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German Pages 191 Year 1996
KARSTEN SCHOLZ
Der Begriff der Zumutbarkeit im Deliktsrecht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 183
Der Begriff der Zumutbarkeit im Deliktsrecht Von
Karsten Scholz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Scholz, Karsten: Der Begriff der Zumutbarkeit im Deliktsrecht I von Karsten Scholz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 183) Zug!.: Göttingen, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08493-4
NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08493-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§
Vorwort Buchtitel wecken Erwartungen. Der Begriff der Zumutbarkeit sicherlich diejenige, Anhaltspunkte für die Konkretisierung eines juristischen Sammelbegriffs zu erhalten. Daher mag mancher Leser, der nach einer Darstellung von Fallgruppen Ausschau hält, von dieser Schrift enttäuscht werden. Sie hält vielmehr dazu an, die Interessen desjenigen näher zu ergründen, der sich auf die Unzumutbarkeit der Einhaltung einer Norm beruft. Nur dadurch läßt sich die Gefahr bannen, daß durch die Hintertür des Unzumutbarkeitseinwands die rechtlichen Wertungen unbemerkt verschoben werden. Die Arbeit ruht daher auf dem Fundament des modernen Deliktsrechts, das mein Doktorvater Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Erwin Deutsch mit aufgebaut und mir über mehrere Jahre meiner Assistententätigkeit vermittelt hat. Mein besonderer Dank gebührt jedoch nicht nur ihm, sondern auch meinem Freund Dr. Tonio Stoll, dessen juristischer Sachverstand und persönlicher Zuspruch an zahlreichen Stellen der Arbeit durchscheint. Für die Durchsicht aus dem Blickwinkel des Strafrechtlers hat sich freundlicherweise Prof. Dr. Manfred Maiwald zum Zweitgutachten bereiterklärt. Die Unterstützung anderer, allen voran meiner Mutter, ist zwar weniger offenkundig, war aber unverzichtbar. Dafür herzlichen Dank. Gewidmet ist die Arbeit meinem Vater und meiner Oma Emma, die zwar deren Beginn, nicht aber mehr den Tag des Rigorosums miterleben durften. Hannover, im Juni 1995 Dr. Karsten Scholz
Inhaltsverzeichnis
Einführender Teil § 1 Einleitung
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§ 2 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Die Herleitung des Begriffes der Zumutbarkeit im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . .
22
II. Die Verortung des Merkmals der Zumutbarkeit im Schichtaufbau des Deliktstatbestandes . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .
24
III. Qualitative Bedeutung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes im Deliktsrecht . . .
25
§ 3 Begriffsbestimmung: Objektive und subjektive Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
§ 4 Reichweite der Rechtfertigungsgründe im Hinblick auf das Problem der Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
II. Der zivilrechtliche aggressive Notstand, § 904 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
I. Eigentum und sonstige Vermögensrechte als geschützte Rechtsgüter . . . . .
31
2. Erfordernis der zumindest bedingt vorsätzlichen Verletzung des Rechtsguts.................. . ........... .. ........ . ... . .... . ....................
31
3. Unanwendbarkeit bei Unterlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
III. Der strafrechtliche rechtfertigende Notstand, § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
1. Der Anwendungsbereich des § 34 StGB im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
a) Geltung strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe im Zivilrecht . . . . . . . . .
34
b) Das Konkurrenzverhältnis von§ 34 StGB und§ 904 BGB . . . . . . . . . . . .
35
8
Inhaltsverzeichnis c) § 34 StGB bei deliktischer Haftung wegen Unterlassens
37
d) § 34 StGB bei deliktischer Haftung aufgrund Fahrlässigkeit . . . . . . . . . .
38
e) § 34 StGB und die rechtfertigende Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
f) Zusammmenfassung zum Anwendungsbereich des § 34 StGB . . . . . . . .
40
2. Der Tatbestand des § 34 StGB .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
41
a) Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
b) Erforderlichkeil des Notstandseingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
IV. §§ 904 BGB, 34 StGB als abschließende Regelung bzw. rechtlicher Maßstab für die Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
1. §§ 904 BGB, 34 StGB als abschließende Regelung von Notstandssituationen . . . . . . .. .. ... . . .. . . .. . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . .. . . ... .. . .. . . . .. . . . . . . . . . .
45
2. Der Maßstab der§§ 904 BGB, 34 StGB bei Zumutbarkeitsüberlegungen außerhalb von Notstandssituationen . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .
46
3. Der Maßstab der§§ 904 BGB, 34 StGB bei Zumutbarkeitsüberlegungen, die nicht auf den Interessenabwägungsgrundsatz zurückzuführen sind . . . .
46
V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Erster Teil
Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit im Deliktsrecht
§ 5 Die Herleitung des Zumutbarkeitsmerkmals im sonstigen Zivilrecht: Der
Grundsatz von Treu und Glauben . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . .. .
49
I. Die Zumutbarkeit als Fallgruppe des § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
II. Der Geltungsbereich des § 242 BGB: Erfordernis desBestehenseiner Sonderverbindung . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . .
51
III. Schlußfolgerung zur Anwendbarkeit von § 242 BGB im Deliktsrecht . . . . . . . .
53
IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Inhaltsverzeichnis
9
§ 6 Die Herleitung des Zumutbarkeitsmerkmals im Strafrecht: Orientierung an der Strafzwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
I. Analogie zu § 242 BGB - Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . .
56
II. Ableitung aus dem Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
111. Orientierung an den Zwecken der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
1. Generalpräventive Ableitung der Zumutbarkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
2. Spezialpräventive Ableitung der Zumutbarkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
IV. Zusammenfassung . . . . . .. . . . . .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
61
§ 7 Die Zwecke des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
I. Die Präventivfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
II. Die Ausgleichsfunktion . . . . .. .. .. . . . . .. . . . . . . . . .. .. .. . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . . .
67
III. Die Rechtsfortsetzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
1. Leitgedanken der Rechtsfortsetzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
2. Begründung der Geltung des Rechtsfortsetzungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
a) Grundsatz der Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
b) Deliktsrecht als Schutz von Rechten und Rechtsgütern und nicht des Vermögens generell . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
3. Die Einwände von Steffen .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . . .. .. .. .. . . . . . . . . . . . . .
71
a) Subjektbezogener Schadensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . ..
71
b) Zäsur zwischen haftungsbegründendem und haftungsausfüllendem Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
a) Trennung zwischen Haftungs- und Schadensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
b) Schlußfolgerungen aus dem Grundsatz der Naturalrestitution bzw. dem Tatbestandsmerkmal der Rechtsgutverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
c) Keine Teilfunktion des Ausgleichsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
10
Inhaltsverzeichnis
§ 8 Die Entwicklung der Rechtsfortsetzungsfunktion zur Interessenfortsetzungsfunktion und die Herleitung der Zumutbarkeit im Haftungsrechts aus der Interessenfortsetzungsfunktion sowie im Schadens- und Verjährungsrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
I. Schwächen des Rechtsfortsetzungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
IL Die Interessenfortsetzungsfunktion als Zweckrichtung des Haftungsrechts . . .
79
III. Die Herleitung des Zumutbarkeitskriteriums aus der Interessenfortsetzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
IV. Die Herleitung des Zumutbarkeitsbegriffs im Schadensrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
1. Der Stellenwert von Zumutbarkeitsbetrachtungen im Schadensrecht . . . . . .
83
a) Die Zumutbarkeit als Grenze der Vorteilsausgleichung . . . . . . . . . . . . . . .
83
b) Die Zumutbarkeit als Begrenzungsmerkmal der Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
2. Der haftungsbegründende Deliktstatbestand als Schuldverhältnis . . . . . . . . .
87
3. Der Sonderfall des § 839 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
Die Herleitung des Zumutbarkeitsbegriffs im Verjährungsrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
§ 9 Die Herleitung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten aus verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
I. Die Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
II. Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . .
93
1. Vorstellung der Theorie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .
93
2. Schlußfolgerungen für die Herleitung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
III. Die AnsichtSchwabesund Canaris' . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . .
96
1. Vorstellung der Theorie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . . .. .. .. .. . .. . . .. .. ..
96
V.
Inhaltsverzeichnis 2. Schlußfolgerungen für die Herleitung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 97
a) Die Zumutbarkeit im öffentlichen Recht als Unterkategorie der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
aa) Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
bb) Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
cc) Die Ansichten anderer Gerichte sowie im Schrifttum . . . . . . . . . . . . 101 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Die Herleitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus Art. I Abs. 3 GG bzw. dem Rechtsstaatsprinzip .. . . . . .. . . . . . . . . . .. . .. . . .. . .. . . . . . . . . . . . 103 aa) Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Eigene Stellungnahme und Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Ergebnis . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . I 05
Zweiter Teil
Die Verortung des Zumutbarkeitskriteriums im deliktischen Schichtaufbau
§ 10 Die Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts . . . . . . . . . . 106
I. Zumutbarkeitsbetrachtungen beim repressiven und defensiven Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Zumutbarkeit von Ersatzleistungen bei unzumutbarem Normgebot . . . . . . . . . . 109 III. Vereinbarkeil mit der Dogmatik zu den Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Die Position Steffens . .. . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. 110
2. Die Position Mertens' . .. .. .. . .. . .. . .. .. .. .. . .. . .. .. . .. .. .. .. .. . . .. . .. .. .. 111 3. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Eink1agbarkeit von Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Interessenfortsetzungsfunktion als Hauptzweck des Deliktsrechts . . . . . 113 c) Das Verschu1densprinzip als Basis des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Ergebnis . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . .. . . .. .. .. . . .. . . . . 116
12
Inhaltsverzeichnis
§ 11 Die Zumutbarkeit als Basis der Adäquanzlehre - Verortung der Zumutbar-
keit im haftungsbegründenden Tatbestand auf der Stufe der Adäquanzprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Die Verbindung des Adäquanzurteils mit Zurnutbarkeitsüberlegungen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Die Gegenposition in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Fehlendes Bedürfnis einer Adäquanzprüfung im haftungsbegründenden deliktischen Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Stellungnahmen im Schriftturn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
§ 12 Die Verortung der objektiven Zumutbarkeit als Faktor für die Bestimmung
der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt sowie der subjektiven Zumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Stellungnahmen im Schriftturn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Die Zurnutbarkeit als Verschuldenselernent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Die Zurnutbarkeit als Bestimmungsmerkmal der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Einordnungsvorschläge bei Unterscheidung in objektive und subjektive Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Die Position von Engisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Die Position von Münzberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Die Position von Deutsch.......... .. .. .. .. . . .... . ....... .. ... .. ... .. . 130 III. Die gesetzliche Regelung in§ 5 Abs. 1 KSchG . .. .. ... . .. .. .......... . .... . . 131 1. Die vorherrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Die Gegenposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Inhaltsverzeichnis
13
3. Die Auffassung von Rohlfing/Rewolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4. Zusammenfassende Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Die objektive Zumutbarkeit als Versobjektivierungskriterium des objektivtypisierten Fahrlässigkeitsbegriffs im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Objektiv-typisierender Sorgfaltsmaßstab im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Begründung für den objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab im Zivilrecht . . . . 135 3. Kritische Würdigung im Hinblick auf die besondere Situation im Deliktsrecht ................ .. . ... ....................................... .. . . . .. . 135 4. Zwischenergebnis: Der Fahrlässigkeitsbegriff als Einfallstor für Zumutbarkeitsaspekte . . .. . . . .. . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . .. . . . . . .. . . . .. . . 137 5. Objektive und subjektive Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 6. Die objektive Zumutbarkeit als Bestimmungsmerkmal der objektiven Sorgfaltswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 7. Ergebnis und Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 V. Haftung aus dem Gesichtspunkt des Übernahme- oder Vorsorgeverschuldens
141
VI. Die subjektive Zumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . 143 VII. Die Verortung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten bei vorsätzlicher Begehung eines deliktischen Tatbestandes .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . 145 1. Ausschluß wertender Betrachtungen beim Vorsatzbegriff.. ....... .. .. .. . . 145 2. Die subjektive Zumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund bei der vorsätzlichen unerlaubten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 VIII. Exkurs: Die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten nach dem Produkthaftungsgesetz . . . . . . .. . .. .. . . .. . .. . . . . . . . . .. . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . .. . 148 1. Stellungnahmen im Schrifttum .. . . .. . .. . .. .. . . .. . . .. . . .. . . . .. . .. . . . .. . . . . 148 2. Eigene Position für den Bereich der Konstruktionsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Zusammenfassung . . . . . . .. .. . . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . 15 1 IX. Ergebnis . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . .. .. . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . 151
14
Inhaltsverzeichnis Dritter Teil
Die Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes flir den Deliktsschuldner
§ 13 Verantwortlichkeit aufgrund anderer Haftungsnormen trotz Unzumutbar-
keit normgemäßen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Die Billigkeitshaftung nach § 829 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Die Position der herrschenden Ansicht und der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 154 2. Die Auffassung von Deutsch und Nipperdey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !55 II. Der Ausgleichsanspruch nach§ 904, S. 2 BGB .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 156 1. Analoge Anwendung des § 904, S. 2 BGB
!56
2. Gegenstimmen und eigene Stellungnahme
!57
3. Reichweite der Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !59 111. Zusammenfassung . . .. . . . .. . . . . .. . . . . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . . . .. . . . .. .. .. .. . . . . . 160
§ 14 Die Reichweite von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Deliktsrecht . . . . . . . . . . 160
I. Rechtfertigungsgründe und Zumutbarkeitsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Vorrang der auf den Kernbereich einer grundrechtliehen Gewährleistung zurückführbaren Zumutbarkeitsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Das Durchgreifen des Zumutbarkeitseinwandes als Einzelfallentscheidung . . 163
§ 15 Versicherungsschutz als bei Zumutbarkeitsüberlegungen zu berücksichtigen-
der Gesichtspunkt .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . . . 164 I. Bestehende Haftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . .. .. . . . .. . . . .. . 164 I. Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
2. Eigene Stellungnahme .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . . . .. .. .. . .. .. .. .. .. . . .. . .. .. .. . 166
Inhaltsverzeichnis
15
II. Üblicher oder vernünftigerweise gebotener Versicherungsschutz
167
III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 § 16 Die Bedeutung des Zumutbarkeitsbegriffs im Deliktsrecht - Eine abschlie-
ßende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Versubjektivierung des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 169
§ 17 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
II. Der Begriff der Zumutbarkeit im Deliktsrecht - Ausfluß seiner Interessenfortsetzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Die Verortung der Zumutbarkeit im Schichtaufbau des Deliktstatbestandes . . 173 IV. Reichweite des Zumutbarkeitseinwandes..... .. .. . . .. . .... . .......... . . .. . . . 174
Literaturverzeichnis ..... . ..... .. .. . ... . .
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Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Aufassung
a. a. 0.
am angegebenen Ort
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
AG
Amtsgericht
AGBG
Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Allgem.
Allgemeiner
Alt.
Alternative
Anm.
Anmerkung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
AP
Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts
AR-Blattei
Arbeitsrecht-Blattei
Art.
Artikel
ArbuR
Arbeit und Recht
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAGE
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
BauGB
Baugesetzbuch
BB
Der Betriebs-Berater
Bd.
Band
Begr.
Begründer
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHR
Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BlStSozArbR
Blätter für Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht
BMJ
Bundesminister der Justiz
BonnerKomm
Bonner Kommentar zum Grundgesetz
BR
Bundesrat
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Abkürzungsverzeichnis BVeiWG
BundesveiWaltungsgericht
BVeiWGE
Entscheidungen des BundesveiWaltungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
DAR
Deutsches Autorecht
DB
DerBetrieb
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
Diss. jur.
juristische Dissertation
DJT
Deutscher Juristentag
DJZ
Deutsche Juristen-Zeitung
dng
die niedersächsiche gemeinde
DöV
Die öffentliche VeiWaltung
DR
Deutsches Recht
Drs.
Drucksache
DVBI.
Deutsches VeiWaltungsblatt
EG
Europäische Gemeinschaft
Einl.PreußALR
Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht
f.
für
f., ff.
folgende (Seite(n))
FS
Festschrift
GA
Goltdammer's Archiv für Strafrecht
GernKomm
Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz
Halbs.
Halbsatz
HGB
Handelsgesetzbuch
h.M.
herrschende Meinung
h.L.
herrschende Lehre
HRR
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Hrsg.
Herausgeber
insbes.
insbesondere
i.V.
in Verbindung
JA
Juristische Arbeitsblätter
JBI.
Juristische Blätter
JherJb., JJb.
Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts
JR
Juristische Rundschau
JuS
Juristische Schulung
JW
Juristische Wochenschrift
JZ
Juristen-Zeitung
KSchG
Kündigungsschutzgesetz
2 Scholz
17
18
Abkürzungsverzeichnis
LAG
Landesarbeitsgericht
LeipzKomm
Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch
LG
Landgericht
LM
Lindenmaier-Möhring. Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs
LPachtG
Landpachtgesetz
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
Mot.
Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch
MünchKomm
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
mwN
mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
Österr.
Österreichisches
OLG
Oberlandesgericht
OLGRspr.
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte
OVG
Oberverwaltungsgericht
PflVG
Pflichtversicherungsgesetz
PHI
Produkthaftung International
ProdHaftG
Produkthaftungsgesetz
Prot.
Protokolle der Kornmission für die II. Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs
RDV
Recht der Datenverarbeitung
Richtl.
Richtlinie
RG
Reichsgericht
RGRK
Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
s.
Seite(n)
SchlHAnz
Schleswig-Holsteinische Anzeigen
StGB
Strafgesetzbuch
u.a.
unter anderem
V.
von
Verf.
Verfasser
VersR
Versicherungsrecht
vgl.
vergleiche
Vorb.
Vorbemerkung
VRS
Verkehrsrechts-Sarnrnlung
VVG
Versicherungsvertragsgesetz
Abkürzungsverzeichnis WM
Wertpapier-Mitteilungen
z. B.
zum Beispiel
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZVG
Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung
2*
19
Einführender Teil § 1 Einleitung Die korrespondierenden Begriffe der Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit begegnen uns in nahezu allen Rechtsgebieten 1. Im Strafrecht ist beispielsweise versucht worden, einen allgemeinen Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit herzuleiten. Für das Bundesverfassungsgericht ist die Zumutbarkeit offensichtlich mit der Angemessenheit gleichbedeutend und deshalb das abschließende Kriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung2. Im Zivil- und Zivilprozeßrecht taucht der Begriff der Zumutbarkeit in einer Reihe von gesetzlichen Regelungen aue, wird bei von der Rechtsprechung anerkannten Rechtsinstituten wie dem Wegfall der Geschäftsgrundlage eingeführt und erfüllt auch sonst häufig eine haftungsbegrenzende Funktion4. Letzterer Befund verstärkt sich für denjenigen, der im Bereich des Haftungsrechts5 arbeitet. Bei den Verkehrspflichten findet sich der Begriff der Zumutbarkeit schon im "Tatbestand". Jedenfalls die Rechtsprechung bringt auch die Adäquanz mit der Zumutbarkeit in Verbindung. Ebenso ist Gemeingut, daß Zumutbarkeitserwägungen im Rahmen der Schadensminderungspflicht zu berücksichtigen sind, und schließlich soll ein Verschulden dann zu verneinen sein, wenn dem Täter in der konkreten Situation ein normgemäßes Verhalten nicht zurnutbar war.
I Deutlich geworden ist dies bei den 8. Helgoländer Richtertagen mit dem Thema "Der Grundsatz der Zumutbarkeit im Recht". Vgl. hierzu SchlHAnz 1969, S. 167ff. 2 Vergleiche etwa BVerfGE 59, 336 (357); 61, 126 (134). 3 §§ 549 Abs. 2, 554a, 556 a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, 626 Abs. 1, 651e Abs. 1 S. 2, 906 Abs. 2 S. 1 u. 2, 1898 Abs. 1, 1901 Abs. 2 S. 1, 2331a Abs. 1 S. 2 BGB, §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 6 Abs. 3, 10 Nr. 4, 19 AGBG, § 5 Abs. 1 KSchG, § 5 LPachtVG, §§ 116, S. 1 Nr. 1, 141 Abs. 1 S. 2, 811a Abs. 1, 2. Halbs. ZPO, § 30a ZVG. Ebenso in dem nach h.L. dem Privatrecht zuzuordnenden§ 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG. 4 Erinnert sei hier an den Schulfall der Sängerin, die nicht auftreten kann, weil ihr Kind schwer erkrankt ist. Die Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen ist ihr unzumutbar. 5 Die im Nachfolgenden synonym verwandten Begriffe "Haftungsrecht" und ,,Deliktsrecht" beziehen sich auf den Fragenkomplex des Haftungsgrundes im Bereich der unerlaubten Handlungen. Soweit es um den Umfang der Haftung geht, den das Bestehen eines Haftungsgrundes nach sich zieht, wird der Ausdruck "Schadensrecht" verwendet werden. Die Unterscheidung zwischen "Haftungsrecht" und "Schadensrecht" vollzieht auch Schäfer, In: Staudinger12, Rn. 1 vor§§ 823ff. ·
22
Einführender Teil
Bei der Allgegenwärtigkeil des Begriffes der Zumutbarkeit liegt es nahe, darin mit Henkel ein "regulatives Prinzip" zu sehen6 . Damit ist aber noch keine Entscheidung darüber gefallen, wann und wo dieses Prinzip überhaupt wirken darf und wie stark die Regulationswirkung im Einzelfall ist. Der bislang umfassendste Versuch, sich der Problematik der Zumutbarkeit anzunehmen, ist 1961 von Weber unternommen worden7 . Auch heute noch gilt seine Erkenntnis8 , daß der Begriff der Unzumutbarkeit vielfach gedankenlos verwandt wird, häufig gar nicht als Rechtsbegriff verstanden werden soll, sondern nur der Ausschmückung der Argumentation dient. Heute, 35 Jahre nach der Kommentierung, ist festzustellen, daß der Zumutbarkeitsbegriff eher noch freimütiger in die Debatte geworfen wird als zur damaligen Zeit. Weber hat deshalb mit Recht dazu aufgerufen, "dem Problem der Zumutbarkeit und Nichtzumutbarkeit methodisch zu Leibe zu gehen"9 . Die Ansätze hierzu sind allerdings spärlich geblieben, und für das Deliktsrecht 10 kommt verstärkend hinzu, daß Weber mit seinen Untersuchungen dieses Rechtsgebiet selbst nicht behandelt hat. Die nachfolgende Bearbeitung will versuchen, die bestehende Lücke zumindest ansatzweise zu füllen.
§ 2 Methodisches Vorgehen I. Die Herleitung des Begriffes der Zumutbarkeit im Deliktsrecht Zumutbarkeitserwägungen verschieben die Haftungsgrenzen. Beruft sich der Schädiger darauf, ein rechtmäßiges Verhalten sei ihm unzumutbar gewesen, weshalb eine Haftung ausscheiden müsse, geht dieser Einwand zu Lasten des Geschädigten. Dessen Haftungsrecht erfährt durch die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten eine Einschränkung. Andererseits mag der Geschädigte darauf verweisen, er hätte den eingetretenen Schaden nur mit einem ihm nicht zuroutbaren Aufwand abzuwenden vermocht, so daß ihm ein Verstoß gegen seine Schadensminderungspflicht nicht zur Last gelegt werden könne. Hier verschärft also der Einwand des Geschädigten die Haftung des Schädigers. Beide Haftungsverschiebungen sind begründungsbedürftig. Dabei ist zunächst festzustellen, daß den Tatbeständen der unerlaubten Handlungen der Begriff der Zumutbarkeit fremd ist. Es muß daher nach einem allgemeinen Prinzip gesucht Henkel, In : Festschrift für Mezger, S. 249 (267). Kommentierung zu § 242 in der II. Auflage des Kommentars von Staudinger. 8 In: Staudinger 11 § 242, Rn. B29. 9 Weber JJb. 1962/63, 212, 239. w Vgl. Fn. 5.
6 7
§ 2 Methodisches Vorgehen
23
werden, aus dem sich eine Beachtlichkeit der Zumutbarkeit im Deliktsrecht ableiten läßt. In Betracht kommen hier zunächst Prinzipien, die sich aus dem allgemeinen Schuldrecht ableiten lassen, insbesondere das Gebot von Treu und Glauben. Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Herleitung resultieren aber daraus, daß § 242 BGB nach weitverbreiteter Ansicht nur innerhalb bestehender oder zumindest bereits angebahnter Sonderverbindungen Anwendung finden soll. Eine derartige Sonderbeziehung wird durch das Delikt aber gerade erst begründet. Die Zumutbarkeit wird im Deliktsrecht deshalb - anders als im Schadensrecht - kaum auf das Gebot von Treu und Glauben zurückführbar sein. Daher wird anschließend untersucht werden, inwieweit speziell das Haftungsrecht prägende Prinzipien wie der Präventions- und der Ausgleichsgedanke oder das Rechtsfortsetzungsprinzip die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten erforderlich machen. Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind entsprechende Versuche im strafrechtlichen Schrifttum. Dort bemüht man sich, die Notwendigkeit der Einbeziehung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten in den strafrechtlichen Deliktsaufbau aus der Strafzwecklehre heraus zu begründen. Dieses Vorgehen erscheint wegen der nicht zu leugnenden Parallelen zwischen dem Delikts- und dem Strafrecht auch für die vorliegende Untersuchung interessant. Ein Gebot, Zumutbarkeitserwägungen im Deliktsrecht mitzubeachten, mag schließlich auch aus verfassungsrechtlichen Vorgaben folgen. Derjenige, der mit der Unzumutbarkeit argumentiert, beruft sich vielfach auf Gesichtspunkte, die ihm gegenüber dem Staat ein Abwehrrecht gewähren würden. Das bedeutet, er ist im Einzelfall nicht verpflichtet, der geschriebenen Rechtsordnung, also dem staatlichen Befehl, zu folgen, weil seine Handlungsfreiheit, Gewissensfreiheit oder auch ein anderes Grundrecht anderenfalls in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt wäre. Damit aber stellt sich hier das Problem der Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht. Beeinflussen die Grundrechte einerseits auch die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen und verlangen sie andererseits- zumindest im Verhältnis zum Staat - nach der Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten, müßten sie möglicherweise auch im Deliktsrecht Beachtung finden. Dennoch soll zunächst versucht werden, das Zumutbarkeitskriterium aus allgemeinen zivil- bzw. haftungsrechtlichen Grundsätzen herzuleiten. Eine solche Zurückführung auf allgemeine Prinzipien bereitet aber in einem dem Kodifikationsgedanken verschriebenen Zivilrechtssystem nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Das Gesetz erhebt hier nämlich den Anspruch, denkbare Interessenkonflikte möglichst vollständig erlaßt und sie dann jeweils abschließend geregelt zu haben. Die auf diese Weise zum Ausdruck kommende Wertung darf deshalb nicht mittels allgemeiner (Zumutbarkeits-) Erwägungen ausgehebelt werden. Zumutbarkeitsüberlegungen müssen deshalb im Deliktsrecht unter dem Vorbehalt anderweitiger positivgesetzlicher Wertungen stehen. Nur dann wird man den Einwänden Webers gerecht, den Zumutbarkeitsbegriff nicht gedankenlos zu verwenden, sondern gezielt bei gesetzlich nicht geregelten Interessenkonflikten aufzugreifen. Allein unter die-
24
Einführender Teil
ser Prämisse kann es auch gelingen, die Zumutbarkeit als Rechtsbegriff und nicht allein als rhetorisches Hilfsmittel zu verwenden. Aus dem Kodifikationsprinzip folgt mithin, daß positivgesetzliche Regelungen die weitergehende Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten ausschließen können. Hierbei muß in erster Linie an die zivil- und strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe gedacht werden, die bestimmte Interessenkonflikte behandeln und einer teilweise sehr ausdifferenzierten Regelung zuführen. Für die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsaspekten könnte dieses folgendes bedeuten: Einmal könnten sie nur dann beachtlich sein, wenn sie ebenfalls eine positivgesetzliche Regelung erfahren haben. Zum anderen wäre es möglich, Zumutbarkeitsüberlegungen zwar nicht auf der Ebene der Rechtswidrigkeit, wohl aber auf derjenigen der Schuld in die Betrachtungen einzubeziehen. Schließlich mag man Zumutbarkeitsgesichtspunkte dann beachten, wenn sie anderen als den in den Rechtfertigungsgründen verankerten Prinzipien Geltung verschaffen sollten. Dieses diffizile Konkurrenzverhältnis zwischen dem Zumutbarkeitsprinzip und den Rechtfertigungsgründen bedarf daher vorrangiger Erörterung. Ausgangspunkt dafür muß sein, den Anwendungsbereich der zivil- und strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe möglichst exakt zu bestimmen, um daraus Rückschlüsse für die für Zumutbarkeitserwägungen verbleibenden Fallgestaltungen ziehen zu können. Dabei soll in diesem Teil der Arbeit weitgehend von der Rechtsprechung und der herrschenden Ansicht im Schrifttum ausgegangen werden, da eine Neubestimmung des Anwendungsbereiches der Rechtfertigungsgründe nicht Gegenstand dieser Arbeit sein kann.
II. Die Verortung des Merkmals der Zumutbarkeit im Schichtaufbau des Deliktstatbestandes Einerseits setzt der Weg der Herleitung des Zumutbarkeitskriteriums im Deliktsrecht erste Schranken für seine Plazierung im Schichtaufbau des Haftungstatbestandes. Andererseits erscheint die Spannbreite denkbarer Lösungen sehr groß: Im Strafrecht ist es beispielsweise umstritten, ob das Kriterium der Zumutbarkeit beim unechten Unterlassungsdelikt auf der Ebene des Tatbestandes, bei der Rechtswidrigkeit oder bei der Schuld zu berücksichtigen ist 11 • Im Deliktsrecht kommt als weitere Möglichkeit die Einordnung auf der Rechtsfolgenseite in Betracht. Dieses würde dann naheliegen, wenn die in der Literatur vorgetragene These Richtigkeit II Für die Einordnung beim Tatbestand etwa OLG Karlsruhe MDR 1975, 77lf.; Dreher/ Tröndle, StGB47 , § 13, Rn. 16; Schönke/Schröder/Stree, StGB 24 , Rn. 155 vor§§ l3ff. Dagegen etwa LeipzKomm!Jescheck, StGB 10, Rn. 98 vor § 13; LeipzKomm!Hirsch, StGBu, Rn. 193 vor§ 32; Jakobs, Strafrecht, Allgem. Teif 29/99; Wessels, Strafrecht, Allgem. Teil24, Rn. 731.
§ 2 Methodisches Vorgehen
25
hätte, nach der dem Schädiger ein normgemäßes Verhalten wohl unzumutbar, jedoch ein schadensrechtlicher Ausgleich im Einzelfall gleichwohl zurnutbar sein könne. Zur Verifizierung dieser Lehrmeinung wird dabei auf die dogmatischen Grundlagen des repressiven Rechtsschutzes, insbesondere auch der Verkehrspflichten Bezug genommen werden. Später dann wird die in diesem Zusammenhang aufscheinende Tendenz, Zumutbarkeitsfragen auf der Verschuldensebene einzuordnen, weiterverfolgt und beurteilt werden, wobei wie im Strafrecht die Besonderheiten der vorsätzlichen, fahrlässigen sowie der Unterlassungsdelikte zu berücksichtigen sind. Probleme ergeben sich schließlich auch daraus, daß die Zumutbarkeit ein Sammelbegriff für eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Einwendungen ist. Sollte es hierbei bedeutende, durch besondere Kennzeichen abgegrenzte, Untergruppen geben, muß geprüft werden, ob diese auch an verschiedenen Stellen im Schichtaufbau Bedeutung erlangen. Eine erste evidente Unterscheidung ist diejenige in eine objektive und eine subjektive Unzumutbarkeit. Es geht hierbei darum, daß entweder Gründe vorliegen, die ein Handeln jedermann in der betreffenden Situation unzumutbar erscheinen lassen oder aber solche, die die Pflichtenerfüllung nur dem Gläubiger oder Schuldner aus seiner besonderen Situation heraus unzumutbar machen. Obwohl es sich bei dieser Differenzierung eigentlich um ein Problem des Umfanges der Berücksichtigung des Zumutbarkeitseinwandes und damit des dritten Hauptteiles handelt, soll sie aus darstellungstechnischen Gründen schon unmittelbar anschließend an diese Einleitung erörtert werden. Die Möglichkeit, daß die Unterscheidung schon in den beiden ersten Hauptteilen, d. h. bei der Herleitung des Zumutbarkeitsbegriffs und seiner Verortung im Schichtaufbau des Deliktstatbestandes, Bedeutung gewinnt, macht dieses erforderlich.
111. Qualitative Bedeutung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes im Deliktsrecht Nachdem ein Standort für Zumutbarkeitsgesichtspunkte im deliktischen Schichtaufbau gefunden sein wird, soll der dritte Teil der Bearbeitung Auskunft darüber geben, inwieweit sich allgemeine Leitlinien dafür bestimmen lassen, in welchem Umfang Zumutbarkeitsaspekte im Deliktsrecht Bedeutung erlangen. Dabei wird einleitend zu untersuchen sein, ob ein Deliktsschuldner, dem ein normgemäßes Verhalten aus deliktsrechtlicher Sicht unzumutbar ist, gleichwohl aufgrund anderer Haftungsnormen Schadenersatz zu leisten hat. Daran anschließend soll noch einmal auf das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Unzumutbarkeitseinwand und den Rechtfertigungsgründen eingegangen werden, das grundlegend schon im ersten Teil der Arbeit behandelt wird. Im dritten Teil der Untersuchung konzentriert sich die Fragestellung darauf, ob Voraussetzungen, die für das Eingreifen von Rechtfertigungsgründen bestehen, auch für denjenigen gelten, der sich auf Zumut-
26
Einführender Teil
barkeitsgesichtspunkte beruft. Erst dem nachfolgend soll versucht werden, aus den im ersten und zweiten Teil gewonnenen Ergebnissen Schlußfolgerungen dafür zu ziehen, in welchem Umfang sich der Deliktsschuldner dem Deliktsgläubiger gegenüber darauf berufen kann, ein bestimmtes Verhalten sei ihm unzumutbar. Nachdem in § 15 erläutert wird, inwieweit ein bestehender Versicherungsschutz auf Zumutbarkeitsbetrachtungen Einfluß nimmt, werde ich abschließend dazu Stellung beziehen, ob die im Rahmen der Untersuchung getroffenen Feststellungen Anlaß dafür geben, die Allgemeinheit gewordene Dogmatik des Deliktsrechts an bestimmter Stelle zu überdenken.
§ 3 Begriffsbestimmung: Objektive und subjektive Zumutbarkeit Die deliktische Verantwortlichkeit wird häufig mit der Begründung verneint, ein Handeln entsprechend den Ge- oder Verbotsnormen sei dem Schädiger nicht zuzumuten gewesen. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich dabei allerdings nicht um einen einheitlich faßbaren Einwand. Vielmehr werden unter dem Begriff der Zumutbarkeit zwei demselben Kerngedanken entspringende, aber dennoch deutlich unterscheidbare Argumentationslinien zusammengefaßt, mit denen die deliktische Haftung abgewendet werden soll. Zum einen wird behauptet, daß Umstände zugunsten des Schädigers sprächen, die sich auf ein allgemeines Prinzip und damit einen objektiv handhabbaren Maßstab zurückführen ließen und demzufolge die deliktische Haftung jedes Dritten in der gleichen oder einer ähnlichen Situation einschränken würden. Ohne die Berücksichtigung dieser Zumutbarkeitserwägungen wäre das vom Gesetz jedermann vorgegebene Verhaltensprogramm zu weit gefaßt. Deutsch 12 hat diese Fallgruppe mit dem Begriff "objektive Zumutbarkeit" belegt, Schmidt-Salzer 13 hingegen spricht von "genereller Zumutbarkeit" und Herschel 14 von "absoluter Zumutbarkeit". Alle drei Begriffe sind durchaus treffend, derjenige von Deutsch erscheint allerdings deshalb vorzugswürdig, weil er nicht nur den Geltungsbereich oder die Wirkungskraft der darunter zu fassenden Zumutbarkeitsgesichtspunkte beschreibt, sondern auch einen, wenn auch noch vagen Maßstab für die Abgrenzung beider Zumutbarkeitsbegriffe angibt: Unter dem objektiven Zumutbarkeitsbegriff sind solche Umstände einzuordnen, die unbeschadet der spezifischen - subjektiven Situation des Täters Geltung beanspruchen und deshalb grundsätzlich jedermann von seiner deliktischen Verantwortlichkeit befreien 15 •16 . Deshalb können sie objekHaftungsrecht I, S. 211. Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Band l , Rn. 98. Ähnlich auch Ossenbühl, In: Festgabe Jubiläum Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (318). 14 Hersehe/ ArbuR 1968, 193 (196f.). 12
13
§ 3 Begriffsbestimmung
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tiv, das heißt unabhängig von Besonderheiten beim Täter, umschrieben werden, obschon sie ursprünglich allein aus solchen Umständen abgeleitet worden sind, die ausschließlich auf der Schädigersicht beruhen uqd insofern als subjektiv bezeichnet werden könnten 17 • Zum anderen wird vorgetragen, daß es darüber hinaus Umstände gäbe, die zwar die deliktische Verantwortlichkeit nicht generell, aber doch im konkreten Einzelfall auszuschließen vermögen. Schlägt Schmidt-Salzer18 hier folgerichtig den Begriff "individuelle Zumutbarkeit" vor, spricht Deutsch 19 auf der anderen Seite von der "subjektiven Zumutbarkeit". Er beschreibt damit, daß hierunter solche Gesichtspunkte fallen, die nicht auf ein generelles, die deliktische Haftung stets ausschließendes Prinzip zurückführbar sind, die aber dennoch im Einzelfall von solchem Gewicht sind, daß dem Schädiger ausnahmsweise nicht mehr vorgeworfen werden kann, eine unerlaubte Handlung begangen zu haben20. Zwar muß der Schädiger in diesem Fall grundsätzlich haften, denn eine generelle Berücksichtigung dieses Zumutbarkeitsaspekts würde den Zwecken des Deliktsrechts zuwiderlaufen. Der konkrete Zumutbarkeitsgesichtspunkt läßt sich nämlich nicht zu einem das ge15 Von objektiver Zumutbarkeit im weiteren Sinne kann man sprechen, wenn zwar nicht jedermann durch diesen Umstand von seiner Verantwortlichkeit befreit würde, wohl aber jeder Angehörige einer besonderen Personengruppe oder jeder Teilnehmer eines bestimmten Verkehrskreises. Dazu unten§ 12 IV 6 dieser Arbeit. 16 Die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Zumutbarkeit findet man auch beim Baugebot nach § 176 BauGB. Bei § 176 Abs. 3 BauGB- kein Baugebot bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit -kommt es ausschließlich auf die objektive Zumutbarkeit an : Vom Baugebot muß die Gemeinde danach absehen, wenn ein Bau wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Lage schlechterdings keinem vernünftig handelnden Eigentümer zurnutbar wäre. Bei subjektiver Unzumutbarkeit kann der Eigentümer hingegen die Übernahme des Grundstücks von der Gemeinde verlangen, § 176 Abs. 4 BauGB. Sie liegt vor, wenn die Zumutbarkeit aus in seiner persönlichen wirtschaftlichen Lage liegenden Gründen entfällt. Das Baugebot muß hier "gerade diesem" Eigentümer unzumutbar sein. Vgl. hierzu etwa Battis/Krautzberger/Löhr/Krautzberger, BauGB 4 , § 176, Rn. 8f.; Cholewa/David/Dyonglvon der Heide, BauGB 2, § 176, Anm. 1; Emst/Zinlwhn/Bielenberg, BauGB, Rn. 6 vor§§ 175-179; Dieterich-Buchwald/Dieterich dng 1991, 52 (54). Auf die objektive Zumutbarkeit wird auch in § 906 Abs. 2 S. 1 BGB abgestellt, wenn gefragt wird, ob Maßnahmen, "die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zurnutbar sind", eine wesentliche Beeinträchtigung eines Grundstücks durch Imponderabilien verhindern können. Das Recht zur Kündigung des Reisevertrages bei einem nicht erheblichen Mangel richtet sich gemäߧ 65le Abs. 1 S. 2 BGB hingegen nach der subjektiven Zumutbarkeit. 17 Vgl. dazu noch die Position Herschels, dargestellt im letzten Absatz dieses Paragraphen. 18 Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Band I, Rn. 98. 19 Haftungsrecht I, S. 286. 20 Auch Bemsmann, "Entschuldigung" durch Notstand, S. 440f., will im Strafrecht neben der objektiven Zumutbarkeit, die von § 35 StGB miterlaßt wird, die subjektive Zumutbarkeit als weiteres allgemeines Regulativ gelten lassen, das eingreift, wenn "individuelle Besonderheiten und Sensibilitäten der beteiligten Personen abzuwägen sind, die sich jeder Verallgemeinerung entziehen."
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nerelle Verbot relativierenden objektiven Prinzip verdichten. Die Gegebenheiten können ihn aber persönlich so stark beanspruchen, daß es ihm in Gegensatz zu anderen nicht vorgeworfen werden kann, die unerlaubte Handlung begangen zu haben21. Das Verhältnis von objektiver und subjektiver Zumutbarkeit22 hat am deutlichsten Herschel 23 beschrieben: Mit Zumutbarkeitsgesichtspunkten sollen stets individuell-subjektive Momente - im Deliktsrecht auf Schädigerseite - beriicksichtigt werden. Da aber die Menschen in ihrer Individualität häufig Gemeinsamkeiten aufweisen, kann man auf der Basis dieser Gemeinsamkeiten objektive und daher allen zugute kommende Zumutbarkeitskriterien definieren 24 . Wo keine Gemeinsamkeiten vorhanden sind, muß es bei der Würdigung des Einzelfalles bleiben. Hier erfolgt die Entlastung des Schädigers aus Griinden, die nur seine Person treffen und deshalb einer Objektivierung weder bedürfen noch ihr zugänglich sind. Es bleibt daher als wichtige Erkenntnis festzuhalten, daß die Kriterien der objektiven und der subjektiven Zumutbarkeit auf einem gemeinsamen Fundament ruhen, das von der subjektiven Komponente gebildet wird. Jeder Fall einer objektiven Zumutbarkeit hat sich also zunächst als Kategorie der subjektiven Zumutbarkeit dargestellt und dann hieraus entwickelt.
§ 4 Reichweite der Rechtfertigungsgründe im Hinblick auf das Problem der Zumutbarkeit I. Problemstellung Untersucht man die Stellungnahmen zum Zumutbarkeitskriterium im Deliktsrecht empirisch, liegt seine maßgebliche Bedeutung darin, die Haftung des Schädigers zu begrenzen. Die Beschränkung der Schadensminderungsobliegenheit, § 254 Abs. 1 S. 1, 2. Halbs. BGB, spielt demgegenüber - zudem ein Problem jedes Schuldverhältnisses - eine nur untergeordnete Rolle und soll daher vorläufig außer Betracht bleiben.
21 Jedes subjektive Verständnis des Zumutbarkeitsbegriffs wird hingegen abgelehnt von Wieacker JZ 1954,466 (467). Der Aspekt der Unzumutbarkeit nehme nur auf materiale Prinzipien von allgemeiner, unpersönlicher Verbindlichkeit Bezug. 22 Nach seiner Terminologie: absoluter und relativer Zumutbarkeit. 23 Hersehe/ ArbuR 1968, 193 (196). 24 Ebenso Ossenbühl, In: Festgabe Jubiläum Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (325): Auch er faßt unter den Begriff der absoluten Zumutbarkeit Überanstrengungen des Betroffenen, die zwar aus seiner Sphäre stammen, sich aber zu einem generell akzeptierten Rechtssatz zur Entlastung aller verallgemeinem lassen.
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Motiv, eine solche Haftungsbegrenzung zuzulassen, ist es, Interessen des Schädigers Geltung zu verschaffen, die von der Rechtsordnung bereits anerkannten Schutz genießen oder ansonsten schutzwürdig erscheinen, die aber vom gesetzlich fixierten System des Deliktsrechts nicht berücksichtigt werden. Dabei ist die Besonderheit des Zumutbarkeitseinwandes seine im Ansatz starke Subjektivierung25 : Der Schädiger will mit seinem Einwand eine Grenze markieren 26 , hinter der er sich jeder Pflicht entziehen zu können glaubt bzw. einen unbeschränkte Handlungsund Unterlassungsfreiheit zu besitzen vorgibt. Dem einzelnen einen solchen autonomen Bereich zuzubilligen, erscheint mit Blick auf das vom Grundgesetz fixierte freiheitliche Menschenbild zunächst durchaus naheliegend. Mit § 823 Abs. I BGB als Ausgangspunkt der Regelungen über unerlaubte Handlungen hat sich der Gesetzgeber aber richtigerweise gerade für das spiegelbildliche Modell entschieden: Über die Figur des absoluten, d. h. gegenüber jedermann geschützten Rechts wird die Freiheit des Geschädigten in bezug auf die dort bezeichneten Rechtsgüter auf der Werteskala zunächst ganz nach oben gestellt. Jedenfalls nach der Lehre vom Erfolgsunrecht wird damit gleichzeitig eine Vermutung zugunsten des Geschädigten bezüglich des Vorranges seiner Interessen aufgestellt. In der Regelung kommt der überzeugende Grundsatz zum Ausdruck, daß die - ansonsten umfassend gewährleistete - Handlungsfreiheit dort endet, wo Rechtsgüter anderer tangiert werden. Das Recht verlangt dabei von jedermann, daß er diese Rechtsgüter achtet und erlegt ihm dazu ein gewisses Pflichtprogramm auf, das - so wird behauptet - unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit steht. Der Schutz des absoluten Rechts und damit das Pflichtprogramm wird aber auch schon durch das Gesetz eingeschränkt. Dies geschieht auf der dritten Stufe des deliktischen Schichtaufbaus durch das Verschuldensprinzip und auf der zweiten Stufe durch verschiedene Rechtfertigungsgründe. Durch letztere wird die Geltungskraft der absoluten Rechte relativiert und ihre Eingebundenheit in die soziale Ordnung des menschlichen Zusammenlebens deutlich gemacht. Aber auch hier zeigt sich wie in vielen anderen Bereichen, daß die soziale Komponente im Bürgerlichen Gesetzbuch nur schwach ausgeprägt ist27 . Nur in Notwehr- und Notstandssituationen muß das absolute Recht zurücktreten. 25 Das gilt auch für die objektive Zumutbarkeit, die vom Ansatz her ausschließlich auf solche Umstände abstellt, die allein die Position des Schädigers in Betracht ziehen, aus denen sich aber allgemeingültige Prinzipien ableiten lassen, auf die sich jedermann berufen kann und die daher objektiviert werden können. 26 Zur Verdeutlichung sei ·noch einmal darauf hingewiesen, daß diese bei der objektiven Unzumutbarkeit allgemeingültig ist, bei der subjektiven Unzumutbarkeit hingegen nur ausnahmsweise im konkreten Fall gilt. 27 Insbesondere 0. v. Gierke, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches und das Deutsche Recht. AufS. 261 f. führt v. Gierke speziell zum Recht der unerlaubten Handlungen aus, weil es die Haftung für fremdes Verschulden unter einschränkende Voraussetzungen stellt und eine Verschuldens- und keine Verursachungshaftung einführt: "Daß umgekehrt ein Gesetzbuch, welches seiner sozialen und wirtschaftlichen Aufgabe gerecht werden wollte, heute solche Gedanken in noch viel weiterem Umfange aufnehmen und ausbauen müßte, bleibt
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Nicht zuletzt weil auch schon in anderen Disziplinen des Bürgerlichen Rechts versucht worden ist, soziale Gesichtspunkte stärker zu berücksichtigen, könnte die Einschränkung der Rechtswidrigkeit allein durch diese Normen aus heutiger Sicht überholt sein. Immerhin wird zumindest bei der objektiven Zumutbarkeit behauptet, daß sie sich auf allgemeingültige Prinzipien zurückführen läßt. Deshalb erscheint es nicht femliegend, der Zumutbarkeit neben den Rechtfertigungsgründen einen größeren Bedeutungsgehalt zuzumessen. Das könnte zumindest dann gelten, wenn diese allgemeinen Prinzipien sich nicht mit denen decken, die den Rechtfertigungsgründen zugrunde liegen. Für die nachfolgende Untersuchung ergibt sich deshalb: Da es auch im Deliktsrecht anwendbare Normen gibt, die Belange des Schädigers berücksichtigen, hier aber eine deutliche Grenze setzen, ist zunächst der Anwendungsbereich dieser Normen zu ermitteln, um dann zu prüfen, inwieweit sie eine Sperrwirkung im Hinblick auf die Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen entfalten. Begonnen werden soll in Abschnitt II. mit einer Analyse des § 904 BGB. Hierbei wird sich zeigen, daß die Anwendbarkeit der Norm bei fahrlässiger Tatbegehung sowie beim Unterlassungsdelikt problematisch ist. Im Abschnitt III. wird anschließend zunächst die Frage aufgeworfen, inwieweit strafrechtliche Rechtfertigungsgründe im Zivilrecht überhaupt zu berücksichtigen sind. Soweit dies der Fall ist, wird erörtert, ob § 34 StGB neben § 904 BGB ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommt. Das Hauptaugenmerk ist dabei auf die Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte gerichtet.
II. Der zivilrechtliche aggressive Notstand, § 904 BGB Nach § 904, S. 1 BGB handelt der Schädiger dann gerechtfertigt, wenn die Einwirkung auf eine Sache "zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist". Dabei ist § 904 BGB in einen Zusammenhang mit § 228 BGB zu stellen. Diese Norm enthält nämlich eine Spezialregelung für den Fall, daß die drohende Gefahr, die es zu beseitigen gilt, von der zu diesem Zweck zerstörten oder beschädigten Sache selbst ausgeht. Rechtsfolge ist jeweils, daß eine Haftung des Schädigers etwa nach § 823 Abs. I BGB ausscheidet28 und ein Ersatzanspruch nur unter den Voraussetzungen der §§ 228, S. 2, dem Entwurfe verborgen. Er hat so wenig Fühlung mit der Lebensbewegung unserer Zeit, daß ihn nicht einmal eine Ahnung davon beschleicht, wie allgemein die Überzeugung von der Unhaltbarkeit des reinen Deliktsstandpunktes für eine moderne Schadenersatzforderung und das Verlangen nach einer an altnationales Recht wieder anknüpfende Reformgesetzgebung verbreitet ist. Und wie sollte er auch von seinen rein individualistischen Gesichtspunkten aus begreifen können, um was es sich hier eigentlich handelt." Zusammenfassend aus heutiger Sicht: Larenz, Allgem. Teil 7 , S. 48ff.
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904, S. 2 BGB besteht. Dieser ist bei § 228 BGB vom Verschulden abhängig, bei § 904, S. 2 BGB handelt es sich hingegen um eine gesetzliche Regelung des verschuldensunabhängigen, allgemeinen Aufopferungsanspruchs 29 .
1. Eigentum und sonstige Vermögensrechte als geschützte Rechtsgüter
Aus der systematischen Stellung im Sachenrecht folgt, daß § 904 BGB primär als eine den Inhalt des Eigentums bestimmende Norm zu verstehen ist. Demgemäß beschränkt der Wortlaut die Notstandsbefugnis auf die Einwirkung auf Sachen. Nach herrschender Ansicht im Schrifttum ist allerdings eine entsprechende Anwendung der Norm auf alle absoluten Vermögensrechte geboten30. Damit wird aber gleichzeitig ausgeschlossen, § 904 BGB auch bei Eingriffen in höchstpersönliche Rechtsgüter heranzuziehen. Nach den Protokollen31 muß gegen einen Angriff auf Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit Notwehr stets zulässig sein, was aber bei einer Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 904 BGB auf höchstpersönliche Rechtsgüter nicht länger gewährleistet wäre. Auch könne es niemals einen einklagbaren Anspruch auf Überlassung dieser Güter zum Zweck der Abwehr des Notstandsangriffs geben, zumal für die Aufopferung kein Äquivalent gewährt zu werden vermag. Der Gedanke, jedes Recht trage insofern eine innere Beschränkung, als es nur insoweit ausgeübt und verteidigt werden dürfe, als es nicht mit einem höher zu bewertenden Rechtsgut in einen zu seinen Lasten gehenden Widerspruch treten würde, wurde damit verworfen. Es war danach wohlbedacht, den aggressiven Notstand im Sachenrecht zu regeln. Sowohl die historische als auch die systematische Auslegung sprechen folglich dafür, § 904 BGB nur als das Eigentum und andere Vermögensrechte einschränkende Norm anzusehen.
2. Erfordernis der zumindest bedingt vorsätzlichen Verletzung des Rechtsguts Von der Rechtsprechung, aber auch der herrschenden Ansicht im Schrifttum wird eine weitere Beschränkung des Anwendungsbereiches des zivilrechtliehen Notstandes dahingehend angenommen, daߧ 904, S. l BGB nur vorsätzliches, d. h. zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des Eingreifenden erfaßt. Der Handelnde muß sich die Schädigung der Sache zumindest als mögliche Folge seines Eingriffs 28 29 30 31
Staudinger/Seiler 12 § 904, Rn. 29. Vgl. nur Staudinger/Seiler 12 § 904, Rn. 3; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 389. Statt vieler etwa MünchKomm/Säcker2 § 904, Rn. 2 mwN. Bd. 6, S. 216.
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in den fremden Rechtskreis vorgestellt und sie billigend in Kauf genommen haben32. Hierfür werden zahlreiche Begründungen gegeben: Zunächst deute schon der Begriff "Einwirkung" darauf hin, bei § 904, S. 1 BGB eine finale und damit vorsätzliche Handlung vorauszusetzen 33 . Das werde dadurch bestätigt, daß die Einwirkung "zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr" erfolgen müsse, was bedeute, daß der sich in einer Notstandslage Befindende mit einem Einwirkungswillen und damit vorsätzlich gehandelt haben müsse34. Außerdem verlange die Rechtfertigung nach § 904 BGB, daß der Schädiger selbst eine Güterahwägung vornehme und sich dabei zugunsten des zu rettenden Rechtsgutes entscheide. Dies sei aber schon begrifflich ausgeschlossen, wenn er nur fahrlässig handele 35 . Dem entspricht das Argument, das Gesetz setze schon deshalb Vorsatz voraus, weil eine andere Regelung im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände unsinnig wäre. Bei jedem unvorsätzlichen Eingriff könne der Eigentümer eine Einwirkung nämlich schon deshalb nicht verbieten, weil diese für ihn jedenfalls nicht voraussehbar war. Dann aber sei es widersinnig, wenn das Gesetz in diesem Fall noch ein ausdrückliches Verbot aussprechen würde36. Schließlich würde bei einer extensiven Auslegung des § 904, S. 1 BGB und damit auch der Anspruchsnorm des § 904, S. 2 BGB die Grenze dieser Haftung zur Gefahrdungshaftung verwischt37 . Es würde dadurch verkannt, daß § 904, S. 1 BGB primär ein Mittel zur Beschränkung des Eigentumsrechts sei, seine extensive Auslegung aber vornehmlich anderen Zwecken dienen solle, etwa dem Schließen angeblicher Lücken im Recht der Ersatzleistungen, dieses aber vor dem historischen Hintergrund der Norm nicht vertretbar sei38. Die Rechtfertigung nach § 904, S. 1 BGB tritt nach allem nur dann ein, wenn der Verteidiger vorsätzlich gehandelt hat. Insbesondere bei der fahrlässigen Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts eröffnen sich damit nach Rechtsprechung und herrschender Ansicht Lücken für andere Rechtfertigungsgründe sowie unter Umständen Zumutbarkeitserwägungen.
3. Unanwendbarkeit bei Unterlassungen Aus der Systematik des § 904, S. I BGB folgt eine weitere, für die vorliegende Problemstellung bedeutsame Einschränkung des Anwendungsbereiches der Norm. BGHZ 92, 357 (359). BGHZ 92, 357, 359. 34 BGHZ 92, 357, 359. 35 MünchKomm!Säcke? § 904, Rn. 7. 36 OLG Stuttgart OLGRspr. 20, 404f. 37 MünchKomm!Säcke? § 904, Rn. 7. 38 Staudinger/Seiler 12 § 904, Rn. 23. 32 33
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Der zivilrechtliche Notstand kann nämlich nur positives Tun, nicht aber auch ein das Eigentum beeinträchtigendes Unterlassen rechtfertigen 39 . Diese Einschränkung folgt aus der systematischen Stellung des § 904 BGB im Titel über den Inhalt des Eigentums: § 903 BGB gibt dem Eigentümer- unter dem Vorbehalt einschränkender gesetzlicher Bestimmungen und der Rechte Dritter die umfassende Herrschaftsbefugnis über seine Sache. Diese Befugnis geht soweit, daß der Berechtigte "andere von jeder Einwirkung ausschließen" kann, § 903, letzter Halbs. BGB. Eine dieses Abwehrrecht einschränkende Bestimmung stellt § 904, S. l BGB dar, indem er dem Eigentümer unter gewissen Voraussetzungen eine Duldungspflicht hinsichtlich der Einwirkung auf seine Sachen auferlegt. Entscheidend ist nunmehr, daߧ 903 BGB Dritte nur verpflichtet, das Eigentum zu respektieren, nicht aber auch, für das Eigentum anderer positiv einzustehen. § 903 BGB begründet keine Obhutspflicht, schafft keine Garantenstellung hinsichtlich des Eigentums Dritter; derartige Handlungspflichten können nur aus anderen Normen gewonnen werden. Besteht aber keine Handlungspflicht zugunsten des Eigentümers, kann diesen auch keine Pflicht treffen, ein Absehen von der Hilfeleistung unter gewissen Voraussetzungen zu dulden. Anders gefaßt kann der Schädiger aus § 904, S. 1 BGB keine Befugnis zum Unterlassen ableiten. Das gilt wegen der besonderen systematischen Stellung der Norm insbesondere dann, wenn tatsächlich eine Garantenpflicht besteht und der Schädiger wegen pflichtwidrigen UnterJassens haftbar gemacht werden soll. Diese Beschränkung des § 904 BGB auf Begehungsdelikte erscheint unter teleologischen Erwägungen zwar kaum gerechtfertigt. Nimmt man nämlich an, es bestünden zwei an sich qualitativ identische Notstandssituationen, die sich allein dadurch unterscheiden, daß einmal ein Handlungsgebot, das andere Mal ein Unterlassungsgebot verletzt wird, ist rational nicht einsichtig, wieso § 904 BGB nur die Verletzung des Unterlassungsgebots rechtfertigen soll. Da dieses Ergebnis aber dennoch einhellig vertreten wird, soll es im nachfolgenden trotz dieser Unstimmigkeiten weiterhin zugrundegelegt werden. § 904, S. l BGB rechtfertigt demnach nur in Notstandssituationen begangene Begehungsdelikte.
4. Zusammenfassung
Der Rechtfertigungsgrund des zivilrechtliehen Notstandes hat nach allem einen nur sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Nicht durch § 904, S. 1 BGB gerechtfertigt werden sowohl fahrlässiges Handeln als auch Unterlassungen. Außerdem kann die Norm nur dann herangezogen werden, wenn in das Eigentum oder andere vermögenswerte Rechte eingegriffen wird. Vorbehaltlich anderweitiger Rechtfertigungsgründe verbleibt daher - abgesehen vom vorsätzlichen Eingriff in 39
RGZ 75, 80, 83; RGRK!Augustin 12 § 904, Rn. 10; Staudinger/Seufert 11 § 904, Rn. 2.
3 Scholz
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das Eigentum und andere Vermögenswerte - ein recht großer Anwendungsbereich für Zumutbarkeitserwägungen. Er umfaßt sowohl fahrlässiges Handeln als auch sämtliche Unterlassungsdelikte sowie zusätzlich jeden vorsätzlichen Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter. In den nachfolgenden Abschnitten soll daher untersucht werden, ob diese Lücken von anderen Rechtfertigungsgründen abgedeckt werden oder aber tatsächlich Raum für das Gesetz ergänzende Zumutbarkeitsüberlegungen verbleibt.
111. Der strafrechtliche rechtfertigende Notstand, § 34 StGB 1. Der Anwendungsbereich des § 34 StGB im Deliktsrecht
a) Geltung strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe im Zivilrecht
Nach ganz herrschender Ansicht gelten die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe auch im Zivilrecht und können dort eine deliktische Haftung ausschließen. Hierfür wird fast stets als Begründung das Gebot der Einheit der Rechtsordnung angegeben40. Die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit lasse sich für die gesamte Rechtsordnung nur einheitlich beurteilen, so daß § 34 StGB die Rechtswidrigkeit auch für das Bürgerliche Recht ausschlösse. Dieser Argumentation ist aber etwa von Deutsch41 widersprochen worden. Das Rechtswidrigkeitsurteil, das den Widerspruch zu einer Norm anzeige, sei immer nur relativ, d. h. auf das Zivilrecht, das Strafrecht oder ein anderes Rechtsgebiet bezogen. Dies ist auch das Ergebnis der neueren eingehenden Untersuchungen von Hellmann42, wonach das Rechtswidrigkeilsurteil im Zivil- und Strafrecht unterschiedliche Funktionen erfüllt. Dennoch will jedenfalls Deutsch - in Anlehnung an die von der herrschenden Ansicht abweichenden Argumentation Zitelmanns43 die übergreifende Wirkung bestimmter Rechtfertigungsgründe - u.a. § 34 StGB weiterhin anerkennen. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist eine Klassifizierung der Rechtfertigungsgründe in zwei Kategorien: Es gibt eine Gruppe von Erlaubnissätzen, die dem Täter deshalb eine Eingriffsbefugnis in das Rechtsgut geben, weil dieses in einer bestimmten Situation nicht mehr schutzwürdig ist. Der Rechtsgutsinhaber hat 40 LeipKomm/Hirsch 11 Rn. 10 vor § 32; MünchKomm/v. Feldmann 3 § 228, Rn. 1; RGRK/Haager11 § 823, Anm. 35; Jescheck, Strafrecht Allgem. Teil4 , S. 293; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 16; umfassende Nachweise bei Hel/mann, Die Anwendbarkeit der zivilrechtliehen Rechtfertigungsgründe im Strafrecht, S. 1. 41 Haftungsrecht I, S. 213f. 42 Die Anwendbarkeit der zivilrechtliehen Rechtfertigungsgründe im Strafrecht, Zusammenfassung aufS. 90. 43 AcP 99 (1906), 21f.
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hier entweder auf den Schutz verzichtet (Fall der Einwilligung) oder das Rechtsgut muß einem schutzwürdigeren Interesse geopfert werden. Mit der Eingriffsbefugnis korrespondiert dabei eine Duldungspflicht des Geschädigten. Die andere Gruppe von Rechtfertigungsgründen gewährt dem Täter hingegen nur eine Handlungsbefugnis, wobei das verletzte Rechtsgut an sich schutzwürdig bleibt, in bestimmten Situationen aber trotz seiner Bedrohung eine riskante Handlung vorgenommen werden darf"4 • Bei der schlichten Handlungsbefugnis entfällt demnach ausnahmsweise der an sich gebotene Rechtsschutz. Dann aber ist es denkbar und in bestimmten Situationen sogar geboten, daß dieser Entzug des Rechtsschutzes auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt ist. Dieses jeweils zu ermitteln, ist Aufgabe der Auslegung der betreffenden Norm. Gewährt der Rechtfertigungsgrund hingegen eine Eingriffsbefugnis, muß diese sich auch auf andere Rechtsgebiete erstrecken, weil die Rechtsordnung ansonsten mit sich in Widerspruch stünde. Der Gesetzgeber kann nicht einerseits jedermann zum generellen Rechtsgüterschutz verpflichten und andererseits eine Eingriffsbefugnis gewähren, die diesen generellen Rechtsgüterschutz wieder ausschaltet. Zu einer widerspruchsfreien Regelung gelangt man bei den Eingriffsbefugnissen nur, wenn man sie als eine allgemeingültige Ausnahme von dem umfassenden Handlungsverbot versteht. Da § 34 StGB nach allgemeiner Ansicht eine Eingriffsbefugnis gewährt45 , kommt demnach sowohl die ganz herrschende Ansicht als auch Deutsch zu einer Anwendung des § 34 StGB im Deliktsrecht b) Das Konkurrenzverhältnis von § 34 StGB und § 904 BGB
Noch nicht abschließend geklärt ist allerdings, inwieweit neben § 904 BGB ein Rückgriff auf den allgemeinen rechtfertigenden Notstand des § 34 StGB überhaupt in Betracht kommt. Immerhin zeigt ein Blick in die Protokolle46 , daß in den Beratungen eine dem § 34 StGB vergleichbare Regelung keine Mehrheit gefunden hat. Daraus muß geschlossen werden, daß § 904 BGB für das Zivilrecht eine im Grundsatz abschließende Regelung darstellt. Dennoch zeugen eine Reihe von Stellungnahme von der durchaus lebhaften Diskussion um das Konkurrenzverhältnis zwischen § 904 BGB und § 34 StGB. Die Debatte wird vom strafrechtlichen Schrifttum geprägt, wo § 904, S. 1 BGB mit Rücksicht auf das Gebot der Einheit der Rechtsordnung für anwendbar gehalten wird und deshalb auch dort mit § 34 StGB in Konkurrenz tritt. Die heute herrschende Ansicht geht dahin, daß § 904 BGB für den Eingriff in fremdes Eigentum eine § 34 StGB näher konkretisierende und desZur Unterscheidung siehe auch Schönke/Schröder/Lenckne?-4 Rn. !Off. vor§§ 32ff. Siehe beispielsweise bei Schönke/Schröder/Lenckne?-4 § 34, Rn. I; Haft, Strafrecht Allgern. Teil6 , S. 76. 46 Bd. 6, S. 216. 44
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halb abschließende Regelung darstellt und diesen daher als Spezialgesetz verdrängt47. Allenfalls in atypischen, von § 904 BGB erkennbar nicht erfaßten Situationen, könne auf § 34 StGB zurückgegriffen werden48 . Andere hingegen sehen beide Normen in einem solchen Fall als deckungsgleich an, so daß sich für sie gar kein Konkurrenzproblem stellt49. Die Diskussion um das Konkurrenzverhältnis beider Normen zueinander bezieht sich allerdings ausschließlich auf das vorsätzliche Begehungsdelikt Völlig unberücksichtigt bleibt, daß § 904, S. 1 BGB weder im Rahmen von Unterlassungsdelikten, noch in demjenigen von Fahrlässigkeitsdelikten Anwendung findet und deshalb insofern auf § 34 StGB zurückzugreifen sein könnte. Bedeutender ist zunächst allerdings, daß der historische Gesetzgeber den aggressiven rechtfertigenden Notstand des § 904, S. 1 BGB bewußt auf Eingriffe in Vermögensrechte beschränkt hat50 und eine Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter zivilrechtlich auch in einer Notstandssituation nicht für gerechtfertigt hielt. Deshalb ist es zunächst unverständlich, wenn etwa Seiler51 ohne weitere Begründung meint, dieser Wertung sei auch heute noch zu folgen, er aber andererseits § 34 StGB auch im Zivilrecht für anwendbar hält52 . § 34 StGB nennt nämlich keine Einschränkung in bezug auf die notstandsfähigen Rechtsgüter, das heißt unter den dort genannten Voraussetzungen kann grundsätzlich auch ein Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter gerechtfertigt werden. Wie oben nachgewiesen wurde53 , verlangt aber das Gebot einer widerspruchsfreien Rechtsordnung, daß die Eingriffsbefugnis des § 34 StGB auch im deliktsrechtlichen Bereich Geltung entfaltet. Deshalb kann der Wertung des § 904 BGB, den zulässigen Notstandseingriff auf Vermögenswerte zu beschränken, heute entgegen der Ansicht von Seiler nicht mehr gefolgt werden. Nach dem Grundsatz "Iex 47 Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 152; Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil 18, § 27, Rn. 7; Seelmann, Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, insbesondere S. 42ff., 60, 74f. - kritisch zu ihm ohne eigenständiges Ergebnis Peters GA 1981, insbesondere S. 454f., 459 -; Soergel/Fahse 12 Rn. 12 vor§ 227; Warda, In: Festschrift für Maurach, S. 161 f.; im Grundsatz auch LeipzKomm/Hirsch 11 § 34, Rn. 82. 48 Roxin, Strafrecht, Allgem. Teil, Band 12 , § 14, Rn. 48f. 49 Hellmann, Die Anwendbarkeit der zivilrechtliehen Rechtfertigungsgründe im Strafrecht, S. 164; Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Tei1 2, 6/31. Anders auch Günther, Strafrechtswidrigkeitund Strafrechtsausschluß, S. 362, wonach§ 34 StGB einen allgemeinen, den einzelnen Rechtsgebieten vorgelagerten Rechtfertigungsgrund im Strafrecht positivierte. Seine Fixierung allein im StOB zeigte, daß er nur hier gelten solle und deshalb im Zivilrecht jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar sei. 50 Protokolle Band 6, S. 216; siehe schon oben S. 4. 51 In: Staudinger 12 § 904, Rn. 46. 52 Staudinger/Seiler 12 § 904, Rn. 48. Ganz deutlich wird dieser scheinbare Widerspruch, den die gesamte herrschende Lehre nicht aufdeckt, auch bei MünchKomm/ Säcker2 § 904, Rn. 24. 53 Siehe oben unter l.a.
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posterior derogat legibus prioribus" ist die Wertung des § 34 StOB an die Stelle derjenigen des § 904 BGB getreten. Hierin liegt die unausgesprochene - dogmatisch aber nur sehr schwer aufrechtzuerhaltende54 - Begründung der herrschenden Lehre. Über den Rechtfertigungsgrund des § 34 StOB, der in dieser Beziehung den eingeschränkten Anwendungsbereich des § 904 BGB überspielt, dürfen in Notstandssituationen auch höchstpersönliche Rechtsgüter in Anspruch genommen werden. Des Rückgriffs auf Zumutbarkeitserwägungen bedarf es demzufolge insoweit nicht. c) § 34 StGB bei delikriseher Haftung wegen Unterlassens
Ähnliches könnte auch für den Bereich der Unterlassungsdelikte gelten. Anders als bei § 904 BGB55 ist der Anwendungsbereich des § 34 StOB nicht auf Eingriffe durch aktives Tun beschränkt. Unter "Tat" im Sinn der Norm ist sowohl das Begehungs- als auch das Unterlassungsdelikt zu verstehen56 . Deshalb könnte§ 34 StOB auch für das Zivilrecht u.a. eine Wertung für den Sacheingriff durch Unterlassen abgeben. Im vorherigen Abschnitt ist dargelegt worden, daß § 34 StOB nach herrschender Ansicht als lex posterior gegenüber § 904 BGB eine neue Wertung verkörpert, wonach jeder Rechtsgutinhaber hinsichtlich aller denkbarer Rechtsgüter in Notstandssituationen gewissen Duldungspflichten unterliegt. Diese Pflicht trifft nicht mehr nur den Eigentümer, wie es § 904, S. 1 BGB vorsieht. Besteht aber eine generelle Notstandspflichtigkeit, muß es der Eigentümer auch dulden, daß in einer Notstandssituation eine an sich zu seinen Gunsten bestehende Garantenpflicht nicht erfüllt wird. Ansonsten würde das Eigentum im Verhältnis zu anderen Rechtsgütern privilegiert. Dies aber widerspräche der Intention des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach das Eigentum am ehesten notstandspflichtig ist. § 904, S. 1 BGB stellt insofern auch keine abschließende, den Rückgriff auf § 34 StOB versperrende Sonderregelung dar. Wegen seiner Funktion als das Eigentum beschränkender Norm soll § 904 BGB Konflikte, die sich aus der Erfüllung von zugunsten des Eigentums bestehender Garantenpflichten ergeben, überhaupt nicht lösen. Deshalb darf mit § 34 StOB als späterem Gesetz trotz der grundsätzlichen Spezialität des § 904 BGB der Eingriff nicht nur in höchstpersönliche Rechtsgüter, sondern auch in Vermögensrechte im Wege des Unterlassens erlaßt werden. Dieses ist jedenfalls die logische Fortentwicklung der von der herrschenden Lehre vertretenen Ansicht. 54 Zu den sehr großen Zweifeln, ob ein späteres, allerdings allgemeineres Gesetz ein früheres, aber spezielleres Gesetz überhaupt verdrängen kann, vgl. Hans Schneider, Gesetzgebung2, Rn. 553f. 55 Dazu vgl. oben !.3. 56 LeipzKomm/Hirsch 11 § 34, Rn. 41 ; Schönke/Schröder! Stree24 , Rn. 157 vor§§ 13ff.
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Die Einbeziehung von Unterlassungsdelikten in den Anwendungsbereich des § 34 StGB scheint zunächst den Raum für Zumutbarkeitserwägungen zu verengen. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten faßbare Interessenkonflikte sind dadurch schon einer positivgesetzlichen Regelung zugeführt worden. Im Strafrecht finden sich allerdings Stimmen, die diesbezüglich gegenteiliger Ansicht sind57 • Wenn man annähme, daß bei Unterlassungsdelikten schon der Tatbestand durch Zumutbarkeitserwägungen eingeschränkt werde, könne es in Fällen fehlender Zumutbarkeit auf§ 34 StGB überhaupt nicht mehr ankommen. Die Einordnung der Zumutbarkeit im Schichtaufbau des zivilrechtliehen Deliktstatbestandes soll genauer im zweiten Hauptteil der Arbeit behandelt werden. Erst dort kann dadurch abschließend bestimmt werden, ob § 34 StGB die Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen im Bereich der Unterlassungsdelikte beschränkt. d) § 34 StGB bei deliktischer Haftungaufgrund Fahrlässigkeit
Zahlreiche Gründe führt die herrschende Ansicht dafür an, § 904, S. I BGB nur im Bereich zumindest bedingt vorsätzlichen Handeins eingreifen zu lassen58 . Zu § 34 StGB wird hingegen ein gegenteiliger Standpunkt vertreten: Nach heute ganz überwiegender Auffassung kann auch die Rechtswidrigkeit der fahrlässigen Straftat durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen sein59 . Es ist allerdings umstritten, inwieweit der Täter hierbei auch subjektiv motiviert sein muß60 , demnach erforderlich ist, daß er, als ihm die fahrlässige Rechtsgutverletzung unterlief, zur Abwendung einer Gefahr gehandelt hat. Es stellt sich folglich auch hier das Problem, inwieweit die Wertung des § 34 StGB, die - als Iex posterior - diejenige des § 904, S. 1 BGB verdrängt hat, nicht nur die finale Einwirkung auf die Sache erfaßt, sondern auch die fahrlässige Verursachung mitregelt Im Bereich der Verletzung fremden Eigentums stellt der zivilrechtliche aggressive Notstand sicherlich eine abschließende, § 34 StGB verdrängende Spezialregelung dar. Die Möglichkeit der Rechtfertigung besteht hier nur bei vorsätzlichem Handeln, und zwar allein nach Maßgabe des§ 904, S. 1 BGB. Die lebhafte Diskussion, ob nicht auch dort ein bloßer Rettungswille hinreichend ist61 , scheint abschlägig entschieden und läßt keine Korrektur durch § 34 StGB zu. Fraglich ist aber, ob damit nicht im Zivilrecht eine Wertung vorgegeben wird, die auch für Notstandseingriffe in andere Rechtsgüter Geltung verlangt und damit den Grundsatz "Iex posterior derogat legi priori" überspielt. Offensichtlich ist dieses in der Tat die AnSchönke/Schröder/Lenckner24 § 34, Rn. 5. Vgl. oben 1.2. 59 Statt vieler vgl. nur Jescheck, Strafrecht, Allgemeiner Teil4 , S. 531. 60 Nachweise bei Jescheck, Strafrecht, Allgemeiner Teil 4 S. 531f. und bei Schönke/Schröder/Lenckne?4 Rn. 97 vor§§ 32ff. 61 Dafür etwa Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 114. 57
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sieht der herrschenden Meinung, die - wie schon oben begründet - hier ermittelt und dann den weiteren Überlegungen zugrundegelegt werden soll. Ihre bislang noch nicht niedergelegte Argumentation könnte wie folgt lauten: Bedenkt man, daß das Bürgerliche Gesetzbuch allein Notstandseingriffe in fremde Sachen für gerechtfertigt erklärt, kann ein Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter jedenfalls nicht in Weitergehenderem Umfang als ein solcher in Vermögensrechte gerechtfertigt sein. § 34 StGB vermag daher nach der durch § 904 , S. 1 BGB in seiner Auslegung seitens der Rechtsprechung und der herrschenden Schrifttumsansicht vorgegebenen Wertung eine fahrlässige Rechtsgutverletzung im Recht der unerlaubten Handlungen nicht zu rechtfertigen. Damit nimmt die herrschende Lehre eine Einschränkung der Einheit der Rechtsordnung in Kauf, mit deren Hilfe sie selbst die Anwendbarkeit des § 34 StGB im Deliktsrecht überhaupt begründet hat. Dieser dogmatische Bruch ließe sich nur beheben, wenn man § 904 BGB im Bereich seiner subjektiven Voraussetzungen dem § 34 StGB anpaßte und auch hier nur einen Rettungswillen verlangen würde. Insbesondere das Argument von Seiler62, die eingeschränkte Legitimationswirkung des § 904 BGB verlange nach einer engen Auslegung, ist vor dem Hintergrund der Änderung der Rechtslage durch § 34 StGB als späterem Gesetz nicht zwingend. Folgt man der herrschenden Ansicht, die der Ausarbeitung als Arbeitshypothese zugrundegelegt werden soll, kommt eine Rechtfertigung nach § 34 StGB bei der fahrlässigen Rechtsgutverletzung nicht in Betracht. Damit eröffnet sich ein großer Spielraum für Zumutbarkeitserwägungen. e) § 34 StGB und die rechtfertigende Pflichtenkollision Ein letztes Problem des Anwendungsbereiches des § 34 StGB betrifft die sogenannte rechtfertigende Pflichtenkollision. Hierbei geht es darum, daß jemand mehrere rechtliche Handlungspflichten (oder nach Lenckner auch Unterlassungspflichten63) zu erfüllen hat, er aber nur einer dieser Pflichten entsprechen kann und damit die andere jeweils zwangsläufig verletzen muß. Während das Zusammentreffen einer Handlungs- und einer Unterlassungspflicht sowie dasjenige einer rechtlieben und einer sittlichen Handlungspflicht von § 34 StGB erfaßt wird, nimmt dies die überwiegende Ansicht64 für den Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht an. Diese Differenzierung wird schon durch die Gesetzesmaterialien vorgezeichnet. Nach der Begründung des Entwurfs von 1962 zu § 39 StGB65 , der wörtlich 62
In: Staudinger12 § 904, Rn. 23.
Schönke!Schröder/Lenckne?4 Rn. 76 vor§§ 32ff. LeipzKomm/Hirsch 11 Rn. 76 vor § 32; Schönke/Schröder/Lenckner24 § 34, Rn. 4. Ähnlich auch Lackne?0 § 34, Rn. 15; anders etwa Jescheck, Strafrecht, Allgem. Teil4 , S. 327ff., der aber auch bei der Konkurrenz von Handlungs- und Unterlassungspflicht eine Pflichtenkollision annimmt. 63
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Einführender Teil
mit dem heutigen § 34 StGB übereinstimmt, wird der dem rechtfertigen Notstand ähnliche Fall des Pflichtenwiderstreits im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches deshalb nicht geregelt, weil einer positiven Normierung unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden. Stattdessen sollte die Fallgruppenbildung der Rechtsprechung vorbehalten bleiben. Bei der Pflichtenkollision handelt es sich mithin um einen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund, der zudem nicht auf das Strafrecht beschränkt ist, sondern ein allgemeines, für alle Rechtsgebiete gültiges Prinzip verkörpert66 • Die Grundsätze der Pflichtenkollision gelten daher auch im Deliktsrecht unmittelbar und könnten dort als übergesetzliche Rechtfertigungsgründe mit den möglicherweise ebenfalls übergesetzlichen Zumutbarkeitserwägungen konkurrieren. Die Fälle der Unzumutbarkeit und des Vorliegens einer Pflichtenkollision haben jedoch keine Berührungspunkte miteinander: Während der Deliktstäter bei der Pflichtenkollision eigentlich mehrere Pflichten erfüllen müßte, es für ihn damit um die Konkurrenz der Interessen mehrerer anderer Personen geht, betrifft die Zumutbarkeitsfrage den Fall, daß seine Iotressen mit denjenigen eines anderen im Konflikt stehen. Der Gesichtspunkt der Pflichtenkollision und derjenige der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens stehen demnach nebeneinander.
f) Zusammenfassung zum Anwendungsbereich des § 34 StGB § 34 StGB findet im Recht der unerlaubten Handlungen generell keine Anwendung bei der lediglich fahrlässigen Herbeiführung einer Rechtsgutverletzung. Hingegen erfaßt die Norm den vorsätzlichen Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter sowie die vorsätzliche Nichterfüllung einer zugunsten von Rechtsgütern beliebiger Art bestehenden Garantenpflicht Damit regelt § 34 StGB in einem deutlich abgrenzbaren Bereich einen bestimmten Interessenkonflikt und macht Zumutbarkeitsüberlegungen insofern grundsätzlich überflüssig. Wieweit Zumutbarkeitsaspekte durch § 34 StGB tatsächlich abschließend erfaßt werden, läßt sich aber nur sagen, wenn man auch den Tatbestand des § 34 StGB untersucht und dabei besonderes Augenmerk auf Tatbestandsmerkmale richtet, die Wertungen inkorporieren, die auch für Zumutbarkeitsfragen von Bedeutung sind. Hier soll im nachfolgenden einmal auf die durch § 34 StGB geschützten Rechtsgüter und zum anderen auf die Voraussetzung der Erforderlichkeit des Notstandseingriffes eingegangen werden.
Entwurf 1962, BR-Drs. 200/62, S. 159. Vgl. nur beispielhaft für die Heranziehung des Rechtfertigungsgrundes der Pflichtenkollision in anderen Rechtsgebieten: BAG NJW 1983, 2782, 2784; Ennan/Hef ermeh/9 § 227, Rn. 3; Konzen AcP 172 (1972), 317 (324ff.). 65
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2. Der Tatbestand des § 34 StGB a) Geschützte Rechtsgüter
Notstandsfähig nach § 34 StGB ist jedes Rechtsgut, also nicht nur das Leben, der Leib, die Freiheit, die Ehre und das Eigentum. Das bedeutet, daß neben Individualrechtsgütern grundsätzlich auch zugunsten von Rechtsgütern der Allgemeinheit67 in Rechte Unbeteiligter eingegriffen werden darf. Dies kann im Einzelfall die Eingriffsbefugnis noch einmal erheblich erweitern, so daß es auf gesonderte Zumutbarkeitserwägungen gar nicht mehr ankommt. Notstandseingriffe sind indessen nur zum Schutz schon bestehender Rechtsgüter, nicht aber auch in der Hinsicht statthaft, mit Hilfe des tangierten Rechtes neue, bedeutendere Werte zu schaffen68 . § 34 StGB begründet keine neuen, neben den Garantenpflichten stehende Duldungspflichten, so daß sein Anwendungsbereich insofern begrenzt ist. Auf der anderen Seite darf der Begriff "Rechtsgut" nicht in einem einschränkenden, sondern muß vielmehr in einem weiten Sinn verstanden werden, als darunter "jedes rechtlich geschützte Interesse" zu fassen ist69 . Um zur Anwendbarkeit des § 34 StGB zu kommen, muß nicht zwangsläufig ein Gegenstand bestimmt werden, der gegen unterschiedliche Angriffsarten mehr oder weniger geschützt ist. Es genügt vielmehr, wenn durch Rechtssätze deutlich wird oder es allgemeiner Ansicht entspricht, daß ein rechtliches Interesse in einer beliebigen, aber bestimmten Situation vom Recht als vorzugswürdig eingestuft wird. Im Gegensatz zur Rechtsprechung des OLG Köln70 führt Lenckner71 deshalb zum Beispiel auch den Wunsch, noch rechtzeitig an das Sterbebett eines nahen Angehörigen zu gelangen, auf ein rechtlich geschütztes Interesse zurück. Sowohl im Bürgerlichen als auch im Arbeitsrecht gelte der Grundsatz, wonach der Dienstverpflichtete im Fall vorübergehender Unzumutbarkeit von seiner Dienstleistungsverpflichtung befreit ist. Ein solcher Fall vorübergehender Unzumutbarkeit läge aber bei schweren Erkrankungen oder Todesfällen in der Familie vor. Über den Rechtsgutbegriff des § 34 StGB inkorporiert Lenckner damit Unzumutbarkeitserwägungen aus anderen Bereichen des Zivilrechts in den Notstandstatbestand. Zumutbarkeitserwägungen, die die Haftung in anderen Rechtsbereichen begrenzen, schränken damit auch die deliktische Haftung ein. Diese Limitierung der Haftung ist im Deliktsrecht allerdings 67 RGRK!Steffen 12 § 823, Rn. 385; Roxin, Strafrecht, Allgem. Teil, Band 12 , § 16, Rn. 10. Ein sehr plastisches Beispiel gibt hierzu LeipzKomrn!Hirsch 11 § 34, Rn. 23: Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung. 68 Lenckner, In: Gedächtnisschrift für Noll, S. 254ff.; Schönke/Schröder/Lenckner24 § 34, Rn. 1 69 Diese und die nachfolgenden Ausführungen gehen auf die Untersuchung von Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 75f. zurück. 1o VRS 59, 438. 71 Der re~htfertigende Notstand, S. 75f. und Schönke!Schröder!Lenckne? 4 § 34, Rn. 9.
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Einführender Teil
möglicherweise nicht in gleicher Weise effektiv wie in denjenigen Rechtsgebieten, aus denen die Zumutbarkeitsüberlegungen übernommen werden. Man könnte wie folgt argumentieren: Die Haftung erlischt hier im Gegensatz zu anderen Rechtsbereichen nicht allein schon infolge des Berufens auf die Unzumutbarkeit. Über die Unzumutbarkeit wird lediglich ein schutzwürdiges Rechtsgut kreiert, dessen Schutzanspruch sich aber nur dann durchsetzt, wenn auch die anderen Voraussetzungen des § 34 StOB vorliegen. Die Zumutbarkeitsüberlegungen schlagen daher nur nach Überwindung des Filters des § 34 StGB durch. In anderen Rechtsgebieten ist diese zusätzliche Prüfung nicht notwendig, die Haftungsbeschränkung tritt generell ein. Gegen diese über § 34 StGB ausgelöste zusätzliche Filterwirkung scheint zunächst zu sprechen, daß ein Handeln oder Unterlassen, das sogartrotzvertraglicher Verpflichtung objektiv unzumutbar ist, erst recht im Rahmen der durch die §§ 823ff. BGB bestimmten allgemeinen, jedermann treffenden Handlungs- und Unterlassungspflichten unzumutbar sein muß. Hinter diesen Bedenken verbirgt sich das Argument, daß die deliktische Haftung die vertraglich festgelegte Interessenahwägung nicht aushöhlen darf. Deshalb ist beispielsweise anerkannt, daß eine vertragliche Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch im Rahmen der deliktischen Verantwortlichkeit gilt72 . Diese Parallelität von vertraglicher und deliktischer Haftung besteht allerdings natürlich nur dann, wenn unter beiden Haftungssystemen dieselbe Kollisionssituation zur Beurteilung ansteht. Lenckner geht aber über diesen Ansatz hinaus, indem er das in der spezifischen Vertragssituation über die Zumutbarkeit anerkannte Interesse als grundsätzlich in der gesamten Rechtsordnung für berücksichtigenswert erklärt und es dann mit Hilfe des § 34 StGB auch im Verhältnis zu anderen Rechtsgüter mißt. Die Filterwirkung des § 34 StGB führt demnach nicht dazu, der Zumutbarkeit im Deliktsrecht einen geringeren Anwendungsbereich zukommen zu lassen, sondern bewirkt lediglich, daß der Zumutbarkeitsgedanke nicht ohne weitere Begründung auf andere Kollisionsfälle übertragen wird. Die Inkorporation in § 34 StGB verschafft den Aspekten der Zumutbarkeit daher grundsätzlich sogar ein größeres Gewicht. Damit könnte § 34 StGB aber Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Deliktsrecht abschließend berücksichtigen, weshalb der Zumutbarkeit im Schichtaufbau kein weiterer Platz zugewiesen werden müßte. Diese Sichtweise würde jedoch außer Betracht lassen, daß Unzumutbarkeitsaspekte im Deliktsrecht möglicherweise deshalb eine größere Rolle als etwa im Vertragsrecht spielen, weil es hier um allgemeine, jedermann treffende Pflichten geht, wohingegen sich im Vertragsrecht das spezielle Pflichtenprogramm parteiautonom vereinbaren läßt und jeder Vertragspartner damit vielfach die Möglichkeit hätte, seine Zumutbarkeitsgrenze vertraglich zu fixieren, was im Deliktsrecht nicht möglich ist. Hier wird ein allgemeiner Standard angelegt, dem sich der Schädiger durch Vereinbarungen im Regelfall 72 BGHZ 46, 313 (316f.); Soergel/Zeuner", Rn. 36 vor § 823; Staudinger/Schäfer 12 , Rn. 56 vor§§ 823ff.
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nicht entziehen kann. Dies kann Gerechtigkeitserwägungen im Einzelfall herausfordern. Außerdem liegt es in der Natur der Sache, daß sich in jedem Rechtsgebiet andere Problemfälle und damit auch Zumutbarkeitsfragen stellen. Da aber der Vorschlag von Lenckner die Zumutbarkeit im Deliktsrecht in gewisser Weise akzessorisch an den Zumutbarkeitsbegriff des Vertragsrechts anknüpft, können damit nicht alle Facetten des mutmaßlichen deliktischen Zumutbarkeitsbegriffes erlaßt werden. Hinzu kommt folgendes: Die Anerkennung von Zumutbarkeitserwägungen im Zivilrecht vollzieht sich kasuistisch und daher in gewisser Weise zufällig. Deshalb sind nicht zwingend alle unter dem Aspekt der Zumutbarkeit an sich zu berücksichtigenden Interessen schon im heutigen System der Rechtswissenschaft hinreichend konkretisiert und erfaßt. Der Zumutbarkeitsbegriff ist von seiner gesamten Konstruktion her für neue Fallgruppen stets offenzuhalten, aus ihm ließen sich weitere, bisher nicht entdeckte "rechtlich geschützte Interessen" bzw. "Rechtsgüter im Sinn des§ 34 StOB" ableiten. Damit erscheint aber eine Inrechnungstellung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten allein über die akzessorische Anknüpfung von bereits anerkannten Zumutbarkeitsaspekten aus anderen Rechtsgebieten als zu kurz gegriffen und vom Ansatzpunkt des Zumutbarkeitsgesichtspunktes her gesehen inkonsequent. Der Argumentation von Lenckner kommt daher größere Bedeutsamkeil nur im Strafrecht zu. Im Zivilrecht verkürzt er die Problematik und führt zu einer dem Zumutbarkeitsprinzip - jedenfalls nach der Sichtweise der herrschenden Lehre - widersprechenden Einschränkung seines allumfassenden - Anwendungsbereiches. b) Erforderlichkeit des Notstandseingriffs
Der Notstandseingriff ist nur zulässig, wenn die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann, also das mildeste noch geeignete Mittel darstellt und daher erforderlich ist. Besondere Probleme ergeben sich hier aber dann, wenn der Notstandstäter die Gefahr auch mit Hilfe eigener und im Verhältnis zum angegriffenen Gut höherwertiger Rechtsgüter abwenden könnte. Nach Lenckner73 muß der Täter hier grundsätzlich zunächst seine eigenen Rechtsgüter opfern und darf nur ausnahmsweise auf diejenigen Dritter zurückgreifen. Maßstab dafür müsse sein, ob die Aufopferung eigener Rechtsgüter ihrerseits eine Notstandssituation darstelle, die den Eingriff in Rechtsgüter Dritter nach § 34 StOB rechtfertigen würde. Anders gefaßt hilft § 34 StOB dem Täter nur dann, wenn er einem Notstand nicht ohne Zuhilfenahme fremder Rechtsgüter ausweichen kann und dabei die sonstigen Voraussetzungen des Tatbestandes vorliegen. Aus den Ausführungen von Lenckner ist für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse, daß er im Kommentar von Schönke/Schröder74 damit arguIn: Festschrift für Lackner, S. 105f. und Schönke/Schröder/Lenckne?4 § 34, Rn. 20. 74 § 34, Rn. 20. Seine Ausführungen in der Lackner-Festschrift, S. 106, beziehen sich hingegen vornehmlich auf § 35 StGB und sind für die vorliegende Problematik nur von sehr ein73
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mentiert, der Notstandstatbestand definiere die Opfergrenze, von der ab dem Notstandsberechtigten die Aufopferung seiner eigenen Rechtsgüter nicht mehr abverlangt werde und er deshalb in diejenigen anderer eingreifen dürfe. Da der Begriff der Opfergrenze zumeist synonym für denjenigen der Zumutbarkeit verwandt wird, kann man Lenckner dahingehend verstehen, daß er in § 34 StGB jedenfalls für den Fall des Notstandes eine abschließende Regelung der Möglichkeit des Notstandsberechtigten sieht, sich auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu berufen. Zwar beziehen sich seine Ausführungen direkt nur auf die Zumutbarkeit, eigene Opfer zu erbringen und nicht darauf, ob ihm die Hinnahme der Gefahr zurnutbar ist. Da Lenckner beide Fragen aber nach denselben Kriterien beantworten will, sieht er offensichtlich in § 34 StGB eine Definition der Opfer- und damit der Zumutbarkeitsgrenze des Notstandsberechtigten. Zumutbarkeitserwägungen haben nach ihm bei Vorliegen einer Notstandslage insofern eine abschließende Regelung in § 34 StGB erfahren.
3. Zusammenfassung Die §§ 904 BGB, 34 StGB erfassen sämtliche vorsätzlichen Begehungs- und Unterlassungsdelikte. Gerechtfertigt werden kann durch sie ein Eingriff zugunsten jedes beliebigen rechtlich geschützten Interesses. Dies bedingt aber nicht, daß Zumutbarkeitserwägungen nur im Rahmen des § 34 StGB erörtert werden dürfen. Gerade im Deliktsrecht, das nur die allgemeinen Anforderungen an jedermann formuliert, wäre eine solche Sichtweise, die das Delikts- mit dem Vertragsrecht verknüpft, nicht haltbar. Dennoch will Lenckner aus § 34 StGB wenigstens den Maßstab dafür herleiten, wann Zumutbarkeitsgedanken haftungsbeschränkend wirken können.
IV.§§ 904 BGB, 34 StGB als abschließende Regelung bzw. rechtlicher Maßstab für die Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen Soeben ist dargelegt worden, daß die Inkorporation von Zumutbarkeitsaspekten über den Rechtsgutbegriff des § 34 StGB Zumutbarkeitsgesichtspunkte nicht gänzlich abschließend erfassen kann: Aus der Funktion des Deliktsrechts, allgemeine, jedermann treffende Pflichten zu begründen, folgt, daß eine Berufung auf die Unzumutbarkeit der Pflichterfüllung im Deliktsrecht im Verhältnis zum Vertragsrecht geschränktem Wert. In § 35 Abs. I S. 2 StOB wird der Begriff der Zumutbarkeit nämlich anders als in § 34 StOB erwähnt.
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besondere Bedeutung zukommt. Auch die Zufälligkeit der Fallgruppenbildung im Bereich der Zumutbarkeit spricht gegen eine ausschließliche, quasi akzessorische Anknüpfung des deliktsrechtlichen Zumutbarkeitsbegriffs an die Zumutbarkeitskriterien anderer Bereiche des Rechts. Damit ist aber nur gesagt, daß Zumutbarkeitserwägungen über§§ 904 BGB, 34 StGB hinaus bei den unerlaubten Handlungen überhaupt zu berücksichtigen sind. Offen ist noch, unter welchen - ggfs. gesetzlich vorgezeichneten Voraussetzungen - sie beachtlich sind. Es wäre durchaus zunächst einsichtig, wenn die §§ 904 BGB, 34 StGB jedenfalls für Notstandssituationen eine abschließende Regelung darstellen würden. Dem schließt sich eine weitere Überlegung an. Fraglich ist nämlich auch, ob Zumutbarkeitsüberlegungen zwar neben den §§ 904 BGB, 34 StGB grundsätzlich eine Rolle spielen, diese Normen aber dennoch eine Wertung vorgeben, die es bei Zumutbarkeitsbetrachtungen zu beachten gilt. Die tatbestandliehen Einschränkungen könnten auf den Enthaftungstatbestand der Zumutbarkeit analoge Anwendung finden. Das hieße, der Deliktstäter dürfte sich auf die Zumutbarkeit berufen, hätte mit seiner Einrede aber nur dann Erfolg, wenn das über den Zumutbarkeitsgedanken vorgebrachte Interesse das verletzte wesentlich überwiegen würde (vgl. § 34 StGB).
1. §§ 904 BGB, 34 StGB als abschließende Regelung
von Notstandssituationen
Wenigstens Lenckner75 kommt zu dem Ergebnis, daß jedenfalls in Notstandssituationen die strengen Voraussetzungen der Notstandstatbestände eine abschließende Regelung darstellen: Immer, wenn eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut oder ein über Zumutbarkeitserwägungen zu berücksichtigendes Interesse bestehe, dürfe nur dann zugunsten des im Notstand befindlichen Gutes gehandelt werden, wenn ein "wesentlich überwiegendes Interesse" für seine Erhaltung spräche. Bezögen sich die Zumutbarkeitserwägungen auf wirtschaftliche Interessen, dürfe der durch den Notstandseingriff entstandene Schaden "nicht unverhältnismäßig groß" sein. Diese Beschränkung der Zulässigkeil von Zumutbarkeitserwägungen erscheint im Hinblick auf ein argurnenturn a fortiori ad minus auch plausibel: Wenn ein Notstandseingriff zugunsten der in §§ 904 BGB, 34 StGB bezeichneten Rechtsgüter nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig ist, dann muß das erst recht dann gelten, wenn ein Notstandseingriff zugunsten neu entdeckter, über den Zumutbarkeitsgesichtspunkt gewonnener und damit zunächst rechtlich schwächerer Interessen vorgenommen wird. Objektive Zumutbarkeitserwägungen76 kön75
Vgl. schon oben Fn. 69.
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nen daher, wenn eine Notstandssituation vorliegt, nur dann zugunsten des Notstandsberechtigten berücksichtigt werden, wenn sie die qualifizierten Anforderungen der §§ 904 BOB, 34 StOB erfüllen. Da einerseits in Notstandslagen in aller Regel der Eingriff in das Rechtsgut vorsätzlich geschieht, andererseits die Notstandstatbestände nach herrschender Ansicht nur den vorsätzlichen Eingriff erfassen, gilt das Qualifikationserfordernis des wesentlichen Überwiegens aber nur bei einer vorsätzlichen Begehung einer unerlaubten Handlung.
2. Der Maßstab der§§ 904 BGB, 34 StGB bei Zumutbarkeitsüberlegungen außerhalb von Notstandssituationen
Zweifelhaft ist allerdings, ob die Wertung der §§ 904 BOB, 34 StOB die Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen nur in Notstandssituationen oder auch darüberhinausgehend beschränkt. Eine Notstandssituation ist dadurch charakterisiert, daß eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut oder ein sonstiges schutzwürdiges Interesse besteht. Läßt man in diesem Fall Zumutbarkeitsgesichtspunkte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zu, erschiene es widersprüchlich, wenn man nur geringere Voraussetzungen forderte, wenn dem geschützten Rechtsgut überhaupt keine gegenwärtige Gefahr droht. Auch hier ergibt sich deshalb aus dem argurnenturn a fortiori ad minus: Wenn objektive Zumutbarkeitserwägungen zugunsten des Schädigers bei einem vorsätzlichen Eingriff in ein rechtlich geschütztes Interesse schon in Notstandssituationen nur beschränkt berücksichtigt werden können, so muß dieses erst recht gelten, wenn der Notstandsberechtigte ein Interesse schützen will, das gegenwärtig gar nicht gefährdet ist.
3. Der Maßstab der §§ 904 BGB, 34 StGB bei Zumutbarkeitsüberlegungen, die nicht auf den Interessenabwägungsgrundsatz zurückzuführen sind
Allerdings ist damit die Problematik noch nicht abschließend erfaßt: Nach allgemeiner Ansicht verkörpert § 34, S. 1 StOB einen umfassenden Interessenabwägungsgrundsatz77. Die objektive Zumutbarkeit hingegen findet sicherlich eine Ausprägung auch im Interessenabwägungsgrundsatz, sie ist allerdings nicht auf diesen Aspekt beschränkt, sondern kennt noch andere Fallgruppen: Nur beispielhaft kann an dieser Stelle genannt werden, daß die Berufung auf die Zumutbarkeit objektivrechtlichen Geboten Geltung verschafft, die sich aus den Grundrechten 76 §§ 904 BGB, 34 StGB definieren ja gerade ein allgemeingültiges Prinzip, das jedem Dritten in der gleichen oder in einer ähnlichen Situation zugutekommt Das aber war nach § 3 dieser Arbeit das Abgrenzungskriterium zugunsten der objektiven Zumutbarkeit. 77 LeipzKomm/Hirsch 11 § 34, Rn. 2; Roxin, Strafrecht, Allgem. Teil, Band 12 , § 16, Rn. 7, 22.
§ 4 Reichweite der Rechtfertigungsgründe
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herleiten lassen, wie etwa, daß jedermann ein Kernbereich an allgemeiner Handlungsfreiheit oder Religionsausübungsfreiheit verbleiben muß. Dieses über die Zumutbarkeit in das Deliktsrecht inkorporierte Gebot steht aber in keiner Beziehung zum Interessenabwägungsgrundsatz, der Regelungsgegenstand des § 34 StGB ist. Deshalb ist die Berufung auf Zumutbarkeitserwägungen nur dann an die strengeren Voraussetzungen der §§ 904 BGB, 34 StGB ("wesentliches Überwiegen") gebunden, wenn die Fallgruppe der Interessenahwägung betroffen ist. Sollen unter dem Blickwinkel der Zumutbarkeit andere Prinzipien in das Deliktsrecht Eingang finden, werden diese weder von den Notstandsregelungen verdrängt noch sind sie nur unter deren die Enthaftung einschränkenden Voraussetzungen berücksichtigungsfähig. Hierfür spricht insbesondere auch, daß in der Rechtswissenschaft stets davon ausgegangen wurde, daß es keinen numerus clausus der Rechtfertigungsgründe gibt. Vielmehr sind immer wieder übergesetzliche Rechtfertigungsgründe anerkannt worden und die §§ 34 StGB, 16 OWiG stellen selbst die Kodifikation des früheren übergesetzlichen Notstandes dar78 . Auch heute noch ist mit der rechtfertigenden Pflichtenkollision ein solcher übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund allgemein anerkannt. Deutsch79 hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, daß gesetzliche Rechtfertigungsgründe regelmäßig durch den Übergang vom Generellen zum Speziellen, übergesetzliche hingegen durch denjenigen vom Abstrakten zum Konkreten gekennzeichnet sind. Während gesetzliche Rechtfertigungsgründe die Abstraktion des Generellen durch das Hinzufügen eines weiteren Spezifikums ins Gegenteil verkehren, entdecken die übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe im Konkreten ein neues, mit der generellen Regelung zunächst nicht verbundenes Prinzip, das eine Ausnahme von der generellen, abstrakt gefaßten Regelung gebietet. Die Postulation der Haftungseinschränkung durch Zumutbarkeitskriterien bedeutet aber nichts anderes, als daß man aus dem Konkreten neue, bisher im Gesetz unberücksichtigte Prinzipien herleiten zu können glaubt. Ein solches Prinzip ist früher mit dem Interessenabwägungsgrundsatz entdeckt worden. Versteht man auch ihn als Ausfluß des Zumutbarkeitsgedankens, was ohne die positivrechtliche Regelung in § 34 StGB durchaus naheliegt, wird deutlich, daß § 34 StGB als Positivierung dieses speziellen Zumutbarkeitsgedankens Zumutbarkeitserwägungen, die auf Prinzipien anderer Art zurückzuführen sind, nicht verdrängen kann.
78 Roxin, Strafrecht, Allgem. Teil, Band 12 , § 16, Rn. lff.; Wessels, Strafrecht, Allgem. Teil 24 , Rn. 301. 79 Haftungsrecht I, S. 211.
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Einführender Teil
V. Zusammenfassung Zumutbarkeitserwägungen werden durch die gesetzlichen Rechtfertigungsgründe der §§ 904 BOB, 34 StOB nur im Rahmen der vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erfaßt, und zwar ausschließlich unter dem Aspekt des lnteressenabwägungsgrundsatzes. Allerdings ist die Interessenahwägung auch dann an die strengen Voraussetzungen der Notstandstatbestände gebunden, wenn gar keine gegenwärtige Gefahr für rechtlich geschützte Interessen vorliegt.
Erster Teil
Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit im Deliktsrecht Zunächst soll versucht werden, eine dogmatische Begründung für die dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende, jedoch gleichwohl gebotene Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen im Deliktsrecht zu geben.
§ 5 Die Herleitung des Zumutbarkeitsmerkmals im sonstigen Zivilrecht: Der Grundsatz von Treu und Glauben Die Diskussion um den Begriff der Zumutbarkeit im Zivilrecht wird seit jeher hauptsächlich im Recht der Leistungsstörungen geführt. Es geht darum, ob die kraft Vertrages geschuldete Leistung dem Schuldner aus persönlichen (wichtige Familienangelegenheit) oder religiösen Gründen (Vertragserfüllung würde gegen die Lehrmeinung einer Kirche verstoßen) oder auch deshalb unzumutbar ist, weil sie einen derart immensen Kostenaufwand mit sich bringt, der von ihm nicht mehr getragen werden kann. Eine wichtige Rolle spielt aber auch die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, bei der die Rechtsprechung einzelne Gesichtspunkte der Unzumutbarkeit zu einem eigenständigen Rechtsinstitut weiterentwickelt hat. Diese starke Fixierung auf das Vertragsrecht hat zwangsläufig Auswirkungen auf die dogmatische Begründung für die Anwendbarkeit des Zumutbarkeitsbegriffes im Zivilrecht gehabt.
I. Die Zumutbarkeit als Fallgruppe des § 242 BGB Sowohl die Rechtsprechung als auch die ganz herrschende Ansicht im Schrifttum' haben das Zumutbarkeitskriterium stets als Unterfall des§ 242 BGB angeseI Hamburger, Treu und Glauben im Verkehr, S. 219; Nipperdey, Vertragstreue und Nichtzumutbarkeit der Leistung, S. 16f.; Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung nach deutschem bürgerlichen Recht, S. 2; Weber, Der Einfluß des Krieges und der Kriegsfolgen auf die privaten Rechtsverhältnisse, S. 35; Brandis JW 1922, 1434; Lobe DJZ 1923, Sp. 128 (134).
4 Scholz
1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
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hen. Der BGH2 zum Beispiel sieht in § 242 BGB den Rahmen für die Prüfung der Zumutbarkeit der Vertragserfüllung. Zum durch § 242 BGB verkörperten Gerechtigkeitsideal gehöre nämlich auch, daß der Schuldner gegen eine unzumutbare Inanspruchnahme geschützt sein müsse3 . Die Zumutbarkeit sei allerdings ein eigenständiges, auf § 242 BGB beruhendes Rechtsinstitut4 , ein besonderer Funktionenkreis des § 242 BGB 5 , der neben dem ebenfalls aus § 242 BGB ableitbaren Grundsatz von Treu und Glauben stehe, nur im Gegensatz zu diesem kein objektiv wertender, sondern ein subjektbezogener Maßstab sei6 . Während dort eine Abwägung aufgrundobjektiv faßbarer Prinzipien stattfindet, wird bei der Zumutbarkeit jedenfalls im Ansatz allein vom Schuldnerinteresse ausgegangen, dieses aber bei der objektiven Zumutbarkeit wieder in Relation zum Gläubigerinteresse gesetzt. Ebenfalls zu einer Differenzierung zwischen Treu und Glauben einerseits und der Zumutbarkeit andererseits kommt Knopp7 . Er stellt allerdings nicht auf die unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäbe (objektiv oder subjektiv), sondern darauf ab, ob es um eine leistungsbegründende (Treu und Glauben) oder eine leistungsbegrenzende oder -modulierende Funktion (Unzumutbarkeit) des Korrektivinstruments § 242 BGB geht. Nach Weber wiederum liegt jedenfalls sowohl dem Treu und Glauben-Grundsatz als auch der Unzumutbarkeit dasselbe Ordnungsprinzip zugrunde, nämlich auf jeden rechtlichen Vorgang einzuwirken. Wegen dieses absoluten Geltungsanspruchs des Rechtssatzes bedürfe es deshalb keiner weiteren theoretischen Rechtfertigung der Nichtzumutbarkeitslehre8. Eine von der herrschenden Ansicht abweichende Meinung vertritt hingegen soweit ersichtlich -allein Teichmann im Kommentar von Soergel9 . Nach ihm ist die Zumutbarkeit ebenfalls ein neben dem Grundsatz von Treu und Glauben stehendes Rechtsinstitut. Da aber offensichtlich sei, daß sich die Zumutbarkeitsfrage sowohl innerhalb als auch außerhalb von Sonderbeziehungen stelle, komme dem Zumutbarkeitsgedanken vom Ansatz her ein umfassenderer Anwendungsbereich als § 242 BGB zu. Im Gegensatz zur herrschenden Ansicht führt Teichmann den Grundsatz der Zumutbarkeit deshalb anscheinend nicht auf § 242 BGB zurück 10, BGH LM Nr. 12 zu§ 242 (Bb) BGB, Blatt 1, Rückseite. Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (214). 4 Scheschonka, Arbeits- und Leistungsverweigerung aus Glaubens- und Gewissensnot, s. 75 (77). 5 Soergei/Knopp 10 § 242, Rn. 40. 6 Staudinger/Weber 11 § 242, Rn. B3. 7 In: Soerge/ 10 § 242, Rn. 40. 8 Staudinger/Weber 11 § 242, Rn. B140. 9 12. Auflage§ 242, Rn. 32. 10 Jedenfalls wird die Unzumutbarkeit anders als der Rechtsmißbrauch (vgl. Rn. llff.), hinsichtlich dessen Teichmann in Rn. 32 ebenfalls eine mittelbare Einwirkung des Grundsatzes von Treu und Glauben annimmt, nicht im Rahmen der Kommentierung von § 242 BGB behandelt. 2
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§ 5 Der Grundsatz von Treu und Glauben
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ohne freilich eine Alternative dafür anzubieten. Stattdessen meint er, daß die das gesamte Rechtsleben beherrschenden Wertmaßstäbe von Treu und Glauben in das Rechtsinstitut der Unzumutbarkeit hineinwirkten und damit in diesem Bereich einen mittelbaren Einfluß hätten. Diese lediglich mittelbare Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben habe zur Konsequenz, daß ein Berufen auf § 242 BGB nur dann erfolgreich sei, wenn hierfür besondere Umstände und Kriterien vorlägen, die für eine Modifizierung des Pflichtenprogrammes sprächen. Zu denken sei dabei unter anderem an diejenigen Kriterien, die unter dem Stichwort Unzumutbarkeit zusammengefaßt werden. Zusammenfassend läßt sich demnach feststellen, daß im Zivilrecht bisher als einzige dogmatische Begründung für die Geltung des Zumutbarkeitskriteriums auf § 242 BGB verwiesen worden ist. Dieses führt aber, folgt man der herrschenden Ansicht, die § 242 BGB nur innerhalb von bestehenden Sonderverbindungen für anwendbar hält, zu einem nur sehr eingeschränkten Geltungsbereich des Zumutbarkeitsgesichtspunktes im Deliktsrecht
II. Der Geltungsbereich des§ 242 BGB: Erfordernis des Besteheus einer Sonderverbindung Die Frage, ob § 242 BGB in den Rechtsbeziehungen zwischen jedermann oder aber nur dann gilt, wenn zwei Personen durch ein besonderes Verhältnis oder wenigstens einen speziellen sozialen Kontakt miteinander verbunden sind, wird von der heute ganz überwiegenden Ansicht im letzteren Sinn entschieden. Hierfür wird sowohl auf den Wortlaut des § 242 BGB als auch auf die systematische Stellung der Norm, darüber hinaus aber auch auf Argumente verwiesen, die sich mittels der historischen und teleologischen Auslegungsmethode gewinnen lassen 11 . Setzt man zunächst bei der historischen Auslegung an, so ist von Teichmann 12 darauf hingewiesen worden, daß die Motive bei der Umschreibung des Anwendungsbereiches des § 242 BGB nur Beispiele nennen, in denen tatsächlich eine Sonderverbindung zwischen den Beteiligten besteht. Auch der Wortlaut des § 242 BGB, der den "Schuldner" für verpflichtet hält, spricht für einen begrenzten Allwendungsbereich der Norm. Es ist zwar anerkannt, daß eine an sich damit einhergehende Einschränkung allein auf bestehende Schuldverhältnisse zu eng wäre, die Loslösung von jeglichen vorher bestehenden Kontakten zwischen den Beteiligten würde den Gesetzeswortlaut aber völlig übergehen. Das gilt in ähnlicher Weise, wenn man die systematische Stellung der Norm, nämlich im allgemeinen Schuldrecht, in Betracht zieht. Zwar gab es auch Vorschläge, sie in den Allgemeinen Teil einzustellen 13 ; die endgültige Plazierung im allgemeinen Schuldrecht spricht aber n Deutlich wird dieses insbesondere bei Soergel/Jeichmann 12 § 242, Rn. 30. In: Soerge/ 12 § 242, Rn. 30.
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
dafür, hier zumindest eine bestimmte Beziehung zwischen den Beteiligten zu verlangen14. Trotz dieser recht eindeutigen Auslegungsergebnisse hat sich das Reichsgericht etwa in der Entscheidung RGZ 113, 19 (24) dafür ausgesprochen, § 242 BGB als eine das gesamte Rechtsleben beeinflussende Norm anzusehen. Später hat es dann in einem Fall, in dem es um Probleme der unzulässigen Rechtsausübung ging, eine andere Auffassung vertreten 15 : Auf § 242 BGB dürfe nur dann zurückgegriffen werden, wenn irgendwelche gegenseitige Rechte und Pflichten begründenden Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien bestünden. Diese Ansicht hat sich schließlich durchgesetzt, wobei Fikentscher 16 deutlich gemacht hat, daß diese neue Entscheidungspraxis auch eine Gegenreaktion zur Judikatur der nationalsozialistischen Zeit war, in der die Generalklauseln Instrumente der Rechtsbeugung waren. Auch der BGH verlangt dementsprechend hinsichtlich des aus § 242 BGB abgeleiteten Auskunftsanspruches in jüngster Zeit stets 17 , daß zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten eine besondere rechtliche Beziehung besteht. Diese kann sich auch aus einer unerlaubten Handlung ergeben, so z. B. wenn zur Zeit der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs schon ein gesetzliches Schuldverhältnis aufgrund des deliktischen Handeins entstanden ist. Etwas anderes gilt in dem Moment, in dem die unerlaubte Handlung erst ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet. Heute wird das Erfordernis einer Sonderverbindung wohl maßgeblich nur noch von J. Schmidt 18 bekämpft. Schmidt meint, daß der Begriff Sonderverbindung in der Praxis zwischenzeitlich entleert worden sei und deshalb besser aufgegeben werden sollte. Auch bestehe ein sachlicher Grund für eine umfassendere Anwendung der Gesetzesbestimmung, denn sie böte die Möglichkeit, rechtliche Lücken zu schließen und soziale Gerechtigkeitsvorstellungen zu verwirklichen 19. Dem ist von Teichmann20 überzeugend entgegengehalten worden, daß es nicht Gesetzeszweck des § 242 BGB sei, allgemeine Verpflichtungen zu begründen, sondern allein, bestehende Rechtsverhältnisse auszugestalten. Anders ausgedrückt ist § 242 BGB kein Instrument, die im BGB recht schwach ausgeprägte soziale Komponente in alle privatrechtliehen Beziehungen zu inkorporieren. Heute hat sich die Diskussion daher auf das Problem verlagert, von welcher Qualität die rechtliche Sonderverbindung sein muß und ob gegebenenfalls ein quaProt. I, S. 625. Auch hierzu wieder SoergeVfeichmann 12 § 242, Rn. 30. 15 RGZ 160, 349 (357). 16 Schuldrecht8 , Rn. 160. 17 Im Jahre 1977 in LM Nr. 66 zu § 242 (D) BGB. Dann in BGHZ 95, 274 (279); 95, 285 (288); BGH NJW 1989, 389 (390); Vgl. auch LG München I WM 1977, 569 (570). 18 In: Staudinger 12 § 242, Rn. 115ff.; gegen ihn etwa Fikentscher8 , Rn. 160. 19 Staudinger/1. Schmidt12 § 242, Rn. 120. 2o In: Soerge/ 12 § 242, Rn. 31. 13
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lifizierter sozialer Kontakt hinreichend ist, die Anwendbarkeit des § 242 BGB auszulösen. Vom BGH ist dieses abgelehnt worden, weil es ansonsten zu überspannten Verhaltensanforderungen käme21 und neben der Vertragshaftung und dem Einstehenmüssen für ein Verschulden bei Vertragsschluß kein selbständiger Haftungsgrund anerkannt werden könne. Einige Stimmen in der Literatur22 hingegen wollen auch in einem bloßen, allerdings qualifizierten Kontakt eine § 242 BGB zur Anwendung bringende rechtliche Sonderverbindung sehen. Einsichtige Begründungswege sind hierzu von Roth23 vorgetragen worden. Er hat nachgewiesen, daß der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen der eigentlichen Diktion der herrschenden Ansicht auch etwa dann herangezogen wird, wenn Sonderbeziehungen erst begründet werden sollen (gesetzliches Schutzpflichtverhältnis) oder aber zwar ein Rechtsverhältnis vorliegt, dieses aber nichtig ist. Roth schlägt deshalb allerdings nicht vor, auf das Erfordernis einer rechtlichen Sonderbeziehung zu verzichten. Stattdessen erkennt er richtig, daß von den engen Voraussetzungen stets dann abgewichen wird, wenn besondere, engere Beziehungen, also soziale Kontakte qualifizierter Art (ein Beispiel ist das Nachbarschaftsverhältnis, ein anderes die Anbahnung von Geschäftsbeziehungen) und damit eine herausgehobene Interessenverknüpfung zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten besteht24 . Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die ganz überwiegende Lehre und inzwischen auch die Rechtsprechung § 242 BGB nur dann für anwendbar halten, wenn eine rechtliche Sonderbeziehung aufgebaut ist bzw. - nach einem Teil der Literatur - ein qualifizierter sozialer Kontakt besteht.
111. Schlußfolgerung zur Anwendbarkeit von § 242 BGB im Deliktsrecht Die Notwendigkeit, daß zumindest ein qualifizierter sozialer Kontakt besteht, um § 242 BGB und damit das Zumutbarkeitskriterium in die rechtliche Betrachtung miteinbeziehen zu können, verschließt Zumutbarkeitserwägungen - sofern man sie auf diese Art und Weise herzuleiten versucht - den Zugang zum Kernbereich des hier relevanten Deliktsrechts. Selbst die Lockerung der Anforderungen an das Merkmal der Sonderverbindung vermag hieran nichts zu ändern: Indem zumindest eine herausgehobene Interessenverknüpfung zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten verlangt wird, muß der gesamte Bereich der allgemeinen Rücksichtnahmepflichten gegenüber jedermann aus dem Anwendungsbereich des § 242 BGB ausgegrenzt werden. Dieses allgemeine Pflichtenprogramm wird aber 21 22
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BGH WM 1983, 1189 (1192). JauernigNollkommer7 § 242, Anm. I 3 a ; Soergel/Knopp 10 § 242, Rn. 18. In: MünchKom3 § 242, Rn. 54. MünchKomm!Roth3 § 242, Rn. 55.
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I. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
vom Deliktsrecht bestimmt. Die Tatbestände der unerlaubten Handlungen legen dabei die Maßstäbe fest, wie sich Personen anderen gegenüber verhalten müssen, mit denen sie bislang noch keinen Kontakt gepflegt haben und deshalb auch keinen Sorgfaltsmaßstab im Umgang miteinander vereinbaren konnten. Deshalb setzt das Deliktsrecht gerade nicht voraus, daß zuvor ein sozialer Kontakt zwischen den Beteiligten bestand. Da das Erfordernis eines sozialen Kontakts andererseits bei § 242 BGB Bedingung ist, kann der Zumutbarkeitsbegriff im Deliktsrecht jedenfalls von den sogleich zu erörternden Ausnahmen abgesehen nicht aus § 242 BGB hergeleitet werden25 . Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird auch durch folgende Überlegung verdeutlicht: Der soziale Kontakt entsteht im Regelfall erst durch die deliktische Handlung. Er ergibt sich jedenfalls noch nicht aus der Teilnahme am allgemeinen Verkehr oder aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht26 . Erst mit Vollendung des deliktischen Vorgehens27 , aber noch vor Eintritt des konkreten Schadens bildet sich das gesetzliche Schuldverhältnis aufgrund unerlaubter Handlung und stellt einen sozialen Kontakt qualifizierter Art her. Erst von diesem Zeitpunkt an besteht eine Sonderverbindung28 , wie sie für§ 242 BGB Voraussetzung ist, so daß nunmehr Zumutbarkeitserwägungen auf § 242 BGB zurückgeführt werden können und damit auch das Schadensrecht beeinflussen. Davon betroffen ist zum einen die Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 BGB, ein zweiter Bereich, bei dem Zumutbarkeitsüberlegungen ihren Ursprungspunkt in § 242 BGB haben, ist das Recht der Verjährung. Dieses Ergebnis entspricht auch in vollem Umfang der Intention der herrschenden Ansicht: Während der Grundsatz von Treu und Glauben den Maßstab für das Verhalten innerhalb konkreter Rechtsbeziehungen oder auch dann angibt, wenn solche Beziehungen angebahnt werden sollen, legen die guten Sitten über § 826 BGB Regeln für das Verhalten völlig Fremden gegenüber fest 29 . Nach Fikentscher30 bestimmen nämlich in erster Linie das Deliktsrecht, aber auch andere gesetzliche Schuldverhältnisse und nicht § 242 BGB den allgemeinen Maßstab zwischenmenschlicher Beziehungen, wobei Siebert31 darauf hinweist, daß hierbei das 25 Anders Hersehe! ArbuR 1968, 193 (197), der meint, daß der Grundsatz von Treu und Glauben in allen Rechtsgebieten Geltung beanspruchen kann. 26 Ennan/Sirl § 254, Rn. 57; Soergei/Mertens 12 § 254, Rn. 103. 27 Nach MünchKomm!Grunskl § 254, Rn. 86 sogar schon nach Beginn der unerlaubten Handlung. 2s RGZ 141 , 353 (356); Ennan/Kuckuk9 § 254, Rn. 80; MünchKomm!Grunskl § 254, Rn. 86; Staudinger/Medicus 12 § 254, Rn. 82; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 264d.; Greger NJW 1985, 1130 (1132f.). 29 Ennan!Wemer9 § 242, Rn. 18f.; Soergei/Knopp 10 § 242, Rn. 99; Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, S. !Of.; Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil 14 , S. 127f.; Hubmann AcP !55, S. 87, Fn. II. 30 Schuldrecht8 , Rn. 160. 31 Verwirkung und Unzulässigkeil der Rechtsausübung, S. 129f.
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- abstrakt betrachtete - Verhalten des einzelnen, bei § 242 BGB aber die Sonderbeziehung zwischen dem am Rechtsverhältnis Beteiligten Gegenstand der Wertung sei.
IV. Ergebnis § 242 BGB greift nur innerhalb bestehender oder zumindest angebahnter rechtlicher Sonderverbindungen ein. Allenfalls kann die Bestimmung noch herangezogen werden, wenn ein qualifizierter sozialer Kontakt zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten besteht. Beide Voraussetzungen sind im Bereich des Deliktsrechts nur dann erfüllt, wenn aufgrund der deliktischen Handlung bereits ein gesetzliches Schuldverhältnis entstanden ist und es nunmehr beispielsweise um die Schadensminderungsobliegenheit, § 254 BGB, oder Fragen des Verjährungseintritts geht. Maßstab für das Verhalten untereinander sind ansonsten lediglich die Normen des Deliktsrechts selbst, hierbei insbesondere§ 826 BGB 32 • Der Zumutbarkeitsgesichtspunkt ist im Zivilrecht bislang ausschließlich auf § 242 BGB zurückgeführt worden. Da nun aber § 242 BGB im Deliktsrecht grundsätzlich überhaupt nicht anwendbar ist, liegt - abgesehen von der Schadensminderungsobliegenheit und dem Recht der Verjährung - bislang keine dogmatische Begründung für die vielfach propagierte Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen im Deliktsrecht vor.
§ 6 Die Herleitung des Zumutbarkeitsmerkmals im Strafrecht: Orientierung an der Strafzwecklehre Kann die Berücksichtigung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes im Deliktsrecht nicht mit der Begründung erklärt werden, die im sonstigen Zivilrecht gegeben wird, muß stattdessen auf Herleitungsversuche in anderen, mit dem Deliktsrecht jedenfalls partiell vergleichbaren Rechtsgebieten eingegangen werden. Interessant ist deshalb, daß Zumutbarkeitsgesichtspunkten große Bedeutung auch im Straf32 Über eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ließe sich allenfalls im Bereich der Produzentenhaftung diskutieren. Immerhin ist früher einmal versucht worden, die Produkthaftung mit Hilfe einer vertragsähnlichen Verschuldenshaftung aufgrund eines gesteigerten sozialen Rechtsgüterkontakts analog der culpa in contrahendo zu lösen (hierzu Palandt!Fhomas41 § 823, Anm. 15 C). Der BGH hat in der Hühnerpest-Entscheidung (BGHZ 51, 91 [99]) aber die Ansicht vertreten, daß die aus soziologischer Sicht bestehenden Verbindungen zwischen Produzenten und Hersteller nicht die Qualität einer rechtlichen Sonderverbindung haben. Das Gericht hat deshalb den Versuch, eine Haftung qua bestehenden sozialen Kontaktes aus § 242 BGB abzuleiten, ausdrücklich abgelehnt.
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I. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
recht zukommt, zumal dem Strafrecht einzelne Gemeinsamkeiten mit dem Recht der unerlaubten Handlungen nicht abgesprochen werden können. Dies ist oben bei der Behandlung der Rechtfertigungsgründe deutlich geworden, die sowohl für das Zivilrecht als auch für das Strafrecht Geltung beanspruchen. Zu einer gewissen Parallelität trägt aber auch das Verschuldeosprinzip bei, das das Deliktsrecht beherrscht, aber auch im Strafrecht, freilich in unterschiedlicher Schattierung, Voraussetzung der Sanktion ist. Schließlich ist eine der weitgehend anerkannten Funktionen des Haftungsrechts die Schadensprävention. Jedermann soll vor dem Hintergrund der ihm drohenden Schadenersatzverpflichtung angehalten werden, ein deliktisches Vorgehen möglichst zu unterlassen. Damit unterstützt das Deliktsrecht aber einen der Hauptzwecke des Strafrechts, nämlich die Prävention des als strafbar bezeichneten Verhaltens. Diese Verbindungslinien zwischen dem Strafrecht und dem Deliktsrecht rechtfertigen es, die Begründungsversuche für die Geltung des Zumutbarkeitsgedankens im Strafrecht zu analysieren und dann möglicherweise in das Deliktsrecht zu übertragen.
I. Analogie zu § 242 BGB - Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip Einen auf das Zivilrecht zurückverweisenden Versuch, die Berücksichtigung von Zumutbarkeitserwägungen im Strafrecht zu begründen, hat Lücke untemommen33: Der auf dem Gedanken der Unzumutbarkeit beruhende § 35 StGB enthalte nur eine unvollständige Regelung des Zumutbarkeitsgedankens. Da aber zum einen aus dem Rechtsstaatsprinzip folge, daß strafrechtliche Verbotsnormen beschränkt sein müßten und zum anderen der Zumutbarkeit eine pflichtenbegrenzende Funktion zukomme, bestünde bezüglich der Berücksichtigung von Zumutbarkeitsaspekten eine Gesetzeslücke. Diese sei auch planwidrig, weil der Gesetzgeber, dem Gebot des Rechtsstaatsprinzips folgend, nach Gerechtigkeit und damit nach einer Beschränkung seiner staatlichen Macht strebe. Indem er Unzumutbarkeitserwägungen aber nur partiell berücksichtigt habe, wäre er von seinem Plan abgewichen, die öffentliche Gewalt im Sinn von Gerechtigkeitserwägungen zu begrenzen. Die planwidrige Gesetzeslücke soll nach Ansicht von Lücke durch eine analoge Anwendung von § 242 BGB geschlossen werden, der im ganzen öffentlichen Recht und damit auch im Strafrecht als dessen Teilgebiet Eingang fände. Die Begründung von Lücke ist allerdings in zweifacher Hinsicht angreifbar34. Einmal erweckt die Argumentationskette Bedenken, mit der er darzulegen versucht, daß die Berücksichtigung der Zumutbarkeit durch das Rechtsstaatsprinzip geboten ist. Die Aussage allein, daß die Unzumutbarkeit eine pflichtenbegrenzende Funktion habe und damit den vom Rechtsstaatsprinzip mitverfolgten Zweck, 33 34
JR 1975, 55ff. Ablehnend auch Achenbach JR 1975, 492f.
§ 6 Orientierung an der Strafzwecklehre
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die staatliche Gewalt zu beschränken, umzusetzen vermöge35 , stellt keine hinreichende Begründung dar. Damit wird von Lücke verkannt, daß aus dem Rechtsstaatsprinzip nur ein Mindestmaß an Beschränkung strafrechtlicher Gewalt folgt. Durch die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe ebenso wie durch das Schuldprinzip und den beschränkten Kanon strafrechtlicher Verbotstatbestände besteht aber schon eine starke Beschränkung der staatlichen Strafgewalt, womit dem Rechtsstaatsprinzip Genüge getan ist. Auch unterliegt Lücke einer petitio principii36, wenn er mit der pflichtenbegrenzenden Funktion des Zumutbarkeitskriteriums argumentiert, welche er im Strafrecht durch seine Herleitung aber erst nachweisen will. Auf der anderen Seite führt die Analogie zu § 242 BGB im Strafrecht deshalb nicht weiter, weil diese Norm nach ganz herrschender Ansicht nur dann anwendbar ist, wenn zwischen den Beteiligten, hier dem Staat und dem Straftäter, zuvor eine Sonderverbindung bzw. ein enger sozialer Kontakt bestand. Dies ist aber im Strafrecht nur zufälligerweise der Fall (etwa beim Ausbruch aus einem Gefängnis, bei der Vermögensbetreuungspflicht, beim Untreuetatbestand, bei der Garantenpflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten). Jedenfalls liefert Lückes strafrechtliche Ableitung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes im Strafrecht keinen Erkenntnisgewinn für die Berücksichtigung der Zumutbarkeit im Deliktsrecht, denn die Rückführung der Zumutbarkeit im Haftungsrecht auf § 242 BGB ist schon in § 5 dieser Arbeit abgelehnt worden.
II. Ableitung aus dem Schuldprinzip Eine zweite Ansicht will den Zumutbarkeitsaspekt im Strafrecht auf das Schuldprinzip zurückführen 37 . Die Unzumutbarkeit ist danach ein Hilfsmittel zur Umschreibung des normativen Schuldbegriffs, dessen Facetten die zwangsläufig typisierende gesetzliche Regelung ohne das Zumutbarkeitskorrektiv nicht exakt erfassen könnte. Mit dem Hinweis auf die Zumutbarkeit wird berücksichtigt, daß es auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 35 StGB abnorme Situationen gibt, die eine Qualifizierung des Täterverhaltens als (normativ) schuldhaft ausschließen38.
Besonders deutlich wird diese Sichtweise aufS. 58 vor 4. Zu dieser Form des logischen Fehlers vgl. Diederichsen, Einführung in das wissenschaftliche Denken, S. 43. 37 Freudenthal, Schuld und Vorwurf, insbes. S. 16ff., 22f.; Goldschmidt, FS für v.Frank, S. 428 (442); Wittig JZ 1969, 546 (547). 38 Eine Variante ist die von Schaffstein als ethisierende Zumutbarkeitslehre bezeichnete Ansicht, nach der die Zumutbarkeit im Rahmen der Schulderwägungen die rechtlichen Geund Verbote an die individualethischen Wertungen anpaßt. Hierzu ausführlich Schaffstein, Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund , S. 25ff. 35
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Diese Zurückführung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes auf das Schuldprinzip hat sich allerdings nicht durchzusetzen vermocht. Kritik ist hierzu zum Beispiel von Henkel 39 vorgebracht worden. Auch er betont zunächst, daß die Fortentwicklung des psychologischen zum normativen Schuldbegriff dazu geführt habe, daß unter dem Gesichtspunkt der Vorwerfbarkeit die Motivation des Täters zur Tatbegehung eine gewichtige Rolle bei der Schuldfrage spielt. Der normative Schuldbegriff ermögliche und verlange - über § 35 StGB hinausgehend - die Berücksichtigung besonderer Motivationslagen des Täters. Fehle es deshalb an der Vorwerfbarkeit der Tat, könne man den Täter auch nicht schuldig sprechen. Henkel40 wendet sich aber dagegen, die Unzumutbarkeit als das den normativen Schuldbegriff umsetzende Element anzusehen. Die Zumutbarkeit habe auch in diesem Zusammenhang nur eine dienende und verfeinemde Funktion zur Festlegung zweifelhafter Grenzen des normativen Schuldelements. Das bedeutet, daß zunächst mit Hilfe des normativen Schuldbegriffs zu erörtern ist, ob eine (abstrakt umschriebene) Motivationslage einen Täter grundsätzlich zu entschuldigen vermag. Nur dort, wo noch zweifelhaft ist, ob die so grob markierten Grenzen des Entschuldigungsgrundes in der konkreten Situation eingehalten sind, kann auf Zumutbarkeitsaspekte zurückgegriffen werden. Damit aber folgt die Unzumutbarkeit nicht aus dem normativen Schuldbegriff, sondern konkretisiert ihn allenfalls und muß daher aus anderen Gesichtspunkten abgeleitet werden. Dieses Ergebnis wird von der heute herrschenden Ansicht geteilt, wenn auch mit einer ganz anderen Begründung: Die insbesondere von Freudenthai vorgeschlagene Ableitung der Zumutbarkeit aus dem normativen Schuldbegriff führt dazu, daß die Zumutbarkeit als allgemeine Schuldvoraussetzung oder anders ausgedrückt als übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund zu qualifizieren ist41 . Gegen diese zwingende Konsequenz lassen sich allerdings eine ganze Reihe von Argumenten anführen. Schon Gründe der Rechtssicherheit sprächen gegen die Einbeziehung eines derart unbestimmten Rechtsbegriffes in die Schuldebene42 . Hauptsächlich wird aber darauf hingewiesen, daß das Gesetz erkennen lasse, daß es als abschließende Regelung konzipiert worden sei43 . Von Bedeutung sei zum Beispiel, daß selbst der Notstand nicht stets zu einer Entschuldigung des Täters führe 44 • Dafür spreche auch die Gesetzessystematik, die in den Entschuldigungsgründen einer extensiven Auslegung nicht fähige Ausnahmevorschriften sehe45 . Es In: Festschrift für Mezger, S. 296f. In : Festschrift für Mezger, S. 298ff. 41 Siehe nur Jescheck, Strafrecht, Allgem. Tei14 , S. 454; Stratenwerth, Strafrecht, Allgem. Teil 13 , Rn. 603; Lackner, StGB 20 , Rn. 32 vor§ 32. 42 Schönke/Schröder/Lenckne? 4 , Rn. 123 vor§§ 32ff. 43 Ähnlich Achenbach JR 1975, 492 (493), der dieses Ergebnis mittels einer historischen Auslegung stützt. 44 Bocke/mann/Volk, Strafrecht Allgem. Teil4 , S. 131. 45 Jescheck, Strafrecht, Allgem. Teil 4 , S. 455. 39
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seien dies alles Fälle, in denen sich der Täter durchaus rechtswidrig verhalten könne, die Rechtsordnung aber wegen des herabgesetzten Schuldgehalts auf eine Sanktion verzichte. Ob dieser Verzicht gerechtfertigt sei, läge aber im Ermessen des Gesetzgebers, darüber könne von der Rechtspraxis ohne einen Verstoß gegen das Gesetz nur im eingeschränkten Rahmen hinausgegangen werden46. Schließlich sei bei der Anerkennung eines allgemeinen Entschuldigungsgrundes der Unzumutbarkeit eine Schwächung der generalpräventiven Wirkung des Strafrechts zu befürchten47. Eine subjektiv orientierte Zumutbarkeitsbetrachtung könnte nämlich im Ergebnis auf eine Untergrabung des Strafrechts hinauslaufen48 .
III. Orientierung an den Zwecken der Strafbarkeit Eine weitere Begründung, die Zumutbarkeit im Strafrecht herzuleiten, ist insbesondere von Roxin entwickelt worden49 . Roxin greift praktisch das Argument von Jescheck auf, die Anerkennung eines allgemeinen Entschuldigungsgrundes der Unzumutbarkeit würde zu einer Schwächung der generalpräventiven Wirkung des Strafrechts führen 50 . Nach ihm ist nämlich die Schuld nur aus ihrer kriminalpolitischen Funktion heraus zu definieren. Der Tater ist schuldig, wenn sein Verhalten aus Gründen der Spezial- oder der Generalprävention oder auch zum Zweck der Resozialisierung des Täters einer Strafsanktion bedarf. Dementsprechend geben Entschuldigungsgründe an, daß bei bestimmten, außergewöhnlichen persönlichkeits- oder situationsbedingten Umständen general- oder spezialpräventive Einwirkungen unnötig sind und deshalb eine Bestrafung ausscheidet. Die Sanktion könnte den Täter hier nicht zur Einsicht und zum normgemäßen Verhalten erziehen, da sie dafür an einen völlig ungeeigneten Sachverhalt anknüpft51 . Ist die Tat nunmehr in einer besonderen Situation begangen worden, die aus der Sicht der Strafzwecklehre eine Bestrafung verbietet, wird dieses aber in keinem gesetzlich normierten Entschuldigungsgrund berücksichtigt, darf nach Roxin auf die Zumutbarkeit zurückgegriffen werden. Nach dieser Ansicht richtet damit die Unzumutbarkeit die Schuld im Hinblick auf die Strafzwecklehre aus, wohingegen die Zumutbarkeit im 46 LeipzKomm/Hirsch 11 , Rn. 196 vor § 32. Ebenfalls für einen durch das StGB beschriebenen geschlossenen Schuldbegriff Maurach/ZipfStrafrecht Allgem. Teil 18 , § 33, Rn. 15. 47 Jescheck, Strafrecht, Allgem. Tei14 , S. 455. 48 Schönke/Schröder/Lenckne?A, Rn. 123 vor§§ 32ff. 49 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 15f., 33f.; ders. in: FS f. Henkel, S. 171 (181 ff.). Ganz ähnlich Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 141 und Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, S. 449f., die wegen der besonderen Motivationslage die Strafwürdigkeit des Verhaltens, das eine fehlende Motivationslage zur Rechtsbefolgung erkennen läßt, verneinen. Ebenso Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 82f. 50 Jescheck, Strafrecht, Allgem. Teil4 , S. 455. 51 Dallinger JR 1968, 6 (8).
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Bereich der Rechtswidrigkeit die Funktion hat, sozialen Ordnungsprinzipien (etwa die Prinzipien des Selbstschutzes, der Rechtsbewährung und der Güterabwägung) Geltung zu verschaffen52. Mit dem Problem der Herleitung der Zumutbarkeit aus der Strafzwecklehre hat sich eingehend auch Schaffstein53 beschäftigt. Dabei unterscheidet er zwischen einer general- und einer spezialpräventiven Ableitung der Zumutbarkeit.
1. Generalpräventive Ableitung der Zumutbarkeitslehre Schaffstein54 führt zunächst noch einmal die generalpräventive Ableitung der Zumutbarkeit an: Danach handelt der Täter nicht schuldhaft, wenn er sich aufgrund der ihn treffenden Gesamtsituation einem solchen seelischen Druck ausgesetzt sieht, daß eine Beachtung des Normgebotes von einem Durchschnittsbürger nicht mehr zu erwarten ist, wobei eine gewisse Individualisierung des Täters nach Gruppenzugehörigkeilen geboten erscheint. Schaffstein wendet gegen die Zurückführung der Zumutbarkeit auf den generalpräventiven Strafzweck ein, daß hierzu von einer überholten Theorie der Rechtsgeltung ausgegangen werde: Das Recht habe nämlich keine Grenze im psycho-physischen Können des durchschnittlichen Bürgers, weil es nicht auf seine tatsächliche oder soziale Geltung zurückgeführt werde, sondern es beanspruche mit seinen Werten und Ideen eine objektive Geltung55 . Deshalb werde das Recht auch nicht so abgefaßt, daß der Durchschnittsadressat es stets befolgen könne. Vielmehr werde teilweise auch für die Nichtbeachtung unerfüllbarer Verbote gehaftet. Im nachfolgenden gibt Schaffstein auch seiner Befürchtung Ausdruck, daß die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu einem Schwund des allgemeinen Rechtsbewußtseins führe56. Anstatt zu einem vorbildlichen Verhalten anzuregen, orientiert sich die Rechtsordnung dann am praktizierten, fehlbaren Verhalten der Menschen und stellt den gebotenen durchgreifenden Rechtsgüterschutz infrage.
52 Achenbach JR 1975, 492 (495) kommt über Roxins Ansatz zum Illegitimitätsprinzip. Danach ist der Tater entschuldigt, wenn die strafrechtliche Sanktion als illegitime Anmaßung erscheinen würde und deshalb auch keine generalpräventive Wirkung entfalten könnte. Dies sei aber nur selten der Fall. 53 Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund, S. 32ff. 54 Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund, s. 32ff. 55 Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund, s. 47f., 40f. 56 Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund, s. 43f., 46.
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2. Spezialpräventive Ableitung der Zumutbarkeitslehre
Der Versuch einer spezialpräventiven Ableitung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes wird von Schaffstein folgendermaßen beschrieben57 : Die Sanktion soll eine Reaktion auf soziale Defizite des Täters sein und mit ihrer Vollstreckung wird versucht, den Täter zu resozialisieren. Hätte aber jeder andere Bürger an seiner Stelle ebenso gehandelt und war ihm deshalb ein Andershandeln nicht zumutbar, ist die Tat nicht Ausdruck einer antisozialen Persönlichkeit des Täters, eine Bestrafung kann entfallen. Schaffstein führt hierzu an, daß von einem rein spezialpräventiven Strafzweckverständnis keine Einwände gegen diese Zumutbarkeitslehre vorgebracht werden können. Eine derartige Ausrichtung auf den Gesichtspunkt der Spezialprävention sei allerdings in einem Strafrecht fraglich, das maßgeblich auf die Tat und weniger auf den Tater abstellt58.
IV. Zusammenfassung Im Strafrecht sind verschiedene Ansätze unternommen worden, die Geltung des Zumutbarkeitsgrundsatzes insbesondere im Bereich der Schuld zu begründen. Dabei hat sich insbesondere die Ableitung aus dem normativen Schuldprinzip nicht durchzusetzen vermocht. Gleiches gilt für den von Lücke vorgeschlagenen Weg, der zudem zu einer schon für den Bereich des Deliktsrechts verworfenen Lösung über § 242 BGB führt. Kritik ist aber auch am dritten Ansatz geübt worden, der die Zumutbarkeit mit der Strafzwecklehre in Verbindung bringen möchte und dabei auf Erwägungen der Spezial- und Generalprävention abstellt. Diese fortbestehende Unsicherheit über die Ableitung der Zumutbarkeit im Strafrecht hängt aber vor allem damit zusammen, daß dem Begriff von den Strafrechtswissenschaftlern ein unterschiedlicher Inhalt beigelegt wird. So hat neuerdings Maiwald59 nachgewiesen, daß manche ihn im Sinne der objektiven Zumutbarkeit, andere hingegen im Sinne der subjektiven Zumutbarkeit verstehen. Ausgangspunkt der Untersuchungen zur Herleitung der Zumutbarkeit im Strafrecht war die Erkenntnis, daß zwischen dem Strafrecht und dem Deliktsrecht gewisse Verbindungslinien bestehen, die es im Einzelfall geboten erscheinen lassen könnten, Ergebnisse der strafrechtlichen Dogmatik auf das Deliktsrecht zu übertragen. Dieses ist hier zwar deshalb nicht möglich, weil im Strafrecht ebenfalls noch keine überzeugende Begründung für die Herleitung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes gefunden worden ist. Selbst wenn man sich der im Ansatz durchaus plausi57 Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund, S. Slff. 58 Jescheck, Strafrecht, Allgem. Tei14 , S. 53 (57f.). 59 In: Festschrift für Schüler-Springorum, S. 475 (481 ff.).
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
blen Ableitung aus general- oder spezialpräventiven Aspekten anschließen würde, wäre diese Argumentationslinie nicht auf das Deliktsrecht übertragbar. Dort ist zwar anerkannt, daß dem Haftungsrecht mit seiner Schadenersatzsanktion auch eine schadenspräventive Funktion zukommt. Nach noch überwiegender Ansicht ist dieser Zweck des Haftungsrechts aber lediglich sekundärer Natur60 und kann deshalb die Geltung einer Zumutbarkeitslehre entgegen dem Wortlaut der Haftungstatbestände nicht erklären. Dennoch liegt der Zurückführung der Zumutbarkeit auf die Strafzwecklehre ein interessanter Gedanke zugrunde, der sich möglicherweise auf das Haftungsrecht übertragen läßt. Es soll daher nachfolgend dargestellt werden, welche Zwecke das Deliktsrecht verfolgt, ob der vom Gesetz vorgegebene Prüfungskanon die Haftungsfrage dem Haftungszweck entsprechend löst oder ob nur über weitere Kriterien wie etwa dem Zumutbarkeitsgesichtspunkt eine auf die Zwecke des Haftungsrechts abgestimmte Schadenersatzregelung gelingt.
§ 7 Die Zwecke des Haftungsrechts Der Gedanke, das Zumutbarkeitsprinzip auf die Zwecke des Haftungsrechts zurückzuführen, entspringt nicht allein einer Anregung aus dem Strafrecht. Eine entsprechende Andeutung findet sich auch bei Hermann Lange61 . Im Rahmen seiner Ausführungen zu dem Problem, ob die Adäquanz ein eigenständiges Zurechnungskriterium darstellt oder aber nur Bestandteil einer anderen, umfassenderen Lehre ist, führt Lange aus, daß die Wurzel letztlich aller Zurechnungskriterien zu den Zwecken des Haftungsrechts zurückreichen müsse: Da auch die Zumutbarkeit als eine Frage der Zurechnung verstanden werden kann, wären andere Ableitungsversuche-etwa über § 242 BGB -danach sogar unzulässig. Deutsch62 tendiert wohl in dieselbe Richtung, wenn er das Verschuldensprinzip, die Adäquanz sowie die Lehre vom Schutzbereich der Norm auf den "Gegenzweck" des Deliktsrechts zurückführt, die Haftung nicht erdrückend werden zu lassen. Auf diesen "Gegenzweck" ließe sich auch das Kriterium der Zumutbarkeit zwanglos zurückführen, das hauptsächlich als Einschränkung des Haftungstatbestandes Verwendung findet und so die Haftung reduziert. Nachfolgend sind dementsprechend die Zwecke des Deliktsrechts konkret herauszuarbeiten. Anschließend kann überprüft werden, ob die Berücksichtigung von 60 Zu dem unter dem Aspekt einer zunehmenden ökonomischen Betrachtungsweise des Rechts sich abzeichnenden Meinungswandel Marburger AcP 192, 1 (30) und Wagner JZ 1991, 175 (176f.). 61 JZ 1976, 198 (199f.). 62 JZ 1971,244 (247).
§ 7 Die Zwecke des Haftungsrechts
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Zumutbarkeitserwägungen mit diesen Zwecken vereinbar ist bzw. die Verwirklichung der haftungsrechtlichen Zwecke Zumutbarkeitsüberlegungen sogar zwingend erforderlich macht.
I. Die Präventivfunktion Die erste vielerörterte Funktion des Haftungsrechts ist die Prävention deliktischen Verhaltens 63 . Nach der treffenden Umschreibung von Bullinger64 müßte dann beabsichtigt sein, mit dem Deliktsrecht einen finanziellen Anreiz dafür zu geben, daß Beschädigungen fremder Rechtsgüter möglichst vermieden werden. Hierbei istjedoch zu beachten, daß unter dem Begriff der Präventivfunktion häufig verschiedene präventive Wirkungsmechanismen zusammengefaßt werden. Diese sind zunächst zu sondern, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß das Deliktsrecht nur eine dieser unterschiedlich akzentuierten Präventionsfunktionen bezweckt. Eine derartige Differenzierung ist beispielsweise von Bullinger65 vorgenommen worden. Er erläutert zunächst die von ihm sogenannte subjektive Präventivfunktion: Um die ansonsten anfallenden Kosten zu reduzieren, wird der potentielle Deliktstäter im Bereich der Verschuldeoshaftung versuchen, seine Sorgfaltsvorkehrungen zu verschärfen. Damit aber ermäßigt sich das Verletzungsrisiko und es kommt zu einem effektiven präventiven Rechtsgüterschutz. Die sogenannte objektive Präventivfunktion läßt sich wie folgt umschreiben: Jedermann, aber insbesondere Kaufleute, sind in einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft zur Kostenminimierung angehalten, um am Markt zu überleben. Schadenersatzforderungen erhöhen jedoch die Betriebskosten und damit den Produktpreis und führen demzufolge im Ergebnis zu einer Schwächung der Marktposition. Deshalb muß der Hersteller durch Investitionen in Sicherungsvorkehrungen, im Ausnahmefall auch durch ein Einstellen eines Teiles der Produktion versuchen, Preissenkungsspielräume zu gewinnen. Im Gegensatz zur subjektiven Präventionswirkung greift die objektive Präventionswirkung wegen ihres andersartigen Ansatzes sowohl bei der Verschuldeoshaftung als auch bei der verschuldeosunabhängigen Haftung ein. Eine deutliche Nähe zur These von der objektiven Präventionswirkung des Schadenersatzrechts weisen die Ausführungen von Kötz66 auf. Er unternimmt neu63 Hingegen wird eine herausgehobene Funktion des Sanktionsgedankens nicht mehr diskutiert, vgl. Hermann Lange, Scahdensersatz2 , Rother, Haftungsbeschränkung im Schadensrecht, S. 207; Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, S. 30ff. Anders wohl Deutsch JZ 1971, 244 (246), der meint, die "Garantiefunktion" sei wiederentdeckt worden, ihr aber auch keine dominante Bedeutung einräumt. Sie soll den Zweck der Schadensabnahme stärken. 64 In: Festschrift für von Caemmerer, S. 297 (303). 65 In: Festschrift für von Caemmerer, S. 297 (303f). 66 Deliktsrecht6 , Rn. 40 sowie In: Festschrift für Steindorff, S. 643 (645).
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erdings den Versuch, das Deliktsrecht auch unter dem Aspekt einer ökonomischen Analyse des Rechts zu erfassen67 und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß es jedenfalls Ziel des Haftungsrechts sein sollte, jeweils soviele Unfalle zu verhindern, daß gesamtwirtschaftlich gesehen das Maximum an Wohlfahrt erzielt wird68 . Damit kommt dem Haftungsrecht natürlich eine Präventionsfunktion zu, indem gesellschaftlich unerwünschte Unfälle durch die Verhaltenssteuerung verhindert werden. Andererseits soll das Deliktsrecht aber auch Freiräume zugunsten der Handlungsfreiheit des einzelnen und als Kehrseite dessen zu lasten des Rechtsgüterschutzes gewähren. Das gilt etwa für Tätigkeiten wie das Autofahren, die von der Allgemeinheit für derart wichtig gehalten werden, daß man sie duldet oder sogar fördert, obwohl feststeht, daß sie mit tödlicher Sicherheit zu schwerwiegenden Unfallen führen werden69 • Die Präventivfunktion wird deshalb von Kötz als Hauptzweck des Deliktsrechts anerkannt, sie sei aber im Interesse anderer entgegengesetzter Zwecke deutlich begrenzt. Eine andere Differenzierung innerhalb der Präventivfunktion hat Deutsch70 vorgeschlagen. Nach ihm können Rechtsnormen zunächst eine vortatliehe Prävention bezwecken, indem sie sowohl die Verletzung als auch eine lediglich drohende Verletzung untersagen. Genau dieses ist bei den Tatbeständen der unerlaubten Handlungen der Fall: Sie sanktionieren nicht nur die Verletzung mit einem Schadenersatzanspruch, sondern beinhalten darüber hinaus auch einen deliktischen Beseitigungs- und (wiederherstellenden) Unterlassungsanspruch, der neben die negatorischen und quasinegatorischen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche tritt71 . Neben die vortatliehe tritt nach Deutsch die nachtatliehe Prävention. Ihr Wirkungsmechanismus funktioniert derart, daß die Auferlegung einer Schadenersatzsanktion den Täter von einer erneuten Begehung der Tat abhalten soll. Hiermit wird im Sinn der strafrechtlichen Doktrin wohl die spezialpräventive Funktion der Rechtsnorm, mit der vortatliehen hingegen offensichtlich die generalpräventive Ausgabe rechtlicher Ge- und Verbote angesprochen72 . Im Ergebnis ist festzuhalten, daß sich alle diskutierten Teilfunktionen des Präventionsgedankens als dem Recht der unerlaubten Handlungen innewohnende
Kötz, Deliktsrecht4 , Vorwort, S. V. 68 Die Nähe zur Ansicht von Bullinger ergibt sich daraus, daß eine ordnungsgemäß funktionierende Marktwirtschaft nach der Theorie zwangslos zu einem maximalen Gewinn an gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt führt. 69 Weyers, Unfallschäden, S. 447f. 1o JZ 1971, 244 (246). 71 RGZ 148, 114 (122f.); BGHZ 14, 163 (173); 34, 99 (102f.); MünchKomm/Mertens 2 § 823, Rn. 82; RGRK/Steffen 12 , Rn. 127, 129 vor§ 823; Soerge//Müh/ 12 § 1004, Rn. 108, 156; Hager VersR 1984, 799 (804). Derdeliktische Beseitigungsanspruch ist jedoch kein reiner Beseitigungsanspruch, sondern seiner Natur nach ein Schadenersatzanspruch: Staudinger/ Gursky1 2 § 1004, Rn. 97; Deutsch , Haftungsrecht I, S . 459f. n Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Allgemeiner Teil2 , S. 4f. 67
§ 7 Die Zwecke des Haftungsrechts
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Zwecke verstehen lassen. Fraglich bleibt jedoch, welchen Rang die Präventivfunktion in ihren Einzelausprägungen im Funktionskanon des Deliktsrechts einnimmt. Unbestritten ist heute, daß das Deliktsrecht präventive Zwecke mitverfolgt73 . Das wird zum Beispiel in der Rechtsprechung sichtbar, die die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldanspruches mit generalpräventiven Erwägungen begründet74. Aber auch der Gesetzgeber bezieht Präventionsgedanken immer wieder in seine Überlegungen zur Ausgestaltung von Haftungsnormen mit ein. Deutlich geworden ist das jüngst bei den parlamentarischen Beratungen zum Umwelthaftungsgesetz. Nach der Begründung zum nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurf75 soll das zivile Umweltrecht mittelbar präventive Funktionen erfüllen, indem potentielle Schädiger zur Vermeidung von Schadenersatzleistungen Vorsorgemaßnahmen ergreifen sollen. Beim Bundesjustizministerium und beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hofft man, daß die Beweislastregelungen bei Abweichungen vom Normalbetrieb starke Anreize geben, nicht von diesem Standard abzuweichen und die Einhaltung der Grenzwerte ständig zu beobachten und zu dokumentieren76. Dennoch entspricht es auch der ganz herrschenden Ansicht77, daß die Prävention lediglich einen Nebenzweck bei den unerlaubten Handlungen darstellt, sie vielmehr vorrangig im Strafrecht verankert ist. Die ausführlichste Begründung ist hierzu von Deutsch78 vorgetragen worden, der mit zahlreichen Beispielen nachweist, daß eine vornehmlich präventive Ausrichtung des Haftungsrechts in vielerlei Hinsicht andere Regelungen notwendig gemacht hätte. In einem hauptsächlich dem Präventionsgedanken verschriebenen Deliktsrecht müßte einerseits der Versuch sanktioniert und andererseits die Gehilfenhaftung eingeschränkt werden79 . Zu einem vornehmlich präventiven Charakter des Deliktsrechts paßt auch nicht die Beschränkung der Sanktion auf eine möglicherweise nur zufällig niedrige Schadens73 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 109; Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 190; Bullinger, Festschrift für v. Caemmerer, S. 297 (306); Bötticher AcP 158 (1959/60), 385. 74 So Köndgen, Haftpflichtfunktion und Immaterialschaden, S. 69. Gleiches gilt für die Metallarbeiterentscheidung in BAGE 6, 321 (374), wo das Gericht die Haftung für die gesamten Kosten (nicht nur für diejenigen, die bis zu dem Zeitpunkt entstanden sind, in dem die Friedenspflicht endete) damit begründete, daß anderenfalls die Versuchung, sich von Friedenspflicht loszusagen, zu groß wäre, da es an einer wirklichen und bedeutsamen Sanktion fehlen würde. 75 BR-Drs. 217/87, S. 14. 76 recht-Informationendes BMJ, Nr. 3/89, S. 34 (36). 77 Köndgen, Haftpflichtfunktion und Immaterialschaden, S. 69; Hermann Lange, Schadensersatz2, S. 10; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgem. Teil 14, S. 423f.; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 98f. 78 Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 83; ders. JZ 1971 , 244 (246). 79 Deutsch meint, es sei unsicher, ob der Verpflichtete genügend Einfluß habe, um seinen Gehilfen vom schadensstiftendem Tätigwerden abzuhalten. Dann aber sei er unter Präventionsgesichtspunkten falscher Adressat einer Schadenersatzverpflichtung.
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höhe und die in der Sanktionshöhe gleiche Behandlung vorsätzlichen und fahrlässigen Vorgehens80. Immer wieder wird die Verwässerung der Präventivfunktion auch mit dem stark zunehmenden Versicherungsschutz in Verbindung gebracht81 , obwohl auch im Versicherungsrecht mit Schadensfreiheitsrabatten und einem Haftungsausschluß bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln seitens des Versicherungsnehmers die Präventionsfunktion abgeschwächt erhalten bleibt82. Schließlich vermögen auch diejenigen Stimmen nicht zu überzeugen, die der Präventivfunktion unter dem Blickwinkel einer ökonomischen Analyse des Rechts zu einer Renaissance verhelfen wollen und die Präventivfunktion deshalb als Primärzweck des Haftungsrechts ansehen 83 . Zwar soll keineswegs verkannt werden, daß das Deliktsrecht ökonomische Verhaltensweisen beeinflußt. Eine andere Frage ist jedoch, ob diese Wirkung vom Gesetzgeber des Haftungsrechts auch bezweckt war. Das wird man aber kaum annehmen können. Forderungen, Recht und Steuersystem so umzugestalten, daß dadurch politisch erwünschte Zielsetzungen (wie Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit) befördert werden, sind erst in den letzten Jahren erhoben und - ausweislich der Gesetzesmaterialien - vor allem beim Umwelthaftungsrecht partiell in Betracht gezogen worden. Bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches waren derartige Überlegungen noch völlig unbekannt, so daß sie vom historischen Gesetzgeber auch nicht gewollt gewesen sein können. Eine Revision des Haftungsrechts vor dem Hintergrund ökonomischer Steuerungsmodelle hat zudem nicht stattgefunden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es heute überwiegender Ansicht entspricht84, die Prävention nur als sekundären Zweck des Haftungs- und Schadensrechts anzusehen. Hierin liegt ein bedeutsamer Unterschied zum Strafrecht, wo die Herleitung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes aus dem Präventionszweck des Strafrechts noch am überzeugendsten erscheint. Aus diesem Blickwinkel ist daher die Schlußfolgerung von Deutsch85 zutreffend, daß eine Schadenersatzpflicht trotz strafrechtlicher Unzumutbarkeit noch einen Sinn haben kann, weil die Prävention nicht Hauptzweck des Deliktsrechts ist.
80 Ebenso Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 190; Larenz NJW 1959, 865; zu Ausnahmen von diesem Grundsatz Lange, Schadensersatz2, S. 10. 81 Beispielsweise von Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 S. 160f., der hierfür die immer kompliziertere Technik und die immense Zunahme sozialer Kontakte verantwortlich macht. 82 Hermann Lange, Schadensersatz2 , S. 10.; Bullinger, Festschrift für v. Caemmerer, S. 297 (305). 83 Dazu Marburger AcP 192 (1992), I (30); Wagner JZ 1991 , 175 (176f.). 84 Anders wohl nur noch Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 40. 85 Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 83.
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II. Die Ausgleichsfunktion Eine andere, häufig diskutierte und von der herrschenden Ansicht86 sogar als dominierend angesehene Funktion des Haftungsrechts ist der Ausgleichsgedanke. Dieses Prinzip besagt, daß die Risikozuständigkeit auf denjenigen verlagert werden soll, der für die Verletzung verantwortlich ist. Dem Geschädigten wird dann der ihm entstandene Schaden abgenommen und damit ausgeglichen. Von Deutsch ist dieser Vorrang des Prinzips des Schadenausgleichs damit begründet worden, daß nach dem geltenden Recht sowohl dann kein Ersatz zu leisten ist, wenn der Angriff auf das Rechtsgut im Versuchsstadium steckenbleibt als auch dann, wenn zwar ein Verletzungserfolg eingetreten ist, hierdurch aber kein ersatzbedürftiger Schadenfall ausgelöst wurde. Auch die Haftung für den Gehilfen ließe sich am sinnvollsten vor dem Hintergrund des Ausgleichsprinzips erklären87 . Allein dadurch werde deutlich, wieso es nicht bei der Eigenhaftung des Gehilfen verbleibe: Die Möglichkeiten des Geschädigten, seinen Schadenersatzanspruch zu realisieren, werden dadurch immens gesteigert und das Prinzip der Schadensabnahme überhaupt erst faktisch realisiert. Nach Rother88 schließlich wird nur diese Zweckstufung - Ausgleichs- vor Präventivfunktion - der historischen Entwicklung des Rechts und dem rationellen Aufbau einer modernen Rechtspflege gerecht. Hiermit grenzt er allerdings die Ausgleichsfunktion lediglich von der Präventionsfunktion ab, ohne eine positive Begründung zugunsten ersterer abzugeben. Eine zweite Gruppe von Autoren, die von der herrschenden Ansicht häufig für sich reklamiert wird, ordnet das Ausgleichsprinzip nicht dem Haftungsrecht, sondern ausschließlich dem Schadensrecht zu89, ohne dabei allerdings zur Frage des Zwecks des Haftungsrechts explizit Stellung zu nehmen. Das Schadensrecht sei dadurch gekennzeichnet, daß immer dann, wenn ein Anspruch begründet wäre, der Blick nur noch auf den Geschädigten gerichtet werde. Dies führe dazu, daß ihm sein Schaden vollständig ausgeglichen werde, ohne Rücksicht darauf, ob der Schädiger demgegenüber eigene Interessen geltend machen könnte. Dies geschehe nur in sehr eingeschränktem Maße, so etwa über § 254 BGB. Dieser Sichtweise ist allerdings Schiemann entgegengetreten90, der sie deshalb für unbegründet hält, weil sie das Ausgleichsprinzip im Schadensrecht allein durch Subtraktion anderer Prinzipien zu begründen versuche. 86 Koziol, Österreich. Haftpflichtrecht, Allgem. Teil2 , S. 3; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 98f.; Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, S. 39f.; Deutsch JZ 1971, 244 (245, 246). 87 Deutsch JZ 1971, 244 (246). 88 Haftungsbeschränkung im Schadensrecht, S. 207. 89 Köndgen, Haftpflichtfunktion und Immaterialschaden, S. 69, Fn. 16; Hennann Lange, Schadensersatz2 , S. 9; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 158, 161, die allerdings wegen der rein dienenden Funktion des Schadensrechts die Frage nach seinem Zweck für unerheblich halten. 90 Aspekte und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 185f.
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Eine dritte Ansicht lehnt in konsequenter Fortführung dieser soeben dargestellten Lehre eine Zurückführung des Deliktsrechts auf das Ausgleichsprinzip ab91 : Nach ihnen ist Aufgabe des Deliktsrechts, anzugeben, ob dem Verletzten überhaupt ein Ausgleichsanspruch zugebilligt werden soll, nicht aber - worauf das Ausgleichsprinzip allein eine Antwort gibt - was als Schadenersatz geschuldet wird. Dieses ist eine Konsequenz des fundamentalen Grundsatzes des deutschen Rechts, wonach für einen Schaden nur derjenige - nach Maßgabe des Ausgleichsprinzips aufkommen muß, der dafür rechtlich verantwortlich ist. Gäbe es eine reine Erfolgshaftung, wäre das Deliktsrecht hingegen durchaus auf das Ausgleichsprinzip zurückführbar, unter der Herrschaft des Schuldgedankens bedarf es aber eines Prinzips, das die haftungsbegrenzenden Faktoren miteinbezieht Die zuletzt vorgetragene Ansicht erscheint überzeugend. Wie Kötz mit Recht betont hat, könnte wegen der Vielzahl der Fälle, in denen ein Ersatzanspruch versagt wird, Ziel des Haftungsrechts anstelle der Ausgleichsfunktion auch die Nichtkompensation sein. Entscheidendes Gewicht kommt aber der Tatsache zu, daß mit der Ausgleichsfunktion als Zweck des Deliktsrechts unterstellt würde, daß dieses Rechtsgebiet wertneutral sei92 . Dieses läßt sich aber mit den vielen Faktoren, die die Haftung einschränken bzw. modifizieren, nicht vereinbaren. Über die Adäquanz, den Schutzbereich und das Verschuldeosprinzip wird das Ausgleichsprinzip erheblich eingeschränkt, nur ein Teil der auftretenden Schäden wird tatsächlich seitens des Schädigers ausgeglichen. Der Kompensationsgedanke kann daher nicht als primärer Zweck des Haftungsrechts gelten.
ID. Die Rechtsfortsetzungsfunktion Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß weder der Ausgleichsgedanke noch das Sanktions- oder Präventionsprinzip die gesetzlichen Bestimmungen über unerlaubte Handlungen hinreichend zu erklären vermögen. In der Literatur wird allerdings noch ein vierter Gedanke auf seine Tragfähigkeit hin untersucht, den Zweck des Haftungsrechts zutreffend zu kennzeichnen. Es handelt sich hierbei um das sogenannte Rechtsfortsetzungs- oder Rechtsverfolgungsprinzip. Aufgabe des Deliktsrechts ist danach, dafür Sorge zu tragen, daß sich das "Recht" des Geschädigten trotz Zerstörung oder Beschädigung in einem Ersatzanspruch fortsetzt und ihm daher erhalten bleibt. Unbestritten ist freilich nur dieser Ausgangspunkt, unterschiedliche Positionen gibt es hingegen schon im Hinblick darauf, in welchem Verhältnis der Rechtsfortsetzungsgedanke zu anderen das De91 Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 37; ders., in: Festschrift für Steindorff, S. 643 (644f.); Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14 , S. 424. 92 Das erkennt auch Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 186, freilich mit Bezug auf das Schadensrecht
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liktsrecht beschreibenden Prinzipien steht. Zum Teil wird das Rechtsverfolgungsprinzip nämlich mit dem Ausgleichsprinzip93, von anderer Seite94 indessen eher mit dem Sanktionsgedanken in Verbindung gebracht. Problematisch ist schließlich auch, daß der deliktische Schadenersatzanspruch im deutschen Recht neben einigen eindeutig mit rechtsverfolgenden Charakter versehenen Ansprüchen wie den §§ 985ff., 1004 BGB steht95 . Diese Unsicherheiten hinsichtlich der inhaltlichen Ausfüllung des Rechtsverfolgungsprinzips mag zu der gewissen Distanziertheil beigetragen haben, mit der das Rechtsverfolgungsprinzip in der Literatur behandelt wird. Es muß daher zunächst präzisiert werden, welche inhaltlichen Vorstellungen mit dem Begriff der Rechtsfortsetzungsfunktion verbunden werden sollen, um dann beurteilen zu können, inwieweit dieses Prinzip die haftungsrechtlichen Tatbestände zu erklären vermag.
1. Leitgedanken der Rechtsfortsetzungsfunktion Wie schon dargestellt, steckt hinter dem Begriff ,,Rechtsfortsetzungsfunktion" zunächst einmal die Überlegung, daß dem Geschädigten ein Anspruch auf Naturalrestitution oder zumindest ein finanzieller Ausgleich für den Verlust oder die Beeinträchtigung eines ihm zustehenden subjektiven Rechts gewährt wird und dieser Ersatzanspruch gleichsam wie ein Surrogat an dessen Stelle tritt96 . Das Haftungsrecht besorgt demnach, daß sich Rechte und Rechtsgüter des Geschädigten in einem Schadenersatzanspruch fortsetzen und damit der Geltungsanspruch des verletzten Rechts dokumentiert wird97 . Dies kann einmal - im Falle der Naturalrestitution - durch eine Wiederherstellung des verletzten Rechts, anderenfalls aber durch einen Wertausgleich in Geld erfolgen. Die deliktsrechtlichen Normen versuchen daher letztlich - im Zusammenwirken mit dem Grundsatz der Naturalrestitution -, die durch das deliktische Vorgehen eingetretene Störung der Rechtsgüterordnung, soweit dieses überhaupt noch möglich ist, wieder auszugleichen.
Zum Beispiel von Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil 14 , S. 424f. 94 Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, S. 29; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 109; Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, S. 28. 95 Neuner AcP 133 (1931), 277 (303). 96 Soergel/Mertens 12, Rn. 26 vor § 249; Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, S. 29; Koziol, Österr. Haftpflichtrecht, Allgem. Teil 2 , S. 6; Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14 , S. 424f.; Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 130f.; Jahr AcP 183 (1983), 725 (737, Fn. 78). 97 Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, S. 28. 93
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2. Begründung der Geltung des Rechtsfortsetzungsprinzips a) Grundsatz der Naturalrestitution
Die Begründung dafür, daß dem deutschen Delikts- und/oder Schadensrecht das Rechtsfortsetzungsprinzip zugrundeliegt, wird dabei aus dem schadensrechtlichen Grundsatz der Naturalrestitution herzuleiten versucht98. Das Primat der Naturalrestitution, wonach ein Rechtsgut nach seiner Beschädigung wieder in den Zustand zu versetzen ist, wie er vor dem schadensstiftenden Ereignis bestand, ließe folgenden Schluß zu: Es gehe dem Recht hier weniger um den reinen Vermögensschutz bzw. die Schadensverfolgung, denen man am besten mit einem reinen Geldersatzanspruch gerecht würde, sondern weit mehr darum, die Rechte und Rechtsgüter in ihrem Geltungsanspruch zu stärken99. Sie sollten daher, unabhängig von dem Individuum, dem sie zustehen, erhalten bleiben und sichtrotz der Schädigung fortsetzen. Diese überindividuelle Sicht, die mit dem Grundsatz der Naturalrestitution einhergeht, bedingt deshalb dieser Auffassung nach, daß Schadenersatz nach Maßgabe des sogenannten objektiven Schadenbegriffs gezahlt wird. Dieser berechnet sich dann- soweit es beispielsweise um Sachen geht- nach dem objektiven Wiederbeschaffungswert oder Marktpreis (der Ausdruck seiner allgemeinen Wertschätzung ist) und nicht nach dem subjektiven Gebrauchswert oder Liebhaberpreis für den Verletzten 100• Nach Wilburg 101 bedeutet das sogar, daß der Schadenersatz sich nur nach dem objektiven Wert des verletzten Rechts oder Rechtsgutes berechnen läßt und damit ganz unabhängig davon zu bestimmen ist, ob im saldierten Gesamtvermögen des Geschädigten ein Verlust zu verzeichnen ist. Darin liegt eine eindeutige Absage an die Differenzhypothese, wie sie heute von der ganz herrschenden Lehre jedenfalls im Ansatz vertreten wird. Wilburg betrachtet dieses als zwingende Konsequenz der Tatsache, daß das Rechtsgut eine vom sonstigen Vermögen des Gläubigers unabhängige Existenz führt.
Insoweit auch Hermann Lange, Schadensersatz2 , S. 11. Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 205f u. 305; Degenkolb AcP 76 (1890), I (76); vgl. auch Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 429. 100 Koziol, Österr. Haftpflichtrecht, Allgem. Tei1 2 , S. 6; Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 305; Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, S. 30 sieht hierin den Mindestschaden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage von Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14, S. 424f., der zwar nicht vom objektiven Schadensbegriff ausgeht, aber auch Folgeschäden, die sich nicht aus der Rechtsfortsetzungsfunktion begründen lassen, für ersatzfähig hält. 101 In: JherJb. 82 (1932), 51 (130f). 98 99
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b) Deliktsrecht als Schutz von Rechten und Rechtsgütern und nicht des Vennögens generell
Wilburg weist damit den Weg zu einer vom Grundsatz der Naturalrestitution wegführenden, etwas anders ausgerichteten Argumentation, die im übrigen auf das Haftungsrecht als solches und nicht in erster Linie auf das Schadensrecht abzielt: Das deutsche Haftungsrecht beschränke sich in seinem dominanten Grundtatbestand - § 823 Abs. 1 BGB - auf den Schutz absoluter Rechte oder jedenfalls aus der Güter- und Interessensphäre besonders herausgehobener Rechtsgüter. Das Vermögen als solches werde durch diese Bestimmung nicht direkt geschützt, sondern nur soweit ersetzt, wie ein Eingriff in das absolute Recht oder ein Rechtsgut zu einer Vermögenseinbuße geführt habe. Ausnahmen davon bildeten nur die §§ 823 Abs. 2, 824, 826 und 839 BGB 102. Hierin komme zum Ausdruck, daß das Haftungsrecht einen überindividuellen und damit einen sich nach objektivierten Maßstäben vollziehenden Interessenausgleich bezwecke. Indem sich das Deliktsrecht demzufolge nicht mit einem reinen Vermögensausgleich zufrieden gäbe, sondern den Ersatzanspruch von der Beeinträchtigung eines absoluten Rechtes oder Rechtsgutes abhängig mache, werde deren besonderer Stellenwert im deutschen deliktsrechtlichen System ganz deutlich. Es gehe dem Haftungsrecht zunächst um den wertmäßigen Erhalt der Rechte und Rechtsgüter und erst danach um die Berücksichtigung der Vermögensinteressen einer konkret zu bezeichnenden Person. Hierin läge ein starker Beleg für das Rechtsfortsetzungsprinzip als Leitgedanken des Deliktsrechts.
3. Die Einwände von Steffen
Von Steffen sind gegen diese Argumentation zugunsten einer Geltung des Rechtsfortsetzungsprinzips im Deliktsrecht zwei beachtenswerte Einwände erhoben worden. a) Subjektbezogener Schadensbegriff
Steffen 103 wendet sich zunächst dagegen, aus dem Grundsatz der Naturalrestitution einen überindividuellen und damit objektiven Schadensbegriff herleiten zu wollen. Vielmehr seien sowohl der BGH als auch das RG in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich von einem subjektbezogenen Schadensbegriff ausgegangen. Bezugspunkt für die Bemessung und den Ausgleich des Schadens sei nach Ansicht der Rechtsprechung nämlich nicht das verletzte Rechtsgut als solches, sondern vielmehr der Rechtsgutträger in seiner konkreten Lebenssituation und mit seinem 102 103
RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 5. In: RGRK 12 § 823, Rn. 432.
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I. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
gesamten Vermögen 104. Lediglich einige Ausnahmebestimmungen wie§ 430 HGB schrieben ausdrücklich eine Berechnung nach dem objektiven, gemeinen Wert vor. Der subjektbezogene Schadensbegriff führt nach Steffen 105 zwangsläufig zu einer Schadensberechnung nach der sogenannten Differenzhypothese. Sie läßt sich durch die Formel "Schaden = Vermögenslage vor den schädigenden Ereignis ./. Vermögenslage im Anschluß an die Rechtsgutverletzung" beschreiben. Danach werden die einzelnen Rechtsgüter zur Ermittlung des Schadenersatzanspruchs im Grundsatz nur als Rechnungsposten eingestellt und verlieren dadurch ihre selbständige Bedeutung. Allerdings meint Steffen, müsse eingeräumt werden, daß die Differenzmethode nicht von der Entscheidung entbinden könne, welche Schadensposten überhaupt bilanziert werden dürften. Insofern spiele das einzelne Rechtsgut auch im Rahmen der Differenzhypothese durchaus noch weiterhin eine eigenständige Rolle und hierin liege auch das Einfallstor für eine gewisse Typisierung und Objektivierung. Wie oben erwähnt, sei zwar nicht der Bezugspunkt, wohl aber der Maßstab der Schadensberechnung objektiven und überindividuellen Kriterien zugänglich. Schadenersatz werde danach nur im Rahmen des Verkehrswertes der Sache gezahlt, nicht jedoch auch in Höhe eines Liebhaberpreises oder eines individuellen Gebrauchswertes des zerstörten Gegenstandes 106. b) Zäsur zwischen haftungsbegründendem und haftungsausfüllendem Tatbestand
Den gravierenderen Einwand gegen das Rechtsfortsetzungsprinzip leitet Steffen jedoch aus der Trennung zwischen haftungsbegründendem und haftungsausfüllendem deliktischen Tatbestand ab 107 . Den Gedanken der Rechtsfortsetzung sieht Steffen nämlich schon dadurch als berücksichtigt an, daß dem Geschädigten überhaupt ein Ersatzanspruch als Surrogat zugesprochen wird. Seiner Meinung nach wäre es demgegenüber überspitzt, wenn man behauptete, daß sich das Rechtsgut oder Recht auch in der konkret bezifferbaren Schadenersatzzahlung fortsetze. Das Deliktsrecht regele nämlich nur, wann ein Handeln Schadenersatzansprüche überhaupt auslöse, lasse hingegen völlig offen, nach welchen Maßstäben diese zu berechnen seien. Die Problematik der haftungsausfüllenden Zurechnung sei hingegen für alle Schadenersatzansprüche in allgemeiner Form im Schadensrecht gelöst. Da das Schadensrecht aber eigenen Prinzipien und dabei jedenfalls nicht dem Rechtsfortsetzungsgedanken unterworfen sei - Steffen favorisiert hier den Ausgleichsge104 Nach Soergel/Mertens 12 , Rn. 21 vor § 249 geht es dem Schadensrecht nicht um die Wiederherstellung des Rechtsgutes, sondern diejenige des Rechtssubjekts. Anders hingegen ders. in Rn. 26, wenn er meint, der Schadenersatz diene der Herstellung einer dem verletzten Recht oder Rechtsgut entsprechenden Lage. 10s In: RGRK 12 § 823, Rn. 433. 106 BGHZ 92, 85 (90f.); RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 432. 107 RGRK!Steffen 12 § 823, Rn. 431.
§ 7 Die Zwecke des Haftungsrechts
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danken- , könne man den deliktsrechtlichen Schadenersatz schwerlich als Fortsetzung des verletzten Rechtsgutes ansehen. Der Charakter des verletzten Rechtes oder Rechtsgutes modifiziere allenfalls die schadensrechtlichen Grundsätze, so daß das Haftungsrecht demnach keine rechtsverfolgende Funktion habe, sondern vielmehr vom Ausgleichsprinzip beherrscht werde.
4. Stellungnahme a) Trennung zwischen Haftungs- und Schadensrecht
Diesen soeben zitierten Ausführungen von Steffen kann im Ergebnis deshalb nicht gefolgt werden, weil sie die Trennung von Haftungs- und Schadensrecht bzw. haftungsbegründender und haftungsausfüllender Zurechnung zwar durchaus, aber nicht zureichend berücksichtigen. Obwohl das Schadensrecht abgesehen beispielsweise von den Sonderbestimmungen der§§ 842f. BGB 108 in den §§ 249ff. BGB eine abgeschlossene und allgemeingültige Regelung erfahren hat - was Steffen ja anerkennt -, faßt er nämlich letztlich das Haftungs- und Schadensrecht als Einheit auf und untersucht dann auf dieser Grundlage, welchem Prinzip der deliktische Schadenersatzanspruch unterworfen ist. Hierbei kommt er dann zu einer Dominanz der schadensrechtlichen Aspekte. Es sprechen jedoch die besseren Gründe dafür, das Haftungsrecht und das Schadensrecht auch weiterhin getrennt voneinander zu halten und ihnen jeweils eine eigenständige Zweckrichtung zuzuweisen, anstatt sie mit Steffen sogleich einer gemeinsamen Zielvorgabe zu unterstellen. Wie schon oben bei den Ausführungen zum Ausgleichsgedanken festgestellt wurde 109, behandelt das Deliktsrecht dabei die Frage, ob dem Verletzten ein Ausgleichsanspruch zusteht, das Schadensrecht betrifft hingegen diejenige, welchen Inhalt der Anspruch hat. Beide Normenkomplexe erfüllen danach ganz andere Funktionen, die sich jedenfalls dann schwer unter einer gemeinsamen Zweckrichtung zusammenfassen lassen, wenn nicht zunächst die Funktion der einzelnen Teilgebiete bestimmt wurde. Dieses muß zumindest dann gelten, wenn eines dieser Teilgebiete - wie hier das Schadensrecht als Bestandteil des Allgemeinen Teils des Schuldrechts-auch für andere Rechtsbereiche wie das Vertragsrecht oder das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Geltung beansprucht. Das Schadensrecht ist nämlich dann als ein eigenständiger Baustein neben dem Haftungsrecht und nicht als bloßer Bestandteil dieses Rechtsgebiets anzusehen110. 108
BGB.
Ebenfalls eine Ausnahme bildet der als selbständiger Anspruch ausgestaltete § 847
Oben unter II. Freilich werden beide Rechtsgebiete häufig im Zusammenhang miteinander behandelt. Ein Beispiel dafür bildet das Lehrbuch von Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 . 109
110
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Gegen die Ansicht Steffens spricht im übrigen auch, daß er davon ausgeht, daß das Ausgleichsprinzip als schadensrechtlicher Leitgedanke das gesamte Deliktsrecht beherrscht. Dieses hätte aber die höchst zweifelhafte Konsequenz, daß das Delikts- und in weiten Bereichen das Vertragsrecht von demselben Prinzip beherrscht werden. Dieses allein vor dem Hintergrund juristischer Differenzierungsmöglichkeiten und der Dominanz teleologischer Auslegungsmethoden augenscheinlich unbefriedigende Ergebnis kann nur vermieden werden, wenn strikt zwischen den haftungs- und den schadensrechtlichen Grundprinzipien unterschieden wird und keine Versuche unternommen werden, beide Bereiche von vornherein unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenzufassen. Die Grundprinzipien des Haftungs- und des Schadensrechts wirken sich vielmehr beim deliktischen Schadenersatzanspruch nur nebeneinander aus und beeinflussen ihn beide. So könnte man etwa mit Heinrichs 111 annehmen, daß wegen der Rechtsfortsetzungsfunktion der objektive Wert der Sache als Mindestschaden anzuerkennen ist, obwohl sich dieses mit dem Grundsatz der Naturalrestitution und dem Ausgleichsprinzip nicht direkt vereinbaren läßt. Mertens 112 hat dieses Phänomen so zu beschreiben versucht, daß der Rechtsfortsetzungsgedanke in diesem Fall das Ausgleichsprinzip überformt Nach allem kann der Einwand Steffens nicht die Hypothese widerlegen, daß das Haftungsrecht Aussagen dazu trifft, ob sich das verletzte Recht fortsetzt, und zwar in einem Schadenersatzanspruch, und das Schadensrecht angibt, wie sich das Recht fortsetzt - beispielsweise durch einen Geldzahlungsanspruch - , und sich beiden Rechtsbereichen damit eine eigenständige Zielvorgabe zuordnen läßt. Schließlich wäre anders auch nicht erklärbar, welche Funktion der deliktische Beseitigungsanspruch113 als Teil des Haftungsrechts erfüllt. Ist der Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt, stellt der Schadenersatz in Form einer Geldzahlung nämlich nur eine der denkbaren Rechtsfolgen dar. Eine weitere ist der Beseitigungsanspruch, dem freilich wegen der negatorischen bzw. quasinegatorischen Ansprüche aus oder in Analogie zu § l 004 BGB kaum Bedeutung zukommt. Wie § I 004 BGB kommt diesem Anspruch aber ohne Zweifel rechtsverfolgender Charakter zu 114 . Das Schadensrecht "verfälscht" diese Funktion beim Beseitigungsanspruch auch nicht. Deshalb wäre es im Hinblick auf den deliktischen Beseitigungsanspruch falsch, wenn man das Haftungsrecht als maßgeblich durch das Schadensrecht geprägt ansähe.
In: Palandr4 , Rn. 5 vor§ 249. Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S,. 109f. Mertens geht allerdings davon aus, daß der Rechtsfortsetzungsgedanke einen Sekundärzweck des Schadensrechts darstellt und nur den Sanktionsgedanken umschreibt. 113 RGZ 148, 114 (122f.); BGHZ 14, 163 (173); 34, 99 (102f.); RGRK/Steffen 12 Rn. 129 vor§ 823; Soergel/ Müh/ 12 § 1004, Rn. 108; Hager VersR 1984,799 (804). 114 Zu§ 1004 BGB Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, S. 28; Neuner AcP 133 (1931 ), 277 (303). 111
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§ 7 Die Zwecke des Haftungsrechts
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b) Schlußfolgerungen aus dem Grundsatz der Naturalrestitution bzw. dem Tatbestandsmerkmal der Rechtsgutsverletzung
Die deutliche Trennung zwischen Haftungs- und Schadensrecht bedingt natürlich, daß aus dem schadensrechtlichen Grundsatz der Naturalrestitution überhaupt keine Schlußfolgerungen dafür gezogen werden können, welche Zwecke dem Haftungsrecht zugrundeliegen. Diese für die Existenz einer Rechtsfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts mehrfach gegebene Begründung ist daher nicht tragfähig. Aus dem Grundsatz der Naturalrestitution können allenfalls Rückschlüsse auf Funktionen des Schadensrechts gezogen werden. Für die Bestimmung der Zwecke des Deliktsrechts ist deshalb allein der Hinweis von Wilburg 115 erheblich, daß 823 Abs. 1 BGB als Hauptnorm des Deliktsrechts keine deliktsrechtliche Generalklausel enthält, sondern ausschließlich absolute Rechte und besonders herausgehobene Rechtsgüter schützt. Nach ihm ist dadurch deutlich, daß es dem Deliktsrecht vornehmlich um die Verstetigung der Rechte und Rechtsgüter und weniger um einen reinen Vermögensausgleich geht. Dieses sieht er aber mit Recht als ein eindeutiges Indiz zugunsten einer rechtsverfolgenden Funktion des Haftungsrechts an. Das Recht stellt dadurch nämlich das einzelne Rechtsgut an die Spitze der Betrachtung und mißt der Vermögenssituation des Rechtsgutinhabers nur in zweiter Linie Bedeutung zu. Es wird nicht auf seine Vermögenseinbuße, sondern vielmehr auf den objektiven Verletzungserfolg reagiert. c) Keine Teilfunktion des Ausgleichsprinzips
Mit der getrennten Erfassung der Funktionen des Haftungsrechts und des Schadensrechts ist zwangsläufig die Erkenntnis verbunden, daß die Rechtsfortsetzungsfunktion kein Teilaspekt des schadensrechtlichen Ausgleichsgedankens sein kann, wie es von einigen Stimmen in der Literatur behauptet wird 116 . Zwar spiegeln sich sowohl der Rechtsverfolgungs- als auch der Ausgleichsgedanke im deliktsrechtlichen Schadenersatzanspruch wider, sie fließen aber aus ganz unterschiedlichen Quellen in diesen ein.
IV. Ergebnis Nach wie vor ist die Diskussion um die Zwecke des Haftungsrechts von großer Unsicherheit geprägt. Weitgehend unbestritten ist allein, daß der Sanktionsgedanke, aber auch das Präventionsprinzip nicht als Primärzwecke des Haftungsrechts In: JherJb. 82 (1932), 51 (130f.). Soergei/Mertens 12 , Rn. 26 vor § 249; a.A. Palandt/Heinrichs 54, Rn. 5 vor § 249 und damit für eine selbständige Bedeutung der Rechtsfortsetzungsfunktion. 115
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
anerkannt werden können. Häufig wird deshalb auf den Ausgleichsgedanken abgestellt. Die vorliegende Untersuchung hat aber gezeigt, daß das Kompensationsprinzip allenfalls dem Schadensrecht zugrundeliegt, das neben dem Haftungsrecht ein eigenständiges und deshalb eigenen Regeln unterliegendes Rechtsgebiet darstellt. Das Haftungsrecht kann hingegen möglicherweise auf das Rechtsfortsetzungsprinzip gestützt werden, wofür insbesondere spricht, daß das deutsche Deliktsrecht keine umfassende Generalklausel kennt, sondern beim Schutz absoluter Rechte und besonders herausgehobener Rechtsgüter ansetzt. Es geht ihm also vornehmlich um deren wertmäßigen Erhalt und erst danach um Verrnögensschutz.
§ 8 Die Entwicklung der Rechtsfortsetzungsfunktion zur Interessenfortsetzungsfunktion und die Herleitung der Zumutbarkeit im Haftungsrecht aus der Interessenfort· setzungsfunktion sowie im Schadens- und Verjährungsrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben Die bisherigen Untersuchungen zu der Frage, welche Zwecke mit dem Haftungsrecht verfolgt werden, haben gezeigt, daß allenfalls das Rechtsfortsetzungsprinzip die haftungsrechtlichen Normen zu erklären vermag. Nachfolgend wird allerdings nachgewiesen, daß auch das Rechtsfortsetzungsprinzip die haftungsrechtlichen Tatbestände nicht zureichend beschreibt, sondern dieses nur gelingt, wenn man den Rechtsfortsetzungsgedanken zu einem Interessenfortsetzungsprinzip weiterentwickelt. Auf dieses Grundprinzip des Deliktsrechts lassen sich dann auch Zumutbarkeitsbetrachtungen zurückführen. Aus der strikten Trennung von Haftungsrecht einerseits und Schadensrecht andererseits folgt, daß Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Schadensrecht einer anderweitigen Herleitung bedürfen. Hierbei wird auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückzugreifen sein.
I. Schwächen des Rechtsfortsetzungsprinzips Leitgedanke des Rechtsfortsetzungsprinzips ist, daß sich die verletzten Rechte oder Rechtsgüter in einem Schadenersatzanspruch fortsetzen, der quasi ein Surrogat des Rechtes darstellt 117 • Diese Sichtweise läßt jedoch ganz außer Betracht, daß die Verletzung des Rechtsgutes dem Schädiger in einer Vielzahl von Fällen haftungsrechtlich gar nicht angelastet wird.
m Siehe oben § 7 III 1.
§ 8 Die Entwicklung der Rechtsfortsetzungsfunktion
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Deutlich wird das etwa beim Vorliegen von Rechtfertigungsgründen. Bei diesen Fallgestaltungen ist zwar eine Rechtsverletzung eingetreten, die für eine Rechtsfortsetzung durch Zubilligung eines Schadenersatzanspruches spricht, diesem steht jedoch ein rechtlich relevantes und höherrangiges Interesse gegenüber, das die haftungsrechtliche Verantwortung des Schädigers ausschließt. Das Haftungsrecht bestimmt in diesem Fall, daß sich das verletzte Recht einem anderen rechtlich geschützten Interesse unterordnen muß und daher nicht in einem Ersatzanspruch fortsetzt118. Zu diesem Ergebnis gelangt das Haftungsrecht auch, wenn dem Schädiger zwar keine Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen, die Verletzung jedoch eintritt, ohne daß er sie verschuldet hätte. Auch hier spricht die eingetretene Rechtsgutverletzung zunächst für eine Rechtsfortsetzung durch Gewährung eines Schadenersatzanspruchs. Andererseits soll das Verschuldensprinzip allgemeiner Ansicht zufolge jedermann auch einen gewissen Handlungsspielraum eröffnen, der von ihm ohne das Risiko einer haftungsrechtlichen Verantwortung ausgefüllt werden kann. Indem das durch das Verschuldensprinzip geprägte Haftungsrecht nunmehr eine Abwägung zwischen dem Interesse des Geschädigten an der Integrität seiner Rechtsgüter auf der einen Seite und dem Interesse des Schädigers an einem (durch Art. 2 Abs. I GG verfassungsrechtlich geschützten) Mindestmaß an Handlungsfreiheit auf der einen Seite trifft, verweigert es dem Geschädigten aus Gründen entgegenstehender anderer Interessen in einer Vielzahl von Fällen die Fortsetzung seiner Rechte in Form von Schadenersatzansprüchen. Zur Rechtsfortsetzung kommt es bei der Verschuldenshaftung im Gegensatz zur reinen Erfolgshaftung demzufolge nur dann, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht eingehalten oder vorsätzlich gehandelt worden ist. Der Versuch, das Haftungsrecht auf den Rechtsfortsetzungsgedanken zurückzuführen, läßt daher völlig unberücksichtigt, daß das Deliktsrecht durchaus auch zugunsten des Schädigers sprechende Interessen miteinbezieht Die Rechtsfortsetzung wird dann vom Haftungsrecht nicht angeordnet, das Deliktsrecht erfüllt in solchen Situationen eben gerade keine Rechtsfortsetzungsfunktion. Daß die Rechtsfortsetzungsfunktion die deliktsrechtlichen Regeln nicht vollständig zu erklären vermag, zeigt sich auch, wenn man diese mit den Vorschriften über die Eingriffskondiktion vergleicht. In Übereinstimmung mit den Untersuchungen Wilburgs 119 wird die Eingriffskondiktion von der vorherrschenden Ansicht heute als Rechtsfortwirkungsanspruch charakterisiert 120 : Erlangt jemand etwas Vermö-
118 Den Gedanken, daß das Haftungsrecht in gewisser Weise auch eine "Nicht-Rechtsfortsetzungsfunktion" erfüllt, spricht Jahr in AcP 183 (1983), 725 (737, Fn 78) an. Er zieht daraus jedoch lediglich den Schluß, dem Haftungsrecht zwar eine Rechtsfortsetzungsfunktion, jedoch keine Rechtsverfolgungsfunktion zuzusprechen. 119 Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung, S. 28, 114; ders., in: AcP 163 (1963), 346 (348). 12o Soerge//Müh/ 11 , Rn. 4 vor§ 812 u. § 816, Rn. 1; von Caemmerer, in: Festschrift für Lewald, S. 443 (446); ders., in: Festschrift für Rabe/ I, S. 333 (352f.); Scheyhing AcP 157
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l. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
genswertes in Form der Verwertung, des Verbrauchs oder der bloßen Nutzung eines Rechts, obwohl es seinem Zuweisungsgehalt nach einem anderen gebührt, so steht demjenigen, dem es zugewiesen war, d. h. auf dessen Kosten es erlangt wurde, ein schuldrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Mehr als diese Vermögensverschiebung durch Verbrauch, Verwertung oder Nutzung entgegen dem Zuweisungsgehalt des Rechts setzt die Eingriffskondiktion nicht voraus. Der schuldrechtliche Anspruch besteht sogar unabhängig davon, ob der Eingreifende rechtmäßig oder rechtswidrig handelt 121 • Zwar entfällt der Anspruch, wenn der Eingriff "mit rechtlichem Grund" erfolgte. Ein rechtlicher Grund i.S. von§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB besteht nach vorherrschender Aufassung aber nur dann, wenn Umstände vorliegen, aufgrund derer der Zuweisungsgehalt des Rechts auf den Eingreifenden übergegangen oder bei demjenigen, in dessen Recht eingegriffen wird, aus anderen Gründen weggefallen ist. Selbst auf der Rechtwidrigkeitsebene kommt es damit bei der Eingriffskondiktion ausschließlich darauf an, wem ein Recht zugewiesen ist. Andere Rechte oder Interessen des Eingreifenden bleiben hier im Gegensatz zum Deliktsrecht völlig unberücksichtigt. Deshalb kann man die Funktion der Eingriffskondiktion im Unterschied zu derjenigen des Haftungsrechts als Rechtsfortwirkungsfunktion beschreiben. Wann immer eine Sache entgegen ihrem Zuweisungsgehalt verwendet wird, wirkt sie in einem schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch fort. Im Deliktsrecht ist das nur der Fall, wenn Interessen des Geschädigten trotz entgegenstehender Interessen des Schädigers der Vorrang gebührt. Darüber hinaus gibt es aber noch einen zweiten Ansatzpunkt, der gegen den Rechtsfortsetzungsgedanken als Grundlage des Deliktsrechts spricht: Larenz 122 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der deliktische Schadenersatzanspruch auch Ausgleich für solche Schäden gewährt, die über die Beeinträchtigung des verletzten Rechtes oder Rechtsgutes hinausgehen, also einen sogenannten "weitergehenden Schaden" darstellen. Ginge man aber streng nach Maßgabe des Rechtsfortsetzungsprinzips vor, dürfte dieser Schaden gar nicht ersetzt werden, weil er kein Surrogat für das verletzte Recht bzw. Rechtsgut darstellt, es also gar nicht fortsetzt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß der Umfang des Schadenersatzes eine Frage des Schadensrechts sei. Das Schadensrecht baut nämlich auf dem Haftungsrecht auf und muß sich daher im Rahmen der Vorgaben des Deliktsrechts halten. Das Schadensrecht darf nicht mehr ersetzen, als das Deliktsrecht gewährt, also nur den Ersatz für das verletzte Interesse. Nur unter der Voraussetzung, daß der Ersatz weitergehender Schäden ausgeschlossen bleibt, könnte man dem Haftungsrecht daher ohne Bedenken eine Rechtsfortsetzungsfunktion zusprechen. Will man aber mit der ganz herrschenden Ansicht anerkennen, daß auch der weitergehende Schaden liquidiert werden darf, erweist sich der Rechtsfortsetzungsgedanke als zu eng, die Funktion des Haftungsrechts allein zu erklären. (1958/59), 371 (381). Ebenso, wenn auch ohne Verwendung dieses Terminus: BGHZ 82, 299 (306). 121 SoergeVMühl" § 812, Rn. 22. 122 Schuldrecht, Allgemeiner Teil 14 , S. 425.
§ 8 Die Entwicklung der Rechtsfortsetzungsfunktion
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II. Die Interessenfortsetzungsfunktion als Zweckrichtung des Haftungsrechts Fazit dieser Überlegungen ist, daß das Haftungsrecht jedenfalls in seinem Grundtatbestand das Spannungsverhältnis zwischen bestimmten Rechten und Rechtsgütern und anderen rechtlich geschützten Interessen (allgemeine Handlungsfreiheit, Rechtsgüter anderer in Notstandssituationen, Interesse auch am Ersatz des weitergehenden Schadens) regelt. Dies bedeutet: Das Haftungsrecht dient nicht ausschließlich dem Zweck, die verletzten Rechtsgüter in einem Ersatzanspruch fortzusetzen, sondern vielmehr allgemeiner demjenigen, das nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben jeweils höherwertige Interesse, möglicherweise durch Zubilligung eines Ersatzanspruches, durchzusetzen. Im Fall des rechtfertigenden Notstandes behauptet sich also beispielsweise -jedenfalls nach den deliktsrechtlichen Normen - das gerettete gegenüber dem verletzten Rechtsgut Das geschieht in der Weise, daß das geschädigte Recht zurücktritt und sich nicht in einem Schadenersatzanspruch fortsetzt. Der gleiche Mechanismus greift ein, wenn den Schädiger an der Verletzung kein Verschulden trifft. Auch dann unterliegt das Interesse des Geschädigten an der Fortsetzung des verletzten Rechtsgutes demjenigen des Schädigers an der Gewährleistung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Es muß daher kein Schadenersatz gezahlt werden. Deshalb könnte man der Behauptung, wonach das Haftungsrecht eine Rechtsfortsetzungsfunktion verfolgt, mit guten Gründen entgegenhalten, daß es in vielen Fallgestaltungen auch eine Nicht-Rechtsfortsetzungsfunktion oder Rechtsverdrängungsfunktion erfüllt. Das Deliktsrecht stellt dann definitiv fest, daß das verletzte Rechtsgut rechtlich verdrängt wird. Danach ist es konsequent, den Zweck des Haftungsrechts in der Weise zu umschreiben, daß sich das nach rechtlichem Werturteil höherwertige Interesse dem niedrigerrangigen Interesse gegenüber durchsetzt. Das Deliktsrecht verfolgt damit eine von mir sogenannte "Interessenfortsetzungsfunktion ". Diese wird zum einen Teil dadurch erfüllt, daß die Rechtsgutverletzung gebilligt wird und sich somit das geschützte Interesse, ohne daß ein Ausgleich zu zahlen wäre, fortsetzt, zum anderen Teil aber auch in der Weise, daß das verletzte Recht in einem Schadenersatzanspruch wachgehalten wird. Das Deliktsrecht bewirkt also, daß sich das (höherwertige) Interesse, so wie es in den Konflikt eingetreten ist, oder, wenn dieses nicht mehr möglich ist, jedenfalls in einem Schadenersatzanspruch fortsetzt. Vorteil dieser Erweiterung der Rechtsfortsetzungsfunktion hin zu einer Interessenfortsetzungsfunktion ist, daß dadurch sämtlichen Stufen des haftungsrechtlichen Schichtaufbaus Rechnung getragen wird und der Blick nicht unzulässigerweise auf die Rechtsgutverletzung beschränkt bleibt, wie dies bei der Rechtsfortsetzungsfunktion der Fall ist. Bedenken gegen diese - soweit ersichtlich - erstmalig propagierte Umschreibung des Zweckes des Deliktsrechts könnten allerdings daraus erwachsen, daß die Interessenfortsetzungsfunktion als zu allgemein gehalten angesehen wird, es ihr mithin an der notwendigen Konkretisierung ermangelt. Man
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könnte demgemäß etwa behaupten, daß es natürlich Funktion jeder zivilrechtliehen Anspruchsgrundlage sei, die jeweils widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Dieser Einwand erscheint zunächst durchaus plausibel, er verliert jedoch dann entscheidend an Gewicht, wenn man sich auf die Besonderheiten des Deliktsrechts als gesetzlichem Schuldverhältnis, speziell im Vergleich zum Vertragsrecht besinnt. Das Deliktsrecht gibt nämlich den allgemeinen Verhaltenskodex für die Beziehungen zwischen denjenigen an, die bislang noch nicht in einem besonderen sozialen Kontakt zueinander gestanden haben. Es umschreibt also gewissermaßen die rechtlichen Grundpflichten der Bürger im zwischenmenschlichen Umgang miteinander. Aus dieser Funktion heraus stellt das Deliktsrecht damit gleichzeitig eine für seinen gesamten Geltungsbereich allgemeingültige Abstufung der bei einem rechtlichen Konflikt zu berücksichtigenden widerstreitenden Interessen auf123 • Diese dadurch gewonnene Rangfolge der widerstreitenden Interessen beansprucht gleichsam subsidiäre Geltung. Immer dann, wenn zuvor keine Regelung getroffen werden konnte, greift hilfsweise das Haftungsrecht ein. Dieses verschafft den deliktsrechtlichen Bestimmungen gegenüber allen anderen Normen, die Interessenkonflikte einer Lösung zuführen wollen, eine herausgehobene Stellung. Nach Deliktsrecht setzt sich nämlich das nach allgemeiner Wertschätzung höherrangige Interesse fort und nicht dasjenige, das nach dem Willen der Vertragsparteien oder beispielsweise bei der Geschäftsführung ohne Auftrag nach dem mutmaßlichen Willen und Interesse des Geschädigten als höherrangig anzusehen ist 124. Insofern umschreibt die Interessenfortsetzungsfunktion zunächst allein die generelle Wertschätzung rechtlich relevanter Interessen. Dabei werden Individualinteressen anders als im Vertragsrecht nur dann mitberücksichtigt, wenn sie von allgemein anerkennenswerter Bedeutung sind. Diese Besonderheit des Haftungsrechts, eine allgemeingültige Werteskala rechtlich relevanter Interessen angeben zu wollen, rechtfertigt es, die Aufgabe des Deliktsrechts trotz der oben vorgebrachten Bedenken als Interessenfortsetzungsfunktion zu umschreiben. Mit diesem Inhalt ausgefüllt gewinnt die Interessenfortsetzungsfunktion hinreichend an Kontur. Man kann sie deshalb nicht als Leerformel titulieren.
123 Das Gesetz mißt erkennbar auch dem Verhältnis von Eigentümer und Besitzer eine besondere Qualität zu. Damit ist klar, daß die §§ 987ff. BGB keine Grundpflichten definieren sollen. Die Leistungskondiktion regelt einen gestörten sozialen Kontakt, die Geschäftsführung ohne Auftrag einen aufgedrägten sozialen Kontakt und knüpft daran ein allgemeingültiges Pflichtenprogramm an. Dabei ergänzen die§§ 678, 687, S. 2 BGB die deliktsrechtlichen Regelungen (Staudinger/Wittmann 12 , Rn. 6 vor§§ 677-687 u. § 687, Rn. 5) und begründen damit keine eigenständigen, allgemeingültigen Grundpflichten. 124 Eine Ausnahme bildet insofern allerdings § 679 BGB, wonach sich das öffentliche Interesse, das an der Erfüllung einer Pflicht besteht, gegenüber dem entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn durchsetzt.
§ 8 Die Entwicklung der Rechtsfortsetzungsfunktion
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111. Die Herleitung des Zumutbarkeitskriteriums aus der Interessenfortsetzungsfunktion Aufgabe des Deliktsrechts ist nach diesen Ausführungen, dafür zu sorgen, daß sich das höherrangige Interesse - nötigenfalls durch Zubilligung eines Schadenersatzanspruches - fortsetzt. Höherrangig einzustufen kann - nur um ein Beispiel zu nennen - entweder das verletzte Recht oder Rechtsgut oder aber das Interesse des Schädigers an der Durchsetzung der allgemeinen Handlungsfreiheit sein. Letzterer gebührt der Vorzug etwa dann, wenn die Verletzung seitens des Schädigers nicht verschuldet war. Ebenfalls höherrangig im Verhältnis zum verletzten Rechtsgut sind die durch Rechtfertigungsgründe umschriebenen Interessen. Nachdem der Leitgedanke des Deliktsrechts mit dem Begriff der Interessenfortsetzungsfunktion umschrieben werden konnte, gilt es nun zu prüfen, ob sich aus dem Zweck des Deliktsrechts ableiten läßt, daß Zumutbarkeitsbetrachtungen auch entgegen dem Wortlaut der deliktsrechtlichen Tatbestände dort mit einbezogen werden können. Anders ausgedrückt, dürften Zumutbarkeitsbetrachtungen dann berücksichtigt werden, wenn sich ansonsten der Zweck, den das Haftungsrecht erfüllen soll, nicht erreichen ließe. Der andere Vorbehalt, auf den allerdings erst im zweiten Teil der Untersuchung eingegangen werden soll, ist derjenige, ob Zumutbarkeitsüberlegungen nicht ausschließlich im Schadensrecht einzustellen sind und damit im Deliktsrecht überhaupt keine Rolle spielen. Dieses ist nämlich eine Frage der Verortung des Zumutbarkeitskriteriums im Schichtaufbau des haftungsrechtlichen Tatbestandes. Mit dem Begriff Interessenfortsetzungsfunktion wird zum Ausdruck gebracht, daß es Aufgabe des Deliktsrechts sein soll, sämtliche widerstreitenden rechtlich geschützten Interessen in eine allgemeingültige Rangfolge mit subsidiärem Geltungsanspruch zu bringen. Dieses setzt jedoch voraus, daß alle aus rechtlicher Sicht schützenswerten Interessenjedenfalls an einer Stelle des deliktischen Schichtaufbaus auch Eingang in das Deliktsrecht finden. Dementsprechend wird das verletzte oder beschädigte Recht bzw. Rechtsgut schon im Tatbestand in die Betrachtung einbezogen. Es steht allerdings nicht isoliert da, sondern muß sich in Konkurrenz mit anderen Interessen auf den weiteren Schichtebenen durchsetzen. Zwei solcher Einfallstore für entgegenstehende Interessen sind mit dem Verschuldensprinzip und den Rechtfertigungsgründen schon genannt worden. Dabei wurde in § 4 der Bearbeitung auch dargestellt, daß die Rechtfertigungsgründe noch weiten Raum für Zumutbarkeitsaspekte lassen. Sie stellen nämlich nur eine punktuelle und in keiner Weise abschließende Regelung dar, und zwar maßgeblich auch deshalb, weil ihr Anwendungsbereich zahlreichen Einschränkungen unterliegt. Inwieweit Zumutbarkeitsgesichtspunkte jedoch vom Verschuldensprinzip aufgefangen werden, kann erst im nachfolgenden zweiten Teil der Arbeit, der sich mit der Verortung des Zumutbarkeitskriteriums im Schichtaufbau des Deliktstatbestandes auseinandersetzt, abschließend behandelt werden: Die Frage, weshalb Zumutbarkeits6 Scholz
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gesichtspunkte im Deliktsrecht überhaupt zu berücksichtigen sind, ist nämlich eine Vorfrage dafür, ob und in welchem Umfang sie bei der Frage des Verschuldeos mithineinspielen. Definitionsgemäß bestimmt sich die Fahrlässigkeit bekanntlich nur nach dem Maßstab der erforderlichen, nicht aber auch der zurnutbaren Sorgfalt. Das Verschulden steht deshalb Zumutbarkeitserwägungen nur dann überhaupt offen, wenn diese sich als deliktsrechtlicher Maßstab aus der Interessenfortsetzungsfunktion heraus rechtfertigen lassen. Festzuhalten bleibt deshalb, daß allein die Rechtfertigungsgründe und diese auch nur für einen sehr beschränkten Bereich widerstreitende rechtlich geschützte Interessen mit Sicherheit in den deliktsrechtlichen Schichtaufbau einbringen. Hinzu kommt, daß sie diese nur unter dem Gesichtspunkt des Interessenabwägungsgrundsatzes miteinbeziehen, wohingegen mit dem Zumutbarkeitsgedanken häufig nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Grenze markiert werden soll, bei der ein Interesse so stark ist, daß es jede Haftung ausschließt. Diese lückenhafte Erfassung unter Zumutbarkeitsüberlegungen beachtenswerter Interessenlagen ist vor allem deshalb unzureichend, weil die Interessenfortsetzungsfunktion des Deliktsrechts danach verlangt, daß die §§ 823ff. BGB sämtliche rechtlich anerkennenswerten Interessen einbeziehen sollen. Nur dann kann das Deliktsrecht nämlich seine Aufgabe erfüllen, das Rangverhältnis aller im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen bestehender Grundpflichten und ihnen entgegenstehender rechtlich relevanter Interessen festzulegen und dabei Sorge zu tragen, daß sich das höherrangige rechtliche Interesse auch fortsetzt. Demzufolge besteht ein nachgewiesenes Bedürfnis, die bislang dem Normwortlaut nach unberücksichtigten rechtlich anerkannten Interessen über einen neuen Terminus im Deliktsrecht zu erfassen. Diese Rolle kommt nach Ansicht vieler dem Begriff der Zumutbarkeit zu 125 . Jedenfalls wird mit ihm immer wieder argumentiert. Da es sich um einen "Sammelbegriff' handelt, der allein unterschiedliche Gesichtspunkte zusammenfassen soll, ist diese terminologische Erfassung auch unschädlich. Nach dem Maßstab der Zumutbarkeit bestimmt sich daher, ob rechtlich anerkannte Interessen die deliktsrechtliche Bewertung beeinflussen. In der Praxis übernimmt der Zumutbarkeitsbegriff deshalb beispielsweise die Aufgabe, Gesichtspunkte der Gewissensfreiheit oder der wirtschaftlichen Opfergrenze in die deliktsrechtliche Betrachtung einzubinden. Dieses ist ansonsten nämlich allein durch die Rechtfertigungsgründe und damit nur in unzureichendem Maße geschehen, was dem Zweck des Haftungsrechts widerspricht. Im Umkehrschluß folgt aus der Herleitung der Zumutbarkeit aber auch, daß der Zumutbarkeitsbegriff im Deliktsrecht nur rechtlich, unter Umständen auch verfassungsrechtlich bisher gar nicht oder nur unzureichend anerkannte Interessen erlaßt, wobei es allerdings zu beachten gilt, daß beispielsweise
125 Hierin liegt keine deliktsrechtliche Besonderheit: Nach Peters-Lange, Zumutbarkeit von Arbeit, S. 39, bedeutet die gesetzliche Anordnung des Zumutbarkeitsbegriffs im Arbeitsrecht, daß die Pflichten- und Opfergrenze des Betroffenen mittels einer Interessenahwägung zu ermitteln ist.
§ 8 Die Entwicklung der Rechtsfortsetzungsfunktion
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Art. 2 Abs. l GG mit dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit menschlichen Interessen in sehr weitreichendem Maße rechtliche Anerkennung verschafft. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich das aus der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts ableitbare Gebot, sämtliche vom Recht für schützenswert erachteten Interessen im Deliktsrecht mitzuberücksichtigen, nur verwirklichen läßt, wenn man dafür eine neue Generalklausel eröffnet, über die diese Interessen dann in das Deliktsrecht einfließen können. Diese Generalklausel läßt sich mit dem Begriff Zumutbarkeit kennzeichnen. Ob sie tatsächlich eingreift, läßt sich abschließend allerdings erst dann sagen, wenn in § lO der Untersuchung klargestellt sein wird, inwieweit Zumutbarkeitsgesichtspunkte Eingang in das Deliktsrecht oder aber mehr in das Schadensrecht finden.
IV. Die Herleitung des Zumutbarkeitsbegriffs im Schadensrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben Zumutbarkeitsüberlegungen haben ihren Platz auch im Schadensrecht Dabei gebietet es die strikte Trennung zwischen dem Haftungsrecht einerseits und dem Schadensrecht andererseits, die Frage der Herleitung des Zumutbarkeitskriteriums im Schadensrecht noch einmal gesondert aufzuwerfen. Aus der Interessenfortsetzungsfunktion läßt sich der Zumutbarkeitsaspekt jedenfalls nicht herleiten, da das Schadensrecht mit dem Ausgleichsprinzip einen ganz anderen Zweck verfolgt.
1. Der Stellenwert von Zumutbarkeitsbetrachtungen im Schadensrecht Das Schadensrecht kennt zwei Haupteinfallstore für Zumutbarkeitsgesichtspunkte. Dabei handelt es sich zum einen um den Bereich der Vorteilsausgleichung, zum anderen um Überlegungen im Zusammenhang mit der Schadensminderungsobliegenheit
a) Die Zumutbarkeit als Grenze der Vorteilsausgleichung Mit dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung wird die Frage aufgeworfen, ob sich der Geschädigte bei der Schadensliquidation Vorteile als Abzüge gefallen lassen muß, die ihm aufgrund des Schadensfalles erwachsen sind. Solche Vorteile können etwa Lohnfortzahlungsansprüche oder Versicherungsleistungen darstellen. Die Antwort erscheint hier zunächst eindeutig: Legt man mit der ganz herrschenden Ansicht dem Schadensrecht die Differenzhypothese zugrunde, erscheint es nur konsequent, erlangte Vorteile vollständig anzurechnen. Die Vermögenslage des 6*
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Geschädigten nach dem schadensstiftenden Ereignis, die es nach der Differenzmethode mit der Vermögenslage vor dem Schadensfall in Vergleich zu setzen gilt, verbessert sich durch die erlangten Vorteile nämlich erheblich. Zwangsläufig verringert sich dementsprechend die Schadenshöhe. Dennoch wird diese Lösung, sämtliche Vorteile auch auf den Schaden anzurechnen, heute nicht mehr als angemessenen angesehen 126. Stattdessen greift man auf allgemeine Wertungskriterien zurück, die die anrechnungsfähigen von den nicht anzurechnenden Vorteilen scheiden sollen 127. Dieses wird entweder mit einem Hinweis auf die Motive oder aber damit begründet, daß die Vorteilsausgleichung gar kein Problem der Schadensberechnung darstelle und demzufolge auch nicht der Differenzhypothese unterfalle 128• In den Motiven heißt es dazu, daß es den Rechtsanwendern obläge, den Umfang der Vorteilsausgleichung festzulegen 129. Das bedeutet aber, daß andere Gesichtspunkte als die Differenzhypothese Einfluß auf die Grundsätze der Vorteilsausgleichung haben müssen. Die Rechtsprechung hat deshalb auch eigene Kriterien dafür entwickelt - und in ständiger Rechtsprechung bestätigt -, wann eine Vorteilsausgleichung stattfindet130. Danach muß das schadensstiftende Ereignis den anzurechnenden Vorteil zunächst adäquat verursacht haben. Außerdem darf die Vorteilsausgleichung bei Berücksichtigung der gesamten Interessenlage den Sinn und Zweck der Schadenersatzverpflichtung nicht torpedieren. Und schließlich gilt es zu beachten, daß die Anrechnung dem Geschädigten zurnutbar sein muß und der Schädiger davon im Gegenzug nicht unbilligerweise profitieren darf. In einer neueren Entscheidung hat rrian diese Kriterien zu der Leitmaxime zusammengefaßt, nach der die Vorteilsausgleichung einen gerechten Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeiführen soll 131 . Diese vom Bundesgerichtshof als notwendige Voraussetzungen einer Vorteilsausgleichung entwickelten Kriterien, insbesondere auch dasjenige der Zumutbarkeit, sind allerdings in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen 132. Dieses ist für den kritischen Betrachter, der an den eher freizügigen und häufig unbegründeten Umgang mit dem Einwand der Unzumutbarkeit gewöhnt ist, durchaus überraschend. Mertens 133 etwa meint, daß mit dem Zumutbarkeitsbegriff ein zu allgemein gehaltenes Kriterium vorläge, da sich ihm substantielle WertungsgesichtsSoergeVMertens 12 , Rn. 205 vor§ 249. Hierzu statt vieler Hermann Lange, Schadensersatz2 , S. 483. 128 Hermann Lange, Schadensersatz2 , S. 483; eher noch zur älteren Auffassung tendierend Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 27 , S. 232f. 129 Motive II, S. 18f. 126 121
130 BGHZ 10, 107, 108; 30, 29 (33); 49, 56 (62); 54, 269 (272); 74, 103 (I 13f.); 81, 271 (275); ebenso Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht 15 , S. 83; auch Erman!Sirp8 , § 249, Rn. 108f. 131 BGHZ 91, 206 (209); vgl. auch schon BGHZ 60, 353 (358). 132 Vgl. etwa Jauemig/Teichmann 7 , Anm. VI 1 b vor§§ 249-253. 133 In: Soerge/ 12, Rn. 212 vor§ 249.
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punkte kaum entnehmen ließen. Für Hermann Lange 134 liegt die Zumutbarkeitsprüfung sogar im Bereich des Irrationalen, weshalb sie für die Lösung einzelner Sachprobleme kaum etwas hergebe. Medicus 135 wiederum hält die Zumutbarkeit für kein aussagekräftiges Kriterium, sogar fiir eine Leerformel, die der Konkretisierung durch Fallgruppen bedürfte. Dieser Kritik schließt sich auch Heinrichs 136 an, wirft aber der Literatur gleichzeitig vor, keinen eigenen, überlegenen Lösungsvorschlag anbieten zu können. Tatsächlich spricht für die Lösung der Rechtsprechung, daß nur sie eine plausibel anmutende Begründung dafür anzugeben vermag, wieso es zu einer Vorteilsausgleichung kommt. Unbestritten ist nämlich, daß es die Differenzhypothese nicht gebietet, erlangte Vorteile mitanzurechnen. Der Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung muß daher anderweitig hergeleitet werden. Hierzu hat der BGH dahingehend Stellung bezogen, daß der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung aus dem in § 242 BGB festgelegten Grundsatz von Treu und Glauben folge 137. Daraus lasse sich ableiten, daß das Schadensrecht einem gerechten Interessenausgleich verpflichtet sei, was aber nur dann zu erreichen wäre, wenn man gewisse Vorteile beim Schadenersatz in Anrechnung brächte. Da es der Gedanke von Treu und Glauben aber - wie oben dargelegt - auch geböte, dem Verpflichteten nur zurnotbare Belastungen aufzuerlegen, stünde der Gedanke der Vorteilsausgleichung unter dem Vorbehalt, daß die Anrechnung des Vorteils dem Geschädigten zurnutbar sein müsse. Dieser Herleitungsversuch der Rechtsprechung steht aber unter der unausgesprochenen Prämisse, daß § 242 BGB im Schadensrecht überhaupt anwendbar ist. Ob tatsächlich ein hinreichend qualifizierter sozialer Kontakt besteht, der Voraussetzung für einen Rückgriff auf die Norm des § 242 BGB auch im Bereich des Schadensrechts ist, wird unten unter 2. erörtert werden.
b) Die Zumutbarkeit als Begrenzungsmerkmal der Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. BGB Der zweite Bereich, bei dem Zumutbarkeitsbetrachtungen in die schadensrechtliche Fragestellung hineinwirken, ist derjenige der Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. BGB. Es ist heute unbestritten, daß der Geschädigte nicht um jeden Preis gehalten ist, den Schaden möglichst gering zu halten. Vielmehr darf er sich auf die ihm zurnutbaren Vorkehrungen zur Schadensbegrenzung beschränken. Schadensersatz 2 , S. 491 und JZ 1978, 649 (651). 135 In: Staudinger 12 , § 249, Rn. 146. 136 In: Palandt54 , Rn. 120 vor§ 249. 137 BGHZ 60, 353 (358); 91 , 206 (210); ebenso Erman/Sirp8 § 249, Rn. 108; Enneccerus/ Lehmann, Schuldrecht 15 , S. 85. 134
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Bedeutung erlangt die Begrenzung des Schadensminderungsgebotes etwa dann, wenn das Opfer einer Körperverletzung die Folgen dadurch abmildern kann, daß es sich einer Operation unterzieht. Hier geht die Rechtsprechung dahin, daß die Operation dem Geschädigten dann unzumutbar ist, ihn also keine Schadensminderungsobliegenheit trifft, wenn auch eine sorgfältige Ausführung der Operation erhebliche Gefahren mit sich bringt 138 • Gleiches soll gelten, wenn die Ärzte über die Gefahren und die Erfolgsaussichten der nicht ganz ungefährlichen Operation uneinig sind 139. Höher liegt die Schwelle, bei der von einer Unzumutbarkeit der Schadensminderungsobliegenheit auszugehen ist, hingegen bei der zweiten Fallgruppe140: Kann der Geschädigte infolge der Verletzung seine bisherige Erwerbstätigkeil nicht mehr fortführen oder ist ihm dieses nicht zumutbar, so ist es ihm nur ausnahmsweise auch noch unzumutbar, eine andere, seinen eingeschränkten Fähigkeiten angemessene Arbeit auszuüben oder sich (zunächst) einer Umschulung zu unterziehen 141 . Als Selbständiger muß man nachholbare Arbeiten im Rahmen des Zurnutbaren sogar nachträglich erledigen 142, als verwitwete Ehefrau, wenn einem dies zurnutbar ist, eine Erwerbstätigkeit neu aufnehmen 143. Zumutbarkeitsüberlegungen spielen allerdings nicht nur bei der Begrenzung der Folgen einer Körperverletzung, sondern auch bei der Beschädigung oder Zerstörung von Sachen eine gewichtige Rolle: Soweit es dem Geschädigten zurnutbar ist, muß er den Schaden durch eine alsbaldige Reparatur begrenzen oder aber hat er sich umgehend entsprechenden Ersatz zu verschaffen und die beschädigte Sache - allerdings nur im Rahmen zurnutbarer Anstrengungen- bestmöglich weiterzuverkaufen 144. Die Wurzeln dieser Zumutbarkeitsüberlegungen führen - jedenfalls nach der Rechtsprechung und der wohl herrschenden Ansicht - auf den Grundsatz von Treu und Glauben und deshalb § 242 BGB zurück. Häufig wird dabei auf den Gesichtspunkt des venire contra factum proprium und damit mittelbar auf § 242 BGB, als dessen Fallgruppe das Verbot widersprüchlichen Verhaltens gemeinhin eingestuft wird, Bezug genommen: Es sei zwar nicht treuwidrig, die eigenen Belange zu vernachlässigen, wohl aber, dann trotzdem vollen Schadenersatz zu verlangen. Diese Aussage wird heute dahingehend verallgemeinert, daß § 254 BGB nur eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben und damit von § 242 BGB darstelle, der seinerseits das ganze Schadenersatzrecht mitpräge. So heißt es in BGHZ 76, 216 (217): "Die genannte Vorschrift (d. h. § 254 BGB, Anm. des 138 OLG Düsseldorf VersR 1975, 1031 (1032); vgl. auch OLG Oldenburg NJW 1978,
1200.
139 RGZ 129, 398 (399ff.). 140
BGHZ 10, 18 (19f.).
141 Staudinger/Medicus 12 § 254, Rn. 44. 142 BGH NJW 1971, 836 (837f.) in Betonung der Ähnlichkeit zur Vorteilsausgleichung.
Ebenso MünchKomm/Grunskl § 254, Rn. 48. 143 BGHZ4, 170 (175f.); 16,265 (275); MünchKomm/Grunskl § 254, Rn. 49. 144 Ennan/Sirp 8 § 254, Rn. 43.
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Verf.) stellt einen kodifizierten Unterfall des§ 242 BGB dar." In einer letzten Stufe wurde dann von Larenz 145 schließlich sogar postuliert, daß Maßstab für den Umfang der Schadensminderungsobliegenheit § 242 BGB sei. Verbirgt sich aber hinter § 254 BGB tatsächlich die Norm des § 242 BGB, wenn auch in einem besonders ausgestaltetem Gewand, so bedeutet dies auch, daß Zumutbarkeitserwägungen im Recht der Schadensminderungsobliegenheiten zwingend Einfluß gewährt werden muß. Wie oben nachgewiesen wurde 146, sehen nämlich sowohl die Rechtsprechung als auch die ganz herrschende Ansicht im Schrifttum das Zumutbarkeitskriterium als Unterfall des § 242 BGB an. Unterliegt aber die Pflicht zur Begrenzung des eintretenden Schadens dem Grundsatz des § 242 BGB, so muß sie demnach auch den Begrenzungen aus dem Zumutbarkeitsgedanken gehorchen. Diese Ableitungskette der Zumutbarkeit steht aber ebenso wie der entsprechende Herleitungsversuch der Zumutbarkeit im Bereich der Vorteilsausgleichung unter der Prämisse, daß § 242 BGB im Schadensrecht überhaupt Geltung beanspruchen kann. Dieses setzt voraus, daß zuvor ein hinreichend konkreter sozialer Kontakt zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten bestand. Eine derartige Verbindung ist nämlich nach herrschender Ansicht Voraussetzung dafür, daß § 242 BGB in einem bestimmten Rechtsgebiet wie hier dem Schadensrecht überhaupt anwendbar ist. 2. Der haftungsbegründende Deliktstatbestand als Schuldverhältnis
Der Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht nach überwiegender und auch hier vertretener Ansicht alle zwischen verschiedenen Rechtssubjekten bestehenden (Rechts-) Beziehungen, denen ein Schuldverhältnis oder jedenfalls ein sonstiger qualifizierter sozialer Kontakt zugrundeliegt Deshalb können Zumutbarkeitsbetrachtungen, die zumindest eine ihrer Wurzeln in § 242 BGB haben, auch nur unter dieser Voraussetzung auf das Gebot von Treu und Glauben zurückgeführt werden. Es stellt sich daher die Frage, ob beispielsweise im Bereich der unerlaubten Handlungen schon mit dem Verletzungserfolg, also mit Abschluß des haftungsbegründenden Tatbestandes, ein Schuldverhältnis entstanden ist, das Basis für die Anwendbarkeit des § 242 BGB sein könnte. Tatsächlich ist es heute unbestritten, daß spätestens mit Eintritt des Verletzungserfolges, aber noch vor dem Auftreten des eigentlichen Schadens ein Schuldverhältnis entsteht 147 . Nach Grunsky 148 genügt es dafür sogar, daß die unerlaubte 145 Schuldrecht, Allgemeiner Tei1 13 , S. 499. Diese Passage fehlt aber in der 14. Auflage seines Lehrbuches. Wie Larenz in der 13. Auflage schon RGZ 83, 15 (19). 146 § 5 I. 147 RGZ 141, 353 (356); Erman/Kuckuk9 § 254, Rn. 80 ("mit dem Beginn der schädigenden Handlung"); MünchKomm/Grunsky3 § 254, Rn. 86; Staudinger/Medicus 12 § 254, Rn. 82;
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Handlung begonnen hat, ihren Abschluß muß sie hingegen nach seiner Ansicht noch nicht gefunden haben. Rechtsfolge ist dann zum einen, daß den Schädiger gegenüber dem Bedrohten besondere Sorgfaltsstandards treffen 149, aber zum anderen auch, daß der Geschädigte für Dritte nicht mehr nach Maßgabe des § 831 BGB, sondern vielmehr nach derjenigen des § 278 BGB einzustehen hat 150. Schließlich müssen sich Schädiger und Geschädigter an den Geboten von Treu und Glauben orientieren, was unter anderem heißt, daß beide Seiten nur zu dem ihnen Zuroutbaren verpflichtet sind. Für das Schadensrecht bedeutet das: Aus § 242 BGB kann man ableiten, daß sich der Geschädigte erlangte Vorteile nur im Rahmen des Zumutbaren anrechnen lassen muß und daß auch seine Schadensminderungsobliegenheit aus diesem Grunde an der Grenze der Zumutbarkeit endet.
3. Der Sonderfall des § 839 Abs. 3 BGB Die Schadensminderungsobliegenheit nach§ 254 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. BGB hat in § 839 Abs. 3 BGB für den Fall der Amtspflichtverletzung eine Spezialregelung erfahren. Versäumt es der Geschädigte schuldhaft, seinen Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels zu minimieren, so vermindert sich sein Ersatzanspruch nicht etwa nur entsprechend seinem Verursachungs- und Verschuldensanteil, sondern er entfällt sogar gänzlich. Dabei ist allerdings anerkannt, daß sich der Geschädigte nur im gehörigen und zurnutbaren Rahmen für seine Belange einsetzen muß 151 . Er hat nicht alle in ihrem Erfolg unsicheren oder auch langwierigen Möglichkeiten auszuschöpfen 152, sondern darf dann darauf verzichten, wenn sein Begehren vor dem Hintergrund der ständigen Rechtspraxis der letztentscheidenden Instanz aussichtslos gewesen wäre 153 . Ein gerichtliches Vorgehen kann aber auch deshalb unzumutbar sein, weil es nur nach einer unzumutbar langen Zeit zur Entlastung des Betroffenen geführt hätte. Eine Klage ist so etwa dann als unangemessen langwierig anzusehen, wenn durch die Verzögerung immense zusätzliche Zinsbelastungen und dadurch unzumutbare Vermögensnachteile entstehen 154. Unter diesen
Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 27 , S. 263f. Teilweise werden allerdings mißverständliche Formulierungen gewählt, wie etwa von Greger NJW 1985, 1130 (1133), der ein Schuldverhältnis "durch den Schadensfall" entstehen sieht. 148 In: MünchKomm3 § 254, Rn. 86. 149 RGZ 141 , 353 (356). ISO Vgl. hierzu nur MünchKomm/Grunskl § 254, Rn. 77. ISI BGH WM 1963, 841 (842). 1s2 RG DR-Ausgabe A 1942, 621 (622). 153 Soergel/Glaser 11 § 839, Rn. 222; Bender, Staatshaftungsrecht2 , Rn. 680; im Ergebnis ebenso, wenn auch ohne Rückgriff auf die Zumutbarkeit: Jaenicke, Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe - Kolloquiumsband, S. 69, 102. 154 BGHR - BGB § 839 Abs. 4- Zumutbarkeit 1.
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Voraussetzungen soll dann das Verschulden des Geschädigten im Hinblick auf die unterlassene Klageerhebung entfallen. Auch im Problemkreis des § 839 Abs. 3 BGB lassen sich die Zumutbarkeitsgesichtspunkte auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückführen. Die Frage nach dem Gebrauch eines Rechtsmittels mit dem Zweck, den Schaden möglichst gering zu halten, stellt sich nämlich - sieht man vom einstweiligen Rechtsschutz ab - erst, wenn die Amtspflicht bereits verletzt worden ist. Dann aber ist das gesetzliche, deliktsrechtliche Schuldverhältnis schon entstandeniss und daher § 242 BGB - wie unter 2. ausgeführt wurde - unbestritten anwendbar 156 . Die Pflicht, eine einstweilige Verfügung schon vor der Amtspflichtverletzung zu beantragen, dürfte hingegen aus § 839 Abs. 3 BOB gar nicht ableitbar sein. Diese Vorschrift will nämlich nur verhindern, daß der Bürger zwischen einer möglichen Geldleistung und einem gerichtlichen Vorgehen gegen die Amtspflichtverletzung frei wählen kann 157 • Deshalb stellt sie klar, daß der Schadenersatzanspruch gegenüber den primären Rechtsschutzmöglichkeiten nur subsidiäre Bedeutung hat. Demgegenüber will die Norm den Bürger nicht verpflichten, Behörden beständig dahingehend zu kontrollieren, ob sie die Gesetze beachten. Aus diesem Grund muß auch noch nicht vorbeugend gegen eine drohende Rechtsverletzung vorgegangen werden. Wird keine einstweilige Verfügung beantragt, so liegt darin auch kein Verstoß gegen die Obliegenheit des § 839 Abs. 3 BOB.
V. Die Herleitung des Zumutbarkeitsbegriffs im Verjährungsrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben Schließlich gibt es neben den Bereichen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Zurechnung noch einen dritten Komplex, bei dem Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Zusammenhang mit deliktischen Schadenersatzansprüchen eine unter Umständen sogar entscheidende Rolle spielen können 1s8 • Es handelt sich dabei um die Problematik des Beginnes der kurzen Verjährungsfrist bei unerlaubten Handlungen, § 852 Abs. 1 BOB. Die Verjährung beginnt bei unerlaubten Handlungen, wenn der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. Davon kann man nach der Rechtsprechung 1s9 ausgehen, wenn der Geschädigte soviel TatSoergel/Glaser11 § 839, Rn. 204. Deshalb ist nach h.M. im Rahmen des § 839 Abs. 3 BOB auch § 278 BOB anwendbar: ROZ 138, 114 (117); 163, 121 (124); BOH NJW 1984, 1748 (1749); Ennan/Küchenhotf § 839 BOB, Rn. 93; MünchKomm/Papie? § 839, Rn. 290; RORK/Kreft12 § 839, Rn. 536; Staudinger/Schäfer 12 § 839, Rn. 474. 157 MünchKomm/Papier2 § 839, Rn. 285. 158 BOH NJW 1977, 198 (199). 155
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zurnutbarkeit
Sachenkenntnis erlangt hat, daß er gegen eine bestimmte Person eine Schadenersatzklage, unter Umständen auch nur eine Feststellungsklage, mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg 160 erheben kann. Anders ausgedrückt, muß er außer dem Schadensbetrag alle anderen Voraussetzungen vernünftigerweise für gegeben halten können 161 , denn allein dann ist ihm eine Klageerhebung jedenfalls grundsätzlich auch zuzumuten. Ob dem Geschädigten eine Klage zurnutbar ist, bestimmt sich dabei zum Beispiel im Amtshaftungsrecht nach ähnlichen Maßstäben wie im Rahmen des § 839 Abs. 3 BGB 162. Hierbei gilt es jedoch besonders zu beachten, daß eine Klageerhebung auch unter Berücksichtigung verjährungsrechtlicher Besonderheiten nicht schon allein deshalb als unzumutbar erscheinen darf, weil unsicher ist, ob der Prozeß auch gewonnen werden kann. Es ist vielmehr stattdessen entscheidend, ob die Tatsachen schon so weit offenliegen, daß das Prozeßrisiko einschätzbar ist 163 . Hierfür genügend Tatsachen zusammenzutragen, kann allerdings in solchen Rechtsgebieten Schwierigkeiten bereiten, in denen die Darlegungslast dem Kläger einiges abverlangt. Deshalb hat etwa Schiemann 164 gefordert, zum Beispiel im Arzthaftungsrecht an die Zumutbarkeit der Klageerhebung nicht zu geringe Anforderungen zu stellen. Für den Patienten ist es häufig recht schwer, den Kunstfehler vom normalen Risiko zu unterscheiden. Deshalb muß er nicht selten eingehende Erkundigungen anstellen. Unzumutbar kann der Klageweg aber auch deshalb sein, weil der Geschädigte mit dem Schädiger noch aussichtsreiche Verhandlungen führt, um seinen Schaden - anders als im Wege des Schadenersatzes, für den § 852 Abs. 2 BGB gilt - kompensiert zu erhalten 165 . Typischerweise sind davon die Amtshaftungsfalle betroffen. Diese Zumutbarkeitsüberlegungen lassen sich im Verjährungsrecht zweifellos aus dem Gebot herleiten, sich innerhalb bestehender Schuldverhältnisse den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß zu verhalten. Die Frage der Verjährung stellt sich nämlich erst dann, wenn ein Anspruch bereits existent ist, was im Recht der unerlaubten Handlungen den Eintritt des Verletzungserfolges voraussetzt. Spätestens damit entsteht jedoch das gesetzliche deliktsrechtliche Schuldverhältnis 166, so daß nunmehr § 242 BGB und damit auch die Grundsätze über Zumutbarkeits159 BGH VersR 1957, 641; VersR 1960, 638 (639); ebenso RGRKJKreft 12 § 852, Rn. 23; Taupitz NJW 1984, 662. 160 Formulierung von RGZ 157, 14 (18) und BGHZ 6, 195 (201f.). 16 1 RGZ 168, 214 (219); ebenso RGRKJKreft12 § 852, Rn. 23. 162 BGH NJW 1990, 245 (247). 163 BGH VersR 1974, 197 (198); RGRK/Kreft 12 § 852, Rn. 25; Staudinger/Schäfer 12 § 852, Rn. 7. 164 In: Erman 9 § 852, Rn. 10; zu den dort anzulegenden Maßstäben auch Taupitz NJW 1984, 662f. 165 BGH NJW 1990,245 (247). 166 V gl. oben unter IV. 2.
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überlegungen innerhalb bestehender Schuldverhältnisse Anwendung finden können.
VI. Ergebnis Die Untersuchungen haben gezeigt, daß auch das Rechtsfortsetzungsprinzip den Zweck des Haftungsrechts nicht zureichend zu umschreiben vermag. Das Deliktsrecht übernimmt vielmehr die Aufgabe einer Interessenfortsetzungsfunktion: Es sorgt dafür, daß sich das jeweils höherrangige rechtlich geschützte Interesse fortsetzt. Der im Gesetz umschriebene haftungsbegründende Tatbestand ist allerdings nicht in der Lage, alle berücksichtigungsbedürftigen Interessen miteinzubeziehen. Er bedarf daher, um der Interessenfortsetzungsfunktion gerecht zu werden, soweit diese Aufgabe nicht vom Schadensrecht übernommen werden kann, der Ergänzung um das Merkmal der Zumutbarkeit. Das Schadensrecht ist vom Deliktsrecht streng zu sondern, und es verfolgt einen ganz anderen Zweck, nämlich eine Ausgleichsfunktion. Außerdem ist mit Vollendung des haftungsbegründenden deliktischen Tatbestandes ein Schuldverhältnis entstanden, womit von nun an das Verhältnis zwischen Deliktstäter und -opfer durch § 242 BGB mitbestimmt wird. Grundlage für Zumutbarkeitsbetrachtungen im Schadens-, aber auch im Verjährungsrecht ist daher nicht die Interessenfortsetzungsfunktion des Deliktsrechts, sondern der Grundsatz, sich untereinander gemäß Treu und Glauben zu verhalten. Hiermit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob Gesichtspunkte der Zumutbarkeit neben ihrem unbestrittenen Platz im Schadensrecht auch schon auf der Stufe des Haftungsrechts eine berechtigte Rolle spielen. Darüber Klarheit zu geben, ist Aufgabe des Paragraphen lO dieser Untersuchung: Die bisherigen Feststellungen haben nur gezeigt, inwieweit Zumutbarkeitsaspekte aus der eingeschränkten dogmatischen Sicht der Herleitbarkeit in das Deliktsrecht Eingang finden dürfen und entweder im Delikts- oder im Schadensrecht mit einbezogen werden müssen. Sie haben aber die Frage nicht beantwortet, ob aus anderweitigen dogmatischen Überlegungen, nämlich aus der Zusammenschau mit schadensrechtlichen Grundsätzen, Zumutbarkeitsfragen abschließend im Bereich des haftungsausfüllenden Tatbestandes berücksichtigt werden und aus diesem Grund keinen Platz im Deliktsrecht finden.
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§ 9 Die Herleitung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten aus verfassungsrechtlichen Vorgaben Zumutbarkeitsaspekte dürfen im Deliktsrecht berücksichtigt werden, jedenfalls sofern sie nicht im Schadensrecht ihren ihnen zugewiesenen Platz finden 167 • Dieses ist ein Gebot der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts. Es gibt aber noch andere Ansatzpunkte, die Beachtlichkeit von Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu rechtfertigen. So ist etwa von Diederichsen 168 vorgebracht worden, daß Grundlage der Zumutbarkeitslehre auch im Privatrecht der Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde sei. Fraglich ist demnach, ob es nicht auch einem verfassungsrechtlichen Gebot entspricht, die haftungsrechtlichen Verpflichtungen unter den Vorbehalt zu stellen, daß die Erfüllung dieser Pflichten dem Schädiger zuzumuten ist. Ansatzpunkt hierfür könnten die Verbürgungen der Grundrechte in den Art. 1ff. GG sein. Sie könnten dem einzelnen einen unantastbaren Bereich von Freiheitsrechten gewährleisten, so daß im Einzelfall jede deliktsrechtliche Verantwortlichkeit wegen der "Unzumutbarkeit", das haftungsrechtliche Gebot zu beachten, ausgeschlossen wäre. Erste Voraussetzung für eine derartige Ableitung ist aber, daß die Grundrechte auch im reinen privatrechtliehen Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem Geltungskraft beanspruchen können, womit die Problematik der sogenannten Drittwirkung der Grundrechte angesprochen ist. Es geht dabei um die Frage, ob die Grundrechte nicht nur das Verhältnis zwischen dem einzelnen Bürger und dem Staat prägen, sondern auch auf die Beziehungen zwischen den Bürgern einwirken. Hinzukommen müßte als zweite Voraussetzung, daß die Geltung der Grundrechte im Privatrecht gerade auch die Beachtlichkeit von Zumutbarkeitsüberlegungen im Zivilrecht bedingt.
I. Die Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht Hinsichtlich des Problems der Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht werden mindestens vier verschiedene Ansichten vertreten. Eine Meinung geht dahin, daß die Grundrechte auch im privatrechtliehen Bereich unmittelbare Geltung beanspruchen. Sie muß allerdings als überholt angesehen 169 und kann daher an dieser Stelle vernachlässigt werden. Dieses muß auch für die bislang vereinzelt gebliebene Ansicht von Bleckmann gelten, der ebenfalls von einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ausgeht 170, diese aber wegen der Geltung des Zu dieser Einschränkung vgl. § 10 dieser Bearbeitung. In: Festschrift für Michaelis. S. 36 (62). 169 Die Gegenargumente sind bei Pieroth/Schlink. Grundrechte 10, Rn. 188 und von Canaris AcP 184 (1984), 201 (203ff.) zusammengestellt. 110 Bleckmann, Staatsrecht IC, S. 189f. und DVBI. 1988, 938 (942f.). 167
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§ 9 Die Herleitung aus verfassungsrechtlichen Vorgaben
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Rechtsstaatsprinzips und des Gesetzesvorbehalts weitgehend auf eine nur mittelbare Drittwirkung zurückführt 171 . Die dritte Auffassung billigt den Grundrechten im bürgerlichen Recht hingegen von vomherein nur mittelbare Geltungskraft zu. Das soll bedeuten, daß die Grundrechte nur über die ausfüllungsfähigen und -bedürftigen Generalklauseln des Zivilrechts auch in dieses Rechtsgebiet einstrahlen. Ein vierter, von Schwabe und Canaris verfolgter Ansatzpunkt versucht schließlich den Gedanken nutzbar zu machen, daß auch die Zivilgerichtsbarkeit öffentliche Gewalt ausübt und danach über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist. Die nachfolgende Untersuchung ist nunmehr derart angelegt, daß zunächst die einzelnen Ansichten zur Drittwirkungsproblematik jeweils dargestellt werden, um von dieser Basis aus Aussagen darüber zu entwickeln, ob die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten nach der jeweiligen Theorie verfassungsrechtlich geboten ist. Daran anschließen wird sich dann eine auf die vorliegende Problematik bezogene vergleichende Würdigung aller Theorien.
II. Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 1. Vorstellung der Theorie Entwickelt worden ist die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte von Dürig 172: Die einzelnen Grundrechte sind seiner Ansicht nach nur deklaratorischer Ausdruck eines für unsere gesamte Rechtsordnung und damit auch für das Privatrecht gültigen, auch der Verfassung vorgegebenen Wertsystems über die Regeln menschlichen Zusammenlebens 173 . Diesem Wertsystem ist ein gegen den Staat gerichtetes Anspruchssystem beigeordnet, dessen wesentlicher Baustein die Befugnis ist, im Sinne der Privatautonomie mit beliebigen anderen Privaten eigenverantwortlich und weitgehend ohne - auch verfassungsrechtliche - Beschränkungen Rechtsbeziehungen knüpfen zu dürfen. Dieses fundamentale Freiheitsrecht beschränkt damit nach Ansicht Dürigs die Geltungskraft der anderen Grundwerte und damit auch der Grundrechte im Privatrecht, die nurmehr im Lichte dieser "Grundfreiheit" Geltung beanspruchen können 174• Die Grundrechte können daher 171 Art. I Abs. 3 GG enthält danach keine abschließende Aufzählung der an die Grundrechte unmittelbar Gebundenen. 172 In: Festschrift für Nawiasky, S. 157 (176f.). 173 Ebenso von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz3 , Art. 1, Rn. 199. Anders Rupp AöR 101 (1976), 161 (170f.), nach dem die Wertordnung sich aus dem objektivrechtlichen Charakter der Grundrechte selbst ableiten läßt. Er spricht hier von einem "institutionellen" Grundrechtsverständnis. Gegen diese Verselbständigung der Funktion der objektiven Geltungskraft Starck JuS 1981, 237 (238). 174 Auch Starck, in: von Mangoldt/Kiein, Grundgesetz3 , Art. 1, Rn. 197, stellt darauf ab, daß das Privatrecht (das heißt insbesondere die Privatautonomie) "ein wesentliches Freiheits-
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
im Privatrecht nicht unmittelbar gelten, weil ansonsten jeder privatrechtliche Vertrag schon diesseits etwa der ohnehin bestehenden Schwelle der Sittenwidrigkeit einer mit dem Wesen der Privatautonomie nicht zu vereinbarenden inhaltlichen Kontrolle unterläge. Trotzdem wirken die Grundrechte, soweit sie im Verhältnis zu dieser Grundfreiheit berücksichtigungsbedürftig erscheinen, aber über spezielle Normen noch nicht erfaßt sind, mittelbar über die wertausfüllungsfähigen und -bedürftigen Generalklauseln in das Privatrecht ein 175. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, daß zumindest die wesentlichen Grundwerte unserer Rechtsordnung, die zum großen Teil in den Grundrechten zum Ausdruck kommen, in allen Rechtsbereichen einheitlich und damit insbesondere auch im Privatrecht Geltung beanspruchen176. Heute ist Dürigs Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wenn auch in modifizierter Form - vom Bundesverfassungsgericht, aber auch von der ganz herrschenden Ansicht im Schrifttum übernommen worden. Die Grundrechte sollen über das Medium der im jeweiligen Rechtsgebiet verankerten Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und unter Berücksichtigung von Wertungsgesichtspunkten ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe in das bürgerliche Recht einstrahlen und es so mittelbar mitprägen. Dabei wird das Hineinwirken der Grundrechte in das Privatrecht etwa vom Bundesverfassungsgericht damit begründet, daß die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte gegen den Staat enthalten, sondern objektive Leitvorgaben für die Ordnung unseres Zusammenlebens setzen. Diese den Grundrechten immanenten Grundentscheidungen müssen dann aber für alle Rechtsgebiete unmittelbar 177 gelten und damit zwangsläufig auch das Privatrecht beeinflussen 178 • Dieses geschieht sinnvollerweise über die dafür offenen Generalklauseln, was zu einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht führt. Im Gegensatz zu Dürig wird also nicht mehr auf eine den Grundrechten vorgegebene Wertordnung abgestellt, sondern vielmehr die Funktion der Grundrechte viel weitgefaßter gesehen.
element unseres Staates" ist. Wie Dürig auch Badura, Staatsrecht, S. C21, wonach nur im Einzelfall eine Abwägung die Privatautonomie hinter drittwirkende Grundrechtsgarantien zurücktreten lassen kann. 175 Wobei es dann möglicherweise vorzugswürdig ist, gar nicht mehr mit den Grundrechten an sich, sondern mit dem "Naturrecht" zu argumentieren. Ähnlich: von Mangoldt/Kleinl Starck, Grundgesetz3 , Art. 1, Rn. 200. 176 Zu den Bedenken, die gegen zu weitreichende Schlußfolgerungen aus dem Gebot, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu wahren, etwa bei Rechtfertigungsgründen vorgetragen werden, vgl. oben § 4 III 1 a. 177 So Kopp, In: 2. Festschrift für Wilburg, S. 141 (145) mwN, der meint, daß diese objektiven Ordnungswerte den inneren Geltungsanspruch des Rechts begründen. 178 BVerfGE 7, 198 (205ff.); 42, 143 (148); BVerfG NJW 1987, 827; von Münch, Grundgesetz4 Vorb. Art. 1-19, Rn. 31; Hesse, Grundzüge des Verfassunf srechts 19, Rn. 356; Pierothl Schlink, Grundrechte 10, Rn. 193f. ; kritisch Doehring, Staatrecht , S. 207ff.; vgl. auch Kopp, In: Festschrift für Wilburg, S. 141 (144ff.).
§ 9 Die Herleitung aus verfassungsrechtlichen Vorgaben
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2. Schlußfolgerungen für die Herleitung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Zivilrecht Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte setzt danach die Existenz von wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln voraus. Sind solche allerdings vorhanden, müssen sie auch im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden. Daher ist es konsequent, wenn das BVerfG 179 ausdrücklich festgestellt hat, daß bei der Frage nach der Widerrechtlichkeit einer Verletzung im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB Verfassungsnormen, womit die Grundrechte angesprochen werden, mitzuberücksichtigen sind. Die Grundrechte können daher im Einzelfall die Rechtswidrigkeit ausschließen. Das Deliktsrecht kennt allerdings durchaus noch andere "Generalklauseln". Auf Einflüsse von seiten des Verfassungsrechts kommt es deshalb etwa genauso bei der Frage nach der Beachtung oder dem Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt oder auch dann an, wenn die Umschreibung des Verschuldensbegriffes in Rede steht. Für die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten bedeutet dieses folgendes: Schon oben in§ 4 ist nachgewiesen worden, daß Zumutbarkeitsüberlegungen im Deliktsrecht in gesetzlichen Spezialregelungen bislang kaum erlaßt sind. Allein die Rechtfertigungsgründe decken hier einen Teilbereich ab. Andererseits kennt das Deliktsrecht ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe, über die verfassungsrechtliche Wertungen das Haftungsrecht mitprägen. Soweit die Zumutbarkeitsaspekte Gesichtspunkte angeben, die auch eine verfassungsrechtliche Wurzel haben, ist es daher zwingend geboten, sie aus verfassungsrechtlichen Gründen, nämlich dem Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht, in alle haftungsrechtlichen Fragestellungen miteinzubeziehen. Untersucht man nunmehr die Fälle näher, in denen unter Hinweis auf die Unzumutbarkeit eines vom geschriebenen Recht scheinbar verlangten Verhaltens versucht wird, die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit abzustreiten, wird tatsächlich in aller Regel auf Aspekte rekurriert, die auch auf grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen zurückgeführt werden könnten. So wird häufig ein Verhaltensgebot als unzumutbar bezeichnet, das jenseits der wirtschaftlichen Opfergrenze liegt. Es ist offensichtlich, daß hier auch mit dem Grundrecht aus Art. 14 GG, möglicherweise aber auch mit Art. 1 GG argumentiert werden kann, der es gebietet, daß dem einzelnen sein Existenzminimum gesichert wird 180. Viele Zumutbarkeitsfälle erfassen aber auch die Gewissensnot des Schädigers, ein bestimmtes Verhalten aus zum Beispiel religiösen Motiven nicht unterlassen zu können oder andererseits ein bestimmtes Begehungsdelikt vornehmen zu müssen. Daß hiermit Art. 4 GG angesprochen ist, liegt ebenfalls auf der Hand. Schließlich gilt es zu beachten, daß Art. 2 Abs. 1 GG nach der heute ganz vorherrschenden Interpretation als eine Art Auffanggrundrecht die allgemeine Handlungsfreiheit garantiert. Deshalb lassen sich 179 !SO
BVerfGE 25, 256 (263).
von Mangoldt!Klein/Starck, Grundgesetz3 , Art. I, Rn. 24.
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
Zumutbarkeitsgesichtspunkte nötigenfalls auch hierauf zurückführen, wenn das Haftungsrecht auch im Grundsatz eine zulässige Einschränkung des Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellt. Damit zeigt sich, daß nach der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Zumutbarkeitserwägungen immer dann im Deliktsrecht zu berücksichtigen sind, wenn sie auf der einen Seite keine positive gesetzliche Regelung in den Rechtfertigungsgründen gefunden haben und auf der anderen Seite sich ihrem Kern nach auch auf grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen zurückführen lassen. Da dieses regelmäßig der Fall ist, lassen sich Zumutbarkeitsaspekte im Deliktsrecht nicht nur auf die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts, sondern auch auf verfassungsrechtliche Grundentscheidungen zurückführen. Demgegenüber ist es nicht geboten, die Zumutbarkeitslehre mit Diederichsen auf Art. 1 GG zu stützen; es handelt sich hierbei vielmehr um eine Umsetzung der speziellen Grundrechte im Privatrecht.
111. Die Ansicht Schwabes und Canaris' 1. Vorstellung der Theorie Einen jedenfalls im Ansatz ganz anderen Stellenwert nehmen die Grundrechte im Privatrecht nach Ansicht Schwabes und Canaris' ein. Canaris setzt zunächst dabei an, daß der Privatrechtsgesetzgeber, wie jede andere Legislativgewalt auch, nach Art. I Abs. 3 GG an die Grundrechte unmittelbar gebunden sei. Da nahezu jeder Rechtssatz zumindest in das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) eingreife, sei der Gesetzgeber jedesmal gehalten, auch Normen des Privatrechts auf ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung hin zu untersuchen 181 • Das müsse nun aber auch für den (Privat-)Recht sprechenden Richter geiten 182 : Es könne nämlich mit Blick auf die Grundrechte keinen Unterschied machen, ob ein geschriebener oder nur ein vom Richter wie bei § 823 Abs. 1 BGB durch Auslegung gewonnener Rechtssatz in die Grundrechte eingreife. Beide hätten vielmehr dieselbe Funktion und es hinge häufig nur von den Zufälligkeilen der Gesetzestechnik ab, ob der Gesetzgeber eine präzise Vorschrift oder nur eine Generalklausel verwende. Deshalb sei auch der über bürgerliches Recht befindende Richter gemäß Art. I Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden 183 . Wolle er einen 181 Canaris AcP 185 (1985), 9 (lOf.). Dagegen MaundDürig/Herzog/ScholdDürig, Grundgesetz, Art. 3, Abs. 1, Rn. 506, der meint, dieses mache den Privatmann zum Beliehenen des Staates. Ähnlich Bleckmann, Staatsrecht 1e, S. 180, der argumentiert, daß der Staat den Grundrechtseingriff des Privaten nur decke. 182 Dagegen neben den unter II. zitierten Vertretern der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auch Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland3 , S. 209; Lerche ZHR 149 (1985), 165 (167, Fn. 10); Zöllner RDV 1985, 3 (6).
§ 9 Die Herleitung aus verfassungsrechtlichen Vorgaben
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Schadenersatzanspruch zusprechen, habe er daher den status negativus der Grundrechte zu beachten. Sofern er hingegen eine Verletzung ablehne, müsse dieses mit den aus den Grundrechten ableitbaren Schutzgeboten zugunsten des Geschädigten vereinbar sein 184 . Schwabe begründet seine Ansicht damit, daß der Grundrechtseingriff des das rechtliche Verbot konkretisierenden Richters schon im Aufstellen der Verbotsnorm läge und nicht erst durch die hinzutretende Sanktion wie Schadenersatz, Strafe oder verwaltungsgerichtliche Bestätigung einer Untersagungsverfügung ausgelöst werde. Deshalb sei die zunächst offenbar bedeutsame Unterscheidung zwischen dem zivilrechtlich und dem öffentlich-rechtlich entscheidenden Richter unerheblich. Denn das in allen Rechtsbereichen äquivalente Verbot sei jeweils nur mit einer anderen Sanktion versehen. Außerdem könne auch die zivilrechtliche Sanktion im Notfall durch staatliche Vollstreckungsorgane durchgesetzt werden 185 . Jedenfalls im nichtvertraglichen Bereich gebe der Staat mit dem Deliktsrecht auch konkrete Eingriffsbefugnisse in fremde Rechtsgüter, die sich gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an den Grundrechten in ihrer Funktion als Gewährleistung eines status negativus messen lassen müßten 186 .
2. Schlußfolgerungen für die Herleitung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Zivilrecht Legt man die Ansicht Canaris' und Schwabes zugrunde, ist der Zivilrichter bei deliktsrechtlichen Streitigkeiten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung führt im Deliktsrecht anders als im öffentlichen Recht dazu, daß er die Grundrechte sowohl zugunsten des Schädigers als auch im Interesse des Geschädigten heranzuziehen und in ihrem Aussagegehalt mitzubewerten hat. Soweit die Schädigerseite betroffen ist, müßte der Zivilrichter daher unter zwei Voraussetzungen aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus auch im Haftungsrecht Zumutbarkeitsgesichtspunkte berücksichtigen. Das wäre zumindest der Fall, wenn zum einen Zumutbarkeitsaspekte auch die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit des Bürgers begrenzten (hierzu nachfolgend a.) und sich diese Begrenzung zum anderen gerade aus den Vorgaben des Grundrechtskataloges des Grundgesetzes ableiten ließe (hierzu daran anschließend b.). Ob Zumutbarkeitserwägungen auch im Deliktsrecht Platz greifen, hängt deshalb nach dieser Lehrmeinung davon ab, ob und ggfs. weshalb Zumutbarkeitsfragen im öffentlichen Recht Eingang finden. Es ist hiernach eine zwingende Konsequenz, daß alle aus den Grundrechten Canaris JuS 1989, 161 (162). Canaris AcP 185, 9 (!Of.). 185 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 31 (36f.); DVBI. 1971, 689 (690); AöR 100 (1975), 442 (444, 450, 458, 460). 186 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 17. 183
184
7 Scholz
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
ableitbaren Leitsätze - wie möglicherweise der Zumutbarkeitsgesichtspunkt - auch im Zivilrecht und damit im Deliktsrecht gelten und es beeinflussen. a) Die Zumutbarkeit im öffentlichen Recht als Unterkategorie der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne
Staatliche Eingriffe in Grundrechte bedürfen nach heutigem Verfassungsverständnis einer gesetzlichen Grundlage. Hinzukommen muß jedoch, daß sie gemessen an dem Zweck, den sie verfolgen, nicht unverhältnismäßig erscheinen. Nach wohl überwiegender Rechtsprechung und noch herrschender Ansicht im Schrifttum ist auch das Zumutbarkeitskriterium Bestandteil dieses Verhältnismäßigkeitsprinzips "im weiteren Sinne". aa) Einführung in die Problematik Bekanntermaßen enthält das Verhältnismäßigkeitsprinzip nach Auffassung auch des Bundesverfassungsgerichts drei voneinander zu unterscheidende Prüfungsstufen. Auf der ersten Sprosse ist die Eignung des den Grundrechtseingriff indizierenden Mittels zum Erreichen des durch den Rechtssatz angestrebten Zweckes zu überprüfen. Dann ist festzustellen, ob der Eingriff auch erforderlich war, d. h. das mildeste noch geeignete Mittel zum Erreichen des Zweckes darstellte. Schließlich muß das eingesetzte Mittel dem angestrebten Zweck gegenüber auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Befaßt man sich mit dieser obersten Ebene des Verhältnismäßigkeitsprinzips, stößt man freilich auf eine sehr schwankende Begrifflichkeit: Während der Ausdruck"Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" in der Literatur zum Teil durch denjenigen der Proportionalität ersetzt wird 187, verwendet das Bundesverfassungsgericht zunehmend den Terminus ,,Zumutbarkeit'.I 88 • Da allerdings die Bezeichnung ,,Zumutbarkeit" nicht stets diejenige der "Verhältnismäßigkeit" verdrängt hat, sondern beide vielfach nebeneinander zitiert werden, fühlen sich durch das Bundesverfassungsgericht auch diejenigen Vertreter der Gegenposition bestärkt, die in der Zumutbarkeit ein vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz völlig losgelöstes Prinzip erblicken. 187 Degenhart, Staatsrecht 110, Rn. 326; Katz, Staatsrecht 12 , Rn. 208; Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6; von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz3, Art. 1, Rn. 178; Grabitz AöR 98 (1973), 568 (571). 188 Zum Beispiel in BVerfG NJW 1989, 891 (892): ,,Der Eingriff ... entspricht dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn er ... beiträgt, sein Ziel nicht mit weniger fühlbaren Beschränkungen ... erreichen kann und bei Abwägung der Gesetzgebungszwecke und des eingeschränkten Grundrechts auch zurnutbar erscheint." Vgl. auch Gusseck, Die Zurnutbarkeit - ein Beurteilungsmaßstab, S. 9.
§ 9 Die Herleitung aus verfassungsrechtlichen Vorgaben
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Aufgabe der vorliegenden zivilrechtliehen Arbeit kann es aber nicht sein, diese verfassungsrechtliche Problematik klarstellend zu erörtern. Hier muß vielmehr eine Prämisse gesetzt werden, die sinnvollerweise nur in der Übernahme der vorherrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum liegen kann. Infolgedessen beschränkt sich das nachfolgende Kapitel vorwiegend auf eine empirische Untersuchung der Einordnung des Zumutbarkeitsaspekts unter das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dennoch erschien es im Rahmen dieser Arbeit geboten, den Streitstand ausführlich darzustellen. Während an anderer Stelle umfassend erörtert wurde, woraus sich Zumutbarkeitsüberlegungen im Strafrecht, im Deliktsrecht und im sonstigen Zivilrecht ableiten lassen, bietet sich hier die Gelegenheit, den Rundblick durch eine Betrachtung über die Wurzel der Zumutbarkeit im öffentlichen Recht abzuschließen. bb) Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Nimmt man eine Stichprobe von gut dreißig in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, zeigt sich, daß sich für eine Position, wonach Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit als selbständige Rechtsprinzipien nebeneinanderzustellen seien, nur vier Entscheidungen des Gerichts anführen lassen. Nach BVerfGE 13, 230 (235) etwa darf die Handlungsfreiheit nicht in unzumutbarer oder übermäßig belastender Weise beschränkt werden. Gemäß späteren Entscheidungen 189 dürfen Berufsausübungsregeln weder unangemessen noch unzumutbar sein. Schließlich muß nach BVerfGE 18, 121 (125) eine Differenzierung die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit beachten und darf nicht übermäßig belastend oder unzumutbar sein. Eine zweite, zahlenmäßig größere Kategorie von Entscheidungen erwähnt hingegen die Begriffe der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit bzw. Übermäßigkeit nur gleichzeitig, ohne aber Rückschlüsse darauf zuzulassen, in welchem Verhältnis beide riach Ansicht des obersten deutschen Gerichts zueinander stehen sollen. Es bleibt in diesen Entscheidungen völlig offen, ob der Zumutbarkeits- und der Verhältnismäßigkeitsbegriff einen einheitlichen oder aber kumulative Prüfungsmaßstäbe abgeben. Ein Beispiel dafür liefert BVerfGE 7, 377 (406), wonach übermäßig belastende und nicht zurnutbare Berufsausübungsregeln verfassungswidrig sind 190. Nach BVerfGE 9, 228 (346f.) müssen berufliche Altersgrenzen sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit halten. Die Berufszulassungsvoraussetzungen dürfen den Einzelnen nicht übermäßig und unzumutbar beschweren 191 , Berufsausübungsregeln müssen zurnutbar und nicht übermäßig belastend sein 192• Das gilt auch für Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse, die 189 190 191
7*
BVerfGE 17, 232 (244); 22, 380 (385). Ebenso BVerfGE 18, 353 (362); 22, I (20f.). BVerfGE 13, 97 (113).
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit beachten müssen, also nicht übermäßig belastend und nicht unzumutbar sein dürfen 193 . Schließlich gehört in diesen Zusammenhang die Entscheidung BVerfGE 21, 227 (232), die Berufsausübungsregeln nur an der Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit mißt. Zwei weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bringen die Zumutbarkeit sogar in die Nähe einer Identität mit dem Verhältnismäßigkeilsgrundsatz im weiteren Sinne 194. Während BVerfGE 17, 306 (317) einen Eingriff deshalb für unzumutbar erachtet, weil er ein objektiv ungeeignetes Mittel zur Zweckerreichung darstellt, wird die Unzumutbarkeit später damit begründet, daß es schonendere Maßnahmen gäbe, um das Regelungsziel zu erreichen 195 . Bei diesen Entscheidungen wird also aus der Ungeeignetheil bzw. mangelnder Erforderlichkeil der Maßnahme auf deren Unzumutbarkeit geschlossen. Da aber die Geeignetheil und die Erforderlichkeil die beiden ersten Stufen der Verhältnismäßigkeilsprüfung bilden, liegt es nahe, die Zumutbarkeit nach diesen Entscheidungen als Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne aufzufassen. Die bei weitem überwiegende Zahl der Entscheidungen läßt aber sehr deutlich erkennen, daß das Bundesverfassungsgericht die Zumutbarkeit mit der Proportionalität gleichsetzt Besonders offensichtlich wird das etwa in BVerfGE 21 , 173 (183), wonach ein Verbot ohne Übergangsregelung im konkreten Fall "nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unzumutbar" wäre. Gleiches gilt für diejenigen Entscheidungen, die aussprechen, daß der Verhältnismäßigkeilsgrundsatz verlange, die Grenze der Zumutbarkeit bei der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe zu wahren 196• Ebenso wird in BVerfGE 21, 150 (156) danach gefragt, ob ein Eingriff ,,zumutbar ist, also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht" und in BVerfGE 13, 97 (120) eine Ausnahmeregelung gefordert, wenn ansonsten "eine übermäßige, nicht zurnutbare Belastung" einträte. Nach BVerfGE 59, 336 (357) ist eine Belastung unzumutbar, wenn sie in keinem Verhältnis zum damit verfolgten Zweck steht und in BVerfGE 61, 126 (134) heißt es, daß der Eingriff den Betroffenen nicht übermäßig belasten darf, ihm also zurnutbar sein muß. Das Verhältnismäßigkeilsprinzip verpflichtet die Verwaltung aber auch, unzumutbare zeitliche Verzögerungen zu vermeiden 197 • Schließlich folgert das BVerfG sowohl aus der nicht übermäßigen Einschränkung des Freiheitsrechts deBVerfGE 16, 286 (297); 23, 50 (60). BVerfGE 26, 215 (228). 194 So die abschließende Bewertung der Rechtsprechung des BVerfG durch Ossenbühl, In: Festgabe Jubiläum Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (320). 195 BVerfGE 50, 265 (275). 196 BVertGE 33, 240 (244); 37, l (22); 71, 1 (26f.). Ähnlich BVerfGE 30, 292 (316); 39, 210 (234); 40, 196 (227), die auf dieselbe Formel Bezug nehmen, statt des Verhältnismäßigkeitsprinzips aber auf das Gebot abstellen, eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Vgl. auch BVertGE 60, 329 (345). 197 BVerfGE 27, ß8 (100). 192
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ren Zumutbarkeit 198, zum anderen daraus, daß keine Anhaltspunkte fiir die Unzumutbarkeit des Eingriffs vorliegen, dessen Verhältnismäßigkeit 199. Gerade diese beiden Urteile zeigen eindrucksvoll, daß das BVerfG die Begriffe Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne synonym versteht, was al1erdings nicht in allen Entscheidungen hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird.
cc) Die Ansichten anderer Gerichte sowie im Schrifttum Die Unsicherheit, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung offenbart, schlägt sich auch in den Entscheidungen anderer Gerichte nieder. Wahrend das BVerwG in JZ 1974, 672 (675) die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit strikt scheiden will, wird in BVerwGE 38, 68 (70f.) die Zumutbarkeit als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips eingestuft. Im Sinne des zuerst zitierten Urteils entscheidet aber wiederum das OVG Lüneburg200, das feststellt, daß die konkrete Leistungspflicht dem Betroffenen zuzumuten ist und ihn nicht unverhältnismäßig trifft. Auch in der Literatur gibt es eine Mindermeinung, die die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit klar voneinander trennen will. Hauptargument dieser Vertreter ist, daß das Verhältnismäßigkeilsprinzip einen zweckbezogenen Maßstab abgäbe, das Zumutbarkeitsprinzip hingegen wegen seiner Wurzel im Persönlichkeitsrecht des Menschen201 subjektbezogen ausgerichtet sei202 . Während einerseits das Opfer des Betroffenen mit dem Zweck der Regelung in Relation zu setzen sei, werde andererseits ausschließlich auf die Interessenlage des rechtlich Verpflichteten Bedacht genommen203 . Diese beiden Betrachtungsweisen unterschieden sich derart eklatant voneinander, daß man die Zumutbarkeit gegenüber der Proportionalität nur als aliud auffassen könne204 . Sie stellt daher nach Ossenbühl205 eine vollkommen eigenständige, ungeschriebene Schranken-Schranke im Bereich der Grundrechte dar bzw. läßt sich nach Lücke206 aus einer analogen Anwendung des § 242 BGB ableiten. Äußerst kritisch fallen aber auch die Äußerungen Hirschbergs207 aus, der die Zumutbarkeit für eine überflüssige Kategorie hält 198 BVerfGE 47, 109 (119f.). 199 BVerfGE 51, 166 (176). 200 2o1 2o2
s. 9f.
OVG Lüneburg NJW 1976, 385. MaundZippelius, Deutsches Staatsrecht29 , S. 96. Lücke DöV 1974, 769 (771); vgl. auch Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot,
Vgl. Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung, S. 100. Mit dieser Tendenz Ossenbühl, in: Festgabe Jubiläum Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (321ff.). 2os In: Festgabe Jubiläum Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (325f.). 206 Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 83ff. 203
204
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
und sie nur deshalb auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurückführt, weil er dieses aus seiner Sicht für unschädlich hält. Im Gegensatz dazu setzt die herrschende Ansicht im Schrifttum die Begriffe Zumutbarkeit und Proportionalität gleich. So heißt es bei Bettermann/Loh208 unmißverständlich: "Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist das Verbot unzumutbarer Belastung." Eindeutig ist auch die Gleichsetzung seitens von Münch209. Für ihn ist die Zumutbarkeit ein Synonym für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Bei Stein210 heißt es: "Als drittes Element umschließt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne den Grundsatz der Zumutbarkeit, der auch als 'Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne' oder als 'Grundsatz der Proportionalität' bezeichnet wird." Zum gleichen Ergebnis kommen auch noch eine ganze Reihe weiterer Autoren211 . dd) Zwischenergebnis Nach der, wenn auch nicht immer deutlich genug formulierten, Ansicht des Bundesverfassungsgerichts deckt sich der Begriff der Zumutbarkeit mit demjenigen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dieses ist auch die Auffassung des überwiegenden Schrifttums. Dennoch gibt es von seiten der Literatur nicht überhörbare Bedenken gegen derart weitreichende Schlußfolgerungen. Sie resultieren daraus, daß die Zumutbarkeit als subjektbezogener Maßstab mit dem zweckbezogenen Verhältnismäßigkeitsgebot angeblich nur schwer in Einklang gebracht werden kann. Dagegen wird man argumentieren können, daß jede unzumutbare Belastung aus einer zweckorientierten Sicht auch unverhältnismäßig erscheint. Der Zweck darf um einen solchen Preis niemals durchgesetzt werden. Legt man, wie zu Beginn dieses Abschnittes begründet, die vorherrschende Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung zugrunde, bedeutet das, die Zumutbarkeit als einen Teilaspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufzufassen. Nach Canaris und Schwabe wäre der Zivilrecht sprechende Richter im Bereich der unerlaubten Handlungen deshalb dann zu Zumutbarkeitsbetrachtungen verpflichtet, wenn sich als weitere und letzte Voraussetzung das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus den Grundrechten herleiten ließe.
207
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 101.
2os In: BB 1969,70 (72).
In: Grundgesetz4 , Rn. 55 vor 1-19. Staatsrecht 14, S. 242. 211 Leibho/7/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz6 , Art. 20, Rn. 776; Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 12; Degenhart, Staatsrecht 110, Rn. 326; Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 10; Harald Schneider, Die Güterahwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 203, 205; Brichsen DVBI. 1967, 269 (270); Grabitz DVBI. 1973, 675 (683); Sommer DVBI. 1973,481 (482); W. Steinberg BB 1%8,433 (436). 209
210
§ 9 Die Herleitung aus verfassungsrechtlichen Vorgaben
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b) Die Herleitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus Art. 1 Abs. 3 GG bzw. dem Rechtsstaatsprinzip
aa) Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur Auch die Frage nach der verfassungsrechtlichen Herleitung des Verhältnismäßigkeilsprinzips ist lebhaft umstritten. Ähnlich wie bei der Problematik der Einordnung der Zumutbarkeit in das Verhältnismäßigkeilsprinzip kommt wiederum erschwerend hinzu, daß das Bundesverfassungsgericht keine ganz eindeutige Position bezieht. Bezeichnend hierfür ist die Entscheidung BVerfGE 19, 342 (348f.), in der es heißt: "In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist." In dieser Entscheidung werden demnach zwei verschiedene Herleitungswege für den Verhältnismäßigkeilsgrundsatz nebeneinander angegeben 212. Eine Reihe anderer Stellungnahmen des Verfassungsgerichts beziehen sich indes allein auf das Rechtsstaatsprinzip213 , wohingegen nach BVerfGE 16, 194 (202) es allein eine dem Sinn der Grundrechte Rechnung tragende Gesetzesanwendung erfordere, jeden (hoheitlichen) Eingriffsakt am Übermaßverbot zu messen214. Die beiden Ansatzpunkte des Bundesverfassungsgerichts finden sich auch in der Diskussion des Schrifttums wieder215 . Dabei wird die Ableitung des Verhältnismäßigkeilsprinzips aus der Grundentscheidung des Verfassungsgebers zugunsten der Freiheitsrechte des einzelnen bzw. dem Wesen der Grundrechte von Rupp interessanterweise auf Art. I Abs. 3 GG und damit eine positivverfassungsrechtliche Regelung zurückzuführen versucht216. 212 Ebenso BVerfGE 17,306 (313f.); 61, 126 (134). 213 BVerfGE 6, 389 (439); 22, 180 (220); 23, 127 (133); 25, 269 (292); 29, 312 (316); 30, I (20); 38, 348 (368); ebenso BVerwGE 38, 68 (70). 214 Ähnlich BVerfGE 17, 108 (117). Vgl. auch BVerfGE 13, 97 (104f.). 21s Für eine Herleitung sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip als auch aus dem Wesen der Grundrechte etwa Grabitz AöR 98 (1973), 568 (586). Ebenso auf beides beziehen sich Jarass/Pieroth, Grundgesetz3, Art. 20, Rn. 56 und Leibholz/Rincki/Hesselberger, Grundgesetz6 , Art. 20, Rn. 776. Sehr umfassend auch die Herleitung von Schramm, Staatsrecht 14 , S. 266ff mwN. Allein auf das Rechtsstaatsprinzip stellen Maunz/Zippelius, Staatsreche9 , S. 95 ab. Ebenso Katz, Staatsrecht 12, Rn. 205 und Maunz/Dürig/Herzog/Scholzl Herzog, Grundgesetz, Art.. 20, Rn. VII 72: Nach Herzog gewinnt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gerade bei Grundrechtseingriffen an Bedeutung; da der Gedanke aber auch in anderen Bereichen seine Berechtigung habe, spräche das nach Herzog für die Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip. Nur auf die Freiheitsrechte beziehen sich hingegen Wendt, Die Gebühr als Lenkungsmittel, S. 115f. sowie von Münch/Schnapp, Grundgesetz4 , Art. 20, Rn. 27. Wittig DöV 1968, 817 (819f.) stützt sich auf die Freiheitsrechte, Art. 3 Abs. l und I GG. 216 Rupp AöR 92 (1967), 212 (239). Wie Rupp auch von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz3, Art. 1, Rn. 182. Vgl. auch Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 90. Anders
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1. Teil: Die Herleitung des Merkmals der Zumutbarkeit
bb) Eigene Stellungnahme und Schlußfolgerung Rechtsprechung und Schrifttum bieten heute im wesentlichen zwei Wege für die Herleitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und damit des verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsgesichtspunktes an. Die eine Ansicht stellt auf Art. 1 Abs. 3 GG bzw. das Wesen der Grundrechte selbst ab. Leitet sich aber der Zumutbarkeitsgedanke aus den Grundrechten ab und ist nach Canaris und Schwabe der privatrechtsprechende Richter gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden, ist er auch insoweit ohne Spielraum, als er Zumutbarkeitsüberlegungen im Deliktsrecht berücksichtigen muß. Die dem entgegenstehende Rechtsauffassung erkennt im Verhältnismäßigkeitsgedanken und damit im Zumutbarkeitsaspekt einen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Die Entscheidung dieses soeben skizzierten Streites könnte aber dann dahinstehen, wenn der zivilrechtsprechende Richter zumindest nach der Sichtweise Schwabes und Canaris' nicht nur über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte und über diesen Weg an Zumutbarkeitsüberlegungen, sondern auch an das Rechtsstaatsprinzip und damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und deshalb wiederum an Zumutbarkeitsgesichtspunkte gebunden wäre. Eine solche Bindung an das Rechtsstaatsprinzip könnte sich für den zivilrechtsprechenden Richter aus Art. 20 Abs. 3 GG ergeben. Vergleicht man nämlich diese Grundgesetznorm mit Art. I Abs. 3 GG, sind beide Bestimmungen durch eine zumindest sehr ähnliche Zielrichtung gekennzeichnet. Während nach Art. 1 Abs. 3 GG die Rechtsprechung an "die nachfolgenden Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht" gebunden ist, wird sie nach Art. 20 Abs. 3 GG sogar an "Gesetz und Recht" gebunden, was nach unbestrittener Ansicht auch eine Bindung an sämtliche Verfassungsnormen217 und damit zwangsläufig auch an die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip218 bedeutet. Für Schwabe und Canaris muß die Formulierung dagegen Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 78. Kritisch auch Lerche, Übermass und Verfassungsrecht, S. 32f, der hierin einen circulus vitiosus erblickt. Zur petitio principii vgl. Diederichsen, Einführung in das wissenschaftliche Denken, S. 43. 217 Entweder subsumiert man das Grundgesetz unter die Wortgruppe "Gesetz oder Recht" oder man hält dieses Ergebnis für evident (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 20, Rn. VI 24). Ebenso im Ergebnis etwa Jarass/Pieroth, Grundgesetz3 , Art. 20, Rn. 26; Katz, Staatsrecht 12, Rn. 190; Schramm, Staatsrecht 14 , S. 274. 218 Das Rechtsstaatsprinzip als Verfassungsgrundsatz leitet sich seinerseits nach herrschender Ansicht wiederum aus Art. 20 Abs. 3 GG ab: BVerfGE 35, 41 (47); 39, 128 (143); 48, 210 (221); 50, 42 (47); 51, 356 (362); 56, llO (128); 58, 81 (97); BVerwGE 70, 143 (144); BonnerKomm/Wemicke, Grundgesetz, Art. 20, Anm. II 3; von Mangoldt/Klein, Grundgesetz2 , Art. 20, Anm. VII4; Seifert/Hömig/Seifert, Grundgesetz2 , Art. 20, Rn. 9; Badura, Staatsrecht, D46; Benda, In: Handbuch des Verfassungsrechts2 , S. 720; wenn auch unsicher: Degenhart, Staatsrecht 10, Rn. 214; Stein, Staatsrecht'\ S. 158; Stern, Staatsrecht 12 , S. 779f. Auf Art. 20 GG insgesamt stellen hingegen ab: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz7, Art. 20, Rn. 9; Schramm, Staatsrecht 14 , S. 266; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 21. Auf eine Zusammenschau mehrerer Grundgesetznormen und die Gesamtkonzeption des Grundgesetzes berufen sich BVerfGE 30, 1 (24f.); Jarass/Pieroth, Grundgesetz3 , Art. 20,
§ 9 Die Herleitung aus verfassungsrechtlichen Vorgaben
105
des Art. 20 Abs. 3 GG ohne Zweifel die Frage aufwerfen, ob diese Norm genauso wie Art. 1 Abs. 3 GG auch den zivilrechtsprechenden Richter bindet. Dieses werden sie aber wegen ihrer Auffassung zu Art. 1 Abs. 3 GG weder bestreiten wollen noch können: Privatrechtsgesetzgeber und Privatrecht sprechender Richter sind natürlich der Verfassung, letzterer auch dem einfachen Gesetz unterworfen. Dann muß der über einen deliktsrechtlichen Fall urteilende Richter aber auch das Rechtsstaatsprinzip, damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und daher auch Zumutbarkeitsüberlegungen in seine Entscheidung einbeziehen219 • Der Streit, woraus sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip herleiten läßt, kommt für die Auffassung Schwabes und Canaris' demzufolge keinerlei Bedeutung zu. Nach ihren Ausführungen ist es in jedem Fall aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, Zumutbarkeitsüberlegungen im Zivilrecht und demnach auch im Deliktsrecht anzustellen und den Schädiger unter Umständen wegen der Unzumutbarkeit, das deliktsrechtliche Verhaltensgebot zu befolgen, von seiner schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit zu befreien. Allerdings müssen verfassungsrechtliche Vorgaben jeweils auch zugunsten des Geschädigten mitbedacht werden.
IV. Ergebnis Wenn auch von durchaus unterschiedlichen Ansatzpunkten, kommt man sowohl nach der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte als auch nach der Meinung von Canaris und Schwabe zu dem Ergebnis, daß es verfassungsrechtlich zwingend geboten ist, Zumutbarkeitsüberlegungen im Delikts- und im Schadensrecht mitzuberücksichtigen. Im konkreten Fall bestätigt sich daher die Hypothese Alexys, nach der alle Drittwirkungslehren ergebnisäquivalent sind220• Damit ist natürlich noch keine Aussage darüber getroffen, in welchem Umfang Zumutbarkeitsaspekte berücksichtigt werden müssen und inwieweit hierfür neben dem Gesetzgeber dem Zivilrichter Kompetenzen zustehen. Ebenso muß offen bleiben, ob Zumutbarkeitsfragen auch im Deliktsrecht oder aber nur im Schadensrecht eine Rolle spielen. Dieses hatte aber auch die Herleitung des Zumutbarkeitsbegriffes aus der Interessenfortsetzungsfunktion nicht zu zeigen vermocht.
Rn. 21; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz6 , Art. 20, Rn. 627; von Münch/Schnapp, Grundgesetz4 , Art. 20, Rn. 21; Katz, Staatsrecht 12, Rn. 162. 219 Problematisiert wird die Frage nach der "Drittwirkung" des Rechtsstaatsprinzips von Herzog, In: Maun'l/Dürig!Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 20, Rn. I 49-53 und dabei für Art. 20 Abs. 3 GG ohne Einschränkung in Rn. I 51 verworfen. n o Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 483 f. und 491.
Zweiter Teil
Die Verortung des Zumutbarkeitskriteriums im deliktischen Schichtaufbau Der erste Teil der Bearbeitung hat gezeigt, daß Zumutbarkeitsüberlegungen sowohl im Deliktsrecht als auch im Schadensrecht zu beachten sein könnten. Im Schadens- und im Verjährungsrecht lassen sie sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herleiten, im Deliktsrecht sind zwei Begründungswege aufgezeigt worden. Zum einen verlangt die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts nach Zumutbarkeitsbetrachtungen, zum anderen aber auch der Einfluß der Grundrechte im Privatrecht. Dieser zweite Teil soll nunmehr Aufschluß darüber geben, ob es genügt, Zumutbarkeitsfragen ausschließlich im Schadensrecht zu behandeln, oder anderenfalls, an welcher Stelle des deliktsrechtlichen Schichtaufbaus sie berechtigterweise Eingang finden. Dabei kommt der oben in § 3 erörterten Unterscheidung zwischen der objektiven und der subjektiven Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu.
§ 10 Die Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts Ausgangspunkt für Überlegungen, die Zumutbarkeitsfrage ausschließlich im Bereich des Schadensrechts zu behandeln, ist ein Hinweis Deutschs, wonach Fälle denkbar seien, in denen dem Schädiger zwar ein normgemäßes Verhalten unzumutbar, eine Verpflichtung zur schadensrechtlichen Kompensation allerdings gleichwohl zurnutbar sei 1• Unterstellt man die Richtigkeit dieser These, erscheint es nur konsequent, zumindest bei den deliktischen Schadenersatzansprüchen Zumutbarkeitsbetrachtungen lediglich im schadensrechtlichen Bereich anzustellen. Die Schadenersatzpflicht entfiele nämlich nicht mehr automatisch dadurch, daß der haftungsbegründende Tatbestand wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens nicht erfüllt wäre. Ganz im Gegenteil wäre die eintretende Rechtsfolge durch Zumutbarkeitsüberlegungen im haftungsbegründenden Tatbestand gar nicht mehr beeinflußt. Dafür entscheidend wäre allein die Zumutbarkeit der Zahlungsverpflichtung. Das bedeutet, Meßlatte der Zumutbarkeit wäre nach dieser Ansicht lediglich die Belastung durch die Auferlegung der Schadenersatzpflicht, nicht aber auch das I
Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 83f.
§ 10 Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts
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Normgebot: Ist eine Geldzahlung dem Schädiger nämlich zumutbar, ist es nach Deutschs Standpunkt unerheblich, ob ein normgemäßes Verhalten - nach dem haftungsbegründenden Tatbestand - zurnutbar oder unzumutbar war. Man kann sich deshalb auf eine Zumutbarkeitsprüfung im haftungsausfüllenden Tatbestand beschränken. Auf dieses Ergebnis stößt man aber auch, wenn eine Verpflichtung zur Naturalrestitution dem Schädiger unzumutbar ist. Dann scheitert der Ersatzanspruch jedenfalls an dieser letzten Stufe, so daß es allenfalls akademischen Interesses wäre, ob der Anspruch schon an früherer Stelle des Schichtaufbaus abzulehnen wäre. Wenn man sich demnach der Position anschließt, wonach manchmal trotz der Unzumutbarkeit, ein Verhaltensgebot zu beachten, eine Zahlungsverpflichtung zurnutbar sein kann, führt dieses dazu, Zumutbarkeitsaspekte lediglich noch im haftungsausfüllenden Tatbestand und damit im Schadensrecht in die Betrachtung einzubeziehen. Dieses Ergebnis ähnelte sehr der Bestimmung des § 904, S. 2 BGB, die einen Notstandseingriff zwar für gerechtfertigt erklärt, dem Geschädigten aber dessenungeachtet einen Schadenersatzanspruch einräumt. Verbindungen ließen sich möglicherweise auch zu § 829 BGB herstellen, der dem Deliktstäter trotz fehlender Verantwortlichkeit eine Billigkeitshaftung auferlegt. Tatsächlich propagiert Deutsch denn auch für den Fall mangelnder subjektiver Zumutbarkeit eine Billigkeitshaftung analog§ 829 BGB2 .
I. Zumutbarkeitsbetrachtungen beim repressiven und defensiven Rechtsgüterschutz Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch schützt Rechtsgüter im außervertraglichen Bereich in zwei Richtungen. Zum einen wird für sie durch die Zubilligung von Schadenersatzansprüchen repressiver Schutz gewährt und zum anderen genießen sie nicht nur aus§ 823 BGB 3 , sondern auch über die negatorischen und quasinegatorischen Ansprüche direkt aus § 1004 BGB bzw. in Analogie dazu defensiven Schutz. Dabei kommt dem deliktischen Beseitigungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB4 neben § I 004 BGB heute deshalb beinahe keine praktische Bedeutung mehr zu, weil der negatorische Anspruch im Gegensatz zum deliktischenkein Verschulden voraussetzt und daher wesentlich leichter begründbar ist. Deutsch5 hat die Systematik dieser beiden Schutzstränge in seiner Habilitationsschrift näher untersucht und ist dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: Indem Deutsch, Haftungsrecht I, S. 286. Hierzu vgl. RGRK/Pikan12 § 1004, Rn. 12. 4 Er ist von der Rechtsprechung anerkannt: RGZ 148, 114 (122f.); BGHZ 14, 163 (173); 34, 99 (102f.). 5 Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 68ff. und 214. 2
3
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
im Bereich des defensiven Rechtsschutzes auf das Verschuldenserfordemis verzichtet wird, entscheidet sich die Rechtsordnung hier nahezu uneingeschränkt zugunsten der Integrität der schon bestehenden Rechtsgüter. Nur in einigen, sehr umgrenzten Ausnahmefällen wird dieser Schutz zugunsten anderer Interessen durchbrochen. Ganz anders ist demgegenüber durch das Verschuldensprinzip der repressive Rechtsschutz ausgestaltet. Hier setzt sich kraft gesetzlicher Wertung nicht etwa das schon existente Rechtsgut durch, sondern ganz im Gegenteil das Interesse des späteren Schädigers an einem möglichst großen Handlungsspielraum. Nur derjenige, der nicht vor jeder auch noch so entfernten Gefahr Obacht geben muß, hat genügend Freiräume, um Neues schaffen zu können. Im Gegensatz zum defensiven Schutz wird im repressiven Bereich daher das Werdende dem Bestehenden gegenüber bevorzugt. Das Deliktsrecht, das nach überwiegender Auffassung einen Ausgleich zwischen dem Rechtsgüterschutz und der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. I GG, herstellt6 , schlägt sich hier vom Ansatz her eindeutig auf die Seite der Handlungsfreiheit. Das trifft den Geschädigten auch nicht übermäßig, denn er kann anderen gegenüber seinerseits von seinem Handlungsspielraum Gebrauch machen, und das trotz der Gefahr, andere dabei zu schädigen. Für unsere Frage nach dem Stellenwert und der Verortung des Zumutbarkeitsprinzips im Delikts- bzw. Schadensrecht ergeben sich daraus folgende Überlegungen: Intention von gesonderten Zumutbarkeitsbetrachtungen im Deliktsrecht ist es, Interessen des Schädigers, also konkreter seine Handlungsfreiheit ebenso wie seine anderen Freiheitsrechte im weitergehenden Maße als nach dem Gesetzeswortlaut vorgesehen mitzuberücksichtigen. Gleichzeitig gilt, daß im Bereich des repressiven Rechtsschutzes anders als beim defensiven Schutz vermittels des Verschuldensprinzips die Handlungsfreiheit des Schädigers dem Rechtsgüterschutz übergeordnet wird. Setzt man diese beiden Aussagen als Prämissen, folgt daraus, daß Zumutbarkeitsüberlegungen weit eher beim repressiven als beim defensiven Rechtsschutz Berücksichtigung finden können. Im repressiven Bereich erscheinen Zumutbarkeitskriterien nämlich insofern systemkonform, als sie die nach den Gesetzesvorstellungen ohnehin besonders geschützte Handlungsfreiheit des Schädigers dem Schutz bestehender Rechtsgüter gegenüber weiter festigen und verstärken. Im defensiven Bereich hingegen, in dem der Schutz der Integrität der Rechtsgüter nur im Ausnahmefall durchbrochen wird, sprengen Zumutbarkeitsbetrachtungen diese Systematik und bedürfen daher einer weitaus kritischeren Hinterfragung. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Zumutbarkeitsüberlegungen nach der Gesetzessystematik weit eher beim repressiven Schadenersatzanspruch als beim negatorischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch beachtlich sind. 6 von Caemmerer, Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht, S. 395 (396); Deutsch, Haftungsrecht I, S. 27; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 6; M. Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, S. 34 mit. Fn. 2; Wahl, In: Nipperdey, Grundlagen der Reform des Schadensersatzrechts, S. 18 (19); Deutsch JZ 1968, 721 (722); Esser AcP 148 (1943), 121; Kötz, AcP 170 (1970), 1 (3f.); G. Rümelin AcP 88 (1898), 285 (294).
§ I 0 Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts
I 09
II. Zumutbarkeit von Ersatzleistungen bei unzumutbarem Normgebot Dieses Ergebnis soll nunmehr auf Übereinstimmung mit der schon eingangs erläuterten These Deutschs überprüft werden, wonach dem Täter manchmal zwar ein normgemäßes Verhalten unzumutbar, eine Kompensationsleistung aber gleichwohl zurnutbar sein könne7 . Deutsch hat eine solche Position als Ausfluß des privatrechtlichen Interessenabwägungsgrundsatzes charakterisiert: das Zivilrecht verbiete ein einseitiges Abstellen auf die Interessen des Schädigers, so daß es geboten sei, dem Geschädigten wenn schon kein Abwehrrecht, so doch wenigstens einen Schadenersatzanspruch zuzusprechen. Auf die oben verwandte Terminologie übertragen, könnte dieses aber bedeuten, daß es Fälle gibt, in denen zwar ein repressiver, aber zugleich kein defensiver Rechtsschutz gewährt wird. Diese zunächst durchaus plausibel erscheinende Lösung steht jedoch in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den gesetzessystematischen Vorgaben, die soeben entwickelt worden sind. Gesteuert über das Verschuldenserfordemis wird danach dem Schädiger gerade umgekehrt zwar vielfach die Verpflichtung zum repressiven Schadensausgleich erlassen, das Schutzgebot muß er im Rahmen des defensiven Rechtsschutzes allerdings gleichwohl beachten. Es gibt daher eine ganze Reihe von Fällen, in denen nur defensiver, nicht aber auch repressiver Rechtsschutz gewährt wird. Das aber schließt jedenfalls im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB Versuche aus, dem Schädiger trotz der Unzumutbarkeit, das Rechtsgebot einzuhalten, eine als zurnutbar eingestufte Schadenersatzpflicht aufzuerlegen. Repressiver Rechtsschutz entfällt daher - von Ausnahmeregelungen in den §§ 829, 904, S. 2 BGB abgesehen - immer gleichzeitig mit dem defensiven Rechtsschutz. Wenn schon die Befolgung des Normgebotes unzumutbar ist, kommt es daher grundsätzlich auf die Zumutbarkeit, den Schaden vollständig ersetzen zu müssen, nicht mehr an 8. Schadenersatz muß deshalb nur dann gezahlt werden, wenn es sowohl zurnutbar erscheint, das Normgebot einzuhalten, als auch den Schaden in voller Höhe zu ersetzen. Die Zumutbarkeit, eine Kompensationsleistung zu erbringen, ist daher nach der eindeutigen Gesetzessystematik nicht der alleinige Zumutbarkeitsgesichtspunkt, der eine Schadenersatzverpflichtung ausschließt. Damit ist aber belegt, daß es nicht genügt, Zumutbarkeitsüberlegungen ausschließlich im Schadensrecht anzustellen, sondern Zumutbarkeitsaspekte vielmehr auch schon im haftungsbegründenden Tatbestand mitberücksichtigt werden müssen. Zum anderen bedeutet dieses, daß eine Schadenersatzverpflichtung trotz unzumutbaren Normgebotes mit dem deutschen Haftungsrecht, wenn auch vorbehaltlich einer analogen Heranziehung der §§ 904, S. 2, 829 BGB, nicht in Einklang zu bringen ist. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 83f. s Ebenso Foerste, In: von Westphalen (Hrsg.), Produkthaftungshandbuch, Band I, § 24, Rn. 56. Nach ihm macht das Gesetz die Haftung für unerlaubte Handlungen nicht davon abhängig, ob dem Schädiger die Schadenersatzleistung leichtfällt, ihm also zurnutbar ist. 7
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
111. Vereinbarkeil mit der Dogmatik zu den Verkehrspflichten Bedenken gegen die aus einer systematischen Gesetzesanalyse entwickelte Prämisse, wonach repressiver Rechtsschutz grundsätzlich zumindest den gleichen, in der Regel aber sogar noch weitreichenderen Einschränkungen als der defensive Rechtsschutz unterliegt, zeigen sich aber, wenn man die Verkehrspflichten ins Blickfeld nimmt: Die schuldhafte Verletzung einer Verkehrspflicht löst nämlich repressiven Rechtsschutz aus, wohingegen es umstritten ist, ob auch defensiver Rechtsschutz gegen eine drohende Verkehrspflichtverletzung in Anspruch genommen werden kann.
1. Die Position Steffens
Tatsächlich stößt man bei der Kommentierung Steffens im RGRK9 auf Aussagen zur Problematik der Verkehrspflichten, die Deutschs These stützen, dem Geschädigten Schadenersatzansprüche ganz unabhängig davon zuzusprechen, ob dem Schädiger die Erfüllung des Verhaltensgebotes zurnutbar war: Steffen führt zunächst aus, daß Verkehrspflichten grundsätzlich so zu fassen seien, daß der Deliktsschuldner sie auch real erfüllen könne, was die Frage der Zumutbarkeit miteinschließe. Bei dieser Aussage dürfe man aber nicht verharren, wenn man akzeptiere, daß das Haftungsrecht nicht etwa festlege, ob der Schädiger faktisch in der Lage war, den Schaden abzuwenden, sondern vielmehr darauf abstelle, ob es seine unzureichenden Möglichkeiten ausschlössen, ihn die finanzielle Verantwortung für den Schaden übernehmen zu lassen. Steffen zufolge soll das Deliktsrecht gewissen Rechtsgütern nämlich einen unantastbaren Mindestschutz garantieren. Der Geltungsanspruch dieser Rechte soll auf dem fixierten Niveau stets, d. h. ohne jede nur denkbare Einschränkung, durch die Zubilligung eines Schadenersatzanspruches dokumentiert werden. Schadenersatz muß also trotz individueller Schwächen, die die Befolgung des Normgebotes unzumutbar erscheinen lassen, grundsätzlich ohne Abstriche gezahlt werden. Darin manifestiere sich das unangreifbare Ausgleichsbedürfnis der Schutzgüter. Daß die Verkehrspflicht dabei ein faktisch unerfüllbares Gebot aufstellt, ist nach Steffen schon deshalb unerheblich, weil der von einer Verletzung Bedrohte ohnehin keine Erfüllung der Verkehrspflicht verlangen könne. Verkehrspflichten hätten ihre Funktion danach ausschließlich im Bereich des repressiven Rechtsschutzes. Dort wiesen sie dann Haftungszuständigkeiten zu, vor allem im Bereich mehrerer angrenzender Herrschafts- und Organisationsbereiche. Es gehe bei ihnen also nicht mehr so sehr darum, den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei mittelbaren Rechtsgutverletzungen zu bestimmen, sondern vielmehr darum, Schadenslasten auszuwählen und neu zuzuweisen.
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12. Auflage,§ 823, Rn. 139 u. 149; ebenso in VersR 1980,409 (410).
§ I 0 Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts
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2. Die Position Mertens'
Eine Gegenposition zur Ansicht Steffens ist von Mertens aufgebaut worden 10. Mertens wendet sich entschieden dagegen, rein fiktive Verkehrspflichten zu definieren. Diese müßten ernsthafte Handlungsanweisungen darstellen und deshalb zumindest von einer Idealperson noch faktisch erfüllbar sein. Das folge schon daraus, daß die Erfüllung von Verkehrspflichten mit dem negatorischen oder quasinegatorischen Anspruch einklagbar sei. Deshalb gehe es nicht an, über die Verkehrspflichten aus Gründen einer gerechten Schadensdistribution ex post neue Haftungstatbestände zu kreieren. Daß Verkehrspflichten sich häufig als Erfolgseinstandspflichten gerierten, liege unter anderem 11 daran, daß die Verkehrspflicht über einen langen Zeitraum beständig erfüllt werden müßte. Dieses aber sei physisch, aber auch wirtschaftlich in vielen Fällen nicht realisierbar, so daß der Schädiger die Verkehrspflicht häufig nicht beachte und sich stattdessen auf einen - wirtschaftlich für ihn lukrativeren - Schadensausgleich einließe.
3. Eigene Stellungnahme
Der Standpunkt Steffens ist meiner Meinung nach aus drei Gründen nicht haltbar: Er geht von der falschen Voraussetzung aus, daß Verkehrspflichten nicht einklagbar sind, bezeichnet die Ausgleichsfunktion unzutreffenderweise als Zweck des Haftungsrechts, und seine Auffassung läßt sich auch mit dem deliktsrechtlichen Verschuldensprinzip nicht vereinbaren. a) Einklagbarkeif von Verkehrspflichten
Während Steffen die Ansicht vertritt, Verkehrspflichten beinhalteten keine Erfüllungsansprüche12, hat Mertens 13 keine Bedenken, gegen eine rechtswidrige Verkehrsgefährdung negatorischen und damit defensiven Rechtsschutz zu gewähren. Tatsächlich hat auch Stiebler in seiner Dissertation über den vorbeugenden Rechtsschutz vor Verkehrspflichtverletzungen 14 nachgewiesen, daß es in der Literatur und Rechtsprechung deutliche und seiner Ansicht nach auch berechtigte Bestrebungen gibt, defensiven Rechtsschutz auch gegenüber gegenwärtigen oder drohenden Verkehrspflichtverletzungen zu eröffnen. VersR 1980, 397 (405). Der andere Grund sei die Isolierung des Konflikts zwischen Schädiger und Geschädigtem im Haftungsprozeß. 12 VersR 1980, 409 (410) sowie in : RGRK 12 § 823, Rn. 149. 13 VersR 1980, 397 (405). 14 Diss. jur. Osnabrück 1986. IO
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
Aus der Rechtsprechung sind bislang zwei Urteile veröffentlicht worden 15 , die unter gewissen Voraussetzungen eine Klage auf Erfüllung einer Verkehrspflicht für zulässig halten. Das ist zum einen LG Bückeburg NJW 1956, 1363. Danach muß ein Straßenbenutzer, dem eine Gefahr droht, nicht bis zum Schadenseintritt warten, sondern er darf schon vorher mit der beseitigenden Unterlassungsklage die Einhaltung der Verkehrspflicht einklagen. Nach AG Marbach MDR 1988, 231 kann eine unselbständige Verkehrspflicht in eine nach § 1004 BGB selbständig einklagbare Gefahrabwendungspflicht umschlagen, wenn Rechtsgüter im Rang von Leben oder Gesundheit unmittelbar gefährdet sind und sie ein bloß repressiver Rechtsschutz nur unzureichend absichern würde. Einklagbar ist nach Auffassung des Amtsgerichts daher die Verkehrspflicht, einen Goldfischteich in einer Reihenhaussiedlung nur so anzulegen, daß spielende Nachbarkinder nicht hineinfallen können. In der Literatur hat zu der vorliegenden Problematik zuerst Münzberg 16 Stellung bezogen. Nach ihm kann die Erfüllung der Verkehrspflicht zwar grundsätzlich nicht gerichtlich durchgesetzt werden. § 1004 BGB statte aber solche zwar vorhandenen, aber normalerweise nicht erzwingbaren "allgemeinen" Unterlassungspflichten mit dem Merkmal der Einklagbarkeit aus. Auch nach Henckel 17 werden über die Unterlassungsklage deliktische Verkehrspflichten dann gerichtlich einklagbar, wenn dafür ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, weil ein lediglich repressiver Rechtsschutz nicht ausreichend wäre. Von Bar 18 hat dann auf dem Karlsruher Forum 1983 präzisiert, wann ein die beseitigende Unterlassungsklage rechtfertigendes Rechtsschutzbedürfnis seiner Auffassung nach vorliegt. Es muß ihmzufolge eine konkrete Gefahr für jemanden bestehen, der eine besondere Nähe zum Gefahrenherd hat und dem eine eigenständige Schadensvorsorge trotz Kenntnis nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich wäre. Diese Kriterien sind schließlich von Stiebler bestätigt worden 19 , wobei er allerdings bei der Frage nach der Zumutbarkeit, eine Ausweichmöglichkeit zu nutzen, sehr strenge Maßstäbe anlegen wile0 . Stoll21 hingegen meint, aus der Verletzung einer Verkehrspflicht dürfe nicht auf die Rechtsbehelfe des defensiven Rechtsschutzes geschlossen werden. Bei einer aktuellen Bedrohung, die einen solchen Grad erreicht habe, daß sie einer Störung des Rechtsgutes gleich geachtet werden müsse, entspringe der Anspruch auf Gefahrbeseitigung allerdings unmittelbar dem bedrohten Rechtsgut Ausgehend von rechtsvergleichenden Untersuchungen kommt Stoll damit zu demselben Ergebnis 15 Ein drittes unveröffentlichtes Urteil zitiert Stiebler, Vorbeugender Rechtsschutz vor Verkehrspflichtverletzungen, S. 74 mit LG München v. 22. 11. 1956 -9 Q 26/56. 16 In: JZ 1967, 689 (692). 17 In: AcP 174 (1974), 97 (112) mit Fn. 28. 1s Karlsruher Forum 1983, 80 (84). 19 Vorbeugender Rechtsschutz vor Verkehrspflichtverletzungen, S. 91ff. 20 Stiebler, Vorbeugender Rechtsschutz vor Verkehrspflichtverletzungen, S. 137. 21 In: Festschrift für Merz, S. 729 (731, 745f.).
§ I0 Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts
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wie von Bar, ohne dabei jedoch die dogmatische Verankerung des Beseitigungsanspruchs anzugeben. Seine ablehnende Haltung gegen die Einklagbarkeit von Verkehrspflichten wird von ihm mit der Sorge begründet, dieses könne darauf hinauslaufen, unter dem Deckmantel des Rechtsgüterschutzes die persönliche oder wirtschaftliche Bewegungsfreiheit eines nur potentiell Bedrohten zu schützen. Diese Bedenken werden aber ausgeräumt, indem der defensive Rechtsschutz gegen Verkehrspflichtverletzungen von einer konkreten Gefährdung abhängig gemacht wird. Faßt man die Aussagen in Rechtsprechung und Literatur zusammen, gibt es keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, Klagen zuzulassen, die auf die Erfüllung von Verkehrspflichten gerichtet sind. Zwar kann die Erfüllung von Verkehrspflichten in aller Regel nicht verlangt werden; das aber hat keinen dogmatischen, sondern vielmehr ausschließlich einen rechtspraktischen Grund: Defensiver Rechtsschutz nach § 1004 BGB ist ausgeschlossen, wenn der Geschädigte die Gefahr kennt und ihr mit zurnutbarem Aufwand ausweichen kann. Kenntnis von der Gefahr hat der durch die Sorglosigkeit des Taters Bedrohte aber stets, denn anderenfalls könnte er gar keine Klage erheben. Deshalb kommt es bei der Frage, ob die Einhaltung der Verkehrspflicht eingeklagt werden kann, meistens allein darauf an, ob das Opfer der Gefahr ausweichen kann. Die Schlußfolgerung Steffens22 , weil die Erfüllung der Verkehrspflichten nicht verlangt werden könne, dürfe der Sorgfaltsstandard normativ höher angesetzt werden als es den eigentlich bestehenden faktischen Möglichkeiten des Schädigers entspräche, ist meines Erachtens gleichwohl unzutreffend. Verkehrspflichten sind nach allem potentiell auch einklagbare Gefahrabwendungspflichten. b) Interessenfortsetzungsfunktion als Hauptzweck des Deliktsrechts
Ein weiteres Argument, Zumutbarkeitsgesichtspunkte und damit individuelle Schwächen auf seiten des Schädigers nur eingeschränkt mitzuberücksichtigen, leitet Steffen aus dem Hauptzweck des Deliktsrechts ab. Der durch die Verkehrspflichten definierte Sorgfaltsstandard müsse manchmal normativ überhöht werden, um dem Ausgleichsbedürfnis der Schutzgüter23 bzw. dem Schadenstragungszweck der Haftungsnorm24 Genüge zu tun. Dieser Begründung muß entgegengehalten werden, daß schon oben in §§ 7 und 8 nachgewiesen wurde, daß dem Haftungsrecht nicht etwa das Ausgleichsprinzip, sondern vielmehr der Interessenfortsetzungsgedanke zugrundeliegt Danach soll sich im Deliktsrecht das jeweils höherrangige rechtlich geschützte Interesse fortsetzen. Da aber der im Gesetz umschriebene haftungsbegründende Tatbestand nicht alle Interessen hinreichend einzubeziehen vermag, bedarf er der Ergänzung 22 23 24
In: RGRK 12 § 823, Rn. 149. RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 139. Steifen VersR 1980, 409 (410).
8 Scholz
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
um das Merkmal der Zumutbarkeit. Aus dem Haftungszweck läßt sich also genau im Gegensatz zur Position Steffens gerade ableiten, daß Zumutbarkeitsüberlegungen im Deliktsrecht eine nicht unbedeutende Rolle spielen. c) Das Verschuldensprinzip als Basis des Deliktsrechts
Als letztes Argument führt Steffen an, das Deliktsrecht schütze Rechtsgüter in der Weise, daß ein gewisser Standard an Schutz sogar dann gewahrt bliebe, wenn die individuellen faktischen Möglichkeiten des Deliktsschuldners zur Verhütung der Verletzung gar nicht ausreichten. Deshalb dürften Zumutbarkeitsgesichtspunkte nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen Eingang in das Deliktsrecht finden und damit Verkehrspflichten nicht stets begrenzen. Auf der anderen Seite warnt Schäfer25 aber davor, die deliktsrechtliche Verschuldeushaftung durch die unzureichende Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu einer Gefährdungshaftung weiterzuentwickeln. Denn dieses sei ausschließlich dem Gesetzgeber gestattet. Eine Stellungnahme zu dieser Kontroverse kann man nur abgeben, wenn man sich der Funktion des Verschuldeusgrundsatzes im Deliktsrecht vergewissert: Dabei nimmt die heute ganz vorherrschende Ansicht26 - fußend auf den Gesetzesmaterialien27- an, daß das Verschuldeusprinzip dem einzelnen das notwendige Maß an Handlungs- und Bewegungsfreiheit garantiere. Anderenfalls bestünde die Gefahr, daß die menschliche Initiativbereitschaft und Unternehmungslust übermäßig eingeschränkt würde28 . Gegenstimmen, die man noch kurz nach lokrafttreten des BGB vernehmen konnte, sind heute fast ganz verstummt. Damals nahm man an, daß allein eine Erfolgshaftung die Bewegungsfreiheit des Schädigers auf ein vertretbares, auch die Interessen des Geschädigten einbeziehendes, Niveau begrenzen könne29 . Außerdem sei dem Normalbürger gar nicht bewußt, daß ihn nur Schuldhaftes Unrecht zum Schadenersatz verpflichte. Deshalb bestimmten ganz andere In: Staudinger 12 § 823, Rn. 313. von Caemmerer, Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht, S. 395 (396); Deutsch, Haftungsrecht I, S. 27; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 6; M. Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, S. 34 mit Fn. 2; Wahl, In: Nipperdey, Grundlagen der Reform des Schadenersatzrechts, S. 17 (18); Deutsch JZ 1968, 721 (722); Esser AcP 148 (1943), 121; Kötz AcP 170 (1970), I (3f.); G. Rümelin AcP 88 (1898), 285 (294); vgl. auch RGRK/Steffen 12, Rn. 7 vor§ 823; Ebenso der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften - Teil 2, hrsg. vom BMJ, S. 8. 27 Bericht der 2. Reichstags-Kommission über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 8; Prot. II, S. 569. 28 Dagegen mit Hinweis auf die gegenteiligen Erfahrungen der ungarischen Praxis: Marton AcP 162 (1963), 1 (22 u. 78f.). 29 Adler, Unverschuldetes Unrecht, S. 19; Müller-Erzbach AcP 106 (1910), 309 (375); dagegen M. Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden. S. 34 mit Fn. 2. 25
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§ 10 Zumutbarkeit als ausschließliche Kategorie des Schadensrechts
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Faktoren als gerade das Verschuldeosprinzip die Unternehmungsfreudigkeit der Rechtssubjekte 30. Nach allem kann man festhalten, daß das Verschuldensprinzip im Haftungsrecht bewirkt, jedermann einen bestimmten unantastbaren Freiraum an Handlungs- und Bewegungsmöglichkeiten zu garantieren. Die Behauptung Steffens, das Deliktsrecht verschaffe den Rechtsgütern einen gewissen Mindestschutz, muß daher um die Aussage ergänzt werden, daß es auch einen Mindeststandard an Bewegungsfreiheit sichert. Dem Gebot, Rechtsgütern ein bestimmtes Geltungsniveau zu erhalten kann man dabei über eine Steuerung des Sorgfaltsstandards nachkommen. Die Vorgabe, keine erforderlichen Bewegungsfreiräume einzuschränken, bedingt, daß grundsätzlich nur solche Verkehrspflichten aufgestellt werden dürfen, die auch erfüllbar sind. Definiert man nämlich unrealistische Verkehrspflichten, also solche, die entweder faktisch nicht erfüllbar sind oder deren Erfüllung unterbleibt, weil dies zu verlangen dem Schädiger unzumutbar wäre, wird seine Bewegungsfreiheit unterlaufen. Er kann der Schadenersatzpflicht in diesem Fall nur ausweichen, wenn er auf die schadensstiftende Handlung verzichtet, obwohl diese grundsätzlich durch seine Handlungsfreiheit gedeckt ist. Damit wird die Haftung für Verkehrspflichtverletzungen aber- worauf Schäfer31 mit Reche2 hingewiesen hat- zur Gefährdungshaftung. Die (gefährliche) Handlung wird im Zuge der allgemeinen Bewegungsfreiheit gestattet, aber es muß für nahezu jeden Schadenserfolg eingestanden werden. Insofern kann man der Aussage Mertens33 vollauf zustimmen: Zwar weist sowohl die Gefährdungshaftung als auch die Verkehrspflichthaftung als Gegenleistung für die Erlaubnis, bestimmte gefährliche Tätigkeiten auszuüben, Schadenslasten zu 34 . Insofern ist auch unbestritten, daß die Verkehrspflichten die Deliktshaftung gegenüber den Tatbeständen der §§ 823ff. BGB erweitem 35 • Im Gegensatz zum Schuldner der Gefährdungshaftung muß der Schuldner der Verkehrspflicht nach Ansicht Mertens aber die Pflicht noch erfüllen können, d. h. die Verkehrspflicht darf nicht fiktiv oder absurd, sondern muß eine ernsthafte Handlungsanweisung sein. Verkehrspflichten verlangen also nichts Unmögliches 36. Die 30 Mauczka, Der Rechtsgrund des Schadenersatzes außerhalb bestehender Schuldverhältnisse, S. 104 u. 151ff.; Gegen die Prämisse, der Bürger kenne das Verschuldensprinzip nicht: M. Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, S. 34 mit Fn. 2. 31 In: Staudinger 12 § 823, Rn. 313. 32 Nach Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 260ff. sind solche fließenden Übergänge zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung allerdings in der Praxis nicht zu vermeiden und auch nicht illegitim. Ebenso Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr, S. 279 und von Bar, Verkehrspflichten, S. 129ff., der es für möglich hält, mit Hilfe der Verkehrspflichten noch - wenn auch nur ausnahmsweise- systemkonforme Garantiepflichten aufzustellen (S. 144). Diese wären aber eigentlich in einer Generalklausel für Gefährdungshaftung aufzunehmen. 33 Mertens VersR 1980, 397 (405). 34 Jahn JuS 1965, 165 (167) meint, daß die Grenze zur Gefährdungshaftung dadurch überschritten wird, daß die Gefährdung als solche zur Haftungsgrundlage wird. Er behauptet, Verkehrspflichten dürften nur an die Verpflichtung anknüpfen, eine Gefahrenquelle zu sichern. 35 Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 254. 8*
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
erweiternde Funktion der Verkehrspflichten darf also keinen Vorwand dafür hergeben, auf das Verschuldensprinzip indirekt zu verzichten. Die Aussage Steffens37, der Sorgfaltsstandard dürfe bei den Verkehrspflichten höher angesetzt werden als es die individuellen faktischen Möglichkeiten des Schädigers, die Verkehrspflicht erfüllen zu können, erlaubten, widerspricht daher dem deliktsrechtlichen Verschuldensprinzip. Andererseits kann sich natürlich manchmal auch die Funktion des Haftungsrechts, einen Mindeststandard der Rechtsgüter zu sichern, durchsetzen 38, vornehmlich wenn es um den Schutz des Lebens oder der Gesundheit geht. Insofern ist es unschädlich, daß sich die Verschuldenshaftung nicht mehr von der Gefahrdungshaftung unterscheiden läßt und dadurch das angebliche Analogieverbot hinsichtlich Gefährdungshaftungstatbeständen umgangen wird. Dieser Mindestschutz der Rechtsgüter greift aber nicht in dem weiten Umfang, wie von Steffen angenommen, weil der Kommentator die Bedeutung des Deliktsrechts, dem Schädiger Bewegungsfreiräume zu verschaffen, nur unzulänglich berücksichtigt. Es ist daher falsch, wenn Steffen Zumutbarkeitsbetrachtungen im Normalfall dadurch ausschaltet, daß er auf einen gebotenen Mindestschutz der Rechtsgüter verweist. Dieses gerade soll das Verschuldeusprinzip verhindern. Deshalb trifft es zu, wenn Esser39 anmerkt, daß bei den Verkehrspflichten "zuweilen der Deliktsgedanke durch Prüfung der Zumutbarkeit wieder auftaucht. Im allgemeinen wird aber diese Frage schlechthin übergangen ... , [so] daß die Haftung keine deliktischemehr ist." Auch Stoll40 meint, das Verschuldensprinzip "würde erst mißachtet, wenn den Verkehrsteilnehmern Pflichten auferlegt werden, deren Erfüllung unzumutbar ist." Und nach Foerste41 schließlich dient die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten der "Wahrung des Schuldprinzips".
IV. Ergebnis Es ist mit dem geltenden Haftungsrecht nicht vereinbar, dem Schädiger eine (zumutbare) Schadenersatzlast aufzuerlegen, obwohl ihm ein normgemäßes Verhalten unzumutbar war. Dafür sprechen Gründe der Gesetzessystematik: Insbesondere das Verschuldensprinzip verwehrt es, Zumutbarkeitsbetrachtungen eher beim defensiven als beim repressiven Rechtsschutz zu berücksichtigen. Damit entfällt aber Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 258. In: RGRK 12 § 823, Rn. 149. 38 Vgl. Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 258 (Umrüstung der Turnhalle). 39 Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 34. 40 Stall, Das Handeln auf eigene Gefahr, S. 278. 41 Foerste JA 1990, 177 (178 u. 180). 36 37
§ II Die Zurnutbarkeit als Basis der Adäquanzlehre
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auch die Basis für Überlegungen, Zumutbarkeitsfragen ausschließlich als Kategorie des Schadensrechts zu behandeln. Dagegen spricht auch nicht die Dogmatik der fast ausschließlich repressiven Rechtsschutz eröffnenden Verkehrspflichten. Es sind allein rechtstechnische Gründe, die bei ihnen einen defensiven Rechtsschutz in aller Regel versagen lassen. Außerdem unterliegt schon die Bestimmung der Verkehrspflicht der Einschränkung der Zumutbarkeit, was wiederum auf das Verschuldeosprinzip zurückzuführen ist. Deshalb gibt es auch bei den Verkehrspflichten keine Anhaltspunkte dafür, Zumutbarkeitsfragen ausschließlich auf der Rechtsfolgenseite zu behandeln. Die gesetzessystematischen Überlegungen im I. und li. Teil, aber auch die Ausführungen zu den Verkehrspflichten im III. Teil haben einen deutlichen Hinweis darauf gegeben, daß Zumutbarkeitsüberlegungen auf der dritten Stufe des deliktischen Schichtaufbaus, also dem Verschulden, einzuordnen sein könnten. Nach Esser und Stoll würde nämlich das Verschuldeosprinzip mißachtet, wenn man unzumutbare Verkehrspflichten kreierte.
§ 11 Die Zumutbarkeit als Basis der Adäquanzlehre Verortung der Zumutbarkeit im haftungsbegründenden Tatbestand auf der Stufe der Adäquanzprüfung Sowohl im Bereich des haftungsausfüllenden als auch in demjenigen des haftungsbegründenden deliktischen Tatbestandes wird immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit Gesichtspunkte der Adäquanz die Kausalitäts- oder die Zurechnungsproblematik beeinflussen. Von mancher Seite wird daher im haftungsbegründenden Bereich nicht nur ein Verletzungsverhalten, ein Verletzungserfolg und eine Kausalbeziehung zwischen beiden verlangt, sondern darüber hinaus auch gefordert, daß der Verletzungserfolg adäquate Folge der schädigenden Handlung bzw. Unterlassung war. Dabei werden die Überlegungen zur Adäquanz zumindest von seiten der Rechtsprechung immer wieder mit Zumutbarkeitsgesichtspunkten in Verbindung gebracht. Im nachfolgenden soll es zunächst darum gehen, inwieweit sich die Ansicht des BGH durchgesetzt hat, Zumutbarkeitsaspekte in das Adäquanzurteil miteinfließen zu lassen. Erst danach kann zu der Frage Stellung genommen werden, ob die Verortung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten bei der Adäquanz eine tragfähige Lösung darstellt. Dieses hängt maßgeblich davon ab, ob man der Adäquanz im haftungsbegründenden Tatbestand überhaupt eine eigenständige Funktion beimißt
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
I. Die Verbindung des Adäquanzurteils mit Zumutbarkeitsüberlegungen in der Rechtsprechung Schon im dritten Band der amtlichen Entscheidungssammlung hat der Bundesgerichtshof eine Verbindungslinie zwischen der Adäquanzfrage und dem Zumutbarkeitsaspekt gezogen42 . Dort heißt es, daß die Adäquanz keine Frage der Kausalität betreffe, sondern die Grenze festlege, "bis zu der dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann." Später wird noch einmal klargestellt, daß jede unzumutbare Folge auch inadäquat ist43 . Der I. Zivilsenat folgt damit der Auffassung, die sein Vorsitzender Richter Fritz Lindenmaier schon 1948 in einem Beitrag für die Wüstendörfer-Festschrift entwikkelt hatte. Lindenmaier hatte dort die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung trotz fehlender Adäquanz als rechtsmißbräuchlich und daher als mit § 242 BGB unvereinbar bezeichnet. Der Schadenersatzpflicht müssen seiner Meinung nach Schranken gesetzt werden, "soweit rechtspolitische und rechtsethische Grundsätze diese Haftung als unzumutbar erscheinen lassen"44 • Lindenmaier präzisierte damit eine Entscheidung des Reichsgerichts45 , das die Adäquanzbetrachtung auf Billigkeitsaspekte zurückgeführt hatte. In späteren Entscheidungen hat der BGH sein frühes Urteil immer wieder bestätigt46 und dabei besonders herausgestellt, daß die Frage nach der Adäquanz nicht nur eine nach der statistischen Wahrscheinlichkeit sei, sondern eine wertende Beurteilung erfordere, d. h. einer Korrektur durch Billigkeits- und Zumutbarkeitsüberlegungen bedürfe47 , welche sich aus§ 242 BGB rechtfertige48 .
II. Die Gegenposition in der Literatur Das Echo auf diese Rechtsprechung des BGH war sehr unterschiedlich. Neben einigen zustimmenden49 hat es auch eine ganze Reihe von äußerst kritischen StirnBGHZ 3, 261 (267). BGHZ 3, 261 (269). 44 Lindenmaier, In: Festschrift für Wüstendörfe r, S. 111 (143). 45 RG HRR 1933 Nr. 498. 46 BGHZ 20, 137(142f.)zurRentenneurose;BGHZ42,118(124);BGHNJW 1952,1010 (1010f.). Offengelassen in BGH LM Nr. 27 zu§ 823 BGB (C), Blatt 2. 47 BGHZ 18, 286 (288). 48 BGH NJW 1952, 1010 (1011). 49 Die Formel des BGH wird übernommen von Staudinger/Weber 11 § 242, Rn. B 17. Recht gibt dem BGH auch von Caemmerer, Gesammelte Schriften I, S. 395 (409). Unklar Dunz JZ 1960, 507 (510), der die Formel des BGH übernimmt, aber die Adäquanz sogleich mit der Fahrlässigkeit in Beziehung setzt. Nach Sieg JZ 1956, 178 bietet sich für die Lösung der Zurechnungsfrage zwanglos § 242 BGB an. 42
43
§ 11 Die Zumutbarkeit als Basis der Adäquanzlehre
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men gegeben: Auf der Linie des BGH liegt freilich Steffen50, der Zumutbarkeitsbetrachtungen neben dem Verschulden auch der Adäquanz zuordnet. Sie korrigierten allerdings nur das statistisch-mathematische Wahrscheinlichkeitsurteil und nähmen dabei heute zunehmend eine selbständige Stellung außerhalb des Adäquanzurteils ein. Dieses ist auch die Position Schäfers5 1, der die Begrenzungsformel des BGH "in der Formulierung für weniger gelungen" bezeichnet, sie aber sachlich mit der Maßgabe aufrechterhält, daß er die vom BGH angemahnte wertende Betrachtung, die Zumutbarkeitsgesichtspunkte einschließt, zusätzlich neben das Adäquanzurteil stellt. Der wohl gravierendste Einwand gegen die Zurückführung des Adäquanzurteils auf Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte ist unter anderem von Raiser52 erhoben worden. Er meint, daß durch die Verwässerung mit anderen Kriterien der Grundgedanke der Adäquanztheorie, Erkenntnisse der empirischen Wahrscheinlichkeit für die Zurechnungsfrage fruchtbar zu machen, weitgehend aufgegeben würde. Dem pflichtet Esser53 bei. Der BGH habe mit seiner Rechtsprechung den Boden der ursprünglichen Adäquanzlehre verlassen54 , dem Schädiger gänzlich unwahrscheinliche Verletzungen nicht zuzurechnen, und tendiere seitdem zu einem neuen allgemeinen Zurechnungskriterium. Auch Wemer55 meint, der BGH vertrete nun nicht mehr die Adäquanz-, sondern eine durch § 242 BGB gemilderte Äquivalenztheorie, die in dieser Form mit dem geltenden Schadenersatzrecht unvereinbar sei. Folge dieser Aufweichung des Adäquanzurteils ist nach Raiser56 ein Zustand großer Rechtsunsicherheit; die Zurechnung der Verletzung zum Verletzungsverhalten sei anders als bei einer Wahrscheinlichkeits- oder Risikoerhöhungsbetrachtung unberechenbar geworden57 . Von Larenz und Wolf58 sind darüber hinausgehend beachtliche rechtssystematische Bedenken vorgetragen worden: Lindenmaier, auf den sich der BGH maßgeblich stütze, habe das seiner Ansicht die Adäquanz mitprägende Zumutbarkeitskriterium aus § 242 BGB abgeleitet. Dieses sei aber nicht zulässig, da § 242 BGB nur für das Verhalten innerhalb bestehender Rechtsbeziehungen gelte, ein solches Rechtsverhältnis aber zum Zeitpunkt der deliktischen Handlung im Regelfall noch gar nicht existiere59 . Wolf kritisiert, daß eine Billigkeits- oder ZumutbarkeitsbeIn: RGRK 12 § 823, Rn. 79 und 116. 51 In: Staudinger12 , Rn. 85 vor§§ 823ff. 52 In: JZ 1963,462 (463). 53 Esser, Schuldrecht4 , S. 304. 54 Ebenso Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, S. 59f. mit Fn. 135. 55 In: Staudinger 10111 Rn. 36 vor§§ 249ff. In diesem Sinne auch Heinrich Lange AcP 156 (1957), 114 (134). 56 In: JZ 1963, 462 (463). 57 Wie Esser auch Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht 15 , S. 66 mit Fn. 7 und S. 70; Kirchberger NJW 1952, 1000; Larenz NJW 1955, 1009 (lOllf.). 58 Larenz NJW 1955, 1009 ( 1011 ); Wolf, Der Normzweck im Deliktsrecht, S. 8. 5o
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
trachtung zwar ein bestehendes, positives Urteil über die Zurechnung eines Verletzungserfolges zum deliktischen Verhalten korrigieren könne, aber grundsätzlich nicht in der Lage sei - wie es der BGH praktiziere -, eine Zurechnung selbst positiv zu begründen. Reimer Schmidt60 verweist schließlich darauf, daß die Adäquanz ein objektives Zurechnungskriterium darstellen solle, die Zurückführung auf die Zumutbarkeit und § 242 BGB hingegen zur Berücksichtigung auch subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte im Rahmen der Adäquanz führte.
111. Zwischenergebnis Die Auffassung des BGH, Zumutbarkeitsaspekte als Basis der Adäquanztheorie anzusehen, hat sich in der Literatur nicht durchzusetzen vermocht. Selbst diejenigen Autoren, die sich wie Schäfer oder Steffen aufgeschlossen zeigen, Billigkeitsund Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Rahmen der objektiven Zurechnung mitzuberücksichtigen, wollen diese Überlegungen zum Teil vom Adäquanzurteil losgelöst halten. Hinzu kommt der berechtigte Einwand Larenz ' gegen den BGH, daß von ihm angestellte Zumutbarkeitsüberlegungen jedenfalls im Bereich des haftungsbegründenden Tatbestandes nicht auf § 242 BGB gestützt werden können. Hierfür fehlt es an einem bestehenden qualifizierten sozialen Kontakt, der Voraussetzung für gegenseitige auf § 242 BGB zurückgehende Treuepflichten ist. Dennoch könnten sich Zumutbarkeitsbetrachtungen im Rahmen der Adäquanz natürlich möglicherweise sowohl aus der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts als auch aus verfassungsrechtlichen Vorgaben ableiten lassen.
IV. Fehlendes Bedürfnis einer Adäquanzprüfung im haftungsbegründenden deliktischen Tatbestand Die Rolle eines Einfallstores für Zumutbarkeitsbetrachtungen im Deliktsrecht könnte das Adäquanzkriterium aber nur dann übernehmen, wenn ihm überhaupt eine selbständige Funktion im haftungsbegründenden deliktischen Tatbestand zukäme. Dieses ist heftig umstritten, wobei die Rechtsprechung dazu neigt, die Zurechnung im haftungsbegründenden Tatbestand durch das Adäquanzprinzip zu begrenzen. Demgegenüber faßt die überwiegende Literaturmeinung die Adäquanz nur als Vorstufe zum Verschulden auf und glaubt deshalb, auf eine Adäquanzprüfung in diesem Bereich verzichten zu können.
59
V gl. oben § 5 III.
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In: Soergel/Siebert9 §§ 249-253, Rn. 21.
§ 11 Die Zumutbarkeit als Basis der Adäquanzlehre
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1. Die Position der Rechtsprechung
Wenn auch ohne Auseinandersetzung mit den Argumenten der Literatur hat der Bundesgerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen immer wieder bestätigt, daß ein Verletzungserfolg einem Schädiger nur dann zugerechnet wird, wenn der Erfolg adäquate Folge des Verhaltens ist61 . Zwei andere Urteile erwähnen demgegenüber zwar die Gegenansicht, nehmen zu ihr aber keine Stellung und lassen die Problematik, ob es einer Adäquanzprüfung im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestandes bedarf, in den Entscheidungsgründen explizit offen. Urteile, die auf das Adäquanzkriterium verzichten, finden sich überhaupt nicht62.
2. Stellungnahmen im Schrifttum
In der Literatur hat der BGH für seine Ansicht überwiegend keine Gefolgschaft gefunden. Geschieht dieses trotzdem, setzt man sich mit den Argumenten der herrschenden Lehre zumeist nicht auseinander, sondern behauptet lediglich, der haftungsbegründende Tatbestand verlange nach einer Adäquanzprüfung63 . Eine Ausnahme bilden hier nur Lange und Medicus64, auf deren Gegenargumente zur herrschenden Ansicht aber erst später eingegangen werden soll. Demgegenüber stößt man in der Literatur auf zahlreiche Stimmen, die sich im Nachgang zur Schrift Traegers über den Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht65 darauf berufen, daß der Verschuldensbegriff den Adäquanzgedanken beinhalte und eine eigenständige Adäquanzprüfung im haftungsbegründenden Deliktstatbestand daher überflüssig sei66. Traeger gewinnt seine Ansicht aus einem Vergleich der An61 BGHZ 41 , 123 (125); BGH LM Nr. 36 zu § 823 (C) BGB, BI. 1; VersR 1976, 166 (168); VersR 1980, 648 (649). 62 Bezeichnend BGHZ 79, 259 (262), wo ausgeführt wird, vorsätzlich herbeigeführte Tatfolgen seien immer adäquat, im Bereich der Haftung für Fahrlässigkeit sei die Adäquanz aber zu prüfen. 63 Soergel/Mertens 12 , Rn. 121 vor§ 249; Brox, Besonderes Schuldrecht 19 , Rn. 438; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse 16, S. 64; Fikentscher, Schuldrecht8 , Rn. 479ff. In seiner 2. Auflage auch noch Esser, Schuldrecht, S. 229. Anders aber in der 4. Auflage des Schuldrechts, Allgem. Teil, S. 300. 64 Hermann Lange, Schadensersatz2 , S. 97; Lange JZ 1976, 198 (200); Staudinger/Medicus12 § 249, Rn. 48; Medicus, Bürgerliches Recht 16, Rn. 646. 65 Marburg 1904, S. 219f. 66 Ohne nähere Begründung findet sich diese Position etwa bei Esser, Schuldrecht, Allgern. Teil4 , S. 300; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten, S. 151 mit Fn. 150; Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14, S. 441 mit Fn. 65; Wolf, Der Normzweck im Deliktsrecht, S. 23f. ; von Caemmerer DAR 1970, 283 (286); Huber, in: Festschrift für Wahl, S. 301 (330f.); Weitnauer, In: Festschrift für Oftinger, S. 321 (326). Im Ergebnis auch Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck, S. 20 u. 47 und Karlsruher Forum 1983, S. 184, der die Adäquanzproblematik von der Normzwecklehre mitumfaßt sieht.
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
forderungen, die - allerdings im Strafrecht - an das Vorsatz-, Fahrlässigkeits- und an das Adäquanzurteil gestellt werden. Während Vorsatz verlange, daß der Täter den wahrscheinlichen Erfolg voraussähe, erfordere Fahrlässigkeit, daß der mehr oder weniger wahrscheinliche Erfolg vom Täter bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit vorhersehbar wäre. Demgegenüber sei Adäquanz immer schon dann anzunehmen, wenn der Erfolg für einen ein- und umsichtigst handelnden Täter unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten vorhersehbar wäre67 • Daraus folgert Traeger mit Recht, daß jeder schuldhaft verursachte Erfolg auch adäquat verursacht werde, denn die Adäquanz gäbe danach nur die äußerste Grenze der Verschuldeosfähigkeit an. Dann aber erledige sich, soweit wie im Deliktsrecht ein verschuldeter Erfolgseintritt verlangt werde, die Frage nach der Adäquanz von selbst, und zwar auch im Zivilrecht68. Die Traegerschen Ergebnisse sind in neuerer Zeit vornehmlich noch einmal von Deutsch überprüft und dabei bestätigt worden69. Auch er bezeichnet die Adäquanz als die verdünnte bzw. gelockerte Vorhersehbarkeit des Erfolgs- oder Schadenseintritts70 . Während die Adäquanz die menschenmögliche Vorhersehbarkeit verlangte, begnüge sich die im Verkehr erforderliche Sorgfalt mit der normalen vom Verkehr verlangten Vorhersehbarkeit71 . Damit sei das Verschulden das engere und deshalb auch allein maßgebliche Vorhersehbarkeits- und damit Zurechnungskriterium72. Deutschs eingehende Analyse zeigt, daß entweder Gemeinsamkeiten zwischen Fahrlässigkeit und Adäquanz bestehen[!], die Sorgfalt an den Schädiger leichter zu erfüllende Anforderungen stellt, die das strenge Adäquanzurteil verdrängen müssen[3], oder aber die Sorgfalt der umfassendere, sämtliche Adäquanzmomente aber gleichwohl enthaltende Begriff ist[2]: [1] Adäquanz und Sorgfalt erfüllten zunächst eine gleichlautende Funktion und hätten auch dasselbe Bezugsmoment: Sie sollten Spielräume menschlicher Initiative bewahren und zeigten dabei eine Wertung auf, die sich jeweils auf den tatbestandsmäßigen Erfolg bezöge. Außerdem handelten sie zumindest formal von der selben Sache, nämlich der Erkennbarkeil bzw. Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts73 . [2] Die Sorgfalt umfaßte allerdings im Gegensatz zur Adäquanz nicht nur die Erkennbarkeil eines Umstandes, sondern auch ein Verhalten. Dabei bezöge sich die Kenntnis bei der Sorgfalt auch nicht nur auf den Erfolg, sondern zusätzlich noch auf die anderen Tatbestandsmerkmale74 . [3] Schließlich stelle die Adäquanzprüfung insofern größere Anforderungen als die Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, S. 167f. Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, S. 194 u. 219f. 69 Ausführlicher auch die Begründungen von RGRK!Steffen 12 § 823, Rn. 80; Huber JZ 1969, 677 (680); Eike Schmidt VersR 1970, 395. 70 Deutsch JZ 1966, 556 (558); JZ 1972, 551 (552). 11 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 151. 72 Deutsch JZ 1966, 556 (558); JZ 1972, 551 (552). 73 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 119. 74 Deutsch JZ 1967, 641. 67
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§ 11 Die Zurnutbarkeit als Basis der Adäquanzlehre
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Sorgfalt, als sie nicht nur eine im Verkehr notwendige, sondern sogar nach einer menschenmöglichen Sorgfähigkeit verlange75 und beim Wahrscheinlichkeitsgrad tendenziell strengere Maßstäbe setze76 • Gegen die Annahme eines Stufenverhältnisses zwischen Adäquanz und Verschulden hat sich vornehmlich Hermann Lange77 gewandt. Er führt aus, daß die Adäquanz nicht stets eine Vorstufe zum Verschulden sei, sondern sich in manchen Fällen auch deutliche Unterschiede zeigten. Beispielhaft führt er die Verkehrspflichten an, deren Verletzung nach häufig vertretener Auffassung schon dann verschuldet sei, wenn lediglich die Gefahrenlage und nicht auch der später tatsächlich eingetretene Erfolg vorhersehbar war. Davon abgesehen, daß diese Verschuldenserleichterung bei den Verkehrspflichten mit dem Gesetz kaum in Einklang zu bringen ist, wäre es meiner Meinung nach dann aber auch konsequent, den Bezugspunkt der Adäquanz ebenfalls neu festzusetzen. Ein weiteres Argument führt Medicus78 an: Ihm zufolge wäre die Adäquanzprüfung im haftungsbegründenden Tatbestand zwar eigentlich nicht notwendig, aber doch in denjenigen Fällen hilfreich, in denen das Urteil über ein Verschulden hinsichtlich der Kausalbeziehung zwischen Verhalten und Erfolg Schwierigkeiten bereite. Dem widerspricht aber zu Recht Larenz 79, wenn er davor warnt, vom sicheren Boden der Fahrlässigkeit auf den unsicheren der Adäquanz überzutreten und somit - seiner Auffassung nach - wichtige Elemente der Rechtswidrigkeilsfrage schon auf der Tatbestandsebene abzuhandeln.
V. Zusammenfassung Die überzeugenderen Argumente sprechen dafür, die Adäquanz als eine Vorstufe zum Verschulden anzusehen. Das bedeutet, eine Adäquanzprüfung kann immer dann entfallen, wenn eine Haftung Verschulden voraussetzt. Für den haftungsbegründenden deliktischen Tatbestand kann deshalb auf eine Adäquanzprüfung verzichtet werden. Das gilt allerdings nicht für den haftungsausfüllenden Tatbestand, da sich das deliktische Verschulden nicht auch auf den Schaden beziehen muß. Weil das Schadensrecht ein durch das deliktische Verhalten entstandenes Schuldverhältnis ausgestaltet, wird der haftungsausfüllende Tatbestand allerdings ohnehin durch § 242 BGB und damit auch durch Zumutbarkeitsgesichtspunkte mitbestimmt. Es ist daher weder erforderlich noch geboten, das Adäquanzkriterium mit zusätzlichen Zu75
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Deutsch JZ 1967,641. Deutsch, Haftungsrecht I, S. 151 . Schadensersatz2 , S. 97 sowie JZ 1976, 198 (200). In: Staudinger 12 § 249, Rn. 48. JZ 1964, 179 (180).
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
mutbarkeitskriterien zu befrachten. Adäquanz und Zumutbarkeit stehen hier vielmehr nebeneinander80. Dennoch legt es das Bestreben des BGH, die Adäquanz und damit ein Vorhersehbarkeitsurteil mit Zumutbarkeitsüberlegungen anzureichern, nahe, Zumutbarkeitsaspekte später mit einem anderen Vorhersehbarkeitsurteil, nämlich demjenigen der Fahrlässigkeit, in Beziehung zu setzen.
§ 12 Die Verortung der objektiven Zumutbarkeit als Faktor für die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt sowie der subjektiven Zumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund Ziel des nachfolgenden Kapitels soll es sein, das Einfallstor für Zumutbarkeitsüberlegungen im deliktischen Schichtaufbau endgültig festzulegen. Nachdem zuvor eine Verortung ausschließlich auf der Stufe des haftungsausfüllenden Tatbestandes ebenso wie eine solche im Rahmen eines Adäquanzurteils verworfen wurde, kommen für die Einordnung nur noch die Ebenen der Rechtswidrigkeit und des Verschuldeus in Betracht. Dabei wird zumindest von Steffen behauptet, der Standort von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Haftungstatbestand hänge davon ab, ob man sich der Lehre vom Verhaltens- oder derjenigen vom Erfolgsunrecht verschreibe: Die Vertreter des verhaltensbezogenen Haftungskonzepts siedelten Zumutbarkeitsfragen im Bereich der Rechtswidrigkeit an; diejenigen, die sich auf das erfolgsbezogene Unrechtsurteil festlegten, erörterten dieselben Probleme im Rahmen von Adäquanz und Verschulden 81 . Soweit möglich soll jedoch eine Lösung entwickelt werden, die einer Festlegung entbehrt, welcher Unrechtslehre Folge zu leisten ist. Das wird allerdings für den Bereich der objektiven Zumutbarkeit82 bedeuten, daß ihre endgültige Verortung im Schichtaufbau des Deliktstatbestandes von einer im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht entschiedenen Prämisse abhängig bleibt.
I. Die Position der Rechtsprechung Mehr nebensächlich als explizit wird der Standort des Zumutbarkeitsgedankens von der Rechtsprechung festgelegt. Dieses geschieht außerdem widersprüchlich 80 81
82
Ebenso RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 79 u. 116; Staudinger/Schäfer12 Rn. 85 vor§§ 823ff. RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 116. Zur Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Zumutbarkeit vgl. oben § 3.
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
125
mid ohne den Versuch, zwischen objektiver und subjektiver Zumutbarkeit zu unterscheiden83: Am deutlichsten wird die Position des Bundesgerichtshofes noch in der ersten Entscheidung aus dem Jahre 195284 . Nach diesem Urteil des 3. Zivilsenats handelt nur derjenige fahrlässig, dem es auch zurnutbar ist, sich seinen (möglichen) Erkenntnissen über die Gefährlichkeit einer bestimmten deliktischen Handlung oder Unterlassung gemäß zu verhalten und die Gefährdung zu vermeiden. Das bedeutet, Pflichtwidrigkeit kann nur demjenigen vorgeworfen werden, der die ihm zurnutbare Sorgfalt außer acht läßt. Der BGH hat in diesem Urteil also angenommen, daß die Zumutbarkeit ein in die erforderliche Sorgfalt einfließender Aspekt ist. Bestätigt worden ist diese Entscheidung u.a. durch ein Urteil des 6. Zivilsenats aus dem Jahre 195385 sowie zwei weitere Entscheidungen im Jahre 197686, die sich mit Sportverletzungen beschäftigten. Danach kann man von einer Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit Fahrlässigkeit nur sprechen, wenn ein die Gefahr vermeidendes Verhalten im zu beurteilenden Fall auch zumutbar war. Zumindest im zweiten Urteil des Jahres 1976 hat der BGH durch die Bezugnahme auf die Legaldefinition des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB deutlich gemacht, daß er den Sorgfaltsmaßstab als durch Zumutbarkeitsgesichtspunkte relativiert betrachtet87. Das gilt auch für ein Urteil aus dem Jahre 1981 88 : Darin wird die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auf die Vomahme solcher Maßnahmen begrenzt, deren Aufwand mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Verletzungsfolgen noch zurnutbar erscheint89. Aus dieser Reihe schert jedoch ein Urteil - wiederum des 6. Zivilsenats - aus dem Jahre 1972 aus. Im Rahmen von Ausführungen zu§ 836 BGB, also dem Fall einer positivgesetzlich geregelten Verkehrspflicht, wird die Zumutbarkeit vom BGH einmalig mit der Rechtswidrigkeit in Verbindung gebracht: Wäre die Umgestaltung des Bauwerkes dem Eigentümer wegen der hierfür anfallenden hohen Kosten nicht zurnutbar gewesen, so hätte sich der Eigentümer nicht rechtswidrig verhalten.
83 Dennoch verwendet der BGH an anderer Stelle den Terminus objektive Zumutbarkeit: BGH VersR 1973, 126 (127). Ausführungen zur subjektiven Zumutbarkeit macht demgegenüber OLG Hamm VersR 1977,757. 84 BGH LM Nr. 1 zu § 828 BGB. 85 BGH JZ 1954, 297f. 86 BGH NJW 1976, 957 (958) und NJW 1976, 2161 (2162). Ebenso BGH VersR 1970, 374 (375). 87 Wie der BGH auch OLG Hamm VersR 1985,296 (297). 88 6. Zivilsenat: BGHZ 79, 259 (262). 89 Vgl. noch RG Gruchot 48, 784 (789), wo ebenfalls nur eine zurnutbare Aufmerksamkeit im Rahmen des § 276 BGB verlangt wird. Auch nach RGZ 152, 129 (142) soll die Zumutbarkeit das Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt begrenzen.
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
II. Stellungnahmen im Schrifttum Uneinheitlich sind auch die Stellungnahmen im Schrifttum, wobei besonders auffällig ist, daß man fast durchweg auf die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen anderer Autoren verzichtet und ausschließlich eine den eigenen Vorgaben entsprechende Einordnung vornimmt. Auf diese Weise wird die Zumutbarkeit einmal als Bestandteil der Rechtswidrigkeit90, von einer recht großen Zahl von Autoren aber als Verschuldeoselement bezeichnet. Häufiger wird die Zumutbarkeit auch als ein die im Verkehr erforderliche Sorgfalt mitprägendes Kriterium eingestuft, wobei die Sorgfalt dann wiederum entweder auf der Stufe der Rechtswidrigkeil oder derjenigen des Verschuldeos angesiedelt wird. Dabei erkennt nur Canaris91, daß dieses für den Vorsatzbereich keine Lösung darstellen kann. Eine letzte Gruppe differenziert schließlich zwischen der objektiven und der subjektiven Zumutbarkeit, wobei beide Elemente erneut uneinheitlich zugeordnet werden.
1. Die Zumutbarkeit als Verschuldeoselement
Für eine Einordnung der Zumutbarkeit auf der Verschuldeosebene hat sich zunächst Werner im Jahre 1930 ausgesprochen. Für ihn ist für die Annahme von Fahrlässigkeit erforderlich, "daß dem Handelnden Rücksicht auf den (vielleicht als entfernt möglich) vorauszusehenden Erfolg zuzumuten war'm. Denkbar erscheint bei dieser Formulierung aber auch, daß Werner die Zumutbarkeit speziell bei der Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mitberücksichtigen wollte93 . Das läßt sich für von Caemmerer94 ausschließen: Ihmzufolge muß zusätzlich zum Verstoß gegen eine "objektive Sorgfaltspflicht" auch noch die persönliche Vorwerfbarkeit hinzukommen95 . Das bedeutet, der Deliktsschädiger haftet nicht, wenn "der Täter das von ihm in der konkreten Situation rechtlich Geforderte nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht erkennen oder leisten konnte oder weil ihm das So offenbar SoergeliWol/ 2 § 276, Rn. 33. Anders aber ders. in Rn. 40, 90, 97, 118. Canaris JZ 1963, 655 (657). 92 Staudinger/Wemer9 Anm. B I 2b vor§§ 275-282. 93 Unklar auch die Position Weitnauers VersR 1961, 1057 (1059), der den Einwand, das im Verkehr Erforderliche sei nur mit wirtschaftlich unverhältnismäßigen und daher unzumutbaren Mitteln möglich, zwar im Verschuldensbereich, nur jedenfalls nicht im Rahmen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt berücksichtigen will. 94 von Caemmerer Karlsruher Forum 1961, 19 (25) und Festschrift 100 Jahre Deutscher Juristentag, Bd. II, S. 49 (128f.). Wie er auch MünchKomm/Hanau 3 § 276, Rn. 28, der allerdings in Rn. 71 f. für einen übergesetzlichen Entschuldigungsgrund und in Rn. 96 für eine Modifikation des Sorgfaltsmaßstabes plädiert. Vgl. noch ders., Rn. 120 und 130. 95 Ob die zivilrechtliche Haftung Vorwerfbarkeit voraussetzt, ist umstritten. Dagegen unten mehr. Hier vgl. nur Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2, Rn. 123. 90 91
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zurnutbarkeit
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sachgerechte Verhalten im Einzelfall aus besonderen Gründen nicht zurnutbar war." Einen anderen Weg schlägt demgegenüber Nipperdey ein96 : Er stuft den Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund ein. Den Täter trifft seiner Ansicht nach kein Schuldvorwurf, "wenn ihm ein normgemäßes Verhalten nach den Umständen des Falles, namentlich wegen des auf ihm lastenden ungewöhnlichen seelischen Druckes schlechterdings nicht zuzumuten war". Nipperdey hat mit dieser Ansicht in der Literatur mehrfach Gefolgschaft gefunden97 .
2. Die Zumutbarkeit als Bestimmungsmerkmal der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt Eine zweite, ebenfalls stark verbreitete Ansicht hält die Zumutbarkeit demgegenüber - in vermutlicher Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH für eines von mehreren Bestimmungsmerkmalen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dabei ist zumindest von Esser98 ein möglicher Zusammenhang zwischen beiden Meinungen aufgezeigt worden: Im klassischen Modell des "reasonable man" oder des "diligens pater familias" seien Zumutbarkeitsgesichtspunkte integraler Bestandteil des Schuldbegriffes, der erst durch sie zu einem individuellen Schuldmaßstab werde. Demgegenüber verlange der Begriff der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach einer Beurteilung der Zumutbarkeitsfrage vom Schadenserfolg99 her. "Erforderlich" ist nach Esser daher nur eine solche Sorgfalt, die mit Blick auf eine gerechte Verteilung des Schadensmaßes (auch) zurnutbar ist. Eine solche Hinentwicklung zur Verortung bei der Sorgfalt propagiert auch Canaris 100. Folgerichtig durchgeführt, verlange das deliktische Verschuldensprinzip nach der Enneccerus/Nipperdey Allgern. Teil 11 15 , S. 1325. Jauemig!Vollkomme? § 276, Anrn. I 4e. Ausnahmsweise und bei restriktiver Handhabung will auch Palandt/Heinrichs54 § 276, Rn. 7 einen solchen Schuldausschließungsgrund zulassen. Wie Nipperdey auch MünchKomrn!Hanau 3 § 276, Rn. 71, der sich in Rn. 28 allerdings von Caemmerer angeschlossen hatte, sich aber hier nun stark der strafrechtlichen Doktrin annähert(Rn. 72). Nach Rn. 96 soll auch der Sorgfaltsmaßstab von Zurnutbarkeitsüberlegungen mitbestimmt werden. Vgl. noch Rn. 120 und 130. Ebenfalls für die Einstufung auf der Verschuldeosebene RGRK!Steffen 12 , Rn. 80, 114 und 116: Steifen plädiert nämlich für die Lehre vorn Erfolgsunrecht (Rn. 114) und eliminiert Adäquanzfragen aus dem haftungsbegründenden Tatbestand (Rn. 80). Deshalb präzisiert sich seine für mehrere unterschiedliche Prämissen abgefaßte Position zur Verortung des Zurnutbarkeitskriteriurns im deliktsrechtlichen Schichtaufbau (Rn. 116) zur Einordnung auf der Verschuldensebene. 98 Esser JZ 1953, 129 (133f.). Eine Verbindungslinie mit der Verortung auf der Adäquanzebene zieht hingegen Dunz NJW 1960,507 (510). 99 Richtiger müßte hier allerdings auf den Verletzungserfolg abgestellt werden. Das Verschulden muß sich nämlich im Deliktsrecht-jedenfalls bei § 823 Abs. I BGB - nur auf die Verletzung, nicht auch auf den Schaden beziehen. wo Canaris JZ 1963,655 (657) 96 97
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
Anerkennung eines allgemeinen Entschuldigungsgrundes der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. Dieser könne bei fahrlässigen Taten mittels des Begriffes der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, bei vorsätzlicher Begehung hingegen als ein selbständiges Schuldelement berücksichtigt werden. Bei der fahrlässigen unerlaubten Handlung bedeutet das Verlangen nach der Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt also dieser Auffassung nach auch, daß nur ein Verstoß gegen die dem Durchschnittsbürger zurnutbare Sorgfalt eine Haftung auslöst 101 : Ansatzpunkt für diese Ansicht ist, daß Fahrlässigkeit zum einen die Möglichkeit, die Gefährlichkeit der Tat zu erkennen und zum anderen die Fähigkeit voraussetzt, sich dieser Einsicht gemäß verhalten zu können (sogen. Vermeidbarkeit). Die Vermeidbarkeil wird wiederum als Einfallstor für Zumutbarkeitsüberlegungen gewertet 102 : Ein gefahrvermeidendes Verhalten muß dem Deliktstäter danach - etwa durch das Ergreifen von zurnutbaren Schutzmaßnahmen 103 - zurnutbar sein. Wolf umschreibt das derart, daß allein durch die Berücksichtigung auch der wirtschaftlichen Zumutbarkeit von Sorgfaltsmaßnahmen eine korrekte Abwägung zwischen dem Interesse des Deliktsschädigers an der Wahrung seiner Handlungsfreiheit und dem Bedürfnis des Deliktsopfers an der Unversehrtheil seiner Rechtsgüter möglich ist 104. Anders ausgedrückt wird nach Wolf die Interessenfortsetzungsfunktion des Deliktsrechts nur durch die Einbeziehung von Zumutbarkeitsüberlegungen erfüllt.
1o1 Soergel!Wol/ 2 § 276, Rn. 97; Eike Schmidt, Fahrlässigkeit und Rechtfertigung im Bürgerlichen Recht, S. 68f. 102 RGRKJA(ff 2 § 276, Rn. 12; Soergel!Wol/ 2 § 276, Rn. 97, 118. Dagegen, wenn auch für den Bereich des Strafrechts, Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 443f. mwN zur strafrechtlichen Diskussion: Engisch will die Zumutbarkeit hier noch nicht in die Definition der Pflicht (Sorgfalt) einfließen lassen, sondern ausschließlich nach der Unzumutbarkeit fragen, die Pflicht (Sorgfaltsanforderungen) erfüllen zu müssen. Später hat er seine Auffassung dann im wesentlichen revidiert. Vgl. dazu unten 3.a. 103 V. Huber, In: Festschrift für E.R. Huber, S. 253 (279). 104 Soergel!Wol/ 2 § 276, Rn. 90. Vgl. noch Rn. 40. In Rn. 33 behauptet Wolf hingegen, eine "Pflichtverletzung", allerdings im Rahmen eines Vertrages, sei dann nicht rechtswidrig, wenn sie "allgemein unzumutbar" wäre. Noch anders ist offenbar die Position von Zeuner JZ 1961, 41 (45). Zeuner meint, daß sowohl bei der vertraglichen Leistungspflicht als auch bei der deliktischen Erfolgsabwendungspflicht beim Unterlassungsdelikt die Frage nach der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt schon eine solche der Rechtswidrigkeit und nicht erst des Verschuldens sei. Beide Pflichten hätten aber gewisse Grenzen. Hierbei führt Zeuner dann Gesichtspunkte an, die sich auch unter dem Stichwort "Zumutbarkeit" behandeln ließen. Dieses legt den Schluß nahe, daß Zeuner Zumutbarkeitsüberlegungen ebenfalls im Rahmen der Sorgfalt berücksichtigen will, diese aber bei der Rechtswidrigkeit einordnet.
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
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3. Einordnungsvorschläge bei Unterscheidung in objektive und subjektive Zumutbarkeit Eine dritte Gruppe von Autoren ordnet Zumutbarkeitsgesichtspunkte weder allein als Schuldausschließungsgrund noch lediglich als Bestimmungsmerkmal der Sorgfaltspflicht ein. Sie differenziert zunächst zwischen den in § 3 dieser Arbeit definierten und so bezeichneten Kategorien der objektiven und der subjektiven Zumutbarkeit und ordnet diese an unterschiedlichen Stellen des deliktischen Schichtaufbaus ein. a) Die Position von Engisch
Engisch 105 unterscheidet danach, ob mit dem Einwand der Unzumutbarkeit die Problematik des rechtlichen Sollens oder diejenige des tatsächlichen Könnens angesprochen wird. Das Sollensgebot ist ihrnzufolge betroffen, wenn die Zumutbarkeitsfrage darauf ausgerichtet ist, ob etwas vernünftigerweise als Sorgfalt gefordert werden kann. Dieser- von mir als objektiv bezeichnete - Zumutbarkeitsaspekt soll als ein ,,regulatives Prinzip" 106 Überspannungen der Sorgfaltsanforderungen verhindern und so die Grenzen von Recht und Unrecht zu bestimmen helfen. Demgegenüber gehe es bei der Könnenskategorie der Zumutbarkeit darum, ob die auch unter Einbeziehung objektiver Zumutbarkeitskriterien so bestimmte Sorgfaltsanforderung im konkreten Fall von der gerade betroffenen Person trotzdem zu hohe Anforderungen an seine individuelle seelische Widerstandskraft stellt. Daß ihr die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dann nur schwer möglich sei, müsse für sie in diesem Fall zum Schuldausschluß führen. Zusammengefaßt plädiert Engisch also dafür, Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit in die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit die Rechtswidrigkeit einfließen zu lassen, Aspekte der subjektiven Zumutbarkeit hingegen auf der Schuldebene einzuordnen. b) Die Position von Münzberg
Eine Unterscheidung in eine meiner Terminologie nach objektive und subjektive Zumutbarkeit führt auch Münzberg 107 durch. Die Frage nach der objektiven Zumutbarkeit ist seiner Meinung nach angesprochen, wenn es darum geht, ob die Rechtsordnung eine beliebige Person in einer bestimmten Situation überhaupt mit Engisch, in: Festschrift 100 Jahre Deutscher Juristentag, Bd. I, S. 401 (420). Von Henkel, in: Festschrift für Mezger, S. 249 (267) übernommener Begriff. 107 Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, S. 278. 105
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
einer Rechtspflicht belastet. Ist dieses nicht der Fall, so ist Münzberg zufolge schon die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausgeschlossen. Bei der subjektiven Zumutbarkeit, wenn es also darum geht, ob dem Deliktsschädiger die Nichterfüllung einer ihn tatsächlich treffenden Rechtspflicht wegen zu starker Beanspruchung gerade seiner Kräfte ausnahmsweise verziehen werden kann, handele es sich hingegen um einen Schuldausschließungsgrund. c) Die Position von Deutsch
Wie Münzberg kommt auch Deutsch zu einer Einordnung der beiden Zumutbarkeitsgesichtspunkte einerseits auf der Stufe der Rechtswidrigkeit und andererseits auf derjenigen des Verschuldens: Die objektive Zumutbarkeit stuft er als Rechtfertigungsgrund ein 108, bei subjektiver Zumutbarkeit kann das Verhalten seiner Auffassung nach nicht als schuldhaft-f3.hrlässig bezeichnet werden 109• Dessenungeachtet findet man bei Deutsch aber auch Ausführungen, die eine Einordnung der Zumutbarkeit im Rahmen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nahelegen. Die persönlichen Sorgfaltsanforderungen sollen ihmzufolge dann sinken, wenn die spezifischen Eigenheiten des Schädigers sein Sorgfaltsvermögen vermindern und er diese geringeren Fähigkeiten entweder gar nicht ausgleichen kann oder ihm dieses nicht zurnutbar ist sowie eine Zurechnung auch aus dem Gesichtspunkt des Übemahmeverschuldens nicht vertreten werden muß 110. Später heißt es dann, daß "unter Sorgfaltsgesichtspunkten dem Handelnden ... ein Abstehen von der Handlung nicht mehr zuzumuten sein" kann, sowie daß der "Handwerker auf dem Lande, dem Recherchen nach einem Patentschutz nicht zuzumuten sind, erst von Zustellung der Unterlassungsklage seitens des Patentinhabers an sorgfaltswidrig handelt" 111 . Zuvor soll die fehlende Zumutbarkeit eines solchen Verhaltens daher offenbar die Sorgfaltswidrigkeit ausschließen. An anderer Stelle seiner Habilitationsschrift schließt sich Deutsch schließlich Engisch an: Der Zumutbarkeitsbegriff habe eine doppelte Bedeutung, wobei die - nach hier verwendeter Terminologie - subjektive Zumutbarkeit sorgfaltswidriges Verhalten mit dem Prädikat fehlenden Verschulden belege 112• Demgegenüber wertet er die objektive Zumutbarkeit als eines von mehreren Bestimmungsmerkmalen der sogenannten inneren Sorgfalt, ohne sich aber festzulegen, an welcher Stelle des Schichtaufbaus diese einzuordnen ist 113 • Die Unzumutbarkeit, eine an sich geforderte Sorgfalt einzuhalten, schlösse danach die innere Sorgfalt und damit fahrlässiges Verhalten aus, 108 109 110 111 112 113
Deutsch, Haftungsrecht I, S. 211. Deutsch, Haftungsrecht I, S. 286. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 192. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 262. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 187. Deutsch JZ 1988, 993 (996).
§ I 2 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
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wenn sich eine Haftung nicht aus dem Gesichtspunkt des Übemahmeverschuldens ableiten ließe.
111. Die gesetzliche Regelung in§ 5 Abs. 1 KSchG Betrachtet man alle Gesetzesnormen 114, in denen der Begriff ,,Zumutbarkeit" als Tatbestandsmerkmal genannt wird, fallt eine arbeitsrechtliche Bestimmung ins Auge, die den Zumutbarkeitsgedanken mit der Sorgfalt in Beziehung setzt. Es handelt sich dabei um § 5 Abs. 1 KSchG, der die Zulassung verspäteter Kündigungsschutzklagen regelt: Auf Antrag kann danach die Klage nachträglich zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer die Klagefrist "trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt" versäumt hat. Nachfolgend soll es darum gehen, das in Rechtsprechung und Literatur offenbarte Verständnis dieser Norm aufzuzeigen, um daraus ggfs. Rückschlüsse für das Verhältnis von Zumutbarkeitsaspekten und der Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch im Deliktsrecht zu ermöglichen. Dabei wird sich zeigen, daß die Norm des § 5 Abs. 1 KSchG durchaus unterschiedlich aufgefaßt wird, wobei es insgesamt drei verschiedene Ansichten gibt.
1. Die vorherrschende Ansicht
Die herrschende Auffassung 115 will einen Klagantrag nur dann nachträglich zulassen, wenn den Arbeitnehmer an der Fristversäumnis kein Verschulden, d. h. auch keine leichte Fahrlässigkeit trifft. Maßgeblich sei dabei die dem konkret betroffenen Arbeitnehmer in seiner individuellen Situation und nach seinen persönlichen Fähigkeiten zuzumutende Sorgfalt 116• Nach Neumann 117 bedeutet das, im Gegensatz zur objektiven Fahrlässigkeitstheorie, die § 276 BGB zugrundeliege, komme es bei § 5 Abs. 1 KSchG auf die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers an. Das könne im Einzelfall zu geringeren Anforderungen an den Obliegenheitsverpflichteten führen, als es das Verbot der Verletzung der im Verkehr erforVgl. § I, S. 2I, Fn. 3 dieser Arbeit. LAG DüsseidorfBB I980, I2I5; Neumann AR-Biattei D Kündigungsschutz, 111 AC I ; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz5 , Rn. I I27; Herschel/Löwisch, KSchG6 , § 5, Rn. 3; Hueck, KSchGu, § 5, Rn. 2; Maus, KSchG, § 5, Rn. 2; Besta, Die Regelung der Klageerhebungsfrist in den §§ 4-6 KSchG, S. 126ff.; Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1976, 289 (290). 116 Herschel/Löwisch, KSchG6 , § 5, Rn. 3. 117 Neumann AR-Blattei D Kündigungsschutz III A, C I. Ebenso Hueck, KSchGu, § 5, Rn. 2 und Maus, KSchG, § 5, Rn. 2, die aber insgesamt strenge Anforderungen stellen wollen. 114
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
derliehen Sorgfalt verlange. Gleichwohl halte § 5 Abs. l KSchG am Verschuldensprinzip fest, gebe ihm aber einen anderen Inhalt.
2. Die Gegenposition Einer Mindermeinung 118 zufolge begründet § 5 Abs. I KSchG eine - allerdings sehr beschränkte- Ausnahme vom Verschuldensprinzip. Danach darf den Arbeitnehmer an der Fristversäumnis gemäß § 5 Abs. I KSchG zwar grundsätzlich kein Verschulden, demnach auch keine leichte Fahrlässigkeit, treffen. Ausnahmsweise könnten die besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, trotzdem für eine Unbeachtlichkeit der verschuldeten Fristversäumnis und damit einen verringerten und subjektiven Sorgfaltsmaßstab im Verhältnis zu § 276 BGB sprechen. Das stelle § 5 Abs. 1 KSchG klar, indem er den Antrag auch bei Mißachtung der im Verkehr erforderlichen, wohl aber Beachtung der ihm zuzumutenden Sorgfalt und damit auch bei geringem Verschulden zulasse 119.
3. Die Auffassung von Rohlfmg/Rewolle Eine dritte Position haben Rohlfmg/Rewolle 120 entwickelt. Für sie ist die Zumutbarkeitsschranke ein neben das Verschuldeoserfordernis tretendes zusätzliches Moment. Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage setzt danach nicht nur den Nachweis fehlenden Verschuldens, sondern eine besonders außergewöhnliche Situation voraus, die zur Fristversäumnis geführt hat. Faktisch würde das Verschuldensprinzip danach durch § 5 Abs. I KSchG verdrängt.
4. Zusammenfasseode Gesamtwürdigung Letzterer Auffassung steht allerdings schon der Wortlaut des § 5 Abs. I KSchG entgegen 121 • Da "zumutbar" im Rahmen dieser Vorschrift ein sich auf das Substantiv "Sorgfalt" beziehendes Adjektiv ist, können Zumutbarkeitsgesichtspunkte und der Sorgfaltsmaßstab in diesem Fall keine nebeneinander stehenden Kriterien sein. Es ist daher einer der ersteren Auffassungen zu folgen. 11s LAG Berlin AP Nr. 3 zu § 5 KSchG 1969; GemKommlFriedrich, KSchG 3 , § 5, Rn. I Off.; Monjaw'Heimeier, KSchG3 , § 5, Anm. 3. 119 GemKommlFriedrich, KSchG 3 , § 5, Rn. 13. 120 KSchG, § 5, Anm. 2 d. 121
Ebenso Besta, Die Regelung der Klageerhebungsfrist in den§§ 4-6 KSchG, S. 127.
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
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Vergleicht man aber diese beiden Ansichten miteinander, so zeigt sich eine erstaunliche Gemeinsamkeit: Einhellig legt man bei der Zulassung verspäteter Kündigungsschutzklagen zwar einen strengen Maßstab an, stellt aber auf die individuelle Situation des Arbeitnehmers und damit subjektive Momente bei der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit ab. Umstritten ist lediglich, ob diese Subjektivierung der Sorgfalt ein Abrücken vom Verschuldeosprinzip bedeutet, was die herrschende Ansicht verneint. Diese Ablehnung erfolgt meines Erachtens auch zu Recht. Der Fahrlässigkeitsbegriff erfüllt nämlich in unterschiedlichen Rechtsgebieten, zum Teil aber sogar auch von Norm zu Norm variierende, verschiedene Funktionen. Während sich im Zivilrecht, von Ausnahmen wie dem Schmerzensgeldanspruch in der Genugtuungsfunktion abgesehen 122, der Fahrlässigkeitsmaßstab an einer objektiv-typisierenden Betrachtungsweise ausrichtet 123, ist die Vorwerfbarkeit des rechtswidrigen Verhaltens im Strafrecht mit seinem individuell-subjektiven Maßstab integraler Bestandteil des Fahrlässigkeitsbegriffs. Deshalb muß die Berücksichtigung subjektiver Momente durch den Begriff der Zumutbarkeit bei der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit im Rahmen des § 5 Abs. 1 KSchG keine Abkehr vom Verschuldeosprinzip bedeuten. Sie kann vielmehr als eine Ausnahme vorn objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsbegriff angesehen werden. Die Beschränkung auf die Erbringung der "zumutbaren" Sorgfalt bedeutet dementsprechend einen Hinweis auf eine gewisse Versubjektivierung des an sich das Zivilrecht und damit auch das Arbeitsrecht beherrschenden objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstabes 124. Da die Fahrlässigkeit - wie soeben ausgeführt - als ein offener Begriff angelegt ist 125, dessen Inhalt sich im Einzelfall maßgeblich an den Rechtsfolgen der jeweiligen Normen orientiert, in denen er Verwendung findet, kann man in der Hinzufügung des Zumutbarkeitsbegriffs unproblematisch einen Hinweis auf die konkrete Ausgestaltung des Fahrlässigkeitsbegriffs in dieser Norm erblicken. Mit der Einbeziehung von Zurnutbarkeitsüberlegungen soll aber keineswegs eine Ausnahme vorn Verschuldeosprinzip statuiert werden. Für unsere Ausgangsüberlegung, aus dem Verständnis des § 5 Abs. 1 KSchG möglicherweise Rückschlüsse auf das Verhältnis von Zumutbarkeitsaspekten und der Sorgfaltspflicht im Deliktsrecht zu ziehen, bedeutet das folgendes: Berücksich122 RGRK/Ste[ten 12 § 823, Rn. 408; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld , Rn. 476. 123 Vgl. an dieser Stelle statt aller nur Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14, S. 285 mwN auch zur älteren Gegenansicht. 124 Zu weiteren Versubjektivierungstendenzen im Arbeitsrecht Staudinger/Richardi 12 § 611, Rn. 451; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts C, S. 228f.; Nikisch, Arbeitsrecht 13 , S. 300f. Über Bestrebungen zur Definition eines eigenen, subjektiv ausgerichteten arbeitsrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs berichtet von Hoyningen-Huene BB 1989, 1889 (1890 mit Fn. 15 u. 1892 mit Fn. 58). 125 Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14, S. 287 bezeichnet die Fahrlässigkeit als graduierbaren Maßstab.
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
tigt man Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Rahmen der zivilrechtliehen Sorgfaltspflicht, tritt eine gewisse Versubjektivierung des an sich objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstabes im Zivilrecht ein. Diese ist aber wegen der Offenheit des Fahrlässigkeitsbegriffs mit diesem unproblematisch vereinbar. Fraglich ist nur, ob eine solche Versubjektivierung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung wie in § 5 Abs. 1 KSchG - mit dem deliktsrechtlichen Haftungsmodell, das grundsätzlich von einem objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstab ausgeht, vereinbar ist.
IV. Die objektive Zumutbarkeit als Versobjektivierungskriterium des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs im Deliktsrecht 1. Objektiv-typisierender Sorgfaltsmaßstab im Zivilrecht
Im Zivilrecht und damit auch im Deliktsrecht gilt nach heute weitgehend unbestrittener Auffassung 126 ein objektiv-typisierender Fahrlässigkeitsmaßstab. Der Tater haftet deshalb nicht etwa nur entsprechend seinen individuellen Möglichkeiten, Kenntnissen und Umständen und damit den Grundsätzen der persönlichen Vorwerfbarkeit gemäß, sondern von ihm wird bezogen auf die jeweilige Situation der Standard des Verkehrskreises oder des Berufsstandes gefordert, dem er angehört. Damit läßt es allerdings auch der objektive Maßstab zu, die besonders typische Verschiedenartigkeit ganzer Altersgruppen 127 oder aber z. B. die besonderen örtlichen Verhältnisse mitzuberücksichtigen, in denen das Delikt begangen wurde 128 . Grundsätzlich führt der zivilrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff freilich zu einer Risikohaftung für Mängel der eigenen Leistungsfähigkeit 129 im Vergleich zum Durchschnittsstandard eines bestimmten Verkehrskreises. Diese Garantie stützt sich dabei auf den Eintritt in den allgemeinen Verkehr 130. 126 RGZ 152, 129 (140); BGHZ 87, 27 (35); BGH JZ 1954, 297f.; VersR 1958, 177; Erman/Battes9 § 276, Rn. 22; MünchKomm!Hanau 2 § 276, Rn. 78; RGRK/Ste.ffen 12 § 823, Rn. 405; Soergei!Wol/ 2 § 276, Rn. 75; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 62; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 78; Fikentscher, Schuldrecht8 , Rn. 508; Heck, Grundriß des Schuldrechts, S. 77f; Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 1!2f.; Larenz. Schuldrecht, Allgern. Teil 14, S. 285ff. mwN zur Gegenansicht im älteren Schrifttum in Fn. 24; Niese JZ 1956, 457 (465f.); Zeuner JZ 1966, 1 (8); kritisch Weyers, Unfallschäden, S. 387; anderer Auffassung Planck/Siber4 § 276, Anm. 2 b ß bb; Enneccerus/Nipperdey, Allgem. Teil 11 15 , S. !32lff; Nipperdey NJW 1957, 1777 (1781), der unter Hinweis auf die§§ 827f. BGB ein subjektiv vorwerfbares Verhalten zur Haftungsvoraussetzung erklärt. 127 BGH JZ 1954, 297f; BGH VersR 1990, 535 (536). 12s RGZ 152, 129 (140). 129 Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14 , S. 287. Ähnlich Heck, Grundriß des Schuldrechts, S. 77f., der von einer Erfolgshaftung für das Vorliegen einer Persönlichkeit von bestimmter, im Leben geforderter Tauglichkeit spricht. Siehe auch SteindorffJZ 1959, l (4f.). 130 RGRK/Ste.ffen 12 § 823, Rn. 408.
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2. Begründung für den objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab im Zivilrecht
Die Begriindungswege für diesen objektiven Fahrlässigkeitsstandard sind dabei vielgestaltig. Ihr Ausgangspunkt liegt aber in den Gesetzesmaterialien 131 , die die im Grundsatz objektive Ausrichtung mit dem Vertrauensgedanken rechtfertigen: Könnte sich nicht jeder im Verkehr auf einen gewissen Mindestschutz verlassen, der nur durch einen objektiven Sorgfaltsmaßstab gewährleistet werden kann, so würde der Verkehr zusammenbrechen. Dieses könnte insbesondere in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung für dieses System nicht hinnehmbare Konsequenzen haben 132. Bestätigt werde diese historische Auslegung auch durch den Gesetzeswortlaut in seiner heutigen, endgültigen Fassung: Indem nicht mehr auf den täterbezogenen Sorgfaltsstandard des ordentlichen Hausvaters, sondern auf den tatbezogenen Maßstab 133 der Verkehrserforderlichkeit abgestellt werde, liege hierin ein Indiz zugunsten eines objektiven Bewertungsniveaus 134• Als entscheidender Grund für die Annahme eines objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstabeswird hingegen- jedenfalls von Deutsch 135 - die Tatsache angesehen, daß der Restitutionsgedanke das gesamte Zivilrecht beherrscht. Eine Ausgleichsfunktion könne das Recht nämlich sinnvollerweise nur dann erfüllen, wenn es von der Individualität der Handelnden abstrahiere und Risikozonen gegeneinander abgrenze, die den in diesen Zonen Handelnden ein Mindestprogramm an ohne Einschränkung, d. h. aber auch nach objektiven Maßstäben zu erfüllender, Pflichten auferlege. Würde nämlich stets auf die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse des potentiellen Ersatzpflichtigen Bedacht genommen, wäre keine angemessene haftungsrechtliche Zuweisung eingetretener Schäden mehr möglich.
3. Kritische Würdigung im Hinblick auf die besondere Situation im Deliktsrecht
Legt man mit Deutsch das entscheidende Gewicht bei der Begrundung des objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsbegriff auf die teleologische Auslegung des § 276 BGB, was angesichts des Vorranges der teleologischen Auslegungsmethoden auch im Zivilrecht 136 naheliegt, so ergeben sich doch für das Deliktsrecht nach den Prot. I, S. 187, 303, Fn. I. Mit gleicher Deutung der Protokolle: Zeuner JZ 1966, I (8). Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14, S. 286f. Vgl. auch RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 408; Soergel/Wol.fZ § 276, Rn. 75. m So Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 78. 134 Ennan/Battes9 § 276, Rn. 22. 135 Haftungsrecht I, S. 62. Das Argument wird aber auch von Soergel!Wol/ 2 § 276, Rn. 75; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 78f.; Larenz, Schuldrecht, Allgem. Teil 14, S. 286f. und Zeuner JZ 1966, I (8) vorgetragen. 136 Diederichsen, Allgem. Teil5 , Rn. 61. Zum Verhältnis der Auslegungsmethoden zueinander ausführlich Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 , S. 343ff.. Gegen eine 13 1 132
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
bisherigen Untersuchungsergebnissen Zweifel, ob auch in diesem Rechtsgebiet ein streng objektiver Maßstab gelten kann. Nach hier vertretener Auffassung 137 bildet die Ausgleichsfunktion, auf die sich Deutsch bei seiner teleologischen Auslegung stützt, nämlich nicht die Grundlage des Haftungsrechts, sondern vielmehr nur eine solche des Schadensrechts. Zweck des Deliktsrechts ist vielmehr die von mir sogenannte lnteressenfortsetzungsfunktion. Das Deliktsrecht will demnach dafür sorgen, daß sich das jeweils höherrangige Interesse - notfalls durch Zubilligung eines Schadenersatzanspruchs als Ausgleich - fortsetzt. Da aber nachweislich noch nicht alle rechtlich anerkannten Interessen im herkömmlichen deliktischen Schichtaufbau zureichend integriert sind, bedarfes-auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen 138 - eines weiteren Einfallstores für die Berücksichtigung dieser Interessen, nämlich der Zumutbarkeit139. Sind jedoch sämtliche rechtlich anerkannten Interessen in die deliktsrechtliche Wertung miteinzubeziehen, so muß das auch für rein subjektive Interessen gelten. Die individuellen Möglichkeiten und das spezifische Können des Deliktsschuldners müssen daher jedenfalls dann in die Fahrlässigkeits- bzw. Schuldüberlegung einfließen, wenn sie sich als Interessen definieren lassen, die schon anderweitig eine rechtliche Anerkennung erfahren haben. Der streng objektiv-typisierende Fahrlässigkeitsmaßstab läßt sich demzufolge im Deliktsrecht nicht in letzter Konsequenz aufrechterhalten, da er mit der Grundintention des Haftungsrechts, der Interessenfortsetzungsfunktion, die zwischen objektiven und subjektiven Interessen nicht differenziert, nicht vereinbar ist. Da der Schutzanspruch der Rechtsgüter und der Vertrauensschutz der Rechtsgutsträger im Deliktsrecht aufgrund der ihm zugrundeliegenden Interessenfortsetzungsfunktion nur in Relation zu den - auch subjektiven - Individualinteressen des Deliktsschädigers besteht, muß es daher zumindest zu einer Versubjektivierung des objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs kommen'4o. Trotz Festhaltens am Restitutionsgedanken als Zweck des Deliktsrechts müßte aber auch die vorherrschende Ansicht zur stärkeren Berücksichtigung subjektiver Interessen gelangen. Immerhin wird von dieser Seite überwiegend anerkannt, daß das repressiven Rechtsschutz gewährende Deliktsrecht einen Ausgleich zwischen dem Rechtsgüterschutz auf der einen und der allgemeinen Handlungsfreiheit auf der anderen Seite schafft 141 und Mittel hierzu das Verschuldensprinzip ist. Was Rangordnung unter den verschiedenen Auslegungskriterien Pawlowski, Methodenlehre für Juristen2 , Rn. 7. 137 Vgl. oben§§ 7,8 dieser Arbeit. 138 Vgl. oben§ 9 dieser Arbeit. 139 Hierzu vgl. § 8 III dieser Arbeit. 140 Dieses belegt auch die Äußerung Kötz', der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab führe zu einer Haftung selbst dann, wenn "die Sorgfaltspflicht, um die es geht, vom Schädiger nach seinen persönlichen Verhältnissen auch beim besten Willen nicht erfüllt werden konnte."
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aber unter den auch durch das Bundesverfassungsgericht extensiv gefaßten Begriff der Handlungsfreiheit zu fassen ist, darf in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit obenanstellt, nicht durch ausschließlich objektive Interpretationen in seiner Geltungskraft verkürzt werden. Wenn auch rein subjektiven Interessen im Vergleich zu solchen, die zugunsten jedermanns wirken, im Regelfall ein schwächeres Gewicht zukommen mag, so dürfen sie doch keinesfalls von vornherein ausgeschaltet werden. Diese besondere Intention des Deliktsrechts, die die Bedeutung des Restitutionsgedankens in dieser Frage im Vergleich zur Situation im Vertragsrecht zumindest modifiziert, verlangt daher auch nach Maßgabe der herrschenden Meinung nach einer stärkeren Berücksichtigung subjektiver Momente. Deshalb ist es korrekt, wenn Münzberg 142 und Wolf143 die Abwägung zwischen dem Interesse an der Wahrung der Handlungsfreiheit und dem Bedürfnis nach dem Schutz von Rechtsgütern Dritter als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes nehmen und bei dieser Abwägung Gesichtspunkte der wirtschaftlichen Zumutbarkeit mitberücksichtigen wollen 144•
4. Zwischenergebnis: Der FahrlässigkeitsbegritT als Einfallstor für Zumutbarkeitsaspekte
Damit ist - vornehmlich in Ableitung aus der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts - die Notwendigkeit belegt, subjektive Gesichtspunkte im grundsätzlich objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsbegriff des Deliktsrechts mitzuberücksichtigen. Aus der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts und auch aus verfassungsrechtlichen Überlegungen war zuvor außerdem nachgewiesen worden, daß Zumutbarkeitsgesichtspunkte in das Deliktsrecht einzubeziehen sind. Da es sich bei ihnen nach meiner Sichtweise 145 zudem stets um individuell-subjektive Momente handelt, ist hiermit ein schlüssig begründbarer Standort für die Inkorporation von Zumutbarkeitsüberlegungen in den deliktischen Schichtaufbau gefunden. Die Frage nach der Zumutbarkeit einer Verpflichtung für den Schädiger kann im Haftungsrecht als ein Problem der Fahrlässigkeit 146 behandelt werden und trägt daher deren Schicksal bei der Verortung im deliktischen Aufbaumodell mit 147 .
141 142 143
z. B. Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 66. Verhalten und Erfolg, S. 349, Fn. 713. In: Soergel 12 § 276, Rn. 90.
Anders ausdrücklich Larenz, Schuldrecht, Allgem. Tei1 14 , S. 286. V gl. oben § 3 dieser Arbeit. 146 Auf das Problem der Einordnung der Zumutbarkeit bei der vorsätzlichen unerlaubten Handlung wird unten eingangen. 147 Ausdrücklich anders Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 112. 144 145
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
5. Objektive und subjektive Zumutbarkeit
Es gibt allerdings eine Reihe von Autoren, insbesondere Vertreter der Lehre vom Verhaltensunrecht, die Fahrlässigkeitsüberlegungen nicht ausschließlich der Schuldebene, sondern partiell auch der Rechtswidrigkeit zuschlagen 148 . Die Frage nach der objektiven Sorgfaltswidrigkeit gehört für sie danach zur zweiten Stufe des deliktischen Schichtaufbaus, und sofern von ihnen noch zusätzlich ein individueller Schuldvorwurf als Haftungsvoraussetzung verlangt wird, wird erst dieser auf der Schuldebene behandelt. Das bedeutet aber, daß auch die über den Fahrlässigkeitsbegriff in bestimmte Ebenen des deliktischen Schichtaufbaus transportierten Zumutbarkeitsgesichtspunkte an zwei verschiedenen Stellen der Prüfungsabfolge zu berücksichtigen sein könnten. Dabei bietet es sich selbstverständlich an, so wie von den Vertretern der Lehre vom Verhaltensunrecht zwischen dem objektiven Sorgfaltsmaßstab und dem individuellen Schuldvorwurf unterschieden wird, hier objektive und subjektive Zumutbarkeitsaspekte auseinanderzuhalten. Dabei kann an dieser Stelle an die schon in § 3 dieser Bearbeitung erläuterte Unterscheidung zwischen der objektiven und der subjektiven Zumutbarkeit angeknüpft werden. Unter den Begriff der objektiven Zumutbarkeit fallen danach alle diejenigen subjektiven Momente, die sich zu einem allgemein akzeptierten Grundsatz zusammenfassen lassen, der nicht nur den einzelnen sondern jedermann zu entlasten vermag. Hingegen werden solche subjektive Interessen, die die deliktische Verantwortlichkeit nur im konkreten Einzelfall ausschließen, weil sie sich nicht verallgemeinem lassen, unter dem Terminus subjektive Zumutbarkeit erlaßt.
6. Die objektive Zumutbarkeit als Bestimmungsmerkmal der objektiven Sorgfaltswidrigkeit
Zu überprüfen bleibt jedoch, ob objektive Zumutbarkeitsüberlegungen, wenngleich sie im Kern ausschließlich -freilich allgemein anerkennenswerten - subjektiven Interessen Geltung verschaffen, trotzdem Einfluß auf die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, also eines vom Grundsatz her objektiv verstandenen juristischen Begriffs, haben können. Eine Lösung für dieses Problem ergibt sich, wenn man genauer untersucht, inwieweit auch der objektiv-typisierende Fahrlässigkeitsmaßstab in seiner Ausprägung durch die herrschende Lehre Subjektivierungstendenzen unterliegt. Ausgangspunkt hierfür muß die Beobachtung sein, daß für die Zurechnung kein Einheitsmaßstab aufgestellt wird, sondern die Verschiedenartigkeit bestimmter Be148 Zum Beispiel Enneccerus/Nip?erdey, Allgem. Teil I1 15 , S. 128lf.; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 2 S. 65f. mwN für die dritte Auffassung, die den objektiven Sorgfaltsverstoß schon auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit erörtert; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 176f., 180; K. Wolff, Verbotenes Verhalten, S. 232.
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rufs- oder Altersgruppen sowie einzelner Verkehrskreise respektiert wird. Dieses ist von Deutsch 149 zum Anlaß genommen worden, beispielsweise in der Differenzierung zugunsten einzelner Altersgruppen eine "Ausnahme" von der objektiv erforderlichen Sorgfalt zu sehen. Auch wenn der Begriff "Ausnahme" von der objektiv erforderlichen Sorgfalt meines Erachtens nicht glücklich gewählt ist, weil er verkennt, daß etwa von dem Jugendlichen nicht nur seine subjektive Sorgfalt, sondern die - insofern objektive - Sorgfalt eines Altersgenossen gefordert wird, so umschreibt Deutsch doch damit im Grundsatz eine allgemeine Erkenntnis: Die Anerkennung unterschiedlicher Standards je nach Alters- und Berufsgruppe bedeutet im Kern nämlich nichts anderes als die teilweise Einbeziehung subjektiver und nur wegen ihres Auftretens bei vielen Personen als objektiv titulierbarer Interessen 150. Nipperdey verweist deshalb mit Recht darauf, daß in Wahrheit nicht nach den typischen Umständen einer Gruppe, sondern nach der individuellen Umständen des Täters gefragt werde, die dann mit dem Standard einer Gruppe zu vergleichen sei, der der Täter angehört 151 . Erst wenn auch die gesamte Gruppe diese Eigenschaft als typische Besonderheit aufweise, könne dieses innerhalb des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes beachtlich sein. Werden allerdings schon subjektiv-individuelle Interessen und Fähigkeiten, sofern sie nur flir eine größere, abgrenzbare Gruppe von Menschen oder einen bestimmten Verkehrskreis von Belang sind, im Rahmen des objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstabes berücksichtigt, so muß das erst recht für die im Grundsatz subjektiven Zumutbarkeitsgesichtspunkte gelten, die sich zu einem allgemein akzeptierten und deshalb für alle Menschen gültigen Grundsatz zusammenfassen lassen und deshalb hier unter dem Stichwort "objektive Zumutbarkeit" behandelt werden 152. Auch Zumutbarkeitsgesichtspunkte sind daher wie alle anderen subjektiven Möglichkeiten, Kenntnisse und Umstände als Grenzen der persönlichen Leistungsfähigkeit schon im objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab zu berücksichtigen, wenn sie auf jeden in der gleichen Lage befindlichen sowie pflichtgemäß und vernünftig handelnden Menschen wirken und daher zwar subjektiv, aber doch in ihrer Typizität wirksam werden 153 . Paßt sich aber der Begriff der objektiven Zumutbarkeit in seiner Struktur dem objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstab in seiner Ausprägung durch die Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld2 , Rn. 124. 150 RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 409; Weyers, Unfallschäden, S. 387; Zeuner JZ 1966, 1 (8) spricht sogar genau andersherum von einer Objektivierung des Fahrlässigkeitsbegriffs im Zivilrecht. Er scheint daher grundsätzlich von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen. 151 Enneccerus/Nipperdey, Allgem. Teil II 15 , S. 1311. Treffend insofern das zweite Beispiel von Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 115. 152 So die bisherige Fassung des Begriffes "objektive Zumutbarkeit": vgl. §§ 3 und 12 IV 5 dieser Arbeit. 153 Erman/Battes9 § 276, Rn. 23; RGRK/Steffen 12 § 823, Rn. 409; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 349, Fn. 713. Anders offenbar Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 112 und 116. 149
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
herrschende Ansicht an, so stellt sich die Frage, ob der Begriffshof der objektiven Zumutbarkeit nicht noch zu Lasten desjenigen der subjektiven Zumutbarkeit zu erweitem ist. Das hieße, von objektiver Zumutbarkeit könnte nicht nur dann gesprochen werden, wenn es um subjektive Interessen geht, die für jeden in der gleichen Lage Befindlichen von Bedeutung wären, sondern schon dann, wenn das Einzelinteresse wenigstens zugleich ein gruppen- oder verkehrskreistypisches Interesse darstellt. Anders gefaßt geht es darum, ob auch der Gesichtspunkt der objektiven Zumutbarkeit - entgegen seinem ursprünglichen Begriffsinhalt - einer gewissen Versubjektivierung und damit Erweiterung zugänglich gemacht werden soll. Tiefgreifende Bedenken können dagegen nicht bestehen, ist doch die objektive Zumutbarkeit hier von Beginn an als Teilmenge der subjektiven Zumutbarkeit verstanden worden. Dabei richtet sich ihre Größe allein nach den Vorgaben, die vom Verwender des Begriffes vorgegeben werden. Dann gebietet es aber die Angleichung an den Bedeutungsgehalt des Begriffes der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, als dessen Bestimmungsmerkmal die objektive Zumutbarkeit neben anderen erscheint, auch hier nicht von einem streng objektiven, sondern von einem objektiv-typisierenden Begriffsverständnis auszugehen.
7. Ergebnis und Scblußbetracbtung
Die objektive Zumutbarkeit - verstanden im Sinne einer objektiv-typisierenden Betrachtung - als Teilmenge der im Grundsatz subjektiven Zumutbarkeitsüberlegungen fließt über das mit einem objektiv-typisierten Inhalt ausgestattete Merkmal der Nichtbeachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in den Fahrlässigkeitsbegriff und damit den deliktischen Schichtaufbau ein. Eine Festlegung, ob sie damit auf der Ebene der Rechtswidrigkeit oder aber derjenigen der Schuld zu verorten ist, bedarf es an dieser Stelle nicht. Das hängt entscheidend davon ab, ob man sich der Lehre vom Erfolgsunrecht oder derjenigen vom Verhaltensunrecht anschließen will. Daß Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit überhaupt und zudem gerade an dieser Stelle des Haftungstatbestandes zu berücksichtigen sind, ist entscheidend mit der Interessenfortsetzungsfunktion des Deliktsrechts begründet worden. In diesem Zusammenhang muß jedoch erwähnt werden, daß wohl auch die herrschende Ansicht für die objektive Zumutbarkeit zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Immerhin leitet sie in erster Linie aus dem Restitutionsgedanken, den sie zum Hauptzweck des Haftungsrechts erklärt, den objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstab des Deliktsrechts ab. Dieses Bewertungsniveau bezieht aber grundsätzlich individuelle Interessen jeglicher Art mit ein, also auch Zumutbarkeitsgesichtspunkte. Diese müssen nur für jeden anderen der betreffenden Interessengruppe oder des speziellen Verkehrskreises ebenso von Belang sein. Anders ist der Begriff der objektiven Zumutbarkeit von mir in dieser Arbeit aber nicht defi-
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niert worden, so daß er auch unter Berücksichtigung der herrschenden Ansicht im Rahmen der Präzisierung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu behandeln wäre. Ferner ist festzuhalten, daß von Maiwald 154 neuerdings auch für das Strafrecht vertreten wird, daß die Zumutbarkeit stets in das Urteil mit einfließt, ob im konkreten Fall das erlaubte Risiko eingehalten oder aber überschritten ist. Da mit dem Begriff des erlaubten Risikos im Strafrecht das Maß an Sorgfalt umschrieben wird, das eingehalten werden muß, um nicht dem Vorwurf objektiv fahrlässigen Handeins ausgesetzt zu sein, deckt sich mein Ergebnis mit demjenigen Maiwaids 155 : Was jemandem objektiv unzumutbar ist, begründet für diesen keine Sorgfaltswidrigkeit
V. Haftung aus dem Gesichtspunkt des Übernahme- oder Vorsorgeverschuldeos In denjenigen Fällen, in denen die Haftung des Deliktsschuldners wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zum Zeitpunkt des deliktischen Tuns oder Unterlassens eigentlich entfällt, gibt es jedoch noch einen anderen Ansatzpunkt, möglicherweise zu einer Schadenersatzpflicht zu gelangen. Man kann unter Umständen an ein zeitlich zurückliegendes Verhalten des Deliktstäters anknüpfen, nämlich an die freiwillige Übernahme einer schwierigen Aufgabe oder verantwortungsvollen Stellung. Diese Figur des sogen. Übernahmeverschuldens ist vornehmlich in Ergänzung der subjektiven, die Individualität des Deliktsschuldners in den Vordergrund stellenden Fahrlässigkeitstheorie entstanden 156 : Der Schuldner, der nach der subjektiven Lehre entlastet wird, wenn er persönlich nicht in der Lage ist, das deliktische Gebot zu erfüllen, haftet danach unter Umständen trotz der augenblicklichen Unzumutbarkeit. Das ist der Fall, wenn er bei der Übernahme damit rechnen mußte, die damit eingegangenen Verpflichtungen später nicht erfüllen zu können oder eine zur Vermeidung von Unfällen mögliche und zumutbare, für ihn bei der Übernahme der Vertrauensposition aber schon als notwendig voraussehbare Vorsorgemaßnahme nicht getroffen hat (sogen. Vorsorgeverschulden) 157 . Von Löwisch wird deshalb beispielsweise betont, daß die Ermittlung eines Übernahmeverschuldens von der Notwendigkeit entbindet, mit dem Kriterium der Unzumutbarkeit zu arbeiten 158 . Dabei gilt es jedoch zu beachten, daß an das Kriterium, die In: Festschrift für Schüler-Springorum, S. 475 (487ff.). In: Festschrift für Schüler-Springorum, S. 475 (489). 156 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 26; ders., Haftungsrecht I, s. 280f. 157 Staudinger!Löwisch 12 § 276, Rn. 9. Das Vorsorgeverschulden muß man im Zusammenhang mit der Frage sehen, ob es eine deliktsrechtliche Versicherungspflicht gibt. Dazu unten § 15 II. 154
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
Übernahme müsse freiwillig erfolgt sein, durchaus strenge Anforderungen gestellt werden: Wer einem Grundbedürfnis nachgeht, beispielsweise am allgemeinen Verkehr teilnimmt oder einen nicht außergewöhnlich gefährlichen Beruf ausübt, dem kann man nicht vorwerfen, er habe freiwillig eine besondere Verantwortung übernommen159. Mit der immer stärkeren Hinwendung zur objektiven Fahrlässigkeitstheorie hat die Figur des Übernahmeverschuldens jedoch zumindest stark an Bedeutung verloren: Kommt es wegen des objektiven Ansatzes auf die Schwächen des Deliktstäters gar nicht mehr an, kann es keine Rolle spielen, ob er diese Schwächen aufgrund seines vorausgegangenen Verhaltens zu vertreten hat. Da meine Untersuchungen jedoch gezeigt haben, daß es verfassungsrechtliche Überlegungen ebenso wie die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts gebieten, den objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab durch subjektive Gesichtspunkte zu modifizieren, muß es wieder eine verstärkte Tendenz geben, ein Augenmerk auf die Figur des Übernahmeverschuldens zu werfen. Diese Versubjektivierung zu verkennen, ist auch das erste Argument gegen die Position Schmidt-Salzers 160. Dieser meint, die rollenspezifische Konkretisierung des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes in bezug auf gewisse Verkehrskreise habe die Kategorie des Übernahmeverschuldens im Zivilrecht überflüssig werden lassen. Wenn das Pflichtenprogramm durch die Teilnahme an einem gewissen Verkehrskreis festgelegt sei, erübrige es sich, durch die besondere Konstruktion eines Übrernahmeverschuldens dieses dem Deliktsschuldner noch einmal zuzurechnen. Der Pflichtverstoß brauche nicht zurückverlegt werden. Meines Erachtens verkennt Schmidt-Salzer dabei aber, daß der Verkehrskreis etwa des Warenproduzenten oder des Autofahrers z. B. keine Festlegungen darüber hergibt, mit welchen Gewissensmaßstäben der Kraftfahrer oder Warenhersteller am Verkehr teilnimmt. Trifft ihn aber z. B. aus Glaubensgründen im Moment der unerlaubten Handlung kein Verschulden, benötigt man die Fallgruppe des Übernahme- oder Vorsorgeverschuldens, um ihn gleichwohl für die Nichteinhaltung des Pflichtenprogramms haften zu lassen. Er haftet, wenn ihm bei Aufnahme der Tätigkeit seine Weltanschauung dazu verpflichtet hätte, auf die Übernahme des Risikos, später bei dieser Tätigkeit Gewissenskonflikten ausgesetzt zu sein, zu verzichten oder es durch Vorsorgemaßnahmen zu vermindern. Deshalb ist es im Ergebnis korrekt, wenn Deutsch 161 zwischen dem Grundsatz der objektiven Übernahme eines garantierten Verhaltensprogramms durch Teilnahme an einer bestimmten Auftretensgruppe und dem Übernahmeverschulden unterscheidet, welches an ein vorheriges Verhalten anknüpft. Durch die objektive Übernahme kann demgegenüber an das die Verletzung unmittelbar verursachende Verhalten angeknüpft werden. 158 Staudinger/Löwisch 12 § 276, Rn. 10. Im Ergebnis ebenso Foerste, In: von Westphalen, Produkthaftungshandbuch 1, § 24, Rn. 57. 159 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 111. 160 Schmidt-Salzer, Produkthaftung Rn. 1504. 161 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. l37f.
e,
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Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Versubjektivierung des objektivtypisierten Fahrlässigkeitsbegriffs durch Zumutbarkeitsüberlegungen den Deliktsschuldner nicht in jedem Fall entlastet, indem er sich auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens berufen kann. Stets ist zu fragen, ob die Unverschuldetheil des Verhaltens im Zeitpunkt der hauptursächlichen Verletzungshandlung seine Ursache in einem früheren Zeitpunkt hat und der Deliktstäter den Verletzungserfolg durch dieses frühere Verhalten zurechenbar und schuldhaft herbeigeführt hat. Dann haftet er unter dem Gesichtspunkt des Übernahme- oder Vorsorgeverschuldens.
VI. Die subjektive Zumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund Ist die Einordnung der objektiven Zumutbarkeit als Bestimmungsmerkmal der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gelungen, bedarf es nunmehr noch einer Zuweisung deijenigen subjektiven, aber gleichwohl schon anderweitig rechtlich anerkannten Interessen, die die deliktische Verantwortlichkeit nur im konkreten Einzelfall auszuschließen vermögen. Dabei kann als Ausgangspunkt festgehalten werden, daß auch die Gesichtspunkte der subjektiven Zumutbarkeit auf der Ebene der Fahrlässigkeit in die Betrachtung einzublenden sind 162• Übernimmt man die Terminologie des Strafrechts, ließe sich die subjektive Unzumutbarkeit nach der dortigen herrschenden Ansicht entweder als Schuldausschließungsgrund oder aber als Entschuldigungsgrund einstufen. Dabei zeichnen sich die Entschuldigungsgründe im Verhältnis zu den Schuldausschließungsgründen dadurch aus, daß sie Umstände umschreiben, die die Schuld zwar nicht gänzlich aufheben, den Schuldgehalt der Tat aber wegen der besonderen Konflikts- und Motivationslage soweit herabsetzen, daß die Grenze der Strafwürdigkeit nicht mehr überschritten wird. Als Beispielsfall dafür, wann die Rechtsordnung Nachsicht im Sinne eines Entschuldigungsgrundes zu üben hat, führt man allgemein die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens an. Die Unzumutbarkeit ist danach sogar der Grundgedanke sämtlicher Entschuldigungsgründe 163 • Diese eindeutige Aussage im strafrechtlichen Schrifttum hat allerdings bislang noch keinen entsprechenden Eingang in die zivilrechtliche Diskussion gefunden. Während Nipperdey und Münzberg die Unzumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund bezeichnen 164, erkennen Canaris und Hanau hierin wie die strafrechtliche So das Ergebnis oben unter§ 12 IV 4. So etwa Schönke/Schröder/Lenckner24 , Rn. 108, l22ff. vor§§ 32ff.; Bocke/mann/Volk, Strafrecht, Allgem. Tei14 , S. 127f.; Jescheck, Strafrecht, Allgem. Teil4 , S. 429f.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11 , S. 178f. Insgesamt kritisch LeipzKomrn!Hirsch 10, Rn. 181 f. vor§ 32. Allerdings wird§ 35 StGB insoweit von vielen als abschließende Regelung angesehen. Vgl. nur Maiwald, in: Festschrift für Schüler-Springorum, S. 475 (485ff.). 162 163
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
Literatur einen Entschuldigungsgrund 165 • Offen bleibt die Zuordnung zu einer der beiden Kategorien schließlich bei Heinrichs und Vollkommer 166. Fraglich erscheint jedoch, ob die im Strafrecht vollzogene Einordnung der Zumutbarkeit als Entschuldigungsgrund mit den Rechtsfolgen, die das Deliktsrecht an die rechtswidrige und verschuldete Rechtsgutverletzung knüpft, überhaupt vereinbar ist. Das würde nämlich voraussetzen, daß eine deliktische Haftung trotz bestehenbleibender Restschuld im Falle der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallen könnte 167 . Als Fixpunkt gilt es dabei zunächst festzuhalten, daß das BGB zwar wohl die Form der groben Fahrlässigkeit an mehreren Stellen heranzieht, auf die Kategorie der leichtesten Fahrlässigkeit aber - nach den Motiven bewußt 168 - verzichtet. Vielmehr kommt es in allen anderen Gesetzesnormen ausschließlich darauf an, ob fahrlässig gehandelt wurde, was auch jede noch so leichte Form der Fahrlässigkeit miteinschließt Immer wieder hat es allerdings auch Versuche gegeben, die Haftung des Arbeitnehmers oder auch anderer in einer Dauerbeziehung Handelnder trotz Vorliegens sogenannter leichtester Fahrlässigkeit auszuschließen. Dieses ist nur selten damit begründet worden, daß entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB bei leichtester Fahrlässigkeit der Schuldvorwurf entfiele 169• Meistens versucht man darzulegen, daß der in einer Dauergefährdungssituation Handelnde, etwa ein Arbeitnehmer, auch unter Berücksichtigung eines objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstabes geringere Sorgfaltsanforderungen zu erfüllen habe als üblicherweise 170. Die Betätigung als Arbeitnehmer lasse diesen in einen besonderen Verkehrskreis eintreten, in dem leichte Verfehlungen typischerweise aufträten und daher auch keine Haftung auslösen könnten 171 . Da mithin selbst die "Ausnahmen", die ein "Fortfall der Haftung trotz leichter Fahrlässigkeit" bestimmen, mit dem Verschuldeosprinzip in der Ausprägung, die es durch § 276 BGB erfahren hat, vereinbar sind, bestätigt sich die Aussage, daß jede noch so geringfügige Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, also jede Fahrlässigkeit im Deliktsrecht eine Haftung nach sich zieht. Damit sind aber 164 Enneccerus/Nipperdey, Allgem. Teil II 15 , S. 1325; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 278. Neuerdings ebenso BGH NJW 1995, 256 (259). 165 MünchKomm!Hanau 3 § 276, Rn. 71; Canaris JZ 1963, 655 (657). 166 Vollkommer, In: Jauemig1 § 276, Anm. I 4 e; Heinrichs, In: Palandr 4 § 276, Rn. 7. 167 Hier zeigt sich eine Parallele zu der oben unter 111.2. zitierten Auffassung, die § 5 Abs. 1 KSchG derart interpretieren wollte, daß der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei Fristversäumnis trotz Aufwendung aller zuzumutenden Sorgfalt auch bei leichter Fahrlässigkeit ausnahmsweise zulässig sein sollte. 168 Mot. I, S. 280. 169 So aber Richardi JZ 1976,796 (802f.). Ausdrücklich gegen solche Versuche auch Staudinger!Löwisch12 § 276, Rn. 57. 170 Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgem. Teil, Teilband 27 , S. 87f.; Grunsky JZ 1975, 109 (111). l7l Moritz, Beilage Nr. 18 zu DB 1985, S. 9f.
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
145
Entschuldigungsgründe, die eine Haftung trotz geringer Schuld ausschließen, mit dem zivilrechtliehen Verschuldensbegriff anders als mit dem strafrechtlichen Schuldbegriff nicht in Einklang zu bringen. Die subjektive Unzumutbarkeit kann allenfalls einen Schuldausschließungsgrund darstellen. Das könnte aber auf den Umfang, in dem Gesichtspunkte der subjektiven Zumutbarkeit im Verschuldensbereich zu berücksichtigen sind, einschränkende Auswirkungen haben. Darauf ist allerdings erst im dritten Teil dieser Bearbeitung einzugehen.
VII. Die Verortung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten bei vorsätzlicher Begehung eines deliktischen Tatbestandes Oben wurde gezeigt, daß das Verschuldensprinzip beim repressiven Rechtsschutz die Funktion übernimmt, den Schutz bestehender Rechtsgüter zugunsten eines größeren Bewegungsfreiraumes des Schädigers einzuschränken und so das Werdende dem Bestehenden gegenüber zu präferieren. Da aber die Zumutbarkeit einen Sammelbegriff für die Berücksichtigung von Schädigerinteressen darstellt, die Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit oder anderer Bewegungsfreiräume schaffender Freiheitsrechte des Schädigers sind, liegt es nahe, Zumutbarkeitsaspekte im Bereich des Verschuldens zu behandeln und somit auch der Interessenfortsetzungsfunktion des Deliktsrechts Rechnung zu tragen. Für den Bereich der Fahrlässigkeit ergaben sich für die Umsetzung dieser Vorgabe keine Probleme: Nach dem Gesetz ist das Fahrlässigkeitsurteil ohnehin ein Ergebnis wertender Betrachtung, Zumutbarkeitsgesichtspunkte fügen sich daher unkompliziert in den Fahrlässigkeitsbegriff ein.
l. Ausschluß wertender Betrachtungen beim VorsatzbegritT
Für den Vorsatzbereich gilt das freilich nicht: Nach der wiederholt vorgetragenen Ansicht von Deutsch 172 kann deljenige, der vorsätzlich handelt, für sich keinen Bewegungsspielraum in Anspruch nehmen. Das Verhalten desjenigen, der gezielt gegen die Rechtsgüter eines anderen vorgehe, sei per se tadelnswert, auch wenn damit anerkennenswerte Freiheitsräume durchgesetzt werden sollten. Solchen Wertungen sei der Vorsatzbegriff nicht zugänglich, vorsätzliches Handeln wäre schlechthin verboten 173 . Meines Erachtens ist der Ausgangspunkt dieser Auffassung korrekt: Ob jemand um die Folgen seines Handelns, nämlich der Rechtsgutverletzung, weiß und diese m Deutsch, Haftungsrecht I, S. 28f.; ders. , in: Festschrift für Richard M. Honig, S. 33
(40f.).
m So Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 98. 10 Scholz
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2. Teil: Verortung im delikUschen Schichtaufbau
Folgen auch anstrebt, also vorsätzlich handelt, ist tatsächlich eine Frage, die einer wertenden Betrachtung nicht zugänglich sein kann und daher die Motivation des Handeins unberücksichtigt lassen muß. Zweifelhaft erscheint mir jedoch, ob die Bejahung der Frage nach der Vorsätzlichkeil des Handeins die Berücksichtigung von Aspekten der Bewegungsfreiheit des Schädigers auch an anderer Stelle der Verschuldeusprüfung ausschließt. Hiergegen läßt sich meiner Überzeugung nach folgendes vorbringen: Zunächst erscheint fraglich, ob eine solche Position mit dem Umstand der Existenz von Rechtfertigungsgründen in Einklang stehen kann. Rechtfertigungsgründe eröffnen dem Schädiger nämlich unbestrittenermaßen Bewegungsfreiräume: Sind ihre Voraussetzungen erfüllt, so kann der Täter wählen, ob er von ihnen Gebrauch machen möchte oder darauf verzichtet und dafür eine Rechtsgutverletzung auf seiten des möglichen Geschädigten vermeidet. Stützt er sich auf den Rechtfertigungsgrund, führt auch eine vorsätzliche Rechtsgutverletzung nach Deliktsrecht nicht zur Haftung. Mit § 904, S. 1 BGB ist oben in § 4 II 2 sogar ein Rechtfertigungsgrund vorgestellt worden, der ausschließlich das Vorsatzdelikt erfaßt. Deshalb kann die Aussage nicht korrekt sein, wer vorsätzlich handele, dem stehe kein Bewegungsraum zur Verfügung. Sie müßte zumindest unter dem Vorb~alt des Nichteingreifens von Rechtfertigungsgründen stehen 174 . Der Ausschluß jeglichen Bewegungsfreiraumes des Vorsatztäters steht aber auch nicht im Einklang mit der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts. Danach zielt das Deliktsrecht darauf ab, daß sich stets das nach rechtlichem Werturteil höherrangige objektive wie subjektive Interesse durchsetzt, und zwar ggfs. durch Zubilligung eines Schadenersatzanspruchs. Auch wenn dem Vorsatz eine gesteigerte Mißbilligung entgegengebracht wird, kann demnach das Freiheitsinteresse im Einzelfall Vorrang genießen und dem Schädiger einen Bewegungsfreiraum eröffnen. Das muß jedoch nicht bedeuten, den Vorsatzbegriff einer wertenden Betrachtung zugänglich zu machen: Eine solche Sichtweise würde nämlich verkennen, daß man zwischen dem Vorsatzbegriff auf der einen und dem Verschuldeusprinzip als umfassenderem Begriff auf der anderen Seite unterscheiden kann. Der Vorsatz ist nur ein Schuldelement, kann aber nicht mit der Schuld gleichgesetzt werden175 . Ein Schuldurteil kann man nur fällen, wenn man die Zurechnungsfähigkeit nach §§ 827f. BGB überprüft und das Nichtvorliegen von Schuldausschließungsgründen festgestellt hat. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch einen Vergleich mit der Situation beim fahrlässigen unerlaubten Verhalten: Handelt der Schädiger fahrlässig, so haftet er deshalb, weil er seinen Bewegungsspielraum überschritten hat. Man könnte deshalb durchaus sagen, daß nicht nur derjenige keinen Bewegungsspielraum hat, 174 Im Ergebnis stimme Ich mit Deutsch allerdings überein, was sich aus einer analogen Anwendung des § 904, S. 2 BOB ergeben wird. Vgl. oben § 10 III. m Vgl. Erman/Battes9 § 276, Rn. 6; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 259.
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
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der vorsätzlich handelt, sondern auch derjenige, der nur fahrlässig einen Verletzungserfolg verursacht. Die Frage bleibt allerdings jeweils, ob es noch andere Gesichtspunkte gibt, die ihm einen weiteren Bewegungsraum verschaffen. Das haben wir bei der fahrlässigen unerlaubten Handlung mit dem Schuldausschließungsgrund der subjektiven Unzumutbarkeit angenommen. Die Frage, die sich für das Vorsatzdelikt stellt, ist deshalb allein, ob es Gründe gibt, einen solchen, Bewegungsfreiräume eröffnenden Schuldausschließungsgrund für diesen Bereich abzulehnen. Dafür ist aber von Deutsch nichts vorgebracht worden. Vielmehr führt er an anderer Stelle sogar aus, daß das Verschuldeosprinzip grundsätzlich eine Entschuldigung in den Fällen subjektiver Unzumutbarkeit erfordere 176 und setzt die subjektive Unzumutbarkeit mit der Zurechnungsunfähigkeit gleich, wenn er für die Fälle subjektiver Unzumutbarkeit § 829 BGB analog heranziehen wil1 177 . Deshalb gilt nach ihm, daß zwar der Vorsatzbegriff für die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten nicht offensteht, diese aber an anderer Stelle im Rahmen der Verschuldeosprüfung einbezogen werden können.
2. Die subjektive Zumutbarkeit als Schuldausschließungsgrund bei der vorsätzlichen unerlaubten Handlung
Nach den bisherigen Ausführungen, aber auch in Parallele zum Schichtaufbau bei der fahrlässigen unerlaubten Handlung können Gesichtspunkte der subjektiven Unzumutbarkeit beim Vorsatzdelikt nur als Schuldausschließungsgrund behandelt werden 178. Dabei kommtjedoch der oben in§ 3 der Arbeit herausgearbeiteten Erkenntnis, wonach alle Kriterien der objektiven Zumutbarkeit nur eine Teilmenge derjenigen der subjektiven Zumutbarkeit sind, entscheidende Bedeutung zu: Auch Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit sind bei der vorsätzlichen unerlaubten Handlung als subjektive Zumutbarkeitsaspekte unter dem Gesichtspunkt eines Schuldausschließungsgrundes zu behandeln. Anders ausgedrückt ist beim Vorsatzdelikt die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Zumutbarkeit entbehrlich. Sämtliche damit angesprochenen Gesichtspunkte werden unter dem Aspekt behandelt, ob ~ie einen Schuldausschließungsgrund abgeben. Dessen Titulierung als Schuldausschließungsgrund der subjektiven Unzumutbarkeit hat alllein terminologische Gründe. Zu einem anderen Ergebnis kommt man lediglich, wenn man der Lehre vom Verhaltensunrecht und innerhalb dieser dann Münzberg 179 folgt. Für ihn wäre die Frage nach der objektiven Zumutbarkeit nämlich im Rahmen der Rechtswidrigkeit Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 77. Deutsch, Haftungsrecht I, S. 286. 178 Ebenso Canaris JZ 1963, 655 (657), allerdings mit Einordnung als Entschuldigungsgrund. 179 Verhalten und Erfolg, S. 162 mit Fn. 320. 176 177
10*
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
zu erörtern. Er gelangt hierzu, indem er feststellt, daß auch beim vorsätzlichen Delikt die Pflichtwidrigkeit, nämlich sein Verhalten nicht hinreichend sorgfältig auszurichten, die Rechtswidrigkeit begründet 180• Werde vorsätzlich gehandelt, sei das Unrecht dadurch allenfalls gesteigert, der Vorsatz trete aber nicht auf der Rechtswidrigkeilsebene an die Stelle der Sorgfaltswidrigkeit Wäre nunmehr aber die objektive Sorgfaltswidrigkeit nach der Lehre vom Verhaltensunrecht auch beim Vorsatzdelikt Bestimmungsmerkmal der Rechtswidrigkeit und wäre die objektive Zumutbarkeit ihrerseits Einflußfaktor der objektiven (im Verkehr erforderlichen) Sorgfalt, so wäre die objektive Zumutbarkeit beim Vorsatzdelikt auf der Stufe der Rechtswidrigkeit zu verorten. Die um die Fälle der objektiven Zumutbarkeit reduzierte subjektive Zumutbarkeit bliebe hingegen Schuldausschließungsgrund.
VIII. Exkurs: Die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten nach dem Produkthaftungsgesetz Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ist im Haftungsrecht meiner Auffassung nach ein die Frage des Verschuldeos der Rechtsgutverletzung beeinflussender Faktor. Mit dem aus der Umsetzung einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft entstandenen Produkthaftungsgesetz ist nunmehr jedoch für einen speziellen, bisher dem Deliktsrecht zugeordneten Bereich eine zusätzliche verschuldeosunabhängige Haftung eingeführt worden, die an die Fehlerhaftigkeit des Produkts anknüpft 181 • Damit stellt sich die Frage, ob es bei dieser Haftung darauf, ob dem Hersteller das Betreiben eines technisch möglichen Sicherheitsaufwandes zurnutbar ist, wegen der fehlenden Verschuldeosvoraussetzung gar nicht ankommt, oder ob nur ein wirtschaftlich zurnutbarer Sicherheitsaufwand auch "berechtigterweise erwartet werden kann"(§ 3 Abs. 1 ProdHaftG). Im Schrifttum besteht darüber bislang noch keine Einigkeit, so daß es geboten erscheint, hierzu eine eigene Position zu beziehen.
1. Stellungnahmen im Schrifttum
Eine erste Stellungnahme, welche die Auswirkungen beschreibt, die mit einem Umstellen des Anknüpfungspunktes der Produkthaftung vom VerkehrspflichtverEbenso Fikentscher, Schuldrecht8 , Rn. 1050. § 1 Abs. I S. I ProdHaftG: "Wird durch den Fehlers eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." § 3 Abs. I ProdHaftG: "Eine Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere ... ,berechtigterweise erwartet werden kann." 180 181
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiv'en Zumutbarkeit
149
stoß des Produzenten auf die Fehlerhaftigkeit des Produktes verbunden sind, hat Diederichsen schon lange vor Inkrafttreten des ProdHaftG gegeben 182: Der Wechsel des Ansatzpunktes der Haftung bedeutet seiner Ansicht nach die Abkehr von einer grundsätzlich subjektiven hin zu einer objektiven Sichtweise. Dieses wird heute auch gar nicht bestritten. Man ist sich darüber einig, daß Gesichtspunkte der subjektiven Zumutbarkeit im Rahmen des ProdHaftG keine Rolle spielen können183. Nach Frietsch 184 gilt das Gleiche auch für Aspekte der objektiven Zumutbarkeit. Seine Begründung, die Zumutbarkeit sei ein Verschuldenselement und könne daher bei einer verschuldensunabhängigen Haftung keinen Eingang finden, ist jedoch zu kurz gegriffen. Die unbestrittene Eigenschaft der Zumutbarkeit, in vielen Bereichen des Rechts als regulatives Prinzip zu wirken, legt es gerade nahe, sie auch in den Fehlerbegriff des ProdHaftG einfließen zu lassen. Dennoch findet Frietsch, wenn auch ohne nähere Begründung, Gefolgschaft bei Kullmann 185 . Foerste 186 neigt ebenfalls dazu, objektive Zumutbarkeitsüberlegungen auszublenden. Sie seien "tendenziell nur in geringerem Maße" als bei der deliktischen Haftung einzubeziehen; entsprechende Kriterien wären in Zukunft zu entwickeln. Diese bei Foerste deutlich werdende Unsicherheit führt eine ganze Reihe anderer Autoren dazu, objektive Zumutbarkeitsaspekte im Grundsatz weiterhin zu berücksichtigen 187. Dieses gilt auch für Schmidt-Salzer188, der eine Pflichtverletzung und damit ein rechtswidriges Verhalten zur Voraussetzung eines Produktfehlers macht. Obwohl eine solche Sichtweise der Intention der Richtlinie eindeutig zu widersprechen scheint, tendiert schließlich auch von Westphalen 189 in diese Richtung, wenn er der Ansicht ist, der Fehlerbegriff des § 3 Abs. 1 ProdHaftG enthalte deutliche Elemente der objektiv-typisierten Sorgfalt. Zu meinen bisherigen Untersuchungsergebnissen, die Zumutbarkeit als Bestimmungsfaktor der Sorgfalt einzustufen, paßt es dann aber ganz sicher nicht mehr, wenn von Westphalen 190 Zumutbarkeitskriterien bei der Haftung nach dem ProdHaftG gleichwohl nicht berücksichtigen möchte. Er nimmt damit einen meines Erachtens widersprüchlichen Standpunkt ein. Diederichsen NJW 1978, 1281 (1283f.). Rolland, Produkthaftungsrecht, § 3, Rn. 44; Sürder, Produkthaftungsgesetz, Teil 4/ 3.3.15, S. 3f.; Taschner/Frietsch/Taschner, Produkthaftungsgesetz2, Art. 6 Richtl., Rn. 23; Foerste JA 1990, 177 (180). 184 In: Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz2 , § 3, Rn. 56. 185 Produkthaftungsgesetz, § 3, Anm. II 3 b dd. 186 JA 1990, 177 (180). 187 Rolland, Produkthaftungsrecht, § 3 ProdHaftG, Rn. 44; Sürder, Produkthaftungsgesetz, Teil 4/3.3.15, S. 3f.; Taschner/Frietsch/Taschner, Produkthaftungsgesetz2· Art 6 Richtl., Rn. 23; Hollmann BB 1985, 2389 (2392). 188 Kommentar EG-Richtlinie, Bd. I, Art. 4, Rn. 12. 189 Produkthaftungshandbuch, Band 2, §59, Rn. 8f. 190 In: Produkthaftungshandbuch, Band 2, § 62, Rn. 23. 182
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
Eine dritte Ansicht 191 bietet zumindest für den Bereich der Fabrikationsfehler eine überzeugende Lösung des Problems an: Immer dann, wenn das Produkt vom üblichen Serienprodukt, und sei es als Ausreißer, abweicht, ist es fehlerhaft. Das ist objektiv feststellbar und verbietet jede Diskussion darüber, ob der Fehler nur mit unzumutbarem Aufwand zu vermeiden war 192• Den Sicherheitsstandard, den das gewöhnliche Produkt des Herstellers bietet, darf der Verbraucher mit Recht auch von dem schadensstiftenden Produkt erwarten. Er ist in keiner außergewöhnlichen Hoffnung, sondern lediglich in der Erwartung der Normalität enttäuscht worden.
2. Eigene Position für den Bereich der Konstruktionsfehler
Zu überprüfen bleibt jedoch, ob sich dieser plausible Gedanke nicht auch auf den Bereich der Konstruktionsfehler übertragen läßt. Dieses wird zumindest von Schiechtriern und Schubert 193 bestritten; die Verschuldenshaftung und die Haftung nach dem ProdHaftG zeigten bei Konstruktionsfehlern im Ergebnis keine Unterschiede. Meines Erachtens liegt diesen Äußerungen aber die sicherlich voreilige Ausrichtung der Betrachtung allein auf die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit zugrunde, während andere, unter dem Zumutbarkeitsbegriff faßbare Gesichtspunkte, wie etwa die Gewissensfreiheit, unberücksichtigt bleiben. Natürlich kann der Verbraucher nicht berechtigterweise eine Sicherheitsmaßnahme erwarten, die wegen objektiver wirtschaftlicher Unzumutbarkeit auch bei keinem der Konkurrenzprodukte angeboten wird. Verwendet aber z. B. die überwiegende Zahl der Produzenten einer Maschinenart in einer bestimmten Preisklasse eine neu patentierte, garantiert nicht entzündbare Flüssigkeit anstau des bislang eingesetzten Öles als Schmiermittel, haftet der Hersteller, der weiterhin Schmieröl verwendet, für alle Folgeschäden einer möglichen Explosion nach dem ProdHaftG. Die Verwendung des Schmieröles ist ein Haftung auslösender Produktfehler. Das gilt auch dann, wenn die neue Flüssigkeit von einem Erfinder stammt, der in führender Stelle einer Sekte tätig ist, was es jedem überzeugten Christen verbietet, mit ihm Geschäftsbeziehungen zu führen. Greifen Produzenten aus Ländern der Dritten Welt trotzdem auf das Produkt zurück, ist es nach dem ProdHaftG unerheblich, daß das Betreiben des Sicherheitsaufwandes für einen europäischen Hersteller aus religiös-weltanschaulichen Gründen objektiv unzumutbar ist. Die normale ,,konstruktive Sicherheit" eines Produkts einer bestimmten Preiskategorie kann daher nach den Maßstäben des ProdHaftG von jedem auf dem Markt vertriebenen Produkt berechtigter191 Bart/, Produkthaftung, § 3, Rn. 24f.; Schiechtriern VersR 1986, 1033 (1035); besonders deutlich bei Schubert PHI 1989, 74 (85f.). 192 Schubert PHI 1989, 74 (85). 193 Schiechtriern VersR 1986, 1033 (1035); Schubert PHI1989, 74 (86).
§ 12 Die Verortung der objektiven sowie der subjektiven Zumutbarkeit
151
weise erwartet werden. Fehlt sie bei einem Einzelprodukt nunmehr deshalb, weil dem Hersteller das Betreiben des Sicherheitsaufwandes objektiv unzumutbar war, ist das bei der Haftung nach dem ProdHaftG anders als nach § 823 Abs. 1 BGB unerheblich. Ob ein Produkt fehlerhaft im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG ist, bestimmt sich bei Fabrikationsfehlern demnach durch einen Vergleich mit dem Serienprodukt des Herstellers, beim Konstruktionsfehler zumindest nach dem durchschnittlichen Serienprodukt derselben Preisklasse. Allein wenn danach kein Konstruktionsfehler vorliegt, jedoch em teureres Alternativverhalten zur Verfügung steht, muß es wieder auf Zumutbarkeitsüberlegungen ankommen.
3. Zusammenfassung
Zumutbarkeitsgesichtspunkte sind im Rahmen des ProdHaftG nur sehr beschränkt zu berücksichtigen. Aspekte objektiver Unzumutbarkeit spielen nur bei Konstruktionsfehlern und auch dort nur dann eine Rolle, wenn auch der normale Produzent eines Produkts derselben Preisklasse diesen "Fehler" mit seiner Konstruktion nicht vermeiden kann. Noch weitergehende Beschränkungen können mit Foerste 194 nicht ausgeschlossen werden; Untersuchungen hierzu würden aber den Rahmen dieser Bearbeitung sprengen.
IX. Ergebnis Zumutbarkeitsgesichtspunkte als Oberbegriff subjektiver rechtlich anerkannter des Schädigers werden im deliktischen Schichtaufbau an zwei verschiedenen Stellen verortet Die objektive Zumutbarkeit, die Umstände umschreibt, auf die sich eine größere, abgrenzbare Gruppe von Menschen beziehen kann oder die gar in einem besonderen Verkehrskreis eine Rolle spielen, fließt in den Begriff der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ein. Dort führt sie zu einer (noch) systemkonformen Versubjektivierung des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs, die gleichzeitig neue Spielräume für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des Übernahme- oder Vorsorgeverschuldens eröffnet. Je nachdem, ob man der Lehre vom Verhaltensunrecht oder derjenigen vom Erfolgsunrecht folgen will, sind die Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit daher beim Fahrlässigkeitsdelikt entweder auf der Stufe der Rechtswidrigkeit oder auf derjenigen des Verschuldens zu prüfen. Demgegenüber begründen Interessen, die ausschließlich im Einzelfall wirksam werden und daher der subjektiven Zumutbarkeit unterfallen, zugunsten des fahrlässig Handelnden einen Schuldausschließungsgrund. Int~ressen
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JA 1980, 177 ( 180).
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2. Teil: Verortung im deliktischen Schichtaufbau
Beim Vorsatzdelikt spielt die objektive Zumutbarkeit nur eine Rolle, wenn man der Ansicht Münzbergs Folge leistet und die Sorgfaltswidrigkeit zum Bestimmungsmerkmal der Rechtswidrigkeit erhebt. Ansonsten kann man beim vorsätzlichen Handeln ausschließlich auf die subjektive Unzumutbarkeit abstellen. Sie umfaßt alle nur im Einzelfall wirksam werdenden subjektiven Interessen des schuldhaft handelnden Deliktstäters und zusätzlich auch alle unter dem Stichwort der objektiven Zumutbarkeit einzustufenden Gesichtspunkte. Sie alle wirken als Schu1dausschließungsgrund.
Dritter Teil
Die Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner In den ersten beiden Teilen dieser Arbeit ist ausführlich dargestellt worden, wieso Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Deliktsrecht Berücksichtigung finden müssen und an welchen Stellen des deliktischen Schichtaufbaus Einfallstore für Zumutbarkeitsüberlegungen bestehen. Nunmehr soll der Versuch unternommen werden, allgemeine Regeln dafür festzulegen, in welchem Umfang subjektive Interessen über den Zumutbarkeitsgesichtspunkt Eingang in das Deliktsrecht finden. Hierfür werden sich Vorgaben möglicherweise auch aus der oben in § 4 ausführlich dargestellten Reichweite der Rechtfertigungsgründe ergeben. Gewicht wird auch der Frage zukommen, inwiefern eine bestehende Versicherung die Berufung auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte ausschließt. Schließlich gilt es zu erörtern, ob im Falle des Schuldausschlusses aufgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens eine Billigkeitshaftung analog § 829 BGB oder ein Ausgleichshaftung analog § 904, S. 2 BGB eingreift.
§ 13 Verantwortlichkeit aufgrund anderer Haftungsnormen trotz Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Sowohl die objektive als auch die subjektive Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens lassen die deliktsrechtliche Verantwortlichkeit des Schädigers nach § 823 Abs. I BGB entfallen. Damit ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob nicht stattdessen andere Normen dem Täter eine Schadenersatzpflicht auferlegen. So hat denn auch beispielsweise Deutsch 1 dafür plädiert, in Fällen subjektiver Unzumutbarkeit dem Geschädigten einen nach den Grundsätzen der Billigkeitshaftung zu bemessenden Entschädigungsanspruch analog § 829 BGB zuzusprechen. Andere wollen demgegenüber mittels einer analogen Anwendung des § 904, S. 2 BGB Ungerechtigkeiten ausgleichen. Beide Lösungsansätze sind deshalb nachfolgend auf ihre Tragfähigkeit hin zu untersuchen.
I
Deutsch, Haftungsrecht I, S. 286.
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
I. Die Billigkeitshaftung nach § 829 BGB Unter dem Vorbehalt der Billigkeit sowie einiger weiterer Tatbestandsvoraussetzungen begründet § 829 BGB eine Haftung desjenigen Deliktstäters, der aufgrund seiner Minderjährigkeit, Bewußtlosigkeit oder damit vergleichbarer Umstände nach den §§ 827f. BGB unzurechnungsfähig und damit haftungsrechtlich nicht greifbar ist. Nach Deutsch führt die subjektive Unzumutbarkeit nunmehr zu einem mit den dort beschriebenen Umständen vergleichbaren seelischen Defekt des Täters, was für diesen Fall eine analoge Anwendung des § 829 BGB erforderlich mache2.
1. Die Position der herrschenden Ansicht und der Rechtsprechung
Demgegenüber lehnt die ganz herrschende Lehre 3 , aber auch die Rechtsprechung4 in allen Fällen, in denen die Schuld aus einem anderen als den in den §§ 827f. BGB bezeichneten Gründen fehlt, eine entsprechende Anwendung des § 829 BGB ab. Dieses soll auch für die Fallgruppe der Unzumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens gelten5 . Man stützt sich dabei vornehmlich auf die Entstehungsgeschichte des § 829 BGB6 : In der Endfassung der 2. Kommission hatte der damalige § 8147 und heutige § 829 BGB folgende Fassung: "Wer in einem der in den §§ 808, 809 (heute: §§ 823, 824 BGB) bezeichneten Fällen für einen von ihm verursachten Schaden deshalb nicht verantwortlich ist, weil ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht zur Last fällt, hat gleichwohl den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit ... eine Schadloshaltung erfordert. Das gleiche gilt, wenn jemand in einem der in den §§ 808 bis 811 (jetzt §§ 823 bis 826) bezeichneten Fälle .. auf Grund der§§ 812, 813 (jetzt: §§ 827, 828) nicht verantwortlich ist ... ."Der Bundesrat hat die Billigkeitshaftung dann auf die Fälle des heutigen § 829 BGB beschränkt, und spätere Anträge, die weitergehende Fassung wiederaufzunehmen und die BilligkeitshafDeutsch, Haftungsrecht I, S. 286. Erman/Dree/ § 829, Rn. 1; RGRK/Steffen 12 § 829, Rn. 5; Soergei/Zeuner 11 § 829, Rn. 11 ; Staudinger/Schäfer12 § 829, Rn. 18; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse15, S. 925; Wilts NJW 1962, 1852; ders. VersR 1963, 1098. 4 BGHZ 39, 281 (285). 5 So ausdrücklich Staudinger/Schäfer 12 § 829, Rn. 18. 6 Ausführlich hierzu neben den Genannten Prot. li, S. 585, 589; RGZ 146, 213 (216f.); M. Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, S. 15. Vgl. auch Reinhardt, in: Arbeitsberichte der Akademie für Deutsches Recht Nr. 14, S. 64 (71). Zur Diskussion um eine Reform des § 829 BGB siehe Staudinger/Schäfer 12 § 829, Rn. 12; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 3l3f. sowie ders. JZ 1964, 86 (89) und Dölle 34. DJT 1926, Bd. I, S. 98 (122). 7 Nach dem Entwurf II: § 752. 2
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§ 13 Verantwortlichkeit aufgrund anderer Haftungsnormen
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tung auf alle Fälle schuldlosen Unrechts auszudehnen, sind in der Reichstagskommission mit Mehrheit abgelehnt worden. Hieraus leitet die herrschende Ansicht nunmehr ab, daß § 829 BOB zwar keinem generellen Analogieverbot unterliege, eine Weiterentwicklung der Norm, ausgehend von ihrer Zweckrichtung also möglich sei8 , allerdings insofern eine Grenze bestehe, als die Schuld nur aus einem mit den in den §§ 827f. BOB bezeichneten Umständen vergleichbaren Grund entfallen sein dürfe. Jedenfalls dürfe die Billigkeitshaftung nicht jeden schuldlos Handelnden treffen. Allein diese Auslegung stehe auch mit dem Wortlaut des § 829 BOB in Einklang. Schließlich bilde die Norm eine Ausnahme vom Verschuldensgrundsatz und sei auch von daher einer ausdehnenden Auslegung nicht zugänglich9 .
2. Die Auffassung von Deutsch und Nipperdey Anderer Meinung sind allein Deutsch und Nipperdey 10• Letzterer verbindet auch mit dem zivilrechtliehen Schuldbegriff der Strafrechtsdoktrin entsprechend die Vorwerfbarkeit normgemäßen Verhaltens. Dieses führt ihn zur Anerkennung eines Schuldausschließungsgrundes der Unzumutbarkeit, der seiner Ansicht nach manchmal aber den Geschädigten ungerecht belaste und daher nach einem Ausgleich verlange, wie ihn allein eine analoge Anwendung des § 829 BOB bieten könne. Teilte man diese Prämisse zur Geltung des subjektiven Schuldbegriffs im Zivilrecht, so wäre diese Position- woraufDeutsch mit Recht hingewiesen hat 11 nur konsequent: Ein Abstellen auf die Vorwerfbarkeit des Verhaltens bevorzugte die Interessen des Schädigers dann derart einseitig, daß das dadurch gewonnene Ergebnis nicht endgültig sein könnte und eines Ausgleiches bedürfte.
3. Eigene Stellungnahme Nach der hier vertretenen Lösung leitet sich die Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten aber nicht aus einem subjektiv gefärbten Schuldbegriff, sondern aus der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts ab. Das bedeutet aber, daß - durchgreifende - Zumutbarkeitsüberlegungen keineswegs zu einer einseitigen Bevorzugung des Schädigerinteresses führen, sondern in Abwägung der beiderseitigen Interessen gewonnen worden sind. Es ist deshalb nur konsequent, wenn derjenige, der sich auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens MünchKomm/Merteni § 829, Rn. 2. Wilts NJW 1962, 1852; ders. VersR 1963, 1098. 10 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 286; Enneccerus/Nipperdey, Allgem. Teil 15 , S. 1325. 11 Deutsch JZ 1964, 86 (91).
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
beruft, jedenfalls grundsätzlich auch nicht mit einer Billigkeitshaftung belastet wird. Die Herleitung des Zumutbarkeitskriteriums aus der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts sorgt auch dafür, daß mit der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens keine seelische Situation einhergeht, die mit den Fällen der §§ 827f. BGB vergleichbar ist und daher eine analoge Anwendung des § 829 BGB geböte 12 : Der "objektive" Ansatz, den Zumutbarkeitsaspekt aus der Interessenfortsetzungsfunktion abzuleiten, macht die Berufung auf Zumutbarkeitserwägungen nicht davon abhängig, ob sich der Schädiger in einer psychischen Zwangslage befindet. Diese geht zwar manchmal, aber sicherlich nicht notwendig mit den Umständen einher, die für die Unzumutbarkeit sprechen. Eine analoge Anwendung des § 829 BGB für alle Fälle der Unzumutbarkeit, sich der Norm gemäß zu verhalten, muß daher ausscheiden und kann allenfalls im hier nicht näher zu untersuchenden Einzelfall greifen.
II. Der Ausgleichsanspruch nach § 904, S. 2 BGB Nach § 904, S. 2 BGB kann der Eigentümer einer notstandspflichtigen Sache Ersatz des ihm infolge des Eingriffes entstehenden Schadens verlangen, sofern ein Fall des rechtfertigenden, nicht aber des lediglich entschuldigenden Notstandes vorliegt. Mittels eines "Erst-recht-Schlusses" wird allerdings dessen analoge Anwendung diskutiert, wenn in das Rechtsgut zwar rechtswidrig, aber unverschuldet eingegriffen wurde.
1. Analoge Anwendung des § 904, S. 2 BGB Hauptansatzpunkt für den Analogieschluß ist die Überlegung, daß bei einer gesetzlich normierten Haftung für rechtmäßiges Verhalten unter ansonsten identischen Voraussetzungen erst recht für rechtswidriges, obwohl schuldloses Verhalten gehaftet werden muß, da anderenfalls eine ungerechte Haftungsordnung entsteht 13 . Es kommt hier demnach der Gedanke zum Tragen, der auch zugunsten des Instituts des enteignungsgleichen Eingriffs vorgebracht worden ist 14. Anders als dort gibt aber auch die Entstehungsgeschichte des § 904 BGB einen Hinweis auf die Frage nach der analogen Anwendung der Norm. So aber Deutsch, Haftungsrecht I, S. 286. Geilen JZ 1964, 6, Fn. 4; Wilts NJW 1962, 1852. Ebenso MünchKomm!Säcke? § 904, Rn. 25; Goldschmidt, 34. DJT 1926, Bd. II, S. 426 (441); Lange/Köhler, BGB, Allgem. Teil 17 , S. 136; Reiche/, 34. DJT 1926, Bd. I, S. 136 (175); Canaris JZ 1963, 655 (658f.); Wilts NJW 1964, 708 (709). Wohl auch Erman/Hagen9 § 904, Rn. 7; Westermann, Sachenrecht5 , S. 122f. Gegen dieses Argument Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 178. 14 Wilts NJW 1962, 1852. 12
13
§ 13 Verantwortlichkeit aufgrund anderer Haftungsnormen
157
Die II. Kommission wollte die Schadenersatzpflicht zunächst in allen Fällen des (strafrechtlichen) Notstandes als nicht ausgeschlossen ansehen, § 746 Abs. 2. Erst als später der heutige § 904 BGB eingefügt wurde, nahm man den deshalb für entbehrlich gehaltenen § 746 Abs. 2 aus dem Gesetz, ohne dabei zu berücksichtigen, daß § 904 BGB einen im Verhältnis zum strafrechtlichen Notstand viel kleineren Anwendungsbereich besitzt. Dieser redaktionelle Fehler 15 läßt sich aber zwanglos überspielen, wenn man die ausdrücklich nur für rechtmäßige Notstandshandlungen geltende Norm mit der herrschenden Lehre für die Fälle des entschuldigenden Notstandes analog heranzieht und damit zu demselben Ergebnis kommt, wie es § 746 Abs. 2 des Entwurfes ursprünglich auch vorsah 16• Da der entschuldigende Notstand, § 35 StGB, nunmehr wiederum auf den Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zurückgeführt wird 17, ist die Schlußfolgerung Wilts.J 8 evident, § 904, S. 2 BGB analog für diejenigen Fälle heranzuziehen, in denen es mangels zivilrechtlicher Zumutbarkeit an dem für die §§ 823ff. BGB erforderlichen Verschulden fehlt.
2. Gegenstimmen und eigene Stellungnahme Stimmen gegen die analoge Heranziehung des § 904, S. 2 BGB sind rar geblieben. Sie werden außerdem entweder nicht begründet 19 oder beruhen auf einem falschen Verständnis der Ansicht Wilts' 20 . Einzig Seiler2 1 baut eine zunächst plausible Gegenposition auf. Das Bestehen einer Ersatzpflicht beim rechtfertigenden Notstand im Gegensatz zum Fall des entschuldigenden Notstandes lasse sich dadurch erklären, daß das Opfer beim lediglich entschuldigenden Notstand anders als beim rechtfertigenden Notstand den Eingriff nicht dulden müsse, sondern sich dagegen zur Wehr setzen könne. Es sei also auf einen wahlweisen zusätzlichen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch, der im Haftungssystem ohnehin die Ausnahme bilde, gar nicht angewiesen. Bestehe aber keine Notwendigkeit für den Schadenersatzanspruch, fehle es auch an der für eine Analogie notwendigen Regelungslücke.
15 Zumindest war erwogen worden, daß der heutige § 904 BGB einen Grundsatz enthält, der auch die nicht unmittelbar von ihm betroffenen Fälle regelt: Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 178. 16 Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 178; Reichet, 34. DJT 1926, Bd. I, S. 136 (175); Wilts NJW 1962, 1852. Vgl. auch Mugdan I, S. 799ff. 17 Statt vieler: LeipzKomm/Hirsch 11 , Rn. 195 vor § 32. Sehr kritisch Bemsmann, "Entschuldigung" durch Notstand. 18 Wilts NJW 1964, 708 (709). 19 Palandt/Hoche26 § 904, Anm. I a. 2o So bei Weimar NJW I 962, 2093. Dagegen Wilts NJW I 964, 708 (709). 21 In: Staudinger 12 § 904, Rn. 49.
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
Diese Argumentation deckt sich bezeichnenderweise mit deijenigen des Bundesverfassungsgerichts, die es im sogenannten Naßauskiesungsbeschluß 22 vertreten hat. Die Existenz des Entschädigungstatbestandes des enteignungsgleichen Eingriffs war bis zur Entscheidung des BVerfG ebenfalls mit einem ,,Erst-rechtSchluß" begründet worden: Wenn schon der wegen der Enteignungsermächtigung in Art. 14 Abs. 3 GG rechtmäßige Eingriff in das Eigentum ersatzpflichtig mache, so müsse das erst recht für einen rechtswidrigen Eingriff in das Eigentum gelten. Diese Schlußfolgerung hat das Gericht aber deshalb für nicht plausibel gehalten, weil dadurch verkannt werde, daß sich der Geschädigte wegen des Fehlens einer entsprechenden Anspruchsgrundlage für die Enteignung gegen diese zur Wehr zu setzen vermöge. Ihm könne daher kein Wahlrecht in dem Sinne zustehen, sich unter Verzicht auf sein Anfechtungsrecht für eine vom Gesetz gar nicht vorgesehene Entschädigung zu entscheiden 23 . Während eine Mindermeinung die Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs nunmehr für verfassungswidrig hält24 , ergänzt der BGH die Voraussetzungen des enteignungsgleichen Eingriffs um das negative Tatbestandsmerkmal, primären Rechtsschutz unter zurnutbaren Anstrengungen nicht erlangen zu können25 . Zurückgeführt wird der Anspruch dabei nicht mehr auf Art. 14 GG, sondern stattdessen auf den Aufopferungsgedanken analog §§ 74,75 Einl.PreußALR26 • Für unser zivilrechtliches Problem der analogen Anwendung des § 904, S. 2 BGB auf die Fälle rechtswidrigen, aber infolge Unzumutbarkeit schuldlosen Handeins scheint mir daher folgender Ansatzpunkt richtig zu sein: War es dem Geschädigten seinerseits unzumutbar oder gar unmöglich, rechtzeitig primären Rechtsschutz zu begehren, so kann er analog § 904, S. 2 BGB einen Entschädigungsanspruch geltend machen. Dieser läßt sich zwar nicht auf einen allgemeinen Aufopferungsgedanken zurückführen, der wohl im öffentlichen Recht in den §§ 74,75 Einl.PreußALR seinen Ausdruck gefunden hat, im Zivilrecht aber nicht als eigenständiges Prinzip anerkannt ist27 • Der Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 904 BGB zeigt aber, daß in Notstandslagen eine Haftung für rechtswidrige, aber schuldlose Eingriffe durchaus vorgesehen war und daher durch eine analoge Anwendung des § 904, S. 2 BGB auch gelten können sollte.
24
BVerfGE 58, 300ff. BVerfGE 58, 300 (325). Vgl. bei Ossenbühl, Staatshaftungsrecht4 , S. 182. Dagegen z. B. Götz, Agrarrecht 1984,
25
Dogmatisch wird dieses negative Tatbestandsmerkmal auf den Rechtsgedanken des
22 23
I (2).
§ 254 BGB gestützt: BGHZ 90, 17 (32).
26 BGHZ 90, 17 (31). Anders Ossenbühl, Staatshaftungsrecht4 , S. 185, der ihn auf Gewohnheitsrecht stützt. Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht9 § 26, Rn. 87 will hingegen an Art. 14 Abs. I GG festhalten. 27 Staudinger!Seiler 12 § 904, Rn. 4, 46; Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung, S. 320ff. Anders MünchKomm/Säcker2 § 904, Rn. 24.
§ 13 Verantwortlichkeit aufgrund anderer Haftungsnormen
159
3. Reichweite der Analogie Unklar erscheint jedoch noch die Reichweite der Analogie. Es gilt festzulegen, ob sie nur den Eingriff in das Eigentum oder auch die Verletzung anderer Vermögenswerte oder gar höchstpersönlicher Rechtsgüter erfaßt. Offen ist bisher, inwieweit eine Unterscheidung nach den beiden Schuldformen geboten erscheint und wie Fälle zu behandeln sind, denen keine Notstandssituation zugrundeliegt Ausdrücklich geklärt ist in der Literatur das Problem, ob § 904, S. 2 BGB auch für die Fälle entsprechend herangezogen werden kann, in denen § 34 StGB zur zivilrechtlichen Rechtfertigung führt. Dieses wird von der ganz herrschenden Lehre bejaht, und zwar mit einem für diesen Fall treffenden "Erst-recht-Schluß", daß wenn schon für die Verletzung des Eigentums in Notstandsfällen Ersatz zu leisten sei, dieses erst recht für die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter gelten müsse28 . Man kann hinzufügen, daß die Vorgabe, § 34 StGB im Zivilrecht anzuwenden, zwangsläufig bedeuten muß, auch die Entschädigungsregelung des im Zivilrecht als Spezialfall des § 34 StGB normierten § 904 BGB heranzuziehen. Hinsichtlich der Frage, ob § 904, S. 2 BGB auch für den Bereich des fahrlässigen, aber aus Unzumutbarkeitsgründen nicht haftbar machenden Verhaltens entsprechend angewendet werden darf, muß die Antwort jedoch anders ausfallen. Dafür ist entscheidend, daß § 904, S. 2 BGB nach der Gesetzesfassung untrennbar an die Voraussetzungen des § 904, S. 1 BGB gebunden ist. Da allerdings § 904, S. 1 BGB nach dem oben unter § 4 II 3 Ausgeführten ebenso wie § 34 StGB 29 im Zivilrecht nur das vorsätzliche Vorgehen rechtfertigen kann, darf § 904, S. 2 BGB nur dann analog herangezogen werden, wenn die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu einem vorsätzlichen deliktischen Verhalten geführt hat. Schließlich ist fraglich, wie es die Fälle zu behandeln gilt, in denen eine Haftung nach den §§ 823ff. BGB wegen subjektiver Unzumutbarkeit entfällt, der Deliktsschuldner sich auf der anderen Seite aber nicht in einer Notstandssituation befindet. Meines Erachtens muß aber auch hier ein "Erst-recht-Schluß" gelten: Wenn sogar schon in Notstandsfällen, die zu einer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens führen, eine Entschädigungspflicht besteht, dann muß diese auch dann gegeben sein, wenn sich der Täter auf Unzumutbarkeitsgründe berufen kann, aber andererseits noch nicht einmal die Notstandsvoraussetzungen erfüllt sind.
28
Statt vieler vgl. nur MünchKomm/Säcker2 § 904, Rn. 24; Staudinger/Seiler 12 § 904,
29
Dazu oben § 4 III I d.
Rn. 48.
160
3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
111. Zusammenfassung Scheidet eine Haftung nach den §§ 823ff. BGB wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens aus, so kommt auch eine Billigkeitshaftung analog § 829 BGB nur ausnahmsweise in Betracht. Demgegenüber löst jeder vorsätzliche, aber aus Gesichtspunkten der subjektiven Zumutbarkeit unverschuldete Eingriff in ein beliebiges Rechtsgut und unabhängig davon, ob er im Notstand oder außerhalb eines solchen erfolgt, eine Haftung analog § 904, S. 2 BGB aus. Deshalb stimme ich im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung mit Deutsch30 überein, daß der Vorsatztäter keinen Bewegungsspielraum in Anspruch nehmen kann, vielmehr in jedem Falle auf Geldersatz haftet. Der Ersatz des immateriellen Schadens ist allerdings gemäß § 253 BGB ausgeschlossen.
§ 14 Die Reichweite von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Deliktsrecht Bislang hat diese Untersuchung zu zeigen vermocht, daß es sowohl die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts als auch verfassungsrechtliche Vorgaben gebieten, Zumutbarkeitsgesichtspunkte und damit subjektive Interessen des Deliktsschuldners im Haftungstatbestand mitzuberücksichtigen. Sie fließen zum einen in dasjenige ein, was wir als im Verkehr erforderliche Sorgfalt verlangen und setzen sich zum anderen als Schuldausschließungsgrund durch. Offen ist hingegen noch, ob sich Leitlinien dafür aufstellen lassen, in welchem Umfang Zumutbarkeitsüberlegungen in das Deliktsrecht hineinwirken. Denkbar wäre hierfür zum Beispiel eine Lösung, wonach Zumutbarkeitsgesichtspunkte das deliktische Verhaltensgebot nur dann begrenzen, wenn sie subjektive Interessen umschreiben, die im Kernbereich einer grundrechtliehen Gewährleistung liegen. Vor dem Hintergrund einer Rückschau auf die bisher gewonnenen Untersuchungsergebnisse könnte sich jedoch zeigen, daß die Reichweite des Unzumutbarkeitseinwandes nur für jeden Einzelfall gesondert nach der Stärke des jeweils hinter dem Unzumutbarkeitseinwand stehenden rechtlich geschützten Interesses bestimmt werden kann. Die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts könnte also dem Versuch entgegenstehen, eine Leitlinie für den Umfang der Berücksichtigung von Zumutbarkeitsüberlegungen zu definieren. Zunächst soll aber dort auf das schon oben in § 4 dieser Untersuchung angeschnittene, aber dort noch nicht abschließend gelöste Problem zurückgekommen werden, inwieweit Rechtfertigungsgründe die Berufung auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte ausschließen. 30
Haftungsrecht I, S. 28f.; ders., in: Festschrift für Richard M. Honig, S. 33 (40f.).
§ 14 Reichweite von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Deliktsrecht
161
I. Rechtfertigungsgründe und Zumutbarkeitsaspekte Meiner oben entwickelten Auffassung zufolge beziehen sich die §§ 904 BGB, 34 StGB zwar nicht auf die fahrlässige Vorgehensweise, wohl aber auf alle vorsätzlichen Begehungs- und Unterlassungsdelikte (§ 4 III). Für den Vorsatzbereich geben sie deshalb- auch außerhalb einer Notstandslage- eine scheinbar abschließende Wertung dafür ab, wann sich der Deliktsschuldner mit seinen Interessen dem Deliktsgläubiger gegenüber ausnahmsweise durchsetzt ("wesentlich überwiegendes Interesse" zugunsten des geretteten Interesses bzw. "nicht unverhältnismäßig großer Schaden" bei einem vom Eingriff betroffenen, sofern wirtschaftlichem Interesse),§ 4 IV lund 2. Keine Vorgabe besteht allerdings schon dann, wenn Zumutbarkeitsgesichtspunkte angesprochen werden, die sich nicht auf den Interessenabwägungsgrundsatz zurückführen lassen,§ 4 IV 3. Man wird hierunter den Fall einordnen müssen, daß sich der Deliktsschuldner auf den Kernbereich einer grundrechtliehen Gewährleistung beruft. Dann bedarf es keiner Interessenabwägung. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zudem, daß die Rechtfertigungsgründe noch nicht einmal beim Vorsatzdelikt strenge Vorgaben für die Berücksichtigung von auf den Interessenabwägungsgrundsatz zurückführbare Zumutbarkeitsgesichtspunkte setzen: Rechtfertigungsgründe stellen nämlich allgemeine Regeln auf, die jedem Dritten in der gleichen oder in einer ähnlichen Lage zugutekommen. Sie können dann aber prinzipiell nur Leitlinie für objektive Zumutbarkeitserwägungen abgeben, den Richter aber nicht auch bei der Frage nach der subjektiven Unzumutbarkeit eines Verhaltensgebotes binden, § 4IV 1. Desweiteren haben Untersuchungen zur Verortung des Zumutbarkeitseinwandes gezeigt, daß beim Vorsatzdelikt nur subjektive Zumutbarkeitsgesichtspunkte als Schuldausschließungsgrund beachtlich sind, § 12 VI. Diese beiden Zwischenergebnisse lassen aber nur folgende Schlußfolgerung zu: Wenn die Rechtfertigungsgründe für den Bereich der subjektiven Unzumutbarkeit prinzipiell keine Richtschnur fixieren, dann spielen die §§ 904 BGB, 34 StGB bei der Frage nach der Zumutbarkeit nicht nur im Fahrlässigkeits-, sondern grundsätzlich auch im Vorsatzbereich keine Rolle. Denn das Vorsatzdelikt kennt nur die Kategorie der subjektiven Unzumutbarkeit. Dem muß man allerdings noch folgendes entgegenhalten: Die objektive Zumutbarkeit ist nur eine Teilmenge der subjektiven Zumutbarkeit, § 3, d. h. Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit werden im Vorsatzbereich - wenn auch im Rahmen eines anders strukturierten Abwägungsprozesses als bei der reinen objektiven Betrachtung - unter der Rubrik der subjektiven Unzumutbarkeit mitbehandelt Deshalb müssen die in den objektiv ausgerichteten Rechtfertigungsgründen zum Ausdruck kommenden Wertungen beim Vorsatzdelikt zwangsläufig doch auch Gesichtspunkte der subjektiven Zumutbarkeit beeinflussen. Da die subjektive Ausrichtung des Zumutbarkeitseinwandes jedoch eine stärkere Betonung auf die Interessen gerade dieses Deliktsschuldners legt, ist der Einfluß der aus den RechtfertiII Scholz
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
gungsgründen ableitbaren Wertungen beschränkt und nur schwer in einer Leitlinie quantifizierbar. Die Umschreibung einer derartigen Richtschnur läge aber auch nur im akademischen Interesse: Der Unzumutbarkeitseinwand befreit den Deliktsschuldner im Vorsatzbereich nämlich in keinem Fall von einer Entschädigungspflicht. Da er in einem Fall subjektiver Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens beim vorsätzlichen Verhalten analog § 904, S. 2 BGB haftet (vgl. § 13 II), würde sich für ihn allein die Anspruchsgrundlage ändern, aufgrund derer er zum Ersatz verpflichtet ist: Verschärft man die Anforderungen an die subjektive Unzumutbarkeit, indem man die Wertung des § 34 StOB hierauf überträgt, ein wesentlich überwiegendes Interesse des Deliktsschuldners zu verlangen, erweitert man den Anwendungsbereich der §§ 823ff. BGB zu Lasten der analogen Heranziehung von § 904, S. 2 BGB. Überträgt man die Wertung nicht und fordert nur ein einfaches Überwiegen, wird der Täter trotzdem analog § 904, S. 2 BGB haftbar gemacht. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Rechtfertigungsgründe Zumutbarkeitserwägungen nur beim vorsätzlichen Verhalten beeinflussen, dieses aber in nicht quantifizierbarer Weise. Für das Unterlassungsdelikt gelten keine Besonderheiten31.
II. Vorrang der auf den Kernbereich einer grundrechtliehen Gewährleistung zurückführbaren Zumutbarkeitsgesichtspunkte Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß das Deliktsrecht dreierlei garantiert: Zum einen dem Deliktsopfer ein Mindestmaß an repressivem Schutz seiner Rechtsgüter, zum anderen dem Deliktstäter über die negative Funktion des Verschuldensprinzips32 ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit und zum dritten, wenn beide Seiten Interessen geltend machen, die diesen absoluten Schutz nicht genießen, daß sich dann das höherrangige rechtlich geschützte Interesse durchsetzt. Diese drei Aspekte führen dazu, dem Deliktsrecht eine Interessenfortsetzungsfunktion zuzusprechen. Da unter dem Stichwort Zumutbarkeit subjektive Interessen des Schädigers zusammengefaSt werden, muß deshalb die Zumutbarkeit im Haftungsrecht zum einen in einem Mindestmaß berücksichtigt werden und zum anderen muß der Zumutbarkeitseinwand darüber hinaus .stets durchschlagen, wenn er höherrangigen rechtlich geschützten Interessen Geltung verschaffen will. Soweit Zumutbarkeitsüberlegungen Interessen aus dem Kernbereich eines Grundrechtes aufgreifen, wird man den Zumutbarkeitseinwand sogar ohne jede 31 Vgl. § 4llll c. Gründe, das Zumutbarkeitskriterium beim Unterlassungsdelikt an anderer Stelle als beim Begehungsdelikt zu verorten, sind nicht ersichtlich. 32 Begriff von Deutsch, Haftungsrecht I, S. 26f. Die positive Funktion ist die Zurechnung von Verhalten.
§ 14 Reichweite von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Deliktsrecht
163
Ausnahme berücksichtigen müssen. Dann gilt nämlich der in § 10 I dieser Arbeit begründete Umstand, daß die Haftungsnormen des Deliktsrechts das Werdende dem Bestehenden gegenüber grundsätzlich vorziehen. Das muß deshalb auch dann gelten, wenn sich das Deliktsopfer seinerseits auf einen Eingriff in den Kernbereich seines Grundrechtes beruft. Diese Regelung ist auch nicht unangemessen, da der defensive Rechtsschutz ein umgekehrtes Rangverhältnis aufstellt und dem Deliktsopfer seinerseits anderen gegenüber ein weiter Bewegungsfreiraum offensteht
111. Das Durchgreifen des Zumutbarkeitseinwandes als Einzelfallentscheidung Sofern der Zumutbarkeitseinwand nicht auf Interessen verweist, die auf den Kernbereich eines Grundrechtes zurückführen, kann die Frage, inwieweit Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Deliktsrecht zu berücksichtigen sind, nur aus der lnteressenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts hergeleitet werden. Sie besagt, daß sich das schon anderweitig rechtlich anerkannte und nach rechtlichem Werturteil höherwertige Interesse dem niedrigerrangigen Interesse gegenüber durchsetzt, und zwar zumindest durch die Anerkennung eines Schadenersatzanspruchs. Daraus wird aber eine gewisse Akzessorietät des Deliktsrechts deutlich. Es setzt sich nämlich nur dasjenige Interesse durch, das anderweitig rechtlich anerkannt und dabei zugleich höherwertig als ein entgegenstehendes Interesse bewertet wird. Das aber bedeutet: Ob der Zumutbarkeitseinwand eingreift, hängt in jedem Einzelfall von der rechtlichen Wertigkeit der jeweils konkurrierenden Interessen ab. Immer dann, wenn das auf eine rechtlich anerkannte Position zurückführbare Schuldnerinteresse das Gläubigerinteresse auch nur unwesentlich überwiegt und keine Norm existiert, die dem Schuldnerinteresse daraufhin ohnehin schon den Vorzug gewährt, entlastet den Deliktsschuldner der Einwand objektiver oder subjektiver Unzumutbarkeit. Hängt jedoch die Frage, ob sich der Deliktsschuldner auf Zumutbarkeitserwägungen berufen kann, von dem sich im Einzelfall jeweils anders gestaltenden Spannungsverhältnis ab, in dem sich das hinter dem Zumutbarkeitseinwand stehende Interesse gerade befindet, ist es unmöglich, einen Maßstab dafür anzugeben, in welchem Umfang der Aspekt der Zumutbarkeit im Haftungsrecht zu berücksichtigen ist33 . Dabei schlägt auch die Lückenfüllerfunktion des Zumutbarkeitseinwandes durch: Wollte man positiv umschreiben, in welchen Fällen der Zumutbarkeitseinwand greift, hätte man zugleich das Spiegelbild gezeichnet, inwieweit anderweitig rechtlich anerkannte Interessen des Deliktsschuldners durch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen der Deliktstatbestände miterlaßt werden. Werden sie davon 33 Für das Strafrecht kommt Roxin, in: Festschrift für Henkel, S. 171 (184f.) zu dem gleichen Ergebnis.
II*
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
nämlich nicht mitumfaßt, greift die Zumutbarkeit als Lückenfüller ein, inkorporiert sie in die deliktsrechtliche Interessenahwägung und sorgt letztendlich dafür, daß das Deliktsrecht seiner Aufgabe gerecht wird, sämtliche widerstreitenden rechtlich geschützten Interessen in eine allgemeingültige Rangfolge mit subsidiärem Geltungsanspruch zu bringen. Jede abschließende Umschreibung der Zumutbarkeit beschriebe damit auch die - subsidiär geltenden - rechtlichen Grundpflichten der Bürger untereinander. Das aber wiederum beweist, daß es nicht möglich sein dürfte, Leitlinien dafür aufzustellen, in welchem Umfang Zumutbarkeitsüberlegungen im Deliktsrecht zu berücksichtigen sind. Dafür ist das Gewicht der mit dem Zumutbarkeitskriterium umschriebenen subjektiven Schuldnerinteressen zu unterschiedlich. Daher können zur Reichweite von Zumutbarkeitsgesichtspunkten im Deliktsrecht nur zwei Aussagen getroffen werden: Beim vorsätzlichen Verhalten ist gelegentlich - ohne daß das näher quantifizierbar wäre - ein stärkeres Überwiegen des Schuldnerinteresses gefordert. Generell bevorzugt wird der Schuldner hingegen, wenn sich sein Zumutbarkeitseinwand auf den Kernbereich eines ihm zustehenden Grundrechtes zurückführen läßt.
§ 15 Versicherungsschutz als bei Zurnutbarkeitsüberlegungen zu berücksichtigender Gesichtspunkt Die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts gebietet es, deliktische Verhaltenspflichten nicht allein danach zu definieren, ob deren Erfüllung möglich ist, sondern sie auch dann zu leugnen, wenn sie zu außerordentlichen, über das vertretbare Maß hinausgehenden wirtschaftlichen Belastungen führen würden. Fraglich ist jedoch, ob für die Frage nach der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch der Umstand von Bedeutung ist, daß der Schädiger eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat oder ein Versicherungsschutz entweder üblich ist oder vernünftigerweise eingegangen worden wäre. Das würde die Berufung auf Unzumutbarkeitsgesichtspunkte erheblich erschweren.
I. Bestehende Haftpflichtversicherung 1. Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
Die ursprüngliche Argumentation34 lautete wie folgt: Auf Schadenersatz werde nicht gehaftet, wenn der Schaden nur mit wirtschaftlich unzumutbarem Aufwand zu verhindem gewesen wäre. Auch eine Haftpflichtversicherung brauche dann 34 Das war die früher h.L. Vgl. Lehnertz, Zur Problematik des § 829 BGB, S. 127. Heute noch vertreten von Marschall v. Rieberstein BB 1983, 467 (468); Drewitz, Der Grundsatz:
§ 15 Versicherungsschutz als Gesichtspunkt
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nicht einzugreifen, weil der Versicherungsfall bei ihr nur einträte, wenn der Versicherungsnehmer für eine aufgrund seiner Verantwortlichkeit eintretenden Tatsache eine Leistung an einen Dritten zu bewirken habe, § 149 VVG. Dieses "Trennungsprinzip" der Haftpflichtversicherung gestatte grundsätzlich keine Ausnahme und verböte es daher, den bestehenden Versicherungsschutz bei den Zumutbarkeitsüberlegungen rnitzuberücksichtigen: Die Versicherung folge der Haftung, begründe sie aber nicht35 • Schon seit längerem wird diese Ansicht jedoch immer stärker angezweifelt. Sie verkenne den in vielerlei Hinsicht nachweisbaren Funktionswandel der Haftpflichtversicherung, die verstärkt nach den Interessen des Dritten, also des Geschädigten ausgerichtet werde36 und ihn z. B. davor bewahren wolle, daß der Schadenersatzanspruch wegen der Mittellosigkeit des Schädigers nicht durchgesetzt werden könne. Deshalb verlöre das ohnehin nie materiell, sondern nur verfahrensrechtlich vollzogene Trennungsprinzip an Argumentationskraft37 • Eine bestehende Haftpflichtversicherung müsse daher Rückwirkungen auch auf den Haftungstatbestand haben38. Am heftigsten ist der Streit um die Berücksichtigung einer bestehenden Haftpflichtversicherung im Rahmen des§ 847 BGB, noch stärker aber bei § 829 BGB entbrannt. Hier hat es eine lange und immer noch nicht abgeschlossene Diskussion darüber gegeben, ob die Versicherung allein den Haftungsumfang beeinflußt oder sogar den letztliehen Haftungsgrund für einen Billigkeitsanspruch nach § 829 BGB abzugeben vermag. Man hat sich dabei immer mehr vom Trennungsprinzip gelöst, wobei insbesondere die Rechtsprechung anstelle einer ablehnenden Haltung gegenüber der Berücksichtigung von bestehenden Versicherungsverträgen nunmehr eine als vermittelnd zu charakterisierende Position eingenommen hat. Der BGH will zwar daran festhalten, daß Hauptzweck der Haftpflichtversicherung nicht etwa sei, dem Geschädigten eine Haftungsgrundlage zu schaffen, sondern diese vielmehr darauf abziele, das Vermögen des Versicherungsnehmers durch dessen Freistellung von Haftungsansprüchen zu schützen39. Andererseits könne man nicht verkennen, daß der Versicherungsschutz einen Vermögenswert darstelle, der in dieser Eigenschaft im Haftungsrecht zu berücksichtigen sei: "Die Grenzen des dem Schädiger mit Rücksicht auf seinen notwendigen Lebensbedarf noch ZuDie Versicherung folgt der Haftung, Diss. jur. Mannheim 1977; Rodopoulos, Reflexwirkungen der Haftpflichtversicherung, S. 194f.; E. Lorenz VersR 1980, 697ff. 35 E. Lorenz VersR 1980, 697 (697). 36 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 316; ders. JBl 1980, 298; von Bar AcP 181 (1981), 289 (324f.); Weyers, Unfallschäden, S. 126f. und 435f. 37 So z. B. Lehnertz, Zur Problematik des§ 829 BGB, S. 118 (133f.); von Bar AcP 181 (1981), 289 (325f.); Knütel JR 1980, 20. Ein Beispiel nennt RGRK/Steffen 12, Rn. 2 vor§ 823. 38 So- sehr weitgehend - von Bar AcP 181 (1981), 289 (324f.). Für die Verkehrspflichten Mertens VersR 1980, 397 (405f.). 39 BGHZ 76, 279 (285f.).
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
mutbaren [könnten] weiter ausgedehnt werden, weil dieser Lebensbedarf wegen des Versicherungsschutzes ja tatsächlich nicht beeinträchtigt wird"40.
2. Eigene Stellungnahme
Eine eigene Stellungnahme zu diesem Problemkreis setzt voraus, die zu § 829 BGB entwickelten Positionen auf die hier anstehende Fragestellung hin umzudeuten, ob ein bestehender Versicherungsschutz die wirtschaftliche Opfergrenze verschiebt. Es soll dabei so vorgegangen werden, daß zunächst die Auffassung des BGH verifiziert wird und dann anschließend gefragt werden kann, ob nicht sogar den weitergehenden Literaturstimmen zu folgen ist, nach denen eine Haftpflichtversicherung haftungsbegründend wirken kann. Meines Erachtens wird man nicht ernstlich bestreiten können, daß einer Haftpflichtversicherung Vermögenswert zukommt41 . Zwar könnte man spitzfindig behaupten, daß sie nur das bestehende Vermögen des Schädigers sichert42 . Dieses ließe aber gänzlich unberücksichtigt, daß die Deckungssumme einer Haftpflichtversicherung im Regelfall das Vermögen des Schädigers übersteigt43 . Allein schon daran wird aber der eigenständige Vermögenswert der Haftpflichtversicherung deutlich. Es ist nämlich überhaupt nicht entscheidend, wie der Vermögenswert zu realisieren ist, maßgeblich ist nur, daß er im Endeffekt als Haftungsmasse zur Verfügung steht44 • Die Beteiligung an einem von einer Versicherung gegen Einzug von Prämien gebildeten Haftungsfonds, der einer Vielzahl von Personen eine Rücklage bildet, ist daher einer rein privaten Rücklage bei einer Bank oder Sparkasse völlig gleichzustellen45 und muß daher bei der Frage, ob eine Haftung dem Schädiger zurnutbar ist, mitbedacht werden. Allerdings gibt es Autoren, die einer bestehenden Haftpflichtversicherung noch weitergehenden Einfluß auf das Deliktsrecht zusprechen. Eine Haftung treffe den BGHZ 76, 279 (287). Zustimmend Dunz LM Nr. 9 zu§ 829, BI. 1, S. 2. So sogar E. Lorenz VersR 1980, 697 (700). Nicht zu überzeugen vermag der verschiedentlich (so etwa von Rodopoulos, Reflexwirkungen der Haftpflichtversicherung, S. 76) dagegen vorgebrachte Einwand, der Versicherungsschutz bei Minderjährigen könne deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er denen von ihren Eltern verschafft worden sei. Ebenso wie schenkweise erlangtes Vermögen bei § 829 BGB mitzuberücksichtigen ist, muß das auch für einen schenkweise erlangten Versicherungsschutz gelten. 42 Ein Gedanke, der bei MünchKomm!Mertens 2 § 829, Rn. 20 und bei Soergel!Zeuner 11 § 829, Rn. 9 anklingt. 43 Z.B. die Mindestversicherungssumme bei der Kraftfahneughaftpflichtversicherung, die für Personenschäden nach§ 4 Abs. 2 S. 1 PflVG i.V. mit der dazu perVerordnungerlassenen Anlage 1 Million DM beträgt. 44 Lehnenz, zur Problematik des § 829 BGB, S. 136. 45 Vgl. Kötz, Deliktsrecht6 , Rn. 32. 40 41
§ 15 Versicherungsschutz als Gesichtspunkt
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haftpflichtversicherten Schädiger ohnehin nicht, da er diese auf das Versicherungsunternehmen abwälzen könne. Werde er aber auf diese Weise immer liquide gestellt, könne es nicht angehen, daß sich derSchädigerauf die wirtschaftliche Unzumutbarkeit berufe, das deliktsrechtliche Verhaltensgebot zu beachten46. Meines Erachtens ist diese These aber nicht haltbar: Sie stellt nämlich nur eine Modifikation der schon oben47 von mir verworfenen Überlegung dar, wonach dem Schädiger zwar das normgemäße Verhalten unzumutbar, eine Verpflichtung zur schadensrechtlichen Kompensation aber gleichwohl zurnutbar sein könne. Hiermit wird offensichtlich verkannt, daß das Deliktsrecht im Interesse eines möglichst weitgehenden Erhalts der allgemeinen Handlungsfreiheit und damit der Bevorzugung des Werdenden vor dem Bestehenden Haftungsfolgen nur an verschuldet verletzte Verhaltensgebote anknüpft. Für das Bestehen des Haftungsgrundes muß es daher unerheblich sein, ob die Haftung den Schädiger wegen einer bestehenden Haftpflichtversicherung überhaupt nicht trifft48 . Vielmehr kommt es als Ausfluß der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts neben vielen anderen Aspekten ausschließlich auf die allgemeinen Vermögensverhältnisse des Schädigers und damit unter anderem auf ein bestehendes Versicherungsverhältnis an. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn sich eine deliktsrechtlich sanktionierte Pflicht begründen ließe, sein Vermögen im Interesse potentieller Geschädigter durch eine Versicherung zu schützen und strukturell anders zu gestalten. Darauf gehe ich nachfolgend ein.
II. Üblicher oder vernünftigerweise gebotener Versicherungsschutz Tatsächlich gibt es in der Literatur erste Stimmen, die postulieren, daß derjenige, der sich nicht haftpflichtversichert, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt mißachtet49. Ähnlich argumentiert auch Steffen50, wenn er die Zuweisung von Verkehrspflichten auch von versicherungsrechtlichen Überlegungen abhängig machen will. Meines Erachtens sprechen jedoch beachtliche Gründe dagegen, den Abschluß einer Haftpflichtversicherung als deliktsrechtliches Verhaltensgebot zu verstehen. Zum einen hat der Gesetzgeber für Kraftfahrzeuge im Pflichtversicherungsgesetz schon 1939 eine Haftpflichtversicherung des Halters zwangsweise vorgeschrieben. Hier liegt ein Umkehrschluß nahe, es ansonsten weiterhin in das Ermessen jedes einzelnen zu stellen, wie er sein Vermögen, zu dem wie gezeigt auch eine HaftBesonders deutlich bei Mertens VersR 1980, 397 (405f.). In§ 10. 48 Ebenso Foerste, in : von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, Bd. 1, § 24, Rn. 56. 49 Von Bar AcP 181 (1981), 289 (326). Kritisch zu solchen Versuchen Weyers, Unfallschäden, S. 441. so In: RGRK 12, Rn. 2 vor§ 823. Im Ergebnis ebenso Mertens VersR 1980, 397 (405f.). 46 47
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
pflichtversicherung zählt, auch im Hinblick auf Schadensfälle zusammensetzen will. Man darf die über das Verschuldensprinzip gewährleistete Handlungsfreiheit des Schädigers nicht dadurch einzuschränken versuchen, daß man Sekundärpflichten (Abschluß einer Versicherung) konstruiert, die an die Stelle der nicht verschuldeten Primärpflicht treten und die Haftung für die Primärpflichtverletzung damit de facto ausdehnen. Außerdem würde eine deliktsrechtlich sanktionierte Versicherungspflicht uns bei genauerer Betrachtung einer Haftung für reine Vermögensschäden des Opfers nahebringen. Man wird nämlich kaum noch sagen können, daß der Nichtabschluß einer Haftpflichtversicherung im Hinblick auf den Schutz des Eigentums des Geschädigten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. Unter diesem Deckmantel bezieht sich die Versicherungsverpflichtung ehrlicherweise allein auf den Schutz des Vermögens des Deliktsopfers. Ein solcher Vermögensschutz ist dem Haftungsrecht aber von Ausnahmen abgesehen fremd.
111. Zusammenfassung Ist der Deliktsschuldner zugleich Versicherungsnehmer einer Haftpflichtversicherung, so stellt der damit verbundene Versicherungsschutz einen Vermögenswert dar. Bei der Frage, ob dem Deliktsschuldner ein normgemäßes Verhalten wirtschaftlich zurnutbar ist, muß dieser Umstand daher mitberücksichtigt werden. Demgegenüber spielt es keine Rolle, daß ein - nicht bestehender - Versicherungsschutz üblich ist oder wirtschaftlich sinnvoll wäre. Dieses würde im Ergebnis die durch das dem Deliktsrecht zugrundeliegende Verschuldensprinzip dem einzelnen eingeräumte Handlungsfreiheit unzulässig unterlaufen.
§ 16 Die Bedeutung des Zumutbarkeitsbegriffs im Deliktsrecht -
Eine abschließende Stellungnahme
Meine Nachforschungen haben gezeigt, daß Zumutbarkeitsgesichtspunkte im Deliktsrecht mitbedacht werden müssen, wobei sie zum einen das Gebot der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beeinflussen und zum anderen als Schuldausschließungsgrund Beachtung finden. Gleichfalls kann man festhalten, daß sich das Recht, nur die (objektiv) zurnutbare Sorgfalt aufwenden zu müssen, ebenso wie das Gebot, wenigstens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufzubringen, nicht in einer konkreten Leitlinie erfassen läßt, sondern allenfalls einer Fallgruppenbildung zugänglich ist. Offengeblieben ist bislang jedoch, inwieweit gewisse Grundpositionen der vorherrschenden Ansicht zur deliktsrechtlichen Dogmatik die immer neuen Wucherungen des Zumutbarkeitseinwandes, d. h. seine zum Teil inflationsartige Verwendung, begünstigt haben. Hierzu eine kurze Stellungnahme abzugeben, er-
§ 16 Abschließende Stellungnahme
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scheint mir jedoch für die weitere Diskussion um den Zumutbarkeitsbegriff im Deliktsrecht förderlich zu sein.
Versobjektivierung des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs Rückblickend betrachtet mag ein gewisser Widerspruch vornehmlich darin liegen, daß die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach einem objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriff beurteilt wird, während Zumutbarkeitsüberlegungen, die den Sorgfaltsmaßstab meiner Auffassung nach mitprägen sollen, sich ausschließlich auf subjektive Täterinteresssen beziehen. Auffällig ist aber auch, daß der objektive Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt von der herrschenden Lehre mittels einer opferorientierten Betrachtung abgeleitet wird, wohingegen sich die Zumutbarkeit in dem ihr von mir beigegebenen Sinn im Ansatz am Täterinteresse ausrichtet. Nur eine verifizierte Hypothese, wonach das Gebot, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, und das Recht des Täters, zu nichts Unzumutbarem verpflichtet zu sein, entgegen der bisherigen Vorstellung der herrschenden Lehre allein die beiden Seiten derselben Medaille kennzeichnen, könnte diesen Konflikt bereinigen. Dieses aber setzte eine Modifikation des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs voraus. Meines Erachtens zeigen die bisherigen Untersuchungsergebnisse tatsächlich deutlich, daß die ausufernde Berufung auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte auf ein unzutreffendes Verständnis des zivilrechtliehen Fahrlässigkeitsbegriffs zurückzuführen ist, das man versucht, durch die Berücksichtigung des Zumutbarkeitseinwandes zu korrigieren. Der zwar zum Teil durch subjektive Momente angereicherte, jedoch im Grundsatz nach wie vor als objektiv-typisiert angesehene und damit opferorientierte zivilrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff leitet sich seinerseits aus einer unzutreffenden Vorstellung von der Funktion des Haftungsrechts ab, nämlich der Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts: Verbindet man das Haftungsrecht und wie von mir in § 7 vorgeschlagen - nicht nur das Schadensrecht mit dem Ausgleichsgedanken, so kann diesem nur eine Auslegung des Fahrlässigkeitsbegriffs entsprechen, die von der Individualität der Handelnden abstrahiert und ihnen ein Mindestprogramm an ohne Einschränkung, d. h. nach objektiven Maßstäben zu erfüllender, Pflichten aufbürdet, vgl. § 12 IV 2. Dieses läßt aber unberücksichtigt, daß das Haftungsrecht dem Deliktstäter auch einen Mindeststandard an Bewegungsfreiheit und sonstigen Freiheitsrechten garantiert. Diese Interessen des Deliktsschuldners müssen daher, weil mit dem objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriff nicht vereinbar, über ein neues Kriterium, nämlich die Zumutbarkeit, in den Deliktstatbestand eingeführt werden. Das aber trägt die Gefahr in sich, subjektive Schuldnerinteressen überzubewerten und die im Grundsatz berechtigten Anliegen, die mit dem objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriff verfolgt werden, zu übergehen.
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
Zu einem anderen Ergebnis kann man deshalb nur dann kommen, wenn der Zweck des Haftungsrechts-wie von mir in§ 8 vorgeschlagen- als Interessenfortsetzungsfunktion umschrieben wird. Diese Sichtweise, die auch subjektive Talerinteressen in den Haftungstatbestand einbezieht, gestattet nämlich keinen streng objektiv-typisierten Fahrlässigskeitsbegriff, so wie er heute ganz überwiegend vertreten wird, sondern verlangt nach einer gewissen Versubjektivierung des Fahrlässigkeitsurteils. Eine solche Versubjektivierung ermöglicht es dann aber auch, Zumutbarkeitsaspekte bereits im Rahmen des Fahrlässigkeitsbegriffs zu berücksichtigen; sie erübrigt in letzter Konsequenz sogar die Umschreibung einer neuen selbständigen Kategorie der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, sofern diese - wie vorausgesetzt - subjektive Täterinteressen in das Haftungsmodell einfließen lassen will. Im Ergebnis heißt das: Die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts bedingt einen subjektiv gefärbten, jedoch grundsätzlich objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriff im Deliktsrecht Die subjektive Ausrichtung ermöglicht dabei die Erfassung von Gesichtspunkten, die bislang unter einem gesonderten Stichwort der Zumutbarkeit abgehandelt wurden. Legt man dem Haftungsrecht also eine Interessenfortsetzungsfunktion zugrunde, beinhaltet das Gebot, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, auch die Grenze dieses Gebotes, zu Unzumutbarem nicht verpflichtet zu sein. Die Frage nach der Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes im Deliktsrecht oder genauer des Umfanges, in dem er Platz greift, ist also identisch mit der Frage danach, inwieweit es die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts gebietet, den grundsätzlich objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsmaßstab zu versubjektivieren. Dieses entspricht dem Ansatzpunkt von Münzberg und Wolf5 \ die Abwägung zwischen dem Schuldnerinteresse an der Wahrung seiner Handlungsfreiheit und dem Bedürfnis des Gläubigers nach dem Schutz seiner Rechtsgüter zum Ausgangspunkt für die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu nehmen und dabei Zumutbarkeitsgesichtspunkte mitzuberücksichtigen. Klärungsbedürftig erscheint mir allein noch, ob nur Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit vom versubjektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab erfaßt werden, oder aber auch solche der subjektiven Zumutbarkeit. Dabei ist zweierlei zu beachten: Nach meinen Untersuchungen in § 3 ist die objektive Zumutbarkeit nur eine Unterkategorie der subjektiven Zumutbarkeit. Zum anderen war die Einordnung der subjektiven Zumutbarkeit bei der fahrlässigen unerlaubten Handlung als Schuldausschließungsgrund wesentlich dadurch begründet, daß sich nur die Gesichtspunkte der objektiven Zumutbarkeit den vorsichtigen, von der herrschenden Ansicht zugebilligten Versubjektivierungsversuchen hinsichtlich des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsmaßstabes anpassen lassen. Hält man es jedoch angesichts der Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts für geboten, den objektivSI Soerge//Wolju § 276, Rn. 90; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 349, Fn. 713. Vgl. noch§ 12 IV 4.
§ 17 Zusammenfassung
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typisierten Fahrlässigkeitsbegriff infragezustellen, besteht keine Hürde mehr, auch die Aspekte subjektiver Unzumutbarkeit als Bestimmungsmerkmale der Sorgfalt anzusehen. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die Interessenfortsetzungsfunktion des Haftungsrechts gestattet es, Zumutbarkeitsgesichtspunkte objektiver wie subjektiver Art bei der fahrlässigen unerlaubten Handlung für die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt heranzuziehen. Sie wirken dabei gleichwertig mit anderen Faktoren, setzen sich aber jedenfalls dann durch, wenn sie auf den Kernbereich einer grundrechtliehen Gewährleistung zurückgeführt werden können. Beim vorsätzlichen Delikt bleibt es dabei, daß objektive wie subjektive Zumutbarkeitsaspekte als Schuldausschließungsgrund wirken können. Sie entlasten den Deliktstäter letztlich nicht von einer Haftung, die analog § 904, S. 2 BGB besteht. Gemäß § 253 BGB beschränkt sich seine Haftung jedoch auf Vermögensschäden.
§ 17 Zusammenfassung I. Begriffsbestimmung Wer als Schädiger behauptet, ein normgemäßes Verhalten sei ihm unzumutbar, erklärt damit, er könne auf eigene Interessen verweisen, die bedeutender als die hinter dem Verhaltensgebot stehenden Interessen seien. Bezieht er sich dabei auf Umstände, die sich nicht zu einem allgemeinen, die deliktischen Haftung stets ausschließenden Prinzip, weiterentwickeln lassen, die im Einzelfall aber so gravierend sind, daß das normgemäße Verhalten dem Schädiger ausnahmsweise nicht vorgeworfen werden kann, lassen sich diese als subjektive Zumutbarkeitsgesichtspunkte begreifen. Unter dem Begriff objektive Zumutbarkeit werden hingegen Aspekte angesprochen, die unbeschadet der besonderen Situation des Deliktsschuldners Geltung beanspruchen und daher grundsätzlich jedermann von seiner deliktischen Verantwortung befreien. Die objektive Zumutbarkeit ist damit nur eine Unterkategorie der subjektiven Zumutbarkeit (§ 3).
II. Der Begriff der Zumutbarkeit im Deliktsrecht Ausfluß seiner Interessenfortsetzungsfunktion Zumutbarkeitsgesichtspunkte schränken in allen Rechtsbereichen die Verantwortlichkeit desjenigen ein, der sich auf sie beruft. Dabei wird jedoch meistens nicht schlüssig dargelegt, wieso diese Entlastung des Verpflichteten, die das Gesetz häufig gar nicht vorsieht, überhaupt eintritt (§§ 6, 9 III 2). Das ist im Zivilrecht
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
anders: Das Zumutbarkeitskriterium wird dort fast einhellig auf§ 242 zurückgeführt. Nach Ansicht des BGH läßt sich das durch § 242 BGB verkörperte Gerechtigkeitsideal nur verwirklichen, wenn der Schuldner gegen eine unzumutbare Inanspruchnahme geschützt ist(§ 51). Für das Deliktsrecht trägt diese Herleitung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes aus§ 242 BGB jedoch nicht: Heute allgemeiner Ansicht zufolge findet§ 242 BGB nur innerhalb bestehender Rechtsverhältnisse oder - so jedenfalls die vorherrschende Ansicht im Schrifttum - dann Anwendung, wenn zwei Parteien in einem qualifizierten sozialen Kontakt zueinander stehen. Die unerlaubte Handlung begründet ein solches Rechtsverhältnis jedoch erst. So ist es gerade das Charakteristikum des Deliktsrechts, daß es Maßstäbe für das Verhalten zwischen Personen setzt, die bislang noch in keinem Kontakt zueinander gestanden haben und daher auch nicht vereinbaren konnten, inwieweit sie gegenseitig Rücksicht aufeinander nehmen wollen. § 242 BGB greift demgemäß erst ein, wenn die Parteien ihre Angelegenheiten im Nachgang zu einer unerlaubten Handlung abwickeln, es um die Höhe des aufgrund der unerlaubten Handlung auszugleichenden Schadens oder um Fragen der Verjährung geht. Stattdessen bedarf es einer anderen Begründung, wieso Zumutbarkeitsaspekte im Deliktsrecht Geltung beanspruchen können. Über § 242 BGB kann der Einfluß von Zumutbarkeitsüberlegungen nur in dem vom Deliktsrecht zu trennenden Schadensrecht erklärt werden(§§ 5 II, III, 8 IV, V). Daß es Zumutbarkeitsüberlegungen im Deliktsrecht zu berücksichtigen gilt, folgt jedoch unmittelbar aus dem Zweck, nämlich der von mir sogenannten "lnteressenfortsetzungsfunktion" des Deliktsrechts: Indem das Deliktsrecht auf der einen Seite den Schutz absoluter Rechte und besonders herausgehobener Rechtsgüter in den Mittelpunkt stellt und an deren Verletzung die Haftung anknüpfen läßt, die Haftung aber andererseits ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schädigers voraussetzt, trägt das Deliktsrecht dafür Sorge, daß sich im Interessenwiderstreit jeweils das nach allgemeinen rechtlichen Bewertungsmaßstäben höherrangige dem niedrigerrangigen Interesse gegenüber durchsetzt, und zwar notfalls durch Zubilligung eines Schadenersatzanspruchs (§ 8 II). Dieser Funktion, einen allgemeinen Verhaltenskodex mit subsidiärem Geltungsanspruch aufzustellen und die Grundpflichten der Bürger im Verhältnis untereinander zu bestimmen, kann das Deliktsrecht aber nur nachkommen, wenn auch sämtliche anderweitig rechtlich anerkannten Interessen in die deliktsrechtliche Betrachtung mit einfließen. Soweit damit die Interessen des Deliktsschuldners angesprochen sind, gelingt das über die Rechtfertigungsgründe nur unzureichend. Zum einen legitimieren diese allenfalls ein vorsätzliches Verhalten des Deliktsschuldners und zum anderen berücksichtigen sie nicht den Umstand, daß es Schuldnerinteressen geben kann, die sich allen anderen Interessen gegenüber ohne Einschränkung durchzusetzen vermögen. Die Rechtfertigungsgründe gewähren den Schuldnerinteressen nämlich nur einen relativen Schutz (4 II, III). Es bedarf daher neben den Rechtfertigungsgründen eines weiteren Merkmals im Schichtaufbau des De-
§ 17 Zusammenfassung
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liktstatbestandes, über das die Interessen des Deliktsschuldners mit in die haftungsrechtliche Betrachtung einfließen. Dieses wird allgemein als ,,Zumutbarkeit" bezeichnet(§ 8 III). Ein Gebot, Zumutbarkeitsgesichtspunkite im Deliktsrecht mitzubeachten, folgt darüber hinaus auch aus verfassungsrechtlichen Überlegungen. Nach der herrschenden Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte prägen diese das Zivilrecht über deren ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe mit. Da das Deliktsrecht mit der Rechtswidrigkeit und dem Verschulden solche Begriffe kennt, sich Zumutbarkeitseinwände zudem meistens auf Freiheitsgewährleistungen zurückführen lassen, müssen sie daher auch im Deliktsrecht Berücksichtigung finden (§ 9 II). Zu diesem Ergebnis gelangen auch die zu der Frage der Drittwirkung der Grundrechte abweichenden Meinungen(§ 9 III).
111. Die Verortung der Zumutbarkeit im Schiebtautbau des Deliktstatbestandes Zumutbarkeitsgesichtspunkte werden bei der Beurteilung deliktischen Verhaltens bislang eher wahllos herangezogen. Soweit sie einer bestimmten Stufe des deliktischen Schichtaufbaus zugeordnet wurden, ist das jeweils wissenschaftlich nicht oder nur unzureichend begründet worden. Von der Rechtsprechung unternommene Versuche, Zumutbarkeitsüberlegungen in das Adäquanzurteil einzubeziehen, verkennen, daß die Adäquanz als eine Vorstufe zum Verschulden anzusehen ist. Da der haftungsbegründende Deliktstatbestand ein Schuldhaftes Handeln voraussetzt, kommt der Adäquanz dort keine eigenständige Bedeutung zu und sie taugt daher auch nicht, Zumutbarkeitsüberlegungen in den Deliktstatbestand einzuführen(§ 11). Gesichtspunkte objektiver Zumutbarkeit bestimmen vielmehr mit, ob der Deliktsschuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Zwar gilt im Zivilrecht allgemeiner Auffassung nach ein objektiv-typisierender Fahrlässigkeitsbegriff. Dieser wird aber aus der Ausgleichsfunktion des Zivilrechts abgeleitet, die jedoch dem Deliktsrecht gar nicht zugrundeliegt Das Deliktsrecht ist vielmehr von der Interessenfortsetzungsfunktion geprägt, die zwischen objektiven und subjektiven Interessen grundsätzlich nicht differenziert. Der Fahrlässigkeitsbegriff muß sich daher im Deliktsrecht auch subjektiven Kriterien gegenüber öffnen. Wenn im übrigen schon - wie allgemein anerkannt ist - subjektiv-individuelle Standards und Fähigkeiten ganzer Verkehrskreise oder bestimmter Gruppen im Rahmen des objektiv-typisierenden Fahrlässigkeitsmaßstabes berücksichtigt werden, muß das auch für solche Zumutbarkeitsgesichtspunkte gelten, die sich zu einem allgemeinakzeptierten oder jedenfalls für einen bestimmten Verkehrskreis gültigen Grundsatz zusammenfassen lassen und daher dem Bereich der objektiven Zumutbarkeit zuzuordnen sind(§ 12 IV).
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3. Teil: Bedeutung des Zumutbarkeitseinwandes für den Deliktsschuldner
Gesichtspunkte subjektiver Zumutbarkeit können demgegenüber sowohl bei der vorsätzlich als auch bei der fahrlässigen unerlaubten Handlung einen Schuldausschließungsgrund darstellen. Da die objektive Zumutbarkeit beim Vorsatzdelikt an vorgelagerter Stelle keine Berücksichtigung findet, wird sie als Unterkategorie der subjektiven Zumutbarkeit bei der vorsätzlichen unerlaubten Handlung ebenfalls als Schuldausschließungsgrund behandelt (§ 12 VI, VII). Das Bestehen eines Schuldausschließungsgrundes aufgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entbindet den Vorsatztäter jedoch nicht von einer Haftung. Selbst wenn er sich in keiner Notstandslage befunden hat, muß er dem Geschädigten den Schaden analog § 904, S. 2 BGB ersetzen (§ 13 II). Demgegenüber bleibt der fahrlässig Handelnde, dem ein normgemäßes Verhalten unzumutbar ist, von einer Haftung endgültig verschont: Das Verschuldeosprinzip steht Überlegungen entgegen, den Deliktstäter, dem ein normgemäßes Verhalten unzumutbar ist, gleichwohl deshalb haften zu lassen, weil ihm eine Verpflichtung zur schadensrechtlichen Kompensation zurnutbar wäre(§ 10). Faßt man diese soeben dargestellten Ergebnisse zusammen, wird deutlich, daß die ausufernde Berufung auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte lediglich eine Folge des objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs ist, der seinerseits aus einer meines Erachtens falschen Prämisse, einer angeblichen Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts, abgeleitet wird. Spricht man dem Deliktsrecht hingegen eine Interessenfortsetzungsfunktion zu, lassen sich sämtliche Zumutbarkeitsgesichtspunkte - als Verkörperung subjektiver Interessen des Deliktsschuldners - unproblematisch im Rahmen des subjektiv gefärbten, jedoch grundsätzlich objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsbegriffs berücksichtigen (§ 16).
IV. Reichweite des Zumutbarkeitseinwandes Beim Vorsatzdelikt besteht an der Frage, in welchem Umfang Zumutbarkeitsaspekte den Deliktstäter zu entlasten vermögen, bezogen auf den Ersatz von Vermögensschäden allein ein akademisches Interesse. Obwohl ein normgemäßes Verhalten unzumutbar ist, wird analog § 904, S. 2 BGB gehaftet (§ 13 II), allerdings nicht auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB). Deshalb ist es vielfach unerheblich, daß von Rechtfertigungsgründen vorgegebene Wertungen ("wesentlich überwiegendes Interesse" zugunsten des geretteten Rechtsgutes; "nicht unverhältnismäßig großer Schaden") auch die Reichweite des Zumutbarkeitseinwandes einschränken (§ 14 1).
Muß sich der Deliktsschuldner entgegenhalten lassen, eine unerlaubte Handlung fahrlässig verschuldet zu haben, schränken von Rechtfertigungsgründen vorgegebene Wertungen die Berufung auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte hingegen nicht ein. Diese setzen sich stets dann durch, wenn sie sich auf im Kernbereich grundrechtlicher Gewährleistungen liegende Schuldnerinteressen beziehen, und zwar
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selbst dann, wenn die unerlaubte Handlung ihrerseits in den Kernbereich eines grundrechtlich geschützten Rechtes eingreift. Das folgt aus der im Verschuldensprinzip verkörperten Wertung des Deliktsrechts, das Werdende dem Bestehenden gegenüber zu präferieren (§ 14 li). Darüber hinaus stellt es eine Frage des Einzelfalls dar, ob der Zumutbarkeitseinwand durchschlagend ist. Das hängt nämlich jeweils vom Gewicht des mit dem Zumutbarkeitseinwand geltend gemachten Rechtes ab. Hier wird deutlich, daß die Zumutbarkeit im Deliktsrecht ein Sammelbegrifffür sämtliche andernorts rechtlich anerkannten Interessen darstellt(§ 14 III). Ein bestehender Haftpflichtversicherungsschutz stellt einen Vermögenswert dar und beeinflußt daher die Frage, ob ein normgemäßes Verhalten dem Haftpflichtversicherten wirtschaftlich zurnutbar ist. Der Einwand, ein Verhalten sei einem wirtschaftlich nicht zumutbar, wird dadurch aber keinesfalls ausgeschlossen. Ebenso ist es für die Zumutbarkeitsfrage unerheblich, ob der Abschluß einer Haftpflichtversicherung üblich oder jedenfalls wirtschaftlich sinnvoll ist(§ 15).
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