314 Diese Einstellung zum römischen Recht – hohes Ansehen auf der einen Seite, Kritik an Systematik und Struktur auf der anderen – teilte Domat mit vielen seiner Zeitgenossen, siehe Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 136. Die kritische Haltung Domats und der Wille zur Systematisierung liegt schon in der Ausbildung Domats begründet, a.a.O., S. 149 f. 315 Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 137. Wie bereits erwähnt, war das römische Recht bis zum Jahr 1679 alleinige Ausbildungsgrundlage und für die französischen Juristen daher Pflichtstoff, siehe oben Fn. 235. 316 Gilles, L’esprit de la codification, S. 136, 109: er war geleitet von einer „volonté pédagogique“. 317 Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 162 ff.; ders., L’esprit de la codification, S. 108; Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 198 f.
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(er unterschied nur zwei Arten von Verpflichtungen: auf der einen Seite familiäre, die aus Ehe oder Geburt entstehen, auf der anderen Seite alle weiteren). 318 Im Ergebnis ging es ihm also darum, das Recht neu zu organisieren und zu systematisieren, um es dadurch handhabbarer und leichter verständlich zu machen und seine Anwendung in der Praxis zu ermöglichen. 319 Ausführungen zu den Kritikpunkten am römischen Recht – Fremdheit und Geltungskraft – macht er dabei nicht: Er empfiehlt das römische Recht nicht als positives Recht, sondern will ein ideales Recht schaffen und greift dafür auf geeignete Regelungen und Gedanken des römischen Rechts zurück – die Frage nach der Legitimität musste er sich daher nicht stellen. 2. Grundlagen des Rechtssystems und Methode In der Methode Domats schimmert vor allem seine naturwissenschaftliche Ausbildung durch; sowohl Grotius als auch Pufendorf lassen sich darin erkennen. Sein Vorgehen ist deduktiv, wie erstmals bei Grotius in „De iure praedae“: Ausgehend von einem großen, übergreifenden Prinzip entwickelt und leitet er alle weiteren Regeln und sein Rechtssystem ab. 320 Er stellt die Verbindung zwischen einzelnen Regeln her, begründet unumstößliche Prinzipien und schafft ein rationales Rechtssystem. 321 Dabei geht er ähnlich geometrisch, nahezu mathematisch322 vor wie Pufendorf323 und erinnert ebenso an Descartes.324 Domat versteht die „Loix civiles“ als Gesetze, die sich direkt aus unserer Natur ergeben.325 Ihren Ursprung sieht er dabei in bestimmten obersten Prinzipien, die die Fundamente der menschlichen Gesellschaftsordnung bilden. 326 All diese führt er auf Gott zurück; 327 die Religion stellt für ihn das „natürlichste 318 Gilles, Doctrine, S. 64; ders., L’esprit de la codification, S. 126 f. Zu dieser Einteilung siehe Domat, Traité des loix, II, 3. 319 Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 170. 320 Todescan, Domat et les sources du droit, S. 60 f.; Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 546 ff.; Gilles, Pensée juridique, S. 20. 321 Funck-Brentano, Le droit naturel, S. 492, sieht darin den großen Vorzug von Domats Methode. 322 Renoux-Zagamé, Domat, S. 255; Todescan, Domat et les sources du droit, S. 58, 65; Gilles, Doctrine, S. 65. 323 Ähnlich Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 103; Gilles, L’esprit de la codification, S. 164. 324 Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 26; Husson, Transformations de la responsabilité, S. 214, bezeichnet ihn auch als den „Descartes de la science juridique“. 325 Zum besseren Verständnis stellte Domat den „Loix civiles“ einen „Traité des Loix“ voran, in dem er erklärt, woher alle Regeln und Gesetze rühren und welche Prinzipien ihnen zugrundeliegen. 326 Domat, Loix civiles, Préface, Sur le dessein de ce Livre. 327 Domat, Traité des Loix, I, 1; XI, 32; XII, 18; ebenso ders., Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 1, Nr. 3: „Les règles du droit naturel sont celles que Dieu a luy-même établies, & qu’il enseigne aux hommes par la lumière de la raison.“
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Fundament dieser menschlichen Gesellschaftsordnung“ dar, 328 und Gott ist der Ausgangspunkt seiner Gedanken. 329 Der bereits hier deutlich hervortretende Bezug zur Theologie kennzeichnet das gesamte Werk Domats. Im Unterschied zu anderen zeitgenössischen Naturrechtlern schafft Domat kein säkularisiertes Recht; Recht und Religion sind bei ihm untrennbar verbunden und sein Rechtssystem gründet auf theologischem Fundament. 330 Damit wirkt er geradezu „anachronistisch“ 331 im Vergleich zum nicht-konfessionellen Naturrecht des 17. Jahrhunderts.332 Trotz des Bezugs zur Religion misst er diesen Regelungen allgemeine Geltung bei: Gleich an mehreren Stellen weist er darauf hin, dass jeder bestimmte Prinzipien und Gesetze beachten und respektieren müsse, auch wenn er die Religion nicht anerkenne, denn diese ergäben sich gleichermaßen aus der Natur des Menschen, beruhten auf der Vernunft und seien jedem erkennbar.333 In seinen weiteren Ausführungen hält er aber an dem theologischen Fundament fest: Alle Regeln, Gesetze und Prinzipien ließen sich zurückführen auf zwei Gesetze: 1. Gott zu lieben, 334 und 2. die Pflicht der Menschen, sich zu vereinigen und einander zu lieben (I, 7; XII, 18).335 Domat stellt damit das Doppelgebot der Liebe in den Mittelpunkt seines Systems. 336 Durch diese ge-
328 Domat, Traité des Loix, IX, 8: „… le fondement le plus naturel de l’ordre de la société.“ 329 Gilles, Pensée juridique, S. 20. 330 Gilles, Doctrine, S. 63; ders., Deux regards sur le droit romain, S. 171; Arnaud, Origines doctrinales, S. 144 ff.: Domats Vorgehen war vor allem deshalb besonders, weil die Juristen zu seiner Zeit das Recht gerade von der Religion lösten. Ähnlich Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 83. 331 Todescan, Domat et les sources du droit, S. 66. 332 Ähnlich Arnaud, Origines doctrinales, S. 72. 333 Domat, Traité des loix, I, 1; IX, 5; XI, 20; XI, 33; Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 1, Nr. 9. Siehe dazu auch Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 109; Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 101; Voeltzel, Jean Domat, S. 183. 334 Domat verweist an dieser Stelle auf Mt. 22, 38, wo es in Bezug auf die Liebe zu Gott heißt: „Dies ist das vornehmste und größte Gebot“. 335 Die Angaben in Klammern beziehen sich auf Domats „Traité des loix“. – Auf diese Liebe zu Gott und zu seinen Nächsten geht Domat ausführlich auch in der „Harangue prononcée aux assises de l’année 1682“ ein, vgl. Domat, Harangues, S. 107 ff. Die Bedeutung dieser Liebe für die Menschen und die Gesellschaft fasst folgende Stelle zusammen: „C’est donc l’amour qui doit être le lien de la société des hommes, et qui est l’esprit de toutes les lois, et c’est seulement par l’amour qu’elles s’accomplissent, et c’est aussi l’amour qui est le principe naturel et l’unique ressort que Dieu a donné à l’homme pour le faire agir“, a.a.O., S. 110. Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 170 ff., zeigt anhand einer Analyse der Harangues auf, dass sich dieses Gebot der gegenseitigen Liebe bei Domat erst allmählich entwickelt hat: Zunächst stellte dieser nämlich nur auf die Liebe zu Gott ab, erst 1671 dann auch auf die Nächstenliebe. 336 Daran lässt sich deutlich Domats humanistische Einstellung erkennen. Wie Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 174, betont, macht Domat dieses Gebot schon in den Harangues
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genseitige Liebe seien die Menschen untereinander verbunden und dazu bestimmt, zusammen in einer Gesellschaft zu leben (I, 8). 337 Denn sie seien aufeinander angewiesen (II, 2; IX, 3); folglich sei alles auf die Gesellschaft ausgerichtet (II, 2). Diese könne jedoch nur erhalten werden, wenn das zweite Gesetz beachtet werde. Dessen Verwirklichung ist für Domat darum Sinn aller Verpflichtungen des Menschen und konsequenterweise sieht er sämtliche Prinzipien in der gegenseitigen Liebe begründet (II, 3; IV, 5). 338 Zu diesen Prinzipien gehöre, dass man anderen keinen Nachteil zufüge (ne faire tort à personne).339 Denn aus dem zweiten Gesetz ergäben sich für den Menschen zwei Gebote: 1. sich gegenüber anderen so verhalten, wie man das auch gegenüber sich selbst möchte; 2. anderen nicht antun, was man auch nicht will, dass sie uns antun.340 Aus dieser „goldenen Regel“, die er der Bibel entnimmt341 und die für ihn ganz wesentlich ist, 342 zieht Domat das Verletzungsverbot „ne faire tort à personne“ (neminem laedere).343 Auch hier betont er jedoch, dass dieses nicht nur auf die Bibel zurückzuführen sei, sondern ebenso eine Regel der Gerechtigkeit und der Billigkeit darstelle, die durch die Vernunft jedem erkenntlich sei und deren Wahrheitsgehalt und Autorität deshalb nicht in Frage stünden344 – durch diese Loslösung von der Religion verschafft er dieser Regel auch universelle Geltung. Überhaupt misst Domat der „équité naturelle“ eine besondere Bedeutung bei: Aus ihr ergäben sich nicht nur alle zum Postulat seines Systems, „les tentatives de justification de ce postulat ne sont que des arguments a posteriori“. 337 Siehe auch Domat, Harangues, S. 109. 338 Ebenso Domat, Harangues, S. 107. Jede Unordnung beruhe daher schlichtweg auf einem Verstoß gegen das zweite Gesetz: Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 91. 339 Siehe Domats Begründung in den Harangues, S. 110: „suite naturelle et nécessaire de la loi de l’amour“. 340 Domat, Traité des loix, V, 4: „… faire aux autres ce que nous voudrions qu’ils fissent pour nous, … ne faire à personne ce que nous ne voudrions pas que d’autres nous fissent“. 341 Er verweist an dieser Stelle auf Mt. 7, 12 („Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch“) und Lk. 6, 31 („Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, also tut ihnen gleich auch ihr“), jeweils Übersetzung von Luther (1912). 342 Auch der mit Domat befreundete Kanzler d‘Aguesseau wird diese später aufgreifen, siehe unten S. 86 f. sowie Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 544. 343 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Domat ähnlich wie schon Grotius, der sich in „De iure praedae“ ebenfalls auf diese Bibelstelle bezieht, das Handlungsgebot dem Verletzungsverbot voranstellt, also zunächst hortativ und anschließend prohibitiv formuliert. Er nimmt die Bibelstelle als Ausgangspunkt und leitet daraus im Umkehrschluss auch die negative Aussage ab. – Zusammen mit dem weiteren Gebot, jedem das (zurück-)zu geben, was ihm gehört („rendre à chacun ce qui lui appartient“), sind diese Prinzipien Ausdruck der schon bei Grotius angeführten ausgleichenden Gerechtigkeit: Ghestin, Domat et le Code Civil, S. 549. 344 Domat, Traité des loix, IX, 5. Im Préface bezeichnet er es auch als „natürliches und unveränderliches Prinzip der Billigkeit“; ders., Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 1, Nr. 5; ders., Harangues, S. 110 (dazu auch Fn. 349).
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Regeln, 345 er sieht sie auch als Maßstab für Anwendbarkeit und Auslegung von Gesetzen346 und die Gerechtigkeit,347 und auch bezüglich des Umfangs der Ersatzpflicht sei sie zu berücksichtigen. 348 Das Verletzungsverbot zählt Domat zu den natürlichen und unveränderlichen Gesetzen.349 Er sieht es als so essentiell für den Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung an, dass ohne dieses das Fundament der Gesellschaft zerstört würde (XI, 1). Folglich könne keine Autorität es ändern (XI, 1) – selbst Gott nicht350 – und es selbst sei Ausdruck der Gerechtigkeit und der Vernunft (XI, 20).351 Gleichermaßen folge daraus das natürliche Gesetz, dass derjenige, der einem anderen einen Nachteil zufügt, verpflichtet sei, diesen zu ersetzen: „c’est une loy naturelle, que celuy qui a donné sujet à quelque dommage, soit obligé à le réparer.“352
Auch im Schadensersatzrecht nimmt er auf dieses Verbot noch einmal explizit Bezug: „C’est une suite naturelle … de l’engagement général de ne faire tort à personne, que ceux qui causent quelque dommage, … sont obligez de réparer le tort qu’ils ont fait.“ 353
Diese Verpflichtung entstehe auch ohne den Willen der Beteiligten; sie sei allein auf Gott zurückzuführen und dem Menschen durch die Pflicht zur gegenseitigen Liebe auferlegt. 354 Domat klassifiziert sie daher als eines der „engagemens qui se forment sans conventions“. 345 346
Domat, Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 2. Domat, Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 1, Nr. 23: „loy universelle qui s’étend à
tout“. 347 Domat, Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 2: „esprit universel de la justice“; ähnlich a.a.O., Nr. 1. 348 Siehe dazu sogleich S. 74 ff., Fn. 366 sowie Gilles, L’influence du droit romain, S. 66 m.w.N. 349 In den Harangues, S. 110, bezeichnet Domat es als eines der „lois immuables et écrites dans tous les esprits, et tellement inséparables de la lumière de la raison.“ Er unterscheidet diese „loix naturelles et immuables“ von den „loix arbitraires“. Erstere hätten ihren Ursprung in den ersten beiden Gesetzen (und seien durch Gott geschaffen), letztere seien auf die Menschen zurückzuführen. Zu dieser Einteilung ders., Traité des Loix, XI; Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 1, Nr. 1 ff.; siehe auch Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 102 ff. 350 Voeltzel, Jean Domat, S. 186, Fn. 4, zeigt eine Parallele zu Grotius auf, der ebenfalls die Unveränderlichkeit durch Gott betont. Dennoch könnten nach Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 123, Domats „lois immuables“ wohl nicht mit Grotius’ „lois naturelles“ gleichgesetzt werden. 351 Ebenso Domat, Loix civiles, Livre préliminaire, 1, 1, Nr. 3. Siehe dazu auch Voeltzel, Jean Domat, S. 182. 352 Domat, Traité des loix, XI, 26. 353 Domat, Loix civiles, III, 5. 354 Domat, Loix civiles, II, vor Titel 1. Gleich zu Beginn dieses Abschnits betont Domat noch einmal, dass die Gesellschaft für den Menschen von Natur aus notwendig sei.
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3. Schadensersatzrecht Schon die Überschrift von Titel VIII in Buch II zum Schadensersatzrecht weist auf gewisse Unterschiede zu Grotius oder Pufendorf hin: „Des dommages causez par des fautes qui ne vont pas à un crime, ny à un délit“. Es soll hier also um Schäden gehen, die nicht aus einem „crime“ oder „délit“ resultieren. Ganz offensichtlich hatte Domat damit ein anderes Verständnis von dem Begriff „délit“ als zum Beispiel Grotius:355 Wie es im Ancien droit gängig war, verortet er „délit“ in erster Linie im Strafrecht und in Zusammenhang mit Strafen, nicht dagegen in der zivilrechtlichen deliktischen Haftung. 356 Sind die Ausführungen in diesem Titel zum einen deutlich vom römischen Recht geprägt – was schon die überall angeführten Verweise auf die lex Aquilia zeigen –, so sticht zum anderen gleichermaßen die Lehre von der restitutio hervor.357 Die Ausführungen zum Schadensersatz sind in vier Abschnitte unterteilt. Domat beginnt mit einigen besonderen Fällen: Abschnitt I – Schäden, die durch aus dem Fenster geworfene/gefallene Sachen entstehen; Abschnitt II – durch Tiere verursachte Schäden; Abschnitt III – Schäden durch Einsturz eines Hauses (oder durch Teile, die von einem Haus abfallen). Der Bezug zum römischen Recht ist offensichtlich: Für all diese Fälle gab es auch dort besondere actiones.358 Auch inhaltlich stimmt Domat überwiegend mit diesem überein; allerdings geht er aber auch in manchen Fragen über die Lösung des römischen Rechts hinaus, zum Beispiel indem er für die Tierhalterhaftung eine Generalklausel formuliert. 359
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So auch Descamps, Origines de la responsabilité, S. 274. Domat, Loix civiles, II, 8, vor Abschnitt 1: „Car les crimes & les délits ne doivent pas être mêlez avec les matières civiles“. Dennoch wird später deutlich, dass auch in diesen Fällen Entschädigung zu leisten ist: Die Höhe richte sich nämlich nach der Qualität des Ereignisses, durch das der Schaden verursacht wurde, sei es „un crime, un délit, une tromperie: ou si c’est seulement quelque faute, quelque négligence“, siehe a.a.O., III, 5. Eine Definition der Begriffe „crime“ und „délit“ findet sich in Domats Buch zum öffentlichen Recht: „On appelle crime ou délit une injustice qui mérite punition“: Domat, Le droit public, III, Tit. 1 – auch an dieser Stelle wird der Zusammenhang mit der Strafe deutlich. 357 Gilles, Pensée juridique, S. 272 f. 358 Gilles, L’esprit de la codification, S. 135; ders., Pensée juridique, S. 273 m.w.N., weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass sich ein ähnlicher Aufbau zu dieser Zeit auch in der übrigen Lehre findet. 359 Domat, Loix civiles, II, 5, 2, 5: „De tout autre dommage qui peut être causé par des animaux, celui qui en est le maître ou qui en est chargé, en sera tenu, s’il pouvoit ou devoit prévenir le mal“; dazu Gilles, Pensée juridique, S. 275 f. Dass er diese Fälle wie selbstverständlich unter den Titel „dommages causez par des fautes“ fasst, zeigt, dass er faute nicht einfach mit Verschulden gleichsetzt, sondern auch hier ein etwas anderes Verständnis hat, ähnlich Feenstra, Grotius’ doctrine of liability, S. 168. 356
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a) Die deliktische Generalklausel bei Domat In Abschnitt IV wendet er sich anschließend anderen Schadensarten zu. An den Anfang stellt er dabei folgende Bestimmung: „Toutes les pertes, & tous les dommages qui peuvent arriver par le fait de quelque personnes, soit imprudence, legereté, ignorance de ce qu’on doit scavoir, ou autres fautes semblables, si legeres qu’elles puissent être, doivent être réparées par celui dont l’imprudence ou autr e faute y a donné lieu. Car c’est un tort qu’il a fait, quand même il n’auroit pa eu intention à nuire.“360
Mit dieser Regelung formuliert Domat eine Generalklausel für die deliktische Haftung: Alle Verluste und Schäden, die durch einen anderen verursacht werden, müssen von diesem ersetzt werden. Wie gezeigt, leitet er dies als natürliche Folge aus dem Verletzungsverbot ab. 361 Anknüpfungspunkt ist die faute,362 unter die er auch fahrlässige Verursachungen fasst, die auf Leichtfertigkeit, Beiläufigkeit oder Unkenntnis dessen, was man wissen muss, zurückzuführen sind.363 Weitere Tatbestandsmerkmale sind auch bei ihm ein dommage (oder perte364) und Kausalität. Doch was genau versteht Domat unter einem „dommage“? Will er tatsächlich „alle Verluste und alle Schäden“ erfassen, wie es bei ihm heißt?
360 Domat, Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 1. Auch hier fallen im Vergleich zu den zuvor dargestellten Juristen sofort gewisse Unterschiede auf: Domat benutzt das zuvor noch nicht verwendete Wort „tort“, er zählt die verschiedenen Ausprägungen der faute auf – was zwar die Formulierung in die Länge streckt und deutlich unhandlicher macht, gleichzeitig aber auch Klarheit schafft – und er differenziert zwischen „pertes“ und „dommages“. Für eine Übersicht siehe S. 107. 361 Siehe oben Fn. 353. 362 Dies gilt im Übrigen auch in den vorhergehenden Abschnitten. Für den Tierhalter bestehe zum Beispiel eine Pflicht, seine Tiere zu bewachen und zu verhindern, dass sie anderen Schaden zufügen, siehe Domat, Loix civiles, II, 8, 2: „L’ordre qui lie les hommes en société … oblige aussi chacun à tenir tout ce qu’il possede en un tel état que personne n’en reçoive ni mal, ni dommage; ce qui renferme le devoir de contenir les animaux qu’on a en sa possession, de sorte qu’ils ne puissent ni nuire aux personnes, ni causer dans leurs biens quelque perte ou quelque dommage.“ Entstehe ein Schaden durch diese mangels guter Bewachung, sei der Halter ersatzpflichtig. Dies gelte auch für wilde Tiere, a.a.O., Nr. 9. Domat geht damit über das römische Recht hinaus: Billigkeit und öffentliches Interesse erforderten die Haftung. Siehe dazu auch Gilles, Pensée juridique, S. 284 m.w.N. – In anderem Zusammenhang sieht er dagegen von dem Erfordernis der faute ab (II, 8, 4, Nr. 9 a.E.) und begründet nach Husson, Transformations de la responsabilité, S. 172, eine Art „théorie du risque“. 363 Gilles, Pensée juridique, S. 278, weist darauf hin, dass Domat auch diese Unterteilung dem römischen Recht entnommen habe; er verstand darunter die culpa des römischen Rechts, Descheemaeker, Division of wrongs, S. 144 f. 364 Diese Unterscheidung findet sich auch noch an weiteren Stellen in diesem Abschnitt, z.B. in Nr. 9. Offensichtlich fasst Domat unter „pertes“ finanzielle Verluste/Schädigungen zusammen. In III, 5, 2, Nr. 11 (im Rahmen des Umfangs der Entschädigung) zählt er ver-
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Den weiteren Ausführungen in Abschnitt IV lässt sich eine eindeutige Antwort nicht entnehmen: Es geht dort um die Vorhersehbarkeit des Schadens, dessen Vermeidbarkeit sowie Auswirkungen des Zufalls („cas fortuits“). Eine Definition des Schadens oder Erörterungen dazu, was alles verletzt sein kann, – wie ja noch bei Grotius oder Pufendorf – finden sich hier jedoch nicht. Und auch im Rest des Werkes sucht man vergeblich nach klaren Aussagen. Vor der Darstellung der Generalklausel verweist Domat auf Abschnitt 2 des Titels 5 im dritten Buch über „interêts, dommages & interêts“. Zwar führt er dort zu Beginn aus, dass sich alle Schadensarten auf zwei Bereiche reduzieren ließen: Einerseits sichtbare Schäden, wenn eine Sache beschädigt wird, untergeht oder verloren wird; andererseits solche, die ohne Beschädigung oder Zerstörung entstehen und zu einem Verlust anderer Art führen. 365 Auch darauf geht er aber im Weiteren nicht näher ein; er befasst sich in diesem Titel vielmehr mit den Arten der Entschädigung. Domat unterscheidet „interêt“ (die Entschädigung, die der Schuldner einer Geldforderung leisten muss, wenn er seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen ist; dazu Abschnitt 1) sowie „dommage & interêt“ (Entschädigung in allen anderen Fällen unabhängig von der Art des Schadens; Abschnitt 2). Wer also deliktisch einen Schaden verursacht, hat „dommage & interests“ zu leisten. 366 Nicht immer aber begründet die Verursachung eines Schadens auch die Verpflichtung, Ersatz zu leisten. Die von Domat in diesem Zusammenhang angeführten Fälle sind insbesondere deshalb von Interesse, weil sie noch 100 Jahre später zu Art. 1382 Cc erörtert werden.367 Ein Beispiel betrifft die Schadensverursachung durch rechtmäßiges Handeln: Stoße jemand schiedene Schadensarten auf. Kommt ein Architekt seiner vertraglichen Pflicht, ein vermietetes Haus bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fertigzustellen/auszubessern, nicht nach oder übergibt er es mit Mängeln, entstünden drei Sorten von „pertes“: 1. die Kosten für den Wiederaufbau/Ausbesserung, 2. die dem Vermieter entgehenden Mieteinnahmen sowie 3. Schadensersatzansprüche des Mieters gegen den Vermieter – und da der Grund für das Entstehen dieser Verluste beim Architekten liegt, könnten ihm sämtliche dieser Posten auferlegt werden. Siehe auch gleich Fn. 365. 365 Domat, Loix civiles, II, 5; dabei hat er insbesondere solche finanziellen Schäden vor Augen, die durch vertragliche Pflichtverletzungen wie verspätete Zahlungen oder Nichtleistung entstehen. 366 Domat, Loix civiles, III, 5, 2, Nr. 1. Diese Entschädigung sei auch bei „crimes“ zu zahlen; um sie von Strafen abzugrenzen, werde sie dann aber als „interest civil“ bezeichnet: III, 5, vor Abschnitt 1. Die Höhe der Entschädigung sei abhängig von faute, délit oder perte, und auch die Billigkeit (l’équité) könne sich mäßigend auf den Umfang auswirken, indem sie eine stärkere Betonung der Umstände der Schädigung oder des Grads des Verschuldens sowie der Motive und der Intention des Handelnden gebiete, a.a.O., III, 5, 2, Nr. 12; Nr. 18: „ou les bornes que l‘équité peut demander selon les differentes causes des dommages, la diversité des évenemens, & les circonstances“. Weiterhin erfordere es die natürliche Billigkeit, dass nur Schäden zu ersetzen sind, die vorhersehbar waren und die vernünftigerweise auferlegt werden können, und dass für die Entschädigung einheitliche Regeln bestehen, ders., Traité des loix, XI, 26. Der Ersatzpflicht sind damit gewisse Schranken gezogen. 367 Siehe dazu unten S. 163 ff.
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beim Graben in seinem eigenen Garten auf eine Wasserquelle und mache sich diese zunutze, entstehe dem Nachbarn, bei dem nun weniger (oder gar kein) Wasser mehr aus dieser Quelle ankommt, ein Schaden. Er könne dafür jedoch keinen Ersatz verlangen, denn der Grabende habe nur von seinem eigenen Recht Gebrauch gemacht. Ähnlich beurteilt er den Fall, dass jemand rechtmäßig ein Gebäude errichtet und dadurch dem Nachbarn das Licht oder die Aussicht nimmt: Auch hier bestehe kein Ersatzanspruch. 368 Obwohl Domat das Erfordernis der „illicéité“ im Übrigen nicht hervorhebt oder betont, kommt es in diesem Fall genau darauf an; es stellt damit eine weitere (ungeschriebene) Voraussetzung der Haftung dar, die zuvor so noch nicht anzutreffen war. Im Ergebnis äußert sich Domat also auch in diesem Abschnitt zu „dommage & interêt“ nicht dazu, was vom Schutz der Generalklausel erfasst sein soll. Alle Beispiele in diesem Abschnitt betreffen ausschließlich Schäden in vertraglichen Beziehungen; 369 Beispiele für den außervertraglichen Bereich fehlen. Ganz zu Beginn des Titels 8 zu den „Dommages causez par des fautes qui ne vont pas à un crime, ni à un délit“ betont er jedoch, dass es in diesem Titel ausschließlich um solche fautes gehen solle, die weder im Rahmen einer (vertraglichen) Vereinbarung entstehen noch ein crime oder délit darstellen.370 Damit bleibt die Frage, was tatsächlich alles unter die Generalklausel fallen sollte, weiter unbeantwortet. Man könnte deshalb annehmen, dass Domat die Formulierung tatsächlich so weit verstanden hat, wie es der Wortlaut zulässt, und dass alle denkbaren Schäden erfasst sein sollen. Die Haftung wäre dann nicht auf die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder Rechts beschränkt, und auch das primäre Vermögen wäre mit geschützt. Der Formulierung läge damit ein Verständnis zugrunde, wie es auch heute in der französischen Literatur und Rechtsprechung hinsichtlich der Reichweite der Art. 1382 f. Cc angenommen wird. Dies erscheint aber zumindest zweifelhaft. Domat verfolgte mit den „Loix civiles“ lediglich das Anliegen, das römische Recht neu zu ordnen. Er wollte es vereinfachen und – wo möglich und erforderlich – allgemeine Prinzipien 368
Anderes gelte nur dann, wenn bei Ausübung eines Rechts konkret eine andere Sache beschädigt werde, so wenn beim Graben im eigenen Garten die Wand des Nachbarn beschädigt und dadurch deren Stabilität gefährdet werde. In diesem Fall könne dann aber auch direkt an die Verletzung des Eigentums angeknüpft werden. 369 In den meisten Fällen geht es um Probleme, die im Zusammenhang mit einem Mietoder Leihvertrag entstehen, siehe z.B. Loix civiles, III, 5, 2, Nr. 4, 6, 9. 370 Loix civiles, II, 8, vor Abschnitt 1. Vor diesem Hintergrund ist dann auch a.a.O., II, 8, 4, Nr. 2 zu verstehen: Dort betont Domat, dass auch die Nichterfüllung einer Vereinbarung eine faute darstelle. Wer in Verzug mit der Lieferung, Über- oder Rückgabe einer Sache sei, müsse nicht nur für die Schäden aufkommen, die durch die Verspätung entstehen, sondern auch für Verschlechterungen oder den Untergang des Gegenstands. Unter Beachtung der Abgrenzung in II, 8, vor Abschnitt 1, kann er in diesem Zusammenhang nur die Verschlechterung oder den Untergang des Gegenstand vor Augen gehabt haben.
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aufstellen. Das römische Recht war in deliktsrechtlicher Hinsicht durch vielfältige Kasuistik bestimmt, Rechtsgrundlage war die lex Aquilia. Ein allgemeines Prinzip der deliktischen Haftung gab es dort gerade nicht. Dass sich Domat mit der Formulierung eines solchen, welches alle denkbaren Schäden umfasst, aber völlig vom römischen Recht abwenden wollte, erscheint unwahrscheinlich. Dagegen spricht zunächst, dass er dieses Prinzip im Anschluss an die speziellen Fälle aufstellt. Er hätte darauf genauso auch direkt am Anfang eingehen und Spezialfälle später erläutern können. Durch die von Domat gewählte Darstellung sticht dieses allgemeine Prinzip nicht als ein alles erfassender Grundsatz und etwas Neues hervor, sondern wirkt vielmehr als eine Art Ergänzung zu den zuvor aufgeführten Fällen. 371 Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass er direkt im Anschluss ein Beispiel (Verletzung eines Passanten durch leichtfertiges/fahrlässiges Verhalten) anführt, das nicht nur vollkommen in die bisherige Kasuistik, sondern auch in die von Grotius und anderen als geschützt angesehenen Rechtsgüter (körperliche Unversehrtheit) passt. Die Anlehnung an das römische Recht und seine Kasuistik tritt hier deutlich hervor. 372 Weiterhin ist nicht anzunehmen, dass Domat die Haftung weit über die Fälle des römischen Rechts ausdehnt, ohne dies gesondert zu erläutern oder zu begründen, ging es ihm doch hauptsächlich um eine Neuordnung des römischen Rechts. Dass er auch die Verletzung des Lebens erfasst, steht dem nicht entgegen: Das Leben gehört zu den Rechtsgütern, die dem Menschen von Natur aus zustehen, und auch die lex Aquilia war auf diese Fälle ausgeweitet worden. 373 Eine ganz andere Sache ist die Beeinträchtigung des bloßen Vermögens. Nach der lex Aquilia gab es dafür keinen Ersatz, und das Vermögen gehört nicht zu den Dingen, die dem Menschen von Natur aus gegeben sind und diesem absolut zustehen. Es in den Schutz mit einzubeziehen, hätte eine radikale Änderung gegenüber der gemeinrechtlichen Lehre bedeutet. 374 Es ist kaum anzunehmen, dass Domat eine derartige Änderung in diesem Rahmen ohne Erläuterung vorgenommen hätte. Dieser Einwand erfährt dadurch eine gewisse Verstärkung, dass Domat an anderer Stelle gerade den Unterschied zum römischen Recht hervorhebt. In Buch II, Titel 8, Abschnitt 3 (Schäden durch vom Haus fallende Teile) schreibt er: „Comme dans cette manière nôtre usage est different de la 371
Ähnlich Gaudemet, L’influence du droit romain, S. 119 f.; ders., Tendances à l’unification, S. 171. Bei den Abschnitten I-III handelt es sich um Sonderfälle; diese würde man doch eher im Anschluss an das allgemeine Prinzip als besondere Abweichung vom Grundsatz erwarten. 372 Descamps, Origines de la responsabilité, S. 427; Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 62. 373 Siehe dazu nur Zimmermann, Law of Obligations, S. 1024 f. 374 Im Usus modernus fand zwar eine Ausdehnung der lex Aquilia auch auf primäre Vermögensschäden statt, Schröder, Zivilrechtliche Haftung, S. 144 ff. Dies entsprach jedoch nicht der gemeinrechtlichen Auffassung: Zimmermann, Law of Obligations, S. 1022 f.
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disposition du droit Romain“. Im Zusammenhang mit der Generalklausel fehlt dagegen ein derartiger Hinweis. Dies bildet ein gewichtiges Indiz dafür, dass Domat an dieser Stelle gerade nicht vom römischen Recht abweichen wollte bzw. inhaltlich eine Übereinstimmung mit diesem sah, denn andernfalls läge es nahe, dies ebenso zu kennzeichnen. Auffällig ist zudem, dass es bei allen dargestellten Beispielen – sowohl in Abschnitt IV wie auch in den vorhergehenden – immer nur um Verletzungen bestimmter Rechtsgüter und Rechte, nämlich der Person (Körper, Gesundheit, Leben) oder des Eigentums (hauptsächlich Beschädigungen von Sachen), geht. Im außervertraglichen Bereich sind das die einzigen Schäden, die Domat erörtert. Auch ihm kamen andere Fälle damit anscheinend nicht in den Sinn. Schließlich spricht auch eine weitere Stelle, an der deutlich wird, wie sehr Domat den Vorstellungen des römischen Rechts verbunden war, dafür, dass er primäre Vermögensschäden gerade nicht unter die deliktische Generalklausel fassen wollte: Es geht dabei um die Rechtsfolgen, die er an die Nichtigkeit von Verträgen knüpft, die aus dem Irrtum einer der Parteien bzw. der anfänglichen Unmöglichkeit der Vertragserfüllung resultiert. b) Ersatzpflicht im Falle nichtiger Verträge Ganz allgemein führt er dazu zunächst aus, dass Irrtum und Gewalt die Nichtigkeit einer Vereinbarung begründen können. 375 Konkreter zur Ersatzpflicht im Falle nichtiger Verträge – oder anders: zum Verschulden bei Vertragsschluss – wird er dann in dem Abschnitt, der die Nichtigkeit von Vereinbarungen zum Gegenstand hat. 376
375 Domat, Loix civiles, I, 1, 2, Nr. 2: „Les conventions étant des engagements volontaires, qui se forment par le consentement, elles doivent être faites avec connoissance et avec liberté; et si elles manquent de l’un ou de l’autre de ces caracteres, comme si elles sont faites par erreur, ou par force, elles sont nulles suivant les regles qui seront expliquées dans la section V.“ Dazu auch noch a.a.O., I, 1, 5, Nr. 10. 376 Auf arglistige Täuschung und Zwang und die daraus folgende Schadensersatzpflicht geht er separat ein. Der Vertrag sei in diesem Fall nichtig und der Geschädigte habe einen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens, Domat, Loix civiles, I, 18, 1, Nr. 10 (zur Täuschung): „Si c’est par le dol de l’un des contractans que l’autre a été trompé par une erreur de fait; comme si l’un retenoit caché le titre de l’autre, la convention sera annullée; & celui qui a retenu ce titre sera tenu de tous les dommages & intérêts qui auront été les suittes de ce dol“; a.a.O., I, 18, 2, Nr. 2 (zum Zwang): „Toute convention ou l’un des contractans n’a consenti que par force, est nulle: & celui qui a exercé la force en sera puni selon la qualité du fait, & tenu de tous les dommages & interêts qu’il aura causez.“ Diese Fälle stellen jedoch keine Besonderheit dar, da die arglistige Täuschung und der Zwang als solche schon ein Delikt begründen. Dazu auch Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 243 sowie bereits oben S. 11.
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Es geht dabei um den Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen. Derartige Verträge seien nichtig (anfängliche Unmöglichkeit). 377 Eine Folge dieser Nichtigkeit sei eine Pflicht zum Ersatz des entstandenen Schadens: „Les conventions qui se trouvent nulles par quelque cause dont un des contractants doive répondre, comme s’il a aliéné une chose sacrée, ou publique, ont cet effet, quoique nulles, d’obliger aux dommages & intérêts, celui qui y donne lieu.“ 378
Diese Ersatzpflicht trifft die Vertragspartei, die die Nichtigkeit zu verantworten hat („cause dont un des contractants doive répondre“).379 Ganz im Einklang mit der übrigen Lehre im Ancien droit scheint Domat sie aus dem Vertrag herzuleiten: Obwohl dieser nichtig ist, verpflichtet er zum Ersatz des entstandenen Schadens: „les conventions … ont cet effet, quoique nulles …“. Damit bleibt Domat auch hier ganz auf der Linie des römischen Rechts. 380 Zwar betont Domat die vertragliche Natur dieses Anspruchs nicht explizit. 381 Seine Ausführungen lehnen sich jedoch an Sätze von Justinian und Modestinus an, die diese im Rahmen der actio empti, also der aus einem Kaufvertrag resultierenden Klage, formulierten.382 Daher liegt es nahe, dass auch Domat dies vor Augen 377
Domat, Loix civiles, I, 1, 5, Nr. 1: „Les conventions nulles sont celles qui manquant de quelque caractère essentiel, n’ont pas la nature d’une convention. … Si on avait vendu une chose publique, une chose sacrée, ou autre qui ne fût point en commerce“ sowie Nr. 11: „Les conventions où l’on met en commerce ce qui n’y entre point, comme les choses sacrées, les choses publiques, sont nulles.“ 378 Domat, Loix civiles, I, 1, 5, Nr. 14. 379 Das Erfordernis einer faute erwähnt Domat in diesem Zusammenhang zwar nicht explizit, aus der Formulierung „doive répondre“ lässt sich jedoch folgern, dass er es trotzdem nicht als entbehrlich ansah: Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 288. Die Haftung gründet auf dem Vorwurf, dass der Verkäufer eine Sache verkaufen wollte, von der er wusste, dass sie nicht verkehrsfähig ist. Dieses unmögliche Versprechen selbst stelle die faute, oder sogar Arglist, dar. 380 So auch Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 210; ders., Histoire du droit des obligations, S. 178. Procchi, Culpa in contrahendo, S. 140, verweist ebenso auf eine Fortsetzung der Tradition von Donellus und Cujas; ähnlich Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 280. 381 Procchi, Culpa in contrahendo, S. 140 f. 382 Den Text von Inst. 3,23,5 zitiert er dabei in der Fußnote: „Loca sacra vel religiosa, item publica, veluti forum, basilicam, frustra quis sciens emit; quae tamen si pro privatis vel profanis, deceptus a venditore emerit, habebit actionem ex empto, quod non habere ei liceat ut consequatur quod sua interest deceptum eum non esse.“ Siehe auch D. 18,1,62,1: „Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit, licet emptio non teneat, ex empto tamen adversus venditorem experietur, ut consequatur quod interfuit eius, ne deciperetur“. Zur Bedeutung dieser Stellen im römischen Recht Zimmermann, Law of Obligations, S. 241 ff.: Der Vertrag sollte nichtig sein, der gutgläubige Käufer jedoch über eine actio empti seinen Schaden (das negative Interesse) ersetzt bekommen. Siehe dazu auch Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 195 f., sowie Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 285 ff., der daneben ebenso die Beeinflussung durch Donellus betont, a.a.O., Rn. 280, 291.
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hatte und entsprechend von einer vertraglichen Haftung ausging. 383 Die hier typischerweise auftretenden primären Vermögensschäden wollte er – im Gegensatz zu Grotius oder Pufendorf – somit vertraglich und eben nicht deliktisch ersetzen. Dass er derartige Schäden im Übrigen doch unter die deliktische Generalklausel fassen wollte, ist danach sehr unwahrscheinlich. c) Bedeutung der Generalklausel Nach all dem ist anzunehmen, dass Domat die Generalklausel allein deshalb verfasst hat, um die Kasuistik des römischen Rechts zu überwinden. Er wollte das Deliktsrecht vereinfachen und übersichtlicher gestalten, indem er ein allgemeines Prinzip formulierte, das die bisher erfassten und denkbaren Fälle einschließt, nicht aber über das bestehende Recht hinausgehen und dies drastisch verändern.384 Dazu passt auch sein Hinweis im Préface, verallgemeinernde und übergreifende Prinzipien einführen zu wollen, ohne dabei aber den Sinn einer Regelung zu ändern 385 – diese Methode durchzieht sein gesamtes Werk. 386 Er bewirkt damit den Übergang von der Kasuistik zu einem allgemeinen Prinzip der deliktischen Haftung. 387 4. Zwischenergebnisse zu Domat In den „Loix civiles dans leur ordre naturel“ stellt Domat das zu seiner Zeit in Frankreich geltende römische Recht dar. Die aktuellen Gegebenheiten erfordern dabei gewisse Anpassungen und Modifikationen. Abweichungen von den ursprünglichen Bestimmungen sind dann geboten, wenn die Billigkeit dies ge-
383 Auch Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 289 ff., sowie Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 210, halten dies für möglich. 384 Dieser Ansicht sind auch Feenstra, Grotius’ doctrine of liability, S. 168: „He is not aiming at creating a new formula for liability for negligence, which would include a number of entirely new cases outside the Roman law”; Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 170 f.; Descamps, Origines de la responsabilité, S. 427, sowie Gilles, Pensée juridique, S. 271: „la réflexion du jurisconsulte clermontois autour de l’idée de responsabilité reste particulièrement tributaire des règles de droit romain, notamment pour les notions essentielles de faute et de dommage.“ 385 Siehe dazu oben S. 69. 386 Gilles, L’esprit de la codification, S. 128, weist allerdings zu Recht darauf hin, dass Domat diese Methode im Schadensersatzrecht nicht eingehalten hat: Das allgemeine Prinzip stellt er nicht ganz an den Anfang des Titels VIII, sondern geht erst in Abschnitt 4 darauf ein. 387 Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 170 f.
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bietet oder die französischen Coutumes vorzugswürdige Lösungen bereithalten.388 Domat erörtert die einzelnen Vorschriften in ihrem jeweiligen Zusammenhang, systematisiert das Recht und formuliert verallgemeinernde, übergreifende Prinzipien zur Strukturierung. Die deliktische Haftung stützt auch er auf eine Generalklausel. Formulierung und Tatbestandsmerkmale sind vergleichbar mit denen in den Generalklauseln von Grotius und Pufendorf. Das allgemeine Prinzip steht bei ihm aber nicht an derart zentraler Stelle wie noch bei jenen. Zunächst erörtert Domat besondere Fälle der Haftung, erst dann folgt die Generalklausel, die alle Elemente enthält, um die zivile Haftung zu begründen.389 Mit dieser will er alle weiteren Fälle erfassen und die Kasuistik des römischen Rechts überwinden. 390 Was allerdings den Umfang der deliktischen Haftung anbelangt, so findet sich bei ihm weder eine Definition des Schadens, noch setzt er sich explizit mit der Frage auseinander, was unter die Generalklausel fallen soll. Domat formuliert zwar, dass „alle Verluste und Schäden“ erfasst sein sollen, aber die übrigen Ausführungen zur außervertraglichen Haftung lassen erkennen, dass er nur an die bisher erfassten Verletzungen bestimmter Rechte oder Rechtsgüter (Leben, Körper, Eigentum) gedacht hat: Denn nur diese tauchen in seinen Beispielen auf. Hinzu kommt, dass er die Schadensersatzpflicht bei Verschuldung der Nichtigkeit eines Vertrags gerade nicht deliktisch begründet und den Ersatz dieser primären Vermögensschäden trotz Fehlens eines wirksamen Vertrags dem Vertragsrecht zuordnet. Aus diesen Gründen kann auch bei ihm von einem beschränkten Verständnis der Haftung ausgegangen werden. Auch wenn bei Domat direkte Verweise auf Grotius oder Pufendorf fehlen, so lassen sich doch gewisse Übereinstimmungen mit diesen feststellen. Wie Grotius leitet Domat das Naturrecht aus der Vernunft ab und geht deduktiv vor. Ebenso sieht er die Einhaltung des Verletzungsverbots und die damit verbundene Pflicht, Ersatz zu leisten, als notwendig an, um die Gesellschaft zu erhalten. Das Verletzungsverbot führt auch er im Ergebnis auf die Bibel zurück. Im Gegensatz zu Grotius hält Domat an diesem religiösen Fundament fest. 391 Auch in der Herangehensweise, der Konstruktion der Generalklausel und insbesondere im Bezug zum römischen Recht und der Beibehaltung der Kasuistik von
388 Gilles, L’influence du droit romain, S. 60, 62, mit Beispielen. Domat verehrte das römische Recht, war sich aber auch der Notwendigkeit von gewissen Anpassungen bewusst, a.a.O., S. 69. 389 Descamps, Origines de la responsabilité, S. 427. 390 Ebenso Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 171. 391 Gilles, Pensée juridique, S. 20.
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Domat unterscheiden sich beide.392 Während Grotius für Umsturz und Erneuerung steht, kann Domat eher als „Bewahrer“ charakterisiert werden: 393 Ihm ging es nicht um eine grundlegende Erneuerung des Zivilrechts 394 oder um „Innovation“; 395 zwar waren seine Methoden für die französische Rechtswissenschaft neu – ebenso sein stark philosophischer Ansatz –,396 nicht aber der Inhalt seines Buches.397 Dennoch: In Frankreich gab es vor ihm nichts Vergleichbares;398 Domat hat die Rechtswissenschaft und das Denken erneuert. Im Ancien Régime gab es kaum jemanden, der in gleichem Maße versuchte, die Bestimmungen des römischen Rechts zu verallgemeinern oder sie in übergreifenden Prinzipien zusammenzustellen. 399 Wie gezeigt stand die französische Rechtswissenschaft zu dieser Zeit dem römischen Recht überwiegend kritisch gegenüber – Domat hebt sich mit seinem Werk deutlich von seinen Zeitgenossen ab. Dass es dennoch einen derartigen Erfolg hatte, zeigt umso deutlicher dessen innere Qualität. Domat ging es allerdings auch nicht hauptsächlich darum, das römische Recht als solches darzustellen, sondern darum, dieses in das Naturrecht einzubetten und die dem Recht zugrunde liegenden Prinzipien herauszustellen. Domat unternimmt den Versuch, alle Gesetze auf ein einziges Prinzip zurückzuführen: die Liebe zu Gott und den Mitmenschen. 400 Gaudemet bringt
392 Feenstra, Grotius‘ doctrine of liability, S. 168; zustimmend Descamps, Origines de la responsabilité, S. 428 f. Feenstra hält im Ergebnis aufgrund dieser Unterschiede einen direkten Einfluss von Grotius auf Domat für eher unwahrscheinlich. Er weist zum Beispiel darauf hin, dass Domat andere Begrifflichkeiten verwende: Das Wort „maleficium“ aus Grotius’ deliktischer Generalklausel komme bei ihm nicht vor. Dies spreche gegen eine Übernahme der Generalklausel durch Domat. Das Argument verliert jedoch insofern an Gewicht, als sich auch Domat mit diesem Begriff auseinandersetzt: Im „Droit public“ im Anschluss an die „Loix civiles“ schreibt er gleich im ersten Satz: „Car le mot de méfaits, qui pourroit signifier l’un & l’autre [crimes & délits; SW], n’est plus en usage“, siehe dens., Loix civiles, III, vor Titel 1. Obwohl seine Bemerkung inhaltlich in einem anderen Zusammenhang steht, so wird daraus doch deutlich, dass Domat den Begriff méfaits, französisch für maleficium, bewusst nicht verwendet hat, weil er nicht mehr in Gebrauch sei. Dies spricht aber gerade dafür, dass er die Verwendung durch Grotius und dessen Generalklausel kannte und sich möglicherweise daran orientierte. 393 Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 123; Noda, Domat et le Code Civil, S. 8, 12 f. 394 Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 172. 395 Gilles, Deux regards sur le droit romain, S. 173; Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 71 f., 98. 396 Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 2. 397 Renoux-Zagamé, Domat, le salut, le droit, S. 97; Gilles, Doctrine, S. 65 ff.; 70: „innovante et conservatrice à la fois“; ders., Deux regards sur le droit romain, S. 173, begründet Domats Ausstrahlung bis zum Code civil mit der „force intrinsèque“ seines Werkes. 398 Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 190. 399 Gilles, L’influence du droit romain, S. 64. 400 Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 2.
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Domats Bedeutung auf den Punkt, wenn er schreibt, sein Werk sei „die Verbindung zwischen den Romanisten und der Naturrechtsschule“. 401 Dass die Redaktoren des Code civil die „Loix civiles“ für die Kodifikation nicht umfassender heranzogen, 402 erklärt eine andere Besonderheit in Domats Werk: Was in gewisser Weise die Originalität Domats ausmacht – er entwickelt ein rationales Rechtssystem auf christlicher Grundlage –,403 wurde ihm im Hinblick auf seinen Einfluss auf die Vorschriften des Code civil zum Verhängnis: Ein christliches Recht war bei den Redaktoren des Code civil ebenso wenig durchzusetzen404 wie ein auf der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten aufbauendes Rechtssystem. 405 5. Ausstrahlung Wie bereits gezeigt, gehen die Meinungen über den direkten Einfluss Domats auf den Code civil auseinander. Offensichtlicher und klarer aufzuzeigen sind dagegen die Spuren, die Domat im wissenschaftlichen Diskurs des Ancien droit hinterlassen hat. Boutaric, auf den an anderer Stelle schon im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur lex Aquilia eingegangen wurde, lässt an einigen Stellen im Deliktsrecht einen Einfluss von Domat erkennen: Bestimmte Wendungen weisen eine große Ähnlichkeit auf und lassen auf eine Übernahme schließen, z.B. die faute „quelque legere qu’elle puisse être“ 406 (zum Vergleich Domat: fautes „si legeres qu’elles puissent être“ 407) oder die Begrenzung des Schadens „par la suite imprévûe d’un fait innocent, & par l’imprudence même ou la faute de celui qui l’a souffert“ 408 (bei Domat findet sich nicht nur dieselbe Formulierung: „par une suite imprévue d’un fait innocent“ 409, auch das sich daran anschließende Beispiel ist identisch).410 Auch der ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnte Bourjon verweist nicht nur auf die lex Aquilia, sondern auch auf die Ausführungen Domats.411 Noch stärker ist der Bezug auf Domat bei Serres, der, wie auch Chêne darlegt, zum Teil ganze Passagen von Domat übernimmt, ohne diesen jedoch als Quelle 401 Gaudement, Tendances à l’unification, S. 180. Ähnlich Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 210 f.: Domat gehöre zu jenen, die Gemeines Recht und Naturrecht miteinander vereinbaren wollten. 402 Der Einfluss auf die Redaktoren war verschieden: Gilles, Doctrine, S. 72; ders., L’esprit de la codification, S. 146 ff.; es überwog jedoch die Bevorzugung Pothiers. 403 Gilles, Pensée juridique, S. 22. 404 Arnaud, Origines doctrinales, S. 147; ähnlich Bardoux, Légistes, S. 42. 405 Gilles, Doctrine, S. 75. 406 Boutaric, Les instituts de Justinien, IV, 3. 407 Domat, Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 1; oben Fn. 360. 408 Boutaric, Les instituts de Justinien, IV, 3, § 5. 409 Domat, Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 3. 410 Chêne, L’enseignement du droit français, S. 310 f. 411 Siehe. z.B. Bourjon, Le droit commun de la France, VI, 3, 6, Nr. 5, 7.
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anzugeben.412 Dies betrifft zum Beispiel die Haftung für aus dem Haus geworfene Gegenstände 413 oder für wilde Tiere.414 Große Wertschätzung wird Domat zudem in der Encyclopédie von Denis Diderot zuteil. Dort wird ebenfalls beklagt, dass das römische Recht statt allgemeiner Prinzipien überwiegend nur spezielle Einzelfälle erörtere und es an einem methodischen Aufbau mangele. 415 Für das Studium des römischen Rechts empfiehlt er „de prendre pour guide celui qui a traité ces matières avec le plus de méthode, & toujours dans la vue de les ramener à ce droit primitif, qui doit être aussi commun à toutes les nations que la justice même“. 416 Domats Studie des römischen Rechts sei „la plus courte, la plus facile, & en même temps la plus utile“. 417 Die hinter der Encyclopédie sichtbar werdende aufklärende Ideologie gilt als Vorbereiter der Französischen Revolution und damit indirekt als Wegbereiter des Code civil. 418 Daneben ist Domat in der Literatur der Revolutionszeit erkennbar: Die Ausführungen zum Stichwort „Dommage“ in Guyots „Répertoire universel et raisonné de jurisprudence“ lehnen sich deutlich an Domat und dessen Schadensersatzrecht an. Der Bearbeiter führt die gleichen Beispielsfälle an wie Domat (u.a. Hauseinsturz, Tierhalterhaftung, Haftung für aus dem Haus geworfene Gegenstände, solidarische Haftung) und löst sie inhaltlich genau wie dieser. 419 Die faute definiert er ebenfalls genau wie Domat.420 Des Weiteren erweisen sich aber auch zwei andere französische Juristen als große Anhänger Domats, die möglicherweise als eine Art Verbindungsglied zwischen ihm und Pothier betrachtet werden können: d‘Aguesseau sowie Prévost de la Jannès.421
412
Chêne, L’enseignement du droit français, S. 311. Siehe zu Claude Serres bereits oben
S. 63. 413 Serres, Institutions du droit françois, IV, 5, §2: „Que si plusieurs habitent la même maison, chacun sera tenu solidairement de tout le dommane, si ce n’est qu’on pût connoître qui l’a causé, soit des maîtres, ou des personnes dont chacun doit répondre; mais si leur habitation est séparée, chacun n’est tenu que de ce qui est jetté des lieux qu’il occupe…“ – dies entspricht bis auf das Wort „maison“ (Domat verwendet stattdessen „lieu“) Domat, Loix civiles, II, 8, 1, Nr. 5. 414 Serres, Institutions du droit françois, IV, 9 – Domat, Loix civiles, II, 8, 2, Nr. 9. 415 Diderot, Encyclopédie, „Droit romain“, S. 425. 416 Diderot, Encyclopédie, „Droit civil ou romain“, S. 386. 417 Diderot, Encyclopédie, „Droit civil ou romain“, S. 386. 418 Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 428. 419 Guyot, „Dommage“, S. 180 ff. 420 Genau wie bei Domat lautet die Formulierung „ils ignorent les choses qu’ils devraient savoir“: Guyot, „Dommage“, S. 181. 421 Ähnlich Descamps, Origines de la responsabilité, S. 430 ff.
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a) Henri-François d‘Aguesseau Henri-François d‘Aguesseau (1668–1751), Kanzler unter Ludwig XV., machte sich zwar vor allem durch die von ihm initiierten Ordonnanzen und Vereinheitlichungsbemühungen während seiner Amtszeit einen Namen. 422 Zu seiner Bekanntheit trug aber auch eine Vielzahl von Werken und Veröffentlichungen bei, die nicht nur von den Redaktoren des Code civil, sondern auch noch im 19. Jahrhundert herangezogen wurden. 423 Unter anderem erteilt er eine Reihe von – an seinen Sohn gerichteten – Hinweisen, welche Werke man studieren solle, um Magistrat zu werden. Diese Instructions zeigen auf der einen Seite, welch große Bedeutung die Religion auch für d‘Aguesseau hatte,424 auf der anderen Seite lassen sie aber auch erkennen, dass er ein Anhänger des Naturrechts war.425 Er empfiehlt die Lektüre von Grotius.426 Die größte Wertschätzung bringt er daneben Domat entgegen, für den er voll des Lobes ist. 427 Domats auf der Religion aufbauendes Rechtssystem imponiert ihm, 428 und ein Einfluss ist in vielerlei Hinsicht unverkennbar. 429 Inhaltlich will Arnaud den Einfluss Domats für die hier relevante Frage der deliktischen Haftung insbesondere an einer Stelle festmachen: 430 d‘Aguesseau führt alle Pflichten der Menschen untereinander auf zwei oberste Regeln zurück: 1. anderen nicht tun, was man nicht will, dass sie uns tun, 431 und 2. immer zum Vorteil anderer handeln, wie man sich ja auch wünscht, dass sie sich auch uns gegenüber so verhalten. 432 Wie gezeigt, findet sich dies ganz ähnlich bei
422
Siehe dazu oben Fn. 224. Renoux-Zagamé, Aguesseau, S. 8. 424 Siehe dazu seine Hinweise zum Studium der Religion, d’Aguesseau, Œuvres complètes, Première instruction, S. 4 ff. 425 Wie auch Domat war d‘Aguesseau Jansenist, was sich an vielen Stellen in seinen Werken widerspiegelt, Arnaud, Origines doctrinales, S. 108 m.w.N. 426 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Première instruction, S. 9. 427 „Personne n’a mieux approfondi que cet auteur, le véritable principe des lois, et ne l’a expliqué d’une manière plus digne d’un philosophe, d’un jurisconsulte et d’un chrétien … c’est le plan le plus parfait de la société qui ait jamais paru“, d’Aguesseau, Œuvres complètes, Première instruction, S. 18. Dazu auch Funck-Brentano, Le droit naturel, S. 505. 428 Arnaud, Origines doctrinales, S. 108. Dennoch löste er sich von den allzu christlichen Bezügen, a.a.O., S. 149. 429 Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 191 ff.; Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Jean Domat“, S. 115. 430 Arnaud, Origines doctrinales, S. 109; zustimmend Descamps, Origines de la responsabilité, S. 430. 431 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 196: „… je ne dois jamais faire aux autres ce que je ne voudrois pas qu’ils fissent contre moi“. 432 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 196: „… je dois pareillement agir toujours pour leur avantage, ainsi que je désire qu’ils agissent toujours pour le mien…“. 423
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Domat, der auf diese (moralischen) Gebote Bezug nimmt: Er leitet sie unmittelbar aus der gegenseitigen Liebe der Menschen ab und stützt das Verletzungsverbot (neminem laedere) darauf. 433 Bei näherer Betrachtung der Formulierung fällt jedoch auf, dass d‘Aguesseau zunächst den negativen Aspekt anspricht (was zu unterlassen ist), anschließend den positiven (wie zu handeln ist) – bei Domat ist die Reihenfolge genau umgekehrt. Dies mag zunächst als bloße Spitzfindigkeit erscheinen. Die bei d‘Aguesseau zitierte Stelle weist jedoch noch in weiterer Hinsicht Besonderheiten auf, die eher auf Inspiration durch einen anderen als durch Domat schließen lassen. d‘Aguesseau beschäftigt sich zu Beginn seiner Abhandlung zum öffentlichen Recht mit dem Naturrecht – jenen Regeln, die uns von der Vernunft vorgegeben werden. 434 Alle Beziehungen des Menschen (Gedanken, Handlungen, Pflichten) bezögen sich auf drei Objekte: Gott, sich selbst und seine Mitmenschen. 435 Die weiteren Ausführungen sind dann nach Objekten unterteilt. Ebenso betont er in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Lebens in Gesellschaft und die unter den Menschen bestehenden wechselseitigen Bedürfnisse. Diese Gedanken und dieser an den verschiedenen Objekten orientierte Aufbau finden sich mit großer (inhaltlicher) Übereinstimmung einerseits ebenso bei Pufendorf,436 andererseits auch bei Christian Wolff. Insgesamt erscheint die Verbindung zu Wolff jedoch signifikanter, was ein kurzer Exkurs zu diesem verdeutlichen soll.
433
Arnaud, Origines doctrinales, S. 109; Descamps, Origines de la responsabilité, S. 430. Zu Domat siehe oben Fn. 340. 434 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 167. 435 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 168. 436 Siehe oben S. 42 ff.; ebenso Arnaud, Origines doctrinales, S. 148 f.
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aa) Exkurs: Das Schadensersatzrecht bei Christian Wolff Generell wird der Einfluss Christian Wolffs (1679–1754)437 auf die französische Rechtswissenschaft unterschiedlich bewertet, 438 für d‘Aguesseau – und damit möglicherweise indirekt auch für Pothier – war er jedoch offensichtlich wichtig.439 Der zentrale Gedanke im System Wolffs, auf dem alles Weitere basiert, ist die Vollkommenheit. 440 Diese kennzeichne sich durch „eine Uebereinstimmung des Mannigfaltigen in einem, oder des Vielen, was von einander unterschieden in einer Sache enthalten ist.“ 441 Das menschliche Leben sei bestimmt durch das Streben nach ihr: Alle Handlungen, ja das gesamte Verhalten sollen dazu dienen, sich ihr zu nähern (§ 103).442 Denn der Mensch sei an sich nicht vollkommen und könne es auch nicht werden; dies sei allein Gott vorbehalten. Aus der Natur erwachse aber eine Verbindlichkeit des Menschen, so zu handeln, dass er sich der eigenen Vollkommenheit nähere (§§ 36, 43), und auf der
437 Zur Biographie Wolffs siehe Drechsler, Christian Wolff, S. 111 ff.; Repgen, Wolff, S. 675 f.; Olive, Wolff, S. 447 f. Wolffs Interesse galt von früh an der Philosophie und der Mathematik. Er studierte zunächst in Jena und lehrte ab 1706 beides in Halle. Seine Lehren stießen dort jedoch auf derart große Ablehnung seitens der theologischen Kollegen, dass er 1723 nach Marburg floh. 1740 holte Friedrich II. ihn nach Halle zurück, wo er bis zu seinem Tod einen Lehrstuhl für Natur-, Völkerrecht und Mathematik innehatte. Die philosophische und naturwissenschaftliche Ausbildung und Ausrichtung spiegelt sich in den naturrechtlichen Abhandlungen Wolffs deutlich wider; insbesondere seine wissenschaftliche Methode überzeugte und fand große Bewunderung und Zustimmung: Er machte sich die Denkmethoden der Mathematik und deren streng rationale Beweisführung zu Nutze und übertrug sie ins Recht. Im „Jus naturae“ setzte er sich in den Jahren 1740–1748 mit dem Naturrecht auseinander, 1750 veröffentlichte er hiervon eine Kurzform („Institutiones juris naturae et gentium“), die 1754 auch auf Deutsch als „Grundsätze des Natur- und Völckerrechts“ erschien. 438 Naber, Source mal connue, S. 115, bezeichnet ihn als eine „immense autorité“ in Frankreich und will Elemente von ihm im Code civil finden (ebenso Thieme, Naturrecht und Privatrechtsgeschichte, S. 31). Gagnér, Ideengeschichte der Gesetzgebung, S. 85 f., will in dem Kodifikationsentwurf von 1793 die Gedanken Wolffs erkennen können. Nach Warnkönig, Rechtsphilosophie in Frankreich, S. 274 f., 279; ders., Rechtsphilosophie als Naturrechtslehre, S. 71, soll er großen Einfluss auf Pothier gehabt haben; Funck-Brentano, Contrat Social, S. 110 ff., hebt einen Einfluss auf Rousseau hervor. Thomann, Influence de Christian Wolff, S. 235 ff., steht derartigen Aussagen dagegen kritisch gegenüber: Zwar werde Wolff häufig in der Encyclopédie von Diderot zitiert, großes Ansehen habe er aber nicht genossen. 439 Von einem (grundsätzlichen) Einfluss gehen auch Thomann, Influence de Christian Wolff, S. 240, und Arnaud, Origines doctrinales, S. 109 ff., aus. 440 Näher dazu auch Gisawi, Totalreparation, S. 71 f. Dass er die Vollkommenheit und das Streben danach ins Zentrum stellt, ist ein Ansatz, der sich zuvor so nicht findet, Bachmann, Wolffsche Naturrechtslehre, S. 161 f. 441 Wolff, Grundsätze, § 9. 442 Alle in Klammern angegebenen Stellen beziehen sich auf Wolff, Grundsätze.
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anderen Seite alles zu unterlassen, was diesem Zustand entgegenstehe (§ 43).443 Im Hinblick auf die Vollkommenheit könnten die menschlichen Handlungen in gute und schlechte eingeteilt werden: Gut sei, was die Vollkommenheit steigere; schlecht dagegen, was diese beeinträchtige (§§ 12 ff.).444 Um das Streben des Einzelnen nach Vollkommenheit sicherzustellen, treffen den Menschen bestimmte Pflichten (§ 103), die sein Verhalten bestimmen. Wolff baut damit ähnlich wie Pufendorf445 sein Rechtssystem auf einem Pflichtensystem auf und unterscheidet ebenfalls Pflichten gegen sich selbst, gegen andere Menschen sowie gegen Gott (§ 57). Von Interesse für das Deliktsrecht sind insbesondere die Pflichten gegen andere. Diese hängen jedoch direkt mit den Pflichten gegen sich selbst zusammen,446 denn Wolff betont, dass die Pflichten, die gegenüber den Mitmenschen bestünden, identisch seien mit denjenigen, die der Mensch gegenüber sich selbst habe (§ 133). Da der Mensch auf sich allein gestellt keine Vollkommenheit erreichen könne (§ 44), bedürfe er bei seinem Streben hiernach der Hilfe seiner Mitmenschen. 447 Diese zu gewähren und damit zur Vollkommenheit des 443
Diese Verbindlichkeit, die direkt aus der Natur kommt, bezeichnet Wolff als „natürliche“; sie entspringe aus dem Wesen und der Natur des Menschen und sei unveränderlich (§ 38). Ebenso sieht er zwar das Naturrecht als solches in der Natur des Menschen und der Dinge gegründet (§ 39); im Ergebnis sei es jedoch nichts anderes als das göttliche Gesetz, denn Urheber des Naturgesetzes sei Gott (§ 41). Wolff gibt seinem Naturrecht damit ein religiöses Fundament. Gleichwohl leitet er gestützt auf die Vernunft alle Pflichten und Rechte des Menschen einzig aus dessen Wesen ab: Grundsätze, Vorrede, S. 2: „… habe die Quelle alles Rechts in der menschlichen Natur gefunden“; a.a.O., S. 8: „… wie alle Verbindlichkeiten und alle Rechte der Menschen aus der menschlichen Natur selbst, als aus ihrer Quelle, fließen“; Wunner, Christian Wolff, S. 18. – Einer höheren, befehlenden Macht bedürfe es daneben an sich nicht, Olive, Wolff, S. 449. Ähnlich wie bei Grotius – siehe oben bei Fn. 72 ff. – sei das Naturrecht von der Existenz Gottes nicht abhängig: Wolff, Vernünftige Gedanken, § 20: „… so ist das Gesetze der Natur durch die Natur selbst gestellet worden, und würde statt finden, wenn auch gleich der Mensch keinen Oberen hätte, der ihn dazu verbinden könnte: ja es würde statt finden, wenn auch gleich kein Gott wäre.“ Siehe dazu auch Engelkemper, Recht und Staat, S. 72; Winiger, Rationales Pflichtenrecht, S. 27. Zum Teil wird in diesen Äußerungen ein deistisches Gottesbild gesehen, z.B. Wunner, a.a.O., S. 23. A.A. Gawlick, Christian Wolff und der Deismus, S. 144 f.: Wolff habe zwar „Argumentationspotential“ bereitgestellt, sei selbst aber kein Deist gewesen. – Obwohl Wolff sein Rechtssystem also auf die Religion gründet und auf Gott zurückführt, ist es gleichsam von der Religion gelöst. Ihm kommt auf diese Weise doch universale und übergreifende Geltung zu (so auch Thomann, Christian Wolff, S. 260). 444 Darin zeige sich nach Olive, Wolff, S. 452, eine Beeinflussung durch Leibnitz. 445 Siehe dazu oben S. 42 ff. 446 Siehe auch Gisawi, Totalreparation, S. 78. 447 So auch Wolff, Grundsätze, Vorrede, S. 10: „Es befinden sich aber die Menschen von der Natur, daß sie bloß mit vereinigten Kräften und einer wechselsweise einander geleisteten Hülfe auf diese Vollkommenheit los gehen können, welches die eintzige Quelle der Glückseligkeit ist.“
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anderen beizutragen sei eine Verbindlichkeit für jeden (§ 44).448 Dies erfordere freilich auch, alles zu unterlassen, was das Streben des anderen oder dessen Zustand beeinträchtige. Was wir nicht wollen, „daß es uns von andern geschehe, das muß man einem andern auch nicht thun; und was man rechtmäßiger Weise will, daß es geschehen soll, das muß man auch gegen andere ausüben“ (§ 73). Diese Formulierung – Luig spricht von Wolffs „goldener Regel“ 449 –, die neben einem Verletzungsverbot auch ein Handlungsgebot enthält, gibt das Prinzip wider, das dem Schadensersatzrecht zugrunde liegt: anderen keinen Schaden zufügen. 450 Im Hinblick auf die Vollkommenheit anderer bedeutet dies etwa, dass „niemand die Gliedmassen eines andern auf einige Weise verletzen, oder ihn eines Gliedes berauben, oder dasselbe unbrauchbar machen, noch auch der Gesundheit des andern auf einige Weise schaden [muß]; sondern sein Leben und seinen Leib, so viel an ihm ist, erhalten …; folglich muß er niemanden des Lebens berauben oder ihn tödten.“ 451 Dieses Verbot bildet eine logische Konsequenz der Pflicht gegen sich selbst: Der Einzelne habe ja auch nicht das Recht, sich selbst zu töten (§ 112) – aus dem Naturrecht ergebe sich vielmehr die Pflicht zur Selbsterhaltung 452 –, also könne es ihm auch nicht gegenüber anderen zustehen. Wolff stellt hier ein Schädigungsverbot auf. Er bezieht dieses auf die Rechtsgüter Leben und Gesundheit. Im Folgenden untersagt er auch eine Verletzung des „ehrlichen Nahmens“ (§ 143) sowie der Ehre (§§ 143 ff.). Ganz allgemein habe der Einzelne ein Recht darauf, in seinen (vollkommenen) Rechten 453 nicht verletzt zu werden. Daher „darf niemand etwas thun, was dem Recht des andern zuwieder ist; … keinem sein Recht verletzen“ (§ 86). 448 Diese Pflicht tritt dabei jedoch hinter das Streben nach der eigenen Vollkommenheit zurück und besteht nur dort, wo der andere auf diese Hilfe tatsächlich angewiesen ist, Gisawi, Totalreparation, S. 72; Luig, Pflichtenlehre, S. 261 f. 449 Luig, Pflichtenlehre, S. 266. 450 Diese Formulierung von Wolff findet sich in der Verfassung vom 5. fructidor an III (22.8.1795). Dort heißt es unter „Devoirs“ in Article 2: „Tous les devoirs de l’homme et du citoyen dérivent de ces deux principes, gravés par la nature dans tous les cœurs: - Ne faites pas à autrui ce que vous ne voudriez pas qu’on vous fît. Faites constamment aux autres le bien que vous voudriez en recevoir.“ (Hélie, Constitutions, S. 437 f.) Siehe dazu FunckBrenatano, Contrat Social, S. 113. 451 Wolff, Grundsätze, § 141. 452 Wolff, Grundsätze, §§ 46, 112 f. 453 Von Natur aus kommen dem Menschen die gleichen (angeborenen) Rechte zu (§ 69). Rechte – er versteht darunter „die Fähigkeit, oder das moralische Vermögen etwas zu thun, oder zu unterlassen“ – können allgemein in vollkommene und unvollkommene unterschieden werden, je nachdem, ob die Erbringung der Verbindlichkeit erzwungen werden kann (dann vollkommen) oder nicht (dann unvollkommen), § 80. Für das unvollkommene Recht verweist Wolff auf Grotius, der ein derartiges Recht in „De iure belli ac pacis“ als aptitudo bezeichnet (siehe oben S. 28). Jedes angeborene Recht sei aber ein vollkommenes (§ 81); es sei so mit dem Menschen verbunden, dass es ihm nicht genommen werden könne (§ 74).
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Eine solche Rechtsverletzung – die Verletzung eines subjektiven Rechts 454 – stelle ein Unrecht (iniuria) dar.455 Mit dem Schadensersatzrecht selbst setzt sich Wolff ausführlich im Rahmen der Eigentumslehre auseinander. 456 Wolffs Pflichtenlehre ist auch für die Befugnisse des Eigentümers relevant. Als Pflicht gegen sich selbst „soll auch ein jeder, so viel er kann, allen Schaden von sich abwenden“ 457; für die Pflichten gegenüber anderen bedeutet dies, dass man „… niemand in Schaden bringen soll …; folglich darf niemand dem andern etwas wieder seinen Willen von seinen Sachen wegnehmen, oder verderben, es mag geschehen aus was vor Absicht es immer will.“458 Füge man unter Verstoß gegen diese Pflicht gleichwohl einem anderen schuldhaft einen „Schaden“ zu, so müsse dieser ersetzt werden und „wir haben das Recht den andern dazu zu bringen, daß uns der Schade ersetzet werde.“459 An dieser Stelle statuiert Wolff nun also eine Pflicht, durch eigenes Verhalten verursachte Schäden zu ersetzen, und ebenso ein Recht des Geschädigten, Ersatz zu verlangen. Den „Schaden“ (damnum) begreift Wolff als den „Verlust des Seinigen“. Dies sei dann gegeben, wenn jemandem „wieder seinen Willen das Seine dergestalt entzogen wird, daß er es niemals wieder bekommen kann“. 460 Unter dem „Seinigen“ versteht er dabei „diejenigen Sachen, … in denen uns das Eigentum zukommt.“ 461 Durch den Schaden hat der Betroffene also weniger, als er vorher hatte – genau dies gilt es zu vermeiden und wieder zu beseitigen.462 bb) Parallelen bei d‘Aguesseau Vor diesem Hintergrund werden auch die Parallelen bei d‘Aguesseau deutlich. Wie Wolff hebt nämlich auch dieser das Streben des Menschen nach Vollkommenheit hervor: Die Liebe zu den Mitmenschen erlege es dem Einzelnen auf,
454 Jansen, Struktur des Haftungsrechts, S. 352: Bei Wolff ergeben sich subjektive Rechte aus den objektiven Verhaltenspflichten der Mitbürger. Die Verletzung eines subjektiven Rechts sieht er daher als „unerlaubtes Verhalten“ an. 455 Wolff, Grundsätze, § 87. 456 Diese Verknüpfung findet sich auch schon bei den spanischen Spätscholastikern oder bei Grotius; bei Wolff besteht jedoch die Besonderheit, dass die Eigentumslehre das zentrale Element seines Rechtssystems bildet: Gisawi, Totalreparation, S. 81 f. m.w.N. Zum Begriff des Eigentums Wolff, Grundsätze, § 195; siehe auch Luig, Pflichtenlehre, S. 272 ff. 457 Wolff, Grundsätze, § 269; ders., Jus Naturae II, §§ 492 f. 458 Wolff, Grundsätze, § 269; siehe auch dens., Jus Naturae II, §§ 495, 579. 459 Wolff, Grundsätze, §§ 270, 277. 460 Wolff, Grundsätze, § 269; ders., Jus Naturae II, §§ 487. 461 Wolff, Grundsätze, § 195. 462 Siehe zum Schaden auch Wolff, Jus Naturae II, §§ 486 ff., 527, 529, 572 ff.
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auch für deren Glück zu sorgen, indem er diese vervollkommne.463 Dies erfordere es gleichsam, alles zu unterlassen, was anderen schade.464 Dabei bezieht er sich auf deren Güter, Leben und Ehre. 465 Anschließend erörtert d’Aguesseau diese beiden obersten Gebote, die für die Vollkommenheit und das Glück unerlässlich sind – und stellt dabei ebenso das Negative dem Positiven voran: „La première, est que je ne dois jamais faire aux autres ce que je ne voudrois pas qu’ils fissent contre moi; La seconde, que je dois pareillement agir toujours pour leur avantage, ainsi que je désire qu’ils agissent toujours pour le mien …“.466 Die Betonung der Vollkommenheit sowie der ganze Zusammenhang und die Form der Darstellung zeigen insgesamt daher eine viel größere Nähe und Übereinstimmung zu Wolff als zu Domat. Diese Feststellung soll den generellen Einfluss Domats auf d‘Aguesseau nicht in Frage stellen. Sie zeigt jedoch, dass d‘Aguesseau inhaltlich auch von anderen, in diesem Fall Wolff, beeinflusst wurde und sich naturrechtliche Gedanken unmittelbar zu eigen gemacht hat. Wenn Arnaud dessen Naturrechtskonzept als „Synthese zwischen den Gedanken Domats und Pufendorfs“ 467 bezeichnet, trifft dies also nur zum Teil zu. 468 b) Michel Prévost de la Jannès Diese These trifft möglicherweise aber umso mehr auf Michel Prévost de la Jannès (1696–1749), einen Zeitgenossen und Freund von Pothier, zu. Auf Vorschlag von d‘Aguesseau erhielt dieser 1729 den Lehrstuhl für französisches Recht an der Universität Orléans und war damit direkter Vorgänger von Pothier auf diesem Posten. 469 Er schätzte ebenfalls die Werke Domats.470 In seinem einflussreichsten Werk „Principes de la jurisprudence françoise“ (1750)
463
d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 190 f. d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 191, III.: „… ma première règle sera aussi de ne faire à mes semblables aucun mal réel et véritablement nuisible“ sowie IV.: „… je fais tout ce qui est en moi pour ne pas nuire à leur perfection et à leur bonheur“. 465 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 191, IV. 466 d’Aguesseau, Œuvres complètes, Essai d’une institution au droit public, S. 195 f. 467 Arnaud, Origines doctrinales, S. 149. 468 Arnaud, Origines doctrinales, S. 109 f., verweist zwar auch selbst auf einen Einfluss durch Wolff, bringt dies aber nicht mit diesen Geboten in Zusammenhang. 469 Descamps, Prévost de la Jannès, S. 642. 470 Wie Domat war auch er Jansenist, Descamps, Prévost de la Jannès, S. 642. Im Jahr 1742 wollte er ein Buch über Domats Leben und Werke („Histoire de la vie et des oeuvres de Jean Domat“) veröffentlichen. Zunächst sorgte ein staatlicher Zensor dafür, dass sämtliche Bezüge zu Pascal gestrichen wurden; im Verlaufe der revolutionären Ereignisse verschwand dieses Buch aus der Bibliothek der Stadt Orléans, Voeltzel, Jean Domat, S. 38 (Fn. 1); Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 8. 464
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wählt er einen stark an der Praxis orientierten, nämlich vom Prozess ausgehenden Aufbau (den er inhaltlich jedoch weit überschritt). 471 Folglich erörtert er die Fragen zur deliktischen Haftung im Rahmen der Klagen. Dabei nehmen auch in seinen Ausführungen die subjektiven Rechte eine zentrale Rolle ein. 472 Als einen Entstehungsgrund von Obligationen betrachtet er die unrechtmäßige Schadenszufügung bei einem anderen (Delikt oder Quasidelikt).473 Nach ihm gründen sich die Klagen, die aus Delikten und fautes resultieren, auf die erste Grundregel des Naturrechts, die es untersagt, anderen Übel zuzufügen, und als notwendige Folge anordnet, den widerrechtlich verursachten Schaden zu ersetzen.474 An dieser Stelle verweist er auf Pufendorf. Im Weiteren bezieht er sich auf das zweite Gesetz, welches vorschreibe, einander Gutes zu tun (Nr. 582 f.). Im Titel 28 zu den dommages & intérêts unterscheidet Prévost de la Jannès dann zwischen délit (dem Vorsatz, anderen zu schaden) und faute (der Unvorsichtigkeit). 475 Aus der Verpflichtung, nicht zu schaden, folge diejenige, den Schaden zu ersetzen, den man widerrechtlich verursacht habe: „Toutes les pertes qui naissent du fait par lequel on a causé le dommage, & qui ne seroient point arrivées sans cela, doivent être imputées à l’auteur du dommage, si celui qui l’a souffert n’a pu ni les prévenir, ni les arrêter, & ces pertes sont la juste mesure de l’étendue de la réparation.“476
Diese Regelung stimmt vom Wortlaut her nicht vollständig mit denen von Pufendorf oder Domat überein, eine gewisse Ähnlichkeit in der Formulierung ist aber erkennbar.477 Ganz ähnlich wie Pufendorf oder Domat stellt auch Prévost de la Jannès damit eine deliktische Generalklausel auf. Anders als Domat löst er die deliktische Haftung aber von jedweder Kasuistik 478 und gründet die Ersatzpflicht einzig auf diese Regelung. An späterer Stelle verweist er sogar direkt auf Domat (Nr. 617 Rn. (a)). Doch wie hat Prévost de la Jannès den Umfang der Haftung verstanden? Oder anders: Woran kann überall ein Schaden bestehen? Prévost de la Jannès beschränkt dies auf die Person, die Ehre und die Güter479 – eine Eingrenzung, die sich übrigens nicht nur bei ihm findet,
471
Arnaud, Origines doctrinales, S. 149. „Tous les droits que les hommes peuvent avoir à exercer les uns vis-à-vis des autres, se réduisent à deux espèces: les droits dans les choses, et les droits sur les personnes“, zitiert nach Arnaud, Origines doctrinales, S. 149 f.; im ersten Fall sind damit „actions rélles“ verbunden, im zweiten „actions personnelles“. 473 Prévost de la Jannès, Principes de la jurisprudence Françoise, II, 22, Nr. 579. 474 Prévost de la Jannès, Principes de la jurisprudence Françoise, II, 22, Nr. 582. 475 Prévost de la Jannès, Principes de la jurisprudence Françoise, II, 28, Nr. 615. 476 Prévost de la Jannès, Principes de la jurisprudence Françoise, II, 28, Nr. 617. 477 Explizite Verweise fehlen an dieser Stelle allerdings. 478 Descamps, Origines de la responsabilité, S. 431. 479 Prévost de la Jannès, Principes de la jurisprudence Françoise, II, 28, Nr. 619. 472
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sondern wie eben gezeigt auch bei d‘Aguesseau und bei Fleury.480 Unter die Person fasst er das Leben, die Glieder, die Sittlichkeit und die Freiheit. Er bezieht damit eben jene Rechte und Rechtsgüter ein, die auch zuvor schon Pufendorf oder Grotius als geschützt ansahen. Anschließend folgen auch hier einige Erörterungen dazu, wie genau der Schaden ersetzt wird (z.B. seien im Falle der Tötung eines Menschen Zahlungen an die Witwe oder die Kinder zu leisten). Wie es scheint, hatte Prévost de la Jannès also ein ganz ähnliches Verständnis von der deliktischen Haftung wie Pufendorf. Ganz selbstverständlich verbindet er die Haftung mit der Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter. Seine Bezugnahme auf Domat legt nahe, dass er auch dort von eben diesem Verständnis ausgegangen ist und keine gravierenden Unterschiede erkennen konnte. Insgesamt findet sich also eher bei ihm die angesprochene Verbindung zwischen Pufendorf und Domat. Wie gezeigt, ist bei d‘Aguesseau und bei Prévost de la Jannès deutlich eine Prägung und Beeinflussung durch Domat erkennbar. Sie kannten dessen „Loix Civiles“, zitierten dieses Werk und übernahmen seine Gedanken. d‘Aguesseau soll sich zudem für die von ihm verfassten Ordonnanzen bei Domat Inspiration geholt haben.481 Neben diesem Bezug zu Domat sticht auch eine weitere gemeinsame Verbindung ins Auge: die zu Pothier. Damit scheinen sie das Verbindungsglied zwischen Domat und Pothier zu bilden und unabhängig davon, ob die „Loix Civiles“ nun Bestandteil von Pothiers Bibliothek waren oder nicht,482 liegt doch zumindest auf diesem Weg auch eine Beeinflussung der Gedanken Pothiers nahe.483 III. Robert Joseph Pothier Robert Joseph Pothier (1699–1772) gilt gemeinhin als der „Vater des Code civil“. 484 Die Redaktoren des Code civil bevorzugten seine Werke gegenüber den anderen des Ancien droit, und eine Vielzahl von Vorschriften der Kodifikation aus dem Jahr 1804 wurde wörtlich aus seinen Traités übernommen. Doch was machte die Besonderheiten dieses Franzosen aus und hob ihn von allen anderen ab? 480 Claude Fleury (1640–1723) war in erster Linie Kirchenhistoriker, Geschichtsschreiber und Pädagoge, aber auch seine Werke zum Zivil- und Kirchenrecht fanden Ansehen: Wanner, Claude Fleury, S. 1. Fleury erwähnt im Hinblick auf die vor Schäden zu bewahrenden Rechtsgüter die Ehre, das Leben sowie die Güter; ein Verbrechen liege nur vor, wenn eines dieser Rechtsgüter verletzt sei, siehe dens., Institution au droit françois, chap. XXXII, S. 442: „L’intérêt des particuliers est de conserver l’honneur, la vie ou les bien, et il n’y a point de crime qui ne touche à quelqu’un de ces intérêts, ou à plusieurs ensemble“. 481 So jedenfalls Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 195 f. 482 Dazu Thireau, Pothier, S. 637. 483 Dazu sowie zum Folgenden Baudelot, Un grand jurisconsulte, S. 196 f. 484 Siehe statt aller nur Thireau, Pothier, S. 638; Arnaud, Origines doctrinales, S. 167, 218 ff.
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Leben und Werdegang Pothiers sind eng mit der Stadt Orléans verknüpft. 485 Schon früh machte er die Bekanntschaft von Prévost de la Jannès.486 Von besonderer Bedeutung für seine weitere Entwicklung sollte sich daneben eine enge Freundschaft mit d‘Aguesseau erweisen. d‘Aguesseau verschaffte ihm nicht nur den Posten an der Universität von Orléans, sondern ermutigte und inspirierte ihn, sich mit dem römischen Recht auseinanderzusetzen.487 1. Einstellung zum römischen Recht Obwohl ein Mann des droit coutumier, war er sich doch der Nützlichkeit und der Bedeutung des römischen Rechts bewusst: Dort fänden sich die universell geltenden Regeln der Billigkeit und der Vernunft, reduziert auf unveränderliche Prinzipien.488 Aber nicht nur diese generellen Regeln seien ins französische Recht übernommen worden, sondern auch die meisten Definitionen stammten daher.489 Die Kenntnis des römischen Rechts sei daher unerlässlich, weswegen auch der Unterricht auf diesem basiere. 490 Allerdings teilte auch er die zeitgenössische Kritik, die gegen das römische Recht vorgebracht wurde: fehlende 485
Hier wuchs Pothier auf, studierte (studia humanitatis und Rechtswissenschaften) und war Richter am Präsidialgericht, Thireau, Pothier, S. 636 f. Ausführliche Nachweise zur Biographie Pothiers finden sich bei Le Trosne, Éloge historique de M. Pothier, S. xxvi ff. Auch die Religion hatte für ihn eine große Bedeutung (König, Pothier und das römische Recht, S. 39 f.; Descamps, Origines de la responsabilité, S. 434. Obwohl er in einem Jesuitenkolleg unterrichtet wurde, wandte Pothier sich dem Jansenismus zu, Dunoyer, Blackstone et Pothier, S. 81); seine juristischen Werke waren jedoch nicht in ähnlicher Weise davon durchzogen wie bei Domat, sodass dies in seinem Fall kein Rezeptionshindernis darstellte. 486 König, Pothier und das römische Recht, S. 40 m.w.N. Pothier störte sich an der fehlenden Ordnung in der Kompilation Justinians und verfasste einen Entwurf, wie man dies ändern könnte. Diesen zeigte er Prévost de la Jannès, der darin Potential erblickte und d‘Aguesseau auf Pothier und dessen Entwurf aufmerksam machte, siehe Le Trosne, Éloge historique de M. Pothier, S. xxxi. Zudem hielt er gemeinsam mit Prévost de la Jannès regelmäßig einen „Jour Fixe“ mit Studenten ab, Frémont, Recherches historiques et bibliographiques sur Pothier, S. 47. 487 Kleinheyer/Schröder, Juristen, „Robert-Joseph Pothier“, S. 334; Thézard, Travaux de Pothier, S. 51: d‘Aguesseau war überzeugt, dass das römische Recht am besten geeignet sei, Studierenden Methodik beizubringen, und dass sich dort alle wesentlichen Prinzipien fänden. 488 Pothier, Pandectes de Iustinian, Praefatio, III, 1, art. 2, § 3, S. 277, 279. Obwohl diese Praefatio nicht von Pothier selbst, sondern von dessen Freund Etienne-Léon de Guyenne herrührt, finden sich dort die Gedanken Pothiers ausgedrückt, wie König, Pothier und das römische Recht, S. 48 f., überzeugend ausführt. Im Folgenden werden sie daher als die Auffassung Pothiers dargestellt. Siehe auch Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 112. 489 Pothier, Pandectes de Iustinian, Praefatio, III, 1, art. 2, § 3, S. 280 ff. 490 Pothier, Pandectes de Iustinian, Praefatio, III, 1, art. 2, § 3, S. 280: Zwar erachtete Pothier auch die Kenntnis und das Studium des französischen Rechts für notwendig – dies sei jedoch besser möglich, wenn man das römische Recht verstehe.
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Methode und Systematik, zu viele Spitzfindigkeiten. 491 Er machte deutlich, dass die Pandekten Justinians Mängel aufwiesen; den größten sah er darin, dass weder Ordnung noch Systematik vorhanden seien: Gesetze seien teilweise vollkommen deplatziert und tauchten an Stellen auf, zu denen sie überhaupt keine Verbindung hätten. 492 Die durch diese Mängel entstehenden Unklarheiten wollte Pothier in den 1748 erschienenen „Pandectes de Iustinian mises dans un nouvel ordre“ 493 beseitigen. Er machte es sich darin zur Aufgabe, den Pandekten Justinians die fehlende Methodik und Ordnung zu geben und sie neu zu systematisieren; der Sinn der Vorschriften sollte dabei jedoch erhalten bleiben.494 Diese Arbeit war nicht besonders innovativ oder originell, erforderte aber eine umfassende Klassifizierung und Systematisierung. 495 Pothier gelang es dadurch nicht nur, seinen Zeitgenossen das römische Recht wieder zugänglich zu machen, 496 sondern auch, dessen Ansehen zu steigern. 497 Zudem sind die „Pandectes“ Ausdruck von Pothiers detaillierter Kenntnis des römischen Rechts. 498 Die dort getroffenen praktischen Lösungen – wie zum Beispiel die Vorschriften in den Kapiteln eins und drei der lex Aquilia, die er in Buch neun erörtert499 – waren ihm wohl vertraut und boten Anregungen für seine späteren Darstellungen des französischen Rechts; 500 sie bildeten die Grundlage seiner späteren Werke.501 Die Darstellung des römischen Rechts sowie die vertiefte Auseinandersetzung damit führten jedoch nicht dazu, dass Pothier ihm eine gesteigerte Bedeutung in Bezug auf das französische Recht eingeräumt hätte. Ganz im Einklang mit der überwiegenden Meinung in der Lehre sprach er ihm jede Gesetzeskraft ab.502 Eine Anwendung in Frankreich könne nur aufgrund der in den
491
Thézard, Travaux de Pothier, S. 54. Pothier, Pandectes de Iustinian, Praefatio, III, 2, art. 1, 1-3. Zudem bemängelte er, dass die Texte an vielen Stellen interpoliert und dadurch verfälscht seien; Widersprüche und Unverständlichkeiten seien die Folge. Außerdem sei in den Pandekten eine Vielzahl von gegensätzlichen Meinungen vertreten, denen aber jeweils Gesetzkraft zukomme. 493 Ausführlich zu diesem Werk, insbesondere zu dem ihm zugrunde liegenden System, König, Pothier und das römische Recht, S. 131 ff. 494 Pothier, Pandectes de Iustinian, Praefatio, III, 2, art. 2, 2. 495 Thézard, Travaux de Pothier, S. 55. 496 Thézard, Travaux de Pothier, S. 54. 497 Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 26. 498 Thézard, Travaux de Pothier, S. 66; Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 112. 499 Pothier, Pandectes de Iustinian, II, lib. 9, tit. 2. 500 Thézard, Travaux de Pothier, S. 56. Dazugleich mehr unter B.III.2. und 3. 501 Arnaud, Origines doctrinales, S. 111, 113 f.; Thézard, Travaux de Pothier, S. 54, 56. 502 Pothier, Traité des successions, chap. III, sec. 1, § 3, S. 127: „la loi de Justinien … n’a pas force et caractère de loi dans le pays coutumier“; Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 114. 492
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Vorschriften enthaltenen Vernunft erfolgen. 503 Er sah das römische Recht daher auch nicht als das droit commun an und wollte bei Lücken in erster Linie auf die Coutume von Paris zurückgreifen. 504 Diese übertreffe alle anderen Coutumes und könne allgemein als Modell dienen – wobei er die Unterschiede zu der Coutume von Orléans, der seiner Heimatstadt, als gar nicht so markant empfand.505 Allerdings wies auch Pothier darauf hin, dass es Rechtsbereiche gebe, für die die Coutumes keine Regelungen träfen, sodass dort das römische Recht heranzuziehen sei. Die sich anschließende Aufzählung beinhaltet auch den widerrechtlich zugefügten Schaden (damno iniuria dato).506 2. Werke Neben der Darstellung des römischen Rechts in den „Pandectes de Iustinian mises dans un nouvel ordre“ setzte sich Pothier mit dem Recht der Coutumes auseinander. Gemeinsam mit Prévost de la Jannès verfasste er einen Kommentar zur Coutume von Orléans, dem er 1760 eine von ihm verfasste „Introduction générale aux coutumes“ – vom Aufbau gegliedert wie die Institutionen nach personnes, choses, actions – voranstellte; dieses Werk enthielt neben den Regeln der Coutume zu Beginn eines Titels jeweils allgemeine Ausführungen zum droit coutumier in den jeweiligen Rechtsfragen.507 Pothier war sich der
503 Pothier, Appendice au traité du douaire, Du droit d’habitation, chap. I, art. 4, Nr. 18, S. 490: „… nous n’empruntons des lois romaines que ce qui nous paraît conforme à la raison“; siehe auch Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 115; König, Pothier und das römische Recht, S. 50 f. 504 Pothier, Traité des donations entre-vifs, sec. 3, art. 5, Nr. 213: „… suivre la coutume de Paris, qui, contenant les usages de la capital, doit plutôt suppléer au silence des autres coutumes, que les lois romaines qui ne sont qu’adoptives“; ders., Traité des successions, chap. IV, art. 2, § 1, S. 156: Die Prinzipien der Coutume von Paris seien „le droit le plus général du pays coutumier“; siehe auch Thireau, Pothier et la doctrine française, S. 45; ders., Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 113 f. 505 Thireau, Pothier et la doctrine française, S. 45. 506 Pothier, Pandectes de Iustinian, Praefatio, III, 1, art. II, § 3, S. 282 ff. 507 Thézard, Travaux de Pothier, S. 56 ff. Zu der deliktischen Haftung findet sich im Rahmen der Ausführungen zu der Coutume von Orléans mangels eigenständiger, besonderer Regelungen nichts. In der vorangestellten „Introduction générale aux coutumes“, IV, § 2, Nr. 116, nimmt er dagegen im Rahmen der persönlichen Klagen (actions personnelles) auf das Delikt Bezug: „On appelle délits et quasi-délits les faits illicites qui ont causé quelque tort à quelqu’un, d’où naît l’obligation de le réparer.“ In diesem Zusammenhang spricht er hier also die Schadensersatzpflicht als Folge der Zufügung eines Übels an. Delikte und Quasidelikte unterscheidet er a.a.O. wie auch schon Domat danach, ob der Wille zur Herbeiführung des Übels bestand (délit) oder nur Unvorsichtigkeit dies hervorgerufen hat (quasi-délit).
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Rechtsvielfalt in den Coutumes bewusst; er versuchte, gemeinsame Lösungen zu präsentieren und eine Art „coutume générale“ aufzustellen. 508 Ab 1761 veröffentlichte er zu sämtlichen Rechtsgebieten Traités, in denen er das zu seiner Zeit in Frankreich geltende Recht erläuterte. Grundlage dieser Traités waren einerseits die Coutumes, andererseits die königlichen Ordonnanzen sowie das römische Recht. 509 Obwohl er letzteres nicht als verpflichtend ansah, griff er doch darauf zurück und entnahm ihm Lösungen – oft erfolgten dabei jedoch eine Anpassung an die Zeit sowie gewisse Modifikationen, oder er betonte schlicht die Vorzugswürdigkeit der davon abweichenden französischen Lösung. 510 Während ein solcher Rückgriff auf das römische Recht für Domat als einen Juristen des pays du droit écrit naheliegend war, erscheint dies für Pothier zunächst schwerer begründbar; allerdings bestand das römische Recht, wie gezeigt, nicht nur aus positiv gesetztem Recht, sondern es formulierte auch Regeln, die nur universelle Prinzipien des Naturrechts enthielten, die zu jeder Zeit von jedermann zu beachten sind. 511 Wenn Pothier auf Regeln des römischen Rechts zurückgriff, dann oftmals hauptsächlich genau deswegen; er bezog sich nicht auf das römische Recht um seinetwegen, sondern wegen der darin verkörperten naturrechtlichen Gedanken und generellen Prinzipien des Naturrechts. 512 Er richtete sein Recht an der Vernunft aus 513 und nahm Bezug auf Grotius, Pufendorf, Barbeyrac oder Wolff.514 Neben der durch diese geprägten rationalen Vorgehens- und Denkweise blieb er ganz auf einer Linie mit der französischen Tradition. 515 Die Schriften seiner Zeitgenossen – insbesondere die Kommentare zu den Coutumes – sowie die seiner Vorgänger waren ihm selbstverständlich bekannt: Besonders häufig taucht der Name Charles du Moulins (1500–1566) in seinen Ausführungen auf. 516
508
Thireau, Pothier et la doctrine française, S. 43 f. Auf diese Weise trug auch er zur Vereinheitlichung des Rechts sowie zur Schaffung eines droit français bei, a.a.O., S. 37, 39 f. 509 Thézard, Travaux de Pothier, S. 60 (bezogen auf den Traité des obligations). König, Pothier und das römische Recht, S. 47, spricht daher von einer „Verschmelzung der Quellen des droit écrit und des droit coutumier“. Für Pothier stellten die Coutumes und das römische Recht nicht etwas Gegensätzliches dar, sondern Teile eines Ganzen, die sich gegenseitig ergänzten: Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 112. 510 Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 117 ff. 511 Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 125 f. Auch dieser Verweis sei bei Pothier nichts Besonderes, sondern finde sich ähnlich schon bei Domat oder d‘Aguesseau, a.a.O., S. 121. 512 Meynial, Rôle joué par la doctrine, S. 309. 513 Sourioux, Pothier ou le sphinx d‘Orléans, S. 72. 514 Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 121. 515 Thireau, Pothier et la doctrine française, 43; ders., Pothier, S. 638. 516 Thireau, Pothier et la doctrine française, S. 35 f. Dies mag nicht besonders originell erscheinen, doch Pothier übernimmt nicht einfach die Ansichten du Moulins, sondern setzt
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3. Traité des obligations Große Bedeutung hat die 1761 veröffentlichte Abhandlung zum Obligationenrecht erlangt. Alle Obligationen führt Pothier hier auf bestimmte Entstehungsgründe zurück: Verträge, Quasiverträge, Delikte und Quasidelikte sowie in bestimmten Fällen einzig das Gesetz oder die Billigkeit. 517 Im Folgenden erörtert er diese einzelnen Entstehungsarten der Reihe nach. a) Ausführungen zur deliktischen Haftung Delikte als dritter Entstehungsgrund definiert Pothier als Verhalten, durch das jemand absichtlich oder bösartig bei einem anderen einen Schaden oder ein Unrecht verursacht; 518 Quasidelikte seien demgegenüber im Falle von unentschuldbarer Unvorsichtigkeit ohne Bösartigkeit gegeben.519 Ein derartiges Verhalten sei als „verwerflich“ zu charakterisieren. 520 Zwingende Folge eines Delikts sei die Pflicht zur Wiedergutmachung des verursachten Nachteils: „… la personne qui a commis le délit ou le quasi-délit est obligée à la réparation du tort qu’elle a causé.“521
Auch bei Pothier findet sich also dieses allgemeine Prinzip als Grundlage der deliktischen Haftung. Allerdings erläutert er es vollkommen beiläufig, als wäre es eine absolute Selbstverständlichkeit, die keiner näheren Erörterung bedürfe. Er hebt es weder zu Beginn des Abschnitts über die Delikte als Prinzip hervor, das allen weiteren Gedanken zugrunde liegt, noch geht er näher darauf ein: Weitere Ausführungen oder Erläuterungen dazu oder zu der Berechnung des Schadensersatzes in diesem Fall macht er nicht. 522 Auch fehlen jegliche Beispiels- oder Anwendungsfälle. Zwar schließt sich auch bei Pothier ein Abschnitt zu den „dommages et intérets“ an (er definiert diese als „den Verlust,
sich kritisch damit auseinander, a.a.O., S. 47 ff. Siehe näher zu du Moulin bereits oben Fn. 221. 517 Pothier, Traité des obligations, I, 1, Nr. 2: „Les causes des obligations sont les contrats, les quasi-contrats, les délits, les quasi-délits; quelquefois la loi ou l’équité seule.“ Pothier teilte die Entstehungsgründe von Obligationen damit anders ein als in den Institutionen Justinians. Zu der Frage, wie er auf diese Einteilung kam, siehe Descheemaeker, Division of wrongs, S. 109 f. m.w.N. 518 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 2, Nr. 116: „On appelle Délit, le fait par lequel une personne, par dol ou malignité, cause du dommage ou quelque tort à un autre.“ 519 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 2, Nr. 116: „Le quasi-Délit est le fait par lequel une personne sans malignité, mais par une imprudence qui n’est pas excusable, cause quelque tort à un autre.“ 520 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 2, Nr. 117. 521 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 2, Nr. 121. 522 In den sich anschließenden Nummern folgen lediglich Hinweise zur Deliktsfähigkeit und zur Haftung für Dritte, vgl. Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 2, Nr. 119 ff.
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den jemand gemacht hat und den Gewinn, den er zu machen verpasst hat“ 523). Schon ausweislich der Überschrift erörtert er darin jedoch nur Fälle, in denen es um den Ersatz für Nicht- oder verspätete Leistungen geht („soit de l’inexécution des obligations, soit du retard apporté à leur exécution“). Die Ausführungen beziehen sich folglich auch nur auf vertragliche Beziehungen. 524 Im sich anschließenden Abschnitt zum „Gesetz“ als anderweitigem Entstehungsgrund einer Obligation nimmt Pothier dann allerdings noch einmal auf Delikte und Quasidelikte Bezug und stellt eine Regelung auf, die man eigentlich ganz am Anfang des Traités vermuten würde – er hebt darin die Gebote hervor, die allen Obligationen zugrunde liegen: „La loi naturelle est la cause au moins médiate de toutes les obligations: car si les contrats, délits ou quasi-délits produisent des obligations, c’est primitivement, parce que la loi naturelle ordonne que chacun tienne ce qu’il a promis, et qu’il répare le tort qu’il a commis par sa faute.“525
Die Pflicht zum Ersatz des verursachten Schadens wird also durch das Naturrecht vorgegeben. Pothier sieht sie als ein Gebot der Billigkeit (équité) an.526 Es ist der Versuch, wie Grotius oder Pufendorf das Obligationenrecht auf einzelne große Prinzipien zurückzuführen, die das Naturrecht vorgibt: dass man sein Wort hält oder dass man den Schaden repariert, den man durch seine faute verursacht hat. 527 Pothiers Formulierung ist von großer Bedeutung. Nicht nur kann sie als unmittelbare Vorlage für den späteren Art. 1382 Cc angesehen werden.528 Sie weist auch deutliche Übereinstimmung mit Grotius’ Formulierung in „De iure belli ac pacis“ 529
523
Pothier, Traité des obligations, I, 1, art. 3, Nr. 159. Es findet sich hier allerdings noch ein schönes Beispiel dafür, dass Pothier das römische Recht zwar nicht als positives Recht herangezogen hat, aber als Regeln anwandte, die Ausdruck von Vernunft und Billigkeit sind. Zu der Frage der Begrenzung der Haftung auf das Doppelte des Wertes einer Sache schreibt er, dass diese Regel als gesetztes Recht keine Anwendung in Frankreich finde. Aber das ihr zugrunde liegende Prinzip, dass die Haftung auf den Betrag begrenzt sein soll, an den man im schlimmsten Fall denken konnte, sei „un principe fondé dans la raison et l’équité naturelle“ und daher sei es zu befolgen und die dommage et intérêts zu mäßigen – wobei letzteres dem Richter obliege: Pothier, Traité des obligations, I, 1, art. 3, Nr. 164 a.E. 525 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 2, Nr. 123. 526 König, Pothier und das römische Recht, S. 184. 527 Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 122. 528 Art. 1382 Cc: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.“ [eigene Hervorhebung] Ebenso Winiger, La responsabilité aquilienne, S. 121. 529 Grotius, DGP, Discours préliminaire, S. 8; siehe dazu oben S. 26, Fn. 64. 524
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„Que l’on est obligé de tenir sa parole: Que l’on droit réparer le Dommage qu’on a causé par sa faute“530
auf. 531 Zwar fehlen bei Pothier an dieser Stelle jedwede Quellenangaben oder Hinweise, wo er sich im Hinblick auf diese Formulierung hat inspirieren lassen. Abgesehen von dem Wort „tort“, welches an Stelle des „dommage“ tritt, sind die beiden Formulierungen jedoch nahezu identisch. Zudem erläutern sowohl Pothier als auch Grotius diese Prinzipien jeweils im Zusammenhang mit den Vorgaben und Gesetzen des Naturrechts. Eine direkte Beeinflussung ist an dieser Stelle außerordentlich plausibel; eine derartige Übereinstimmung kann kaum ein Zufall sein. Wie aufgezeigt, stimmt die Formulierung Pothiers in Nr. 123 mit der des Art. 1382 Cc weitgehend überein. Der Weg führt also von ihm direkt in den Code civil. Neben der Formulierung dieses Prinzips macht er jedoch keine Angaben, welche Verletzungen von der deliktischen Haftung tatsächlich erfasst sein sollen. Aufschluss über sein Verständnis vom Umfang der Haftung geben jedoch einige Stellen, in denen er gerade eine andere als die deliktische Haftung anordnet: Es geht dabei um Schadensersatz bei nichtigen Verträgen, also um den Ersatz primärer Vermögensschäden. b) Ersatzpflicht bei nichtigen Verträgen Pothier setzt sich an verschiedenen Stellen seiner Werke mit derartigen Fällen auseinander und bleibt dabei zunächst in Übereinstimmung mit dem römischen Recht und der französischen Lehre im Ancien droit; in zwei anderen Situationen grenzt er sich dagegen etwas ab. 532 aa) Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen In den Pandectes geht er auf den klassischen Fall des Verkaufs nicht verkehrsfähiger Sachen ein. Der Kaufvertrag sei an sich zwar nichtig, bleibe aber im Hinblick auf die Ersatzpflicht des Verkäufers gegenüber dem gutgläubigen Käufer bestehen. 533 In diesem Zusammenhang verweist er auf die schon von Domat bekannte Digestenstelle von Modestinus (D. 18,1,62,1) und die actio 530 Feenstra, Grotius‘ doctrine of liability, S. 169 mit Verweis auf Villey, Pensée juridique moderne, S. 633. 531 Für eine Gegenüberstellung der deliktischen Generalklauseln von Grotius bis zum Code civil siehe die Übersicht auf S. 107. 532 Ausführlich zu der Behandlung dieser Problematik bei Pothier siehe Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 300 ff., und Procchi, Culpa in contrahendo, S. 142 ff. 533 Pothier, Pandectes de Iustinian, III, lib. XVIII, sec. 1, tit. 1, art. 1, XIV: „Ce que nous avons dit que la vente des choses hors du commerce était nulle, doit s’entendre avec cette restriction, que si elles ont été achetées de bonne foi et par erreur le vendeur est obligé d’indemniser l’acheteur à la concurrence de l’intérêt qu’il avait à n’être pas trompé, et c’est en ce sens que la vente en est déclarée valable.“
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empti, die letzterer in diesem Fall gewährt. 534 Dazu stellt er jedoch klar, dass es sich bei dieser Klage aus dem Kaufvertrag nicht um eine direkte Klage handeln könne, denn der Kaufvertrag sei ja nichtig – es gehe hier um eine actio in factum (vertraglicher Natur).535 Abgesehen von der Gewährung einer actio in factum weist die Einordnung dieses Falls also keine Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Verständnis im Ancien droit auf. bb) Andere Fälle „vorvertraglichen Verschuldens“ Etwas anders stellt sich dies hingegen hinsichtlich zweier anderer Fälle dar. Zum einen diskutiert Pothier im Traité des obligations die Folgen eines error in persona anhand eines weiteren typischen Falls: Jemand gibt bei Jacques ein Gemälde in Auftrag, geht dabei aber davon aus, dass es sich bei dem Gegenüber um Natoire handelt. Da der Wille zu einem Vertragsschluss mit Jacques nicht vorlag, sei kein Vertrag zustande gekommen. Fertige Jacques das Gemälde jedoch gleichwohl an, bevor der Auftraggeber seinen Irrtum bemerke, sei letzterer verpflichtet, Jacques Schadensersatz zu leisten. 536 Allerdings betont Pothier hier ausdrücklich, dass sich diese Ersatzpflicht nicht aus dem (nichtexistenten) Vertrag ergebe: „mais ce n’est pas en ce cas la convention qui m’y oblige, cette convention qui est nulle ne pouvant produire aucune obligation“. Grundlage der Ersatzpflicht sei die Billigkeit, die zum Ersatz des fahrlässig verursachten Schadens verpflichte: „la cause de mon obligation est en ce cas l‘équité, qui m’oblige à indemniser celui que j’ai, par mon imprudence, induit en erreur“. 537 Und aus dieser Ersatzpflicht entspringe eine actio in factum.538 Die Ersatzpflicht sieht er explizit also nicht als vertraglich an, sondern stellt ganz allgemein auf die Billigkeit ab. Dieser Verweis auf die Billigkeit ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Annahme einer deliktischen Haftung 539 (dazu sogleich).
534 Wie bei Pothier an dieser Stelle deutlich wird, war ein häufiger Anwendungsfall auch der Verkauf eines Freien als Sklave. Dazu auch Zimmermann, Law of Obligations, S. 241 f. 535 Pothier, Pandectes de Iustinian, III, lib. XVIII, sec. 1, tit. 1, art. 1, XIV, Fn. 3. Dadurch, dass Pothier hier nicht eine direkte actio empti gewährt, sondern „nur“ eine actio in factum, stehen seine Ausführungen nicht im Widerspruch zu der von ihm vertretenen Lösung im Traité des obligations (dazu sogleich beim folgenden Fall), Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 213 f. 536 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 1, art. 3, § 1, Nr. 19: „je serai obligé de le prendre & de payer, suivant le dire des experts“. 537 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 1, art. 3, § 1, Nr. 19. 538 Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 393, bezeichnet ihn daher als „Vorläufer Jherings“. 539 So aber Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 212, der dafür auch noch auf die arglistige Täuschung verweist (Pothier, Traité des obligations, I, 1, 1, art. 3, § 1, Nr. 29). Diese hat jedoch traditionell eine besondere Stellung, und es ist unstreitig, dass die schädliche Absicht
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Eine ganz ähnliche Begründung gibt Pothier im Traité du contrat de vente für den Fall, dass jemand sein Angebot zum Vertragsschluss widerruft oder er verstirbt oder geschäftsunfähig wird, bevor die andere Partei die Annahme des Angebots erklärt hat – womit kein Vertrag zustande gekommen ist –, diese Partei aber gleichwohl auf den Vertragsschluss vertraut und in diesem Zusammenhang einen Schaden erleidet. Der Antragende sei zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet: „cette obligation naît de cette règle, d’équité que personne ne doit souffrir du fait d’un autre: Nemo ex alterius facto praegravari debet; je dois donc l’indemniser de la dépense & de la perte que je lui ai causée par la proposition que je lui ai faite & que je ne veux plus aujourd’hui exécuter.“540 Wiederum stellt er also nicht auf den Vertrag ab, sondern auf die Billigkeit, und zwar auf die Regel, dass niemand durch das Verhalten eines anderen leiden darf. 541 Wie ist nun aber dieser Verweis auf die Billigkeit einzuordnen? Hat Pothier damit eine deliktische Haftung vor Augen? Pothiers Verständnis vom römischen Recht hilft hier nicht weiter, denn auf dieses verweist er hier gerade nicht. Außer dem Umstand, dass sich hier an keiner Stelle eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Deliktsrecht findet, sprechen zwei Faktoren erheblich gegen eine deliktische Einordnung. Einerseits erinnert dieser Verweis stark an Pothiers Definition der Quasiverträge, die weder Delikt noch Vertrag seien, aber Verpflichtungen begründeten wie Verträge.542 Andererseits sei Pothiers Bemerkung zu den Entstehungsgründen von Obligationen vor Augen geführt: „Les causes des obligations sont les contrats, les quasi-contrats, les délits, les quasi-délits; quelquefois la loi ou l’équité seule.“ 543 Die Billigkeit betrachtet er danach als eigenständigen Entstehungsgrund einer Verpflichtung; einen außervertraglichen Ersatzanspruch begründet. Siehe bereits oben S. 11). Daraus lassen sich aber keine Rückschlüsse auf andere Verhalten ziehen. 540 Pothier, Traité du contrat de vente, I, 2, art. 3, § 1, Nr. 32. 541 Auf die vom Antragenden abgegebene Willenserklärung könne eine vertragliche Ersatzpflicht nur dann gestützt werden, wenn man in ihr nicht nur das explizite Angebot zum Abschluss eines Vertrages sehe, sondern gleichzeitig eine implizite Versicherung, im Falle des durch den Antragenden verursachten Nichtabschlusses des Vertrages dem Vertragspartner etwaige Schäden zu ersetzen, Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 312. Die Fiktion einer derartigen stillschweigenden Vereinbarung entfalle dagegen beim Abstellen auf die Billigkeit, a.a.O., Rn. 316. 542 Pothier, Traité des obligations, I, 1, 2, § 1, Nr. 114: „[D]ans les quasi-Contrats, il n’intervient aucun consentement, & c’est la loi seule ou l‘équité naturelle qui produit l’obligation, en rendant obligatoire le fait d’où elle résulte. C’est pour cela que ces faits sont appellés quasi-Contrats; parce que, sans être des contrats, ni encore moins des délits, ils produisent des obligations comme en produisent les contrats.“ Siehe dazu auch Kuonen, responsabilité précontractuelle, Rn. 313 f.: Der Rückgriff auf actio in factum und Billigkeit sei nur deshalb notwendig, weil es aus Pothiers Sicht keine geschriebene Regel im Recht gebe, die befriedigenden Schutz gewähren würde. Kuonen ordnet die Haftung ausdrücklich als quasivertraglich ein. Kritisch Procchi, Culpa in contrahendo, S. 147, Fn. 202. 543 Pothier, Traité des obligations, I, 1, Nr. 2.
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das scheint er auch hier im Sinn gehabt zu haben. Eine wichtige Erkenntnis ist jedenfalls – insbesondere im Hinblick auf das Verständnis, das spätere französische Juristen unter dem Code civil von Pothiers Behandlung dieser Frage hatten544 –, dass er die Ersatzpflicht nicht deliktisch begründet hat 545 und demnach zumindest in diesen Fällen für primäre Vermögensschäden keine deliktische Haftung statuierte. c) Umfang der deliktischen Haftung Auch wenn abgesehen von den gerade erörterten Beispielen, aus denen sich ein gewisser Rückschluss ziehen lässt, nähere Ausführungen zu Pothiers Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung fehlen, lassen sich unter Berücksichtigung von Pothiers weiteren Werken und seiner Ausrichtung weitere Überlegungen anstellen. Ähnlich wie bei Domat ist es natürlich auch hier möglich, dass Pothier neben der Formulierung des Prinzips als solchem auch eine starke Verallgemeinerung bezweckte. In den Werken Pothiers finden sich dazu jedoch keine Hinweise. Wie schon bei Domat scheint auch hier deshalb zumindest möglich, dass es ihm gar nicht um eine Ausweitung des Prinzips ging, sondern bloß darum, dieses an sich zu formulieren. Pothier war sowohl mit den Coutumes als auch mit dem römischen Recht bestens vertraut. Wie gezeigt, galten auch im droit coutumier zur deliktischen Haftung die (an die Umstände angepassten) Vorschriften der lex Aquilia, die Pothier in den „Pandectes“ ja ebenso erörtert. Diejenigen Juristen allerdings, die ein allgemeines Prinzip der deliktischen Haftung aufstellten, knüpften die Haftung jeweils an die Verletzung bestimmter Rechtsgüter an: das Leben, die Ehre und die Güter (so z.B. Prévost de la Jannès,546 Fleury,547 d‘Aguesseau548 oder Julien549). Schon bei den erwähnten Naturrechtlern schien dies eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein, und ähnlich stellt es sich auch für das französische Verständnis im Ancien droit dar. Dies verwundert kaum: Der Einfluss von Grotius und Pufendorf ist allgemein deutlich erkennbar. Auch Pothier bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Dass Pothier nun ein vollkommen anderes Verständnis als seine Vorgänger und Zeitgenossen vom Umfang der Haftung gehabt haben sollte, erscheint vor diesem Hintergrund ausge-
544
Siehe dazu S. 183 ff. Ähnlich Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 393, der bei Pothier eine „von systematischen und dogmatischen Zwängen unbelastete Schadensersatzlösung“ sieht. 546 Siehe dazu oben Fn. 479. 547 Siehe oben Fn. 480. 548 Siehe oben Fn. 465. 549 Julien verweist, wie gezeigt, nach Aufstellen der Generalklausel auf Grotius’ Ausführungen zur deliktischen Haftung, siehe oben Fn. 276. 545
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sprochen unwahrscheinlich, zumal diesbezügliche Erklärungen (die andernfalls wohl zu erwarten gewesen wären) fehlen. 550 Es ist daher davon auszugehen, dass auch er ganz im Einklang mit der zeitgenössischen Auffassung in der französischen Rechtswissenschaft, und geprägt durch naturrechtliche Vorstellungen, ganz selbstverständlich die Haftung an die Verletzung bestimmter Rechtsgüter geknüpft hat (freilich ohne andere Verletzungen ausdrücklich auszuschließen). Nähere Erörterungen schienen ihm nicht erforderlich, und an andere Fälle hat er offenbar schlichtweg nicht gedacht. 4. Zwischenergebnis zu Pothier Pothier war für die Redaktoren des Code civil von immenser Bedeutung. Doch was führte zu seinem Ansehen und zeichnete ihn gegenüber seinen Zeitgenossen aus? Pothier kannte die Gedanken der Juristen des Ancien droit, von du Moulin bis Domat. Er war sowohl mit den Coutumes vertraut wie auch mit dem römischen Recht. Letzteres systematisierte und reduzierte er auf das Wesentliche.551 Einerseits im Einklang mit der Tradition des Ancien droit, andererseits beeinflusst durch die Rationalität des Naturrechts, verwendete er eine ganz spezifische und ihm eigene Methode. Es gelang ihm, die Strömungen und Gedanken im Ancien droit zusammenzufassen 552 und zu harmonisieren.553 Wie kein anderer vor oder nach ihm während des Ancien Régime deckten seine Traités nahezu das gesamte Recht ab.554 Dabei ging es ihm jedoch – im Gegensatz etwa zu Domat – nicht um ein ideales Rechtssystems in Form eines theoretischen Konstrukts, sondern um die Erörterung der in der Praxis geltenden Normen – 550
Auch eine Untersuchung möglicher Einflüsse auf Pothier konnte keinen weiteren Aufschluss darüber geben, wie dieser die Regelungen zur Ersatzpflicht wohl verstanden haben kann. Der von Warnkoenig, Rechtsphilosophie in Frankreich, S. 275, behauptete Einfluss von Burlamaqui und Wolff lässt sich zumindest für das Deliktsrecht nicht aufzeigen: Die wenigen Stellen zur Ersatzpflicht bei Pothier weisen keine markante Übereinstimmung mit Wolff auf. Burlamaquis Werk „Principes du droit naturel“ (1747) fand zwar auch in Frankreich Beachtung – so erfolgte z.B. in der Encyclopédie unter dem Stichwort „droit de la nature“ eine ausführliche Diskussion der Principes du droit naturel (Diderot, Encyclopédie, „Droit de la nature“, S. 411 f.) –, eine nähere Auseinandersetzung mit der deliktischen Haftung findet sich bei Burlamaqui jedoch nicht. Er erörtert allein das allgemeine Prinzip als solches: „Il ne faut faire aucun tort à autrui, ni en parole, nie en action; & l’on doit réparer tout dommage: car la Société ne sauroit subsister, si l’on se permet des unjustices“ ( Burlamaqui, Principes du droit naturel, II, 4, § 17). Dieses Prinzip selbst wird zwar noch an weiteren Stellen erwähnt, Burlamaqui nimmt es aber weder als Ausgangspunkt für die Begründung oder Erörterung der deliktischen Haftung, noch stützt er darauf eine Generalklausel, die alle erforderlichen Voraussetzungen zur Begründung der Ersatzpflicht enthält. 551 Thireau, Pothier, le droit romain et le droit naturel, S. 124. 552 König, Pothier und das römische Recht, S. 128. 553 Arnaud, Origines doctrinales, S. 167. Pothier hat damit die französische Lehre seiner Zeit angepasst, Thireau, Pothier et la doctrine française, S. 54. 554 Thireau, Pothier, S. 637; Dunoyer, Blackstone et Pothier, S. 75.
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
also eine Abbildung des in Frankreich zu seiner Zeit tatsächlich geltenden Rechts.555 Für die Redaktoren des Code civil, von denen in kurzer Zeit überzeugende Lösungen erwartet wurden, 556 waren die Traités von Pothier daher ideal als Quelle und Vorlage.557 Pothiers Gesamtwerk hat ihre Arbeit erheblich erleichtert.558 Die Vereinheitlichung des Rechts gelang zwar nicht aufgrund seiner Werke an sich, sondern wurde nur durch die Entwicklungen in der Lehre in den ihr vorhergehenden 200 Jahren ermöglicht. 559 Pothier hat allerdings einen wesentlichen Beitrag geleistet, um sie zu vollenden. 560
555
König, Pothier und das römische Recht, S. 128. Dazu sogleich S. 108 f. 557 So auch Thireau, Pothier, S. 638. 558 Dunoyer, Blackstone et Pothier, S. 148 f. 559 Meynial, Rôle joué par la doctrine, S. 309. 560 Dunoyer, Blackstone et Pothier, S. 148 f. 556
Pufendorf
„… il faut mettre au premier rang les deux maximes suivantes; Ne faire du mal à personne; & , Réparer le dommage que l’on peut avoir causé.“ (DNG, III, 1, § 1; DHC, I, 6, § 2)
„De là il s’ensuit, que si l’on a fait du mal, ou causé du dommage à autrui, de quelque manière que ce soit qui puisse légitimement nous être imputée, il faut le réparer, autant qu’il dépend de nous.“ (DNG, III, 1, § 2)
Grotius
„Que l’on est obligé de tenir sa parole: Que l’on doit réparer le Dommage qu’on a causé par sa faute“ (DGP, Discours préliminaire, § 8)
„Or, quand on a causé du dommage par une faute comme celle-là, on est naturellement tenu de le réparer.“ (DGP, II, 17, § 1, Nr. 3)
„Toutes les pertes, & tous les dommages qui peuvent arriver par le fait de quelque personnes, soit imprudence, legereté, ignorance de ce qu’on doit scavoir, ou autres fautes semblables, si legeres qu’elles puissent être, doivent être réparées par celui dont l’imprudence ou autre faute y a donné lieu. Car c’est un tort qu’il a fait, quand même il n’auroit pa eu intention à nuire.“ (Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 1)
„C’est une suite naturelle … de l’engagement général de ne faire tort à personne, que ceux qui causent quelque dommage, … sont obligez de réparer le tort qu’ils ont fait.“ (Loix civiles, III, 5)
„C’est une loy naturelle, que celuy qui a donné sujet à quelque dommage, soit obligé à le réparer.“ (Traité des loix, XI, 26)
Domat
„Toutes les pertes qui naissent du fait par lequel on a causé le dommage, & qui ne seroient point arrivées sans cela, doivent être imputées à l’auteur du dommage, si celui qui l’a souffert n’a pu ni les prévenir, ni les arrêter, & ces pertes sont la juste mesure de l’étendue de la réparation.“ (Principes de la jurisprudence Françoise, II, 28, Nr. 617)
Prévost de la Jannès
„… la personne qui a commis le délit ou le quasi-délit est obligée à la réparation du tort qu’elle a causé.“ (Traité des obligations, Nr. 121)
„La loi naturelle est la cause au moins médiate de toutes les obligations: car si les contrats, délits ou quasi-délits produisent des obligations, c’est primitivement, parce que la loi naturelle ordonne que chacun tienne ce qu’il a promis, et qu’il répare le tort qu’il a commis par sa faute.“ (Traité des obligations, Nr. 123)
Pothier
B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht
Übersicht: Deliktische Generalklauseln bis zum Code civil
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
IV. Entstehung des Code civil Mit dem Code civil erhielt Frankreich im Jahr 1804 ein einheitliches Gesetzbuch für das gesamte Reich. Fünfzehn Jahre hatte es seit Beginn der Revolution gedauert, dieses auszuarbeiten. Zunächst mussten einige rechtliche und tatsächliche Voraussetzungen geschaffen werden (1.). Diverse Juristen legten Entwürfe für ein Gesetzbuch vor (2.), die zum Teil als Etappen auf dem Weg zum „finalen“ Entwurf (3.) und dem Code civil betrachtet werden können. Die allgemeinen Umstände der Entstehung und der Charakter des Gesetzbuchs sollen hier nur kurz angeschnitten werden; im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtung steht der Umfang der deliktischen Haftung in den jeweiligen Entwürfen und der endgültigen Fassung sowie das Verständnis, das diesen Regelungen zugrunde lag. 1. (Verfassungs-)Rechtliche Vorgaben und Zuständigkeit Die aus den Generalständen hervorgehende und sich am 17.6.1789 konstituierende Nationalversammlung (Assemblée nationale constituante)561 setzte ein Komitee ein, das mit dem Erstellen einer Verfassung betraut wurde.562 Bevor eine solche im September 1791 verabschiedet werden konnte, wurden verschiedene Einzeldekrete erlassen, die durch einen acte constitutionnel zusammengefügt wurden. Zu diesen Einzeldekreten gehörte unter anderem die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789, welche notwendige Voraussetzung für die Rechtseinheit in Frankreich und die Schaffung eines einheitlichen Gesetzbuchs war. Durch diese wurde alle Bürger gleichgestellt und die Stände sowie alle Privilegien abgeschafft 563 – alle Hindernisse, die einer Vereinheitlichung bisher noch im Wege gestanden hatten, wurden damit auf einen Schlag beseitigt: Die zuvor bestehende Spaltung der Gesellschaft war aufgehoben, und der Weg für ein einheitliches Gesetz damit frei. 564 Gleichzeitig wurden die dem Menschen von Natur aus und unveräußerlich zustehenden Rechte festgeschrieben, 565 zu denen im Besonderen die Freiheit zählte. Diese sollte ihre Grenzen lediglich in der Verletzung (der Rechte) anderer finden.566 561 Zunächst hatte sich nur der Dritte Stand zur Nationalversammlung erklärt. Am 9.7.1789 schlossen sich schließlich auch die beiden anderen Stände an und bildeten gemeinsam die Verfassungsgebende Nationalversammlung (Assemblée nationale constituante). 562 Dazu sowie zum Folgenden Hélie, Constitutions, S. 5. 563 Art. 1: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune“: Hélie, Constitutions, S. 30 f. 564 Sagnac, Législation civile, S. 12 f. 565 Dazu gehören gem. Art. 2 „la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l’oppression“, siehe Hélie, Constitutions, S. 31. 566 Siehe Art. 4: „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui: aussi l’exercice des droits naturels de chaque homme n’a de bornes que celles qui assurent aux autres membres de la société la jouissance de ces mêmes droits“, Hélie, Constitutions, S. 31.
B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht
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Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wurde auch Bestandteil der Verfassung vom 3.9.1791.567 Nachdem einem einheitlichen Gesetzbuch für das ganze Reich nun zumindest keine rechtlichen Hindernisse mehr im Wege standen, erhielt dieses Vorhaben auch gesetzliche Ausformung. Im Gesetz über die gerichtliche Ordnung vom 16.8.1790 heißt es: „Les lois civiles seront revues et réformées par les législatures; et il sera fait un code général de lois simples, claires, et appropriées à la constitution.“ 568 Die Verfassung von 1791 griff dies auf und gestaltet es sogar als verfassungsrechtlichen Auftrag aus: „Il sera fait un code de lois civiles communes à tout le royaume.“ 569 Die Vorgaben waren damit klar: Ein einheitliches Gesetzbuch für das ganze Reich sollte es geben, bestehend aus einfachen, klaren und mit der Verfassung in Einklang stehenden Gesetzen. Die Zuständigkeit für die Erarbeitung des Gesetzbuches wechselte im Laufe Revolution mehrfach. Die Verfassung von 1791 übertrug sie zunächst der Gesetzgebenden Nationalversammlung (Assemblée nationale législative),570 welche speziell hierfür ein Gesetzgebungskomitee einsetzte. Doch nur ein knappes Jahr später sollte sich dies wieder ändern: Nach der Absetzung Ludwigs XVI. am 10.8.1792 trat der Konvent (Convention nationale) an die Stelle der Gesetzgebenden Nationalversammlung. Die Erarbeitung eines Gesetzes wurde einem neuen comité de législation571 übertragen, das schließlich am 25.6.1793 vom Konvent aufgefordert wurde, innerhalb von sechs Wochen einen Entwurf zu präsentieren.572
567
Hélie, Constitutions, S. 268 ff. Loi sur l’organisation judiciaire (16.8.1790), Tit. II, Art. 19 (Hélie, Constitutions, S. 148). 569 Constitution française (3.9.1791), Tit. premier (a.E.) (Hélie, Constitutions, S. 271). 570 Constitution française (3.9.1791), Tit. III, Art. 3; tit. III, chap. premier; tit. III, chap. III, sec. première, Art. 1er: „La constitution délègue exclusivement au Corps législatif les pouvoirs et fonctions ci-après: 1° De proposer et décréter les lois“. 571 Dieses Gesetzgebungskomitee, welches Jean Jacques Régis de Cambacérès präsidierte, bestand aus 48 Mitgliedern; über die Hälfte davon waren Anwälte. Die verschiedenen Rechtsfragen sollten der Reihe nach diskutiert werden. Weil dies zu lange dauerte, erfolgte eine Aufteilung in vier Sektionen mit jeweils zwölf Personen; zwei Mal pro Woche wurde gemeinsam vor allen berichtet und diskutiert, Sagnac, Législation civile, S. 48 ff.; Halpérin, L’impossible Code civil, S. 116 f. 572 Cambacérès kritisierte die Abgeordneten, die den zeitlichen Rahmen für diesen Entwurf gesetzt haben: „qui n’ont jamais écrit une ligne, mais qui parlent sans cesse au petit ordre du jour“: Mémoires inédites, S. 162. Halpérin, Le codificateur au travail, S. 155, mahnt zu gewisser Vorsicht bei diesen Memoiren von Cambacérès. Im Hinblick auf deren Aussagekraft seien etwaige Unvollständigkeiten oder beschönigte Darstellungen zu berücksichtigen. 568
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
2. Entwürfe Bereits kurz vor und auch noch in den ersten Jahren nach Beginn der Revolution erreichten die zuständigen Stellen private Entwürfe verschiedener Juristen. Das im Jahr 1791 eingesetzte Gesetzgebungskomitee unterstützte diese Initiativen und rief die Bürger dazu auf, Vorschläge für ein Gesetzbuch zu machen, was diese auch taten.573 In der Folgezeit schlossen sich langwierige Diskussionen zu den verschiedenen Rechtsgebieten an – bei nahezu jeder Frage entbrannte der Streit zwischen altem und neuem Recht erneut 574 –, zu der Entstehung eines offiziellen Entwurfs führte dies jedoch nicht. 575 Der Jurist Gabriel-Jean de Dieu d’Olivier (1753–1823)576 war besonders aktiv um die Vereinheitlichung des Rechts bemüht. 577 Vor der Revolution veröffentlichte er dazu gleich mehrere Werke und präsentierte einen Entwurf sogar der Assemblée nationale.578 Interessant darin ist der unverkennbare Einfluss von Domat, insbesondere bei der Unterscheidung zwischen natürlichen und willkürlichen Gesetzen. 579 Zur deliktischen Haftung enthielt sein Entwurf 573 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 98 f.; Sagnac, Législation civile, S. 48. Einer dieser Vorschläge kam 1793 von Agier. Hinsichtlich der Pflichten des Menschen unterscheidet dser wie Pufendorf oder Wolff solche gegenüber Gott, sich selbst und anderen Menschen: Réformation des loix civiles, S. 139 ff. Als oberste Pflicht hebt er hervor „ne faites point à autrui ce que vous ne voudriez pas qu’on vous fît“, a.a.O., S. 141, gefolgt von der Pflicht, anderen zu tun was man will, dass sie uns tun. Im Folgenden bezieht er dieses Verletzungsverbot auf bestimmte Rechtsgüter wie das Leben, die Gesundheit, das Ansehen, die Freiheit oder das Eigentum, a.a.O., S. 141 ff. 574 Sagnac, Législation civile, S. 13 ff. 575 Sagnac, Législation civile, S. 48. 576 Halpérin, Olivier, S. 596. 577 van Kan, Efforts de codification, S. 155 ff., geht mit d’Olivier hart ins Gericht: Ihm fehlten „solide juristische Kenntnisse“ für ein derartiges Projekt (S. 155). Den Entwurf bezeichnet er einerseits als „beinahe albern“ (S. 157), andererseits sieht er darin aber auch interessante Neuheiten. 578 d‘Olivier ging es darum, die Unterschiede zwischen den Coutumes zu beseitigen, um so für Rechtssicherheit und nationale Einheit zu sorgen. Er war der Ansicht, dass die Verschiedenartigkeit der Coutumes ein Fremdheitsgefühl gegenüber anderen Provinzen erzeugen würde, van Kan, Efforts de codification, S. 156. Rechtsquellen sollten einerseits die Coutume von Paris sein, andererseits bestimmte Vorschriften des römischen Rechts, die er als besonders gerecht und als mit der natürlichen Vernunft übereinstimmend ansah. Dazu d’Olivier, Nouveau Code civil, S. V: „La principale base, dont j’ai fait choix, est la conciliation des coutumes françaises que j’ai cru devoir ramener vers ce point fixe de réunion, savoir: La conciliation de la Coutume de Paris avec les Loix romaines les plus justes, & les plus conformes à la raison naturelle.“ Siehe dazu auch Descamps, Origines de la responsabilité, S. 444; Halpérin, L’impossible Code civil, S. 86. 579 „Tandis que pour l’interprétation des loix naturelles, il n’est jamais besoin de demander d’explication, ni d’addition, ni de modification à aucun Législateur mortel“, d’Olivier, Nouveau Code civil, Maxime II (S. IX); „[ils] ne peuvent se commenter qu’à l’aide de la raison & des lumières naturelles“, a.a.O., S. VIII; die positiven Gesetze dagegen können
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nur wenige Vorschriften; ein wahres Konzept oder System ist darin nicht erkennbar. Jeder sei nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich 580 und „celui qui a porté quelque préjudice à autrui doit le réparer, quoiqu’il n’en ait luimême retiré aucun profit.“ 581 Zum Umfang der Haftung erklärte sich d’Olivier allerdings nicht, ebenso blieben die Haftungsvoraussetzungen undeutlich. Es folgten weitere Entwürfe anderer Juristen, die allerdings entweder nur zu bestimmten Fragen Vorschläge enthielten, oder die nicht den Anforderungen des Gesetzgebers entsprachen. 582 Neben diesen privaten Entwürfen, denen wenig Erfolg beschieden war, bemühte sich auch die Nationalversammlung, selbst ein Gesetzbuch zu entwerfen. Diese Versuche werden gewöhnlich mit dem Namen von Jean Jacques Régis de Cambacérès (1753–1824) in Verbindung gebracht. Freilich hat dieser die Entwürfe nicht alleine ausgearbeitet. Er stand jedoch nicht nur dem Gesetzgebungskomitee vor und übernahm die Präsentation vor der Nationalversammlung, sondern er übte auch inhaltlich den größten Einfluss auf die Entwürfe aus und leitete deren Ausarbeitung. 583 „modifiées, augmentées, ou changées“ werden, Article préliminaire, S. 3; alle Pflichten des Menschen seien durch die Natur und die Vernunft geboten und uns durch Gott ins Herz geschrieben, Article préliminaire, S. 1: „La nature & la raison inspirent tous les devoirs qui sont imposés à chaque individu de l’espèce humaine. Ce Code non écrit est gravé dans tous les cœurs par la divinité.“ Siehe zum Vergleich Domat, Traité des Loix, XI. Vgl. auch Halpérin, Olivier, S. 596. 580 d’Olivier, Nouveau Code civil, Tit. VI, Loi 5. Die Haftung für das Verhalten anderer Personen (le fait d’autrui) lehnte er damit grundsätzlich ab. Im Rahmen besonderer Schuldverhältnisse machte er davon aber Ausnahmen: Der Mieter hafte nicht nur für Schäden durch sein eigenes Verhalten, „mais aussi de ceux qui ont été causés par leurs domestiques ou employés, & par les autres personnes qu’ils ont fait habiter avec eux dans la maison louée“, a.a.O., Tit. IV, Loi 24. 581 d’Olivier, Nouveau Code civil, Tit. VI, Loi 7. Neben diesem Prinzip als solchem findet sich lediglich eine weitere allgemeine Vorschrift zur Haftung: Für die Folgen von Ratschlägen solle nur im Falle absichtlicher Fehlinformationen gehaftet werden, nicht dagegen, wenn sie in gutem Glauben erteilt wurden (a.a.O., Tit. VI, Loi 10). Dies ist insofern allerdings bemerkenswert, als zuvor noch keiner diesen speziellen Fall hervorgehoben hat und er keiner der bisher diskutierten Fallgruppen zuzuordnen ist: In derartigen Fällen besteht der Schaden häufig in reinen Vermögenseinbußen, eine Kategorie, die bisher so nicht erörtert wurde und von der vorherrschenden Anknüpfung an Rechts- oder Rechtsgutsverletzungen abweichen würde. d’Olivier könnte damit ein weiteres Verständnis von der deliktischen Haftung gehabt haben bzw. wollte diese möglicherweise auch auf über diese „klassischen“ Fälle hinausgehende Verletzungen erstrecken. Mangels näherer Angaben lässt sich dies aber nicht überprüfen. 582 Für Details siehe van Kan, Efforts de codification, S. 159 f., 274 f.; Halpérin, L’impossible Code civil, S. 86; Descamps, Origines de la responsabilité, S. 446. 583 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 117 f. Cambacérès hat z.B. dafür gesorgt, dass bestimmte Abgeordnete, die er aufgrund ihrer Arbeitsweise und -einstellung für besonders geeignet hielt, wie etwa Merlin de Douai, mit der Ausarbeitung betraut wurden: Cambacérès, Mémoires inédites, S. 162. Dass es zudem eine gewisse Gesamtleitung gegeben haben
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a) Die Entwürfe von Cambacérès Nach der Aufforderung des Konvents, innerhalb von sechs Wochen einen Entwurf zu präsentieren, blieb dem Gesetzgebungskomitee nicht viel Zeit, einen solchen zu erarbeiten.584 Freilich musste die Gesetzgebungskommission nicht ganz bei Null anfangen, ihr stand eine Fülle an Material zur Verfügung. Zudem ging es ihr von Anfang an nicht darum, ein vollkommen neues Recht zu schaffen. 585 Die „Vorarbeiten“ der vorhergehenden Nationalversammlungen, vor allem aber die des Ancien droit – besonders sind dabei Pothiers traités hervorzuheben, die das Ancien droit in seiner Gesamtheit darstellten und damit einen hervorragenden und umfassenden Überblick boten –, haben diese schnelle Arbeit nicht nur erleichtert, sondern überhaupt erst ermöglicht. 586 Am 8.8.1793 kam es tatsächlich zur Präsentation eines Entwurfs durch Cambacérès: 719 Artikel, deren Aufteilung er – in Übereinstimmung mit der der Institutionen – als „natürlich vorgegeben“ ansah. 587 Doch nicht nur dieser äußere Aufbau lehnte sich an das römische Recht an; auch inhaltlich übernahm der Entwurf an vielen Stellen dessen Regelungen und Lösungen. 588 Gleichwohl ist der erste Entwurf in besonderem Maße von dem Anliegen gekennzeichnet, die revolutionären Gedanken und Prinzipien im Recht zu verwirklichen. 589 Wo immer es zu einer Neuerung kam, findet sich in der Regel zur Begründung ein Verweis auf das Naturrecht.590 Die dem Naturrecht zugeschriebenen Qualitäten sollte auch der Code civil verwirklichen: Einfachheit, Klarheit und Prägnanz, daneben aber vor allem Uniformität, Universalität und Unveränderlichkeit. 591 Auch hierin zeigt sich ein Grund für die Übernahme des römischen Rechts, muss, wird auch daran deutlich, dass der Entwurf sehr einheitlich verfasst ist, Halpérin, a.a.O., S. 118. 584 Obwohl die Rahmenbedingungen insgesamt denkbar ungünstig waren, war Cambacérès doch bemüht, einen akzeptablen Entwurf vorzulegen. Ein qualitativ hochwertiges Werk war unter diesen Umständen allerdings von vornherein so gut wie ausgeschlossen: Le Gall, Cambacérès en pied, S. 179. 585 Vigié, Nécessité d’une édition historique du Code civil, S. 26. 586 Sagnac, Législation civile, S. 50 f. 587 Cambacérès, Mémoires inédites, S. 163. 588 Cambacérès begründet dies damit, dass das römische Recht schließlich in ganz Frankreich als raison écrit angesehen wurde, es sei „le monument le plus précieux de la sagesse humaine, le corps le plus complet de législation civile, le guide le plus savant et le plus sûr, que les magistrats et les légistes puissent consulter“: Mémoires inédites, S. 163 f. 589 Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation, S. 267; Combette, L’influence du Droit romain, S. 47 f.; A. Esmein, L’originalité du Code civil, S. 9. Dies galt insbesondere für das Familien- und Erbrecht, Halpérin, L’impossible Code civil, S. 123. 590 Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation, S. 267. 591 A. Esmein, L’originalité du Code civil, S. 5; Boudon, Les projets de Code civil „Cambacérès“, S. 100. Dieser Gedanke, „la législation civile comme reflet de la nature“, ist nicht nur bei Cambacérès anzutreffen, sondern später ebenso noch bei Portalis oder Bigot-Préameneu, a.a.O., S. 92.
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denn dieses – insbesondere die Regelungen zum Obligationenrecht – sahen die Redaktoren als Ausdruck des Naturrechts an. 592 Die Werke der Naturrechtler waren den Mitgliedern des Gesetzgebungskomitees bekannt,593 und auch Domats Lois civiles waren jedem zugänglich. 594 Cambacérès bevorzugte jedoch keinen Naturrechtler im Besonderen; zudem: Obwohl im ersten Entwurf in vielen Vorschriften Domat zumindest mittelbar erkennbar ist, so ist es doch Pothier, der darin omnipräsent erscheint. 595 Die deliktische Haftung wird nicht separat in einem eigenständigen Abschnitt erörtert, sondern im Zusammenhang mit den Entstehungsgründen von Obligationen: „Il y a des faits qui obligent sans convention et par la seule équité; … Ainsi, tout homme qui a causé du dommage à un autre, dans sa personne ou dans ses biens, est obligé à le réparer.“596
Mit dieser Formulierung hat Cambacérès das allgemeine Prinzip der deliktischen Haftung im französischen Recht in einem „offiziellen“ Text eingeführt und wollte es zu positivem Recht machen. 597 Mehr als dieser allgemeine Grundsatz wird dabei jedoch nicht aufgestellt und insbesondere die Anknüpfung an die faute findet sich darin nicht. Dafür erfolgt eine klare Begrenzung auf die vom Schutz der Vorschrift erfassten Rechtsgüter: Die Haftung knüpft an eine Verletzung der Person oder der Güter. Damit wurde hier ausgesprochen, was – wie gezeigt – im Ancien droit trotz unter Umständen weiter gefasster Formulierung gängiges Verständnis war. Im Rahmen der deliktischen Haftung ging es eben immer nur um den Ersatz von Schäden, die an bestimmten Rechten und Rechtsgütern auftreten, andere Fälle wurden in dem Zusammenhang nicht diskutiert und eine „Ausweitung“ der Haftung scheint von Cambacérès daher auch nicht gewollt gewesen zu sein. Obwohl im übrigen Obligationenrecht weitgehend auf die Vorschriften des römischen Rechts – in der Gestalt, in der es in Frankreich zu dieser Zeit angewendet wurde – zurückgegriffen wurde,598 so zeigt sich in diesem allgemeinen Prinzip der deliktischen Haftung doch eine Abkehr vom römischen Recht und der dieses prägenden Kasuistik. Das Deliktsrecht sollte sich stattdessen durch die naturrechtliche Generalklausel kennzeichen. Diesen Gedanken, die deliktische Haftung auf
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Combette, L’influence du Droit romain, S. 61 ff. Halpérin, L’impossible Code civil, S. 121. 594 Gilles, Pensée juridique, S. 560 f. 595 Gilles, Pensée juridique, S. 562 f. Descheemaeker, Division of wrongs, S. 118, hebt allerdings hervor, dass dies gerade für die Einteilung des Deliktsrechts nicht gelte und die Redaktoren dort nicht auf Pothier zurückgegriffen hätten. 596 Fenet, Travaux préparatoires I, S. 65. 597 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 130 f. 598 Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation, S. 267. 593
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eine Generalklausel zu stützen und sich mit der Formulierung dieses allgemeinen Prinzips vom römischen Recht abzuwenden, entwickelte Cambacérès schon im Verlaufe seiner juristischen Ausbildung. 599 Obwohl das Komitee versuchte, den Entwurf so klar und so kurz wie möglich auszugestalten, 600 bestand der Hauptkritikpunkt des Konvents eben in dessen Kompliziertheit und Länge. 601 Zudem sei das römische Recht zu sehr verändert worden: Das Werk mehrerer Jahrhunderte dürfe nicht einfach so zerstört werden.602 Der Konvent beschloss daher – ganz zum Unverständnis von Cambacérès603 –, den Entwurf einer Kommission von Philosophen zur Überarbeitung vorzulegen. 604 Gewünscht war die Aufstellung von Prinzipien und der damit verbundenen Konsequenzen – mehr aber auch nicht. 605 Diese Philosophenkommission nahm in der Folgezeit auch ihre Arbeit auf, einen neuen Vorschlag legte sie aber nicht vor. Dafür präsentierte aber das Gesetzgebungskomitee um Cambacérès, das parallel ebenfalls an einer Überarbeitung gesessen hatte,606 dem Konvent am 9.9.1794 (23 fructidor an II) einen neuen Entwurf. Aus 719
599 Ganz klassisch für einen Juristen aus dem pays du droit écrit erfolgte diese anhand des römischen Rechts. In seiner Bibliothek befanden sich die Institutions du droit français von Serres (näher dazu Halpérin, Le codificateur au travail, S. 162). Wie bereits ausgeführt, erörterte Serres im Deliktsrecht die Vorschriften der lex Aquilia. Er nahm dabei aber weder eine Abstraktion vor oder versuchte, allgemeine Prinzipien zu formulieren, noch verwies er – wie etwa Julien – auf Grotius oder andere Naturrechtler. Cambacérès hat seine Ausgabe dieses Werks mit Anmerkungen versehen. Zur deliktischen Haftung notierte er: „ceux qui souffrent quelque préjudice par la suite de la faute d’autrui doivent obtenir des dommages et intérêts“ – er stellte hier also ein allgemeines Prinzip, eine Generalklausel für die deliktische Haftung auf. Diese übernahm er nun auch in seinem ersten Entwurf von 1793, und sie findet später Eingang in den Code civil, Halpérin, a.a.O., S. 163. Gleichzeitig zeigt diese Stelle aber auch, dass Cambacérès sehr wohl von dem Erfordernis der faute ausgegangen ist. 600 Cambacérès, Mémoires inédites, S. 168. 601 Cambacérès, Mémoires inédites, S. 167, 174; Fenet, Travaux préparatoires I, S. XLVII; Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 244. Diesem Vorwurf, den insbesondere die Montagnards vorbrachten, stehen die tatsächliche Rationalität und Präzision des Entwurfs entgegen, Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation, S. 269. 602 Cambacérès, Mémoires inédites, S. 167. 603 Cambacérès, Mémoires inédites, S. 175: „Cette proposition inconvenante fut adoptée presque de confiance et ne donna lieu à aucune réclamation“. 604 „[U]ne commission, formée de six membres choisis par le Comité de Salut public, révisera et retouchera le Code civil présenté par le Comité de législation, et que cette commission lui soumettra le plus tôt possible son travail“, zitiert nach Sagnac, Législation civile, S. 52. 605 Sagnac, Législation civile, S. 52. 606 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 152 f.: Neben Cambacérès waren auch Couthon und Merlin de Douai mit dieser Überarbeitung beschäftigt; als „commision de classification des lois“ versuchten sie, Ordnung in die bisher verabschiedeten Einzelgesetze zu bringen; dazu auch Chartier, Portalis, père du Code civil, S. 151 f. – Cambacérès wollte den ersten Entwurf nicht ganz verloren geben: Mémoires inédites, S. 175.
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Artikeln wurden 297, es blieben lediglich Grundsätze und Prinzipien übrig. Erkennbar wird dies auch am Deliktsrecht: „Il y a des faits qui obligent sans convention et par la seule équité. … Celui qui cause un dommage est tenu de le réparer.“ 607
Ganz im Sinne der Vorgabe des Nationalkonvents ist nur noch das allgemeine Prinzip als solches vorhanden. Der Bezug auf bestimmte Rechtsgüter ist entfallen. Die Formulierung weist eine gewisse Ähnlichkeit mit der Generalklausel von Grotius auf, der in ganz ähnlicher Weise das allgemeine Prinzip statuiert hatte („Or, quand on a causé du dommage par une faute comme celle-là, on est naturellement tenu de le réparer“).608 Ob damit aber tatsächlich eine Ausweitung der Haftung über die im ersten Entwurf noch aufgezählten Schäden an Person und Gütern hinaus auch gemeint war, ist auch hier fraglich. Die Pflicht, durch eigenes Verhalten verursachte Schäden zu ersetzen, stellte ein allgemeines Prinzip dar und wurde seit dem Naturrecht so formuliert. Diese allgemeine Formulierung war schon dort ebenso selbstverständlich wie die Beschränkung auf die Verletzung bestimmter Rechtsgüter; auch die Formulierung im ersten Entwurf zeigt ja, dass das Komitee genau davon auch ausgegangen war. Naheliegend ist vielmehr, dass die anderslautende Formulierung lediglich auf der vom Konvent gewünschten Verallgemeinerung beruhte und inhaltlich überhaupt keine Änderung beabsichtigt war. Was hinter dem Prinzip steckte, war vielmehr (nach wie vor) eine Selbstverständlichkeit. Dass sich innerhalb eines Jahres die Vorstellungen von der deliktischen Haftung grundlegend geändert haben sollten, erscheint eher unplausibel. Obwohl Cambacérès optimistisch gewesen war, 609 konnte auch diese Fassung den Konvent im Ergebnis allerdings nicht überzeugen. Er selbst hatte im Vorfeld die Gefahr einer zu starken Kürzung gesehen: Dies könne die „soziale Harmonie“ zerstören und zu Anwendungsproblemen führen. 610 Und genau daran stieß sich dieses Mal der Konvent: Der Entwurf sei viel zu kurz und „ähnele mehr einem Inhaltsverzeichnis denn einem Gesetz“; zu viele Fälle seien darin nicht gelöst und die Richter würden zu den wahren Gesetzgebern. 611
607 Fenet, Travaux préparatoires I, S. 124. Für eine Gegenüberstellung der verschiedenen Entwürfe siehe die Übersicht auf S. 125. 608 Siehe dazu oben S. 30 (Fn. 86). 609 So schreibt er in seinen Erinnerungen: „Ainsi corrigé, le projet fut beaucoup mieux accueilli lorsque je le présentai de nouveau le 23 fructidor an II“, Cambacérès, Mémoires inédites, S. 175. Warum auch dieser Entwurf nicht verabschiedet wurde, erwähnt er hingegen nicht. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass ein weiterer Entwurf unter seiner Leitung eingebracht wurde, der zur Grundlage des Code civils wurde, Le Gall, Cambacérès en pied, S. 192. 610 Cambacérès, Mémoires inédites, S. 175. 611 Sagnac, Législation civile, S. 53; Fenet, Travaux préparatoires I, S. XLVII; Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 245.
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Am 27.7.1795 ersetzte das Directoire nach dem Sturz Robespierres den Konvent. Nach der Verfassung vom 22.8.1795 (5 fructidor an III)612 wurde die Legislativgewalt nun vom Conseil des Anciens und dem Conseil des CinqCents ausgeübt,613 wobei mit der Gesetzgebung letzterer betraut war.614 Dieser setzte eine neue Kommission ein (commission de la classification des lois),615 die, wieder unter der Leitung von Cambacérès, die Arbeit der vorherigen Kommission fortführen sollte. 616 Der nunmehr dritte Entwurf, präsentiert am 14.6.1796, enthielt verglichen mit den beiden vorhergehenden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede: Nach wie vor folgte die Einteilung dem Plan der Institutionen, mit 1104 Artikeln war dieser Entwurf jedoch wieder wesentlich umfassender und ausführlicher. 617 Es dominierten nicht mehr die neuen, revolutionären Gedanken, sondern es erfolgte eine Besinnung auf das Ancien droit und eine Bezugnahme auf Rechtsprechung und Autoritäten dieser Zeit. 618 Portalis bezeichnete den Entwurf später als „chef-d’œuvre de méthode et de précision“.619
612 Diese Verfassung ist noch unter einem anderen Aspekt interessant. Auch sie beginnt mit der Erklärung von Menschen- und Bürgerrechten; unmittelbar daran schließt sich allerdings ein Abschnitt zu Pflichten an. Art. 2 lautet: „Tous les devoirs de l’homme et du citoyen dérivent de ces deux principes, gravés par la nature dans tous les cœurs: Ne faites pas à autrui ce que vous ne voudriez pas qu’on vous fît. Faites constamment aux autres le bien que vous voudriez en recevoir“, siehe Hélie, Constitutions, S. 437 f. Dazu auch Funck-Brentano, Contrat Social, S. 113. Damit wurde auch die der Schadensersatzpflicht zugrunde liegende „goldene Regel“ verfassungsrechtlich verankert, und zwar in der Ausgestaltung, in der Wolff oder d‘Aguesseau sie formuliert haben. 613 Constitution de la République française (22.8.1795), Tit. V, Art. 44: „Le Corps Législatif est composé d’un Conseil des Anciens et d’un Conseil des Cinq-Cents“, siehe Hélie, Constitutions, S. 442. 614 Constitution de la République française (22.8.1795), Tit. V, Art. 76: „La proposition des lois appartient exclusivement au Conseil des Cinq-Cents“ (Hélie, Constitutions, S. 444). 615 Rechtsgrundlage für die Einsetzung dieser Kommission war Art. 67 der Constitution de la République française (22.8.1795), Hélie, Constitutions, S. 443. 616 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 233. Die bereits für den zweiten Entwurf geschaffene Commission de la classification des lois (siehe oben Fn. 606) wurde damit wieder eingesetzt und hatte erneut die Aufgabe, die bestehenden Gesetze zu überarbeiten und zu vervollständigen. Dazu sowie näher zur Arbeitsweise Cambacérès, Mémoires inédites, S. 377 ff. 617 Zweck des gesteigerten Umfangs war es, der zuvor geäußerten Kritik zu begegnen: Die Richter sollten Maßstäbe für ihre Entscheidungen erhalten, um zu verhindern, dass sie die eigentlichen Gesetzgeber würden, siehe Halpérin, L’impossible Code civil, S. 234; Sagnac, Législation civile, S. 53 f. – Die Ausführungen von Cambacérès bei der Präsentation des Entwurfs können schwerlich als neuartig bezeichnet werden; sie stellen vielmehr einen Zusammenschnitt aus den vorhergehenden dar, Halpérin, Le codificateur au travail, S. 158. 618 A. Esmein, L’originalité du Code civil, S. 10 f. 619 Présentation et exposé des motifs devant le Corps-Législatif (28 ventôse an XII), abgedruckt in Fenet, Travaux préparatoires I, S. XCIX.
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Die Regelungen zum Deliktsrecht unterschieden sich von denen im zweiten Entwurf kaum: Artikel 738: „Il y a des faits qui obligent sans convention et par la seule équité.“ Artikel 745: „Celui qui cause un dommage est tenu à le réparer, quel que soit le fait qui y donne lieu.“ Artikel 746: „Le dédommagement est réglé par les juges, selon les circonstances, et sur un rapport d’experts.“620
Das allgemeine Prinzip, dass durch eigenes Verhalten verursachte Schäden zu ersetzen sind, wurde wörtlich übernommen; es erfolgte lediglich eine nähere Spezifizierung der Handlung sowie die Zuweisung der genauen Festlegung der Entschädigung an die Richter. Das Prinzip als solches blieb aber genau so erhalten, wie es war; die Anlehnung an die Naturrechtler, insbesondere an Grotius, ist weiterhin erkennbar.621 Im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter und den Umfang der Regelung erfolgte gegenüber dem zweiten Entwurf keine Änderung. Obwohl sich dieser Entwurf durch Präzision und Methode auszeichnete und sehr sorgfältig erarbeitet wurde, kam es wieder nicht zu einer Verabschiedung. Ausschlaggebend dafür waren aber wohl nicht primär inhaltliche, sondern eher organisatorische Gründe.622 Mit dem Scheitern des dritten Entwurfs endete auch Cambacérès’ gesetzgeberische Betätigung (zunächst).623 b) Zwischenergebnis Auf den ersten Blick scheinen die Bemühungen Cambacérès’ umsonst gewesen zu sein, blieben doch alle von ihm geleiteten Versuche im Ergebnis erfolglos: Abgesehen von einzelnen Vorschriften, die als Gesetze erlassen wurden, 624 konnte die Entwürfe nicht überzeugen; die angestrebte Kodifikation brachte er nicht hervor. Dennoch kann er hinsichtlich der Entstehung des Code civil deshalb nicht einfach hinweggedacht werden. Eine Vielzahl der Vorschriften des 620 Fenet, Travaux préparatoires I, S. 280 f.; Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 245. Siehe auch S. 125 (Gegenüberstellung der Entwürfe). 621 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 239. 622 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 250; siehe auch Fenet, Travaux préparatoires I, S. XLIX ff.; Sagnac, Législation civile, S. 53 f. 623 1799 machte ihn Napoléon zum Zweiten Konsul (siehe dazu Art. 39 der Constitution de la République française du 22 frimaire an VIII, Hélie, Constitutions, S. 580) und übertrug ihm später auch die Präsidentschaft im Conseil d’État. In dieser Funktion war er an den Beratungen und der Verabschiedung des Code civil beteiligt und nahm auf diese Weise doch noch gewissen Einfluss auf dessen Inhalt: Devaux, Cambacérès, S. 154 f. Dass Napoléon ein hohes Ansehen von Cambacérès gehabt hat, zeigt auch dessen Ausspruch, Cambacérès hätte „la réputation d’un des meilleurs jurisconsultes de la République“, zitiert nach Le Gall, Cambacérès en pied, S. 172. 624 Chartier, Portalis, père du Code civil, S. 149 f., 154.
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Code civil geht unmittelbar auf den dritten Entwurf zurück oder wurde sogar wörtlich aus diesem übernommen. 625 Zudem reflektieren seine Entwürfe die jeweiligen (politischen) Einstellungen: Cambacérès vertrat keine eigene Philosophie, sondern passte sich den Gegebenheiten und Erwartungen an. 626 Ob nun die Verfechter des philosophischen Geistes oder die der Tradition dominierten – Cambacérès ist auf die jeweiligen Präferenzen eingegangen. 627 Ebenso haben Naturrecht, Coutumes und römisches Recht jeweils ihren Platz in seinen Entwürfen gefunden – dies gilt insbesondere für die letzten beiden Entwürfe, die nicht mehr so stark von dem Anliegen bestimmt waren, das Recht zu erneuern.628 Im Allgemeinen sind die Regelungen zum Obligationenrecht in Cambacérès’ Entwürfen zwar klar auf das römische Recht zurückzuführen; für die deliktische Haftung gilt dies jedoch gerade nicht: Die Formulierung eines allgemeinen Prinzips bedeutet die Abwendung von der Klagenvielfalt, das Schaffen von Abstraktion und eine Entscheidung für den naturrechtlichen Ansatz. Die Regelungen blieben insgesamt aber sehr allgemein gehalten; die faute war nach keiner von ihnen eine Voraussetzung der Haftung. Ebenso gab es keine Differenzierung zwischen vorsätzlichem und (lediglich) unvorsichtigem Verhalten, also zwischen Delikten und Quasidelikten. Was den Umfang der Haftung anbelangt, so scheint aber auch diesen ersten (gescheiterten) Entwürfen die Annahme zugrunde gelegen zu haben, dass über die deliktische Haftung Schäden ersetzt werden, die die Verletzung bestimmter Rechtsgüter wie das Leben, den Körper oder das Eigentum betreffen. Der Ersatz davon abweichender Schäden wurde nicht diskutiert; diese Frage stellte sich offenbar einfach nicht.629 3. Der „finale“ Entwurf Nach dem Scheitern der Kodifikationsversuche durch Cambacérès setzte der inzwischen zum Ersten Konsul ernannte Napoléon630 eine neue Gesetzgebungskommission ein, bestehend aus François Denis Tronchet, Félix Julien 625 Halpérin, L’impossible Code civil, S. 231; so auch – rückblickend – Cambacérès selbst: Mémoires inédites, S. 175: „C’est cette dernière édition qui a servi de base au corps de droit, par lequel la France est encore régie en matière civile.“ 626 Halpérin, Le codificateur au travail, S. 159. 627 Sagnac, Législation civile, S. 382 ff. 628 Combette, L’influence du droit romain, S. 47. 629 Im Anschluss an die drei Projekte von Cambacérès folgte ein vierter „offizieller“ Kodifikationsversuch, den Jacqueminot am 21.12.1799 dem Conseil des Cinq-Cents präsentierte, siehe Fenet, Travaux préparatoires I, S. LVIII ff.; Halpérin, L’impossible Code civil, S. 257 f. Eine nähere Beschäftigung damit ist hier nicht geboten, da der Entwurf keine Regelungen zur deliktischen Haftung enthielt. 630 Das Directoire war abgesetzt und Siéyès, Roger-Ducos und Bonaparte bildeten als Konsule die Exekutivgewalt gem. Art. 1 f. des Acte des conseils qui confie le gouvernement à une commission consulaire (10 novembre/19 brumaire an VIII), Hélie, Constitutions,
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Jean Bigot-Préameneu, Jean-Étienne-Marie Portalis und Jacques Maleville.631 Alle von ihnen waren Männer der Praxis, die mit dem französischen Recht bestens vertraut waren. Auch das in Frankreich geltende römische Recht kannten sie. Dies galt nicht nur für Maleville und Bigot-Préameneu, die aus dem pays du droit écrit stammten, sondern auch für Tronchet und Portalis sowie für Napoléon;632 zudem waren sie auch mit den während der Revolution verabschiedeten Gesetzen vertraut und erschienen daher gut geeignet, den gewünschten Entwurf zu verfassen. 633 Dieser vereinigte im Ergebnis die Traditionen von droit écrit und Coutumes und stellte sich als eine Art Kompromiss zwischen altem Recht und revolutionären Gedanken dar. 634 Dies ist ein weiterer Grund dafür, dass überwiegend Pothier und nicht Domat herangezogen wurde. Einer stärkeren Berücksichtigung Domats standen nicht nur die religiösen Elemente in dessen Werk entgegen; auch hatte er das droit coutumier weitgehend außer Acht gelassen, Pothier dagegen setzte sich nicht nur damit, sondern mit dem gesamten französischen Recht auseinander. 635
S. 558; siehe auch Art. 39 der Constitution de la République française du 22 frimaire an VIII, Hélie, a.a.O., S. 580. Zur Rolle Napoléons bei der Entstehung des Code civil siehe Bourdon, Napoléon au Conseil d’Etat. 631 Fenet, Travaux préparatoires I, S. LXII. Genauer zu der Arbeit und zum weiteren Ablauf: Locré, Législation civile, S. 70 ff. 632 Combette, L’influence du droit romain, S. 59 ff.; Sagnac, Législation civile, S. 392 f. 633 Chartier, Portalis, père du Code civil, S. 157 f. Noch einmal drohte das Projekt zu scheitern, als die Abgeordneten den von Portalis verfassten Titre préliminaire ablehnten, a.a.O., S. 180 f. Gegenstand des Titre préliminaire sollten u.a. Definitionen und das Verhältnis von Natur- und positivem Recht sein. Inspirationsquelle für Portalis war der Traité des loix von Domat, aus dem er ganze Formulierungen wörtlich übernahm: Gilles, Pensée juridique, S. 565 ff. Doch die Beratung und Abstimmung einzelner Gesetze wurde fortgesetzt und am 21.3.1804 (30 ventôse an XII), nachdem doch noch einige Änderungen und Verbesserungen vorgenommen worden waren, wurde der Code civil des Français verabschiedet, Chartier, a.a.O., S. 203. 634 Portalis, Discours préliminaire, S. 20: „Nous avons fait, s’il est permis de s’exprimer ainsi, une transaction entre le droit écrit et les coutumes, toutes les fois qu’il nous a été possible de concilier leurs dispositions, ou de les modifier les unes par les autres, sans rompre l‘unité du système, et sans choquer l’esprit général. Il est utile de conserver tout ce qu’il n’est pas nécessaire de détruire: les lois doivent ménager les habitudes, quand ces habitudes ne sont pas des vices.“ Insbesondere Portalis nahm eine vermittelnde Rolle zwischen den Anhängern des droit écrit und denen der Coutumes ein, Sagnac, Législation civile, S. 394. Die inhaltliche Neuschaffung und Innovation gegenüber dem Ancien droit hält sich damit jedoch in Grenzen: A. Esmein, L’originalité du Code civil, S. 13 f., 16. 635 Gilles, Pensée juridique, S. 575: Insbesondere für Tronchet stellte Pothier daher die Referenz dar, ähnliches gilt aber auch für Maleville, der fast nur diesen zitiert, a.a.O., S. 571.
120
Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
a) Regelung der deliktischen Haftung Für die deliktische Haftung waren zunächst sechs Vorschriften vorgesehen, 636 allen voran eine Generalklausel: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui, par la faute duquel il est arrivé, à le réparer, encore que la faute ne soit point de la nature de celles qui exposent à des peines de police simple ou correctionnelle.“ 637 Die faute war damit in den Entwürfen erstmals der Anknüpfungspunkt für die deliktische Haftung. Ebenso erfasste die Generalklausel nach dieser Formulierung sowohl Vorsatz als auch Unvorsichtigkeit/Fahrlässigkeit – der letzte Halbsatz deckte sich mit einer im Entwurf ebenfalls vorgesehenen Definition der Quasidelikte 638 –, und differenzierte damit wie Domat und Pothier zwischen Delikten und Quasidelikten, ohne daran unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen. 639 Dass auch lediglich unvorsichtiges Verhalten die Ersatzpflicht begründen soll, betonte der Entwurf noch einmal separat: „On est responsable, non-seulement du dommage que l’on a causé par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“ 640 Neben dieser gesonderten Bestimmung war der letzte Halbsatz der Generalklausel aber überflüssig, sodass nach dessen folgerichtiger Streichung im weiteren Verlauf der Beratungen folgende Formulierung übrig blieb und schließlich am 21.3.1804 als Teil des Code civil des Français angenommen wurde: Art. 1382 Cc: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.“ Art. 1383 Cc: „Chacun est responsable du dommage qu'il a causé non seulement par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“
Neben der Aufstellung dieses allgemeinen Prinzips sollten ursprünglich zwei spezielle Vorschriften die Haftung für Fälle regeln, in denen Schäden durch aus einem Fenster geschüttetes Wasser oder geworfene Gegenstände entstehen.641 In der Sitzung vom 24.11.1803 stimmten die Abgeordneten jedoch gegen deren Aufnahme: Die Aufstellung des allgemeinen Prinzips genüge.642 636 Die erste Fassung des Entwurfs wurde ab dem 17.7.1801 (28 messidor an IX) diskutiert, Locré, Législation civile, S. 74. 637 Art. 16 des Entwurfs (Fenet, Travaux préparatoires II, S. 202 f.). 638 Siehe Art. 4 des Entwurfs: „Les quasi-délits sont les faits de l’homme qui contiennent de sa part une faute non susceptible d’être punie par la police simple, correctionnelle ou criminelle, et qui l’obligent à quelque réparation du dommage qui en est résulté“, Fenet, Travaux préparatoires II, S. 201. Die Definition wurde später jedoch ersatzlos gestrichen, siehe Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 246. 639 Für Domat siehe oben S. 75, für Pothier siehe oben S. 100. 640 Art. 19 des Entwurfs (Fenet, Travaux préparatoires II, S. 203). 641 Inhaltlich stimmten diese Vorschriften mit denen überein, die schon Domat zu diesen Fragen aufstellte, vgl. dens., Loix civiles, II, 8, 1. 642 Siehe Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 455: „M. Miot dit que l’énonciation du principe suffit; que les exemples doivent être retranchés.“
B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht
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Angenommen wurde dagegen die Haftung für bestimmte Handlungen Dritter (Art. 1384 Cc), die Tierhalterhaftung (Art. 1385 Cc) sowie die Haftung des Gebäudebesitzers (Art. 1386 Cc).643 b) Begründungen und Motive Grundlage der deliktischen Haftung im Code civil war nun also eine Generalklausel. Doch wie sollten diese und der Umfang der Haftung verstanden werden? Die Formulierung ist wie in den letzten Entwürfen von Cambacérès sehr weit gehalten und sieht keine Einschränkung auf bestimmte Rechte oder Rechtsgüter vor. Näheren Aufschluss über das damit verbundene Verständnis könnten die Begründungen der Gesetzgebungskommission oder die bei der Präsentation des Entwurfs angeführten Motive geben. Die Gesetzgebungskommission äußerte sich zu dieser Regelung und zum Deliktsrecht im Discours préliminaire allerdings nicht weiter. Insbesondere Portalis, dem im Übrigen großer Einfluss bezüglich der Entstehung des Code civil zugeschrieben wird, 644 hat sich in den entsprechenden Beratungen, wie es scheint, nicht beteiligt oder zu Wort gemeldet.645 Begründungen und Erklärungen zu dieser Regelung geben dagegen einzelne Mitglieder der Gesetzgebungskommission: Treilhard, Bertrand de Greuille und Tarrible, die den „finalen“ Entwurf vor den mit der Gesetzgebung betrauten Organen vorstellten. aa) Treilhard (Corps législatif) Jean-Baptiste Treilhard erläuterte am 30.1.1804 vor dem Corps législatif die den Regelungen zugrunde liegenden Motive. Es sei eine „moralische, jedem ins Herz geschriebene Grundregel, dass man sich anderen gegenüber so verhalten solle, wie man das für sich selbst auch wünsche und dass man gehalten sei, das Unrecht und die Schäden zu begleichen, die man verursache“. 646 Weiterhin betonte er das dem zukünftigen Art. 1382 Cc zugrunde liegende allgemeine Prinzip: „Derjenige, der durch sein Verhalten einen Schaden verursacht, hat diesen zu ersetzen“; das sei eine notwendige Folge seines Delikts oder Quasidelikts. Die mit einem derartigen Verhalten verbundene Ersatzpflicht sieht er als (moralische) Selbstverständlichkeit an: Jeder gerechte Mensch biete dies auch von sich aus an, da er das auch von einem anderen erwarte, der ihm 643
Zu Änderungen und den Gründen dafür siehe Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 455 ff. Den letzten Entwurf arbeitete Treilhard aus, vgl. Benöhr, Außervertragliche Schadensersatzpflicht, S. 246. 644 Siehe nur Chartier, Portalis, le père du Code civil, S. 187. 645 Plesser untersucht in „Portalis und der Code Civil“ (1997) den tatsächlichen Einfluss von Portalis und zeigt auf, in welchen Beratungen er sich beteiligt hat. Das Deliktsrecht gehört nicht dazu. 646 Anonym, Recueil des lois, S. 5 f. = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 465.
122
Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
Schaden zugefügt habe.647 Treilhard hielt seine Ausführungen damit sehr allgemein und bezog sich nur auf das allgemeine Prinzip als solches, dessen Geltung zu dieser Zeit aber nicht in Frage stand. 648 Erkenntnisse hinsichtlich des Haftungsumfangs lassen sich daraus nicht gewinnen. bb) Bertrand de Greuille (Tribunat) Genau eine Woche später erstattete Joseph Bertrand de Greuille vor dem Tribunat649 Bericht. Die Verbindlichkeiten, die aus dem eigenen Handeln folgen, begründete er mit der natürlichen Billigkeit. 650 Einer der obersten Grundsätze der Gesellschaft sei es, dass jeder für sein eigenes Verhalten einzustehen habe. Daraus folge, dass, wenn dieses Verhalten bei einem anderen einen Schaden verursache, derjenige, durch dessen faute dies eingetreten sei, den Schaden beseitigen müsse. Eine Ausnahme von diesem Prinzip sei nicht möglich, „il embrasse tous les crimes, tous les délits, en un mot tout ce qui blesse les droits d’un autre“651. In diesem Satz klingt die frühere Differenzierung des römischen Rechts nach Verbrechen und (einfachen) Delikten an, gleichzeitig erfolgt erstmals ein Bezug auf die „Rechte eines anderen“. Was darunter wiederum zu verstehen sein soll, führt er allerdings nicht näher aus, sodass im Ergebnis auch dieser Bericht wenig Aufschluss gibt. Interessant ist jedoch: In den Ausführungen Bertrand de Greuilles spiegelt sich eine gewisse Anlehnung an Domat wider. Wie dieser hebt auch er den hinter dieser Regelung liegenden Gedanken der Nächstenliebe hervor und auch er betont, dass die Menschen auf andere angewiesen seien. 652 Weiterhin geht er auch näher auf Art. 1383 Cc ein und betont, dass es keine Ungerechtigkeit darstelle, auch bei bloßer Unvorsichtigkeit Ersatz leisten zu müssen. Sobald jemand einen Schaden erleide, sei festzustellen, ob der Verantwortliche dies hätte vermeiden können. Sei dies der Fall, sei es nicht zu viel 647
Anonym, Recueil des lois, S. 7 = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 467. Im Ergebnis steckt dahinter genau der Gedanke, auf den auch Domat schon die Ersatzpflicht gegründet hat: „faire aux autres ce que nous voudrions qu’ils fissent pour nous“ (Traité des loix, V, 4). Siehe oben S. 71 f. sowie Fn. 341. 648 Siehe nur Art. 2 der Verfassung vom 22.8.1795 (5 fructidor an III), oben Fn. 450 sowie den Vorschlag von Agier oben Fn. 573. 649 Das Tribunat bildete nach der Verfassung von 1799 neben dem Corps législatif das andere gesetzgebende Organ. Die Befugnisse waren jedoch beschränkt: Im Tribunat wurden lediglich die Entwürfe beraten und diskutiert, die Abstimmung darüber war dem Corps législatif vorbehalten, siehe Art. 25, 28 ff. der Constitution de la République française vom 13.12.1799 (22 frimaire an VIII), Hélie, Constitutions, S. 579 f. 650 Anonym, Recueil des lois, S. 9 = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 469: „… c’est uniquement de l’équité naturelle que dérivent les obligations qui résultent du fait dont il s’agit“. 651 Anonym, Recueil des lois, S. 16 f. = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 474 f. 652 Gilles, Pensée juridique, S. 572.
B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht
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verlangt, dass er Ersatz leiste – eine strafrechtliche Verurteilung müsse er dagegen nicht fürchten, denn eine solche setze Vorsatz voraus, der ja gerade nicht vorliege.653 cc) Tarrible (Corps législatif) Den Abschluss bildete schließlich Tarrible am 9.2.1804 mit einer Rede vor dem Corps législatif. Die Gerechtigkeit erfordere es, dass bei schuldhafter Verursachung eines Schadens der Schädiger diesen behebe. 654 Unter die Generalklausel seien alle Schadensarten zu fassen; sie seien einer einheitlichen Wiedergutmachung zu unterwerfen. 655 Beispielhaft führte er an: „Depuis l’homicide jusqu’à la légère blessure, depuis l’incendie d’un édifice jusqu’à la rupture d’un meuble chétif; tout est déclaré susceptible d’une appréciation qui indemnisera la personne lésée des dommages quelconques qu’elle a éprouvés.“ 656
Auf den ersten Blick scheint es damit so, als sollten für den Umfang der Haftung keine Beschränkungen gelten, betonte Tarrible doch explizit, dass alle Schadensarten erfasst sein sollten. 657 Eine nähere Beschäftigung insbesondere mit den von ihm gegebenen Beispielen relativiert diese Aussage jedoch: In der folgenden Aufzählung erwähnte er nämlich gerade nur Verletzungen des Lebens und des Körpers („von der Tötung bis zur kleinsten Blessur“) sowie des Eigentums („vom Brand eines Gebäudes bis zum Bruch des mickrigsten Möbelstücks“), nicht dagegen andere Schadensarten. Diese Aufzählung mag nur beispielhaft und nicht abschließend gemeint sein. In diesem Fall erschiene jedoch merkwürdig, dass er als Schäden nur solche anführt, die auch vorher (ganz selbstverständlich) von der Haftung erfasst waren, wenn es ihm doch anscheinend darum ging, den ganzen Umfang aufzuzeigen und darzulegen, dass wirklich alle Schadensarten erfasst sein sollten. Näherliegend ist vielmehr, dass mit der deliktischen Haftung zu dieser Zeit eben nur bestimmte Rechts(guts-)verletzungen verbunden wurden: das Leben, der Körper, die Ehre und die Güter – genau die, die Cambacérès auch in seinem ersten Entwurf noch aufgeführt hatte. Der Ersatz anderer Schäden – wie zum Beispiel solcher, die
653
Anonym, Recueil des lois, S. 16 f. = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 474 f. Anonym, Recueil des lois, S. 33 = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 488. 655 Zum Discours von Tarrible siehe Anonym, Recueil des lois, S. 21 ff., insbesondere 32 ff. = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 478 ff., insbesondere 487 ff.: „Cette disposition embrasse dans sa vaste latitude tous les genres de dommages, et les assujettit à une réparation uniforme, qui a pour mesure la valeur du préjudice souffert.“ 656 Anonym, Recueil des lois, S. 33 = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 488. 657 In diesem Sinne ließe sich auch eine weitere Stelle verstehen, in der es heißt: „Cette règle constante, invariable, qui veut que celui qui souffre un dommage par le fait ou la faute de quelqu’un trouve dans tous les cas un moyen d‘indemnité …“, siehe Anonym, Recueil des lois, S. 35 = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 489. 654
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
nach heutigem Verständnis als primäre Vermögensschäden gelten – wurde schlicht nicht im Rahmen der deliktischen Haftung diskutiert. 658 4. Zwischenergebnis zur Entstehung des Code civil Die genaue Formulierung der deliktischen Generalklausel in Art. 1382 Cc entstand zwar erst im letzten Entwurf, der ab 1801 beraten wurde. Bereits in den Entwürfen von Cambacérès stellte sich die Regelung jedoch ganz ähnlich dar. Die Pflicht zur Wiederherstellung schuldhaft verursachter Schäden begründeten die Redaktoren wie schon im Naturrecht als ein Gebot der Billigkeit und als moralische Grundregel. Gleichermaßen betonten sie, dass es sich bei der Ersatzpflicht um ein Erfordernis der Gerechtigkeit handele. 659 Der Wortlaut der Generalklausel knüpft die Haftung nicht an die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter, er ist sehr weit gefasst und offen gehalten. Dennoch zeigen die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und die Ausführungen im Rahmen der Präsentation des Entwurfs, dass nach wie vor ein eng begrenztes Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung vorherrschte. Deutlich wird dies insbesondere bei Tarrible: Trotz der weiten Formulierung und dem Bezug auf „alle Schadensarten“ hat auch er eine klare Vorstellung davon, was eigentlich alles von der deliktischen Haftung umfasst sein kann. Er verknüpft den Ersatz ganz offensichtlich mit bestimmten Rechtsgutsverletzungen; dass darüber hinaus andere Schäden über die deliktische Haftung ersetzt werden könnten, kommt ihm nicht in den Sinn. Wenn Husson davon spricht, dass die Redaktoren von einer „extrême généralité“ dieser Formulierung ausgingen, 660 dann ist dem nur unter der Einschränkung zuzustimmen, dass sie mit dieser „Allgemeinheit“ dennoch nur bestimmte Fälle in Verbindung brachten. Ähnliches war auch schon bei Cambacérès zu beobachten, der erstmals in seinem zweiten Entwurf eine derart weite Formulierung wählte. Wie gezeigt liegt es jedoch nahe, dass dies aufgrund der vom Konvent gewünschten Kürzung erfolgte: Das Prinzip als solches sollte normiert werden. Ein anderes Verständnis als zuvor war damit aber nicht verbunden. Die Materialien zur Entstehung des Code civil lassen daher im Ergebnis nicht erkennen, dass sich während der Revolution das Verständnis vom Umfang der Haftung geändert hätte oder nun auch andere, vorher nicht diskutierte 658
So auch Borghetti, Intérêts protégés, S. 160: „les atteintes physiques aux corps ou aux biens semblent avoir été les seules dont on concevait alors qu’elles puissent donner lieu à réparation“. 659 So Treilhard (Anonym, Recueil des lois, S. 7 = Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 467): „Il offrirait lui-même cette réparation, s’il était juste …“; Bertrand de Greuille (Anonym, a.a.O., S. 16 = Fenet, a.a.O., S. 474): auch die Ersatzpflicht bei nur unvorsichtigem Verhalten stelle keine Ungerechtigkeit dar; Tarrible (Anonym, a.a.O., S. 33 = Fenet, a.a.O., S. 487 f.): „un cri soudain de la justice s’élève et répond que ce dommage doit être réparé par son auteur“. 660 Husson, Transformations de la responsabilité, S. 156.
Cambacérès II (9.9.1794)
Art. 153: „ … Celui qui cause un dommage est tenu de le réparer.“
Cambacérès I (8.8.1793)
Art. 3662: „Ainsi, tout homme qui a causé du dommage à un autre, dans sa personne ou dans ses biens, est obligé à le réparer.“
= Gesetzgebungskommission. Die Bezeichnung der Vorschriften bezieht sich auf die Nummerierung in den jeweiligen Entwürfen.
661
662
GGK661 (12.8.1800)
Art. 19: „On est responsable, non-seulement du dommage que l’on a causé par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“
Art. 16: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui, par la faute duquel il est arrivé, à le réparer, encore que Art. 746: „Le dédom- la faute ne soit point de magement est réglé par la nature de celles qui les juges, selon les cir- exposent à des peines de constances, et sur un police simple ou correctionnelle.“ rapport d’experts.“
Art. 745: „Celui qui cause un dommage est tenu à le réparer, quel que soit le fait qui y donne lieu.“
Cambacérès III (14.6.1796)
Art. 18: „Chacun est responsable du dommage qu'il a causé non seulement par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“
Art. 15: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.“
GGK (ab 24.11.1803)
B. (Weiter-)Entwicklung im französischen Recht
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Fälle unter diese Klausel gefasst werden sollten. Mit der deliktischen Haftung wurden nach wie vor bestimmte Verletzungen und Schäden verbunden; davon abweichende Schäden waren schlicht nicht Gegenstand der Diskussion und sollten daher auch nicht einfach als davon erfasst betrachtet werden.
Übersicht: Die deliktische Generalklausel in den Entwürfen des Code civil
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Kapitel 1: Die Entwicklung des Prinzips
C. Ergebnis zu Teil 1 C. Ergebnis zu Teil 1
Das allgemeine Prinzip der deliktischen Haftung, dessen Ausdruck die Art. 1382 f. Cc bilden, geht auf Hugo Grotius zurück und hat in der Folgezeit über andere Juristen Eingang in das moderne Naturrecht gefunden. 663 Orientiert an der Lehre von der restitutio der spanischen Spätscholastiker gründete er die Deliktshaftung auf eine Generalklausel. Ihm nachfolgend übernahm auch Samuel Pufendorf diese Generalklausel und entwickelte sie weiter. Beide hatten dabei ein klar begrenztes Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung: Sie knüpften an die Verletzung (subjektiver) Rechte, nämlich des Lebens, der Glieder, der Freiheit, des Ansehens, der Ehre sowie des Eigentums an. Darüber hinausgehende Fälle haben sie in diesem begrifflichen Rahmen entweder als Rechtsverletzung konzipiert oder überhaupt nicht erörtert und mit der Haftung verbunden. Dass beide die Ersatzpflicht im Falle nichtiger Verträge ebenfalls deliktisch begründeten, lässt dabei nicht den Schluss zu, dass sie auch ganz allgemein primäre Vermögensschäden als von der deliktischen Generalklausel erfasst ansahen: Zu zentral ist die Stellung der subjektiven Rechte insbesondere in Grotius’ Rechtssystem. Die Gedanken Grotius’ und Pufendorfs fanden Einzug in das französische Recht und den Entstehungsprozess der Art. 1382 f. Cc. Dies wird nicht nur an direkten Verweisen deutlich, sondern auch an wörtlichen Übernahmen, die sich im Rahmen der deliktischen Haftung vielfach aufzeigen lassen. Während des Ancien Régime galten im Deliktsrecht die (angepassten) Vorschriften des römischen Rechts. Viele Juristen erörterten die Vorschriften der lex Aquilia und bezogen sich auf diese. Den Übergang von der Klagenvielfalt des römischen Rechts verkörpert Jean Domat, der als erster Franzose eine Generalklausel für die deliktische Haftung aufstellte. 664 Trotz der weit gefassten Formulierung zeigen seine Beispiele allerdings, dass auch er mit der deliktischen Haftung lediglich bestimmte Fälle verband und andere Fälle für ihn in dieser Frage keine Rolle spielten. Ein ähnliches Verständnis findet sich auch bei Robert Pothier, der mit seinen Traités die Rechtsvereinheitlichung in Frankreich maßgeblich vorantrieb. Für die Redaktoren des Code civil stellten diese eine wichtige Quelle dar; sie eigneten sich besser als das auf religiösem Fundament begründete Rechtssystem Domats, das das droit coutumier vollständig ausklammerte. Freilich war Pothier nicht der einzige Bezugspunkt: Die Doktrin des Ancien droit und das droit commun haben die Vereinheitlichung vorbereitet
663 664
120.
Thieme, Seconde scolastique espagnole, S. 18. Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 171; ders., L’influence du droit romain, S. 70,
C. Ergebnis zu Teil 1
127
und den Code civil überhaupt erst ermöglicht. 665 Daher ist es umso interessanter, dass der Umfang der deliktischen Haftung im Ancien droit – sofern denn dort Aussagen dazu erfolgten – ähnlich verstanden wurde wie bei Domat, aber auch bei Grotius und Pufendorf. Insgesamt lässt sich in dieser Hinsicht ein allgemein vorherrschendes (selbstverständliches) Verständnis erkennen: In Bezug auf die deliktische Haftung wurden lediglich Fälle diskutiert, in denen eine Verletzung bestimmter subjektiver Rechte vorlag. Andere Fälle wurden in diesem Zusammenhang weder erwähnt noch erörtert. Im Gegensatz zu Grotius und Pufendorf ordnete die französische Lehre die Ersatzpflicht im Falle nichtiger Verträge nicht deliktisch ein, sondern – in Anlehnung an das römische Recht – entweder vertraglich (so auch Domat) oder gestützt auf die Billigkeit (Pothier) und ersetzte die hier auftretenden primären Vermögensschäden gerade nicht über das Deliktsrecht. Von dem Umfang der Haftung scheint insgesamt also eine klar begrenzte Vorstellung bestanden zu haben. 666 Diese kam auch im ersten Entwurf von Cambacérès noch zum Ausdruck. Die spätere weiter gefasste Formulierung bedeutete allerdings nicht, dass sich das Verständnis geändert hätte. Zunächst ging es lediglich um eine kürzere Formulierung, die aber auf die Auslegung keine inhaltlichen Auswirkungen hatte. Bis zum „finalen“ Entwurf, der 1804 verabschiedet wurde, änderte sich dies nicht mehr. Zwar war es Anliegen der Redaktoren, „alle Schäden“ zu ersetzen; rein gedanklich fassten sie darunter jedoch nur bestimmte Verletzungen, andere hatten sie nicht vor Augen. Trotz der weiten Formulierung der Generalklausel war der Umfang der deliktischen Haftung im Jahr 1804 nach allgemeinem Verständnis damit eng begrenzt.
665 Arnaud, Origines doctrinales, S. 218 f.; Gaudemet, Tendances à l’unification, S. 194; Meynial, Rôle joué par la doctrine, S. 272 f. 666 Dieses Bild findet Bestätigung im 19. Jahrhundert bei Toullier. Siehe dazu S. 151.
Kapitel 2
Die Entwicklung im 19. Jahrhundert: Der Umfang der deliktischen Haftung von 1804–1900 Mit dem Erlass des Code civil hatte Frankreich im Jahr 1804 nun endlich die lang ersehnte Kodifikation. Dem dringenden Bedürfnis nach Rechtseinheit und -sicherheit war damit zumindest formell entsprochen. Mit der Kodifikation verbanden sich die Vorstellung und die Erwartung, durch den Code civil sowie die kurz darauf erlassenen weiteren Gesetzbüchern (Code de procédure civile, 1806; Code de commerce, 1807; Code d’instruction criminelle, 1808 und Code pénal, 1810) für sämtliche Rechtsfragen und rechtlichen Probleme eine gesetzliche Regelung geschaffen zu haben, die lange Zeit Gültigkeit behalten würde. Doch schon innerhalb des ersten Jahrhunderts zeigten die industrielle Revolution sowie der soziale gesellschaftliche Wandel die Lücken des Code civil auf und machten Änderungen durch den Gesetzgeber erforderlich. 1 Den Wortlaut der Art. 132 f. Cc betraf dies jedoch nicht; auch nach der Neuregelung des Vertrags- und Schuldrechts stimmt die deliktische Generalklausel in Art. 1240 f. Cc2016 exakt mit der Fassung der Art. 1382 f. Cc von 1804 überein.2 Allerdings war auch hier im Laufe der Zeit eine Anpassung an die gewandelten Umstände notwendig – was die generelle und weite Formulierung der Vorschrift aber ermöglichte. In diesem zweiten Teil geht es um die Frage, wie der Umfang der deliktischen Haftung seit Erlass des Code civil im Jahre 1804 verstanden wurde und welche Techniken die französische Rechtswissenschaft entwickelt hat, um diese weit formulierte Generalklausel in den Griff zu bekommen. Um dem nachgehen zu können, ist es jedoch zunächst notwendig, sich etwas näher mit der französischen Herangehensweise an das Gesetz und dem besonderen Verhältnis von Lehre und Rechtsprechung zueinander während des 19. Jahrhunderts zu beschäftigen (A.). Bei der sich anschließenden Untersuchung zur deliktischen Haftung, die sich sowohl auf den Diskurs in der Lehre als auch auf die tatsächliche Gerichtspraxis der Cour de cassation und der Cours d’appel bezieht, wird sich zeigen, dass Lehre und Rechtsprechung ganz unterschiedlich mit den Art. 1382 f. Cc umgegangen sind, was sich auch auf das Verständnis vom Umfang der Haftung ausgewirkt hat (B.). Das im Ancien droit durchaus 1 2
Dazu auch Tunc, Méthode du droit civil, S. 818. Siehe dazu bereits oben S. 13.
A. Herangehensweise an das neue Gesetz
129
übliche begrenzte Verständnis der Haftung – die ganz selbstverständliche gedankliche Beschränkung auf die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter – herrschte auch nach Erlass des Code civil in der Lehre zunächst noch weiter vor. Eine derartige Beschränkung lässt sich in der Rechtsprechung dagegen nicht in gleicher Weise erkennen. Die Besonderheiten des französischen Verständnisses verdeutlicht schließlich ein Vergleich mit der Auslegung der Art. 1382 f. Cc in Teilen Deutschlands, in denen der Code civil bis 1900 galt (C.). Der Code civil vereinheitlichte das Zivilrecht und schuf einen Rechtszustand, den es so zuvor in Frankreich noch nicht gegeben hatte. Obwohl die Kodifizierung des französischen Zivilrechts die Rechtsanwendung vereinfachen sollte, sahen sich sowohl Rechtsprechung als auch Lehre zunächst mit einigen grundsätzlichen Problemen konfrontiert. Mit dem Inkrafttreten des Code civil am 21.3.1804 mussten die Gerichte das neue Gesetz anwenden. Doch wie wendet man ein solches Gesetz an, das sich so sehr von den bis dahin geltenden Bestimmungen unterscheidet? Ein Gesetz, dessen Abstraktheit und Allgemeinheit zunächst eine Definition der generellen Begriffe erfordert. Welche Prinzipien und Methoden gelten für die Auslegung? Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, wie Lehre und Rechtsprechung mit dem neuen Gesetz allgemein und mit dem Deliktsrecht im Besonderen nach Erlass des Code civil umgegangen sind. Dies gibt einen ersten Einblick, welches die Anknüpfungspunkte für das Verständnis des Umfangs der deliktischen Haftung waren.
A. Herangehensweise an das neue Gesetz A. Herangehensweise an das neue Gesetz
Was den Umgang mit dem neuen Gesetz anbelangt, so boten sich dem Rechtsanwender sowie der akademischen juristischen Profession prinzipiell mehrere Möglichkeiten. Aus heutiger Sicht mag es naheliegend erscheinen, sich einfach die Gesetzesbegründungen anzuschauen und auf diese Weise den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln. 1804 waren die Gesetzesmaterialien jedoch zunächst nicht ohne Weiteres zugänglich. In den ersten Jahren und Jahrzehnten nach Inkrafttreten des Code civil ging es primär um eine begriffliche Klärung und das Verstehen der Vorschriften (ihres Sinns und ihrer Reichweite). 3 Wo die neuen Bestimmungen unmittelbar angewendet werden mussten, bedurfte es Auslegungshilfen, die mit Erlass des Code civil allen bereitstanden und die sofort verfügbar waren. Für die Juristen von 1804 waren dies einerseits das ihnen bekannte Ancien droit (I.), andererseits konnten aber auch die natürliche Billigkeit (équité) bzw. die Prinzipien des Naturrechts bei der Auslegung weiterhelfen (II.). Daneben bestand die Möglichkeit, auf die Auslegung vergleich-
3
A. Esmein, La jurisprudence et la doctrine, S. 5; Charmont/Chausse, Interprètes, S. 139.
130
Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
barer Vorschriften in anderen Kodifikationen zu schauen (III.). Nach einer ersten Zeit des Herantastens an das neue Gesetz, und insbesondere mit einer neuen Generation von Juristen, rückte für die französische Lehre der Wille des Gesetzgebers jedoch zunehmend in den Mittelpunkt und wurde das wichtigste Kriterium für die Auslegung der Vorschriften (IV.). I. Rückgriff auf das Ancien droit Für viele Juristen muss es 1804 eine ganz plausible Überlegung gewesen sein, für die Auslegung der Vorschriften des Code civil einfach auf vergleichbare Bestimmungen im Ancien droit zurückzugreifen. Je nach Landesteil stellten Coutumes oder das römische Recht das geltende Recht dar; die Juristen kannten sich bestens damit aus und hatten dieses bis 1789 angewendet und erörtert. Die neuen Vorschriften des Code civil waren dagegen etwas Fremdes und Unbekanntes.4 Durch Art. 7 des Gesetzes vom 21.3.1804 (30 ventôse an XII) verloren das Ancien droit und das zuletzt geltende droit intermédiaire offiziell ihre Geltung. 5 Dies schloss es allerdings nicht aus, zu bestimmten Rechtsfragen Erkenntnisse des alten Rechts auch auf Vorschriften des Code civil zu übertragen, insbesondere wenn sich die Regelungen inhaltlich entsprachen. 6 Nicht nur die Lehre, sondern insbesondere auch die Gerichte, die das neue Gesetz sofort anwenden und eine Lösung finden mussten, zogen daher in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Code civil das Ancien droit zur Auslegung heran. 7 Symptomatisch für dieses Verhalten und die anfängliche Unkenntnis und Ungreifbarkeit des neuen Gesetzes waren auch die ersten Kommentare, die zum Code civil erschienen. In den meisten Fällen enthielten sie lediglich eine Gegenüberstellung der neuen Vorschriften und der entsprechenden Regelungen des Ancien droit (Coutumes oder römisches Recht). 8 Für das Deliktsrecht wird dies am deutlichsten bei Dard, der in seinem 1805 erschienenen Code civil des français lediglich die Art. 1382–1386 Cc abdruckte und jeweils die entsprechenden Artikel der lex Aquilia aufführte – weitere Erläuterungen fehlen. 9 Dies behielt er auch in der dritten Auflage aus dem
4
Ähnlich Husson, Méthode de l’exégèse, S. 121. Loi contenant la réunion des Lois civiles en un seul corps de Lois, sous le titre de Code civil des Français (21.3.1804), Bulletin des lois, 1804, Nr. 354, Art. 7: „À compter du jour où ces lois sont exécutoires, les lois romaines, les ordonnances, les coutumes générales ou locales, les statuts, les règlements, cessent d'avoir force de loi générale ou particulière dans les matières qui sont l'objet desdites lois composant le présent code.“ 6 Diese Möglichkeit schied natürlich aus, wenn im neuen Recht bewusst eine abweichende Regelung gewählt wurde. 7 Perreau, Technique de la jurisprudence, S. 120 f., 129; Carbonnier, En l’année 1817, S. 87; Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 17 f. 8 Ähnlich Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 18. 9 Dard, Code civil des français, S. 278 f. 5
A. Herangehensweise an das neue Gesetz
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Jahr 1827 noch bei – erst hier kamen Verweise auf Pothier sowie auf zeitgenössische Juristen, etwa Toullier oder Proudhon, hinzu.10 Ähnliches gilt für Maleville.11 In den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten des Code civil verwiesen nahezu alle Bearbeiter in Werken zum Deliktsrecht auf die lex Aquilia. Exemplarisch zeigt sich dies bei Bernardi (1804),12 Gin (1804),13 Zachariae (von Lingenthal) in der zweiten Auflage (1811) 14 oder Delvincourt (1827),15 um nur einige zu nennen. Delaporte und Riffé-Caubray waren auch 1805 noch ganz auf der Linie des römischen Rechts und erörterten beim geltenden Recht ausführlich die lex Aquilia und ihre Entstehungsgeschichte als Ursprung des Art. 1382 Cc, ohne dabei auf die naturrechtlichen Entwicklungen oder die Klausel selbst einzugehen. 16 Dieser so verbreitete Bezug auf das römische Recht ist insofern erstaunlich, als die deliktische Generalklausel in Art. 1382 Cc ja gerade eine Abwendung vom römischen Recht bedeutete und an die Stelle einzelner Deliktstatbestände trat.17 Neben dem römischen Recht behielten aber auch das Gewohnheitsrecht und die Coutumes eine Bedeutung für die Auslegung. Toullier betonte ganz allgemein deren Nutzen in diesem Zusammenhang.18 Vereinzelt lassen sich auch Verweise auf konkrete Regelungen des Gewohnheitsrechts finden – auch wenn dieses, wie gezeigt, im Ancien droit im Allgemeinen für die deliktische Haftung keine Rolle spielte. 19 Neben dem Ancien droit waren für die französischen Juristen des beginnenden 19. Jahrhunderts vor allem die gelehrten Juristen des Ancien Régime von großer Bedeutung, und zwar insbesondere Domat und Pothier. Es gibt kaum eine Kommentierung, in der sich im Rahmen der deliktischen Generalklausel kein Verweis auf einen von ihnen oder beide finden lässt. Pothier spielte dabei
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Dard, Code civil des français³, S. 320 f. Maleville, Discussion du Code civil, S. 189 ff. 12 Bernardi, Cours de droit civil français, S. 193 ff. 13 Gin, Analyse raisonnée du droit français, S. 264 ff. Bei Gin wird das vergleichende Vorgehen bereits aus dem Titel deutlich: „Analyse raisonnée du droit français, par la comparaison des dispositions des lois romaines, de celles de la coutume de Paris, et du nouveau Code des Français“. 14 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, §§ 379 ff. 15 Delvincourt, Cours de Code Civil, S. 451 ff. 16 Delaporte/Riffé-Caubray, Pandectes françaises, S. 391 ff. 17 Siehe dazu bereits die Ausführungen oben zu Domat, S. 68 ff. und zu Pothier, S. 95 f. Beide waren mit dem römischen Recht unzufrieden und stützten die deliktische Haftung auf eine allgemeine Regel. 18 Toullier, Droit civil français I, Nr. 158 (Des Lois en général): „L’usage ou la coutume a aussi beaucoup de force, soit pour interpréter la loi, soit pour ajouter à ses dispositions, soit pour les corriger ou les abroger.“ 19 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 419, wieß im Rahmen des Erfordernisses eines fait illicite auf eine Bestimmung der Coutume de Bretagne hin, nach der die bloße Ausübung eines Rechts keine Ersatzpflicht begründe, siehe dazu unten S. 162 sowie Fn. 191. 11
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vor allem für die Definitionen von délit und quasi-délit eine Rolle;20 Domat dagegen wurde eher für das Prinzip als solches sowie einzelne Beispielsfälle herangezogen.21 Die Bezugnahme auf das alte Recht wurde durch einen weiteren Umstand verstärkt. Während der Revolutionszeit kam der Rechtsunterricht praktisch ganz zum Erliegen:22 Ein Gesetz vom 25.2.1795 schaffte sämtliche Fakultäten, somit auch die rechtswissenschaftlichen, offiziell ab. 23 Der Unterricht fand fortan in sogenannten écoles centrales statt.24 Erst am 12.3.1804 (22 ventôse an XII) wurden Rechtsschulen wieder gesetzlich zugelassen. 25 Bedingt durch die Schließung der rechtswissenschaftlichen Fakultäten kam die juristische Ausbildung neuer Juristen während der Revolutionszeit folglich zum Erliegen. Aber nicht nur das: Auch wissenschaftlicher Diskurs oder methodisches Arbeiten fanden in dieser Zeit praktisch nicht statt. Mit Erlass des Code civil stand Frankreich daher ohne aktive Rechtswissenschaft und Methode dar. 26 In dieser Situation bot das altbekannte Recht für die älteren Juristen anfänglich natürlich umso mehr eine erste Orientierung für den Umgang mit dem Unbekannten. Für die neuen Juristen dagegen, die nur mit dem Code civil aufwuchsen, führte das Fehlen von wissenschaftlichem Diskurs und Methode dazu, dass sie den Code civil unbefangen und aus sich selbst heraus betrachten konnten, ohne Verbindung zur Vergangenheit – näher dazu gleich S. 136 ff. (unter A.IV.2.)
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Siehe nur Bousquet, Explication du Code civil, Art. 1382, Nr. II und III; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 384; Demolombe, Code Napoléon, Nr. 452. 21 Siehe nur Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 439; Gousset, Le Code civil commenté, S. 498 f.; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 410. 22 Zum Rechtsunterricht während dieser Zeit ausführlich Bonnecase, La Thémis (1819– 1833), S. 33 ff. 23 Bereits eine Konvention vom 15.9.1793 (29 fructidor an I) sah die Abschaffung vor, vgl. Art. 3 des Décret rélatif à la création de trois degrés progressifs d’instruction professionnelle, abgedruckt in Gréard, Législation, S. 66: „… les Facultés … de droit, sont supprimés sur toute la surface de la République“. Nur einen Tag später wurde dieser Beschluss jedoch ausgesetzt. 24 Loi portant Établissement d’Écoles centrales pour l’Enseignement des Sciences, des Lettres et des Arts (25.2.1795), abgedruckt bei Rondonneau, Collection générale des Lois V, S. 260 ff. Für die juristische Ausbildung sah das Gesetz in Kapitel 1, Art. 2, Nr. 6 nur einen geringen Platz vor, nämlich lediglich einen Lehrstuhl für „économie politique et de législation“. Dieses Gesetz wurde zunächst zwar nicht in die Praxis umgesetzt; doch auch das tatsächlich geltende Gesetz vom 25.10.1795 (3 brumaire an IV) stellte die Rechtswissenschaft nicht besser: Loi sur l’Organisation de l’Instruction publique (Rondonneau, a.a.O., S. 655 ff.); Titel 2, Art. 2, Abschnitt 3, Nr. 4 dieses Gesetzes sah lediglich „un professeur de législation“ vor. 25 Loi relative aux Écoles de droit (12.3.1804), Bulletin des lois, 1804, Nr. 355. Neben französischem Zivilrecht standen auch Natur- und Völkerrecht sowie das römische Recht auf dem Lehrplan. Dazu Arnaud, Juristes, S. 31 f. 26 Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 14 f.
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II. Natürliche Billigkeit, équité Obwohl mit der Kodifikation die Erwartung verbunden war, das Recht möglichst abschließend zu regeln und eine gesetzliche Lösung für alle Probleme vorauszusehen, waren sich auch die Redaktoren des Code civil durchaus bewusst, dass es Lücken im Gesetz und präzisierungsbedürftige Vorschriften geben konnte. 27 Dem sollte mit einer Regelung im livre préliminaire begegnet werden: „Dans les matières civiles, le juge, à défaut de loi précise, est un ministre d’équité. L’équité est le retour à la loi naturelle, ou aux usages reçus dans le silence de la loi positive.“ 28 Bei Zweifeln sollte der Richter also auf die sich aus dem Naturrecht ergebende Billigkeit zurückgreifen und nach dieser entscheiden. Die Aufnahme dieser Vorschrift in den Code civil wurde allerdings abgelehnt.29 Gleichwohl nahmen einige Juristen wie etwa Toullier auch nach 1804 auf sie (sowie die weiteren Vorschriften des livre préliminaire) Bezug und betonten die Bedeutung der natürlichen Billigkeit für die Auslegung. 30 Neben der grundsätzlichen Bedeutung im Rahmen der Auslegung von Vorschriften kommt der natürlichen Billigkeit im Zusammenhang mit der deliktischen Generalklausel eine ganz eigenständige Bedeutung zu. Wie im ersten Teil gezeigt, ist das hinter dieser Klausel stehende allgemeine Prinzip, durch eigenes Verhalten bei anderen Personen verursachte Schäden zu ersetzen, Ausdruck der natürlichen Billigkeit: „Neminem laedere“ bzw. „Ne faire pas aux autres ce que tu ne voudrais pas ce qu’ils fissent à toi“. Artikel 1382 (und 1383) Cc formen die aus dieser „goldenen Regel“ folgende Ersatzpflicht in positives Recht um. Der Bezug auf die schon von Grotius, Pufendorf oder Domat angeführten Billigkeitserwägungen 31 entfiel aber auch nach der gesetzlichen
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Siehe dazu Portalis, Discours préliminaire, abgedruckt in Fenet, Travaux préparatoires I, S. 467: „Tout prévoir, est un but qu’il est impossible d’atteindre“, sowie S. 470: „L’office de la loi est de fixer, par des grandes vues, les maximes générales du droit“. 28 Titel 5, Art. 11 livre préliminaire. Abgedruckt bei Fenet, Travaux préparatoires II, S. 6–8. Siehe zur näheren Begründung auch dens., Travaux préparatoires I, S. 474 f. 29 Die Kritikpunkte, die zur Ablehnung der Vorschrift führten, betrafen den Umfang der richterlichen Freiräume, der sehr kritisch betrachtet wurde, sowie die Ungeeignetheit des Naturrechts, konkrete Lösungen für den Einzelfall zu bieten. Siehe dazu die Darstellung und Nachweise bei Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 8 ff. 30 Toullier, Droit civil français I, Nr. 149 f. zur Frage, welche Regel der Richter in Zweifelsfällen zu beachten habe: „D’abord l’équité … qu’elle était le supplément des lois.“ Ausführlichere Regeln zur Gesetzesauslegung fänden sich bei Naturrechtlern wie Pufendorf oder auch bei Portalis im titre préliminaire, den Toullier in diesem Abschnitt (Du pouvoir d’interpréter la loi) im genauen Wortlaut abdruckt. Siehe dazu auch Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 16. Duranton, Cours de droit français I, Nr. 95 f., wollte dagegen nur dann auf die natürliche Billigkeit zurückgreifen, wenn für eine Frage gar keine gesetzliche Regelung bestand. 31 Siehe dazu S. 25 ff. (Grotius); S. 42 f. (Pufendorf); S. 70 ff. (Domat).
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Anordnung dieses allgemeinen Prinzips in vielen Kommentierungen des Code civil nach 1804 nicht.32 Für die genaue Auslegung der allgemein formulierten Artikel 1382 f. Cc, und vor allem für das Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung, hilft dieser nach wie vor erörterte Bezug auf die natürliche Billigkeit allerdings nicht viel weiter. Die Billigkeit spielt vor allem eine Rolle für die Begründung der Ersatzpflicht an sich, also das „Warum“; für die Frage des „Wie“ und die Interpretation der Vorschrift lassen sich der équité als solcher dagegen keine konkreten Vorgaben entnehmen. III. Rechtsvergleichende Auslegung Bei Inkrafttreten des Code civil im Jahr 1804 existierte mit dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten („ALR“) von 1794 bereits eine weitere naturrechtliche Kodifikation. Es ergab sich damit zumindest theoretisch die Möglichkeit, sich für die Auslegung einzelner Vorschriften des Code civil das Verständnis der entsprechenden Regelungen im ALR anzuschauen und für die eigene Auslegung heranzuziehen. Dabei bestand jedoch das Problem, dass sich Code civil und ALR grundlegend voneinander unterschieden: Während der Code civil durch Abstraktheit und allgemeine Prinzipien gekennzeichnet war und knapp 2.300 Artikel enthielt, sollte das ALR umfassend für sämtliche Probleme eine gesetzliche Lösung bereithalten. Insgesamt umfasste es über 19.000 Vorschriften, davon handelten alleine 138 Paragraphen „Von den Pflichten und Rechten, die aus unerlaubten Handlungen entstehen“. 33 Seitens 32
Siehe z.B. Gin, Analyse raisonnée du droit français, S. 275: „… et les engagemens qui naissent des délits et quasi-délits fondés sur cette maxime d’équité naturelle, que quiconque cause un dommage à autrui par son fait … est tenu de le réparer“; Toullier, Droit civil français, Nr. 122: „Toutes ces défenses et prohibitions dérivent, sans doute, de cet axiôme sublime de morale naturelle et divine: ‚Ne fais pas à autrui ce que tu ne voudrais pas qu’on te fit à toi-même.‘“; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 439: „… l’exercice de nos droits doit toujours être limité par les principes devins de la charité, qui nous commandent de ne point faire aux autres ce que nous ne voudrions pas qui nous fût fait“ und Nr. 440 (positiv formuliert): „La conscience de l’homme éclairée par cette règle divine: ‚Fais à autrui ce que tu voudrais qui te fût fait à toi-même‘, peut discerner et apprécier les actes dommageables qui doivent entraîner réparation.“ Den Zusammenhang zwischen dem allgemeinen, aus der natürlichen Billigkeit entspringenden Prinzip und der in Art. 1382 Cc festgeschriebenen Ersatzpflicht erläutert sehr ausführlich und anschaulich insbesondere Demolombe, Code Napoléon, Nr. 450: „Telle est la base de la théorie, que nous allons étudier: Des délits et des quasi-délits. ‚Alterum non laedere. Suum cuique tribuere.‘ Et nous pouvons dire très justement qu’elle repose tout entière sur cette maxime: Alteri ne faceris quod tibi fieri non vis. Ne faites pas à autrui ce que vous ne voudriez pas que l’on fit à vous-même. C’est la grande règle de la sociabilité humaine, que la religion, la morale et le droit enseignent à l’envi; Et dont le Législateur positif va, dans ce chapitre, déterminer les conséquences juridiques et poser la sanction civile.“ 33 ALR, 1. Theil, Sechster Titel.
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der französischen Rechtswissenschaft stieß diese Regelungsfülle auf Ablehnung. Im Répertoire Dalloz hieß es in diesem Zusammenhang deutlich: Der Code civil weise zwar einige bedauernswerte Lücken auf; die Einfachheit seiner Redaktion sei aber dennoch dem Überfluss des ALR vorzuziehen. 34 Für das Deliktsrecht kam hinzu, dass es eine dem Art. 1382 Cc vergleichbare deliktische Generalklausel im ALR nicht gab. Folglich bot sich das ALR in der Praxis allenfalls als mögliche Auslegungs- und Orientierungshilfe für die Lösung spezieller Einzelfragen an. In der französischen Literatur finden sich im Rahmen der deliktischen Haftung – soweit ersichtlich – nur bezüglich eines Problems überhaupt Verweise auf das ALR, und zwar zur Einschränkung der unerlaubten Handlung (fait illicite): Wer nur von seinem eigenen Recht Gebrauch mache, begehe grundsätzlich keine unerlaubte Handlung. Dies sei jedoch anders, wenn der Handelnde unter mehreren Rechtsausübungsmöglichkeiten bewusst diejenige auswähle, die den größten Schaden herbeiführe (ausführlicher dazu unten S. 161 ff.).35 IV. Der Wille des Gesetzgebers Das dominierende Anliegen der französischen Lehre im 19. Jahrhundert, das diese Zeit ganz wesentlich charakterisiert, wurde nach der beschriebenen anfänglichen Orientierungsphase ab den 1830er Jahren36 jedoch die Suche nach dem Willen des Gesetzgebers. Konnte eine Frage anhand des Gesetzestextes allein nicht beantwortet werden, zogen die Juristen die Gesetzesmaterialien heran oder ermittelten auf andere Weise den gesetzgeberischen Willen. 37 Dieses Vorgehen war nicht nur für die Auslegung der Vorschriften des Code civil von Bedeutung, sondern prägte insbesondere auch das Verhältnis von Rechtsprechung und Lehre zueinander. 1. Gesetzesmaterialien Ausgangspunkt für die Suche nach dem Willen des Gesetzgebers waren einleuchtenderweise die Gesetzesmaterialien, die travaux préparatoires, die die Begründungen der Redaktoren zu den Vorschriften des Code civil enthielten. Umfassend öffentlich zugänglich wurden diese allerdings erst 1827, als Fenets „Recueil complet des travaux préparatoires du Code civil“ sowie Locrés „Législation civile, commerciale et criminelle, ou Commentaire et complément des 34
Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 21. Vgl. 1. Teil, Sechster Titel, §§ 36 f. ALR. Auf diese Vorschriften nahmen im Rahmen ihrer eigenen Erörterung Bezug: Toullier, Droit civil français, Nr. 119; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 439; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 410. 36 Entscheidendes Ereignis war die Julirevolution vom 27.–29.7.1830, in der das Bürgertum wieder die Macht ergriff. Die Verbindungen zur vorrevolutionären Zeit und dem Ancien droit wurden endgültig gekappt: Meynial, Recueils d’arrêts, S. 185. 37 Neumayer, Wissenschaftliche Behandlung, S. 182. 35
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codes français“ erschienen. Vor diesen hatte bereits Bousquet die Begründungen der Mitglieder der Gesetzgebungskommission Treilhard und Tarrible vor dem Corps législatif abgedruckt – ohne allerdings auf deren Herkunft zu verweisen. 38 Wo (noch) keine offizielle Begründung zugänglich war, eigneten sich als Orientierungshilfe auch Pothiers „Traités“, an denen sich die Gesetzgebungskommission in so großem Maße orientiert hatte und die daher durchaus einen guten Kommentar zum Code civil darstellen konnten. 39 Die Begründungen und Motive zur deliktischen Generalklausel wurden bereits im ersten Teil ausführlich betrachtet. Wie dort gezeigt, lassen sie vor dem Hintergrund der Entstehung der Vorschriften darauf schließen, dass trotz der weiten Formulierung der Generalklausel der Umfang der Haftung nach dem Verständnis der Redaktoren gewissermaßen beschränkt war. 40 2. École de l’exégèse Die französische Lehre maß dem Wortlaut der Norm und dem Gesetz selbst immer größere Bedeutung zu. Die Bezugnahme auf das Ancien droit entfiel im Laufe der Zeit dagegen zunehmend. Die Juristen, die nach 1804 mit dem Studium begonnen hatten, waren mit dem alten Recht nicht mehr vertraut und nur mit dem Code civil aufgewachsen. 41 Dessen Bestimmungen waren ihnen nicht fremd; sie konnten ohne vorrevolutionäre Kenntnisse und Prägung an sie herangehen. 42 Es herrschte die Vorstellung, dass sich alles Recht aus dem geschriebenen Gesetz ergebe. Der Code civil halte selbst die Lösung für alle Probleme bereit.43 Dies wird besonders deutlich durch Aussprüche wie „C’est dans le Code Napoléon qu’il faut étudier le Code Napoléon“ 44, „Les textes avant tout!“45
38 Aus dem Titel lässt sich allerdings erkennen, dass es Bousquet wesentlich um diese Begründungen ging: „Explication du Code civil, d’après les motifs exprimés dans les discours prononcés par les orateurs du gouvernement et du tribunat, avec les solutions des questions tant de droit que de forme qui peuvent naître du texte des articles“. Neben diesen Begründungen zitiert er Pothier und insbesondere die „Institutions du droit français“ von Claude Serres (1753). 39 Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 145. 40 Siehe oben S. 121 ff. 41 Husson, Méthode de l’exégèse, S. 121; Gény, Méthode d’interprétation I, Nr. 9. 42 Planiol, Droit civil I, Nr. 129 schreibt dazu, es sei für sie gewesen, als wäre der Code civil „vom Himmel gefallen“: „Ils [les premières générations de commentateurs, S.W.] s'imaginèrent que le Code était quelque chose de tout neuf, sans attache avec le passé, et ils le commentèrent en l'isolant de tout le reste, comme s'il était tombé du ciel.“ 43 A. Esmein, La jurisprudence et la doctrine, S. 5. Die Vollständigkeit des Code civil wurde postuliert: Husson, Méthode de l’exégèse, S. 117. 44 Proudhon, Cours de droit français, Préface, S. xiv. 45 Demolombe, Code Napoléon I, préface, S. VI.
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oder „Je ne connais pas le droit civil, je n’enseigne que le Code Napoléon“. 46 Folglich bestimmte einzig der Wortlaut einer Norm die Grenzen der Auslegung. Aus zwei Gründen brach ein regelrechter „Gesetzeskult“ 47 aus. Zum einen hielten die französischen Juristen die so lang ersehnte Kodifikation hoch und erhoben sie über jeden Zweifel. 48 Zum anderen waren die revolutionären Prinzipien der souveraineté national und der Gewaltenteilung in den Köpfen der Franzosen nach wie vor präsent: Einzig der Gesetzgeber, die Gewählten der Nation, hätten die Befugnis, das Recht fortzubilden – weder die Gelehrten noch, nach den negativen Erfahrungen der vorrevolutionären Zeit (justizielle Willkür), die Rechtsprechung seien dazu berufen. 49 Die Aufgabe der Juristen könne nur darin bestehen, die Vorschriften anzuwenden. 50 Die einzig richtige Methode wurde in der überwiegenden Zeit des 19. Jahrhunderts in der Exegese gesehen. 51 In diesem Zusammenhang wird allgemein auch von der „école de l‘exégèse“ gesprochen – wobei klarzustellen ist, dass es keine eigentliche „Schule“ gab, die diesen Weg beschritten oder vorgegeben hat; 52 es handelte sich vielmehr um ein ganz generelles methodisches Vorgehen eines Großteils der französischen Juristen dieser Zeit. Jede Norm wurde für sich betrachtet und erörtert, ohne die Reihenfolge der Artikel zu verlassen oder gar systematische Überlegungen anzustellen. 53 Die Bedeutung einer Norm konnte nur ermittelt 46
Dieser Satz stammt von dem Pariser Rechtsprofessor Bugnet (1822–1866), zitiert nach Gény, Méthode d’interprétation I, Nr. 13. 47 Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 9, 128; Arnaud, Juristes, S. 58. Ähnlich Charmont/Chausse, Interprètes, S. 135. 48 Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 11; Dawson, Oracles of the Law, S. 391; Fikentscher, Methoden, S. 438. 49 Husson, Méthode de l’exégèse, S. 122; ders., Assises doctrinales, S. 432; Dawson, Oracles of the Law, S. 393. Näher zum Ansehen der Gerichte vor der Revolution S. 139 f. sowie Bauer, Verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 28 ff. m.w.N. 50 Kritik war dabei nicht erwünscht, Loyalität stand an erster Stelle, siehe Arnaud, Juristes, S. 47. 51 Die „école de l’exégèse“ wird klassischerweise in drei Phasen unterteilt: 1. Phase von 1804 bis ca. 1830 (Julirevolution) bzw. 1838 (erste Auflage des Lehrbuchs von Aubry/Rau): Begründung/Einrichtung, 2. Phase von 1830/1838–1880: Blütezeit, 3. Phase von 1880–1899 (Erscheinen von Génys „Méthode d’interprétation et sources en droit privé positif“): Niedergang. Siehe dazu Husson, Méthode de l’exégèse, S. 115 f.; Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 7; Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 21 ff. Ausführlich zu dieser Ära auch Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 43 ff. Für Kritik an Letzterem siehe die Rezension von Bürge, unter (abgerufen am 8.6.2017). 52 Die Bezeichnung ist insgesamt sehr umstritten. Zu Kritik siehe Husson, Méthode de l’exégèse, S. 115; Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 47. Differenzierend auch Arnaud, Juristes, S. 53 ff. 53 Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 182 f.; Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 36. Auch die Vorlesungen in den Rechtsschulen hatten sich an der Folge der Artikel zu orientieren: Neumayer, Wissenschaftliche Behandlung, S. 174 f.
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werden, indem nach dem Willen des Gesetzgebers gesucht wurde, welcher zur einzigen Rechtsquelle avancierte.54 Wo der tatsächliche Wille nicht feststellbar war, zogen die Juristen den vermuteten Willen heran. 55 Andere Überlegungen, wie etwa solche der Historischen Rechtsschule in Deutschland, berücksichtigten sie daneben nicht.56 Der Bezug auf die Intention des Gesetzgebers wurde damit jedoch sehr subjektiv. 57 Das Feststellen des gesetzgeberischen Willens wurde mit fortschreitender Zeit immer schwerer: Durch die industrielle Revolution und den sozialen Wandel traten neue Probleme auf, die der historische Gesetzgeber gar nicht berücksichtigt haben konnte. Die exegetische Methode der Lehre stieß hier an ihre Grenzen. 58 Andere methodische Ansätze traten hinzu,59 und die Bedeutung der Rechtsprechung wuchs enorm. 3. Das Verhältnis zur Rechtsprechung Während sich die Lehre intensiv mit den einzelnen Vorschriften und ihrer Bedeutung beschäftigen konnte, mussten die Gerichte das neue Gesetz sofort in der Praxis auf reale Fälle anwenden. Die anfängliche Bezugnahme auf das altbekannte Recht kann in dieser Situation nicht verwundern. Was den Umgang mit dem neuen Recht anbelangt, so sah sich die Rechtsprechung erheblichen Beschränkungen ausgesetzt: Für sie galt ein striktes Rechtsfortbildungsverbot.60 Dies lässt sich nur vor dem Hintergrund der Bedeutung der Gerichte vor der Revolution verstehen: Sogenannte Parlements bildeten eine durch Korruption und Amtsmissbrauch geprägte feudale Gerichtsbarkeit. 61 Das Misstrauen gegenüber dem Richterstand war denkbar groß, und die Beseitigung der Parlements während der Revolution kann daher nicht verwundern. 62 Aus Sicht der 54
Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 9 f.; Dawson, Oracles of the Law, S. 393. Extreme Stimmen wollten für Fälle, in denen die Intention des Gesetzgebers nicht festgestellt werden konnte oder sich z.B. zwei Gesetzestexte widersprachen, so weit gehen, von einer bewusst gewollten Lücke zu sprechen und das Gesuch des Antragstellers mangels rechtlicher Regelung einfach ablehnen. Die französische Lehre lehnte diese Ansicht aber überwiegend ab, siehe Gény, Méthode d’interprétation I, Nr. 10; Husson, Méthode de l’exégèse, S. 118. 56 Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 15. Historische Argumente dienten lediglich dazu, den Willen des historischen Gesetzgebers festzustellen, Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 54. 57 Dawson, Oracles of the Law, S. 394. Zudem bestand so die Gefahr, einen Willen anzunehmen, den der historische Gesetzgeber überhaupt nicht hatte, Husson, Méthode de l’exégèse, S. 119. 58 Husson, Assises doctrinales, S. 452. 59 Dazu auch Charmont/Chausse, Interprètes, S. 153 ff. 60 Siehe dazu auch Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 3 ff. 61 Näher dazu Bauer, Verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 29 m.w.N. 62 Bauer, Verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 28 ff. 1790 wurde ein allgemeines Interpretationsverbot erlassen, siehe dazu Décret sur l’Organisation judiciaire du 16 = 24 Août 1790 (abgedruckt bei Rondonneau, Collection générale des Lois I, Teil 1, S. 434 ff.), 55
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Lehre konnte die Rechtsprechung nicht viel zur Exegese der Vorschriften und zur Suche nach dem Willen des Gesetzgebers beitragen – erst recht schied sie als Rechtsquelle aus. 63 Die Entscheidungen der Gerichte wurden zwar nicht ignoriert, aber überwiegend lediglich ohne Diskussion oder Kommentierung in Fußnoten abgedruckt.64 Eine nähere Auseinandersetzung wurde jedoch notwendig, wenn die Rechtsprechung Lösungen präsentierte, die mit der exegetischen Methode nicht erreicht werden konnten. 65 Die Rechtsprechung hatte auf tatsächliche Entwicklungen zu reagieren und war mit realen Problemen konfrontiert66 – der Bezug auf den historischen Gesetzgeber half dabei nicht unbedingt weiter. Die Entscheidungen spiegelten den aktuellen Rechtszustand – und die Lehre musste sich damit auseinandersetzen, um diesen zu reflektieren. 67 Gerichtsentscheidungen wurden für die Lehre somit immer wichtiger, was sich auch in den immer umfangreicheren und bedeutenderen Urteilsanmerkungen zeigte.68 Insbesondere die Recueils d’arrêts stellten eine Verbindung zwischen Lehre und Rechtsprechung her. 69 V. Zwischenergebnis zur Herangehensweise an das neue Gesetz Während insbesondere die Rechtsprechung zunächst das Ancien droit für die Auslegung der neuen Vorschriften heranzog, rückten für die Lehre der Gesetzestext und der Wille des Gesetzgebers zunehmend in den Mittelpunkt. Lehre und Rechtsprechung nahmen unterschiedliche Aufgaben wahr: die theoretische Erörterung und das Durchdringen der Vorschriften einerseits, die praktische Anwendung andererseits. Zwar galt für die Rechtsprechung ein striktes Rechtsfortbildungsverbot – eine Anpassung des Rechts an die geänderten Umstände erfolgte gleichwohl durch sie und nicht durch die Lehre. Als die exegetische Titel 2, Art. 12, und die Form von Urteilen wurde genau vorgegeben (Titel 5, Art. 15). Zum anderen wurde 1790 mit dem Tribunal de cassation (ab 1804 Cour de cassation) eine Revisionsinstanz zur Kontrolle der Gerichte eingerichtet: Décret portant Institution d’un Tribunal de Cassation, et réglant sa composition, son organisation et ses attributions du 27 Novembre = 1er Décembre 1790 (Rondonneau, a.a.O., Teil 2, S. 704 ff.). 63 Arnaud, Juristes, S. 59. 64 So auch Dawson, Oracles of the Law, S. 397; Meynial, Recueils d’arrêts, S. 176; Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 128. Von einer Spaltung von Lehre und Rechtsprechung, die immer wieder behauptet wird, will Gläser auch für die erste Phase dagegen nicht sprechen, a.a.O., S. 41. 65 Dawson, Oracles of the Law, S. 397. 66 A. Esmein, La jurisprudence et la doctrine, S. 12, bezeichnete die Rechtsprechung daher auch als „véritable expression du droit civil“; Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 433, spricht vom Richter als dem „Mund des Gesetzes“. 67 Husson, Méthode de l’exégèse, S. 125; Dawson, Oracles of the Law, S. 397. 68 Ausführlich dazu Meynial, Recueils d’arrêts, S. 196 ff.; Atias, Les méthodes de la science du droit, Nr. 8. Siehe auch Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 124 f. sowie insbesondere S. 166 ff. 69 Meynial, Recueils d’arrêts, S. 175 und 185 ff.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Methode zunehmend an ihre Grenzen stieß, wuchs die Bedeutung der Rechtsprechung. Im Rahmen der Art. 1382 f. Cc sticht insbesondere der anfängliche starke Bezug auf das römische Recht ins Auge. Auch wenn dieses während des Ancien Régime geltendes Recht war – die Generalklausel im Code civil unterscheidet sich doch sehr deutlich von den Bestimmungen der lex Aquilia mit ihren einzelnen Regelungen. Trotzdem verwiesen die ersten „Kommentatoren“ nur auf römische Quellen. Zu einem Verständnis der neuen Regelungen konnten diese jedoch nicht beitragen; dafür hätten sich primär die entsprechenden Ausführungen bei Domat angeboten, dessen naturrechtliche Generalklausel im Ancien droit viele Anhänger fand. Der Umgang mit den Art. 1382 f. Cc gestaltete sich also zunächst schwierig. Erst etwas später zogen die Juristen für das Verständnis der Generalklausel naturrechtliche Billigkeitserwägungen und Prinzipien heran.
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung
Für die Analyse der deliktischen Haftung, insbesondere des Umfangs der Haftung während dieser Zeit, sind die dargestellten Umstände und Besonderheiten in der Herangehensweise zu berücksichtigen. Es wird daher getrennt voneinander untersucht, wie Lehre und Rechtsprechung diese Rechtsfrage gehandhabt haben. Zunächst geht es darum, wie die gelehrten Juristen des 19. Jahrhunderts die deliktische Generalklausel erörtert haben (I.). Welche Kriterien haben sie entwickelt, welche Beispielsfälle haben sie angeführt? Wie haben sie den Umfang der Haftung verstanden? Wie groß war dabei der Bezug zur Praxis? Anschließend wird sich zeigen, welche Fälle die Rechtsprechung tatsächlich entschieden hat (II). Wie lässt sich der Umfang der Haftung hier beschreiben? I. Behandlung durch die Lehre Die Erörterung der deliktischen Haftung erfolgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf ganz unterschiedliche Weisen. Wie bereits gezeigt, findet man in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Code civil oft einfach Gegenüberstellungen der neuen Vorschriften der Art. 1382–1386 Cc und des alten Rechts, also der lex Aquilia; zum Teil ganz ohne nähere Ausführungen, zum Teil mit Erläuterungen des römischen Rechts. 70 Erst nach einigen Jahr(zehnt)en gab es erste ausführlichere Darstellungen zu der Generalklausel in Art. 1382 Cc selbst. Aus dem Wortlaut des Art. 1382 Cc („Tout fait quelconque de l'homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le 70
Eben S. 129 ff.
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung
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réparer.“) lassen sich direkt die Voraussetzungen der deliktischen Haftung entnehmen. Es bedarf irgendeines menschlichen Verhaltens (fait), durch das ein Schaden (dommage) bei einer anderen Person verursacht wird. Aber nicht nur das: Der Schaden muss durch eine faute hervorgerufen worden sein. Fait, faute, causalité und dommage sind also die entscheidenden Elemente. Art. 1383 Cc („Chacun est responsable du dommage qu'il a causé non seulement par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“) ist direkt in Zusammenhang mit Art. 1382 Cc zu lesen. Seine Funktion besteht darin, das Erfordernis der faute zu präzisieren: Ganz im Einklang mit der traditionellen Auffassung genügt danach auch der geringste Grad an Verschulden (la faute la plus légère) für die Haftung, denn Fahrlässigkeit und Unvorsichtigkeit werden explizit eingeschlossen. 71 Konkrete Vorgaben für die einzelnen Voraussetzungen enthält die Vorschrift dagegen nicht. Auch unmittelbare Beschränkungen des Umfangs der Haftung lassen sich ihr nicht entnehmen. Es oblag damit der Rechtsprechung und der Lehre, die einzelnen Voraussetzungen auszufüllen und zu definieren. Bei einer Betrachtung der einschlägigen Werke wird schnell ein Unterschied zum Verständnis im Ancien droit deutlich: Bis zum Inkrafttreten des Code civil stand in den meisten Erläuterungen der Schaden im Mittelpunkt der Darstellung und die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter wurde in diesem Zusammenhang relevant. 72 Mit der faute waren demgegenüber lediglich die verschiedenen Stufen des Verschuldens verbunden: Vorsatz, Fahrlässigkeit, Zufall sowie verschiedene Schweregrade des Verschuldens. 73 71 Toullier, Droit civil français, Nr. 119; Massé/Vergé, Droit civil français, § 625; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 384. Ders, a.a.O., kritisierte die ungeschickte Formulierung der Vorschriften: Der fait werde der négligence und der imprudence gegenübergestellt, wodurch der Eindruck erweckt werden könne, dass „fait“ eine schwerere Form des Verschuldens meine. Dies sei jedoch nicht der Fall: Das Wort stehe für keine Art der faute. Zudem sei es allgemeine Auffassung, dass ein „fait“ alleine nicht für die Haftung genüge, dazu auch gleich S. 143 f. Dass auch das geringste Verschulden genügt, betonte auch schon Domat in seiner Generalklausel, siehe oben S. 75. Im Hinblick auf den Haftungsmaßstab bestanden schließlich Besonderheiten für die Haftung bestimmter Professionen, zum Beispiel von Ärzten. Die faute bestand darin, dass etwas nicht beachtet wurde, was man wissen musste, bzw. dass ein Verstoß gegen die Regeln der Kunst vorlag (propter judicium lubricum artis). Siehe dazu auch schon Domat, Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 5 (allerdings nicht speziell auf Ärzte bezogen) sowie ebenfalls oben S. 75 f.; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 676 mit Verweis auf die Bestimmungen des römischen Rechts, auf denen dieser Grundsatz beruht; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 128 ff.; Larombière, Obligations, Nr. 15. Grundsätzlich sollte dabei nur für schwere Vergehen gehaftet werde: Zachariae, Französisches Civilrecht 5, § 444; Massé/Vergé, Droit civil français, § 625. 72 Siehe dazu oben Domat, S. 75 ff., aber auch schon Grotius, S. 30 ff. 73 Bei Domat war dieser Gegensatz zum früheren Verständnis schon seiner Generalklausel zu entnehmen: Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 1: „Toutes les pertes, & tous les dommages qui peuvent arriver par le fait de quelque personnes, soit imprudence, legereté, ignorance de ce qu’on doit scavoir, ou autres fautes semblables, si legeres qu’elles puissent être, doivent être réparées par celui dont l’imprudence ou autre faute y a donné lieu.“ Siehe dazu auch S. 75.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Dies änderte sich unter Art. 1382 f. Cc. Die zentrale Voraussetzung stellte nun die faute dar, die eine ganz eigenständige Bedeutung bekam: Mit dem fait (illicite) diente sie fortan dazu, die weit formulierte Generalklausel zu beschränken.74 In diesem Zusammenhang findet sich nun auch immer wieder der explizite Bezug auf das Erfordernis einer „Rechtsverletzung“. 75 1. Eigenständige Bedeutung von fait illicite und faute Was verstanden die französischen Juristen im 19. Jahrhundert unter einer faute und einem fait illicite, und wie verhielt sich das Erfordernis der Rechtsverletzung dazu? Wenig hilfreich ist es, sich dieser Frage mit dem deutschen Begriffsverständnis von Rechtswidrigkeit und Verschulden zu nähern. Die Voraussetzungen der Haftung nach der französischen Generalklausel müssen aus französischer Perspektive betrachtet werden. Als problematisch erwies sich, dass es allgemeine Definitionen nicht gab. Es erfolgte nicht nur eine unterschiedliche Verwendung der Begriffe, auch das Verständnis der einzelnen Begriffe unterschied sich zum Teil stark in der französischen Lehre. 76 Manche Juristen bezogen sich nur auf den fait (illicite), andere nur auf die faute. Wieder andere scheinen nicht zwischen beiden differenziert zu haben und fassten die gleichen Voraussetzungen darunter. Unklar bzw. nicht weiter erörtert blieb bei den meisten Juristen des Weiteren die Frage, woraus sich eigentlich der Bezug zu der Rechtsverletzung ergab; aus dem Wortlaut des Art. 1382 Cc folgte dieses Erfordernis jedenfalls nicht. Diese Befunde erschweren eine klare Definition und Abgrenzung sowie generalisierende Aussagen zum Verständnis der französischen Lehre. Gleichwohl soll im Folgenden versucht werden, einen Überblick zu geben sowie eine gewisse Einordnung und Systematisierung zu leisten. Im Hinblick auf das Verständnis vom Umfang der Haftung sind diese Schwierigkeiten im Ergebnis jedoch insofern von eher untergeordneter Bedeutung, als über die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung Grotius unterschied hinsichtlich der faute zwischen iniuria, simple faute und infortunium, Grotius, DGP, III, 11, § 4, Nr. 2 ff. Siehe dazu S. 37. Ein sehr ähnliches Verständnis hatte auch Pufendorf, der unter dem Begriff der faute ebenfalls absichtliche Verursachung, Fahrlässigkeit und Zufall unterschied, Pufendorf, DNG, III, 1, § 6 sowie S. 47. – Proudhon, Usufruit, Nr. 1494 f., unterschied dagegen noch nach den Schweregraden der faute: Es sei ein Gebot der natürlichen Billigkeit, dass derjenige, dem nur leichtestes Verschulden vorgeworfen werden könne, anders behandelt werde, als jemand, den eine schwere Schuld treffe. 74 Während des gesamten 19. Jahrhunderts, insbesondere in dessen letztem Jahrzehnt, diskutierten die französischen Juristen im Rahmen der deliktischen Haftung auch das Verhältnis zwischen vertraglicher und deliktischer faute (dazu ausführlicher S. 179 ff.). Einige Juristen stellten das Erfordernis der faute Ende des 19. Jahrhunderts schließlich ernsthaft in Frage (unten S. 178 f. sowie insbesondere S. 262 ff.). 75 Andere Juristen gingen auf Rechtsverletzungen weiterhin im Rahmen des Schadens ein, dem während des 19. Jahrhunderts insgesamt aber eine eher geringe Bedeutung zukam. 76 Dies kritisierte auch Planiol, Responsabilité civile 1, S. 283.
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung
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und das Verständnis von dieser – wie zu zeigen sein wird – im Wesentlichen weitgehende Einigkeit bestand. a) Fait illicite Der Begriff fait wurde zunächst in einem ganz umfassenden Sinn verstanden: Jedes menschliche Verhalten, das ursächlich für die Entstehung des Schadens war, konnte darunter gefasst werden. Dazu gehörten gleichermaßen Handlungen wie Unterlassungen. 77 Art. 1382 Cc verwendet diesen Begriff in einem sehr generellen Sinn ohne nähere Ausformung: fait. Von Anfang an waren die französischen Juristen jedoch darüber einig, dass eine bloße Handlung oder Unterlassung nicht genüge.78 Es herrschte die allgemeine Auffassung, dass ein fait illicite vorliegen müsse, also ein unerlaubtes Verhalten.79 Dieses Erfordernis der illicéité entsprang direkt der gängigen Definition (und damit dem Verständnis) des Begriffs délit80 als „un fait illicite, commis avec intention de nuire, et qui peut préjudicier à autrui“. 81 Einige Juristen nahmen statt der Art. 1382 f. Cc sogar diese Definition als Ausgangspunkt für die Erläuterung der deliktischen Haftung. 82 Doch was machte einen fait zu einem fait illicite? Eine klare Antwort gibt es dazu nicht. Am häufigsten findet man die Erklärung, dass eine Handlung
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Toullier, Droit civil français, Nr. 117; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 388. 78 So schon Proudhon, Usufruit, Nr. 1487. Ausführlich dazu Demolombe, Code Napoléon, Nr. 468. 79 Dazu auch Halpérin, French doctrinal writing, S. 80. 80 Siehe zum Beispiel Aubry/Rau, Droit civil français1, § 443; Larombière, Obligations, Nr. 2, 10; Duranton, Cours de droit français, Nr. 699. 81 So bei Delvincourt, Code Napoléon, S. 288; ähnlich Duranton, Cours de droit français, Nr. 699. Andere stellten dagegen in ihrer Definition das Erfordernis der Rechtsverletzung hervor, z.B. Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 379; Massé/Vergé, Droit civil français, § 624. Quasidelikte unterschieden sich nach allgemeiner Ansicht von Delikten dadurch, dass sie ohne Intention oder Schädigungsabsicht begangen wurden. Ein anderes Verständnis hatte allerdings Zachariae: Für ihn waren Quasi-Delikte „Fälle, in welcher Einer … für den Schaden haftet, den entweder ein Anderer oder eine unter der Aufsicht der verantwortlichen Person stehende Sache verursacht hat“, siehe insbesondere, a.a.O. 5, § 446 mit Fn. 2 (aber auch schon in den früheren Auflagen). Mit diesem Verständnis stand er allerdings, wie auch Massé/Vergé, a.a.O., § 627, Fn. 1, betonen, allein dar. 82 Siehe z.B. Bernardi, Cours de droit civil français, S. 193. Art. 1382 Cc wurde zwar im weiteren Verlauf erwähnt, Anknüpfungspunkt war jedoch zunächst diese Definition. Sie diente jedoch nicht nur dazu, die relevanten Begriffe und Voraussetzungen der Haftung herauszustellen; sie wurde auch verwendet, um von anderen Verwendungen des Wortes „Delikt“ im straf- oder polizeirechtlichen Sinne abzugrenzen, siehe etwa Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 379. Siehe auch Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 277 f.; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 385 f.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
erfolgt, die ohne Recht vorgenommen wird 83 oder die gegen das Recht verstößt.84 Das Répertoire Dalloz weist darauf hin, dass sich eben jener Grundsatz auch in Art. 5 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 wiederfinde: „Alles, was nicht durch Gesetz verboten ist, kann nicht verhindert werden …“.85 Wo also kein Verstoß gegen das Gesetz begangen werde, könne auch kein fait illicite vorliegen.86 Das Verhalten muss damit widerrechtlich sein. Auch Zachariae nimmt in der zweiten Auflage seines Handbuchs Bezug auf diese objektive Widerrechtlichkeit. Das Delikt definiert er als „eine Handlung, wodurch einer die Rechte eines Andern, wissentlich oder aus Fahrlässigkeit, verletzt“.87 Anschließend führt er aus, dass die Handlung objektiv widerrechtlich sein müsse, was bedeute, dass jemand „etwas gethan hat, was er den Gesetzen oder den von ihm eingegangenen Verbindlichkeiten nach nicht hätte thun sollen.“88 Dieser Bezug auf das objektiv Widerrechtliche verschwindet jedoch in späteren Auflagen. Dort heißt es nur noch, es müsse eine „unbefugte“ Tat vorliegen89 – ganz im Einklang mit der ebenfalls veränderten Definition des Delikts als „eine[r] Handlung, wodurch einer die Rechte eines Andern, … unbefugt verletzt“.90 Aubry/Rau übersetzen „unbefugt“ in ihrer ersten Auflage, die die vierte Auflage Zachariaes zur Vorlage hat, mit „ne constitue pas l’exercice d’un droit ou l’accomplissement d’une obligation légale.“ 91 „Unbefugt“ ist für sie demnach, was nicht in Ausübung eines Rechts (oder der Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht) geschieht. Hier lässt sich somit ein etwas anderer Anknüpfungspunkt erkennen: Statt auf einen Verstoß gegen die Rechtsordnung stellen sie auf die Ausübung eines Rechts ab. Dieses Verständnis findet sich im Rahmen des fait illicite bzw. fait licite nicht nur bei ihnen; auch andere, wie
83 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 401: „On entend par fait illicite tout ce qu’on n’a pas le droit de faire.“ 84 So z.B. bei Duranton, Cours de droit français, Nr. 699: „Il faut que le fait soit illicite, contraire à la loi“; Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 762: „tous les actes en dehors du droit ou du devoir“; Larombière, Obligations, Nr. 2, 10: „ce que la loi n’autorise point, ce qu’elle défend même, ce qu’on n’a pas le droit de faire, quod non jure fit“; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 4: „un fait accompli sans droit“. 85 Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 4: „Tout ce qui n'est pas défendu par la Loi ne peut être empêché, et nul ne peut être contraint à faire ce qu'elle n'ordonne pas.“ 86 Gemäß dem Répertoire Dalloz findet genau diese Regel aber Ausdruck in dem Erfordernis der faute in Art. 1382 Cc: „Responsabilité“, Nr. 4. Fait illicite und faute entsprachen sich dort also inhaltlich. 87 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 379. 88 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 380. 89 Z.B. in der 4., 5. oder 7. Aufl., jeweils § 444. 90 Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 443; 5. Aufl., § 443. 91 Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 444.
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung
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Sourdat, Massé/Vergé, Marcadé oder Demolombe, nehmen darauf Bezug.92 Bereits an dieser Stelle wird damit sichtbar, dass die Unerlaubtheit des Verhaltens nach einem Teil der Lehre davon abhing, ob es die Ausübung eines eigenen Rechts darstellte oder nicht. 93 Das Erfordernis der illicéité sorgt somit für eine erste Eingrenzung – das Verhalten musst unerlaubt bzw. widerrechtlich erfolgt sein, was bedeutet, dass es gegen das Recht verstößt und nicht die Ausübung eines eigenen Rechts darstellt. Zumindest im 19. Jahrhundert führen einige französische Juristen diese Voraussetzung der Haftung also explizit auf und messen ihr anscheinend gewisse Bedeutung bei.94 b) Faute Aus dem Wortlaut des Art. 1382 Cc selbst ergibt sich das Erfordernis der illicéité allerdings nicht, sondern nur das der faute. Die faute soll aber genau wie die illicéité dazu dienen, das zur Haftpflicht führende Verhalten (fait) zu beschränken. 95 Einige Juristen betonten dies ganz deutlich: Sie forderten, in Art. 1382 Cc das Wort fait zumindest gedanklich durch das Wort faute zu ersetzen.96 Toullier dagegen ging überhaupt nicht auf den fait illicite ein, sondern befasste sich nur mit der faute. Auch hier schließt sich freilich sofort die Frage an, was die französischen Juristen unter der faute verstanden. Toullier betont, dass mit diesem Begriff nicht der Grad des Verschuldens gemeint sei, und wendet sich damit von der Bedeutung dieses Begriffs im römischen Recht und im Naturrecht ab.97 Nach Toullier ist unter der faute viel mehr das zu verstehen,
92 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 419: „qu’il ne constitue pas l’exercice d’un droit reconnu, ou l’accomplissement d’un devoir imposé par la loi“. Ähnlich Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 14; Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 278; Demolombe, Code Napoléon, Nr. 665. 93 Ausführlich zu dieser Einschränkung S. 166 f. 94 Der Einschätzung von Motulsky, Zurechenbarkeit, S. 244, im französischen Zivilrecht finde die Rechtswidrigkeit kaum Erwähnung, auf die sich auch Schumacher, Rheinisches Recht, S. 67, beruft, kann angesichts dieses Befundes jedenfalls für das 19. Jahrhundert nicht vollumfänglich zugestimmt werden. 95 Toullier, Droit civil français, Nr. 118; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 384. 96 Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 762; Mourlon, Répétitions écrites, Nr. 1690. 97 Dazu bereits eben Fn. 73 m.w.N. Anderer Ansicht dagegen Proudhon, Usufruit, Nr. 1501, der sich ausdrücklich gegen die Auffassung Toulliers wendet und anhand verschiedener Beispiele aufzuzeigen versucht, dass die Unterteilung nach den Schweregraden des Verschuldens auch im Code civil zu finden ist.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
was man begeht, wenn man etwas tut, wozu man kein Recht hat.98 Im Umkehrschluss gilt dann natürlich: Eine faute kann grundsätzlich nicht vorliegen, wenn man nur etwas tut, wozu man ein Recht hat, also lediglich ein eigenes Recht ausübt – selbst wenn durch diese Handlung eine andere Person geschädigt wird. Dies lässt eine gewisse Überschneidung mit den Einschränkungen bezüglich der Widerrechtlichkeit des Verhaltens erkennen. Und tatsächlich stellt eine Reihe von Juristen das in einen Zusammenhang mit der faute, was beispielsweise Aubry/Rau, Sourdat und andere in Bezug auf den fait illicite schreiben. Sie definieren die faute ähnlich wie Toullier oder sogar nur per Umkehrschluss: Sie sei ausgeschlossen, wenn bloß ein Recht gebraucht werde. 99 Wiederum ein etwas anderes Verständnis findet man bei Boileux und Mourlon. Beide definieren die faute als das, was „injustement“ die Rechte anderer verletzt100 – also in ganz ähnlicher Weise, wie Zachariae den Begriff „Delikt“ definiert. Genau dieses injustement verstehen sie dann auch wieder als „nicht die Ausübung eines Rechts.“ Nach der Definition von Boileux und Mourlon stellt die faute also eine Art Oberbegriff dar, der zum einen das Merkmal der Widerrechtlichkeit und zum anderen das Erfordernis einer Rechtsverletzung einschließt. Danach wäre die Widerrechtlichkeit des Verhaltens eine Art Bestandteil der faute. Dazu passt auch Halpérins Einordnung des fait illicite als „notion objective de la faute“.101 Nach diesem Verständnis handelt es sich bei der Widerrechtlichkeit – dem fait illicite – um keine selbständige Haftungsvoraussetzung, sondern sie geht in der faute auf.102 Die Definitionen der faute bei Boileux und Mourlon lassen weiterhin erkennen, dass diese mit dem Erfordernis einer „Rechtsverletzung“ in diesem Zusammenhang etwas anderes verbinden als lediglich den Verstoß gegen das Recht, also gegen die Rechtsordnung. Sie fordern explizit die Verletzung der „Rechte anderer“. Genau dies findet sich wie gezeigt auch in Zachariaes Definition des Delikts, ebenso in den Übersetzungen von Aubry/Rau und
98 Toullier, Droit civil français, Nr. 119: „L’article 1382 entend donc ici par faute, celle qu’on commet en faisant une chose qu’on n’avait pas le droit de faire, quod non jure fit.“ An dieser Stelle verweist er auf Bestimmungen der lex Aquilia. 99 Siehe z.B. Duranton, Cours de droit français, Nr. 708: „Puisqu’il est nécessaire, pour cela, que le fait ait eu lieu par faute, il est clair … que la règle n’est point applicable au cas où le fait qui nuit à un tiers, a été commis par celui qui avait droit de le commettre“; Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 760 f., Fn. 3: „celui qui cause du dommage à une personne en usant de son droit contre cette personne, ne commet pas une faute“; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 99; Larombière, Obligations, Nr. 2, 10: „nul n’est en faute quand il ne fait qu’user de son droit“; oder Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 409: „celui qui n’use que de son droit, ne commet aucune faute“. 100 Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 760; Mourlon, Répétitions écrites, Nr. 1690. 101 French doctrinal writing, S. 80. 102 So auch Hübner, Haftung des Gardien, S. 51; Wagner, Grundstrukturen, S. 224.
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung
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Massé/Vergé, bei Toullier, Sourdat sowie vielen anderen Juristen. 103 Die Rechtsverletzung im so verstandenen Sinne bildet für diese Juristen somit eine Voraussetzung der deliktischen Haftung. Insgesamt wird damit deutlich, dass die französischen Juristen des 19. Jahrhunderts unter der faute ganz allgemein Handlungen verstanden, die ohne Recht vorgenommen wurden. Das erforderte neben einem unerlaubten Verhalten die Verletzung des Rechts eines anderen. Wo dagegen nur von einem Recht Gebrauch gemacht wurde, sollte grundsätzlich keine Ersatzpflicht bestehen. Im Folgenden geht es um eine genauere Untersuchung dieser Voraussetzungen, insbesondere der Rechtsverletzung. 2. Erfordernis einer Rechtsverletzung Schon in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte findet sich der Bezug auf die Rechte anderer zur Begrenzung des eigenen Verhaltens (a). Doch was verstanden die französischen Juristen im 19. Jahrhundert unter dem Erfordernis einer Rechtsverletzung, und welche Rechte fassten sie konkret darunter (b)? In welchem Zusammenhang verorteten sie dieses Erfordernis (c)? a) Rechtsverletzung als Grenze erlaubten Verhaltens Vor der Französischen Revolution war es nicht möglich, generell (vorher-)zu sagen, zur Vornahme welcher Handlungen eigentlich ein Recht bestand bzw. wann eine Handlung ohne Recht vorgenommen wurde. Die Freiheit und die Rechte der Menschen waren nicht gesetzlich verbürgt oder anerkannt – und so blieb es den Gerichten überlassen, im Einzelfall zu entscheiden. 104 Insbesondere die Urteile der Parlements zeichneten sich dabei durch Willkür aus und führten zu Rechtsunsicherheit. 105 Ganz anders stellte sich die Situation im 19. Jahrhundert dar. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789 garantierte Freiheiten und Rechte und verpflichtete auch die Staatsgewalt, diese zu beachten. „Alles, was nicht durch Gesetz verboten ist, kann nicht verhindert werden“ – dieser sehr allgemeine Grundsatz in Art. 5 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, enthalten in der Verfassung von 1791 und gemäß der Präambel der Verfassung der Französischen Republik vom 4.10.1958 auch heute noch geltendes Verfassungsrecht in Frankreich, 106 garantierte den Bürgern eine gewisse Grundsicherung. 107 Gleichzeitig bestand 103
Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 379; Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 443; Massé/Vergé, Droit civil français, § 624. Ähnlich auch bei Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 404. Ausführlich dazu S. 148 ff. 104 Toullier, Droit civil français, Nr. 120. 105 Siehe bereits oben S. 138 f. und Fn. 61 f. m.w.N. 106 JORF, Nr. 0238 du 5 octobre 1958, S. 9151 ff. 107 Toullier, Droit civil français, Nr. 120, weist darauf hin, dass diese Regel einen sehr alten Ursprung hat. Sie sei nichts anderes als die Definition der Freiheit im römischen Recht.
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damit ein (natürliches) Recht, das zu tun, was nicht verboten ist. Die so gewährte Freiheit fand mit etwas anderer Pointierung auch Ausdruck in Art. 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“ 108 Es besteht danach also nicht nur kein Recht zur Vornahme verbotener Handlungen, sondern auch kein Recht zur Vornahme solcher, die anderen Schaden zufügen (auch wenn sie an sich gesetzlich nicht verboten sind). Weiter heißt es in Art. 4: „So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern.“ 109 Bereits in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte findet sich also ein ausdrücklicher Bezug auf die Rechte anderer. Strafgesetze und Verbotsnormen konkretisierten diese generelle Bestimmung. 110 Aber auch, wo es keine konkrete Bestimmung gebe, gelte dieser Grundsatz, wie Toullier und Sourdat betonen, denn es sei nicht möglich, alle Fälle spezifisch zu regeln, und die natürliche und göttliche Moral fordere „Ne fais pas à autrui ce que tu ne voudrais pas qu’on te fit à toi-même“. 111 Auch sie ziehen die „goldene Regel“ zur Begründung der Ersatzpflicht heran. Viel deutlicheren Ausdruck erhielt dies natürlich in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte: Wo Rechte anderer verletzt werden, enden die eigene Freiheit, das eigene Recht. b) Verständnis in der Lehre Genau dieser Grundsatz und diese Überlegungen bildeten den Grundgedanken hinter der deliktischen Generalklausel in Art. 1382 Cc112 und erklären den Bezug auf das Erfordernis der Rechtsverletzung. „La violation d’un droit d‘autrui“ scheint für die französischen Juristen des 19. Jahrhunderts ganz selbstverständlich eine notwendige Voraussetzung der deliktischen Haftung als Element der faute gewesen zu sein. 113 In Inst. 1,3,1 heißt es in der Tat: „libertas quidem est … naturalis facilitas eius quod cuique facere libet, nisi si quid aut vi aut iure prohibetur.“ („Die Freiheit ist … die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem beliebt, sofern es nicht durch Gewalt oder Recht verhindert wird.“) 108 „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui.“ 109 „[A]insi, l'exercice des droits naturels de chaque homme n'a de bornes que celles qui assurent aux autres Membres de la Société la jouissance de ces mêmes droits.“ 110 Toullier, Droit civil français, Nr. 120. 111 Toullier, Droit civil français, Nr. 122; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 440. 112 Siehe bereits Bernardi, Cours de droit civil français, S. 193: „Quand on vit en société, on est censé s’être soumis à respecter les droits d’autrui, comme il est obligé de respecter les nôtres.“ Später Toullier, Droit civil français, Nr. 120; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 440; Larombière, Obligations, Nr. 14. 113 Siehe nur Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 760; Mourlon, Répétitions écrites, Nr. 1690, oder Demolombe, Code Napoléon, Nr. 470. Wie sich im Folgenden zeigen wird, scheint die Annahme von Gierkes, Deutsches Privatrecht, 886, es sei für französische
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Im Folgenden wird an einigen Juristen, die sich besonders intensiv mit dem Erfordernis der Rechtsverletzung auseinandergesetzt haben, aufgezeigt, wie diese die Rechtsverletzung ganz konkret verstanden haben und welche Auswirkung dieses Verständnis auf den Umfang der Haftung hatte. Ausgangspunkt ist dabei das Werk von Toullier (1823) (aa), das nicht nur zeitlich bereits sehr früh erschien, sondern auch sehr deutlich und klar erkennen lässt, was mit der Rechtsverletzung gemeint war. Hinzukommt, dass es später vielen anderen Juristen als Referenzpunkt diente, unter ihnen Sourdat oder Zachariae. Die Erläuterungen von Sourdat (1852), Larombière (1863) und Demolombe (1883) belegen anschließend, dass sich während des gesamten 19. Jahrhunderts dieses Verständnis der Rechtsverletzung nicht wesentlich änderte (bb). Neben diesen französischen Werken gilt besonderes Augenmerk dem „Handbuch des Französischen Civilrechts“ von Zachariae, das während des 19. Jahrhunderts großes Ansehen in Frankreich genoss, sowie den Übersetzungen (und Bearbeitungen) dieses Werks durch Aubry/Rau und Massé/Vergé. Auch in dieser Arbeit deutschen Ursprungs nahm die Rechtsverletzung eine zentrale Rolle ein (cc). Schließlich ist das Werk von Laurent jedoch ein Beispiel dafür, wie das Erfordernis der Rechtsverletzung durch übermäßige Ausweitung und ein verändertes Verständnis seine Konturen verlor (dd). aa) Ausgangspunkt: Toullier Charles Toullier (1752–1835) war der erste, der sich nach Inkrafttreten des Code civil ausführlich mit der Verletzung der Rechte anderer auseinandersetzte.114 Für ihn bedeutet eine solche Rechtsverletzung den Inbegriff dessen, wozu man kein Recht hat (was also eine faute darstellt).115 Die Handlungen, die eine Rechtsverletzung herbeiführen („[l]es actes nuisibles aux droits d‘autrui“), teilt er in zwei Gruppen ein, denen er abschließenden Charakter beimisst: „attentats à la personne ou aux droits personnels d‘autrui“ und „attentats à sa propriété ou à ses droits réels“. 116 Zum ersten Mal differenziert damit ein Juristen selbstverständlich gewesen, dass jede widerrechtliche Schadenszufügung eine Rechtsverletzung darstelle, zu weit zu gehen. 114 Sein Werk war überhaupt die erste intensive wissenschaftliche Beschäftigung eines französischen Juristen mit dem neuen Recht. Charmont/Chausse, Interprètes, S. 144, bezeichnen das Erscheinen des ersten Bandes im Jahre 1811 auch als „eine Art Aufwachen“ und „eine Renaissance“ der Lehre. Toullier prägte diese Zeit wie kein anderer, sah sich aber auch massiver Kritik ausgesetzt (im Rahmen des Deliktsrechts siehe z.B. Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 280). Seine Art war bestimmt durch Einfachheit und Klarheit. Die größte Bedeutung erlangte seine Bearbeitung des Obligationenrechts, Charmont/Chausse, a.a.O., S. 146. 115 Siehe Toullier, Droit civil français, Nr. 120: „La liberté de mes actions n’a d’autres bornes que celles qui assurent également aux autres membres de la société la jouissance de leurs droits naturels ou acquis …“. 116 Toullier, Droit civil français, Nr. 121.
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französischer Jurist zwischen der Person oder mit der Person verbundenen Rechten einerseits und dem Eigentum oder reellen Rechten andererseits. Die erste Gruppe enthalte alle Verletzungen von Lebensgütern (la sûreté),117 der Freiheit (la liberté), des Ansehens (la réputation) und der Ehre (l‘honneur) der Person; ebenso die Beeinträchtigung der Ausübung persönlicher Rechte. Der zweiten Gruppe sollten demgegenüber Verletzungen des Eigentums oder der Sachen eines anderen unterfallen. Toullier führt auch näher aus, welche Verletzungen darunter zu verstehen seien – nämlich die Vernichtung oder Beschädigung einer Sache/des Eigentums, das Vorenthalten des Nutzens oder des Besitzes, sowie die Beeinträchtigung reeller Rechte oder die Verhinderung des Erwerbs solcher.118 Konkretere Beispiele fehlen allerdings. Etwas später fügt er noch hinzu, dass auch der Besitz ein Recht darstelle, das zwar vom Eigentum zu unterscheiden sei, dessen Verletzung aber ebenfalls untersagt sei.119 Welch zentrale Rolle die Rechtsverletzung für die Haftung einnimmt, betont Toullier auch an anderer Stelle: Alle Handlungen, die weder persönliche noch reelle Rechte eines anderen verletzen, seien erlaubt und könnten weder verhindert noch bestraft werden, auch wenn sie irgendeinen Nachteil oder Schaden bei einer anderen Person herbeiführen; denn nur die Verletzungen ihrer Rechte seien untersagt. 120 Nicht jeder Schaden oder jede Einbuße sollte also zur Ersatzpflicht führen, sondern nur, wenn eine Rechtsverletzung vorlag. Toulliers Erläuterungen lassen dabei erkennen, dass seiner Ansicht nach nicht die Verletzung eines beliebigen Rechts genügt: Erstens führt Toullier nach eigener Angabe abschließend auf, worin eine die Haftung begründende Verletzung bestehen kann: Sie muss die Person/persönliche Rechte oder das Eigentum/reelle Rechte betreffen. Und zweitens machen Ausführungen von Toullier in anderem Zusammenhang ganz deutlich, dass es ihm bei der Aufzählung ausschließlich um absolute Rechte geht. Im ersten Band seines „Droit civil français“ beschäftigt er sich unter anderem mit dem état civil und in dem Zusammenhang mit den bürgerlichen Rechten (droits civils).121 Letztere unterscheidet er in absolute und relative Rechte. Absolute Rechte seien dabei solche, die dem Menschen von Natur aus gegeben seien; sie bestünden unabhängig von der Gesellschaft, könnten durch menschliche Gesetze nicht abbedungen werden und das 117 Der Begriff „sûreté“ lässt sich in diesem Zusammenhang nicht sinngemäßer und genauer ins Deutsche übersetzen; an anderer Stelle wird jedoch deutlich, was Toullier darunter verstand, dazu Fn. 124. 118 Toullier, Droit civil français, Nr. 121. 119 Toullier, Droit civil français, Nr. 123 ff. 120 Toullier, Droit civil français, Nr. 122: „Ainsi donc, tous les actes qui ne sont point nuisibles à la société, et qui ne portent atteinte ni aux droits personnels, ni aux droits réels d’autrui, sont permis, et ne peuvent être empêchés ni punis, quand même ils causeraient quelque dommage ou préjudice à d’autres personnes: car remarquez bien qu’il n’y a que les attentas à leur droits qui soient défendus.“ [Hervorhebung im Original] 121 Toullier, Droit civil français, Nr. 205 ff.
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Ziel jeder zivilen Vereinigung bestehe darin, diese Rechte zu schützen. 122 Im Folgenden erläutert Toullier, welche absoluten Rechte es gibt und wodurch sich diese auszeichnen. Es handelt sich dabei genau um die Rechte, an deren Verletzung er später die deliktische Haftung knüpft: „sûreté, liberté, propriété“. 123 Die sûreté definiert er als „la jouissance de sa vie, de son corps, de ses membres, de son honneur, ou de sa réputation“. 124 Im Hinblick auf den Umfang der deliktischen Haftung belegt dies, dass Toullier die Haftung nicht umfassend, sondern beschränkt verstanden hat: Nur die Verletzung eines absoluten Rechts begründet für ihn die Ersatzpflicht. Folglich sieht er sämtliche relativen Rechte als nicht erfasst an. Dies müsste dann insbesondere auch vertragliche Rechte betreffen. Gleiches gilt auch für das Vermögen als solches, das kein von Natur aus gegebenes, absolutes Recht bildet. Bei Toulliers Aufzählung fällt schließlich auf, dass er genau die Rechte und Rechtsgüter hervorhebt, an deren Verletzung auch im Ancien droit bereits die Ersatzpflicht geknüpft wurde: die Person (Leben, Körper), die Freiheit, das Ansehen, die Ehre, das Eigentum. Bezüglich des Verständnisses vom Umfang der Haftung zeigt dies eine interessante Kontinuität für das Recht unter dem Code civil. Gleichermaßen bestätigt es in Verbindung mit dem Bezug auf die absoluten Rechte aber auch, dass der Umfang der Haftung auch im Ancien droit tatsächlich als beschränkt verstanden wurde. bb) Weiterführung in der französischen Lehre Eine ganz ähnliche Auflistung wie bei Toullier findet man in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch bei Auguste Sourdat (1820–1909). Zur Begründung der Haftpflicht bedarf es nach diesem der Verletzung in einem „droit acquis personnel ou réel“.125 Sourdat betont, dass die rechtsverletzende Handlung zwingend in eine der beiden Kategorien einzuordnen sei: Erstens „attentats à la personne, c’est-à-dire à sa sûreté, à sa liberté, à la réputation et à l’honneur, à l’exercice de tous les droits personnels, civils et politiques“, und zweitens „attentats aux droits réels ou à la propriété et tous les droits qui s’y rattachent“. 126 Es handelt sich inhaltlich hierbei also um genau die Einordnung, die auch Toullier getroffen hat – ein Verweis auf diesen erfolgt allerdings nicht. In etwas 122
Toullier definiert die absoluten Rechte als „ceux qui appartiennent à chaque homme en particulier, considéré comme individu, indépendamment des relations qu’il peut avoir avec les autres hommes, ou avec les autres membres de la société“, Droit civil français, Nr. 207. Im état civil nehme der Einzelne allerdings gewisse Einschränkungen dieser Rechte, und damit seiner natürlichen Freiheit, hin, um in Gesellschaft mit anderen Menschen zu leben. Nur dadurch werde die liberté civile aber erst ermöglicht, a.a.O., Nr. 208. 123 Toullier, Droit civil français, Nr. 209. 124 Toullier, Droit civil français, Nr. 210. 125 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 444. 126 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 444.
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anderem Zusammenhang führt auch Sourdat näher aus, was er unter der Verletzung des Eigentums oder reeller Rechte versteht: Die Beschädigung und sonstige Verletzung der Sache eines anderen sowie die Störung des Besitzes oder der Nutzung der anderen reellen Rechte. 127 Auch hier sind die Parallelen offensichtlich. Mit dem Zusatz „acquis“ drückt er aus, dass bloße Erwartungen oder Hoffnungen auf einen Rechtserwerb noch nicht geschützt sind. 128 Im Übrigen fehlen auch bei ihm an dieser Stelle Beispielsfälle oder nähere Erläuterungen. Dennoch fallen bei ihm ebenfalls der Bezug auf konkrete Rechte/Rechtsgüter (die Person, die Freiheit, das Ansehen, die Ehre, das Eigentum) sowie das damit verbundene anhaltende Verständnis von einer gewissen Beschränkung der Haftung auf. Dieses Verständnis kommt auch bei Léobon Larombière (1813–1893) zum Ausdruck, der ebenfalls das Erfordernis der Rechtsverletzung betont und dabei eine ganz ähnliche Einteilung vornimmt. „Il est indifférent“, so schreibt der französische Jurist, „que celui qui en a souffert ait éprouvé le dommage dans ses biens, dans sa personne, dans son existence, ou dans son honneur et sa considération.“129 In jedem dieser Fälle liege eine Rechtsverletzung vor; und ebenso ein Verstoß gegen das Gebot, anderen keinen Schaden zuzufügen (alterum non laedere) sowie gegen die göttliche Maxime „qu’il ne faut pas faire à autrui ce que nous ne voudrions pas qu’il fût fait à nous-mêmes.“ Die Verletzung fremder Rechte stellt er damit direkt in Bezug zur „goldenen Regel“ und hebt das dahinterliegende moralische Prinzip hervor. 130 Auch zum Ende des 19. Jahrhunderts hin findet sich der Bezug auf das Erfordernis einer Rechtsverletzung noch. Charles Demolombe (1804–1887) fasst unter die faute „Handlungen, durch die das Recht eines Dritten verkannt und verletzt wird“, und verweist dafür auf Toullier.131 Auch für den fait illicite stellt er auf eine solche Rechtsverletzung ab. 132 Im Weiteren differenziert auch er immer zwischen Verletzungen, die die Person betreffen und solchen, die die
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Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 11. Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 444. Im ersten Kapitel weist er in diesem Zusammenhang weiterhin darauf hin, dass es nicht genüge, wenn durch das Delikt eine im allgemeinen Interesse bestehende gesetzliche Pflicht verletzt werde, Nr. 46. Auf diese Erläuterung verweist auch Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 33, im Zusammenhang mit dem „droit acquis“. An vielen weiteren Stellen wird auch dort im Übrigen das Erfordernis der Verletzung eines droit acquis betont, siehe nur a.a.O., Nr. 161. 129 Larombière, Obligations, Nr. 4. 130 Aus seiner Sicht gebe es kein sozialeres Prinzip, denn durch dieses würden die Rechte gesichert und die Pflichten erzwungen, Larombière, Obligations, Nr. 4. 131 Demolombe, Code Napoléon, Nr. 470. 132 Demolombe, Code Napoléon, Nr. 665. 128
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Sachen (les biens) eines anderen schädigen. 133 Näher geht er auf die verschiedenen Rechte/Rechtsgüter jedoch nicht ein. 134 cc) Zachariae und Übersetzungen Eine der bedeutendsten Autoritäten der französischen Rechtswissenschaft während des 19. Jahrhunderts war der Deutsche Karl Salomo Zachariae (1769– 1843). Bereits 1811 erschien die zweite, „gänzlich überarbeitete“ Auflage seines „Handbuch[s] des Französischen Civilrechts“. 135 Dieses Handbuch war in erster Linie an (deutsche) Praktiker adressiert und sollte diesen den Umgang mit dem Code civil erleichtern. 136 Zachariaes Handbuch stellte eine Besonderheit für die französische Rechtswissenschaft dar. Statt sich wie sonst in der französischen Literatur üblich strikt an die Reihenfolge der Artikel im Code civil zu halten, erörterte er die Regeln im thematischen Zusammenhang. Als Deutscher konnte er sich viel freier und ungebundener mit dem Code civil auseinandersetzen.137 Der Aufbau seines Handbuchs stand ganz im Zeichen der deutschen Pandektenwissenschaft. Zachariae schaffte damit eine so noch nie dagewesene Systematik des französischen Rechts. Allerdings stand seine Methode damit deutlich im Widerspruch zur Methode der „École de l’éxégèse“. Gerade dies war es jedoch, was sein Handbuch kennzeichnete. Auch bei Zachariae stellt das Erfordernis der Rechtsverletzung ein zentrales der Ersatzpflicht dar. Wie gezeigt, macht es schon seine Definition des Delikts aus.138 Doch auch an anderen Stellen nimmt er Bezug darauf: Die Schadensersatzklage stehe nur demjenigen zu, dessen Rechte verletzt worden seien.139 Die Haftung setzt damit auch bei ihm ausdrücklich die Verletzung eines Rechts voraus und ist damit begrenzt. Keinen Widerspruch dazu stellt auch seine Formulierung in § 381 dar, in dem es heißt, dass „ein jeder, der dem Vermögen
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Siehe z.B. Demolombe, Code Napoléon, Nr. 475 oder 667. In anderem Zusammenhang wird jedoch deutlicher, was er als Beispiele für die Verletzung der Sachen („dommage … causé à votre bien“) ansieht, nämlich (im Rahmen der Rechtsausübung) die Errichtung einer Mauer, die dem Nachbar die Aussicht nimmt, sowie das Nutzen der eigenen Wasserquelle, sodass der Nachbar kein Wasser mehr bekommt, Demolombe, Code Napoléon, Nr. 668. Siehe ausführlicher dazu unten S. 163 ff. 135 Die erste Auflage erklärt Zachariae in der Vorrede zur zweiten Auflage, S. v, für „gänzlich unbrauchbar“, so viele Änderungen hatte er vorgenommen. Aus diesem Grund beziehen sich auch die folgenden Ausführungen auf die zweite Auflage. 136 Siehe Zachariaes Vorrede zur ersten Auflage, abgedruckt in ders., Französisches Civilrecht5 I, S. IX f. 137 Charmont/Chausse, Interprètes, S. 156: Er war insbesondere nicht durch Ideen und Vorstellungen des Ancien droit geprägt; ähnlich Federer, Beiträge, S. 158. 138 § 379: „Ein Delict … ist eine Handlung, wodurch einer die Rechte eines Andern, wissentlich oder aus Fahrlässigkeit, verletzt.“ 139 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 380. 134
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eines Andern einen Schaden zugefügt hat, auf den Ersatz diesen Schadens belangt werden [kann]“. Das Vermögen an sich stellt nach modernem Verständnis zwar gerade kein „Recht“ dar. Doch Zachariaes Verständnis von dem Vermögen einer Person ist – wie allgemein zu dieser Zeit – viel begrenzter. Es umfasse „… die Gesamtheit der äusseren Gegenstände, die einer Person gehören. … Die Gegenstände des Vermögens sind entweder Mobilien oder Immobilien.“140 Im Anschluss daran erörtert er dingliche Rechte am Vermögen wie das Eigentumsrecht. Der Begriff „Vermögen“ meint also nicht das, was nach modernem Verständnis das „bloße Vermögen“ darstellt. Dies zeigt auch ein Beispiel, das er anführt: Bei der Entwendung einer Sache stehe die Höhe der Entschädigung nicht im Ermessen des Richters. Zachariae spricht hier davon, dass dem Vermögen ein Schaden zugefügt werde. 141 Genau diesen Fall hätten Toullier oder Sourdat als typische Eigentumsverletzung eingeordnet. 142 Auch in der vierten sowie in späteren Auflagen betont Zachariae das Erfordernis einer Rechtsverletzung. 143 Um welches Recht es sich dabei handele, sei aber irrelevant, zum Beispiel die Person oder das Vermögen könnten beschädigt sein. Hier unterscheidet er nun also ähnlich wie Toullier zwischen diesen beiden Kategorien. Und tatsächlich verweist er an dieser Stelle auch auf Toullier, Band XI, Nr. 121 ff. und dessen Unterteilung. Dadurch wird deutlich, dass Zachariae den Umfang der Haftung ähnlich wie Toullier verstand, nämlich klar begrenzt. Das „Handbuch des Französischen Civilrechts“ erlangte in Frankreich große Bedeutung. Aufgrund seiner Methode stellte es zwar einen Fremdkörper in der französischen Lehre dar; gerade diese methodische Abweichung bot aber Chancen. 1839 brachten die französischen Juristen Charles Aubry (1803–1883) und Charles Rau (1803–1877) eine erste französische Übersetzung des Handbuchs heraus, beruhend auf der 4. Auflage Zachariaes aus dem Jahr 1837. Aubry und Rau, die beide in Straßburg studiert hatten und dort dann auch als Professoren tätig waren, waren unter der „École de l’exégèse“ aufgewachsen. Während sie diese Methode zwar grundsätzlich befürworteten, erkannten sie gleichzeitig auch Defizite, insbesondere die strikte Bindung an die Artikelfolge.144 Bei Zachariae fanden sie dagegen die gewünschte Systematik.145 Indem sie zunächst eine (bloße) Übersetzung des Werkes herausgaben (so kündigte es der Titel bereits an: „Cours de droit civil français, traduit de l’allemand 140
Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 490. Zachariae, Französisches Civilrecht2, § 381. 142 Der Begriff „Vermögen“ wurde in dieser Weise auch im ALR verwendet. Dort hieß es im 1. Teil, Sechster Titel, § 1: „Schade heißt jede Verschlimmerung des Zustandes eines Menschen, in Ansehung seines Körpers, seiner Freiheit, oder Ehre, oder seines Vermögens.“ 143 Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 443 f. 144 Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 81, 83; Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 53. 145 Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 53. 141
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de M. C. S. Zachariae“), konnten sie sich die Systematik Zachariaes zu eigen machen und dadurch eine neue Methode in die französische Rechtswissenschaft einführen, ohne offen mit der exegetischen Methode brechen zu müssen.146 Auch für sie ging es zwar darum, die Vorschriften des Code civil zu interpretieren, um so die Intention des Gesetzgebers festzustellen; im Gegensatz zur übrigen französischen Lehre orientierten sie sich dabei jedoch an den Bedürfnissen der Praxis und gingen rational und systematisch vor. 147 Diese Mischung aus Theorie und Praxis machte das Werk für die französische Lehre besonders bedeutsam. 148 Die Erörterung der deliktischen Haftung erweist sich in der ersten Auflage 149 im Wesentlichen tatsächlich als eine bloße Übersetzung von Zachariaes Ausführungen. 150 Genau wie Zachariae betonen auch Aubry/Rau das Erfordernis der Rechtsverletzung, und zwar sowohl im Rahmen der Definition des Delikts,151 als auch bei dessen Elementen. 152 Auch hinsichtlich des verletzten
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Husson, Méthode de l’exégèse, S. 117; Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 81. Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 55. Auch der Umgang mit der Rechtsprechung unterschied das Lehrbuch von der restlichen Lehre: Aubry/Rau analysierten und bezogen sich auf die Rechtsprechung wie kaum andere französische Juristen, Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 128 f. 148 Charmont/Chausse, Interprètes, S. 158. Siehe auch Tunc, La méthode du droit civil, S. 829: Die Abhandlung von Aubry/Rau sei für Jahrzehnte „la bible de la Cour [de cassation]“ gewesen. 149 Einen spezifisch eigenen Charakter erhielt das Werk laut Husson, Méthode de l’exégèse, S. 117, erst ab der 3. Auflage, die 1856–1863 erschien; ebenso Arnaud, Juristes, S. 56 f. und Gaudemet, L’interprétation du Code civil, S. 53; a.A. Bonnecase, L’École de l’Exégèse, S. 79, nach dem es sich an keiner Stelle um eine bloße Übersetzung gehandelt hat, selbst in der ersten Auflage nicht. Bereits der geänderte Titel der 3. Auflage lässt jedoch auf vermehrt eigene Elemente schließen: „Cours de droit civil français: d'après l'ouvrage allemand de C.-S. Zachariae (3e édition entièrement refondue et complétée)“. Ab der 4. Auflage hieß es dann sogar „Cours de droit civil français: d'après la méthode de Zachariae“, der Hauptbezugspunkt war danach also (nur noch) die Methode Zachariaes [jeweils eigene Hervorhebung]. Auch der immer größer werdende Umfang des Werkes zeigt die Änderung gegenüber der Vorlage: Während die 4. Auflage (1869–1872) noch aus 5 Bänden bestand und immerhin einen doppelt so großen Umfang hatte wie die 3. Auflage, umfasste die 5. Auflage (1897–1922) in der Bearbeitung durch Étienne Bartin bereits 12 Bände. 150 Auch in späteren Auflagen änderte sich dies vorerst nicht: Die 4. Auflage von Aubry/Rau ist im Bereich der deliktischen Haftung im Wesentlichen identisch mit der 1. Auflage. Auch hier erfolgte erst durch Bartin eine erhebliche Steigerung des Umfangs (96 statt 25 Seiten zu Delikten/Quasi-Delikten und cas de responsabilité). 151 Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 443: „En Droit civil, [le mot délit] désigne toute action illicite par laquelle une personne lèse sciemment et méchamment les droits d’autrui.“ 152 Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 444: „Il faut, qu[e le fait] soit illicite, c’est-à-dire qu’il ait porté atteinte à un droit appartenant à autrui…“. 147
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Rechts unterscheiden sie zwischen äußeren Rechten und solchen mit der Person verbundenen Rechten. 153 Im Gegensatz zu Zachariae führen sie dort (in einer Fußnote) jedoch auch auf, was sie darunter fassen, nämlich zum Beispiel die Ehre oder das Ansehen einer Person, 154 und werden damit etwas konkreter. Ähnlich wie Toullier stimmt diese Aufzählung mit der der droits civils überein, wo sie als Rechte der Person den Körper, die Freiheit und die Ehre hervorheben.155 Das Vermögen als äußeres Recht definieren sie dann wie Zachariae als „l’ensemble des biens d’une personne“. 156 Die Qualität von Zachariaes Handbuch wurde in Frankreich anerkannt. Seine Methode stieß dagegen auch auf Ablehnung. Aus diesem Grund veröffentlichten Gabriel Massé (1807–1881) und Charles Vergé (1810–1890) 1854 eine weitere Übersetzung, die sich jedoch grundlegend von der von Aubry/Rau unterschied: Die Systematik wurde aufgegeben, die Reihenfolge des Code civil wieder streng eingehalten. 157 Bei der deliktischen Haftung hielten auch sie sich jedoch an das Original, ohne inhaltliche Änderungen vorzunehmen. 158 Sie betonen mehrmals das Erfordernis der Rechtsverletzung und unterscheiden zwischen Verletzungen der Person und der Sachen. Wo Zachariae das Wort „Vermögen“ verwendet, sprechen sie von einer Verletzung seiner „biens“, und verweisen ebenso auf Toullier, aber auch auf Sourdat.159 Insgesamt stellte das Erfordernis der Rechtsverletzung also auch bei Zachariae und in den Übersetzungswerken ein wesentliches Element der deliktischen Haftung dar. Die einzelnen Rechte wurden zwar nicht so detailliert aufgeführt, die Ausführungen lassen aber ein ähnliches Verständnis erkennen. Dies wird insbesondere auch durch den Verweis auf Toullier deutlich. dd) Ausdehnung bei Laurent Das Verständnis der bisher dargestellten Juristen vom Umfang der deliktischen Haftung und die Anknüpfung an bestimmte Rechtsverletzungen stimmte in einem wesentlichen Punkt überein: Sie alle begrenzten den Kreis der geschützten
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„Tout droit peut être la matière d’un délit, peu importe que ce droit porte sur un objet extérieur ou qu’il se confonde avec l’existence de la personne à laquelle il appartient“, Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 444. 154 Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 444, Fn. 3. 155 Aubry/Rau, Droit civil français 4, § 162. 156 Aubry/Rau, Droit civil français 4, § 573. 157 Siehe Massé/Vergé, Droit civil français I, préface, S. XI. Diese Abkehr von Zachariaes Methode führte jedoch dazu, dass die Übersetzung nicht die Bedeutung erlangte, die sich Massé/Vergé erhofft hatten: Gerade die Systematik Zachariaes machte das Werk aus, Charmont/Chausse, Interprètes, S. 156. 158 Im Gegensatz zu Zachariae setzten sie sich jedoch auch mit dem Rechtsgebrauch auseinander, dazu unten S. 165 f. 159 Massé/Vergé, Droit civil français, § 625.
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Rechte (mehr oder weniger) deutlich und machten damit klar, welche Rechtsverletzungen im Rahmen der Art. 1382 f. Cc relevant waren. Dieses Verständnis scheint einer ganz überwiegenden Meinung entsprochen zu haben. Doch nicht alle Juristen begriffen die Rechtsverletzung in dieser Weise. Auch in François Laurents160 „Principes de droit civil français“ (1876) kam dem Erfordernis der Rechtsverletzung zwar eine ganz zentrale Bedeutung zu. Das Gesetz wolle alle Rechte des Menschen schützen, sowie alle seine Sachen161 – dies sei insbesondere auch das Ziel des Art. 1382 Cc.162 Jede Rechtsverletzung stelle ein Delikt im Sinne des Art. 1382 Cc dar – die Schwierigkeit bestehe allerdings darin, festzustellen, ob überhaupt ein Recht gegeben sei, das verletzt sein könne.163 Immer wieder betont er im Rahmen der deliktischen Haftung ganz deutlich die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung. 164 Was verstand er nun aber unter einer solchen? Im Gegensatz zu vielen anderen französischen Juristen erfolgt bei Laurent keine genaue Aufzählung, welche Rechte betroffen sein können: Die bekannte Unterscheidung von personellen und reellen Rechten – und die damit einhergehende Begrenzung des Umfangs der Haftung – fehlt bei ihm. Stattdessen geht er auf einzelne Fälle ein und zeigt anhand dieser Beispiele auf, ob ein Recht bestand oder nicht. Beispiel 1: Der Direktor einer Industriegesellschaft untersagt seinen Arbeitern, bei einem bestimmten Geschäft einzukaufen. Der Geschäftsinhaber klagt daraufhin und verlangt Schadensersatz: Der Direktor wolle ihn aus Rachegründen schädigen. Das Gericht wies die Klage ab mit der Begründung, dass keine Racheabsicht nachgewiesen werden könne. Laurent macht jedoch deutlich, dass es darauf in diesem Fall gar nicht ankomme. Entscheidend sei, dass kein Recht des Anbieters verletzt wurde; dem Direktor stehe es frei, seinen Arbeitern derartige Vorgaben zu machen (ob diese sie nun einhalten oder nicht). Die Frage nach der Racheabsicht oder Böshaftigkeit stelle sich erst, wenn eine Rechtsverletzung festgestellt wurde, mithin ein fait illicite vorliege.165 160
Laurent (1810–1887), ein Belgier mit Professur in Gand, repräsentierte auch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts noch die „Ècole de l‘exégèse“. Innerhalb von knapp zehn Jahren (1869–1878) veröffentlichte er 33 Bände seiner „Principes de Droit civil“ – ganz ohne Widersprüche kam ein derart schnell verfasstes Werk freilich nicht aus, Charmont/Chausse, Interprètes, S. 160 f. 161 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 395. 162 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 404. 163 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 404. 164 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 427: „Pour décider s’il y a lieu d’appliquer l’article 1382 … nous demandons: Y a-t-il un droit lésé et un dommage causé? Dès qu’il y a lésion d’un droit et dommage, nous donnons une action en dommages-intérêts à la partie lésée; … tout se réduit à savoir s’il y a un droit lésé“; Nr. 471: „Quand une personne est négligente dans la gestion de ses intérêts, dans l’exercice de ses droits, sera-t-elle responsable du dommage qu’elle cause par sa négligence? Oui, si elle lèse un droit; car tout homme doit veiller, dans ses actions, à ne pas léser les droits des tiers.“ 165 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 404.
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Beispiel 2: Ein Mann will die Vaterschaft seines nichtehelichen Kindes anerkennen, weigert sich dann jedoch in Folge von wahrheitswidriger Beeinflussung durch seinen Bruder. Das Kind habe ein Recht darauf, dass der Vater die Vaterschaft anerkenne. Die Weigerung des Vaters stelle eine Verletzung dieses Rechts dar.166 Beispiel 3: Jemand hindert eine andere Person daran, seinen letzten Willen zu machen. Das Recht zu testieren sei Attribut des Eigentums, und folglich liege eine Rechtsverletzung vor. 167 Derjenige, der von der letztwilligen Verfügung profitiert hätte, sei ersatzberechtigt. Problematisch an diesem Fall ist, dass hier lediglich eine Rechtsverletzung des Testierenden vorliegt – nicht aber desjenigen, der von der Verfügung profitiert hätte. Für diesen bestand zudem noch keine gesicherte Rechtsposition, die zerstört wurde – er konnte lediglich darauf hoffen, später etwas zu bekommen. 168 Ähnlich beurteilt Laurent den Fall, in dem entferntere Verwandte sich der gesetzlichen Erbschaft näherer Verwandter bemächtigen. 169 Wie die Beispiele zeigen, hatte die Rechtsverletzung bei Laurent eine deutlich andere Bedeutung als bei Toullier oder Sourdat. Der Bezug auf absolute Rechte ist verschwunden, und damit auch die diesem innewohnende Begrenzung. Die geschützten Rechte sind nicht klar umrissen. Fragen werfen in diesem Zusammenhang auch die Beispiele auf, die Laurent als Anwendungsfälle der négligence erläutert. Es geht dabei um wahrheitswidrige Auskünfte und Empfehlungen. Macht sich etwa nach den Art. 1382 f. Cc schadensersatzpflichtig, wer einem anderen die Einstellung einer Person empfiehlt von der er weiß, dass diese wegen Untreue oder Diebstahl verurteilt wurde? Oder wer zur Gewährung eines Darlehens an eine Person rät, von der er weiß, dass diese von den Banken als nicht kreditwürdig eingeschätzt wird? 170 Bei den Schäden, die dem Adressaten der Empfehlung in Folge von deren Befolgung entstehen können, handelt es sich in erster Linie um primäre Vermögensschäden. Gleichwohl bejaht Laurent hier einen Anspruch aus den Art. 1382 f. Cc. Dabei soll die Haftung ausdrücklich nicht von einer Arglist des Empfehlenden abhängen, denn Art. 1383 Cc ordne die Haftung auch bei imprudence und négligence an.171
166 Dabei komme es nicht darauf an, dass auch der Bruder des Vaters davon ausging, selbst mit Recht gehandelt zu haben, Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 405. 167 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 406. 168 Bereits Grotius erörterte einen ähnlichen Fall als Beispiel im Rahmen des Schadensersatzes, siehe oben S. 32. Zu der Frage, wie die Rechtsprechung damit umging, siehe unten S. 195 ff. 169 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 406. 170 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 478 f. 171 Laurent wendet sich damit gegen ein Urteil der Cour de Gand, die genau davon die Haftung in einem solchen Fall abhängig gemacht hat: „il faut une faute pour qu’il y ait fait dommageable dans le sens de l’article 1382; et, dans l’espèce, cette faute ne peut exister que
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Dies könne bei wahrheitswidrigen Empfehlungen nur anders sein, wenn eine entsprechende gesetzliche Anordnung bestünde, was aber nicht der Fall sei. Aus diesem Verweis auf das Urteil der Cour de Gand könnte man folgern, dass das Gericht (ohne dass dies ausgesprochen wird) die Haftung nach Art. 1382 Cc davon abhängig machte, dass ein subjektives Recht verletzt war, und dass mangels einer solchen Rechtsverletzung eine Haftung grundsätzlich ausschied und in diesem Fall nur bei Vorliegen von dolus gegeben war. Dass Laurent diesem letzten Erfordernis widerspricht, kann man dann als Beleg dafür ansehen, dass er auch primäre Vermögensschäden als von den Art. 1382 f. Cc erfasst angesehen hat, ohne dass es auf eine Rechtsverletzung angekommen wäre. 172 Tatsächlich erwähnt Laurent im Rahmen dieses Beispiels das Erfordernis der Rechtsverletzung mit keinem Wort. Gleichwohl erscheint ein solcher Schluss nur schwer vereinbar mit Laurents sonstigen Ausführungen zur deliktischen Haftung. Wie gezeigt betont er immer wieder die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung. 173 Dabei hatte er jedoch nicht nur subjektive Rechte vor Augen, sondern verstand den Begriff des Rechts weiter. Im Hinblick auf die übrige Darstellung der deliktischen Haftung ist es daher viel naheliegender, dass Laurent auch im Falle wahrheitswidriger Empfehlungen (auch wenn diese lediglich auf Fahrlässigkeit beruhten) eine Rechtsverletzung annahm. Bei dem verletzten Recht könnte es sich etwa um ein solches handeln, bei Empfehlungen alle relevanten Informationen zu erhalten, oder in der freien Willensbetätigung nicht durch Täuschung beschränkt zu werden. Aus diesem Beispiel folgt daher nicht zwingend, dass Laurent auch Ersatz für primäre Vermögensschäden als solche geben wollte. Auch er scheint an eine Rechtsverletzung angeknüpft zu haben, verstand den Begriff des Rechts aber viel weiter als seine französischen Zeitgenossen. Die Ersatzpflicht nach Art. 1382 Cc drohte damit auszuufern: Rechte nach Laurents Verständnis bestanden in einer Vielzahl von Situationen. Dies nimmt diesem vom ihm so sehr betonten Erfordernis der Rechtsverletzung Kontur und Bedeutung. c) Verortung innerhalb der deliktischen Generalklausel Bestand also weithin Einigkeit über die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung, so unterschied sich doch die Zuordnung zu den Voraussetzungen der deliktischen Generalklausel. Einige Juristen gingen darauf wie im Ancien droit im Rahmen des Schadens ein, andere dagegen betonten das Erfordernis bei der faute. Dem Schaden widmeten die meisten Juristen im 19. Jahrhundert generell nur wenig Aufmerksamkeit, inhaltliche Diskussionen gab es kaum. Weder die pour autant que les renseignements sont erronés et sciemment erronés“: Principes de droit civil français, Nr. 480. 172 Zu diesem Schluss kommt Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 417. 173 Für Nachweise siehe nur Fn. 161 ff.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Art und Weise der Verursachung (direkt oder indirekt) noch die Natur des Schadens (materiell oder immateriell/moralisch 174) sollten von Einfluss auf die Ersatzfähigkeit sein. 175 Erforderlich war allerdings das Vorliegen eines dommage actuel, certain und direct.176 Sourdat verbindet dies mit der Rechtsverletzung: „[le préjudice] doit porter atteinte à des droits acquis“ 177 – und differenziert zwischen Verletzungen persönlicher und reeller Rechte. 178 In ähnlicher Weise beziehen sich auch Massé/Vergé oder Larombière beim Schaden auf die Rechtsverletzung. 179 Toullier dagegen betrachtet die Rechtsverletzung als das, was eine faute ausmacht, 180 für Aubry/Rau, Laurent oder Demolombe kennzeichnet sie den fait illicite.181 d) Zwischenergebnis zur Rechtsverletzung Zentrale Voraussetzung der deliktischen Haftung im 19. Jahrhundert war die Verletzung des Rechts eines Anderen. Die französischen Juristen betrachteten ein derartiges Verhalten ganz selbstverständlich als Handlung, zu der kein Recht bestand.182 Ob als Element der faute oder des Schadens, in der Definition des Delikts oder unabhängig davon – praktisch alle Juristen erkannten das Erfordernis der Rechtsverletzung als Voraussetzung der deliktischen Haftung an.183 Die detailliertesten Ausführungen finden sich bei Toullier und Sourdat, auf die sich anschließend viele bezogen, unter anderem auch Zachariae. Sie unterschieden Verletzungen in der Person oder persönlichen Rechten, und Verletzungen des Eigentums oder reeller Rechter. Sie führten also genau die Rechte und Rechtsgüter auf, an deren Verletzung auch schon die Juristen im 174
Siehe dazu unten S. 213 f. Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 444; Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 445; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 33 ff., 449; Massé/Vergé, Droit civil français, § 625; Larombière, Obligations, Nr. 26, 36; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 395 ff. 176 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 447. 177 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 447. 178 Siehe oben S. 151. 179 Massé/Vergé, Droit civil français, § 625; Larombière, Obligations, Nr. 4: „Il est indifférent … que celui qui en a souffert ait éprouvé le dommage dans ses biens, dans sa personne, dans son existence, ou dans son honneur et sa considération. Par quelque côté que ce fait l’atteigne et lui cause préjudice, il n’en est pas moins lésé dans ses droits“. 180 Oben S. 149 f. Auf den Schaden ging dieser gar nicht gesondert ein. 181 Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 444; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 404; Demolombe, Code Napoléon, Nr. 665. 182 Handlungen, zu denen kein Recht bestand, wurden freilich auch in Verstößen gegen das Gesetz bzw. gesetzliche Anordnungen gesehen. 183 Nach Halpérins Ansicht (French doctrinal writing, S. 82) dagegen fand die auf eine Rechtsverletzung abstellende Definition der faute in Frankreich nur wenige Anhänger. Die Untersuchung hat gezeigt, dass viele Juristen auch gar nicht auf eine Rechtsverletzung eingingen. Die hier dargestellten, bei denen sich ein solcher Bezug findet, stellten während des 19. Jahrhunderts jedoch wichtige und einflussreiche Juristen dar. 175
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Ancien droit die Haftung geknüpft hatten: die Person, die Freiheit, das Ansehen, die Ehre, das Eigentum. Bei Toullier geht ganz klar hervor, dass es um die Verletzung eines absoluten Rechts gehen musste. Deutlich zum Ausdruck brachte er auch die daraus folgende Begrenztheit der deliktischen Haftung: Nur wenn eine solche Rechtsverletzung vorliege, bestehe eine Ersatzpflicht – anderenfalls sollten Schäden und Verluste nicht ersetzt werden. An der schon bei Toullier vorzufindenden Einteilung und dem Bezug auf bestimmte absolute Rechte hielten viele französischen Juristen während des 19. Jahrhunderts fest. Konkrete Beispiele führten sie in diesem Zusammenhang zwar nicht an. Allerdings bezog sich auch keiner der erwähnten Juristen auf Situationen, in denen keine Verletzung der aufgeführten Rechte vorlag, wie das zum Beispiel bei primären Vermögensschäden nach heutigem Verständnis der Fall wäre. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin zeigte sich schließlich bei dem Belgier Laurent (dessen Werk in Frankreich sehr große Beachtung fand) eine gewisse Aufweichung des Erfordernisses der Rechtsverletzung: Der Begriff des Rechts verlor bei ihm seine Konturen, er dehnte ihn weiter aus; ebenso verschwand bei ihm der Bezug auf die absoluten Rechte. Dadurch wurde das Erfordernis der Rechtsverletzung insgesamt schwammig und verlor seine Bedeutung. Die vorher noch so klare Begrenzung der Haftung stellte Laurent dadurch in Frage. Diese Entwicklung ist jedoch nicht repräsentativ für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. 3. Rechtsgebrauch Die Verletzung des Rechts eines Anderen bildete also eine Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Ersatzpflicht. Nicht immer jedoch, wenn das Recht eines Anderen verletzt wurde, führte die Verletzungshandlung im Ergebnis auch tatsächlich zur Haftpflicht des Verursachers. Die faute sollte grundsätzlich ausscheiden, wo der Handelnde lediglich eigene Rechte ausübte; 184 das Handeln sei in einem solchen Fall nicht als widerrechtlich zu charakterisieren.185 Laurent betont, dass, wer bei der Ausübung eines eigenen Rechts einen Schaden anrichte, kein Recht verletze. 186 Die französischen Juristen erörterten dies immer direkt im Zusammenhang mit der Verletzung fremder Rechte als Einschränkung der faute. Genau genommen betrifft diese Problematik nicht den Umfang der deliktischen Haftung als solche, sondern eine Rechtfertigung des Handelns und der Schadensverursachung. Aufgrund des engen Zusammenhangs, den die französische Lehre im 19. Jahrhundert zur Rechtsverletzung herstellte, erscheinen auch hier jedoch einige Anmerkungen angebracht. 184
Dalloz, Responsabilité, Nr. 101. Siehe oben S. 143 f. Toullier, Droit civil français, Nr. 119, bezeichnet es als „[l]e véritable sens de notre art. 1382 … que celui qui cause du dommage à autrui, en faisant ce qu’il n’avait pas le droit de faire … est obligé de réparer le dommage arrivé par sa faute.“ 186 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 409. 185
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Dass der Gebrauch eines Rechts die Haftpflicht ausschließen soll, steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu der oben gemachten Begründung des Erfordernisses der Rechtsverletzung: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet“, und „So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern.“ 187 Wie ist es mit diesen Grundsätzen aus der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vereinbar, dass eine Rechtsverletzung in bestimmten Fällen doch nicht gegen das Recht verstoßen und zur Ersatzpflicht führen soll? Die Situationen, um die es hier geht, sind geprägt von einem Konflikt: Die Ausübung des eigenen Rechts auf der einen Seite, die Verletzung des fremden Rechts auf der anderen. Wo Menschen in einer Gesellschaft zusammenleben, sind derartige Konflikte unvermeidbar. Eine Wahrnehmung des eigenen Rechts ist nicht immer möglich, ohne gleichzeitig das Recht eines Anderen zu verletzen. Wird ein Recht jedoch mit Rücksicht auf Andere nicht wahrgenommen, stellt dies selbst eine Beeinträchtigung des eigenen Rechts dar. Beides vollständig miteinander in Einklang zu bringen, ist nicht möglich. Die Freiheit des Menschen ist maßgeblich dadurch geprägt, dass er von seinen Rechten Gebrauch machen kann und diese nicht nur leere Hüllen darstellen. Sofern nun aber jemand nur von seinem eigenen Recht Gebrauch macht, handelt er innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung: Das Verhalten an sich verstößt nicht gegen das Recht und ist nicht widerrechtlich. Es liegt mithin kein fait illicite vor, und damit scheidet auch eine faute aus.188 Die Rechtsverletzung wird dadurch zwar nicht aufgehoben; die schädigende Handlung ist dem Verursacher jedoch nicht vorwerfbar. Schon im römischen Recht fanden sich ähnliche Gedanken, auf die die französischen Juristen an dieser Stelle verwiesen. Von Gaius wurde die Äußerung überliefert: „Nullus videtur dolo facere, qui suo iure utitur“ – „Wer sein Recht ausübt, handelt nicht arglistig“. 189 Und Paulus schrieb: „Nemo damnum facit nisi qui id fecit quod facere jus non habet.“ – „Keiner begeht einen Schaden, außer der, der das tat, wozu er kein Recht hat.“190 Zum anderen wurde dieser Grundsatz auch in jüngeren Gesetzen als geltendes Recht erlassen. In der Coutume de Bretagne aus dem Jahr 1580, auf die Toullier in diesem Zusammenhang ebenfalls verwies, hieß es in Art. 107: „Icelui n’attente qui use de son droit“. 191 Eine ähnliche Bestimmung enthielt 187
Siehe bereits oben S. 148. Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 760; Larombière, Obligations, Nr. 2, 10; Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 14; Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 278; Mourlon, Répétitions écrites, Nr. 1690; Demolombe, Code Napoléon, Nr. 665. 189 Gai. D. 50,17,55. Siehe dazu nur Larombière, Obligations, Nr. 2, 10, in Fn. 2 ebenfalls mit Verweis auf L. 55 ff. De reg. jur. oder Toullier, Droit civil français, Nr. 119. 190 Paul. D. 50,17,151. Proudhon, Usufruit, Nr. 1485. 191 de Motays, Coutume de Bretagne, Art. 107. Siehe dazu Toullier, Droit civil français, Nr. 119, oder Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 419. 188
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auch das ALR von 1794 im 1. Teil, Sechster Titel, § 36: „Wer sich seines Rechts innerhalb der gehörigen Schranken bedient, darf den Schaden, welcher einem Andern daraus entstanden ist, nicht ersetzen.“ a) Beispielsfälle Die Beispielsfälle, die dazu erörtert wurden, wiederholten sich immer wieder. Insbesondere Toullier führt eine Reihe von Fällen auf, auf die auch andere Juristen später Bezug nahmen. So begehe keine faute, wer auf seinem eigenen Grundstück eine Wasserquelle habe und einen Brunnen grabe, und dadurch die Wasserquelle des nachbarlichen Brunnens abschöpfe. Der Nachbar erleide dadurch zwar einen Schaden – er habe ja nun weniger Wasser in seinem eigenen Brunnen –, dieser führe jedoch nicht zur Ersatzpflicht, da der Handelnde nur Gebrauch von seinem eigenen Eigentumsrecht gemacht habe. 192 Genau diesen Fall hatte bereits Domat über hundert Jahre zuvor geschildert und ebenfalls eine Ersatzpflicht abgelehnt 193 – ein Verweis auf diesen erfolgt bei Toullier allerdings nicht. 194 Gleiches sollte sogar gelten, wenn der Nachbar durch die Abzweigung einer Quelle im eigenen Garten das erforderliche Wasser verliert, um eine Mühle zu betreiben. Ein weiteres Beispiel betrifft den Fall, dass jemand den Boden in seinem Garten umpflügt und dabei die hinüberwachsenden Wurzeln eines Nachbarbaumes abschneidet, woraufhin der Baum eingeht. Auch hier sei der entstandene Eigentumsschaden nicht zu ersetzen: Der Handelnde übe lediglich sein eigenes Recht aus. 195 Neben Toullier gehen auch Duranton und Sourdat auf einen Fall ein, den in ähnlicher Weise schon Domat geschildert hatte: Jemand errichtet auf seinem Grundstück eine Wand (bzw. ein Gebäude), und nimmt dem Nachbarn dadurch das Tageslicht oder verdeckt ihm die (Aus-)Sicht. 196 Durch die Errichtung werde das Eigentum des Nachbarn beeinträchtigt – einen Ersatz könne dieser aber nicht verlangen. Proudhon erörtert ein etwas anders gelegenes Beispiel: Wer aus dem Fenster seines Hauses Sachen werfe und dadurch eine andere Person treffe und verletze, die auf dem Weg vor dem Haus spaziere, sei nicht ersatzpflichtig, wenn es sich bei dem Weg um einen Privatweg handele, der zu dem Haus gehöre. Der Eigentümer habe das gute Recht, Sachen aus dem Fenster zu schmeißen und die unbefugte
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Toullier, Droit civil français, Nr. 119. Siehe dazu Domat, Loix civiles, III, 5, 2, Nr. 17 sowie ähnlich in II, 8, 3, Nr. 9. Dazu oben S. 77. 194 Anders dagegen Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 439, der ebenfalls dieses Beispiel anführte und dabei im Text direkt Domat zitierte. 195 Siehe dazu auch Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 425. 196 Duranton, Cours de droit français, Nr. 699; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 425. Auf dieses Beispiel bei Duranton nahmen Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 278, sowie Mourlon, Répétitions écrites, Nr. 1690, Bezug. 193
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Nutzung des Privatweges durch eine andere Person schränke dieses Recht nicht ein.197 In allen diesen Fällen, in denen gleichwohl eine Verletzung des Eigentums oder des Körpers vorliegt, soll also eine Ersatzpflicht entfallen. Der Grund dafür ist, dass kein fait illicite vorliegt: Der Verursacher hat nicht ohne Recht gehandelt. Damit entfällt die faute. Eine Rechtsverletzung alleine reichte also nicht aus – sie musste auch ohne Recht bzw. widerrechtlich erfolgt sein. Über diese Begründung herrschte weitgehend Einigkeit. 198 Laurent dagegen begründet das Fehlen der faute auf andere Weise. Für ihn liegt eine solche nicht vor, weil kein Recht des Nachbarn verletzt wurde.199 Im Falle des Brunnengrabens und Nutzens der Quelle im eigenen Garten, wodurch für den Nachbarn weniger Wasser im eigenen Brunnen verbleibt, habe der Nachbar gar kein Recht auf Wasser aus dieser Quelle; es stehe demjenigen zu, auf dessen Grundstück die Quelle entspringe. Ein Recht des Nachbarn könne nur durch vertragliche Vereinbarung begründet werden, und wo eine solche nicht bestehe, sei auch kein Recht verletzt. Ähnlich argumentiert er, wo ein Baum des Nachbarn eingeht, weil hinüberreichende Wurzeln abgeschnitten wurden: Der Nachbar verstoße selbst gegen das Gesetz (Art. 672 Cc200), indem er die Wurzeln des Baumes bis auf das andere Grundstück wachsen lasse; er habe kein Recht darauf, dass die Wurzeln sich bis dorthin ausbreiten und dass sein Baum auf diese Weise wachse. Der andere Grundstückseigentümer sei vielmehr gesetzlich befugt, die Wurzeln zu beseitigen. 201 Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Nachbar durch das Eingehen des Baumes eine Verletzung in einem absoluten Recht, nämlich dem Eigentum, erleidet: Der Baum ist Teil seines Eigentums, und durch dessen Beschädigung bzw. sogar Zerstörung wird dieses beeinträchtigt. Gleiches gilt nach allgemeiner Auffassung zu dieser
197 Proudhon, Usufruit, Nr. 1487 f. Proudhons Lösung ist bemerkenswert: Er führt hier einen Fall an, der in ähnlicher Form auch im römischen Recht diskutiert wurde, kommt aber zu einem anderen Ergebnis als in den römischen Quellen (vgl. Ulp. D. 9,3,1 pr. sowie Zimmermann, Effusum vel deiectum, S. 304: nach Ulp. D. 9,3,1,2 sollte die actio de effusis vel deiectis auch Anwendung finden, wenn es sich um einen Privatweg handelte. Entscheidendes Kriterium sei gewesen, dass sich an dem Ort normalerweise andere Menschen aufhielten.). Zur Begründung verweist Proudhon auf eine Stelle in den Digesten, die in ganz anderem Zusammenhang steht – Pomp. D. 50,17,203: „Quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intelligitur damnum sentire.“ Eine Haftung scheide aus, da der Schaden durch die eigene faute des Geschädigten entstanden sei. 198 Siehe oben Fn. 99. 199 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 409. 200 Art. 672 Cc: „Le voisin peut exiger que les arbres, arbrisseaux et arbustes, plantés à une distance moindre que la distance légale, soient arrachés ou réduits à la hauteur déterminée dans l'article précédent, à moins qu'il n'y ait titre, destination du père de famille ou prescription trentenaire.“ 201 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 409.
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Zeit, wenn durch die Errichtung eines Gebäudes oder einer Mauer dem Nachbarn die Sicht oder das Tageslicht genommen wird. Laurent geht auf diesen Fall nicht ein, aber er hätte vermutlich argumentiert, dass der Nachbar eben kein Recht auf die gute Aussicht oder großen Lichteinfall habe. Während Laurent also schon das Vorliegen einer Rechtsverletzung verneinte, betonte die übrige Lehre die Handlungsbefugnis des Verursachers und lehnte aus diesem Grund eine faute ab. Die bisher angeführten Beispielsfälle zum Rechtsgebrauch zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie rein theoretischer Natur waren: Sie beruhten nicht auf tatsächlichen Begebenheiten oder Gerichtsentscheidungen – jedenfalls verweisen die Autoren in diesem Zusammenhang nicht auf Rechtsprechung. 202 Bei Zachariae stellt sich dies anders dar. Den Begriff der faute sucht man in seinem Werk vergeblich. In der zweiten Auflage betont er noch, wie bereits erwähnt, dass die Handlung objektiv widerrechtlich sein müsse, der Schädiger also etwas getan habe, was „er den Gesetzen … nach nicht hätte thun sollen“. 203 Dies sei dann nicht gegeben, wenn ein Schaden bei der Ausübung eines Rechts entstehe.204 Weitere Ausführungen erfolgen nicht. In der Fußnote geht er jedoch auf eine Entscheidung der Cour d’appel de Paris aus dem Jahr 1809 ein. Danach bestehe keine Haftpflicht für denjenigen, der einen Laden direkt neben einem bereits bestehenden Laden anlege und diesen genauso wie den des Nachbarn einrichte.205 Sein Beispiel war also ein ganz anderes als die im Übrigen (theoretisch) diskutierten. Weder hier noch in späteren Auflagen erfolgt jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Im Zusammenhang mit dem Erfordernis der unbefugten Tat zitiert Zachariae lediglich den lateinischen Grundsatz „Qui jure suo utitur, nemini injuriam facit“ (Wer sein Recht gebraucht, tut niemandem Unrecht) – also in etwas anderer Form als die französischen Juristen. Allerdings verweist er auf die Stelle bei Toullier, an der auch dieser seine Beispielsfälle aufführt. 206 In den späteren Auflagen kommen weitere Beispiele hinzu, auch von deutschen Gerichten, die den Code civil anwenden, zum Beispiel zu Eigentumsverletzungen durch Emissionen einer 202 Tatsächlich gab es aber Entscheidungen französischer Gerichte, in denen es genau um die dargestellten oder damit vergleichbare Probleme ging: Cass. req., 7.6.1869, D. Jur. gén. 1871, 1, 117 und CA Besançon, 6.3.1888, D. Jur. gén. 1889, 2, 223: Versiegen lassen/Verderben einer Wasserquelle; Cass. civ., 31.7.1855, D. Jur. gén. 1855, 1, 390: Errichten eines Gebäudes, das dem Nachbarn die Sicht nimmt. Für weitere Fälle siehe unten S. 197. 203 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 380. 204 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 380: „Wer mithin sich nur seines Rechtes bedient, kann nicht wegen eines Schadens, der aus der Ausübung dieses Rechtes für einen Dritten entstand, belangt werden.“ 205 CA Paris, 25.2.1809, Sir. 1810, 2, 40. Daneben verweist er auf ein zweites Beispiel bei Merlin, Répertoire universel et raisonné de jurisprudence, „Réparation civile“, § II, no. IV: Der Kayserliche Procurator sei grundsätzlich nicht ersatzpflichtig, wenn ein Angeklagter freigesprochen werde. 206 Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 443.
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nachbarlichen Anlage. 207 Auch auf andere Rechtfertigungsgründe wie Handeln zur Selbstverteidigung nimmt er dann in diesem Zusammenhang Bezug. In den Übersetzungen von Zachariaes Handbuch wird die Problematik in unterschiedlicher Intensität behandelt. Aubry/Rau verwenden überhaupt nur eine Fußnote darauf, die ohne nähere Erklärungen lediglich das Gaius-Zitat aus den Digesten enthält, sowie Verweise auf Toullier, Duranton und Proudhon.208 Auch Massé/Vergé erörtern die Rechtsausübung zwar nur in einer Fußnote, vom Umfang her jedoch viel ausführlicher als Zachariae oder Aubry/Rau: Sie zitieren die römischen Quellen, erläutern (Zachariaes) Beispiele und gehen auch auf die Grenzen des Rechtsgebrauchs ein. 209 Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Beispielsfälle oftmals bereits auf Domat zurückgingen und sich stetig wiederholten. Mit Ausnahme von Zachariae und Massé/Vergé waren die Ausführungen hauptsächlich theoretischer Natur ohne Bezug zur Rechtsprechung und praktischen Fällen. Zachariae und die ihm folgenden Übersetzungen maßen der Problematik insgesamt aber nur eine geringe Bedeutung zu. b) Einschränkungen Der Gebrauch eigener Rechte schränkte die faute damit zwar grundsätzlich ein. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Haftung und eine Ersatzpflicht bei Ausübung eines Rechts immer ausgeschlossen waren. Einschränkungen galten, wo ein Recht missbraucht wurde. So war ein fait illicite, und folglich eine faute, trotz Rechtsgebrauchs gegeben, wo jemand nur sein Recht ausübte, um dadurch einen Anderen zu schädigen. Das gleiche galt, wo jemand unter mehreren ihm zur Verfügung stehenden Rechtsausübungsmöglichkeiten in Schädigungsabsicht bewusst diejenige ergriff, die bei einer anderen Person den größten Schaden herbeiführte. 210 Diese Einschränkung machte bereits Domat an
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Zachariae, Französisches Civilrecht 5, § 443. Die zitierte Entscheidung wurde veröffentlicht in Rh. Arch. XXIII, I, 58. Siehe auch Rh. Arch. XXIII, I, 107. In der 8. Auflage (1894, bearbeitet von Crome) erfolgen zudem ausführlichere Angaben zur concurrence déloyale. 208 Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 444, Fn. 2. Dies änderte sich auch in späteren Auflagen nicht grundlegend. Auch hier kamen zwar weitere Verweise hinzu (auch auf Zachariae selbst), mehr jedoch nicht. 209 Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 14. 210 Siehe z.B. Toullier, Droit civil français, Nr. 119; Proudhon, Usufruit, Nr. 1486; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 439; Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 760 (3); Larombière, Obligations, Nr. 2, 11; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 410. Bei Zachariae finden sich dagegen keine Ausführungen zu Einschränkungen des Rechtsgebrauchs.
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verschiedenen Stellen 211 (auch hier mit Verweis auf das römische Recht: „neque malitiis indulgendum est“),212 und sie findet sich ebenfalls im ALR, 1. Teil, Sechster Titel, § 37, in gesetzlicher Form: „Er muß aber denselben [Schaden, S.W.] vergüten, wenn aus den Umständen klar erhellet, daß er unter mehreren möglichen Arten der Ausübung seines Rechts diejenige, welche dem Andern nachtheilig wird, in der Absicht, denselben zu beschädigen, gewählt habe.“ 213 Für Domat war ein derartiges Handeln mit der Billigkeit nicht vereinbar, 214 für Sourdat stellte diese Einschränkung eine Selbstverständlichkeit dar, die durch das göttliche Prinzip der Barmherzigkeit geboten sei: „ne point faire aux autres ce que nous ne voudrions pas qui nous fût fait“. 215 Laurent geht auch hier einen Schritt weiter: Der Missbrauch eines Rechts stelle nicht mehr dessen Gebrauch dar und sei nicht von dem Recht erfasst. 216 Ein konkretes Beispiel gibt er an späterer Stelle im Rahmen der Erörterungen zum Umfang des Eigentumsrechts. So stelle der Wettbewerb ein Recht dar – jeder könne grundsätzlich Handel betreiben wie er wolle. Dies gelte jedoch nicht, wo von Rechten Gebrauch gemacht werde, die anderen Handelstreibenden zustünden: Unlauterer Wettbewerb sei nicht mehr von dem eigenen Recht gedeckt und führe zur Ersatzpflicht.217 Anderer Auffassung war – soweit ersichtlich – nur Demolombe. Nach diesem bedeutete die Auswahl unter mehreren Möglichkeiten ebenso den Gebrauch des Rechts. Der Missbrauch eines Rechts sollte ihm zufolge nicht die Ersatzpflicht begründen. 218 Geteilt wurde diese Ansicht von der französischen Lehre jedoch nicht. Damit bleibt festzuhalten, dass das Konzept des Rechtsmissbrauchs schon im 19. Jahrhundert einen Weg darstellte, um die Berufung auf die bloße Ausübung eines eigenen Rechts einzuschränken. Die französischen Juristen sahen die schädigende Handlung in diesen Fällen (gleichwohl) als widerrechtliche an. Insbesondere ab Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich die französische Wissenschaft ausführlich mit der Theorie vom „abus de droit“ auseinander, die 211
Domat, Loix civiles, III, 5, 2, Nr. 17: „… ne sera pas tenu de la perte … à moins que ce changement n’eût été fait qu’à dessein de nuire“ sowie ähnlich in II, 8, 3, Nr. 9: „Celui qui faisant une nouvelle œuvre dans son héritage use de son droit, sans blesser ni loy, ni usage, ni titre, ni possession, qui pourroient l’assujettir envers ses voisins, n’est pas tenu du dommage qui pourra leur en arriver; si ce n’est qu’il ne fit ce changement que pour nuire aux autres, sans usage pour soy.“ 212 Cels. D. 6,1,38. 213 C. Koch, ALR, Fn. 21 zu § 37, betont, dass ein „wirklicher Mißbrauch“ vorliegen müsse, und ein grobes Versehen nicht ausreiche, denn die Böswilligkeit der Auswahl sei entscheidend. 214 Domat, Loix civiles, II, 8, 3, Nr. 9: „Car en ce cas ce seroit une malice que l’équité ne souffriroit point.“ 215 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 439. 216 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 410. 217 Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 493 ff. 218 Demolombe, Code Napoléon, Nr. 668.
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dadurch zu einem wesentlichen Element der deliktischen Haftung wurde (dazu unten S. 291 ff.). 4. Praxisbezug Wie aus den vorangehenden Ausführungen bereits ersichtlich wird, bestanden die Erörterungen der deliktischen Generalklausel zumeist aus überwiegend theoretischen Überlegungen. Viele Juristen erläuterten die einzelnen Voraussetzungen der Haftung wie die faute oder die Rechtsverletzung zunächst ohne konkrete Beispiele. Dies erschwert es, das Verständnis dieser Juristen vom Umfang der Haftung zu bestimmen. Im weiteren Verlauf der Ausführungen, insbesondere auch im Rahmen des Art. 1383 Cc, erfolgte dann meistens aber doch ein Verweis auf Fälle und Beispiele, in der Regel in den Fußnoten. Genau diese Bezüge können helfen, das Verständnis der französischen Lehre von der deliktischen Haftung zu konkretisieren. Die Beispiele zeigen, was die Juristen zu einer bestimmten Zeit als typische Anwendungsfälle der Art. 1382 f(f). Cc wahrnahmen, und welche Rechtsverletzungen sie folglich vor Augen hatten. Dabei wird jedoch deutlich, dass insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Verweise auf die Rechtsprechung fast überall fehlten. Bei Toullier, Duranton oder Delsol etwa finden sich im Rahmen des Art. 1382 Cc überhaupt keine Verweise. Zum einen dürfte dies daran gelegen haben, dass es schlicht noch keine Entscheidungen zu vielen dieser Fragen gab, die hätten zitiert werden können. Zum anderen spielte sicherlich aber auch die insgesamt eher kritische Einstellung gegenüber der Rechtsprechung eine Rolle. 219 Der folgende kurze Überblick dient nicht nur der näheren Beleuchtung des wissenschaftlichen Verständnisses von der deliktischen Haftung, sondern soll auch das Verhältnis der Lehre zur Praxis aufzeigen. Noch deutlicher wird dies im Anschluss freilich die Rechtsprechungsanalyse aufzeigen (unten S. 190 ff.). a) Häufige Fallgruppen im Rahmen der Art. 1382 f. Cc Obwohl die französischen Juristen zur Erläuterung einzelner Rechtsfragen zunächst nur wenige Beispielsfälle anführten, lassen sich doch einige Fallgruppen ausmachen, die regelmäßig zumindest in Fußnoten Erwähnung fanden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen die Verweise auf die Rechtsprechung ganz generell zu. Vielfach verwiesen die Autoren dabei aber lediglich in einer Fußnote zu einem bestimmten Stichwort auf die einschlägigen Entscheidungen. 220
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Siehe dazu oben S. 138 f. Siehe z.B. Larombière, Obligations (an diversen Stellen); Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 280, Fn. 3 zu dem Begriff der faute oder der Haftung von Notaren; oder Aubry/Rau, Droit civil français 2, § 446, Fn. 9. Insgesamt nahm die Menge an Verweisen auf die Rechtsprechung bei Zachariae und in den Übersetzungen von Auflage zu Auflage erheblich zu. 220
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Nähere Diskussionen spezieller Fälle oder Situationen oder gar Urteilsbesprechungen erfolgten in allgemeinen Werken zum Code civil dagegen grundsätzlich nicht. Als Ausnahmen sind in dieser Hinsicht allerdings Sourdat und der belgische Jurist Laurent zu nennen, die einzelne Fragen intensiv bearbeiteten, und deren Ausführungen einen hohen Praxisbezug aufwiesen. 221 In noch stärkerem Maß galt dies freilich für das Répértoire Dalloz, das unter dem Stichwort „Responsabilité“ bereits 1858 zur deliktischen Haftung 800 Randnummern auf über 150 Seiten füllte und dabei umfassend Literatur und Rechtsprechung einbezog. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schenkten zudem Zachariae, Aubry/Rau und Massé/Vergé der Rechtsprechung große Beachtung – Verweise und kürzere Problematisierungen erfolgten jedoch auch bei ihnen fast ausschließlich in Fußnoten. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin erschienen schließlich zahlreiche Dissertationen, die sich ausführlich mit speziellen Haftungsfragen auseinandersetzten (zum Beispiel mit der Haftung bei Arbeitsunfällen oder bei Unfällen während der Beförderung von Personen) und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung analysierten. Eine erste häufig diskutierte Problematik betrifft Schäden, die im Zusammenhang mit Duellen entstanden. Wer bei einem Duell verletzt wurde, konnte von dem Schädiger Ersatz verlangen, selbst wenn er die Verletzung provoziert hatte.222 Die Ersatzpflicht sollte zudem unabhängig davon bestehen, ob die Schädigung auch strafrechtlich ein Verbrechen darstellte.223 Für den Fall der Tötung hätten auch solche Personen Ansprüche, die durch den Tod einen Schaden erlitten (die Ehepartner, die Kinder oder die Eltern). Zachariae betont in diesem Zusammenhang, dass die Art und Weise der Schadensverursachung (unmittelbar oder mittelbar) irrelevant sei. Daher könnten auch Eltern vom Mörder ihres Sohnes Ersatz dafür verlangen, dass ihnen ihre (finanzielle) Stütze (im Alter) genommen wurde – verletzt sei zwar der Sohn, der Schaden 221 In seinen „Principes de droit civil français“aus dem Jahr 1878 geht Laurent ausführlich auf einzelne Probleme ein. Er setzt sich dabei mit vielen Fallgruppen auseinander, die sich auch in der Rechtsprechungsanalyse (unten S. 195 ff.) als von großer praktischer Relevanz erwiesen haben, z.B. industrielles Eigentum, Nr. 495 ff.; Haftung des Arbeitgebers bei Arbeitsunfällen, Nr. 488, 639, 642; Kaninchen, Nr. 636 f. In ähnlich großem Umfang zitiert auch Larombière die Rechtsprechung. Seine Ausführungen zur deliktischen Haftung sind aber insgesamt wesentlich kürzer als die bei Sourdat oder Laurent. 222 Zachariae, Französisches Civilrecht 5, § 444, Fn. 11 f.; Aubry/Rau, Droit civil fran2 çais , § 445, Fn. 1; Larombière, Obligations, Nr. 31. Rechtlich problematisch war, ob eine Ersatzpflicht auch besteht, wenn sich der Geschädigte freiwillig der Verletzung ausgesetzt oder die Verletzung provoziert oder mitverschuldet hatte. Larombière, a.a.O., erörtert hier auch die Unwirksamkeit sittenwidriger Vereinbarungen. 223 Aubry/Rau, Droit civil français 2, § 445, Fn. 1 mit Verweis u.a. auf eine Entscheidung der Cour de cassation vom 29.6.1827, Sir. 1827, 1, 463, in der es genau darum ging: Die Witwe und die Kinder eines im Duell getöteten Mannes hätten gegen den Mörder Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 1382 f. Cc, obwohl den Mörder strafrechtlich keine Verantwortung treffe.
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der Eltern sei aber ebenso eine Folge der Handlung. 224 Die Geltendmachung setze jedoch voraus, dass sie selbst in einem Recht verletzt wurden; daneben standen ihnen freilich auch Ansprüche des Getöteten zu, die auf sie als Erben übergingen. 225 Als weitere Fallgruppe lassen sich Feuerschäden ausmachen. Toullier diskutiert eingehend Fälle, in denen in einer Wohnung ein Feuer ausbrach oder entzündet wurde und anschließend auf umliegende Häuser übergriff oder bei diesen einen Schaden anrichtete. Vielfach handelte es sich dabei um Quasidelikte nach Art. 1383 Cc, die also nicht mit Schädigungsabsicht vorgenommen wurden, sondern bei denen der Schaden durch Unachtsamkeit entstand. 226 Auch Zachariae sowie Massé/Vergé erwähnen diese Fälle. 227 Im Zusammenhang mit derartigen Schäden sind zudem die besonderen Bestimmungen der Art. 1733–1735 Cc zugunsten des Vermieters einer Sache zu beachten: Bei Beschädigung oder Zerstörung der Sache wurde vermutet, dass der Mieter für diesen Umstand verantwortlich war. Der Mieter konnte sich unter anderem dadurch entlasten, dass er das Vorliegen einer force majeure oder eines cas fortuits bewies.228 Diese Regelungen gelten nach wie vor. Im Zuge der Industrialisierung und des technischen Fortschritts kam eine Reihe weiterer Probleme auf. So verursachten (genehmigte) Fabrikanlagen 224
Zachariae, Französisches Civilrecht4, § 44, Fn. 12; ebenso Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 13. In ähnlicher Weise könne auch der Ehemann Ersatz verlangen für den moralischen Schaden, den er durch die gegenüber seiner Frau verübte Beleidigung erlitten habe. 225 Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 43 ff. Ausführlich auch unten S. 208 f. 226 Toullier verwendet auf die in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme 27 Randnummern: Droit civil français, Nr. 155–181. Dabei setzt er sich ausführlich mit den Regelungen des römischen Rechts sowie des Ancien droit auseinander und grenzt die Rechtslage unter dem Code civil davon ab. Ausführliche Verweise zum römischen Recht fanden sich auch bei Domat, Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 6 – eine Verschuldensvermutung stellte dieser jedoch nicht auf. Toullier lehnt mit Verweis auf Art. 1383 Cc ausdrücklich die Auffassung Merlins ab, nach dem nach Graden des Verschuldens zu differenzieren sei, a.a.O, Nr. 159. Da es oft Schwierigkeiten bereite, den Grund für den Ausbruch eines Feuers festzustellen, gelte eine Vermutungsregel: Die faute des Bewohners des Hauses/der Wohnung, in dem/der das Feuer ausgebrochen sei, werde vermutet (da dies den Regelfall darstelle) – der Betroffene selbst habe den Entlastungsbeweis zu führen, a.a.O., Nr. 160. Schließlich erörtert er den Fall, dass ein Haus abgerissen werden muss, um die Ausbreitung eines Feuers auf weitere Häuser zu unterbinden. Grundsätzlich stelle auch der dadurch entstandene Schaden eine Folge des Feuerausbruchs dar und sei von der Ersatzpflicht nach Art. 1382 f. Cc erfasst, a.a.O., Nr. 180. 227 Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 444, Fn. 12; ebenso Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 13. 228 Siehe zu Art. 1733 Cc in diesem Rahmen auch Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 444, Fn. 9; ebenso Aubry/Rau, Droit civil français 4, 446, Fn. 3; Delvincourt, Cours de Code Civil, S. 453; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 220 m.w.N.
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vielfach Schäden bei Nachbarn durch Lärm oder Emmissionen, die das unter Nachbarn hinzunehmende Maß überschritten. 229 Weiterhin sei an dieser Stelle bereits auf eine Problematik hingewiesen, die – soweit ersichtlich – jedoch nur wenig Beachtung seitens der Wissenschaft fand. Lediglich Sourdat und das Répértoire Dalloz erörtern Fälle, in denen durch den Betrieb einer Mine deliktsrechtlich ersatzfähige Schäden entstanden, zum Beispiel bei den Eigentümern der Oberfläche.230 Das Gesetz vom 21 avril 1810 enthielt spezielle Vorschriften für den Ersatz derartiger Schäden und modifizierte damit die allgemeinen Regelungen und Grundsätze der Ersatzpflicht. 231 Dass diese Fragen in den übrigen (allgemeinen) Darstellungen zur deliktischen Haftung ausgeklammert wurden, erstaunt in Anbetracht der Praxisrelevanz.232 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich bei Zachariae darüber hinaus in den Fußnoten noch einige Verweise auf Entscheidungen finden lassen, die weiteren Fallgruppen zugeordnet werden können (die auch im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse wiederkehren). Dies betrifft zum Beispiel Beleidigungen, 233 unlauteren Wettbewerb (concurrence déloyale),234 Prozessführung235 oder die Verführung und Schwängerung von „Frauenspersonen“. 236 Auch diese (sowie viele weitere) Entscheidungen fanden zwar im Répértoire Dalloz Erwähnung, bei den meisten anderen Juristen jedoch nicht. b) Spezialfall: Haftung von Notaren Neben diesen Fällen gab es insbesondere ein weiteres Problem, das im Rahmen der deliktischen Haftung immer wieder auftauchte, und das aus Sicht der Lehre von größter praktischer Relevanz gewesen zu sein scheint: die Haftung von
229 Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 121; Larombière, Obligations, Nr. 12 f. mit zahlreichen Nachweisen; Zachariae, Französisches Civilrecht5, § 444, Fn. 13. 230 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 441bis. Es handelte sich um die Entscheidungen Cass. civ., 18.7.1837, D. Jur. gén. 1837, 1, 441 und daran anschließend Cass. ch. réun., 3.3.1841, D. Jur. gén. 1841, 1, 164. Sourdat erläutert den Sachverhalt und die Entscheidungen der einzelnen Instanzen mit zahlreichen Zitaten aus den Urteilen. Im Vergleich dazu nicht so ausführlich Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 119. 231 Loi du 21 avril 1810 concernant les mines, les minières et les carriers, Bulletin des lois, 1810, Nr. 285. Ausführlich dazu Fn. 356 ff. Anpruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch stellte Art. 1382 Cc dar. 232 Dazu unten S. 199 f. 233 So schon Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 381, Fn. 3 f. oder 4. Aufl. § 444, Fn. 8; Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 9; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 171 ff. 234 Zachariae, Französisches Civilrecht 6¸ § 444, Fn. 13. 235 Zachariae, Französisches Civilrecht 8, § 414, Fn. 14; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 112 ff. 236 Zachariae, Französisches Civilrecht 7, § 444, Fn. 14; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 158 f. sowie Nr. 160 zur Nichteinhaltung von Heiratsversprechen.
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Notaren. Es ging dabei im Wesentlichen um die Frage, ob den Notar eine Ersatzpflicht nach Art. 1382 f. Cc trifft, wenn von ihm verursachte Formfehler zu einem Schaden führen. Laurent lehnte dies grundsätzlich ab mit der Begründung, dass zwischen Notar und Klient eine vertragliche Beziehung bestehe, und entsprechend allein vertragliche Ersatzansprüche in Betracht kämen. 237 Mit dieser Ansicht stand er jedoch isoliert da. Typischerweise entstanden Schäden in diesem Kontext durch die Nichtigkeit einer Urkunde oder eines Testaments – und zwar bei der Person, die durch das gültige Dokument begünstigt worden wäre. In der Regel handelte es sich bei diesen Schäden folglich um das, was nach modernem Verständnis primäre Vermögensschäden darstellen: Der Geschädigte erlitt (lediglich) eine finanzielle Einbuße bzw. sein Vermögen wurde nicht in dem Maße vergrößert, wie es in der Urkunde/dem Testament bestimmt war. Um die Verletzung eines (absoluten) Rechts, wie es im Übrigen zu dieser Zeit allgemein gefordert wurde, handelte es sich dabei allerdings gerade nicht. Im Hinblick auf die Haftung von Notaren war vor allem problematisch, in welchem Umfang Notare haften sollten. Bei den Art. 1382 f. Cc handelt es sich um sehr generelle und allgemeingültige Regelungen – die damit prinzipiell auch auf das Fehlverhalten von Notaren anwendbar sind. Dabei war jedoch auch zu unterscheiden, ob der Notar als Amtsträger oder ob er für einen Klienten als Auftragnehmer tätig wurde. Im letzteren Fall galten die Art. 1382 f. Cc ohne Besonderheiten.238 Im Übrigen regelte ein Spezialgesetz aus dem Jahr 1803 die Haftung der Notare. Das Gesetz vom „25 ventôse an XI (16 mars 1803) contenant organisation du notariat“, das das Notariatswesen neu ordnete, enthielt genaue Festlegungen, worauf Notare zu achten hatten und welche Konsequenzen Verstöße gegen die Vorschriften nach sich zogen. Eine umfassende Ersatzpflicht ergab sich dabei aus Art. 68: „Toute acte fait en contravention aux dispositions contenues aux art. 6, 8, 9, 10, 14, 20, 52, 64, 65, 66 et 67, est nul s’il n’est pas revêtu de la signature de toutes les parties; et lorsque l’acte sera revêtu de la signature de toutes les parties contractantes, il ne vaudra que comme écrit sous signature privée; sauf, dans les deux cas, s’il y a lieu, les dommages-intérêts contre le notaire contrevenant.“
Daneben ordneten auch weitere Einzelvorschriften die Schadensersatzpflicht des Notars an.239 Art. 68 Gesetz vom 25 ventôse an XI und weitere Vorschriften 237
Laurent, Principes de droit français, Nr. 507. Zum Ersatz vertraglicher Schäden im Rahmen der deliktischen Generalklausel gleich näher S. 179 ff. 238 Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 308. 239 Siehe z.B. Art. 18: „Le notaire tiendra exposé dans son étude un tableau sur lequel il inscrira les noms, prénoms, qualités et demeures des personnes qui, dans l’étendue du ressort où il peut exercer, sont interdites et assistées d’un conseil judiciaire, ainsi que la mention des jugemens relatifs; le tout immédiatement après la notification qui en aura été faite, et à peine des dommages-intérêts des parties.“
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bestätigten also die Anwendung des in den Art. 1382 f. Cc festgeschriebenen Prinzips der Billigkeit auf Fehler von Notaren, ohne selbst jedoch eine eigene Anspruchsgrundlage zu enthalten. 240 Welches Ausmaß sollte dabei die Haftung der Notare annehmen? Sollte jeder Fehler eines Notars, der zur Nichtigkeit des Aktes führte, 241 auch eine Schadensersatzpflicht (nach Art. 1382 f. Cc) begründen? Bereits im Ancien droit gab es keine einheitliche Rechtslage zum Umfang der Notarhaftung; teils sollte jedes Verschulden genügen, teils – angelehnt an das römische Recht – sollte eine Haftung nur bei Vorsatz und schwerem Verschulden (das dem Vorsatz gleichgestellt wurde) bestehen. 242 Einige Autoren vertraten letzteres auch für das neue Recht. 243 Auch Zachariae scheint zu ihnen gehört zu haben. Er spricht die Problematik an und verweist darauf, dass nur in einigen bestimmten Fällen die Gesetze dem Geschädigten eine Schadensersatzklage ausdrücklich einräumten, nämlich zum Beispiel Art. 16, 18, 68 Gesetz vom 25 ventôse an XI.244 Er wirft die Frage auf, ob jedes Versehen genüge – und betont, dass die französische Rechtsprechung zumindest schweres Verschulden dem Vorsatz gleichzustellen scheine. 25 Jahre später dann, in der 4. Auflage, findet sich dagegen eine deutlichere Aussage: Für die Ersatzpflicht des Notars bedürfe eines schweren Verschuldens. 245 Näher problematisiert oder diskutiert hat er dies jedoch nicht – er zitiert lediglich eine lange Liste an Entscheidungen, ohne weiter darauf einzugehen. Andere dagegen, wie Toullier, bejahten eine umfassende Haftung: Die Bürger müssten darauf vertrauen können, dass Akte, für die sie auf den Notar angewiesen seien und die erhebliche Auswirkungen auf ihr Vermögen haben
240 Gagneraux, Commentaire, II, Art. 68, Nr. 28; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 304. 241 Nicht jeder Verstoß gegen eine Formvorschrift hatte dabei die Nichtigkeit des Aktes zur Folge. Eine gängige Unterscheidung war die zwischen formalités substantielles und formalités accidentielles. Während erstere die Essenz des Aktes betrafen – zum Beispiel die Kompetenz des Notars oder der Zeugen – und ein Verstoß in jedem Falle zur Nichtigkeit führen sollte, sollte bei einem Verstoß gegen formalités accidentielles die Nichtigkeit des Aktes nur folgen, wenn dies ausdrücklich angeordnet war (Beispiele dafür waren Art. 14 oder 20 Gesetz vom 25 ventôse an XI): Gagneraux, Commentaire, II, Art. 68, Nr. 3, 5, 9. Andere wollten dagegen nach fomalités intrinsèques (die Substanz der Vereinbarung betreffend) und formalités extrinsèques (Abfassung des Aktes, z.B. vorgegeben durch das Gesetz vom 25 ventôse an XI sowie Art. 968–980 Cc) unterscheiden, ders., a.a.O., Nr. 34. 242 Rutgeerts, Commentaire, Nr. 1311 m.w.N. 243 Siehe die Nachweise bei Rutgeerts, Commentaire, Nr. 1312. Den Einschub „s’il y a lieu“ interpretierten diese Autoren in der Weise, dass nur Vorsatz und schweres Verschulden die Haftung begründeten. 244 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 380, Fn. 3. 245 Zachariae, Französisches Civilrecht 4, § 444, Fn. 5. So auch bei Aubry/Rau, Droit civil français2, § 446, Fn. 9, sowie Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 5, die allerdings keine Rechtsprechung zitieren.
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könnten, rechtsgültig erstellt werden.246 Der Notar als Staatsbeamter und Amtsträger müsse die Gesetze kennen und anwenden können. Folglich seien die Art. 1382 f. Cc ohne Einschränkung auf das Verhalten von Notaren anwendbar, und mithin begründe jedwede faute des Notars eine Ersatzpflicht.247 Die überwiegende Mehrheit folgte dieser Meinung jedoch nicht, sondern schlug vielmehr einen Mittelweg ein: Der Einschub „s’il y a lieu“ in Art. 68 Gesetz vom 25 ventôse an XI überlasse es der Beurteilung durch das Gericht, ob der Formverstoß des Notars zur Ersatzpflicht führe oder nicht. Es komme jeweils auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an – eine generelle Klassifizierung, wann eine faute „lourde“ oder „légère“ sei, sei dabei sowieso nicht möglich. 248 Auf den Einschub in Art. 68 Gesetz vom 25 ventôse an XI gründet sich auch die Unterscheidung in formalités intrinsèques (die Substanz betreffend) und extrinsèques (die Redaktion betreffend).249 In den meisten Abhandlungen zur deliktischen Haftung wurde die Haftung von Notaren in dieser Intensität nicht behandelt. Zumeist wurde das Stichwort aufgeworfen, und gegebenenfalls anschließend die einschlägige Rechtsprechung zitiert250 – die immer länger und länger wurde, was die Praxisrelevanz dieses Problems eindrücklich aufzeigt. Fallbesprechungen oder nähere Diskussionen gab es dagegen nicht. Auf die Frage, was in diesen Fällen für Rechte/Rechtsgüter verletzt wurden, ging entsprechend niemand ein. Daher lässt sich nicht feststellen, wie die Lehre die Problematik insgesamt bewertete. Die Vereinbarkeit mit der bisher festgestellten Beschränkung der Haftung aus den Art. 1382 f. Cc auf die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter soll aus diesem Grund nicht hier thematisiert werden, sondern an entsprechender Stelle im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse. 251
246 Toullier, Droit civil français V, Nr. 389. Ähnlich auch Bousquet, Explication du Code civil, Art. 1382, Nr. XVIII. 247 Rutgeerts, Commentaire, Nr. 1312. Gegen eine Beschränkung auf Vorsatz und schwere Vergehen auch Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 306. 248 Laurent, Principes de droit français, Nr. 508 f.; Gagneraux, Commentaire, II, Art. 68, Nr. 38 f.; Rutgeerts, Commentaire, Nr. 1313. Nach Auffassung Rutgeerts spreche gegen eine umfassende Haftung zudem, dass Richter nur für Vorsatz und schweres Verschulden haften. Für Notare würden somit härtere Maßstäbe gelten, was nicht gerechtfertigt sei, a.a.O., Nr. 1312. 249 Nach allgemeiner Auffassung begründeten nur Verstöße gegen formalités extrinsèques die Haftung des Notars: Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 385 ff. m.w.N. 250 Siehe z.B. Bousquet, Explication du Code civil, Art. 1382, Nr. XVII f.; Rogron, Le Code civil expliqué, Art. 1382, Fn. (2); Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 280, Fn. 3; Larombière, Obligations, Nr. 15; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 507 ff.; Demolombe, Code Napoléon, Nr. 528 ff. 251 Unten S. 214 ff.
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c) Spezielle Haftungstatbestände Neben der allgemeinen deliktischen Generalklausel in den Art. 1382 f. Cc statuieren die Art. 1384–1386 Cc252 besondere Haftungstatbestände. Es geht dabei nicht um die Haftung für eigenes Verhalten, sondern um die Haftung für das Verhalten Dritter (Art. 1384 Cc), für Tiere (Art. 1385 Cc) oder für Gebäude (Art. 1386 Cc).253 Im Gegensatz zu der Haftung nach Art. 1382 f. Cc wird in diesen Fällen das Vorliegen einer faute vermutet – es liegt an der verantwortlichen Person, sich zu exkulpieren. An sich liegen die Vorschriften außerhalb des hier untersuchten Bereichs. Dennoch sind einige Fallgruppen, die die Wissenschaft zu den Art. 1384–1386 Cc diskutierte, auch hier von Interesse: Der Grund dafür besteht darin, dass – wie sich bei der Rechtsprechungsanalyse zeigen wird – die Rechtsprechung diese Fälle im Ergebnis stets auf die Art. 1382 f. Cc, und nicht auf die speziellen Vorschriften in den Art. 1384 oder 1385 Cc gestützt hat. Rechtlich fallen sie daher in den Anwendungsbereich der allgemeinen deliktischen Generalklausel, auch wenn viele Juristen dort keinen Bezug auf sie nahmen. aa) Schäden durch wilde Tiere Von Erlass des Code civil an ereigneten sich Fälle, in denen sich wilde Tiere – oftmals handelte es sich dabei um Kaninchen – in einem Wald oder Feld ansiedelten, ohne dass der Eigentümer des betroffenen Grundstücks dies veranlasst hatte (sie also weder angelockt noch die Ansiedlung begünstigt hatte). Richteten die Tiere auf benachbarten Grundstücken Schäden an, stellte sich die Frage, wer für diese Schäden haften muss. Gemäß Art. 524 und 564 Cc stehen die Tiere, die sich in einem Gehege auf einem Grundstück befinden, im Eigentum des Grundstücksinhabers – folglich ist Art. 1385 Cc254 anwendbar. Dies gilt jedoch nicht für wild lebende Tiere: Wo diese sich selbst in einem Wald oder auf einem Feld ansiedeln und der Eigentümer des Grundstücks keine weitere Gewalt über sie hat, können sie nicht als dessen Eigentum betrachtet werden.255 Die Haftung richtete sich daher dann nach Art. 1382 f. Cc.256 Zur Begründung der Ersatzpflicht musste der Schaden damit durch eine faute des
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Art. 1242–1244 Cc2016. Zachariae verstand diese Fälle als Quasi-Delikte, siehe oben Fn. 81. 254 „Le propriétaire d'un animal, ou celui qui s'en sert, pendant qu'il est à son usage, est responsable du dommage que l'animal a causé, soit que l'animal fût sous sa garde, soit qu'il fût égaré ou échappé.“ 255 Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 736. 256 Trotz der Darstellung im Rahmen des Art. 1385 Cc war dies auch einhellige Ansicht in der Lehre, siehe nur Larombière, Obligations, Art. 1385, Nr. 12; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 736 f. 253
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Grundstückeigentümers entstanden sein. Diese konnte zum Beispiel darin bestehen, dass er die Vermehrung der Kaninchen begünstigt hatte. 257 Bereits 1811 erwähnte Zachariae im Rahmen des Art. 1385 Cc Schäden durch Wildtiere. 258 Auch alle anderen Juristen gingen im Anschluss ebenfalls auf diese Problematik ein.259 bb) Arbeitsunfälle In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spiegelten sich die mit der industriellen Revolution verbundenen negativen Folgen für die französische Bevölkerung auch in der Rechtsprechung wider. Vermehrt ab den 1860er Jahren häuften sich die Entscheidungen, in denen es um Verletzungen von Arbeitern durch (Dampf-)Maschinen ging. 260 Die Abwicklung dieser Fälle über die allgemeine deliktische Generalklausel erwies sich aus Sicht des verletzten Arbeiters häufig jedoch als sehr problematisch, denn für einen Anspruch aus Art. 1382 f. Cc bedurfte es einer faute des Arbeitgebers, für die den Arbeitnehmer die Beweislast traf.261 Diesen Beweis, zum Beispiel dass eine Maschine fehlerhaft war, konnte er oft nicht erbringen. 262 Für den Arbeitgeber wiederum hatte die deliktische Haftung zur Folge, dass er sich dieser unter keinen Umständen (z.B. 257 Ausführlich dazu im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse S. 200 f. Eine Entlastung konnte in dem Nachweis bestehen, dass er die erforderlichen Maßnahmen getroffen hatte, um die Vermehrung zu verhindern. Dazu auch Aubry/Rau, Droit civil français 2, § 448, Fn. 1; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 739 f. 258 Zachariae, Französisches Civilrecht 2, § 383, Fn. 7 m.w.N. In der 4. Aufl. (1837), § 448, Fn. 3, betont Zachariae, dass ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten ausscheide, weil er das Recht habe, wilde Tiere auf seinem Grundstück zu töten (und sich damit zur Wehr setzen könne). 259 Toullier, Droit civil français, Nr. 304 ff. mit Besprechung der Entscheidung Cass. sec. req., 3.1.1810, Journal des audiences 1810, 38; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 1158 f.; Boileux, Commentaire sur le Code Napoléon, S. 767 mit Rechtsprechung; Larombière, Obligations, Art. 1385, Nr. 12 (allgemein gehalten); Laurent, Principes de droit français, Nr. 636 f. Siehe auch Massé/Vergé, Droit civil français, § 629, Fn. 3. Die Relevanz dieser Thematik zeigt sich auch daran, dass Aubry/Rau sie in ihrer 4. Auflage 1869, § 448, sogar im Fließtext ansprechen und nicht lediglich (wie zuvor) in der Fußnote behandeln. Zudem zitieren sie dort eine große Anzahl von Entscheidungen, explizit auch zu Kaninchenschäden. Siehe dazu auch unten S. 200 f. 260 Für Zahlen zu Unfällen siehe Sauzet, Responsabilité des patrons, S. 596 f.: Allein die Anzahl von eingesetzten Dampfmaschinen hatte sich von 1850 bis 1879 fast verachtfacht. 261 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 912; Larombière, Obligations, Art. 1384, Nr. 9; Aubry/Rau, Droit civil français 4, § 447 m.w.N.; Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 488, 639. Zum Folgenden auch Saleilles, Accidents de travail, Nr. 6 f.; Josserand, Responsabilité, S. 11 ff., sowie Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 159. Die Anwendung des Art. 1384 Cc lehnten die Gerichte dagegen zunächst lange ab, CI Lyon, 19.7.1853, D. Jur. gén. 1853, 2, 233. Zu der Änderung siehe auch unten Fn. 408. 262 Glasson, Question ouvrière, S. 865 f.; Anm. zu Cass. civ., 19.7.1870, Sir. 1871, 1, 9, 10.
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durch vertragliche Vereinbarungen) entziehen konnte und er schon für die geringste faute einstehen musste.263 Überlassene Werkzeuge und Materialien durften nicht fehlerhaft sein, und er musste insbesondere die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen treffen, um die Arbeiter vor Unfällen zu schützen. 264 Stimmen in der Lehre wandten dagegen ein, dass genau diese Pflichten aus dem Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herrührten. Aus diesem Grund sollten derartige Unfälle über die vertragliche Haftung geregelt werden, nicht über die deliktische. 265 Folge davon wäre die Umkehr der Beweislast, was dem Arbeiter natürlich sehr entgegen käme: Der Arbeitgeber könnte sich für die Nichterfüllung seiner vertraglichen (Schutz-)Pflichten nur durch Darlegung eines cas fortuit oder von force majeure entlasten.266 Die Rechtsprechung schloss sich diesem Vorschlag allerdings nicht an.267 Neben der Diskussion um die vertragliche Grundlage der Haftung löste die Vielzahl von Arbeitsunfällen eine weitere von der Lehre ausgehende Entwicklung aus. Viele Juristen empfanden die Anwendung der Art.1382 f. Cc und die um Verschulden und Beweislast entstehenden Probleme ganz generell als höchst unbillig; insbesondere das Erfordernis der faute nach bisherigem Verständnis sahen sie als unpassend an. Zum ersten Mal seit Inkrafttreten des Code civil wurde das Verschuldenserfordernis ernsthaft in Frage gestellt und der Vorschlag für eine verschuldensunabhängige Haftung gemacht. 268 An die Stelle der faute sollte die risque (professionnel) treten: Wer gegenüber einer anderen Person ein neues Risiko schaffe, hafte für den Schaden, der durch Verwirklichung dieses Riskos eintrete.269 Entscheidende Voraussetzung für die Haftung sei danach eine kausale Verbindung zwischen dem eingetretenen Schaden und einer „activité considérée comme constitutive de risques“. 270 Auf 263
Glasson, Question ouvrière, S. 867. Siehe auch Sauzet, Responsabilité des patrons, S. 615 f. 265 Sauzet, Responsabilité des patrons, S. 617 ff.; Sainctelette, Responsabilité et garantie, S. 145 ff. Ablehnend dagegen Glasson, Question ouvrière, S. 868 f. m.w.N. Kritisch auch Planiol, Examen doctrinal, S. 279 ff. Für einen Überblick über den Meinungsstand sowie eine kritische Auseinandersetzung mit diesem siehe Tarbouriech, La responsabilité des accidents, Nr. 6 ff.; Rouard de Card, Distinction, S. 17 ff.; Saleilles, Accidents de travail, Nr. 8 ff. Dagegen wandte Josserand ein, dass die vertragliche Pflicht des Arbeitgebers nur die Zahlung des Lohns beinhalte, nicht jedoch den Schutz vor Gefahren: Responsabilité, S. 21 266 Planiol, Examen doctrinal, S. 297 ff., sprach sich für eine vertragliche Haftung des Arbeitgebers, jedoch gegen eine Umkehr der Beweislast aus. 267 Dazu unten S. 206 f. Zur Haftung für vertragliche Pflichtverletzungen im Rahmen der Art. 1382 f. Cc gleich S. 179 ff. 268 Halpérin, French doctrinal writing, S. 88. 269 Josserand, Responsabilité, S. 103 f.; Planiol, Responsabilité civile I, S. 278. 270 Saleilles, Accidents de travail, Nr. 65. Planiol wandte dagegen jedoch ein, dass auch Saleilles hier nicht ohne Bezug auf die faute auskomme, diese nur anders verstehe: Responsabilité civile I, S. 279 f. 264
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diese Weise werde der Richter von moralischen Erwägungen entbunden, die andernfalls zwangsläufig für das Feststellen einer faute erforderlich seien.271 Allgemeinhin werden zwei Juristen als die wissenschaftlichen Begründer dieser Entwicklung angesehen: 272 Raymond Saleilles erörterte 1897 die Theorie vom risque professionnel im Hinblick auf Arbeitsunfälle; Louis Josserand dehnte sie wenig später über die Industrie hinaus aus und vertrat verallgemeinernd die théorie du risque crée.273 Beide erblickten in dieser objektiven Theorie der Verantwortlichkeit die Lösung, der Billigkeit zu entsprechen. 274 Für den Bereich der Arbeitsunfälle ordnete der Gesetzgeber 1898 schließlich eine Gefährdungshaftung an: 275 Dem Arbeitgeber wurde damit die risque professionnel aufgebürdet.276 Der théorie du risque professionnel war damit an sich die Notwendigkeit genommen. Planiol etwa lehnte es auch entschieden ab, sie auf weitere Fälle außerhalb von Arbeitsunfällen anzuwenden, und wandte sich damit gegen die Theorie Josserands.277 Gleichwohl bildete die Diskussion um das Erfordernis der faute und alternative Haftungsmodelle einen wesentlichen Gegenstand der französischen rechtswissenschaftlichen Diskussion in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. 278 d) Zwischenergebnis In den in den Werken zur deliktischen Haftung zitierten Entscheidungen kehrten gewisse Fallgruppen immer wieder. In der Regel ging es dabei um Verletzungen des Eigentums, des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit. Die Verletzung subjektiver, absoluter Rechte scheint damit der typische Anwendungsfall der deliktischen Generalklausel gewesen zu sein, was zu den theoretischen Ausführungen passt. Häufige Verweise finden sich allerdings auch auf die Haftung von Notaren, die ihren Grund meistens in einem Verstoß gegen eine (spezial-)gesetzliche Formvorschrift hatte. Nähere Ausführungen zu einzelnen Entscheidungen erfolgten grundsätzlich nicht.
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Planiol, Responsabilité civile I, S. 278. Daneben kam auch in Gesetzesvorschlägen die Idee einer Gefährdungshaftung auf, siehe Halpérin, French doctrinal writing, S. 88. 273 Josserand, Responsabilité, S. 105 f. Siehe ausführlich dazu unten S. 262 ff. 274 Saleilles, Accidents de travail, Nr. 55; Josserand, Responsabilité, S. 115. 275 Loi du 9 avril 1898 concernant les responsabilités des accidents dont les ouvriers sont victimes dans leur travail, Bulletin de l'Inspection du travail, 1898, Nr. 2 276 Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 166, Fn. 18: Für die Entschädigung galten jedoch Höchstgrenzen. Siehe zu diesem gesetzgeberischen Tätigwerden auch Michel, Responsabilité civile des patrons, S. 592 ff. 277 Planiol, Responsabilité civile I, S. 281. 278 Ausführlich dazu unten S. 262 ff. 272
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5. Ersatz vertraglicher Schäden über die Art. 1382 f. Cc Im Zusammenhang mit der Haftung bei Arbeitsunfällen ist bereits eine weitere Problematik angeklungen, die für den Umfang der deliktischen Haftung von Relevanz ist. Stellen auch vertragliche Pflichtverletzungen unerlaubte Handlungen dar, die unter die Art. 1382 f. Cc fallen? Gerade zwischen Notar und Klient beispielsweise besteht in der Regel auch ein Auftragsverhältnis, das Rechte und Pflichten begründet (sofern der Notar nicht als Amtsperson tätig wird);279 in vergleichbarer Weise ist auch die Beziehung zu Ärzten, Anwälten oder Architekten primär vertraglich. 280 Große Diskussion entspann sich insbesondere auch im Hinblick auf die Beförderung von Personen. 281 In erster Linie ist in diesen Fällen an eine vertragliche Haftung zu denken gemäß den (speziellen oder allgemeinen) vertraglichen Regelungen. Doch können daneben, oder sogar stattdessen, auch die Art. 1382 f. Cc Anwendung finden? Hintergrund dieser Problematik ist die Frage nach der Natur von deliktischer und vertraglicher faute: Sind diese zu unterscheiden oder sind sie identisch? In der Lehre herrschte lange Uneinigkeit über das Verhältnis von vertraglichen Pflichtverletzungen zur deliktischen Haftung. Eine Vielzahl von Juristen setzte sich mit dieser Frage auseinander, die vor allem Ende des 19. Jahrhunderts Gegenstand einer ganzen Reihe von Dissertationen war. 282 Bereits Zachariae oder Larombière unterschieden strikt zwischen deliktischem und vertraglichem Bereich, Sainctelette vertiefte dies in einer umfassenden Abhandlung. 283 Sie betonten insbesondere, dass gem. Art. 1383 Cc jede noch so geringe faute für die Ersatzpflicht genüge – im vertraglichen Bereich sei dies aber gerade anders.284 Daneben unterschieden sich die Haftungsregime aber auch in vielen
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Ausführlich dazu, mit zahlreichen Verweisen, Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 346 ff. 280 Larombière, Obligations, Nr. 15. 281 Ausführlich dazu unten S. 205 f. 282 Aubin, Responsabilité délictuelle et responsabilité contractuelle; Auvynet, Théorie des fautes; Chenevier, Responsabilité contractuelle et responsabilité délictuelle; Grandmoulin, Nature délictuelle de la responsabilité; Rouard de Card, Distinction, sowie Distinction II (Fortsetzung); Sainctelette, Responsabilité et garantie. 283 Zachariae, Französisches Civilrecht 3, § 444; Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 446; Massé/Vergé, Droit civil français, § 625, Fn. 4; Larombière, Obligations, Nr. 8: „La faute dont parle l’article 1382 n’a aucun rapport avec la faute contractuelle…“; ähnlich wohl auch Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 281; Sainctelette, Responsabilité et garantie, S. 44; Huc, Commentaire théorique et pratique VII, Nr. 95. Sainctelette, a.a.O., S. 8 ff., unterschied hinsichtlich der Terminologie zwischen „responsabilité“ für Verstöße gegen das Gesetz und „garantie“ im Zusammenhang mit Verträgen. Er kritisierte, dass diese Terminologie im Code civil nicht strikt unterschieden werde und es daher zu Verwirrung komme. 284 Art. 1137 Cc ordnete für den vertraglichen Bereich bis 2014 die Sorgfalt eines „bon père de famille“ an (genau diese Formulierung wurde 2014 durch „soins raisonnables“ er-
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anderen Punkten (beispielsweise bezüglich der Beweislast oder des Umfangs des Ersatzes), was eine strikte Trennung erfordere. 285 Andere Juristen gingen dagegen von einem einheitlichen Begriff der faute aus.286 Unter die deliktische Generalklausel fielen nach dieser Ansicht unproblematisch auch vertragliche Pflichtverletzungen. 287 Marcadé kritisierte dies vehement. 288 Die Einbeziehung vertraglicher Pflichtverletzungen in die deliktische Haftung hätte zur Folge, dass auf diese Weise über die Art. 1382 f. Cc auch Ersatz für primäre Vermögensschäden gewährt würde. Allerdings läge in diesen Fällen zugleich die Verletzung eines vertraglich begründeten Rechts vor. Ob der Gesetzgeber die Anwendung der deliktischen Generalklausel auf diese Fälle tatsächlich im Auge hatte, erscheint zumindest fraglich. Dagegen spricht jedenfalls auf den ersten Blick, dass die Art. 1382 f. Cc unter dem Titel „engagements qui se forment sans convention“ geregelt sind. Rein sprachlich geht es dabei also um Obligationen, die ohne Vereinbarung zwischen den Parteien entstehen. Auch Domat hatte schon die Verletzung vertraglicher Pflichten strikt von Obligationen getrennt, die ohne convention entstehen; die Ausführungen im Rahmen seiner deliktischen Generalklausel bezogen sich auch nur auf letztere.289 Der Art. 1370 Cc hob diese Unterscheidung für das 1804 geltende Recht hervor.290 Die Verfechter des Einheitskonzepts betonten dagegen, dass es auf die ursprünglich bestehende Verbindung nicht ankomme: Die Pflichtverletzung führe zur Entstehung einer neuen Obligation, die darin bestehe, den durch die eigene faute hervorgerufenen Schaden zu reparieren – und setzt); der Maßstab war damit ein anderer als der in Art. 1383 Cc. Huc, Commentaire théorique et pratique VII, Nr. 95 und VIII, Nr. 407; Toullier, Droit civil français, Nr. 153; Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 98; Larombière, Obligations, Nr. 8. 285 Rouard de Card, Distinction, S. 6 ff. 286 Lefebvre, Responsabilité délictuelle, contractuelle, S. 485 ff., 494, kam zu dem Ergebnis, dass es eine vertragliche faute nicht gebe: „Toute faute est délictuelle.“ Ebenso Grandmoulin, Unité de la responsabilité, S. 49 ff.; Planiol, Droit civil, Nr. 876 f. Auch im 20. Jahrhundert vertraten Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 703 f., die Idee von dem homogenen Begriff der faute. Dazu auch Halpérin, French doctrinal writing, S. 78. 287 Ebenso Duranton, Cours de droit français, Nr. 710. Dies betonten allerdings auch Larombière, Obligations, Nr. 9 und Aubry/Rau, Droit civil français 1, § 446, obwohl diese sich ja für eine strikte Unterscheidung aussprachen, siehe Fn. 283: Wo die vertragliche Pflichtverletzung gleichfalls ein (strafrechtliches) Delikt darstelle, sei neben der vertraglichen Haftung auch die deliktische einschlägig. 288 Er wandte sich mit seiner Kritik namentlich gegen Duranton (Fn. 287): Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 281. 289 Domat, Loix civiles, II, 8, vor Section 1: „… celles qui n’ont point de rapport aux conventions.“ 290 „Certains engagements se forment sans qu'il intervienne aucune convention, ni de la part de celui qui s'oblige, ni de la part de celui envers lequel il est obligé. Les uns résultent de l'autorité seule de la loi; les autres naissent d'un fait personnel à celui qui se trouve obligé. … Les engagements qui naissent d'un fait personnel à celui qui se trouve obligé, résultent ou des quasi-contrats, ou des délits ou quasi-délits; ils font la matière du présent titre.“
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zwar unabhängig von dem vorherigen Verhältnis der Parteien zueinander. 291 Zudem gehe es nach Planiol in beiden Fällen um die Verletzung einer bereits vorher bestehenden Pflicht: Während diese bei der vertraglichen Haftung durch die Vereinbarung der Parteien entstehe, werde bei der deliktischen Haftung gegen eine gesetzliche Pflicht verstoßen: Nämlich die in Art. 1382 Cc festgeschriebene Pflicht, einem anderen keinen Schaden zuzufügen. 292 Bei einer deliktischen Ahndung vertraglicher Pflichtverletzungen finden die für die vertragliche Haftung geltenden Regeln freilich keine Anwendung. 293 Das bedeutet zum einen, dass der Geschädigte nach Art. 1382 f. Cc die faute des Schädigers beweisen muss, und nicht umgekehrt diese vermutet wird und der Schädiger die für ihn entlastenden Umstände (wie force majeure, cas fortuit) darlegen muss (Art. 1315, 1147 Cc)294 – für den Geschädigten stellt dies einen erheblichen Nachteil dar. Auf der anderen Seite ist die Höhe des deliktischen Schadensersatzes im Vergleich zum vertraglichen nicht durch das Prinzip der Vorhersehbarkeit des Schadens begrenzt, was wiederum für den Geschädigten von Vorteil ist. 295 6. Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen Außer für Pflichtverletzungen im Rahmen eines bestehenden Vertrags verwiesen viele Juristen auch für das vorvertragliche Verschulden auf die deliktische Haftung. Dies ist im Hinblick auf die rechtshistorische Entwicklung dieser Frage erstaunlich: Einerseits sieht der Code civil hierfür keine Lösung vor ,296
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Grandmoulin, Unité de la responsabilité, S. 7 ff.; Gardner/Moore, Responsabilité contractuelle, S. 547. 292 Planiol, Droit civil, Nr. 876; Gardner/Moore, Responsabilité contractuelle, S. 547. Planiols Erläuterung hängt wesentlich mit seiner Definition der faute als „manquement à une obligation préexistante“ zusammen, a.a.O., Nr. 863. Dazu ausführlich unten S. 275 ff. 293 So schon Aubry/Rau, Droit civil français 4, § 445. 294 Art. 1147 Cc: „Le débiteur est condamné … toutes les fois qu'il ne justifie pas que l'inexécution de son obligation provient d'une cause étrangère qui ne peut lui être imputée…“. Siehe auch Rouard de Card, Distinction, S. 6. 295 Art. 1150 Cc: „Le débiteur n'est tenu que des dommages et intérêts qui ont été prévus ou qu'on a pu prévoir lors du contrat, lorsque ce n'est point par son dol que l'obligation n'est point exécutée.“ 296 Wie Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 215 f., zeigt, kann von den Vorschriften des Code civil einzig Art. 1117 Cc gegen eine vertragliche Haftung angeführt werden. Darin heißt es, dass eine auf Irrtum, Gewalt oder Täuschung beruhende Vereinbarung nicht von Rechts wegen zur Nichtigkeit führt („La convention contractée par erreur, violence ou dol, n'est point nulle de plein droit“); die Vereinbarung wird erst in Folge einer Nichtigkeitsklage oder Klage auf Aufhebung beseitigt. Da die Vereinbarung also zunächst noch besteht, könnte man folgern, dass auch ein Ersatzanspruch auf den Vertrag gestützt werden kann. Dagegen spricht jedoch der zweite Halbsatz des Art. 1117 Cc: „elle [la convention, S.W.] donne seulement lieu à une action en nullité ou en rescision, dans les cas et de la manière expliqués à
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und auch aus den Beratungen zu den Vorschriften lässt sich nicht erkennen, wie dieses Problem aus Sicht der Redaktoren zu behandeln sein sollte. 297 Andererseits hatten Domat und Pothier, in Übereinstimmung mit der übrigen Lehre zum Ancien droit, in diesen Fällen gerade nicht auf eine deliktische Haftung abgestellt. Umso bemerkenswerter ist, dass einige Juristen, die sich für einen Ersatz über die Art. 1382 f. Cc aussprechen, für ihre Lösung explizit Pothier als Referenz anführen. Während die Befürworter einer deliktischen Haftung insgesamt im 19. Jahrhundert überwogen, gab es daneben gleichwohl auch vereinzelte andere Stimmen. Ausführungen zur Haftung für vorvertragliches Verschulden finden sich im 19. Jahrhundert allerdings nach wie vor im Vertragsrecht, und zwar zu den bereits bekannten Fragen: Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen (a), error in persona (b) sowie Widerruf eines Angebots (c).298 a) Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen Hinsichtlich des Verkaufs nicht verkehrsfähiger Sachen sind zunächst Troplong und Duranton zu erwähnen. Beide wollen ganz im Einklang mit dem römischen Recht, auf das sie auch verweisen, trotz Nichtigkeit des Kaufvertrags eine actio empti gewähren; Duranton hebt allerdings hervor, dass es sich dabei um eine actio in factum handele.299 Dennoch begründen beide die Haf-
la section VII du chapitre V du présent titre.“ Die Nichtigkeits- und Aufhebungsklagen sollen danach die einzigen Folgen sein, die aus der Vereinbarung resultieren. Bei einer engen Auslegung dieser Vorschrift ließe sich der Ersatzanspruch damit nicht auf den Vertrag selbst stützen. Daraus folgen jedoch keine Aussagen über die Natur des Ersatzanspruchs. 297 Der Entwurf zum späteren Art. 1134 Cc enthielt die Bestimmung, dass Vereinbarungen „doivent être contractées et exécutées de bonne foi“, Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 8. Dieser Bezug auf die Anwendung von Treu und Glauben beim Vertragsschluss könnte eine vorvertragliche Pflicht nahelegen, so Procchi, Culpa in contrahendo, S. 364 f. Im Laufe der Beratungen strichen die Redaktoren auf Wunsch von Portalis jedoch genau das „contractées“, Fenet, a.a.O., S. 54. Die Beratungen lassen nach Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 215, im Übrigen eher darauf schließen, dass es an dieser Stelle nur um die allgemeinen Voraussetzungen des Vertragsschlusses ging, nicht jedoch um den Verweis auf vorvertragliche Pflichten. 298 Zum Ganzen auch Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 240 ff.; Procchi, Culpa in contrahendo, S. 365 ff. 299 Troplong, De la vente, Nr. 222: „Si cependant l’acheteur a été de bonne foi, c’est-àdire, si, trompé par le vendeur, il a ignoré la qualité de la chose, il pourra agir contre ce même vendeur ex empto, pour se faire payer une indemnité équivalente à l’intérêt qu’il aurait eu de n’être point induit en erreur. Ici, le contrat produit une obligation, et c’est en ce sens que Pomponius a enseigné qu’il y avait vente“; Duranton, Cours de droit français X, Nr. 309: „Quoique la vente d’une chose hors du commerce soit nulle, neanmoins, si le vendeur a trompé l’acheteur, celui-ci a une action en dommages-intérêts; § 5, Instit. de empt. et vendit. Ce texte donne même à l’acheteur l’action d’achat, actio empti, pour obtenir ses dommages-
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tung also vertraglich. Für den Verkauf einer bei Vertragsschluss bereits untergegangenen Sache (Art. 1601 Cc), sollte nach Demolombe der bösgläubige Verkäufer ebenfalls aus Art. 1382 Cc haften – freilich ergibt sich die deliktische Natur der Haftung hier bereits aus der arglistigen Täuschung. 300 b) Error in persona Ganz unterschiedliche Lösungen finden sich im Falle eines Vertrags, der aufgrund eines error in persona des Käufers nichtig ist. Wie schon bei Pothier ging es dabei in der Regel darum, dass bei einem Künstler ein Gemälde bestellt wurde, den der Besteller für jemand anderen hielt. Während Toullier sich nicht explizit zur Natur des Ersatzanspruchs äußert, dabei die Wortwahl aber Übereinstimmungen mit dem von ihm zitierten Pothier zeigt,301 sehen Larombière und Delvincourt das Fundament der Haftung in der Billigkeit. 302 Aus Larombières Ausführungen wird dabei deutlich, dass er bei dem Verweis auf die Billigkeit nicht die deliktische Haftung vor Augen hatte, denn er stellt klar, dass es hier um eine actio in factum gehe, während er sich an anderer Stelle direkt auf Art. 1382 Cc bezieht.303 Dies ist insofern interessant, als Laurent zwar ebenfalls die Haftung auf die Billigkeit gründet, diese dann aber explizit an Art. 1382 Cc festmacht: Man könne unter dem Code civil nicht mehr einfach auf die Billigkeit abstellen, sondern bräuchte einen Gesetzestext, der dies auch rechtlich ausdrücke. Dieser Text finde sich in Art. 1382 Cc.304 Dass Laurent in
intérêts, quoique le contrat soit nul. Mais, en réalité, c’est plutôt l’action d’après le fait, actio in factum, qui a lieu dans ce cas.“ 300 Demolombe, Code Napoléon XXIV, Nr. 321. 301 Toullier, Droit civil français VI, Nr. 53: „Je ne dois même aucune indemnité, si le tableau n’est pas encore commencé; mais s’il est commencé ou achevé, je dois une indemnité à dire d’experts, pourvu que celui avec lequel j’avais traité n’eût point connu mon erreur: je n’en dois aucune s’il l’a connue“, mit Verweis auf Pothier, Traité des obligations, Nr. 19. 302 Larombière, Obligations, Art. 1110, Nr. 12: „Observons que si l’ouvrier, le peintre, le sculpteur ont été de bonne foi, je serai obligé de payer leur travail, non pas en vertu d’une convention qui est nulle, mais suivant estimation, en vertu de l’obligation qui m’est imposée d’ailleurs par la loi et l’équité de réparer le préjudice causé par mon erreur ou mon imprudence.“ Larombière verweist hier ebenfalls auf Pothier, Traité des obligations, Nr. 19. – Delvincourt, Code Napoléon, S. 460 (zu S. 124, Fn. 1): „Si cependant le peintre avec qui j’ai traité, ne savoit pas que je le prenois pour un autre, et qu’il ait fait le tableau, je serai obligé de le payer, en vertu, non pas du contrat qui est nul, mais de la règle d’équité, qui m’oblige à payer ce que j’ai commandé.“ 303 Larombière, Obligations, Art. 1110, Nr. 12: „Mais que l’on remarque bien que cette action en dommages et intérêts, actio in factum, n’a lieu précisément que parce qu’il n’existe plus de contrat, mais seulement un pur fait.“ 304 Laurent, Principes de droit français XV, Nr. 510: „La cause de mon obligation, dit Pothier, c’est l’équité, qui m’oblige à indemniser celui que j’ai induit en erreur par mon imprudence. Cette opinion doit encore être suivi sous l’empire du code; mais on ne peut plus
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diesem Fall überhaupt auf die deliktische Generalklausel abstellt, scheint mit seinen Ausführungen im Rahmen der deliktischen Haftung schwer vereinbar, knüpft auch er dort doch ausdrücklich an die Verletzung eines Rechts an. Auffällig im Rahmen seiner Ausführungen zum error in persona ist jedoch, dass er zwar das Erfordernis einer faute hervorhebt, aber weder hier noch an späterer Stelle näher darauf eingeht, worin diese eigentlich besteht. 305 Die Voraussetzungen bleiben damit unerörtert. Freilich kann es sich dabei um ein bloßes Versehen handeln, oder aber es war für ihn vollkommen klar, dass der Art. 1382 Cc Anwendung findet und er sah überhaupt keine Probleme in diesem Zusammenhang. 306 Möglich ist aber auch, dass dieser Fall sich eben doch nicht ganz in sein System einfügte, mangels Vertrags aber die deliktische Haftung aus seiner Sicht die einzige Möglichkeit bildete, Ersatz zu gewähren. Dies würde es nahelegen, die vorvertragliche Haftung als eine Art Sonderfall zu betrachten: Die Billigkeit erforderte hier zwingend Ersatz, und vom Rechtsgefühl her sollte dieser deliktisch sein. Von einer Einordnung in die Darstellung der „normalen“ deliktischen Haftung oder überhaupt einer näheren Erörterung sah er dagegen lieber ab. Neben Laurent verweisen auch Demolombe und Marcadé bei der durch einen error in persona bedingten Nichtigkeit eines Vertrags auf die Art. 1382 f. Cc, ohne dies jedoch näher zu erörtern. 307 Belime charakterisiert
agir en vertu de l’équité, il faut un texte qui fasse de l’équité un droit. Ce texte se trouve dans l’article 1382.“ 305 Laurent, Principes de droit français XV, Nr. 510: „Il faut donc une faute; quelle est cette faute? En quoi consiste la réparation? Nous renvoyons cette matière au titre qui en est le siège. Pour le moment, il suffit de constater que l’action en dommages-intérêts naît d’un quasi-délit; s’il n’y a point de quasi-délit, il n’y a point d’obligation.“ Im Rahmen der deliktischen Haftung, auf die sein Verweis wohl zielt, geht er auf diese Frage nicht näher ein. Auch an einer anderen Stelle im Zusammenhang mit vorvertraglichem Verschulden betont er das Erfordernis der faute: Widerrufe jemand sein Angebot zum Abschluss eines Vertrages vor der Annahme durch die andere Partei, treffe den Antragenden keine Haftung, da er nur von seinem Recht Gebrauch mache. Art. 1382 Cc setze aber eine faute voraus, die hier nicht gegeben sei, a.a.O., Nr. 481. 306 Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 417, ist der Ansicht, dass die Haftung nach Art. 1382 Cc auch nach Auffassung der Lehre im 19. Jahrhundert primäre Vermögensschäden erfassen sollte. Dafür verweist er u.a. auf Laurents Ausführungen zu falschen Auskünften und Empfehlungen, siehe oben S. 158 f. Dieses Verständnis, das mit der Rolle der faute zusammenhänge, ermögliche auch den Schadensersatz im Falle der Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen (wo es sich in erster Linie um primäre Vermögensschäden handelt). 307 Demolombe, Code Napoléon XXIV, Nr. 113, der ebenfalls dafür auf Pothier, Traité des obligations, Nr. 19, verweist; Marcadé, Explication théorique et pratique IV, Nr. 409. Letzterer unterscheidet zwischen nichtigen und anfechtbaren Vereinbarungen, a.a.O., Nr. 871; wo der Vertrag nicht per se nichtig ist, ist nach Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 218, auch eine vertragliche Haftung vorstellbar. Demante, Traité des obligations,
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die Natur der Haftung ohne Normbezug einfach als quasideliktisch; bei ihm ist jedoch zu beachten, dass er die Haftung für Quasidelikte lediglich an einen fait knüpft und ausdrücklich nicht an eine faute, er nimmt also eine gewisse Sonderstellung in der Lehre ein. 308 c) Widerruf eines Angebots Schließlich stand eine Haftung dort in Frage, wo jemand ein Angebot widerrufen hat, die andere Partei aber gleichwohl von einem Vertragsschluss ausging und durch das Nichtbestehen des Vertrags einen Schaden erlittt. Troplong äußert sich zwar nicht zur Natur der Ersatzpflicht, bezieht sich aber auf die Stelle in Pothiers Traité de la vente, wo dieser auf die Regel der Billigkeit Nemo ex alterius facto praegravari debet abstellt.309 Genau darauf nimmt auch Demolombe Bezug, stellt dann aber auf Art. 1382 Cc ab.310 Demolombe führt hier also Pothier als Beleg für seine Meinung an, hat dabei aber offensichtlich ein ganz anderes Verständnis, denn Pothier ging wie gezeigt nicht von einer deliktischen Haftung aus. Der Bezug auf Pothier erscheint auch insofern problematisch, als dieser auf die Billigkeit und das Verhalten an sich abstellte, nicht aber eine faute verlangte. Demolombe und Troplong folgen ihm insoweit und beziehen sich ebenfalls nur auf den fait – im Hinblick auf eine Haftung nach Art. 1382 Cc reicht dies jedoch an sich nicht aus! 311 Ähnliches ist auch bei Aubry/Rau zu beobachten: Für die Schadensersatzpflicht im Falle eines aufgrund Irrtums widerrufenen Vertrages führen sie Art. 1382 Cc an, gefolgt von dem Verweis auf Pothier sowie dem Grundsatz Nemo ex alterius facto praegravari debet.312 Verwirrung entsteht bei ihnen noch durch zwei weitere
Nr. 16bis, verweist im Zusammenhang mit dem Irrtum über eine Eigenschaft der Sache ebenfalls auf eine Ersatzpflicht nach Art. 1382 Cc. 308 Belime, Philosophie du droit, S. 452; a.a.O., S. 406: „Je conclus en disant que le principe des obligations quasi-délictueuses n’est pas la faute, mais le fait préjudiciable commis sans droit.“ 309 Troplong, De la vente, Nr. 27. 310 Demolombe, Code Napoléon XXIV, Nr. 113: „Mais cette obligation d’indemnité dérivera, pour ceux-ci, uniquement de l’article 1382, qui oblige celui qui a causé un dommage à le réparer; elle ne dérivera pas d’un contrat, qui n’a pas pu se former. C’est ce que Balde explique … Cette doctrine est pareillement enseignée par Pothier…“ (es folgt das Zitat aus dem Traité de la vente, Nr. 32). 311 Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 435. In ähnlicher Weise beziehen sich auf den fait auch Larombière, Obligations, Art. 1110, Nr. 12 und Duranton, Cours de droit français X, Nr. 170. Laurent lehnt demgegenüber eine Haftung in diesem Fall ab und betont das Erfordernis der faute, siehe oben Fn. 305. 312 Aubry/Rau, Droit civil français4, § 343, mit Pothier, Traité du contrat de vente, Nr. 32, sowie § 343bis: „Du reste, si l’annulation d’un contrat, provoquée pour cause d’erreur par l’une des parties, occasionne à l’autre une perte, celle-ci a droit à des dommages-intérêts, pourvu qu’elle ait été de bonne foi“ unter Bezugnahme auf Pothier, Traité des obligations,
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Stellen, an denen sie auf den Widerruf eines Vertrags Bezug nehmen: Zunächst ordnen sie die Ersatzpflicht deliktisch ein, bei der späteren Konkretisierung grenzen sie sich genau davon dann jedoch ab. 313 Weiterhin stützt sich auch Larombière auf Art. 1382 Cc, knüpft dabei aber an die Verletzung einer stillschweigend übernommenen Verpflichtung an, das gemachte Angebot nicht zu widerrufen bis eine Antwort erhalten werden kann. 314 d) Zwischenergebnis Für das 19. Jahrhundert ergibt sich damit ein widersprüchliches Bild. 315 Für den Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen findet sich noch die Lösung des römischen Rechts (actio empti, actio in factum). Im Übrigen scheint eine Vielzahl von Juristen die Haftung im Falle nichtiger Verträge deliktisch begründet zu haben. Dies steht in gewissem Widerspruch zu ihren Ausführungen im Deliktsrecht, wo viele für die Haftung ausdrücklich eine Rechtsverletzung verlangten. Ob sie die Ersatzpflicht im Falle nichtiger Verträge allerdings tatsächlich als „normale“ Anwendungsfälle der deliktischen Generalklausel sahen, bleibt fraglich. Im Rahmen der deliktischen Haftung geht keiner von ihnen auf diese Fälle ein. Und auch bei den Folgen der Nichtigkeit bleiben der Anspruch aus Art. 1382 Cc und die Voraussetzungen der Haftung im Wesentlichen unerörtert. Einige stellen gar nicht auf das Erfordernis der faute ab, sondern lediglich auf einen fait.316 Laurent betont demgegenüber zwar das Erfordernis der faute und fragt, worin diese denn bestehe. Eine Antwort gibt er jedoch nicht. Larombière verweist zwar auf Art. 1382 Cc, geht aber von der Verletzung einer stillschweigend abgeschlossenen Pflicht aus; Aubry/Rau schließlich sprechen sich sowohl für als auch gegen die deliktische Haftung aus. Nr. 19, sowie Art. 1382 Cc. In Zachariaes Handbuch zum französischen Civilrecht findet sich zu dieser Frage dagegen nichts. 313 Aubry/Rau, Droit civil français4 I, § 37: „Enfin, l’annulation même d’un acte peut être l’occasion d’une demande en dommages-intérêts, fondée sur un délit ou quasi-délit imputé soit à l’une des parties, soit à un tiers. Cpr. art. 1599.“ Zu Art. 1599 Cc heißt es dann jedoch in Band 4, § 351: „… le vendeur, même de bonne foi, pourrait être condamné à des dommages-intérêts, si l’acheteur avait ignoré le vice de la vente“ und in der Fn. 45 dazu: „Cet auteur [Duvergier, S.W.] invoque à tort l’art. 1382, qui est étranger aux fautes contractuelles.“ Siehe zu diesem Widerspruch Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 161. 314 Larombière, Obligations, Art. 1101, Nr. 24: „[C]elui qui, par sa rétractation, a causé quelque préjudice à l’autre devra le réparer, non pas en vertu d’un contrat ni à titre d’inexécution de contrat, mais en vertu de l’obligation qu’il s’était tacitement imposée de ne point révoquer ses intentions jusqu’à l’expiration du délai nécessaire pour recevoir une réponse. … Les termes généraux de l’article 1382 suffisent pour fonder cette action.“ Dazu auch Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 422, Fn. 349. 315 So auch Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 218. 316 Gleichwohl betonen dieselben bei der Erörterung der deliktischen Haftung jedoch das Erfordernis der faute: Demolombe, Code Napoléon, Nr. 468, 470; Duranton, Cours de droit français, Nr. 699; Larombière, Obligations, Nr. 10.
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Auffallend für diese Zeit ist weiterhin, dass die meisten Juristen zwar Pothiers Ausführungen zu diesen Fragen zitieren, diese aber als Beleg für die deliktische Haftung missinterpretieren. 317 Das Verständnis von Pothier scheint hier weitestgehend verloren gegangen zu sein, nur wenige stellen auf die Billigkeit als solche ab. Allerdings war eine derartige Begründung unter dem Code civil auch nicht mehr ohne Weiteres möglich: Es waren nun gesetzliche Regelungen vorhanden, die in der Praxis herangezogen werden mussten; Laurent hat dies ja auch betont.318 Der Code civil unterscheidet zudem in Art. 1370 nur noch zwischen vier Entstehungsgründen von Obligationen: Verträge, Quasiverträge, Delikte und Quasidelikte. 319 Offenbar musste die Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss irgendwo zugeordnet werden, denn die Billigkeit erforderte Ersatz. Nun war ein wirksamer Vertrag aber nicht vorhanden, daneben gab es ja aber noch den Art. 1382 Cc als Inbegriff der Billigkeit. Über die näheren Voraussetzungen haben die französischen Juristen dabei möglicherweise gar nicht weiter nachgedacht, sondern einfach auf die aus ihrer Sicht einzige Alternative zur vertraglichen Haftung abgestellt. Das Erfordernis der Rechtsverletzung trat dann gedanklich hinter den Erfordernissen der Billigkeit zurück. 7. Zwischenergebnis zur Behandlung durch die Lehre Die Lehre war in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Code civil zunächst damit beschäftigt, die Voraussetzungen der deliktischen Haftung zu bestimmen. Bestandteile jeder Arbeit waren die Definition von Delikt und Quasidelikt, die Abgrenzung zum Strafrecht und insbesondere die nähere Herausarbeitung der einzelnen Voraussetzungen der Generalklausel: Was war unter der faute und dem fait (illicite) zu verstehen? Schaden und Kausalität hatten demgegenüber nur eine untergeordnete Bedeutung und erhielten keine besondere Aufmerksamkeit. Die Ausführungen waren überwiegend theoretischer Natur. Verweise auf die Rechtsprechung erfolgten zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast gar nicht, weil es kaum Entscheidungen zu den jeweiligen Problemen gab und die Rechtsprechung als solche in der Lehre nicht als Autorität galt. Sofern überhaupt Beispielsfälle angeführt wurden, wurden diese größtenteils entweder erfunden oder von Gelehrten des Ancien droit, insbesondere von Domat, oder aus dem römischen Recht übernommen. Dies betraf vor allem die Grundsätze zum Rechtsgebrauch bzw. dessen Missbrauch. Einen stärkeren Bezug zur Praxis 317
Siehe zu Pothiers Verständnis oben S. 102 ff. Eben S. 183 f. 319 „Certains engagements se forment sans qu’il intervient aucune convention. … Les uns résultent de l’autorité seule de la loi; les autres naissent d’un fait personnel à celui qui se trouve obligé. … Les engagements qui naissent d’un fait personnel à celui qui se trouve obligé, résultent ou des quasi-contrats, ou des délits ou quasi-délits …“. 318
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zeigte dagegen von Anfang an Zachariae. Auch bei ihm (und ebenso in den Übersetzungen von Aubry/Rau und Massé/Vergé) war der Haupttext, also die Erörterung der deliktischen Haftung, sehr generell gehalten. In den Fußnoten zitierte er allerdings Rechtsprechung – in der Regel reihte er die Fundstellen jedoch ohne weitere Ausführungen oder Erklärungen schlicht aneinander. Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen die Verweise auf die Rechtsprechung, und damit aus Sicht der Lehre auch deren Bedeutung, ganz generell zu. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Entscheidungen oder eine kritische Bewertung unternahmen jedoch auch weiterhin nur wenige Juristen, zum Beispiel Sourdat oder Laurent. Dies änderte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts: Zu einzelnen Fragen wie der Haftung bei Arbeitsunfällen oder dem Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung erschienen nun ausführliche Dissertationen und Abhandlungen. Gelehrte Juristen setzten sich auf diese Weise in einer Intensität mit der Rechtsprechung auseinander, wie es in allgemeinen Werken zum Code civil überhaupt nicht möglich war. Dadurch hielten sie mit der aktuellen Entwicklung Schritt und trieben diese sogar selbst mit voran. Um das Verständnis der französischen Juristen vom Umfang der deliktischen Haftung zu erfassen, lassen sich zum einen die theoretischen Erörterungen heranziehen. Aus diesen wird deutlich, dass das Erfordernis einer Rechtsverletzung, grundsätzlich als Bestandteil der faute, im 19. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit darstellte, und dass die meisten Juristen damit ein präzises Konzept verbanden – nämlich die Verletzung subjektiver, klar definierter absoluter Rechte. Ganz ähnlich wie noch im Ancien droit knüpften die Juristen die Haftung an die Verletzung der Person, der Freiheit, des Ansehens, der Ehre sowie des Eigentums. Zwingende Voraussetzung war diesen Darstellungen zufolge also grundsätzlich die Verletzung eines absoluten Rechts, was besonders Toullier hervorhob. Zu dieser Frage selbst fehlten jedoch konkrete Beispiele. Neben der theoretischen Darstellung geben die Verweise auf die Rechtsprechung sowie in anderem Zusammenhang angeführte Beispiele Aufschluss darüber, was aus Sicht der Lehre unter die deliktische Generalklausel fallen sollte. Dabei lassen sich Fallgruppen ausmachen, die in der Praxis offenbar eine hohe Relevanz hatten, was die Anzahl von zitierten Entscheidungen nahelegt: Zum Beispiel Duelle, Feuerschäden, Beeinträchtigungen durch nachbarliche Anlagen, Kunstfehler, Schäden durch wilde Tiere oder Arbeitsunfälle. 320 All diese Fälle lassen sich unproblematisch als Verletzungen des Körpers oder des Eigentums unter die gängige Aufzählung der verletzten Rechte fassen. Von großer Relevanz war daneben aber auch die Haftung von Notaren. Diese passt nicht in gleicher Weise in das bisherige Schema, handelte es sich in diesen Fällen doch in erster Linie um reine Vermögensschäden. Von der Lehre wurde dies nicht weiter problematisiert oder überhaupt erörtert. Allerdings lag 320
Gerade Zachariae zitierte daneben eine Vielzahl weiterer Entscheidungen, die bei anderen Juristen jedoch keine Erwähnung fanden.
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häufig auch ein Verstoß gegen die spezialgesetzliche Regelung vom 25 ventôse XI vor, aus der sich bestimmte Vorgaben für die Form und das Verfahren notarieller Akte ergaben. Ob über diesen Spezialfall hinaus auch generell derartige Verletzungen (ohne dass ein Verstoß gegen eine gesetzliche Anordnung vorlag) ersetzt werden sollten, erscheint allerdings fraglich. In ähnlicher Weise ging es jedoch auch beim Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen häufig um primäre Vermögensschäden. Eine Einbeziehung dieser Fälle unter die Art. 1382 f. Cc würde den Umfang der deliktischen Haftung immens erweitern. Viele Juristen sprachen sich gegen einen Ersatz über die Art. 1382 f. Cc aus. Die Diskussion brach um die Jahrhundertwende jedoch erst richtig auf. Schließlich lässt sich auch die außerhalb der deliktischen Haftung im Vertragsrecht erörterte Problematik des vorvertraglichen Verschuldens nur schwer mit dem Erfordernis der Rechtsverletzung und einem Ausschluss primärer Vermögensschäden im Rahmen der deliktischen Haftung vereinbaren. Allerdings entsteht dabei der Eindruck, dass die Juristen gewisse Schwierigkeiten hatten, diese Fälle in das Haftungsregime einzuordnen: Viele bezogen sich zwar auf die Art. 1382 f. Cc, sahen dabei aber von dem Erfordernis der faute ab und knüpften nur an den fait an. Wie Pothier stellten sie auf die Billigkeit als Fundament der Haftung ab – im Unterschied zu diesem folgerten sie dann allerdings, dass sich der Ersatzanspruch aus der deliktischen Generalklausel als Ausdruck dieser Billigkeit ergeben müsse. Ob die Voraussetzungen im Übrigen erfüllt waren, mag dabei nachrangig gewesen sein: In erster Linie ging es um die Gewährung von Schadensersatz; und da kein Vertrag existierte, blieb nur die deliktische Haftung. Die Billigkeit scheint damit eine gewisse (möglicherweise unbewusste) Aufweichung des im Übrigen hochgehaltenen Erfordernisses der Rechtsverletzung erfordert zu haben. Die Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss wirkt dadurch sowie durch die insgesamt separate und vom Deliktsrecht losgelöste Darstellung wie ein Sonderfall der deliktischen Haftung. Zu einer generellen Aufgabe des Erfordernisses der Rechtsverletzung führte dies jedoch nicht.321 Eine weitere Beschränkung der Haftung erfolgte durch die Theorie vom Gebrauch eigener Rechte. Wer nur von einem eigenen Recht Gebrauch machte, sollte nicht für die Schädigung einer anderen Person haften, auch wenn er deren (absolute) Rechte verletzte – es fehlte in diesen Fällen nämlich am unerlaubten Verhalten (fait illicite). Eine Ausnahme galt jedoch für den Rechtsmissbrauch, den die Literatur darin sah, dass jemand von seinem Recht ohne eigenen Nutzen und nur zur Schädigung Anderer Gebrauch machte.
321 Dies wird auch dadurch deutlich, dass die Ausführungen zur deliktischen Haftung denjenigen zur Haftung für vorvertragliches Verschulden generell zeitlich nachfolgten, viele Autoren gleichwohl aber das Erfordernis der Rechtsverletzung im Rahmen der Art. 1382 f. Cc betonten.
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Insgesamt zeigen die Darstellungen zur deliktischen Haftung, dass die französische Lehre im 19. Jahrhundert die Haftung also durchaus an die Verletzung klar definierter absoluter Rechte knüpfte und den Umfang der Haftung damit in gewisser Weise als beschränkt verstand. II. Rechtsprechungspraxis Aus den Darstellungen in der Lehre lässt sich erkennen, dass die Bedeutung der Rechtsprechung im Verlaufe des 19. Jahrhunderts immer weiter zunahm. Nicht klar wird daraus dagegen, in welchen Fällen die Gerichte die Art. 1382 f. Cc tatsächlich anwendeten und wie sie diese Vorschriften verstanden. Dabei interessiert insbesondere, um welche Verletzungen es typischerweise ging. Ist auch in den Urteilen das Erfordernis einer Rechts(guts-)verletzung erkennbar? Oder hat die Rechtsprechung einfach sämtliche Schädigungen ohne Differenzierung unter die Art. 1382 f. Cc gefasst und entschieden? Dies würde eine gewisse Diskrepanz zwischen der überwiegend theoretischen Erörterung und dem Verständnis der Lehre (sowohl im Ancien droit als auch während des 19. Jahrhunderts) einerseits und der tatsächlichen Anwendung und Interpretation der Rechtsprechung ab 1804 andererseits aufzeigen. Da in den zeitgenössischen Werken konkrete Ausführungen fehlen, ist eine Untersuchung der Urteile erforderlich, um eine Übersicht über die Anwendungsfälle der Art. 1382 f. Cc und damit den Umfang der deliktischen Haftung zu erhalten. 1. Vorbemerkungen zur Analyse Soweit ersichtlich, wurde eine derartige Untersuchung bisher nicht durchgeführt. Dabei zeigt die Analyse der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts deutlich, was die Gerichte in dieser Zeit im Zusammenhang mit der deliktischen Haftung beschäftigt hat und wo die typischen Anwendungsfälle der Art. 1382 f. Cc lagen. a) Untersuchungsgegenstand Die Grundlage für die Untersuchung bilden die Entscheidungssammlungen der höchsten französischen Gerichte, zunächst nur der Cour de cassation, ab dem Jahr 1825 auch der Cours royales/d‘appel: 322 Von 1791 bis 1824 das sogenannte „Journal des audiences de la Cour de cassation, ou recueil des arrêts de 322 Die Bezeichnung der Berufungsgerichte wechselte während des 19. Jahrhunderts. Die Verfassung vom 28 floréal an XII (18 mai 1804) bezeichnete sie als „cours d’appel“, Art. 136. Während des ersten (1810–1814) und zweiten (1852–1870) Kaiserreichs hießen sie „cours impériales“, während der Restauration (1814–1830) und der Julimonarchie (1830–1848) dann „cours royales“ und unter der Republik schließlich wieder „cours d’appel“.
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cette cour“, das ab 1825 unter dem Titel „Jurisprudence générale du royaume, recueil périodique, ou journal des audiences“ weitergeführt wurde. 323 Die Untersuchung beschränkt sich auf diese Entscheidungssammlung. 324 Den Untersuchungsgegenstand bildeten die Urteile, die jeweils am Ende der Sammlung in der Artikeltabelle zu den Art. 1382 f. Cc/ Code Napoléon aufgeführt waren – und in denen die Art. 1382 f. Cc in der Regel im Leitsatz des Gerichts zitiert wurden. 325 Die entscheidende Rechtsfrage in dem jeweiligen Urteil konnte natürlich ganz unterschiedlicher Natur sein. Vielfach beruhten die Entscheidungen nicht nur auf den Art. 1382 f. Cc; das zentrale Rechtsproblem konnte im konkreten Fall auch aus anderen Vorschriften herrühren und die Art. 1382 f. Cc für die Entscheidung nur nebensächlich sein. So ging es oft um prozessuale Fragen wie die Zuständigkeit der (Zivil-)Gerichte (beispielsweise in Fragen mit handelsrechtlichen Bezügen) oder um die Befugnis der Richter der Cour de cassation oder unterer Gerichte zur Feststellung oder Überprüfung von Tatsachen oder Rechtsfragen, aber auch um Fragen der Verjährung, der Verteilung der Beweislast in einem bestimmten Fall, der Haftungsverteilung bei mehreren Verantwortlichen oder der Höhe der Entschädigung etwa bei Mitverantwortlichkeit des Opfers oder bei späterer Verschlimmerung des Zustands. Der Gegenstand der Entscheidung selbst bzw. der Leitsätze des Gerichts war für die Untersuchung somit nebensächlich. Es ging allein um die Frage, worin im Falle deliktischer Haftung die konkrete (Rechts-)Verletzung jeweils bestand. Auf diese Weise lässt sich eine gute Übersicht über die Rechtspraxis gewinnen. 326 323
Herausgeber des „Journal des audiences“ war der jeweilige leitende Gerichtsschreiber der Cour de cassation: Denevers (1791–1813), Jalbert (1814–1816), de Seligny (1817–1819) und Laporte (1820–1821). 1822 übernahm Desiré Dalloz die Herausgabe, zunächst gemeinsam mit Tournemine, ab 1835 dann mit seinem jüngeren Bruder Armand Dalloz. 324 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begründete auch Jean-Baptiste Sirey eine Entscheidungssammlung, den „Recueil général des lois et des arrêts“, in der er die Entscheidungen der obersten französischen Gerichte veröffentlichte. Fortan standen beide Sammlungen in Konkurrenz zueinander; im Jahr 1965 kam es zur Fusion der Recueils Sirey und Dalloz. Im Hinblick auf die Anzahl der zu Art. 1382 f. Cc ergangenen Urteile war es nicht möglich, beide Sammlungen zu untersuchen. Ein kurzer Vergleich zufällig ausgewählter Jahrgänge hat im Hinblick auf Aktualität, Menge und Bedeutung der abgedruckten Entscheidungen keine großen Unterschiede zwischen beiden Sammlungen erkennen lassen. Im Ergebnis gab die lückenlose Verfügbarkeit der „Jurisprudence générale du royaume, recueil périodique, ou journal des audiences“ für das 19. Jahrhundert den Ausschlag für die Untersuchung dieser Sammlung. 325 Aufgrund der hohen Anzahl der ab Ende des 19. Jahrhunderts zu Art. 1382 f. Cc ergangenen Urteile beschränkt sich die Untersuchung ab 1889 auf die Entscheidungen der Cour de cassation. 326 Bei der Beschränkung auf Entscheidungen der Berufungsgerichte und des Kassationsgerichtshofs fehlen der Übersicht zwar „unproblematische“ Entscheidungen unterer Gerichte, die die „Alltagsanwendung“ der Generalklausel noch weitaus besser aufzeigen könn-
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b) Besonderheiten des französischen Urteilsstils Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich den Entscheidungen mangels näherer oder genauer Angaben nicht immer entnehmen ließ, worin die konkrete Verletzung bestand. So konnte sich die Angabe im Urteil auch auf die Formulierung beschränken, der Geschädigte habe durch die Handlung „einen erheblichen Nachteil“ erlitten. 327 Mitunter bringt es auch der Stil der Urteile der Cour de cassation328 mit sich, dass sich der Sachverhalt nicht vollständig erschließen lässt: Das Urteil ist so knapp und konzentriert wie möglich formuliert. 329 Auf die einzelnen Voraussetzungen der Haftung oder die Tatbestandsmerkmale der Art. 1382 f. Cc ging (und geht) der Gerichtshof grundsätzlich nicht ein. Es erfolgte weder eine Erläuterung oder Klarstellung, was zum Beispiel unter dem Begriff faute zu verstehen ist, noch eine Subsumtion. Gerade in der ersten Zeit nach Erlass der neuen Vorschriften hätte man mit derartigen Ausführungen der Gerichte am ehesten rechnen können,
ten – auch so entsteht jedoch eine umfangreiche Übersicht, die diverse wiederkehrende Fallgruppen und typische Verletzungssituationen aufzeigt und damit einen guten Querschnitt zu bieten scheint. Hinzu kommt zudem, dass eine noch weitergehendere Ausweitung der Untersuchung auch vom Umfang her (neben den Schwierigkeiten des Zugangs zu den Entscheidungen unterer Gerichte) im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre: Bereits jetzt umfasst die Untersuchung weit mehr als 1500 Entscheidungen. Während die Anzahl der Entscheidungen zu den Art. 1382 f. Cc in den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten des Code civil noch überschaubar war, ist Mitte der 1850er Jahre und in den folgenden Jahrzehnten jeweils ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. 327 So z.B. in Cass. req., 13.7.1841, D. Jur. gén. 1841, 1, 285. 328 Ausführlich zum Vorgehen der Cour de cassation Jobard-Bachellier/Bachellier/Buk Lament, Technique de cassation. Die Entscheidung der Cour de cassation erfolgt nach wie vor typischerweise in Form eines Syllogismus: Die erste Prämisse besteht aus dem Wortlaut der Norm, also der generellen Regel; die zweite Prämisse beinhaltet die Entscheidung des Gerichts und die Feststellung, ob die Norm unter den Umständen richtig angewendet wurde oder nicht. Daraus folgt als Konsequenz, ob die Entscheidung aufrechterhalten oder verworfen wird: Tunc, La méthode du droit civil, S. 824 f. Abstrakt formuliert stellt sich dies so dar: „Attendu que … (generelle Regel); attendu que la décision qui fait l’objet du pourvoi a décidé … et ainsi correctement/incorrectement appliqué la loi; par ces motifs, rejette le pourvoi/casse la décision“. Bezogen auf die deliktische Haftung kann Cass. civ., 29.12.1828, D. Jur. gén. 1829, 1, 84 als Illustration dienen: „LA COUR: – Vu les art. 1382 et 1383 c. civ.; – Attendu que la Cour royale a formellement reconnu, en droit, qu’aux termes des art. 1382 et 1383 c. civ., chacun est responsable du dommage causé par son imprudence ou sa négligence; en fait, que la négligence du notaire Poytou à se conformer aux dispositions de l’art. 11 de la loi du 25 ventôse an 11, a été la cause du faux par supposition de personne …“. 329 A. Esmein, La jurisprudence et la doctrine, S. 8. Dawson, Oracles of the Law, S. 383, spricht von der „kryptischen“ Sprache in den Urteilen. Der Stil der Urteile lässt sich mit Blick auf die durch die Revolution gebrachten Änderungen erklären: Richter hatten strikt die Gewaltenteilung zu befolgen und waren ausschließlich auf die Anwendung des geschriebenen Rechts beschränkt, siehe Kötz, Scholarship and the Courts, S. 186.
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waren die Normen des Code civil doch auch für diese neu und ungewohnt und bedurften unter Umständen höchstrichterlicher Interpretation und Klarstellung. Auch eine Bezugnahme auf das Erfordernis der Rechtsverletzung sucht man in den Entscheidungstexten der Cour de cassation meist vergeblich. 330 In dieser Hinsicht sind die Entscheidungen der Berufungsgerichte ergiebiger. Zumindest hin und wieder erfolgte dort an einzelnen Stellen der Bezug auf die Verletzung eines Rechts. 331 Die Berufungsgerichte setzten sich ganz generell wesentlich ausführlicher mit der Ersatzpflicht in der Generalklausel sowie seiner naturrechtlichen Begründung und Herkunft auseinander. Während man bei den Entscheidungen der Cour de cassation wenn überhaupt lediglich kurze Einschübe vorfindet,332 erörterten die Cours royales/d’appel diese Fragen vielfach weit detaillierter.333 330
Eine Ausnahme bildete hier allerdings eine Entscheidung aus dem Jahr 1894, siehe Cass. req., 24.12.1894, D. Jur. gén. 1895, 1, 118: „Attendu que la liberté d’user d’un droit qui vous appartient s’arrête lorsqu’elle porte atteinte au droit d’autrui“. [Eigene Hervorhebung] 331 Siehe z.B. CR Paris, 1.8.1835, D. Jur. gén. 1835, 2, 162: In dem Urteil ging es um den Anspruch des Betreibers einer Mühle gegen die Regierung. Diese hatte Arbeiten an einer Brücke durchgeführt, wodurch der Betrieb der Mühle aufgrund verminderter Antriebskraft für längere Zeit nur eingeschränkt möglich war. In der Begründung heißt es: „qu’il en est résulté pour les propriétaires et possesseurs de ces moulins la privation d’une partie des avantages attachés à ces propriétés, avantages qui constituaient pour eux des droits acquis.“ Auch in Cass. crim., 1.9.1832, D. Jur. gén. 1832, 1, 393 und Cass. ch. réun., 15.6.1833, D. Jur. gén. 1833, 1, 241, ging es explizit um die Verletzung eines (durch Gesetz begründeten) Rechts, nämlich des „ausschließlichen Rechts der zugelassenen Apotheker“, eine Apotheke zu betreiben und für diese zu werben (Zulassungserfordernis). 332 Vgl. Cass. req., 23.11.1852, D. Jur. gén. 1852, 1, 264: „… la règle contenue dans l’art. 1382 …, règle générale, principe de droit naturel, qui est une des bases fondamentales de toute législation.“ 333 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1808 – CA Turin, 13.4.1808, Journal des audiences 1809, Supplément, 61 – legte die Cour d’appel de Turin beispielsweise ausführlich dar, inwiefern Spezialbestimmungen des römischen Rechts im neuen Code civil Ausdruck fänden. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es darum, dass ein Mann kurz vor seinem Tod im Jahr 1805 daran gehindert wurde, zugunsten seiner Frau ein Testament zu errichten. Das römische Recht enthielt im Codex Iustinianus einen Abschnitt „si quis aliquem testari prohibuerit vel coegerit“ (Codex Iustinianus, lib. VI, tit. 34) zu Maßnahmen, die im Falle der Beeinträchtigung der Testierfreiheit zu treffen waren. Der Code civil, der an die Stelle des römischen Rechts getreten war, sah keine vergleichbaren Regelungen für diesen speziellen Fall vor. Dies bedeute aber nicht, so das Gericht, dass sich der Code Napoléon damit gegen diese Regeln ausgesprochen hätte – er habe sie vielmehr implizit bestätigt, und zwar in dem generellen Prinzip in Art. 1382 und 1383 Cc. – Auch die Anträge und Begründungen der Parteien oder des Generalanwalts waren eher Stellen, an denen generelle Ausführungen zur deliktischen Haftung oder ihrer naturrechtlichen Begründung erfolgen konnten. Siehe z.B. Cass. req., 18.6.1835, D. Jur. gén. 1835, 1, 300 (S. 302). Dort zitiert der Generalstaatsanwalt zur Erläuterung des Umfangs und der Bedeutung des in Art. 1382 f. Cc kodifizierten generellen Prinzips der Ersatzpflicht in Länge vor allem den
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Weiterhin fehlt in den Entscheidungen der Cour de cassation – bis heute – grundsätzlich jeglicher Bezug zum wissenschaftlichen Diskurs. Anders als insbesondere in deutschen Urteilen wird die Lehre nicht zitiert, und es ist daher nicht erkennbar, inwieweit eine wissenschaftliche Diskussion die Entscheidung beeinflusst hat. 334 Das bedeutet jedoch nicht, dass es einen solchen Einfluss nicht gab – die Lehre hat auch in Frankreich zur Auslegung und Fortbildung des Rechts durch die Gerichte beigetragen. 335 Schließlich fiel bei der Untersuchung der Rechtsprechung auf, wie sich im Laufe der Zeit der Umgang mit Entscheidungen bzw. die Auseinandersetzung mit diesen änderte. In den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten des Code civil enthielten die Sammlungen lediglich die Urteile von Cour de cassation und Cours royales/d’appel als solche. Nur ganz vereinzelt lassen sich dort Fußnoten mit Verweisen finden, und zwar auf frühere Entscheidungen der Gerichte zu den betroffenen Fragen oder auf in den Sammlungen gemachte Anmerkungen von Dalloz.336 Dies änderte sich erst Mitte der 1830er Jahre langsam. 337 Ab 1833 gab Dalloz die Entscheidungssammlungen unter dem Titel „Jurisprudence générale du royaume, recueil périodique et critique de législation, de doctrine et de jurisprudence“ heraus. Schon aus dem Titel lässt sich eine neue Ausrichtung erkennen: Es sollte nicht nur eine periodische, sondern gleichfalls eine kritische Sammlung sein, und zwar nicht nur der Rechtsprechung, sondern auch von Gesetzgebung und Lehre. Zunächst änderte sich nur die Art der Verweise: Zur Rechtsprechung kamen bei den meisten Leitsätzen Verweise auf das entsprechende Stichwort in Dalloz’ „Dictionnaire général et raisonné de législation, de doctrine et de jurisprudence“ hinzu. 1839/1840 war dann aber bereits fast jeder Leitsatz mit Fußnote versehen. Die darin gemachten Ausführungen verwiesen aber nicht mehr nur auf die Rechtsprechung; es handelte sich
„gelehrten und verständigen“ Domat, der das in Art. 1382 und 1383 Cc statuierte Prinzip entwickelt habe (neben dessen Generalklausel ging es im Hinblick auf das Verschulden hauptsächlich um die „ignorance des choses que l’on doit savoir“), daneben auch Pothier und Montesquieu. 334 Malaurie, Réaction de la doctrine, S. 90 f.; Kötz, Scholarship and the Courts, S. 185 f. 335 Malaurie, Réaction de la doctrine, S. 89; Kötz, Scholarship and the Courts, S. 186; Atias, Les méthodes de la science du droit, Nr. 10, sowie unten S. 206 f.: Stimmen in der Literatur wollten die Haftung des Arbeitgebers für Arbeitsunfälle eines Angestellten vertraglich begründen. Die Rechtsprechung hat sich deshalb explizit gegen eine vertragliche Haftung ausgesprochen (freilich ohne Verweis auf die Literatur). 336 Siehe z.B. Cass. req., 18.4.1827, D. Jur. gén. 1827, 1, 205; CR Aix, 11.5.1826, D. Jur. gén. 1827, 2, 1. 337 Dazu, sowie zu der generellen Entwicklung, auch Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 124 f. m.w.N.
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dabei um immer ausführlicher werdende Urteilsanmerkungen oder sogar -besprechungen. 338 Der Umfang der Anmerkungen wuchs kontinuierlich – Mitte/Ende der 1840er Jahre nahmen die Fußnoten und eigenen Bemerkungen der Herausgeber zu den Entscheidungen in vielen Fällen über 3/4 der Seite ein.339 Damit entsteht rein optisch der Eindruck, dass die Entscheidung selbst gar nicht mehr im Mittelpunkt stand. Die Anmerkungen nahmen einen mindestens ebenso großen Platz ein. Die Entscheidungssammlungen wurden so zu regelrechten Kommentaren. Sie waren nicht mehr lediglich ein Sprachrohr für die Praxis der Gerichte, sondern ordneten die Urteile gleichermaßen in die Entscheidungspraxis und den Meinungsstand in der Literatur ein. 2. Fallgruppen Wie gezeigt, war die Lehre mit konkreten Beispielen aus der Praxis eher zurückhaltend. Die Verweise in den Fußnoten betrafen bestimmte Fallgruppen wie Schäden durch Duelle oder wilde Tiere, Arbeitsunfälle oder Fehler von Notaren. Auch die Untersuchung der Rechtsprechung zeigt, dass Situationen dieser Art regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren. Daneben gibt es aber noch eine Vielzahl weiterer Fallgruppen, die mit großer Häufigkeit im Rahmen der Art. 1382 f. Cc eine Rolle spielten.340 Diese lassen sich nach dem jeweils primär verletzten Recht/Rechtsgut sortieren in Verletzungen des Eigentums (a), des Lebens, des Körpers und der Gesundheit (b), des Ansehens und der Ehre (c) und des „Vermögens“ (d). Näherer Erörterung bedarf auch der Ersatz bei der Verletzung von Vertragspflichten im Rahmen der deliktischen Haftung (e).
338 So schon in Cass. req., 7.1.1839, D. Jur. gén. 1839, 1, 8. Es erfolgte eine Einordnung in die bisherige Rechtsprechung (mit abweichenden Urteilen) und eine Darstellung des Meinungsstands in der Literatur (befürwortende und ablehnende Meinungen verschiedener Autoren wie Toullier, Merlin oder Troplong zu der jeweiligen Frage). Außerdem gaben auch die Herausgeber selbst ihre Einschätzung und Bewertung zu der Entscheidung ab. 339 Siehe etwa CR Paris, 16.3.1841, D. Jur. gén. 1843, 2, 137; Cass. req., 7.1.1850, D. Jur. gén. 1850, 1, 5. Für ein weiteres Beispiel zu einer Entscheidung, in der es um Art. 1382 Cc ging, siehe Cass. req., 18.11.1862, D. Jur. gén. 1863, 1, 81. 340 Freilich decken diese nicht alle untersuchten Entscheidungen ab, in denen ein Bezug zu Art. 1382 f. Cc bestand. Die hier aufgeführten Fallgruppen stellen vielmehr typische Situationen dar, die besonders häufig wiederkehrten und daher am besten zeigen, um welche Verletzungen es ging. Die in den Fußnoten zitierten Entscheidungen sind dabei so ausgewählt, dass sie einen Querschnitt durch das 19. Jahrhundert bilden. Damit zeigen sie, ob ein Problem die Gerichte während der gesamten Zeitspanne beschäftigte oder nur bis zu bzw. ab einem bestimmten Zeitpunkt.
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a) Eigentum Verletzungen bzw. Beeinträchtigungen des Eigentums beschäftigten die Gerichte mit Abstand am häufigsten. Das Spektrum an erlittenen Eigentumsverletzungen reichte dabei vom Verlust oder der Zerstörung kleiner beweglicher Gegenstände bis hin zum Wertverlust eines Grundstücks. aa) Beeinträchtigungen nachbarlicher Grundstücke Quelle vieler Eigentumsbeeinträchtigungen waren (Fabrik-)Anlagen oder Maschinen auf dem nachbarlichen Grundstück. Insbesondere in den 1840er Jahren ging es häufig darum, dass ein Nachbar Ersatz für die Beeinträchtigung seines Eigentums verlangte, die durch Ausdünstungen, Lärm oder Rauch einer Fabrik entstand.341 Die Gerichte fuhren hier eine sehr harte Linie: Irrelevant war, dass der Betrieb der Anlage an sich genehmigt war – wo die entstehende Beeinträchtigung das unter Nachbarn hinzunehmende Maß überschritt, begründete dies somit trotz Genehmigung eine Ersatzpflicht. 342 Auch der Betrieb bestimmter Etablissements konnte (mittelbar) zur Verletzung des Eigentums führen: So minderte allein das Einrichten und Führen eines Bordells (maison de tolérance) in der Nachbarschaft die Werte der umliegenden Grundstücke, 343 aber auch durch Theater und Tanzsäle entstanden den Nachbarn häufig gravierende Unannehmlichkeiten, die das hinzunehmende Maß überschritten.344 Daneben erfolgten selbstverständlich auch schlichte Substanzverletzungen, wie zum Beispiel die Beschädigung eines nachbarlichen Gebäudes durch eigene Bauarbeiten.345 341 Cass. civ., 19.7.1826, D. Jur. gén. 1826, 1, 424; CR Douai, 3.2.1841, D. Jur. gén. 1841, 2, 246; Cass. civ., 27.11.1844, D. Jur. gén. 1845, 1, 13; CA Bordeaux, 30.11.1865, D. Jur. gén. 1866, 2, 44; Cass. req., 23.10.1894, D. Jur. gén. 1895, 1, 499. Der bloße Betrieb einer gefährlichen Fabrik begründete keine Ansprüche der Nachbarn, sofern alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden: Cass. civ., 11.11.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 10. 342 Die Ersatzpflicht bestand selbst dann, wenn der Betrieb einer Fabrik beeinträchtigt wurde, die selbst nicht genehmigt war, siehe CR Rouen, 30.6.1841, D. Jur. gén. 1841, 2, 215. Insbesondere Duvergier, De l’étendue du droit de propriété, S. 427 ff., sprach sich gegen diese Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit aus. 343 Ständige Rechtsprechung ab Mitte des 19. Jahrhunderts, CA Besançon, 3.8.1859, D. Jur. gén. 1860, 2, 4; Cass. req., 3.12.1860, D. Jur. gén. 1861, 1, 331; CA Aix, 11.1.1873, D. Jur. gén. 1874, 2, 68; CA Aix, 19.11.1878, D. Jur. gén. 1879, 2, 220; Cass. req., 5.6.1882, D. Jur. gén. 1883, 1, 291. 344 Cass. req., 24.4.1865, D. Jur. gén. 1866, 1, 35: Verschmutzung des Grundstücks durch Theaterbesucher; CI Bordeaux, 21.5.1867, D. Jur. gén. 1869, 2, 59; Cass. req., 17.4.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 253. 345 Cass. req., 2.1.1856, D. Jur. gén. 1856, 1, 88: Abholzen von Bäumen auf dem Nachbargrundstück mit der Behauptung, es seien die eigenen; CI Colmar, 25.7.1861, D. Jur. gén. 1861, 2, 212: Abrutsch von Erde aufgrund ungenügender Vorsichtsmaßnahmen; CA Dijon, 16.5.1876, D. Jur. gén. 1877, 2, 37: Durchführung unterirdischer Arbeiten/Grabungen zum
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Die große Problematik im Hinblick auf nachbarliche Eigentumsverletzungen bestand vor allem darin, zwei an sich je vollumfänglich geschützte Rechtspositionen miteinander in Einklang zu bringen, hieß es doch in Art. 544 Cc: „La propriété est le droit de jouir et disposer des choses de la manière la plus absolue, pourvu qu’on n’en fasse pas un usage prohibé par les lois ou par les réglemens.“ Konnten dem Gebrauch des eigenen Eigentumsrechts im Verhältnis zum nachbarlichen Eigentumsrecht trotz dieser Vorschrift Grenzen gesetzt werden? Die Cour d’appel de Dijon führte dazu in schöner Klarheit aus, dass zumindest die unter Nachbarn gewöhnlicherweise und wechselseitig hinzunehmenden Beeinträchtigungen nicht überschritten werden dürften. 346 Von großer Relevanz waren in diesem Zusammenhang für die Rechtsprechung aber auch die Grundsätze vom Gebrauch eigener Rechte. Von der Lehre in theoretischer Form diskutierte Situationen beschäftigten in ähnlicher Weise die Gerichte: 1. Der Eigentümer eines Grundstücks, auf dem eine Wasserquelle entspringt, nimmt Handlungen vor, durch die die Wasserzufuhr von dieser Quelle beim Nachbarn beeinträchtigt wird. Der Nachbar habe keinen Ersatzanspruch, sofern die Quelle versiege – anders jedoch, wenn das Wasser (dauerhaft) verderbe und dadurch für ihn unbrauchbar werde. 347 2. Wer auf seinem Grundstück ein Gebäude errichte, das dem Nachbarn die Sicht verdecke, mache nur von seinem Eigentumsrecht Gebrauch und werde daher nicht nach Art. 1382 Cc ersatzpflichtig. 348 Auch hier galt jedoch die Grenze des Missbrauchs: Wer eine Handlung nur durchführe, um den Nachbarn zu schädigen und ohne eigenen Nutzen, könne sich nicht auf den Gebrauch seines Rechts berufen.349 Gefordert wurde von Seiten des handelnden Eigentümers zumindest Abbau von Erz; CA Liège, 18.7.1883, D. Jur. gén. 1885, 2, 79: Schiefer stürzt von Bergwerk auf umliegende Häuser; Cass. req., 28.11.1883, D. Jur. gén. 1885, 1, 29: Mistgrube zu nah an Haus des Nachbarn gesetzt; Cass. civ., 1.2.1893, D. Jur. gén. 1893, 1, 181: durch vom Blitz getroffener Schornstein beschädigt Nachbargrundstück. 346 CA Dijon, 16.5.1876, D. Jur. gén. 1877, 2, 37: „Considérant que le droit de propriété, si étendu qu’on veuille le supposer, a nécessairement pour limite l’obligation de respecter le droit d’autrui; que si le propriétaire peut disposer de sa chose de la manière la plus absolue, il n’en est pas moins tenu, dans l’exercice de ce droit, de prendre toutes les précautions nécessaires pour que les propriétés voisines n’en ressentent aucun dommage, ou au moins pour que ce dommage n’excède pas les inconvénients ordinaires et réciproques du voisinage.“ 347 Cass. req., 7.6.1869, D. Jur. gén. 1871, 1, 117; CA Besançon, 6.3.1888, D. Jur. gén. 1889, 2, 223. 348 Cass. civ., 31.7.1855, D. Jur. gén. 1855, 1, 390. 349 So auch in Tribunal de Péronne, 2.12.1836, D. Jur. gén. 1837, 3, 63: Hauseigentümer streicht Wand schwarz ohne eigenen Nutzen, nur um Nachbarn zu schaden. Siehe insbesondere auch Cass. req., 24.12.1894, D. Jur. gén. 1895, 1, 118: „Attendu que la liberté d’user d’un droit qui vous appartient s’arrête lorsqu’elle porte atteinte au droit d’autrui. … le sieur Boixière ne pouvait user du droit qui lui était concédé qu’à la condition de ne pas porter préjudice, sans nécessité, au droit qu’avait le sieur Fieffé …“. [eigene Hervorhebung]
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„la satisfaction d’un intérêt sérieux et légitime.“ 350 Doch auch wo ein derartiges Interesse nachweislich bestand, ordneten einige Gerichte eine Ersatzpflicht an – die Rechtsprechung war in dieser Hinsicht damit restriktiver als viele Stimmen in der Lehre, die dem Eigentumsrecht die größtmögliche Ausdehnung zuteil werden ließen. 351 bb) Feuerschäden Die Praxisrelevanz von Eigentumsverletzungen durch den Ausbruch eines Feuers, das auf nachbarliche Wohnungen oder Häuser übergreift, spiegelt sich in den untersuchten Entscheidungen deutlich wider. In der Regel ging es in den Entscheidungen selbst um Beweisfragen, die in Zusammenhang mit der Verschuldensvermutung in den Art. 1733–1735 Cc entstanden.352 Die Gerichte betonten, dass diese in anderen Konstellationen als im Verhältnis Vermieter gegenüber Mieter (also zum Beispiel Mieter gegenüber Vermieter/Eigentümer; Nachbar gegenüber Mieter) nicht galten; 353 folglich setzte das Bestehen der Ersatzpflicht in diesen Fällen den Nachweis einer faute voraus.354 350
Siehe nur CI Colmar, 2.5.1855, D. Jur. gén. 1856, 2, 10: „… cependant l’exercice [du droit de propriété, S.W.], comme celui de tout autre, doit avoir pour limite la satisfaction d’un intérêt sérieux et légitime; que les principes de la morale et de l’équité s’opposent à ce que la justice sanctionne une action inspirée par la malveillance, accomplie sous l’empire d’une mauvaise passion, ne se justifiant par aucune utilité personnelle et portant un grave préjudice à autrui.“ 351 Siehe die Anmerkung zu der Entscheidung CI Colmar, 2.5.1855, D. Jur. gén. 1856, 2, 10 m.w.N. in Fn. 2; Halpérin, French doctrinal writing, S. 83. Die CI Colmar ging sogar so weit, die Schädigung Anderer überhaupt als Grenze des Eigentumsrechts zu ziehen, siehe D. Jur. gén. 1861, 2, 212 (25.7.1861): „[Q]uelle que soit l’étendue du droit de propriété … ce droit a toujours pour limite l’obligation de ne pas nuire à autrui, principe sanctionné par la disposition générale de l’art. 1382 du code précité; … relativement aux tiers, à l’exercice de ces droits correspond l’obligation de prendre toutes les mesures nécessaires pour ne point nuire au voisin“. 352 Siehe dazu auch oben S. 170. 353 Illustrativ Cass. civ., 4.6.1889, D. Jur. gén. 1890, 1, 351. Die CR Toulouse dehnte diese Vermutung in einer Entscheidung vom 15.5.1837 auch auf den Nießbraucher aus: D. Jur. gén. 1837, 2, 134. 354 In D. Jur. gén. 1826, 2, 6 (6.7.1825) erörterte die CR Pau anschaulich die Geltung der deliktischen Generalklausel in diesem Fall und unterschied die neue Rechtslage von der des römischen Rechts, wo es spezielle Regelungen für diesen Fall gegeben hatte: Es wurde dort vermutet, dass die Bewohner einer Wohnung für den Ausbruch eines Feuers verantwortlich waren. Im Code civil gelte eine ähnliche Vermutung nur im Verhältnis Vermieter und Mieter. Siehe im Übrigen Cass. civ., 11.4.1831, D. Jur. gén. 1831, 1, 123: Verhältnis Mieter zueinander; CR Douai, 27.12.1844, D. Jur. gén. 1845, 2, 102; Cass. civ., 7.5.1855, D. Jur. gén. 1855, 1, 165; CI Lyon, 18.1.1861, D. Jur. gén. 1861, 2, 182: die Vermutung gelte nicht, wenn die Wohnung, in der das Feuer ausgebrochen sei, von dem Eigentümer und dem Mieter gemeinsam genutzt werde; CI Agen, 30.3.1866, D. Jur. gén. 1866, 2, 92: keine Anwendung der Vermutung zwischen benachbarten Eigentümern; CI Paris, 1.4.1868, D. Jur. gén. 1868,
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cc) Bergbau und Minen Obwohl die industrielle Revolution in Frankreich nach der Revolution wesentlich langsamer vonstattenging als in England, lässt sich auch in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts die Bedeutung bestimmter Tätigkeiten für die Wirtschaft erkennen. Der Abbau von beispielsweise Kohle und Erz begründete in deliktsrechtlicher Hinsicht eine Vielzahl von negativen Folgen für die Bevölkerung, sei es im Hinblick auf die Gesundheit der Arbeiter, 355 sei es vor allem wegen Eigentumsverletzungen aufgrund von Minen. Bereits 1810 wurde ein spezielles Gesetz erlassen, das rechtliche Fragen des Betriebs einer Mine sowie etwaiger Entschädigungszahlungen an betroffene Eigentümer regelte („MinenG“).356 In den vor die Gerichte gebrachten Fällen bestanden die Eigentumsverletzungen typischerweise in Beschädigungen der Oberfläche oder in Nutzungseinschränkungen eines Grundstücks, unter dem gegraben wurde,357 oder in anderen auf den Abbau zurückzuführenden beeinträchtigenden Folgen für die Eigentümer, wie das Versiegen einer Wasserquelle. 358 Die Vorschriften des Minengesetzes modifizierten die generelle Haftung nach Art. 1382 f. Cc, insbesondere im Hinblick auf die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes. 359 2, 85; CA Riom, 30.5.1881, D. Jur. gén. 1882, 2, 38: Vermutung gilt nur zugunsten des Vermieters; Cass. req., 19.6.1895, D. Jur. gén. 1895, 1, 480: Ursache für Feuer und Ort des Ausbruchs können nicht festgestellt werden. 355 Siehe dazu noch unten Fn. 399. 356 Loi du 21 avril 1810 concernant les mines, les minières et les carriers, Bulletin des Lois, 1810, Nr. 285. Ausführlich dazu auch in der Fn. zu CI Grenoble, 20.3.1861, D. Jur. gén. 1861, 2, 185. Der Betrieb einer Mine bedurfte gem. Art. 5 MinenG der Konzession. Durch die Konzession wurde Eigentum an der Mine begründet bzw. vergeben (Art. 7 MinenG), und von diesem Moment an war das Eigentum an der Mine vom Eigentum an der Oberfläche des Grundstücks zu unterscheiden (und konnte damit verschiedenen Personen zustehen), Art. 19 MinenG. 357 Siehe z.B. Cass. req., 3.8.1843, D. Jur. gén. 1843, 1, 481; Cass. req., 16.11.1852, D. Jur. gén. 1853, 1, 189; CI Lyon, 5.8.1858, D. Jur. gén. 1859, 2, 7; Cass. civ., 4.8.1863, D. Jur. gén. 1863, 1, 353, insbesondere auch zur vorherigen Rechtsprechung; Cass. req., 7.4.1868, D. Jur. gén. 1868, 1, 217; CA Nancy, 3.8.1877, D. Jur. gén. 1880, 2, 39; Cass. req., 5.12.1887, D. Jur. gén. 1888, 1, 205; Cass. civ., 25.2.1890, D. Jur. gén. 1890, 1, 473. 358 CA Liège, 10.1.1867, D. Jur. gén. 1871, 2, 145 sowie Cass. req., 12.8.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 369: Der Konzessionär einer Mine habe ab der Konzession Rechte wie ein Eigentümer und der Nachbareigentümer könne keinen Schadensersatz verlangen, wenn eine Quelle bei ihm versiege; die Quelle sei bei ihm ein zufälliger Umstand, von dem er profitiere. Ausführlich dazu auch in der Fn. Einen Schadensersatzanspruch bejahen dagegen CA Riom, 21.2.1881, D. Jur. gén. 1881, 2, 133; Cour de cassation de Belgique, 15.4.1885, D. Jur. gén. 1885, 2, 275: allerdings nur bei Versiegen in unmittelbarer Nachbarschaft. 359 So war festgelegt, dass die Eigentümer der Oberfläche in bestimmten Fällen sogar das Doppelte des Grundstückswerts vor der Konzession als Entschädigung von dem Konzessionär der Mine verlangen konnten (Art. 43 MinenG); dauerte der Abbau, und damit verbunden die Nutzungseinschränkung beim Oberflächeneigentümer, länger als ein Jahr oder war die Oberfläche nach dem Abbau nicht mehr für ihre ursprüngliche Nutzung (z.B. Pflanzenanbau)
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dd) Kaninchen, Wild Eine aus heutiger Sicht etwas kuriose Fallgestaltung beschäftigte die Gerichte während des 19. Jahrhunderts in einer Regelmäßigkeit wie kaum eine andere: Eigentumsverletzungen durch wilde Tiere, insbesondere durch Kaninchen. 360 In der Regel ging es in diesen Fällen darum, dass wilde Tiere, die sich in einem Wald oder auf einem anderen Gelände angesiedelt hatten, auch auf das angrenzende Nachbargrundstück hinüberkamen und dort Schäden anrichteten. Die Ersatzpflicht nach Art. 1382 f. Cc traf denjenigen, der den nächsten Zugriff auf das Grundstück hatte, auf dem sich diese Tiere ansiedelten: den Eigentümer, einen Pächter oder aber den Inhaber eines Jagdrechts 361 in dem betroffenen Bereich. Doch worin bestanden nun aber die faute bzw. der fait illicite der verantwortlichen Person? Die Ausführungen der Gerichte waren hier zum Teil sehr ausführlich. Im Gegensatz zu den Verweisen in der Lehre 362 diskutierten sie die Anwendbarkeit des Art. 1385 Cc363 grundsätzlich nicht und stellten direkt auf die Art. 1382 f. Cc ab. Da es sich um wilde Tiere handelte, die diese Person in den meisten Fällen auch nicht selbst angelockt hatte, konnten diese Tiere weder zum Eigentum gerechnet werden noch standen sie unter dem direktem Einfluss oder der Direktion der verantwortlichen Person. Einer Haftung nach Art. 1382 f. Cc sollte dies nicht im Wege stehen – erforderlich war jedoch ein zurechenbares Verhalten, durch das der Schaden beim Nachbarn hervorgerufen wurde, eine faute. Die Gerichte knüpften die Haftung daran, dass der Grundstückseigentümer, Pächter oder Jagdberechtigte bisher keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hatte, um die Schäden beim Nachbarn zu verhindern; insbesondere, dass er die Vermehrung der Kaninchen durch Passivität oder sogar durch die aktive Herstellung einer günstigen Umgebung gefördert hatte. 364 Eine Entlastung war zum Beispiel durch den Nachweis regelmäßiger Jagden verwendbar, konnte vom Konzessionär sogar der Kauf der beschädigten Fläche für mindestens den doppelten Preis des ursprünglichen Wertes verlangt werden (Art. 44 MinenG). 360 Vor allem in den 1870er und 1880er Jahren nahmen derartige Eigentumsverletzungen noch einmal erheblich zu. 361 Cass. req., 16.5.1881, D. Jur. gén. 1882, 1, 14; Cass. req., 3.12.1890, D. Jur. gén. 1891, 1, 105. 362 Oben S. 175. 363 Siehe oben Fn. 254. 364 Siehe nur (für eine Auswahl) Cass. sec. req., 3.1.1810, Journal des audiences 1810, 38; Cass. sec. req., 14.9.1816, D. Jur. gén. 1817, 82; Cass. req., 13.1.1829, D. Jur. gén. 1829, 1, 102; Cass. req., 2.1.1839, D. Jur. gén. 1839, 1, 103; Cass. req., 7.3.1849, D. Jur. gén. 1849, 1, 149; Cass. req., 10.6.1863, D. Jur. gén. 1863, 1, 369; Cass. req., 10.12.1877, D. Jur. gén. 1878, 1, 319; Cass. req., 7.11.1881, D. Jur. gén. 1883, 1, 84. Dem stand es gleich, dass selbst nicht alle Maßnahmen ergriffen wurden, der Nachbar aber gleichwohl nicht das Recht bekam, eigene Jagden durchzuführen: Cass. civ., 17.8.1880, D. Jur. gén. 1881, 1, 176; Cass. req., 29.10.1889, D. Jur. gén. 1890, 1, 432; Cass. civ., 29.6.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 110. Die Anzahl der Kaninchen muss exzessiv sein: Cass. civ., 27.12.1898, D. Jur. gén. 1899, 1, 383.
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möglich – selbst wenn der Verantwortliche diese nicht selbst durchführte, sondern lediglich dem Nachbarn und anderen Personen zu diesem Zweck Zutritt zum Grundstück gewährte. 365 ee) Gewerbliches/geistiges Eigentum Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erhielten die Art. 1382 f. Cc weitere Anwendungsfälle. Immer häufiger ergingen Entscheidungen zur zunehmend wichtigen „propriété industrielle“, dem gewerblichen Eigentum im weitesten Sinne. Die Verletzungshandlungen waren ganz unterschiedlicher Natur und reichten von der Nachbildung von Etiketten, Flaschen oder Mustern,366 der Verwendung einer fremden Marke, 367 eines zu ähnlichen Namens 368 oder der Nachbildung der äußeren Gestaltung eines Ladens 369 über die Täuschung über errungene Qualifikationen und Eigenschaften, 370 die öffentliche Kritik an einem Konkurrenten oder an dessen Produkten (zum Beispiel in Werbebroschüren) 371 bis hin zur Preisgabe von Firmeninterna/Produktionsgeheimnissen. 372 Eine angelehnte Kategorie stellten die Verletzung geistigen Eigentums („propriété littéraire“)
365 Cass. req., 19.3.1883, D. Jur. gén. 1884, 1, 56. Auch der Beweis, dass die Vermehrung nicht begünstigt oder sogar zu verhindern versucht wurde, ließ die Haftung entfallen: Cass. req., 19.7.1859, D. Jur. gén. 1860, 1, 425; Cass. civ., 4.12.1867, D. Jur. gén. 1867, 1, 456; Cass. req., 15.1.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 212; Cass. req., 3.2.1880, D. Jur. gén. 1880, 1, 304; Cass. req., 3.6.1885, D. Jur. gén. 1886, 1, 376; Cass. civ., 2.2.1898, D. Jur. gén. 1898, 1, 174. Lediglich ein Urteil erging in Abweichung von dieser gefestigten Rechtsprechung: Cass. civ., 28.6.1870, D. Jur. gén. 1870, 1, 311. 366 CI Lyon, 15.1.1851, D. Jur. gén. 1854, 2, 137; CA Lyon, 14.4.1883, D. Jur. gén. 1884, 2, 131; Cass. civ., 16.1.1889, D. Jur. gén. 1889, 1, 236: Druck von industriellen Etiketten (Imitation einer bestehenden Marke). 367 Cass. civ., 12.1.1856, D. Jur. gén. 1856, 1, 392; Cass. req., 1.6.1874, D. Jur. gén. 1875, 1, 12; Cass. req., 17.6.1884, D. Jur. gén. 1884, 1, 416; CA Rouen, 5.6.1883, D. Jur. gén. 1884, 2, 177: dort in der Fn. auch ausführlich zu Marken; CA Bordeaux, 19.7.1886, D. Jur. gén. 1887, 2, 108: Fälschung einer Marke; Cass. req., 10.1.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 119: große Ähnlichkeit erforderlich. 368 Cass. req., 18.11.1862, D. Jur. gén. 1863, 1, 81 – in dieser Entscheidung wurden auch ausführlich die Grundsätze zum Rechtsgebrauch erörtert; CA Paris, 5.3.1868, D. Jur. gén. 1870, 2, 53; Cass. req., 27.3.1877, D. Jur. gén. 1877, 1, 362; Cass. req., 15.7.1879, D. Jur. gén. 1880, 1, 80; CA Alger, 22.2.1888, D. Jur. gén. 1889, 2, 254. 369 CI Paris, 29.12.1852, D. Jur. gén. 1853, 2, 163. 370 Cass. req., 4.5.1868, D. Jur. gén. 1869, 1, 288: Händler rühmt sich einer Auszeichnung, die er nicht hat; ebenso CA Paris, 12.5.1865, D. Jur. gén. 1866, 2, 131: die Konkurrenz kann das Unterlassen derartiger Äußerungen verlangen. 371 CA Paris, 2.4.1869, D. Jur. gén. 1871, 2, 97: Unternehmer stellt Konkurrenten öffentlich als lächerlich dar; CA Aix, 12.3.1871, D. Jur. gén. 1871, 2, 134: Konkurrenzprodukte werden als sekundär abgestuft. 372 CA Grenoble, 27.5.1872, D. Jur. gén. 1873, 2, 44; Cass. req., 21.7.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 310.
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sowie Copyright- und Urheberrechtsverstöße dar.373 Immer ging es darum, dass ein Konkurrent durch die Verletzung des gewerblichen Eigentums einen Nachteil erlitt, weshalb die Gerichte in diesen Fällen auch das Vorliegen unlauteren Wettbewerbs („concurrence déloyale“) prüften. 374 Dies setzte jedoch ein vorsätzliches, böswilliges Handeln voraus, 375 was in vielen Fällen nicht feststellbar war. Gleichwohl konnte das Handeln eine faute im Sinne der Art. 1382 f. Cc darstellen: imprudence genügte insofern. Neben der Verletzung gewerblichen/geistigen Eigentums ging es in diesen Fällen zudem bisweilen auch um die Verletzung des Ansehens oder der Ehre. ff) Sonstige Eigentumsverletzungen Neben diesen speziellen Fallgruppen traten Eigentumsverletzungen aber auch in ganz alltäglichen Situationen auf: Beim Transport mit (öffentlichen) „Verkehrsmitteln“ (insbesondere Postkutsche, Eisenbahn, Schiffe) gingen Sachen verloren oder wurden beschädigt, und das durchführende Unternehmen haftete selbstverständlich für den Verlust oder die Beschädigung des Eigentums. 376
373 Nachdem mit der Revolution alle Privilegien abgeschafft worden waren (ein solches [königliches] Privileg erhielt auch der Autor eines Werkes: es berechtigte ihn zur Veröffentlichung), statteten u.a. die Gesetze vom 13–19 janvier 1791 (loi relative aux spectacles) und 19 juillet–9 août 1791 (loi relative aux droits des auteurs dramatiques) die Urheber dramatischer Werke mit Rechten aus. – CR Paris, 25.11.1836, D. Jur. gén. 1837, 2, 13: Zeitung reproduziert literarische Texte, die bereits in anderer Zeitschrift veröffentlicht wurden; CA Paris, 26.4.1851, D. Jur. gén. 1852, 2, 178. Siehe zur Natur der propriété littéraire insbesondere auch Cass. civ., 21.8.1867, D. Jur. gén. 1867, 1, 369: propriété littéraire als droit absolu; Cass. req., 6.11.1872, D. Jur. gén. 1874, 1, 493. 374 Um unlauteren Wettbewerb ging es zum ersten Mal unter Apothekern in Cass. ch. réun., 15.6.1833, D. Jur. gén. 1833, 1, 241; siehe dazu auch Halpérin, French doctrinal writing, S. 79. Zum Begriff der „concurrence déloyale“ siehe insbesondere die Fn. zu CA Lyon, 14.4.1883, D. Jur. gén. 1884, 2, 131: „[T]ous les actes pratiqués de mauvaise foi dans le but d’établir une confusion entre les produits de deux industriels ou de deux commerçants et qui l'ont établie.“ Cass. civ., 27.7.1892, D. Jur. gén. 1892, 1, 464; Cass. req., 30.1.1894, D. Jur. gén. 1894, 1, 108; Cass. req., 28.11.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 47: Bestechung von Mitarbeitern zum Eröffnen einer Konkurrenzfirma. 375 Siehe dazu auch CA Alger, 22.2.1888, D. Jur. gén. 1889, 2, 254. Wie gezeigt, begannen sich die allgemeinen Werke zum Code civil damit allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. 376 CR Rouen, 3.5.1844, D. Jur. gén. 1844, 2, 185; Cass. req., 19.11.1881, D. Jur. gén. 1882, 1, 70; Cass. civ., 29.3.1886, D. Jur. gén. 1887, 1, 480. – Keine Haftung bestand dagegen, wenn die Beschädigung einer Sache durch die Sache selbst oder einen Mangel der Sache erfolgte: Cass. civ., 25.8.1875, D. Jur. gén. 1876, 1, 309; Cass. civ., 20.2.1878, D. Jur. gén. 1879, 1, 171; wenn der Zwischentransporteur die Sachen schon beschädigt erhalten hatte: Cass. ch. réun., 22.7.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 207; dies gilt jedoch nicht für äußere Schäden (diese hätten erkannt und beanstandet werden müssen): CA Rouen, 26.5.1873, D. Jur. gén. 1876, 2, 52. Eine Eisenbahngesellschaft machte sich auch verantwortlich gegenüber
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Die Art. 1953 f. Cc sowie 1782, 1784 Cc377 modifizierten die Haftung dabei insofern, als das Verschulden des Frachtführers vermutet wurde: Er konnte sich lediglich durch den Nachweis eines cas fortuit oder von force majeure exkulpieren.378 Allerdings hatte die Verwendung einer clause de non-responsabilité eine Beweislastumkehr zur Folge: Die geschädigte Person musste die faute des Transporteurs beweisen. 379 Im Ergebnis entsprach die Beweislast damit wieder der in den Art. 1382 f. Cc; dabei fällt jedoch auf, dass die Gerichte hier explizit auf den Vertrag abstellten, was sie im Übrigen in vergleichbaren Situationen grundsätzlich nicht taten. Mit dem Verlust von Gegenständen hatten die Gerichte häufig auch im Zusammenhang mit der Lagerung von Sachen zu tun. 380 Die Unachtsamkeit von Kapitänen brachte Schiffe zum Kollidieren oder sogar zum Sinken und führte dadurch Schaden herbei. 381 Bauwerke und Häuser stürzten aufgrund mangelhafter Planung und Konstruktion ein, was die Haftung des dem Absender einer Ware, wenn sie diese an eine dritte Person verkaufte, nachdem der Empfänger die Annahme verweigert hatte: Cass. civ., 16.11.1881, D. Jur. gén. 1882, 1, 160; Cass. ch. réun., 10.5.1886, D. Jur. gén. 1887, 1, 29. Ebenso haftete sie bei der Auslieferung von Waren an einen unbefugten Dritten statt an den Empfänger: Cass. req., 18.8.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 63. Wer allerdings (ohne Bekanntgabe) entflammbare Materialien mit dem Zug transportieren ließ, haftete selbst gegenüber der Eisenbahngesellschaft für dadurch verursachte Schäden (Feuer, Explosion): Cass. civ., 8.5.1883, D. Jur. gén. 1883, 1, 446; Cass. civ., 12.7.1893, D. Jur. gén. 1895, 1, 145. 377 Siehe insbesondere Art. 1782 Cc: „Les voituriers par terre et par eau sont assujettis, pour la garde et la conservation des choses qui leur sont confiées, aux mêmes obligations que les aubergistes, dont il est parlé au titre "Du dépôt et du séquestre." Sowie Art. 1784 Cc: „Ils sont responsables de la perte et des avaries des choses qui leur sont confiées, à moins qu'ils ne prouvent qu'elles ont été perdues et avariées par cas fortuit ou force majeure.“ 378 Siehe bereits Cass. sec. civ., 6.2.1809, Journal des audiences 1809, 127; Cass. sec. civ., 29.3.1814, D. Jur. gén. 1814, 358; Cass. req., 16.4.1828, D. Jur. gén. 1828, 1, 212: Koffer bei Reise verloren; CR Paris, 7.7.1832, D. Jur. gén. 1832, 2, 222: Verlust von Frachtgut; CR Paris, 3.3.1831, D. Jur. gén. 1833, 2, 17: Diebstahl von Fracht während des Transports; Cass. civ., 1.5.1855, D. Jur. gén. 1855, 1, 157: während Kutschfahrt gehen Sachen verloren; Geschädigter muss keine faute beweisen, sondern Kutscher muss sich entlasten (cas fortuit, force majeure). Ähnlich Cass. req., 8.8.1872, D. Jur. gén. 1874, 1, 36: Haftung einer Eisenbahngesellschaft für verloren gegangene Sachen. 379 Eisenbahngesellschaften verwendeten häufig derartige Klauseln, siehe nur Cass. civ., 9.4.1883, D. Jur. gén. 1884, 1, 20; Cass. req., 15.3.1882, D. Jur. gén. 1884, 1, 192. Einen vollständigen Haftungssauschluss konnten sie damit allerdings nicht erreichen. 380 CR Paris, 20.8.1825, D. Jur. gén. 1826, 2, 54: Entwendung gepfändeter Sachen, Haftung des Gerichtsvollziehers; ebenso Cass. req., 18.4.1827, D. Jur. gén. 1827, 1, 205; CR Paris, 7.5.1838, D. Jur. gén. 1838, 2, 157: Diebstahl in Hotel; Cass. req., 11.1.1869, D. Jur. gén. 1869, 1, 208: Diebstahl in Herberge, ungenügende Sicherung; Cass. req., 21.7.1879, D. Jur. gén. 1880, 1, 381: Entwendung von Sachen aus einem Lagerhaus; Cass. req., 4.8.1884, D. Jur. gén. 1884, 1, 454: Eisenbahngesellschaft haftet für die Beschädigung gelagerter Sachen. 381 Cass. req., 7.7.1835, D. Jur. gén. 1835, 1, 388; Cass. req., 14.1.1851, D. Jur. gén. 1852, 1, 134; CI Aix, 23.12.1857, D. Jur. gén. 1858, 2, 39: Zusammenstoß zweier Schiffe aufgrund
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Architekten und/oder des Bauunternehmers nach sich zog. 382 Obwohl zwischen Schädiger und verletzter Person immer eine vertragliche Beziehung (Transportvertrag, Arbeitsvertrag, Werkvertrag, Aufbewahrungsvertrag) bestand, aus der eine Pflicht verletzt wurde, stützten die Gerichte die Haftung ohne Diskussion auf die Art. 1382 f. Cc.383 b) Leben, Körper, Gesundheit Verglichen mit den materiellen Auswirkungen der Eigentumsverletzungen waren Verletzungen des Körpers oder sogar des Lebens für die Betroffenen freilich viel unmittelbarer spürbar. Neben den im Folgenden dargestellten besonderen Situationen ereigneten sich natürlich auch im Alltag zwischen Privaten Situationen, aus denen – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – die körperliche Verletzung einer anderen Person resultierte. 384 Im Zusammenhang mit Körperverletzungen waren insbesondere auch der Kreis der Ersatzberechtigten sowie das Verhältnis von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Verurteilung zueinander immer wiederkehrende Fragen (dazu unter dd) und ee)). aa) Duelle Die haftungsrechtlichen Folgen des Duellierens bildeten vornehmlich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Gegenstände der Rechtsprechung. Für die Angehörigen des Verstorbenen (Ehefrau, Kinder, Eltern) stellte es einen erheblichen Verlust dar, wenn ihr Versorger dabei tödliche Verletzungen erlitt. Anknüpfend an die Verletzung seines Lebens konnten sie ihren eigenen Schaden geltend machen, der durch die Tötung mittelbar hervorgerufen worden
mangelnder Beleuchtung; Cass. req., 25.2.1874, D. Jur. gén. 1876, 1, 33: Haftung eines Abschleppunternehmers für Schäden an Schiff und Waren; CA Rouen, 7.8.1873, D. Jur. gén. 1876, 2, 24; Cass. civ., 2.6.1886, D. Jur. gén. 1886, 1, 460: Schiff sinkt beim Abschleppen; Cass. req., 5.4.1886, D. Jur. gén. 1887, 1, 219; CA Paris, 16.4.1886, D. Jur. gén. 1887, 2, 54: Haftung des Abschleppers nach Art. 1382 f. Cc; Cass. req., 31.12.1894, D. Jur. gén. 1895, 1, 358; Cass. civ., 30.11.1898, D. Jur. gén. 1899, 1, 74: Schiff sinkt. 382 CR Pau, 30.3.1845, D. Jur. gén. 1845, 2, 124; Cass. req., 1.12.1868, D. Jur. gén. 1872, 1, 65; Cass. req., 25.3.1874, D. Jur. gén. 1874, 1, 285; Cass. req., 6.2.1888, D. Jur. gén. 1888, 1, 201; Cass. req., 29.3.1893, D. Jur. gén. 1893, 1, 289; Cass. civ., 10.6.1898, D. Jur. gén. 1898, 1, 367. 383 Näher dazu S. 219 ff. 384 Siehe z.B. CI Lyon, 21.5.1855, D. Jur. gén. 1856, 2, 35: Verletzung durch einstürzende Mauer; CI Montpellier, 31.5.1866, D. Jur. gén. 1867, 2, 3: Mann schlägt Ehefrau; Cass. civ., 27.5.1868, D. Jur. gén. 1868, 1, 404: Passant wird durch Bauarbeiten am Haus verletzt; CA Aix, 6.1.1871, D. Jur. gén. 1871, 2, 45: Unfall durch zu schnelle Kutsche; Cass. crim., 7.11.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 95: Reitunfall durch überholendes Gespann; Cass. crim., 18.6.1885, D. Jur. gén. 1887, 1, 94: Schlag mit Gewehr.
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war.385 Auf die strafrechtliche Beurteilung kam es dabei nicht an. 386 Wie gezeigt, setzte sich auch die Lehre genau mit dieser Thematik auseinander.387 bb) Unfälle durch öffentliche Verkehrsmittel So viel Erleichterung und Fortschritt Verkehrsmittel wie Kutschen oder die Eisenbahn brachten, so sehr barg ihre Benutzung gerade zu Beginn auch Risiken für das körperliche Wohlergehen der Fahrgäste. Postkutschen fuhren oft zu schnell, oder die Kutscher waren unaufmerksam und gefährdeten dadurch sowohl die Fahrgäste als auch Passanten am Wegesrand. 388 Ab den 1870er Jahren nahm insbesondere die Bedeutung von Eisenbahnen zu, was sich deutlich auch in der Rechtsprechung widerspiegelte. Neben den typischen Körperverletzungen, die Unfälle mit einer Eisenbahn mit sich bringen konnten, 389 hafteten die Eisenbahngesellschaften auch für solche Verletzungen, die im Zusammenhang mit dem Betrieb an sich sowie den äußeren Begebenheiten entstanden. 390 Im Jahr 1884 stellte die Cour de cassation klar, dass sich die Haftung für die Beförderung von Personen nach den Art. 1382 f. Cc richte, mit der Folge, dass der Geschädigte eine faute des Schädigers nachweisen müsse. 391 Diese Entscheidung stieß in der Wissenschaft auf heftige Kritik. 392 Die Haftung für die Beförderung von Personen gestalte sich damit weniger streng als die für die 385 Cass. crim., 29.6.1827, D. Jur. gén. 1827, 1, 286; CR Bordeaux, 15.4.1835, D. Jur. gén. 1835, 2, 123; Cass. req., 30.6.1836, D. Jur. gén. 1836, 1, 250. Bei den Angehörigen handelte es sich folglich um sog. „victimes par ricochet“. Siehe dazu ausführlich unten S. 312. 386 Cass. crim., 29.6.1827, D. Jur. gén. 1827, 1, 286; Cour d’assises de Basse-Pyrénées, 13.8.1837, D. Jur. gén. 1838, 2, 1. 387 Siehe oben Fn. 222 f. Auf weitere Ausführungen wird an dieser Stelle daher verzichtet. 388 CR Paris, 20.6.1836, D. Jur. gén. 1836, 2, 122; Cass. req., 30.1.1844, D. Jur. gén. 1844, 1, 128; Cass. req., 22.11.1848, D. Jur. gén. 1848, 1, 252; CI Bordeaux, 12.8.1859, D. Jur. gén. 1859, 2, 216; CA Aix, 6.1.1871, D. Jur. gén. 1871, 2, 45. 389 Cass. req., 4.3.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 327: Schadensersatz für Witwe und Kinder des bei einem Unfall mit der Eisenbahn Getöteten; CA Bourges, 19.2.1872, D. Jur. gén. 1872, 2, 76; Cass. civ., 22.7.1890, D. Jur. gén. 1891, 1, 176; Cass. req., 1.5.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 558. 390 Cass. req., 10.5.1870, D. Jur. gén. 1871, 1, 140: Unfall bedingt durch die Beschaffenheit des Bahnhofs; Cass. civ., 12.6.1888, D. Jur. gén. 1889, 1, 141: Bahnübergang nicht sorgfältig/vorschriftsmäßig bewacht, Zug überfährt überquerenden Fußgänger. Unvorsichtigkeit der verletzten Person befreite die Eisenbahngesellschaft nicht von der Haftung, siehe Cass. civ., 10.11.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 433: Fahrgast verlässt den Zug, obwohl das anliegende Gleis noch nicht frei ist, und wird dabei von anderem Zug erfasst. 391 Cass. civ., 10.11.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 433. Die Cour de cassation bestätigte damit die Rechtsprechung der CA Amiens vom 29.12.1881, D. Jur. gén. 1882, 2, 163. 392 Siehe Sarrut, Compte-rendu, S. 138 f.; Sainctelette, Responsabilité et garantie, S. 89 ff., sowie die Anm. zu D. Jur. gén. 1892, 2, 557 m.w.N. zum Meinungsstand in der Literatur.
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Beförderung von Waren, für die nach der Spezialregelung in Art. 1784 Cc, wie oben gezeigt,393 das Verschulden des Frachtführers vermutet wurde – was für die Geschädigten natürlich eine große Erleichterung bedeutete. Diese Schlechterstellung geschädigter Personen, so die Literatur, sei nicht gerechtfertigt, denn in diesem Fall liege ebenso ein Beförderungsvertrag vor, so dass auch hier die vertraglichen Maßstäbe Anwendung finden könnten. 394 Sarrut warf den Gerichten vor, vertragliche und deliktische faute zu verwechseln – hier gehe es allein um die vertragliche. 395 Auch wenn die Spezialvorschrift in Art. 1784 Cc zwar keine Anwendung findet, so sind nach Rouard de Card aber die allgemeinen vertraglichen Regeln anwendbar (Art. 1147, 1148 Cc).396 Trotz der deutlichen Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahr 1884 gab es allerdings auch in der Rechtsprechung keine klare Linie: Einige Gerichte begründeten die Haftung vertraglich – sogar unter explizitem Ausschluss des Art. 1382 Cc –,397 andere ausschließlich deliktisch. 398 cc) Arbeitsunfälle Auch der technische Fortschritt war aus Sicht der arbeitenden Bevölkerung nicht nur ein Segen. Der Bergbau und die Arbeit in Minen 399 offenbarten für die Beschäftigten ebenso ihre Tücken wie in Zusammenhang mit Eisenbahnen 393
Siehe oben S. 203 sowie Fn. 377. Sarrut, Anm. zu Cass. civ., 10.11.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 433, Fn. 1-3. Auch Sainctelette, Responsabilité et garantie, S. 92 ff., betonte die aus dem Vertrag resultierenden Schutzpflichten, lehnte aber eine Anwendung des Art. 1784 Cc ab. 395 Sarrut, Compte-rendu, S. 138 f. Die Gerichte gingen auf derartige Argumente nicht ein. In der Entscheidung hieß es lediglich: „Attendu que la règle édictée par cet art. 1784, n’est que l’application au dépôt nécessaire de la chose transportée … du principe général posé par les art. 1302 c. civ. et 1315 du même code sur la preuve de la libération …; – Attendu que ce principe ne saurait être appliqué au transport des personnes, par rapport auxquelles les règles de la responsabilité civile sont exclusivement fixées par les art. 1382 et suiv. c. civ.“ (Cass. civ., 10.11.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 433). 396 Rouard de Card, Distinction, S. 22. 397 CA Paris, 27.7.1892, D. Jur. gén. 1892, 2, 557: Der Beförderer sei vertraglich die Verpflichtung eingegangen, „d’effectuer ce transport avec le soin nécessaire pour que le voyageur arrive sain et sauf au lieu de sa destination“. Er könne sich weiterhin nur bei force majeure oder einem cas fortuit entlasten. Ähnlich das Tribunal de commerce de la Seine, 10.9.1893, Gazette des tribunaux, lundi 23 et mardi 24 octobre 1893 (zitiert nach Rouard de Card, Distinction II, S. 6; dieser begrüßte das Urteil der CA Paris ausdrücklich, a.a.O., S. 4, 7). 398 Für eine Anwendung des Art. 1382 Cc die CA Paris, die sich entschieden gegen die gegenläufige Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts richtete: D. Jur. gén. 1895, 2, 496 (30.1.1895). 399 CI Lyon, 30.1.1857, D. Jur. gén. 1858, 2, 84: Verletzung eines Arbeiters bei einer Gasexplosion; Cass. req., 13.5.1868, D. Jur. gén. 1869, 1, 217; Cass. req., 26.11.1877, D. Jur. gén. 1878, 1, 118: Explosion von Pulver; Cass. req., 2.12.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 423. 394
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stehende Tätigkeiten. 400 Besondere Relevanz kam den bereits erwähnten Arbeitsunfällen mit (Dampf-)Maschinen zu. 401 Die Rechtsprechung wendete in diesen Fällen zunächst ganz regulär die Art. 1382 f. Cc an, was den Arbeitern im Hinblick auf den Beweis der faute402 jedoch große Schwierigkeiten bereitete und starke Kritik in der Lehre hervorrief. 403 Den Arbeitgeber wiederum trafen in großem Umfang Schutzpflichten – er musste den Arbeiter selbst vor solchen Unfällen schützen, die auf dessen eigener Unvorsichtigkeit beruhten. 404 Besonders hoch waren die Anforderungen gegenüber minderjährigen Beschäftigten.405 Obwohl viele Juristen sich dafür aussprachen, die Haftung des Arbeitgebers vertraglich zu begründen, hielt die Rechtsprechung weiter ausschließlich an der deliktischen Haftung fest. 406 Zumindest was die Beweislast betrifft – und das war der Punkt, der im Hinblick auf den Arbeiter als besonders ungerecht empfunden wurde – kamen die Gerichte jedoch auch dort zu einem ähnlichen Ergebnis: In der Entscheidung Teffaine aus dem Jahr 1896 wendeten sie statt der Art. 1382 f. Cc den Art. 1384 Cc407 an408 – und markierten damit den 400 Siehe z.B. Cass. req., 13.2.1882, D. Jur. gén. 1882, 1, 419; Cass. req., 17.11.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 368; CA Orléans, 19.7.1884, D. Jur. gén. 1886, 2, 94, 2e esp.; Cass. req., 29.6.1897, D. Jur. gén. 1897, 1, 352; Cass. civ., 13.12.1898, D. Jur. gén. 1899, 1, 249. 401 Cass. req., 9.2.1857, D. Jur. gén. 1857, 1, 220; CI Bourges, 25.1.1867, D. Jur. gén. 1867, 2, 198; CA Paris, 16.11.1871, D. Jur. gén. 1871, 2, 208; CA Nancy, 9.12.1876, D. Jur. gén. 1879, 2, 47. 402 CR Bourges, 15.7.1840, D. Jur. gén. 1841, 2, 131; Cass. req., 15.11.1881, D. Jur. gén. 1883, 1, 159. Auch in einer Entscheidung vom 20.3.1893 betonte die CA Rennes noch ausdrücklich, dass sich die Haftung nach Art. 1382 f. Cc richte: D. Jur. gén. 1893, 2, 526. Dem Arbeiter obliege es zu beweisen, dass der Arbeitgeber nicht ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen habe, Cass. req., 5.4.1894, D. Jur. gén. 1894, 1, 479; Cass. req., 15.6.1896, D. Jur. gén. 1898, 1, 141. 403 Siehe dazu oben S. 175 ff. 404 CA Caen, 17.3.1880, D. Jur. gén. 1881, 2, 79: Arbeiter verletzt durch die Explosion einer Dampfmaschine; CA Paris, 29.3.1883, D. Jur. gén. 1884, 2, 89, 2 e esp. Siehe im Übrigen Cass. req., 13.1.1868, D. Jur. gén. 1868, 1, 13; CA Paris, 21.12.1874, D. Jur. gén. 1876, 2, 72; Cass. civ., 28.8.1882, D. Jur. gén. 1883, 1, 239; Cass. req., 14.4.1885, D. Jur. gén. 1886, 1, 168. Für Unfälle im Zusammenhang mit Baugerüsten siehe CI Lyon, 20.2.1869, D. Jur. gén. 1869, 2, 221; Cass. req., 15.11.1881, D. Jur. gén. 1883, 1, 159; Cass. civ., 22.2.1897, D. Jur. gén. 1898, 1, 114. 405 CA Lyon, 26.4.1871, D. Jur. gén. 1871, 2, 41; CA Paris, 29.4.1875, D. Jur. gén. 1876, 2, 96; CA Aix, 10.1.1877, D. Jur. gén. 1877, 2, 204; Cass. civ., 7.8.1895, D. Jur. gén. 1896, 1, 81. 406 Siehe insbesondere CA Rennes, 20.3.1893, D. Jur. gén. 1893, 2, 526. 407 „On est responsable non seulement du dommage que l'on cause par son propre fait, mais encore de celui qui est causé par le fait des personnes dont on doit répondre, ou des choses que l’on a sous sa garde.“ 408 Cass. civ., 6.6.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 433, 1re esp. In dem Fall ging es um eine Explosion auf einem Schlepper, bedingt durch einen versteckten Konstruktionsfehler. Eine faute konnte dem Arbeitgeber nicht nachgewiesen werden, daher schied eine Haftung aus Art. 1382 Cc aus. Einen cas fortuit im Rahmen des Art. 1384 Cc lehnte die Cour de cassation
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Ausgangspunkt für die Haftung des gardien.409 Das Verschulden des Arbeitgebers als Sachhalter der schädigenden Maschine wird danach vermutet; eine Exkulpation erforderte auch auf diesem Weg das Darlegen von force majeure oder eines cas fortuit.410 dd) Exkurs 1: Ersatzberechtigte im Todesfall Die Verletzung einer anderen Person hatte vielfach auch Auswirkungen auf Angehörige, insbesondere den Ehepartner und die Kinder des Verletzten. In bestimmten Fällen konnten auch sie gegen den Schädiger aus den Art. 1382 f. Cc vorgehen, wie das folgende Beispiel zeigt: Anlässlich des Todes eines Mannes infolge eines Unfalls mit der Eisenbahn stellte sich die Frage, ob die Witwe und die Kinder des Getöteten gegen die Eisenbahngesellschaft ebenfalls Ansprüche geltend machen können, nachdem dies der Verstorbene bereits zu Lebzeiten selbst im Hinblick auf seine Verletzungen, die schließlich zum Tode führten, getan hatte. Das Gericht bejahte dies: Zu unterscheiden seien einerseits die Ansprüche des Mannes gegen die Gesellschaft; diese seien Bestandteil der Erbschaft und würden damit auf die Frau und die Kinder als Erben übergehen. Davon zu trennen seien andererseits die eigenen, persönlichen Ansprüche der Hinterbliebenen gegen den Schädiger, die unabhängig davon bestünden. 411 In der Anmerkung zu dieser Entscheidung folgen detaillierte Erörterungen zu der Frage, wer bei der Tötung eines Menschen ersatzberechtigt ist und welche Voraussetzungen für einen derartigen Anspruch vorliegen müssen. Grundsätzlich sei allen Ersatz zu gewähren, die durch den Tod einen Nachteil erlitten hätten und die in einem „intérêt propre“ verletzt seien. 412 Der Anspruch
ab: Es kämen insofern nur außerhalb der (Beschaffenheit der) Sache liegende Gründe in Betracht. Die Anwendung des Art. 1384 Cc diskutierte auch schon Laurent, Principes de droit civil français, Nr. 639. Zuvor hatten die Gerichte die Anwendung des Art. 1384 Cc explizit abgelehnt: CI Lyon, 19.7.1853, D. Jur. gén. 1853, 2, 233. 409 Näher dazu unten S. 266 f. 410 Allerdings wurde diese für den Arbeiter günstige Entwicklung bereits ein Jahr später in einer Entscheidung relativiert: Cass. req., 30.3.1897, D. Jur. gén. 1897, 1, 433, 2 e esp. Ein cas fortuit sei danach nur dann nicht gegeben, wenn die Maschine fehlerhaft war. Dem Arbeiter oblag es damit, die Fehlerhaftigkeit der Maschine darzulegen, Gläser, Lehre und Rechtsprechung, S. 160. Siehe zur Vereinbarkeit dieser Entscheidung mit der vorhergehenden vom 6.6.1896 insbesondere auch die ausführliche und kritische Anmerkung von Saleilles in der Fn. zu D. Jur. gén. 1897, 1, 433, 2 e esp. 411 CA Aix, 14.6.1870, D. Jur. gén. 1872, 2, 97: „… la compagnie est donc responsable de la faute qui a produit ce résultat malheureux et qui a privé la famille Magaud de son chef et de son soutien“. In erster Linie ging es also um den Verlust der Unterhaltsansprüche, die gegen den Verstorbenen bestanden. 412 Giboulot, Anm. zu D. Jur. gén. 1872, 2, 97, Fn. 1-3, Nr. II. Im Gegensatz dazu erfasst der Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB nur direkt Geschädigte, § 844 II BGB gewährt
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entstehe in der Person selbst. Der Kreis der Berechtigten sei jedoch in gewisser Weise einzuschränken: „Les tribunaux devront avant tout se guider par cette règle fondamentale, que les réclamations ne sont recevables que de la part de celui qui a été lésé dans un droit acquis et qui souffert un préjudice personnel, direct, appréciable et actuel“. 413 Die Hinterbliebenen müssten also selbst in einem erlangten Recht (droit acquis) verletzt sein – und genau davon müssten sich auch die Gerichte leiten lassen. Worin konnte diese Rechtsverletzung nun aber bestehen? Zum einen verloren die Betroffenen ihren Versorger. Der Ehemann und Vater war gegenüber der Ehefrau und den Kindern (ggf. auch gegenüber seinen Eltern) zum Unterhalt verpflichtet; im Umkehrschluss stand diesen Personen ihm gegenüber ein Recht auf Unterhalt zu, was sie durch den Tod verloren. Es handelt sich dabei nicht um ein originär bestehendes Recht, sondern ein „droit acquis“. Daneben konnten auf der anderen Seite aber auch weitere Verletzungen bestehen, was in Zusammenhang mit dem Ersatz „moralischer“ Schäden414 angedeutet wurde. Dort hieß es in der Anmerkung: „De même, si la mort de la victime leur a causé un préjudice moral, dans le sens juridique du mot, c’est-à-dire une atteinte quelconque à leur sûreté, à leur considération, à leur honneur ou à leur réputation, une réparation pécuniaire leur est due de ce chef“. 415 Es ging also um Verletzungen der Sicherheit, der Achtung, der Ehre oder des Ansehens. Darüber hinaus lehnte der Anmerkende es jedoch ab, auch Schäden zu ersetzen, die auf der Verletzung von „affections légitimes“ beruhten, und setzte sich damit in Gegensatz zu anderen Stimmen in der Lehre.416 Aus den Erläuterungen wird deutlich, dass es dabei an der nötigen Rechtsverletzung (wie der Ehre oder des Ansehens) fehlte. 417 Interessant an dieser Anmerkung ist, dass in ihr explizit auf das Erfordernis einer Rechtsverletzung abgestellt und der Anspruch der Hinterbliebenen von einer solchen abhängig gemacht wird. Die Anmerkung macht deutlich, dass es einigen Rechtsgelehrten auch in den 1870er Jahren noch genau darauf ankam. Die Rechtsprechung dagegen beschränkte den Kreis der Ersatzberechtigten nicht und sprach sich sogar explizit gegen das Erfordernis einer besonderen Beziehung zwischen Getötetem und Anspruchsteller aus. 418
allerdings indirekt geschädigten Unterhaltsberechtigten Ersatz. Siehe dazu auch unten S. 312. 413 An dieser Stelle erfolgt ein Verweis auf Larombière (siehe oben S. 152). 414 Siehe dazu gleich S. 213 f. 415 Verweis auf Dalloz, Répertoire méthodique, „Responsabilité“, Nr. 156, 236. 416 Giboulot, Anm. zu D. Jur. gén. 1872, 2, 97, Fn. 1-3, Nr. IV. 417 Vgl. Giboulot, Anm. zu D. Jur. gén. 1872, 2, 97, Fn. 1-3, Nr. IV: „L’individu qui a éprouvé un préjudice moral, par suite de l’atteinte portée à sa réputation ou à son honneur, est bien venu à réclamer une réparation …“. 418 Cass. crim., 20.2.1863, D. Jur. gén. 1864, 1, 99: „l’art. 1382 … ne limite en rien, ni la nature du fait dommageable, ni la nature du dommage éprouvé, ni la nature du lien qui doit
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ee) Exkurs 2: Das Verhältnis zu strafrechtlichen Urteilen Wo jemand durch sein Verhalten den Körper oder das Leben einer anderen Person verletzte, stand oft zunächst eine strafrechtliche Verurteilung im Raum. Welche Auswirkungen hatte eine solche, oder aber viel bedeutender: Welche Auswirkungen hatte ein strafrechtlicher Freispruch auf die deliktische Haftung und den Schadensersatzanspruch nach Art. 1382 f. Cc? In nahezu jeder Erörterung zum Deliktsrecht fand sich zu Beginn die Abgrenzung zwischen Strafund Deliktsrecht und die Betonung, dass beide zu unterscheiden seien – vor allem die faute habe in beiden Rechtsgebieten eine ganz unterschiedliche, eigenständige Bedeutung. 419 Daher kann nicht verwundern, dass die Gerichte dies auch für das Verhältnis von strafrechtlichen Urteilen zur deliktischen Haftung entschieden: Der Freispruch durch ein Strafgericht bzw. die déclaration de non-culpabilité der Geschworenen stehe einer zivilrechtlichen Verurteilung zu Schadensersatz im Rahmen der deliktischen Haftung nicht entgegen – das Strafurteil entfalte insofern keine Rechtskraft, es liege kein Verstoß gegen die autorité de la chose jugée vor.420 Denn nur weil einer Person beispielweise keine Tötungsabsicht oder intention criminelle nachgewiesen werden könne und eine Verurteilung wegen Mordes daher ausscheide, könne ihr Handeln, durch das der Tod der anderen Person herbeigeführt wurde, aber trotzdem eine imprudence und ein Quasidelikt nach Art. 1383 Cc darstellen. 421 Wo eine strafrechtliche Verurteilung jedoch beispielsweise daran scheiterte, dass sich der
unir, au cas de décès, la victime du fait avec celui de ses ayants droit qui en demanderait la réparation“. 419 Zur Unterscheidung siehe Duranton, Cours de droit français, Nr. 697 f., 704 ff.; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 415; Delsol, Code Napoléon expliqué, S. 690; Marcadé, Explication théorique et pratique, S. 278 mit Kritik an Duranton; Larombière, Obligations, Nr. 1 f.; Laurent, Principes de droit français, Nr. 385 f.; sowie oben Fn. 82. Siehe auch Halpérin, French doctrinal writing, S. 77. 420 Siehe dazu das Grundsatzurteil der Cour de cassation, ch. crim., 7.5.1864, D. Jur. gén. 1864, 1, 313; später auch Cass. req., 31.5.1892, D. Jur. gén. 1892, 1, 381. A.A. Duranton, Cours de droit français, Nr. 705, 465 ff. 421 CI Liège, 15.11.1854, D. Jur. gén. 1855, 2, 248; Cass. req., 31.1.1859, D. Jur. gén. 1859, 1, 439; Cass. civ., 10.12.1866, D. Jur. gén. 1866, 1, 448. Siehe auch die Fn. zu Cass. crim., 13.7.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 377: „Le verdict du jury ne fait qu'écarter, du moins dans la plupart des cas, la criminalité attribuée aux faits qui lui sont soumis, et ces faits peuvent, nonobstant ce verdict, être appréciés au point de vue différent de la responsabilité civile.“ CA Besançon, 30.12.1879, D. Jur. gén. 1880, 2, 207; Cass. req., 7.2.1888, D. Jur. gén. 1888, 1, 289. Voraussetzung ist aber, dass das Gericht deutlich macht, worin die deliktische faute besteht: Cass. crim., 7.5.1864, D. Jur. gén. 1864, 1, 313; Cass. req., 16.5.1887, D. Jur. gén. 1887, 1, 265; Cass. crim., 21.7.1892, D. Jur. gén. 1893, 1, 430.
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Handelnde auf Selbstverteidigung berufen konnte, stand dies auch zivilrechtlichem Schadensersatz entgegen. 422 Gleiches galt bei einem Freispruch im Strafprozess, weil das schädigende Verhalten dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden konnte. 423 c) Ansehen, Ehre Neben körperlichen Schäden spielten im Rahmen der deliktischen Haftung auch die im französischen Recht als „préjudice morale“ bezeichneten immateriellen Schäden eine Rolle, die aus Verletzungen des Ansehens, des Rufes oder der Ehre resultierten. aa) Heiratsversprechen; Verführung, Ehebruch Während des 19. Jahrhunderts hingen die Zukunftsperspektiven einer Frau maßgeblich von einer Heirat ab. Die Chancen auf einen Ehemann konnten durch beschädigtes oder schlechtes Ansehen jedoch erheblich beeinträchtigt sein. Ließ sich eine Frau durch ein Heiratsversprechen, das von Seiten des Mannes dann nicht gehalten wurde, zu sexuellen Handlungen hinreißen, konnten daraus für sie ganz beträchtliche Nachteile folgen, vor allem in Form von geschmälerten Aussichten auf eine anderweitige Heirat, oder der Unterhaltslast durch ein uneheliches Kind. Dabei schied das Nichteinhalten des Versprechens selbst als Grundlage für den Schadensersatzanspruch jedoch aus: Heiratsversprechen wurden im Hinblick auf die Eheschließungsfreiheit (liberté de marriage) wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung als nichtig angesehen.424 Hatte die Frau jedoch nachweisbar einen Schaden erlitten, sprachen ihr die Gerichte dennoch Ersatz zu. 425 Dies setzte allerdings voraus, dass das Versprechen die Frau zu der intimen Beziehung veranlasst hatte – und nicht umgekehrt.426 Verletzt waren primär ihr Ansehen und ihre Ehre. 427 Interessanterweise stellten die Gerichte daneben immer wieder aber auch explizit auf eine
422
So schon Cass. sec. crim., 19.12.1817, Journal des audiences 1818, 33; CA Limoges, 24.6.1884, D. Jur. gén.1885, 2, 21; Cass. req., 24.2.1886, D. Jur. gén. 1886, 1, 438. 423 Cass. req., 7.11.1894, D. Jur. gén. 1894, 1, 536. 424 Siehe nur Cass. civ., 30.5.1838, D. Jur. gén. 1838, 1, 286, sowie Art. 1131 Cc. 425 Siehe z.B. Cass. civ., 30.5.1838, D. Jur. gén. 1838, 1, 286; Cass. req., 24.3.1845, D. Jur. gén. 1845, 1, 177. 426 CI Lyon, 4.7.1857, D. Jur. gén. 1858, 2, 3; CI Dijon, 20.12.1867, D. Jur. gén. 1868, 2, 48: Erforderlich sei, dass das Versprechen eingesetzt wurde „comme moyen de séduction, et a été la raison déterminante de relations illégitimes qui n’ont été consenties par celle à qui elle a été faite que sous l’empire d’un espoir mensonger ou d’un engagement méconnu“; CA Paris, 14.2.1877, D. Jur. gén. 1877, 2, 96; Cass. req., 25.2.1890, D. Jur. gén. 1890, 1, 412. 427 CI Caen, 24.4.1850, D. Jur. gén. 1855, 2, 177; CI Dijon, 20.12.1867, D. Jur. gén. 1868, 2, 48; CA Aix, 21.5.1874, D. Jur. gén. 1876, 2, 85.
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Verletzung des Vermögens (fortune) ab.428 Auch ohne Heiratsversprechen begründete die Verführung einer Frau Schadensersatzansprüche, beispielsweise wenn diese durch Ausnutzen einer Position, des Alters oder einer bestimmten Situation erfolgte.429 Schließlich waren typische Verletzungen des Ansehens und der Ehre gegeben, wenn eine Frau Ehebruch beging – der betrogene Ehemann hatte hier einen Anspruch gegen seine Ehefrau und deren Liebhaber. 430 bb) (Öffentliche) Beleidigungen Noch offensichtlichere Verletzungen des Ansehens und der Ehre resultierten aus direkten öffentlichen Beleidigungen und Verleumdungen, zum Beispiel in Form von Beiträgen in der Presse. Zwar gehörte die Meinungsfreiheit auch im 19. Jahrhundert zu einem der grundlegendsten Rechte aller Menschen – sie endete jedoch dort, wo die Rechte Anderer in unzulässiger Weise verletzt wurden.431 Auch hier betrafen die konkreten Aussagen ganz unterschiedliche Aspekte und reichten von der (fälschlicherweise) behaupteten Zahlungsunfähigkeit einer Person432 über die Zuschreibung negativer Eigenschaften oder der Behauptung nicht erfolgter Ereignisse 433 bis hin zur tatsächlichen Beleidigung. 434
428
So in CR Grenoble, 16.7.1841, D. Jur. gén. 1842, 2, 152; indirekt auch in Cass. req., 16.1.1877, D. Jur. gén. 1877, 1, 85. 429 CA Bourges, 28.5.1879, D. Jur. gén. 1880, 2, 111; CA Amiens, 1.12.1881, D. Jur. gén. 1882, 2, 117; CA Gand, 25.11.1882, D. Jur. gén. 1884, 2, 136; CA Paris, 14.2.1890, D. Jur. gén. 1891, 2, 309. 430 Cass. crim., 22.9.1837, D. Jur. gén. 1838, 1, 7; CA Besançon, 14.3.1850, D. Jur. gén. 1850, 2, 150; Cass. civ., 26.8.1857, D. Jur. gén. 1857, 1, 345; Cass. civ., 5.2.1873, D. Jur. gén. 1873, 1, 209; Cass. req., 1.12.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 345: in der Fn. zu dieser Entscheidung ausführlich auch zum Schadensersatz in diesem Fall. 431 Siehe schon Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l’Homme: tout Citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté dans les cas déterminés par la Loi.“ 432 CR Bruxelles, 10.7.1830, D. Jur. gén. 1833, 2, 212; Cass. crim., 8.8.1835, D. Jur. gén. 1835, 1, 401: Vorwurf der Verschwendung gegen Mitglieder einer Kommission, Ansehen und Kredit beschädigt; CA Aix, 26.7.1838, D. Jur. gén. 1840, 2, 1. 433 Cass. crim., 5.5.1832, D. Jur. gén. 1832, 1, 311: Missbrauch einer jungen Frau behauptet; CR Rouen, 30.12.1841, D. Jur. gén. 1842, 2, 86: Vermeldung eines nicht erfolgten Suizids; Cass. req., 16.8.1882, D. Jur. gén. 1883, 1, 401; CA Nancy, 15.12.1883, D. Jur. gén. 1884, 2, 54; CA Limoges, 8.8.1888, D. Jur. gén. 1889, 2, 45; Cass. civ., 23.10.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 565. 434 Cass. req., 11.6.1839, D. Jur. gén. 1839, 1, 254; CR Limoges, 28.12.1841, D. Jur. gén. 1842, 2, 3; CI Paris, 17.4.1858, D. Jur. gén. 1860, 2, 109; CI Metz, 19.2.1867, D. Jur. gén. 1867, 2, 45; Verleumdung nach Tod, Erben haben Anspruch auf Schadensersatz; CA Bourges, 14.1.1879, D. Jur. gén. 1879, 2, 149; CA Orléans, 18.7.1890, D. Jur. gén. 1891, 2, 14; Cass. crim., 6.4.1895, D. Jur. gén. 1899, 1, 577.
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cc) Prozessführung Das Ansehen und die Ehre einer Person konnten schließlich auch dadurch beeinträchtigt werden, dass sie sich zu Unrecht vor Gericht verantworten musste. Auch wenn sich die Anschuldigungen als haltlos erwiesen und die Klage des Gegners abgewiesen wurde – die Prozessbeteiligung blieb im kollektiven Bewusstsein und konnte das Ansehen verletzen. 435 Auf der anderen Seite gehörte es jedoch wie auch heute noch zu den grundlegenden Rechten der Menschen, sich gegen juristische Akte zu verteidigen und die gegen Mitmenschen vermeintlich bestehenden Rechte gerichtlich durchzusetzen – dies war schon zur Vermeidung von Selbstjustiz geboten. Allein die Tatsache, dass eine Klage abgewiesen wurde, konnte die Prozessführung des unterlegenen Klägers als solche daher nicht zu einer faute machen – auch dies folgte aus den Grundsätzen zum Gebrauch eigener Rechte. 436 Etwas anderes galt dagegen, wo ein Prozess angestrengt wurde, der sich nicht auf plausible Gründe stützen ließ und objektiv keine Aussichten auf Erfolg hatte: In diesem Fall lag ein Rechtsmissbrauch vor, der die Ersatzpflicht aus den Art. 1382 f. Cc begründen konnte. 437 Böswillige Absichten waren dabei keine notwendigen Voraussetzungen, aber sie erhöhten freilich die faute.438 dd) Exkurs 3: Ersatz moralischen Schadens Bemerkenswerterweise machten die französischen Gerichte von Anfang an grundsätzlich keine Unterschiede zwischen materiellen und sogenannten „moralischen“ (immateriellen) Schäden: 439 Unter dem Code civil sollte dem Einzelnen die größtmögliche Freiheit zukommen – allerdings begrenzt durch die
435
Daneben bringt ein Prozess auch immer Kosten mit sich. Wo also Verletzungen des Vermögens als solchem ebenfalls über die deliktische Generalklausel ersetzt werden, würde dies eine weitere Anknüpfung darstellen. 436 Cass. civ., 24.10.1888, D. Jur. gén. 1889, 1, 52; Cass. civ., 10.2.1897, D. Jur. gén. 1898, 1, 22. 437 Siehe dazu auch die Anm. zu Cass. req., 17.3.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 33. Entscheidend war, dass der Prozess aus malice oder mauvaise foi geführt wurde oder zumindest als „erreur grossière équipollente au dol“ zu charakterisieren war: Cass. civ., 30.10.1889, D. Jur. gén. 1890, 1, 184; Cass. civ., 8.6.1891, D. Jur. gén. 1892, 1, 276; Cass. civ., 5.2.1894, D. Jur. gén. 1896, 1, 241. In der Entscheidung D. Jur. gén. 1898, 1, 391 vom 22.4.1898 stellte die Cour de cassation eine „schikanöse“ Prozessführung fest. 438 Cass. req., 3.5.1836, D. Jur. gén. 1838, 1, 390: Verurteilung zu Schadensersatz neben den Prozesskosten bei böswilliger Initiierung eines Prozesses; Cass. req., 18.5.1868, D. Jur. gén. 1868, 1, 334; Cass. req., 17.3.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 33; Cass. civ., 6.3.1889, D. Jur. gén. 1889, 1, 284. 439 In einer Entscheidung vom 3.12.1860, D. Jur. gén. 1861, 1, 331, bezog sich die Cour de cassation, ch. req., dabei ganz ausdrücklich auf Art. 1382 Cc: „… l’art. 1382 ne distinguant pas entre le préjudice matériel qui s’attaque directement à la chose ou à la personne
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Rücksichtnahme auf die Rechte Anderer.440 Um moralische Schäden ging es vor allem im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung eines Heiratsversprechens, wo lediglich das Ansehen und die Ehre der Verlassenen verletzt waren, ihr jedoch nicht unbedingt materielle Nachteile entstanden. 441 Prinzipiell wurden auch derartige Schäden ohne Weiteres ersetzt. Eine Einschränkung galt dabei jedoch für solche Schäden, die weder gerichtlich feststellbar noch finanziell reparierbar waren: „blessures faites à l’amour-propre ou au coeur du futur délaissé, dans les atteintes portées à son bonheur intime“. 442 Eine weitere „typische“ Konstellation im Hinblick auf moralische Schäden betraf die durch den Verlust eines Kindes (oder eines nahen Angehörigen) hervorgerufenen Leiden. Zwar könnten diese ihrer Natur nach an sich nicht wieder gut gemacht werden; dies sollte aber nicht bedeuten, dass eine finanzielle Entschädigung (in Form von Schmerzensgeld) sie nicht abmildern könnte. 443 d) „Vermögen“ Die bisher aufgeführten Fälle hatten alle Verletzungen absoluter Rechte und Rechtsgüter zum Gegenstand: des Eigentums, des Körpers, des Lebens und der Gesundheit, sowie des Ansehens und der Ehre. Daneben finden sich in der Rechtsprechung aber auch zahlreiche Urteile, in denen die Verletzung lediglich das Vermögen als solches und die finanzielle Situation einer Person betraf. Freilich erfolgte in den Entscheidungen nirgendwo eine Diskussion, ob durch derartige Verletzungen entstandene Schäden auch über die Art. 1382 f. Cc zu ersetzen waren – die Gerichte wendeten die Vorschriften einfach an. Unabhängig von der Verletzung eines absoluten Rechts bestand der fait illicite gerade bei der Haftung von Notaren häufig schon in der Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift. Zudem verband die Parteien häufig auch ein vertragliches Rechtsverhältnis, aus dem Pflichten verletzt wurden. aa) Notarhaftung Von Erlass des Code civil an dominierten Fehler von Notaren die Entscheidungssammlungen. Die Vielzahl von Urteilen belegt deutlich, dass in diesem Zusammenhang Probleme von großer praktischer Relevanz aufkamen – was ja auch in der Lehre durch die große Anzahl von Verweisen zum Ausdruck kam.444 Und tatsächlich wurde das Leben der Menschen in hohem Maße von d’autrui, et celui qui, sans laisser de trace après lui, se traduit, pour la propriété, en une dépréciation de valeur, et pour la personne en un préjudice moral“. 440 Federer, Beiträge, S. 146. 441 CI Caen, 24.4.1850, D. Jur. gén. 1855, 2, 177; Cass. req., 16.1.1877, D. Jur. gén. 1877, 1, 85. 442 CI Caen, 6.6.1850, D. Jur. gén. 1855, 2, 178. 443 CA Bordeaux, 30.11.1881, Journal du Palais 1882, 920. 444 Oben S. 171 ff.
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diesen Fragen berührt. Für viele Rechtsgeschäfte waren sie auf die Mitwirkung eines Notars angewiesen, zum Beispiel für die Erstellung von Testamenten, Eheverträgen oder Schenkungen; meistens disponierten sie dabei über einen Großteil ihres Vermögens. Die durch einen Fehler des Notars bedingte Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts hatte für die dadurch Benachteiligten damit ganz erhebliche finanzielle Folgen. Das Gesetz vom 25 ventôse an XI enthielt spezielle Vorschriften, was bei dem Verfassen notarieller Akte zu beachten war. Dies betraf vor allem die Form der Akte: Die Schriftstücke mussten das richtige Datum und den Ort angeben und signiert sein. Dem Notar oblag es, die Identität der beteiligten Personen – auch der Zeugen – sowie ihre Fähigkeit, mitzuwirken, zu überprüfen. Auch die Aufbewahrung der Schriftstücke war geregelt. 445 Ein Verstoß gegen bestimmte Vorschriften hatte gemäß Art. 68 Gesetz vom 25 ventôse an XI446 die Nichtigkeit des Aktes zur Folge. Trotz dieser klaren Anordnungen stellten Fehler keine Seltenheit dar und beschäftigten damit die Gerichte. Notare vergaßen das Datum oder den Ort; 447 sie überprüften nicht die Identität der Parteien oder der Zeugen; 448 Unterschriften fehlten; 449 die Zeugen (oder der Notar selbst) waren als Verwandte oder selbst Begünstigte von der Mitwirkung ausgeschlossen; 450 Altersgrenzen wurden nicht beachtet. 451 Die Gerichte hatten sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen, in welchem Verhältnis die Art. 1382 f. Cc und die spezialgesetzliche Regelung standen, und welche Verschuldensmaßstäbe für die Haftung von Notaren galten. Aus dem Gesetz vom 25 ventôse an XI ergaben sich für die dort geregelten Fälle einige Besonderheiten. 452 Nach der gängigen Interpretation 445
Die erwähnten Vorschriften finden sich in den Art. 8 ff. Gesetz vom 25 ventôse an XI. Siehe oben S. 171 f. 447 CR Rouen, 24.7.1828, D. Jur. gén. 1829, 2, 191; Cass. req., 4.4.1831, D. Jur. gén. 1831, 1, 155; Cass. civ., 24.12.1888, D. Jur. gén. 1889, 1, 165. 448 Cass. civ., 29.12.1828, D. Jur. gén. 1829, 1, 133; CR Caen, 24.5.1836, D. Jur. gén. 1840, 2, 102; Cass. civ. 4.5.1875, D. Jur. gén. 1875, 1, 382; Cass. req., 18.11.1885, D. Jur. gén. 1886, 1, 398. 449 CR Angers, 9.3.1825, D. Jur. gén. 1826, 2, 174; CR Bourges, 28.7.1829, D. Jur. gén. 1833, 2, 113; Cass. civ., 14.4.1886, D. Jur. gén. 1886, 1, 466. 450 Cass. req., 15.1.1835, D. Jur. gén. 1835, 1, 156; CR Lyon, 3.1.1842, D. Jur. gén. 1842, 2, 133; Cass. req., 5.2.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 225; CA Dijon, 1.4.1874, D. Jur. gén. 1875, 2, 84: der Notar ist jedoch frei, wie er die Geeignetheit feststellt; Cass. req., 31.3.1885, D. Jur. gén. 1885, 1, 406. 451 CI Bordeaux, 18.12.1866, D. Jur. gén. 1867, 2, 124; Cass. civ., 19.6.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 346. 452 Siehe in besonderer Klarheit CR Orléans, 26.1.1839, D. Jur. gén. 1839, 2, 86: „Attendu que le principe général posé dans les art. 1382 et 1383 c. civ., sur la responsabilité, reçoit, dans l’art. 68 de la loi du 25 vent. an 11, une application spéciale pour les notaires et pour les actes de leur ministère; que c’est donc dans cette législation spéciale qu’il faut rechercher le principe et l’étendue de leur responsabilité …“. 446
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der Rechtsprechung sollte gem. Art. 68 Gesetz vom 25 ventôse an XI nicht jeder Formverstoß zur Nichtigkeit führen, es kam auf Natur und Schwere des Verstoßes an, was der billigen Einschätzung der Gerichte unterlag. 453 Immer wieder sind in den Entscheidungen auch Differenzierungen zwischen formalités „extrinsèques“ und „intrinsèques“ zu finden, wobei nur erstere die Haftpflicht begründen sollten. 454 Im Übrigen richtete sich die Haftung von Notaren auch nach der allgemeinen deliktischen Generalklausel in den Art. 1382 f. Cc,455 die allerdings insofern modifiziert wurde, als faute lourde vorliegen musste; jedwede imprudence oder faute légère genügte nicht. 456 Unbestritten war diese Auffassung anfänglich jedoch nicht: Die Cour royale de Bourges sprach sich 1829 noch gegen jegliche Differenzierung und Abweichung von der allgemeinen Regel in Art. 1382 Cc aus.457 Die Tätigkeit von Notaren beschränkte sich jedoch nicht auf das Erstellen notarieller Akte. Wo es an ihnen war, Dokumente, Geld oder anderes weiterzuleiten oder eine Eintragung/Löschung etc. zu veranlassen, traf sie bei Nicht- oder Falscherfüllung ebenso eine Ersatzpflicht458 wie bei mangelnder
453
Cass. civ., 27.11.1837, D. Jur. gén. 1837, 1, 465: das ergebe sich aus dem Zusatz „s’il y a lieu“; Cass. req., 11.8.1857, D. Jur. gén. 1858, 1, 135; Cass. req., 13.4.1869, D. Jur. gén. 1871, 1, 147. Ausführlich dazu auch die Anm. in der Fn. zu Cass. req., 5.2.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 225. 454 Siehe dazu bereits oben S. 173 sowie Fn. 241.CR Orléans, 26.1.1839, D. Jur. gén. 1839, 2, 86: „quant aux formes extrinsèques, le notaire chargé de leur accomplissement est nécessairement responsable des erreurs provenant de son fait qui vicient l‘acte dans sa forme …“; Cass. req., 22.12.1840, D. Jur. gén. 1841, 1, 42; Cass. req., 22.2.1897, D. Jur. gén. 1897, 1, 200. Anders dagegen die Cour de cassation im Urteil vom 18.11.1895, 1896, 1, 16: Sofern der Notar nicht mandataire sei, solle er nicht für einen Verstoß gegen formalités extrinsèques haften. 455 CI Lyon, 8.2.1867, D. Jur. gén. 1867, 2, 154; Cass. req., 2.7.1878, D. Jur. gén. 1879, 1, 60; Cass. req., 18.11.1885, D. Jur. gén. 1886, 1, 398. 456 Cass. req., 16.8.1865, D. Jur. gén. 1866, 1, 11; Cass. civ., 14.4.1886, D. Jur. gén. 1886, 1, 466; CA Rouen, 31.3.1886, D. Jur. gén. 1887, 2, 228. 457 CR Bourges, 28.7.1829, D. Jur. gén. 1833, 2, 113: „… la loi est précise dans ses dispositions, et qu’en torturant son sens, en établissant des distinctions, on finirait par arriver à l’arbitraire; qu’au surplus il y a dans cette affaire cette considération qu’il ne s’agit que d‘un protocole que le notaire doit savoir par cœur …“. 458 CR Riom, 28.2.1825, D. Jur. gén. 1825, 2, 244; CR Toulouse, 30.5.1829, D. Jur. gén. 1830, 2, 181; CR Paris, 5.3.1836, D. Jur. gén. 1836, 2, 65: Darlehenssumme zu früh ausgezahlt; Cass. req., 5.1.1852, D. Jur. gén. 1852, 1, 50; Cass. req., 21.3.1855, D. Jur. gén. 1855, 1, 133: Hypothek nicht eingetragen; CI Paris, 13.6.1854, D. Jur. gén. 1855, 2, 252: fristgerechte Eintragung versäumt; Cass. req., 25.11.1872, D. Jur. gén. 1873, 1, 134; CA Rouen, 20.5.1885, D. Jur. gén. 1886, 2, 107; Cass. req., 28.1.1894, D. Jur. gén. 1895, 1, 184; Cass. req., 23.1.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 311.
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Beratung oder schädigenden Ratschlägen. 459 Mit ihren Klienten waren sie zudem häufig in einem Auftragsverhältnis verbunden und durch dieses zu bestimmten Handlungen verpflichtet – auch deren Verletzung begründete die Haftung nach Art. 1382 f. Cc.460 Schließlich hatten die Gerichte im Rahmen des Art. 1382 Cc auch mit Streitigkeiten zu tun, die aus dem Wirken eines Notars in einem fremden Domizil resultierten, für das er keine Zulassung hatte. 461 Art. 4 Gesetz vom 25 ventôse an XI bestimmte, dass die örtliche Zuständigkeit eines Notars durch die Regierung festgelegt wird. Im Falle eines Verstoßes hatten diejenigen Kollegen einen Ersatzanspruch, die durch die unbefugte Tätigkeit einen Schaden erlitten hatten, beispielsweise in Form von finanziellen Einbußen durch das „Wegschnappen“ von Klienten. 462 bb) Aufsichtsrat/Verwaltungsrat Gesellschaft Mit Gesetz vom 7.7.1856 regelte der französische Gesetzgeber erstmals die Kommanditgesellschaften; es folgten in den darauffolgenden Jahren weitere Gesetze für (ausländische) anonyme Gesellschaften (Gesetz vom 30.5.1857) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Gesetz vom 23.5.1863). Art. 7 Gesetz vom 7 juillet 1856 ordnete für den Fall der Auflösung der Gesellschaft 459 Dazu gehörte insbesondere auch der Fall, dass ein Notar einem Klienten die Gewährung eines Kredits an einen Dritten rät, sich später aber herausstellt, dass die Sicherung ungenügend und die Kreditsumme daher verloren war, Cass. req., 25.8.1831, D. Jur. gén. 1831, 1, 340: Solvenz bestätigt, daraufhin Darlehen gegeben; Cass. req., 22.4.1856, D. Jur. gén. 1856, 1, 244: Notar nimmt Leihvertrag auf, obwohl er weiß, dass der Kreditnehmer nicht zahlungsfähig ist und in anderem Fall bereits die Garantie versagt hat; CI Paris, 2.5.1860, D. Jur. gén. 1861, 2, 65; Cass. req., 2.8.1875, D. Jur. gén. 1876, 1, 260: Notar kennt Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers, Hypothek ist unzureichend; Cass. req., 21.10.1885, D. Jur. gén. 1886, 1, 403; Cass. req., 2.5.1892, D. Jur. gén. 1893, 1, 316. – Zur Beratungsund Aufklärungspflicht siehe: Cass. req., 4.5.1868, D. Jur. gén. 1871, 1, 246: keine Aufklärung über nachteilige Folgen, obwohl Notar Geistesschwäche kennt; CA Paris, 18.8.1871, D. Jur. gén. 1872, 2, 79; CA Bourges, 22.4.1877, D. Jur. gén. 1878, 2, 163; Cass. req., 6.8.1890, D. Jur. gén. 1891, 1, 196; Cass. req., 6.2.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 271. 460 Cass. req., 15.12.1841, D. Jur. gén. 1842, 1, 25; Cass. req., 29.12.1847, D. Jur. gén. 1848, 1, 55; CI Orléans, 17.6.1852, D. Jur. gén. 1854, 2, 57; CI Aix, 10.8.1870, D. Jur. gén. 1873, 2, 204; Cass. req., 23.4.1877, D. Jur. gén. 1877, 1, 399; Cass. req., 25.1.1887, D. Jur. gén. 1887, 1, 473; Cass. civ., 27.10.1891, D. Jur. gén. 1892, 1, 95; Cass. civ., 21.6.1893, D. Jur. gén. 1894, 1, 192; Cass. req., 2.7.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 195. 461 Cass. req., 15.7.1840, D. Jur. gén. 1840, 1, 246; CR Riom, 28.12.1846, D. Jur. gén. 1847, 2, 31; CA Grenoble, 2.3.1850, D. Jur. gén. 1852, 2, 118. 462 In ähnlicher Form wandten sich auch Ärzte und Apotheker gegen Kollegen, die ohne die gesetzlich vorgeschriebene Zulassung tätig wurden und machten Schadensersatzansprüche geltend: z.B. Cass. crim., 1.9.1832, D. Jur. gén. 1832, 1, 393; Cass. ch. réun., 15.6.1833, D. Jur. gén. 1833, 1, 241; CI Lyon, 26.1.1859, D. Jur. gén. 1859, 2, 4; CA Nancy, 5.5.1868, D. Jur. gén. 1870, 2, 96.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, der Geschäftsführer sowie der Gesellschaftsgründer an. Der Umfang der Pflichten dieser Personen war dabei allerdings nicht klar geregelt, was zu erheblichen Problemen führte. 463 Das Gesetz vom 24 juillet 1867 über die Gesellschaften 464 fasste schließlich die bestehenden Einzelgesetze über die verschiedenen Gesellschaften zusammen und brachte gewisse Modifikationen, zum Beispiel im Hinblick auf die Haftung: Aufsichtsratsmitglieder hafteten fortan nur noch für persönliche faute bei der Ausführung ihres Auftrags gemäß den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften.465 Die generellen Regelungen zum Auftragsrecht 466 sowie insbesondere die deliktische Haftung nach Art. 1382 f. Cc waren von den spezialgesetzlichen Regelungen folglich nicht berührt. 467 Ab Ende der 1860er Jahre ergingen in fast jährlichem Rhythmus Entscheidungen zu Problemen in diesem Kontext. Aktionäre oder Dritte machten Schadensersatzansprüche geltend wegen fehlerhaften Angaben über den Zustand oder die finanzielle Situation der Gesellschaft, 468 oder wegen sonstiger Pflichtverletzungen. 469 Besonders häufig ging es auch um die Haftung der administrateurs der Gesellschaft nach Art. 44 Gesetz vom 17 juillet 1867.470 Ähnlich wie bei der Notarhaftung war auch in die-
463 Dazu Rivière, Commentaire, Nr. 88. Für Entscheidungen zu dieser Bestimmung siehe Cass. civ., 11.5.1870, D. Jur. gén. 1870, 1, 401; Cass. civ., 22.1.1872, D. Jur. gén. 1872, 1, 117. 464 Loi du 7 juillet 1867 sur les sociétés, Bulletin des lois, 1867, Nr. 1513. 465 Art. 9 Gesetz vom 24 juillet 1867 sur les sociétés: „Les membres du conseil de surveillance n’encourent aucune responsabilité à raison des actes de la gestion et de leurs résultats. Chaque membre du conseil de surveillance est responsable de ses fautes personnelles dans l’exécution de son mandat, conformément aux règles du droit commun.“ Für unbezahlte Aufsichtsratsmitglieder galt allerdings die Besonderheit, dass sie nur für faute lourde hafteten: CA Orléans, 9.8.1883, D. Jur. gén. 1884, 2, 137. Für Gesellschaften, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gegründet wurden, galten freilich die Einzelgesetze weiter, siehe dazu Cass. civ., 12.2.1879, D. Jur. gén. 1879, 1, 281; daher gab es auch nach 1867 noch viele Entscheidungen zu dem Gesetz von 1856. 466 Art. 1991 Cc bestimmt: „Le mandataire est tenu d'accomplir le mandat tant qu'il en demeure chargé, et répond des dommages-intérêts qui pourraient résulter de son inexécution.“ 467 CI Metz, 14.8.1867, D. Jur. gén. 1867, 2, 178; CI Colmar, 3.6.1869, D. Jur. gén. 1869, 2, 170; CA Lyon, 24.6.1871, D. Jur. gén. 1871, 2, 188; CA Lyon, 11.7.1873, D. Jur. gén. 1874, 2, 209; zum Verhältnis der Vorschriften siehe insbesondere Cass. civ., 31.8.1881, D. Jur. gén. 1884, 1, 339; CA Orléans, 24.7.1890, D. Jur. gén. 1891, 2, 337. 468 CA Paris, 12.8.1879, D. Jur. gén. 1880, 2, 41; Cass. req., 10.8.1880, D. Jur. gén. 1881, 1, 457; Cass. civ., 18.3.1891, D. Jur. gén. 1891, 1, 401. 469 Art. 10 Gesetz vom 24 juillet 1867 verpflichtete die Aufsichtsratsmitglieder z.B. zum Überprüfen der Bücher und der Kasse der Gesellschaft; dazu CA Orléans, 30.7.1881, D. Jur. gén. 1882, 2, 121. CA Paris, 5.12.1887, D. Jur. gén. 1889, 2, 185. 470 „Les administrateurs sont responsables, conformément aux règles du droit commun, individuellement ou solidairement suivant les cas, envers la société ou envers les tiers, soit
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sen Fällen primär das Vermögen der geschädigten Personen betroffen – gleichermaßen erfolgten hier Verstöße gegen gesetzliche Regelungen sowie vertragliche Pflichten. cc) Sonstige Fälle Neben diesen Fallgruppen bildeten Verletzungen des Vermögens auch in weiteren Fällen den primären Gegenstand von Entscheidungen. Häufig drehten sich die Fälle um eine Zwangsvollstreckung oder Pfändung (saisie): Dem Gerichtsvollzieher unterliefen Fehler, zum Beispiel pfändete er fremde oder zu wenig Sachen, oder es gab Probleme mit dem Titel. Für die Betroffenen selbst konnte dies eine Verletzung des Eigentums begründen. Aus Sicht des Gläubigers ergaben sich aber häufig bloße Vermögensverletzungen, etwa weil er aufgrund der fehlerhaften Durchführung auf seinen Schulden sitzen blieb und folglich eine dauerhafte Vermögenseinbuße erlitt. 471 Auch hier verband die Beteiligten jedoch ein vertragliches Verhältnis oder die Verletzung einer gesetzlichen Regelung war gegeben. Weiterhin hatten sich die Gerichte vereinzelt auch mit den Folgen wahrheitswidriger Auskünfte und Empfehlungen zu befassen – auch in diesen Fällen ging es in erster Linie um primäre Vermögensschäden. Im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen kann für diese jedoch nicht an Gesetzesverstöße angeknüpft werden. Während belgische Gerichte eine Haftung nur im Falle von arglistiger Täuschung oder Betrug annahmen, 472 was auf das generelle Erfordernis einer Rechtsgutsverletzung hindeuten könnte, gingen französische Gerichte nicht auf diese zusätzlichen Voraussetzungen ein. 473 e) Verletzung von Vertragspflichten An einigen Stellen bei der Darstellung der einzelnen Fallgruppen ist schon deutlich geworden, dass die Rechtsprechung die deliktische Generalklausel auch in Fällen anwendete, in denen zwischen den Parteien ganz offensichtlich
des infractions aux dispositions de la présente loi, soit des fautes qu’ils auraient commises dans leur gestion, notamment en distribuant ou en laissant distribuer sans opposition des dividendes fictifs.“ CA Paris, 16.4.1870, D. Jur. gén. 1870, 2, 121; Cass. req., 16.1.1878, D. Jur. gén. 1879, 1, 209; Cass. civ., 5.5.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 20. 471 Von einer näheren Befassung mit diesen Fragen wurde abgesehen, da sich auch in der Lehre im Rahmen der deliktischen Generalklausel keine Details oder Verweise auf diese Entscheidungen finden. Gleichwohl wird auch in diesen Fällen erkennbar, wie weit die Rechtsprechung den Anwendungsbereich der Art. 1382 f. Cc gefasst hat. 472 So etwa Cour de Bruxelles, 7.4.1857, D. Jur. gén. 1857, 2, 223, für den Ratschlag eines Notars; Cour de Gand, 24.7.1873, Pasicrisie 1873, 2, 348. Siehe zu dieser Entscheidung auch Laurents Ausführungen, oben S. 158 f. 473 Cass. req., 25.8.1831, D. Jur. gén. 1831, 1, 340; CI Rouen, 30.6.1851, D. Jur. gén. 1853, 2, 154.
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eine vertragliche Beziehung bestand. Die Gerichte stützten den Ersatzanspruch für die Verletzung vertraglicher Pflichten in der Regel ohne weitere Diskussion oder Bezug auf das Vertragsverhältnis auf die Art. 1382 f. Cc.474 Im Gegensatz zur deliktischen Haftung ließ sich die vertragliche Haftung nicht auf ein allgemeines Prinzip zurückführen oder in einem solchen zusammenfassen. 475 Die Anwendung der Art. 1382 f. Cc auf solche Situationen hatte zur Folge, dass es in einer Vielzahl von Fällen auf die von der Lehre betonte (bzw. gemeinte) Verletzung eines absoluten Rechts gar nicht mehr ankam: Die faute bestand in der Verletzung einer vertraglichen Pflicht. Mit dieser korrespondierte aus Sicht des Geschädigten zwar auch ein Recht, das folglich verletzt wurde – dieses Recht ergab sich jedoch lediglich aus der Vereinbarung zwischen den Parteien. Als relatives Recht war es mit den im Übrigen absolut geschützten Rechten und Rechtsgütern nicht vergleichbar. Folge der Einbeziehung vertraglicher Pflichtverletzungen war eine erhebliche Ausdehnung der Haftung. Besonders häufig waren die Parteien in einem Auftrag miteinander verbunden. Dies betraf nicht nur die schon erwähnten Notare, sondern insbesondere auch Rechtsanwälte. 476 Aber auch die Verletzung dienst- oder werkvertraglicher Pflichten erlangte im Zusammenhang mit der deliktischen Generalklausel immer wieder Bedeutung: Der Transport von Waren beruhte ebenso auf einer vertraglichen Grundlage wie die Beförderung von Personen oder die Planung und Erstellung eines Bauwerkes. Gleiches galt auch für die Behandlung durch Ärzte.477 Der Verlust oder die Beschädigung von Waren, die Verletzung von Fahrgästen oder die fehlerhafte Behandlung eines Patienten bildeten Verletzungen vertraglicher (Neben- oder Schutz-)Pflichten. Auch die verspätete Ankunft einer Eisenbahn mit der Folge, dass Termine oder Geschäfte verpasst
474
So auch Grandmoulin, Unité de la responsabilité, S. 39; Rouard de Card, Distinction,
S. 4. 475
Halpérin, French doctrinal writing, S. 77 f. Cass. civ., 15.5.1848, D. Jur. gén. 1848, 1, 111; CA Colmar, 29.12.1852, D. Jur. gén. 1856, 2, 6; Cass. req., 23.11.1857, D. Jur. gén. 1858, 1, 173; CA Poitiers, 26.2.1879, D. Jur. gén. 1879, 2, 115; Cass. req., 5.8.1879, D. Jur. gén. 1881, 1, 268; CA Nîmes, 16.1.1889, D. Jur. gén. 1889, 2, 260; Cass. req., 17.6.1895, D. Jur. gén. 1895, 1, 486; Cass. req., 1.2.1897, D. Jur. gén. 1897, 1, 96; Cass. req., 31.1.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 300; Cass. req., 26.12.1898, D. Jur. gén. 1899, 1, 484. Im Gegensatz zu den typischen Fehlern von Notaren ging es hier freilich mehr um die Wahrnehmung der Interessen der Klienten, insbesondere auch im Prozess. 477 Cass. req., 18.6.1835, D. Jur. gén. 1835, 1, 300; CA Colmar, 10.7.1850, D. Jur. gén. 1852, 2, 196; Cass. req., 21.6.1862, D. Jur. gén. 1862, 1, 419; CI Metz, 21.5.1867, D. Jur. gén. 1867, 2, 110; CA Nîmes, 26.2.1884, D. Jur. gén. 1884, 2, 176: In der Fn. zu dieser Entscheidung erfolgen auch Ausführungen zur vertraglichen Haftung und zu der Beschränkung der Haftung durch die Gerichte auf faute lourde. 476
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wurden oder Waren verdarben, 478 oder allgemein die verspätete Erfüllung 479 stellten in erster Linie Fälle der „Schlechterfüllung“ dar. Ende des 19. Jahrhunderts unterschied die Cour de cassation dann jedoch in einigen Entscheidungen deutlich zwischen vertraglichem und deliktischem Bereich. So betonte sie, dass die arglistige Nichterfüllung einer vertraglichen Pflicht kein Delikt oder Quasidelikt darstelle, und Schadensersatz sich nur nach Vertragsrecht richte.480 1890 erfolgte dann ein weiterer Schritt der Rechtsprechung zur Trennung von vertraglicher und deliktischer Haftung. In einer Entscheidung der Cour de cassation vom 21.1.1890 ging es um die mangelhafte Ausführung eines Auftrags und die Frage, wonach sich in diesem Fall das Verschulden richte. Die Cour de cassation betonte dabei ganz deutlich: „La règle d’après laquelle toute faute quelconque oblige son auteur à réparer le dommage qui en résulte ne s’applique qu’en matière de délits ou de quasi-délits; elle ne concerne pas les fautes qui peuvent être commises dans l’exécution d’une convention.“481 Die vertragliche faute war danach also von der deliktischen zu unterscheiden und es galten gesonderte Maßstäbe für das Verschulden. 482 Einige Gerichte wendeten die Art. 1382 f. Cc zunächst aber weiter auf die Verletzung von Vertragspflichten an; 483 andere differenzierten dagegen auch zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung. 484 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat die Rechtsprechung dieses Problem nicht abschließend gelöst.
478
Für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in diesem Zusammenhang siehe z.B. CI Paris, 19.11.1853, D. Jur. gén. 1855, 2, 310; CI Dijon, 20.11.1866, D. Jur. gén. 1866, 2, 245; Cass. req., 15.2.1870, D. Jur. gén. 1871, 1, 170; Cass. req., 13.12.1871, D. Jur. gén. 1872, 1, 360; Cass. civ., 4.12.1894, D. Jur. gén. 1895, 1, 526; Cass. civ., 1.12.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 561; Cass. civ., 13.7.1898, D. Jur. gén. 1899, 1, 52; Cass. civ., 31.3.1897, D. Jur. gén. 1899, 1, 454. 479 CA Lyon, 4.1.1872, D. Jur. gén. 1872, 2, 225: Käufer muss wegen Ausbleibens der Lieferung Ersatz zu höheren Preisen beschaffen; etwas anderer Sachverhalt (Vertragsausführung unmöglich geworden): Cass. req., 11.5.1898, D. Jur. gén. 1899, 1, 310. 480 Cass. req., 23.11.1885, D. Jur. gén. 1886, 1, 11. Anders dagegen noch CI Agen, 6.2.1865, Sir. 1865, 2, 240. 481 Cass. req., 21.1.1890, D. Jur. gén. 1891, 1, 380. 482 Siehe auch die Fn. zu der Entscheidung in D. Jur. gén. 1891, 1, 380. 483 In einer Entscheidung vom 20.3.1893 betonte die CA Rennes, D. Jur. gén. 1893, 2, 526, ganz deutlich, dass auch vertragliche Verletzungen unter die deliktische Generalklausel fallen: „la règle de l’article 1382 … est générale et absolue, applicable dans tous les cas, que le dommage ait été causé au cours de l’exécution d’un contrat quelconque à l’un des contractants par son co-contractant, ou qu’il soit le fait d’un tiers juridiquement étranger à la personne lésée; … dans le premier cas comme dans le second, l’obligation de réparer le dommage naît exclusivement d’un fait personnel à celui qui l’a causé.“ 484 Cass. civ., 12.7.1893, D. Jur. gén. 1895, 1, 145.
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3. Zwischenergebnis zur Rechtsprechungspraxis Die Analyse der Rechtsprechung war unter verschiedenen Gesichtspunkten aufschlussreich. Zunächst lässt sie deutlich die typischen Anwendungsfälle der deliktischen Haftung in der Praxis erkennen. Wie weit das Spektrum an Fallkonstellationen reichte, wird so wesentlich deutlicher als durch die Darstellungen in der Lehre. Es ging um den Verlust von Sachen, um schädliche Einwirkungen auf das Grundstück durch den Nachbarn oder den Betrieb einer Mine, um Beschädigungen durch Feuer oder Kaninchen. Die Haftung von Notaren beschäftigte die Gerichte als Fallgruppe mit Abstand am häufigsten. Daneben ging es aber auch um Verletzungen durch nichteingehaltene Heiratsversprechen, Beleidigungen oder Prozessführung. In späteren Jahrzehnten kamen Verletzungen geistigen Eigentums sowie Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Auflösung einer Gesellschaft hinzu. Die Analyse der Rechtsprechung zeichnet gleichermaßen aber auch ein Bild der sich im 19. Jahrhundert vollziehenden gesellschaftlichen und technischen Entwicklung: Die industrielle Revolution brachte neben Fortschritt auch ein erhöhtes Risiko für Leib und Leben der Menschen mit sich, sei es für Arbeiter durch explodierende Maschinen oder allgemein durch die Benutzung moderner öffentlicher Verkehrsmittel. Die Rechtsprechung sah sich zum Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt mit Situationen konfrontiert, die weit außerhalb der Vorstellung des Gesetzgebers von 1804 lagen. Eine starre Anwendung der Vorschriften konnte schnell zu unbilligen Ergebnissen führen – dies traf insbesondere auf das Erfordernis der faute bzw. die damit verbundene Beweislast zu. Mit der Anordnung einer Gefährdungshaftung für den Arbeitgeber behob der Gesetzgeber 1898 das Dilemma der Gerichte im Bereich der Haftung bei Arbeitsunfällen. Weiterhin gibt die Rechtsprechungsanalyse einen Überblick, um welche Rechtsverletzungen es in den Entscheidungen jeweils tatsächlich ging. Die Gerichte knüpften die Haftung zwar stets an eine faute. Nähere Erläuterungen zu diesem Tatbestandsmerkmal finden sich in den Urteilen jedoch nicht. Nur in vereinzelten Entscheidungen ist von dem Erfordernis der Rechtsverletzung überhaupt die Rede. Entweder war dieses aus Sicht der Rechtsprechung für die Haftung nicht weiter relevant oder aber es stellte eine Selbstverständlichkeit dar, die keiner weiteren Erwähnung bedurfte. 485 Gleichwohl lassen sich die Entscheidungen nach den verletzten Rechten ordnen. In den meisten Fällen ging es um die Verletzung eines absoluten Rechts wie des Lebens, des Körpers, des Ansehens, der Ehre oder des Eigentums. Eigentumsverletzungen jeglicher Art machten dabei insgesamt den größten Anteil an Fällen aus. Die typischen
485
In einer Urteilsanmerkung aus dem Jahr 1872 wurde dieses Erfordernis jedenfalls noch betont, siehe oben S. 209.
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Anwendungsfälle der deliktischen Generalklausel stellten damit tatsächlich Verletzungen subjektiver, absoluter Rechte dar. 486 Daneben ist jedoch auch deutlich geworden, dass die Gerichte die Art. 1382 f. Cc auch in Fällen anwendeten, in denen lediglich das Vermögen als solches verletzt war, nämlich bei der Notarhaftung, bei der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, beim Ersatz für vertragliche Pflichtverletzungen sowie für schädigende Empfehlungen und Ratschläge. Wie sind diese Fälle nun aber mit dem für die Lehre festgestellten Befund der Haftungsbeschränkung vereinbar? In den ersten beiden Fällen lag in der Regel ein Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift und damit ein fait illicite vor.487 Schwieriger ist die Begründung dagegen für den Einbezug vertraglicher Pflichtverletzungen sowie insbesondere für andere primäre Vermögensschäden. Mit dem in der Lehre immer wieder zu findenden Erfordernis einer Rechtsverletzung – womit wie gezeigt die Verletzung eines absoluten Rechts gemeint war – lässt sich das nur schwer vereinbaren. Allerdings geht aus den Urteilen nicht hervor, dass auch die Gerichte die Haftung nach Art. 1382 f. Cc von einer solchen Rechtsverletzung abhängig machen wollten. Daher konnten sie auch ohne weitere Diskussion Fälle unter die allgemeine Generalklausel fassen, in denen kein absolut geschütztes Recht verletzt war. Der Wortlaut des Art. 1382 Cc steht einem derart weiten Verständnis nicht entgegen und eröffnet den Gerichten damit die Möglichkeit, für umfassenden Schutz zu sorgen. Aus Sicht der Gerichte mag eine so weite Auslegung der Generalklausel sogar geboten gewesen sein. Dafür lassen sich zwei Gedanken anführen. Zum einen ein historischer: Nach den negativen Erfahrungen im Ancien Régime bestand für die Rechtsprechung zur Vermeidung jedweder Willkür ein absolutes Rechtsfortbildungsverbot. Die Gerichte orientierten sich daher streng an dem Wortlaut des Gesetzes und durften diesen nicht überschreiten. Zur Auslegung der einzelnen Vorschriften zogen sie in erster Linie die Begründungen der Gesetzgebungskommission heran. Weder aus dem Wortlaut der Art. 1382 f. Cc noch aus den Begründungen der Redaktoren ergibt sich jedoch explizit das Erfordernis der Rechtsverletzung oder anderweitige Einschränkungen der deliktischen Haftung. 488 Zwar scheint eine gewisse Beschränkung der Haftung vor dem Hintergrund der Entwicklung im Ancien droit eine Selbstverständlichkeit
486
Dies stützt die These, dass auch die Redaktoren des Code civil im Hinblick auf eine Haftung aus den Art. 1382 f. Cc genau derartige Verletzungen vor Augen hatten. 487 Für die Notarhaftung enthielt insbesondere das Gesetz vom 25 ventôse an XI spezielle Vorschriften; so auch Rutgeerts, Commentaire, II, Nr. 1312. 488 Die Rechtsprechung lässt an keiner Stelle erkennen, dass der Umfang der Haftung von den Redaktoren des Code civil möglicherweise begrenzt verstanden worden sein könnte. Ein etwaiges Verständnis war entweder nie bewusst vorhanden oder ging im Laufe der Zeit verloren.
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gewesen zu sein. 489 Ausdruck im Gesetz fand dies jedoch nicht – rein formal war es für die Gerichte im Gegensatz zur Lehre damit schwierig, diese Selbstverständlichkeit bei der Anwendung des Rechts zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Rechtsverletzung hätte die weite Generalklausel beschränkt und damit aus Sicht der Rechtsprechung möglicherweise dem Willen des Gesetzgebers entgegengestanden, dem wie gezeigt eine derartige Einschränkung nicht ausdrücklich zu entnehmen war. Zum anderen mag die französische Praxis durch das Prinzip der fraternité bedingt sein.490 In der Präambel der Verfassung der 2. Republik vom 4.11.1848 hieß es unter IV: „[La République française] a pour principe la Liberté, l’Egalité et la Fraternité“. Napoléon III. erhob die fraternité damit zum Verfassungsprinzip. Ihrem Ursprung nach stellte diese jedoch kein Rechtsprinzip dar,491 sondern lediglich ein Gebot der Moral und des Gefühls, das seine Wurzeln in der christlichen Nächstenliebe und Barmherzigkeit hat. 492 Die universelle Liebe der Menschen untereinander und die Gleichheit zwischen ihnen führen zu einer gegenseitigen Verbindung, zu zwischenmenschlicher Solidarität und Verpflichtung. 493 Jeder Einzelne ist danach mitverantwortlich für die Interessen der Anderen.494 Ausdruck dieses Gedankens ist auch die Regel der natürlichen Moral „Ne fais pas à autrui ce que tu ne voudrais pas qu’on te fit à toimême“, auf die auch die französischen Juristen des 19. Jahrhunderts die Ersatzpflicht stützten. 495 Wo aber einer anderen Person ein Schaden zugefügt
489 Dies zeigt ja auch das nahezu einhellige Bild in der Lehre im 19. Jahrhundert: Das Erfordernis der Rechtsverletzung stellte eine wesentliche Voraussetzung für die deliktische Haftung dar. Dem stand auch das überwiegend exegetische Vorgehen der Lehre nicht entgegen. Das Gesetz enthielt an keiner Stelle eine Definition der faute, und so konnte diese Voraussetzung entsprechend ausgelegt werden. 490 So auch Jansen, Binnenmarkt, S. 75 f.; ders., Europäisches Haftungsrecht, S. 36 f. 491 Weder die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, noch die Verfassungen der Revolutionszeit nahmen auf die fraternité Bezug. Greive, Französische Revolutionsparole, S. 745, spricht daher davon, dass die gesetzgeberisch-politische Wirklichkeit das gesellschaftliche Ideal Ende des 18. Jahrhunderts nicht widerspiegelte. Zu den Gründen, warum die fraternité erst in der Revolution von 1848 wieder eine Bedeutung erlangte, Röttgers, Fraternité und Solidarität, S. 19 ff. 492 Antoine, Liberté, égalité, fraternité, S. 135; zur Säkularisierung des Begriffs a.a.O., S. 136 ff. 493 Greive, Französische Revolutionsparole, S. 740, 745. Eng verbunden mit dem Begriff der fraternité ist daher auch der der Solidarität. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstand Bourgeois die solidarité als eine allen gegenüber den Mitmenschen auferlegte Pflicht, die noch viel weiter gehe als die der Barmherzigkeit: Idée de solidarité, S. 2. Wie Röttgers, Fraternité und Solidarität, S. 19 ff., darlegt, handelt es sich dabei jedoch keinesfalls um Austauschbegriffe. 494 Siehe auch Jansen, Europäisches Haftungsrecht, S. 37. 495 Siehe etwa oben S. 71 ff. (Domat) oder S. 87 (d’Aguesseau).
B. Verständnis in Lehre und Rechtsprechung
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wurde, dort scheinen es diese besondere zwischenmenschliche Verbindung sowie Billigkeit und Gerechtigkeit zu verlangen, 496 dass der Verantwortliche den Schaden ersetzt – und zwar so umfassend wie möglich. Gewisse Beschränkungen folgten allerdings aus den Grundsätzen zum Gebrauch eigener Rechte, auf den die Gerichte zum Teil sehr ausführlich eingingen. Ebenso wendeten sie die Rückeinschränkung des Rechtsmissbrauchs an. Dabei knüpften sie ihre Erörterungen jedoch nicht an eine bestimmte Haftungsvoraussetzung an – auf das Entfallen eines widerrechtlichen Verhaltens, eines fait illicite, gingen sie beispielsweise nicht ein. Im Hinblick auf den Umfang der deliktischen Haftung zeigt die Analyse der Rechtsprechung damit, dass die Gerichte sehr umfassend Ersatz gewährten und es scheint, als ob sie sämtliche Schäden als von der Generalklausel in Art. 1382 f. Cc erfasst ansahen. Die Verletzung eines absoluten Rechts setzten sie für die deliktische Haftung dabei nicht erkennbar voraus. III. Vergleichende Auswertung Die Untersuchungen von Lehre und Rechtsprechung offenbaren für das 19. Jahrhundert eine gewisse Diskrepanz im Hinblick auf den Umgang mit der deliktischen Haftung, und insbesondere für das Verständnis vom Umfang der Haftung. Viele Juristen betonten auch Ende des 19. Jahrhunderts ganz selbstverständlich noch das Erfordernis einer Rechtsverletzung (als Element der faute). Als solche verstanden sie eine Beeinträchtigung des Lebens, des Körpers, der Sicherheit, der Freiheit, des Ansehens, der Ehre oder des Eigentums, also absoluter Rechte. Der Umfang der Haftung war bei ihnen damit klar beschränkt. Konkrete Beispielsfälle, die dies verdeutlichen würden, fehlen in diesem Zusammenhang jedoch. Eine Untersuchung der Rechtsprechung hat demgegenüber ergeben, dass die Gerichte grundsätzlich nicht – zumindest nicht erkennbar – auf eine Rechtsverletzung abgestellt haben; ein Bezug erfolgte jedenfalls nur in vereinzelten Entscheidungen. In den meisten Fällen ging es zwar tatsächlich um die Verletzung absoluter Rechte. Daneben stützten die Gerichte aber auch Fälle auf die Art. 1382 f. Cc, in denen der Geschädigte lediglich eine Verletzung seines Vermögens erlitten hatte. Häufig ging es auch um die Verletzung vertraglicher Pflichten – zwar korrespondierte damit ein Recht des Vertragspartners, das verletzt wurde, dieses ist jedoch von den absolut geschützten Rechten zu unterscheiden. Der Umfang der Haftung scheint damit in der Praxis der Gerichte nicht in ähnlicher Weise beschränkt gewesen zu sein, wie dies in der Lehre der Fall war. 497 496
Jansen, Europäisches Haftungsrecht, S. 37. Siehe auch Bourgeois, Idée de solidarité, S. 8: „l’idéal de la société c’est la justice pour tous.“ 497 Im Hinblick auf die Haftung von Notaren ist dabei zu beachten, dass auch die Lehre diese Fälle anführte (bzw. auflistete), gleichwohl aber an dem Erfordernis der Rechtsverletzung festhielt.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Viele Juristen setzten sich weiterhin ausführlich mit der Ausübung eines Rechts sowie mit dessen Missbrauch auseinander – überwiegend jedoch in theoretischer Form mit Lehrbuchbeispielen. Die Rechtsprechung wendete diese Prinzipien aber in einigen Fällen auch in der Praxis an. Die zulässige Ausübung eines Rechts ließ aus Sicht der Lehre die Unerlaubtheit der Handlung entfallen. Dies bewirkte damit ebenfalls eine gewisse Einschränkung. Die Rechtsprechung wendete allerdings auch diese haftungsbeschränkenden Prinzipien grundsätzlich viel enger an als die Lehre. Einige Gerichte zogen die Grenze der Anwendbarkeit bereits bei Vorliegen einer Rechtsverletzung, andere forderten ein „ernsthaftes und legitimes Interesse“. Häufig stellten sie beispielsweise darauf ab, ob das unter Nachbarn hinzunehmende Maß an Beeinträchtigung überschritten sei oder nicht. Schließlich lässt sich anhand der Rechtsprechung deutlich die gesellschaftliche und technische Entwicklung nachvollziehen. Sarrut schrieb im Jahr 1885: „Les décisions de la jurisprudence signalent les espèces fréquentes en pratique, montrent comment dans la réalité des faits le droit est mis en mouvement“. 498 Genau das hat auch der Vergleich zwischen Lehre und Rechtsprechung gezeigt: Während die Lehre grundsätzlich eher theoretisch vorging, mussten die Gerichte das Recht in der Praxis auf reale Fälle anwenden und möglichst ein billiges Ergebnis erreichen. Im Laufe des Jahrhunderts kamen immer wieder neue Probleme auf, bei denen eine starre Anwendung der Art. 1382 f. Cc an ihre Grenzen stieß. Die Gerichte reagierten und passten die Auslegung der Vorschriften entsprechend an. Erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts befassten sich auch Universitätsjuristen kritisch mit aktuellen (Rechtsprechungs-)Entwicklungen zu Einzelfragen (Arbeitsunfälle, Beförderung von Personen, Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen, théorie du risque crée als Ersatz für die faute) – Vergleichbares erfolgte in den allgemeinen Werken zur deliktischen Haftung dagegen nicht. Insgesamt hat die Untersuchung damit ergeben, dass die französische Rechtsprechung den Umfang der deliktischen Haftung während des 19. Jahrhunderts in der Praxis deutlich weiter zog als die Lehre. Im Gegensatz zu letzterer knüpften die Gerichte nicht an die Verletzung eines (absoluten) Rechts an und gewährten ohne erkennbare Einschränkungen Ersatz. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es erste Bestrebungen, klarer zwischen vertraglicher und deliktischer faute zu differenzieren und die vertragliche faute nicht unter die allgemeine deliktische Generalklausel zu fassen.
498
Sarrut, Compte-rendu, S. 135.
C. Der Code civil in Deutschland
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C. Der Code civil in Deutschland C. Der Code civil in Deutschland
Die bisherigen Betrachtungen beschränkten sich auf die Anwendung des Code civil in Frankreich und auf das Verständnis der deliktischen Haftung von französischer Lehre und Rechtsprechung. 499 Während des 19. Jahrhunderts galt der Code civil jedoch auch in Teilen Deutschlands. Anhand des Rheinischen Rechts und des Badischen Landrechts lässt sich für nahezu den gesamten Untersuchungszeitraum dieses Kapitels aufzeigen, wie die Vorschriften zur deliktischen Haftung im Code civil in Deutschland interpretiert und angewendet wurden und welches Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung in der deutschen Rechtswissenschaft vorherrschte. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse zum französischen Recht erscheint dabei eine ganz zentrale Frage, welche Bedeutung dem Erfordernis der Rechtsverletzung in der deutschen Lehre und Rechtsprechung zukam: Welche Fälle wurden dort zur deliktischen Generalklausel erörtert und tatsächlich entschieden, und um welche Rechtsverletzungen ging es dabei jeweils? Unterschied sich die deutsche Rechtspraxis in bestimmten Fragen von der französischen? Das Verständnis, das deutsche Lehre und Rechtsprechung vom Umfang der deliktischen Haftung hatten, hilft, die Erkenntnisse zum französischen Recht unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten; Eigentümlichkeiten und Besonderheiten des französischen Verständnisses werden so deutlicher sichtbar. Bevor der Umfang der deliktischen Haftung jedoch untersucht werden kann, ist es zunächst erforderlich, einen Blick auf die äußeren Rahmenbedingungen zu werfen, also die Rezeption des französischen Deliktsrechts und gesetzliche Abweichungen in Deutschland näher zu betrachten, und den generellen Umgang der deutschen Lehre und Rechtsprechung mit diesem Gesetz darzustellen (I.). Im Hinblick auf das Verständnis der deliktischen Generalklausel bietet sich anschließend auch für die deutsche Rechtswissenschaft eine separate Untersuchung von Lehre (II.) und Rechtsprechung (III.) an. I. Die Rezeption des Code civil in Deutschland Im Anschluss an die Revolutionskriege annektierte Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts die linksrheinischen Gebiete, was im Rahmen des Friedens von Lunéville förmliche Bestätigung erhielt. Am 9.3.1801 wurden die Departements Rhin-et-Moselle, Roer, Sarre und Mont-du-Tonnerre offiziell französisches Staatsgebiet; ab dem 23.9.1802 galt dort die französische Verfassung. 500
499 Zachariae sticht als Deutscher aus diesen Betrachtungen zwar hervor; wie gezeigt prägte sein Handbuch aber auch die französische Rechtswissenschaft und Praxis in großem Maße. 500 Dölemeyer, Kodifikationen, S. 1441 m.w.N.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Der Geltungsbereich des Code civil erstreckte sich am 21.3.1804 folglich automatisch auch auf diese Gebiete. 501 In den darauffolgenden Jahren trat der Code civil auch in vielen Gebieten in Kraft, die von Napoleon abhängig waren, unter anderem im Königreich Westphalen, den Großherzogtümern Berg und Frankfurt sowie einigen rechtsrheinischen Gebieten. 502 Eine Rezeption durch sämtliche Mitgliedsstaaten des Rheinbundes als eine Art europäisches Zivilrecht vermochte Napoleon jedoch nicht zu erzielen. 503 Mit dem Ende der Herrschaft Napoleons endete meistenorts auch die Geltung des Code Napoleon. 504 Bereits 1814 bestimmte Preußen die Wiedereinführung des ALR in den Rheinprovinzen.505 Für die linksrheinischen Departements galt dies allerdings nicht: Dort löste erst das BGB das französische Recht ab, das bis 1900 als „Rheinisches Recht“ fortgalt; 506 ähnliches galt für Elsaß-Lothringen, das ab dem 3.7.1871 zum Deutschen Reich gehörte. 507 Zu einer freiwilliigen Einführung des Code civil trotz Unabhängigkeit von Napoleon kam es im Großherzogtum
501 Ausführlich zum französischen Recht in den linksrheinischen Departements Schubert, Französisches Recht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 81 ff. 502 Siehe die Nachweise bei Dölemeyer, Kodifikationen, S. 1449 ff. Napoleon hatte z.B. das Königreich Westphalen, dessen Herrschaft er seinem Bruder Jerôme übertrug, durch Dekret vom 18.8.1807 gegründet, einige Monate später wurde es Mitglied des Rheinbundes. Zu den Schwierigkeiten, die mit der Einführung des Code civil im Königreich Westphalen verbunden waren, siehe Mohnhaupt, Gerichtspraxis, S. 37 ff. 503 Ausführlich dazu Schubert, Französisches Recht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 38 ff. Gleichwohl ließ ihn die weite Ausbreitung in vielen Teilen Europas als „neuartige[s] ius commune“ erscheinen, Schulze, Französisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, S. 24. Zu Napoleons Rheinbundpolitik siehe Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 14 ff. 504 Für das Königreich Westphalen siehe Mohnhaupt, Gerichtspraxis, S. 58 f. m.w.N. Daneben fand aber auch die Forderung nach einer Weitergeltung in Deutschland zahlreiche Anhänger, siehe ausführlich dazu sowie insgesamt zur Situation nach 1814 Schubert, Französisches Recht zu Beginn der Restaurationszeit, S. 129 ff. 505 Patent wegen Wiedereinführung des Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung in die von den Preußischen Staaten getrennt gewesenen mit denselben wieder vereinigten Provinzen. Vom 9ten September 1814, Gesetzsammlung für die KöniglichPreußischen Staaten 814, Nr. 248 (S. 89 ff.). 506 Zur Diskussion um die Einführung des ALR und der Allgemeinen Gerichtsordnung in diesen Gebieten, und den Gründen für das Scheitern siehe Landsberg, Rheinisches Recht, S. 149 ff.; Schubert, Französisches Recht zu Beginn der Restaurationszeit, S. 154 ff.; ders., Rheinischer Provinziallandtag, S. 123 ff. m.w.N. Wie Müller, Code civil en Allemagne, S. 633, betont, wies der Code civil gegenüber dem ALR gewisse Vorzüge betreffend die Form und den praktischen Nutzen auf, die eine Einführung des ALR nicht attraktiv erscheinen ließen. Das Königliche Patent vom 9. September 1814 wurde in diesen Gebieten nicht in Kraft gesetzt, da die völkerrechtliche Zuordnung noch ungeklärt war: Weller, Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 34 f. Siehe dens., a.a.O., S. 32 ff., allgemein zum französischen Recht in Preußen. 507 Dölemeyer, Kodifikationen, S. 1441, 1443; Schumacher, Rheinisches Recht, S. 17 f.
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Baden:508 Am 1.1.1810 trat das Badische Landrecht oder, wie es im 1. Einführungsedikt vom 3.2.1809 hieß, „Code Napoléon mit Zusätzen und Handelsgesetzen als Land-Recht für das Großherzogtum Baden“ in Kraft,509 und galt ebenfalls bis zur Einführung des BGB. 1. Gesetzliche Besonderheiten in Deutschland Während sowohl in den linksrheinischen Gebieten als auch in Elsaß-Lothringen der Code civil in seiner ursprünglichen Form unverändert galt, 510 nahm der badische Gesetzgeber einige Ergänzungen zu den Art. 1382 f. Cc vor (a). Hinzu kamen überall spezialgesetzliche Regelungen, die Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der deliktischen Generalklausel hatten (b). a) Die deliktische Generalklausel im Badischen Landrecht Die freiwillige Einführung des Code civil beruhte in Baden auf verschiedenen Überlegungen. Zunächst bot dies eine Möglichkeit, die erhebliche Rechtszersplitterung im Großherzogtum zu beseitigen und auf relativ einfache Weise Rechtseinheit zu schaffen. 511 Weiterhin bestand die Befürchtung, dass Napoleon Baden über kurz oder lang zur Einführung des Code civil zwingen würde – der Eindruck der damit verbundenen Untertänigkeit sollte unbedingt vermieden werden.512 Durch eine freiwillige Einführung dagegen konnte man sowohl den Zeitpunkt des Inkrafttretens selbst bestimmen als auch gewisse Modifikationen am Gesetzestext vornehmen. 513 Letztere betrafen die Sprache – rechtliche Fachausdrücke sollten auf eine dem Volk verständliche Art ausgedrückt 508 Zum Territorium des Großherzogtum Badens sowie näher zur Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts siehe Bader, Politische und rechtliche Entwicklung, S. 16 ff.; zur rechtlichen Situation insbesondere auch Barazetti, Einführung, S. 30 ff.; zur Einführung des Code civil in Baden bzw. der Entstehung des Badischen Landrechts siehe Andreas, Einführung des Code Napoléon, S. 182 ff.; Schubert, Französisches Recht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 193 ff.; Schumacher, Rheinisches Recht, S. 23 ff. 509 Bad. Rgbl., 1809, S. 77 ff. 510 Die offizielle Geltung bezog sich nur auf die Originalsprache, Schumacher, Rheinisches Recht, S. 43. 511 Andreas, Einführung des Code Napoléon, S. 184 f.; Gross, Der Code Civil in Baden, S. 13 f.; Dölemeyer, Kodifikationen, S. 1444; Schubert, Französisches Recht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 193 ff. Für einen detaillierten Überblick über die zuvor bestehende Rechtszersplitterung siehe auch Frey, Badisches Landrecht, S. 2 ff. 512 Federer, Beiträge zur Geschichte, S. 98. Im Dezember 1807 ließ Napoleon dem badischen Minister des Äußeren ganz zwanglos mitteilen, dass er sich über die Annahme seines Gesetzbuchs freuen würde, siehe Andreas, Einführung des Code Napoléon, S.194 f. m.w.N.; Gross, Der Code Civil in Baden, S. 13 f. Bereits einige Monate zuvor hatte er sich mit diesem Anliegen auch direkt an Badens Großherzog Karl Friedrich gewandt, Federer, a.a.O., S. 97. 513 Andreas, Einführung des Code Napoléon, S. 197 f.; Gross, Der Code Civil in Baden, S. 13, Fn. 25.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
werden – sowie die Aufnahme heimischer Rechtsgebräuche, häufig in Form von Zusätzen. 514 Die Gesetzgebungskommission empfand die Regelungen in den Art. 1382– 1386 Cc als zu unbestimmt und „ziemlich summarisch“. 515 Der Art. 1382 LRS (= Landrechtssatz; „Jede unrechte That eines Menschen, welche einen Andern beschädigt, verbindet den Thäter zur Entschädigung.“) wurde daher um fünf weitere Vorschriften ergänzt: Art. 1382a–f LRS. Diese definierten, was eine „unrechte That“ ausmacht (Art. 1382a LRS),516 betonten das Recht auf Entschädigung (Art. 1382b LRS)517 und die Pflicht zum Schadensersatz (Art. 1382c LRS)518 auch bei unvorsätzlichen Taten, regelten die Haftung mehrerer Täter (Art. 1382d LRS),519 und bestimmten, nach welchen Grundsätzen sich die Entschädigung richten sollte (Art. 1382e und f LRS).520 Der badische Gesetzgeber präzisierte damit die weite Vorschrift in Art. 1382 LRS (bzw. Cc), und übernahm so zumindest zum Teil, was der französische Gesetzgeber Lehre und Rechtsprechung überlassen hatte. Doch auch in der Folgezeit wurden die vorhandenen Vorschriften noch als nicht bestimmt genug angesehen. 521 Abhilfe sollte das Gesetz vom 6.3.1845 schaffen, das spezialgesetzlich die privatrechtlichen Folgen von Verbrechen, insbesondere die in diesen Fällen zu leistende Entschädigung, regelte.522 Auf diese Weise sollte das als viel zu weit empfundene Ermessen des Richters beschränkt werden. 523 Die Art. 1382b und 514 Gross, Der Code Civil in Baden, S. 15 ff.; Federer, Beiträge zur Geschichte, S. 101 ff. mit zahlreichen Beispielen. 515 Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 3 f. Siehe auch Brauer, Erläuterungen, S. 290: Die Kürze des Art. 1382 Cc habe es erfordert, gewisse Ergänzungen vorzunehmen. 516 „Unrecht ist die That, womit entweder ein an sich verbotenes Unternehmen vollführt, oder eine in sich erlaubte Unternehmung von einer unberechtigten Person, oder auf eine widerrechtliche Weise, wissentlich verrichtet wird.“ 517 „Alle durch eine unrechte That auch unvorsätzlich beschädigten Personen haben ein Recht auf Entschädigung.“ 518 „Aller durch die unrechte That auch unabsichtlich verursachte Schaden muß ersetzt werden.“ 519 „Von mehreren Thätern, die zu einem Erfolg zusammenwirkten, sind alle jene, die vorsätzlich handelten, sammtverbindlich.“ 520 Art. 1382e LRS: „Die Entschädigung richtet sich nach dem Maasstab, der im vierten Abschnitt des dritten Kapitels über den durch Gefährde veranlaßten Schaden aufgestellt ist.“ Art. 1382f LRS: „Bei persönlichen Beschädigungen besteht die Entschädigung in den Herstellungskosten und in dem entbehrten Verdienst des Beschädigten: Schmerzengeld kann nicht gefordert werden.“ 521 Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 4. 522 „EntschädigungsG“. Dieses Gesetz entstand aus Anlass des Erlasses eines neuen Strafgesetzbuches und sollte die Lage des Geschädigten, nämlich seine zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Schädiger, verbessern, vgl. Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 1 f. 523 Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 12. In den Erläuterungen des Gesetzesentwurfs setzte sich Puchelt bei einzelnen Fragen auch ausführlich mit dem Meinungsstand in der französischen Lehre auseinander, siehe z.B. a.a.O., S. 15.
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1382d LRS wurden jeweils um einige Vorschriften ergänzt, die Art. 1382f LRS durch verschiedene Bestimmungen ersetzt. 524 Die Ergänzungen betrafen dabei Fragen, mit denen sich auch die französische Rechtsprechung (und Lehre) auseinandersetzen musste(n), beispielsweise den Kreis der Ersatzberechtigten, 525 den Umfang der Entschädigung bei Verletzungen im Zweikampf526 oder die Wirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch. 527 b) Spezialgesetzliche reichseinheitliche Regelungen Neben den allgemeinen Vorschriften zur deliktischen Haftung erließ der deutsche Gesetzgeber anders als in Frankreich bereits im 19. Jahrhundert weitergehende Gesetze zu speziellen Fällen der deliktischen Haftung. Besonders einschneidende Folgen hatte das am 7.6.1871 für das Deutsche Reich erlassene Haftpflichtgesetz, das für verschiedene Situationen eine verschuldensunabhängige Haftung anordnete. 528 Insbesondere die hohe Anzahl von Arbeitsunfällen
524
Bezüglich der Ergänzungen zu Art. 1382b LRS siehe §§ 2–6 EntschädigungsG, für Art. 1382d LRS siehe §§ 7–9 EntschädigungsG und für Art. 1382f LRS siehe §§ 10–14 EntschädigungsG. 525 Nach § 3 EntschädigungsG waren den Abkömmlingen eines Getöteten die Mittel zum Unterhalt und zur Erziehung zu gewähren. Ähnlich wie in der französischen Rechtsprechung betonte auch Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 11, dass es hier um das eigene Recht der Abkömmlinge gehe und nicht um dessen Ansprüche als Erben gegen den Schädiger. Da die Schädigung in Bezug auf die Abkömmlinge in der Regel unvorsätzlich erfolge, sei der Umfang des Schadensersatzes näher zu bestimmen. Den Bedarf für eine derartige Konkretisierung sah der Gesetzgeber insbesondere mit Blick auf das große Ermessen französischer Richter in dieser Frage, das in Baden als unangemessen empfunden wurde, Puchelt, a.a.O. § 4 EntschädigungsG statuierte explizit einen Unterhaltsanspruch auch des überlebenden Ehegattens gegen den Schädiger, der erst mit einer etwaigen Wiederverheiratung erlöschen sollte. Dabei kam es nicht auf die Bedürftigkeit an, sondern darauf, dass ein solcher Unterhaltsanspruch auch gegen den verstorbenen Ehepartner bestand. – Die Aufzählung einzelner Personen in §§ 3 ff. EntschädigungsG sollte nicht den Schadensersatzanspruch anderer Ersatzberechtigter ausschließen, sondern nur den Umfang bestimmter Personen konkret regeln; für alle anderen sollten weiterhin die allgemeinen Grundsätze gelten, Puchelt, a.a.O., S. 28 f. Für die Auffassung der französischen Gerichte zu dieser Frage siehe oben S. 208 f. 526 § 13 EntschädigungsG. Zur Diskussion in Frankreich siehe oben S. 204. 527 Gem. § 18 EntschädigungsG sollten zugunsten des (geschädigten) Klägers während des Strafverfahrens erhobene Beweise und Feststellungen auch im zivilrechtlichen Verfahren gelten, insbesondere z.B. betreffend die Schuld des Schädigers bei einer strafrechtlichen Verurteilung. Ein Freispruch im Strafverfahren entfaltete für den Zivilrichter dagegen keine Bindungswirkung, Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 66, Nr. 8. Die französische Rechtswissenschaft kam auch hier zu ähnlichen Ergebnissen, siehe oben S. 209 f. 528 Gesetz, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für die beim Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken etc. herbeigeführten Tödtungen und Körperverletzungen, RGBl. 1871, Nr. 25, S. 207–209.
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
in Bergwerken hatte Anlass zu einer Neuregelung der Haftpflicht gegeben. 529 Die verschuldensunabhängige Haftung betraf den Betrieb von Eisenbahnen 530 sowie Bergwerken oder Fabriken. Für diese hochproblematischen Fälle, die auch in Frankreich zu großer Diskussion führten, schuf der deutsche Gesetzgeber damit wesentlich früher eine gesetzliche Grundlage. Mit Gesetz vom 11.7.1891 nahm sich der Reichsgesetzgeber einer weiteren Problematik an, die auch die französischen Gerichte während des gesamten 19. Jahrhunderts beschäftigte, und die in Frankreich stets über die Art. 1382 f. Cc gelöst wurde:531 Wildschäden.532 Das Wildschadengesetz gewährte dem Nutzungsberechtigten eines Grundstücks einen Ersatzanspruch für Schäden, die durch bestimmte Wildarten (Schwarz-, Rot-, Elch- und Dammwild, Rehwild und Fasane, § 1 WildschadenG) angerichtet wurden. Es handelte sich dabei um eine Gefährdungshaftung. 533 Bereits 1833 schon hatte auch der badische Gesetzgeber dazu spezielle Vorschriften erlassen. 534
529
Buchholz, Einzelgesetzgebung, S. 1766. In Preußen war die Haftung von Eisenbahnunternehmern schon ab 1838 spezialgesetzlich geregelt: „Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen“ vom 3.11.1838, GesetzSammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (Berlin 1838), S. 505 ff. In § 25 hieß es: „Die Gesellschaft ist zum Ersatz verpflichtet für allen Schaden, welcher bei der Beförderung auf der Bahn, an den auf derselben beförderten Personen und Gütern, aber auch an anderen Personen und deren Sachen, entsteht und sie kann sich von dieser Verpflichtung nur durch den Beweis befreien, daß der Schade entweder durch die eigene Schuld des Beschädigten, oder durch einen unabwendbaren äußern Zufall bewirkt worden ist. Die gefährliche Natur der Unternehmung selbst ist als ein solcher, von dem Schadensersatz befreiender, Zufall nicht zu betrachten.“ Siehe dazu auch Buchholz, Einzelgesetzgebung, S. 1766. 531 Oben S. 200 f. 532 Abgedruckt in: Jahrbuch der preußischen Forst- und Jagdgesetzgebung und Verwaltung, 1891, S. 236 ff. 533 Ersatzpflichtig waren nach § 2 WildschadenG in einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk die Grundbesitzer des Jagdbezirks. Schäden durch Wildkaninchen unterfielen dagegen nicht der Ersatzpflicht; nach § 15 WildschadenG waren sie frei fangbar. – Auch das BGB enthielt von 1900–1953 in § 835 BGB im Rahmen der unerlaubten Handlungen eine Sondernorm für die Grundstücksbeschädigung durch Wild.: (1) „Wird durch Schwarz-, Roth-, Elch-, Dam- oder Rehwild oder durch Fasanen ein Grundstück beschädigt, an welchem dem Eigenthümer das Jagdrecht nicht zusteht, so ist der Jagdberechtigte verpflichtet, dem Verletzten den Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht erstreckt sich auf den Schaden, den die Thiere an den getrennten, aber noch nicht eingeernteten Erzeugnissen des Grundstücks anrichten.“ § 835 BGB ersetzte damit die entsprechenden Vorschriften im WildschadenG. 534 Gesetz „Ueber den Wildschaden und die Ersatz-Pflicht“ vom 31.10.1833, Bad. Rgbl., 1833, XLII, S. 231 ff. § 1 lautete: „Der Inhaber einer Jagd, – er mag solche als Eigenthümer, oder als Pächter, oder unter einem andern Rechtstitel besitzen, – ist schuldig, den innerhalb seines Jagdbezirks vom Wilde angerichteten Schaden zu vergüten.“ Die §§ 7–14 dieses Gesetzes enthielten dann nähere Regeln dazu, welcher Schaden überhaupt ersetzt wird und in welcher Höhe. In Folge der Badischen Revolution 1848/1849 änderte sich jedoch auch die rechtliche Charakterisierung des Jagdrechts: Fortan galt es als ein mit dem Grundeigentum 530
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Schließlich gab es eine Reihe weiterer Gesetze, die für die deliktische Haftung in speziellen Fällen Sondervorschriften statuierten, insbesondere bei unlauterem Wettbewerb.535 Das französische Recht erfuhr somit in Deutschland gewisse Änderungen. 2. Der Umgang mit dem Code civil/Badischen Landrecht Doch nicht nur die gesetzlichen Regelungen wiesen gewisse Unterschiede zum französischen Recht auf. Auch die methodische Herangehensweise der deutschen Rechtswissenschaftler unterschied sich grundlegend von der ihrer französischen Kollegen. Wie gezeigt, dominierte die „École de l’exégèse“ die französische Methodik des 19. Jahrhunderts: Die Reihenfolge der Artikel wurde strikt beachtet und der Wortlaut der Norm stand ganz im Zentrum der Auslegung. Für historische oder kritische Betrachtungen war kein Raum. 536 a) Lehre Schumacher zeigt, dass dieser Form der Bearbeitung in Deutschland, den „rheinischen Nachahmungen französischer Literatur“, kein Erfolg beschieden war.537 Als konträres Beispiel ist sofort an Zachariaes „Handbuch des französischen Civilrechts“ zu denken, das im Gegenteil dazu in Deutschland wie schon in Frankreich eine ganz herausragende Bedeutung erlangte. Durch den systematischen Aufbau, die Herausarbeitung allgemeiner Grundsätze, aber auch durch den Bezug zum römischen Recht stand es in erheblichem Gegensatz zur exegetischen Methode.538 Genau dieses Vorgehen, insbesondere der stete Vergleich mit dem römischen Recht, zeichnete aber auch die übrigen deutschen Arbeiten zum französischen bzw. badischen Zivilrecht aus. Verfasst in Form kurzer Lehrbücher entstanden sie häufig im Rahmen von Vorlesungen, und geben damit einen Einblick, wie dieses Recht dem deutschen Juristen vermittelt wurde.539 verbundenes Recht, siehe § 1 des „Gesetz[es], die Ausübung der Jagd betreffend“ (im Folgenden „JagdausübungsG“) vom 2.12.1850, Bad. Rgbl., 1850, LVIII, S. 407 ff. Außerhalb vertraglicher Vereinbarungen gab es keinen Ersatz für Wildschäden (§ 21 JagdausübungsG), der bedrohte Nachbar konnte jedoch die Anordnung einer Verminderung des Wildbestandes beantragen (§ 20 JagdausübungsG). 535 Siehe dazu Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, S. 264 ff. 536 Siehe oben S. 136 f. Dazu auch Schumacher, Rheinisches Recht, S. 36 m.w.N. 537 Schumacher, Rheinisches Recht, S. 37 f. 538 So auch Schumacher, Rheinisches Recht, S. 40 f. Das Handbuch verkörperte alle Errungenschaften der deutschen Rechtswissenschaft und bestach insbesondere durch seinen wissenschaftlichen Geist und die Tiefe der Argumentation: Müller, Code civil en Allemagne, S. 635. 539 Schumacher, Rheinisches Recht, S. 39. Zu nennen sind hier insbesondere Bauer, Napoleonisches Civilrecht; Frey, Französisches Civilrecht; Thibaut, Französisches Civilrecht; Dreyer, Code Napoleon sowie Bauerband, Institutionen.
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Gerade die badischen Abhandlungen zum französischen bzw. badischen Recht prägten allerdings auch den rechtswissenschaftlichen Diskurs in Frankreich. Dies trifft nicht nur auf Zachariaes Handbuch zu, auf das bereits umfassend eingegangen wurde und das daher im Rahmen dieser Darstellung weitgehend außen vor bleiben soll, sondern auch auf eine Vielzahl weiterer Arbeiten. In diesem Zusammenhang wird auch von der „badisch-französischen Rechtsschule“ gesprochen, die Methodik und Systematik in die französische Rechtswissenschaft gebracht und die Berücksichtigung historischer und philosophischer Überlegungen ermöglicht hat, und insgesamt für eine gegenseitige gedankliche Befruchtung steht. 540 Ermöglicht wurde dies insbesondere dadurch, dass Baden den Code civil nicht uneingeschränkt übernommen hatte: So konnten die Juristen unbefangen an die Vorschriften herangehen und mussten sich nicht durch das französische Verständnis gebunden fühlen. 541 Im Hinblick auf die deutsche wissenschaftliche Literatur zum französischen bzw. zum neuen Recht sind neben Zachariaes Handbuch drei Arten von Werken zu unterscheiden: Lehrbücher zum französischen Zivilrecht, 542 Darstellungen des Badischen oder Rheinischen Rechts 543 und vergleichende Arbeiten. 544 Gegenüberstellungen mit Vorschriften des römischen Rechts, die in Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in großer Zahl erfolgten, spielten in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. 545 Insgesamt fällt auf, dass in allen Darstellungen (auch zum rein französischen Recht) Verweise auf französische Literatur so gut wie vollständig fehlten. 546 Im Wesentlichen gilt dies allerdings auch bezüglich der wenigen vorhandenen deutschen Literatur. Eine Ausnahme stellte dabei jedoch Zachariaes Handbuch dar, das zum primären Referenzpunkt für die deutsche Rechtswissenschaft avancierte: Sofern Verweise auf deutsche rechtswissenschaftliche Literatur erfolgten, bezogen diese sich auf 540
Federer, Beiträge, S. 157 f.; Gross, Der Code Civil in Baden, S. 28. Federer, Beiträge, S. 158. 542 Frey, Lehrbuch des französischen Civilrechts; Bauerband, Institutionen des französischen Civilrechtes. 543 Bucher, Systematische Darstellung des im Königreich Westphalen geltenden Napoleonischen Privatrechtes; Trefurt, System des Badischen Zivilrechts; von der Nahmer, Handbuch des Rheinischen Particular-Rechts; Frey, Lehrbuch des badischen Landrechts; Cretschmar, Das rheinische Civilrecht in seiner heutigen Geltung. 544 Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesezgebung; Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon. 545 Siehe lediglich Dreyer, Der Code Napoleon und das badische Landrecht nach dem Systeme von Puchta’s Pandekten und in Vergleichung mit dem römischen Rechte; von Stabel, Institutionen des französischen Civilrechts (Code Napoléon); Bauerband, Institutionen des französischen in den deutschen Landen des linken Rheinufers … geltenden Civilrechtes. 546 Eine Ausnahme bilden hier Bauer, Napoleonisches Civilrecht, der an einigen Stellen auf Merlin verweist, sowie insbesondere Frey, Französisches Civilrecht, der die französische Literatur in großem Maße zitiert (u.a. Proudhon, Maleville, Toullier oder Delvincourt). 541
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das Handbuch. Trefurt nahm Zachariaes Werk sogar als Ausgangspunkt seiner Darstellung und veröffentlichte ein „System des Badischen Zivilrechts“, das lediglich aus Zusätzen zu Zachariae bestand.547 Lange Zeit fand die französische Rechtsprechung ebenfalls kaum Beachtung in der deutschen Wissenschaft – lediglich Frey und Kah zitierten Entscheidungen. 548 Im Hinblick auf die deutsche Rechtsprechung war dies zunächst jedoch nicht anders. Ende des 19. Jahrhunderts nahmen dann allerdings insbesondere bei Behaghel und Cretschmar die Entscheidungen des Reichsgerichts zur deliktischen Haftung eine zentrale Rolle ein.549 b) Gerichte Die Funktion, die die Cours d’appel und die Cour de cassation in Frankreich erfüllten, nahmen für die linksrheinischen Gebiete, die aus Rheinpreußen, Rheinhessen, Rheinbayern und ab 1871 auch Elsaß-Lothringen bestanden, die Appellationsgerichtshöfe in Köln (Rheinpreußen), 550 Mainz (Rheinhessen) und Zweibrücken (Rheinbayern), sowie die für Revision und Kassation zuständigen Gerichtshöfe in Berlin (Rheinpreußen), Darmstadt (Rheinhessen) und Zweibrücken/München („Oberappellationsgericht“, Rheinbayern) ein. Für Baden war das Oberhofgericht in Mannheim zuständig. Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 ging die alleinige Kompetenz für die Gerichtsbarkeit auf das Reich über. Das Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 sah die Gründung des Reichsgerichts als gemeinsames Obergericht vor. 551 Gerade im Hinblick auf die auf den Code civil zurückgehenden Vorschriften bedurfte es dringend einer Instanz, die für eine reichseinheitliche Rechtsanwendung sorgte. 552 Für
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Trefurt, System des Badischen Zivilrechts. Frey, Französisches Civilrecht, § 656 zum Beispiel zur Haftung von Ärzten (Fn. 2), bei Duellen (Fn. 2) oder von Notaren und Anwälten (§ 657, Fn. 5); Kah, Badisches Landrecht, S. 493 f. etwa zur Haftung von Notaren. 549 Bei Behaghel, Badisches bürgerliches Recht, lässt sich dies in der 3. Auflage von 1892 schon am Titelzusatz erkennen, der lautete: „Dritte verbesserte und durch Verweisung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts für das Gebiet des Rheinischen Rechts und der badischen Gerichtshöfe vermehrte Auflage“. Als Beispiel für die zitierte Rechtsprechung siehe z.B. S. 109, Fn. 3; Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, Fn. zu Art. 1382 Cc (S. 264 ff.). – Nachweise zur badischen Rechtsprechung fanden sich dagegen schon 1860 bei Kah, Badisches Landrecht, S. 486 ff. 550 Zur Bedeutung der „vorbildliche[n] Rechtsprechung des preußischen Appellationsgerichtshofes in Köln“ für die einheitliche Auslegung des Code civil, Kaden, Reichsgericht und französisches Zivilrecht, S. 85. 551 Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877, RGBl. 1877, Nr. 1163, S. 41 ff. 552 Kaden, Reichsgericht und französisches Zivilrecht, S. 84 ff. und insbesondere S. 86 f. 548
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
das französische Recht war von 1879 an der II. Zivilsenat, auch „Rheinischer Senat“ genannt, zuständig. 553 Die deutschen Gerichte standen bei Einführung des Code civil vor einem ähnlichen Problem wie 1804 die französischen Gerichte: Die Vorschriften waren neu und unbekannt, es gab keine Präjudizien, und die Bedeutung der einzelnen Vorschriften musste erst ermittelt werden. Hinzu kam, dass dieses Recht aus der französischen Revolution hervorgegangen war und deren Prinzipien und damit ganz spezifische französische Wertvorstellungen verkörperte. Die Methodik, mit der insbesondere das Reichsgericht an die Vorschriften heranging, unterschied sich dabei aber anscheinend nicht wesentlich von der französischer Gerichte: Im Vordergrund stand die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens. Dazu dienten in erster Linie die Materialien zum Code civil. 554 Ebenso zog das Reichsgericht die französische Literatur heran – was auch daran lag, dass die deutschen Rechtswissenschaftler mit Ausnahme von Zachariae keine vergleichbaren Werke zum Code civil herausbrachten, die stattdessen zur Legitimation hätten dienen können. 555 Der Umgang mit der französischen Lehre variierte dabei. Teilweise erfolgten Verweise auf einzelne französische Autoren lediglich als Anmerkung zum Leitsatz des Gerichts, 556 in anderen Entscheidungen dagegen diskutierte das Reichsgericht ausführlich die vertretenen Meinungen. 557
553
Den Umgang des zweiten Zivilsenats des Reichsgerichts mit dem französischen Recht untersuchen Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, sowie bereits Kaden, Reichsgericht und französisches Zivilrecht, S. 82 ff. 554 Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, S. 6, 26 ff. Zu der Einbeziehung römischen sowie gemeinen Rechts ders., a.a.O., S. 65 ff., 104 ff. 555 Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, S. 108 ff., 115. 556 So z.B. im Urteil vom 3.10.1882, RGZ 8, 293: „Der Ansicht des Reichsgerichtes sind: Duranton …; Aubry et Rau …; Französ. Kassationshof (Sirey, …). – A.M.: Demolombe … u. Laurent …“. 557 Siehe die Nachweise und Zitate bei Schumacher, Rheinisches Recht, S. 141 ff. Besonders anschaulich erscheint dabei das Urteil vom 5.1.1883, RGZ 8, 322, 324: „Was endlich Doktrin und Rechtsprechung bezüglich der vorliegenden Frage angeht (vgl. die Anführungen bei Aubry und Rau Bd. 7 S. 166 Note 6; Demolombe Bd. 10 Note 493), so ist die Mehrzahl der Rechtslehrer, welchen noch Laurent Bd. 6 Nr. 515, Arntz Bd. 1 S. 573 und ZachariäPuchelt Bd. 5 S. 13 Note 12 hinzuzufügen ist, mit der Minderzahl der französischen Appellhöfe der im vorstehenden ausgeführten, die Frage verneinenden, Ansicht. Dasselbe gilt … von dem obersten bayerischen Landesgerichtshofe (Puchelt, a.a.O. Bd. 12 S. 651). Die bejahende Meinung vertreten besonders Aubry und Rau, Troplong, Demante und der französische Kassationshof in konstanter Praxis (vgl. dessen jüngstes Urteil Sirey Bd. 77 1. 345) …“. Siehe auch das Urteil vom 19.12.1882, RGZ 8, 320, 321 f.: „Schon im älteren französischen Recht … war der Grundsatz anerkannt … Auch unter Herrschaft des Code civil, dessen Vorschriften in dieser Lehre durchaus auf dem Boden des älteren Rechtes stehen, muß der angeführte Grundsatz als Norm gelten – womit denn auch die in Doktrin und Rechtsprechung herrschende Meinung übereinstimmt. Vgl. Aubry und Rau Bd. 5 S. 309; Rodière
C. Der Code civil in Deutschland
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Als wichtige Orientierung erwiesen sich schließlich die Entscheidungen französischer Gerichte. Freilich konnten diese die deutschen Gerichte nicht binden – dass sie gleichwohl Berücksichtigung fanden und ihnen eine gewisse Autorität zukam, steht jedoch außer Zweifel. 558 Sowohl rheinische als auch badische Gerichte gingen in einigen Entscheidungen explizit auf die französische Gerichtspraxis ein – teilweise zur Unterstützung ihrer eigenen Position, in anderen Fällen aber auch zur Abgrenzung von der französischen Ansicht. Gleichermaßen stützten auch die Parteien ihre Argumentation auf für sie günstige französische Urteile.559 Die Beachtung, die der französischen Rechtsprechung zuteil wurde, zeigt sich auch daran, dass in Baden Sammlungen französischer Entscheidungen auf Deutsch erschienen. Auch im preußischen Rheinland wurden neben rheinischen Entscheidungen außerdem Entscheidungen französischer und belgischer Gerichte veröffentlicht. Hervorhebung verdient dabei insbesondere die von Puchelt ab 1870 herausgegebene „Zeitschrift für Französisches Civilrecht“. II. Das Verständnis der deutschen Lehre vom Umfang der deliktischen Haftung 1. Badisches Landrecht Die Erarbeitung des Badischen Landrechts wurde maßgeblich durch die Mitwirkung Johann Nikolaus Friedrich Brauers geprägt. Für das Verständnis der badischen Vorschriften sind dessen bereits 1810 erschienenen „Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung“ daher von ganz besonderer Bedeutung: Aus ihnen lässt sich wohl am genauesten erkennen, welches Verständnis aus Sicht des Gesetzgebers den Vorschriften zugrunde liegen sollte. 560 Im Gegensatz zur französischen Lehre findet sich bei Brauer allerdings zunächst kein expliziter Hinweis auf das Erfordernis einer Rechtsverletzung. Im Hinblick auf die Definition der unrechten Tat in Art. 1382a LRS betont er, dass unter „verbotenem Unternehmen“ auch
und Pont Bd. 1 Nr. 684; Zachariä-Puchelt Bd. 3 S. 246 Note 11; Laurent Bd. 21 Nr. 381; Marcadé zu Art. 1435 S. 455; Sirey Bd. 73 2. 39.“ 558 Schumacher, Rheinisches Recht, S. 143 f., folgert aus der Zitierweise in den Entscheidungen, dass die Gerichte die Kenntnis der französischen Rechtsprechung und Literatur voraussetzten; es erfolgten weder nähere Erläuterungen noch Hinweise, und die Verwendung bestimmter Zitate stellte sich als Selbstverständlichkeit dar; Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, S. 139 ff. 559 Siehe dazu sowie zum Folgenden die Darstellungen bei Schumacher, Rheinisches Recht, S. 130 ff., mit konkreten Beispielen aus der badischen und der rheinischen Gerichtspraxis. 560 Zur Bedeutung von Brauers Erläuterungen für die Auslegung der Bestimmungen auch Federer, Beiträge, S. 159; Frey, Badisches Landrecht, S. 13: Gesetzliche Autorität komme den Erläuterungen allerdings nicht zu.
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ein solches zu verstehen sei, „das nach gemeinen naturrechtlichen Begriffen als eine solche Antastung der Person oder Güter eines Andern erscheint, welche durch Gewalt der Umstände oder Selbstvertheidigung nicht abgenöthigt worden ist.“561 Weiterhin führt er aus, dass diese Handlung eine „vom Betroffenen nicht bewilligte Verlezung der Person als des ursprünglichen Mein und Dein, oder der Sachen als des erworbenen Mein und Dein“ hervorrufen müsse.562 In ähnlicher Weise äußert er sich auch in Bezug auf den (natürlichen) Gegenstand des Schadens: Dieser müsse „immer entweder eine Person oder eine Sache seyn“. 563 Ohne also ausdrücklich auf eine „Rechts“verletzung abzustellen, nimmt er doch bereits 1810 eine ähnliche Unterscheidung in Verletzungen der Person und Verletzungen von Sachen (des Eigentums) vor, wie sie 1823 auch erstmals in der französischen Lehre bei Toullier zu finden ist. Im Rahmen des Schadens geht Brauer anschließend noch auf die Ausübung eines Rechts ein: Der erlaubte Gebrauch eines Rechts als „natürliche Folge des gesellschaftlichen Lebens“ schließe eine ersatzfähige Beschädigung aus. 564 Als Beispiel führt er in diesem Zusammenhang an, dass ein Schreiner sich an einem Ort niederlässt, an dem bereits sechs weitere Schreiner tätig sind. Zwar würden diese durch den neuen Schreiner einen Gewinnverlust erleiden – man könne aber nicht davon sprechen, dass der neue Schreiner den anderen einen Schaden zufüge, der die Ersatzpflicht begründe. Andere konkrete Beispiele erörtert er zur allgemeinen deliktischen Generalklausel dagegen nicht. Neben diesen Ausführungen ist bei Brauer weiterhin interessant, dass er mit Verweis auf die Titelüberschrift („Von Verbindlichkeiten, die ohne Vertrag entstehen“) grundsätzlich vertragliche Pflichtverletzungen aus der deliktischen Haftung ausschloss; derartige Vergehen würden sich nach dem Vertragsverhältnis richten.565 Aus den Ausführungen zur deliktischen Haftung wird damit deutlich, dass Brauers Verständnis im Hinblick auf die Frage, worin eigentlich eine (Rechts-)Verletzung bestehen kann, große Ähnlichkeit mit dem späteren herrschenden Verständnis in der französischen Lehre aufweist – auch wenn er nicht ausdrücklich von einer „Rechts“verletzung sprach, scheint er doch den Umfang der Haftung ähnlich beschränkt verstanden zu haben. Eine vergleichbare Unterscheidung in Verletzungen der Person und der Sachen lässt sich im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts bei badischen Juristen dann allerdings nicht mehr finden. Viele betonten dagegen explizit das Erfordernis einer „Rechtsverletzung“ für die deliktische Haftung. Zudem zeigt sich in dieser Zeit deutlich die Bedeutung des französischen Rechts sowie von
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Brauer, Erläuterungen, S. 291. Brauer, Erläuterungen, S. 291. 563 Brauer, Erläuterungen, S. 304. 564 Brauer, Erläuterungen, S. 294. 565 Brauer, Erläuterungen, S. 293. 562
C. Der Code civil in Deutschland
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Zachariaes Handbuch für die badischen Juristen. Das französische Zivilrecht stellte den Ausgangs- und Bezugspunkt der Erläuterungen dar. 566 Christoph Trefurt beispielsweise erläutert das „System des Badischen Zivilrechts“ 1824 dergestalt, dass er zu jedem Paragraphen in Zachariaes Handbuch (2. Auflage von 1811) lediglich auf die entsprechenden Landrechtssätze verweist und gegebenenfalls kurz erläutert, wie sich das Badische Recht in der jeweiligen Frage unterscheidet.567 In Anlehnung an Zachariae, aber vor dem Hintergrund des Art. 1382a LRS, definiert er das Vergehen daher als „Rechtsverletzung durch eine Handlung welche entweder an sich, oder in Bezug auf die Berechtigung des Handelnden, oder aber in Bezug auf die Handlungsweise gesetzlich verbothen ist.“ 568 Trefurt erwähnt aber nicht nur explizit das Erfordernis der Rechtsverletzung, sondern erläutert auch den Gebrauch eigener Rechte als Einschränkung der Haftung. Dabei geht er jedoch über Zachariae hinaus: Die Rechtsausübung führe nämlich dann doch zur Ersatzpflicht, wenn sie auf unerlaubte Weise geschehe. 569 Im Übrigen lassen sich bei Trefurt zur deliktischen Generalklausel inhaltlich aber keine Abweichungen oder gar Hinweise auf ein abweichendes Verständnis vom Umfang der Haftung erkennen. Den deutlichsten Bezug zum französischen Recht stellte Ludwig Frey her. 1840 veröffentlichte dieser zunächst ein mehrbändiges Lehrbuch zum französischen Zivilrecht. Delikte definiert er darin als „Handlungen, durch welche Jemand die Rechte eines Andern aus Muthwillen oder aus Fahrlässigkeit verletzt.“570 In den sich anschließenden Paragraphen erörtert er die einzelnen Merkmale – unter anderem dürfe der Schaden nicht lediglich bei der Ausübung eines eigenen Rechts entstanden sein – sowie die Wirkungen von Privatdelikten. Abschließend setzt er sich noch mit Quasidelikten auseinander (§§ 659– 661), unter die er wie Zachariae die Fälle fasst, in denen jemand für das Verhalten anderer Personen oder Tiere einstehen muss. 571 Frey zitiert in großem Umfang die Literatur zum französischen Recht – dominierender Bezugspunkt ist auch bei ihm Zachariae, daneben verweist er aber auch auf Toullier, Maleville, Proudhon und Delvincourt – sowie die französische Rechtsprechung, 566
Federer, Beiträge, S. 158 f. Das Lesen von Trefurts Arbeit erfordert also, dass Zachariaes Handbuch daneben gelegt und parallel gelesen wird – anders sind die Ausführungen zum Badischen Zivilrecht überhaupt nicht verständlich. So heißt es zum Beispiel bei Trefurt, Badisches Zivilrecht, 323: „§. 380. 1) Zum 1ten Abschnitt. Der hier aufgestellte Satz erhält nähere Bestätigung durch die L.R.S. 1382 b. et c.“ 568 Trefurt, Badisches Zivilrecht, § 379. 569 Trefurt, Badisches Zivilrecht, § 380, 2). Zachariae hatte hier lediglich geschrieben, dass der bei Ausübung eines Rechts entstandene Schaden nicht die Ersatzpflicht begründe – zu den Grenzen des Gebrauchs eines Rechts äußerte er sich dagegen nicht. 570 Frey, Französisches Civilrecht, § 656. 571 Ihm war aber durchaus bewusst, dass z.B. Toullier oder Proudhon diesen Begriff in einem anderen Sinne verwendeten, siehe Frey, Französisches Civilrecht, § 659, Fn. 2. 567
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
etwa zu der Verantwortlichkeit von Notaren, Ärzten, Anwälten oder bei Duellen. 1848 gab Frey dann ein Lehrbuch zum badischen Landrecht heraus. In der Einleitung betont er, dass die für den Code civil relevante Literatur auch für das badische Landrecht von großer Wichtigkeit sei.572 Direkt erkennbar wird das aus den Ausführungen zur deliktischen Haftung jedoch zunächst nicht: Verweise erfolgen hier kaum; lediglich an einer Stelle zitiert er Trefurt, an einer anderen eine französische Entscheidung. Vergleicht man jedoch das Lehrbuch zum badischen Landrecht mit dem kurze Zeit zuvor erschienenen Lehrbuch zum französischen Zivilrecht, wird der Bezug zum französischen Recht offensichtlich. Frey verwendet in beiden Büchern nicht nur exakt die gleiche Gliederung, einzelne Abschnitte sind abgesehen von einzelnen Begrifflichkeiten573 sogar fast wortgleich übernommen und stimmen inhaltlich vollkommen überein. Freilich erwähnt Frey an den jeweiligen Stellen die ergänzenden Regelungen des badischen Rechts (Art. 1382a–f LRS sowie das Gesetz vom 6.3.1845). Dennoch ist die Darstellung des französischen Rechts insgesamt deutlich ausführlicher; dies gilt insbesondere für die Erläuterungen zu den Quasidelikten. 574 In Anbetracht dessen hielt Frey ebenso detaillierte Ausführungen oder Verweise auf die einschlägige Literatur zum französischen Recht in seinem Lehrbuch zum badischen Recht offenbar nicht für erforderlich. Dies lässt klar erkennen, welch große Bedeutung die französische Lehre sowie Lehrbücher zum französischen Recht im 19. Jahrhundert auch in Baden hatten. Karl Kah stellte das Badische Landrecht dagegen ausschließlich auf Grundlage der badischen Gerichtspraxis und Lehre dar. Für jeden LRS erörterte er die einschlägigen Urteile der badischen Gerichte. Zur Rechtsverletzung findet sich bei ihm allerdings nichts. Dagegen geht er im Rahmen des Art. 1382a LRS ausführlicher auf die Grundsätze zum Gebrauch eigener Rechte ein. Er statuiert ohne weitere Erläuterung die Grundregel „qui jure suo utitur, neminem laedit“ als Bezugspunkt und führt dann Beispiele für den Gebrauch des Eigentums auf: Beispielsweise könnten von einer Fabrik ausgehender Lärm oder Dämpfe zugunsten der beeinträchtigten Nachbarn Schadensersatzansprüche begründen. 575 Von seinen Erläuterungen zu Art. 1383 LRS stechen im Hinblick auf das bereits erörterte französische Recht vor allem zwei Fallgruppen hervor. Zunächst 572
Frey, Badisches Landrecht, S. 15. Während er beim französischen Recht von „Delicten“ und „Quasidelicten“ sprach und im Rahmen der Definition eines Delikts „Muthwillen“ und „Fahrlässigkeit“ verlangte, verwendete er beim badischen Recht die Begriffe „Vergehen“ und „Versehen“ und erforderte schlicht „vorsätzliche“ oder „unvorsätzliche“ Handlungen, vgl. Frey, Französisches Civilrecht, § 656 und ders., Badisches Landrecht, § 219. 574 Das Lehrbuch zum badischen Landrecht umfasste insgesamt auch nur einen einzigen Band. 575 Kah, Badisches Landrecht, S. 489. Eine Entschädigung solle dagegen ausscheiden, wo durch Errichtung von Anlagen auf einem Grundstück dem Nachbar lediglich ein Vorteil entzogen werde, den er zuvor genossen habe. 573
C. Der Code civil in Deutschland
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die beim Transport bzw. bei der Beförderung mit der Eisenbahn verursachten Beschädigungen und Verluste von Waren und Personen. 576 Anschließend geht er auf einige Fälle der Notarhaftung ein, zum Beispiel grobes Versehen bei der Errichtung einer Urkunde, die Nichtigkeit eines Testaments oder die Missachtung der Form einer Schenkung. 577 Dies ist bemerkenswert, denn zur Notarhaftung findet sich bei anderen badischen Juristen nichts. Die Urteile, die Kah in diesem Zusammenhang zitiert, stammen allerdings alle von französischen Gerichten – die deutsche Praxis behandelte diese Fragen offenbar nicht als Fälle der Art. 1382 f. LRS. Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts rückten Entscheidungen des Reichsgerichts in den Mittelpunkt der Darstellungen und entwickelten sich zum primären Referenzpunkt. Dies wird schon 1887 bei Max Hachenburg deutlich, der die Rechtsprechung zur näheren Erläuterung der einzelnen Voraussetzungen der deliktischen Haftung heranzog. Dazu gehörte für ihn der „objektiv unbefugte[n] Eingriff[es] in die Rechte eines Andern“. 578 Um welche Rechte es sich dabei handeln musste, führte er allerdings nicht aus. Durch Angabe von Beispielen, jeweils unter Verweis auf konkrete Gerichtsentscheidungen, präzisiert er jedoch näher, wann eine „unrechte That“ gegeben oder gerade ausgeschlossen sei. Der Tatbestand sei beispielsweise erfüllt, wenn unter 16-jährige Mädchen verführt würden oder die Verführung durch ein nicht ernst gemeintes Heiratsversprechen ermöglicht werde, 579 beim Ehebruch mit einer verheirateten Frau580 oder bei illoyaler Konkurrenz. 581 Werde dagegen ein eigenes Recht ausgeübt, sei die Tat nicht unrecht.582 Hachenburg erwähnt als Beispiel unter anderem die Prozessführung. 583 In ähnlicher Weise ging es auch bei Wilhelm Behaghel rein um die deutsche Praxis: In der dritten Auflage aus dem Jahr 1891/1892 zitiert er, im Unterschied zu der 2. Auflage, in der zur deliktischen Haftung überhaupt keine Verweise zu finden sind, umfassend die Rechtsprechung vorinstanzlicher Gerichte und des Reichsgerichts. 584 Auch bei ihm ist die fortwährende Relevanz von Zachariaes Handbuch erkennbar, denn direkt nach der Überschrift „Von Vergehen und Versehen“ verweist er auf die einschlägigen Paragraphen bei Zachariae. 576
Kah, Badisches Landrecht, S. 492. Kah, Badisches Landrecht, S. 493 ff. 578 Hachenburg, Badisches Landrecht, S. 275. 579 Urteile des RG vom 18.1.1881, ZfrzCR 12, 570 und 3.11.1886, ZfrzCR 17, 653. 580 Hachenburg, Badisches Landrecht, S. 276. 581 RGZ 3, 74–77 (Urteil vom 7.1.1881). 582 Hachenburg, Badisches Landrecht, S. 275, sowie OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.11.1880, Bad. Annalen 46, 244. 583 Hachenburg, Badisches Landrecht, S. 276; RGZ 3, 353–356 (Urteil vom 25.1.1881). 584 Schon im Titel hieß es dazu: „Dritte verbesserte und durch Verweisung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts für das Gebiet des Rheinischen Rechts und der badischen Gerichtshöfe vermehrte Auflage“, Behaghel, Badisches bürgerliches Recht. 577
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Auf die französische Lehre oder Rechtsprechung geht er dagegen an keiner Stelle ein; insbesondere macht er nicht deutlich, wo sich die badische Rechtslage in einzelnen Fragen von der französischen unterscheidet. Schon in der Definition des Vergehens betont er, dass vorsätzlich begangene vertragliche Pflichtverletzungen nicht über den Art. 1382 LRS zu ersetzen seien; zumindest die französischen Gerichte sahen dies allerdings anders. 585 Ebenso folgt er der deutschen Rechtsprechung darin, dass – im Gegensatz zur Auffassung der Cour de cassation – moralischer Schaden nicht ersetzt werden könnte (näher zu einigen Besonderheiten der deutschen Rechtsprechung unter C.III.2.).586 Im Hinblick auf die Voraussetzungen der deliktischen Haftung ist zu bemerken, dass sich zum Erfordernis der Rechtsverletzung, oder zumindest der Anknüpfung an die Verletzung der Person und der Sachen, bei Behaghel nichts findet. Die unrechte Tat versteht er ähnlich wie Zachariae und Trefurt: Sie sei gegeben, wenn die Handlung selber, in Bezug auf die Berechtigung des Handelnden oder die Handlungsweise „(objektiv) rechtswidrig und mit dem Bewußtsein ihrer Rechtswidrigkeit unternommen wurde“. 587 2. Rheinisches Recht Im Gegensatz zu Baden entstanden im linksrheinischen Rechtsgebiet nur wenige Arbeiten zum Rheinischen Recht. Die Übereinstimmung mit dem Code civil machte eigenständige Abhandlungen aber zunächst vermutlich auch nicht erforderlich: Der Rechtsanwender konnte einfach die Werke zum Code civil, und insbesondere Zachariaes Handbuch heranziehen. 588 Zudem genoss die französische Rechtswissenschaft hier hohes Ansehen. 589 Dies änderte sich freilich mit der Zeit durch die (abweichende) spezifisch deutsche Rechtsprechung. Ähnlich wie Brauer in Baden empfand auch Bucher die Regelungen der deliktischen Haftung im Code civil als „sehr dürftig“. 590 Erstaunlich ist jedoch, dass er für die nähere Erläuterung schlicht auf Thibauts „System des Pandektenrechts“ verweist, 591 überzeugt, dass der französische Gesetzgeber hier
585 Behaghel, Badisches bürgerliches Recht, § 185, S. 109 mit Verweis auf RGZ 7, 302– 306, 304 (Urteil vom 20.10.1882). 586 Behaghel, Badisches bürgerliches Recht, § 185, S. 113 sowie RGZ 7, 295–296 (Urteil vom 27.6.1882). Siehe dazu ausführlich unten S. 255 f. Dies hatte im Übrigen auch Hachenburg betont, Badisches Landrecht, S. 277. 587 Behaghel, Badisches bürgerliches Recht, § 185, S. 109. 588 So auch Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, S. 115 f. 589 Zur Wahrnehmung, die die rheinisch-französische Lehre von der französischen Rechtswissenschaft hatte, Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, S. 117 ff. 590 Bucher, Systematische Darstellung, § 313. 591 Bucher, Systematische Darstellung, § 313 mit Verweis auf Thibaut, System des Pandektenrechts 2, § 977, in dem dieser Quasidelikte erläuterte.
C. Der Code civil in Deutschland
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das römische Recht als Vorlage genommen habe – was wie gezeigt nicht der Fall war.592 Auch in Bauerbands „Institutionen des französischen in den deutschen Landen des linken Rheinufers … geltenden Civilrechtes“ kommt noch ein gewisser Bezug zum römischen Recht auf. Bauerband führt zum Verschulden in Art. 1382 Cc aus, dass ein solches „nur bei unbefugten, die Rechte eines Andern verletzenden Handlungen oder Unterlassungen“ vorliege – und darunter sei nur das damnum iniuria datum zu verstehen.593 Bauerband stellt also auch auf eine Rechtsverletzung ab, führt dies jedoch nicht näher aus. In der Folge spricht er dann mehrmals von der Widerrechtlichkeit des Verhaltens, von rechtswidrigen Handlungen aber auch ganz generell von der „widerrechtlichen Vermögensbeschädigung“. 594 Letzteres versteht er dabei allerdings als Oberbegriff für sämtliche in diesem Zusammenhang auftretenden Beeinträchtigungen, also nicht im Hinblick auf das Vermögen als solches. Auch im Rheinischen Recht stand zum Ende des 19. Jahrhunderts die deutsche Gerichtspraxis im Mittelpunkt der Darstellung. Cornelius Cretschmar ging 1896 gar nicht weiter auf die einzelnen Voraussetzungen der Haftung ein, sondern listete einzelne Situationen und Entscheidungen auf, in denen eine Entschädigungspflicht angenommen wurde oder nicht. Die Darstellung lässt allerdings erkennen, dass er das Erfordernis der Rechtsverletzung dabei als eine Selbstverständlichkeit begriff – Cretschmar erwähnt es lediglich an einer Stelle en passant: Niemand könne wegen einer Rechtsverletzung zu Schadensersatz herangezogen werden, die er auf Gebot der Polizei begehe. 595 Im Übrigen bezieht er sich auf ganz unterschiedliche Situationen wie Denunziationen, fehlerhafte Zwangsvollstreckungen oder unlauteren Wettbewerb. 596 Auch betont er, dass das Reichsgericht entgegen der überwiegenden Ansicht in der Lehre und der Rechtsprechung den Ersatz moralischen Schadens im Rahmen des Art. 1382 Cc nun ablehne.597 3. Vergleichende Ergebnisse Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erläuterungen der deutschen Lehre zum Umfang der deliktischen Haftung im Badischen und Rheinischen Recht inhaltlich grundsätzlich mit denen der französischen Lehre zu den 592
Ähnlich im Übrigen auch der badische Jurist von Stabel, Institutionen, § 150: Die lex Aquilia habe in Art. 1382 in einem allgemeinen Grundsatz Ausdruck gefunden. 593 Bauerband, Institutionen, § 265. 594 Bauerband, Institutionen, § 265. 595 Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, S. 265. 596 Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, S. 265 f. mit zahlreichen Rechtsprechungsverweisen zu den einzelnen Fragen. Auch bei unlauterem Wettbewerb konnten Ansehen und Ehre verletzt sein. 597 Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, S. 265 mit Verweis auf RGZ 7, 295 (Urteil vom 27.6.1882).
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Art. 1382 f. Cc übereinstimmten – eine bewusste Abgrenzung zur französischen Rechtswissenschaft findet sich jedenfalls an keiner Stelle. 598 Das Erfordernis der Rechtsverletzung sahen auch die meisten der untersuchten badischen Juristen als Voraussetzung für die deliktische Haftung an – nähere Ausführungen dazu erfolgten jedoch nicht. Lediglich Brauer unterschied ähnlich wie die französische Lehre zwischen Verletzungen der Person und der Sachen. Auch die Grundsätze zum Gebrauch eigener Rechte wurden zwar angesprochen, aber grundsätzlich nicht weiter diskutiert. Für rheinische Juristen scheint das Erfordernis der Rechtsverletzung eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein, die sie eher en passant erwähnten. Insgesamt finden sich in der rheinischen Literatur keine ausführlichen Erläuterungen zu den einzelnen Voraussetzungen der Haftung. In den von Cretschmar beispielhaft angeführten Situationen ging es allerdings immer um die Verletzung des Ansehens, der Ehre, des Eigentums oder des Körpers, mithin um absolute Rechte. Die deutsche Lehre befasste sich schließlich auch mit der Frage, ob vertragliche Pflichtverletzungen Schadensersatzansprüche nach den Art. 1382 f. Cc begründen können. Nach Hangen etwa sollte eine deliktische Klage ausgeschlossen sein, wo eine Handlung zur Erfüllung vertraglicher Pflichten vorgenommen wurde. Etwas Anderes sollte nur bei dolosem Handeln gelten. 599 III. Die Rechtsprechung deutscher Gerichte Die Betrachtung der Arbeiten zum Badischen Landrecht sowie zum Rheinischen Recht hat bereits gezeigt, dass die deutsche Rechtsprechung insbesondere zum Ende des 19. Jahrhunderts auch für die deutsche Lehre eine wichtige Rolle spielte und der primäre Bezugspunkt war. Ebenso ist aber bereits angeklungen, dass die deutschen Gerichte in Einzelfragen nicht immer der französischen Rechtsprechung folgten, sondern zum Teil sogar gegenläufige Ansichten vertraten. Im Folgenden soll die Rechtsprechung deutscher Gerichte zum französischen Deliktsrecht daher kurz näher betrachtet werden. Den Untersuchungszeitraum stellt auch hier das 19. Jahrhundert dar. Ein Schwerpunkt liegt auf der Zeit von 1871–1900 und den reichseinheitlichen Entscheidungen des Reichsgerichts; daneben geben aber auch Entscheidungen der Appellations-
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Ein auf Zachariae zurückgehender Unterschied zur französischen Lehre zeigt sich jedoch im Hinblick auf das Quasidelikt, das die meisten badischen Juristen als Verantwortlichkeit für das Verhalten anderer Personen (Art. 1384 ff. LRS) ansahen, und nicht als unvorsätzliches Verhalten i.R.d. Art. 1382 f. LRS. Dies ist neben den bereits zitierten Juristen auch bei Bauer, Napoleonisches Civilrecht, S. 461, erkennbar. 599 Siehe die Abhandlung von Hangen, Delictsklage neben der Klage ex contractu, S. 569 ff., insbesondere S. 578 f. Hangen nahm ein Urteil des ROHG zum Anlass für die Erörterung dieser Frage und setzte sich damit hauptsächlich mit der von Vangerow vertretenen gegenteiligen Ansicht auseinander, der eine deliktische Klage grundsätzlich neben der Klage ex contractu zulassen wollte.
C. Der Code civil in Deutschland
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und Kassationsgerichtshöfe 600 aus der Zeit davor wichtige Einblicke in die deutsche Gerichtspraxis.601 Von Interesse bei der Untersuchung waren in erster Linie zwei Fragenkomplexe. Erstens: Um welche Rechtsverletzungen handelte es sich jeweils? Lassen sich ähnliche Fallgruppen bilden wie für das französische Recht (1.)? Zweitens: In welchen Situationen entschieden deutsche Gerichte anders als französische (2.)? Das Verständnis der deutschen Gerichte von der deliktischen Generalklausel lässt sich schließlich auch daran erkennen, welche Fälle verglichen mit der französischen Praxis gerade nicht unter die Art. 1382 f. LRS/Cc gefasst wurden (3.). 1. Genereller Überblick: Rechtsverletzungen und Fallgruppen Die Auflistung der Rechtsprechung bei Behaghel und Cretschmar hat bereits den wenig überraschenden Eindruck erweckt, dass die deutschen Gerichte mit ganz ähnlichen Fragen konfrontiert waren wie die französischen Gerichte. Dies bestätigt auch die Untersuchung der deutschen Rechtsprechung. a) Leben und Körper Zu einem großen Anteil ging es in den Entscheidungen deutscher Gerichte zu den Art. 1382 f. Cc/LRS im 19. Jahrhundert um die Verletzung des Körpers oder des Lebens. Ab den 1880er Jahren betraf eine sehr häufig vorkommende Fallgestaltung dabei die Haftung des Arbeitgebers für Unfälle des Arbeitnehmers bei der Ausführung seiner Arbeit. In den Fällen ging es meistens darum, dass der Arbeitgeber ungenügende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte, den Arbeiter nicht ausreichend instruiert oder vor Gefahren gewarnt hatte oder dass das überlassene Arbeitsmaterial mangelhaft war.602 Die Beauftragung mit
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Vgl. oben S. 235 f. Entscheidungen der Appellations- und Kassationsgerichte finden sich vor allem im Archiv für das Civil- und Kriminalrecht der königlich-preußischen Rheinprovinz („RhA“); bei Volkmar, Jurisprudenz des Rheinischen Kassationshofes; Gredy, Zusammenstellung der Entscheidungen der Cassationshöfe; Kah, Rechtsfälle aus dem Geltungsgebiet des französischen Rechts, sowie in den Bad. Annalen. Für die Entscheidungen des Reichsgerichts konzentriert sich die Untersuchung auf die „Zeitschrift für französisches Civilrecht“ („ZfrzCR“). Wie schon bei der französischen Rechtsprechung diente dabei die Auflistung der zu den einzelnen Artikeln ergangenen Entscheidungen im Gesetzesregister am Ende der Zeitschrift als Orientierung. Berücksichtigt wurde auch die Entscheidungssammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ), die allerdings nur wenige Urteile enthielt, in denen die Art. 1382 f. Cc/LRS Gegenstand der Entscheidung waren. 602 Siehe z.B. OG Colmar, 5.3.1875, ZfrzCR 6, 228–232 (ungenügende Sicherheitsvorkehrungen); OG Mainz, 29.3.1877, ZfrzCR 9, 610–614 (fehlerhaftes Werkzeug); RG, 19.5.1882, ZfrzCR 14, 30–33 (durch Schutzvorrichtungen hätte Unfall verhindert werden können) und 5.5.1885, ZfrzCR 17, 101–102 (unterlassene Belehrung über Art und Weise der 601
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der Durchführung einer gefährlichen Arbeit begründete als solche jedoch nicht das Verschulden des Arbeitgebers; etwas anderes galt freilich, wenn der Arbeitgeber trotz der Möglichkeit einer weniger gefährlichen Vorgehensweise genau diese Ausführung anordnete. 603 Klärung bedurfte immer wieder auch das Verhältnis des HaftpflichtG, das wie bereits erwähnt für Unfälle beim Betrieb von Eisenbahnen oder in Fabriken Sondervorschriften enthielt 604 und auch im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer galt, zu den allgemeinen Vorschriften der Art. 1382 f. Cc/LRS. 605 Verletzungen des Körpers und des Lebens ereigneten sich freilich auch in zahlreichen weiteren Fällen – von einer näheren Auflistung wird an dieser Stelle abgesehen. 606 Im Falle von Tötungen stellte sich auch für die deutschen Gerichte die Frage nach Ersatzansprüchen von Angehörigen, die dadurch ihren Unterhaltsverpflichteten verloren. 607
Ausführung); OLG Zweibrücken, 13.6.1891, ZfrzCR 24, 677–680 (ungenügende Sicherheitsvorkehrungen); OLG Karlsruhe, 2.12.1897, ZfrzCR 29, 618–620 (fehlerhafte Leiter zur Verfügung gestellt). 603 AppGH Cöln, 27.4.1876, ZfrzCR 8, 289; RG, 18.9.1885, ZfrzCR 17, 248–249. 604 Siehe z.B. die Anordnung einer Gefährdungshaftung in § 1 HaftpflichtG: „Wenn bei dem Betriebe einer Eisenbahn ein Mensch getödtet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Betriebs-Unternehmer für den dadurch entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eigenes Verschulden des Getödteten oder Verletzten verursacht ist.“ § 2 HaftpflichtG ordnete die Haftung der Betreiber von Bergwerken, Steinbrüchen, Gruben und Fabriken an. 605 Die Frage stellte sich insbesondere dort, wo die Art. 1382 f. einen höheren Schadensersatz gewährten als die §§ 3 ff. HaftpflichtG; nach § 9 HaftpflichtG sollten landesrechtliche Vorschriften wie die Art. 1382 f. Cc/LRS aber gerade Anwendung behalten. Siehe OG Mainz, 13.6.1874, ZfrzCR 5, 338–341 sowie RG, 10.1.1882, ZfrzCR 14, 242–246; 10.4.1883, ZfrzCR 14, 619–622, und 2.4.1886, ZfrzCR 17, 663–664. Mit dem Umfang des Schadensersatzes nach dem HaftpflichtG setzte sich das RG im Urteil vom 20.12.1898, ZfrzCR 30, 297–300, auseinander. Gegen die Anwendung der Art. 1382 f. Cc/LRS im Anwendungsbereich des HaftpflichtG siehe die Anmerkung zu OG Mainz, 13.6.1874, ZfrzCR 5, 341–346. Für das Verhältnis des Unfallversicherungsgesetzes zum HaftpflichtG sowie zum französischen Zivilrecht siehe die Abhandlung von Fuld, ZfrzCR 16, 315–322. 606 Häufig ging es dabei auch um eine Haftung für fahrlässiges Verhalten nach den Art. 1383 Cc/LRS, wenn gegenüber anderen Personen keine ausreichenden Schutzmaßnahmen ergriffen wurden (z.B. OLG Köln, 24.3.1880, ZfrzCR 12, 633: Eigentümer warnte Pferdewirt nicht vor Tücken des zu beaufsichtigenden Tieres; RG, 4.1.1887, ZfrzCR 18, 400– 404: keine Sicherheitsvorkehrungen an Futterschneidemaschine, die von eigenen und fremden Kindern benutzt wird; OLG Köln, 8.10.1897, ZfrzCR 28, 646–648: Bürgersteig vor dem Haus bei Glatteis nicht bestreut, und 4.1.1898, ZfrzCR 29, 638–641: Wasser trotz Frostwetter in Rinnen auf Straße abgeleitet). 607 Siehe bereits Großherzogl. OHG, 8.6.1847, Bad. Annalen 16, 105 (zu dieser Frage auch Anm. von Soiron, Bad. Annalen 15, 123); ROHG, 10.5.1878, ZfrzCR 10, 149–152; AppGH Cöln, 11.6.1878, ZfrzCR 10, 593–595; RG, 2.5.1884, ZfrzCR 16, 291–292, sowie 5.10.1894, ZfrzCR 26, 144–147.
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Gleichermaßen stellte sich in diesen Fällen auch die Frage nach dem Ersatz moralischer Schäden. 608 b) Eigentum Große praktische Relevanz besaßen wie schon in Frankreich auch Verletzungen des Eigentums. Eine klassische Fallgruppe bildeten dabei Einwirkungen auf nachbarliche Grundstücke. Es bedurfte hier des Ausgleichs zweier an sich absolut geschützter Rechte (vgl. Art. 544 Cc/LRS). Dabei musste der beeinträchtigte Nachbar jedoch bloße „Unannehmlichkeiten und Verkürzungen bisheriger Annehmlichkeiten“ hinnehmen. 609 In diesem Zusammenhang setzten sich auch die deutschen Gerichte mit den Grundsätzen zum Gebrauch eigener Rechte auseinander bzw. nahmen zumindest auf diese Bezug. 610 Der Betrieb eines Bordells begründete für die Nachbarn einen Anspruch auf Schadensersatz, etwa für die dadurch bedingte Wertminderung des Grundstücks. 611 Wie in Frankreich ging es immer wieder auch um Eigentumsverletzungen, die durch den Bergbau entstanden, 612 oder um die Ersatzpflicht bei Brandschäden. 613 Deutlich seltener als in Frankreich beschäftigten die Gerichte dagegen Eigentumsverletzungen durch Wild. 614 Dies liegt vor allem aber daran, dass die de-
608 RG, 27.6.1882, RGZ 7, 295–296, ZfrzCR 14, 261-264; a.A. OLG Zweibrücken, 7.2.1887, ZfrzCR 19, 489–496. Mit Urteil vom 16.8.1838 lehnte der Rh. AppGH Ersatz für die Schmerzen, die der Tod der Tochter einem Vater bereitete, ab: RhA 20 (1838), I, 234. Zum Ersatz des sog. Affektionsinteresses ausführlich Vergau, Ersatz immateriellen Schadens, S. 93 ff. sowie unten S. 255 f. 609 OHG Mannheim, 13.12.1872, ZfrzCR 5, 39–44 und 11.5.1875, ZfrzCR 6, 432–441; RG, 13.12.1883, ZfrzCR 15, 380–384; 20.11.1886, ZfrzCR 18, 279–281, sowie 10.3.1893, ZfrzCR 24, 429–437; OLG Köln, 22.10.1894, ZfrzCR 26, 292–294; RG, 16.6.1896, ZfrzCR 28, 35–37 und 5.1.1897, ZfrzCR 28, 243–247. 610 Urteil des Rh. KassH zu Berlin vom 10.2.1845, Volkmar, Jurisprudenz, S. 226; Urteil des OG Mainz vom 22.12.1877, ZfrzCR 9, 614–617; Urteil des RG vom 29.12.1882, ZfrzCR 15, 37–42; Urteil des OLG Zweibrücken vom 1.7.1884, ZfrzCR 16, 119–125. 611 Ausführlich zu den Nachteilen und Unannehmlichkeiten, die Nachbarn durch den Betrieb eines Bordells entstehen: RG, 8.1.1897, ZfrzCR 28, 62–66. Siehe auch RG, 1.4.1899, ZfrzCR 30, 436–438. Der Betrieb eines Bordells stellte im Übrigen schon an sich eine unrechte Tat dar, da dies nach § 180 I, II StGB (Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15.5.1871) strafbar war, vgl. auch RG, 8.1.1897, ZfrzCR 28, 62–66. 612 Rh. KassH zu Berlin, 8.6.1831, Volkmar, Jurisprudenz, S. 14. In Entscheidungen vom 8.3.1852, RhA 40 (1852), I, 126 (Brunnenwasser entzogen), sowie vom 20.7.1853, RhA 41 (1853), I, 267 (Wasser versiegt beim Nachbarn) stellte der Rh. AppGH dabei jedoch nicht auf die Art. 1382 f. Cc ab, sondern auf das Gesetz vom 21 avril 1810. 613 Rh. AppGH, 17.7.1833, RhA 12 (1833), I, 56, und 21.5.1845, RhA 32 (1845), I, 25; Rh. KassH zu Berlin, 14.10.1837, RhA 19 (1837), II, 33. 614 OG Colmar, 29.1.1875, ZfrzCR 6, 211–217 (Schäden durch Wildschweine) sowie 29.4.1875, ZfrzCR 6, 663–668 (Schäden durch Kaninchen). Wie die französischen Gerichte
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liktische Generalklausel in Teilen Deutschlands auf diese Fälle nicht anwendbar war. Wie gezeigt, existierten in Baden seit 1833 Spezialvorschriften für den Ersatz von Wildschäden, gleiches galt ab 1891 reichseinheitlich durch das WildschadenG.615 In Elsaß-Lothringen fanden von 1871 bis 1891 dagegen die Art. 1382 f. Cc Anwendung. Neben diesen Fällen gab es freilich auch zahlreiche anderweitige Eigentumsverletzungen, die in keine der genannten Kategorien fallen. 616 c) Ehre und Ansehen Die deutschen Gerichte hatten weiterhin auch Fälle zu entscheiden, in denen es um die Verletzung der Ehre oder des Ansehens ging. 617 Dazu gehörten ganz klassisch Beleidigungen und öffentliche Verunglimpfungen in der Presse. 618 Drastische Verletzungen dieser Art konnten aber auch durch den Bruch eines Verlöbnisses nach der Verführung eines Mädchens oder durch Ehebruch entstehen.619 Die deutschen Gerichte beurteilten diese Fälle jedoch ganz anders als die französische Rechtsprechung (näher dazu unter C.III.2.c)). Auch in Fällen unlauteren Wettbewerbs ging es (zumindest mittelbar) meistens um das geschädigte Ansehen eines Konkurrenten. Im Rahmen der deliktischen Generalklausel kam dem unlauteren Wettbewerb in Deutschland insgesamt jedoch
stellte auch das OG Colmar darauf ab, ob der Eigentümer oder Jagdberechtigte des Grundstücks, auf dem die schadensstiftenden Tiere siedelten, deren Vermehrung begünstigt oder die geschädigten Eigentümer zumindest von der Vernichtung der Tiere abgehalten hat. 615 Oben S. 232. 616 Haftpflicht beim Zusammenstoß zweier Schiffe: Rh. AppGH, 8.11.1858, RhA 44 (1855), I, 125, sowie KassGH zu Mannheim, 9.2.1863, Gredy, Entscheidungen, Nr. 7 zu Art. 1382, S. 668; Haftung einer Eisenbahngesellschaft für Eigentumsverletzungen am Bahnübergang sowie für durch Funkenflug verursachte Schäden, KassGH zu Mannheim, 11.1.1850, Gredy, Entscheidungen, Nr. 12 zu Art. 1382, S. 670, sowie 20.12.1859, Gredy, a.a.O., Nr. 10 zu Art. 1382, S. 669. RG, 12.4.1881, ZfrzCR 13, 423–424, sowie 28.3.1884, ZfrzCR 15, 427–431; OLG Köln, 1.2.1898, ZfrzCR 29, 308–310; OLG Karlsruhe, 9.2.1897, ZfrzCR 28, 625–626. 617 Siehe dazu auch Vergau, Ersatz immateriellen Schadens, S. 87 ff. 618 Rh. AppGH, 15.1.1834, RhA 13 (1834), I, 100; OLG Karlsruhe, 16.11.1886, ZfrzCR 18, 34–37; RG, 3.5.1887, ZfrzCR 18, 216–218; OLG Köln, 9.2.1899, ZfrzCR 30, 451–454. 619 Zu Verführung und Verlöbnisbruch: OG Mainz, 4.5.1878, ZfrzCR 10, 273–276; OLG Karlsruhe, 3.11.1883, ZfrzCR 15, 413; OLG München, 30.5.1884, ZfrzCR 16, 113–119; RG, 1.11.1884, ZfrzCR 16, 574–575, und 3.11.1886, ZfrzCR 17, 653; OLG Colmar, 11.1.1892, ZfrzCR 23, 543–545; RG, 21.10.1892, RGZ 30, 311-315; OLG Karlsruhe, 23.9.1893, ZfrzCR 25, 604–605. Zum Ehebruch: OLG Karlsruhe, 2.2.1880, ZfrzCR 12, 32–35.
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keine große Bedeutung zu; auch in diesem Bereich waren viele Fragen spezialgesetzlich geregelt, etwa durch das Markenschutzgesetz vom 30.11.1874. 620 Die in Frankreich entwickelten Grundsätze zur concurrence déloyale fanden deshalb keine uneingeschränkte Anwendung durch deutsche Gerichte. 621 Im Hinblick auf die Verletzung von Ansehen und Ehre sind schließlich noch weitere Entscheidungen zu nennen, in denen es um widerrechtliche Prozesse ging. Die Gerichte lehnten eine Entschädigungspflicht im Ergebnis jedoch jeweils ab: Das Betreiben auch eines nicht aussichtsreichen Prozesses stelle als solches keine unrechte Tat dar, denn es werde nur von dem eigenen Recht Gebrauch gemacht, gerichtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen.622 Ohne dies so explizit zu benennen, stellte das Reichsgericht also hier auf die Grundsätze zum Gebrauch eigener Rechte ab. d) Vermögen als solches Die Art. 1382 f. Cc/LRS spielten in der deutschen Rechtsprechung schließlich auch in weiteren Situationen eine Rolle, die sich keiner der bisherigen Fallgruppen zuordnen lassen. Ende des 19. Jahrhunderts ergingen einige Entscheidungen zur Haftung für Ratschläge und Auskünfte. Die Gerichte lehnten eine Ersatzpflicht jedoch jeweils ab: Eine Haftung bestehe nur bei Arglist bzw. vorsätzlicher Falschauskunft oder Betrug. 623 Mit dem Erfordernis der Verletzung eines absoluten Rechts im Rahmen der allgemeinen deliktischen Generalklausel ließen sich diese Fälle auch schwer vereinbaren, ging es doch in ihnen in erster Linie um die Verletzung des bloßen Vermögens. 624 Für einen Fall der Leistung einer „Zahlung zur Ungebühr“ lehnte das OLG Karlsruhe die Anwendung des Art. 1382 LRS ganz ausdrücklich mangels Rechtsverletzung ab. 625 620 Für eine frühere Entscheidung siehe KassH zu Berlin, 28.9.1858, Gredy, Entscheidungen, Nr. 41 zu Art. 1382, S. 677. Zum Verhältnis der Art. 1382 f. Cc/LRS zum MarkenschutzG siehe OG Mainz, 19.1.1878, ZfrzCR 9, 444–450; RG, 29.4.1892, ZfrzCR 23, 433– 438, sowie 1.6.1894, ZfrCR 25, 634–635; OLG Köln, 3.3.1897, ZfrzCR 28, 658–661. 621 OG Colmar, 9.4.1873, ZfrzCR 3, 670–676; RG, 24.3.1891, ZfrzCR 23, 233–239, sowie insbesondere 29.4.1892, ZfrzCR 23, 433–438; aber OLG Köln, 31.12.1894, ZfrzCR 27, 85–87. 622 So schon Rh. AppGH, 11.8.1836, RhA 17 (1836), I, 83. Siehe auch KassH zu Darmstadt, 19.1.1858, Gredy, Entscheidungen, Nr. 1 zu Art. 1153, S. 419, in dem es inhaltlich allerdings um etwas ganz anderes ging; RG, 25.1.1881, ZfrzCR 12, 576–579. 623 RG, 26.6.1885, ZfrzCR 16, 360–364; 7.1.1888, ZfrzCR 19, 32–35, sowie 4.10.1892, ZfrzCR 24, 43–47; OLG Köln, 26.1.1893, ZfrzCR 24, 659–661; OLG Colmar, 23.12.1896, ZfrzCR 29, 151–154. In dieser Weise entschied bereits das Hofgericht zu Rastadt, Bad. Annalen 2, 126 f., Anm. Holzmann. 624 Das Badische Landrecht regelte die Haftung für Empfehlungen und Ratschläge dagegen explizit in Art. 1381aa-ae LRS. 625 Entscheidung vom 24.2.1880, Kah, Rechtsfälle, Nr. 3 zu Art. 1382, S. 373: „Die erste und wesentliche Voraussetzung in beiden Beziehungen ist, daß die Handlung, aus welcher der Schaden, dessen Ersatz verlangt wird, hervorgegangen ist, einen objectiven Eingriff in
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Um Vermögensverletzungen ging es aber doch in einigen wenigen Entscheidungen zur Haftung von Notaren. In allen Fällen handelte es sich allerdings um Verstöße gegen gesetzliche Formvorschriften (Art. 971 f., 974, 980 Cc/LRS, Gesetz vom 25 ventôse an XI oder rheinische Notariatsordnung 626). Teilweise stützten die Gerichte die Schadensersatzpflicht dabei auf keine bestimmte Vorschrift,627 teilweise stellten sie direkt auf die Art. 1382 f. Cc ab.628 Weitere Entscheidungen, insbesondere auch des Reichsgerichts, ergingen zur Haftung von Notaren allerdings soweit ersichtlich nicht. Ähnliches gilt auch für die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gesellschaft. In einer Abhandlung stellt Puchelt das Vorgehen deutscher Gerichte in dieser Frage dem französischer Gerichte gegenüber. Er betont, dass im gemeinen deutschen Recht eine allgemeine Verbindlichkeit zur Schadloshaltung nur bei arglistiger Schädigung bestehe; selbst grobes Verschulden verpflichte nur bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses oder der Beschädigung körperlicher Sachen (aquilische culpa) zum Ersatz.629 Zwar räumt er ein, dass das französische Recht in dieser Hinsicht in den Art. 1382 f. Cc weiter gehe und auch die culpa dort allgemein eine Schadensersatzpflicht begründe – diese Praxis sei den deutschen Gerichten jedoch fremd. Obwohl die Art. 1382 f. Cc auch in Deutschland Anwendung fänden, lehnten die Gerichte eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Aktionären außer bei Arglist ab. 630 In Frankreich werde vielfach verkannt, dass die Art. 1382 f. Cc nur die aquilische culpa erfassen.631 Darin ist eine gewisse Kritik an der französischen Praxis zu erkennen. e) Vorvertragliches Verschulden Die Haftung für vorvertragliches Verschulden ist in der französischen Lehre als eine Art Sonderfall der deliktischen Haftung einzuordnen. In Deutschland sorgte 1856 das LG Köln mit dem „Telegraphenfall“ für große Diskussion: Das Kölner Bankhaus Oppenheim wollte eine bestimmte Menge an Aktien kaufen, die Rechte eines Anderen darstellt, also eine Rechtsverletzung enthält, denn … ist Jeder verpflichtet, solche Handlungen zu unterlassen, welche einen Eingriff in fremdes Recht enthalten.“ 626 Siehe dazu den Verweis bei Hachenburg, Badisches Landrecht, S. 279, auf RG, 18.12.1883, ZfrzCR 15, 257. 627 Rh. AppGH, 4.2.1829, RhA 6 (1829), I, 150, und 30.12.1840, RhA 23 (1840), I, 189; OLG Darmstadt, 14.1.1881, ZfrzCR 13, 468–475. 628 Rh. AppGH, 22.12.1836, RhA 18 (1837), I, 53; KassH zu Mannheim, 12.12.1843, Gredy, Entscheidungen, Nr. 27 zu Art. 1382, S. 674: Eine Haftung scheide aus, wenn die Rechtsprechung zu der betreffenden Frage unbeständig sei. 629 ZfrzCR 7, 294. 630 ZfrzCR 7, 296. Die Haftung ergab sich in erster Linie aus Art. 225b HGB. Dieser sah die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder in drei besonderen Fällen vor, schloss die Haftung außer bei Arglist im Übrigen aber aus. 631 ZfrzCR 7, 296.
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bei dem Empfänger (dem Frankfurter Bankhaus Weiller) ging aufgrund falscher telegraphischer Übermittlung jedoch ein Verkaufsauftrag ein. Die Aktien stiegen in der Folgezeit erheblich im Wert und Weiller erlitt einen Schaden, da die von Oppenheim nicht überlassenen Aktien durch einen Deckungskauf beschafft werden mussten. 632 Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch schied jedoch aus, da mangels Einigung oder zumindest aufgrund irrtumsbedingter Anfechtung kein wirksamer Vertrag zustande gekommen war. Das LG Köln stützte den Ersatzanspruch auf den Art. 1382 Cc, führte dies jedoch nicht näher aus und ging auch nicht auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale ein. 633 Für Jhering spielte diese Entscheidung eine wichtige Rolle für die Entwicklung der culpa in contrahendo.634 In einer Entscheidung des Kassationshofes zu Berlin ging es zwei Jahre später um die anfängliche Unmöglichkeit eines Vertrages: Die Lieferung des Vertragsgegenstands (einer Dampfmaschine) war physisch unmöglich, der Vertrag war damit nicht zustande gekommen. Der Verkäufer sei jedoch zur Schadloshaltung nach Art. 1382 und 1383 verpflichtet, sollte er „durch Versehen oder Dolus, namentlich durch Täuschung über die Möglichkeit der versprochenen Leistung, den Kläger an seinem Vermögen beschädigt haben“. 635 In beiden Fällen wendeten die Gerichte die deliktische Generalklausel in Situationen an, in denen gerade kein subjektives Rechts verletzt war, sondern lediglich das Vermögen als solches. 636 Für die Folgezeit bis 1900 ließen sich allerdings keine weiteren Urteile finden, in denen die Gerichte Ersatzansprüche in vergleichbaren Fällen auf die Art. 1382 f. Cc/LRS stützten.637
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Siehe dazu auch Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 540 ff., 640, Fn. 218 m.w.N. Das Verschulden sah das Gericht darin, sich eines (derzeit noch) unsicheren Korrespondenzmittels bedient zu haben, ohne die Richtigkeit der Übermittlung überprüft zu haben, ZDR 19, S. 466 f. 634 Jhering, Culpa in contrahendo, S. 6 f.; Dedek, Negative Haftung, S. 165 f., Fn. 315. Bei der Zusammenfassung der Entscheidung verdrehte Jhering allerdings den Sachverhalt (Oppenheim habe verkaufen wollen, übermittelt wurde allerdings ein Kaufangebot), worin ihm die Lehre im Anschluss folgte: Schermaier, Wesentlicher Irrtum, S. 640, Fn. 218. 635 Urteil vom 14.9.1858, Gredy, Entscheidungen, Nr. 30 zu Art. 1184, S. 461. 636 Aus dem Urteil des Kassationshofes zu Berlin ist allerdings nicht ersichtlich, ob es sich in der Situation nicht um eine arglistige Täuschung handelte – in diesem Fall würde die Anwendung der deliktischen Generalklausel auch bei primären Vermögensschäden keinen Sonderfall darstellen. 637 In den Abhandlungen zum Rheinischen und zum Badischen Recht wurde zu dieser Frage im Wesentlichen nichts geschrieben – lediglich Behaghel verwies für die aufgrund eines Betrugs abgegebene Willenserklärung (Art. 1116 Cc) auf die Art. 1382 ff. Cc: Badisches bürgerliches Recht, § 154, S. 8. Da jedoch auch Zachariae nicht auf dieses Problem einging, überrascht das Schweigen der übrigen deutschen Literatur nicht weiter. 633
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
f) Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen Wie gezeigt, entspann in der französischen Rechtswissenschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Diskussion, inwieweit Schäden, die durch vertragliche Pflichtverletzungen entstanden, über die deliktische Generalklausel ersetzt werden können. Die Gerichte wendeten die Art. 1382 f. Cc ohne weitere Diskussion auch auf diese Fälle an. Ein ähnliches Vorgehen lässt sich für die deutsche Rechtsprechung nicht beobachten. Schon früh betonten deutsche Gerichte, dass die Art. 1382 f. Cc keine Anwendung auf vertragliche Pflichtverletzungen finden. 638 Das Reichsgericht stützte zwar in einer Entscheidung aus dem Jahr 1884 einen Schadensersatzanspruch auf den Art. 1382 Cc, obwohl die schädigende Handlung die Verletzung einer vertraglichen Pflicht darstellte;639 nur zwei Jahre später lehnte es allerdings die Anwendung der deliktischen Generalklausel auf vertragliche Pflichtverletzungen ab. 640 1888 setzte sich das Reichsgericht ausführlicher mit dem Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung auseinander. Es betonte, dass der Art. 1382 Cc zwar außervertragliche Verhältnisse zum Gegenstand habe. Dies bedeute aber nicht, dass bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses ein deliktischer Anspruch, der sich auf den Vertragsgegenstand beziehe, zwischen den Vertragsparteien zwingend ausgeschlossen sei. Eine unrechte Tat, die dem Abschluss des Vertrags vorausgegangen sei, schließe Ansprüche aus den Art. 1382–1384 Cc neben vertraglichen Ansprüchen nicht aus. 641 Ebenso konnte eine vertragliche Pflichtverletzung gegenüber Dritten freilich eine grob fahrlässige Handlung nach Art. 1383 Cc/LRS darstellen.642 Wie es scheint, unterschieden die deutschen Gerichte im Übrigen genau zwischen vertraglichen und außervertraglichen Verletzungen und wendeten die Art. 1382 f. Cc/LRS nur auf letztere an.643 Das OLG Köln lehnte es 1894 beispielsweise entschieden ab, bei der fehlerhaften 638
KassGH zu Berlin, 10.6.1826, Gredy, Entscheidungen, Nr. 3 zu Art. 1585, S. 741, sowie 12.12.1842, Volkmar, Jurisprudenz, S. 225. Etwas anderes galt freilich im Falle betrügerischer Scheinversprechen, wo gar kein Vertrag zustande gekommen war: KassGH zu Berlin, 20.1.1830, Volkmar, Jurisprudenz, S. 225 f. Gegen einen Ersatz sprachen sich auch aus: Sander, Bad. Annalen 2, 226 f., sowie Schmidt, Bad. Annalen 35, 28 f. 639 Urteil vom 28.3.1884, ZfrzCR 15, 427–431. In der Entscheidung ging es darum, dass einem Bauern mangelhaftes Futter geliefert wurde, was zu einer Zwangstötung sämtlicher Kühe führte. 640 RG, 5.11.1886, RhA 70 (1887), III, 93. 641 RG, 7.1.1888, ZfrzCR 19, 32–35. Bestätigt in RG, 26.4.1892, RhA 77 (1892), I, 197, sowie 11.6.1897, ZfrzCR 28, 639. 642 RG, 19.10.1894, ZfrzCR 26, 466–470: Ein Bauunternehmer konstruiert eine Treppe, die viel zu steil für einen gefahrlosen Gebrauch ist. Er kommt damit nicht nur seiner vertraglichen Pflicht gegenüber dem Bauherrn nicht nach, sondern die Anbringung der Treppe stellt gegenüber Dritten eine grobe Fahrlässigkeit dar. 643 Die Untersuchung der deutschen Urteile hat jedenfalls keine weiteren Fälle aufgezeigt, in denen es um Schadensersatz nach den Art. 1382 f. Cc/LRS für vertragliche Pflichtverletzungen ging.
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Auftragserfüllung eines Rechtsanwalts den Art. 1382 Cc anzuwenden: Dieser gelte nur für außervertragliche Verhältnisse. 644 Das undurchsichtige Vorgehen der französischen Gerichte im Hinblick auf das Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung begegnete demgegenüber heftiger Kritik. 645 2. Abweichende Rechtsprechung zu Einzelfragen Während die Entscheidungen deutscher Gerichte im Rahmen der Art. 1382 f. Cc/LRS zu vielen Fragen grundsätzlich also große Ähnlichkeit mit der französischen Rechtsprechung aufwiesen und es dabei auch um ähnliche Rechts(guts)verletzungen ging, lässt eine inhaltliche Betrachtung für Einzelfragen zum Teil jedoch erhebliche Unterschiede erkennen. Die deutschen Gerichte, und dabei allen voran das Reichsgericht, entwickelten zu bestimmten Fragen eine abweichende Judikatur. Unterschiede traten freilich schon dort auf, wo die deutschen Gesetzgeber spezielle Vorschriften oder Gesetze zu einzelnen Fragen erlassen hatten, zum Beispiel für den Ersatz des Wildschadens, unlauteren Wettbewerb646 oder für durch das Haftpflichtgesetz erfasste Fälle. 647 In anderen Fällen interpretierten die deutschen Gerichte die Vorschriften anders oder legten einer gebotenen Abwägung andere Wertvorstellungen und Schwerpunkte zugrunde. Ein inhaltlicher Vergleich liegt freilich außerhalb der eigentlichen Thematik dieser Arbeit und berührt den Umfang der deliktischen Haftung nur am Rande; gleichwohl lässt er erkennen, dass die Art. 1382 f. Cc/LRS von deutschen Gerichten durchaus anders verstanden wurden als von französischen Gerichten. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle zumindest ein kurzer Überblick zu ausgewählten Fragen erfolgen. a) Verlöbnisbruch und Verführung zum Beischlaf Im Hinblick auf Ersatzansprüche in Folge gebrochener Eheversprechen oder bei einer Verführung zum Beischlaf lagen die deutschen Gerichte bis Ende des 644
Urteil vom 12.12.1894, ZfrzCR 26, 495–496. OLG Zweibrücken, 13.6.1891, ZfrzCR 24, 677–680. 646 So regelte das 1861 erlassene Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) beispielsweise abschließend den Firmenschutz und schloss deliktische Klagen in dieser Frage daneben aus. Die deutschen Gerichte setzten sich gleichwohl mit der französischen Judikatur etwa zur „concurrence déloyale“ auseinander, vgl. insbesondere OLG Köln, 31.12.1894, ZfrzCR 27, 85–87. Siehe dazu Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen, S. 180 ff. Zur deutschen Behandlung des unlauteren Wettbewerbs auch Schumacher, Rheinisches Recht, S. 92 ff. 647 Neben den speziellen Bestimmungen des HaftpflichtG fanden aber gem. § 9 HaftpflichtG auch die allgemeinen Landesgesetze, also Art. 1382 f. Cc/LRS, weiterhin Anwendung. Dies war insbesondere von Bedeutung, wo der Geschädigte nach den allgemeinen Gesetzen eine höhere Entschädigung verlangen konnte. Siehe dazu auch RG, 10.1.1882, ZfrzCR 14, 242–246; 10.4.1883, ZfrzCR 14, 619–622; sowie 2.4.1886, ZfrzCR 17, 663– 664. 645
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
19. Jahrhunderts ganz auf einer Linie mit der französischen Rechtsprechung: Der Verlöbnisbruch bildete ein zum Schadensersatz verpflichtendes Delikt im Sinne des Art. 1382 Cc, wenn das Versprechen in betrügerischer Absicht gegeben worden war, um die Zurückhaltung der Frau im Hinblick auf intimen Verkehr zu brechen.648 Mit Urteil vom 25.10.1892 wandte sich das Reichsgericht dann jedoch nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der französischen Praxis von dieser Rechtsprechung ab: Einer Klage auf Schadensersatz für die aus der betrügerischen Verführung entstandene Schwangerschaft stehe der Art. 340 Cc entgegen, der eine Vaterschaftsklage ausdrücklich verbiete. 649 Bis zu dieser Entscheidung hatten die deutschen wie auch die französischen Gerichte den Art. 340 Cc zwar diskutiert, aber für unanwendbar gehalten, da es nicht um die Feststellung der Vaterschaft gegenüber dem Kind gehe, sondern um die Folgen einer gegenüber der Mutter verübten unrechten Tat.650 Nach Auffassung des Reichsgerichts, der 1893 auch das OLG Karlsruhe folgte,651 gehörte der Art. 340 Cc jedoch der öffentlichen Ordnung an und war auch hier zu beachten; die Verbotsnorm finde ihren Grund darin, dass eine Feststellung der Vaterschaft nicht mit Sicherheit möglich sei. 652 Die am Ende des Jahrhunderts abweichende Judikatur der deutschen Gerichte beruhte hier also darauf, dass diese einer strikten Anwendung des Art. 340 Cc den Vorzug gegenüber Billigkeitserwägungen gaben. b) Beeinträchtigungen nachbarlicher Grundstücke Während die französischen Gerichte nachbarliche Eigentumsbeeinträchtigungen unmittelbar auf den Art. 1382 Cc stützten und für die deliktische Haftung damit eine faute den Ausschlag gab, thematisierte die deutsche Rechtsprechung in viel größerem Maße den Umfang des Eigentumsrechts gem. Art. 544 Cc/LRS.653 Im Ergebnis unterschieden sich deutsche und französische Entscheidungen nicht wesentlich, im Hinblick auf die Argumentation und die
648 Siehe z.B. RG, 3.11.1886, ZfrzCR 17, 653. In ähnlicher Weise entschied auch noch das OLG Köln mit Urteil vom 26.2.1892. Einen Überblick über die deutsche Rechtsprechung zu dieser Frage gibt Schumacher, Rheinisches Recht, S. 55 ff. 649 RGZ 30, 311–315 (Urteil vom 25.10.1892). Art. 340 Cc lautete: „La recherche de la paternité est interdite.“ 650 RGZ 30, 311–315, 313 f. (Urteil vom 25.10.1892); siehe auch RG, 3.11.1886, ZfrzCR 17, 653. Auch die französischen Gerichte hatten Ersatzansprüche mit Blick auf den Art. 340 Cc kurz nach Inkrafttreten des Code civil noch abgelehnt (siehe z.B. Cass. sec. req., 10.3.1808, Journal des audiences 1808, 156), wandten sich aus Gründen der Billigkeit dann aber davon ab, RGZ 30, 311, 314. 651 Urteil vom 23.9.1893, ZfrzCR 25, 604–605. 652 RGZ 30, 311–315, 314 (Urteil vom 25.10.1892). 653 Siehe insbesondere RG, 13.12.1883, ZfrzCR 15, 380–384. Am Ende gaben vielfach Billigkeitserwägungen den Ausschlag, Schumacher, Rheinisches Recht, S. 75, 81.
C. Der Code civil in Deutschland
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Technik bestanden jedoch deutliche Unterschiede. Die französische Praxis betonte zwar ebenfalls das Erfordernis einer Rechtsverletzung, stellte aber primär auf die zum Schaden führende Handlung als solche ab. Weiterhin sollte trotz Vorliegens einer Rechtsverletzung die Ausübung eines Rechts die Haftpflicht ausschließen, solange diese Ausübung nicht missbräuchlich erfolgte. 654 Diese Argumentation lässt sich bei deutschen Gerichten nicht finden. Die deutschen Gerichte argumentierten im Gegensatz dazu vor allem mit dem Umfang des Eigentumsrechts nach Art. 544 Cc, Einschränkungen durch das Nachbarrecht sowie nachbarlichen Duldungs- und Rücksichtnahmepflichten. 655 c) Ersatz moralischen Schadens Eine unterschiedliche Auffassung vertraten französische und ein Teil der deutschen Gerichte hinsichtlich der Frage, ob auch immaterielle Schäden – oder wie es in Frankreich hieß: „moralische“ Schäden – zu ersetzen seien. 656 Klassische Fälle waren auch in Deutschland gebrochene Eheversprechen oder der Tod naher Angehöriger. Die Gerichte in Rheinbayern und Rheinhessen lagen in dieser Frage ganz auf einer Linie mit der französischen Rechtsprechung 657 und gewährten folglich Ersatz. 658 Art. 1382 Cc spreche nur von einem „dommage“ ohne zu unterscheiden, worin dieser bestehe. Die für das Vertragsrecht geltenden Einschränkungen in den Art. 1149 ff. Cc könnten nicht auf deliktische Schäden übertragen werden, da es sich dabei einerseits um Spezialvorschriften handele, und andererseits vertragliche Pflichtverletzungen etwas ganz anderes als deliktische Verletzungen darstellten. Schließlich sei nach dem gesetzgeberischen Willen voller Ausgleich für jeglichen Schaden zu leisten – und das müsse neben physischen auch psychische Beeinträchtigungen erfassen. 659 Den gegenteiligen Standpunkt nahmen die übrigen deutschen Gerichte einschließlich des Reichsgerichts ein. Die Ablehnung des Ersatzes moralischer Schäden stützten sie dabei vorwiegend auf drei Argumente: Erstens seien die durch den Tod eines Menschen erlittenen Schmerzen, oder ganz allgemein schmerzhafte Empfindungen, keiner Schätzung in Geld zugänglich und könnten damit nicht ersetzt werden. 660 Zweitens bestehe kein Anlass zu der Annahme, dass das Gesetz unter dem „dommage“ in Art. 1382 Cc etwas anderes 654
Siehe dazu oben S. 197. Schumacher, Rheinisches Recht, S. 81, folgert daraus, dass die französischen Gerichte, die derartige Überlegungen nicht anstellten, der Problematik damit auf einfachere Weise begegnen konnten. 656 Zu der Diskussion in der deutschen Rechtswissenschaft siehe auch die Abhandlung von Reissel, Ersatz des moralischen Schadens, ZfrzCR 20, 691–711. 657 Siehe dazu oben S. 212 f. 658 So etwa OLG Darmstadt, 9.11.1883, ZfrzCR 16, 125–129. 659 OLG Zweibrücken, 7.2.1887, ZfrzCR 19, 489–496. 660 Rh. AppGH, 14.4.1836, RhA 16 (1836), I, 129, sowie 16.8.1838, RhA 20 (1838), I, 234; OLG Karlsruhe, 16.11.1886, ZfrzCR 19, 11–14, 13. 655
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
meine als in den Art. 1146 ff. Cc, also die Beeinträchtigung von Vermögensinteressen, die in Geld ersetzbar seien.661 Drittens bedeute die Gewährung eines Geldbetrags für das Erleiden von Schmerzen keine Entschädigung, sondern sei nichts anderes als eine Privatstrafe. 662 In Baden schließlich bestimmte bereits der Art. 1382f LRS, dass kein Schmerzensgeld gefordert werden kann.663 3. Fälle, die gerade nicht über die Art. 1382 f. Cc/LRS entschieden wurden Die Untersuchung der Entscheidungen zum Rheinischen und Badischen Recht hat bestätigt, dass sich den deutschen Gerichten im Rahmen der deliktischen Haftung ganz ähnliche Fragen stellten wie den französischen Gerichten. Auch für die deutsche Rechtsprechung ließ sich eine Einteilung der Entscheidungen nach der jeweiligen Rechtsverletzung vornehmen. Es ging dabei um Verletzungen des Lebens, des Körpers, des Eigentums, des Ansehens und der Ehre. Im Rahmen der Untersuchung fiel neben diesen Gemeinsamkeiten aber auch auf, dass sich zu bestimmten Fallgruppen, die von französischen Gerichten im Rahmen der Art. 1382 f. Cc entschieden wurden, nur sehr wenige oder gar keine Urteile deutscher Gerichte finden lassen. Dies betrifft insbesondere die Haftung von Notaren, von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gesellschaft sowie den Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen. Gerade diese Fallgruppen, die nicht Gegenstand deutscher Entscheidungen waren, geben näheren Aufschluss über das Verständnis der deutschen Gerichte vom Umfang der deliktischen Haftung. Wie gezeigt, beschäftigte die Haftung von Notaren französische Gerichte mit Abstand am häufigsten; meistens ging es dabei darum, dass dem Notar Fehler bei der Erstellung eines Akts (betreffend die Form oder das Verfahren) unterlaufen waren. Für die deutsche Rechtsprechung lassen sich derartige Fälle im Zusammenhang mit der deliktischen Generalklausel an einer Hand abzählen; insbesondere in den Urteilen des Reichsgerichts findet sich dazu im Wesentlichen nichts. 664 Dass deutschen Notaren im Gegensatz zu französischen Notaren bei der Erstellung von Testamenten oder anderen notariellen Akten einfach keine die Haftpflicht begründenden Fehler unterlaufen sind, ist nicht wahrscheinlich. Vielmehr legt diese Beobachtung den Schluss nahe, dass derartige Fälle in Deutschland grundsätzlich keine Haftung und Ersatzansprüche nach den Art. 1382 f. Cc/LRS begründeten. Gleiches lässt sich auch im Hinblick auf vertragliche Pflichtverletzungen sagen: Einige deutsche Gerichte
661
RGZ 7, 295–296 (Urteil vom 27.6.1882). Die Argumentation des Reichsgerichts lehnte sich an das römische Recht sowie an die Pandektistik an, Schumacher, Rheinisches Recht, S. 121 f. 663 Dies sollte sich auch nach Aufhebung (und Ersetzung) des Art. 1382f LRS durch das Gesetz vom 6.3.1845 nicht ändern: Puchelt, Ergänzende Gesetze, S. 42. 664 Für einen Fall, in dem es um den Verstoß gegen die rheinische Notariatsordnung ging, siehe oben Fn. 626. 662
C. Der Code civil in Deutschland
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betonten ja explizit, dass diese nicht von der deliktischen Generalklausel erfasst seien, es sei denn, die Pflichtverletzung erweise sich als solche gleichzeitig auch als Delikt. Lässt man die Begründung des OLG Köln, Art. 1382 Cc gelte nur für außervertragliche Verhältnisse, 665 beiseite, verbleibt eine weitere Möglichkeit, die das Ausbleiben der Fälle sowohl der Haftung von Notaren und Aufsichtsratsmitgliedern als auch der Verletzung vertraglicher Pflichten schlüssig erklären kann. In diesen Fällen liegt in der Regel nicht die Verletzung eines absolut geschützten Rechts oder Rechtsguts vor, sondern es geht primär um eine „Verletzung“ des bloßen Vermögens, also gerade keines absoluten Rechts. Diese These findet Unterstützung durch Puchelts Anmerkung, Art. 1382 f. Cc erfassten nur die aquilische culpa, also die Beschädigung körperlicher Sachen. Während viele französische Juristen den Bezug zu der Verletzung absoluter Rechte zumindest mittelbar herstellten, lässt sich dies in der deutschen Lehre des 19. Jahrhunderts zum Badischen und Rheinischen Recht jedoch nicht in dieser Form finden. Auch die deutschen Juristen knüpften die deliktische Haftung zwar an eine Rechtsverletzung – sie gingen aber nicht weiter darauf ein, um welche „Rechte“ es sich dabei handeln musste. Ebenso findet man auch in der deutschen Rechtsprechung zu den Art. 1382 f. Cc keine näheren Ausführungen dazu; selbst auf das Erfordernis der Rechtsverletzung gingen die deutsche Gerichte nur in Einzelfällen ein. 666 Trotz des Fehlens ausdrücklicher Begründungen oder Bezugnahmen auf die Verletzung absoluter Rechte in der deutschen Lehre und Rechtsprechung erscheint es deshalb naheliegend, dass es genau darauf ankam: Insbesondere in den Entscheidungen des Reichsgerichts zu den Art. 1382 f. Cc/LRS lag im Übrigen die Verletzung eines absoluten Rechts vor. Und wie gezeigt war dies auch genau das Verständnis der französischen Lehre vom Umfang der deliktischen Haftung – und das Verständnis, das Zachariae mit seinem Handbuch auch in der deutschen Lehre verbreitete/etablierte. Aus all dem lässt sich für das Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung folgern, dass die deutsche Rechtsprechung – zur deutschen Lehre lassen sich in dieser Hinsicht demgegenüber nur wenig belastbare Aussagen machen – die deliktische Generalklausel in Art. 1382 Cc/LRS viel enger verstanden und ausgelegt hat als die französische Rechtsprechung: Die Verletzung eines absoluten Rechts oder Rechtsguts war grundsätzlich Voraussetzung für einen Ersatzanspruch. Fälle, in denen es an einer solchen Verletzung fehlte und lediglich eine Vermögenseinbuße vorlag, begründeten dementsprechend nicht die Haftung; die deliktische Ersatzpflicht im Falle vorvertraglichen Verschuldens (um die es überhaupt nur in zwei Entscheidungen aus den 1850er Jahren 665
Urteil vom 12.12.1894, ZfrzCR 26, 495–496. Siehe z.B. OLG Karlsruhe, 24.2.1880, Kah, Rechtsfälle, Nr. 3 zu Art. 1382, S. 373; 24.11.1880, Bad. Annalen 46, 244–247, sowie 16.11.1886, ZfrzCR 18, 34–37; OLG Colmar, 11.1.1892, ZfrzCR 23, 543–545; OLG Köln, 31.12.1894, ZfrzCR 27, 85–87. 666
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
ging) erweist sich dabei als Sonderfall. Die deutsche Rechtsprechung wendete damit in der Praxis an, was die französische Lehre grundsätzlich in der Theorie forderte. Wie bereits an anderer Stelle erläutert, lässt sich aus diesen Folgerungen zur deutschen Rechtsprechung jedoch nicht zwingend der Schluss ziehen, dass es für französische Gerichte in der Praxis nicht auf Verletzungen (absoluter) Rechte ankam – schließlich war die Haftung von Notaren spezialgesetzlich geregelt; bei Formverstößen lag immer auch ein Verstoß gegen eine gesetzliche Bestimmung vor. Für die deutsche Praxis belegt dies jedoch bereits für das 19. Jahrhundert, dass die deliktische Haftung grundsätzlich die Verletzung bestimmter Rechte voraussetzte und damit deutlich begrenzt war. Die weite Formulierung in den Art. 1382 f. Cc/LRS stand diesem Verständnis nicht entgegen. IV. Ergebnis zum deutschen und französischen Verständnis Der Ausgangspunkt für französische Lehre und Rechtsprechung auf der einen und badische und rheinische Lehre und Rechtsprechung auf der anderen Seite war zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst identisch: die Vorschriften des Code civil. Bereits 1810 erließ der badische Gesetzgeber im Badischen Landrecht jedoch gewisse Ergänzungen zu den als zu unbestimmt empfundenen Bestimmungen der Art. 1382 f. Cc. Die Anwendung der deliktischen Generalklausel erfuhr im Verlauf des 19. Jahrhunderts bezüglich einzelner Fragen weitere Einschränkungen: Sowohl in Baden als auch ab 1871 im gesamten deutschen Reich entstanden diverse Spezialgesetze wie das WildschadenG, das HaftpflichtG oder das MarkenschutzG, die abweichende Regelungen gegenüber der allgemeinen Ersatzpflicht vorsahen. 667 Das Tätigwerden der deutschen Gesetzgeber führte also für Einzelfragen bereits zwingend zu Unterschieden zwischen deutscher und französischer Praxis. Doch auch außerhalb dieser Fälle verlief die Entwicklung in beiden Ländern nicht immer identisch. Gerade zum Ende des 19. Jahrhunderts wich die deutsche Rechtsprechung in bestimmten Fragen deutlich von der französischen ab, was seinen Grund in einem anderen Verständnis der Vorschriften oder abweichenden Wertvorstellungen hatte. Das Verständnis vom Umfang der Haftung weist überwiegend große Übereinstimmungen, aber auch gewisse Unterschiede auf. Die deutsche Lehre orientierte sich prinzipiell sehr stark an den Abhandlungen zum französischen Recht, und nahm insbesondere das Handbuch von Zachariae als Bezugspunkt. Insgesamt waren die Darstellungen des Badischen und insbesondere des Rheinischen Rechts deutlich kürzer als vergleichbare französische Werke. 668 Auf 667 Die deutschen Gerichte mussten sich in der Folge freilich auch mit Abgrenzungsfragen auseinandersetzen. 668 Eine Ausnahme bildeten hier allerdings die Erläuterungen zum Code Napoléon von Brauer.
D. Ergebnis zur Entwicklung im 19. Jahrhundert
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die einzelnen Voraussetzungen der Haftung gingen die deutschen Juristen grundsätzlich nicht näher ein. Das Erfordernis der Rechtsverletzung erwähnten die meisten von ihnen zwar – Erläuterungen dazu, etwa welche Rechte verletzt sein können, erfolgten dagegen nicht. Lediglich Brauer unterschied ähnlich wie Toullier in Frankreich Verletzungen der Person und der Sachen – auch er führte dies jedoch nicht weiter aus. Für das Rheinische Recht entstand in noch größerem Maße der Eindruck, dass es sich bei der Rechtsverletzung um eine selbstverständliche Voraussetzung handelte. Neben dieser erörterten einige Juristen auch die Grundsätze zum Gebrauch eigener Rechte – auch hier sahen sie sich aber nicht zu näheren Erklärungen veranlasst; hin und wieder stand lediglich das Zitat „qui jure suo utitur, neminem laedit“. Einer Erläuterung bedurfte dies ganz offensichtlich nicht. Insgesamt sind die Ausführungen der deutschen Lehre im Hinblick auf den Umfang der Haftung wenig aussagekräftig. Etwas anderes gilt jedoch im Hinblick auf die Anwendung der Art. 1382 f. Cc/LRS durch die deutsche Rechtsprechung, die Ende des 19. Jahrhunderts für die deutsche Lehre von großer Bedeutung war. Die untersuchten Entscheidungen befassten sich immer mit der Verletzung absoluter Rechte, vor allem des Lebens, des Körpers und des Eigentums, aber auch des Ansehens und der Ehre. In Fällen wie der Haftung von Notaren und Aufsichtsratsmitgliedern einer Gesellschaft oder dem Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen über die deliktische Generalklausel, die bei der französischen Rechtsprechungsanalyse als problematisch empfunden wurden, stellten die deutschen Gerichte dagegen in der Regel nicht auf einen Anspruch aus den Art. 1382 f. Cc/LRS ab. Eine denkbare Begründung dafür kann darin bestehen, dass in diesen Fällen typischerweise nur das Vermögen als solches verletzt war, ein Ersatzanspruch aus den Art. 1382 f. Cc/LRS nach deutschem Verständnis aber gerade die Verletzung eines absoluten Rechts voraussetzte. Ausdrücklich geäußert wurde das nicht – überhaupt gingen auch die deutschen Gerichte nur in Einzelfällen auf das Erfordernis einer Rechtsverletzung ein. Die dargestellte Gerichtspraxis lässt jedoch das Erfordernis einer Rechtsverletzung als stillschweigend angenommene Voraussetzung erkennen. Dies legt den Schluss nahe, dass die deutsche Rechtsprechung den Umfang der deliktischen Haftung in den Art. 1382 f. Cc/LRS trotz der weiten Formulierung der Vorschrift viel enger verstanden hat als die französischen Gerichte.
D. Ergebnis zur Entwicklung im 19. Jahrhundert D. Ergebnis zur Entwicklung im 19. Jahrhundert
Für das Verständnis vom Umfang der deliktischen Haftung nach den Art. 1382 f. Cc lässt sich für das 19. Jahrhundert in Frankreich kein einheitliches Bild zeichnen. Während es für die Lehre offenbar eine Selbstverständlichkeit darstellte, dass die Haftung die Verletzung absoluter Rechte voraussetzte (neben einem widerrechtlichen Verhalten als Element der faute), lässt sich dies
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Kapitel 2: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
der Gerichtspraxis nicht entnehmen. Die Untersuchung der Entscheidungen von Cour de cassation und Cours d’appel zeigt ein breites Spektrum an Fällen auf, in denen die Art. 1382 f. Cc angewendet wurden. Auf eine Rechtsverletzung kam es dabei jedoch nicht ersichtlich an. Vielmehr scheint es, als ob tatsächlich sämtliche Fälle unter die deliktische Generalklausel fallen konnten – auch die Haftung von Notaren und Aufsichtsratsmitglieder oder vertragliche Pflichtverletzungen. Ein vergleichbar begrenztes Verständnis wie übereinstimmend in der Lehre vertreten ist nicht feststellbar. Ebenso wendeten die Gerichte die Haftungsbeschränkung des Rechtsgebrauchs wesentlich restriktiver an als die Lehre. Gleichwohl zeigt sich jedoch auch bei der Lehre, dass die Billigkeit zu einer gewissen Lockerung der Voraussetzungen führen konnte: Für die Haftung bei verschuldeter Nichtigkeit eines Vertrags stellten viele Juristen auf die Art. 1382 f. Cc ab, ohne sich dabei zum Erfordernis der Rechtsverletzung, der faute oder den Voraussetzungen des Anspruchs überhaupt zu äußern. Die Billigkeit erforderte eine Ersatzpflicht, und mangels Vertrages kam nur die deliktische Generalklausel in Betracht – dass sich dies nicht ganz mit den übrigen Ausführungen zu den Art. 1382 f. Cc vereinbaren ließ, wurde ausgeblendet. Die deutschen Gerichte, die bis 1900 ebenfalls die Art. 1382 f. Cc bzw. darauf zurückgehende Vorschriften anwenden mussten, sahen sich mit ganz ähnlichen Fällen konfrontiert wie die französischen Gerichte. Hinsichtlich des Umgangs der deutschen Rechtswissenschaft mit diesen Vorschriften fällt jedoch zunächst auf, dass in der Lehre keine vergleichbare Erörterung der Voraussetzungen der Haftung erfolgte. Weiterhin entwickelten die deutschen Gerichte zu einer Reihe von Einzelfragen eine abweichende Rechtsprechung und wendeten zudem die Art. 1382 f.Cc/LRS tatsächlich nur auf solche Fälle an, in denen absolute Rechte/Rechtsgüter verletzt wurden. Dies betonten zwar weder die Gerichte noch die Lehre – in der deutschen Lehre fehlte insgesamt ein näheres Eingehen auf die Rechtsverletzung – faktisch wurde aber genau das getan. Fälle, die in Frankreich problematisch waren, wie die Haftung von Notaren oder der Ersatz vertraglicher Pflichtverletzungen über die Art. 1382 f. Cc/LRS, blieben in Deutschland außerhalb der deliktischen Generalklausel. Trotz der im Wesentlichen identischen Vorschriften scheinen die deutschen Gerichte den Umfang der Haftung und die Generalklausel in den Art. 1382 f. Cc damit wesentlich enger verstanden zu haben als die französische Rechtsprechung, nämlich ähnlich wie die französische Lehre.
Kapitel 3
Die Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert Das 20. Jahrhundert brachte für die deliktische Haftung eine ganze Reihe wesentlicher Veränderungen. Teilweise nahmen diese ihren Anfang bereits in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, teilweise erfolgten sie erst später. Das Anliegen dieses Kapitels ist es, diejenigen Aspekte näher zu beleuchten, die für den Umfang der deliktischen Haftung relevant waren. Häufig wurden diese durch Entscheidungen der Cour de cassation ausgelöst. Überhaupt hat die Rechtsprechung die Rechtsentwicklung im 20. Jahrhundert in vielen Fragen ganz entscheidend geprägt. Von Relevanz sind daneben die Diskurse in der Literatur, zum Beispiel zur faute oder zum Rechtsmissbrauch. Bei der Fülle an wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Urteilen ist es allerdings nicht möglich, Lehre und Rechtsprechung ähnlich umfassend darzustellen und zu analysieren wie im zweiten Kapitel; der Fokus liegt daher primär auf den prägenden Autoritäten zu den jeweils auftretenden Problemen. Daneben sollen aber auch die weitere Entwicklung dieser Fragen sowie deren gegenwärtige Bedeutung in der französischen Rechtswissenschaft aufgezeigt werden. Der Umfang der deliktischen Haftung hängt ganz wesentlich davon ab, wie die sehr unbestimmt gefassten Tatbestandsmerkmale der Art. 1382 f. Cc verstanden werden. Erwies sich die faute im 19. Jahrhundert noch als die entscheidende Voraussetzung der Art. 1382 f. Cc, gewann während des 20. Jahrhunderts der Schaden immer mehr an Bedeutung. Beide Erfordernisse bestimmen folglich den Haftungsumfang und damit die folgende Darstellung. Welche Anforderungen stellte die französische Rechtswissenschaft im 20. Jahrhundert an diese Voraussetzungen und was folgte daraus für den Umfang der Haftung (A. und B.)? Neben der faute und dem dommage kommt der dritten Voraussetzung der Haftung, der Kausalität, im Hinblick auf den Umfang der Haftung nur eine untergeordnete Rolle zu (C.). Von Interesse ist schließlich, welche anderen „Techniken“ die französische Rechtswissenschaft entwickelte bzw. verfeinerte, um die deliktische Haftung einzuschränken (D.).
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
A. Faute und fait illicite A. Faute und fait illicite
Gegenwärtig scheint außer Frage zu stehen, dass die deliktische Haftung nach den Art. 1382 f. Cc grundsätzlich eine faute voraussetzt. Dies war während des 20. Jahrhunderts nicht immer der Fall, und auch heute bestehen einige Sonderregelungen, die Auswirkungen auf die deliktische Haftung und die faute haben – die Bedeutung der faute variiert damit (I.). Im Übrigen kam es im Vergleich zum 19. Jahrhundert zu einer Ausweitung der faute und damit der Haftung, was in erster Linie eine Abwendung von der bisherigen Definition der faute mit sich brachte; dazu finden sich in der Literatur (II.) und der Rechtsprechung (III.) unterschiedliche Ansätze. Daneben trug zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Lehre vom Rechtsmissbrauch zu einer Ausweitung der faute bei: Seitdem gelten strengere Anforderungen an die Ausübung eigener Rechte und damit an den Ausschluss der faute (IV.). Für die künftige französische Rechtsentwicklung lohnt sich schließlich ein Blick auf das herrschende Verständnis der faute in der kanadischen Provinz Québec (V.). I. Die Bedeutung der faute für die deliktische Haftung Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts betrachtete die Lehre die faute ganz selbstverständlich als notwendiges Erfordernis der deliktischen Haftung nach den Art. 1382 f. Cc. Mit der industriellen Revolution mehrte sich jedoch zum einen die Zahl von Unfällen, zum anderen erhöhten sich die Schwierigkeiten der Geschädigten, eine faute des Handelnden zu beweisen. Immer wieder kam es vor, dass ein Geschädigter am Ende ohne Entschädigung verblieb. Dies brachte einen Teil der Lehre dazu, das Erfordernis der faute ernsthaft in Frage zu stellen und nach einer anderen Begründungsmöglichkeit für die deliktische Haftung zu suchen, durch die der Billigkeit mehr entsprochen werden konnte 1 – durchzusetzen vermochten sich diese Vorstöße jedoch nicht (1.). Sowohl die Lehre als auch die Rechtsprechung wollen dem Geschädigten in besonderen Situationen allerdings mit Beweiserleichterungen helfen (2.). Eine besondere Entwicklung ist zudem im Hinblick auf den Schutz bestimmter Persönlichkeitsrechte festzustellen (3.). 1. Notwendigkeit des Erfordernisses: théories du risque und objektive Haftung Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte die Frage nach einer Haftung ohne faute, die bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aufgekommen war, den Diskurs in der französischen Lehre. Viele Juristen wollten die Haftung nunmehr statt an eine faute an die Schaffung eines
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Zu dieser Entwicklung Josserand, Responsabilité, S. 6 ff., 19 ff.
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Risikos knüpfen. Dies führte zu der Entwicklung verschiedener théories du risque. Die Idee einer nicht auf die faute gestützten, „objektiven“ deliktischen Haftung kam zum ersten Mal mit Blick auf die steigende Zahl von Arbeitsunfällen auf.2 Der Einsatz immer komplizierterer, aber auch gefährlicherer Maschinen erhöhte für den Arbeiter das Risiko eines Unfalls und erschwerte gleichzeitig den Beweis einer faute.3 Um dem Geschädigten zu helfen, sollte dieser daher von der Beweislast befreit werden: Allein die Schaffung des Risikos, das sich in dem eingetretenen Schaden verwirklicht hat, sollte die Haftung begründen; freilich war daneben das Vorliegen einer kausalen Verbindung erforderlich. 4 Die théorie du risque-profit stellte dabei einen Zusammenhang zu den mit dem Einsatz der gefährlichen Maschine verbundenen Vorteilen her: Wer aus der risikoreichen Tätigkeit einen Profit schlägt – weil mit dem Einsatz dieser Maschine ein höherer Nutzen verbunden ist –, der soll auch für Unfälle der Bedienenden haften, die ihrerseits von der Tätigkeit in der Regel überhaupt nicht profitieren. 5 Die Schaffung eines Risikos stand hier also direkt in Verbindung mit dem daraus folgenden wirtschaftlichen Vorteil. Insgesamt gab es zu diesem Vorschlag seitens der Lehre nur wenig Kritik; der Gesetzgeber reagierte im Jahr 1898 schließlich mit der Anordnung einer Gefährdungshaftung für Arbeitgeber und entzog der Diskussion damit eigentlich den Boden. 6 Einige Juristen empfanden aber auch außerhalb dieses nun geregelten Bereichs das Erfordernis der faute als ungenügend. Nach der théorie du risque créé sollte unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung jeder irgendwie geartete Vorteil des eigenen Handelns die Haftung begründen. 7 Die théorie du risque erfuhr damit eine Ausdehnung über die Industrie hinaus auf sämtliche
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Siehe dazu oben S. 175 ff. Dazu auch Josserand, Droit civil positif français, Nr. 415. 4 Eine detaillierte Darstellung aller vertretenen Ausprägungen der théories du risque ist an dieser Stelle weder möglich noch im Hinblick auf die genaue Fragestellung dieser Arbeit erforderlich. Da die faute jedoch eine so große Bedeutung für den Umfang der deliktischen Haftung hat, soll zumindest gezeigt werden, dass eine ganze Reihe von Juristen dieses Erfordernis ernsthaft in Frage gestellt hat. Wesentliche Arbeiten zu den théories du risque sind insbesondere Saleilles, Accidents de travail; Josserand, Responsabilité; Teisseire, Fondement de la responsabilité civile; Ripert, Exercice du droit de propriété; Triandafil, L'idée de faute et l'idée de risque; Bettremieux, Fondement de la responsabilité civile. Für eine Befassung mit dieser Thematik siehe auch Gény, Risque et responsabilité; Demogue, Obligations, Nr. 269; Gaudemet, Responsabilité civile. 5 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 416; Starck, Responsabilité civile, S. 18: Der Arbeitgeber könne für diesen Fall ja auch eine Versicherung abschließen. 6 Siehe oben S. 178. 7 Savatier, Règles générales de la responsabilité civile, Nr. 29: „La responsabilité fondée sur le risque créé consiste dans l’obligation de réparer des faits dommageables produits par une activité qui s’exerçait dans votre intérêt.“ 3
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Verhalten.8 Dies stieß auf nachdrückliche Ablehnung in der Lehre. 9 Ein Hauptproblem sahen die Gegner darin, dass dadurch die Grenzen der Haftung nicht mehr erkennbar seien: Nahezu jede Handlung verursache irgendwelche Risiken oder Schäden, und um eine Haftung zu vermeiden, müsste man sämtliches Handeln unterlassen. 10 Weiterhin beruhe die théorie du risque créé auf dem Axiom, dass der Mensch nie das Recht habe, andere zu schädigen – dies sei aber eine vollkommen falsche Annahme: Entscheidend sei, ob die Schädigung unerlaubt sei und eine faute begründe.11 Schließlich lasse diese Theorie das Verhalten des Opfers vollkommen außen vor, das schließlich in gewisser Weise auch erst zur Entstehung des Schadens beigetragen habe. 12 Trotz der bis heute anhaltenden Kritik in der Lehre fand die théorie du risque im Laufe des Jahrhunderts weiteren gesetzgeberischen Niederschlag. 13 Wenig Erfolg war Vorschlägen beschieden, die eine Art Mischsystem vorsahen. Dabei sollte das Erfordernis der faute jeweils grundsätzlich beibehalten bleiben, in bestimmten Situationen aber auch die Schaffung eines Risikos genügen. 14 8 Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 478: Ein Vorteil dieser Theorie bestehe darin, dass das Verhalten nicht weiter untersucht werden müsse; Starck, Responsabilité civile, S. 19. 9 Planiol, Droit civil, Nr. 863ter, bezeichnete die neue Theorie gar als „Rückschritt in barbarische Zeiten“: „cette nouvelle doctrine, loin d’être un progrès, constitue un recul, qui nous ramène aux temps barbares, antérieurs à la loi Aquilia, où l’on s’en tenait à la matérialité des faits“; zustimmend Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 354. Kritisch auch Marton, Fondements, Nr. 71; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 480; Starck, Responsabilité civile, S. 20. 10 Demogue, Obligations, Nr. 275; Starck, Responsabilité civile, S. 19 f., spricht davon, dass dies eine „Sintflut an Verantwortlichkeiten“ nach sich ziehen würde (Verweis auf Planiol, Responsabilité civile I, S. 277). 11 Planiol, Responsabilité civile I, S. 290 f.: Der Mensch verbringe sogar große Teile seines Lebens damit, andere zu schädigen, ohne dass dies seine Haftung begründe – zum Beispiel wo es um Wettbewerb gehe. Es komme darauf an, ob ein Recht zur Vornahme dieser schädigenden Handlung bestehe. Die Schaffung eines Risikos allein könne nicht zur Begründung der Haftung reichen; erforderlich sei eine Pflicht, die Entstehung eines solchen Risikos zu vermeiden. Ders., Droit civil, Nr. 870: Die faute sei eine widerrechtliche Tat (contraire au droit). 12 Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 480; P. Esmein, Responsabilité délictuelle, S. 468; de la Morandière, Droit civil, Nr. 578. 13 Vgl. für Verkehrsunfälle: Loi Nr. 85-677 du 5 juillet 1985 tendant à l'amélioration de la situation des victimes d'accidents de la circulation et à l'accélération des procédures d'indemnisation, JORF du 6 juillet 1985, S. 7584; für gesundheitliche Risiken: Loi Nr. 2002 303 du 4 mars 2002 relative aux droits des malades et à la qualité du système de santé, JORF du 5 mars 2002, S. 4118. Dazu Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 684. 14 Einige unterschieden dafür zwischen faits personnels (dann faute) und faits des choses (dann risque créé), z.B. Josserand, Droit civil positif français, Nr. 418, 540. Demogue, Obligations, Nr. 286 ff., insbesondere Nr. 288, wollte nur auf die Risikotheorien zurückgreifen, wo gefährliche Sachen eingesetzt wurden. Und wieder andere wollten die Schaffung eines
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Ripert befürwortete eine gewisse Modifikation der objektiven Haftung in nachbarschaftlichen Beziehungen: Er knüpfte die Haftung an einen „anormalen Gebrauch des Eigentums“. 15 Damit wollte er die théorie du risque auf die Ausübung eigener Rechte, nämlich des Eigentumsrechts, anwenden. 16 2. Beweiserleichterungen in bestimmten Situationen Die Beweisschwierigkeiten der Geschädigten bleiben damit jedoch weiterhin bestehen. Um deren Situation zu verbessern und einzelnen Rechten umfassenderen Schutz zukommen zu lassen, befürworteten einige Autoren bei bestimmten Verletzungen eine strikte Haftung: Die Verletzung sollte unmittelbar die faute begründen (a). In ähnlicher Weise begründete die Rechtsprechung für die Haftung des gardien eine Verschuldensvermutung (b). a) Strikte Haftung bei bestimmten Verletzungen Als Reaktion auf die zunehmende Anzahl von Unfällen im Straßenverkehr sprach sich der belgische Generalanwalt Paul Leclercq im Jahr 1927 dafür aus, eine strikte Haftung für Körperverletzungen zu statuieren: Die Verletzung des Körpers oder des Lebens sollte nach ihm direkt die faute begründen. 17 Das Gesetz schreibe vor, das Leben und den Körper Anderer nicht zu verletzen – wo dies gleichwohl geschehe, sei eine faute gegeben.18 In der Lehre stieß Leclercqs Vorschlag mit dem bereits bekannten Argument auf Widerstand: Er setze faute
Risikos als subsidiären Haftungsgrund für den Fall etablieren, dass keine faute feststellbar war, die Billigkeit aber gleichwohl einen Ausgleich verlangte: Savatier, Traité de la responsabilité civile I, Nr. 280. Kritisch Starck, Responsabilité civile, S. 25 f.: Auf die Billigkeit abzustellen helfe dem Richter auch nicht weiter und sei willkürlich. 15 Ripert, Exercice du droit de propriété, S. 344 ff., 426: „Quiconque n’use pas de sa propriété dans les conditions normales de son époque et de la situation de son immeuble doit réparer le dommage qu’il cause ou n’a droit à aucune indemnité pour celui qu’il subit.“ Zustimmend Gény, Risques et Responsabilité, S. 835 ff. Kritisch Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 348. Siehe dazu noch unten S. 325 f. 16 Ripert, Exercice du droit de propriété. Er betonte in der Arbeit, dass jeder für sein eigenes Verhalten haften müsse, S. 331. Die Ausübung eines Rechts sollte dem nicht entgegenstehen, denn in jeder Handlung sei ein Gebrauch der Handlungsfreiheit zu erblicken, S. 338. Entscheidend sei, dass man von seinem Eigentum einen anormalen und außergewöhnlichen Gebrauch gemacht und das Gleichgewicht zwischen den Nachbarn zerstört habe, S. 335 f., 344. Der Eigentümer habe durch den (anormalen) Gebrauch seines Rechts Risiken für Andere geschaffen, dadurch gleichzeitig aber auch einen eigenen Profit gezogen. Dies rechtfertige die Haftung, S. 336 ff. Auch Saleilles, Abus de droit, S. 335 ff., ging in diesem Zusammenhang auf die théorie du risque ein. Diesen Zusammenhang sehen auch Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 573, bei einigen Autoren. 17 Leclercq, Acte illicite, S. 110 ff. Siehe auch Descheemaeker, Division of wrongs, S. 173 f.; ders., Dualité des torts, S. 452. 18 Leclercq, Acte illicite, S. 116. Siehe auch ders., Définition de la faute, S. 166 ff.
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und préjudice/dommage gleich – das Gesetz verbiete jedoch nicht jede Schädigung Anderer, sondern nur solche, die durch eine faute hervorgerufen werden.19 Vereinzelt sind aber auch in der französischen Lehre ähnliche Vorschläge zu finden. Starck wollte in bestimmten Fällen weder an die faute noch an das geschaffene Risiko anknüpfen. Er kritisierte, dass diese Ansätze für die Haftung nur auf die Sicht des Handelnden abstellten. Seine théorie de la garantie sollte das „dilemme faute ou risque“ 20 durch eine Gegenüberstellung der Freiheiten des Handelnden und der Sicherheiten des Geschädigten lösen: Die Haftung sei dort gerechtfertigt, wo der Geschädigte eine Rechtsverletzung erleide.21 Auf eine faute solle es nur bei reinen Vermögens- oder moralischen Schäden ankommen, 22 nicht dagegen bei der Verletzung des Lebens oder körperlicher oder materieller Güter. 23 b) Haftung des gardien Die Gerichte folgten diesen Vorschlägen nicht. Gleichwohl entwickelten sie eine eigene Methode, um den Geschädigten die Beweisprobleme zu nehmen: Für bestimmte Situationen vermuteten sie das Vorliegen einer faute und entwickelten damit eine auf den Art. 1384 al. 1 Cc gestützte strikte Haftung, die in der Norm so ursprünglich nicht vorgesehen war. 24 Den Beginn dieser Entwicklung markiert die Entscheidung Teffaine aus dem Jahr 1896,25 in der die
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Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 385; de Page, Droit civil belge, Nr. 935; Beudant/Lerebours-Pigeonnière/Rodière, Contrats et obligations, Nr. 1399. Ablehnend auch Bary, Droits subjectifs, Nr. 127 ff. 20 Starck, Responsabilité civile, S. 17. 21 Starck, Responsabilité civile, S. 43. Zu Starcks Theorie Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 80 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 685; Berg, Influence du droit allemand, Nr. 7 f. 22 Starck, Responsabilité civile, S. 198. 23 Starck, Responsabilité civile, insbesondere S. 83 ff., sprach von der Anerkennung eines „droit formel de la victime à l’intégrité de ses biens corporels et de sa personne physique“; „En réalité, c’est parce que le fait cause un dommage illicite, parce qu’il porte atteinte au droit strict de l’homme à l’intégrité du corps ou des biens matériels, que l’auteur est responsable“, beides a.a.O., S. 87. 24 Hübner, Haftung des Gardien, S. 3 ff.; Jansen, Binnenmarkt, S. 37; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 232; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 746. Eine nähere Darstellung und Analyse dieser Entwicklung ist in dieser Arbeit nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Ausführlich zur Haftung des Sachwalters Hübner, a.a.O. Siehe zu dieser Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung auch Koch, Sachhaftung, S. 20 ff.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 187. 25 Cass. civ., 6.6.1896, 1 re esp., D. Jur. gén. 1897, 1, 433. Siehe dazu auch oben Kapitel 2, Fn. 408.
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Cour de cassation anlässlich eines Arbeitsunfalls erstmals eine faute des Sachhalters einer Sache („gardien“) vermutete. 26 Die Lehre setzte sich im Anschluss ausführlich mit der „responsabilité du fait des choses (inanimées)“ auseinander.27 Die Cour de cassation hielt in der Folgezeit an ihrer Rechtsprechung fest und konkretisierte diese, 28 insbesondere in der Entscheidung Jand’heur vom 13.2.1930: Nicht das Fehlen einer faute, sondern nur ein cas fortuit, force majeure oder eine cause étrangère könnten von der Haftung entbinden. 29 Seitdem gilt gegen den gardien nicht mehr eine présomption de faute, sondern eine présomption de responsabilité:30 Vermutet ist also nicht mehr nur die faute, sondern auch die kausale Verbindung zwischen Verhalten und Schaden, was eine Entlastung erheblich erschwert. Die auf den Art. 1384 al. 1 Cc gestützte Haftung des gardien für faits des choses ist seitdem fester Bestandteil der responsabilité civile, ihre Notwendigkeit ist allerdings nicht unumstritten.31 Hinzu kommt, dass die Entwicklung und die ständige Ausdehnung der Sachhalterhaftung und der responsabilité du fait des choses die Haftung ohne faute erweitert und den Anwendungsbereich der Art. 1382 f. Cc um einiges verkleinert hat:32 Sobald der Schädiger bei der Handlung einen Gegenstand verwendet hat, ist zugunsten des Geschädigten schon aus Beweisgründen an den Art. 1384 al. 1 Cc zu denken. Bedeutende Beweiserleichterungen für den Geschädigten brachte zudem die Entwicklung von „obligations de sécurité“ (dazu ausführlich S. 343 ff.). Sie lassen das Anliegen der Rechtsprechung erkennen, bestimmte Schäden leichter zu ersetzen.33
26 Siehe zu der Entwicklung auch Gaudemet, Responsabilité civile, S. 897 f.; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 233 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 749 ff. 27 Siehe nur die bereits kurze Zeit später erschienenen Arbeiten von Josserand, Responsabilité; Bonnet, Responsabilité du fait des choses; Laurens, Responsabilité du fait des choses inanimées; Boissière, Responsabilité du fait des choses inanimées; Michel, Responsabilité des dommages causés par les choses inanimées; Besson, Notion de garde. Zu der Diskussion auch Gaudemet, Responsabilité civile, S. 893 ff. 28 Etwa Cass. civ., 8.5.1906, D.P. 1906, 1, 457; Cass. req., 3.6.1904, D.P. 1907, 1, 177. Für die Haftung sollte es nicht darauf ankommen, ob die Sache in der konkreten Situation tatsächlich in Betrieb war oder nicht, Cass. civ., 21.2.1927, D.H. 1927, 133. 29 Cass. ch. réun., 13.2.1930, D. 1930, 1, 57. Zu einigen Folgen dieses Urteils P. Esmein, Responsabilité délictuelle, S. 458 ff.; Koch, Sachhaftung, S. 21 ff. m.w.N. 30 Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français6, § 443. Dazu auch Wagner, Grundstrukturen, S. 282 f. 31 Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 232-1. Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 760; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 628-1. 32 Remy, Critique du système, S. 36. 33 Fabre-Magnan, Responsabilité civile, S. 51, sieht hier eine gewisse Beeinflussung durch Starck.
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3. Autonomer Schutz subjektiver Rechte Dieses Anliegen zeigt sich auch bei einer weiteren Entwicklung in der Rechtsprechung. Neben der körperlichen Integrität soll auch anderen Interessen ein besonderer Schutz zukommen, und zwar durch einen autonomen Schutz subjektiver Rechte, bei dem jede Verletzung dieser Rechte automatisch eine Haftung und eine Ersatzpflicht nach sich zieht. 34 Eine faute soll hier auch ohne Intention oder Fahrlässigkeit vorliegen. 35 In den vergangenen Jahren haben die Lehre und die Rechtsprechung eine ganze Reihe von (Persönlichkeits-)Rechten unter diesen besonderen Schutz gestellt: das Recht auf Respekt des Privatlebens,36 das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht am eigenen Bild, das Recht auf eine eigene Stimme, das Recht am Namen oder das Recht, nicht behindert geboren zu werden – und bieten damit umfassenden Schutz auch gegen moralische Schäden. 37 Bary kritisiert die Ausdehnung dieses besonderen Schutzes scharf: Bei vielen dieser Rechte handele es sich nicht um subjektive Rechte, zum Beispiel beim Recht, nicht behindert geboren zu werden, beim Recht am eigenen Bild oder dem Recht auf eine Stimme. 38 Durch die Anerkennung eines autonomen Schutzes dieser Rechte werde der Anwendungsbereich der deliktischen Haftung beschränkt, obwohl eigentlich nur eine Verletzung solcher Rechte vorliege, die ganz regulär unter die Art. 1382 f. Cc fallen.39
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Cass. civ. 1re, 5.3.1991, JCP 1991, IV, 172; Cass. civ. 1 re, 5.11.1996, D., 1997, J, 403, Anm. Laulom; Jourdain, Préjudice, Nr. 20; Viney, Principe général, Nr. 9; Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 648; Bary, Droits subjectifs, Nr. 145; ebenso Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 449. Den Grund für dieses Vorgehen sehen sie in dem Bestreben, sich von den im Rahmen des Art. 1382 Cc notwendigen Erfordernissen der faute und des préjudice zu befreien. Zum Schutz subjektiver Rechte auch Darbellay, Théorie générale de l’illicéité, Nr. 73 ff., sowie insbesondere Séverin, Protection des droits subjectifs. 35 van Gerven u.a., Torts, S. 183. Descheemaeker, Dualité des torts, S. 455, spricht daher von einer dritten Kategorie der faute. Siehe auch dens., Division of wrongs, S. 180. 36 Siehe dazu auch den 1970 neu eingefügten Art. 9 Cc: „Chacun a droit au respect de sa vie privée.“ Der autonome Schutz fand seine Begründung in Cass. civ. 1 re, 5.11.1996, Bull. civ. 1996, I, Nr. 378. 37 Viney, Principe général, Nr. 9; ähnlich van Gerven u.a., Torts, S. 183: stärkerer Schutz der Persönlichkeit. 38 Bary, Droits subjectifs, Nr. 146, spricht daher auch von „faux droits subjectifs“. Im Einzelnen begründet sie ihre Kritik wie folgt: Das Recht, nicht behindert geboren zu werden, existiere aus rechtlicher Sicht nicht, a.a.O., Nr. 148 ff., 153. Der Embryo und das geborene Kind seien zu unterscheiden, letzteres könne ein solches Recht aber nicht geltend machen. Die Rechte am eigenen Bild und an der Stimme bestünden nicht autonom; in diesen Fällen liege immer eine Verletzung des Rechts auf Privatleben und/oder der Ehre vor, a.a.O., Nr. 157, 176. Während einzelne Autoren den autonomen Schutz sehr weit ausdehnen wollen, ist die Rechtsprechung aber deutlich restriktiver: Die Anerkennung eines Rechts auf eine Stimme lehnt sie beispielsweise ab, a.a.O. Nr. 176. 39 Bary, Droits subjectifs, Nr. 186.
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In ähnlicher Weise erfolgt auch der Schutz des Eigentums immer häufiger autonom: Statt auf die Art. 1382 f. Cc zurückzugreifen, stellen die Gerichte auch direkt auf den Art. 545 Cc ab.40 Die responsabilité civile wird dadurch „von den subjektiven Rechten absorbiert“; 41 die Art. 1382 f. Cc verlieren hier an Bedeutung. 42 4. Beibehaltung der faute Obwohl im 20. Jahrhundert also durchaus ein gewisses „Abbröckeln“ 43 der responsabilité pour faute erkennbar ist, konnten sich die Verfechter einer objektiven Haftung ohne faute im Ergebnis nicht durchsetzen. Vor allem der klare Wortlaut des Art. 1382 Cc spricht deutlich dafür, dass die faute eine ganz wesentliche Voraussetzung der deliktischen Haftung nach den Art. 1382 f. Cc darstellen soll.44 Die große Mehrheit betonte und betont die Notwendigkeit der faute und sieht sie als Fundament der deliktischen Haftung. 45 In einer Entscheidung vom 22.10.1982 hob sie der Conseil constitutionnel mit Verweis auf Art. 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 in den Verfassungsrang. 46 II. Die faute in der Lehre Obwohl es im 19. Jahrhundert in der französischen Lehre keine allgemein gebräuchliche Definition der faute gab, bestand doch weitgehend Einigkeit über deren Bedeutung und deren Elemente. Ganz generell gesprochen lag eine faute 40 Cass. civ. 3 e, 29.3.1999, Resp. civ. et assur. 1999, comm. Nr. 165; Cass. civ. 3 e, 9.9.2009, Bull. civ. 2009, III, Nr. 185. Gleiches gilt für das in Art. 9 Cc garantierte Recht auf Respekt der Privatsphäre: Cass. civ. 1 re, 5.11.1996, JCP 1997, II, 22805; Cass. civ. 3 e, 25.2.2004, D. 2004, Somm., 1631. 41 Bary, Droits subjectifs, Nr. 145; zustimmend Le Tourneau, Droit de la responsabilité, Nr. 1307. 42 Ähnlich van Gerven u.a., Torts, S. 183: „the link with the tortious liability rules of Article 1382 C. civ. was loosened“. 43 Pierre, Notion et rôle de la faute, S. 169. 44 Colin/Capitant, Droit civil français, S. 370; P. Esmein, Responsabilité délictuelle, S. 461; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 350; de la Morandière, Droit civil, Nr. 578; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 480. Die Kritiker der objektiven Haftung argumentierten zudem, dass sich auch aus den Begründungen der Gesetzgebungskommission zu den Art. 1382 f. Cc die Notwendigkeit einer faute ergebe: siehe dazu die detaillierten Nachweise bei Mazeaud/Mazeaud, a.a.O., Nr. 45 ff. 45 Gaudemet, Responsabilité civile, S. 909; Marton, Fondements, Nr. 70; Planiol, Responsabilité civile I, S. 278 f.: „Tout cas de responsabilité sans faute … serait une injustice sociale“; Viney, Principe général, Nr. 19, sieht die faute so fest in der französischen Tradition verwurzelt, dass sie nicht aus dem Haftungsrecht eliminiert werden kann. 46 D., 1983, 189, Anm. Luchaire. Bestätigend, mit ausdrücklichem Verweis auf Art. 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, Viney, Responsabilité civile = Anm. zu CC, 9.11.1999, JCP 2000, I, 280. Siehe dazu auch Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 686.
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vor, wenn jemand etwas tat, wozu er kein Recht hatte. Dies sollte immer bei einer unerlaubten Verletzung der Rechte Anderer der Fall sein; die Widerrechtlichkeit sollte dabei grundsätzlich entfallen, wenn der Handelnde von einem eigenen Recht Gebrauch gemacht hatte. Fait illicite und Rechtsverletzung bildeten somit notwendige und allgemein akzeptierte Voraussetzungen der faute und damit der deliktischen Haftung. 47 Während des 20. Jahrhunderts änderte sich das Verständnis von der faute in der französischen Lehre. Die meisten Juristen lehnten die bisher übliche Definition als zu unpräzise ab. Gleichwohl empfanden sie die Konkretisierung dieses unbestimmten Begriffs, die aufgrund des Fehlens einer gesetzlichen Definition48 Lehre und Rechtsprechung überlassen war, als sehr schwierig.49 Bezeichnend dafür ist Rabuts Einschätzung, bei der faute handele es sich um „[u]ne notion dont la définition est déclarée tantôt impossible, tantôt livrée à la fantaisie de chacun“. 50 Die große Mehrheit der Universitätsjuristen hielt und hält zwar an dem Erfordernis eines fait illicite fest. Während einige dafür weiterhin einfach an eine Rechtsverletzung anknüpften und auf den fait illicite im Übrigen nicht weiter eingingen (1.), empfanden die meisten Gelehrten dies nicht mehr als ausreichend. Marcel Planiol konkretisierte den „acte illicite“: Mit seiner Definition der faute als „manquement à une obligation préexistante“ legte er zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Grundstein für das noch heute überwiegend akzeptierte Verständnis in der Lehre. Das Erfordernis einer Pflichtverletzung entwickelte sich somit zur zentralen Voraussetzung der deliktischen Haftung (2.). Viele Anhänger hat daneben jedoch nach wie vor eine Ansicht, die dem Erfordernis der illicéité kritisch gegenübersteht und die faute stattdessen abstrakt beurteilt und von dem Vorliegen eines Verhaltensfehlers abhängig macht (3.).51 Zu Unterschieden zwischen den letzten beiden Ansätzen kommt es dabei insbesondere im Hinblick auf die Feststellung einer faute.
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Ausführlich dazu oben S. 142 ff. Ein Erklärungsversuch für das Fehlen einer Definition geht dahin, dass die Redaktoren die faute gemäß dem Ende des 18. Jahrhunderts üblichen Sprachgebrauch verstehen wollten. Ablehnend Descheemaeker, Dualité des torts, S. 447 f. Letzterem ist zuzustimmen (a.a.O.), dass es in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Merkmals erstaunlich ist, dass die Redaktoren von einer Definition abgesehen haben. 49 Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 397; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 380 f.; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 477; Rabut, Notion de faute, Nr. 3 ff. 50 Rabut, Notion de faute, Nr. 3. Eine besondere Herausforderung sah er darin, Theorie und Praxis miteinander zu vereinbaren: Es bestehe die Gefahr, dass eine Definition zu theoretisch und damit für praktische Bedürfnisse vollkommen ungeeignet sei. Gleichermaßen abzulehnen sei aber auch eine Definition, die aus konkreten realen Umständen hervorgehe, dabei aber kein theoretisches Fundament aufweisen könne, a.a.O., Nr. 7. 51 Daneben lassen sich in der Lehre freilich noch andere, von einzelnen Juristen vertretene Ansichten finden, auf die an dieser Stelle aufgrund ihrer insgesamt geringen Bedeutung jedoch nicht näher eingegangen werden soll. Einige etwa rückten den moralischen Aspekt der 48
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1. Anknüpfung an Rechtsverletzung und fait illicite War es im 19. Jahrhundert noch gang und gäbe, die faute schlicht als „acte illicite et imputable à son auteur“ zu bezeichnen, stützten sich seit der Jahrhundertwende nur noch wenige Juristen auf diese allgemeine Beschreibung. 52 Der Hauptkritikpunkt anderer Juristen gegen diese Umschreibung bestand darin, dass es sich nicht um eine wirkliche Definition handele: Der unbestimmte Begriff der faute werde nur durch weitere unbestimmte Begriffe (acte illicite, imputabilité) ersetzt, die ihrerseits der näheren Konkretisierung bedürften. Wann eine faute vorliege, lasse sich der Definition aber nicht entnehmen, denn wann ein Verhalten einen acte illicite darstelle, ergebe sich daraus nicht. 53 Die Notwendigkeit weiterer Konkretisierung erkannten freilich auch die Verwender dieser Umschreibung. 54 Auch in der 5. Auflage von Aubrys und Raus „Cours de droit civil français" (1920), bearbeitet von Bartin, stand der fait illicite nach wie vor als Haupterfordernis der deliktischen Haftung im Zentrum der Erörterungen. 55 Wie schon
faute in den Vordergrund und stellten auf die persönliche Vorwerfbarkeit ab. Zu den Verfechtern dieser „faute subjective“ gehörten Légal, Négligence et imprudence, und später Savatier. Die Haftung beruhte nach Letzterem darauf, dass der Schädiger die Verletzung hätte verhindern können. In Savatier, Droit civil, Nr. 232, wird dies sehr deutlich: „La faute est la violation, intentionnelle ou non, d’un devoir que l’agent avait la possibilité de connaître et d’observer“. Savatier wollte außerhalb von gesetzlichen Pflichten schlicht auf die generelle Regel, Andere nicht zu verletzen, abstellen. Aus dieser Regel folge allerdings keine absolute Pflicht, denn die Billigkeit erlaube in bestimmten Fällen Schädigungen, wenn das soziale Leben dies erfordere (z.B. Wettbewerbsrecht, Nachbarschaftsrechte, Meinungsfreiheit), Savatier, Règles générales de la responsabilité civile, Nr. 3 ff.; ders., Droit civil, Nr. 249. Zu der faute subjective auch Descheemaeker, Division of wrongs, S. 165, 167; ders., Dualité des torts, S. 446, 448. 52 So z.B. Demogue, Réparation civile, S. 36; Rolin, Engagements résultant des délits et quasi-délits, S. 71 f.: Der fait illicite stelle das objektive Element der faute dar, die Zurechenbarkeit (imputabilité) das subjektive. 53 Beudant, Droit civil français, Nr. 1170; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 378, sprechen von einer „Tautologie“; zustimmend Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 389; Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 390. Für eine Einordnung der wichtigsten Akteure in dieser Frage aus dem Jahr 1927 siehe Leclercq, Définition de la faute, S. 79 ff. Descheemaeker, Dualité des torts, S. 451, sieht das Hauptproblem der Definition darin, dass diese „fondamentalement ambiguë“ sei. 54 Rolin, Engagements résultant des délits et quasi-délits, S. 72 f., fuhr daher mit der Konkretisierung des acte illicite fort: Ein solcher sei gegeben, wenn die Tat gesetzlich verboten sei. Dem Gesetzgeber wiederum stünden dafür verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: Er könne zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten verbieten oder aber direkt an die Verletzung des Rechts eines Dritten knüpfen. 55 Vgl. dazu auch die unveränderte Definition des Delikts als „toute action illicite par laquelle une personne lèse sciemment et méchamment les droits d’autrui“, Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 443.
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in den Vorauflagen findet die faute in diesem Zusammenhang keine Erwähnung. 56 Voraussetzungen der deliktischen Haftung sind lediglich ein fait illicite, die Zurechnung zum Handelnden sowie Schädigungsabsicht. Ein fait illicite wiederum sei dann gegeben, wenn das Recht eines Anderen verletzt sei („atteinte au droit d‘autrui“) und die Handlung nicht in rechtmäßiger Ausübung eines eigenen Rechts oder einer gesetzlichen Pflicht erfolge. 57 Das verletzte Recht könne sich dabei sowohl auf externe Objekte beziehen als auch die Existenz der Person betreffen, wie beispielsweise die Ehre, das Ansehen oder die Freiheit.58 Bartin knüpft die deliktische Haftung also weiterhin direkt an das Vorliegen einer Rechtsverletzung, und versteht diese dabei anscheinend ebenso beschränkt wie dies im 19. Jahrhundert allgemein der Fall war – jedenfalls nahm er inhaltlich keine Veränderungen gegenüber der Vorauflage vor. 59 Das Erfordernis der Rechtsverletzung war auch bei Demogue (1923) Anknüpfungspunkt für die deliktische Haftung. Insgesamt stimmen dessen Verständnis und Darstellung wesentlich mit denen der Gelehrten des 19. Jahrhunderts überein; das belegen auch die Verweise in den Fußnoten. 60 Erforderlich ist nach ihm zunächst eine Rechtsverletzung als objektives Element der faute. Hinzukommen muss als subjektives Element der faute, dass der Handelnde diese Rechtsverletzung erkannt hat oder es ihm zumindest möglich war, sie zu erkennen. 61 Auch an späterer Stelle betont er noch einmal explizit, dass es keine faute ohne Rechtsverletzung geben könne. 62 Die Verletzung müsse dabei Rechte erfassen, die das Gesetz schützt. Diese Rechte unterteilt auch Demogue in personelle und reelle Rechte, und sie seien einfach aufzuzählen: das Recht auf Leben, die körperliche Unversehrtheit, das Ansehen und das Eigentum. 63 Er übernimmt hier also auch die allgemein geläufige Beschränkung auf bestimmte subjektive Rechte. Allerdings schließt er in diese Aufzählung auch das Recht ein, dass Verträge durch Dritte beachtet werden, also ein relatives Recht. 56 In der neu eingefügten Fn. 1ter zu § 444 geht Bartin allerdings auf die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer faute ein und verwendet dabei auch diesen Begriff: Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français5. 57 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 444. 58 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 444, Fn. 4 mit Verweis auf eine Entscheidung der CA Caen vom 16.1.1901, Sir. 1904, 2, 172. 59 Der vergrößerte Umfang der Auflage resultierte hauptsächlich aus den neu eingefügten oder ergänzten Fußnoten, die teilweise bis zu 90% der Seite einnehmen. Der Fließtext zur deliktischen Haftung ist demgegenüber weitgehend unverändert. 60 Dies betrifft insbesondere Larombière, aber auch Aubry/Rau, Sourdat oder Laurent. 61 Demogue, Obligations, Nr. 225. Näher zu den subjektiven Voraussetzungen der faute a.a.O., Nr. 242 ff. 62 Demogue, Obligations, Nr. 237. In diesem Zusammenhang geht er dann auf den Gebrauch eigener Rechte ein: Ein fait illicite sei dort ausgeschlossen, wo man selbst nur ein Recht ausübe, denn das objektive Rechte könne nicht gleichzeitig Rechte anerkennen, die miteinander unvereinbar seien. 63 Demogue, Obligations, Nr. 226.
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Dazu stellt er allerdings selbst klar, dass Verträge an sich nur relative Rechte zwischen Gläubiger und Schuldner begründen, und ein Einwirken durch Dritte folglich nicht als unerlaubte Handlung zu qualifizieren sei. Dies sei jedoch in einigen Fällen anders, zum Beispiel wenn der Dritte einen Vertragspartner durch Betrug an der Erfüllung hindere. 64 Der Umfang des jeweiligen Rechts könne weiterhin variieren und hänge von den genauen Umständen ab. 65 Als Beispiel geht Demogue auf das Ansehen ein: So bestehe grundsätzlich ein Recht darauf, dass tadelnswerte Ereignisse aus der Vergangenheit nicht öffentlich verbreitet werden; dies sei jedoch im Vorfeld einer Wahl bezüglich der Vergangenheit eines Kandidaten anders.66 Neben den spezifisch aufgeführten Rechten nimmt er eine faute zudem an, wo die Freiheit bzw. die freie Willensbetätigung verletzt ist. 67 Aus den Ausführungen und Beispielen wird deutlich, dass nach Demogue die Haftung die Verletzung bestimmter subjektiver Rechte voraussetzte. In ähnlicher Weise bezog sich auch Josserand (1930) auf die Verletzung gewisser Rechte, ohne jedoch ausführlicher auf diese einzugehen. Die faute setzt nach ihm zweierlei voraus: Erstens muss beim Geschädigten eine Rechtsverletzung vorliegen, und zweitens darf der Schädiger nicht gleichzeitig für sich ein höher- oder zumindest gleichwertiges Recht beanspruchen können. 68 Das Wort „Recht“ sei dabei in einem weiten Sinn zu verstehen: Es erfasse sowohl präzise definierte und umrissene Rechte, als auch Rechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Ansehen, die Freiheit oder die Ehre, deren Inhalt nicht klar gesetzlich bestimmt sei.69 Demgegenüber genüge die Verletzung bloßer Interessen nicht. Vor Augen hat er dabei die Geliebte, die im Falle des Todes ihres Geliebten keinen Ersatzanspruch geltend machen könne. 70 Obwohl die Aufzählung bei Josserand nicht ebenso abschließend ist wie etwa bei
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Demogue, Obligations, Nr. 231. Es genüge daher nicht, wie Larombiere (siehe oben S. 152, 162) zu sagen, dass ein Recht keine anderen Grenzen als das Recht und die Freiheit Anderer habe, Demogue, Obligations, Nr. 226; wo zwei bestimmte Rechte miteinander in Konflikt seien, bedürfe es eines Ausgleichs, a.a.O., Nr. 235. 66 Demogue, Obligations, Nr. 227. 67 Demogue, Obligations, Nr. 236: z.B. wo jemand gegen seinen Willen als Kandidat aufgelistet oder am Testieren gehindert werde (jeweils Nachweise zur Rechtsprechung sowie letzteres mit Verweis auf Laurent). 68 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 426: „commettre une faute délictuelle, c’est léser un droit sans pouvoir se réclamer d’un droit supérieur ou au moins équivalent.“ 69 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 423. 70 Dazu ausführlich unten S. 303 ff. Josserand, Droit civil positif français, Nr. 424, bezog sich hier freilich auf die bei Erscheinen des Werkes aktuelle Rechtsprechung. Nach Cass. civ., 10.11.1925, Sir. 1926, 1, 172; CE, 11.5.1928, Sir. 1928, 3, 97, Anm. Hauriou, setzte die Haftung die Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses voraus. Anders noch CA Paris, 12.6.1928, Sir. 1928, 2, 125; Cass. crim., 26.11.1926, Sir. 1927, 1, 273, Anm. Roux. 65
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Demogue, so wird doch auch bei ihm deutlich, dass er die Haftung nicht als vollkommen unbegrenzt verstehen wollte. Etwas anders stellt sich dies auf den ersten Blick bei Lalou dar. Auch dieser betonte in seiner Definition der faute das Erfordernis der Rechtsverletzung, 71 grenzte die französische Generalklausel dann aber explizit von § 823 I BGB ab. Das deutsche Recht enumeriere sehr detailliert die unerlaubten Handlungen und scheine alles voraussehen zu wollen. Demgegenüber sehe der Art. 1382 Cc von einer Enumeration der erfassten Rechte bewusst ab und wolle stattdessen ein generelles Prinzip aufstellen. 72 Konkretere Ausführungen zum Erfordernis der Rechtsverletzung lassen sich bei ihm jedoch im Rahmen der faute nicht finden. 73 Schließlich stellten im Rahmen der faute auch weitere Juristen auf die Rechtsverletzung ab, teilweise aber ohne dies weiter auszuführen oder auf die erfassten Rechte näher einzugehen.74 Starck stellt der Verletzung des Lebens, des Körpers und materieller Güter ausdrücklich reine Vermögensschäden sowie moralische Schäden gegenüber und betont die besondere Schutzbedürftigkeit ersterer.75 2. Die faute als Verletzung einer Pflicht Anfang des 20. Jahrhunderts war Marcel Planiol (1853–1931) einer der ersten, die dem acte illicite und damit der faute einen konkreteren Umriss gaben. Kaum ein Anderer prägte das französische Zivilrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts so sehr wie er. Sein Verständnis der faute beherrschte den wissenschaftlichen Diskurs in den folgenden Jahrzehnten und wurde zum Referenzpunkt für alle anderen Autoren (aa). 76 Gleichwohl stieß seine Definition auch 71 „La faute délictuelle consiste dans la violation du droit d’autrui tel qu’il résulte de la loi“, Lalou, Responsabilité civile, Nr. 658. 72 Lalou, Responsabilité civile, Nr. 658. 73 Auch er griff die Rechtsverletzung jedoch bei der Erörterung des Schadens auf. 74 Savatier, Droit civil, Nr. 249, betonte die Erforderlichkeit einer Rechtsverletzung, verstand dabei den Begriff des Rechts allerdings sehr allgemein. Die faute definierte er als die Verletzung einer Pflicht, z.B. der generellen Pflicht, Andere nicht zu schädigen. Mit dieser korrespondiert aus seiner Sicht das generelle Recht, von Anderen nicht geschädigt bzw. verletzt zu werden. Wo dies doch geschieht, liegt nach Savatier eine Rechtsverletzung vor. Daraus wird deutlich, dass er hier nicht die Verletzung bestimmter subjektiver Rechte im Sinn hatte, sondern (lediglich) das generelle Recht, nicht geschädigt zu werden. 75 Starck, Responsabilité civile, S. 198. Dazu oben Fn. 22 und 23. An anderer Stelle betonte er, dass im Rahmen der faute die Sicht des Opfers, das eine Verletzung seiner Rechte erlitten habe, nicht zu vernachlässigen sei: Jeder habe das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit, auf materielle Unversehrtheit seiner Sachen sowie auf materielle und moralische Sicherheit, Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 59. 76 Als Grundlage dienten insbesondere sein Lehrbuch zum französischen Zivilrecht (Traité élémentaire de droit civil, 1. Aufl. Paris 1900; ohne nähere Angaben beziehen sich die Verweise hier auf die 7. Auflage aus dem Jahr 1912) und die „Etudes sur la responsabilité
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auf erhebliche Kritik (bb). Dies konnte jedoch nicht verhindern, dass Planiols Ansatz zum allgemein akzeptierten Ausgangspunkt in der französischen Rechtswissenschaft werden sollte. Möglich war dies jedoch nur durch eine Konkretisierung und Systematisierung der die Haftung begründenden Pflichten (cc). a) Ausgangspunkt Planiol: manquement à une obligation préexistante Ein zentraler Kritikpunkt Planiols an der französischen Lehre war, dass es unter den Juristen kein einheitliches Verständnis von dem Begriff der faute gebe – was dazu führe, dass man aneinander vorbeirede. 77 Er wollte dem Abhilfe schaffen, indem er sich dem Begriff ganz praktisch näherte: Eine Untersuchung der Rechtsprechung mit dem Ziel, die von den Gerichten als faute eingestuften Verhalten zu kategorisieren. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass eine faute immer in eine von drei Kategorien falle: 1. fautes contre l’honnêteté (Ehrlichkeit) – darunter fasste er unlauteres und unehrliches Verhalten; 2. fautes contre l’habileté (Geschicklichkeit) – neben körperlichen Ungeschicklichkeiten sollten auch geistige dazu gehören, wie etwa die Fehler von Notaren oder Börsenmaklern: zum Beispiel das Vergessen von Formalitäten; und schließlich 3. fautes contre la légalité als Oberbegriff für den Verstoß gegen gesetzliche Verbote, die insbesondere aus Gründen der praktischen Notwendigkeit bestünden.78 In einem übergeordneten Sinn liege in allen Fällen ein Verstoß gegen ein gesetzliches Prinzip vor. 79 Dies erkläre, warum die faute zu definieren sei als „manquement à une obligation préexistante, dont la loi ordonne la réparation quand il a causé un dommage à autrui“,80
civile“ in der Rev. crit. 1905. Insbesondere die große Anzahl von Auflagen innerhalb sehr kurzer Zeit (7 Auflagen innerhalb von nur 12 Jahren) ist ein deutliches Indiz für die Relevanz seines Traité. – Planiols Verständnis erlangte auch über die französische Rechtswissenschaft hinaus Bedeutung und findet seit dem Jahr 1994 sogar im Code civil du Québec positiven Ausdruck: siehe dazu unten S. 297 ff. 77 Planiol, Responsabilité civile I, S. 283. 78 Planiol, Responsabilité civile I, S. 283 ff. 79 Planiol, Responsabilité civile I, S. 286 f. Im Falle des Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift liegt das auf der Hand. Auch Planiol stellte in diesem Zusammenhang auf eine Rechtsverletzung ab, verstand diese allerdings in einem ähnlich allgemeinen Sinn wie Savatier (Fn. 74): Mit dem gesetzlichen Verbot eines bestimmten Verhaltens korrespondiere das Recht anderer Personen, dass dieses Verhalten nicht erfolgt. Geschehe dies doch, und werde dadurch eine andere Person verletzt, so sei dessen Recht auf Nichtvornahme des schädigenden Verhaltens verletzt. – Für Planiols andere Kategorien ist die Begründung dagegen nicht so offensichtlich. Planiol stellt hier darauf ab, dass die Verfassung einer menschlichen Gesellschaft es zwingend verbiete, unehrlich oder ungeschickt zu handeln. 80 Planiol, Droit civil, Nr. 863; so bereits in der 1. Aufl., Nr. 901; ders., Responsabilité civile I, S. 287.
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also die Verletzung einer vorher bestehenden Obligation bzw. Pflicht. 81 An dieser Definition hielt Planiol auch trotz teilweise erheblicher Kritik fest. 82 Planiol betrachtete die Verletzung einer Pflicht damit als wesentliche Voraussetzung der deliktischen Haftung. Doch was sollte unter einer solchen „obligation préexistante“ zu verstehen sein? Planiol betont zunächst die Unterschiede zwischen vertraglichen und gesetzlichen Pflichten: Während es abschließend abgegrenzte Arten von Verträgen gebe, seien die unter die Art. 1382 f. Cc fallenden gesetzlichen Pflichten nicht vergleichbar bestimmt. 83 Aus dem Art. 1382 Cc ergebe sich lediglich, dass zur Haftung eine faute notwendig sei, nicht jedoch, wann eine solche vorliege. 84 Genau dies zu bestimmen, und die Pflichten aufzulisten, deren Verletzung eine faute begründe, sei aber sehr wichtig. Und eben dazu dient wiederum Planiols Rechtsprechungsanalyse. Denn es genüge nicht, auf die sich aus dem generellen Schädigungsverbot ergebende Pflicht, Andere nicht zu verletzen, abzustellen. Diese Pflicht sei vielmehr näher zu spezifizieren und enthalte vier Ausprägungen: 1. keine Gewalt gegenüber Personen oder Sachen anzuwenden; 2. nicht betrügerisch gegenüber anderen zu handeln, um diese zu schädigen; 3. bestimmte Handlungen nicht vorzunehmen, wenn man über das dafür notwendige Geschick nicht verfügt; und 4. gefährliche Sachen ausreichend zu beaufsichtigen. 85 Bei den ersten beiden handele es sich um absolute Pflichten, für deren Verletzung Vorsatz erforderlich sei; bei den letzten beiden fehle es dagegen gerade am Vorsatz. Im Ergebnis ist Planiols Kategorisierung der als faute eingestuften Verhaltensweisen damit eine erste Konkretisierung der obligations préexistantes. b) Kritik und abweichendes Verständnis Planiols Ansatz stieß bei einem Teil der Lehre auf Ablehnung. Die Kritiker bemängelten, dass die Formulierung nach wie vor keine wirkliche Definition
81 Siehe zu dieser Begrifflichkeit auch S. 275. Nach Berg, Influence du droit allemand, Nr. 15 f., hat sich Planiol für diese Definition bei dem Deutschen Karl Binding (Normen und ihre Übertretung) inspiriert. 82 Dazu Planiol, Responsabilité civile I, S. 287, Fn. 1. 83 Planiol, Droit civil, Nr. 864 f. 84 Das Erfordernis der illicéité ergebe sich – im Gegensatz zu § 823 I BGB – nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift, sei für die Haftung aber ganz relevant. Anders als im römischen Recht gebe es keine Beschränkung mehr auf bestimmte, abgezählte Kategorien, was durch die Formulierung „tout fait quelconque“ Ausdruck erhalte. Im Ancien droit habe große Unsicherheit bestanden, welche Verhalten die Ersatzpflicht begründen. Die Redaktoren des Code civil wollten jedoch die Bestimmungen der lex Aquilia generalisieren (es erfolgt ein Verweis auf Fenet, Travaux préparatoires XIII, S. 488 – siehe dazu oben S. 123), und dies habe viele der vormalig bestehenden Unsicherheiten behoben, Planiol, Droit civil, Nr. 863. 85 Planiol, Droit civil, Nr. 865.
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darstelle, da sie viel zu unpräzise sei; 86 Planiol versuche nicht mehr, als eine Klassifizierung der Pflichten vorzunehmen. 87 Eng mit diesem Vorwurf verbunden war auch der Vorwurf fehlender Nützlichkeit: Es sei unmöglich, sämtliche Pflichten aufzulisten; 88 Planiol löse das Definitionsproblem nicht, sondern verlagere es nur auf andere Begriffe. 89 Weiterhin bezeichneten einige Juristen die Definition auch als falsch, da der von Planiol verwendete Begriff der Obligation mit Blick auf die im allgemeinen Schuldrecht übliche Bedeutung dieses Wortes keinen Sinn mache: Es handele sich gerade nicht immer um eine Forderung (zum Beispiel bei der Obligation, Andere nicht zu schädigen), und es gebe auch keinen bestimmten Gläubiger. 90 Dieser Einwand verliert jedoch an Bedeutung, wenn man den Begriff obligation mit Rabut im Sinne eines devoir juridique versteht.91 c) Konkretisierungen der Pflichtverletzung Planiols Verständnis fand während des 20. Jahrhunderts aber gleichwohl Anhänger, und auch heute noch akzeptiert ein großer Teil der französischen Juristen das Erfordernis einer Pflichtverletzung als Element der faute.92 Freilich gab es auch immer wieder Modifikationen. Einige Juristen, wie Deliyannis, sprachen nicht von obligations préexistantes, sondern konkreter von Verhaltenspflichten: Eine faute sei „toute manquement coupable à une règle de conduite, qui aurait dû être respectée“.93 Im Ergebnis handelt es sich beim Abstellen 86 Beudant, Droit civil français, Nr. 1169; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 378; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 392; Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 398; aus belgischer Sicht de Page, Droit civil belge, Nr. 941. Sehr kritisch insbesondere auch Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 51. 87 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 392. Gleichwohl hielten dies. Planiols Definition in bestimmten Fällen für ausreichend, dazu S. 282. 88 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 422; ähnlich Marty, Illicéité et responsabilité, S. 344. Puech, L’illicéité, Nr. 35 f., hält jedoch dagegen, dass Planiol nicht sagen wollte, dass man alle obligations préexistantes auflisten könnte. Bei vielen resultiere die Ablehnung von Planiols Definition aus einem Unverständnis der Ausführungen. 89 Rabut, Notion de faute, Nr. 12. 90 Rabut, Notion de faute, Nr. 11 m.w.N. 91 Siehe dazu Rabut, Notion de faute, Nr. 13. 92 So etwa Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2865: Die faute aquilienne sei „une manquement à un devoir général sanctionné par la loi“. Ende des 19. Jahrhunderts definierte Fromageot die faute ebenfalls als „tout manquement à un devoir juridique“: La faute, S. 2. Siehe auch Carbonnier, Obligations, Nr. 224; Deliyannis, Acte illicite, Nr. 4; Descheemaeker, Dualité des torts, S. 446 ff.; P. Esmein, Responsabilité délictuelle, S. 461; Puech, L’illicéité, Nr. 3, 82; Rabut, Notion de faute, Nr. 13; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 443 m.w.N. in Fn. 33; Le Tourneau, Droit de la responsabilité, Nr. 6705. 93 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 4. Ähnlich Beudant/Lerebours-Pigeonnière/Rodière, Contrats et obligations, Nr. 1395; Marton, Fondements, Nr. 85. Auch schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte Fromageot dies so gesehen: La faute, S. 57. Puech, L’illicéité, Nr. 3, 82,
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auf die Verhaltenspflicht eigentlich um nichts anderes als eine weitere Konkretisierung des Begriffs obligation préexistante.94 Ebenso findet sich hier aber der Gedanke eines Verhaltensfehlers, denn wo eine Pflicht verletzt wird, ist das Verhalten grundsätzlich auch als fehlerhaft zu charakterisieren. 95 Bei jedem dieser Ansätze verbleibt jedoch die Notwendigkeit, die den Menschen auferlegten Verhaltenspflichten näher zu bestimmen. aa) Obligations déterminées Dies bereitet dort keine Schwierigkeiten, wo das positive Recht selbst Verhaltenspflichten statuiert: Gesetze oder andere legislative Vorschriften enthalten häufig zwingende Anforderungen an das Verhalten oder stellen bestimmte Interessen oder Rechte unter besonderen Schutz. 96 Zu den zwingenden Verhaltensnormen gehören typischerweise strafrechtliche Vorschriften, aber auch in sämtlichen anderen Rechtsbereichen finden sich solche, etwa im Code de la route, im Familien- oder Arbeitsrecht.97 Entspricht das Verhalten nicht der gesetzlichen Anordnung, liegt eine Verletzung einer solchen obligation déterminée vor, was als solches bereits eine faute begründet. Die faute wird hier also widerlegbar vermutet. bb) Obligation générale de prudence et de diligence Weitaus schwieriger gestaltet sich die Bestimmung in Fällen, in denen es für das Verhalten in einer bestimmten Situation keine gesetzlichen Vorgaben gibt. Und selbst die Beachtung sämtlicher positiv rechtlicher Normen kann die Haftung nicht in jedem Fall ausschließen. In der Anordnung einer Haftung für négligence und imprudence in den Art. 1382 f. Cc erblickt die Lehre den Verweis auf eine generelle Pflicht, „sich unter allen Umständen mit Vorsicht und Umsicht zu verhalten“. 98 Wo gegen diese generelle Vorsichts- und Sorgfaltspflicht
verwendete eine solche Definition für den fait illicite: Dieser bestehe in der Überschreitung der „norme de civilité“ als Ausdruck sämtlicher Verhaltensregeln. 94 Marton, Fondements, Nr. 85. 95 Die Definitionen der faute als Verhaltensfehler und als Verletzung einer Verhaltenspflicht liegen daher in vielerlei Hinsicht nah beieinander. Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français6, § 444bis (S. 425, 428), verwenden für die Bestimmung eines fautiven Handelns zunächst eine ganz ähnliche Formulierung wie Mazeaud/Mazeaud (dazu S. 282 ff.), beziehen sich dann aber auch auf die faute als Pflichtverletzung. 96 Siehe nur Deliyannis, Acte illicite, Nr. 17, 64 ff.; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 521; Puech, L’illicéité, Nr. 8 ff.; weitere Nachweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 447. 97 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 448. 98 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 450. Deliyannis, Acte illicite, Nr. 95, 167, nähert sich dieser Pflicht durch eine Abgrenzung zur domaine garanti: Außerhalb dieses besonders geschützten Bereichs seien Schädigungen nämlich grundsätzlich erlaubt, es be-
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(obligation générale de prudence et de diligence) verstoßen wird, folgt die deliktische Haftung. 99 Anforderungen an das Verhalten ergeben sich nach Deliyannis zum einen aus der Moral und dienen zur Verwirklichung von Gerechtigkeit; zum anderen sind sie Ausdruck der Bedürfnisse des sozialen Lebens. 100 Letzteres sei auch der Grund dafür, dass der Umfang dieser generellen Vorsichts- und Sorgfaltspflicht entsprechend variiere. 101 Die Bestimmung, welche Anforderungen an das Verhalten sich nun aber tatsächlich aus der generellen Vorsichts- und Sorgfaltspflicht ergeben, sollte jedoch hauptsächlich der Rechtsprechung vorbehalten sein, so dass sich die weiteren Ausführungen auf diese konzentrieren werden (gleich unter 3.). cc) Übertragung der im Vertragsrecht üblichen Einteilung der Obligationen auf das Deliktsrecht? Die Unterscheidung zwischen obligations déterminées und der obligation générale de prudence et de diligence nahmen einige Juristen zum Anlass, auf das Deliktsrecht ganz generell eine im Vertragsrecht übliche Einteilung der Obligationen zu übertragen. Noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war es üblich, Obligationen primär nach ihrem Entstehungsgrund (vertraglich oder außervertraglich) zu unterscheiden und an die Einteilung gewisse Folgen zu knüpfen. Die Beweispflicht für das Vorliegen einer faute traf bei der deliktischen Haftung den Geschädigten, während bei der vertraglichen Haftung die faute grundsätzlich vermutet wurde. 102 Im Jahr 1925 wandte sich Demogue im Rahmen der Beweispflicht gegen diese Unterscheidung und führte eine neue Einteilung ein. Nach Demogue komm es nicht auf den Entstehungsgrund einer Obligation an, sondern auf deren Natur. Er unterschied „obligations de résultat“ von „obligations de moyens“. Erstere seien dadurch gekennzeichnet, dass das vom Schuldner zu erfüllende Verhalten genau bestimmt sei, also ein stünde gar ein „pouvoir de nuire“. Diese Schädigungsbefugnis werde allerdings durch bestimmte Verhaltenspflichten – in diesem Fall obligations de moyens – beschränkt. Die generelle Pflicht zu gerechtem und ehrlichem Verhalten erfordere dabei eine Beurteilung der Werte der involvierten Interessen. Das verletzte Interesse dürfe unter keinen Umständen höherwertiger sein als das des Handelnden. Aber auch bei Gleichwertigkeit könnten die eingesetzten Mittel das Verhalten zu einem unerlaubten machen, a.a.O., Nr. 168 ff. mit zahlreichen Beispielen. 99 Siehe auch Puech, L’illicéité, Nr. 82, der in der illicéité die „transgression pure et simple de la norme de civilité“ erblickt. 100 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 12 ff., 20 ff., 46 ff. mit detaillierten Ausführungen. 101 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 205 ff.: Während gewisse Aktivitäten ein höheres Maß an Sorgfalt und Vorsicht erforderten, könne der Maßstab in anderen Fällen auch geringer sein. Insbesondere sei es nicht erforderlich, alle menschenmöglichen Maßnahmen zu ergreifen – dies sei anders, wo es um die domaine garanti gehe, a.a.O., Nr. 213. 102 Demogue, Obligations V, Nr. 1237; Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations I, Nr. 356; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 380.
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konkreter Erfolg geschuldet werde. Folglich liege eine faute bereits dann vor, wenn der Erfolg nicht eingetreten sei, und es bedürfe keiner weiteren Untersuchung des Verhaltens. Der Schuldner könne sich in so einem Fall nur dadurch entlasten, dass er force majeure darlege. Demgegenüber stünden die obligations de moyens, bei denen es nicht um das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses gehe, sondern schlicht darum, mit Vorsicht und Umsicht zu handeln. Entscheidend sei also das Verhalten als solches und nicht das Ergebnis. Beide Arten von Obligationen könnten sowohl im vertraglichen als auch im deliktischen Bereich vorkommen – da im Rahmen von Verträgen allerdings überwiegend obligations de résultat entstünden, werde hier die faute entsprechend häufiger vermutet. Daraus sei aber nicht zu schließen, dass dies generell bei Verträgen so sei.103 Demogues Unterscheidung rief in der Lehre ein großes Echo hervor. Einige lehnten seine Unterteilung als unrichtig ab oder bezeichneten sie als willkürlich,104 viele betonten aber auch deren Nützlichkeit. 105 Für vertragliche Obligationen ist die Unterteilung in französischer Lehre und Rechtsprechung ganz allgemein akzeptiert.106 Insbesondere die Mazeaud-Brüder wollten diese Unterteilung – sie sprachen dabei immer von „obligations déterminées“ und der 103 Demogue, Obligations V, Nr. 1237. Vor Demogue sprach sich bereits Glasson für eine ähnliche Unterteilung aus, hatte damit aber noch nicht so einen durchschlagenden Erfolg, vgl. Question ouvrière: „obligations de donner ou de faire“, zitiert nach H. Mazeaud, Essai de classification, Nr. 32. Auch Bartin stellte bereits im Jahr 1920 klar, dass es für die Beweisfrage nicht auf die Herkunft der Obligation ankomme, sondern auf deren Art: Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 445, Fn. 9undecies. Siehe dazu auch Meller, Obligation de sécurité, S. 58 ff.; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 524. 104 Siehe dafür die Nachweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 527 f. 105 Für eine Übersicht siehe Rabut, Notion de faute, Nr. 49, Fn. 1; Deliyannis, Acte illicite, Nr. 97, Fn. 10, dessen Verständnis allerdings gewisse Unterschiede aufweist; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 526, Fn. 779. Ausführlich zu der Thematik insgesamt Frossard, Distinction. 106 Siehe dazu nur die Nachweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 528, Fn. 796. Zur Einstellung der französischen Rechtsprechung näher unten S. 286 ff. Während jüngste Reformvorschläge diese Unterteilung auch gesetzlich verankern wollten, fand sie in der Reform des Vertrags-und Schuldrechts 2016 keine Berücksichtigung und findet auch aktuell keine expliziete Erwähnung im Code civil. Noch im Avant-projet de réforme du droit des obligations (auch „avant-projet Catala“) aus dem Jahr 2005 (, abgerufen am 27.6.2017) hieß es dagegen ausdrücklich in Art. 1149: „L'obligation est dite de résultat lorsque le débiteur est tenu, sauf cas de force majeure, de procurer au créancier la satisfaction promise, de telle sorte que, ce cas excepté, sa responsabilité est engagée du seul fait qu'il n'a pas réussi à atteindre le but fixé. L'obligation est dite de moyens lorsque le débiteur est seulement tenu d'apporter les soins et diligences normalement nécessaires pour atteindre un certain but, de telle sorte que sa responsabilité est subordonnée à la preuve qu'il a manqué de prudence ou de diligence.“ Für den Beweis einer Pflichtverletzung statuierte der Art. 1364: „Dans le cas où le débiteur s'oblige à procurer un résultat au sens de l'article 1149,
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„obligation générale de prudence et diligence“ –107 auch auf deliktische Obligationen anwenden. 108 Wichtige Ausführungen dazu finden sich auch bei Deliyannis. Dieser betont zunächst, dass es keinen absoluten Schutz gegen sämtliche Schädigungen gebe; es bedürfe immer eines Ausgleichs zwischen den eigenen Interessen – zu denen auch die allgemeine Handlungsfreiheit gehöre – und den Interessen Anderer. Gleichwohl seien jedoch bestimmte materielle und moralische Interessen unverzichtbar für das Leben von Menschen in Gesellschaft – und verdienten damit besonderen Schutz gegen Schädigungen. Er spricht hier von der „domaine juridiquement garanti“ des Einzelnen. 109 Daraus ergebe sich eine Verhaltenspflicht, diese geschützte Rechtssphäre anderer zu respektieren und nicht zu beschädigen.110 Es handele sich dabei um eine obligation de résultat: Jede Verletzung dieser geschützten Rechte begründe eine faute.111 Unter die „domaine garanti“ fasst er zunächst, wie er es bezeichnet, „physische Aspekte der Persönlichkeit“: das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit und die körperliche Freiheit.112 Des Weiteren zählten intellektuelle Aspekte wie die Freiheit des Geistes, die Ehre und das Ansehen dazu, und schließlich das Eigentum sowie körperliche Sachen als Teil des Eigentumsrechts. 113 Unter letzteres fielen auch Sachen, die zur Sicherung eines Forderungsrechts dienten.114 l'inexécution est établie du seul fait que le résultat n'est pas atteint, à moins que le débiteur ne justifie d'une cause étrangère au sens de l'article 1349. Dans tous les autres cas, il ne doit réparation que s'il n'a pas effectué toutes les diligences nécessaires.“ 107 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 392, 103-2; ausführlich dazu insbesondere auch H. Mazeaud, Essai de classification, Nr. 3. Wiederum andere Begrifflichkeiten verwendete Glasson (Question ouvrière): „obligations de donner ou de faire“, zitiert nach Mazeaud, a.a.O., Nr. 32. 108 Siehe insbesondere H. Mazeaud, Essai de classification, Nr. 3, 40 ff. Ebenfalls für eine Anwendung auf deliktische Obligationen Rabut, Notion de faute, Nr. 49; Frossard, Distinction, Nr. 60 ff.; Deliyannis, Acte illicite, Nr. 96. 109 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 94. 110 Zur Bestimmung sei einerseits zu betrachten, was der Gesetzgeber ausdrücklich als absolute subjektive Rechte einstufe. Andererseits ergebe sich dieser Status auch dadurch, dass die Verletzung bestimmter Rechte gesetzlich sanktioniert werde, Deliyannis, Acte illicite, Nr. 102; ähnlich Marton, Fondements, Nr. 85: Nirgendwo sei positiv statuiert „alterum ne laede“ – indem der Gesetzgeber jedoch die Tötung eines anderen unter Strafe stelle und eine generelle Ersatzpflicht für die Herbeiführung eines Schadens anordne, drücke er genau das aus. 111 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 96. 112 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 108. 113 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 112 ff., 118 ff. 114 Deliyannis setzt sich hier, Acte illicite, Nr. 120 und insbesondere Nr. 124 f., ausführlich mit dem deutschen Verständnis auseinander, das die Relativität des Forderungsrechts zwischen Schuldner und Gläubiger betont und folglich einen Ersatz ablehnt. Es stimme zwar, dass das Recht des Gläubigers in Bezug auf die Forderung relativ sei. Hinsichtlich der sichernden Sache sei es aber absolut und gegen jeden geschützt: Eine Zerstörung der Sache
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Im Ergebnis fasst Deliyannis unter die domaine garanti also ganz ähnliche subjektive (absolute) Rechte und Rechtsgüter wie etwa in § 823 I BGB oder wie es im 19. Jahrhundert in Frankreich bei Art. 1382 Cc üblich war. Die Verletzung rein ökonomischer oder moralischer Interessen, die nicht in vergleichbarer Weise geschützt seien, begründe als solche dagegen keinen Ersatzanspruch; ein solcher könne in diesen Fällen nur bestehen, wenn das Verhalten selbst eine faute darstelle – insbesondere etwa, wenn in Arglist gehandelt wurde. 115 Vergleichbare Ausführungen finden sich bei anderen Juristen allerdings nicht. Einige lehnen eine Anwendung dieser Unterteilung im Deliktsrecht kategorisch ab.116 Insgesamt lässt sich daher sagen, dass es sich dabei nicht um eine heute im Deliktsrecht gebräuchliche Einteilung handelt. 117 3. Die faute als „erreur de conduite“ Henri und Léon Mazeaud nahmen die Unterscheidung nach der Art der Obligationen allerdings auch zum Anlass, die ihrer Ansicht nach bestehenden Schwächen von Planiols Definition der faute aufzuzeigen. Sie argumentierten vehement gegen eine Definition der faute als acte illicite bzw. als Verletzung einer Verhaltenspflicht. Das Abstellen auf die illicéité hielten sie gar für gefährlich: Dadurch könne nämlich der falsche Eindruck entstehen, dass eine Haftung dann nie in Betracht komme, wenn man nur in Einklang mit einer gesetzlichen Regelung handele. Dies sei aber falsch, denn für das Verhalten würden darüber hinaus meistens weitere Anforderungen gelten. 118 Planiols Definition der faute als „manquement à une obligation préexistante“ sei zwar ausreichend, wo es um die Verletzung einer obligation déterminée gehe, denn in diesem Fall müsse das Verhalten nicht weiter untersucht werden, da die faute schon aus der Nichterfüllung der Bestimmung bzw. dem Verstoß gegen das Gesetz resultiere. Wo dagegen keine Vorschrift bestehe, die das Verhalten regele, könne nur die generelle Pflicht zu Vorsicht und Sorgfalt verletzt sein; welche Anforderungen dabei jedoch für das Verhalten in der konkreten Situation gelten, lasse sich Planiols Definition nicht entnehmen, die in diesen Fällen daher nicht ausreiche.119 treffe nicht nur den Eigentümer, sondern eben auch den Gläubiger, der ein quasi absolutes Recht über die Sicherheit habe. 115 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 95, 213. 116 Le Tourneau, Droit de la responsabilité, Nr. 3210. 117 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 528. Freilich geht es im Rahmen der Art. 1382 f. Cc auch überwiegend um die obligation générale de prudence et de diligence; obligations déterminées spielen dagegen vornehmlich bei Art. 1384 al. 1 Cc eine Rolle, Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 394; Viney/Jourdain/Carval, a.a.O., Nr. 530. 118 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 389; ähnlich Malaurie/Aynès/StoffelMunck, Obligations, Nr. 52. 119 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 392. Ähnlich H. Mazeaud, Essai de classification, Nr. 60.
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Aus diesem Grund rückten sie für die Feststellung einer faute das Verhalten als solches in den Mittelpunkt. Eine faute begehe, wer sich „nicht so verhalte wie er sollte“. 120 Mit anderen Worten: Es soll auf einen Verhaltensfehler (erreur de conduite) ankommen. Freilich schafft auch diese Umschreibung allein noch nicht die bei Planiol vermisste Präzision. Wann liegt denn ein Verhaltensfehler vor? Diese Frage stellt sich in erster Linie für die faute quasi-délictuelle zur Feststellung von imprudence und négligence.121 Zur Beantwortung ist zunächst zu klären, auf welche Perspektive dabei abzustellen und was eigentlich Maßstab für das „richtige“ Verhalten ist. a) Beurteilungsperspektive Im Hinblick auf die Perspektive bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an: Eine Feststellung in concreto, die auf das Bewusstsein und die eigene Bewertung des Handelnden abstellt, oder aber eine Feststellung in abstracto, bei der das Verhalten als solches losgelöst von den persönlichen Eigenschaften des Handelnden betrachtet wird. Die ganz herrschende Meinung 122 befürwortet eine grundsätzlich abstrakte Feststellung, da alles andere zu einer zu subjektiven Bewertung führen würde. Folge davon wäre, dass jeder mit seinen gewöhnlichen Verhaltensstandards die eigene Haftung bestimmen würde, was eine große Unsicherheit und Ungerechtigkeit nach sich zöge. 123 Eine abstrakte Bewertung schaffe dagegen zumindest eine gewisse Sicherheit im Hinblick auf das Verhalten Anderer: Zu erwarten sei grundsätzlich vernünftiges Handeln. 124 b) Vergleichsmaßstab Der Maßstab für das richtige Verhalten soll dabei nach herrschender Lehre das Verhalten eines umsichtigen und sorgfältigen Menschen (homme prudent et
120 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 395: „Quand on commet une faute, on n’agit pas comme il faudrait: on commet ce qu’on peut appeler une erreur de conduite.“ Ähnlich Colin/Capitant, Droit civil français, S. 377: „qu’il n’a pas fait ce qu’il aurait dû faire“; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 477. 121 Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 728. Für die faute délictuelle scheint dagegen vor allem das Feststellen einer konkreten Schädigungsabsicht ausschlaggebend zu sein. Dejean de la Bâtie, Appréciation in abstracto, Nr. 61 f., betont jedoch, dass es im Grunde auch hier nur darum geht, dass sich eine abstrakte Vergleichsperson gerade nicht so verhalten hätte (ohne Schädigungsabsicht). 122 Die Frage nach der Beurteilungsperspektive wird nicht nur hier relevant, sondern auch dann, wenn man die faute als Verletzung einer Pflicht versteht. Dazu noch näher unten S. 289. 123 Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 400. 124 Dejean de la Bâtie, Appréciation in abstracto, Nr. 157; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 463.
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diligent) sein.125 Diese fiktive Vergleichsperson erfüllt eine ähnliche Funktion wie der bon père de famille bzw. bonus pater familias des römischen Rechts, auf den auch im (französischen) Vertragsrecht abgestellt wird. 126 Zur Feststellung einer faute ist also zu fragen, ob sich eine solche Person wie der Handelnde verhalten hätte. 127 Die meisten gehen hier grundsätzlich von einer durchschnittlichen Sorgfalt und Vorsicht aus. 128 Des Weiteren sind für diesen Vergleich die äußeren Umstände des Verhaltens, wie etwa Ort und Zeit, zu berücksichtigen.129 Die genauen Anforderungen an das „gebotene“ Verhalten ändern sich freilich mit der Zeit und hängen auch von der gesellschaftlichen Entwicklung ab.130 Insgesamt führte dies Mazeaud/Mazeaud zur Definition der quasideliktischen faute als „erreur de conduite telle qu’elle n’aurait pas été commise par une personne avisée placée dans les mêmes circonstances „externes“ que l’auteur du dommage.“ 131
Ganz ähnliche Formulierungen finden sich auch bei einigen anderen Juristen wie Colin/Capitant, Aubry/Rau/Esmein oder Starck.132 125 Siehe nur Colin/Capitant, Droit civil français, S. 377; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 423 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 729. Ausführlich zu dieser abstrakten Vergleichsperson und den ihr zugeschriebenen Eigenschaften, Dejean de la Bâtie, Appréciation in abstracto, Nr. 187 ff. 126 Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français6, § 444 (S. 433); Beudant, Droit civil français, Nr. 1167; Carbonnier, Obligations, Nr. 224; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 377; Marty, Illicéité et responsabilité, S. 344 f.; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 268; Fabre-Magnan, Droit des obligations, S. 89 f.; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 541. – Eine Übernahme dieses Maßstabs im Deliktsrecht ist jedoch nicht möglich, da hier im Gegensatz zum Vertragsrecht der Handelnde grundsätzlich für die geringste Fahrlässigkeit ( la faute/négligence la plus légère) einzustehen hat: Beudant, a.a.O.; Colin/Capitant, a.a.O. 127 Das Verhalten eines solchen umsichtigen und vorsichtigen Menschen ist damit sozusagen Ausdruck der Rechtmäßigkeit und des Erlaubten, Marty, Illicéité et responsabilité, S. 349. Ablehnend Marton, Fondements, Nr. 40, 42. 128 Marty, Illicéité et responsabilité, S. 344 f.; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 517; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 269; dazu auch Carbonnier, Obligations, Nr. 224. Andere stellten allerdings höhere Ansprüche an das Verhalten und forderten als Vergleichsperson einen homme très diligent: Beudant, Droit civil français, Nr. 1167; Colin/Capitant, Droit civil français 1, S. 366; de la Morandière, Droit civil, Nr. 601. 129 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 432. Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 517, wollen zudem auf besondere Umstände und Fähigkeiten des Handelnden Rücksicht nehmen. 130 Beudant, Droit civil français, Nr. 1167; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 377. 131 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 439. Bei Quasidelikten hängt das Verhalten freilich auch davon ab, ob der Eintritt eines Schadens vorhersehbar war, denn nur in einem solchen Fall hätte ein homme prudent et avisé von dem Verhalten Abstand genommen. 132 Siehe z.B. Colin/Capitant, Droit civil français, S. 377; Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français6, § 444bis: „on déclare fautif celui qui n’a pas agi comme aurait fait dans les mêmes circonstances un homme normal respectueux des disciplines sociales“; Marty, Illicéité et responsabilité, S. 344 f.: die faute sei ein „fait de s’écarter du comportement qu’aurait eu en
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Den Vorteil ihrer Definition gegenüber Planiols sahen die Mazeaud-Brüder darin, dass sie auf beide Arten von Obligationen anwendbar sei. Der Vergleich mit dem Verhalten eines besonnenen und umsichtigen Menschen sei zwar auf Fälle zugeschnitten, in denen es keine besonderen gesetzlichen Anforderungen an das Verhalten gebe. Gleichermaßen sei er aber auch auf obligations déterminées anwendbar, denn außerhalb genereller Verhaltenspflichten sei eine faute einfach durch einen Gesetzesverstoß oder die Nichtherbeiführung eines bestimmten Ergebnisses festzustellen: Ein homme prudent et diligent verhalte sich so, dass weder das eine noch das andere eintrete. 133 c) Einwände der Lehre Mazeaud/Mazeaud und einige andere Juristen maßen somit zur Feststellung einer faute das Verhalten des Handelnden mit dem einer abstrakten Vergleichsperson, eines homme avisé et diligent. Bis heute teilt eine beträchtliche Anzahl von Juristen diese Ansicht. 134 Andere kritisierten jedoch, dass auch auf diese Weise die Definitionsschwierigkeit nicht behoben werde. Zudem gehe es auch hier im Grunde genommen immer um die Verletzung einer Norm, denn wie könne das Recht ein Verhalten untersagen durch Vergleich mit dem Verhalten eines besonnenen und umsichtigen Menschen ohne Bezug auf die durch das Recht selbst aufgestellten Regeln? 135 Geht man von diesem Standpunkt aus, liegen die unterschiedlichen Definitionen damit gar nicht so weit auseinander.
pareil cas le bon père de famille, l’homme prudent et diligent“; de Page, Droit civil belge, Nr. 939: „La faute est, tout simplement, une erreur de conduite; c’est l’acte ou le fait que n’aurait pas commis une personne prudente, avisée, soucieuse de tenir compte des éventualités malheureuses qui peuvent en résulter pour autrui“; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 268: „C’est une erreur de conduite qu’un homme normalement avisé, le bonus pater familias des Romains, n’aurait pas commise dans les mêmes circonstances“; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 540: „La faute délictuelle est donc une atteinte à l’attitude que l’on peut attendre entre concitoyens normalement conscients et respectueux de l’équilibre qu’exige toute vie en société“; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 98-1. 133 Siehe dazu Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 392. Ähnlich H. Mazeaud, Essai de classification, Nr. 60. A.A. dagegen Rabut, Notion de faute, Nr. 103: es gebe große Unterschiede zwischen dem Verstoß gegen die generelle Vorsichts- und Sorgfaltspflicht und obligations déterminées. 134 Descheemaeker, Dualité des torts, S. 449. Vor Mazeaud/Mazeaud findet sich ein solches Verständnis schon bei Gény, Risques et responsabilité, S. 838: „La faute n’est pas autre chose qu’une erreur de conduite, une défaillance d’attitude, qui, normalement, s’apprécie d’après le type abstrait de l’homme droit et sûr de ses actes“; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 377; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 728. Siehe dazu auch Carbonnier, Obligations, Nr. 224. 135 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 443.
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4. Zwischenergebnis zur faute in der Lehre Festzuhalten bleibt, dass sich das Verständnis der Lehre von der faute insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erheblich geändert hat. Mit Fabre-Magnan kann man tatsächlich fragen, ob damit noch das verbunden ist, was 1804 bei Inkrafttreten des Code civil darunter verstanden wurde. 136 Die Definitionen von Planiol und den Mazeaud-Brüdern prägten die Diskussion im 20. Jahrhundert, und finden auch heute noch die Zustimmung der Mehrheit der französischen Lehre. Eine allgemein akzeptierte Definition gibt es zwar nach wie vor nicht. Allerdings stehen diese beiden hauptsächlich vertretenen Ansichten, die die faute als Pflichtverletzung oder als Verhaltensfehler betrachten, nicht unbedingt in Widerspruch zueinander. 137 Die illicéité ist dabei jedoch nur Bestandteil ersterer. Auf das Erfordernis einer Rechtsverletzung kommt es im Rahmen der faute dagegen ganz überwiegend nicht mehr explizit an; die faute ist unabhängig von der rechtlichen Einordnung der geschützten Interessen. 138 III. Verständnis der Rechtsprechung Egal welcher dieser Definitionen man sich anschließt, in jedem Fall soll der Rechtsprechung die wesentliche Aufgabe zukommen, die Verhaltenspflichten bzw. das gebotene Verhalten im jeweiligen Fall zu bestimmen. Eine klare Positionierung zur Definition der faute seitens der Gerichte erfolgte nicht. Die höchstrichterlichen Entscheidungen waren und sind nach wie vor grundsätzlich frei von theoretischen oder dogmatischen Erwägungen. 139 Dennoch wird deutlich, dass die Richter das Erfordernis einer Pflichtverletzung seit dem 20. Jahrhundert als ganz wesentliche Voraussetzung einer faute betrachten.140 Gleichwohl ziehen sie zur Bestimmung von Verhaltenspflichten im Rahmen der obligation générale de prudence et de diligence das Verhalten einer abstrakten Vergleichsperson heran. 141 Die Rechtsprechung scheint damit in gewisser Weise zwischen den beiden dominierenden Ansätzen in der Lehre zu stehen.142
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Droit des obligations, S. 87. Descheemaeker, Division of wrongs, S. 166. 138 Pierre, Notion et rôle de la faute, S. 172, spricht daher auch von dem „absoluten Charakter“ der faute. 139 Die Gerichte entscheiden dabei von Fall zu Fall: Descheemaeker, Division of wrongs, S. 176 f. 140 Den weiteren Ausführungen liegt u.a. die Untersuchung von Rabut, Notion de faute, zugrunde, die die Auslegung dieses Begriffs durch die Rechtsprechung zum Gegenstand hat. Siehe auch P. Esmein, Responsabilité délictuelle, S. 461: „… la faute est la violation d’une obligation. Aucun juge n’hésitera sur la position de la question.“ 141 Tribunal civ. Seine, 2.7.1954, JCP 1954, II, 8317; CA Colmar, 9.2.1961, Gaz. Pal. 1961, I, 332. 142 Descheemaeker, Dualité des torts, S. 453, 455. 137
A. Faute und fait illicite
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1. Pflichtverletzung als Element der faute Die Bedeutung der Verletzung einer vorher bestehenden Pflicht betonten die Gerichte in einigen wenigen Fällen ausdrücklich, in anderen lässt sich dies den Ausführungen indirekt entnehmen. Schon in einem Urteil aus dem Jahr 1880 führte die Cour de Rouen zu einem Straßenbahnunfall aus, dass zunächst losgelöst vom Fall die Pflichten eines Straßenbahnführers festgestellt werden müssten. Nach dieser generellen Bestimmung sei zu prüfen, ob der betroffene Fahrer diese Pflichten im konkreten Fall beachtet habe. 143 Ein ähnliches Vorgehen findet sich weitaus häufiger dann auch in Urteilen aus dem 20. Jahrhundert.144 Weiterhin betonten die Gerichte aber auch ausdrücklich, dass bei Fehlen einer vorherigen Pflicht eine Haftung ausscheide. Lehnten die Gerichte also das Bestehen einer Pflicht ab, schied in diesem Zusammenhang auch eine faute aus.145 Sehr deutlich wird dies etwa in einem Urteil aus dem Jahr 1943, in dem es um ein gebrochenes Eheversprechen ging: 146 „la rupture d’un pareil engagement, sans force obligatoire, ne saurait par elle-même constituer une faute“. 147 Eine Haftung war in solchen Fällen also nicht wegen des Bruchs des nichtverpflichtenden Versprechens, sondern nur aufgrund anderer Pflichtverletzungen möglich. 148 a) Obligations déterminées Statuiert eine gesetzliche Regelung wie der Code de la route Anforderungen an das Verhalten, begründet bei der Verursachung eines Schadens bereits der
143 CA Rouen, 20.4.1880, D. Jur. gén. 1881, 2, 92: „… il importe tout d’abord de déterminer quels sont les devoirs de conducteurs de tramways… Après avoir précisé les obligations de tout conducteur de tramway, il est à rechercher si elles ont été remplies par le chauffeur …“. 144 Cass. req., 15.7.1902, Sir. 1903, 1, 524; D.H. 1937,189 (Cass. crim., 16.1.1937); CA Paris, 8.12.1938, Sir. 1939, 2, 115. Siehe dazu Rabut, Notion de faute, Nr. 18. 145 Auch bei Notwehr entfällt die faute mangels Pflichtverletzung, Rabut, Notion de faute, Nr. 25 m.w.N. zur Rechtsprechung. 146 Zur Unwirksamkeit solcher Versprechen siehe bereits oben S. 211. 147 Cass. civ., 10.5.1943, D.A. 1943, J, 65. Siehe vorher bereits Cass. req., 12.11.1901, D. 1902, 1, 46; Cass. civ., 2.3.1926, D. 1927, 1, 67: „L’inexécution de la promesse de mariage ne constitue pas une faute …“; CA Dijon, 7.2.1928, D. 1928, 2, 169: „Un projet de mariage n’étant pas générateur d’obligation civile, son abandon par l’une des parties ne peut donner ouverture contre elle à des dommages-intérêts“; Cass. req., 1.3.1938, D.H. 1938, 264: „La rupture d’une promesse de mariage, si préjudiciable soit-elle à l’un des fiancés, n’est pas, par elle seule, génératrice de dommages-intérêts“. Ähnliches gilt auch zwischen Geliebten, siehe nur Cass. civ., 9.7.1935, D.H. 1935, 444. Dazu auch Rabut, Notion de faute, Nr. 22 f. 148 Etwa bei arglistiger Verführung. Siehe für das 19. Jahrhundert wiederum oben S 212 f.
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
bloße Verstoß gegen die Vorschrift die faute.149 Bis Ende der 1920er Jahre wurde im Rahmen der deliktischen Generalklausel jedoch auch die Unterscheidung von vertraglichen obligations de résultat und obligations de moyens relevant, denn auch vertragliche Pflichtverletzungen begründeten in dieser Zeit noch einen Ersatzanspruch aus den Art. 1382 f. Cc. Dies änderte sich erst mit dem Ausschluss vertraglicher Pflichtverletzungen aus der deliktischen Haftung (principe de non-cumul des responsabilités; ausführlich dazu S. 340 ff.). In der Praxis betraf dies insbesondere die Ende des 19. Jahrhunderts erstmals für einen Beförderer angenommene vertragliche Pflicht, den Fahrgast gesund und wohlbehalten an den Bestimmungsort zu bringen. 150 Im Falle eines Unfalls während der Fahrt vermutete die Rechtsprechung die faute des Beförderers; dieser konnte sich nur bei force majeure entlasten.151 b) Obligation générale de prudence et de diligence Die Rolle der Rechtsprechung ist am größten bei der Konkretisierung der generellen Vorsichts- und Sorgfaltspflicht. Zur Bestimmung der Anforderungen an das in einer bestimmten Situation „gebotene“ Verhalten kommt den Richtern ein großer Spielraum zu. Sie können dabei auf eine Vielzahl von Quellen zurückgreifen, etwa private Regelwerke (beispielsweise im Sport) oder auch 149 Cass. civ. 2 e, 4.3.1992, D. 1992, IR, 118; Cass. civ. 2 e, 25.3.1998, Bull. civ. 1998, II, Nr. 105; Cass. civ. 2 e, 11.7.2002, Bull. civ. 2002, II, Nr. 159. Rabut, Notion de faute, Nr. 69 ff., fasst unter diese Kategorie auch Pflichtverletzungen im beruflichen Bereich, etwa von Notaren oder Anwälten, oder die Pflicht zum Vertragsschluss für den Inhaber einer Monopolstellung. Wo sich die faute direkt aus dem Gesetzesverstoß ergebe, solle daneben aber grundsätzlich auch die obligation générale de prudence et de diligence Anwendung finden – eine Ausnahme gelte nach der Rechtsprechung allerdings dann, wenn das Verhalten in einem Bereich sehr umfassend durch Spezialregelungen festgelegt sei: In diesem Fall bestimmten diese Regelungen abschließend sämtliche Anforderungen an das Verhalten und für die generelle Pflicht sei kein Platz, Rabut, a.a.O., Nr. 74bis. 150 Die obligation de sécurité des Beförderers ist allerdings nur während des Transports selbst eine vertragliche obligation de résultat – im Vorfeld und im Anschluss haftet der Beförderer deliktisch (nach den Art. 1382 f. Cc oder Art. 1384 Cc), Malaurie/Aynès/StoffelMunck, Obligations, Nr. 949 m.w.N. zur Rechtsprechung. Die Rechtsprechung nimmt nicht nur beim Beförderungsvertrag eine (ungeschriebene) obligation de sécurité an, sondern auch in sämtlichen weiteren vertraglichen Beziehungen, ausführliche Nachweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 499 ff. Siehe auch unten S. 343 ff. 151 Cass. civ., 21.11.1911, D. 1913, 1, 249: „L’exécution d’un contrat de transport comporte pour le transporteur l’obligation de conduire le voyageur sain et sauf à destination“; Cass. civ., 25.7.1922, D. 1923, 1, 210. Dazu auch Rabut, Notion de faute, Nr. 56 f. Dies gilt auch im 21. Jahrhundert noch, vgl. Cass. civ. 1 re, 3.7.2002, D. 2002, 2631, Anm. Gridel. Heute sind die Pflichten des Beförderers und von Personen in vergleichbaren Situationen allerdings oft positiv geregelt, Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 448. In ähnlicher Weise leiten die Gerichte aus bestimmten Verträgen auch Informationspflichten ab, dies., a.a.O., Nr. 503 ff.
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Erwägungen der Moral oder der Billigkeit. 152 Die größte Bedeutung kommt allerdings Gebräuchen und Gewohnheiten zu. 153 Durch die Bezugnahme auf Gebräuche oder Gewohnheiten folgt jedoch auch, dass die Anforderungen an das jeweilige Verhalten je nach Ort und Umständen variieren und sich mit der Zeit verändern können. 154 Im Hinblick auf die Beurteilungsperspektive ergeben sich zudem weitere Besonderheiten. aa) Beurteilungsperspektive Der Ausgangspunkt für die Rechtsprechung ist grundsätzlich eine Bewertung in abstracto: Maßgeblich ist das Verhalten als solches, unabhängig von den Fähigkeiten und Eigenschaften des Schädigers. 155 Gleichwohl beziehen die Gerichte auch die Besonderheiten der konkreten Situation ein: Sie berücksichtigen sowohl äußere Umstände wie den Charakter und die Schwierigkeit der auszuführenden Handlung, als auch gewisse persönliche Besonderheiten, die zu einer Unter- oder Überlegenheit gegenüber dem Standard führen. Während besondere Fähigkeiten und Kenntnisse die Anforderungen an das Verhalten hochsetzen, können das Alter, Krankheit oder Gebrechen einen milderen Maßstab 152
Letzteres ist allerdings umstritten, Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 461. Schon in einem Urteil aus dem Jahr 1894 spielten die Gebräuche eine entscheidende Rolle für die Haftung. Es ging dabei um eine Tätigkeit, die ein großes Gefahrpotential mit sich brachte, aber gleichwohl überall ganz gewöhnlich durchgeführt wurde . Dazu Cass. req., 5.4.1894, D. Jur. gén. 1894, 1, 479: „… l’extraction en sous-cave est … un procédé normal, en usage dans toutes les mines …; qu’il suit de là que le seul fait d’avoir toléré ce genre de travail ne suffit pas à lui seul pour constituer une faute …“. Siehe weiterhin CA Colmar, 12.5.1939, Gaz. Pal. 1939, II, 153; Cass. req., 6.1.1947, D. 1947, 210; Cass. civ. 1 re, 2.12.1958, Gaz. Pal. 1959, 1, 94 ; Cass. civ. 1re, 3.3.1993, Resp. civ. et assur. 1993, comm. Nr. 200; Cass. ch. com., 4.5.1999, Bull. civ. 1999, IV, Nr. 90. Deliyannis, Acte illicite, Nr. 51 f.; Rabut, Notion de faute, Nr. 79 ff.; für weitere Nachweise, insbesondere auch zur Rechtsprechung, siehe Dejean de la Bâtie, Appréciation in abstracto, Nr. 206 ff. und Fn. 68 auf S. 171; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 461, Fn. 176. 154 Rabut, Notion de faute, Nr. 85 ff. Die Anforderungen hängen auch davon ab, ob es sich um berufliche Tätigkeiten handelt oder nicht, so Cass. req., 15.5.1923, D. 1925, 1, 15; siehe dazu auch Tunc, Anm. zu CA Orléans, 30.7.1942, D.C. 1943, 17. Eine weitere Konsequenz des Abstellens auf Gebräuche ist, dass die Befolgung der generellen Vorsichts- und Sorgfaltspflicht nicht voraussetzt, dass man alle denkbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens ergriffen hat. Es genügt, das zu tun, was die Gebräuche erfordern – ist ein darüber hinausgehendes „mehr“ danach nicht geboten, kann dessen Unterlassung keine faute begründen, Rabut, a.a.O., Nr. 85. 155 Rabut, Notion de faute, Nr. 91; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 53. Dabei stellt auch die Cour de cassation gelegentlich auf das Verhalten eines bon père de famille ab, siehe z.B. Cass. civ. 1re, 7.7.1992, Bull. civ. 1992, I, Nr. 222. Eine Ausnahme gilt freilich dann, wenn eine Beurteilung in concreto gesetzlich angeordnet ist, so etwa in Art. 1927 Cc bezüglich der Sorgfaltspflichten des Verwahrers: „Le dépositaire doit apporter, dans la garde de la chose déposée, les mêmes soins qu’il apporte dans la garde des choses qui lui appartiennent.“ 153
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rechtfertigen. 156 Trotz einer grundsätzlich abstrakten Beurteilung sind folglich gewisse Differenzierungen erforderlich. 157 bb) Anerkannte Kategorien Im Laufe der Zeit hat die Rechtsprechung aus der generellen Vorsichts- und Sorgfaltspflicht ganz unterschiedliche Anforderungen an das Verhalten abgeleitet. Diese stützen sich zum einen auf moralische Erwägungen: So bestehe eine Pflicht zu Treu und Glauben, Loyalität und Ehrlichkeit – jedes betrügerische Verhalten, jede fraude seien danach zu unterlassen. 158 Der Respekt für Andere verbiete weiterhin böswillige Handlungen – dabei begründe alleine die Schädigungsabsicht als solche die faute. Aber auch die beiläufige Ausübung gewisser Freiheiten und Rechte könne vorwerfbar sein. Dies wird insbesondere im Rahmen der Meinungsfreiheit relevant, betrifft aber jede Art von Handeln.159 So kann beispielsweise auch die missbräuchliche Auflösung eines Verlöbnisses eine faute begründen.160 Neben diesen moralischen Erwägungen bestimmen vor allem praktische Erwägungen die Anforderungen an das Verhalten. Dazu gehören eine gewisse Vorsicht im Hinblick auf die Sicherheit Anderer und deren Güter,161 Aufsicht über eigene Sachen und Personen, für die man verantwortlich ist, 162 Umsicht bei Empfehlungen und Ratschlägen (Pflicht zu
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Ausführlich dazu mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung: Dejean de la Bâtie, Appréciation in abstracto, Nr. 29 ff. Beeinträchtigungen psychologischer Art berücksichtigen die Gerichte dagegen nicht, a.a.O., Nr. 29. Zu diesen Modifikationen auch Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 464 ff. 157 Dejean de la Bâtie, Appréciation in abstracto, Nr. 54; Fabre-Magnan, Droit des obligations, S. 90 f.; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 472. 158 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 474: Dazu gehört z.B. das bewusste Verbreiten unrichtiger Informationen. 159 Siehe die zahlreichen Rechtsprechungsverweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 475. Auch das Recht, sich von einer Vereinbarung oder aus einer Verbindung mit einem Anderen zu lösen, muss nach der Rechtsprechung mit Vorsicht ausgeübt werden – die aus Beiläufigkeit entstandene Schädigung der anderen Partei begründe die Haftung. 160 Freilich steht jedem Verlobtem grundsätzlich das Recht zu, die Verbindung zu lösen, ohne dass dies eine deliktische Haftung nach sich ziehe, siehe nur Cass. civ. 1 re, 19.7.1966, D. 1966, 632; Cass. civ. 1 re, 4.1.1995, D. 1995, 251, Anm. Bénabent. Dies gilt jedoch nicht, wo die Lösung ohne „ernsthaften Grund“ erfolgt – was die Gerichte vor große Beurteilungsschwierigkeiten stellt, Cass. civ. 1 re, 22.2.1972, JCP 1972, II, 17111, Anm. Lindon, oder Cass. civ. 1re, 20.7.1971, D. 1971, Somm., 218. 161 Siehe z.B. Cass. civ. 1re, 7.3.1989, JCP 1990, II, 21403, Anm. Dejean de la Bâtie, oder Cass. civ. 2e, 10.4.2008, Resp. civ. et assur. 2008, comm. Nr. 182. Auf ausführliche Nachweise wird an dieser Stelle verzichtet. Für Entscheidungen zu den einzelnen Fallgruppen sowie konkrete Beispiele siehe Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 476 ff. 162 Cass. civ. 2 e, 7.5.1969, Bull. civ. 1969, II, Nr. 141; Cass. civ. 1 re, 14.6.1983, JCP 1983, IV, 269.
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vorheriger Information) 163 sowie Geschicklichkeit und Kompetenz bei der Ausübung bestimmter Tätigkeiten, wo andere dies erwarten. 164 2. Zwischenergebnis zum Verständnis der Rechtsprechung Die Rechtsprechung geht bei der Begründung von Verhaltenspflichten nach alldem sehr pragmatisch vor und orientiert sich an den jeweiligen Bedürfnissen.165 Eine Folge davon ist freilich, dass die Anforderungen an das Verhalten mit der Zeit variieren und keinesfalls unverrückbar festgelegt sind. Bei genauerer Betrachtung der von der Rechtsprechung anerkannten Kategorien fällt auf, dass diese noch immer weitgehend mit Planiols bereits im Jahr 1902 vorgenommener Kategorisierung der faute und der Ausprägung des allgemeinen Schädigungsverbots166 übereinstimmen: Auch noch hundert Jahre später lassen sich deliktische fautes in solche gegen l’honnêteté, l’habileté und la légalité einteilen und lässt sich die generelle Pflicht, Andere nicht zu schädigen, darin konkretisieren, keine Gewalt gegenüber Personen oder Sachen anzuwenden, nicht betrügerisch gegenüber Anderen zu handeln, mit dem erforderlichen Geschick zu agieren und gefährliche Sachen ausreichend zu beaufsichtigen. IV. Ausdehnung der faute durch die théorie de l’abus du droit Die Abwendung von dem Erfordernis einer Rechtsverletzung als Bestandteil der faute hatte eine deutliche Ausweitung der Haftung zur Folge. Zu einer weiteren Ausdehnung führte daneben die Lehre vom Rechtsmissbrauch: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts diskutierte die Lehre intensiv die Anforderungen an einen Ausschluss der faute durch die Ausübung eigener Rechte. Die jedem Einzelnen in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 zugesicherte Freiheit erlangt nur dadurch Entfaltung, dass von ihr Gebrauch gemacht wird. Dies bedeutet aber auch, dass grundsätzlich niemand negative Folgen befürchten muss, wenn er nur die ihm zustehenden Rechte, die Ausfluss dieser Freiheit sind, 167 ausübt.168 Das Zusammenleben erfordert zwar
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Cass. civ. 2 e, 10.6.2004, Bull. civ. 2004, II, Nr. 294. Für eine Entscheidung zu Reflexen im Straßenverkehr siehe Cass. civ. 2 e, 17.2.1971, Bull civ. 1971, II, Nr. 58. 165 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 482-1. 166 Dazu oben S. 275 f. 167 Beudant, Droit civil français I, Introduction, Nr. 6: „on appelle droits les facultés ou prérogatives d’où résulte pour l’homme le pouvoir de faire ou d’exiger quelque chose … Le droit est une propriété inhérente à la nature humaine; … il se confond avec la liberté humaine, dont il n’est que le dérivé ou l’application“; Charmont, Abus du droit, S. 120; Saleilles, De l’abus de droit, S. 328. 168 Demogue, Réparation civile, S. 36, empfand es als widersprüchlich, als Inhaber eines Rechts für dessen Ausübung verfolgt zu werden. 164
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gewisse Begrenzungen – innerhalb dieser ist jedoch jedes Verhalten zulässig.169 Die Freiheit umfasst damit in gewisser Weise auch ein Recht zur Schädigung.170 Dabei erfordert die Solidarität jedoch, Rücksicht auf die Rechte der Mitmenschen zu nehmen. 171 Die allermeisten Rechte können daher nicht vollkommen unbeschränkt ausgeübt werden. 172 Im Hinblick auf die Wertigkeit der verletzten Rechte oder Interessen Anderer differenziert die französische Lehre jedoch grundsätzlich nicht. Während das deutsche Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit gegenüber dem Schutz des Vermögens den Vorrang einräumt,173 sieht das französische Recht alle Interessen als gleichwertig an. In der Lehre befürworten einige Autoren jedoch differenziertere Lösungen. 174 Bereits im 19. Jahrhundert beschäftigte sich die französische Rechtswissenschaft mit der Frage, was es für Grenzen für die Ausübung eines Rechts geben muss. Genau wie bereits im römischen Recht oder im französischen Naturrecht sollte nach allgemeiner Auffassung trotz Ausübung eines Rechts ein deliktischer Ersatzanspruch bestehen, wenn der Rechtsgebrauch nur in Schädigungsabsicht erfolge; im Übrigen sollte eine Haftung ausgeschlossen sein. 175 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlangte die Thematik des Rechtsmissbrauchs neue Aufmerksamkeit in der französischen Rechtswissenschaft und zog in den folgenden drei Jahrzehnten eine Vielzahl von Veröffentlichungen und Diskussionen nach sich. 176 Die plötzliche Aktualität der Frage hatte zwei Gründe: Zum einen traten vermehrt Situationen auf, in denen diese Frage relevant wurde; zum anderen empfanden viele Juristen die bisherigen Lösungen zunehmend als unbefriedigend. 177 169
Charmont, Abus du droit, S. 120. Savatier, Traité de la responsabilité civile I, Nr. 35 f. Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 641: Die Lehre vom Gebrauch eigener Rechte dient dazu, die Freiheit des Einzelnen zu sichern. 171 Saleilles, Abus de droit, S. 328 f. 172 Porcherot, Abus de droit, S. 14. 173 Siehe dazu Picker, Forderungsverletzung, S. 471: „Notwendigkeit …, eine für das Zusammenleben ’unerläßliche‘ und ’sozialadäquate‘ Handlungsfreiheit sicherzustellen“. 174 So z.B. Deliyannis, Acte illicite, Nr. 94 f.: Die Schädigung von Interessen, die nicht der domaine garanti unterfallen (wie das bloße Vermögen), sei nicht per se untersagt; es bestehe insoweit eine Befugnis zur Schädigung. Ersatz könne es nur geben, wenn das Verhalten als solches eine faute begründe. Dazu ausführlich oben S. 281. In eine ähnliche Richtung gehen auch die Vorschläge zur Hierarchisierung der verletzten Interessen von z.B. Starck, Viney, Borghetti, Pradel oder Berg; dazu oben Fn. 399. 175 Siehe oben S. 161 ff. 176 Zu nennen sind insbesondere Teisseire, Fondement de la responsabilité; Porcherot, Abus de droit; Ripert, Exercice du droit de propriété; Saleilles, Abus de droit, S. 325–350. Bezeichnend für die Entwicklung ist Riperts Bemerkung, die Theorie vom Rechtsmissbrauch sei in kürzester Zeit klassisch geworden: Abus ou relativité des droits, Nr. 1; ähnlich Josserand, Évolution de la responsabilité, S. 37. 177 Charmont, Abus du droit, S. 118 f. Nach Planiol, Droit civil3, Nr. 871bis, ist die Schädigungsabsicht kein geeignetes Kriterium zur Feststellung eines Missbrauchs: Die Menschen 170
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Den häufigsten Anwendungsfall bildeten nach wie vor Eigentumsverletzungen unter Nachbarn, insbesondere im industriellen Bereich (Verursachung von Lärm und Geruch, Verunreinigung der Erde oder von Gewässern). 178 Entscheidend war die Frage jedoch auch in anderen Fällen wie der Kündigung eines unbefristeten Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber, 179 der Prozessführung, 180 der Beteiligung von Arbeitnehmern an Streiks 181 oder dem Gebrauch der Meinungsfreiheit und sonstiger individueller Freiheiten; 182 auch im Verlauf des Jahrhunderts hat sich dies nicht wesentlich geändert. 183 Freilich stand es auch im Jahr 1900 außer Frage, dass ein Handeln nur zum Zwecke der Schädigung Anderer keine haftungsausschließende Berufung auf den Gebrauch eines Rechts zuließ.184 In der Praxis bereitete es jedoch häufig große Probleme, die fügten ständig Anderen Schaden zu (gerade bei wettbewerblichen Handlungen); entscheidend sei, ob dabei ein Recht verletzt werde oder ein bloßes Interesse. 178 Planiol, Droit civil2, Nr. 872, 4°. Ausführlich dazu Porcherot, Abus de droit, S. 25 ff.; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 593 ff.; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 49 ff. Die Frage des Rechtsmissbrauchs stellt sich damit nur dort, wo definierte Rechte (wie das Eigentumsrecht) ausgeübt werden und der Handelnde innerhalb des Rechts bleibt, Mazeaud/Mazeaud, a.a.O., Nr. 549; Beudant, Droit civil français, Nr. 1179. 179 Das Loi du 27 décembre 1890 sur le contrat de louage et sur les rapports des agents des chemins de fer avec les compagnies, JORF du 28 décembre 1890, 6290, ergänzte den Art. 1780 Cc um den Zusatz, dass die einseitige Kündigung eines Arbeitsvertrags Schadensersatzansprüche begründen kann. Zuvor ging die Rechtsprechung von einem absoluten Kündigungsrecht beider Parteien aus. Dazu Planiol, Droit civil2, Nr. 872, 1°; Colin/Capitant, Droit civil français, S. 385 f. 180 Die Gerichte nahmen eine Haftung des Prozessführenden an, wo dieser gehandelt hatte „par pure malice ou de mauvaise foi, ou même par suite d’une erreur grossière“, Cass. civ, 3.7.1895, D. Jur. gén. 1895, 1, 511; Cass. req., 16.1.1899, D. Jur. gén. 1899, 1, 135; Cass. req., 10.1.1910, D.P. 1911, 1, 370. Siehe bereits oben S. 213 und Kapitel 2, Fn. 437. 181 Die Arbeitnehmer haben zwar grundsätzlich ein Recht zum Streiken, die konkrete Durchführung und die Motive können einen Streik jedoch unerlaubt machen: Cass. civ., 22.6.1892, D. Jur. gén. 1892, 1, 449; CA Lyon, 2.3.1894, D. Jur. gén. 1894, 2, 305; Cass. req., 29.6.1897, Sir. 1898, 1, 17, Anm. P. Esmein. Planiol, Droit civil2, Nr. 872, 2°; Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 446, Fn. 1quinquies, 6°. 182 Tribunal de la Seine, 11.2.1908, Sir. 1908, 2, 219: öffentliche Kritik einer Theaterinszenierung. Umfassende Nachweise zum 19. Jahrhundert bei Porcherot, Abus de droit, S. 57 ff. Für Entscheidungen zur Veröffentlichung diffamatorischer Schriften siehe Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 446, Fn. 1quinquies, 3°. 183 Bénabent, Droit des obligations, Nr. 553 mit Nachweisen zur Rechtsprechung; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 127 f.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 738 ff. m.w.N., speziell zur Prozessführung Rn. 743. Einigkeit bestand und besteht allerdings, dass bei gewissen Rechten kein Missbrauch möglich ist. Dazu zählt z.B. das Recht der Eltern, ihrem minderjährigen Kind die Einwilligung zur Heirat zu verweigern, vgl. Art. 179 Cc. Siehe dazu Josserand, Esprit des droits, Nr. 306 mit weiteren Beispielen; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 549-2; Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français6, § 444bis (S. 462); Flour/Aubert/Savaux, a.a.O., Nr. 125 f. 184 Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 310; ders., Abus de droit, S. 335.
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Intention des Handelnden festzustellen und zu beweisen, dass dieser ausschließlich die Schädigung der anderen Person bezweckte. 185 Die Behauptung, die Handlung habe primär oder zumindest auch eigenen Zielen gedient, war nur schwer zu widerlegen. 186 Doch was sollte stattdessen bzw. ergänzend Kriterium für den Rechtsmissbrauch sein?187 Dazu entwickelten sich in der Lehre verschiedene Ansätze. Planiol wandte sich bereits im Jahr 1902 gegen das aus seiner Sicht falsche Verständnis vom Rechtsmissbrauch. Ein Recht ende dort, wo der Missbrauch beginne.188 Die „missbräuchliche Ausübung“ eines Rechts konnte es seiner Meinung nach aber nicht geben, denn eine Handlung könne nicht gleichzeitig in Übereinstimmung mit und entgegen dem Recht sein. 189 Wo von einem „abus“ gesprochen werde, gehe es tatsächlich nicht um die Ausübung eines Rechts, sondern um dessen Überschreitung.190 Wo aber die Grenzen eines Rechts überschritten würden, liege eine Handlung ohne Recht vor und die Frage nach einer Rechtfertigung stelle sich gar nicht. 191 Planiols Verständnis fand zwar einige Anhänger, die Mehrheit der Lehre hielt jedoch an der Figur des Rechtsmissbrauchs fest. Auf viel Zustimmung 185 Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 1081; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 575: Einen Beleg dafür sieht die Rechtsprechung in der Nutzlosigkeit der Handlung trotz Kenntnis der Schädigung eines Anderen, Cass. req., 5.11.1923, Sir. 1924, 1, 215; Cass. req., 3.8.1915, D. 1917, 1, 79; Cass. req., 10.6.1902, D. 1902, 1, 454; CE, 22.11.1929, D.H. 1930, 55. 186 Charmont, Abus du droit, S. 123; Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 1082. Aus diesem Grund betrachtete die Lehre auch § 226 BGB kritisch, denn nach diesem ist eine Rechtsausübung nur dann unzulässig, wenn sie ausschließlich in Schädigungsabsicht erfolgt: „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem Anderen Schaden zuzufügen.“ Dazu Planiol, Droit civil2, Nr. 872bis; BaudryLacantinerie/Barde, a.a.O., Nr. 1083. 187 Für einen Überblick zu den Anfang des 20. Jahrhunderts in der Lehre vertretenen Ansichten siehe Porcherot, De l’abus de droit, S. 66 ff. 188 Planiol, Droit civil2, Nr. 871: „le droit cesse où l’abus commence“. 189 Planiol, Droit civil2, Nr. 871; in der 3. Auflage (1905), Nr. 871, bezeichnete er die Formulierung als „Wortstreit“. Saleilles stimmte ihm darin zu, dass die Bezeichnung „abus de droit“ häufig unrichtig verwendet werde: De l’abus de droit, S. 310. 190 Planiol, Droit civil, Nr. 871. Ähnlich auch P. Esmein, Anm. zu Cass. req., 29.6.1897, S. 98, 1, 17, S. 21: Werde innerhalb der Grenzen eines Rechts gehandelt, gebe es zwar moralische faute, aber keine juristische. Zustimmend Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2855. Gegen Planiols Auffassung wandte sich vor allem Josserand, Droit civil positif français, Nr. 436, der die Begriffe Recht und Missbrauch sehr wohl für miteinander vereinbar hielt: Die Ausübung eines subjektiven Rechts könne der Rechtsordnung bzw. dem Recht im Ganzen widersprechen. Er hatte folglich verschiedene Bedeutungen des Worts „Recht“ vor Augen. Ihm beipflichtend Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 551; Beudant/Lerebours-Pigeonnière/Rodière, Contrats et obligations, Nr. 1432. 191 Planiol, Droit civil3, Nr. 871. Im Ergebnis war Planiols Kritik weniger inhaltlicher, als terminologischer Art; so auch Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 551.
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stieß der Ansatz, den Missbrauch anhand eines funktionalen Kriteriums zu bestimmen. Saleilles stellte im Jahr 1901 auf die soziale oder wirtschaftliche Bestimmung eines Rechts ab, 192 insbesondere Josserand (L’esprit des droits, 1927) galt jedoch in der Folgezeit als der bestimmende Vertreter dieser Theorie.193 Josserands Ansatz beruhte auf dem funktionalen Gedanken, dass dem Einzelnen die subjektiven Rechte von der Gesellschaft nicht zum willkürlichen Gebrauch, sondern im Hinblick auf eine bestimmte Zweckbestimmung überlassen seien. 194 Oder anders ausgedrückt: Zur Verwirklichung bestimmter legitimer (rechtlich geschützter) Interessen. 195 Erfolge eine Handlung in Abwendung von dieser Zweckbestimmung, begründe dies einen Missbrauch. Daran zeige sich auch deutlich die Relativität der Rechte. 196 Das Feststellen eines Missbrauchs erfordere damit also einen Abgleich zwischen den Motiven des Handelnden (subjektive Komponente) und der funktionalen Zweckbestimmung des Rechts (objektive Komponente). 197 Gerade letzteres rief die Kritiker auf den Plan: Das Kriterium sei viel zu rechtspolitisch, denn je nachdem ob ein Marxist oder ein Sozialist nach der Bestimmung eines Rechts wie beispielsweise des Eigentums gefragt würde, wäre die Antwort eine andere. 198 Umfassende Kritik schlug Josserand vor allem von Ripert entgegen. 199 Im Jahr 1902 hatte dieser selbst eine Dissertation zu dem Thema veröffentlicht und sich da-
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Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 310, Fn. 1 (S. 371): „La véritable formule serait celle qui verrait l'abus de droit dans l'exercice anormal du droit, exercice contraire à la destination économique ou sociale du droit subjectif, exercice réprouvé par la conscience publique et dépassant, par conséquent, le contenu du droit, puisque tout droit, au point de vue social, est relatif et qu'il n'y a pas de droits absolus, pas même la propriété.“ Charmont, Abus du droit, S. 124, stimmte ihm zu, dass es sich dabei um ein gutes Kriterium handele, hatte aber auch Zweifel, ob dies immer ausreiche. 193 Vgl. Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 375: „L’analyse de Josserand apporte une contribution capitale à la théorie de l’abus des droits“. Ein ähnliches Verständnis wie Josserand hatte auch Porcherot, Abus de droit, S. 215: „[O]n abuse de son droit, quand, restant dans ses limites, on vise un but différent de celui qu’a eu en vue le législateur“. 194 Josserand, Esprit des droits, Nr. 237; ders., Évolution de la responsabilité, S. 37. 195 Josserand, Esprit des droits, Nr. 287; ders., Droit civil positif français, Nr. 431. 196 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 428; ders., Relativité des droits, S. 278. Kritisch dazu Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 574; Hugueney, Anm. zu Cass. civ., 6.5.1936, Sir. 1937, 1, 217, § 1, col. 2: „[La chambre civile] en arrive à noyer la notion d’abus de droit dans celle plus large de la relativité des droits“; und insbesondere Ripert, Abus ou relativité des droits, Nr. 6. 197 Josserand, Esprit des droits, Nr. 266. 198 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 573. A.A. Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 374 f. 199 Ripert, Abus ou relativité des droits, S. 33 ff. Josserand bezog dazu nur wenige Monate später auf demselben Weg Stellung: Relativité des droits, S. 277 ff. Zuspruch erhielt Ripert von Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 573.
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für ausgesprochen, auf den Gebrauch des Eigentumsrechts die théorie du risque anzuwenden.200 Auch Mazeaud/Mazeaud lehnten das funktionale Kriterium ab.201 Stattdessen wollten sie schlicht auf die herkömmliche Definition der faute zurückgreifen und die Rechtsausübung an dem entsprechenden Verhalten eines vorsichtigen und umsichtigen Menschen messen. 202 Aufgabe der Gerichte sei es also, zu prüfen, ob bei der Rechtsausübung die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen angewendet wurden. 203 In der Lehre konnte sich bis heute keiner der Ansätze durchsetzen. Zum Ermitteln eines Missbrauchs werden nach wie vor verschiedene Kriterien befürwortet: Schädigungsabsicht, die Zweckbestimmung des Rechts bzw. das funktionale Kriterium oder die herkömmliche Definition der faute.204 Die Gerichte entwickelten ab Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls neue Vorgehensweisen, um die Problematik und die durch die bisher sehr beschränkte Anwendung des Rechtsmissbrauchs auf Fälle mit feststellbarer Schädigungsabsicht entstandenen Ungerechtigkeiten zu lösen. 205 Sie beurteilten den Rechtsmissbrauch mit Hilfe verschiedener Kriterien: Mal prüften sie, ob der Schädiger ein legitimes, seriöses Interesse an der Vornahme der Handlung hatte,206 mal stellten sie wie Josserand auch auf die Zweckbestimmung des Rechts ab.207 Im Ergebnis führen die Grundsätze des Rechtsmissbrauchs zu einer Ausweitung der deliktischen Haftung: Der Umfang der subjektiven Rechte wird begrenzt.208 Dem Richter kommt seither bei der Feststellung der verfolgten Inte-
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Siehe dazu bereits oben S. 265 sowie Fn. 16. Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 572. 202 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 547: „[C]elui qui exerce un droit avec le désir de causer un dommage commet une faute délictuelle; celui qui, sans intention méchante, se comporte, en exerçant un droit, autrement que ne l’aurait fait un individu avisé, avec imprudence ou négligence, commet une faute quasi-délictuelle …“; Nr. 579 f. So auch Colin/Capitant, Droit civil français, S. 383; Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 417. 203 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 580. 204 Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 122 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 741. Le Tourneau, Droit de la responsabilité, Nr. 6864, hält Josserands funktionales Kriterium nach wie vor für am überzeugendsten. 205 Charmont, Abus du droit, S. 120; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 742. 206 Siehe nur CA Rennes, 20.6.1932, Gaz. Pal. 1932, 2, 516: „l’abus d’un droit est son détournement caractérisé pour obtenir indirectement un résultat évidemment étranger aux intérêts légitimes pour la sauvegarde desquels ce droit a été institué“. Zahlreiche weitere Nachweise bei Josserand, Esprit des droits, Nr. 297 f. 207 Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 576. 208 Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 574; Josserand, Évolution de la responsabilité, S. 37; Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 384. 201
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ressen, und damit eines Rechtsmissbrauchs, ein großer Spielraum zu. Ihm obliegt es, eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen. 209 Dabei ist auch das Vertrauen des Geschädigten auf einen Schutz vor Risiken, die durch einen unbilligen Zweck entstehen, zu berücksichtigen. 210 Einige Juristen kritisieren, dass der Richter damit zum „Zensor“ des Handelns wird. 211 V. Exkurs: Die Bedeutung einer Pflichtverletzung im kanadischen Recht (Québec) Der beschriebene Wandel des Verständnisses der faute im 20. Jahrhundert lässt sich nicht nur für die französische Rechtswissenschaft feststellen, sondern auch für das Zivilrecht der kanadischen Provinz Québec. Besonders interessant ist dabei, dass sich dies seit dem Inkrafttreten des Code civil du Québec („CcQ“) im Jahr 1994 nun auch im Gesetzeswortlaut widerspiegelt. Das Zivilrecht Québecs war von Anbeginn stark am französischen Recht angelehnt. Dies wird besonders deutlich in der Vorgängernorm der aktuellen deliktischen Generalklausel, die von 1866 bis 1994 in der französischsprachigen Provinz galt: Die Verfasser der Art. 1053 CcLC (Civil Code of Lower Canada) hatten sich ausdrücklich an Autoritäten des französischen Rechts orientiert, insbesondere an Domat, Toullier oder Zachariae von Lingenthal.212 Die inhaltliche Übereinstimmung mit den Art. 1382 f. Cc lässt schon der Wortlaut der Vorschrift erkennen, der besagt: „Toute personne capable de discerner le bien du mal, est responsable du dommage causé par sa faute à autrui, soit par son fait, soit par imprudence, négligence ou inhabileté.“ Aber auch der weitere Umgang mit dieser Norm zeigt in der Folgezeit deutliche Parallelen zur französischen Rechtswissenschaft: Das Fehlen einer gesetzlichen Definition der faute bereitete auch der Lehre im Québec gewisse Schwierigkeiten; 213 ähnlich wie in Frankreich war es im 19. Jahrhundert hier ebenfalls gängig, die faute als „acte illicite imputable à son auteur” zu definieren.214 Doch im Anschluss an Planiol stellte auch die Lehre im Québec auf das 209 Bereits Gény, Méthode d’interpretation II, Nr. 173, hielt den Richter zu einer „mise en balance des considérations morales, politiques, sociales ou économiques, qui se trouvent engagées dans le conflit des intérêts en présence“ an. 210 Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 655, 659. 211 Ripert, Abus ou relativité des droits, Nr. 1. Dies lasse ihm eine gewisse Willkür, Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 573; zum Vorwurf der Willkür auch Josserand, Droit civil positif francais, Nr. 436, der diese Befürchtung jedoch nicht teilt; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 553. 212 Civil Code of Lower Canada. First, Second and Third Reports, 61. Für eine Analyse der zitierten Autoritäten siehe de Lorimier/Vilbon, La bibliothèque du Code civil de la province de Québec, S. 196 ff. 213 Baudouin, Responsabilité civile délictuelle, Nr. 85. 214 Siehe Mignault, Le droit civil canadien, S. 333; l’Honoré Langelier, Droit civil de la province de Québec, S. 461. Auch im 20. Jahrhundert findet sich diese Definition noch:
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Erfordernis einer Pflichtverletzung ab; Langelier verwies bereits im Jahr 1907 auf eine generelle Haftung, die es erfordere „de prendre toutes les mesures de précaution que la prudence exige dans ces circonstances”.215 Viele Anhänger fand wie bei Mazeaud/Mazeaud der Bezug auf die Verletzung einer Verhaltenspflicht (erreur de conduite),216 und für die Anforderungen an das „gebotene“ Verhalten stellten die kanadischen Juristen auf das Verhalten einer vernünftigen Person ab, eines bon père de famille, der mit Vorsicht und Umsicht agiere.217 Eine faute erforderte also die Verletzung einer Verhaltenspflicht, die durch das Verhalten einer vorsichtigen und umsichtigen Person unter den gleichen Umständen bestimmt ist. 218 Auch die Rechtsprechung im Québec schloss sich dem an. 219 Mitte des 20. Jahrhunderts entsprach der CcLC nicht mehr der gesellschaftlichen Realität, insbesondere bezüglich der Rechte von (Ehe-)Frauen, in erbrechtlichen, Vormundschafts- und sachenrechtlichen Fragen wie den Regelungen zu Eigentum, Besitz oder Nießbrauch. 220 Im Jahr 1994 trat nach langjähriger Beratung der Code civil du Québec in Kraft. Die deliktische Generalklausel in Art. 1457 CcQ rückt das Erfordernis einer Verhaltenspflichtverletzung seitdem ganz ausdrücklich in das Zentrum der deliktischen Haftung: „Toute personne a le devoir de respecter les règles de conduite qui, suivant les circonstances, les usages ou la loi, s’imposent à elle, de manière à ne pas causer de préjudice à autrui. Elle Nadeau/Nadeau, Traité pratique de la responsabilité civile délictuelle, Nr. 59 (S. 45): „Toute personne capable de discerner bien du mal est en faute lorsqu’elle est, par action ou omission, l’auteur d’un acte illicite et dommageable …”. Als zufriedenstellend wurde diese Definition jedoch nicht angesehen, Pinneau/Ouellette, Théorie de la responsabilité civile, S. 42. 215 l’Honoré Langelier, Droit civil de la province de Québec, S. 466. Crépeau, Liability for damage caused by things, S. 223, übertrug Planiols Definition in die kanadische Lehre: „A fault may broadly be described as a violation of one’s pre-existing duty whether it be one voluntarily assumed by contract (contractual obligation) or one imposed by law (legal or extracontractual obligation).“ 216 Pinneau/Ouellette, Théorie de la responsabilité civile, S. 43. 217 Nadeau, Droit civil du Québec, Nr. 62; Pinneau/Ouellette, Théorie de la responsabilité civile, S. 44 f., Fn. 57; Masse, Responsabilité civile délictuelle, S. 79, 82. Die Anforderungen hingen dabei jedoch auch von den persönlichen Fähigkeiten ab: Gegenüber Spezialisten galt freilich ein höherer Standard als gegenüber Personen mit durchschnittlichen Fertigkeiten, Nicholls, Responsibility for offences and quasi-offences, S. 21. 218 Masse, Responsabilité civile délictuelle, S. 79: „… la faute est: a) La violation d’un devoir légal de ne pas causer un préjudice illégitime, b) Par un comportement que n’aurait pas eu un homme prudent et raisonnable dans des circonstances semblables”. 219 L’Oeuvre des terrains de jeux de Québec v. Cannon (1940), 69 B.R. 112, 114: „Le plus sûr critère de la faute, dans des conditions données, c’est le défaut de cette prudence et de cette attention moyennes qui marquent la conduite d’un bon père de famille; en d’autres termes, c’est l’absence des soins ordinaires qu’un homme diligent devrait fournir dans les mêmes conditions.” 220 Crépeau, Civil Code Revision in Québec, S. 924 f., 927 f.; Cosette, Réforme du Code civil, S. 210 ff.
A. Faute und fait illicite
299
est, lorsqu’elle est douée de raison et qu’elle manque à ce devoir, responsable du préjudice qu’elle cause par cette faute à autrui et tenue de réparer ce préjudice, qu’il soit corporel, moral ou matériel.“
Das Erfordernis der faute erhält damit eine Definition durch die Vorschrift selbst,221 wodurch die Ungenauigkeiten des Art. 1053 CcLC beseitigt werden.222 Die Voraussetzungen der Haftung sollten insgesamt aber laut Begründung nicht verändert werden. 223 Den Inhalt der Verhaltenspflichten bestimmt weiterhin der Vergleich mit dem Verhalten einer personne prudente et diligente.224 Die deliktische Generalklausel im Code civil du Québec schafft damit die in der Vorgängernorm sowie in den Art. 1382 f. Cc vermisste Präzision. Hatte sich das Quebecer Zivilrecht bisher immer am französischen Code civil und der französischen Rechtswissenschaft orientiert, ist der Gesetzgeber dieser kanadischen Provinz nun mit einer präziseren Formulierung vorangegangen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Mal der französische Gesetzgeber nachfolgen wird.225 221
Dies wird insbesondere deutlich durch den zweiten Satz und den Bezug auf „cette faute“. 222 Karim, Obligations, S. 495. 223 Québec Civil Code Revision Office, Report on the Québec Civil Code, S. 619. 224 Baudouin/Deslauriers, Responsabilité civile, Nr. 1-192. 225 In Frankreich gab es in den letzten Jahren mehrere Vorschläge zur Reformierung des Schuldrechts bzw. der Haftung. Im Avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription aus dem Jahr 2006 hieß es an entsprechender Stelle in Art. 1352: „Toute faute oblige son auteur à réparer le dommage qu’il a causé. Constitue une faute la violation d’une règle de conduite imposée par une loi ou un règlement ou le manquement au devoir général de prudence ou de diligence.“ Für eine Kritik dazu siehe Giliker, Role of la faute, S. 291 ff. Ein weiteres Projekt unter der Leitung von François Terré (Pour une réforme du droit de la responsabilité civile, 2011) regelte die deliktische Haftung in einer Vielzahl von Vorschriften. Die deliktische Generalklausel war in diesem Vorschlag sehr stark an Art. 1382 Cc angelehnt (Art. 1: „Constitue un délit civil tout dommage illicitement causé à autrui. Tout fait qui cause à autrui un tel dommage oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le réparer.“), in einer weiteren Vorschrift wurde jedoch definiert, was unter der faute und einem fait illicite zu verstehen ist: „La faute consiste, volontairement ou par négligence, à commettre un fait illicite. Un fait est illicite quand il contrevient à une règle de conduite imposée par la loi ou par le devoir général de prudence et de diligence.“ Siehe dazu auch Bloch, Définition de la faute, S. 103 f. Insgesamt enthielten also beide Vorschläge eine ausdrückliche Definition der faute und knüpften dafür ebenfalls an die Verletzung einer Verhaltenspflicht an. Die jüngste Reform des Vertrags- und Schuldrechts aus dem Jahr 2016 berührt die deliktische Generalklausel inhaltlich nicht, siehe dazu bereits oben S. 13. Der Ministerrat kündigte aber bereits an, dass in naher Zukunft auch die Art. 1382–1386 Cc reformiert werden: „Afin de parachever le chantier de modernisation du droit des obligations, le Gouvernement, comme l’a annoncé le Président de la République le 5 février dernier, s’attèlera prochainement à réformer le droit de la responsabilité civile, qui repose aujourd’hui essentiellement sur cinq articles inchangés depuis 1804. L’indispensable prévisibilité de ces règles, dont chacun s’accorde à
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VI. Zwischenergebnis zu faute und fait illicite Während einige Juristen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die faute noch einfach als fait illicite definierten und in diesem Zusammenhang das Erfordernis einer Rechtsverletzung betonten, setzte sich im Laufe des Jahrhunderts Planiols Verständnis der faute als „manquement à une obligation (préexistante)“ in französischer Lehre und Rechtsprechung weitgehend durch. Das Vorliegen einer Pflichtverletzung stellt seitdem eine wesentliche Voraussetzung der deliktischen Haftung dar. Neben dem Verstoß gegen gesetzliche Verbote und positiv-rechtlich statuierte Pflichten kommt der Verletzung einer aus Art. 1383 Cc abgeleiteten generellen Pflicht zu besonnenem und umsichtigem Verhalten besondere Bedeutung zu. Insbesondere die Rechtsprechung hat letztere kategorisiert und damit Anforderungen an das Verhalten aufgestellt, die notwendigerweise mit den Umständen und der jeweiligen Zeit variieren. Gerade die damit verbundene Anpassungsfähigkeit stellt aus Sicht der französischen Lehre einen großen Vorteil gegenüber Systemen dar, die eine abschließende Liste von Fällen vorsehen. 226 Das Erfordernis der Rechtsverletzung nimmt im Rahmen der faute demgegenüber keine besondere Stellung mehr ein. Die Verletzung eines subjektiven Rechts soll zwar freilich eine faute begründen, notwendige Voraussetzung der deliktischen Haftung ist dies aber nicht mehr. Viele erwähnten dieses Erfordernis auch gar nicht mehr: Es verschwand vollständig etwa in der Bearbeitung von Aubry/Raus „Cours de droit civil“ von der 5. Auflage aus dem Jahr 1920 auf die 6. Auflage, die im Jahr 1951 veröffentlicht wurde. 227 Im Rahmen der obligation générale de prudence et de diligence spielt dieses Erfordernis überhaupt keine Rolle mehr. Dies lässt einen gewissen Wechsel in der Perspektive der Beurteilung erkennen: Für die faute stellten die meisten Juristen grundsätzlich nicht mehr auf das Opfer und eine Rechtsverletzung ab, sondern stattdessen auf den Schädiger/Handelnden und einen Verhaltensfehler/eine Verhaltenspflichtverletzung. Die Perspektive war damit eine andere als noch im 19. Jahrhundert.
dire qu’elles doivent être réécrites, les fortes attentes relatives à la rénovation du droit du dommage corporel, ainsi que le large consensus sur la nécessité de réformer cette matière, ne sauraient cependant occulter la sensibilité des enjeux économiques et sociaux en présence.“ (, abgerufen am 27.6.2017) 226 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 482-1. Freilich ist damit eine Ausweitung der Haftung verbunden, mehr faits unterfallen der Regelung: Descheemaeker, Dualité des torts, S. 456, spricht von einem „glissement“ der Definition der faute. 227 Vgl. Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 443, und Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français6, § 444bis. P. Esmein versteht die faute vielmehr ebenfalls als Pflichtverletzung, siehe oben Fn. 95. Dazu auch Sacco, Legal formants, S. 362; Schumacher, Rheinisches Recht, S. 67.
B. Ersatzfähiger Schaden
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Weiterhin folgt daraus aber auch, dass dort, wo eine Rechtsverletzung nicht mehr notwendige Voraussetzung der Haftung ist und in erster Linie nach einem Verhaltensfehler gefragt wird, der Umfang der Haftung nicht mehr ähnlich beschränkt ist wie noch im 19. Jahrhundert. Im Gegenteil: Im Rahmen der obligation générale de prudence et de diligence scheint es keinerlei Einschränkungen zu geben. Auch primäre Vermögensschäden lassen sich so unproblematisch unter die Definition der faute fassen. Gleichwohl bedeutet dies aber nicht – wie man es daraus vielleicht folgern könnte –, dass die Haftung damit vollkommen unbeschränkt war und wäre. Zum einen kam dem Erfordernis der Rechtsverletzung zumindest für gewisse Zeit in anderem Zusammenhang Bedeutung zu (B.). Zum anderen sorgt die Notwendigkeit einer kausalen Verbindung zwischen Verhalten und Schaden für den Ausschluss zu weit entfernter Ursachen (C.). Schließlich erfolgten auch auf andere Weisen weitere Einschränkungen der Haftung (D.).
B. Ersatzfähiger Schaden 228 B. Ersatzfähiger Schaden
Neben dem Erfordernis der faute ergibt sich auch das Erfordernis eines Schadens aus dem Wortlaut des Art. 1382 Cc. Während des 19. Jahrhunderts setzte sich die Lehre nicht besonders intensiv mit dieser Voraussetzung auseinander, die Ausführungen dazu nahmen grundsätzlich nur wenig Raum ein. Dies änderte sich auch im 20. Jahrhundert nicht umgehend: 229 Es gab zunächst keine Diskussion zum Umfang und zu den möglichen Beschränkungen des Schadens (I.). Ab den 1930er Jahren verlangte die Rechtsprechung für die Haftpflicht jedoch die Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses, was die Frage nach einer generellen Begrenzung des ersatzfähigen Schadens nach sich zog (II.). Obwohl die Anforderungen an den Schaden seit einer Entscheidung aus dem Jahr 1970 zwar wieder deutlich gelockert sind, bleibt die Frage offen, ob tatsächlich sämtliche Schäden im Rahmen der Art. 1382 f. Cc zu ersetzen sind (III.). I. Generelle Unbegrenztheit des Schadensbegriffs Genau wie für die faute fehlt auch für den dommage eine gesetzliche Definition. Dies bereitet dem Rechtsanwender hier jedoch keine Schwierigkeiten. 230
228
Umfassend zum Schaden statt aller Pradel, Préjudice; Calfayan, Notion de préjudice. Calfayan, Notion de préjudice, Nr. 2 f. 230 Siehe etwa Colin/Capitant, Droit civil français, S. 372, in Bezug auf den Schaden: „Cette première condition va de soi.“ Ähnlich Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 208: Der Schaden sei die Voraussetzung „dont l’existence soulève le moins de discussions“. 229
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In der Literatur findet sich häufig der Verweis, die Redaktoren hätten mit diesem Begriff einfach genau das verbunden, was nach gewöhnlichem, alltäglichem Sprachgebrauch unter einem Schaden verstanden wurde. 231 Es handele sich also weniger um einen technischen, als um einen rein tatsächlichen Begriff, „une notion de pur fait“.232 Für die rechtliche Einordnung griffen folglich viele einfach auf den faktischen Begriff zurück. 233 Dass es kaum eine große Diskussion gab, mag auch daran gelegen haben, dass die Rechtsprechung lange Zeit keine Grenzen für den Schaden gezogen hatte. In einem Urteil aus dem Jahr 1863 betonte die Cour de cassation ganz deutlich: „l’art. 1382 … ne limite en rien, ni la nature du fait dommageable, ni la nature du dommage éprouvé, ni la nature du lien qui doit unir, au cas de décès, la victime du fait avec celui de ses ayants droit qui en demanderait la réparation“.234 Hiernach war weder die Natur des Schadens eingeschränkt, noch bedurfte es einer bestimmten Verbindung zwischen getöteter Person und etwaigen Anspruchstellern. Ersteres unterschied das französische Recht ganz wesentlich von dem seit dem Jahr 1900 in Deutschland geltenden § 823 I BGB, der die geschützten Interessen abschließend enumeriert und damit implizit den ersatzfähigen Schaden begrenzt. 235 Das weite Verständnis des Schadens, das Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschte, wird zum Beispiel bei Planiol deutlich, der die möglichen Schäden unterschied in 1. materielle Beschädigungen körperlicher Sachen; 2. Vermögensschäden, die nicht aus Havarien oder dem Verlust körperlicher Sachen resultieren (darunter fasste er zum Beispiel Notarfehler, die zur Nichtigkeit von Rechtsakten führen, ungerechtfertigte Kündigungen oder unlauteren Wettbewerb); 3. Verletzungen des Lebens und der Gesundheit; sowie 4. Verletzungen der Ehre sowie von familiären Affektionsinteressen. 236 Sowohl materielle als auch moralische Schäden sollten ersetzt werden, ohne dass es irgendwelche Beschränkungen bezüglich der Natur des Schadens gegeben hätte. Einigkeit bestand in der Lehre zwar darin, dass ein Schaden actuel, direct und certain sein muss.237 Damit erfolgte eine Beschränkung auf die direkten Folgen eines
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Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 248. Puech, L’illicéité, Nr. 282, 313. 233 Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 407: „Il n’est pas nécessaire de définir le préjudice car le sens juridique n’est autre que son sens courant.“ 234 Cass. crim., 20.2.1863, D. Jur. gén. 1864, 1, 99. Nach H. Mazeaud, Nombre des actions, S. 79, resultierte diese Entscheidung daraus, dass im Jahr 1863 einfach nicht denkbar war, dass sich der Kreis potentieller Anspruchsberechtigter derart vergrößern könnte. 235 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 248. 236 Planiol, Droit civil, Nr. 868. Ähnlich auch Colin/Capitant, Droit civil français, S. 373; Planiol/Ripert, Droit civil français, Nr. 546 ff. 237 Siehe nur Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2870; Josserand, Droit civil positif français, Nr. 439 f.; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 215. 232
B. Ersatzfähiger Schaden
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schädigenden Verhaltens – eine große inhaltliche Begrenzung brachte dies jedoch nicht mit sich. Die Offenheit des Schadensbegriffs begründete freilich die Gefahr einer Ausuferung – vor allem, da nicht nur für die Art des Schadens, sondern auch für den Kreis der ersatzberechtigten Personen keine Einschränkungen galten. 238 Der Schädiger sah sich damit unter Umständen Ersatzansprüchen zahlreicher Personen ausgesetzt. Zu nennen sind dabei insbesondere die „victimes par ricochet“, also Dritte, die durch die direkte Schädigung eines anderen selbst (mittelbar) einen eigenen Schaden erlitten. 239 Klassischerweise handelte es sich dabei um materielle Schäden, zum Beispiel entfallene Unterhaltsansprüche, oder um moralische Schäden wie eine Verletzung des sogenannten Affektionsinteresses – darunter sind in diesem Zusammenhang seelische Schmerzen und Leiden zu verstehen, die durch den Tod einer anderen Person entstehen. Da die generellen Anforderungen an den Schaden (actualité, caractère direct, certitude) den Kreis der Ersatzberechtigten offenbar nur unzureichend limitieren konnten, versuchte die Rechtsprechung ab Mitte der 1920er Jahre, mithilfe eines zusätzlichen Kriteriums für eine Beschränkung zu sorgen: Notwendig war die Verletzung eines rechtlich geschützten legitimen Interesses. 240 II. Rechtsverletzung als Begrenzung Die Gerichte zogen zunächst insbesondere das Erfordernis der certitude heran, um den Kreis der Ersatzberechtigten im Falle mittelbarer Schädigungen einigermaßen eng zu halten.241 Wo der Getötete gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet war – zum Beispiel gegenüber Kindern, Eltern oder dem Ehepartner – konnten keine Zweifel daran bestehen, dass diesen Personen durch den Tod des Unterhaltsverpflichteten ein sicherer Schaden entstanden war. Problematischer war dies jedoch, wo keine gesetzliche Unterhaltspflicht bestand, sondern der Getötete aus freien Stücken tatsächlich andere Personen unterstützt hatte. Klassischerweise betraf dies die Geliebte bzw. außereheliche Lebenspartnerin oder uneheliche, nicht anerkannte Kinder. Die Gewissheit eines Schadens ist hier in der Tat schwerer feststellbar: Eine concubinage zeichnet sich ja gerade durch Unverbindlichkeit aus und die Beziehung kann von heute auf morgen gelöst werden. Damit kann aber auch nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass der Verstorbene die Unterstützung fortgesetzt hätte und die Betroffene durch
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Siehe nur van Gerven u.a., Torts, S. 32. Zu der Problematik Lambert-Faivre, Dommage par ricochet; Dupichot, Préjudices réflechis; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 677. 240 Siehe zu dieser Entwicklung statt aller Litten, Drittvermögensschäden, S. 25 ff.; Bary, Droits subjectifs, Nr. 52 ff. 241 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 277-2. 239
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dessen Tod einen Schaden erlitten hat. 242 Die Zivilgerichte ließen es in diesen Fällen lange Zeit ausreichen, dass eine reelle und ernsthafte Aussicht auf eine Fortsetzung der Zahlung bestand. Dafür sollten unter anderem die Stabilität der Beziehung sowie Umfang und Regelmäßigkeit der bisherigen Zuwendungen ausschlaggebend sein. 243 Gerade dieses Kriterium legten die einzelnen Gerichte jedoch ganz unterschiedlich aus: Einige gewährten Ersatzansprüche, andere nicht.244 Im Ergebnis beruhten die Entscheidungen fast immer auf moralischen Erwägungen: Sollte eine außereheliche Liebhaberin tatsächlich Ersatz für materielle Schäden bekommen können? 245 Die concubinage galt in dieser Zeit als etwas Illegitimes und Verwerfliches, das die Institution der Ehe bedrohte.246 Der Geliebten jedoch den Ersatzanspruch aus Art. 1382 Cc zu versagen, war bei dem offenen Wortlaut der Norm schwierig. Noch im Jahr 1926 wies die Strafkammer der Cour de cassation deshalb einen Vorstoß der Cour d’Appel d‘Angers zurück, die Klage einer Geliebten mangels Rechtsverletzung abzuweisen. 247 Dies beschränke den Art. 1382 Cc auf eine Weise, die dem Wortlaut der Norm nicht gerecht werde. 248 Damit lehnte die Strafkammer sehr deutlich eine Gleichsetzung zwischen Schaden und Rechtsverletzung ab und ermittelte den Schaden rein tatsächlich. 249 Nur eineinhalb Jahre später betonte der Conseil d’État dann jedoch genau das Gegenteil: „pour obtenir en justice la réparation d’un préjudice il ne suffit pas d’un intérêt mais qu’il faut pouvoir justifier d’un droit lésé“, 250 und forderte nun explizit eine Rechtsverletzung.
242 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 278; H. Mazeaud, Nombre des actions, S. 77, will die Ansprüche daher auf diejenigen begrenzen, die einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hatten. 243 Cass. crim., 7.2.1913, D.P. 1913, 1, 373; Cass. crim., 26.11.1926, D.P. 1927, 1, 73; Cass. req., 2.2.1931, Sir. 1931, 1, 123. Zustimmend Marty, Anm. zu Cass. crim., 28.2.1930 und 31.10.1930, Sir. 1931, 1, 145 (§ 1). 244 Einen Anspruch gewährten etwa CA Paris, 5.6.1923, D. 1924, 2, 33 oder CA Montpellier, 24.6.1924, D.H. 1924, 678; ablehnend dagegen CA Amiens, 28.7.1924, D. 1924, 2, 145, Anm. Savatier. 245 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 283. 246 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 279, sprachen 1938 von einer „situation qui … est, du moins, contraire aux règles fondamentales du droit civil qui gouvernent l’organisation de la famille“. Siehe auch dies., Nr. 284 in der ersten Auflage (1931): „l’union libre est une institution dangereuse pour la société et contraire aux bonnes moeurs; il serait donc néfaste d’assurer à la concubine une protection quelconque“. Es kann daher nicht verwundern, dass die Mehrheit der Lehre einen Ersatzanspruch der Geliebten ablehnte, siehe H. Mazeaud, Nombre des actions, S. 78 m.w.N. 247 Die Cour d’appel habe die Klage aus dem Grund abgewiesen, dass „… le lien existant entre elle [la dame L., S.W.] et la victime était dépourvu de caractère juridique et qu’aucune atteinte n’a été portée à un droit qui fût acquis à la partie civile …“. 248 Cass. crim., 26.11.1926, D.P. 1927, 1, 73, Anm. Lalou. 249 Puech, L’illicéité, Nr. 288. 250 CE, 11.5.1928, D. 1929, 3, 6.
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Das Kriterium der certitude eignete sich tatsächlich auch nicht dazu, unerwünschte Ergebnisse auszuschließen. 251 Die Zivilgerichte folgten der Linie des Conseil d’État im Anschluss und verschärften zunächst die Anforderungen für den Ersatz moralischer Schäden,252 und mit Urteil vom 27.7.1937 auch die für den Ersatz materieller Schäden: „Le demandeur d’une indemnité délictuelle ou quasi-délictuelle doit justifier, non d’un dommage quelconque, mais de la lésion certaine d’un intérêt légitime, juridiquement protégé“. 253
Damit war im Zusammenhang mit dem Schaden das Erfordernis einer Rechtsverletzung geschaffen. Die Cour de cassation verwendete diesen Begriff hier zwar nicht ausdrücklich – in der Folgezeit ging die französische Lehre jedoch ganz mehrheitlich davon aus, dass genau das damit gemeint war. 254 Die Betonung lag folglich auf dem Erfordernis eines rechtlich geschützten legitimen Interesses.255 Genau mit diesen Worten hatte Rudolf von Jhering subjektive Rechte definiert256 – und augenscheinlich orientierte sich die Cour de cassation
251 In einer Entscheidung vom 12.2.1931 hatte das Tribunal correctionnel de la Seine einer Geliebten Schadensersatz zugesprochen, der Ehefrau des Getöteten dagegen nicht, D. 1931, 2, 57: Während die Ehefrau eigene Einkünfte habe und durch den Tod ihres Mannes keinen Schaden erleide, stelle sich dies für die Geliebte, die der Verstorbene unterhalten habe, anders dar. 252 Erforderlich war danach ein „lien de parenté ou d’alliance“, vgl. Cass. req., 2.2.1931, Sir. 1931, 1, 123. Ausführlicher dazu unten S. 306 f. Im Hinblick auf moralische Schäden ist das Vorliegen eines dommage certain freilich noch schwieriger festzustellen als bei materiellen Schäden und kann nicht einfach etwa an bisherigen Unterhaltsleistungen festgemacht werden, Beudant/Lerebours-Pigeonnière/Rodière, Contrats et obligations, Nr. 1608; H. Mazeaud, Nombre des actions, S. 78. Der Kreis derjenigen, die durch den Tod eine Verletzung ihres Affektionsinteresses erleiden, ist daher an sich nicht begrenzt. 253 Cass. civ., 27.7.1937, Sir. 1938, 1, 321, Anm. Marty. In eine ähnliche Richtung ging bereits die Entscheidung der Strafkammer der Cour de cassation vom 13.2.1937, 4 e esp., D.P. 1938, 1, 8, Anm. Savatier: Das Gericht forderte hier das Vorliegen eines „lien de droit“. 254 So schon Marty, Anm. zu Cass. civ., 27.7.1937, Sir. 1938, 1, 321, § 2. Siehe dazu auch Puech, L’illicéité, Nr. 294; Bary, Droits subjectifs, Nr. 57. 255 So auch Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 144. Diese Betonung ermöglicht es auch, das neue Erfordernis von dem für jede Klageerhebung immer benötigten legitimen Interesse abzugrenzen, vgl. Art. 31 NCPC: „L'action est ouverte à tous ceux qui ont un intérêt légitime au succès ou au rejet d'une prétention, sous réserve des cas dans lesquels la loi attribue le droit d'agir aux seules personnes qu'elle qualifie pour élever ou combattre une prétention, ou pour défendre un intérêt déterminé.“ Dazu H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 39; Borghetti, Intérêts protégés, S. 157. 256 von Jhering, Geist des römischen Rechts, § 60 (S. 328): „Der Begriff des Rechts beruht auf der rechtlichen Sicherheit des Genusses, Rechte sind rechtlich geschützte Interessen“; § 61 (S. 338): „Rechte sind rechtlich geschützte Interessen, Recht ist die rechtliche Sicherheit des Genusses“.
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daran.257 Für den Ersatzanspruch der Geliebten bedeutete dies, dass die Gerichte für ihre moralischen Bedenken nicht mehr auf das Erfordernis der certitude des Schadens angewiesen waren; der Anspruch scheiterte an der weiteren, neuen Voraussetzung der Verletzung eines subjektiven Rechts, das die Geliebte nicht vorweisen konnte. 258 Obwohl die Gerichte dieses Erfordernis entwickelten, um Ansprüche der Geliebten ausschließen zu können, war es nicht auf diese Fälle oder allgemein auf mittelbare Schäden beschränkt und galt prinzipiell immer im Rahmen des Art. 1382 Cc; Henri Mazeaud bezeichnete es als „vierte Voraussetzung der deliktischen Haftung“. 259 War damit aber nun tatsächlich die Verletzung eines subjektiven Rechts gemeint? In der Lehre findet sich seit diesen Entscheidungen ein entsprechender Bezug: Der Schaden wird in Abhängigkeit von einer Rechtsverletzung definiert.260 Damit käme das französische Recht der deutschen Generalklausel in § 823 I BGB sehr nahe, die den Schadensersatz von der Verletzung eines geschützten Interesses, eines subjektiven Rechts abhängig macht. 261 Die Rechtsprechung ließ eine ähnliche Klarheit vermissen – was auch in der Lehre zu einiger Kritik führte. 262 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1938 sprach die Zivilkammer von der „atteinte à un droit muni d‘action“, 263 ohne dass dies mehr Deutlichkeit gebracht hätte. Für moralische Schäden sollte es weiter auf eine 257
H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 42; Marty, Anm. zu Cass. civ., 27.7.1937, Sir. 1938, 1, 321, § 2; Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 379; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 101; Puech, L’illicéité, Nr. 294; Carbonnier, Obligations, Nr. 210. 258 Cass. civ., 27.7.1937, Sir. 1938, 1, 321: „[L]es relations établies par le concubinage ne peuvent, à raison de leur irrégularité même, présenter la valeur d’intérêts légitimes, juridiquement protégés, susceptibles de créer des obligations à la charge des concubins, elles sont impuissantes à leur conférer des droits à l’encontre d’autrui, et notamment contre l’auteur responsable de l’accident survenu à l’un d’eux.“ 259 H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 39. 260 Rolin, Engagements résultant des délits et quasi-délits, S. 68: „[L]e dommage est donc, essentiellement, la lésion d’un droit, d’un droit civil“; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 275: Die meisten Juristen seien der Auffassung, dass „[L]e dommage doit ‘port er atteinte à un droit acquis’“, m.w.N.; de Page, Droit civil belge, Nr. 948 ff.: „préjudice résultant de la lésion d’un droit“; ähnlich auch Savatier, Règles générales de la responsabilité civile, Nr. 4. In diese Richtung gingen auch die Ausführungen von Josserand, Droit civil positif, Nr. 424, der betonte, dass die Verletzung eines bloßen Interesses nach der Entscheidung der Cour de cassation nicht mehr ausreiche. Kritisch zu der Gleichstellung von Schaden und Rechtsverletzung: Puech, L‘illicéité, Nr. 282. 261 Marty, Illicéité et responsabilité, S. 343. 262 Flour forderte etwa eine Klarstellung der Zivilkammer der Cour de cassation, ob mit dem intérêt légitime juridiquement protégé tatsächlich eine Rechtsverletzung gemeint war: „Si la volonté de la Chambre civile est vraiment d’exiger une atteinte à un droit, le moment est venu pour elle de parler un langage aussi direct que le Conseil d’État, et, malgré l’élégant attrait des souvenirs classiques, de ne plus appeler ce droit un intérêt juridiquement protégé“, Anm. D. 1945, 296. Ähnlich H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 43. 263 Siehe Marty, Anm. zu Cass. civ., 27.7.1937, Sir. 1938, 1, 321, § 2.
B. Ersatzfähiger Schaden
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verwandtschaftliche Verbindung (lien de parenté) ankommen, für materielle Schäden auf eine rechtliche Verbindung (lien de droit).264 Die Entscheidungen zeigen jedoch, dass die Gerichte für letzteres nicht jede rechtliche Beziehung oder subjektive Rechte vor Augen hatten, sondern schlicht Unterhaltspflichten (liens d’obligation alimentaire).265 Eine darüber hinausgehende Beschränkung, die die Formulierung ja durchaus nahelegt, wie etwa den Ausschluss primärer Vermögensschäden, hatten die Gerichte nicht im Sinn. Und auch in der Lehre findet sich dazu überwiegend nichts. 266 Nicht nur die unterschiedlichen Anforderungen an die Schadensarten stießen auf Kritik. Viele Autoren wandten auch ein, dass sich das Erfordernis der Rechtsverletzung weder aus dem Art. 1382 Cc ergebe, noch mit der geschichtlichen Entwicklung vereinbar sei. 267 Und schließlich schaffe die Cour de cassation damit nur neue Ungerechtigkeiten: Durch die Notwendigkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts seien nämlich zum Beispiel auch Ansprüche einer verwitweten Mutter gegen den Mörder ihres ältesten Sohnes, der für ihren Unterhalt gesorgt hatte, ausgeschlossen, denn die Verletzung eines subjektiven Rechts könne sie nicht vorweisen.268 Gleiches gelte auch in anderen Situationen, in denen eine hilfsbedürftige Person von einer anderen unterstützt werde, ohne dass dazu eine gesetzliche Pflicht bestehe. 269 Sinnvoller erschien es daher, nicht die Verletzung eines subjektiven Rechts zu verlangen, sondern die Legitimität des vorgebrachten Interesses zu betonen. 270 Auf diese Weise wäre der Anspruch der Geliebten nach wie vor ausgeschlossen, in anderen Situationen 264
H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 42. H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 42; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 207. 266 Eine Ausnahme bildete Rolin, der für das Erfordernis der Rechtsverletzung im Rahmen des Schadens auf Toullier und dessen Unterteilung in „attentats à la personne“ und „attentats à sa propriété“ verwies: Die von Toullier erläuterten fundamentalen Prinzipien seien in der Folgezeit bei vielen verloren gegangen, Engagements résultant des délits et quasi-délits, S. 68 f. Auch de Page, Droit civil belge, Nr. 950, führte aus, dass der Schaden durch eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit, auf Ehre, auf Eigentum oder eines Forderungsrechts geformt werde. Gleichermaßen betonte er aber auch, dass der Art. 1382 Cc alle Schäden erfasse. 267 Puech, L‘illicéité, Nr. 298. Allein aus dem Schweigen der Vorschrift auf eine Unzulässigkeit des Kriteriums zu schließen sei im Hinblick auf die Allgemeinheit der Formulierung höchst bedenklich: Gomaa, Réparation du dommage, S. 146. 268 Puech, L‘illicéité, Nr. 297 mit Verweis auf CA Caen, 5.11.1895, Sir. 1898, 2, 96; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 98, sprechen von „résultats inhumains“. 269 Diese Situation lag auch der bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1863 zugrunde, Cass. crim., 20.2.1863, D. 1864, 1, 99: Der Verstorbene hatte seinen behinderten Bruder unterhalten, der durch den Tod nun seinen Versorger verlor. Puech, L‘illicéité, Nr. 297. Kritisch aus heutiger Sicht Borghetti, Intérêts protégés, S. 156: Das Erfordernis eines rechtlich geschützten Interesses mit Jhering als subjektives Recht zu verstehen, sei zu eng; kritisch auch Calfayan, Notion de préjudice, Nr. 25. 270 H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 43. Zustimmend Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 379; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 704 ff. 265
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(wie der der verwitweten Mutter) konnte aber gleichwohl Schadensersatz gewährt werden. Es dauerte keine zwanzig Jahre, bis sich die Gerichte wieder langsam vom Erfordernis der Rechtsverletzung abwandten. Der Conseil d’État verzichtete schon im Jahr 1952 darauf,271 die Strafkammer der Cour de cassation betonte nur ein Jahr später unter Übernahme der 1863 verwendeten Formulierung die Unbeschränktheit des Schadensbegriffs,272 und auch die Zivilkammer der Cour de cassation stellte im Jahr 1964 klar, dass es keiner Rechtsverletzung bedürfe.273 An dem Erfordernis eines legitimen rechtlichen Interesses hielt letztere jedoch weiter fest; 274 die Strafkammer prüfte dagegen, ob eine stabile, nicht strafbare Beziehung bestand. 275 Erst ein Grundsatzurteil der chambre mixte der Cour de cassation276 beseitigte diese Differenzen zwischen den Kammern im Jahr 1970: Sie stellte fest, dass der Art. 1382 Cc keinen lien de droit oder eine Rechtsverletzung fordere; 277 die Verletzung eines bloßen Interesses genüge – fortan lag die Betonung auf der Legitimität dieses Interesses.278 In dem Urteil ging die Kammer auch auf den Leitsatz aus dem Jahr 1863 ein. Das Urteil enthielt aber noch weitere Neuerungen: Es betonte zum ersten Mal, dass die concubinage nichts Illegitimes und gegen die guten Sitten Verstoßendes sei.279 Seitdem steht es auch der Geliebten offen, materielle und moralische
271
CE, 25.1.1952, D. 1952, 549. Cass. crim., 2.5.1952, JCP 1953, II, 7354. Bestätigend für die Geliebte Cass. crim., 16.12.1954, JCP 1955, II, 8505; Cass. crim., 24.2.1959, JCP 1959, II, 11095, Anm. Pierron; Cass. crim., 20.11.1962, Gaz. Pal. 1963, 1, 141. 273 Cass. civ. 2 e, 4.3.1964, Gaz. Pal. 1964, 1, 392. 274 Cass. civ. 2 e, 25.6.1965, Bull. civ. 1965, II, Nr. 570: „Mais attendu que le concubinage, quelles qu’en soient les modalités et la durée, demeure une situation de fait qui ne peut représenter la valeur d’intérêts légitimes juridiquement protégés“; Cass. civ. 2 e, 7.4.1967, Bull. civ. 1967, II, Nr. 134; Cass. crim., 20.1.1966, JCP 1966, II, 14870, Anm. Wiederkehr. 275 Puech, L’illicéité, Nr. 303. Siehe z.B. Cass. crim., 20.1.1966, D. 1966, 1, 184; für eine Übersicht über die unterschiedliche Behandlung siehe auch Cass. ch. mixte, 27.2.1970, JCP 1970, II, 16305. Je nachdem, ob die Geliebte ihren Anspruch vor Straf- oder Zivilgerichten geltend machte, erhielt sie also Ersatz oder nicht, Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 144. 276 Die Möglichkeit, eine chambre mixte anzurufen, besteht erst seit dem Gesetz Nr. 67523 du 3 juillet 1967 relative à la Cour de cassation, JORF du 4 juillet 1967, S. 6651. Nach Art. 14 dieses Gesetzes ist eine Anrufung bei Grundsatzentscheidungen oder wenn verschiedene zuständige Kammern einen unterschiedlichen Rechtsstandpunkt vertreten möglich. 277 Cass. ch. mixte, 27.2.1970, D. 1970, 201, Anm. Combaldieu; JCP 1970, II, 16305. Siehe zu dieser Entscheidung auch Gomaa, Réparation du dommage, S. 145 ff.: Die Cour de cassation unterscheide damit nicht mehr zwischen rechtlichen und rein tatsächlichen Beziehungen. 278 Bary, Droits subjectifs, Nr. 66 ff. 279 Gomaa, Réparation du dommage, S. 146 ff.; Bary, Droits subjectifs, Nr. 69. Sehr anschaulich zu den gewandelten Moralvorstellungen und sittlichen Anschauungen in der Be272
B. Ersatzfähiger Schaden
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Schäden, die aus dem Tod des unehelichen Partners resultieren, geltend zu machen. Für die Bestimmtheit des Schadens ist dabei die Stabilität der Beziehung ausschlaggebend. 280 III. Erneuter Verzicht auf einschränkende Kriterien Mit der Entscheidung vom 27.2.1970 beseitigte die chambre mixte damit die Gleichsetzung von Schaden und Rechtsverletzung sowie das Erfordernis einer rechtlichen Verbindung wieder. 281 An dem Erfordernis eines rechtlich geschützten legitimen Interesses hielten Rechtsprechung und Lehre allerdings weiter fest. Die Abkehr von der Notwendigkeit eines lien de droit unter Beibehaltung des Erfordernisses eines rechtlich geschützten legitimen Interesses macht deutlich, dass es auch andere legitime Interessen geben sollte, die geschützt sind, ohne dass es sich dabei um subjektive Rechte handeln würde. 282 Dies hat nach wie vor Bestand. Das Erfordernis ist insgesamt sehr offen gehalten und ermöglicht nach französischer Auffassung durch seine Relativität eine ideale Anpassung an die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Begebenheiten. 283 Statt einer vom Gesetzgeber festgelegten Liste liegt es in der Hand der Gerichte, die schutzwürdigen Interessen zu bestimmen. 284 Beschränkungen gibt es dabei a priori nicht. Alle denkbaren materiellen Schäden werden ersetzt, egal ob diese aus körperlichen Verletzungen oder aus der Beschädigung oder Zerstörung von Gegenständen resultieren oder ob es sich dabei um bloße Vermögensschäden handelt, denen keine Rechtsverletzung vorangegangen ist. 285 Gleiches gilt grundsätzlich auch für moralische Schäden (dazu gleich unter III.1.a)). Ein Schaden soll immer dann anzuerkennen sein, völkerung Gomaa., a.a.O., S. 147: „Il est trop banal de constater que la liberté sexuelle illimitée est pratiquée et tolérée par la société d’aujourd’hui. Le rapport sexuel condamné au XIXe siècle ne l’est pas de nos jours. Il est presque certain que les jeunes gens ent retiennent des relations sexuelles hors de mariage, dès qu’ils atteignent l’âge de l’adolescence. Il est, de même, presque certain que le mariage est souvent précédé d’une période de concubinage. Et enfin, il y a les cas d’union libre … Bref, l’opinion publique ne condamne pas le concubinage. Les mœurs doivent suivre cette opinion. Car les mœurs ne sauraient incriminer qu’une conduite minoritaire. Et si cette conduite se trouve répandue et généralisée, ce seraient les mœurs, elles-mêmes, qui seront à changer.“ Einen weiteren Schritt in Richtung eines liberaleren Umgangs brachte das Gesetz vom 11.7.1975, JORF du 12 juillet 1975, S. 7171: Seitdem stellt der Ehebruch keinen Straftatbestand mehr dar. 280 Gomaa, Réparation du dommage, S. 146; Lapoyade Deschamps, Préjudice économique pur, S. 96. 281 Puech, L’illicéité, Nr. 303. 282 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 101; Jourdain, Préjudice, Nr. 9. 283 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 101; ähnlich Viney, Principe general, Nr. 5. 284 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 101. 285 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 103 ff. m.w.N.; Fabre-Magnan, Droit des obligations, S. 110 f.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 707; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 250 ff.
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wenn eine Person schlechter steht, als sie es ohne Vornahme eines bestimmten Verhaltens würde – es bedarf also eines Vergleichs der tatsächlichen mit der hypothetischen Situation, wie sie sich ohne das haftungsbegründende Verhalten dargestellt hätte. 286 Die Rechtsprechung hat jedoch nicht nur sämtliche beschränkenden Erfordernisse abgeschafft, sondern auch neuartige Schadensformen anerkannt, wie beispielsweise die Ansteckung mit dem HIV-Virus durch eine verunreinigte Bluttransfusion – dies hat insgesamt zu einer erheblichen Vervielfachung der ersatzfähigen Schäden geführt. 287 Das Erfordernis eines legitimen rechtlich geschützten Interesses führt nur selten zu einem Ausschluss der Haftung, nämlich dann, wenn die Handlung selbst illegal ist oder die Gewährung von Schadensersatz als unmoralisch erscheint. 288 Wie weit der Umfang der Ersatzpflicht heute ist, soll beispielhaft an drei Schadenskategorien gezeigt werden, für die es im deutschen Recht aufgrund des Erfordernisses einer Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung keinen Schadensersatz über die deliktische Generalklausel gibt (1.). Schließlich finden sich jedoch auch in der französischen Lehre in jüngerer Zeit vereinzelte Vorschläge, die ersatzfähigen Schäden zu beschränken (2.). 1. Veranschaulichung des weiten Verständnisses Die Diskrepanzen zum deliktischen Schadensersatz nach deutschem Recht stechen insbesondere hervor beim Ersatz des Affektionsinteresses bzw. emotionaler Schäden (a) sowie bei primären Vermögensschäden (b).
286
Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 249. Jourdain, Préjudice, Nr. 13 ff., 19. 288 Tribunal commercial de la Seine, 10.6.1942, Gaz. Pal. 1942, 2, 149: Zerstörung eines Hauses, in dem illegale Spiele veranstaltet wurden; Cass. civ., 23.11.2004, JCP 2005, II, 10048: kein Ersatz des erhofften, aber entgangenen Gewinns aus einem missbräuchlich geführten Prozess; weitere Beispiele bei Bénabent, Droit des obligations, Nr. 680; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 273. Zu der geringen verbleibenden Bedeutung des Erfordernisses auch Jourdain, Préjudice, Nr. 33 f. Ein Anspruch ist allerdings nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich die geschädigte Person zuvor rechtswidrig verhalten hatte, siehe Cass. civ. 2e, 19.2.1992, JCP 1993, II, 22170: Die bei einer Beförderung geschädigte Person kann auch dann Ersatz verlangen, wenn sie keinen gültigen Fahrschein hatte. Cass. civ., 17.11.1993, RTD civ. 1994, 115: Der Geschädigte in einem Verkehrsunfall hat auch dann einen Ersatzanspruch, wenn er das Auto zuvor gestohlen hat. 287
B. Ersatzfähiger Schaden
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a) Ersatz emotionaler Schäden Die Frage nach der Ersatzfähigkeit moralischer Schäden, oder besser: von Nichtvermögensschäden (zum Beispiel des Ansehens, der Ehre oder von Persönlichkeitsrechten), 289 die keine finanziellen Verluste nach sich ziehen, 290 spaltete im 19. und auch noch während des 20. Jahrhunderts die Lehre. Die befürwortende Haltung der Gerichte 291 stieß bei vielen Juristen auf Kritik. Wie in Deutschland wandten sie ein, dass derartige Schäden nicht messbar seien und ein finanzieller Ersatz damit nur willkürlich sein könne; auch komme Schadensersatz in diesen Fällen einer Privatstrafe gleich. 292 Dem hielten die Befürworter die weite Formulierung des Art. 1382 Cc entgegen: Aus dem Begriff dommage lasse sich keine Beschränkung auf materielle Schäden entnehmen.293 Trotz der Einwände und der tatsächlichen Beurteilungsschwierigkeiten hielten es aber auch Kritiker unter Billigkeitsgesichtspunkten für erforderlich, auch für diese Art von Schäden Ersatz zu gewähren. 294 Mitte des 20. Jahrhunderts bezeichnete die Lehre die Diskussion schließlich für beendet, und heute bestehen im Grundsatz keine Zweifel an deren Ersatzfähigkeit. 295 Immer wieder sprechen sich einzelne Juristen zwar für eine restriktivere Haltung aus – die Rechtsprechung folgte diesen Vorstößen bisher jedoch nicht. 296
289 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 114; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 139; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 253, sowie Nr. 257 zu der Entwicklung der Persönlichkeitsrechte. Ausführlich zum Ersatz moralischer Schäden: Calfayan, Notion de préjudice, Nr. 45 ff. 290 Häufig findet man lediglich diese Negativdefinition: Moralischer Schaden sei „celui qui ne porte pas atteinte au patrimoine“, siehe Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 139. 291 So bereits Cass. ch. réun., 25.6.1833, Sir. 1833, 1, 458; Cass. crim., 22.9.1837, Sir. 1838, 1, 331; Cass. civ., 26.8.1857, D. Jur. gén. 1857, 1, 345; Cass. req., 7.6.1893, Sir. 1895, 1, 413. Dazu auch Josserand, Droit civil positif français, Nr. 442. 292 Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2871; Beudant, Droit civil français, Nr. 1156; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 116, 118; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 140 f. m.w.N. Dies war jedoch ein entscheidender Grund für die Rechtsprechung, Savatier, Règles générales de la responsabilité civile, Nr. 72; ein anderer war die Überlegung, dass die Gewährung einer Geldsumme die Schmerzen etwas mildere und eine gewisse Genugtuung schaffe. Zu den Funktionen der Entschädigung für Nichtvermögensschäden: Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden, S. 117 ff. 293 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 442; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 301 ff. 294 Colin/Capitant, Droit civil français, S. 373; Savatier, Droit civil, Nr. 225. 295 Lalou, Responsabilité civile, Nr. 150: Für Lehre und Rechtsprechung sei es heute (1949) nicht zweifelhaft, dass moralischer Schaden ersetzt werde; Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 382; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 115, 117 f. 296 Für eine Übersicht siehe Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 254.
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
Auch das deutsche Recht gleicht zwar in bestimmten Fällen immaterielle Schäden aus (vgl. § 253 BGB),297 im Rahmen der deliktischen Haftung gilt dies jedoch grundsätzlich nur für den direkt Geschädigten. Nach §§ 844 f. BGB kann zwar auch ein mittelbar Geschädigter Schadensersatz verlangen – dies betrifft jedoch nur materielle Schäden. Nach § 844 II BGB kann etwa Schadensersatz geltend machen, wer durch Tötung seinen gesetzlich Unterhaltsverpflichteten verliert. Das französische Recht dagegen gewährt mittelbar Geschädigten (victimes par ricochet)298 – wie bereits angedeutet – umfassenden Ersatz, und zwar auch für eine Verletzung ihres Affektionsinteresses. Nach einer anfänglich sehr liberalen Haltung299 wollten die Gerichte ab den 1930er Jahren den Kreis der Ersatzberechtigten zwar durch das Erfordernis eines lien de parenté ou d’alliance einschränken 300 – und damit insbesondere die Ansprüche der Geliebten ausschließen. Mit Urteilen vom 5.1.1956 301 und vom 20.1.1967302 sprachen sich jedoch erst die Strafkammer, und anschließend die
297 Obwohl § 253 II BGB Entschädigung für immaterielle Schäden nur bei Verletzungen „des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung“ gewährt, kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts subsidiär Ausgleich in Geld verlangt werden, BGHZ 26, 349 (Urteil vom 14.2.1958): Herrenreiter-Fall; BGHZ 39, 124 (Urteil vom 5.3.1963). Dieser Anspruch wird mittlerweile unmittelbar auf Art. 1 I, 2 I GG gestützt, siehe nur BGHZ 128, 1 (Urteil vom 15.11.1994); von einem ausdrücklichen Einbezug in § 253 II BGB verzichtete der deutsche Gesetzgeber in der Reform des Schuldrechts im Jahr 2002 aus diesem Grund, siehe BTDrs. 14/7752, S. 24 f.; dazu auch Looschelders, Schuldrecht, Rn. 1237. 298 In der Praxis werden unter dieser Kategorie lediglich Schädigungen Dritter verstanden, die aus Körperverletzungen des Erstgeschädigten entstehen, nicht aber Sachbeschädigungen. Weniger gebräuchlich für diese Schadensart ist auch die Bezeichnung „dommage réflechi“, Viney, Dommage indirect, S. 249. 299 CA Paris, 8.2.1896, D. Jur. gén. 1896, 2, 457; CA Dijon, 12.5.1897, D. Jur. gén. 1897, 2, 414; Cass. civ., 13.2.1923, Gaz. Pal. 1923, 1, 489. Dazu Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 549. In einem Urteil vom 10.4.1922 betonte die Cour de cassation, Ch. req., noch, dass es keines lien de parenté bedürfe: D. 1923, 1, 52. 300 Cass. req., 2.2.1931, Sir. 1931, 1, 123: „… encore faut-il que l’action en indemnité soit fondée sur un intérêt d’affection, né du lien de parenté ou d’alliance qui unissait la victime du fait dommageable à celui de ses ayants droit qui en demande réparation.“ Siehe zu dieser Entscheidung: H. Mazeaud, Nombre des actions, S. 77 ff. Kritisch zu dem Erfordernis eines lien de parenté ou d’alliance, Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile1, Nr. 323: Es komme nicht auf die Art der Verbindung an, sondern darauf, ob ein legitimes Interesse bestehe. Zu der nach und nach wieder erfolgenden Ausweitung des Personenkreises Capitant/Terré/Lequette, Grands arrêts, Nr. 179, Rn. 3. 301 Cass. crim., D. 1956, 216; bestätigt in Cass. crim., 15.5.1957, D. 1957, 530; Cass. crim., 5.5.1960, D. 1961, Somm., 4. Auch in den 1930er Jahren hatte es jedoch Urteile der Strafkammer gegeben, in denen das Gericht gerade keine besondere Verbindung verlangte, z.B. Cass. crim., 28.7.1933, Gaz. Pal. 1933, II, 626; Cass. crim., 30.11.1934, Gaz. Pal. 1935, I, 103. 302 Cass. civ. 2 e, JCP 1968, II, 15510, Anm. Dupichot.
B. Ersatzfähiger Schaden
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Zivilkammer der Cour de cassation gegen diese Einschränkung aus. 303 Auch die Lehre betonte, dass die Zuneigung zu einer Person nicht von dem Verwandtschaftsgrad abhänge. 304 Damit ist die Zahl der Personen, die nach dem Tod eines Dritten Ersatz für eine Verletzung des Affektionsinteresses geltend machen können, theoretisch unbeschränkt. 305 Für den Schädiger kann dies vernichtende Folgen haben. Die einzige Möglichkeit, den Kreis der Ersatzberechtigten zu beschränken, besteht darin, die Anforderungen an den Beweis des Schadens so streng wie möglich zu gestalten. 306 Für einen Teil der Lehre genügt das Erfordernis der Bestimmtheit des Schadens dabei, ohne dass es der willkürlichen Begrenzung auf bestimmte Personen bedürfe.307 Der Ersatz des Affektionsinteresses ist in Frankreich jedoch nicht auf den Verlust eines geliebten Menschen beschränkt. Ersatz kann es auch im Falle der (bloßen) Verletzung einer nahestehenden Person geben 308 – zwischenzeitlich
303 Für den Ersatz moralischer Schäden mittelbarer Opfer lagen die beiden Kammern damit außer für die Geliebte auf einer Linie, Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 171. Zu der Entwicklung in der Rechtsprechung bzgl. des Kreises der Ersatzberechtigten siehe auch Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 200 ff.; Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden, S. 121 ff.; Viney, Dommage indirect, S. 252 f. 304 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 324; Beudant/Lerebours-Pigeonnière/Rodière, Contrats et obligations, Nr. 1608. Heute wird im Hinblick auf den Kreis der Ersatzberechtigten von den „proches“ gesprochen, Bénabent, Droit des obligations, Nr. 677. 305 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 445; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 324-2; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 166. Tatsächlich machen in der Regel aber nur Personen aus dem Familienkreis Ansprüche geltend, Litten, Drittvermögensschäden, S. 61; Starck/Roland/Boyer, a.a.O., Nr. 172; ebenso Dupichot, Nr. 141 f.; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 145, Fn. 5. Auch dies kann allerdings zu einer ganzen Reihe von Ersatzansprüchen führen: Im Jahr 1988 gewährte die CA Lyon sowohl den Eltern als auch den fünf Geschwistern eines jungen Mannes, der als Zuschauer bei einem Fußballspiel von einem Bengalo verletzt wurde und später seinen Verletzungen erlag, Schadensersatz für Verletzung ihrer Affektionsinteressen, 16.12.1988, JCP 1990, II, 21510, Anm. Collomb. 306 Freilich spielt die Nähe der Beziehung zu dem Verstorbenen eine entscheidende Rolle: Je weiter entfernt der Verwandtschaftsgrad ist, desto schwerer ist der Beweis eines Schadens, H. Mazeaud, Nombre des actions, S. 82; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 324-2; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 172. Für nahe Angehörige vermuten die Gerichte das Vorliegen eines Schadens („présomption de fait“), Viney, Dommage indirect, S. 258. 307 Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 383. 308 Cass. civ., 22.10.1946, D. 1947, 59; Cass. crim., 15.2.1972, JCP 1972, IV, 75; Cass. civ. 1re, 29.11.1989, JCP 1990, IV, 32. Die seelische und körperliche Belastung ist oft sogar schlimmer, wenn eine nahestehende Person zwar nicht ihr Leben verliert, aber wegen erheblicher Verletzungen dauerhaft pflegebedürftig ist; dazu auch Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 174. Der Ersatz emotionaler Schäden im Falle des Überlebens der direkt geschädigten Person wirft jedoch auch Kausalitätsprobleme auf. Kritisch daher: Ripert, Prix de la douleur, S. 4.
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
verlangten die Gerichte dafür jedoch „außergewöhnlich schwere[r] Schmerzen“. 309 Und auch im Falle direkter materieller Schäden kann ebenso ein Ersatz des Affektionsinteresses geboten sein: Selbst für den Verlust eines Haustieres gewährten die Gerichte Ersatz,310 und prüften einen lien d’affection ebenso bei der Beschädigung eines Autos. 311 Diese „Exzesse“312 der französischen Rechtsprechung, aber auch ganz generell der Ersatz der perte d’affection, stoßen in der Lehre auf große Kritik. 313 Zu der Entwicklung einschränkender Kriterien führte dies bisher allerdings nicht. 314 Im Ergebnis bestehen heute keine Hindernisse mehr für den Ersatz derartiger Schäden. 315 b) Primäre Vermögensschäden Eine ähnliche Unbegrenztheit gilt auch für den Ersatz primärer Vermögensschäden. Während nach deutschem Recht ein deliktischer Schadensersatzanspruch mangels Verletzung eines absoluten Rechts (§ 823 I BGB)316 oder eines Schutzgesetzes (§ 823 II BGB), oder mangels sittenwidriger vorsätzlicher
309
„Douleur d’une gravité exceptionnelle“: Cass. civ. 2 e, 16.2.1967, Bull. civ. 1967, II, Nr. 77; Cass. civ. 2 e, 5.1.1973, D. 1973, Somm., 64. Bereits seit dem Jahr 1977 verzichtet das Gericht jedoch wieder auf dieses Erfordernis, Cass. civ. 2 e, 23.5.1977, Gaz. Pal. 1977, 2, 677; Cass. civ. 2 e, 1.3.1978, Gaz. Pal. 1978, 1, Somm., 160, was auch aktuell noch Bestand hat (etwa Cass. civ. 2 e, 3.2.1993, JCP 1993, IV, 879; Cass. civ. 2 e, 23.10.2003, Resp. civ. et assur. 2004, comm. Nr. 25). Siehe dazu auch Stiegler, Schock- und Trauerschäden, S. 136 f. 310 Cass. civ. 1re, 16.1.1962, D. 1962, 199 (Pferd), Anm. Rodière; Cass. civ. 1re, 27.1.1982, JCP 1983, II, 19923, Anm. Chabas; CA Rouen, 16.9.1992, D. 1993, 353, Anm. Marguénaud (Hund). Selbst für die Verletzung des Tieres gewährte das TGI Caen Ersatz: 30.10.1962, D. 1963, 92. 311 TGI Le Mans, 14.10.1966, Gaz. Pal. 1967, 1, 29. 312 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 268. 313 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 129 f., mit der Bemerkung, dass nur sehr wenige Autoren diese Rechtsprechung zu verteidigen versucht hätten. Insgesamt kritisch Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 266, 268, mit Verweis auf die Gefahr einer „Kommerzialisiserung“ dieser Gefühle; Viney, Dommage indirect, S. 251 f. Für eine Übersicht siehe auch Capitant/Terré/Lequette, Grands arrêts, Nr. 179, Rn. 5; Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden, S. 113 ff., sowie 127 f. m.w.N. Lambert-Faivre, Dommage corporel, Nr. 201, bevorzugt statt eines Ausgleichs emotionaler Schäden Ersatz des „trouble dans les conditions d’existence“. 314 Ein Versuch der Beschränkung besteht jedoch darin, die Verbindung zwischen Erstgeschädigtem und victime par ricochet zu verstärken und die Ersatzansprüche auf dieselbe gesetzliche Grundlage zu stützen (so z.B. für den Transport von Personen), Viney, Dommage indirect, S. 267 f. m.w.N. 315 Viney, Dommage indirect, S. 273; Jourdain, Préjudice, Nr. 9. 316 Nach der Rechtsprechung stellt zwar auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 I BGB dar, siehe nur RGZ 58, 24, 29 (Urteil vom 27.2.1904); erforderlich ist jedoch, dass es sich um unmittelbare, betriebsbezogene Eingriffe handelt, BGHZ 29, 65 (Urteil vom 9.12.1958).
B. Ersatzfähiger Schaden
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Schädigung (§ 826 BGB) ausscheidet,317 gewähren die französischen Gerichte ganz selbstverständlich Ersatz derartiger Schäden. 318 Die französischen Juristen bezeichnen es schlicht als Gebot der Gerechtigkeit, dass sämtliche Schäden ersetzt werden 319 – das Grundprinzip „neminem laedere“ findet hier Ausdruck in seiner reinsten Form. 320 Es weist nicht nur die Richtung, sondern bestimmt die deliktische Haftung. 321 Konkreter führen sie dies allerdings nicht aus. Auf einige Beispiele sowie den generellen Umgang der französischen Lehre und Rechtsprechung mit primären Vermögensschäden wurde bereits in der Einleitung ausführlicher eingegangen. 322 Im Folgenden soll es daher um zwei besondere Fallgruppen primärer Vermögensschäden gehen, die nach deutschem Recht ebenfalls einer ganz anderen Bewertung unterliegen wie nach französischem Recht: Den Verlust einer Chance (aa) sowie vorvertragliches Verschulden (bb). aa) Verlust einer Chance323 Ihrer Natur nach handelt es sich auch bei primären Vermögensschäden zwar grundsätzlich um ersatzfähige Schäden. Damit jedoch tatsächlich Ersatz gewährt wird, müssen die generellen Voraussetzungen an einen Schaden erfüllt sein: Er muss actuel, direct und certain sein. Gerade letzteres kann bei der Verletzung nicht-gegenständlicher Interessen Schwierigkeiten bereiten. In vielen Fällen kann nämlich nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob der Geschädigte ohne das schädigende Verhalten besser gestanden hätte. 324 Ein dommage certain ist dann an sich abzulehnen. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts hat die französische Rechtsprechung jedoch einen Weg entwickelt, trotz nicht auszuräumender Zweifel bezüglich des hypothetischen Verlaufs ohne Schadensereignis Ersatz zu gewähren: Die Gerichte stellen nicht auf den Verlust eines konkreten Vermögensvorteils ab, sondern auf die durch das Schadensereignis untergegangene Aussicht auf diesen Vorteil – es geht folglich um den Verlust
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Ständige Rechtsprechung, siehe bereits BGHZ 29, 65 (Urteil vom 9.12.1958). Cass. civ. 2 e, 8.5.1970, Bull. civ. 1970, II, Nr. 160. Siehe auch Herbots, Le „duty of care“, Nr. 1; Banakas, Economic loss, S. 17. 319 Deliyannis, Acte illicite, Nr. 14, 20 ff.; Puech, L’illicéité, Nr. 25; Lapoyade Deschamps, Préjudice économique pur, S. 90. 320 Picker, Positive Forderungsverletzung, S. 462. 321 Picker, Positive Forderungsverletzung, S. 470. 322 S. 3 ff. 323 Ausführlich zu dieser Problematik im französischen Recht u.a. Bénabent, La chance et le droit; Boré, L’indemnisation pour les chances perdues; Jourdain, Perte d’une chance, S. 109 ff.; Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 73 ff. Für eine Übersicht zur französischen Literatur siehe dens., a.a.O., S. 93, Fn. 507. Für eine Übersicht zum europäischen Privatrecht siehe Kadner Graziano, Perte d’une chance. 324 Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 22. 318
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einer Chance („perte d’une chance“). 325 Eine klassische Fallkonstellation ist etwa die, dass der Veranstalter eines Architekturwettbewerbs einen Architekten unberechtigterweise von der Teilnahme ausschließt und dieser dadurch die Möglichkeit verliert, das Preisgeld zu gewinnen. 326 Die deutsche Rechtsprechung lehnt deliktischen Schadensersatz in solchen (außervertraglichen) Fällen ab,327 was auch in der Lehre überwiegend auf Zustimmung stößt. 328 In den ersten französischen Entscheidungen zu dieser Frage ging es jeweils darum, dass der Fehler eines Gerichtsdieners (huissier) zur Unzulässigkeit einer Berufung führte; der Kläger verlor dadurch die Möglichkeit, den Prozess zu gewinnen. Direkt nach der Jahrhundertwende lehnten es die Gerichte noch ab, den Verlust einer Chance zu entschädigen, 1911 stützte die Cour de cassation einen Ersatzanspruch dann jedoch genau darauf. 329 Einige Gerichte waren
325 Savatier, Traité de la responsabilité civile II, Nr. 460 f., 523; Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 377bis; Boré, L’indemnisation pour les chances perdues, Nr. 1; Chabas, Perte d’une chance, S. 132; Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 79; Mäsch, Chance und Schaden, S. 163; Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1127; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 138; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 679; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 701. 326 CA Grenoble, 26.5.1964, RTD civ. 1964, 550, Anm. Tunc. 327 So schon das RG mit Urteil vom 9.6.1937, JW 2466: „Schadensersatz wegen schuldhafter Beeinträchtigung einer nur tatsächlichen Erwerbsaussicht (Chance). Läßt sich bei nachträglicher Beurteilung einer nicht zur Wirklichkeit gewordenen Lage in pflichtgemäßer Abwägung und vorsichtiger Ermessensausübung keine Feststellung treffen, so geht solche Unmöglichkeit, mangels ausreichender Anhaltspunkte das Ergebnis zu kennen, zum Nachteil des für die tatsächlichen Grundlagen seines Ersatzanspruchs beweispflichtigen Klägers.“ Bestätigt in BGH DRiZ 1963, 25 (Urteil vom 12.7.1962); auch BGH NJW 1983, 442 (Urteil vom 23.9.1982; rechtswidriger Ausschluss von derTeilnahme an einem Architektenwettbewerb); BGH NJW 1981, 1673 (Urteil vom 26.3.1981; Aufhebung eines Ausschreibungsverfahrens). Ablehnend Fleischer, Schadensersatz für verlorene Chancen, S. 770. 328 Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 228 f. m.w.N.; Mäsch, Chance und Schaden, S. 149 ff. m.w.N.; Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 149. Die gegenteilige Ansicht vertreten z.B. Mertens, Begriff des Vermögensschadens, S. 165, Fn. 76, für ein vernichtetes Lotterielos; Deutsch, Gefahr, S. 902; Müller-Stoy, Schadensersatz für verlorene Chancen, S. 242 ff.; oder Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Nr. 32, für verlorene Erwerbschancen; Fleischer, Schadensersatz für verlorene Chancen, S. 770, für Ausschreibungen und Wettbewerbe (im Übrigen aber ablehnend). Für einen Ersatz im deutschen Recht spricht sich auch Jansen, The idea of a Lost Chance, S. 296, aus. Insgesamt hat die Problematik in der deutschen Literatur bisher nur wenig Aufmerksamkeit gefunden, vgl. Müller-Stoy, a.a.O., S. 122; Fleischer, a.a.O., S. 766; Koziol, Schadensersatz für den Verlust einer Chance, S. 233. 329 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1889 (Cass. req., 17.7.1889, Sir. 1891, 1, 399) lehnte die Cour de cassation einen Ersatzanspruch noch ab, weil es das erstinstanzliche Urteil für rechtsfehlerfrei hielt und dieses in der Berufung nicht aufgehoben worden wäre; ähnlich auch Cass. req., 30.6.1902, D.P. 1903, 1, 569. Mäsch, Chance und Schaden, S. 164, weist jedoch darauf hin, dass sich in der Anmerkung zu dem zuletzt zitierten Urteil Bouvier schon
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im Anschluss weiterhin zurückhaltend, 330 spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte sich die perte d’une chance in der französischen Rechtsprechung jedoch.331 In der Lehre stieß dies auf keine grundlegende Kritik. 332 Im Laufe der Zeit dehnte die Rechtsprechung die perte d’une chance-Doktrin über den ursprünglich klassischen Fall des Vereitelns einer Prozesschance durch Versäumnisse oder Fehler eines Anwalts oder Gerichtsvollziehers 333 aus. Sie findet auch Anwendung wenn die Teilnahme an einem Wettbewerb verhindert wird,334 berufliche Chancen zunichtegemacht werden 335 oder der Abschluss eines gewinnbringenden Vertrages verhindert wird, 336 im Hinblick auf Heilungs-
dafür aussprach, auf die verlorene Chance des Prozessgewinns abzustellen, und dass es zudem so scheint, dass auch das Tribunal de Dijon im Jahr 1903 eine Entscheidung genau auf diese Erwägung gestützt hatte. Die Cour de cassation folgte dem schließlich in Cass. civ., 27.3.1911, D.P. 1914, 1, 225, Anm. Lalou. Zu der Entwicklung auch Boré, L’indemnisation pour les chances perdues, Nr. 3 f.; Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 95. 330 So z.B. noch in CA Rouen, 8.8.1903, D.P. 1904, 2, 175; CA Montpellier, 18.3.1930, D.P. 1930, 2, 145, Anm. Percerou; CA Paris, 24.5.1938, Gaz. Pal. 1938, 2, 468, siehe Marty/Raynaud, Obligations, Nr. 377bis; Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 22 m.w.N. in Fn. 171. 331 Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 95. Auch das Avant-projet Catala sah in Art. 1346 explizit den Ersatz verlorener Chancen vor: „La perte d'une chance constitue un préjudice réparable distinct de l'avantage qu'aurait procuré cette chance si elle s'était réalisée.“ 332 Müller-Stoy, Schadensersatz für verlorene Chancen, S. 26 ff. 333 Cass. civ. 1re, 29.4.1963, JCP 1963, II, 13226; CA Paris, 25.5.1987, D. 1987, IR, 153; Cass. civ. 1re, 16.7.1998, JCP 1998, II, 10143, Anm. Martin; Nachweise bei Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 23. 334 CA Grenoble, 26.5.1964, RTD civ. 1964, 550, Anm. Tunc: unrechtmäßiger Ausschluss aus einem Architektenwettbewerb. Häufig geht es auch darum, dass ein Pferd an einem Rennen nicht teilnehmen kann, weil sich durch das Verhalten eines Dritten der Transport verzögert hat oder das Tier verletzt oder gar getötet wurde. Die Rechtsprechung lehnte einen Ersatz zunächst ab – vgl. etwa CA Rouen, 8.8.1903, D.P. 1904, 2, 175; Tribunal de commerce de la Seine, 3.7.1913, Gaz. Pal. 1913, II, 406 –, gewährt solchen aber seit den 1970ern: Cass. civ. 2e, 4.12.1972, D. 1972, jurispr. 596, Anm Le Tourneau; Cass. civ. 2 e, 24.2.1982, D. 1982, IR, 345; Cass. crim., 6.6.1990, D. 1990, IR, 209. 335 CE, 27.5.1987, Rec CE 1987, 186; Cass. crim., 24.2.1970, D. 1970, 307; auch im Hinblick auf die Teilnahme an einem Examen: Cass. civ. 2 e, 17.2.1961, Gaz. Pal. 1961, 1, 400; Cass. civ. 2 e, 9.4.2009, Bull. civ. 2009, II, Nr. 98; oder durch eine falsche Empfehlung, siehe Bussani/Palmer, Pure economic loss, Case 18, S. 473 f. 336 Cass. civ. 2 e, 18.12.1963, Bull. civ. 1963, II, Nr. 845. Die Gerichte lehnen einen Ersatz des Schadens, der durch den Verlust der Chance, den Vertrag abzuschließen, entstanden ist, ab: Cass. civ. 3 e, 28.6.2006, JCP 2006, II, 10130, Anm. Deshayes; siehe dazu auch D. Mazeaud, Réparation des préjudices précontractuels. Näher dazu im Zusammenhang mit dem Abbruch von Vertragsverhandlungen (vorvertragliches Verschulden), unten S. 324 f.
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und Überlebenschancen 337 sowie in weiteren Situationen, die sich keiner speziellen Fallgruppe zuordnen lassen. 338 Die Cour de cassation betont deutlich, dass der Verlust einer Chance einen hinreichend gewissen Schaden darstellen kann: „L’élément du préjudice constitué par la perte d’une chance peut présenter en lui-même un caractère direct et certain, chaque fois qu’est constatée la disparition, par l’effet du délit, de la probabilité d’un événement favorable encore que, par définition, la réalisation d’une chance ne soit jamais certaine“. 339 Dabei ist allgemein einschränkend akzeptiert, dass es sich um eine „reelle und ernsthafte Chance“ handeln muss;340 konkrete Anforderungen ergeben sich aus diesem Erfordernis dennoch 337 Kann im Falle eines Behandlungsfehlers nicht festgestellt werden, dass der Patient ohne diesen überlebt hätte, stellt die Rechtsprechung darauf ab, dass ihm durch den Fehler des Arztes die Chance auf Überleben (Cass. civ. 1 re, 18.3.1969 und 27.1.1970, JCP 1970, II, 16422) oder Besserung (Cass. civ. 1re, 7.6.1989, D. 1991, 158) genommen wurde, Bénabent, Droit des obligations, Nr. 563. Die Doktrin der perte d’une chance überwindet damit auch Ungewissheiten im Hinblick auf die Kausalität zwischen einem Ereignis und dem Schaden. Dazu gleich S. 337 f. Zu diesem Anwendungsbereich auch m.w.N. Chabas, Perte d’une chance, S. 133 ff.; Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 24 ff.; Lambert-Faivre, Droit du dommage corporel, Nr. 582-2; Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 132 ff.; Mäsch, Chance und Schaden, S. 170 ff. Siehe auch Savatier, Anm. zu Cass. civ. 1re, 27.3.1973, JCP 1974, II, 17643. 338 So z.B. auch in dem Fall, in dem ein Fußballspieler durch das Einwirken eines Dritten getötet wird: CA Colmar, 20.4.1955, JCP 1955, II, 8741. Der Verein habe dadurch einen ersatzfähigen Schaden erlitten, denn er habe die Chance auf einen finanziellen Vorteil verloren (weil der Spieler entweder einen neuen Vertrag unterschrieben hätte oder der Verein von einer Ablösesumme hätte profitieren können). Siehe dazu Bussani/Palmer, Pure economic loss, Case 5, S. 241. Weiterhin hat die Cour de cassation einer Skifahrerin Ersatz dafür gewährt, dass der Skilehrer nach einem Unfall auf der Piste die Identität des Unfallverursachers nicht festgestellt hat, wodurch sie Letzteren nicht selbst in Anspruch nehmen konnte, Bull civ. 1986, I, Nr. 163 (Cass. civ. 1 re, 10.6.1986). Gleichermaßen haftet ein Börsenmakler, der einen Auftrag verspätet ausführt und dem Kunden dadurch Profitchancen nimmt, CA Paris, 13.10.1995, D. 1995, IR, 256; Mäsch, Chance und Schaden, S. 169. Für weitere Beispiele siehe Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 110. 339 Cass. crim., 9.10.1976, Gaz. Pal. 1976, I, 4; Cass. crim., 6.6.1990, JCP 1990, IV, 329; Cass. crim., 4.12.1996, JCP 1997, IV, 720. Ähnlich die Zivilkammer: „[U]n préjudice peut être invoqué du seul fait qu’une chance existait et qu’elle a été perdue“, 27.1.1970, 2 e esp., JCP 1970, II, 16422, Anm. Rabut. 340 Cass. civ. 2 e, 3.11.1971, D. 1972, J., 667; Cass. civ. 2 e, 4.5.1972, D. 1972, J., 596, Anm. Le Tourneau; Cass. civ. 2e, 1.4.1965, Bull. civ. 1965, II, Nr. 336; Cass. crim., 12.2.1979, JCP 1979, IV, 131; Stoffel-Munck, Responsabilité civile = Anm. zu Cass. civ. 1 re, 26.11.2006, JCP 2007, I, 115, Nr. 2; Cass. civ. 1 re, 22.3.2012, D. 2012, 877. Allgemein wird dies so verstanden, dass mit der Chance eine große Erfolgswahrscheinlichkeit verbunden sein musste, Cass. crim., 23.2.1977, JCP 1977, IV, 106; auch Cass. civ. 1 re, 18.7.1972, Bull. civ. 1972, I, Nr. 188: kein Ersatz für eine verlorene Prozesschance, wenn die Aussichten zu gering waren; Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 36 f.; ders., Anm. zu Cass. civ. 1re, 2.11.1983, JCP 1985, II, 20360; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 138; Großerichter,
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nicht.341 Freilich ist ein Ersatz ausgeschlossen, wenn der Geschädigte den Vorteil auch so gar nicht mehr hätte erzielen können und tatsächlich überhaupt keine Chance bestand. 342 Eine weitere Schwierigkeit besteht für den Richter darin, den Wert der Chance zu bemessen: Da es sich lediglich um den Verlust einer Chance handelte, kann es keinen vollumfänglichen Ersatz geben, sondern nur eine partielle Entschädigung. 343 Die Doktrin der perte d’une chance soll nach Ansicht einiger Juristen schließlich nicht nur angewendet werden, um über die Ungewissheit des Schadens hinwegzukommen, sondern insbesondere auch, wenn die Kausalität zwischen einem Ereignis und einem Schaden nicht eindeutig feststellbar ist. 344 Im Ergebnis erscheint das Abstellen auf den Verlust einer Chance, wie Starck/Roland/Boyer es bezeichnen, durchaus ein „Instrument der Billigkeit“ zu sein, das es dem Richter ermöglicht, dem Geschädigten zumindest einen teilweisen Ersatz zu gewähren, wenn Unsicherheit über den Schaden oder die kausale Verbindung bestehen. 345 Die Handhabung der perte d’une chanceDoktrin durch die französische Rechtsprechung zeigt zum einen anschaulich,
Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 103. Einige Gerichte begnügten sich aber auch mit geringen Erfolgsaussichten, z.B. Cass. civ. 1 re, 9.10.1976, Gaz. Pal. 1976, II, Somm., 274; Jourdain, Responsabilité civile = Anm. zu Cass. civ. 1 re, 16.1.2013, RTD civ. 2013, 380. Dazu Mäsch, Chance und Schaden, S. 165. 341 Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 103; Mäsch, Chance und Schaden, S. 165 m.w.N. 342 Cass., Ass. plén., 3.6.1988, RTD civ. 1989, 81, Anm. Jourdain; Boré, L’indemnisation pour les chances perdues, Nr. 29; Chartier, La réparation du préjudice, Nr. 37; Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 151. 343 Cass. civ. 1re, 16.7.1998, Bull. civ. 1998, I, Nr. 260: „La réparation d’une perte de chance doit être mesurée à la chance perdue et ne peut être égale à l’avantage qu’aura it procuré cette chance si elle s’était réalisée“; Cass. civ. 2 e, 9.4.2009, Bull. civ. 2009, II, Nr. 98. Wo die Teilnahme an einem Wettbewerb verhindert wird (z.B. im Fall des verletzten Reitpferdes oder des Architektenausschlusses), besteht der Ersatz nicht etwa in dem bei einem Sieg zu erwartenden Preisgeld, sondern lediglich in einer anteiligen Summe – und ist damit nach Auffassung von Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 109, zwingend willkürlich; ebenso Boré, L’indemnisation pour les chances perdues, Nr. 7 f.; Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 558; Lapoyade Deschamps, Préjudice économique pur, S. 94; Flour/Aubert/Savaux, Fait juridique, Nr. 138. Kritisch Bénabent, Droit des obligations, Nr. 679, der diese Lösung als unlogisch bezeichnet: Entweder hätte sich die Chance realisiert und dann ist der Ersatz zu gering, oder sie wäre nicht eingetreten und dann ist der Ersatz zu groß; zustimmend Starck/Roland/Boyer, a.a.O., Nr. 110. 344 Savatier, Traité de la responsabilité civile II, Nr. 460 f; Boré, L’indemnisation pour les chances perdues, Nr. 16 ff.; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 110; Lapoyade Deschamps, Préjudice économique pur, S. 93; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 701. Von besonderer Relevanz ist dies in Arzthaftungsfällen; dazu bereits oben Fn. 337. Zur Anwendung bei zweifelhafter Kausalität unten S. 337 f. 345 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 110.
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wie weit der Umfang der deliktischen Haftung im französischen Recht im Vergleich zum deutschen Recht geworden ist; zum anderen wird dadurch aber auch deutlich, dass die Gerichte das Erfordernis eines dommage certain als ein wichtiges Mittel zur Einschränkung der Haftung betrachten. bb) Vorvertragliches Verschulden Eine weitere Problematik schließlich, die im Zusammenhang mit dem Ersatz primärer Vermögensschäden relevant wird, betrifft das vorvertragliche Verschulden. Wie gezeigt, war die Einordnung des daraus resultierenden Ersatzanspruchs während des 19. Jahrhunderts in Frankreich nicht eindeutig: Einige Juristen betonten die vertragliche Natur des Anspruchs, andere stellten auf die Billigkeit ab, wiederum andere wollten die Art. 1382 f. Cc anwenden. So richtig ließ sich der Anspruch der deliktischen Haftung jedoch nicht zuordnen. 346 Auch im 20. und 21. Jahrhundert findet diese Problematik im Rahmen der Ausführungen zur deliktischen Haftung grundsätzlich keine Erwähnung; die Lehre erörtert sie nach wie vor im allgemeinen Vertragsrecht. Die Frage nach der Haftung für vorvertragliches Verschulden stellte sich zunächst zum einen im Hinblick auf die Widerrufbarkeit eines Angebots (1), zum anderen als Folge nichtiger Verträge (2). Seit einigen Jahrzehnten erörtert die französische Lehre auch den Abbruch von Vertragsverhandlungen als besonderen Fall des vorvertraglichen Verschuldens (3). (1) Widerruf eines Angebots Was die haftungsrechtlichen Folgen des Widerrufs eines Vertragsangebots betrifft, so ist nach Ansicht der meisten Autoren zu differenzieren. Hat der Anbietende eine Frist zur Annahme gesetzt, so soll ein Widerruf vor Ablauf dieser Frist unwirksam sein. Nimmt der Empfänger das Angebot an, komme ein Vertrag zustande – einer Schadensersatzpflicht bedürfe es in diesem Fall nicht. 347 Doch auch wenn der Antragende das Angebot nicht befristet habe, bedeute das nicht, dass er dieses frei widerrufen könne: Es bestehe eine Pflicht, das Angebot für eine angemessene Zeit aufrecht zu erhalten; die Länge dieser Zeit richte sich nach den Umständen sowie der Intention des Anbietenden und umfasse jedenfalls die Zeit, die für eine Übermittlung einer Antwort notwendig sei. 348 Bénabent etwa betrachtet einen Widerruf allerdings auch in diesem Fall als unwirksam und hält einen Vertragsschluss für weiterhin möglich, 349 viele andere diskutieren dagegen eine Schadensersatzpflicht: Erfolge vor Ablauf einer 346
Siehe dazu oben S. 181 ff. Bénabent, Droit des obligations, Rn. 59; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 140. 348 Schmidt, Faute précontractuelle, Nr. 20; Bénabent, Droit des obligations, Rn. 59; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 140. 349 Droit des obligations, Rn. 59; ähnlich Ripert/Boulanger, Droit civil, Nr. 329. 347
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angemessenen Zeit ein Widerruf, stelle dies eine Pflichtverletzung und eine faute dar, die bei Vorliegen eines Schadens die Haftung des Antragenden begründe. Umstritten war dabei allerdings die Grundlage dieser Haftung bzw. der Pflicht zur Aufrechterhaltung des Angebots. 350 Einige stellten in Anlehnung an Jhering auf einen mit Beginn der Verhandlungen stillschweigend geschlossenen Vorvertrag ab, aus dem die Pflicht resultiere, ein Angebot nicht ohne Grund zurückzuziehen. 351 Die Haftung sollte folglich vertraglich sein. Dies stieß jedoch auf erhebliche Kritik: Die Annahme eines solchen Vorvertrags sei pure Fiktion und von den Parteien nicht gewollt. 352 Die vertragliche Natur des Ersatzanspruchs befürworteten jedoch auch andere, und zwar mit Verweis auf eine einseitig verpflichtende Willenserklärung des Antragenden. 353 Ripert/Boulanger sprechen sich auch im Jahr 1957 noch dafür aus, wie Pothier im Traité du contrat de vente auf die Billigkeit („Nemo ex alterius facto praegravari debet …“) abzustellen. 354 Nach auch heute noch überwiegender Meinung in der französischen Literatur soll die Haftung dagegen aus den Art. 1382 f. Cc folgen und deliktisch sein. 355 Ein ähnliches Vorgehen lässt sich auch in der französischen Rechtsprechung feststellen. 356 Art. 1116 Cc2016 regelt die Frage nun explizit: Wird ein Angebot vor der vereinbarten oder einer vernünftigen Frist zurückgezogen, soll dies die außervertragliche Haftung des Anbietenden begründen. 357
350 Für eine Übersicht siehe Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 131; Colin/Capitant/de la Morandière, Traité de droit civil, Nr. 632; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 141 ff. 351 Colin/Capitant/de la Morandière, Traité de droit civil, Nr. 632; Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 161: „convention tacite de garantie“; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 131. 352 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 119. 353 Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations I, Nr. 60; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 1777. 354 Droit civil, Nr. 329. 355 Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 142 m.w.N.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 470; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 1777. Kritisch aber Colin/Capitant/de la Morandière, Traité de droit civil, Nr. 632. 356 Cass. civ., 20.6.1941, D.A. 1941, 274; CA Paris, 14.1.1947, D. 1947, 171; Cass. civ. 1re, 8.10.1958, Bull. civ. 1958, I, Nr. 413; Cass. ch. soc., 22.3.1972, D. 1972, 468. Siehe weiterhin Cass. civ., 22.1.1941, Sir. 1941, 1, 22. Amrani Mekki/Fauvarque-Cosson, D., 2006, Pan., 2638; Cass. civ. 3 e, 28.6.2006, JCP 2006, II, 10130, Anm. Deshayes. 357 Art. 1116 Cc 2016: „Elle [l’offre, S.W.] ne peut être rétractée avant l’expiration du délai fixé par son auteur ou, à défaut, l’issue d’un délai raisonnable. La rétractation de l’offre en violation de cette interdiction empêche la conclusion du contrat. Elle engage la responsabilité extracontractuelle de son auteur dans les conditions du droit commun sans l’obliger à compenser la perte des avantages attendus du contrat.“
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(2) Nichtige Verträge Die Frage nach einer Haftung für vorvertragliches Verschulden stellt sich weiterhin dort, wo eine Partei die Nichtigkeit des Vertrags oder den Grund für dessen Aufhebbarkeit verursacht: Typischerweise im Falle von Irrtümern, aber auch beim Verkauf nichtverkehrsfähiger Sachen (Unmöglichkeit) oder fremder Sachen.358 Dem Anschein nach besteht hier zwar ein Vertrag – die Parteien haben sich geeinigt; mit der Nichtigkeitserklärung ist dieser jedoch rückwirkend als nichtig anzusehen. 359 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam in der Lehre der Vorschlag auf, die Nichtigkeit ähnlich wie im römischen Recht zu verstehen: Nur die aus dem Vertrag erwachsenden Hauptleistungspflichten sollten von ihr betroffen sein. 360 Damit erschien für den Ersatzanspruch aber auch ein Rückgriff auf den (nichtigen) Vertrag möglich. Auch gegenwärtig gibt es immer wieder Stimmen, die bestimmte Pflichten aus dem Vertrag bestehen lassen wollen.361 Die Mehrheit der Lehre lehnt diese Nichtigkeitsfolge, und mangels Vertrags auch eine vertragliche Haftung ab, und stützt den Ersatzanspruch auf den Art. 1382 Cc;362 diese Lösung findet sich auch in der Rechtsprechung 363 sowie nunmehr im Art. 1178 Cc2016.364 Die faute bestehe darin, den Vertrag trotz Kenntnis oder Kennenmüssens des nichtigkeitsbegründenden Mangels abgeschlossen zu haben. 365 Erforderlich ist freilich der gute Glaube der anderen Partei; kannten beide den Mangel, was in der Regel der Fall sein wird, wenn zum Beispiel der Vertragsgegenstand gegen die öffentliche Ordnung oder die Moral
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Zum Verkauf fremder Sachen H. Mazeaud, Responsabilité délictuelle, Nr. 33. Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 161, wollte in diesem Fall den Art. 1599 Cc anwenden. 359 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 123. 360 Siehe die Nachweise bei Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 221, Fn. 159. 361 Simler, Nullité partielle. Deroussin, Culpa in contrahendo, S. 222, bezweifelt, dass das im französischen Recht, das den Vertragsschluss vom wirklichen Willen der Parteien abhängig macht, funktioniert. 362 H. Mazeaud, Responsabilité délictuelle, Nr. 29 ff.; Ripert/Boulanger, Droit civil, Nr. 765; Schmidt, Faute précontractuelle, Nr. 32; Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 336; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 373; Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 199-1. Gegen eine vertragliche Haftung sprachen sich auch Beudant/Lerebours-Pigeonnière/Rodière, Contrats et obligations 8, Nr. 275, aus. 363 Siehe z.B. Cass. civ. 3 e, 24.5.1972, Bull. civ. 1972, III, Nr. 223; Cass. ch. com., 31.3.1992, Bull. civ. 1992, IV, Nr. 145; Cass. civ. 1 re, 15.5.2005, D. 2005, 1462, Anm. Cathiard. Weitere Nachweise bei Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 199-1. 364 Art. 1178 al. 4 Cc2016: „Indépendamment de l'annulation du contrat, la partie lésée peut demander réparation du dommage subi dans les conditions du droit commun de la responsabilité extracontractuelle.“ 365 Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 373; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 730.
B. Ersatzfähiger Schaden
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verstößt, scheidet ein Ersatzanspruch aus. 366 Gleiches gilt, wenn es des Schadensersatzes nicht bedarf, um den Vertragspartner zu entschädigen, und dessen Interessen bereits durch die Nichtigkeit des Vertrages Genüge getan ist. 367 Die deliktische Begründung der Ersatzpflicht rief in der Vergangenheit jedoch nicht nur Zustimmung hervor. Planiol/Ripert/Esmein lehnten sie insbesondere deshalb ab, weil danach auch Geschäftsunfähige Ersatz leisten müssten, die vertraglich nicht haften würden. 368 Jherings Grundsätze zur culpa in contrahendo fanden auch in der französischen Lehre Anhänger; 369 nach anderen sollten die Regeln über die vertragliche Haftung zumindest analog angewendet werden.370 Vor allem Huet übte scharfe Kritik an der Anwendung der deliktischen Haftung in diesen Fällen.371 (3) Abbruch von Vertragsverhandlungen Seit einigen Jahrzehnten diskutiert die französische Lehre auch den Abbruch von Vertragsverhandlungen explizit als Unterfall des vorvertraglichen Verschuldens. 372 Die Vertragsfreiheit gebiete, dass es auch nach der Aufnahme von Vertragsverhandlungen grundsätzlich jeder Partei freistehe, den Abschluss eines Vertrages abzulehnen oder die Verhandlungen zu beenden. 373 Allerdings seien in diesem Fall auch die Interessen der anderen Partei zu berücksichtigen, was für die eigene Freiheit gewisse Beschränkungen mit sich bringe: Während der Verhandlungen gelten der Grundsatz von Treu und Glaube und eine Pflicht 366 H. Mazeaud, Responsabilité délictuelle, Nr. 29; Ripert/Boulanger, Droit civil, Nr. 765; Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 175. 367 Dies ist anders im Fall der arglistigen Täuschung, bei der immer Entschädigung zu leisten ist: Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 448; Bénabent, Droit des obligations, Rn. 84, 90. 368 Obligations, Nr. 131. 369 Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations I, Nr. 60: „Nous préférons appliquer ici la théorie de Ihering sur la culpa in contrahendo. Quand l’acheteur est entré en pourparlers avec le vendeur en vue de traiter, il s’est par là-même engagé à répondre envers lui de la faute qu’il commettrait relativement à la formation du contrat, et cette faute doit être appréciée comme celle dont il est responsable en vertu de ce contrat“; Colin/Capitant/de la Morandière, Traité de droit civil, Nr. 790: „On doit admettre également que le contractant de bonne foi peut, à titre de dommages-intérêts, conserver une partie des profits du contrat, si le vice de nullité est imputable à l’autre partie; c’est l’application de la culpa in contrahendo.“ Siehe dazu auch Kuonen, Responsabilité précontractuelle, Rn. 504 ff., sowie Procchi, Culpa in contrahendo, S. 371 ff. 370 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 947. 371 Huet, Responsabilité. 372 Siehe dazu Schmidt, Faute précontractuelle, Nr. 7. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts sprachen sich Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 120, sowie Demogue, Obligations I, Nr. 33, für eine Anwendung der deliktischen Haftung aus. 373 Bénabent, Droit des obligations, Rn. 63; Ghestin, Rupture abusive des pourparlers, Nr. 13; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 148.
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zu Loyalität. 374 Werde gegen diese verstoßen, liege eine faute vor, die die deliktische Haftung begründe. 375 Dies sei insbesondere der Fall beim Handeln in Schädigungsabsicht oder der künstlichen Verlängerung der Verhandlungen ohne Willen zum Vertragsschluss. 376 Erforderlich sei dabei, dass sich die Verhandlungen schon in einem fortgeschrittenen Zustand befanden. 377 Bei dem Abbruch der Vertragsverhandlungen handele es sich dann um einen Fall des Rechtsmissbrauchs. 378 Das Beweisen einer faute erwies sich jedoch in der Praxis als sehr schwierig, da die Verhandlungen häufig nur mündlich stattgefunden hatten und schädigende Absichten nicht nachgewiesen werden konnten. 379 Seit den 1970er Jahren zieht die Rechtsprechung daher vermehrt objektivere Kriterien wie die Dauer der Verhandlungen, die Art und Weise des Abbruchs oder dessen Begründung heran.380 Zu fragen sei, ob die Partei legitime Erwartungen oder Vertrauen getäuscht habe. 381 Entscheidend für die Gerichte ist zudem, ob es für den Abbruch der Verhandlungen ein legitimes Motiv gab. 382 Im Hinblick auf den Abbruch von Vertragsverhandlungen stellt sich weiterhin die Frage, welche Schäden ersatzfähig sind. Ersatz gibt es ganz unstreitig für Aufwendungen, die im Zuge der Verhandlungen entstanden und durch den Abbruch vergeblich geworden sind. 383 Nicht ersetzt wird dagegen der Verlust der Chance auf Gewinne, die der Abschluss des Vertrags erhoffen ließ. Mit Urteil vom 28.6.2006 hat die dritte Zivilkammer der Cour de cassation die Ersatzfähigkeit solcher Schäden abgelehnt: Es fehle an einer faute sowie an der Kausalität zwischen dem Abbruch der Verhandlungen und dem entstandenen 374 Schmidt, Faute précontractuelle, Nr. 11; Bénabent, Droit des obligations, Rn. 63; Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 197-1; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 464. So nun auch explizit in Art. 1112 Cc 2016: „Ils doivent impérativement satisfaire aux exigences de la bonne foi.“ 375 Sowohl die Lehre als auch die Rechtsprechung gehen von einer deliktischen Haftung aus, Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 1776; Ghestin, Rupture abusive des pourparlers, Nr. 3; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 148; Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 197-1. 376 Schmidt, Faute précontractuelle, Nr. 10; Bénabent, Droit des obligations, Rn. 63; D. Mazeaud, Réparation des préjudices précontractuels, Nr. 9; Ghestin, Rupture abusive des pourparlers, Nr. 21 ff. 377 Ghestin, Rupture abusive des pourparlers, Nr. 29. Siehe auch Malaurie/Aynès/StoffelMunck, Obligations, Nr. 464: „schlagartige Kehrtwendung nach langen Verhandlungen, die einen Vertragsschluss erwarten ließen“. 378 So insbesondere Ghestin, Rupture abusive des pourparlers, Nr. 3 ff. m.w.N. auch zu anderen Ansichten; Bénabent, Droit des obligations, Rn. 63. 379 Bénabent, Droit des obligations, Rn. 63. 380 Ausführlich dazu Chauvel, Anm. zu Cass. ch. com., 7.1.1997 und 22.4.1997, D. 1998, 45 m.w.N.; Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 197-1. 381 Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 197-1. 382 Ghestin, Rupture abusive des pourparlers, Nr. 14, 26 ff.: Daran zeige sich, dass es hier um eine Frage des Rechtsmissbrauchs gehe. 383 Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 148.
B. Ersatzfähiger Schaden
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Schaden.384 Der Abbruch als solcher stelle grundsätzlich keine faute dar, da keine Pflicht zum Vertragsschluss bestehe, sondern vielmehr ein Recht, die Verhandlungen jederzeit einseitig zu beenden. 385 Werde beim Abbruch eine faute begangen, sei diese jedoch nicht cause für die aus dem Verlust der Chance resultierenden Schäden, sondern nur für die Kosten, die für die Verhandlung aufgewendet wurden. 386 Art. 1112 Cc2016 betont einerseits die Freiheit, vorvertragliche Verhandlungen abzubrechen. Werde bei den Verhandlungen eine faute begangen, sei Schadensersatz zu leisten; dieser umfasse jedoch nicht die Erwartungen, die mit dem nicht geschlossenen Vertrag verbunden waren. 387 Die Natur der Haftung präzisiert das Gesetz an dieser Stelle nicht. 388 2. Entwicklung einschränkender Kriterien Prinzipiell ergeben sich aus dem Schaden damit nach aktueller Lage a priori keine Beschränkungen der Haftung: Sowohl die Rechtsprechung als auch die Lehre gehen von einem sehr weiten und offenen Begriff aus. Auch die Schwere der Verletzung oder die Höhe des Schadens spielen dabei grundsätzlich keine Rolle.389 Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für bestimmte Fälle sehr wohl Einschränkungen gibt. So entspricht es beispielsweise ständiger Rechtsprechung, dass bei nachbarlichen Streitigkeiten eine gewisse Intensität erforderlich und nicht jeder Schaden ersatzfähig ist. Entscheidend ist hier, dass die Beeinträchtigungen „anormal“ sind oder „die unter Nachbarn gewöhnlichen Beschwerlichkeiten übersteigen“. Dabei handelt es sich jedoch um spezielle Anforderungen, die der besonderen Natur derartiger Fälle geschuldet
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Bull. civ. 2006, III, Nr. 164: „… une faute commise dans l'exercice du droit de rupture unilatérale des pourparlers précontractuels n'est pas la cause du préjudice consistant da ns la perte d'une chance de réaliser les gains que permettait d'espérer la conclusion du contrat“. So bereits zuvor Cass. ch. com., 26.11.2003, D. 2004, Jur. 869, Anm. Dupré-Dallemagne. Bestätigt in Cass. civ. 3 e, 7.1.2009, Bull. civ. 2009, III, Nr. 5. 385 Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 148. 386 D. Mazeaud, Réparation des préjudices précontractuels, Nr. 5; Flour/Aubert/Savaux, Acte juridique, Nr. 148. Damit für den Verlust der Chance Ersatz verlangt werden kann, muss der Geschädigte beweisen, dass der Abbruch der Verhandlungen selbst eine faute konstituiert und diese für den Schaden kausal ist: D. Mazeaud, a.a.O., Nr. 9. 387 Art. 1112 Cc 2016: „L'initiative, le déroulement et la rupture des négociations précontractuelles sont libres. Ils doivent impérativement satisfaire aux exigences de la bonne foi. En cas de faute commise dans les négociations, la réparation du préjudice qui en résulte ne peut avoir pour objet de compenser la perte des avantages attendus du contrat non conclu.“ 388 Art. 1112-2 Cc2016 verweist für den Gebrauch oder die Verbreitung von vertraulichen Informationen, die während der Verhandlungen erlangt wurden, ebenfalls nur auf die Voraussetzungen der „responsabilité dans les conditions du droit commun“. 389 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 248-1.
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sind.390 In anderen Situationen verzichtet die Rechtsprechung dagegen nun darauf, eine bisher geforderte besondere Schwere zu verlangen. 391 In der Lehre gab es demgegenüber immer wieder Vorstöße, die darauf zielten, den Begriff des Schadens deutlicher zu begrenzen. Ausgangspunkt war dabei die Überlegung, dass der Schaden nicht rein tatsächlich bestimmt werden sollte, sondern juristisch gefasst werden müsse. 392 Begrifflich sollten die Ausdrücke dommage und préjudice unterschieden werden: Während ersterer die Verletzung als solche meine, seien unter letzterem die aus einer Verletzung folgenden Konsequenzen zu verstehen. 393 Ginge es nach Borghetti, sollte dies auch gesetzlich klargestellt werden: Auf diese Weise würde auch deutlich gemacht, dass nicht jede tatsächliche Beeinträchtigung einen rechtlich ersatzfähigen Schaden begründe.394 Für eine weitere Differenzierung könnte vor allem eine Hierarchisierung der verletzten Interessen sorgen. Ein weiteres Argument gegen den Ersatz primärer Vermögensschäden lautet nämlich, dass das Recht nicht alle Interessen umfassend schützen kann; 395 dann müsse es aber den höherwertigeren Interessen wie dem Leben, der körperlichen Unversehrtheit und dem Eigentum Vorrang einräumen, und das Vermögen als solches müsse dahinter zurücktreten. 396 Bereits Starck sprach sich Mitte des 20. Jahrhunderts in seiner théorie de la garantie für eine unterschiedliche Behandlung je nach Natur des verletzten Interesses aus: Das Leben, die körperliche Unversehrtheit sowie die materielle Unversehrtheit der uns gehörenden Gegenstände betrachtete er als besonders geschützt und jedem garantiert. 397 Nur bei einer Verletzung nicht besonders geschützter Interessen – bei reinen Vermögensschäden oder moralischen Schäden – sollte es auf das Feststellen einer faute ankommen, denn diese Schäden seien nur gewöhnliche Folgen der Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit. 398 In ähnlicher Weise sprachen sich auch andere Juristen für einen differenzierten 390 Ausführlich zu dieser Problematik Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 593 ff.; Chartier, Réparation du préjudice, Nr. 92 ff. 391 So etwa für ästhetische Beeinträchtigungen oder eine Verletzung des Affektionsinteresses (siehe oben Fn. 308), Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 248-1. 392 So insbesondere Pradel, Préjudice, Nr. 19 ff. 393 Borghetti, Intérêts protégés, S. 149 m.w.N. in Fn. 14; Bary, L’influence des droits subjectifs, Nr. 97; Calfayan, Notion de préjudice, S. 7, 26 ff. m.w.N.; Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 133; Le Tourneau, Droit de la responsabilité, Nr. 1305; zu den Befürwortern einer solchen Unterscheidung auch Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 697, Fn. 1. Für eine synonyme Verwendung dagegen Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1121. 394 Borghetti, Intérêts protégés, S. 149 ff., 154 f., der auch auf ein Urteil verweist, S. 166 f., Fn. 83, in dem die Cour de cassation die Ersatzfähigkeit eines Schadens verneinte. 395 Bussani/Palmer, The notion of pure economic loss, S. 21 f.; Picker, Forderungsverletzung, S. 460 ff., 470. 396 Bussani/Palmer, The notion of pure economic loss, S. 21 f. 397 Starck, Responsabilité civile, S. 47 ff., 79 ff. 398 Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 72, 74; siehe auch oben Fn. 22.
B. Ersatzfähiger Schaden
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Schutz aus. 399 Für spezielle Einzelfälle hat dies in den letzten Jahren bereits gesetzgeberischen Ausdruck gefunden, 400 und auch die jüngsten Reformprojekte sahen entsprechende Regelungen vor. 401 IV. Zwischenergebnis zum ersatzfähigen Schaden Das Erfordernis des Schadens hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zur zentralen Voraussetzung der deliktischen Generalklausel entwickelt und die faute
399 Viney, Responsabilité civile = Anm. zu Cass. civ. 2 e, 27.5.1999, JCP 2000, I, 197, Nr. 6: „… la responsabilité civile n’est pas faite pour réparer intégralement tous les dommages imaginables, mais pour répondre à une demande sociale de compensation qui est plus ou moins impérieuse et plus ou moins légitime selon la nature de l’intérêt atteint et la gravité du préjudice. Nier cette gradation des attentes sociales n’est ni juste ni réaliste, du point de vue économique“; zustimmend auch Borghetti, Intérêts protégés, S. 159, 166 ff., der auch diskutiert, ob für bestimmte Schadensarten prinzipiell ein Ersatz abgelehnt werden sollte; für eine Stärkung des Ersatzes körperlicher Schäden auch Pradel, Préjudice, Nr. 336. Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 639 f., spricht sich dafür aus, die Haftung für die Verletzung nicht-gegenständlicher Interessen einzuschränken. Pradel, a.a.O., Nr. 151, befürwortet zudem eine Wiedereinführung des Erfordernisses eines rechtlich geschützten legitimen Interesses. 400 Vgl. Loi n° 85-677 du 5 juillet 1985 tendant à l'amélioration de la situation des victimes d'accidents de la circulation et à l'accélération des procédures d'indemnisation, JORF du 6 juillet 1985, S. 7584: In Art. 3 und 5 statuiert das Gesetz unterschiedliche Bestimmungen für Verletzungen des Körpers und von Sachen: Nur im letzteren Fall kann eine faute des Geschädigten zu einer Verkürzung oder gar einem Ausschluss des Entschädigungsanspruchs führen. Dazu Lapoyade Deschamps, Préjudice économique pur, S. 101. Besondere Regelungen für Verletzungen des Körpers sowie Sachbeschädigungen statuieren zudem die Bestimmungen über die Produkthaftung, die sich nun in den Art. 1245–1245.17 Cc2016 finden. 401 Vgl. Art. 1351 Avant-projet Catala: „L’exonération partielle ne peut résulter que d’une faute de la victime ayant concouru à la production du dommage. En cas d’atteinte à l’intégrité physique, seule une faute grave peut entraîner l’exonération partielle.“ Nur ein schweres Eigenverschulden des Geschädigten begründet eine teilweise Entlastung des Schädigers. Dazu auch Borghetti, Intérêts protégés, S. 167 f. Eine strengere Haftung im Fall von Körperverletzungen statuierte auch das unter der Leitung von François Terré 2008 veröffentlichte Reformprojekt: Art. 20 etwa ordnete eine strikte Haftung des gardien für Verletzungen der physischen und psychischen Unversehrtheit an; ebenfalls sollte eine Unvorsichtigkeit der geschädigten Person nur bei derartigen Verletzungen keine Auswirkungen auf den Ersatzanspruch haben (Art. 53: „Sauf en cas d’atteinte à l’intégrité physique ou psychique de la personne, le juge pourra réduire les dommages et intérêts lorsque le demandeur n’aura pas pris les mesures sûres et raisonnables propres à limiter son préjudice“), Terré, Réforme, S. 1 ff. In einem Bericht vom 15.7.2009 hat die zu dieser Zeit für die Reform des Haftungsrechts zuständige Gesetzgebungskommission die Notwendigkeit eines besseren Ersatzes im Falle von Körperverletzungen betont: , abgerufen am 19.6.2017.
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damit gewissermaßen verdrängt. 402 Besondere Anforderungen an die Ersatzfähigkeit des Schadens gibt es dabei kaum: Die allgemein anerkannten Kriterien – der Schaden muss actuel, direct und certain sein – führen nur zum Ausschluss ganz entfernt liegender oder hypothetischer Fälle. Wie die Entwicklung der perte d’une chance-Doktrin zeigt, findet die Rechtsprechung aber trotzdem Wege, auch bei erheblichen Unsicherheiten über das Vorliegen einzelner Voraussetzungen Ersatz zu gewähren. Im Übrigen gelten keine Beschränkungen hinsichtlich der Natur des Schadens. Gleiches gilt auch für den Kreis der ersatzberechtigten Personen. Entstand ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts der Eindruck, als setze ein Schaden eine Rechtsverletzung voraus, so änderte sich dies nur wenige Jahrzehnte später. Die Darstellung hat gezeigt, in welchem Kontext die Rechtsprechung das Erfordernis eines legitimen rechtlich geschützten Interesses entwickelt hat: Es diente dazu, nicht gewollte Ansprüche der Geliebten auszuschließen. Die Richter konnten auf diese Weise ihre moralischen Wertungen in die Rechtsanwendung einfließen lassen. 403 Trotz der allgemeinen Formulierung war damit jedoch keine generelle Beschränkung der Haftung intendiert. Das Erfordernis eines legitimen rechtlich geschützten Interesses wirkt auf den ersten Blick zwar wie eine Begrenzung im Sinne von § 823 I BGB; ein derartiges Verständnis war damit aber nicht verbunden. Die Entwicklung zeigt vielmehr, dass die Rechtsprechung es lediglich mit Blick auf eine bestimmte Situation eingeführt hatte – und davon schon nach kurzer Zeit wieder abrückte, als erkennbar wurde, dass sie damit eine nicht beabsichtigte, allgemein anwendbare haftungsbeschränkende Voraussetzung geschaffen hatte. Der Schaden sollte unabhängig von einer Rechtsverletzung bestehen. Mit der Anerkennung der concubinage entfiel schließlich die Situation, aus der dieses Erfordernis resultierte. Aus Sicht des Geschädigten stellt sich die offene Formulierung und Auslegung des Schadens freilich als sehr vorteilhaft dar: Sämtliche Schäden sind danach prinzipiell ersatzfähig, was das französische Recht sehr flexibel macht, denn auch neu auftretende Schadensarten bereiten keine Probleme. 404 Auf der
402 Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf, S. 75, weist darauf hin, wie die Stellung des Schadens auch bei Carbonnier, Obligations, Überschrift vor Nr. 199, zum Audruck kommt: „Le dommage causé à autrui comme source d’obligation“. Ähnlich sehen Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 247, oder Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 647 ff., 667, den Ursprung der haftungsrechtlichen Beziehung im Schaden. 403 H. Mazeaud, Intérêt légitime, S. 39. 404 Viney, Principe général, Nr. 5.
C. Kausalität
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anderen Seite empfinden viele Juristen diese weite Auslegung in einigen Bereichen als zu exzessiv; 405 auch der Richter kann dies bei der offenen Formulierung des Art. 1382 Cc nicht weiter eingrenzen. 406 Die vielfach geforderte Hierarchisierung der verletzten Interessen ist so nicht möglich. 407
C. Kausalität C. Kausalität
Die Faute und der Schaden bilden zwar die zentralen Voraussetzungen der deliktischen Haftung, ihr Vorliegen allein genügt jedoch nicht zur Begründung einer Ersatzpflicht. Erforderlich ist weiterhin ein kausaler Zusammenhang, ein lien de causalité, zwischen beiden, bzw. genauer: zwischen dem fait générateur und dem Schaden. Art. 1382 Cc lässt deutlich die Notwendigkeit einer solchen Verbindung erkennen („Tout fait quelconque de l'homme, qui cause à autrui un dommage …“; eigene Hervorhebung). Gleichwohl kam der Kausalität auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine eigenständige Bedeutung zu. Ähnlich wie beim Schaden diskutierte die französische Lehre auch diese Voraussetzung nicht näher, es finden sich – wenn überhaupt – lediglich kurze und vereinzelte Ausführungen. 408 Dabei betrachtete die Lehre den kausalen Zusammenhang lange Zeit nicht als selbstständige Haftungsvoraussetzung, 409 sondern zog ihn zur Bestimmung des Schadens – dieser musste ja direct et certain sein410 – und des Umfangs der Ersatzpflicht heran. 411 Ausschlüsse der Haftung durch höhere Gewalt (force majeure) oder Zufall (cas fortuit) behandelte ein Teil der Lehre im Rahmen der Zurechenbarkeit (imputabilité).412 Erst 405 Borghetti, Intérêts protégés, S. 148, spricht von der „dissolution progressive du préjudice en droit français“ (mit Verweis auf Cadiet, Métamorphoses, S. 37) und betont die Notwendigkeit einer Beschränkung; Viney, Principe général, Nr. 10. 406 Viney, Principe général, Nr. 12, 15. 407 Viney, Principe général, Nr. 12. 408 Siehe etwa Planiol, Droit civil3, Nr. 869; Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 305. Bei Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 446, findet sich im Jahr 1920 lediglich ein einziger Halbsatz, ohne nähere Erläuterung, im Rahmen der imputabilité: „On ne peut donc attribuer le caractère de quasi-délits, … à des actes qui ne sont pas imputables à leur auteur … soit parce que ces actes ont été le résultat d’un cas fortuit ou d’une force majeure.“ 409 Die französischen Juristen betrachteten nur den Schaden und die faute als Elemente der deliktischen Haftung, siehe z.B. Demolombe, Code Napoléon, Nr. 465; Colin/Capitant, Droit civil français1, S. 361; Saleilles, Théorie générale de l’obligation, Nr. 305. 410 Siehe dazu oben S. 302 sowie die gleich folgenden Ausführungen. 411 Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 104 ff.; Demolombe, Code Napoléon, Nr. 671 ff.; Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2880; weitere Nachweise bei Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 7, Fn. 45. 412 Colin/Capitant, Droit civil français 1, S. 3; ebenso Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français5, § 446 (siehe oben Fn. 408). Ähnlich auch Demolombe, Code Napoléon, Nr. 481 ff. Zu den Ausschlussgründen unten S. 338 f.
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
im Laufe der letzten hundert Jahre änderten sich einerseits die Einordnung und die Bedeutung des kausalen Zusammenhangs, andererseits aber auch der Bezugspunkt der Kausalität (I.). Die Lehre und die Rechtsprechung verfolgen ganz unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit dieser unbestimmten Haftungsvoraussetzung (II.). Während für den Geschädigten insbesondere die Beweislast und Kausalitätsvermutungen von Interesse sind (III.), spielen für den Schädiger die Ausschlussgründe der Kausalität eine große Rolle (V.). Für große Diskussion sorgt die Frage, ob auch die perte d’une chance-Doktrin im Rahmen der Kausalität Anwendung finden kann (IV.). I. Bezugspunkte der Kausalität Nach traditionellem Verständnis (Domat, Pothier) musste der eingetretene Schaden eine notwendige Folge der Handlung verkörpern. 413 Fehlte dieser enge Bezug, erschien der Schaden also viel zu weit entfernt von der Handlung des Schädigers, kam für die Folge nur eine andere Ursache in Betracht. 414 Gesetzlich verankert fand sich dieser Gedanke von 1804–2016 in Art. 1151 Cc, nun in Art. 1231-4 Cc2016.415 Ein Bezug auf diese Vorschrift erscheint auf den ersten Blick problematisch, betrifft sie doch die arglistige Nichterfüllung eines Vertrages. Gleichwohl ist damals wie auch heute in der französischen Lehre ganz allgemein anerkannt, dass der dort statuierte Grundsatz auch für die deliktische Haftung gilt: 416 Nur unmittelbare und direkte Folgen sind vom Schadensersatz erfasst. Darunter fallen jedoch auch Schäden, die erst nach einiger Zeit entstehen, aber auf das schädigende Verhalten zurückzuführen sind, wie etwa eine
413
Siehe dazu auch Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 5 f. Domat, Loix civiles, II, 8, 4, Nr. 3: „S’il arrive quelque dommage par une suite imprévue d’un fait innocent, sans qu’on puisse imputer de faute à l’autheur de ce fait; il ne sera pas tenu d’une telle suite. Car cet évènement aura quelqu’autre cause jointe à ce fait, soit l’imprudence de celuy qui aura souffert le dommage, ou quelque cas fortuit. Et c’est ou à cette imprudence, ou à ce cas fortuit que le dommage doit être imputé.“ Pothier, Traité des obligations, I, 2, 3, Nr. 167: „La règle qui me paraît devoir être suivie en ce cas, est „qu’on ne doit pas comprendre dans les dommages et intérêts dont un débiteur est tenu pour raison de son dol, ceux qui non-seulement n’en sont qu’une suite éloignée, mais qui n’en sont pas une suite nécessaire, et qui peuvent avoir d’autres causes“.“ 415 „Dans le cas même où l'inexécution du contrat résulte d'une faute lourde ou dolosive, les dommages et intérêts ne comprennent que ce qui est une suite immédiate et directe de l'inexécution.“ [eigene Hervorhebung] 416 So bereits Pothier, Traité des obligations, I, 2, 3, Nr. 168, der den Grundsatz selbst im Rahmen der vertraglichen Haftung erörtert; Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 105: „Pour notre compte, nous n’hésitons point à adopter ici la règle tracée par l’article 1151 du Code civil. Ainsi, les dommages-intérêts qui sont dus à raison d’un délit qualifié doivent comprendre … tout ce qui est une suite immédiate et directe du délit, et pas autre chose.“ BaudryLacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2880; Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1129; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 348 m.w.N. 414
C. Kausalität
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Verschlimmerung des Zustands. 417 Dass es sich dabei genau genommen lediglich um eine indirekte Folge handelt, steht der Kausalität nicht entgegen – nach der Rechtsprechung liegt ein „dommage directe“ immer dann vor, wenn er eine notwendige Folge bildet. 418 Ebenso bejaht die Rechtsprechung den kausalen Zusammenhang grundsätzlich bei den victimes par ricochet, und lehnt nur in seltenen Fällen einen Ersatzanspruch mangels Kausalität ab. 419 Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte langsam eine Abkehr von dem traditionellen Verständnis. Entscheidend sollte nicht mehr sein, dass der Schaden eine notwendige Folge der Handlung bildete, sondern dass die Handlung eine notwendige Ursache des Schadens war.420 II. Auslegung in Lehre und Rechtsprechung Genau wie für die faute und den Schaden enthält der Code civil auch für die Kausalität keine gesetzliche Definition. Im Gegensatz insbesondere zur faute ist es jedoch weder der Lehre noch der Rechtsprechung bisher gelungen, eine mehrheitlich akzeptierte Definition der Kausalität aufzustellen. Viele Autoren halten dies für schwierig oder sogar unmöglich, 421 andere bezweifeln ganz generell den Wert einer wissenschaftlichen Annäherung. 422 Maßgeblich zu dieser Einstellung der Lehre hat vor allem das Vorgehen der Rechtsprechung beigetragen: Die Gerichte stützen sich zur Feststellung der Kausalität nicht auf den wissenschaftlichen, theoretischen Diskurs, sondern urteilen im Einzelfall nach den jeweiligen praktischen Erfordernissen: 423 Statt konkreter Theorien gehe es in der Praxis mehr um Billigkeit,424 gesunden Menschenverstand 425 und Gefühl.426
417
Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 359. Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 570. 419 Ausführlich dazu oben S. 312 f. sowie Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 304 ff. 420 Dies bringt bereits Sourdat, Responsabilité civile, Nr. 106, zum Ausdruck: „… [L‘] article 1151 n’exige pas que le dommage soit la conséquence nécessaire du délit …, il veut seulement qu‘il en soit une suite immédiate et directe, c’est-à-dire qu‘il ait sa cause efficiente et principale dans le délit“. Siehe dazu auch Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 6. 421 Planiol, Droit civil, Nr. 869; Ripert, Note in D. 1945, 237, spricht von einem „problème général qui est peut-être insoluble“ (zitiert nach Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 335). Weitere Verweise bei Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 1 f. 422 Demogue, Obligations VI, Nr. 271; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 1060. 423 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 4 m.w.N. 424 So auch schon Demolombe, Code Napoléon, Nr. 684. 425 Demogue, Obligations VI, Nr. 271; Starck/Roland/Boyer, Obligations, Nr. 1060. Kritisch Fagnart, Plaidoyer pour l’équivalence des conditions, S. 3. 426 P. Esmein, Nez de Cléopâtre, Nr. 1: „… c’est par sentiment que les juges décident si la réalisation d’un dommage est une conséquence trop imprévisible d’un acte pour que son auteur en soit responsable“; Nr. 7. 418
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1. Ansätze der Lehre In der Lehre finden sich gleichwohl verschiedene Ansätze zur Ausfüllung des unbestimmten Begriffs der Kausalität. Häufig haben diese ihre Ursprünge im deutschen Rechtskreis. 427 a) Äquivalenztheorie Nach der Äquivalenztheorie sind sämtliche Handlungen als kausal für den entstandenen Schaden zu betrachten, die eine notwendige Bedingung für den Schadenseintritt bilden (conditio sine qua non). Zu fragen sei, ob die betreffende Handlung hinweggedacht werden könne, ohne dass der Schaden in seiner konkreten Form entfiele. 428 Sei dies der Fall, liege kein kausaler Zusammenhang vor. Wie es die Bezeichnung der Theorie bereits erkennen lässt, werden dabei alle Handlungen und Ursachen als gleichwertig betrachtet.429 Nach der Äquivalenztheorie können folglich eine Vielzahl von Handlungen kausal sein.430 Zu Problemen führte dieser Ansatz in der französischen Rechtswissenschaft mit dem Aufkommen der objektiven Haftung und der Risikotheorien: Eine Anwendung der Äquivalenztheorie führt in diesen Fällen zu einer äußerst weiten Haftung (mangels Erforderlichkeit einer faute galten für das Verhalten keine besonderen Anforderungen 431), was die Notwendigkeit einschränkender Ansätze begründete.432 b) Adäquanztheorie Zur Einschränkung dient insbesondere die Adäquanztheorie. Nach dieser sind nur solche Handlungen als kausal anzusehen, die nach gewöhnlichem Verlauf der Ereignisse den Schaden herbeiführen würden. Es ist folglich rückblickend zu fragen, ob nach der allgemeinen Lebenserfahrung unter den gegebenen Um-
427
Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 8; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 338. Aufgrund der Übereinstimmung mit den im deutschen Recht sowie anderen europäischen Rechtsordnung vertretenen Theorien erfolgt an dieser Stelle nur eine überblicksartige Darstellung. 428 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 11; Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 157; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 339; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 92. 429 Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 566; Fagnart, Plaidoyer pour l’équivalence des conditions, S. 4. 430 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 344. 431 Zu objektiver Haftung und Risikotheorien oben S. 262 ff. 432 Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 159; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 92.
C. Kausalität
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ständen ein bestimmtes Verhalten gewöhnlich den eingetretenen Schaden hervorruft.433 Entscheidend sind damit die Wahrscheinlichkeit und die objektive Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts. 434 Die Adäquanztheorie ist folglich deutlich enger als die Äquivalenztheorie, denn nach ihr sind alle Handlungen ausgeschlossen, die normalerweise nicht den eingetretenen Schaden erwarten lassen.435 Kritisiert wird jedoch, dass es durch das Abstellen auf die Vorhersehbarkeit und die Wahrscheinlichkeit der Schadensherbeiführung zu einer Vermischung von faute und causalité komme.436 c) Proximité des causes; conséquence immédiate In der Lehre gibt es daneben vereinzelte Stimmen, die von den notwendigen Bedingungen nur diejenige als kausal betrachten wollen, die dem Schadenseintritt zeitlich am nächsten stand und diesem unmittelbar vorgelagert war (causa proxima; conséquence immédiate; teilweise wird auch auf die causalité efficiente abgestellt).437 In der Literatur stießen diese Ansätze auf große Kritik und Ablehnung, 438 in der Rechtsprechung sind sie jedoch durchaus zu finden. 439 2. Vorgehen der Rechtsprechung Während sich die Mehrheit der französischen Juristen für eine Anwendung von Äquivalenz- oder Adäquanztheorie ausspricht, 440 lässt sich die Haltung der Rechtsprechung weitaus weniger klar feststellen. a) Ausgangspunkt: ein weites Verständnis Bisher haben sich die Gerichte in den Urteilen weder theoretisch mit den einzelnen Ansätzen auseinandergesetzt, noch die Entscheidungen ausdrücklich
433 Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 158; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 860; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 93. 434 Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 566. 435 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 344. Viele betrachten sie als „willkommene Eingrenzung“ der Äquivalenztheorie, siehe Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 9. 436 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 344. Siehe zur Kritik gegen die Adäquanztheorie in der Lehre auch Berg, Influence du droit allemand, Nr. 22 f. m.w.N. 437 Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 566; Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1132; Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 14; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 340. 438 So z.B. bei Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 160. 439 Dazu gleich S. 334 ff. 440 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 341; ähnlich Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 8 f.
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auf die eine oder andere Theorie gestützt. 441 Zahlreiche Autoren haben versucht, die Haltung der Gerichte durch eine Untersuchung der Entscheidungen zu ermitteln – und kamen dabei zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen: Einige wollen eine Präferenz für die Äquivalenztheorie ausmachen,442 andere für die Adäquanztheorie,443 wiederum andere sehen ein gemischtes Vorgehen. 444 Ein klares Bild lässt sich jedoch nicht erkennen – für jeden Vorschlag lassen sich jeweils auch eine Reihe von Gegenbeispielen anführen. 445 Insgesamt ist aber festzustellen, dass die Gerichte die Kausalität grundsätzlich sehr weit fassen und sehr liberal veranlagt sind. b) Einschränkungen Wo es jedoch opportun erscheint, scheuen sie sich auch nicht vor dem Rückgriff auf einschränkende Kriterien: 446 aa) Bestimmung nach dem Grad der faute So ist zum einen zu beobachten, dass die Gerichte die Kausalität bei mehreren zum Schaden führenden Handlungen in einigen Fällen nach dem Grad der jeweils vorliegenden faute bestimmen: Der Kausalitätszusammenhang wird nur für die schwere faute bejaht, nicht dagegen für die deutlich leichtere. 447 Verursacht etwa jemand mit einem gestohlenen Auto einen Unfall, so betrachtet die Rechtsprechung nur die faute des Diebes als kausal, nicht dagegen auch die des Eigentümers des Autos, der es fahrlässig versäumt hatte, das Auto zu verschließen und dadurch den Diebstahl überhaupt erst ermöglicht hatte. 448
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Siehe etwa die Ausführungen bei Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1129. Siehe die zahlreichen Nachweise bei Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 9, Fn. 62. 443 Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 566; Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 159; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 860. 444 Nach Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 345 ff., sind zwei Schritte zu unterscheiden: Im ersten Schritt (fond) wird die Äquivalenztheorie angewendet, im zweiten Schritt (preuve) dagegen die Adäquanztheorie. Beide Theorien kommen danach ergänzend zur Anwendung. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 96, differenzieren zwischen der Haftung für faute (Äquivalenztheorie) und der Haftung für Risiken (Adäquanztheorie); ähnlich Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 159. 445 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 10. 446 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 355 f. 447 Cass. civ. 2 e, 25.10.1973, Bull. civ. 1973, II, Nr. 277; Cass. civ. 1 re, 16.6.1992, Bull. civ. 1992, I, Nr. 185. Siehe dazu auch Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 357. Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1129, spricht daher davon, dass die Rechtsprechung eher eine moralische denn eine materielle Kausalität verfolge. 448 Siehe nur Cass. civ. 2 e, 10.1.1962, Bull. civ. 1962, II, Nr. 47; Cass. civ. 2 e, 27.10.1975, Gaz. Pal. 1976, I, 169, Anm. Plancquéel; Cass. civ. 2 e, 21.3.1983, Bull. civ. 1983, II, Nr. 84. 442
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bb) Exklusive Ursachen Zum anderen bewerteten die Gerichte die verschiedenen Ursachen eines Schadens in manchen Fällen danach, wie maßgeblich sie jeweils für den Schaden waren. Eine zeitlich vorgelagerte (notwendige) Ursache kann auf diese Weise durch eine nachfolgende Ursache verdrängt werden, die für den konkreten Schaden als adäquater erscheint. 449 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1989 machte eine Ehefrau Schadensersatz für den Tod ihres Ehemannes geltend, der bei einem Brand im eigenen Haus ums Leben gekommen war. Einige Jahre zuvor hatte der Mann einen schweren Unfall, der eine körperliche Lähmung und Arbeitsunfähigkeit nach sich zog. Der damals gewährte Schadensersatz gegen den Unfallverursacher beinhaltete auch Geld für die Beschäftigung einer Pflegeperson. Davon machte die Ehefrau allerdings keinen Gebrauch. Als nun der Mann bei dem Brand in seinem Zimmer ums Leben kam, weil er alleine in dem Raum war und sich aufgrund der Lähmung nicht retten konnte, verlangte die Ehefrau von dem vormaligen Unfallverursacher Schadensersatz für die Verletzung ihrer Affektionsinteressen. Die zuständige Cour d’appel gewährte ihr diesen, die Cour de cassation verneinte dagegen einen Anspruch: Die Ehefrau habe Geld zur Beschäftigung einer Pflegeperson erhalten. Hätte sie dieses auch aufgewendet, wäre der Mann nicht bei dem Feuer gestorben. 450 cc) Relativität Weiterhin lassen zahlreiche Entscheidungen erkennen, dass es zur Feststellung der Kausalität nicht immer genügt, dass ein Verhalten eine notwendige Ursache für einen Schaden bildet. Das Verhalten muss auch juristisch als Ursache des Schadens betrachtet werden können. Dazu sei erforderlich, dass gerade die illicéité der Handlung eine notwendige Bedingung für den Schaden bilde. 451 Nimmt beispielsweise jemand ohne Fahrerlaubnis am Straßenverkehr teil und verursacht einen Unfall, ohne jedoch einen Fahrfehler begangen oder die Verkehrsregeln verletzt zu haben, so scheidet nach einigen Entscheidungen eine Haftung mangels Kausalität aus: Auch mit Fahrerlaubnis hätte sich der Unfall
Anderes gilt freilich, wenn die Fahrlässigkeit des Eigentümers als besonders schwer einzuordnen ist: Cass. civ., 20.11.1951, D. 1952, 258. 449 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 14; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 357-1. Ablehnend Fagnart, Plaidoyer pour l’équivalence des conditions, S. 8 f. 450 Cass. civ. 2 e, 8.2.1989, Bull. civ. 1989, II, Nr. 39. Viney, Modération et limitation, S. 131 f., kritisiert, dass das Verneinen von Kausalität in dieser Entscheidung nur eine Fassade darstelle: Entscheidend sei, dass die Ehefrau hier eine Obliegenheit zur Schadensminderung gehabt und diese verletzt habe; sie treffe folglich eine eigene Schuld. 451 Cass. req., 9.11.1936, Sir. 1936, I, 376; CA Paris, 17.6.1965, JCP 1965, II, 14419, Anm. Rabinovitch; Cass. civ. 2 e, 20.1.1970, JCP 1972, II, 17179, Anm. Dejean de la Bâtie. Siehe dazu auch Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 358 sowie Nr. 346-1.
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auf die gleiche Art und Weise ereignet, das Fahren ohne Fahrerlaubnis sei daher nicht kausal für den Schaden. 452 Dagegen wird in der Lehre jedoch argumentiert, dass die Person bei korrektem Verhalten überhaupt nicht am Straßenverkehr teilgenommen hätte und der Unfall vermieden worden wäre – Kausalität sei folglich gegeben. 453 Eine ähnliche Konstellation betrifft den Fall, dass ein ausländischer Arbeiter, der ohne Arbeitserlaubnis beschäftigt wird, einen Arbeitsunfall verursacht. Auch hier entschied die Rechtsprechung, dass die fehlende Arbeitserlaubnis nicht als Ursache des Unfalls betrachtet werden könne. 454 Zu erkennen ist in diesen Entscheidungen damit eine Relativierung der ursächlichen faute: Der Schutzzweck der Norm rückt in den Mittelpunkt. 455 Eine große Anhängerschaft fand dieses Vorgehen in der französischen Lehre bisher jedoch nicht. 456 III. Beweislast und Kausalitätsvermutungen Sofern keine speziellen Anordnungen bestehen, obliegt es dem Geschädigten, den kausalen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem eingetretenen Schaden zu beweisen. 457 Dabei genügt es, dass der Geschädigte darlegen kann, dass der Schaden auf jeden Fall durch ein dem Schädiger zurechenbares Verhalten verursacht wurde. 458 In vielen Fällen gelingt jedoch
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Cass. civ., 20.10.1931, D.H. 1931, 538; Cass. civ. 2 e, 28.5.1975, D. 1975, IR, 182; Ass. Plén., 6.4.2007, D. 2007, 1839, Anm. Groutel. 453 P. Esmein, Nez de Cléopâtre, Nr. 7. 454 Cass. ch. soc., 7.5.1943, D.H. 1943, 51. 455 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 358 sowie Nr. 346-1. 456 Siehe Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 25: Die Theorie sei in der französischen Rechtswissenschaft nicht verankert. 457 Ständige Rechtsprechung, siehe nur Cass. civ. 2 e, 23.6.1971, JCP 1971, II, 16881; Cass. civ. 2e, 11.1.1995, JCP 1995, IV, 624. 458 Die Ursache muss nicht genau bestimmt werden können: Cass. civ. 1 re, 31.5.1988, JCP 1988, IV, 278; Cass. civ. 2 e, 24.11.1993, Resp. civ. et assur. 1994, comm. Nr. 3. Siehe dazu auch Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 861; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 362.
C. Kausalität
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selbst dieser Beweis nicht;459 Zweifel gehen grundsätzlich zulasten des Geschädigten.460 Den Richtern, die über die Beweiserbringung zu entscheiden haben, verleiht dies eine erhebliche Macht und Einwirkungsmöglichkeit auf das Ergebnis.461 Viney/Jourdain/Carval betonen, dass die Gerichte von diesem jus moderandi häufig Gebrauch machten, um zu weit entfernt anmutende Ursachen oder unverhältnismäßige Ergebnisse auszuschließen. 462 Um die Beweisprobleme der Geschädigten in bestimmten Situationen zu reduzieren, haben der Gesetzgeber und die Rechtsprechung eine ganze Reihe von Kausalitätsvermutungen entwickelt, durch die die Beweislast umgekehrt wird. Dies betrifft vor allem häufig wiederkehrende Situationen, aus denen regelmäßig die gleichen Schäden resultieren, sowie Fälle, in denen der Beweis der Kausalität nur schwer zu erbringen ist, es aber gleichwohl unbillig erscheint, dem Geschädigten die Beweislast aufzuerlegen. 463 Typische Beispiele sind Unfälle im Straßenverkehr, nukleare Unfälle, Unfälle durch fehlerhafte Produkte, Arbeitsunfälle, medizinische Eingriffe und contaminations transfusionnelles.464 IV. Anwendung der perte d’une chance-Doktrin? Seit einigen Jahrzehnten beschreitet die Rechtsprechung einen weiteren Weg, um Zweifel am kausalen Zusammenhang zu überwinden: Sie wendet die im Zusammenhang mit unbestimmten Schäden entwickelte perte d’une chanceDoktrin auch auf die Kausalität an. Von Relevanz ist dies insbesondere bei der Arzthaftung: Unterläuft etwa einem Arzt bei einer Operation eine faute, kann jedoch nicht mit Gewissheit festgestellt werden, dass der Patient nicht auch ohne diese faute verstorben wäre (dass die faute also kausal für den Tod geworden ist), so stellen einige Gerichte darauf ab, dass der Patient durch die 459 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 362. Für den Geschädigten entstehen insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn nur festgestellt werden kann, dass eine von mehreren Personen einer Gruppe den Schaden verursacht haben muss, aber unklar bleibt, wer genau verantwortlich ist, oder wenn aus (natur-)wissenschaftlicher Sicht Zweifel an der Kausalität bestehen: Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 16. Heute ist jedoch ganz allgemein in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass es hier auf Kausalität im juristischen Sinne, nicht aber auf wissenschaftliche Kausalität ankommt: Radé, Causalité juridique et causalité scientifique, D. 2012, 112. 460 Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rn. 861; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 95. 461 Die Entscheidung unterliegt freilich der Kontrolle durch die Cour de cassation, siehe nur Cass. civ. 2 e, 14.3.1990, Bull. civ. 1990, II, Nr. 64 sowie die zahlreichen Nachweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 349, Fn. 54 und 55. 462 Conditions, Nr. 362 m.w.N. 463 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 18 f. 464 Näher zu den einzelnen Fallgruppen und gesetzlichen Anordnungen Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 18 ff.; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 364 ff.
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faute jedenfalls eine Chance auf Besserung oder Überleben verloren habe. 465 Auf diese Weise kann zumindest ein partieller Ersatz gewährt werden, während der Geschädigte bzw. dessen Erben bei einer strengen Kausalitätsprüfung leer ausgehen würden. 466 Eine vergleichbare Rechtsprechungspraxis ist auch für die Verletzung von Informations-und Aufklärungspflichten feststellbar. 467 Zwischenzeitlich beschränkte die Cour de cassation die perte d’une chance-Doktrin zwar auf die Ermittlung des Schadens, 468 nur zwei Jahre später griff sie jedoch auch im Rahmen der Kausalität wieder darauf zurück 469 und hält nach wie vor an dieser Praxis fest. 470 In der Lehre stößt das Vorgehen der Rechtsprechung auf Ablehnung: Zweifel an der Kausalität müssten zu Lasten des Geschädigten gehen und dürften keinesfalls zu einem partiellen Ersatz führen. 471 V. Ausschlussgründe Hat der Geschädigte den kausalen Zusammenhang zwischen dem fait générateur des Schädigers und dem Schaden bewiesen oder wird dieser vermutet, kann der Schädiger die Haftung nur durch Darlegen einer „cause étrangère“ abwenden. Der Begriff cause étrangère enstammt wiederum dem Vertragsrecht (Art. 1147 Cc472), findet aber nach einhelliger Meinung von Lehre und
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Die CA Grenoble urteilte am 24.10.1961 zum ersten Mal in diesem Sinn: RTD civ. 1963, 334. Die Cour de cassation folgte zwei Jahre später: Cass. civ. 1 re, 14.12.1965, JCP 1966, II, 14753, Anm. Savatier; Cass. civ. 1re, 18.3.1969 und 27.1.1970, JCP 1970, II, 16422; Cass. civ. 1re, 21.11.1978, JCP 1979, II, 19033, Anm. Savatier; Cass. civ. 1re, 7.6.1989, D. 1991, 158, Anm. Couturier; Cass. civ. 1re, 14.10.2010, Bull. civ. 2010, I, Nr. 200. Siehe dazu Bénabent, Droit des obligations, Rn. 563. 466 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 20; Bénabent, Droit des obligations, Rn. 563. 467 Siehe die Nachweise bei Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 369-1, die diesem Vorgehen kritisch gegenüberstehen. 468 „[L]a notion de perte d’une chance ne concerne que l’évaluation du préjudice“, Cass. civ. 1re, 17.11.1982, D. 1984, 305. 469 Cass. civ. 1re, 8.1.1985, Bull. civ. 1985, I, Nr. 10. 470 Siehe nur Cass. civ. 1re, 12.11.1985, Bull. civ. 1985, I, Nr. 298; Cass. civ. 1 re, 6.10.1998, Bull. civ. 1998, I, Nr. 276; Cass. civ. 1 re, 10.7.2002, Bull. civ. 2002, II, Nr. 197. Weitere Nachweise bei Bénabent, Droit des obligations, Rn. 563. 471 Quézel-Ambrunaz, Définition de la causalité, S. 20. Für eine Übersicht zu Kritik in der Literatur siehe auch Flour/Aubert/Savaux, Obligations, Nr. 138, Fn. 1 auf S. 167 (selbst befürwortend); Bénabent, Droit des obligations, Rn. 563, Fn. 102. Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 371 befürworten statt partieller Entschädigung Beweiserleichterungen für den Geschädigten. 472 „Le débiteur est condamné, s'il y a lieu, au paiement de dommages et intérêts, soit à raison de l'inexécution de l'obligation, soit à raison du retard dans l'exécution, toutes les fois qu'il ne justifie pas que l'inexécution provient d'une cause étrangère qui ne peut lui être imputée, encore qu'il n'y ait aucune mauvaise foi de sa part.“ Art. 1148 Cc präzisiert: „Il n'y a lieu à aucuns dommages et intérêts lorsque, par suite d'une force majeure ou d'un cas fortuit,
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Rechtsprechung Anwendung auf die deliktische Haftung. 473 Unter ihn fallen höhere Gewalt (force majeure),474 Zufall (cas fortuit),475 eine faute des Opfers oder das Dazwischentreten eines Dritten. 476 Die Folge ist eine vollständige oder zumindest teilweise Befreiung des Schädigers. 477 VI. Zwischenergebnis zur Kausalität Die Kausalität bildet heute unstrittig eine eigenständige Haftungsvoraussetzung. Eine allgemein akzeptierte Definition hat die französische Rechtswissenschaft bisher allerdings nicht entwickelt. Die Richter sind in ihrer Beurteilung damit sehr frei,478 und verfügen gleichzeitig über ein sehr flexibles Werkzeug.479 Den kausalen Zusammenhang ziehen sie grundsätzlich sehr weit und schließen auch entfernte Ursachen ein. Für eine Begrenzung der Kausalität, und damit der Haftung, sorgen statt einer engen Kausalitätsdefinition primär die hohen Beweisanforderungen, denen der Geschädigte vielfach nicht nachkommen kann. 480 Dem Richter kommt damit ein jus moderandi zu, mit dem er entfernte oder unerwünschte Ursachen aus der Kausalität ausschließen kann. 481 In vielen Fällen scheint letztlich das Gefühl des Richters ausschlaggebend zu sein.482 Insgesamt führt das Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs zu keiner großen Einschränkung der deliktischen Haftung: 483 Liegen faute und dommage vor, scheitert eine Ersatzpflicht nur in extremen Fällen am fehlenden lien de causalité.
le débiteur a été empêché de donner ou de faire ce à quoi il était obligé, ou a fait ce qui lui était interdit.“ Art. 1218 und 1231-1 Cc2016 stellen nur auf force majeure ab. 473 Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1130. 474 Diese verlangt ein externes, unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis. Ausführlich dazu Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 573 ff. Force majeure kann in zweierlei Form auf die Haftung wirken: Sie kann einerseits die faute ausschließen, andererseits den lien de causalité, siehe Bénabent, Droit des obligations, Rn. 562. 475 Der Begriff cas fortuit wird von einigen auch als Synonym für force majeure verwendet: Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 573. Art. 1148 Cc unterscheidet beide jedoch. 476 Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1130. Nach Viney, Modération et limitation, S. 131 f., stelle das Verneinen von Kausalität in manchen Entscheidungen allerdings nur eine Fassade dar. 477 Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 578 ff.; Carbonnier, Droit civil (2004), Nr. 1130. 478 Viney, Modération et limitation, S. 131. 479 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 96. 480 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 359. 481 Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 362. 482 P. Esmein, Nez de Cléopâtre, Nr. 1. 483 Ähnlich Mäsch, Chance und Schaden, S. 162.
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D. „Techniken“ zur Einschränkung der Haftung D. „Techniken“ zur Einschränkung der Haftung
Der Umfang der deliktischen Haftung hängt in erster Linie von der faute und dem dommage ab. Die Auslegung dieser Voraussetzungen führte seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Ausweitung der Haftung. Das Erfordernis eines lien de causalité bringt daneben keine wesentlichen Beschränkungen der Haftung. Die französische Rechtswissenschaft, insbesondere die Rechtsprechung, entwickelte jedoch andere Methoden, die zumindest zu einer gewissen Einschränkung dieser weiten deliktischen Haftung führen. Den Ausgangspunkt bildete eine Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahr 1922: Seitdem können vertragliche Pflichtverletzungen grundsätzlich keine Ersatzansprüche aus den Art. 1382 ff. Cc mehr begründen, es gilt das Prinzip des non-cumul des responsabilités (I.). Die häufig in diesen Fällen auftretenden primären Vermögensschäden werden nicht mehr deliktisch ersetzt. Verstärkt wurde diese Beschränkung des Anwendungsbereichs der deliktischen Haftung durch eine Ausdehnung vertraglicher Pflichten (II.). I. Non-cumul des responsabilités Wie gezeigt, entbrannte zum Ende des 19. Jahrhunderts hin eine Diskussion in der Lehre zur Natur von vertraglicher und deliktischer faute.484 Die Cour de cassation betonte zwar 1890, dass der Umfang der faute bei vertraglicher und deliktischer Haftung unterschiedlich sei; dennoch stützten die Gerichte auch weiterhin – wie schon seit Inkrafttreten des Code civil – den Ersatzanspruch bei vertraglichen Pflichtverletzungen auf die Art. 1382 f. Cc.485 Für den Geschädigten hatte die deliktische Haftung eine Reihe von Vorteilen: Auch die geringste faute wird dort ersetzt, die Art. 1150 f. Cc finden keine Anwendung (es gibt also keine Begrenzung auf vorhersehbare und direkte Schäden), haftungsausschließende Klauseln haben keine Wirkung und wo der fait dommageable gleichzeitig ein strafrechtliches Vergehen begründet, gilt die noch längere Verjährungsfrist des Strafrechts. 486 Zudem kann es bei der Anwendung des
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Auslöser dafür waren insbesondere die sich häufenden Arbeitsunfälle und die dabei auftretenden Beweisschwierigkeiten der Geschädigten. Siehe oben S. 175 ff. Zu der Diskussion auch Colin/Capitant, Droit civil français, S. 379 ff. 485 Ebenfalls oben S. 219 ff. 486 Die Verjährung deliktischer Ansprüche beträgt zehn Jahre und ist auch so häufig länger als die Verjährung vertraglicher Ansprüche, die je nach Vertragsart stark variiert: Sie beträgt ein Jahr bei Beförderungsverträgen, vgl. Art. 108 Code du commerce, allerdings 30 Jahre bei Verträgen unter Nichtkaufleuten.
D. „Techniken“ zur Einschränkung der Haftung
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Art. 1384 Cc sogar eine strikte Haftung geben. 487 Als größten Unterschied zwischen beiden Regimen betonten einige die Beweislast 488 – folgt man jedoch Demogue und anderen darin, dass es dafür nicht auf die Herkunft der Obligation, sondern auf deren Inhalt ankommt, 489 ergibt sich kein prinzipieller Unterschied zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung. 490 Dieser Ansatz der Gerichte änderte sich jedoch mit einer Entscheidung der Cour de cassation vom 11.1.1922. „C’est seulement en matière de délit ou de quasi-délit que toute faute quelconque oblige son auteur à réparer le dommage provenant de son fait; … les articles 1382 et suivants du Code civil sont sans application lorsqu’il s’agit d’une faute commise dans l’exécution d’une obligation résultant d’un contrat.“ 491
Der erste Teil des Leitsatzes greift dabei noch den Leitsatz der Entscheidung vom 21.1.1890 auf: Nur im Rahmen der deliktischen Haftung genüge jedes Verschulden für eine Haftung. Der zweite Halbsatz macht dann aber deutlich, dass die Art. 1382 ff. Cc keine Anwendung auf die Verletzung vertraglicher Pflichten finden. 492 Geschaffen war damit das „principe de non-cumul des responsabilités“ – ein missverständlicher Ausdruck, denn um eine Kumulation der Haftungsansprüche ging es dabei nie. Die Frage war vielmehr, ob im Falle einer vertraglichen Pflichtverletzung der geschädigte Vertragspartner seinen Ersatzanspruch auch auf die für ihn unter Umständen günstigeren Art. 1382 ff. Cc stützen konnte, er also eine Art Wahlrecht zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung hatte. Viele Gelehrte bevorzugten und bevorzugen statt „cumul“ daher die Bezeichnung „option“. 493
487 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français5, § 445, Fn. 9undecies; Josserand, Droit civil positif français, Nr. 485; Savatier, Droit civil, Nr. 276; de la Morandière, Droit civil, Nr. 689; Capitant/Terré/Lequette, Grands arrêts, Nr. 177, Rn. 3. Kritisch Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 489; Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français 6, § 446 (S. 533 f.). 488 Colin/Capitant, Droit civil français, S. 380 f. 489 Oben S. 279 f. 490 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français5, § 445, Fn. 9undecies; Savatier, Droit civil, Nr. 275. Relativierend auch Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 489. 491 Cass. civ., 11.1.1922, Sir. 1924, 1, 105, Anm. Demogue. 492 Deutlich in dem Sinne Cass. civ., 6.4.1927, Sir. 1927, 1, 201, Anm. H. Mazeaud; Cass. civ., 22.7.1931, D.H. 1931, 506: „Les dispositions des art. 1382 et 1383 c. civ. … ne peuvent, en principe, … être invoquées pour le règlement de la faute commise dans l’exécution d’une obligation résultant d’un engagement contractuel“; CA Lyon, 28.11.1934, Gaz. judic. et com. 1935, 97: „les responsabilités contractuelle et délictuelle sont exclusives l’une de l’autre et ne peuvent se cumuler“; Cass. req., 8.3.1937, D.H. 1937, 217: „la disposition de l’art 1382 C. civ. ne peut, en principe, être invoquée pour le règlement d’une faute commise dans l’exécution d’une obligation contractuelle“. 493 de Page, Droit civil belge, Nr. 923; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 174; Capitant/Terré/Lequette, Grands arrêts, Nr. 177, Rn. 2; Bénabent, Droit des obligations, Nr. 523; Mazeaud/Chabas, Obligations, Nr. 404.
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
Das Prinzip des non-cumul entwickelte sich alsbald zu einem festen aber nicht unumstrittenen Grundsatz des französischen Haftungsrechts. 494 Dabei ist zu beachten, dass der Ausschluss der deliktischen Haftung nur dann gilt, wenn die vorwerfbare Handlung tatsächlich in der Verletzung einer Vertragspflicht besteht.495 Gegenüber dritten, am Vertrag nicht beteiligten Personen, die durch die vertragliche Pflichtverletzung ebenfalls einen Schaden erleiden, haftet der Schädiger weiterhin deliktisch. 496 Und schließlich findet der Art. 1382 Cc auch im Falle doloser vertraglicher Pflichtverletzungen unter Vertragspartnern Anwendung. 497 Im Hinblick auf den Umfang der deliktischen Haftung hat der Ausschluss vertraglicher Pflichtverletzungen wichtige Konsequenzen: Eine Vielzahl von 494 Cass. civ., 6.4.1927, D.P. 1927, 1, 111; Cass. civ., 22.7.1931, D.H. 1931, 506; Cass. req., 8.3.1937, D.H. 1937, 217; Cass. civ. 1 re, 7.12.1955, D. 1956, 136; Cass. civ. 1 re, 11.1.1961, Bull. civ. 1961, I, Nr. 28; Cass. civ. 3 e, 14.4.1964, Bull. civ. 1964, III, Nr. 182; Cass. civ. 1re, 11. und 18.1.1989, JCP 1989, II, 21326, Anm. Larroumet. Befürwortend in der Lehre: Demogue, Anm. in RTD civ. 1923, 651 und zu Cass. civ., 11.1.1922, Sir. 1924, 1, 105; Josserand, Anm. zu Cass. req., 14.12.1926, D. 1927, 1, 105; Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 493; ablehnend: Planiol, Anm. zu CA Paris, 17.1.1905, D. 1907, 2, 97; Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français 5, § 446, Fn. 7. Differenzierend Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 207: Die deliktische Haftung sei bei der Verletzung einer vertraglichen Pflicht nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern nur dann, wenn die Parteien im Vertrag die deliktische Haftung für solche Fälle ausdrücklich ausgeschlossen hätten. Entscheidendes Kriterium ist für sie daher die Intention der Parteien, a.a.O., Nr. 192 ff. 495 Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 174. Das bloße Bestehen einer vertraglichen Beziehung oder der Führung von Vertragsverhandlungen zwischen Schädiger und Geschädigtem reicht dagegen nicht aus, siehe de Page, Droit civil belge, Nr. 927: kein Ausschluss etwa, wenn ein Verkäufer von dem Käufer umgefahren wird. 496 Zunächst betonte die Cour de cassation noch, dass eine vertragliche Pflichtverletzung gegenüber Dritten nicht automatisch eine deliktische Haftung begründe, Cass. ch. com., 17.6.1997, RTD civ. 1998, 113, Anm. Jourdain. In einer Entscheidung vom 6.10.2006 stellte sie dann jedoch ganz generell klar, „que le tiers à un contrat peut invoquer, sur le fondement de la responsabilité délictuelle, un manquement contractuelle dès lors que ce manquement lui a causé un dommage“, Cass., Ass. plén., D. 2006, 2825, Anm. Viney. Capitant/Terré/Lequette, Grands arrêts, Nr. 177, Rn. 7. Folge davon kann sein, dass der (deliktische) Ersatzanspruch eines Dritten höher ausfällt als der (vertragliche) Anspruch des geschädigten Vertragspartners, der Dritte im Ergebnis also besser dasteht als dieser: Bénabent, Droit des obligations, Nr. 523-2 m.w.N. Zu der Frage auch Fabre-Magnan, Droit des obligations, S. 16 ff. Im Falle von physischen Schäden geht die Rechtsprechung von einer Einheit von vertraglicher und deliktischer faute aus, Cass. civ. 2 e, 17.5.1995, RTD civ. 1995, 896, Anm. Jourdain; Cass. civ., 27.6.1978, D. 1978, IR, 409. Dazu auch Berg, Protection des intérêts incorporels, Nr. 41. 497 Cass. req., 14.12.1926, D.P. 1927, 1, 105; Cass. civ. 1 re, 28.11.1967, D. 1968, 199; Cass. civ. 3 e, 18.12.1972, D. 1973, J., 272, Anm. J. Mazeaud; Cass. civ. 3e, 23.7.1986, Bull. civ. 1986, III, Nr. 129; Cass. civ. 3 e, 8.9.2009, Bull. civ. 2009, III, Nr. 181. So auch Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 494. Kritisch zu dieser Durchbrechung Viney, Introduction à la responsabilité, Nr. 222.
D. „Techniken“ zur Einschränkung der Haftung
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Fällen, in denen es in erster Linie um den Ersatz primärer Vermögensschäden geht – insbesondere bei Pflichtverletzungen im Rahmen eines Auftrags oder eines Dienstvertrags, aber auch beispielsweise bei verspäteter Erfüllung oder Nichterfüllung einer Vertragspflicht –, fällt seitdem aus dem Anwendungsbereich der Art. 1382 f. Cc.498 Dies zieht eine nicht unerhebliche Begrenzung der Anwendungsfälle nach sich. 499 Aber nicht nur das: Das Prinzip des non-cumul bewirkt, dass das besondere Verhältnis zwischen Vertragspartnern, insbesondere die gemeinsam getroffene Risikoverteilung, aufrechterhalten wird. 500 Damit sind die Bedenken zu relativieren, die allgemein gegen den Einbezug primärer Vermögensschäden in die deliktische Haftung bestehen. 501 II. Ausdehnung vertraglicher Pflichten Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass die Rechtsprechung den Anwendungsbereich der vertraglichen Haftung weiter ausgedehnt hat. Im Jahr 1911 hat die Cour de cassation erstmals im Falle eines Unfalls bei der Beförderung einer Person den Ersatzanspruch des Beförderers vertraglich begründet.502 Den Beförderer treffe eine vertragliche Pflicht, „de conduire le voyageur sain et sauf à destination“, und zwar auch ohne dass die Parteien dies ausdrücklich so geregelt haben. 503 Damit entsprach die Rechtsprechung einem ganz dringenden praktischen Bedürfnis: Der Fahrgast hatte in der Regel große Schwierigkeiten, eine deliktische faute des Beförderers zu beweisen. 504 Anders dagegen im Fall der nun angenommenen „obligation de sécurité“: Bereits der Eintritt eines Unfalls während der Fahrt begründete die Nichterfüllung dieser 498
Bénabent, Droit des obligations, Nr. 523. Bussani/Palmer, Liability regimes, S. 129 f., sind jedoch der Auffassung, dass das principe de non-cumul den Ersatz primärer Vermögensschäden über Art. 1382 Cc fördere: Das französische Recht lasse dem Kläger keine Wahl, ob er seinen Anspruch vertraglich oder deliktisch verfolge – bei Vorliegen eines Vertrags sei die deliktische Haftung ausgeschlossen. Damit könne das französische Recht jedoch nicht an die Natur des Schadens eine Diskriminierung knüpfen, wie es etwa das deutsche Recht tut – vertragliche und deliktische Haftung müssten vielmehr gleichermaßen reine Vermögensschäden ersetzen und insofern parallel laufen. 500 von Bar, Deliktsrecht I, Nr. 434, mit Verweis auf Viney, Responsabilité civile, JCP 1993, I, 3664, Nr. 5: „la règle dite du ‚non-cumul‘ … est destinée à éviter que l’application des règles délictuelles ne vienne détruire l’équilibre du contrat“. Ähnlich Wagner, Grundstrukturen, S. 282. 501 Siehe dazu oben S. 4 f. 502 Cass. civ., 21.11.1911, Sir. 1912, 1, 73, Anm. Lyon-Caen. Zu der geschichtlichen Entwicklung Meller, Obligation de sécurité, S. 16 ff. 503 Unterinstanzliche Gerichte nahmen bereits zwanzig Jahre früher eine derartige Pflicht an, siehe oben S. 206, Kapitel 2 Fn. 397. Bestätigend Cass. civ., 24.1.1922, Sir. 1924, 1, 161. Ausführlich dazu Meller, Obligation de sécurité. 504 Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2866; Camerlynck, Responsabilité contractuelle, S. 95 f. 499
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
Sicherheitspflicht. 505 Für sämtliche Arten der Beförderung erkannten die Gerichte in der Folgezeit eine obligation de sécurité an506 und dehnten diese im Laufe des Jahrhunderts auch auf zahlreiche weitere Vertragsbeziehungen aus.507 Durch das Prinzip des non-cumul hat dies zur Folge, dass auch in derartigen Fällen, in denen es typischerweise um Verletzungen des Körpers, der Gesundheit oder des Eigentums geht, die deliktische Generalklausel keine Anwendung mehr findet – was einige Autoren dazu bewegt, von einem „Sieg der vertraglichen über die deliktische Haftung“ zu sprechen. 508 Vollkommen unproblematisch ist dies jedoch nicht, denn eine klare Abgrenzung von Vertrag und Delikt ist durch Annahme dieser ungeschriebenen und nicht vereinbarten Nebenpflichten nicht immer möglich. 509 Die Annahme einer Sicherheitspflicht stieß seitens der Lehre auch deshalb auf Kritik, weil sie dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien in der Regel zuwiderlaufe: Der Beförderer wolle keine derartige absolute Sicherheitspflicht übernehmen. 510 Auch von Interventionismus war die Rede.511 Für den Geschädigten selbst ist die Beweissituation dadurch zwar von Vorteil, der Umfang des Ersatzes fällt unter Umständen aber deutlich geringer aus, als dies bei einer deliktischen Haftung der Fall wäre. 512 Zudem erstreckt sich der Ausschluss natürlich auch auf die Haftung des gardien nach Art. 1384 al. 1 Cc – was in diesen Fällen eine Rückkehr zum Verschuldensprinzip bedeutet und damit für den Geschädigten eher von Nachteil ist.513 505
Cass. civ., 24.7.1930, Sir. 1930, 1, 368; Cass. civ., 6.12.1932, D.H. 1933, 35; Cass. civ., 16.3.1937, Sir. 1937, 1, 175. Camerlynck, Responsabilité contractuelle, S. 95 f.: Damit begründete die Rechtsprechung für den Beförderer eine ähnliche Pflicht wie sie Art. 1784 Cc für den Transport von Sachen gesetzlich vorsieht; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 155. Baudry-Lacantinerie/Barde, Obligations III, Nr. 2866, sprachen sich dafür aus, den Art. 1784 Cc auch auf Personen anzuwenden. Der Schuldner kann sich nur durch Darlegung einer force majeure oder eines cas fortuit entlasten: Meller, Obligation de sécurité, S. 54 ff. 506 Camerlynck, Responsabilité contractuelle, S. 95. 507 Dies gilt z.B. für Verträge, die irgendein Element der Fortbewegung enthalten, insbesondere im sportlichen Bereich; für Sportveranstaltungen und Jahrmärkte; für Einrichtungen, die Kundschaft haben, wie Restaurants, Hotels, Diskotheken, Schwimmbäder oder Veranstaltungshäuser; für die Betreuung von Kindern. Für zahlreiche Entscheidungen siehe Camerlynck, Responsabilité contractuelle, S. 102 ff.; Mazeaud/Mazeaud, Responsabilité civile, Nr. 157 ff.; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 500 ff. 508 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 486. 509 Planiol/Ripert/Esmein, Obligations, Nr. 492; Capitant/Terré/Lequette, Grands arrêts, Nr. 177, Rn. 5 f. mit Verweis auf Cass. civ. 2 e, 26.5.1992, Bull. civ. 1992, II, Nr. 154. 510 Camerlynck, Responsabilité contractuelle, S. 96 ff.; Josserand, Droit civil positif français, Nr. 491. 511 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 491: es gehe nur darum, eine billige und praktikable Lösung zu finden; siehe auch Camerlynck, Responsabilité contractuelle, S. 85 f.; Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 498. 512 Josserand, Droit civil positif français, Nr. 491. 513 von Bar, Deliktsrecht I, Nr. 468.
E. Zwischenergebnis zu Teil 3
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E. Zwischenergebnis zu Teil 3 E. Zwischenergebnis zu Teil 3
Die Entwicklung der deliktischen Haftung im 20. Jahrhundert war in vielen Fragen geprägt von den negativen Folgen der industriellen Revolution, die in Frankreich spätestens Ende des 19. Jahrhunderts spürbar waren: Unfälle mit Maschinen, mit Eisenbahnen oder mit Autos häuften sich, und gleichzeitig wuchsen die Beweisprobleme der Geschädigten, die im Ergebnis häufig ohne Ersatz blieben. Dies veranlasste einen Teil der Lehre dazu, das Erfordernis der faute in Frage zu stellen und stattdessen die Haftung an die Verwirklichung eines selbst geschaffenen Risikos zu knüpfen. Durchsetzen konnte sich diese Ansicht für die Art. 1382 f. Cc zwar nicht; mit der Entwicklung der strikten Sachhalterhaftung in Art. 1384 al. 1 Cc hat die Rechtsprechung der deliktischen Generalklausel jedoch viele Fälle entzogen und eine présomption de responsabilité begründet. Besondere Anforderungen an die faute gelten zudem im Hinblick auf bestimmte subjektive Persönlichkeitsrechte: Die Gerichte schützen diese häufig autonom, ohne auf die Art. 1382 f. Cc abzustellen. Der Anwendungsbereich der deliktischen Haftung wird dadurch beschränkt. Gleiches erfolgt durch das Prinzip des non-cumul des responsabilités und dem damit verbundenen Ausschluss vertraglicher Pflichtverletzungen aus den Art. 1382 f. Cc. Verstärkt wurde dies noch durch eine Ausdehnung der vertraglichen Pflichten durch die Begründung von obligations de sécurité. Die Rechtsprechung hat damit eine eigene „Technik“ entwickelt, um den Anwendungsbereich der Art. 1382 f. Cc zu verkleinern. 1935 kritisierte Henri Mazeaud eine Tendenz in Rechtsprechung und Lehre, sämtliche auftretenden Probleme über die Art. 1382 f. Cc zu lösen, was zu einer Aushebelung und Umgehung anderer gesetzlicher Regelungen und Wertungen führe. 514 Heute dagegen bietet die deliktische Generalklausel eine Art minimalen Schutz für Geschädigte, die von keiner speziellen Regelung profitieren bzw. belastet werden können – es ist damit zu einer Bedeutungsverschiebung gekommen. 515 Der Umfang der Haftung ist dabei durch die Voraussetzungen der deliktischen Generalklausel selbst allerdings kaum beschränkt. Die faute setzt nach im 20. und 21. Jahrhundert ganz überwiegendem Verständnis keine Rechtsverletzung mehr voraus. Die Lehre definiert sie als Verletzung einer Verhaltenspflicht oder schlicht als Verhaltensfehler, der durch Vergleich mit dem Verhalten einer vernünftigen und umsichtigen Person abstrakt ermittelt wird. Dies zeigt deutlich, dass ein Wechsel der Perspektive erfolgt ist: Statt auf den Geschädigten und dessen Verletzung abzustellen, wird das Verhalten des Handelnden betrachtet. Jeder Verstoß gegen die generelle Pflicht zu Umsicht und 514 H. Mazeaud, L’absorption des règles juridiques, S. 5 ff. Vor Augen hatte er dabei insbesondere den Art. 340 Cc, der die Feststellung der Vaterschaft eines Kindes strengen Bedingungen unterwarf, sowie Vorschriften im Familienrecht (Art. 762, 301, 212 Cc). 515 Viney, Principe général, Nr. 3.
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Kapitel 3: Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert
Sorgfalt (obligation générale de prudence et de diligence) begründet die deliktische Haftung – unabhängig von einer Rechtsverletzung. Zu einer weiteren Ausdehnung gegenüber dem 19. Jahrhundert führte schließlich die Weiterentwicklung der Lehre vom Rechtsmissbrauch: Die Ausübung eigener Rechte unterliegt seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich strengeren Anforderungen. Im Ergebnis geht es hier um eine Abwägung der berechtigten und schützenswerten Interessen. Für Unklarheit sorgte zwischenzeitlich die Cour de cassation mit dem Erfordernis der Verletzung eines rechtlich geschützten legitimen Interesses. Für einige Jahrzehnte schien es tatsächlich, als ob das Gericht damit im Rahmen des Schadens doch das Vorliegen einer Rechtsverletzung verlangte. Im Ergebnis hatte dieses Erfordernis jedoch lediglich den Zweck, Ansprüche von Geliebten auszuschließen; allgemeine Bedeutung hatte es nicht. Schaden und faute oder illicéité sind voneinander zu unterscheiden – ebenso die faute und die Verletzung subjektiver Rechte. 516 Für die Art des Schadens gibt es keine Begrenzungen; zudem erhalten victimes par ricochet genauso Ersatz wie Erstgeschädigte. Dabei differenziert das französische Recht nicht zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden. Dass auch primäre Vermögensschäden ersetzt werden, steht außer Diskussion, eine eigenständige Kategorie gibt es dafür in Frankreich nicht. Der Schaden muss gegenwärtig, direkt und sicher sein – über die Unsicherheit kann dabei jedoch die perte d’une chance-Doktrin hinweghelfen, die allerdings voraussetzt, dass es sich um eine chance réelle et sérieuse handelte. Auch das Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem fait générateur und dem Schaden führt zu keiner wesentlichen Beschränkung der Haftung. Freilich scheiden darüber sehr entfernte Ursachen aus, 517 insgesamt verfolgen die Gerichte jedoch einen sehr liberalen Ansatz und ziehen den lien de causalité grundsätzlich weit. Für Beschränkungen sorgen in erster Linie die hohen Beweisanforderungen, die für den Geschädigten eine tatsächliche Last sein können. Durch die Begründung zahlreicher Kausalitätsvermutungen sind der Gesetzgeber und die Rechtsprechung den Geschädigten in vielen Situationen allerdings entgegengekommen. Insbesondere durch die Offenheit des Schadensbegriffs sind die Art. 1382 f. Cc sehr anpassungsfähig und können auf neue Entwicklungen reagieren. Allerdings ist damit die Gefahr von Exzessen verbunden, was besonders beim Ersatz des Affektionsinteresses sowie dem Verlust einer Chance deutlich geworden ist. Die französische Rechtswissenschaft hat bisher noch keinen Weg gefunden, um für eine effektive Begrenzung zu sorgen. Nach Viney wäre eine Vermeidung ausschweifenden Ersatzes jedoch möglich, wenn die Richter ihren großen Spielraum nicht wie bisher ausschließlich zum Schutz 516 517
Puech, L’illicéité, Nr. 282; Bary, Droits subjectifs, Nr. 43, 111 ff. Viney, Modération et limitation, S. 133.
E. Zwischenergebnis zu Teil 3
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des Geschädigten einsetzen und ersatzfähigen Schaden und faute genauer definieren und anwenden würden. 518 Bisher lehnt die Rechtsprechung einen ersatzfähigen Schaden nur in Einzelfällen ab; ein allgemeines Prinzip hat sie nicht entwickelt. 519 Gleiches gilt auch für die Kausalität – die Richter verfügen hier über ein flexibles Werkzeug, mit dem sie ungewollte Ergebnisse verhindern können, indem sie den vom Geschädigten zu erbringenden Beweis der Kausalität als nicht erbracht bewerten. 520 Auf diese Weise können sie im Ergebnis dann aber doch nach ihrem Empfinden für eine Beschränkung der Haftung sorgen.
518
Viney, Principe général, Nr. 19. Viney/Jourdain/Carval, Conditions, Nr. 248-2. 520 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, Nr. 96. 519
Gesamtergebnis Gesamtergebnis
Die Generalklauseln der deliktischen Haftung im deutschen und im französischen Recht unterscheiden sich ganz wesentlich durch das Erfordernis einer Rechtsgutsverletzung: Während nach deutschem Recht für die deliktische Haftung die Verletzung eines absoluten Rechts oder Rechtsguts (§ 823 I BGB) – nämlich des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit, des Eigentums oder eines „sonstigen“ (absoluten) Rechts – oder eines Schutzgesetzes (823 II BGB) oder eine sittenwidrige Schädigung (§826 BGB) erforderlich ist, sieht Art. 1382 Cc keine vergleichbaren Beschränkungen vor. Zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt es in der Praxis dabei vor allem im Hinblick auf den Ersatz fahrlässig verursachter primärer Vermögensschäden, die das französische Recht ersetzt, das deutsche Recht dagegen nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bewusst für diese restriktive Haltung und gegen die Lösung des französischen Rechts entschieden. Ob der französische Gesetzgeber 1804 mit den Art. 1382 f. Cc tatsächlich eine derart unbegrenzte Haftung statuieren wollte, wird demgegenüber aus den Gesetzesmaterialien weit weniger deutlich. Die Ausführungen Tarribles werden zwar immer wieder zur Begründung des weiten Umfangs der Haftung angeführt – diese lassen aber eher vermuten, dass die Redaktoren von einem begrenzten Anwendungsbereich der deliktischen Haftung ausgingen und die Verletzung absoluter Rechte vor Augen hatten. Anliegen dieser Arbeit war es daher, zu untersuchen, wie der Umfang der deliktischen Generalklausel im französischen Recht zu verschiedenen Zeiten jeweils verstanden wurde und wie sich das Verständnis vom Umfang der Haftung entwickelt hat. Die Untersuchung hat dabei im Einzelnen nachvollzogen, wie der Umfang der deliktischen Haftung im französischen Recht ursprünglich tatsächlich begrenzt war und erst im Laufe der Zeit Ausweitungen erfuhr. Das Prinzip, dass durch eigenes Verhalten bei anderen verursachte Schäden zu ersetzen sind, stellt ein Gebot der Moral, der Gerechtigkeit und der Billigkeit dar. Die Naturrechtler machten es zur Grundlage des Haftungsrechts. Grotius formulierte zum ersten Mal eine deliktische Generalklausel, 1 Domat führte diese in die französische Lehre ein, 2 während zeitgleich im Ancien régime in Haftungsfragen in Frankreich das römische Recht und die lex Aquilia galten. 1 2
Oben S. 29 f. Oben S. 75.
Gesamtergebnis
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Die deliktische Generalklausel in den Art. 1382 f. Cc entstand als Resultat der wissenschaftlichen Diskussion im Ancien droit und ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Ähnlich wie bei Grotius und Domat ist der Wortlaut so offen wie möglich formuliert. Ein näherer Blick auf die Entstehungsgeschichte hat jedoch gezeigt, dass die Redaktoren dabei ein präzises Verständnis vor Augen hatten, das im 17. und 18. Jahrhundert in der französischen Lehre vorherrschte. Sie fassten darunter wie Domat gedanklich Verletzungen des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit, des Ansehens, der Ehre und des Eigentums – wie sich den angeführten Beispielen entnehmen lässt, haben sie an andere Fälle daneben nicht gedacht. Nach ihrem Verständnis setzte die deliktische Haftung folglich die Verletzung eines (subjektiven) absoluten Rechts voraus. 3 Auch den Ersatz primärer Vermögensschäden darunter zu fassen, kam ihnen dabei offenbar nicht in den Sinn. Explizit ausgeschlossen haben sie dies freilich nicht – die gedankliche Anknüpfung an eine Rechtsverletzung war für sie jedoch eine Selbstverständlichkeit. Der Umfang der deliktischen Haftung nach Art. 1382 f. Cc war damit im Jahre 1804 beschränkt. Dies änderte sich auch mit Einführung des Code civil in der Lehre zunächst nicht. Während des 19. Jahrhunderts bildeten faute und fait illicite/illicéité die zentralen Voraussetzungen der deliktischen Haftung – und deren Element sollte nach den meisten Gelehrten eine Rechtsverletzung sein. 4 Dabei findet sich sehr häufig der Bezug auf genau dieselben Rechtsgüter wie im Ancien droit; die französischen Juristen verstanden den Begriff der Rechtsverletzung also noch immer gegenständlich. 5 Die Ausführungen waren überwiegend theoretischer Natur, die Rechtspraxis spielte während dieser Zeit keine Rolle für die Lehre. Dies änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus den Abhandlungen zum französischen Recht lässt sich so zwar ermitteln, wie die Lehre die Vorschriften interpretiert hat, nicht jedoch, auf welche Verletzungen die Gerichte die Art. 1382 f. Cc in der Praxis tatsächlich anwendeten. Aufschluss darüber hat die Analyse der Rechtsprechung gebracht. 6 In den meisten Entscheidungen ging es um eine Verletzung subjektiver Rechte, vor allem des Eigentums sowie des Körpers. Daneben wendeten die Gerichte die deliktische Generalklausel jedoch auch auf Fälle an, in denen kein subjektives Recht verletzt war. Insbesondere bei der Haftung von Notaren, von Aufsichtsratsmitgliedern oder bei vertraglichen Pflichtverletzungen ging es in erster Linie um primäre Vermögensschäden, ohne dass die Gerichte das für ein Problem hielten. Zum einen ließ der offene Wortlaut dies zu, zum anderen scheinen Bil-
3
Siehe oben S. 121 ff. Hierzu oben S. 147 ff. 5 S. 149 ff. 6 Siehe S. 190 ff. 4
350
Gesamtergebnis
ligkeit und Gerechtigkeit einen umfassenden Ersatz zu fordern und waren damit entscheidende Gründe.7 Für das 19. Jahrhundert hat dies im Hinblick auf das Verständnis vom Umfang der Haftung folglich eine gewisse Diskrepanz zwischen Lehre und Rechtsprechung ergeben. Die Besonderheit des Vorgehens der französischen Gerichte tritt zudem deutlich bei einem Vergleich mit der Anwendung der deliktischen Generalklausel durch die deutschen Gerichte, insbesondere des II. Zivilrechtssenats des Reichsgerichts, in Erscheinung. Trotz inhaltlich identischer Vorschrift lässt sich dort ein wesentlich engeres Verständnis beobachten: Die Haftung setzte stets das Vorliegen einer Rechtsverletzung voraus. Auf die Haftung von Notaren, vertragliche Pflichtverletzungen oder generell primäre Vermögensschäden wendete das Reichsgericht die deliktische Generalklausel dagegen grundsätzlich nicht an. 8 Mit Beginn des 20. Jahrhunderts ändert sich das Verständnis auch in der französischen Lehre. Dies betrifft zunächst die faute; nicht nur stellten viele Juristen dieses Erfordernis im Zuge der mit der industriellen Revolution verbundenen Entwicklungen in Frage, es erfolgte auch ein Perspektivwechsel: Statt auf eine Rechtsverletzung abzustellen (Betrachtung des Geschädigten), war fortan eine Verhaltenspflichtverletzung bzw. ein Verhaltensfehler (Betrachtung des Handelnden) erforderlich.9 Für den Umfang der deliktischen Haftung bedeutete dies eine Ausweitung: Jede Verletzung der generellen Pflicht zu Vorsicht und Umsicht begründet eine illicéité und/oder faute und kann zur Haftung führen. Der im 19. Jahrhundert noch selbstverständliche Bezug auf bestimmte Rechtsverletzungen hat seine Bedeutung verloren. Eine explizite Abkehr von diesem Verständnis erfolgte jedoch nicht; das Erfordernis einer Rechtsverletzung sowie die Aufzählung einzelner geschützter Rechte verschwanden einfach aus der Literatur. Dabei ist jedoch nicht zu erkennen, dass damit eine bewusste Ausweitung der Haftung verbunden war: Vielmehr erschien die bisherige Definition der faute als acte illicite zu ungenau und sollte durch die Anknüpfung an eine Verhaltenspflichtverletzung präzisiert werden. Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts ist der Schaden in den Mittelpunkt der Haftung gerückt. Weder hinsichtlich der Art oder Natur des Schadens noch der Ersatzberechtigten soll es dabei Beschränkungen geben; der Schaden muss lediglich gegenwärtig, direkt und sicher sein. 10 Französische Juristen begreifen es als Gebot der Gerechtigkeit, dass sämtliche Schäden ersetzt werden. 11 Dies begünstigt zwar den Geschädigten, der umfassend entschädigt werden kann. Den Schädiger trifft die Ersatzpflicht unter Umständen allerdings hart: Materielle Schäden sind ebenso zu entschädigen wie immaterielle (moralische) 7
Näher dazu S. 224 f. Siehe S. 256 ff. 9 Siehe oben S. 275 ff. 10 Zu der Entwicklung siehe S. 301 ff. 11 Hierzu oben S. 314 ff. 8
Gesamtergebnis
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Schäden, zu denen insbesondere das Affektionsinteresse zählt; Ersatz ist auch zu leisten für den Verlust von Chancen; und victimes par ricochet können ihre Schäden ebenso geltend machen wie direkt geschädigte Personen. Dass auch primäre Vermögensschäden, die sich spätestens zum Ende des 19. Jahrhunderts häuften, deliktisch ersetzt werden, stellte niemand in Frage – die Juristen des Ancien droit und die Redaktoren des Code civil hatten sie schlicht nicht vor Augen, und in der Folgezeit betrachteten die französischen Juristen dies nicht als Problem. Dies zeigt sich auch anhand der Einordnung der Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen, die im 19. Jahrhundert für einige Unklarheiten sorgte: Während die französischen Juristen im Ancien droit die Haftung vertraglich einordneten und damit die in diesen Fällen typischerweise auftretenden primären Vermögensschäden explizit nicht deliktisch ersetzten, ging die Tendenz im 19. Jahrhundert eher zu einer Haftung nach Art. 1382 f. Cc. Im 20. Jahrhundert gab es zwar in Frankreich auch einige Anhänger von Jherings culpa in contrahendo, die große Mehrheit der Lehre und die Rechtsprechung gehen aber von einer deliktischen Haftung aus. 12 Dass ein derart unbeschränkter Ersatz in der Rechtspraxis zu gewissen Problemen führt, hat die Untersuchung ebenfalls gezeigt. Viele französischen Juristen beklagen, dass es dadurch in der französischen Rechtsprechung vermehrt zu „Exzessen“ komme. Deutlich wird dies vor allem beim Ersatz des Affektionsinteresses, das einige Gerichte selbst bei der Beschädigung von Sachgegenständen als verletzt angesehen haben, sowie der perte d’une chance-Doktrin, die sowohl über Unsicherheiten des Schadens als auch der Kausalität hinweghilft. 13 Grund für die teilweise sehr ausschweifenden Ergebnisse sei eine einseitige Ausrichtung an den Interessen des Geschädigten. Die Handlungsfreiheit des Schädigers erhalte dagegen nur eingeschränkten Schutz im Rahmen des Rechtsgebrauchs und -missbrauchs, wo es am ehesten zu einer Güter- und Interessenabwägung komme. 14 Immer wieder kommt der Vorschlag einer Hierarchisierung der verletzten Interessen, einer unterschiedlichen Behandlung auf. 15 Die Rechtsprechung stärkt in jüngerer Zeit Persönlichkeitsrechte bereits durch einen autonomen und damit vereinfachten Schutz und schafft somit eine Abgrenzung zu anderweitigen primären Vermögensschäden, die über die Generalklausel so nicht zu erreichen ist. 16 Einen generellen Weg zu einer von vielen französischen Juristen in der Lehre inzwischen geforderten Eingrenzung hat die französische Rechtswissenschaft jedoch noch nicht gefunden. Die gegenwärtige Auslegung und Anwendung der deliktischen Generalklausel durch die französische Rechtswissenschaft hat sich von dem ursprünglichen 12
S. 181 ff., 320 ff. Siehe oben S. 310 ff., 315 ff., 337 f. 14 Siehe oben S. 291 ff. 15 Hierzu S. 265, 326. 16 Siehe zu dieser Entwicklung oben S. 268. 13
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Gesamtergebnis
Verständnis der Redaktoren damit inzwischen um einiges entfernt. Die Art. 1382 f. Cc stehen heute für einen Minimalschutz. Ihr Anwendungsbereich ist wesentlich enger als noch im Jahre 1804: Art. 1384 al. 1 Cc sowie Spezialgesetze wie der Code de la route sehen für besondere Fälle nun eine strikte Haftung vor und vertragliche Pflichtverletzungen – ausgedehnt durch obligations de sécurité – unterfallen weitgehend nicht mehr der deliktischen Generalklausel. 17 Der Umfang der deliktischen Haftung nach Art. 1382 f. Cc scheint auf den ersten Blick unbegrenzt zu sein. Die Arbeit hat jedoch gezeigt, dass dies weder aktuell noch von jeher der Fall war. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stellte das Erfordernis der Verletzung eines gegenständlich begriffenen subjektiven Rechts für die französische Lehre eine Selbstverständlichkeit dar. Die französische Rechtsprechung ist dem nicht gefolgt und hat Schäden umfassend ersetzt. Dass der Art. 1382 Cc dies trotz seiner offenen Formulierung nicht zwingend gebietet, zeigt die eine Rechtsgutsverletzung voraussetzende restriktivere deutsche Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Reichsgerichts. An dieser Beobachtung zeigen sich deutlich die Besonderheiten des französischen Vorgehens. Dabei mag es sich um zufällige Entwicklungen handeln; möglich erscheint aber auch, dass der Grund dafür zumindest auch in der französischen Geschichte, in den auf die Französische Revolution zurückgehenden Werten liegt. Zwar gelten auch im 20. Jahrhundert gewisse Begrenzungen; im Ergebnis entscheiden die französischen Gerichte aber ganz im Zeichen der Gerechtigkeit und gewähren zugunsten des Geschädigten sehr umfassend Ersatz. In der französischen Lehre stößt dies zum Teil auf vehemente Kritik. Von „Auswüchsen“ mag hier zwar noch keiner sprechen, der Ruf nach einer gewissen Mäßigung ist jedoch immer wieder zu vernehmen. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie der französische Gesetzgeber in der geplanten Reform des Haftungsrechts die einzelnen Haftungsvoraussetzungen und insbesondere den Umfang der deliktischen Haftung ausgestalten wird.
17
Siehe hierzu S. 265 ff. sowie S. 340 ff.
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Schrifttumsverzeichnis
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Schrifttumsverzeichnis
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B. Literatur
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Schrifttumsverzeichnis
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Schrifttumsverzeichnis
Vergau, Hans-Joachim: Der Ersatz immateriellen Schadens in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts zum französischen und zum deutschen Deliktsrecht, Potsdam 2006 Vigié, Albert: De la nécessité d’une édition du Code civil au point de vue historique, in: Jean-Louis Halpérin (Hg.), Le Code civil. 1804–1904. Livre du Centenaire, Paris 2004 (Nachdruck der Ausgabe von 1904, hgg. von Arthur Rousseau), S. 25–43 Villey, Michel: Domat et le droit romain, 1945 – : Leçons d’histoire de la philosophie du droit, Kapitel 11: Les origines de la notion de droit subjectif, Paris 1957, S. 221–250 – : La formation de la pensée juridique moderne, Paris 1968 Viney, Geneviève: Le dommage indirect ou par ricochet en droit français, in: Olivier Guillod (Hg.), Colloque. Développements récents du droit de la responsabilité civile, Zürich 1991, S. 249–273 – : Responsabilité civile, in: JCP 1993, I, 3664 – : Modération et limitation des responsabilités et des indemnisations, in: Jaap Spier (Hg.), The limits of liability. Keeping the Floodgates Shut, Den Haag 1996, S. 127–136 – : Pour ou contre un „principe général“ de responsabilité civile pour faute ? Une question posée à propos de l’harmonisation des droits civils européens, in: Le droit privé français à la fin du XXe siècle, Études offertes à Pierre Catala, Paris 2001, S. 555–568 – : Traité de droit civil, Band I: Introduction à la responsabilité, 3. Auflage, Paris 2007 Viney, Geneviève/Jourdain, Patrice/Carval, Suzanne: Traité de droit civil, Band II: Les conditions de la responsabilité, 4. Auflage, Paris 2013 Voeltzel, René-Frédéric: Jean Domat. 1625–1696, Paris 1936 Volkmar, Leopold: Die Jurisprudenz des Rheinischen Kassationshofes zu Berlin 1819–1846 zusammengestellt, Berlin 1848 Wagner, Gerhard: Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, Baden-Baden 2003, S. 189–340 Wanner, Raymond E.: Claude Fleury (1640–1723) as an educational historiographer and thinker, Dordrecht 1975 Warnkönig, Leopold August: Rechtsphilosophie in Frankreich, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, 1829, S. 271–296 und 434–456 – : Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts, 2. Ausgabe, Freiburg im Breisgau 1854 Weller, Andreas: Die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im französischen Rechtsgebiet der preußischen Rheinprovinz, Baden-Baden 2011 Wellschmied, Karl: Zur Entstehung und Bedeutung der Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid von Hugo Grotius, in: ZRG Germ. Abt. 69 (1952), S. 155–181 Welzel, Hans: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1955 – : Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, Berlin 1958 Wilhelm, Walter: Gesetzgebung und Kodifikation in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ius commune 1 (1967), S. 241–270 Windscheid, Bernhard: Lehrbuch des Pandektenrechts, Bände I und II, 7. Auflage, Frankfurt 1891 Winiger, Bénédict: Das rationale Pflichtenrecht Christian Wolffs, Berlin 1992 – : La responsabilité aquilienne en droit commun, Genf 2002 Wolf, Erik: Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Auflage, Tübingen 1963 – Kapitel 8. Hugo Grotius, S. 253–310 – Kapitel 9. Samuel Pufendorf, S. 311–370
C. Urteilsanmerkungen
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Woyciechowski, Sarah: Die Entwicklung der Formerfordernisse an Testamente im französischen Erbrecht – Vorbild für eine europäische Vereinheitlichung?, in: GreifR Heft 16 (2013), S. 107–118 Wunner, Sven Erik: Christian Wolff und die Epoche des Naturrechts, Hamburg 1968 Zachariae (von Lingenthal), Karl Salomo: Handbuch des französischen Civilrechts, – : Band I, 5. Auflage, Heidelberg 1853 (hgg. von August Anschütz) – : Band II, 2., gänzlich überarbeitete Auflage, Heidelberg 1811; 4. Auflage, Heidelberg 1837; 5. Auflage, Heidelberg 1853 (hgg. von August Anschütz); 6. Auflage, Heidelberg 1875 (hgg. von Sigismund Puchelt); 7. Auflage, Freiburg i. Br. 1886 (hgg. von Heinrich Dreyer); 8. Auflage, Freiburg i. Br. (hgg. von Carl Crome) (Zitate ohne nähere Bezeichnung beziehen sich auf Band II; die hochgestellte Zahl hinter dem Titel indiziert die Auflage) Zimmermann, Reinhard: Effusum vel deiectum, in: Dieter Medicus/Hans-Joachim Mertens/Knut Wolfgang Nörr/Wolfgang Zöllner (Hg.), Festschrift für Hermann Lange zum 70. Geburtstag am 24. Januar 1992, Stuttgart 1992, S. 301–330 – : The Law of Obligations, 1992 Zimmermann, Reinhard/Carey Miller, David L.: Generis humani iuris consultus: Hugo Grotius (1583–1645), in: Jura 5 (1984), S. 1–11 Zweigert, Konrad/Kötz, Hein: Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage, Tübingen 1996
C. Urteilsanmerkungen C. Urteilsanmerkungen Anonym: Anm. zu Cass. req., 17.3.1873, D. Jur. gén. 1874, 1, 33 Anonym: Anm. zu CA Paris, 27.7.1892, D. Jur. gén. 1892, 2, 557 Anonym: Anm. zu Cass. civ., 19.7.1870, S. 1871, 1, 9 Anonym: Anm. zum Urteil des Obergerichts Mainz vom 13.6.1874, ZfrzCR 5 (1874), 341– 346 Chartier, Yves: Anm. zu Cass. civ. 1re, 2.11.1983, JCP 1985, II, 20360 Chauvel, Patrick: Anm. zu Cass. ch. com., 7.1.1997 und 22.4.1997, D. 1998, 45 Demogue, René: Anm. zu Cass. civ., 11.1.1922, S. 1924, 1, 105 – : Anm. in RTD civ. 22 (1923), 651 Esmein, Paul: Anm. zu Cass. req., 29.6.1897, S. 98, 1, 17 Flour, Jacques: Anm. zu Cass. civ., 22.2.1944, D. 1945, 296 Fuld: ZfrzCR 16 (1885), 315–322 Giboulot, Antoine: Anm. zu CA Aix, 14.6.1870, D. Jur. gén. 1872, 2, 97, Fn. 1–3 Hugueney, Louis: Anm. zu Cass. civ., 6.5.1936, S. 1937, 1, 217 Josserand, Louis: Anm. zu Cass. req., 14.12.1926, D. 1927, 1, 105 Jourdain, Patrice: Responsabilité civile = Anm. zu Cass. civ. 1re, 16.1.2013, RTD civ. 2013, 380 Marty, Gabriel: Anm. zu Cass. crim., 28.2.1930 und 31.10.1930, S. 1931, 1, 145 – : Anm. zu Cass. civ., 27.7.1937, S. 1938, 1, 321 Planiol, Marcel: Anm. zu CA Paris, 17.1.1905, D. 1907, 2, 97 Saleilles, Raymond: Anm. zu Cass. civ., 16.6.1896, D. Jur. gén. 1897, 1, 433 Sander: Bad. Annalen 2 (1834), 226 f. Sarrut, Louis: Anm. zu Cass. civ., 10.11.1884, D. Jur. gén. 1885, 1, 433, Fn. 1–3 Savatier, René: Anm. zu Cass. civ. 1re, 27.3.1973, JCP 1974, II, 17643
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Schmidt, A.: Bad. Annalen 35 (1869), 28 f. von Soiron: Anm. in Bad. Annalen 15 (1847), 123 Stoffel-Munck, Philippe: Responsabilité civile = Anm. zu Cass. civ. 1re, 26.11.2006, JCP 2007, I, 115, Nr. 2 Tunc, André: Anm. zu CA Orléans, 30.7.1942, D.C. 1943, 17 Viney, Geneviève: Responsabilité civile = Anm. zu Cass. civ. 2e, 27.5.1999, JCP 2000, I, 197 – : Responsabilité civile = Anm. zu CC, 9.11.1999, JCP 2000, I, 280
Sachregister Abbruch von Vertragsverhandlungen 323 ff. absolutes Recht 2 ff., 4, 7, 13, 23, 31, 39, 150 f., 222 f., 225, 257, 259, 282, 348 f. abus de droit, siehe Rechtsmissbrauch actio empti 81, 101, 182, 186 actio in factum 102, 182 f., 186 Affektionsinteresse 14, 303, 311 ff., 335, 347, 351 d’Aguesseau, Henri-François 57, 86 ff., 91 ff., 104 allgemeine Handlungsfreiheit 4, 7, 292, 327, 351 ALR 134 f., 163, 167 alterum non laedere, siehe Schädigungsverbot Ancien droit 8, 12, 53 ff., 104, 116, 126, 130 ff., 151, 161, 173, 349, 351 Ancien Régime 53, 83 f., 105, 126, 131, 140, 223, 348 anfängliche Unmöglichkeit 50, 60, 65, 79 f., 251 Ansehen 30, 45, 46, 126, 150 ff., 156, 161, 188, 211 ff., 222, 248 f., 272 f., 281, 349 Arbeitsunfälle 176 f., 206 ff., 231 f., 245 f., 263, 267 Arglist/arglistige Täuschung 11, 80, 102, 158, 183, 219, 249 f., 282, 330 Aufsichtsrat/Verwaltungsrat 217 ff., 250, 256, 349 Auskünfte 158, 219, 249 Auslegung 7, 73, 129 ff., 223, 233, 331 ff. Badisches Landrecht 228 ff., 237 ff. badisch-französische Rechtsschule 234 Beförderung (Verkehr) 179, 241, 343 f.
Beleidigung 171, 212, 248 Beurteilungsperspektive 300 f., 346 – in abstracto 283, 289 f. – in concreto 283, 289 f. Beweislast 176 f., 180, 203, 207, 263, 336 f., 341 Beweislastumkehr 177, 203, 337 BGB 1 f., 4, 11, 38, 228 f., 274, 282, 302, 306, 312, 314 f., 328, 348 Billigkeit 37, 50, 58, 68, 72, 82, 95, 100, 102 f., 122, 124, 126, 133 f., 140, 167, 178, 183 ff., 189, 225, 260, 262, 289, 311, 319, 321, 332, 348 ff. bon père de famille/bonus pater familias 284, 298 de Cambacérès, Jean Jacques Régis 111 ff., 124 f., 127 cas fortuit 170, 177, 181, 203, 208, 267, 330, 339 cause étrangère 267, 338 f. Code civil du Québec 297 ff. Code civil – Entwürfe 110 ff., 125 – Motive 121 ff., 135 f. concubinage 303 f., 308, 328; siehe Geliebte concurrence déloyale 171, 202, 243, 248 f. Coutumes 55 ff., 97 f., 104, 118, 119, 126, 130 f. culpa in contrahendo 251, 323, 351 Delikt 29, 60, 93, 97, 99 f., 118, 120 f., 144, 157, 187, 239, 254 domaine juridiquement garanti 281 f. Domat, Jean 12, 53, 66 ff., 86, 92 f., 104, 107, 110, 119 f., 122, 126 f., 131, 163, 166 f., 348
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Sachregister
dommage – actuel 160, 302 f., 315, 328, 350 – certain 5, 160, 302 ff., 313, 315, 318, 320, 328 f., 350 – direct 5, 160, 302 f., 315, 318, 328 f., 331, 350 Doppelgebot der Liebe 71 droit commun 55 ff., 63, 126 droit coutumier, siehe Coutumes droit écrit 54, 63, 119 Duelle 169, 204 f. école de l’exégèse 136 ff., 153 f. Eheversprechen, siehe Heiratsversprechen Ehre 23 f., 30, 39, 45 f., 64, 90, 93, 104, 123, 126, 150 ff., 156, 161, 188, 211 ff., 222, 248 f., 272 f., 281, 302, 349 Eigentum 8, 23 f., 28, 30, 32, 37, 39, 46, 79, 123, 150 ff., 161, 163 f., 178, 188, 195 ff., 222, 247 f., 269, 272, 281, 293, 326, 344, 348 f. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 108, 109, 144, 147 f., 162, 269, 291 erreur de conduite 282 ff., 301 error in persona 183 f. équité, siehe Billigkeit Ersatzberechtigte 5 f., 208 f., 246, 303, 313 – mittelbar Geschädigte, siehe victimes par ricochet fait illicite 141 ff., 157, 162, 164, 270 ff., 282, 300, 349 faute 2, 5 f., 10, 12, 30, 36, 47 f., 50, 75, 121, 141 ff., 145 ff., 159, 161 f., 164, 174, 177, 179, 184 ff., 188 f., 262 ff., 296 ff., 322, 324 ff., 333 f., 337 ff., 343 ff., 349 f. – Abgrenzung vertragliche und deliktische 179 ff., 206, 221, 340 Fehlverhalten 15, 21 f., 24, 30, 172 Feuerschäden 170, 198 force majeure 170, 177, 181, 203, 208, 267, 280, 288, 330, 339 Formverstoß 174, 216, 258 fraternité 224 f.
Freiheit 23 f., 28, 30, 32 f., 37, 39, 45, 94, 126, 150 ff., 156, 161, 188, 272 f., 281, 348 f. gardien 208, 266 f., 344 Gefährdungshaftung 178, 222, 232, 263 Geliebte 273, 303 f., 306 f., 309, 312, 328, 346 gerechter Krieg 18 ff., 28 Gerechtigkeit 19, 58, 73, 123 f., 225, 279, 315, 348, 350, 352 Gerichtspraxis, deutsche 244 ff. Gesetzesmaterialien, siehe travaux préparatoires gesetzgeberischer Wille 135, 138, 139, 155, 236 Gesetzgebungskomitee/-kommission (Frankreich) 8, 12, 108, 109, 111, 114, 118 ff. Gesundheit 2, 79, 90, 199, 204 ff., 214, 281, 302, 344, 348 f. gewerbliches/geistiges Eigentum 201 f. Gewohnheitsrecht, siehe Coutumes Glieder 28, 30, 45, 94, 126 goldene Regel 72, 90, 133, 148, 152 Grotius, Hugo 12, 15 ff., 45, 64, 70, 74, 83, 98, 100, 101, 104, 107, 115, 117, 126 f., 348 Haftpflichtgesetz 231 f., 246 Heiratsversprechen 211 f., 241, 253 f., 255, 287 Hierarchisierung 326, 329, 351 homme prudent et diligent 284 f., 299 illicéité 77, 143, 145, 282, 286, 335, 346, 349 f. imprudence 75, 85, 102, 120, 158, 202, 210, 216 iniuria 19, 28, 31, 37, 39, 46, 91 Irrtum 34, 36 f., 49 ff., 65, 79 f., 102, 185, 251 de la Jannès, Michel Prévost 92 ff., 97, 104, 107 von Jhering, Rudolf 251, 305, 321, 323, 351 Kaninchen, siehe Wildschäden
Sachregister Kasuistik (des römischen Rechts) 15, 78, 81 f., 93, 113, 126 Kausalität 2, 5, 10, 12, 30, 75, 141, 263, 319, 324, 329 ff., 346 f. – Adäquanztheorie 333 f. – Äquivalenztheorie 332 ff. – Schutzzweck 336 Körper/körperliche Unversehrtheit 6, 8, 23 f., 30, 37, 39, 45, 79, 123, 126, 151, 156, 164, 178, 204 ff., 222, 245 f., 265 f., 272 ff., 281, 326, 344, 348 f. Kriegsrecht 17, 28, 40 Laurent, François 156 ff., 164 f. Leben 6, 8, 23 f., 28, 30, 37, 39, 45, 78 f., 90, 94, 104, 123, 126, 150 f., 178, 204 ff., 222, 245 f., 265 f., 272, 274, 281, 302, 326, 348 f. lex Aquilia 60, 62 ff., 68, 74, 78, 126, 130 f., 140, 348 lien de causalité, siehe Kausalität lien de droit 307, 309 lien de parenté 307, 312 Mazeaud 282 ff., 296 Minen 171, 199, 247 nachbarliche Beziehung 171, 196 ff., 247, 254 f., 265, 325 Napoléon 118 ff. Naturrecht 15, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 25, 27, 39, 42, 43, 68, 87, 98, 100, 112 f., 118 négligence 34, 47, 50, 120, 158, 278, 283 neminem laedere 60, 72, 73, 75, 87, 90, 133, 315 Nichtigkeit eines Vertrags 33 ff., 49 ff., 65 f., 79 ff., 82, 101 f., 126 f., 322 f. non-cumul des responsabilités 288, 340 ff. Notarhaftung 171 ff., 214 ff., 241, 250, 256, 349 f. objektive Haftung 262 ff. obligation(s) – de moyens 279 f., 288 – de résultat 279 ff., 288
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– de sécurité 267, 343 f., 352 – déterminées 278 f., 282, 285, 288 – Entstehungsgründe 93, 99 f., 103, 113, 187, 279 – générale de prudence et de diligence 278 f., 281, 282 f., 286, 288 f., 300 f., 346 – préexistante 275 ff., 282, 286 f., 300 Perspektivwechsel 300 f., 346, 350 perte d’une chance 315 ff., 328, 337 f., 346 f., 351 Pflichten, Pflichtenlehre 42, 43, 89 ff. Pflichtverletzung, siehe obligation préexistante Planiol, Marcel 181, 274 ff., 282 f., 285 f., 291, 294 f., 302 Pothier, Robert Joseph 53, 94 ff., 107, 119, 120, 126 f., 131, 182 f., 185, 187, 189, 321 présomption de faute 267 présomption de responsabilité 267, 345 primäre Vermögensschäden 3 ff., 11, 14, 35 ff., 51 f., 77 ff., 123, 126 f., 158 f., 161, 172, 189, 266, 274, 301 f., 307, 309, 314 ff., 326, 343, 346, 348 ff. Prozessführung 171, 213, 241, 249, 293 Pufendorf, Samuel 12, 15, 41 ff., 70, 83, 87, 89, 93 f., 98, 104, 107, 126 f. Quasidelikt 93, 99 f., 118, 120 f., 170, 186 f., 210, 239 f., 284 rechtlich geschütztes legitimes Interesse 303, 305 ff., 328, 346 Rechtsfortbildungsverbot 138 f., 223 Rechtsgebrauch 10, 135, 144 f., 163 ff., 197, 213, 238 ff., 265, 351 Rechtsgüter 2 f., 10, 23, 30 f., 37, 51 f., 64, 78 f., 82, 90, 94, 104 f., 113, 115, 117 f., 121, 124, 129, 141, 151 ff., 160, 174, 214, 220, 260, 282, 349 Rechtsmissbrauch 10, 135, 166 ff., 197, 213, 291 ff., 324, 351 Rechtsprechungspraxis 190 ff. Rechtsverletzung 2 f., 5, 10 f., 13, 36, 142, 146 ff., 160 ff., 189, 209, 219, 224 f., 237 f., 240, 243, 249, 257,
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Sachregister
259, 266, 271 ff., 291, 300 f., 345 f., 348 ff. Redaktoren 8, 53, 57, 84, 94, 106, 124, 126 f., 135, 302, 348 f., 352 Reichsgericht 2365ff., 350, 352 relative Rechte 31, 38, 150 f., 220, 272 f. restitutio 16, 74, 126 Rheinisches Recht 229, 243 ff. Richter 1 f., 4, 117, 133, 230, 289, 297, 319, 329, 337, 339, 347 Risiko 177 f., siehe auch théories du risque römisches Recht 54 ff., 68 ff., 95 ff., 104, 112, 114, 118, 126 f., 130 f., 243, 348 Schaden 2, 5, 10, 12, 30 ff., 46 ff., 75 ff., 91, 123 f., 126 f., 141, 160, 238, 266, 301 ff., 324 ff., 339, 350, siehe auch dommage – immaterieller 7, 14, 160, 211, 213, 255, 312, 350 – moralischer 209, 213 f., 247, 255 f., 266, 268, 274, 303, 305 f., 309, 326, 350 Schädigungsabsicht 166, 170, 272, 290, 292, 296, 324 Schädigungsverbot 19, 39, 45, 51, 275 f., 291 Schutzbereich 3, 5, 10, 30, 38 sociabilité 25, 43 spanische Spätscholastiker 16, 38, 40, 67, 126 Strafe/Bestrafung 60 ff., 74 strikte Haftung 265 ff., 352 subjektives Recht 7, 13, 20 f., 23, 26, 28, 31, 33, 35, 38 ff., 46 f., 49, 51 f., 59, 91, 93, 126 f., 159, 223, 251, 272 f., 282, 295, 300, 305 ff., 346, 349, 352 théories du risque 177 f., 262 ff., 296 Toullier, Charles 131, 145, 149 ff. travaux préparatoires 135, 348
unlauterer Wettbewerb, siehe concurrence déloyale Unterhalt 23, 33, 304, 307 Verführung 171, 211 f., 253 f. Verhaltensfehler, siehe erreur de conduite Verhaltenspflicht 278 f., 282, 286, 298 f., 346, 350 Verkauf nicht verkehrsfähiger Sachen 65, 80, 101, 182 f., 186, 322 Verkehrsunfälle 205 f., 241 Verletzungsverbot, siehe neminem laedere Verlust einer Chance, siehe perte d’une chance Vermögen 4, 38, 78 f., 151, 153 f., 156, 172, 212, 214 ff., 223, 225, 243, 249 ff., 257, 259, 292, 326 Vernunft 26, 27, 29, 43, 58, 71, 73, 87, 95, 97, 98 vertragliche Pflichtverletzung 179, 204, 219 f., 225, 238, 252 f., 256 f., 341 ff., 349 f., 352 victimes par ricochet, 6, 14, 303, 312 f., 331, 346, 351 vollkommenes Recht 28, 32, 46, 51, 90 Vollkommenheit 46, 88 ff. Vorsichts- und Sorgfaltspflicht, siehe obligation générale de prudence et de diligence vorvertragliche Pflichtverletzung 36, 102, 181 ff., 250 f., 320 ff. widerrechtlich/Widerrechtlichkeit 19, 93, 97, 144 ff., 161 f., 164 f., 167, 225, 243, 249, 259, 270 Widerruf eines Angebots 185 f., 320 f. Wildschäden 175 f., 2010f., 232, 247 f. Wille Gottes 18, 19, 27 Wolff, Christian 87 ff., 98 Zachariae (von Lingenthal), Karl Salomo 144, 153 ff., 165, 173, 234 f., 239, 241