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Eve-Marie Becker Der Begriff der Demut bei Paulus
Eve-Marie Becker
Der Begriff der Demut bei Paulus
Mohr Siebeck
Eve-Marie Becker, geboren 1972; 1991–97 Studium der Ev. Theologie in Marburg und Erlangen; 2001 Promotion zum Dr. theol. und 2004 Habilitation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Forschungsaufenthalte McMaster University, Hamilton / Ont., École Biblique, Jerusalem, Max-Weber-Kolleg Erfurt; seit 2006 Professorin für neutestamentliche Exegese an der Universität Aarhus, Dänemark.
e -ISBN PDF 978-3-16-154446-0 ISBN 978-3-16-154171-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Garamond Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Πάντων γὰρ τῶν ἀγαϑῶν αἰτία ἡ ταπεινοφροσύνη. Johannes Chrysostomus „… Ich habe nur sorgen und entbehren gelernt. Das ist meine Schule gewesen. Viel Vornehmes ist dabei nicht herausgekommen, nur Demut. Aber Gott verzeih es mir, wenn ich etwas Unrechtes damit sage, die Demut, wenn sie recht und echt ist, ist vielleicht auch eine Eigenschaft, die sich unter dem Adel sehen lassen kann“. Theodor Fontane „… Um das stille Heiligtum der höchsten Güter wird sich … eine neue Aristokratie in unserer Zeit bilden. Nicht Geburt und nicht Erfolg werden ihn begründen, sondern Demut, Glaube und Opfer … … Der Adel der Demut und des Glaubens des Opfers der Adel des Sterbens. Ich spreche zu Euch, um die großen Worte vor ihrem Mißbrauch zu schützen. Sie gehören nicht in den Mund der Masse, sondern in die Herzen, der wenigen (sic!), die sie mit ihrem Leben hüten und schützen“. Dietrich Bonhoeffer
Vorwort Viele führen die ‚Demut‘ im Munde1. Der englische Schriftsteller und Historiker Thomas Carlyle (1795–1881) hat für seinen Grabstein in Ecclefechan allein das Wort „Humilitate“2 gewählt. Sein um einige Generationen jüngerer Kollege T. S. Eliot (1888–1965) dichtete kaum weniger eindrucksvoll: „… The only wisdom we can hope to acquire // Is the wisdom of humility: humility is endless …“3.
1 In
der vorliegenden Monographie wäre Demut immer als ‚Demut‘ oder ‚Niedrig-Gesinnung‘ zu schreiben, um deutlich zu machen, dass es sich um die Übersetzung eines griechischen Begriffs handelt. Um der Lesbarkeit des Textes willen habe ich allerdings auf Anführungszeichen soweit möglich verzichtet. Eine weitere Begriffsklärung ist wichtig: Der Duden online definiert ‚niedrig gesinnt‘ als: „eine niedrige moralische, sittliche Gesinnung habend“. Diese moralisch negative Konnotation ist hier nicht gemeint. Niedrig-Gesinnung fungiert als wörtliche Übersetzung der ταπεινο-φροσύνη und bildet den Statusaspekt des griechischen Wortes, der durch Raummetaphorik vermittelt wird, ab. 2 Vgl. P. Sager, Schottland, Köln13 1995, 28 (DuMont Kunst-Reiseführer). 3 T. S. Eliot, Four Quartets (East Coker), Orlando etc. 1943/1971, 26. – Ich verdanke diesen Hinweis Marianne Thormählen, Professorin für Englische Literatur, Universität Lund. Die Gesamtstrophe lautet: „The knowledge imposes a pattern, and falsifies, // For the pattern is new in every moment // And every moment is a new and shocking // Valuation of all we have been. We are only undeceived // Of that which, deceiving, could no longer harm. // In the middle, not only in the middle of the way // But all the way, in a dark wood, in a bramble, // On the edge of a grimpen, where is no secure foothold, // And menaced by monsters, fancy lights, // Risking enchantment. Do not let me hear // Of the wisdom of old men, but rather of their folly, // Their fear of fear and frenzy, their fear of possession, // Of
VIII
Vorwort
Auch gegenwärtig vergeht kein Tag, an dem nicht über Demut geschrieben und gesprochen wird. Im Verfassungsrecht wird diskutiert, wie ein Gottesbezug in der Verfassung in angemessener Form als „‚eine Art Demutsformel‘“ (Udo Di Fabio) verstanden werden könne4. Demut begegnet im Diskurs über Recht wie über intellectual history. So hat der amerikanische Ideengeschichtlicher Mark Lilla kürzlich (2015) unter anderem auf die Notwendigkeit einer inneren Haltung von Demut hingewiesen, die Geisteswissenschaftler – anders, als vielfach im 20. Jh. geschehen – vor der Gefahr schützen könne, „intellektueller Philotyrannie“ anheimzufallen und sich brutal und despotisch wirkenden politischen Ideologien anzuschließen oder selbst auszuliefern5. Wie ist Lillas Plädoyer für die Demut kulturgeschichtlich zu verstehen – ist es womöglich von christlichem Denken geprägt, hatte doch noch Aristoteles in seiner „Politika“ die Demut gerade als eine Haltung des „Kriechers“ bezeichnet, der mit den Tyrannen Umgang pflegt (1313b)? Die inflationäre Verwendung des Demuts-Begriffs im politischen, kulturellen, intellektuellen und religiösen Leben ist kaum zu übersehen. Wie aber ist sie zu bewerten? Haben wir es mit der gewollten oder unbeabsichtigten Wiederkehr einer christlichen Tugend oder mit dem Versuch zu tun, ein interreligiöses Ethos zu installieren, das auch in nicht-christlichen Kulturkreisen bekannt ist? Begegnen wir im (post‑)modernen Plädoyer für die ‚Demut‘ bloß dem Phänomen plakativer Sprache, das sich historischer Zusammenhänge und theologischer Denkfiguren nicht mehr bewusst ist? Woher stammt die ‚Demutsformel‘ – geht sie auf Paulus zurück, oder wurzelt sie in der antiken Vorstellung von Bescheidenheit? Worin liebelonging to another, or to others, or to God. // The only wisdom we can hope to acquire // Is the wisdom of humility: humility is endless.“ 4 Zitiert nach: F. Pergande, Keine Scheu vor dem Wort ‚Gott‘, in: FAZ Nr. 78, 2. April 2015, S. 3. 5 M. Lilla, Geist, 194 und 203.
Vorwort
IX
gen die sozio-kulturellen Folgen einer stetigen Beschwörung von Demut? Müssen wir, weil diejenigen, die Demut üben oder einfordern, in Wahrheit aber nach persönlichem Machtzuwachs streben, eine neue, medial vermittelte gesellschaftliche Akzeptanz moralischer Doppeldeutigkeiten fürchten, die schon Martin Luther anprangerte? Wir könnten in der Tat geneigt sein, uns jene Sprach‑ und Sachkritik anzueignen, die der Reformator 1521 übte: „O, es liegt ein (ganz) großer Hochmut unter den demütigen Kleidern, Worten und Gebärden (verborgen), deren die Welt jetzt so voll ist …“ (WA 7,563).
In seinem Brief an Kaiser Karl V. vom 28. April desselben Jahres aber sparte Luther nicht daran, seine demütige Haltung dem Adressaten vor Augen zu stellen (WA Br 2, 307–310). Eignet sich die Demut also besonders für briefliche Selbststilisierungen? Oder stehen wir so ratlos vor der Demut wie vor der philosophisch-ethischen Frage, was ‚Das gute Leben‘ ausmacht?6 Die vorliegende Monographie begibt sich zunächst auf eine kulturgeschichtliche Spurensuche zum Gebrauch und Missbrauch des Begriffs der Demut. Sie führt dann zurück zum begrifflichen und konzeptionellen Ausgangspunkt der ταπεινοφροσύνη bei Paulus. In seinem brieflichen Schreiben wohl aus römischer Haft fordert der Apostel seine Adressaten in Philippi zu einer Gesinnung der Demut auf (Phil 2,3). Hinter dieser Forderung steht – wie sich zeigen wird – kein plakativer oder moralistischer Appell, sondern eine vielschichtige und kluge Einsicht in die Gestaltung von Gemeinschaft, die sich an Christus zu orientieren sucht. 6 Vgl.
dazu: B. Graff, Das gute Leben. Unsere Gegenwart scheitert daran, einen Konsens über das Gute zu finden. Dabei gab es den schon lange, in: SZ Nr. 127, 6. / 7. Juni 2015, S. 15.
X
Vorwort
Die exegetische Studie zu Phil 2 und den verwandten Texten im Corpus Paulinum deckt auf, wie Paulus im Bereich gemeindlicher Ethik mit dem Konzept der Demut jenseits von traditioneller Moral Möglichkeiten des kommunitären Denkens und Handelns eröffnet. Von Paulus ausgehend wird der Versuch unternommen, anthropologische und moralistische Engführungen des Begriffs, die unsere Kulturgeschichte hartnäckig durchziehen und den Blick auf Paulus verdunkeln, zu vermeiden und zu lernen, wie paulinisches Reden über Demut christliche Ethik und Ekklesiologie in ihren Anfängen begründet. Es wird zu diskutieren sein, ob die Demut sachlich zu Recht in der Zeit der Alten Kirche als ein identity marker der Christen verstanden wurde und wieweit sich diese Beschreibung bereits auf Paulus und Phil 2 zurückbeziehen kann. Auch perspektivisch werden wir fragen, wieweit im inter-kulturellen Vergleich das Konzept der Demut ein spezifisch christliches bleibt und sich daher nicht vor dem Hintergrund sachlich verwandter ethischer Haltungen wie etwa dem Tlawmngaihna erschöpfend erklären lässt. Die hier dargelegten, in der exegetischen Analyse von Phil 1–2 begründeten Überlegungen zu Phil 2,3 gehen meiner Kommentierung des Briefes für Meyers KEK-Serie (Vandenhoeck & Ruprecht) voraus und bereiten diese vor. Sie stützen sich auf verschiedene Vorarbeiten zum Philipperbrief, die ich in Teilen im Rahmen von Vorträgen in Leuven, Mainz, Basel, Marburg, Yale, Göttingen und Hong Kong mit zahlreichen Fachkollegen diskutieren konnte. Dem Aarhus Universitets Forskningsfond danke ich für die großzügige Förderung des „Homines Novi“ Projektes, in dessen Rahmen ich u. a. auch meine Arbeit an der vorliegenden Monographie zum Abschluss bringen konnte. Ich danke Herrn Dr. Henning Ziebritzki (Mohr Siebeck) für sein Interesse an dem monographischen Projekt und Frau Bettina Gade für die kooperative und freundliche Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Stud. theol. Daniel Vigtoft Jakobsen (Aarhus) sei für die sorgfältige Erstellung der Register gedankt.
Vorwort
XI
Das paulinische Konzept der ταπεινοφροσύνη ist der zentrale Gedanke in Phil 2. So stellt die Demut den hermeneutischen Schlüssel zum Verstehen dieses – vermutlich letzten – Briefes aus der Hand des Apostels dar. Alle, die mit dem Begriff der Demut hantieren und sympathisieren, ihn popularisieren oder gering schätzen, mögen angeregt sein, der christlichen NiedrigGesinnung und deren Erfinder – Paulus – neue Aufmerksamkeit zu schenken. Aarhus am 30. Juni 2015
Eve-Marie Becker
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs . . 1 1.1. Die paulinische ‚Demut‘ im zeitgeschichtlichen Kontext . . 1 1.2. Kulturgeschichte als Erinnerungsarbeit und Identitätsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.3. Tugend, Laster und eine ‚ambivalente Ethik‘ . . . . . . . . . . . 14 1.4. Vom Nutzen und Nachteil der ‚Demut‘ . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.5. Ethos oder Tugend?Zum ethischen Diskursrahmen . . . . . 29
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart . . . . . . . . . . 33 2.1. Sprachgeschichte und Semantik: ταπεινοφροσύνη, humilitas, Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen des 20. Jhs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.3. Bedingungen exegetischen Verstehens: Rudolf Bultmann und die ‚Demut‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.4. Revisionen und exegetische Aufbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3. Phil 2 – Text und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.1. Erste Beobachtungen zu Phil 2,3 und dem literarischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung: Motivgeschichte . . . 77 3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη . . . 96 3.4. Der Briefeschreiber Paulus als Gefangener . . . . . . . . . . . . . 107 3.5. Semantik des φρονεῖν im Phil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.6. Semantik der Niedrigkeit im Phil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.7. Demut und Tod: Die ταπεινοφροσύνη in Lehre und Paränese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
XIV
Inhalt
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4.1. Paulus als δοῦλος: Autobiographie und Integrität der Person 130 4.2. Die Niedrigkeit des Apostels: 2 Kor 10,1; 11,7 . . . . . . . . . . 137 4.3. Gott, Christus und die ‚Demut‘: 2 Kor 7,6; 8,9; 12,21 . . . 143 4.4. Ermahnungen zur Niedrig-Gesinnung: Röm 12,16 . . . . . . 147
5. Das paulinische Konzept in Phil 2: ‚Demut‘ als christliche Klugheit und literarische Übung . . . . . . . 151 5.1. Ταπεινοφροσύνη als christliche φρόνησις . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.2. Ethik und Poetik: Der Apostel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5.3. Ekklesiale Klugheit: Die Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.4. Zwischen Ethos und Verstandestugend: Der Einzelne . . . . 161 5.5. Niedrig-Gesinnung und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 167
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums . 171 6.1. Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 6.2. Die Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 6.3. Deutero-Paulinismus: Kol und Eph . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 6.4. Matthäus‑ und Lukas-Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6.5. Außerpaulinische Brief-Literatur I: Jak . . . . . . . . . . . . . . . . 188 6.6. Außerpaulinische Brief-Literatur II: 1 Petr . . . . . . . . . . . . . 196 6.7. Apostolische Väter: 1 Clem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
7. Ausblick: Ambivalenz und Eindeutigkeit eines theologisch-ethischen Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 7.1. Paulus und die Wirkungsgeschichte der christlichen Demut 204 7.2. Von Clemens Alexandrinus bis zu Johannes Chrysostomus . . . 205 7.3. Ernst Lohmeyer: Ein Exeget des Phil und politischer Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 7.4. Versuch einer Begriffsbestimmung: Paulus und die ‚Demut‘ 216
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Inhalt
XV
Stellen und Belege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Personen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Begriffe und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs 1.1. Die paulinische ‚Demut‘ im zeitgeschichtlichen Kontext In Phil 2,3 prägt Paulus einen Begriff, der in der Gräzität vor ihm nicht belegt ist: die ταπεινοφροσύνη / tapeinofrosúne. Mit diesem Begriff fordert der Apostel die Adressaten seines Briefes in Philippi dazu auf, ‚Demut‘, d. h. Niedrig-Gesinnung im Umgang miteinander zu üben. Das Ziel ist die Vervollkommnung von Einheit in der ekklesialen Gemeinschaft (Phil 2,1 ff.), ohne die Wahrnehmung des / der Einzelnen und seiner/ ihrer Belange aufzugeben1. Der historische Ausgangspunkt für die Forderung von Einheit sind die Gefängnishaft des Paulus und die Erwartung einer Verurteilung – das zukünftige Schicksal des Apostels liegt gänzlich im Ungewissen (Phil 1). Die Überlegungen des Paulus haben den Charakter von ultima verba zur gemeindlichen Ethik. So geht das gemeindeethische Konzept in Phil 2 weit über einzelne, eher punktuelle Überlegungen zur Ethik hinaus, die Paulus in seinen übrigen Briefen – 1 Thess, 1 und 2 Kor, Gal, Röm und Phlm – formuliert hatte. Die ταπεινοφροσύνη orientiert sich an Christus (Phil 2,6–11), so wie der Apostel selbst Christus nacheifert und seine Leser ermahnt, sich ihn darin zum Vorbild zu nehmen (Phil 3,17). 1 So schon Dietrich Bonhoeffer in „Sanctorum Communio“: „Die Geisteinheit der Gemeinde … ist nicht durch Einigkeit, Gleichartigkeit, Seelenverwandtschaft ermöglicht oder mit Stimmungseinheit zu verwechseln, sie ist vielmehr gerade dort wirklich, wo die scheinbar härtesten äußeren Gegensätze walten, wo jeder sein ganz individuelles Leben führt …“, Communio, 128 f.
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
Die ταπεινοφροσύνη ermöglicht eine christus-gemäße Lebensform der Gemeinde, die in zugleich engem Verhältnis zu Paulus steht. Die Demut wird in den Koordinaten von Anthropologie, Ekklesiologie, Christologie und Apostolat entworfen. Der paulinische Begriff der ταπεινοφροσύνη ist daher theologisch äußerst komplex und anspruchsvoll. Ihn zu betrachten und als einen Kernbegriff paulinischer Ethik und Ekklesiologie zu verstehen, führt zugleich dazu, den Phil aus einer gewissen Schattenexistenz der Paulus-Interpretation2 herauszuführen und in das helle Licht paulinischen Denkens zu rücken – ein Unternehmen, das im 20. Jh. bereits Ernst Lohmeyer mit seinem Kommentar zum Phil maßgeblich angestoßen hatte3. Phil 2,3 generiert nichts weniger als ein Grundthema christlicher Theologie. Denn Paulus entwickelt im Phil ein ethisches Konzept, das schnell zu einem christlichen identity marker avanciert: An der Südwand des Baptisteriums in Dura Europos hat sich ein graffito erhalten (Mitte des 3. Jhs.)4, das zum Gedenken an Sisaeus, vielleicht einen jüdischen Konvertiten zum Christentum5, aufruft. Dieser Sisaeus erhält das Attribut ταπ(ε)ινός: Τὸν Χρισ(τόν). µνήσκεστε Σισε�ον τὸν ταπι‑ νόν6. 2
Vgl. dazu H. Löhr, Philipperbrief, 203. auch die diesbezügliche Rezension Rudolf Bultmanns: R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 252–257: „Von der Idee des Martyriums aus verstehe Paulus seine Existenz und die der Gemeinde, und von hier aus habe nun der Exeget das Ganze und alles Einzelne verständlich zu machen. Damit hat der Verf. den Brief in ein neues Licht gerückt, und es läßt sich nicht leugnen, daß der Brief in diesem Lichte eine neue Lebendigkeit gewinnt …“ (a. a. O., 253). 4 Zur Datierung vgl. auch C. B. Welles, Excavations, 89: 256/7 gilt als terminus ad quem. 5 So U. Mell, Hauskirche, 161. Mell überträgt wie folgt: „Chris(tus) [mit euch]! Haltet in Gedenken Sisaeus, den Demütigen!“, a. a. O., 160. 6 C. B. Welles, Excavations, 95. 3 Vgl.
1.1. Die paulinische ‚Demut‘ im zeitgeschichtlichen Kontext
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Bei seiner Deutung des graffito weist C. Bradford Welles (1967) darauf hin, dass sich Christen frühzeitig die Praxis aneigneten, sich selbst als ταπεινοί zu stilisieren7. Ähnliche Existenzbeschreibungen werden in christlich-gnostischen Texten vorgenommen8. Legen die Christen in früher Zeit damit Phil 2,6–11 aus, oder folgen sie der Aufforderung des Paulus, der selbst δοῦλος ist, sich ihn als ‚Vorbild‘ zu nehmen (Phil 3,17)? Als christliches Konzept wird die Demut im frühen Christentum schnell populär und erfolgreich. Das gilt besonders für ihre Rezeption im Rahmen christlicher Ethik. Ernst Käsemann (1950/1964) fürchtete, dass die in der altkirchlichen Exegese favorisierte ethische Sicht auf die Demut so wirkmächtig war und ist, dass sie die Analyse von Phil 2,6–11 bis heute nicht nur beeinflusst und geprägt, sondern auch irregeführt hat9. Folgen 7
Vgl. C. B. Welles, Excavations, 96. S. auch unten unter 2.1. Vgl. B. Aland, Auseinandersetzung, 27. In den zur Diksussion stehenden Texten begegnet allerdings keiner zu dem griechischen Wortfeld ταπειν‑ äquivalenter Begriff im Koptischen, sondern es finden sich Ausdrücke für ‚klein, wenig, gering‘. NHC IX,3,41,4–45,6, das sog. Testimonium Veritatis, spiegelt das gnostische Selbstverständnis einer möglichen Haltung von humilitas wider (vgl. dazu auch K. Koschorke, Polemik, 166 ff.; ich verdanke diese Hinweise Barbara Aland [Münster/Witten-Herdecke]): Der Gnostiker wird „in sich selbst schweigen bis zu dem Tag, da er würdig sein wird, oben aufgenommen zu werden, wenn er sich vielfältigem Geschwätz und Streitereien verweigert und in jeder Hinsicht geduldig ist und sie erträgt und gelassen ist in allen Übeln. Er ist langmütig gegen jeden und macht sich jedem gleich. Und doch trennt er sich von ihnen …“ (p. 44), Übersetzung nach: U.-K. Plisch, in: Nag Hammadi Deutsch, 492 (487–497). Die Vorstellung einer elitären und exklusiven, d. h. sich vom kommunitären Leben abkehrenden Haltung des ‚Langmuts‘ widerspricht allerdings der paulinischen Vorstellung von der ταπεινοφροσύνη aus Phil 2,3, wie die unten unter 3.–5. folgende Analyse des Begriffs und seines Kontextes zeigen wird – in NHC IX,3,44 bewegen wir uns dagegen eher in gedanklicher Nähe zu ‚Demuts‘-Vorstellungen, wie sie in den Dead Sea Scrolls zum Ausdruck kommen, z. B. 1QS (s. u. 3.2.). 9 Vgl. E. Käsemann, Analyse, 53: „Fast durchweg hatte man ja seit der Reformation, übrigens bestimmte altkirchliche Ansätze aufgreifend, die 8
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
wir bei unserer Interpretation von Phil 2, die den Begriff der Demut in den Fokus nimmt, einer unsachgemäßen Weichenstellung, die die patristische Exegese vorgenommen hat? Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass das paulinische Konzept der ταπεινοφροσύνη in der antiken Welt schon deswegen besondere Beachtung verdient, weil es ein Merkmal von Differenz ist. „Demut als Tugend ist der antiken Ethik fremd“10. Im Kontext hellenistisch-römischer Diskurse über Moralphilosophie und Ethik erschließt sich das paulinische Konzept der ταπεινοφροσύνη also kaum. Die Begriffsfelder ταπειν‑ und humil‑ haben eine konzise Bedeutung, die überwiegend negativ konnotiert ist. So führt Aristoteles nicht ταπειν‑ als erstrebenswerte Haltung vor, sondern er spricht von πραότης bzw. πραύτης, also Sanftmut, als ethischer Tugend (vgl. Eth Nic 2,7,1107bff.). Diese Tugend steht neben der „Hochsinnigkeit“, der µεγαλοψυχία. Und diese wiederum ist als die „Essenz aller Tugenden“ zu verstehen. Sie verkörpert das aristotelische Menschenbild in zugleich idealer wie wirklicher Form11. Daran gemessen muss die paulinische ταπεινοφροσύνη wie ein anthropologisches Gegenkonzept erscheinen. Der Begriff der Demut bei Paulus wirkt zudem widerständig gegen vielschichtige Überlegungen zu jeder Form von ‚Niedrigkeit‘ oder ‚Niedrig-Gesinnung‘, die im Bereich zeitgenössischer Ethik angestellt wurden. In den „Dissertationes“ des Epiktet findet sich eine aufschlussreiche moralphilosophische Überlegung zur Haltung des Gleichmuts in Gefängnishaft, die sich an Sokrates orientieren und gerade die Niedrigkeit des Ortes ignorieren soll. Sie klingt fast wie ein kritischer Reflex auf Perikope unter dem Gesichtspunkt gedeutet, daß sie am Beispiel Christi die rechte ethische Gesinnung des Christen in Demut und Selbstverleugnung erblicke …“. 10 W. Schütz, Demut, 57. 11 H. Flashar, Aristoteles, 79–84 (Zitate: 79 und 83).
1.1. Die paulinische ‚Demut‘ im zeitgeschichtlichen Kontext
5
Paulus und seine Überlegungen zur Haltung der Demut in Phil 1–2, die in ebensolcher Gefängnishaft entstanden sind: „Ein Bema (βῆµα) und ein Gefängnis ist jedes für sich ein Ort (τόπος); der eine hoch (ὑψηλός), der andere aber niedrig (ταπεινός). Dieselbe Gesinnung (προαίρεσις) – wenn du dieselbe an jedem der beiden (Orte) bewahren (φυλάξαι) möchtest – kann man bewahren (φυλαχϑῆναι). Und so werden wir Nacheiferer (ζηλωταί) des Sokrates, wenn wir im Gefängnis einen Paian schreiben können. Wie es uns aber bis jetzt geht, siehe (ὅρα), ob wir es erduldeten, wenn im Gefängnis ein anderer zu uns sagte: ‚Möchtest du, dass ich dir Paiane vorlese?‘ ‚Was verschaffst du mir Schwierigkeiten? Weißt du nicht, dass ich es schlecht habe? Ist es mir unter diesen Bedingungen möglich?‘ Unter welchen Bedingungen denn? ‚Ich werde sterben.‘ Aber andere Menschen sind unsterblich?“ (Diss 2,6,25–27).
Paulus denkt im Phil konzeptionell deutlich weiter als Epiktet, wenn er, der die hier nur theoretisch skizzierte Situation der Haft eigens erlebt, eben diesen Ort der Niedrigkeit zum Ausgangspunkt einer innovativen ‚Ethik der Niedrig-Gesinnung‘ (ταπεινο-φροσύνη) macht. Die denkerische Eigenständigkeit des Paulus tritt im Vergleich mit Epiktet deutlich zu Tage. Das gilt andererseits auch im Vergleich mit Philon. In „Quis rerum divinarum heres sit“ äußert sich Philon von Alexandria zum Leib-Seele-Dualismus. Dabei kommt er auf die Thematik menschlicher Niedrigkeit zu sprechen: Der Leib erniedrigt und bindet die Seele, die sonst in größerer Nähe zu Gott sein könnte: „Aber es ziemt sich nun zu hören, was gesprochen und verheißen wurde. Zuerst, daß Gott dem Freunde der Tugend nicht gestattet in dem Körper wie im Heimatlande (ἐν οἰκείᾳ) zu wohnen, sondern daß er von ihm verlangt, darin wie ein Fremdling im fremden Lande zu weilen. ‚Wissen sollst du‘, sagt er, ‚daß ein Fremdling dein Same wird in einem nicht ihm gehörigen Lande‘. Zu jedem Schlechten dagegen paßt die Örtlichkeit des Körpers, in dem er zu wohnen trachtet, nicht zu verweilen wie ein Fremdling. Das ist die eine Lehre (παίδευµα); die andere ist, daß die irdische Behausung es ist, die der Seele Knechtschaft, Mühsal und – wie er selbst sagte – schreckliche Erniedrigung (ταπείνωσιν) bringt; denn unedel
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
und ohne Vernunft sind fürwahr die Affekte des Körpers, Sprößlinge des Fleisches, in dem sie wurzeln“ (Her 267 f.)12.
Auch Paulus formuliert im Phil die Hoffnung auf eine Verwandlung des nichtigen Leibes (Phil 3,21). Er warnt vor irdischer Gesinnung und verweist auf das himmlische πολίτευµα als Ort der endzeitlichen, also eschatologischen Erwartung (Phil 3,19–21). Gleichwohl ist die Erfahrung von Niedrigkeit nicht auf die körperliche Existenz begrenzt – die ganze Person (σῶµα) hofft, am eschatologischen Schicksal Christi zu partizipieren. Die Niedrigkeit wird so zur notwendigen Voraussetzung der eschatologischen Verherrlichung, wie das Beispiel Christi zeigt (Phil 2,8 f.). ταπεινοφροσύνη in der Gemeinde zu üben, bedeutet dann nichts weniger, als auf die eschatologisch zu erwartende Konformität mit Christus vorauszublicken. Das paulinische Konzept der Demut ist also nicht nur gemessen an der hellenistisch-römischen und ‑jüdischen Sicht auf ‚menschliche Niedrigkeit‘ widerständig und komplex, sondern auch theologisch wie ethisch ambitiös. Wir werden im Folgenden versuchen, es exegetisch zu rekonstruieren (s. 3.–5.). Allerdings liegt der Weg zur Interpretation der paulinischen Demut in Phil 2 nicht offen – er wird durch eine in der Theologie‑ und Kulturgeschichte beharrlich gewachsene polarisierte Sicht auf die christliche Demut gebahnt. Wir müssen uns daher den Weg zu Paulus zurück durch viele intellektuelle Vorurteile über die Demut hindurch erst erarbeiten (s. 2.1.–2.4.). Zuvor wollen wir bedenken, warum eine kritische Betrachtung der Kulturgeschichte der Demut sich nicht nur für eine kulturelle Analyse abendländischer Identität als notwendig erweist, sondern uns auch an die stetigen Ambivalenzen christlicher Ethik erinnert (s. 1.2.–1.5.). Die Beschäftigung mit der christlichen Demut, die in Phil 2 ihren konzeptionellen Ausgangspunkt 12
Übersetzung nach: L. Cohn et al., Philo Band V, 284.
1.2. Kulturgeschichte als Erinnerungsarbeit und Identitätsanalyse
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nimmt, führt uns in ein zentrales Gebiet europäischer Theologie‑ und Kulturgeschichte. 1.2. Kulturgeschichte als Erinnerungsarbeit und Identitätsanalyse In Vergangenheit und Gegenwart sind Europäer vielfältige Diskussionen über ihre kulturelle Identität gewöhnt. Im Lichte gesellschaftlicher Krisen innerhalb und außerhalb Europas gewinnen diese Diskussionen in jüngster Zeit an neuer Aktualität. Die aktuellen Krisen, welche Fragen nach der kulturellen Identität Europas aufwerfen, sind einerseits durch die Kriege und Konflikte verursacht, die die politische Tageordnung im Nahen und Mittleren Osten wie auch in großen Teilen des afrikanischen Kontinents, sogar im Osten Europas bestimmen und von außen auf Europa einwirken. Andererseits werden gesellschaftliche Krisen mit den in Europa selbst wachsenden ökonomischen und sozio-kulturellen Herausforderungen in Zusammenhang gebracht: mit der Stabilität der Währung und dem Wachstum der Wirtschaft, aber auch und zuletzt insbesondere mit Migration, Immigration und Flüchtlingspolitik, der Qualität von Bildung und Ausbildung, der Gestaltung multi-religiöser Gesellschaften oder ökologischer Innovationen. Die Diskussionen über die genannten Krisen und ihre Folgen werden zumeist von ethischen Fragen begleitet13, die – oftmals sachlich wenig vertieft – gesellschaftspolitisch aufgeladen werden. Sie sind zudem von einer widersprüchlich wirkenden „Macht der Moral“ (Ottfried Höffe) bestimmt14. Denn immer scheint entweder der homo oeconomicus und mit ihm die Frage im Mittelpunkt des Interesses zu stehen: Was wollen oder können wir wie finanzieren? Oder der gesellschaftliche Diskurs 13 14
Zum Zusammenhang von Ethik und Politik, vgl.: W. Huber, Ethik. Vgl. O. Höffe, Macht, bes. 182 ff.
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
ist mehr von Empörung und gegenseitigem Mißtrauen als von sachlich verantworteter Sorge um ethisch reflektierte politische Entscheidungen geprägt, die im Interesse des Gemeinwohls getroffen werden. Die ökonomische Perspektive auf den Zustand und die Zukunft moderner (europäischer) Gesellschaften ist zwar legitim – auch Paulus ist in seinen Briefen vielfach von finanziellen Fragen umgetrieben, die sein eigenes Auskommen (z. B. 1 Kor 9,15 ff.; Phil 4,10 ff.) oder die ihm auferlegten Spendenaktivitäten für Jerusalem (z. B. 2 Kor 8–9) betreffen. Sogar jenseits seiner Überlegungen zu materiellen Fragen bedient sich der Apostel verschiedentlich einer Wachstums-Semantik (vgl. z. B. Phil 1,12.25: προκοπή), die nicht nur auf „moral progress“, sondern auch auf Erfolg, Wohlstand und „Avancement“ zielen kann (vgl. auch Aristeas 242)15. Doch so sehr die moderne Perspektive auf den homo oecomomicus sogar kulturwissenschaftlich relevant ist – im Sinne Max Webers16 hilft sie uns, soziologisch die Erfolgs-Geschichte des Protestantismus zu deuten –, so sehr kann diese Perspektive verengt, ja riskant sein, wenn eine reduzierte Sicht auf ökonomische Begründungszusammenhänge dazu dient, geschichtliche und ethische Überlegungen auszublenden. So setzen wir die eigentliche Wurzel einer krisengesteuerten Gesellschaft, die darüber die Frage nach ihrer kulturellen und religiösen Herkunft aus den Augen zu verlieren und sich in der fortwährenden Hybris des Wachstumsglaubens zu verirren droht. Könnte hier etwas mehr – theoretische oder praktische – Beschäftigung mit der Demut, gar eine innere Haltung von 15 J. Reumann, Philippians, 193 f.; A. Deissmann, Licht, 120–124 (Brief Nr. 9: „Apion an seinen Vater Epimachos“). 16 Vgl. Webers Überlegungen zu „Askese und politischer Geist“, aus: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, die sich gleichwohl teils auch auf (pseudepigraphe) Paulus-Texte gründen, z. B. 2 Thess 3,10.
1.2. Kulturgeschichte als Erinnerungsarbeit und Identitätsanalyse
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Demut als intellektuellem Instrument von Selbstkritik (Mark Lilla) helfen17, das auch in ethischer Hinsicht dem „Wertrelativismus“ (Max Scheler) entgegenwirken kann18? Und wenn ja: in welcher Weise hilft Demut? Peter Bieri schlägt vor, „Kultur als Gekanntes und als Gelebtes“ zu verstehen19. Kann das auch für die Begegnung mit der Demut in der Weise gelten, dass diese sich am besten aus und in ihrer Übung verstehen lässt? Oder gibt der Begriff der Demut allein dem geschichtlichen Diskurs über die kulturelle Identitätssicherung neuen Auftrieb? Ein analytischer Blick auf kulturelle und religiöse Traditionen kommt – zumindest zunächst jedenfalls – zu einer eher kritischen Sicht auf den Begriff der Demut (s. u.). Die Demut spiegelt – wie kaum ein anderes ethisches und politisches Konzept – die Ambivalenzen abendländischer Kultur. Diese in den Blick zu nehmen, lässt sich durchaus als ein erster, aktiver Beitrag zu einer gesellschaftspolitischen Krisen-Bewältigung begreifen. Und damit kommen wir zum zweiten Dilemma der in der Gesellschaft diskutierten ethischen Fragen: der Haltung der Empörung. Krisen-Bewältigung setzt auch in dieser Hinsicht mit einer schonungslosen Situationsanalyse ein, wie sie Julia Kristeva zu leisten versucht. Kristeva sieht hinter der gegenwärtigen europäischen Krisen-Mentalität deutlich eine kulturelle Identitätskrise. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (4. Mai 2013) wünscht sich die bulgarisch-französische Psychoanalytikerin und Literaturtheo17
Vgl. M. Lilla, Geist, 203. M. Scheler, Formalismus, 308: „So beruht der Wertrelativismus überall auf einer Verabsolutierung der Wertschätzungen der jeweiligen Eigenart und des Kulturkreises des betreffenden Forschers, d. h. auf der Enge und Blindheit des sittlichen Werthorizontes, sittlich selbst wieder bedingt durch mangelnde Ehrfurcht und Demut vor dem sittlichen Wertreiche …“. 19 Vgl. auch P. Bieri, Leben, 81: Die religiösen Elemente einer Kultur „zu kennen, reicht nicht; es geht darum, sich an ihnen zu reiben und im Sinne einer inneren Stellungnahme auch hier eine eigene Stimme zu entwickeln“ (82 f.). 18
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
retikerin, dem viel beschworenen Patienten „Europa“ nicht in den Geldbeutel zu blicken, sondern ihn auf die Couch zu legen. Geschichtsvergessenheit und Ignoranz gegenüber Traditionen wie die Haltung stetiger Empörung anstelle von kritischem Sachverstand – konträre und zugleich synergetisch wirkende Ausdrucksformen gegenwärtiger westlicher Lebenshaltung – seien abzulegen. Es stelle sich vielmehr die von den Kultur‑ und Geisteswissenschaften zu leistende intellektuelle Aufgabe fundierter und solider Erinnerungsarbeit, die der Identitätsfindung (Maurice Halbwachs) hilft. Dabei gelte es auch, religiöse Wurzeln und Erfahrungen oder kulturelle Konzepte als solche aufzudecken und gegebenenfalls neu schätzen zu lernen. Mit seinen Überlegungen zum Begriff der ‚Freiheit‘ weist Rudolf Bultmann – wie wir noch sehen werden20 – in ähnlicher Weise auf die gesellschaftspolitische Relevanz geisteswissenschaftlicher Forschung. Europa – so Kristeva – müsse nach den kulturellen und den religiösen Wurzeln seiner Identität fragen, um sich seiner selbst gewisser zu sein: „Man müsste dafür sorgen, dass er (= Patient Europa) sich seiner Fähigkeiten und Trümpfe bewusst würde, vor allem seiner Tradition der ständigen Unruhe, die auf die griechische Philosophie, das unablässig fragende und interpretierende talmudische Judentum und auf gewisse christliche Denkschulen zurückgeht …“21.
Die kulturelle Erinnerungs‑ und Deutungsarbeit wird in vielen Fällen zu Paulus und der Lektüre seiner Briefe führen, wenn nicht sogar hier ihren Ausgangspunkt nehmen. Frühchristliche Identitätsbildung ereignet sich im Spannungsfeld hellenistischjüdischer Theologie und Ethik und frühkaiserzeitlicher Politik und Intellektualität. Wie zuletzt auch Frédéric Gros (2015) im Blick auf die Geschichte des europäischen Sicherheitsdiskurses 20
S. u. 2.3. Nr. 103, 4. Mai 2013, S. 40. – Vgl. ähnlich auch dies., „Die unterschätzte Kraft“, 4. Juli 2014 auf: TheEuropean.eu. 21 FAZ
1.2. Kulturgeschichte als Erinnerungsarbeit und Identitätsanalyse
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gezeigt hat22, wirkt Paulus im Rückblick in vielfältiger Weise diskursbildend. In vielen Bereichen antiker Ethik und Anthropologie hat Paulus neue Denkanstöße gegeben. Die Erinnerungsarbeit im Sinne Kristevas soll der gesellschaftlichen Vergewisserung dienen und im Sinne der „ständigen Unruhe“ dazu führen, auch schwierige religiöse und ethische Konzepte sichtbar zu machen. Hierzu zählt das Konstrukt der Demut, das sich als äußerst komplex darstellt. Jeder vorschnelle und wie auch immer interessengeleitete Appell für oder gegen Demut wird populistisch. Vielmehr ist die Ambivalenz ethischer Konzepte zu erkennen und differenziert darzustellen. Dabei hilft Paul Veynes (2008) Vorschlag, weniger von religiösen ‚Wurzeln‘ Europas als von kulturgeschichtlichen ‚Entwicklungsstufen‘ zu sprechen: „Europa hat keine christlichen oder anderen Wurzeln, sondern es hat sich in Entwicklungsstufen, die nicht vorhersehbar waren, schrittweise herausgebildet … Europa … ist nicht die Entwicklung eines Keims, sondern das Ergebnis einer Epigenese. Das Christentum übrigens ebenfalls“23.
Diese Unterscheidung ist nicht zuletzt auch im Blick auf die konzeptionellen Anfänge der christlichen Demut bei Paulus grundlegend wie folgenreich: Nicht alles, was die kulturelle oder christliche Familiengeschichte Europas prägt, wollen wir behalten und auf Dauer mit uns führen. Viele sogenannte Tugenden (virtutes) – wie Keuschheit oder Tapferkeit – sind historische Größen. Auch ein Ethos wie die Besitzlosigkeit scheint nur hinter Klostermauern in einer Art ‚Etho-Top‘ zu überleben. Ethik und Moral sind zeitbedingt. Sie konkurrieren mit vielen anderen Machtfaktoren und erleben schnell ihre eigene Ohnmacht24. So ist die hermeneutische Frage, welche 22
Vgl. F. Gros, Politisierung. P. Veyne, Als unsere Welt christlich wurde, 152. 24 O. Höffe, Macht, 183 nennt das: „Geld und das Schwert, das Szepter, die Medien“. Gründe für die Ohnmacht der Moral werden in ihrer Bindung an Religion, in ihrer Abhängigkeit von der Metaphysik, in ihrem 23
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
(textlichen) Traditionen oder ethischen Forderungen eine „real option for us“ sind, durchaus angemessen25. Gleichzeitig aber lässt sich beobachten, dass das, was wir an vermeintlichem moralischem Ballast über Bord geworfen haben, eines Tages wieder kommen und neue gesellschaftliche Attraktivität erlangen kann: Weisen car-sharing, house-sharing, job-sharing in Richtung der Wiederentdeckung des Ethos der Besitzlosigkeit? Ambivalente ethische Konzepte entstehen also nicht allein durch die historische Bedingtheit des einzelnen Ethos, sondern auch durch dessen wechselvolle Wirkungs‑ und Rezeptionsgeschichte. Ein Ethos kann (jederzeit) dekonstruiert, aber auch aktualisiert und wiederentdeckt werden. Dasselbe gilt für die Renaissance der ‚Tugendethik‘, die Christoph Halbig (2013) nachzeichnet26. Halbig unterscheidet dabei zwischen Tugendlehre, Ethik der Tugend und Tugendethik: „Die Tugendlehre bemüht sich um ein Verständnis dessen, was Tugenden sind: ihrer Ontologie, Epistemologie sowie ihrer handlungstheoretischen Bedeutung. Die Ethik der Tugend fragt hingegen nach der Rolle der Tugenden für die Ethik … Die Tugendethik hingegen bildet ihrerseits ein solches Modell neben anderen, das sich dadurch auszeichnet, dass es aretaische Kategorien (also solche, die sich auf Tugenden und Laster beziehen, wie etwa ‚feige‘ oder ‚freigebig‘) für fundamental hält und deontische (wie etwa ‚richtig‘ oder ‚verboten‘) bzw. im Extremfall sogar evaluative (wie etwa ‚gut‘ oder ‚schlecht‘) Kategorien auf sie zu reduzieren versucht“27.
Die Beschäftigung mit der Demut gehört in das weite Feld der Tugendlehre. Zunächst aber fällt sie in den Bereich einer kulturgeschichtlichen Erinnerungsarbeit, einer sensiblen kulwenig zeitgemäßen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und in der Liberalität moderner Gesellschaften gesehen. 25 So T. Engberg-Pedersen, Paul and the Stoics, 16 f. – unter Hinweis auf Bernard Williams. Zur Kritik an dieser Kriteriologie, die der Methode der Sachkritik nahe kommt: N. T. Wright, Paul, 1388 ff. 26 Vgl. dazu C. Halbig, Begriff, 11 ff. 27 C. Halbig, Begriff, 11.
1.2. Kulturgeschichte als Erinnerungsarbeit und Identitätsanalyse
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turellen und religiösen Identitätsanalyse, die tiefe Einblicke in die europäische Geschichte ethischer Diskurse gewährt. Wie sonst kaum ein anderer Begriff ist die Demut in ambivalenter Weise mit unserem kulturellen Gedächtnis, unserer Identität verbunden, ja verwoben. Die kritische Analyse von Begriff und Konzept der christlichen Demut führt zu Paulus zurück, zur Geschichte der Erfindung der ταπεινοφροσύνη und ihrer konzeptionellen Überformung. Die kulturelle Identitätsanalyse kann nicht nur unseren Blick für den sprachlichen Umgang mit dem Begriff der Demut schärfen, sondern uns auch für eine ‚ambivalente Ethik‘ sensibilisieren: Viele Tugenden oder moralischen Werte sind widersprüchlich und nicht eindeutig, sondern lassen sich missbrauchen und diskreditieren. So hat David Hume die Demut zu den monkish virtues gezählt, die „recht verstanden eben keine Tugenden, sondern Laster sind“28. Auch in seiner Schrift „A Treatise of Human Nature“ (1739–1740) hat sich Hume im Zusammenhang seiner Erörterung der „passions“ umfangreich mit „pride and humility“ befasst (2.1.)29. Er zeigt den wechselseitigen (emotionalen) Zusammenhang von Stolz und Demut auf und legt die Kontingenz der Demut offen: „pride and humility are directly contrary in their effects, and in their sensations, they have notwithstanding the same object“30.
Humes scharfe Demuts-Kritik hat die politische Ethik bis heute nachhaltig beeinflusst31, wird aber gegenwärtig ihrerseits im Rahmen politischer Theorie und Ethik einer substantiellen 28
C. Halbig, Begriff, 33. – Vgl. auch W. Davie, Hume. Vgl. D. Hume, Treatise, 179 ff. 30 D. Hume, Treatise, 189: „Accordingly we find, that a beautiful house, still belonging to ourselves, produces pride; and that the same house, still belonging to ourselves, produces humility, when by any accident its beauty is chang’d into deformity, and thereby the sensation of pleasure, which corresponded to pride, is transform’d into pain, which is related to humility“. 31 Vgl. etwa J. E. Cooper, Powers, 27 ff. 29
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
sachlichen Kritik unterzogen32. Diese Beobachtungen zu den gegenwärtigen Tendenzen geistes‑ und gesellschaftswissenschaftlicher Diskussion sind besonders für die theologische Ethik zentral, wenn diese sich fragen (lassen) muss: Sind Tugend und Ethos – so auch die Demut – in der Folge scharfer Kritik und Dekonstruktion überhaupt noch brauchbar, oder sind sie längt unbrauchbar geworden? Wie bewerten wir den gesellschaftlichen Diskurs über die Demut und ihre Bedeutung für die christliche Ethik? Eine weitere Komplikation tritt hinzu: Das Konzept von christlichen Tugenden ist per se zweifelhaft. Kann und darf ein Christ sich der Übung einer Tugend rühmen? Die Lehre von Tugenden schafft dauernde Ambivalenzen. Dagegen ermöglicht das Nachdenken über eine ‚ambivalente Ethik‘, den Gebrauch und Missbrauch ethischer Konzepte erst einmal aufzudecken. Schwer verständliche oder missverständliche Begriffe wie die Demut können so einerseits enttabuisiert und dem gesellschaftlichen, speziell dem religiösen und theologischen Diskurs sinnvoll wieder zugeführt werden, andererseits hierin aber auch dauerhafter substantieller Kritik und Würdigung unterliegen33. Diese Aufgabe ist allerdings keineswegs neu: Schon in paulinischer (s. Röm 12) und nachpaulinischer (s. Kol 2) Zeit beginnt eine Diskussion über den rechten Gebrauch und den Missbrauch der Demut. Dies zu bedenken, ist ebenso Teil jeder kulturellen Identitätsanalyse. 1.3. Tugend, Laster und eine ‚ambivalente Ethik‘ Seit Paulus wird christliche Ethik in den Kategorien von Tugenden – der Begriff begegnet zuerst in Phil 4,8 (ἀρετή) – und ‚Las32
Vgl. z. B. M. Button, „A Monkish Kind of Virtue“?. Über die konstruktiven Möglichkeiten hermeneutischer Dekonstruktion im Bereich der Exegese vgl. E.-M. Becker, Antike Textsammlungen. 33
1.3. Tugend, Laster und eine ‚ambivalente Ethik‘
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tern‘ gedacht. Das dokumentieren bereits die frühesten christlichen sogenannten Tugend‑ und Lasterkataloge. Bei Paulus, besonders aber nach Paulus lässt sich dabei eine Entwicklung des Diskursfeldes erkennen: Im wohl frühesten christlichen Schreiben – dem 1 Thess – warnt Paulus seine Leser vor einem πάϑος ἐπιϑυµίας, das für die Heiden typisch sei, und fordert stattdessen von seinen Gemeinden die „Heiligung“ (ἁγιασµός) als die dem Willen Gottes entsprechende Lebensform (1 Thess 4,3 f.). Diese grenzt die Gemeinden qualitativ von denen, die „draußen“ (ἔξω) sind, ab. Gerade die πορνεία erscheint im paränetischen Zusammenhang als das Laster, bindet sie nicht nur den Körper, sondern auch den Geist, so dass der Mensch nicht für das gemeinschaftliche Miteinander im Ethos der geschwisterlichen Liebe (φιλαδελφία) bereit ist. In 1 Kor 6,9 geht Paulus einen Schritt weiter: Hier zählt er die sexuellen Laster konkret auf – πόρνοι, ἀρσενοκοῖται – und misst ihnen eine kultisch-rituelle Bedeutung bei: Er versteht sie letztlich als Götzendienst34. Wir können in diesem Vers einen ‚separaten Lasterkatalog‘ erkennen, wie er sonst bei Paulus auch in 1 Kor 5 (V. 10 f.), 2 Kor 12 (V. 20 f.) oder in Röm 1 (V. 29 ff.) begegnet. Verschiedene ‚Un-Tugenden‘ werden hier als Laster aufgeführt. Dagegen propagiert Paulus in 1 Kor 13 „Glaube, Liebe, Hoffnung“ als positive christliche Grundhaltungen. Besonders in der Liebe (ἀγάπη) sieht Paulus die Basis eines ‚tugendhaften Lebens‘ (vgl. auch 1 Kor 13,4–7), mehr noch: Sie führt zur vollständigen Erfüllung des Gesetzes (πλήρωµα νόµου, Röm 13,8–10). Paulus denkt hierbei an die Ordnung gemeinschaftlichen Lebens in der ἐκκλησία. Er versteht die ‚Liebe‘ noch nicht als Tugend35. Erst in späterer Zeit werden „Glaube, Liebe, Hoffnung“ – unabhängig von ihrer sozio-politischen Einbettung in die οἰκοδοµή der Gemeinde – 34 35
Vgl. F. Hauck/ S. Schulz, πόρνη, 592 f. Das behauptet N. T. Wright, Paul, z. B. 1116.
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
als gleichsam überzeitlich gültige christliche bzw. theologische Tugenden konzipiert36. Gleichwohl kennt Paulus auch Tugendkataloge. Sie begegnen in 2 Kor 6 (V. 6–7a) und Phil 4,837. Hierin ist – nicht zuletzt im Blick auf die Lebensweise des Apostels selbst (2 Kor 6) – von „Wahrhaftigkeit, Reinheit, Ehrbarkeit, Lauterkeit, Langmut, Freundlichkeit etc.“ die Rede. In Phil 4 bezeichnet Paulus diese Eigenschaften wahlweise als „Tugend“ (ἀρετή) oder „Lob“ (ἔπαινος, V. 8), also als Lebensweise, die allgemeine Anerkennung erfährt38, wie es schon Aristoteles beschreibt (Eth Nic 2,4,1106a). Der Apostel entwickelt an keiner Stelle in seinen Briefen eine ausgeprägte oder explizite „Tugend-Ethik“, zeigt sich aber durchaus mit der Idee der griechischen Areté vertraut39. In Gal 5 (V. 19–23) schafft Paulus darüber hinaus einen sogenannten ‚Doppelkatalog‘, in dem Tugenden und Laster nebeneinander gestellt aufgezählt werden. Das ‚gute‘ und das ‚böse‘ Handeln lassen sich darin antithetisch unterscheiden. Uneindeutigkeiten oder Ambivalenzen sind in diesem ethischen Diskursfeld – anders als wenn Paulus im Streit über den Verzehr von Götzenopferfleisch zwischen inner-gemeindlichen Konfliktparteien vermittelt (z. B. 1 Kor 8; 10) oder beim Thema Ehelosigkeit die Gemeinden zu eigener ethischer Urteilsfindung anleitet (1 Kor 7,25 ff.)40 – nicht vorgesehen. 36 Vgl. dazu: O. Wischmeyer, Liebe, bes. 190 ff. Für Paulus weist die Agape allenfalls in Richtung einer Tugend. 37 Vgl. zuletzt auch: F. W. Horn, „Tugend“; ders., Tugendlehre. 38 Vgl. H. Preisker, ἔπαινος, 584. Vgl. auch H. Wojtkowiak, Christologie, 258 f.: „Das unbestimmte τις verstärkt den Eindruck, dass die Wendung … auf dasjenige, was allgemein d. h. bei den Gemeindegliedern und in ihrer Umwelt, als lobenswert erachtet wird und Anerkennung erwirkt. Bei Lob und Anerkennung … handelt es sich um ein grundlegendes Ziel des Handelns innerhalb der antiken, besonders der römischen Gesellschaft“. 39 Vgl. noch einmal: F. W. Horn, „Tugend“. 40 Vgl. dazu ausführlich W. Deming, Paul, bes. 207 ff.
1.3. Tugend, Laster und eine ‚ambivalente Ethik‘
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Es ist besonders diese literarische Form der gemeindlichen brieflichen, katalogförmigen Paränese, die sich die nachpaulinischen, sogenannten pseudepigraphen Paulus-Briefe in zunehmender Stereotypie zu eigen machen werden (Kol 3,5 ff.; Eph 4,31 f.; 1 Tim 6,17 f.; Tit 1,7 f.). Zugleich werden die Kataloge in ihrer Beschreibung psychologischer Zustände und Verhaltensformen konkreter: Die Gemeinden sollen „Zorn, Grimm, Bosheit etc.“ ablegen, und sie sollen „Erbarmen, Freundlichkeit, Geduld etc.“ anziehen (Kol 3,8.12). Die pseudepigraphen Autoren tragen in die Tugend‑ und Laster-Kataloge aber auch Begriffe ein, die bei Paulus noch eine eigenständige argumentationsbildende Funktion haben: Dazu zählt die Demut (ταπεινοφροσύνη), die im Briefcorpus des Phil sachlich eigens entfaltet und veranschaulicht wird. In Kol 3,12 dagegen wird die Demut den Tugenden von „Erbarmen, Freundlichkeit, Sanftmut, Geduld“ direkt zugeordnet – sie kann als bekannt vorausgesetzt und so als katalogisierte Verhaltensform eingefordert werden. Bei Paulus selbst erscheint die Demut (ταπεινοφροσύνη) nicht im Zusammenhang eines Tugendkatalogs. Eine solche Zuordnung findet sich erstmals im Kol. Dies wirkt traditionsbildend. So spricht der Verfasser des 1. Clemensbriefes (noch vor 100 n. Chr.)41 im Zusammenhang einer sogenannten Haus‑ und Gemeindetafel (21,6–8) im Sinne christlicher Pädagogik von ταπεινοφροσύνη als einer Tugend: Deutero-paulinische oder nachpaulinische Gemeinde-Paränese (vgl. auch 1 Petr 5,5) könnten dabei als Verbindungsglied gewirkt haben: „So auch (Ihr) Jüngeren, ordnet Euch den Älteren unter; alle aber legt (im Umgang) mit einander Demut (ταπεινοφροσύνην) an, weil [der] Gott den Überheblichen (ὑπερηφάνοις) widersteht, den Demütigen (ταπεινοῖς) aber Gnade gibt.“42 41
Vgl. A. Lindemann, Clemensbriefe,12. Wörterbuch, 428 übersetzt: „… im Verkehr miteinander umkleidet euch mit Demut …“. 42 W. Bauer,
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
Der Verfasser von 1 Clem 21 beschreibt weitaus ausführlicher das Verhalten, das den leitenden Männern (τοὺς προηγουµένους), den Älteren (τοὺς πρεσβυτέρους), den Jungen (τοὺς νέους) und den Frauen (τὰς γυναῖκας) entgegenzubringen ist (V. 6). Danach wird benannt, was von den Frauen gefordert wird: die „liebenswürdige Sitte der Keuschheit“ (τὸ ἀξιαγάπητον τῆς ἁγνείας ἦϑος) tritt zuerst auf (V. 7). Anschließend (V. 8) kommt der Verfasser dann auf das von den Kindern erwartete Verhalten zu sprechen: Hierbei steht die ταπεινοφροσύνη im Rahmen der Erziehung an hervorgehobener Stelle – sie korrespondiert der Keuschheit der Frauen: „… Unsere Kinder sollen der Erziehung in Christus teilhaftig werden; sie sollen lernen, was Demut (ταπεινοφροσύνη) bei Gott gilt, was reine Liebe bei Gott erreicht, wie die Furcht vor ihm gut und groß ist und alle rettet, die in ihm fromm wandeln in reiner Gesinnung (ἐν καϑαρᾷ διανοίᾳ)“43.
Auch an anderen Stellen im 1 Clem findet die ταπεινοφροσύνη (31,4; 44,3; 56,1; 58,2) oder finden die mit ihr verwandten Begriffe (z. B. 2,1; 13,1 ff.; 16,1 f.) Verwendung. Wir werden auf die Frage zurückkommen, in welcher Weise der 1 Clem den Gedanken der christlichen Demut geradezu zu einem Leitmotiv seines Schreibens ausarbeitet und inwieweit er dabei paulinische Traditionen aufgreift und gegebenenfalls fortschreibt oder auch revidiert. Mit seiner Verwendung und literarischen Gestaltung der Lexik innerhalb und außerhalb von Haus‑ und Gemeindetafeln bereitet er zweifellos den Boden für die (spätere) Konstruktion der Demut als christlicher Tugend, die auf Clemens Alexandrinus und andere frühchristliche Theologen ausstrahlen wird. Das Denken in Tugenden und Lastern, das schon Paulus kennt und zum Einsatz bringt, hat der Heidenapostel – wie Hans Dieter Betz deutlich macht44 – nicht selbst erfunden. In 43
44
Übersetzung nach: A. Lindemann, Clemensbriefe, 78. Vgl. H. D. Betz, Lasterkataloge/Tugendkataloge.
1.3. Tugend, Laster und eine ‚ambivalente Ethik‘
19
seinen Briefen kommt es vielmehr zu einer synthetischen Verbindung von Paränese, wie sie einerseits in der hellenistischen Moralphilosophie entwickelt wird, und andererseits im Zusammenhang alttestamentlicher Kultgesetzlichkeit formuliert wurde (Ex 20; Dtn 5). Bereits große Teile der hellenistisch-jüdischen Literatur vor Paulus sind durch den popularphilosophischen Diskurs beeinflusst (Sap Sal 14,21ff:, 4 Makk 1,21 ff.). Die katalogisierte Erfassung von ‚Tugend‘ und ‚Laster‘ spiegelt „Grundwissen zum Zwecke einer durch Natur, Gesellschaft und Vernunft motivierten Paränese“45 – in der alttestamentlichjüdischen Paränese tritt die religiöse und kultische Paränese hinzu. Von hier erklärt sich, warum Paulus in seiner gemeindlichen Paränese Sexualmoral und Götzendienst zusammen sehen und auf einander beziehen kann (s. o. zu 1 Kor 6,9). Der theologische Umgang mit der Lehre von Tugenden und Lastern ist jedoch weitaus komplexer. Er übersteigt die Frage nach motiv‑ oder traditionsgeschichtlichen Herleitungen und greift auf den Bereich der Hermeneutik über. Das gilt besonders für die Lehre von Tugenden und Lastern im Lichte ihrer Auslegungs‑ und Wirkungsgeschichte: Lassen sich Laster ex negativo inkriminieren, so verstrickt sich die Tugendlehre innerhalb und außerhalb der christlichen Ethik schnell in Widersprüche. Zwar ist seit Immanuel Kant unbestritten, dass sich Tugenden kaum objektivieren und unabhängig von der Person dessen, der sie übt, bewerten lassen: Tugenden erscheinen vielmehr als Charaktereigenschaft46 und werfen die Frage auf, worin der „Wert der Tugenden“ liegt: „in ihnen … selbst oder in den 45
H. D. Betz, Lasterkataloge/Tugendkataloge, 89. zu Kants Tugendbegriff: C. C. E. Schmid, Wörterbuch, 529 f.: Die Tugend ist „die moralische Stärke des Willens eines Menschen in Verfolgung seiner Pflicht“. „Die Tugend ist 1) virtus phaenomenon … 2) virtus noumenon, Tugend nach dem intelligiblen Charakter: die Denkungsart eines Menschen, welcher das Gesetz selbst zur obersten Maxime (Triebfeder) seiner Willkühr angenommen hat“. 46 Vgl.
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
praktischen Einstellungen und Handlungen, in denen diese sich äußern“47. Zugleich haben besonders die Jahrhunderte christlicher Kulturgeschichte nach der Aufklärung gelehrt, dass sich Lehre und Übung von Tugenden ideologisch missbrauchen und korrumpieren lassen. Um die Bürde ambivalenter ethischer Konzepte zu diskutieren, bedarf es daher kultureller und intellektueller Anstrengung. Doch wieweit reicht unsere kulturgeschichtliche Aufklärung über die Aporien der Demut im Rahmen der Tugendlehre? Wie weit können wir über das dualistische Denken in den Kategorien von Gut und Böse48, richtig und falsch, Tugend und Laster hinausblicken und die vielen Schattierungen und Grautöne dazwischen wahrnehmen? Kann die Geschichte ethischer Uneindeutigkeiten im Umgang mit der Demut unseren hermeneutischen und ethischen Verstand schulen, oder irritiert sie? Wir werden zwar im Folgenden keine psychologische Identitätsanalyse betreiben49. Gleichwohl werden wir die Mehr‑ und Uneindeutigkeiten, semantische und sachliche Polyvalenzen, die der Begriff der Demut impliziert, vor unserem kulturgeschichtlichen Auge vorüberziehen lassen. 1.4. Vom Nutzen und Nachteil der ‚Demut‘ Neben dem (geschichtlichen) Wert können wir auch utilitaristisch nach dem sozialen und religiösen ‚Nutzen‘ der Demut fragen50: Brauchen moderne europäische Gesellschaften das ethi47 Vgl.
zum „Wert“ der Tugenden als Charaktermerkmal: C. Halbig, Begriff, 18 ff. (Zitate: 18). 48 Vgl. zur „Verschiebung“ des Bösen auf die Moral: C. Schäfer, Einführung, 18 ff. 49 Zum Zusammenhang von Psychologie und Exegese, vgl.: H. Ulonska, Krankheit. 50 Zum Konzept der utilitaristischen Ethik vgl. zuletzt J. Rommerskirchen, Das Gute, 67 ff.
1.4. Vom Nutzen und Nachteil der ‚Demut‘
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sche Konzept der Demut? Strebt der selbstbestimmte Mensch nicht eher nach ultimativer Selbstverwirklichung als nach Begrenzung seines Individualismus oder gar nach Askese? Weist der altmodisch anmutende Begriff der Demut in anachronistischer Weise in eine vormoderne Zeit zurück? Legt er dem modernen Menschen – wie Nietzsche behaupten würde – die Fesseln wieder an, die er im jahrhundertelangen Kampf für Emanzipation und Autonomie unter Mühe abgestreift hat? Oder hilft die Demut vielmehr, moderner Hybris oder gesellschaftlicher Überforderung (Meinhard Miegel) entgegenzuwirken?51 Es gilt, überhaupt erst das Verhältnis von Demut und Hybris zu bestimmen: Ist Demut ein Gegenkonzept zur oder sogar ein Wirkmittel gegen Hochmut oder Hybris – eine Vorstellung, die wir schon auf Platon (Leg 716a) und die Herrscherkritik im frühen Judentum (z. B. 1 Makk 1,3; 2 Makk 9,8 ff.) zurückführen können und die auch im 20. Jh., besonders im Kirchenkampf bei Dietrich Bonhoeffer wiederkehrt?52 Wie weit aber sind Demut und ‚Hochmut‘ oder Hybris, Zeichen des Götterfeindes, die bereits auf der sogenannten KommageneInschrift, einem Gesetzestext Antiochus’ I., zusammen genannt werden53, eingeführte semantische Oppositionen in der griechisch-hellenistischen Welt? 1931 weist der deutschsprachige Philosoph Aurel Kolnai (1900–1973) unter besonderem Hinweis auf Max Scheler54 darauf hin, dass der „Gegensatz Hochmut-Demut zu den herrschenden Motiven unseres Denkens“, besonders des christlichen Denkens zählt55. Allerdings unterliege der Hochmut – 51
Vgl. zu dieser Analyse M. Miegel, Hybris. S. u. 2.2. und 3.2. 53 Vgl. die sog. Kommagene-Inschrift Antiochus’ I. (OGIS 383), ca. 40 v. Chr.: … ὡσαύτως δὲ µηδὲ // ἄλλην παρεύρεσιν εἰς ὕβριν ἢ ταπείνω-/ / σιν ἢ κατάλυσιν … Ich verdanke diesen Hinweis Wolfgang Wischmeyer (Wien). 54 S. u. unter 2.2. 55 A. Kolnai, Ekel, 66. 52
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
mindestens ebenso stark wie die Demut – grundlegenden Mißverständnissen, gerade weil der lateinische Begriff superbia für Hochmut wie für Stolz stehen kann: „… bald wird mit ihm (= Hochmut) zusammen auch jeder Stolz, jede angemessene Distanz, jede vernünftige Ordnung des Lebens verworfen; bald wird der Hochmut als bloßer ‚übertriebener‘ Stolz aufgefaßt und dadurch gewissermaßen gerechtfertigt; bald wieder wird er fälschlich auf den inneren oder moralischen Hochmut allein eingeschränkt …“56.
Eine ethische oder moralische Entgegenstellung von Hochmut und Demut also greift zu kurz. Zugleich verlangt die Beschäftigung mit dem Begriff des Hochmuts eigene Anstrengung. Kolnai schließt seine Überlegungen zum Hochmut mit einem deutlichen Plädoyer für die Demut und führt uns so zu unserem Frageinteresse wieder zurück: „… Jede ‚Überwindung des Hochmuts‘ aber wird unvollkommen und verstümmelt bleiben, die nicht von positiven Akten der Demut unterstützt wird …“57.
Auch Paulus kennt ‚Hochmut‘ – er bezieht ihn allerdings auf die Ausübung der apostolischen Aufgabe und identifiziert die Hybris primär als καυχᾶσϑαι58, vielleicht auch als ὑπερλίανAktivität seiner Gegner in Korinth (vgl. 2 Kor 10–13). Im Zuge seiner Selbstverteidigung muss allerdings auch Paulus sich Hybris zu Eigen machen, so wie er sich nicht zuletzt im Rahmen seiner brieflichen Selbstdarstellung darum bemüht, ‚positive Akte der Demut‘ zu zeigen. Worin aber liegen der gegenwärtige Nutzen und Nachteil der Demut? Treffen wir auf einen sozialen oder religiösen Sehnsuchtsbegriff, der zuletzt auch in der inter-kulturellen Kommunikation begegnet und von hierher eine neue Ak56
A. Kolnai, Ekel, 66. A. Kolnai, Ekel, 99. 58 Vgl. J. Procopé, Hochmut, 826. – Die Lexeme ὑπερήφανος, ὑβρίζειν, ὕβρις, ὑβρίστης (Röm 1,30; 1 Thess 2,2; 2 Kor 12,10; Röm 1,30) sind für Paulus dagegen kaum relevant. S. ausführlicher unten unter 4.2. 57
1.4. Vom Nutzen und Nachteil der ‚Demut‘
23
tualität gewinnt (vgl. Buddhismus)59? Hier wird das Prinzip des Tlawmngaihna, das in indischen Stammesgesellschaften – speziell unter den Mizos – der Aufrechterhaltung kommunitärer Einheit dient, mit dem paulinischen Konzept der Agape (1 Kor 13) verglichen: „It is a self-giving love that sets aside self-interest and seeks the betterment of others“60. Konzeptionelle Analogien zum paulinischen Begriff der Demut liegen ebenso nahe. Allerdings weisen gerade asiatische christliche Theologen auf die für das gesellschaftliche Zusammenleben problematischen sozial-ethischen Aspekte des Prinzips von Tlawmngaihna hin: Es verhindert eine Kultur gegenseitiger Kritik, die als Voraussetzung für transparentes Verhalten und die Bekämpfung von Korruption gilt61. Wie beschreiben wir aus europäischer Sicht den sozialen Phänotyp der Demut? Hebt Demut zu üben den Einzelnen aus der Menge hervor – etabliert sie sich als ein neues Statussymbol der Erfolgreichen, Mächtigen, Reichen, Einflussreichen? Wird die Demut zu einem Zeichen sozialer, politischer oder auch moralischer Privilegierung, also zu einem identity marker derer, die sie sich leisten können oder wollen? Sogar Bonhoeffers Überlegungen zur Demut und einem religionslosen Christentum deuten in diese Richtung, wenn er von neuen Eliten oder einer „‚neuen Oberschicht‘“ spricht, deren „moralische Wahrnehmung durch einen ‚Blick von unten‘ geschärft wurde und die eine Aristokratie der Verantwortung bilde“62. 59 Vgl. allgemein: Byung-Chul Han (Vermittlung fernöstlicher Philosophie). ‚Demut‘ im Buddhismus begegnet als Frage nach der Befreiung von menschlichen Leiden durch Meditation; anattā ist die Erfahrung des ‚non-self‘; vgl. auch G. M. Martin, Buddhismus krass. 60 Bendangjungshi, Christ, 167 (dort weitere Lit.). – Der sog. Ao-NagaStamm kennt das verwandte Prinzi des Sobaliba (ebd.). 61 Bendangjungshi, Christ, 167. – Die grundsätzlichen Hinweise zum Begriff Tlawmngaihna verdanke ich Mar Lar Myint und Zo Dong (beide Myanmar), PhD-Studierende am Lutherischen Seminar Hong Kong. 62 C. Marsh, Bonhoeffer, 465.
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
Die gegenwärtig breite mediale Verwendung des Begriffs in überraschend vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen, und zwar über die Religion hinaus im Sport, in der Theaterwelt, in Politik und Management und in der Medizin63 kann der existentiellen Tiefe der Gedanken, die Bonhoeffer in seiner Haft formuliert64, sicher kaum gerecht werden. Was bedeutet der Umstand, dass der Begriff der Demut auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder boomt, so wie schon vor 100 Jahren, als der deutsche Lyriker Christian Morgenstern (1918) schrieb: „Der Welt Schlüssel heißt Demut. Ohne ihn ist alles Klopfen, Horchen, Spähen umsonst“65?
Im Lichte der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und seine Folgen, die etwa von einem Philosophen wie Max Scheler in ambivalenter Weise auf ethisch-moralische Fragen bezogen wurden66, wirkt auch ein Dichter wie Morgenstern beklemmend, führt er uns doch die Zerbrechlichkeit oder Mehrdeutigkeit ethischer Begriffe vor Augen, die die Intellektuellen, Maler, Dichter, Politiker und Theologen im Angesicht der globalen Katastrophe nicht schützen konnten67. In seinem „Büchlein für alle Gebildeten“ über die Demut deutet Viktor Cathrein im selben Jahr an, warum er eine Apologie der Demut für notwendig hielt: 63 Vgl. dazu: L. Naumann, „Demut vor deinen Taten Baby“ (u. a. Burgtheater Wien, 2013); „Chirurgie zwischen Faszination, Mut und Demut“ (Der Chirurg 85 [2014]); sowie zahlreiche Einträge im Internet, z. B. zu finden über die FAZnet. 64 S. dazu unten ausführlicher unter 2.2. 65 C. Morgenstern, Stufen, 140. – Hinweise dazu bei: F. Hiebel, Demut. 66 Vgl. M. Scheler, Umsturz Bd. 1, 5, der in seiner Vorrede zu seiner Aufsatzsammlung von 1915 explizit die „europäischen Daseinsformen“ unter Einwirkung des Krieges als „Ereignis in der moralischen Welt“ beschreibt. 67 Vgl. z. B. F. Illies, 1913. – Vgl. auch die Anthologie: „Über den Feldern“, hg. v. H. Lauinger.
1.4. Vom Nutzen und Nachteil der ‚Demut‘
25
„… Was mich veranlaßte, dasselbe zu schreiben, war die Wahrnehmung, daß die Demut heute in manchen Kreisen unserer Gebildeten großen Mißverständnissen, ja zuweilen völliger Verständnislosigkeit begegnet …“68.
Der katholische Moral‑ und Rechtsphilosoph Cathrein wendet sich insbesondere gegen die moralische Diskreditierung des Begriffs, die Nietzsche vorangetrieben hatte69: „Am schärfsten ist der Philosoph des Übermenschentums gegen die christliche Demut zu Felde gezogen“70.
Auch jenseits moralphilosophischer Betrachtungen bringt der Begriff der Demut populäre Deutung und Diskreditierung hervor. Die Demut ruft zunächst allgemeine christliche Vorstellungen von Verzicht, Bescheidenheit und Zurückhaltung auf, die im weitesten Sinne in der Geschichte des Mönchtums gründen. Diese Wahrnehmung ist insofern sachgerecht, als es doch Mönche waren wie etwa Marcian von Bethlehem († 492), die sich umfänglich mit der Demut beschäftigt haben („De humilitate“)71. Im antiken Mönchtum liegen zugleich die kulturgeschichtlichen Anfänge für die Betrachtung der christlichen Demut als Lebensform72. Christen aller Epochen sahen sich in sachlicher und / oder persönlicher Auseinandersetzung mit der Demut: Die Adelige Birgitta von Vadstena (1303/04–1373) litt besonders darunter, wie sie selbst an der Übung von Demut zu scheitern drohte73. Der explizite Bezug zur monastischen Tradition hat mit der Wahl des Papstes Franziskus 2013 an globaler Aktualität gewonnen. Internationale Zeitungen titelten: 68
V. Cathrein, Demut, v. S. u. unter 2.2. 70 V. Cathrein, Demut, 8. 71 CPG 3889. – Vgl. dazu auch: B. Windau, Marcian; P. Bruns, Marcian. 72 Vgl. E. Mühlenberg, Lebensführung, bes. 120–151. 73 Vgl. dazu B. H. Sørensen, Birgitta, bes. 20 f. – Den Hinweis verdanke ich meiner Kollegin Kirsten Nielsen (Aarhus). 69
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
„Demut trägt den Namen Franziskus“74 und reflektierten teils mit viel Witz und Ironie die Paradoxien des Begriffs: „Ein Jesuit und ein Franziskaner wollen ihre Orden rühmen, sie steigern sich in einen Wettstreit der Vorzüge. Immer hat der Jesuit die erfolgreicheren Brüder – größere Literaten, tiefere Denker, bessere Wissenschaftler. Da wird es dem Franziskaner zu viel, und er ruft verzweifelt aus: ‚Aber in der Demut sind wir nicht zu schlagen!‘…“ Ist – so fragt der Verfasser dieses Beitrages zum Schluss – „die Demut nicht von ihren Wurzeln her eine unmögliche Konstruktion?“75
Dass die Demut immer aber auch eine ambivalente Konstruktion ist, bewies der Papst selbst in Rom: Als er am Gründonnerstag 2013 bei seinem Besuch im Jugendstrafgefängnis „Casa del Marmo“ zwölf Häftlingen die Füße wusch und küsste – eine Handlung, die schon Augustinus als „maximus cumulus humilitatis“ bezeichnet hat76 – und daraufhin von einem jugendlichen Strafgefangenen gefragt wurde: „Vater, warum bist du heute hier?“, antwortete er: „Es war ein Gefühl im Herzen: dort hingehen, wo die sind, die mir am besten helfen, demütig zu sein, ein Diener zu sein, wie es ein Bischof sein sollte“77.
In dieser liturgischen Handlung der Fußwaschung (vgl. Joh 13) wird die Demut als ‚Dienen‘ gedeutet (vgl. auch Mk 10,45). Dieser Deutungszusammenhang entspricht dem frühchristlichen Verständnis von der Anwendung von ‚Macht‘78. Und doch wirft die Handlung grundlegende Fragen auf: Kann Demut eingeübt, geleistet, gefordert, von sich und anderen beansprucht werden? Konterkariert nicht der Hinweis auf Demut 74 FAZ
Nr. 64 FPM, 16. März 2013, S. 2. – Speziell zum Demutsbegriff der Jesuiten vgl. K.-H. zur Mühlen, Demut, 480 f. 75 N. Mayer, „Eine Tugend, die körperlich sichtbar ist“, in: Die Presse am Sonntag, 24. März 2013, S. 22. 76 Augustinus, Io Eu Tr 55,6 – Beleg bei: C. Mayer, Humilitatio, 450. 77 Zitiert nach: J. Bremer, „Sechsmal niederknien zur Fußwaschung“, in: FAZ Nr. 75, 30. März 2013, S. 11. 78 So auch der Ansatz bei R. Feldmeier, Macht, z. B. 10.
1.4. Vom Nutzen und Nachteil der ‚Demut‘
27
als persönliche Leistung ihren eigentlichen Charakter als Verzichtsleistung? Schon der 1 Clem ermahnt daher (38,2): „… Der Weise soll seine Weisheit nicht in Worten zeigen, sondern in guten Werken. Der Demütige (ταπεινοφρονῶν) soll sich nicht selber ein Zeugnis ausstellen, sondern er lasse es sich von einem anderen ausstellen. Wer rein ist im Fleisch, soll nicht prahlen, da er doch weiß, daß es ein anderer ist, der ihm die Enthaltsamkeit verleiht“79.
Auch Paulus spricht bei seinem Konzept der Demut letztlich von einem κενόειν (Phil 2,7), also von einer Haltung der Entäußerung, des Verzichts. Wir müssen diskutieren, wieweit Phil 2 Anleihen macht an traditionsgeschichtlich gewachsenen Vorstellungen, die in Joh 13 und Mk 10,45 expliziert sind80. Doch auch phänomenologisch betrachtet wirkt die Demut widersprüchlich: Sie kann schnell zu einem Wettbewerb der Erniedrigungen oder ‚Dienst-Leistungen‘ führen (vgl. Lk 10,38–42). Martin Luther81 benannte diese Ambivalenz in sentenziöser Nüchternheit: „Rechte Demut weiß niemals, daß sie demütig ist“ (WA 7,560.562).
In seiner deutschsprachigen Auslegung des „Magnificat“ (1521) beschäftigt sich Luther ausführlich mit den vielfältigen semantischen und ethischen Ambivalenzen, die mit der Interpretation von Lk 1,48 verbunden sind. Diese Schrift ist auch insofern für Luthers Umgang mit der Demut charakteristisch, als sich der Reformator besonders im Rahmen seiner Bibelauslegung – nicht hingegen in der politischen Ethik – vielfach mit dem Begriff ταπειν-, humil‑ beschäftigt82. Was bedeutet 79
Übersetzung: A. Lindemann, Clemensbriefe, 114. Vgl. 3.3. 81 Vgl. zu Luthers 1. Psalmenvorlesung (1513): R. Damerau, Demut, 59 ff. 82 Vgl. dazu auch die Online Ausgabe der WA: Luthers Werke im WWW, Hinweise dazu verdanke ich meinem Kollegen Svend Andersen (Aarhus). 80
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
es, so fragt Luther in der Magnificat-Auslegung, wenn Maria ihrem Dank Ausdruck verleiht, dass Gott ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ – die Vulgata übersetzt mit: respexit humilitatem ancillae suae? Luther macht deutlich, dass ταπείνωσις viz. humilitas in Lk 1 keineswegs mit „Demut“ zu übersetzen sei: „… Das Wörtlein ‚humilitas‘ haben etliche hier zur ‚Demut‘ gemacht, als hätte die Jungfrau Maria ihre Demut angeführt und sich deren gerühmt … Wie sollte man denn dieser reinen, richtigen Jungfrau solche Vermessenheit und Hochmut zuschreiben, daß sie sich ihrer Demut vor Gott rühmte, welches die allerhöchste Tugend ist – und niemand erachtet oder rühmet sich (als) demütig, als wer der Allerhochmütigste ist. Gott erkennt allein die Demut, richtet auch und offenbart sie allein, so daß der Mensch niemals weniger von der Demut weiß, als eben wenn er recht demütig ist … Dieweil es denn nun seine [= Gottes] Art ist, in die Tiefe, auf die unansehnlichen Dinge zu sehen, habe ich das Wörtlein ‚humilitas‘ mit ‚Nichtigkeit‘ oder ‚unansehnliches Wesen‘ verdeutscht, so daß die Meinung Marias die sei: Gott hat auf mich armes, verachtetes, unansehnliches Mägdlein gesehen und hätte wohl reiche, hohe, edle, mächtige Königinnen, Fürsten und großer Herren Töchter gefunden …“ (WA 7,559 ff.)83.
So übersetzt Luther 1545 die ταπείνωσις viz. humilitas mit: „… er hat seine elende Magd angesehen …“ – 1521/22 bzw. 1534 übersetzte er dagegen mit: „Niedrigkeit seiner Magd“. Den Begriff der ταπεινοφροσύνη dagegen aus Phil 2,3 gibt er in beiden Ausgaben seiner Bibelübersetzung der 20er und 40er Jahre gleichlautend mit „Demut“ wieder.84 Luther legt mit seiner sorgfätig bedachten Übersetzung der paulinischen ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3 als ‚Demut‘ semantisch wie sachlich eine besondere Bedeutung bei.
83
Textwiedergabe nach: K. Aland, Luther Deutsch 5, 291 ff. Vgl. dazu auch die entsprechende Wiedergabe der „Lutherbibel“ im Netz (lutherbibel.net). 84
1.5. Ethos oder Tugend?
29
1.5. Ethos oder Tugend?Zum ethischen Diskursrahmen Bisher war die Rede von der Demut als Tugend und/oder Ethos. Diese Beschreibung ist in doppelter Hinsicht problematisch: Zum einen wird in gegenwärtigen Darstellungen zur paulinischen Ethik und Tugendlehre die ταπεινοφροσύνη gemeinhin nicht behandelt85. Zum anderen müssen wir fragen, ob Tugend und Ethos als ethische Konzepte synonym verwendet werden können: Wo liegen die konzeptionellen Differenzen, wenn Demut entweder als Tugend oder als Ethos bezeichnet wird? In welchen ethischen Diskursrahmen fällt die Beschäftigung mit der Demut? Aus Sicht der praktischen Philosophie gehören Ethik und Moral in den Bereich der Beschreibung der Individualebene von Ethik: Hierbei stehen das „Handeln von Menschen“ sowie ihre Interaktionen als Akteure „des sozialen Handelns“ im Vordergrund der Betrachtung. „Das zwischenmenschliche Handeln orientiert sich an Moralität“86. Der soziale ‚Lebensraum des Menschen‘ wird durch ἦϑος und ἔϑος organisiert, die gleichwohl zu unterscheiden sind: Ἔϑος bezeichnet „die gemeinverbindlichen Regeln des Handelns, also die Gewohnheiten und die Gebräuche der Menschen an einem Ort. Zum anderen meint der Begriff … ἦϑος … die individuelle Entscheidung für eine bestimmte Handlung und zielt damit auf den Charakter eines Menschen ab, seine für ihn üblichen Verhaltensweisen und Tugenden sowie die von ihm als Gut … erkannten Ziele“87.
Die Begriffe ἔϑος und ἦϑος sind in der neutestamentlichen Sprachwelt zwar nicht unbekannt, begegnen aber nur vereinzelt88. Die in der praktischen Philosophie vorgenommene 85
Vgl. etwa H. Löhr, Eigenart, 443; ders., Ethik, 168 ff. J. Rommerskirchen, Das Gute, 25 f. 87 J. Rommerskirchen, Das Gute, 27. 88 So kommt ἦϑος allein in 1 Kor 15,33 vor; ἔϑος begegnet im Sinne von ‚Sitte‘ oder ‚Tradition‘ in Joh 19,40; Apg 6,14; 15,1; 16,21; 28,17. 86
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
Begriffsbestimmung greift in Grundzügen auf Aristoteles zurück, der in seiner „Nikomachischen Ethik“ die Unterscheidung des Ethos als ‚Gewöhnung‘ (ἔϑος) und des ‚sittlichen Ethos‘ (ἦϑος, ἠϑικός) vorbereitet hatte (Eth Nic 2,1,1103a14 ff.): „Gewöhnung ist eine anthropologische Kategorie“89. Durch dauernde Gewöhnung erlangt der Mensch im Bereich der sittlichen Tugenden eine bestimmte Fähigkeit oder Eigenschaft: So wird man etwa durch gerechtes Handeln gerecht90, „durch Beobachtung der Mäßigkeit mäßig, durch Werke des Starkmuts starkmütig“ (Eth Nic 2,1,1103b)91. Wird der Mensch folglich durch dauernde Übung der Demut demütig? Wenn die Demut im Rahmen einer ethischen Tugendlehre verortet und entfaltet wird, so liegt dieser Konzeptionalisierung die Vorstellung zugrunde, dass es letztlich die Eigenschaften des / der Einzelnen sind, die ihn oder sie befähigen, Demut zu üben: Demut wird zur Charaktereigenschaft der Person (s. o. zu Kant). Wir bewegen uns dann im Diskursfeld des ἦϑος. Ordnen wir dagegen die Demut dem Diskursrahmen des ἔϑος zu, so kann die ταπεινοφροσύνη die in einem Gemeinwesen – wie der ἐκκλησία – verbindlichen oder üblichen Verhaltensweisen beschreiben. Während sich also das ἔϑος noch weitgehend deskriptiv beschreiben lässt, hat das ἦϑος schon eine präskriptive Funktion. Nun umfasst der als Fremdwort in die deutsche Sprache übernommene Begriff Ethos sowohl ἦϑος als auch ἔϑος92. Damit liegt zugleich ein Konzept vor, das den Diskursrahmen von Ethik und Moral großflächig absteckt und zwischen Deskription und Präskription changiert. Ein solches Changieren scheint auch bei der Ethos-Definition hervor, die Gerd Theißen für das Urchristentum formuliert hat: 89
H. Flashar, Aristoteles, 77. Vgl. noch einmal H. Flashar, Aristoteles, 77. 91 Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 27. 92 Vgl. E. Herms, Ethos, 1640. 90
1.5. Ethos oder Tugend?
31
„Die Gesamtheit des in einer Gruppe geltenden faktischen und geforderten Verhaltens nennen wir ‚Ethos‘… Das Ethos ist die Bedeutung des Mythos in der Sprache des Verhaltens“93.
Theißen wendet seine Ethos-Definition, wie wir später sehen werden94, explizit auf die Demut an. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – des Changierens zwischen Deskription und Präskription bietet der Ethos-Begriff einen geeigneten ethischen Diskursrahmen an, in dem Demut begrifflich und konzeptionell dargelegt werden kann. Von der Demut als Tugend zu sprechen, kommt hingegen nur einem bestimmten, auf den Charakter der handelnden Person zielenden Aspekt im Diskurs über Moralität gleich. Ich schlage daher vor, zunächst von einem großflächigen ethischen Konzept auszugehen und bei der Demut von einem Ethos zu sprechen. Ich folge näherhin der Begriffsdefinition von Eilert Herms (1999). Demnach umschreibt ein Ethos eine „Interaktionsordnung, deren Regeln die Interaktanten aufgrund von ‚Überzeugung‘ bzw. ‚Gesinnung‘ befolgen, aufgrund einer Gewißheit über Ursprung und Ziel … des menschlichen Daseins, die den Affekt, den Lebenstrieb bestimmt und deshalb auch die freie Zielwahl orientiert“95.
Allerdings werden wir später zu diskutieren habe, ob die ταπεινοφροσύνη tatsächlich in den Bereich der ethischen Tugendlehre fällt, oder ob wir es hier nicht im Sinne des Aristoteles eher mit 93 G. Theißen, Religion, 101. In Anm. 1 erläutert Theißen (ebd.): „Der Begriff ‚Ethos‘ meint eine sozial gebundene Moral, wie sie für eine Gruppe … charakteristisch ist. Gemeint ist nicht, dass dies Ethos in der jeweiligen Gemeinschaft immer praktiziert wird. Aber es wird in ihr anerkannt. Es ist Grundlage für die Verteilung von Achtung und Verachtung …“. 94 S. u. 2.4. – Theißen spricht allerdings bei der ‚Demut‘ u. a. auch von einer ‚Tugend‘: Vgl. G. Theißen, Religion, 113. 95 E. Herms, Ethos, 1640. Bei Paulus soll eine solche Interaktionsordnung dazu dienen, verschiedene Relationalitäten, also Beziehungen der Gemeindeglieder innerhalb der ἐκκλησία einzuüben.
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1. Annäherungen: Die ‚Demut‘ im kulturellen Diskurs
einer dianoetischen Tugend zu tun haben, also der Phronesis oder Klugheit96. Diese nämlich entsteht, wie Aristoteles ausführt, in erster Linie nicht durch Gewöhnung (ἔϑος), sondern „durch Belehrung und bedarf deshalb der Erfahrung und der Zeit“ (Eth Nic 2,1,1103a)97. Bevor wir unseren Blick zuvor ausführlicher auf Paulus und die semantischen und sachlichen Wurzeln der ταπεινοφροσύνη richten und dabei erörtern, in welcher Weise der Apostel in Phil 2 ein Ethos definiert oder eine christliche Tugendlehre vorbereitet, die sich sogar in konzeptioneller Nähe zum antiken Phronesis-Diskurs bewegt, werden wir noch einen Moment länger die Sprach‑ und Wirkungsgeschichte der christlichen Demut betrachten müssen: Es wird sich zeigen, dass die Demut vielfach dem Diskurs über die Tugendlehre zugeordnet wurde und dass sie – gerade innerhalb dieses Diskurses – verschiedenen Deutungen und Missbräuchen unterliegt, die letztlich auch die exegetische Beschäftigung mit Paulus bis heute nachhaltig beeinträchtigen und erschweren. Exegetische Arbeit setzt (in diesem Fall) voraus, die Geschichte der sprachlichen und sachlichen Deutungen eines ursprünglich paulinischen Begriffs im Sinne der kulturellen Identitätsanalyse kritisch betrachtet und bewusst gemacht zu haben.
96 97
Vgl. dazu ausführlich unten unter 5.1.–5.5. Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 26.
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart 2.1. Sprachgeschichte und Semantik: ταπεινοφροσύνη, humilitas, Demut Der Begriff der Demut, der an die griechischen und lateinischen Wortfelder ταπειν‑ und humil‑ anschließt, ist distinkt und semantisch von benachbarten Vorstellungen wie Bescheidenheit, Milde etc. zu unterscheiden. Gerade die konzise semantische Prägung schafft sachliche Ambivalenzen, die über Fragen der Übersetzung hinaus schon etymologisch und sprachgeschichtlich angelegt sind. In der deutschen Sprache treffen wir mit der Demut auf ein altmodisch anmutendes Wort, das gleichwohl in unserer gegenwärtigen Sprachwelt bis hin zu Wikipedia erstaunlich präsent ist („Demut“, „humility“, „ydmyghed“, „humilité“). Den Umstand allgemeiner Vertrautheit mit dem Begriff haben wir wohl in erster Linie den reformatorischen Bibelübersetzern wie Martin Luther oder auch den Dänen Hans Mikkelsen (1524) und Christiern Pedersen (1529) zu verdanken, die speziell für die griechische ταπεινοφροσύνη und die lateinische humilitas in Phil 2,3 je eigene Worte und Begriffe im Deutschen und Dänischen gesucht haben: „Demut“ und „ydmyghed“1. Damit prägten die Reformatoren zugleich die Entwicklung beider 1 Vgl. Thet Nøye Testamenth. Christiern II’s Nye Testamente Wittenberg 1524. Med sprog‑ og boghistoriske indledninger ved B. Molde/V. Rosenkilde, København 1950; Det Ny Testamente. Oversat af Christiern Pedersen Antwerpen 1529. Med sprog‑ og boghistoriske indledninger ved B. Molde / V. Rosenkilde, København 1950. Ich danke meinem Kollegen Carsten Bach-Nielsen (Aarhus) für diese Hinweise.
34
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
Sprachen entscheidend mit. Denn die Bibelübersetzung wirkt auf die Sprachbildung bis heute entscheidend ein. „Demut“ und „ydmyghed“ beziehen ihre Wortbedeutung zuerst aus der nationalsprachlichen Rezeption der reformatorischen Bibelübersetzungen. Offensichtlich ist der Begriff der Demut tief in unserem kulturellen Bewusstsein verwurzelt. Zwar würden wir im täglichen Umgang miteinander kaum sagen: ‚Sei doch etwas mehr demütig‘, doch wir meinen zu verstehen, was gemeint ist. Erst bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Demut vielseitig und vielschichtig, im Grunde mehrdeutig und schwer verständlich ist. Der Begriff ist geschichtlich aufgeladen, vielleicht überladen. Er führt uns zu den Anfängen christlicher Theologie, zu Augustinus (s. u.) und anderen frühchristlichen Theologen, letztlich zu Paulus zurück. Denn es ist Paulus, der mit seinem Begriff der Demut sprachgeschichtlich am Anfang des Konzeptes steht: In Phil 2 schafft er mit der ταπεινοφροσύνη wohl einen Neologismus2, jedenfalls einen griechischen Begriff 3, den wir aus der Antike vor Paulus so nicht kennen. Gleichwohl ist das Wortfeld ταπειν‑ in der griechisch-sprachigen antiken Literatur weit verbreitet und wird hier – wie wir gleich sehen – semantisch wohl überlegt zum Einsatz gebracht: am häufigsten begegnet es in der Septuaginta, bei Autoren wie Galen, Strabo und Plutarch und später bei den griechischen Kirchenschriftstellern wie Origenes, Eusebius, Athanasius, Basilius von Caesarea und besonders Johannes Chrysostomus4, aber auch – in Gestalt des Wortfeldes humilitas etc. – bei lateinischen Autoren wie Augustinus5. 2
Vgl. LSJ 1757. u. a. bei J. Gnilka, Philipperbrief, 106. Der Begriff wird hier mit κολακεία verknüpft und bedeutet so viel wie „niedrige Gesinnung, Servilität“. 4 Vgl. dazu ausführlich unten unter 7.2. 5 Mehr als 2.300 Belege für humil‑ laut CLCLT. 3 Hinweis,
2.1. Sprachgeschichte und Semantik
35
Über Paulus hinaus findet der konzise Begriff der ταπεινοφροσύνη im 1. und frühen 2. Jh. wohl nur bei Epiktet und Josephus Verwendung, und zwar ausschließlich in einem pejorativen Sinne6: Bei Epiktet (vgl. z. B. 3,24,56) steht die ταπεινοφροσύνη für etwas, das der Philosoph wie eine ‚elende Mentalität‘ – W. A. Oldfather übersetzte mit: „abject spirit“ – ablegen soll7. In ähnlicher Weise rät Epiktet (Diss 3,24,1): „nicht, um mit (anderen) gedemütigt zu werden oder mit unglücklich zu sein, bist du geschaffen, sondern um mit glücklich zu sein“ (… οὐ γὰρ συνταπεινοῦσϑαι πέφυκας οὐδὲ συνατυχεῖν, ἀλλὰ συνευτυχεῖν)8, denn, frei zu werden (ἐλεύϑερος), besteht – so der Philosoph – gerade darin, zu lernen, ἀταπείνωτος, also nicht erniedrigt oder gedemütigt zu sein (Diss 4,6,8).
In seiner Untersuchung zu „Epiktet und das Neue Testament“ (1911) hat Adolf Friedrich Bonhöffer darauf hingewiesen, dass Epiktet besonders das Adjektiv ταπεινός „in Übereinstimmung mit dem vorherrschenden Sprachgebrauch nur zur Bezeichnung einer niedrigen Denkungsart“ verwendet9. Im Lichte moderner Metaphern-Theorie folgt die gemeinantike Verwendung des Begriffs dem Konzept sogenannter „Orientierungsmetaphern“10: „Diese metaphorischen Konzepte … [haben] mit der Orientierung im Raum zu tun …: oben-unten, innen-außen … Diese Raumorientierungen ergeben sich aus dem Umstand, daß der Körper eines Menschen so beschaffen ist, wie er ist …“11.
Demzufolge ist ‚Gut‘ oben und ‚Schlecht‘ unten. Die moralphilosophische Abwertung des ταπεινός als ‚niedrige Haltung‘ 6
Vgl. dazu ausführlich unten unter 3.2. W. A. Oldfather, Epictetus III–IV, 203. 8 W. A. Oldfather, Epictetus III–IV, 185, übersetzt: „you are born not to be humiliated along with others, nor to share in their misfortunes, but to share in their good fortune“. 9 A. Bonhöffer, Epiktet, 65. 10 Vgl. G. Lakoff / M. Johnson, Leben, bes. 22 ff. 11 G. Lakoff / M. Johnson, Leben, 22. 7
36
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
bei Epiktet entspricht einer solchen metaphorischen Orientierung im Raum, die der Stoiker explizit zur Anwendung bringt (Diss 2,6,25–27). Philon von Alexandria leitet sogar die etymologische Bedeutung Äthiopiens von ταπειν‑ her (Leg 1,68). Die metaphorische Orientierung im Raum ist – wie George Lakoff/Mark Johnson gezeigt haben – nicht nur physisch, sondern auch kulturell bedingt. Wenn Paulus die ταπεινοφροσύνη als christliches Ethos installiert, folgt er nicht der Logik, die dem Metaphern-Konzept der hellenistischen Moralphilosophie zugrundeliegt, sondern entwirft eine contradictio in adiecto: ‚Niedrig-Gesinnung ist hoch anzusetzen‘, denn Paulus entwickelt ein ‚hohes Ethos von der Niedrig-Gesinnung‘12. So setzt er gemein-antike Konzepte von Raummetaphern außer Kraft. Wir werden später motivgeschichtlich prüfen, in welcher Weise das paulinische Konstrukt im Alten Testament bzw. der Septuaginta und / oder im hellenistischen Judentum vorgezeichnet und wie es durch Paulus im epistolographischen Kontext des Phil adaptiert und womöglich transformiert ist. Die Einsicht in die paulinische Abgrenzung von zeitgenössischer, besonders stoischer Philosophie ist grundlegend, da die Exegese seit den Arbeiten Bonhöffers und Rudolf Bultmanns eher dazu angeregt wurde, die gedankliche, strukturelle und motivische Nähe paulinischer Diatribe und Rhetorik zu Epiktet herauszustellen13. Inzwischen wird die formale Nähe des Paulus zur Stoa etwa im Blick auf Strukturverwandtschaften in der prosopopoiia (vgl. Röm 7,7–12 und Diss 1,10 ff.) als selbstverständlich vorausgesetzt14. Doch schafft die Semantik und deren Konnotation in literarischen Zusammenhängen bei Paulus und 12 Vgl. zur räumlich ‚hoch‘ angesetzten Bedeutung einer Tugend („Tugend ist oben; Laster ist unten“) auch G. Lakoff/M. Johnson, Leben, 25. 13 Vgl. A. Bonhöffer, Epiktet; ders., Epiktet und das Neue Testament; R. Bultmann, Stil; ders., Moment. Vgl. dazu: K. Hammann, Bultmann, 60 f.; S. Vollenweider, Lebenskunst, 126 f. – Dazu ausführlich unter 2.3. 14 Vgl. dazu die Darstellung zuletzt bei R. Jewett, Romans, 443 f.
2.1. Sprachgeschichte und Semantik
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Epiktet ihr je eigenes Diskursfeld. Einzelne motivische oder rhetorisch-formale Vergleiche greifen zu kurz. Bonhöffer hat in seiner monographischen Studie zu Epiktet betont, dass ταπεινός in der griechischen Sprachwelt gerne auch „als Synonym von δειλός, δοῦλος, ἀγεννής u(nd) dergl(eichen)“ begegnet15. Wir werden uns daher in der Untersuchung der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 nicht allein auf einen lexischen Vergleich mit Epiktet beschränken können, sondern fragen müssen, wieweit der paulinische Begriff im Zusammenhang mit einem umfangreicheren semantischen Feld im Phil steht, das Vorstellungen von ‚Niedrigkeit‘ aufruft, gestaltet und – in Analogie zu oder Abgrenzung von der (paganen) Umwelt – freisetzt: Nicht zufällig begegnet δοῦλος bereits in der brieflichen superscriptio (Phil 1,1) sowie im sogenannten Christus-Hymnus an entscheidender Stelle (Phil 2,7). Christus wiederum wird in ebendiesem Textstück geradezu zum narrativen Paradigma der Niedrig-Gesinnung. Im Phil und darüber hinaus entwickelt Paulus ein Ethos der Niedrigkeit, das er christologisch begründet. Dieses Ethos wird zu einem Ausdruck apostolischer Selbstbezeichnung (2 Kor 10–13). Es gilt daher, das genaue Diskursfeld, in dem Paulus sein Konzept der Niedrigkeit begründet und entwickelt, genauer zu bestimmen. Das vorhin bei Epiktet bemerkte, mit einem Alpha-privativum versehene Adjektiv ἀταπείνωτος begegnet sonst auch in der griechisch-hellenistischen Philosophie, so bei dem Stoiker Zenon (1,53) oder bei Plutarch (Coriolanus 21). Betz meint, eine gemein-antike Verwendung des Begriffsfeldes ταπειν‑ erkennen zu können, die seit Sokrates dem Diskurs über das Auftreten des ‚rechten Philosophen‘ gelte (vgl. Lukian)16. Er leitet diese Überlegung von seiner Analyse von 2 Kor 10,1 her, wo Paulus scheinbar auf einen Vorwurf seiner Gegner reagiert, 15
A. Bonhöffer, Epiktet, 65. H. D. Betz, Apostel, 47 ff. mit Hinweis auf Lukian, Somn 9; 12; 13. 16 Vgl.
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
bei persönlicher Anwesenheit ταπεινός zu sein, abwesend dann aber „wagemutig“ zu agieren (ϑαρρῶ). In ihrem Kommentar zu 2 Kor 10 bezweifelt allerdings Margaret E. Thrall, dass der Begriff ταπεινός zum grundlegenden semantischen Inventar der Beschreibung des ‚rechten Philosophen‘ gehört17 – die Belege sind in der Tat äußerst begrenzt. Wir werden ausführlicher auf die Bedeutung des Lexems für die paulinische Selbstinszenierung in 2 Kor 10–13 zurückkommen müssen18. Ob und wieweit Paulus bei seiner Selbstcharakteristik der Person philosophische Diskurse seiner Zeit implizit aufgreift oder konterkariert, bleibt zu diskutieren. Seine enorme produktive semantische Wirkung entfaltet der substantivische Begriff der ταπεινοφροσύνη von Phil 2 ausgehend. Nicht nur wandert die ταπεινοφροσύνη als Lexem von hierher in verschiedene Sprachen und baut so ihre Bedeutung aus. Sie wirkt sprachbildend und wird durch ihre jeweilige Übersetzung neu interpretiert. In der deutschen Bibel wird ταπεινοφροσύνη mit „Demut“ übersetzt: Der Begriff wird zumeist vom Althochdeutschen diomuotî hergeleitet und gerne als „Gesinnung des Dienens“ oder „Mut zum Dienen“ verstanden19. So hergeleitet, spiegelte der deutsche Begriff Demut einen ‚kanonischen Zugriff‘ auf Phil 2: Die paulinische Vorstellung von ταπεινοφροσύνη wird im Licht der Fußwaschungserzählung in Joh 13 und der sog. Gemeinderegel (Mk 10,45) gedeutet. Das Wortfeld ταπειν‑ wird mit dem Wortfeld διακονία κτλ. verknüpft. Die Einsichten aus der Sprachgeschichte lassen sich indes präzisieren: Im Mittelhochdeutschen begegnen die Begriffe deom(u)oti, diomuoti – diesem Kompositum wird im Vorderglied das althochdeutsche dio, deo (gotisch: „Knecht“) zugrunde gelegt, so dass mit „Demut“ die „Gesinnung eines 17
Vgl. M. E. Thrall, Second Epistle, 604. S. u. 4.2. 19 O. Schaffner, Demut, 35. 18
2.1. Sprachgeschichte und Semantik
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Gefolgsmannes“ oder die „Knechtsgesinnung“ gemeint wäre20. Diese Ableitung entspricht der Wortbedeutung der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 weitaus mehr. Das „Deutsche Rechtswörterbuch“ versteht Demut als „Ausdruck der Ergebenheit“21, und das „Deutsche Wortschatzportal“ (Leipzig) listet die Begriffe „Bescheidenheit, Ergebenheit, Ergebung, Fügsamkeit, Gefügigkeit“ allesamt als Synonyme der Demut auf und führt damit über etymologische Ableitungen hinaus zum faktischen Sprachgebrauch hin22. Die Vulgata wählte den Begriff der humilitas23, der der griechischen Orientierungsmetaphorik (s. o.) entspricht, diese aber noch erweitert: Die griechische Wurzel ταπειν‑ bildet ein Bedeutungsspektrum von Begriffen der ‚Niedrigkeit‘ ab, das vor allem geometrische Maße, geographische Lagen, kosmologische Positionen, qualitative Bewertungen von Gegenständen oder soziale Stellungen und moralische Gesinnungen von Personen umfassen kann24. Das lateinische Begriffsfeld um das Substantiv humilitas herum ist besonders bei Autoren des 1. Jhs. v. und n. Chr. ähnlich konnotiert: Varro (Ling 5,23) behauptet, dass das Begriffsfeld etymologisch von hum‑ bzw. humus, also Erdboden abzuleiten sei25: Auch hier liegt eine geographische Vorstellung vor – humilis und humilitas bezeichnen die Nähe zum Erdboden und so eine niedrige Haltung. Zugleich zielt das lateinische Begriffsfeld gehäuft auf die Beschreibung des 20
H. Weddige, Mittelhochdeutsch, 100. DRW II, 780. 22 Ich verdanke diese Hinweise – besonders zur Literatur – Dr. Christine Ganslmayer, Germanistische Linguistik (Erlangen). 23 Zur Problematik dieser Übersetzung vgl. schon O. Schaffner, Demut, 35 ff. 24 Vgl. LSJ, 1756 f. Die Lexik umfasst vor allem: ταπεινολογία, ταπεινός, ταπεινότης, ταπεινοφρονέω, ταπεινοφροσύνη, ταπεινόφρων, ταπεινοψῦχος, ταπεινόω, ταπείνωµα, ταπείνωσις, ταπεινωτέον. 25 Belege auch bei C. Mayer, Humilitatio, 446 f. 21
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
sozialen Ranges und benennt – als Gegensatz zu honestus – nicht nur einen niedrigen, sondern auch einen schwächeren, unbedeutenden, tiefstehenden, ja unansehnlichen sozialen Stand einer Person, der durch die Gesinnung des ‚Kleinmuts‘ gekennzeichnet ist26. Die starke römische Fokussierung auf den sozialen Status einer Person führt dazu, dass auch das öffentliche Auftreten von politischen Akteuren als Redner entsprechend qualitativ beurteilt wird. Ähnlich führt der griechische Lexikograph Pollux aus Naukratis in der 2. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. den Begriff der ταπεινολογία (2,124) an. Und hiermit berühren wir sachlich den Bereich der antiken Rhetorik. Aristoteles gesteht der Rede besonders im Epilog die Funktion zu, Dinge auszuschmücken oder auch abzuwerten (ταπεινῶσαι, Rhet 1419b). Daneben setzt er sich – bei der Bestimmung der ἀρετὴ τῆς λέξεως – mit dem ‚niedrigen Stil‘ (λέξις ταπεινής, Rhet 1414a) kritisch auseinander. Ebenso übt die römische Rhetorik stilistische Kritik an der ταπείνωσις, die in Nähe zur Hässlichkeit gesehen wird (Quintilian, Inst or 8,3,48). Wiederum in einer semantischen Gegenüberstellung zu honestum wird das genus humile definiert (vgl. Cicero, De inv 1,15,20)27. Die Rhetorica ad Herennium spricht vom genus attenuata (4,8,11). In der Rhetorik-Lehre wird das genus humile – in Abgrenzung vom genus medium und sublime – wie folgt bestimmt: Das genus humile
26 Vgl. dazu: Der Neue Georges, 2381–2383. Die Lexik umfasst vor allem: humilitatio, humilifico, humilio, humilis, humilitas, humiliter, humilito, humilitudo, humilo. 27 Cicero unterscheidet in diesem Zusammenhang: genus honestum, admirabile, humile, anceps, obscurum: De inv 1,15,20. Er definiert das genus humile wie folgt (ebd.): humile, quod neglegitur ab auditore et non magnopere attendendum videtur („The mean is one which the auditor makes light of and thinks unworthy of serious attention“, Übersetzung nach: H. M. Hubbell, Cicero, 41.)
2.1. Sprachgeschichte und Semantik
41
„hat wenig ornatus, da es nur lehren (docere) und beweisen (probare) will. Seine virtutes sind so puritas und perspicuitas …“28.
Dahinter steht die von Quintilian ausgearbeitete, von Aristoteles aber bereits vorbereitete Vorstellung, dass die Rhetorik selbst eine Tugend (virtus) sei (Inst or 2,20). Die stilistische Klassifizierung verschiedener Redestile in der Rhetorik überträgt sich auf die literaturkritische Beurteilung von Autoren und deren Schreibstil (z. B. Quintilian, Inst or 8,3,60; 10,1,87). Im Falle eines Autors wie Properz, der selbst im genus humile zu schreiben beansprucht29, lässt sich sogar diskutieren, ob der Redestil nicht auch punktuell der Lexik korrespondiert – der römische Dichter verwendet häufiger die Wortgruppe humil‑ in durchaus positivem Sinne (1,10,27 f.; 3,17,1; 3,9,29). In Phil 2 impliziert die ταπεινοφροσύνη anderes und mehr als die Klassifizierung sozialer Rollen oder stilistisch-literarischer Typen. Sie steht für ein gemeinde-ethisches Konzept, eine Haltung oder gar eine kommunitäre Lebensform, die vom Einzelnen her zu denken ist. Paulus legt den Begriff bereits konzeptionell dar, und wir werden näher betrachten, welche sprachlichen, literarischen und argumentativen Mittel er dabei wählt. Nach Paulus wurde die Demut zu den Tugendkatalogen gerechnet oder gar zu einem Synonym für das Christliche an sich. Die Demut führt uns konzeptionell in das Zentrum frühchristlichen Denkens. Wie ist es zu dieser wirkungsgeschichtlichen Entwicklung der Demut im frühen Christentum gekommen? Lässt sie sich schon von Paulus her begründen – und wenn: wie? Oder bilden erst die sogenannten deutero-paulinischen Briefe das Scharnier? Im frühen Christentum galt die Demut als in der paganen Welt unbekannte Tugend (Augustinus, Conf 7,14) und so als 28
H. Lausberg, Elemente, 154. B. Mojsisch, Nachwort, 417. Zu den Elegien des Properz vgl. z. B. D. Gall, Literatur, 112 ff. 29 Vgl.
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
christlicher identity marker. Mitte des 3. Jhs. wird sie in Dura Europos in einem graffito angeführt30. Und Ps. Macarius (ca. 360–390) sieht in der Demut ein ‚Zeichen des Christlichen‘ (σηµεῖον τοῦ χριστιανισµοῦ: Hom 15,27)31. Der Altphilologe Albrecht Dihle (1957) sieht im Diskurs über die Demut daher ein Spiegelbild der christlichen Theologie insgesamt: „Die Entwicklung der christl(ichen) D(emuts)lehre ist typisch für die Geschichte der Theologie überhaupt“32.
Wenn wir zum begrifflichen wie konzeptionellen Ursprung der christlichen Demut‘ zurück gehen und fragen, wie Paulus in seinem Schreiben an die Philipper dazu kommt, seinen Adressaten die Demut vor Augen zu stellen, berühren wir erkennbar einen Nerv christlicher Theologie. Warum wirbt Paulus für die ταπεινοφροσύνη – und nicht etwa für Liebe, Glaube oder Hoffnung – wie für ein Ethos? Warum zeigt der Apostel sich so bemüht, seinen Lesern gerade dieses Ethos attraktiv und sich selbst letztlich zu dessen Vorbild zu machen? Unsere Textanalyse soll zur Klärung dieser Fragen beitragen. Zunächst aber müssen wir den Durchgang durch die Rezeptionsgeschichte des (paulinischen) Begriffs der Demut zum Abschluss bringen. 2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionendes 20. Jhs. Die christliche Demut wirkt im Laufe ihrer 2000-jährigen Wirkungsgeschichte widersprüchlich – vielleicht macht das einen Teil ihrer postmodernen Faszination aus. Wir müssen diese Widersprüche problematisieren, weil sie jeder exegetischen 30 Vgl. C. B. Welles, Excavations, 95 – Hinweis auch bei D. C. Allison, James, 201. S. ausführlicher oben unter 1.1. 31 Vgl. K. Fitschen, Macarius der Ägypter/Simeon. 32 A. Dihle, Demut, 776.
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
43
Begegnung mit der paulinischen Demut im Phil ideologisch vorausgehen. Im antiken Mönchtum ist die Übung von Demut Ausdruck einer asketischen Lebenshaltung, die auch im rabbinischen Judentum als Haltung beim Torastudium oder Lebensweisheit, die um die Sterblichkeit des Menschen weiß (Pirke Awot 4,4; 6,6), hochgeschätzt wird. Auch für Epiktet ist das Wissen um die Sterblichkeit ein Kennzeichen von Lebensweisheit (Diss 3,24,85). Anders aber als in der rabbinischen Tradition wird es gerade nicht mit der Vorstellung von der Demut verknüpft (s. o.). Im antiken Mönchtum soll die Demut aber nicht nur (Selbst‑)Erkenntnis einüben, sondern den Mönch in seinem Leben in der Abkehr von der Gemeinschaft und der Welt leiten33 – wir sehen später, dass diese Vorstellung dem paulinischen Konzept eines Ethos, das gemeinschaftsstiftend ist und als kommunitäre Interaktionsordnung fungiert, eher zuwiderläuft: „Von Antonius wird das Wort überliefert: ‚Ich sah, daß die ganze Erde mit Fallen des Feindes bedeckt war. Unter Seufzen sagte ich: Wer entgeht ihnen? Und ich hörte eine Stimme: die Demut‘“34.
Die sogenannte Benediktsregel führt uns noch einen Schritt tiefer hinein in das abendländische Mönchtum. Hier werden zwölf Stufen der Demut gelehrt: Sie reichen von der Gottesfurcht über den Gehorsam gegenüber den Oberen und dem Orden bis hin zum Ausdruck der Körperhaltung – nämlich dem auf die Erde gerichteten Blick: „Die zwölfte Stufe der Demut besteht darin, daß der Mönch die Demut nicht bloß im Herzen besitzt, sondern sie durch seine Körperhaltung nach außen hin kund tut: beim Chorgebet, im Oratorium, im Kloster, im Garten, auf dem Wege, auf dem Feld, mag er sitzen, gehen oder stehen, immer halte er sein Haupt geneigt, seine Augen zur Erde gerichtet. Allzeit 33
Vgl. dazu auch R. Pfeilschifter, Spätantike, 75 ff. E. Mühlenberg, Lebensführung (2011), 10 – mit Hinweis auf Apophthegmata, Antonius 7 (PG 65, 77 AB). 34
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
betrachte er sich als schuldbeladen und sehe sich im Geiste schon vor dem furchtbaren Gerichte Gottes …“35.
Auch hier wird etymologisch die Ableitung der humilitas von humus vorausgesetzt. Hat der Mönch – so heißt es abschließend – „alle diese Stufen der Demut erklommen, so wird er rasch zu jener Gottesliebe gelangen, die, wenn sie vollkommen ist, die Furcht vertreibt“36. So sehr steht die Demut „im Zentrum der mönchischen Vorstellungswelt, daß das Wort metonymisch für ‚Mönchtum, Mönchsleben‘ eintreten kann“37. Bedeutet die Demut damit etwas Positives, oder ist sie restriktiv? Schafft und befestigt sie Autoritätsstrukturen? Ist sie förderlich für den Einzelnen und die Gemeinschaft? Ist sie ein probates religiöses Mittel auf dem Weg der ‚Gottesliebe‘? In der modernen (protestantisch geprägten westlichen) Welt werden Begriff und Konzept der Demut zunehmend problematisiert – wir kamen bereits auf David Hume zu sprechen. Immanuel Kant, der dem Konzept der Demut in der modernen Welt wieder „philosophische Tiefe“ verliehen hat38, grenzt eine „humilitas moralis“ – die ‚echte Demut‘ – und eine „humilitas spuria“ – die ‚falsche Demut‘ – voneinander ab39. Die ‚falsche Demut‘ als Mittel der „Gunsterwerbung“ ist abzulehnen. Sie droht, der menschlichen Selbstarroganz Vorschub zu leisten und – so wie Kant fürchtete – letztlich zu Selbstüberschätzung und ‚Gemütserhebung‘ (elatio animi)40 oder auch zu einer ‚knechtischen Gemütsart‘ zu führen:
35
F. Faessler, Benedictus, 206. F. Faessler, Benedictus, 206 f. 37 A. Dihle, Demut, 768. 38 W. Schütz, Demut, 58. 39 Vgl. die Hinweise in: C. C. E. Schmid, Wörterbuch, 177 f. 40 Vgl. W. Müller-Lauter, Nietzsche-Interpretationen I., 142–144 (Zitat: 143). 36
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
45
„… Nun liegt es gewiß nicht an der innern Beschaffenheit des christlichen Glaubens, sondern an der Art, wie er an die Gemüter gebracht wird, wenn ihm an denen, die es am herzlichsten mit ihm meinen, aber vom menschlichen Verderben anhebend, und an aller Tugend verzweifeln, ihr Religionsprinzip allein in der Frömmigkeit … setzen, ein jenem ähnlicher Vorwurf gemacht werden kann; weil sie nie ein Zutrauen in sich selbst setzen, in beständiger Ängstlichkeit sich nach einem übernatürlichen Beistande umsehen, und selbst in dieser Selbstverachtung (die nicht Demut ist) ein Gunst erwerbendes Mittel zu besitzen vermeinen, wovon der äußere Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine knechtische Gemütsart ankündigt“41.
Während die Demut in der katholischen Moraltheologie und Kirchenlehre bis in die Gegenwart positiv fortlebt42, tun sich protestantische Theologen besonders im 20. Jh. weithin schwer mit ihr43. Karl Barth mag fast schon eine Ausnahme sein. Im Anschluss an die reformatorischen Theologien gehört für Barth („Kirchliche Dogmatik“, 1953) der „Gehorsam der Demut“ im Blick auf die Rechtfertigung sogar zur „Gestalt des Glaubens“44: „Wir kommen … ein letztes Mal zurück auf die Gestalt des Glaubens als Gehorsam der Demut. Wir haben ihn zunächst die negative Gestalt des Glaubens genannt und also verstanden in seinem Charakter als reine Rezeptivität seinem Gegenstand gegenüber … Und nun müssen wir noch einen Schritt weitergehen und feststellen, daß in Wahrheit gerade das das Positivste ist, was man vom Glauben als einer menschlichen Daseinsform, Tat und Erfahrung sagen kann, wenn wir ihn Demut: den Gehorsam der Demut nennen. Eben darin bildet er nämlich Jesus Christus nach“45.
41
I. Kant, Religion, 858. gegenwärtigen Bedeutung in der katholischen Theologie: Vgl. etwa „Katechismus der Katholischen Kirche“ (1993): Demut Jesu (525; 559); Demut Marias (724); Taufe ermöglicht ein Leben in Demut (2540) und Gebet (2559; 2628; 2631; 2706; 2713). 43 Vgl. U. Köpf, Demut, 658 f. 44 K. Barth, Dogmatik, 709. 45 K. Barth, Dogmatik, 709 f. 42 Zur
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
Für Barth ist die Demut eine soteriologisch relevante menschliche Haltung, die auf Christus zeigt. Für einen Großteil protestantischer Theologen, die sich zur Demut als ethischem oder anthropologischem Konzept äußern, ist der Begriff negativ belastet. Dieser theologische Vorbehalt mag nicht nur an Kants Demuts-Kritik anschließen, sondern wohl auch in einer antimonastischen Haltung begründet, vor allem aber Ergebnis einer psychologischen und politischen Diskreditierung des Begriffs sein. Ulrich Köpf weist darauf hin, dass noch im Protestantismus des 19. Jhs. die Demut einen besseren Stand hatte46: Bei protestantischen Theologen wie Schleiermacher, Richard Rothe oder Albrecht Ritschl gehört Demut gar zu den Grundbegriffen der Theologie, Religionsphilosophie und Ethik47. So bestimmt Schleiermacher das Wesen der Religion gänzlich von der Demut her: „… Ihr wißt, was Religion sprechen heißt, kann nie stolz sein; denn sie ist immer voller Demut“48. Nach Schleiermacher bewirkt speziell die Anschauung des Universums Demut im religiösen Ich49. Er versteht die Demut im religionsgeschichtlichen Sinne als menschliche Haltung gegenüber dem Numinosen50. Demut befördert sogar die religiöse Individualisierung: „… Wenn der Weltgeist sich uns majestätisch offenbart hat, wenn wir sein Handeln nach so groß gedachten und herrlichen Gesetzen belauscht haben, was ist natürlicher als von inniger Ehrfurcht vor dem ewigen und Unsichtbaren durchdrungen zu werden? Und wenn wir das Universum angeschaut haben und von dannen zurücksehen auf unser Ich, wie es in Vergleichung mit ihm ins unendlich Kleine verschwindet, was kann dem Sterblichen dann näher liegen als wahre ungekünstelte Demut?“51 46
Vgl. U. Köpf, Demut. Vgl. auch E. Zemmrich, Demut, 83 ff. 48 F. Schleiermacher, Religion, 26. 49 Vgl. F. Schleiermacher, Religion, 26 und 85 (§ 14 und 109). 50 So die Definition bei G. Mensching, Demut. 51 F. Schleiermacher, Religion, 85. 47
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
47
Für Schleiermacher bleibt die demütige Haltung aber nicht auf die individuelle religiöse Grundhaltung beschränkt. Sie erstreckt sich auch auf die Wahrnehmung der Anderen, die bei Paulus als ‚Brüder‘ in der ἐκκλησία aufzufassen wären: „Wenn wir in der Anschauung der Welt auch unsre Brüder wahrnehmen, und es uns klar ist, wie jeder von ihnen ohne Unterschied in diesem Sinne gerade dasselbe ist, was wir sind, eine eigne Darstellung der Menschheit, und wie wir ohne das Dasein eines jeden es entbehren müßten, diese anzuschauen, was ist natürlicher als sie alle ohne Unterschied selbst der Gesinnung und der Geisteskraft mit inniger Liebe und Zuneigung zu umfassen?…“52.
Paul Tillich (1951) hat demgegenüber das besonders durch den Zweiten Weltkrieg erschütterte Lebensgefühl des 20. Jhs. vielleicht am besten auf den Punkt gebracht, wenn er die Demut als etwas beschreibt, das „der Würde und Freiheit des Menschen nicht entspricht“53. Tillichs Kritik der Demut steht in Zusammenhang mit einer von Seiten der Psychologie provozierten Ablehnung ‚personalistischer Symbole für die Beziehung des Menschen zu Gott‘54. Sie greift aber zugleich die moderne, säkularisierte, nicht zuletzt durch den politischen Missbrauch verletzte Sicht auf die Demut eindrucksvoll auf. Positiv kann Tillich (1963) von der Demut lediglich im Blick auf die Ekklesiologie, und zwar genauer: in deren eschatologischer Dimensionierung sprechen: „Und wir können sagen, daß das Reich Gottes in der Geschichte von den Menschen und Gruppen repräsentiert wird, in denen die latente Kirche lebt … Dies ist die erste von mehreren Überlegungen, die die Kirchen in ihrer Funktion als Repräsentanten des Reiches Gottes in der Geschichte zur Demut verpflichten“55.
52
F. Schleiermacher, Religion, 85. P. Tillich, Systematische Theologie I/II, 331. 54 Vgl. P. Tillich, Theologie, 331. 55 P. Tillich, Systematische Theologie III, 428. 53
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
Was aber ist im 20. Jh. mit dem Begriff und Konzept der Demut geschehen? Wie konnte es zu einer nachhaltigen theologischen und ethischen Diskreditierung des Begriffs der Demut im Protestantismus kommen? Lässt sich die Distanz evangelischer Ethik gegenüber der Demut hinreichend damit erklären, dass die „evangelische Theologie heute weithin mehr einer ‚Situationsethik‘ zuneigt“56? Wir müssen den Demuts-Diskurs (im Protestantismus) noch etwas näher und differenzierter betrachten. Wilfried Härle (1995) bildet einen gewissen Höhepunkt protestantischer Demuts-Kritik ab. Er deutet an, Demut gehe mit einer „Unfähigkeit zur Selbstliebe“ einher57. In seiner Kritik der Demut wird Härle noch schärfer. Er sieht in ihr den möglichen Ausdruck einer „liebesfeindlichen Religiosität oder Ethik“. Für Härle läuft die Haltung der Demut Gefahr, in Wirklichkeit eine „subtile Art der Gottesverachtung“ zu sein58. Ganz anders beschreibt Dietrich Bonhoeffer, auf den wir noch ausführlicher zu sprechen kommen, wie gerade aus dem Mangel an Demut „Hochmut – Knechtsseligkeit(,) Unterwürfigkeit, Verlust d(er) Selbstachtung“ folgen59. Demut und „Hochgemutheit“ hingegen bilden ein Begriffspaar und sind dem Hochmut wie dem Kleinmut gegenüberzustellen60. Härles Kritik an der Demut ist anthropologisch und schöpfungstheologisch begründet und weist sich als eine (späte) Folge protestantischer Kulturkritik aus. Denn in großen Teilen der protestantischen Theologie ist die Hochachtung der Demut, wie wir sie besonders im Frühwerk des später zum Katholizismus konvertierten Philosophen und Anthropologen Max Schelers finden, offenbar wirkungslos geblieben. Dabei hatte Scheler in seiner Aufsatzsammlung: „Vom Umsturz aller 56
So W. Schütz, Demut, 59. W. Härle, Dogmatik, 524. 58 W. Härle, Dogmatik, 524. 59 D. Bonhoeffer, Zettelkasten, 25. 60 D. Bonhoeffer, Zettelkasten, 59. 57
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
49
Werte“ 1915/1919 den Demuts-Begriff in instruktiver Weise aufgegriffen und phänomenologisch bestimmt61 und dabei eine – wenngleich exegetisch wenig präzise – Anknüpfung an die neutestamentliche Denkwelt versucht62. In seinen Überlegungen zu einer „Rehabilitierung der Tugend“ erklärt Scheler gerade den Umstand, dass die Demut „sowohl gegenüber der antiken als der modern-bürgerlichen Tugendhaltung die tiefste Paradoxie und die stärkste Antithese verkörpert“, als Beleg dafür, dass sie „die zarteste, die verborgenste und die schönste der christlichen Tugenden“ sei63.
Für Scheler, der eine substantielle Kritik an der modernen bürgerlichen Moral übt, stehen Liebe und Demut gegen den Stolz: „Die Demut ist ein Modus der Liebe, die sonnenmächtig allein das starre Eis zerbricht, das der schmerzenreiche Stolz um das immer leere Ich gürtet“64.
In der protestantischen Theologie des 20. Jhs. wird zweifellos weniger Schelers Rehabilitierung der Demut als vielmehr Friedrich Nietzsches scharfe Demuts-Kritik einflußreich – sie wirkt bis in die Gegenwart nach65. Nietzsche hatte seine Kritik der Demut insbesondere in seiner Schrift „Zur Genealogie der Moral“ (1887) zum Ausdruck gebracht: Hier wollte er eine sog. europäische Sklavenmoral bekämpfen und verhöhnte in diesem Zusammenhang die christliche Demut als ‚knechtische Unterwürfigkeit‘ und „ängstliche Niedrigkeit“66. Mit einem 61 Vgl. zur Bedeutung der Demut für Schelers Tugendlehre auch: W. Henckmann, Scheler, bes. 44 f. und 127 ff. 62 Zum eher ungenauen Rückgriff auf Paulus und Jesus, vgl. etwa M. Scheler, Umsturz Bd. 1, 91. 63 M. Scheler, Umsturz 41955, 17. 64 M. Scheler, Umsturz 41955, 21. 65 Vgl. zu Nietzsches Demuts-Kritik auch ausführlich: E. Zemmrich, Demut, 22 ff.; V. Cathrein, Demut, 8 f. 66 Vgl. F. Nietzsche, Genealogie, 37; vgl. auch ders., Menschliches, Allzumenschliches, I 87. Vgl. auch O. Bayer, Demut, 659. Da wirkt eine
50
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
bitteren, sarkastischen Unterton beschreibt er, wie mit der Haltung der Demut in der Christentumsgeschichte moralischer Betrug getrieben wird: „ – so heisst das, kalt und ohne Voreingenommenheit angehört, eigentlich nichts weiter als: – aber dieser herbe Thatbestand, diese Klugheit niedrigsten Ranges, welche selbst Insekten haben (die sich wohl todt stellen, um nicht zu thun, bei grosser Gefahr), hat sich Dank jener Falschmünzerei und Selbstverlogenheit der Ohnmacht in den Prunk der entsagenden stillen abwartenden Tugend gekleidet, gleich als ob die Schwäche des Schwachen selbst – das heisst doch sein Wesen, sein Wirken, seine ganze einzige unvermeidliche, unablösbare Wirklichkeit – eine freiwillige Leistung, etwas Gewolltes, Gewähltes, eine That, ein Verdienst sei …“67.
Nietzsche sucht in erkennbarer Nähe zur hellenistisch-römischen Moralphilosophie aufzudecken, wie Demut und ‚Gehorsam‘ Ausdruck menschlicher Schwäche sind und wie deren Stilisierung als Tugenden geradezu zur Perversion des Guten führen muss: „“68.
Tübinger Dissertation zu „Nietzsches Stellung zur christlichen Demut“ von 1939 fast schon wie ein verzweifelter Versuch, die fortwirkend scharfe Christentumskritik Nietzsches von theologischer Seite abzuwehren: Vgl. R. von Hauff, Nietzsches Stellung: Vgl. hier S. 52 auch zu modifizierten Haltungen Nietzsches zur Demut (Historisch-kritische Ausgabe, Leipzig, VI,216): „Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht demütig genug. Die Demut hat das härteste Fell“. 67 F. Nietzsche, Genealogie, 35 f. 68 F. Nietzsche, Genealogie, 37.
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
51
Zugleich geht es Nietzsche um die Entlarvung einer DoppelMoral: Das Streben nach Demut wird schnell zum Streben nach Anerkennung und Macht. So dient Nietzsches Demuts-Kritik einerseits sicherlich der radikalen Selbstaufklärung christlicher Tugend-Lehre. Nietzsches Demuts-Kritik hatte andererseits allerdings – nicht zuletzt wegen ihres polemischen Charakters, der aggressive Frontenbildungen provoziert – ernste ideologische und politische Folgen: Sie bereitete im gewissen Sinne eine Polemik vor, an die die nationalsozialistische Propaganda über die Demut als das „größte Übel für das deutsche Volk“ (Hitler) wenig später anschließen konnte69. Diese Propaganda ging Hand in Hand mit Hitlers politischer und religiöser Verachtung und Diffamierung des Paulus als Apostel und Begründer frühchristlicher Ethik70. So lässt sich Nietzsches Demuts-Kritik selbst zwar noch nicht im Zusammhang mit der intellektuellen „Philotyrannie“71 des 20. Jahrhunderts interpretieren, wirkt aber durchaus als deren Wegbereiter. Die Demuts-Kritik der protestantischen Theologie sollte diese Zusammenhänge berücksichtigen und ihrerseits die radikale Christentums‑ und Pauluskritik Nietzsches und deren Folgen kritisch diskutieren. Wir sehen zudem, wie in der Kirchengeschichte Theologen wie Johannes Chrysostomus oder Bonhoeffer darauf hingewiesen haben, dass die freiwillige Übung der Demut – als Haltung des Privilegierten – gerade jeder Sklavenmoral notwendig zuwiderlaufe. Ähnliche Überlegungen zum kulturgeschichtlichen Mißverständnis der Demut hat Scheler pointiert formuliert: „Demut: das ist ja eben diese Bewegung der Selbsterniedrigung, die Bewegung also des Herkommens von oben … Will denn der Servile geben 69 Zitiert bei: M. Hesemann, Hitlers Religion, 137. – Zur Wirkung Nietzsches auf den Nationalsozialismus vgl. zuletzt auch: V. Hösle, Geschichte, 205–207. 70 Vgl. dazu F. Tomberg, Christentum, bes. 113 ff. und 152 f. 71 Vgl. M. Lilla, Geist.
52
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
und dienen? Der Servile ‚will‘ herrschen, und nur ein Mangel an Kraft und Reichtum läßt ihn sich verbeugen vor seinem Herrn … Die Demut hingegen ist vor allem eine Tugend der geborenen Herren und besteht in dem Nichtherankommenlassen der ihnen selbstverständlichen irdischen Werte, der Ehren, des Ruhmes, der Lobpreisungen ihrer Diener, an das Zentrum der Seele …“72.
Vor diesem vielstimmigen kultur‑ und philosophiegeschichtlichen Hintergrund ist also eindrucksvoll, wie sich Barth, besonders aber Bonhoeffer mitten im politischen Widerstand und in den Wirren des Zweiten Weltkrieges – teils in direkter Auseinandersetzung mit Nietzsche73 – mit der Demut ethisch und ekklesiologisch befasst haben: Bonhoeffer skizzierte 1944 („Entwurf für eine Arbeit“) die Vorstellung von einer Kirche, die den „Lastern der Hybris“ entgegentritt und stattdessen von „Geduld, Zucht, Demut, Bescheidenheit, Genügsamkeit“ spricht74. Bonhoeffer formuliert in bewusster Auseinandersetzung mit der antiken Tugendlehre75 einen ‚ekklesialen Tugendkatalog‘, der allerdings über neutestamentliche (z. B. Kol 3,12) Vorstellungen von Tugenden hinausführt76: „… Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muß sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, eventuell einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienen. Sie muß 72
M. Scheler, Umsturz 41955, 25. Vgl. z. B. D. Bonhoeffer, Zettelkasten, 93. 74 D. Bonhoeffer, Widerstand, 560. 75 Vgl. dazu D. Bonhoeffer, Zettelnotizen, 26, wo Bonhoeffer im Zusammenhang mit seinen Vorarbeiten zu einer „Ethik“ darauf hinweist, dass in der antiken Tugendlehre „Gehorsam. Dienst. Wahrhaftigkeit. Ritterliche Treue Demut, Barmherzigkeit, Dankbarkeit, Liebe, Keuschheit“ (sic!) fehlen. 76 Einige Begriffe („Illusionismus, Vertrauen, Stetigkeit, Geduld, Bescheidenheit“) sind jedoch nachträgliche Ergänzungen, vgl.: D. Bonhoeffer, Widerstand, 560 Anm. 27–28. 73
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
53
den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ‚für andere dazusein‘. Speziell wird unsere Kirche den Lastern der Hybris, der Anbetung der Kraft und des Neides und des Illusionismus als den Wurzeln allen Übels entgegentreten müssen. Sie wird von Maß, Echtheit, Vertrauen, Treue, Stetigkeit, Geduld, Zucht, Demut, Bescheidenheit, Genügsamkeit sprechen müssen … Das ist alles sehr roh und summarisch gesagt. Aber es liegt mir daran, einmal den Versuch zu machen, einfach und klar gewisse Dinge auszusprechen, um die wir uns gern herumdrücken. Ob es uns gelingt, ist eine andre Frage, zumal ohne die Hilfe des Gespräches. Ich hoffe damit, für die Zukunft der Kirche einen Dienst tun zu können“77.
Bonhoeffers Überlegungen zur Demut prägen seine Theologie78. Sie sind zunächst ekklesiologisch bzw. kirchen-soziologisch motiviert und schließen damit an die Fragestellungen seiner Dissertation „Sanctorum Communio“ (1930) an. Bonhoeffers Lebenswerk kreist aber auch danach um die Themen „Christus, Gemeinschaft und Konkretheit“79. Seine späten Konzeptionalisierungen von Demut im „Entwurf für eine Arbeit“ und in seinen Skizzen zu einer Ethik führen aber in zweifacher Hinsicht über den Rahmen der Kirchenlehre hinaus: Wie Charles Marsh zuletzt gezeigt hat (2015), sind sie nun erstens mit Bonhoeffers Nachdenken über ein religionsloses Christentum eng verbunden. Bonhoeffer hofft auf eine neue Elite, die „höchste Werte pflegen“ und so exemplifizieren wird, „‚was ein Leben mit Christus ist‘“80. In ethischer Hinsicht ist die Übung von Demut Ausdruck ‚guter Werke‘, die das menschliche Zusammenleben, besonders aber das ‚Gute‘ „Gott gegenüber“ bezeichnet81.
77
D. Bonhoeffer, Widerstand, 560 f. (Kursivierungen: E-MB). auch die zahlreichen Belege in: Dietrich Bonhoeffer Werke Register, 496. 79 C. Marsh, Bonhoeffer, 78. 80 C. Marsh, Bonhoeffer, 465 f. 81 D. Bonhoeffer, Zettelkasten, 36 und 61 f. 78 Vgl.
54
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Zweitens: Es ist dann vor allem Bonhoeffers persönliches Schicksal, als Theologe ein politischer Märtyrer zu werden82, das Ekklesiologie und Ethik zu einer politischen Ethik werden lässt. Hier liegt, wie wir noch sehen werden, ein direkter Berührungspunkt mit Paulus und der ταπεινοφροσύνη in Phil 2. Eine weitere Konkretisierung paulinischer ταπεινοφροσύνη ereignet sich im Leben und politischen Martyrium eines Zeitgenossen Bonhoeffers, nämlich bei Ernst Lohmeyer. Wir werden in dieser Untersuchung auch auf das tragische Schicksal Lohmeyers, eines bedeutenden, wenn nicht: des bedeutendsten Kommentators des Phil im 20. Jh. zu sprechen kommen83. Bonhoeffers Überlegungen zur Demut reichen auch deswegen nahe an Phil 2 heran, weil sie 1944 wohl unter dem Eindruck geschrieben wurden, dass der Theologe, der sich schon früh auch als glänzender Paulus-Interpret erwiesen hatte84, in einer Parallelsituation zur Person des Paulus als Gefangenem war. Die Gefängnishaft mit Erwartung eines gewaltsamen Todes sowie Überlegungen zu einem möglichen Selbstmord oder einer Flucht aus der Haft, wie sie Marsh im letzten Kapitel seiner Bonhoeffer-Biographie beschreibt85, sind nahe an der Lebenswirklichkeit, wie sie auch Paulus in Phil 1 darlegt86. Besonders nach den Ereignissen des 20. Juli 1944 mögen diese Lebensumstände – ob bewusst oder unbewusst – für Bonhoeffers Deutung der Demut wichtig gewesen sein: Während und wegen der Trennung von ihren Gemeinden, in einer Situation 82 Zur Problematik der in der Berlin-Brandenburgischen Kirche getroffenen Unterscheidung von „christlichem Märtyrertum und politischem Widerstand“ in der Bonhoeffer-Rezeption, vgl. E. Bethge, 1041 ff. (Zitat: 1042). 83 S. u. unter 7.3. 84 Vgl. dazu Bonhoeffers Essay: „Freude im Urchristentum“ (1926), auf den Charles Marsh (Bonhoeffer, 71 f.) in diesem Zusammenhang hinweist. 85 C. Marsh, Bonhoeffer, 428 ff. – Vgl. weitaus zurückhaltender: E. Bethge, Bonhoeffer, 934. 86 Vgl. dazu E.-M. Becker, Person als Paradigma.
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des Abschieds, denken der Heidenapostel und der Widerstandskämpfer über den Zusammenhang von Ethik, Gemeinschaft und Demut nach. Beiden Theologen werden dabei das elitäre Handeln des Einzelnen, das im Vorbild Christi seinen Maßstab nimmt, zum Schlüssel existentiellen Verstehens. Bonhoeffer formuliert auch diesen Gedanken explizit: „Sie (= unsere Kirche) wird die Bedeutung des menschlichen ‚Vorbildes‘ (das in der Menschheit Jesu seinen Ursprung hat und bei Paulus so wichtig ist!) nicht unterschätzen dürfen; nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft. (über das ‚Vorbild‘ im NT. schreibe ich noch besonders! der Gedanke ist uns fast ganz abhanden gekommen!)“ (sic!)87.
Was Demut also wesenhaft sei, wird erst am persönlichen Vorbild und Beispiel deutlich. Und auch hiermit sind wir nahe bei Phil 2: Im Ursprungstext der christlichen Demut macht Paulus Christus zum Paradigma der ταπεινοφροσύνη. Bonhoeffer scheint mir in seinem Verständnis der Demut persönlich und sachlich Paulus äußerst nahe zu kommen. Er erweist sich als genuiner Interpret des paulinischen Begriffes der Demut – nicht zuletzt auch dadurch, wie die Überlegungen zur Demut einen testamentarischen Charakter haben und gerade dabei Ausdruck einer ‚unerledigten Ekklesiologie‘ sind88. Die Geschichte der christlichen Demut ist also weit komplexer. Sie lässt sich nicht auf die master narrative einer Geschichte von „Perversionen“89 reduzieren. Das können wir an Bonhoeffer, aber auch daran sehen, wie christliche Theologen 87
D. Bonhoeffer, Entwurf, 560 f. E. Bethge, Bonhoeffer, 995: Bethge bewertet diese unerledigte Ekklesiologie Bonhoeffers kritisch und bezeichnet sie sogar als ein ‚Scheitern‘ (ebd.). Angesichts dessen, wie ähnlich die fragmentarischen Überlegungen zur Ekklesiologie, die Bonhoeffer in seiner Haft anstellt, Phil 1–2 sind und welche Rolle in beiden Haftsituationen der Demut zukommt, lässt sich die Bewertung Bethges womöglich revidieren. 89 S. R. Dunde, Demut, 808. 88 Vgl.
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früh die Frage aufwerfen, ob die Demut philosophisch zu fassen und als „Wurzel aller Tugend “ zu konzipieren sei90. Insbesondere Origenes versuchte so, die christliche Lehre mit der griechischen Philosophie kompatibel zu machen91. In Anlehnung an die „Psychomachia“ des Prudentius (4. Jh.) wurden den sieben Tugenden, die sich um die menschliche Seele lagern, sieben Laster gegenübergestellt. Es lässt sich aber – so Ekkehard Mühlenberg – „in der Folge beobachten, wie die Wahrnehmung wächst, daß Demut schwerlich der Tugenddefinition der philosophischen Ethik gleichgesetzte werden konnte. Denn zu einer erreichbaren ‚Trefflichkeit‘ konnte sie nicht parzelliert werden; sie verwirklicht sich vielmehr im endlosen Kampf“92.
Die konzeptionelle Nähe der Demut als Tugend zur paganen Ethik bleibt daher umstritten. Augustinus versteht die humilitas über jede mögliche Tugend hinaus als menschliche Grundhaltung: „Ontologisch weist sie dem Menschen seinen ihm im gestuften ‚ordo rerum‘ bestimmten Platz zu“93. Die humilitas ist „Anfang, Weg und Ende … aller Hinwendung des Menschen zu Gott“94. Das betrifft auch den persönlichen Lebensweg des Augustinus (Conf 7,24): Als sein Mittäufling Alypius 387 n. Chr. barfuß lief, wertete Augustinus dies als asketische Haltung und eine den Sakramenten angemessene Übung der humilitas (conf 9,14)95. Für Augustinus ist die Demut gleichsam Grundlage aller (christlichen) Tugenden, sie ist eine doctrina christiana
90
S. Rehrl, Demut, 466. E. Mühlenberg, Altchristliche Lebensführung (2011), 10 – mit Hinweis auf: Origenes, Hom 8 in Lucam; A. Dihle, Demut, 755–756; ders., Ethik, 777–778. Vgl. auch S. Döpp, Prudentius, 599. 92 E. Mühlenberg, Lebensführung (2011), 10 f. 93 C. Mayer, Humilitatio, 447 f. 94 S. Rehrl, Demut, 467. – Vgl. auch A. Dihle, Demut, 771. 95 Hinweis bei: V. H. Drecoll, Christus humilis, 439. 91
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
57
und gründet in der Christologie96. Hinter der augustinischen Konzeption steht eine komplexe Argumentationsstruktur, die Notker Baumann (2009) nachzuzeichnen versucht hat97: Augustinus geht letztlich von einem an der caritas orientierten Tugend-Begriff aus98. In anthropologischer Hinsicht dient die Demut der christlichen Selbsterkenntnis des Menschen als Geschöpf und Sünder. Sie ist eine Gabe (gratia) und fungiert als Fundament der Liebe. Demut geht der Frömmigkeit voraus (via pietatis) und korrespondiert Glaube, Gehorsam und Jungfräulichkeit99. Als Person exemplifiziert Christus – der „Doctor humilitatis“ (De S. Virgin 31) – die wahre Demut100. Diese gründet im Inkarnationsgeschehen – eine Einsicht, die für die Theologie des Augustinus zentral ist, wie Volker Henning Drecoll hervorhebt: „Die von dem Demutsgedanken geprägte Inkarnationslehre trennt das Christentum letztlich vom Platonismus. Insbesondere verstellt die Inkarnationslehre den Weg der superbia … und ist daher die entscheidende auctoritas …, der man sich zu beugen hat“101.
Augustinus misst der Demut für die christliche Lehre eine so große Bedeutung bei, dass er behauptet, dass sie nur „umsonst in heidnischen Büchern gesucht werde“102. Der Kirchenlehrer versucht, gerade mit Hilfe der humilitas eine spezifisch christliche Ethik in Abgrenzung von der paganen Welt zu entwickeln. Doch auch im Unterschied zu vielen seiner theo 96
C. Mayer, Humilitatio, 447–451. Vgl. N. Baumann, Demut. 98 Anders akzentuiert C. Mayer, Humilitatio, 449 ff., indem er – so wie Drecoll (s. u.) – die Christologie zum Dreh‑ und Angelpunkt der augustinischen Demuts-Lehre macht. Wirken in der Augustinus-Deutung konfessionelle Prägungen der Interpreten fort? 99 Struktur der Darstellung bei N. Baumann, Demut, 7. 100 Hinweise darauf bei: A. Benoît, Demut, 78. 101 V. H. Drecoll, Christus humilis, 440. 102 N. Baumann, Demut, 206 f. mit Hinweis auf Conf 7,14 (CCL 27,102): … non habent illi libri … 97
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logischen Vorgänger oder Zeitgenossen wollte Augustinus den christologisch begründeten Charakter der Demut herausstellen. In „De civitate Dei“ schreibt er hierzu (10,29,1): „… Gottes Gnade konnte uns nicht gnadenreicher ans Herz gelegt werden als dadurch, daß der eingeborene Gottessohn selber, unwandelbar bleibend, was er ist, ein menschliches Kleid anzog und den Menschen durch menschliche Mittlerschaft Hoffnung auf seine Liebe einflößte … Nachdem er uns einmal das natürliche Begehren nach Glückseligkeit und Unsterblichkeit eingepflanzt, hat er uns, in seiner Seligkeit verharrend und unsere Sterblichkeit annehmend, durch sein Leiden verachten gelehrt, wovor wir uns fürchten, um uns zu verleihen, wonach wir liebend verlangen. Doch um dieser Wahrheit von Herzen zustimmen zu können, war Demut nötig, die euer stolzer Nacken sich ungern gefallen lassen will … Wenn ihr … unter Berufung auf Lehrmeinungen, die sich selbst widersprechen, keine Christen werden wollt, womit sonst soll man das erklären als damit, daß Christus in Niedrigkeit kam, und ihr hochmütig seid?… Christus ist demütig, ihr seid hochmütig … Ja freilich, die gelehrten Männer schämen sich, aus Platos Schülern Christi Schüler zu werden, der einen Fischer durch seinen Geist erleuchtete …“103.
Die betont christliche Konzeptionalisierung der Demut bei Augustinus, die um deren Abgrenzung von platonischer Lehre bemüht ist, hat eine programmatische Funktion. In der alten Kirche war ein Streit darüber entstanden, ob nicht schon Platon eigentlich von Demut gesprochen, wenngleich er dabei aus einem πάλαιος λόγος, nämlich dem Alten Testament, geschöpft habe (Clemens Alexandrinus, Strom 2,22,132 mit Verweis auf Platon, Leg 715 f.; vgl. auch Origenes, C Cels 6,15)104. Fassen wir kurz unseren Durchgang durch die Rezeptions‑ und Deutungsgeschichte des Begriffs der Demut zusammen: Vom antiken bis zum modernen Christentum ist umstritten, wieweit die Demut ein christliches Spezifikum bzw. Alleinstel103
Übersetzung nach: Augustinus, Vom Gottessstaat, 516–519. Vgl. A. Benoît, Demut, 79. – Vgl. S. Andersen et al., Som dig selv, 99, mit Hinweis auf Ep 118,3; De civ Dei 22,22. – Vgl. auch N. Baumann, Demut, 229 f. 104
2.2. Von der antiken christlichen Demut zu den Perversionen
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lungsmerkmal ist und ob sie in Analogie oder eher in Differenz zur antiken Philosophie und Tugendlehre zu verstehen sei. Beim Durchgang durch die Kirchen‑ und Kulturgeschichte deutet sich an, dass der Begriff der Demut von verschiedenen philosophischen und theologischen Diskursfeldern magnetisch angezogen wird: Demut wird zum einen philosophisch-ethisch gedeutet und dem Diskurs über Tugenden zugeordnet. Dabei avanciert die christliche Demut – besonders im monastischen Kontext – zu einem ethisch-moralischen Konzept oder Programm. Diesen Gedanken bringt Bernhard von Clairvaux (1124) in einem Traktat, der die Benediktsregel in durchaus demütigem Gestus105 wieder aufnimmt, mit seiner Formel: „Humilitas est virtus, qua homo verissima sui cognitione sibi ipsi vilescit“ zum Ausdruck (De grad 2)106: Die zwölf Stufen der humiltas dienen dem Aufstieg, die zwölf Stufen der superbia dagegen dem Abstieg. Die Demut als Tugend der Geringschätzung der eigenen Person ist demnach für jene da, „die in ihrem Herzen aufstiegsbereit sind und von Tugend zu Tugend, das heißt von Stufe zu Stufe, voranschreiten bis sie zum Gipfel der Demut gelangt sind, auf dem sie wie von Sion, das heißt wie von einer Warte, die Wahrheit erblicken können“ (De grad 2)107.
Im Zuge philosophisch orientierter Tugend-Definitionen kommt es tendenziell zu einer konzeptionellen Überdehnung der Demut, die später zu deren anthropologisch oder psychologisch motivierter Kritik und Ablehnung führt (Kant; Nietzsche; Tillich). Die Demut wird zum anderen ekklesiologisch adaptiert 105
Vgl. Bernhard von Clairvaux, Werke II, 128 ff., wo Bernhard in einer Schlussbemerkung sich deutlich unter Benedikts Autorität stellt. 106 Bernhard von Clairvaux, Werke II, 46. Vgl. auch insgesamt seine Schrift: „De gradibus humilitatis et superbiae“, die die früheste der insgesamt acht überlieferten Schriften Bernhards darstellt, 1124 verfasst, vgl. dazu: U. Köpf, Bernhard, 1329; ders., Einleitung, 30. 107 Bernhard von Clairvaux, Werke II, 47 ff. (Übersetzung: P. Sinz et al.).
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
und dabei – nicht zuletzt bei Bonhoeffer – vom persönlichen Erleben der Gefährdung einer christus-orientierten Gemeinschaft gedeutet. Aus der expliziten Verbindung von Christologie und Soteriologie (Augustinus; Barth) resultiert drittens eine religiöse (Schleiermacher) Deutung der Demut als Ehrfurcht vor Gott und der Welt, die auch beim späten Rudolf Bultmann trotz aller – wie wir gleich sehen – Distanzierung vom Begriff und Konzept der Demut nachwirkt. Wie sollen wir die theologisch-ethischen Varianten bei der Konzeption der Demut in der Theologiegeschichte bewerten? Sind sie schon bei Paulus – dem ‚Erfinder‘ der christlichen Demut – angelegt? Ist die paulinische Rede von der ταπεινοφροσύνη polyvalent oder eindeutig? Wir werden diese Frage am Ende unserer exegetischen Betrachtung des Begriffs in Phil 2 noch einmal aufgreifen. Im Augenblick bleibt zu vermerken, dass ein Rückgriff auf Paulus und den Begriff der Demut nicht selbstverständlich ist. Selbst ein mit Phil 2 bestens vertrauter Theologe und Paulus-Interpret wie Augustinus hielt die „Demut des Petrus für bewundernswerter als den Freimut des Paulus“108. Es legt sich der Verdacht nahe, dass Paulus – in der abendländischen Rezeptionsgeschichte der Demut – wohl als deren terminologischer Urheber in Anspruch genommen werden konnte, dass aber die sachliche Deutung und die ethische Applikation der Demut wesentlich mit Hilfe anderer frühchristlicher Texte und Personen – besonders der Evangelien – erfolgte. Die kanonische Lektüre des Neuen Testaments hat die Deutung von Phil 2 seit der Alten Kirche dominiert und überlagert. Entsprechend deutet auch Bernhard von Clairvaux die Demut Christi wesentlich als Leidensgehorsam und versteht Phil 2,8 im Lichte der synoptischen Passionsgeschichte(n) (vgl. 108 N. Baumann, Demut, 135 – unter Verweis auf Augustinus, Ep 82,22. Vgl. auch bereits V. Cathrein, Demut, 124 ff.
2.3. Bedingungen exegetischen Verstehens
61
De grad 7)109. So liest sich die Rezeptions‑ und Deutungsgeschichte der paulinischen Demut in großen Teilen immer wieder als Geschichte des Vergessens ihrer konzeptionellen Anfänge bei Paulus und seinem Schreiben an die Philipper. 2.3. Bedingungen exegetischen Verstehens: Rudolf Bultmann und die ‚Demut‘ Die Bedingungen exegetischen Verstehens wirken auf den Prozess der Paulus-Interpretation ein. Auch Rudolf Bultmanns Beschäftigung mit der Demut unterliegt weitreichenden, nicht zuletzt zeitbedingten Vorverständnissen. Diese sind methodisch und geistesgeschichtlich motiviert. Wir müssen hier allerdings einen jungen (1911/12) und einen älteren (ca. 1950) Bultmann unterscheiden: Der junge Exeget hat den Ersten Weltkrieg noch nicht vor Augen, der ältere blickt bereits auf die Katastrophen der beiden Weltkriege zurück. Der junge Bultmann diskutiert in kritischer Auseinandersetzung mit Bonhöffers schon genannter Monographie von 1911 den Anspruch philologischer Methoden in der vergleichenden Epiktet-Forschung110. Er fordert eine Profilierung der sachlichen Unterschiede zwischen der Gedankenwelt der Stoa und des frühen Christentums, die er letztlich im ‚religiösen Gottesglauben‘111 und – wie er schon in seiner Dissertation im Jahr zuvor 109 Auch Bernhard stellt hier die Autorität des Petrus über die des Paulus: „… ait Paulus … Respondeat apostolus Petrus …“, Bernhard von Clairvaux, Werke II, 54. 110 So der Verdacht bei A. Bonhöffer, Epiktet (1912), 288. 111 Es „fehlen in der Vorstellung der Gottesverwandtschaft [bei Epiktet] die Begriffe Gnade und Offenbarung; es fehlen seiten des Menschen die eigentlichsten Tugenden religiösen Empfindens: Demut und Kindessinn. Es ist also leicht zu sehen, daß der Gottesbegriff Epiktets nichts weiter ist als eine Personifizierung der höchsten Gedankeninhalte, die der Mensch fähig ist zu erzeugen, der sittlichen Gedanken“, R. Bultmann, Moment, 178.
62
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
geschrieben hatte – speziell in der religiösen Persönlichkeit des Paulus verwurzelt sieht112. Im Jahre 1912 macht Bultmann in seiner Kontroverse mit Adolf Bonhöffer ausgerechnet die Demut zu einem entscheidenden Differenzkriterium beim Vergleich Epiktets mit der neutestamentlichen Vorstellungswelt: „Das Bekenntnis des religiösen Gottesglaubens lautet: ‚Aus Gottes Gnade bin ich, was ich bin.‘“113
Wie erklärt sich das theologische Interesse Bultmanns an der Demut? Ist der Schüler Wilhelm Herrmanns mit einer zu dieser Zeit nicht (mehr) weit verbreiteten protestantischen Hochachtung der Demut in Berührung gekommen114? Wir können hier nur Vermutungen anstellen und die Kontroverse zu verstehen suchen. In seiner ZNW-Replik von 1912 gesteht Bonhöffer zwar den Bedeutungsunterschied „der epiktetischen und der christlichen Religiosität“ ein115, nimmt aber die Motivik im Neuen Testament und bei Epiktet – so auch die Demut – letztlich als intellektuelle Phänomene in den Blick und stellt in erster Linie Äquivalenzen heraus: Epiktet kennt „freilich nicht den christlichen Begriff der Gnade und Offenbarung, nicht die christliche Demut und den christlichen Kindessinn. Aber in seiner Weise hat er dies alles auch …, ob man dies nun als 112
Paulus „gewinnt seine Sätze nicht auf gedanklichem Wege, sondern durch Erlebnis und Intuition“, R. Bultmann, Stil, 68 – Hinweise dazu auch bei K. Hammann, Bultmann, 46. 113 R. Bultmann, Moment, 179 – mit Hinweis auf 1 Kor 15,9 f.; 2 Kor 12,9 f. So erscheint die Religion des Epiktet als ‚sittlicher Idealismus‘ oder ‚pantheistische Stimmungsreligion‘; sie ist „keine Religion der Erlösung und des Enthusiasmus, keine Religion, die wirklich den Menschen heraushöbe aus der Gesetzlichkeit, ihn Gott erleben ließe, ihn frei machte“, R. Bultmann, Moment, 182. 114 Zu Wilhelm Herrmanns Zugang zur ‚Demut‘ vgl. E. Zemmrich, Demut, 114 ff. und bereits V. Cathrein, Demut, 13. 115 A. Bonhöffer, Epiktet (1912), 292. – Differenzen werden bereits bei Luther markiert: Vgl. WA TR 6018.
2.3. Bedingungen exegetischen Verstehens
63
ein Äquivalent oder nur als ein Analogon der betr(effenden) christlichen Tugenden gelten lassen will“116.
Bonhöffers philologische Methode der Analogiebildung erweist sich zwar für die textvergleichende Paulus‑ und EpiktetForschung noch immer als grundlegend, wie zuletzt Samuel Vollenweider (2013) zeigt117. Doch Bultmann sieht hier zu Recht Merkmale der Differenz in der Begriffsgeschichte der Demut: Mit seinem Verweis auf die religiösen Implikationen der Demut bei Paulus legt Bultmann grundlegend einen spezifischen semantischen Aspekt der ταπεινοφροσύνη frei, auf den auch wir später in der motivgeschichtlichen Untersuchung stoßen werden118. In den kommenden Jahrzehnten exegetischer Arbeit jedoch wird Bultmann auf den Begriff der Demut kaum mehr zurückkommen. Bultmanns hermeneutische Fragestellung aus dem Jahr 1950 geht dann auch zunächst erkennbar in eine andere Richtung. Sie zeigt weitreichende Perspektiven theologischer Arbeit auf 119 und führt uns an die eingangs referierten Überlegungen Kristevas heran: Bultmann sucht nach dem Schlüssel zur Deutung der abendländischen Geschichte. Wie für Kristeva mag die Betrachtung der Kulturgeschichte ihm bei der Bewältigung gesellschaftlicher Krisen und den Fragen religiöser Identitätsbildung helfen. Anders als Kristeva will Bultmann nicht nur Identitätsanalyse betreiben, sondern auch theologisch lernen 116
D. Bonhöffer, Epiktet (1912), 288 f. Vgl. S. Vollenweider, Lebenskunst, bes. 126 f. „Der Grundansatz von Bonhöffer, von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen, nämlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen, individuellen Brechung bei Epiktet einerseits, der urchristlichen Religion und ihrer theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits, hat sich als plausibel und wegweisend erwiesen. Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden, orientiert man sich an diesem Basismodell“, a. a. O., 127 f. 118 S. u. 3.2. 119 Datierung nach K. Hammann, Bultmann, 367. 117
64
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
und befreien. So fragt der Marburger Theologe im Rückblick auf die schrecklichen Ereignisse der beiden Weltkriege in seinem Aufsatz über „Die Bedeutung des Gedankens der Freiheit für die abendländische Kultur“: „Was ist es, das wir aus der Katastrophe, die über unsere abendländische Kultur hereingebrochen ist, unbedingt für die Zukunft retten müssen? Was von den Gütern, die uns unsere Geschichte gebracht hat, müssen wir unbedingt bewahren, wenn unser Leben lebenswert bleiben soll?“120
Bultmann macht hier die ‚Freiheit‘ zum Grundbegriff – er sieht in ihr den Grundwert, den die abendländische Gesellschaft zu verteidigen habe121. Er lässt die Idee der ‚Freiheit‘ mit der antiken Philosophie beginnen und zieht ihre wirkungsgeschichtliche Linie über Paulus und die Stoa hin zum modernen Denken seit Descartes122. Und doch bleibt das Ringen um Freiheit kompliziert: Freiheit und „Selbstmächtigkeit des Menschen“ sind nicht zu verwechseln (289). „Oder anders ausgedrückt: die primäre Erkenntnis ist die, einzusehen, daß es echte Freiheit nur in der Bindung gibt“ (290). Es scheint, als klingt hier das Thema von Ernst Lohmeyers geplanter Rektoratsrede 1946 in Greifswald über „Freiheit“ und „Gebundenheit“ durch123. Da aber, wo es um Freiheit als Bindung versus Selbstmächtigkeit 120
R. Bultmann, Bedeutung, 274. ist die Idee der Freiheit des Geistes, die in ihren Konsequenzen zur Freiheit im politischen, gesellschaftlichen und sozialen Leben führt, und die in ihrem Kern die Freiheit der Person ist. Es ist die Idee, daß zum Personsein, zum Selbstsein, unabdinglich die Freiheit gehört, ja, daß Freisein und ein Selbst-sein identisch sind“, R. Bultmann, Bedeutung, 274 f. 122 „Es ist die Besinnung auf die Geschichte, die uns eine eigentümliche Freiheit gibt, indem sie uns Distanz zu unserer Gegenwart gibt …“, R. Bultmann, Bedeutung, 288. – Die folgenden S.-zahlen im Text verweisen auf diesen Aufsatz. 123 Vgl. dazu C. Böttrich, Lohmeyer, 9: Die Rektoratsrede konnte nicht mehr gehalten werden – Lohmeyer wurde in der Nacht zuvor vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet. Das Manuskript ist verschollen. Vgl. auch ausführlicher unten unter 7.3. 121 „Es
2.3. Bedingungen exegetischen Verstehens
65
geht, kommt Bultmann dann doch auf die Demut zu sprechen: Er versteht sie als die „Anerkennung einer echten Autorität“ oder als „die radikale Offenheit“ des Menschen „für die von jenseits seiner zu ihm sprechenden Macht“ (290).
Bultmann rehabilitiert also die Demut, wenn er sie emphatisch mit der Freiheit zusammendenkt: Demut ist nichts weniger als eine christliche Grundhaltung, nämlich die „Offenheit gegenüber der schenkenden Gnade Gottes“ (290). Erstaunlich ist aber, wie wenig die Demut nach 1912 insgesamt in der exegetischen und theologischen Arbeit Bultmanns sonst eine Rolle spielt – und das, obgleich wir es in Phil 2,3 mit einem paulinischen Grundbegriff zu tun haben. Wie kommt es zu dieser Ambivalenz im Denken Bultmanns? Wie lässt sich sein offensichtlich gewachsener Vorbehalt gegenüber der Demut verstehen? Konnte sich Bultmann als gesellschaftspolitisches Kind seiner Zeit nur schwer von der überwiegend negativen Wirkungsgeschichte des Begriffs und seiner Perversion im Dritten Reich befreien? So sehr Bultmann sich einerseits der semantischen Reichweite der paulinischen ταπεινοφροσύνη für die Analyse des Phil bewusst gewesen sein mag124, so sehr scheint er andererseits unter dem Einfluss einer kulturgeschichtlich gewachsenen und / oder durch eigenes geschichtliches Erleben erfahrenen Diskreditierung der Demut zu stehen. Es bleibt nur zu vermuten, dass er die Demut sonst konsequenter zum Kernbegriff paulinischer Ekklesiologie und Ethik gemacht hätte. Als neutestamentlicher Exeget und Theologe steht Bultmann mit seiner distanzierten Sicht auf die paulinische Demut allerdings nicht allein. Die vergangenen etwa 150 Jahre Kommentierungsgeschichte zum Phil – von Bernhard Weiß (1859) bis John Reumann (2008) – bestätigen fast durchgängig eine sachliche Ignoranz oder ein theologisches Unbehagen im Umgang mit 124
S. dazu unten unter 5.4.
66
2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
der Demut in Phil 2125. Nur bei Ernst Lohmeyer (1930) finden sich ausführlichere Überlegungen zur Bedeutung der Demut in Phil 2,3. Lohmeyer spricht gar davon, dass „Demut um der Demut willen, Hingabe um der eigenen Hingabe willen … der Sinn jeder gläubig-sittlichen Tat“ wird126.
Wir werden auf Lohmeyers Deutung und deren zeitgeschichtliche Verortung noch einmal zurückkommen127. Bis hierher galt unser Augenmerk der Geschichte des theologischen Vorbehaltes gegenüber der Demut, die sich gleichermaßen in gegenwärtigen (protestantischen) Darstellungen zur paulinischen Ethik, Anthropologie oder Theologie niederschlägt128. Nietzsches scharfe Demuts-Kritik markiert also ‚nur‘ den polemischen Höhepunkt einer ambivalenten Rezeptionsgeschichte christlicher Ethik, die besonders in der Paulus-Forschung tiefe Spuren hinterlassen hat129. 2.4. Revisionen und exegetische Aufbrüche Wolfgang Schrage bildet eher eine Ausnahme, wenn er sich in seiner „Ethik des Neuen Testaments“ (1982) zur Bedeutung 125 M. Dibelius, Philipper, 60 z. B. stellt keinerlei Überlegungen zur Bedeutung des Begriffs an. Er verweist lediglich darauf, dass ἐκένωσεν und ἐταπείνωσεν in Phil 2,7–8 parallel zu deuten sind – „das ethische Wort [tritt] neben das mythische“ (a. a. O., 63). 126 E. Lohmeyer, Brief, 88. 127 S. u. unter 7.3. 128 So finden sich keine deutlichen Verweise auf die ‚Demut‘ bei z. B. E. Lohse, Ethik; E. Reinmuth, Anthropologie; U. Schnelle, Theologie; M. Wolter, Paulus. 129 G. Richter, Fußwaschung, 249–251 beschreibt, wie Joh 13 in der Geschichte seiner Auslegung vielfach als „Beispiel der Demut“ oder „Erweis der Selbsterniedrigung Jesu“ gelesen wurde (249 f.). Allerdings begegnet der Begriff der ‚Demut‘ nicht in Joh 13. Traditionsgeschichtlich zu diskutieren ist gleichwohl, in welchem Verhältnis Phil 2 zu den Passionserzählungen – und damit auch zu Joh 13 – zu sehen ist. S. dazu unter 3.3.
2.4. Revisionen und exegetische Aufbrüche
67
der paulinischen ταπεινοφροσύνη explizit äußert. Er tut dies im Zusammenhang der Frage nach den materialen „Kriterien der paulinischen Ethik“, die er hier speziell im „Verhältnis zu den nichtchristlichen Verhaltensmaßstäben“ darstellt130. Schrage untersucht die „Rezeption formaler und inhaltlicher Elemente antiker Ethik durch Paulus“ und lehnt eine pauschale „Identität zwischen christlicher und außerchristlicher Ethik“ ab131. Die Überlegungen zur Demut in Phil 2,3 dienen vor allem dazu, die Differenzen in der paulinischen Ethik zur hellenistischen Moralphilosophie aufzuzeigen – sie sind also besonders methodisch und hermeneutisch relevant: „… Die aus der Umwelt übernommenen Begriffe und Gedanken wurden … nicht nur ausgewählt, sondern sie erhielten zum Teil auch eine spezifisch christliche Sinngebung und Neuorientierung … Die unübersehbare Kongruenz von christlichem und nichtchristlichem Handeln schließt … bestimmte Unterscheidungsmerkmale auch im Inhalt der Ethik nicht aus. Das hängt wieder entscheidend mit der Christologie zusammen …“132.
Gleichwohl leistet Schrage mit seinen Überlegungen zum Begriff der Demut einen wichtigen Beitrag dazu, ein in der Exegese vernachlässigtes, oft übersehenes paulinisches Konzept wieder in den Blick zu nehmen. Auch über Schrage hinaus hat in jüngster Zeit die Demut – ihren zahlreichen Kritikern zum Trotz – in der neutestamentlichen Exegese neue Aufmerksamkeit erfahren. In seiner „Theorie des Urchristentums“ bezeichnet Gerd Theißen (2000) die Demut neben der Liebe sogar als ‚Grundwert des Urchristentums‘. Er versteht sie konkret als „Statusverzicht“133: 130
W. Schrage, Ethik, 189 ff. W. Schrage, Ethik, 191. 132 W. Schrage, Ethik, 192. 133 G. Theißen, Religion, 112 – mit Hinweis auf G. Guttenberger Ortwein, Status. 131
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
„Während das Liebesgebot fest in der jüdischen Tradition verankert ist und mit paganen Mahnungen zu prosozialem Verhalten konvergiert, sind Statusverzicht und Demut als soziales Verhalten auf Gegenseitigkeit etwas Neues … Diese soziale Tugend widerspricht einem gemein-antiken Ehrenkodex … Das neue jüdische und christliche Demutsethos führt … zu einer ‚Umwertung der Werte‘…134.
Theißen lässt offen, ob der urchristliche Mythos, der seiner Meinung nach auch in Phil 2,5/6 ff. greifbar wird, „das entsprechende Ethos hervorgebracht hat“, oder ob umgekehrt der Mythos aus dem Ethos folgt135. Er stellt vielmehr heraus, wie die Forderungen nach Liebe und Demut im frühen Christentum radikalisiert werden und so den Menschen tendenziell überfordern136. Steht die Demut so in Gefahr, sich in Hybris zu verkehren?137 Die enge Verknüpfung von ἀγάπη und ταπεινοφροσύνη, die Theißen vornimmt, überzeugt. Sie trifft besonders für Paulus zu. Es sollte allerdings versucht werden, das sachliche Verhältnis von ‚Myth-Historie‘, also der Jesus-Christus-Geschichte, zu dem Ethos der Demut näher zu bestimmen. In Frage steht dabei auch, wie sich Phil 2,5/6 ff. zum unmittelbaren Kontext in 2,1–4 verhalten. Zu diskutieren bleibt ferner, ob die frühchristliche Demut, wie Theißen vorschlägt, als Ethos 134
G. Theißen, Religion, 113. G. Theißen, Religion, 120. 136 „Das ist … dort der Fall, wo neben die Forderung der Liebe zum Feind, Fremden und Sünder der Bruch mit den allernächsten Familienangehörigen tritt. Diese Familienkritik führt zur Askese. Das ist ferner dort der Fall, wo der geforderte Statusverzicht bis hin zum Martyrium gesteigert wird. Der kriminalisierte Märtyrer hat den geringsten Status in der Gesellschaft. Askese und Martyrium überfordern die meisten. Aber solchen radikalen Forderungen stehen in den urchristlichen Texten Aussagen über eine um so radikalere Gnade Gottes und die Forderung einer um so radikaleren Vergebungsbereitschaft unter den Menschen gegenüber … Die Transzendierung der Geschichte im Mythos … begründet die Transzendierung menschlicher Möglichkeiten im radikalen Ethos“, G. Theißen, Religion, 120–122. 137 S.o. unter 1.1. 135
2.4. Revisionen und exegetische Aufbrüche
69
des Statusverzichts, das sogar in Richtung des Martyriums weist, zu begreifen ist. Unsere Deutung der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 wird in eine andere Richtung führen138. Weder ist der Kreuzestod Jesu als Martyrium zu deuten, noch fordert Paulus die Philipper zum Statusverzicht oder gar zum Martyrium auf. Das Ethos der Demut dient im Phil vielmehr der Fortführung und Realisierung einer rechtschaffenen (δίκαιος), christus-orientierten Gemeinschaft (s. z. B. Phil 4,8). Während Theißen das früheste Christentum aus religionssoziologischer Perspektive sieht, widmet sich N. T. Wright (2013) der umfassenden Darstellung der Theologie des Paulus. Er legt einen Entwurf vor, den der Religionsphilosoph Daniel Boyarin sogar als ‚neuen Bultmann‘ tituliert139. Wright ist weniger daran interessiert, die Normen frühchristlichen Gemeindelebens zusammenzustellen, als vielmehr die ethischen Werte zu benennen, die Paulus präskriptiv entwirft. Wright verortet die Demut („humility“) als ‚Tugend‘ („virtue“) im Zusammenhang der paulinischen Ethik und sieht sie – ähnlich wie schon Schrage (s. o.) – in Differenz zur paganen Welt: Denn Paulus strebt nicht nach Eudaimonia – „… his telos, is the mature humanity which reflects the divine image and which will be reaffirmed in the resurrection“140.
Den Weg zur Erreichung dieses Ziels beschreibt Wright als „matter of self-denial“. Die ‚Tugenden‘ „… which are to be produced include four which no ancient pagan would have recognized as positive character-traits: patience, humility, chastity and above all agape, ‚love‘“141. 138
S. u. 2. und 3. N. T. Wright, Paul; darin – im ersten Band S. 1 – das Votum von D. Boyarin: „… This book will surely be the defining standard, the Bultmann for our age …“. 140 N. T. Wright, Paul, 1116. 141 N. T. Wright, Paul, 1116 – unter Verweis auf J. W. Thompson, Formation, 106. 139 Vgl.
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
Wright bleibt uns den genauen Beleg für eine solche angebliche Liste der Tugenden bei Paulus schuldig – am nächsten kommen ihr Kol 3,12 ff. und Eph 4,2, also Kataloge in den sog. deuteropaulinischen Briefen. Wright zielt offenbar jenseits möglicher exegetischer Präzision darauf, die „humility“ nach Paulus im Sinne einer Tugend als frühchristliche ‚Charakter-Eigenschaft‘ zu verstehen, um so den qualitativen Unterschied zur hellenistisch-römischen Ethik markieren zu können. Dabei übergeht er aber zum einen die Frage, ob die ταπεινοφροσύνη bei Paulus selbst überhaupt als Tugend konzipiert ist – er setzt vielmehr grundsätzlich voraus, dass Paulus ‚Moralist‘ sei und eine „virtue ethic“ gelehrt und „moral progress“ bei seinen Lesern erwartet habe142. Zum anderen bleibt unklar, in welcher Weise Paulus sich bei seiner Verwendung des Demuts-Begriffs von der paganen Ethik und Tugendlehre abgrenzt. Wrights Zugang zur Ethik des Paulus ist durch den exegetischen Diskurs über ‚Paul and the Philosophers‘ vorgeprägt. Sein Verständnis der paulinischen ταπεινοφροσύνη folgt der breiten, oben schon skizzierten Rezeptionsgeschichte der christlichen Demut als Tugend. In jüngerer Zeit konzentrieren sich zwei exegetische Monographien eigens auf die Untersuchung der Demut. Klaus Wengst hat 1987 unter dem Titel: „Demut. Solidarität der Gedemütigten“ vorgeschlagen, Demut als „Solidarität der Gedemütigten“ und somit als ein soziales Ethos zu fassen143. Der radikale Verzicht auf Selbststilisierung wird zum sozial-ethischen Programm des Urchristentums, das – als Teilhabe am Schicksal der sozial Niedriggestellten – dem gemeindlichen Zusammenleben nützt: In Anknüpfung an die alttestamentlich-jüdische Tradition ist 142 N. T. Wright, Paul 1374. „… He [= Paul] has, as it were, taken the classical tradition of ‚virtue‘, all the way from Plato and Aristotle to Cicero and beyond, and has reworked it into a Christian key … Like other Christian moralists he adds … other virtues which … were … unknown in the world of paganism“ (ibid.). 143 Vgl. K. Wengst, Demut.
2.4. Revisionen und exegetische Aufbrüche
71
Demut keine „Untertanentugend, sondern die Solidarität der Gedemütigten“144. Wengst versucht so, die „Demut“ von einem ehemals christlichen Tugend‑ und Moralbegriff zu einem sozial-politischen Ethos der Solidarität zu transformieren, das gleichwohl im Urchristentum seinen „spezifisch christlichen Ermöglichungsgrund in der Christologie“ hat145. Und doch hält Wengst am Tugend-Begriff fest146. Er leitet seine BegriffsDefinition – weitgehend unabhängig von Paulus – von den vielfältigen Vorstellungen her, die besonders in den synoptischen Evangelien begegnen: „Wie in der bibl(isch)-jüd(ischen) Tradition meint D(emut) im N(euen) T(estament)… vorranging eine niedrige soziale Situation und die ethische Bewährung in ihr“147.
Christliche Demut also steht in Kontinuität zur israelitischjüdischen Ethik. Sie wird verwirklicht als „Solidarität der Gedemütigten und mit den Gedemütigten“148. Der Demut bei Paulus weist Wengst in der genannten Monographie keine gesonderte konzeptionelle Eigenständigkeit bei – der paulinische Begriff wird vielmehr der allgemeinen neutestamentlichen Vorstellungswelt vom Ethos bzw. der Tugend solidarischen Handelns zugeordnet149. 25 Jahre später hat Reinhard Feldmeier eine exegetische Studie vorgelegt, die neben ‚Macht‘ und ‚Dienst‘ auch dem neu144
K. Wengst, Demut, 103. K. Wengst, Demut, 103. Vgl. ähnlich bereits E. Käsemann, Römer, 335: „Was man heute Mitmenschlichkeit nennt, ist unabdingbar daran gebunden, daß die Gemeinde Jesu auf der Seite der Niedrigen zu stehen und auch sozial das Ghetto der Klassen zu durchbrechen vermag“. 146 „… D(emut) erweist sich … als notwendige Tugend, um für alle in der Gemeinde ein in jeder Hinsicht ‚erquickliches‘ Leben zu ermöglichen“, K. Wengst, Demut, 656. 147 K. Wengst, Demut, 656. Vgl. zu Paulus aber: ders., Begriff. 148 K. Wengst, Demut, 657. 149 Vgl. dazu die Darstellung in: K. Wengst, Demut. 145
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2. Die ‚Demut‘ in Geschichte und Gegenwart
testamentlichen Begriff und Konzept der Demut gilt (2012)150. Feldmeier setzt bei der frühchristlichen Vorstellung von Macht an – der Allmacht Gottes und dem Machtkampf mit der satanischen Welt. Erst daraus leite sich die Macht der Menschen ab, die sich im Leben der Christen vor allem in der Kategorie des Dienstes und der Demut realisiere151. Feldmeier beschreibt die Demut in Phil 2 und Röm 12 genauer als „Sein ‚in Christus‘“, das Paulus in einem Hymnus literarisch entfaltet und sachlich vom „Ethos des Kreuzes“ her deutet152: „Durch den Philipperhymnus wird also deutlich gemacht, dass der tiefste Grund der Demut die Gemeinschaft mit dem sich erniedrigenden Christus und durch ihn mit dem Gott ist, der im Verzicht auf Alleinherrschaft seine Ehre als Vater erweist“153.
Der Begriff der ταπεινοφροσύνη, der in Phil 2,3 „zum ersten Mal in der Gräzität“ begegnet, ist besonders im semantischen Zusammenspiel mit der paulinischen Paränese in Röm 12,16 zu sehen (… ταπεινοῖς … φρόνιµοι). Demnach stellt sich das paulinische Konzept der Demut, das sodann „im Einflussbereich der paulinischen Theologie rezipiert“ wird, als „Haltung, sich nicht zu überheben, sondern sich an der Niedrigkeit bzw. an den Niedrigen zu orientieren“, dar154: Diese Haltung „ist gleichsam das Scharnier zwischen Nächstenliebe und Feindesliebe“155.
Feldmeier beschränkt seine Analyse der ταπεινοφροσύνη nicht auf Fragen semantischer Herleitungen. Zu Recht betrachtet er die Demut bei Paulus als eigenständige Proposition und ethische Konzeption, die besonders mit dem christologischen und ekklesiologischen Denken des Heidenapostels in Ver150
Vgl. R. Feldmeier, Macht. Vgl. R. Feldmeier, Macht, 10. 152 R. Feldmeier, Macht, 87 ff. 153 R. Feldmeier, Macht, 108. 154 R. Feldmeier, Macht, 84; 89, 109. 155 R. Feldmeier, Macht, 109 f. 151
2.4. Revisionen und exegetische Aufbrüche
73
bindung steht. Wir werden allerdings zu prüfen haben, wieweit Phil 2,5/6 ff. tatsächlich als Hymnus zu lesen ist, wie von Feldmeier vorausgesetzt. Zu diskutieren bleibt ebenfalls, ob nicht Paulus den Begriff der Demut weit über Phil 2 und Röm 12 hinaus denkt und entwickelt, wenn er ihn mit dem Verständnis seiner Person als Apostel in Zusammenhang bringt (vgl. 2 Kor 10–13)156. Der paulinische Begriff der ταπεινοφροσύνη fungiert wohl als hermeneutischer Schlüssel zu Phil 2, ja dem Phil als Ganzem – das werden wir im nächsten Kapitel in den Blick nehmen. Weit über den Phil hinaus aber erschließt die Demut wichtige Grundzüge paulinischer Ethik, Ekklesiologie und Apostolatstheologie. Darauf kommen wir in der nun folgenden Textinterpretation des Phil und den damit verwandten Texten in den Kapiteln 3 bis 5 ausführlicher zu sprechen.
156
S. dazu ausführlicher unten unter 3.
3. Phil 2 – Text und Interpretation 3.1. Erste Beobachtungen zu Phil 2,3 und dem literarischen Kontext Paulus prägt in Phil 2,3 den in der Gräzität literarisch wie epigraphisch bis dahin nicht belegten Begriff der ταπεινοφροσύνη. Dieser Begriff steht in einem unmittelbaren textlichen Zusammenhang, in einem Mikrokontext (Phil 2,1–4), der auf den ersten Blick eher selbstverständliche Ermahnungen zur Einheit in der Gemeinde enthält. „1 Wenn also irgendeine Ermahnung in Christus, wenn irgendein Trost der Liebe, wenn irgendeine Gemeinschaft des Geistes, wenn irgendeine Herzlichkeit und Barmherzigkeit [unter euch ist], 2 so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr auf dasselbe gesinnt seid, indem ihr dieselbe Liebe habt, einmütig auf eines gesinnt seid; 3 und nicht dem Eigennutz entsprechend oder dem leeren Ruhm entsprechend, sondern mit dem Mittel der Demut / Niedrig-Gesinnung haltet einander für höhergestellt als euch selbst, 4 und nicht auf die eigenen Belange soll ein jeder den Blick richten, sondern [eher] auf die der Anderen“.
Wir übersetzen ταπεινοφροσύνη mit: „Niedrig-Gesinnung“. Was aber meint Paulus mit „dem Mittel der Niedrig-Gesinnung“? Was ist Niedrig-Gesinnung konkret? Wie wird sie realisiert und praktisch geübt? Mit unserer Textinterpretation wollen wir versuchen, den Begriff sachlich zu füllen und konzeptionell zu erfassen. Ein erster Blick gilt dem Kontext. Phil 2,1–4 ist als ermahnender, als paränetischer Text zu lesen. Der Imperativ in V. 2 deutet unmissverständlich in diese Richtung (πληρώσατε): Paulus mahnt zur Demut als dem Mittel der richtigen Ausrichtung einer einmütigen Haltung der Liebe in der Gemeinde mit dem Ziel, seine Freude vollkommen zu machen. Der Apostel
3.1. Erste Beobachtungen zu Phil 2,3 und dem literarischen Kontext 75
nimmt dabei die Gemeinschaft in Philippi und die Gemeinschaft der Philipper mit ihm in den Blick. V. 1–4 sind daher in mehrfacher Weise mit dem, was Paulus zuvor geschrieben hat, verknüpft: Schon im Präskript wählt Paulus eine Selbstbezeichnung, die der Haltung der Niedrigkeit entspricht: δοῦλος1. Im Proömium (1,3–11) hatte der Apostel von seiner Freude (χαρά), wenn er an die Philipper denkt, berichtet (V. 4) – das Motiv der Freude durchzieht geradezu Phil 1–22. Der Ausdruck von Freude scheint zur Topik von Abschiedsbriefen zu zählen3, da er offenbar die – kontrafaktisch zur Lebenssituation zu verstehende – Funktion einer Bewältigungsstrategie hat. Schon im Proömium hatte Paulus seiner Bitte Ausdruck verliehen, dass die Gemeinde in der Liebe (ἀγάπη) wachse (V. 9). Noch unmittelbarer aber sind Phil 2,1–4 mit ihrem vorhergehenden Kontext in 1,27 ff. verbunden, wo Paulus unabhängig von der Frage, ob er abwesend und weiter in Haft ist oder in Philippi präsent sein kann, seine Paränese beginnt – sie reicht bis Phil 2,18. Paulus beginnt diese Ermahnung mit der Aufforderung, dass die Gemeinde ‚des Evangeliums von Jesus Christus würdig in der Welt wandelt‘ (πολιτεύεσϑε) und sich nicht von möglichen Gegnern oder Widersachern in Schrecken versetzen lässt (1,28). Das, was er von den Adressaten seines Briefes fordert, entspricht der eigenen Haltung des Apostels: Paulus hatte das Briefcorpus in 1,12 damit eröffnet, der Gemeinde in Philippi darüber zu schreiben, wie er seine Situation „in Fesseln“ (ἐν τοῖς δεσµοῖς), also in Gefangenschaft (zuerst 1,7) sieht. Seine Bewertung wird später zur Forderung: Alles, 1
Vgl. dazu ausführlich unter 4.1. χαρά, χαίρειν, συγχαίρειν (mehrfach) in: Phil 1,4.18.25; 2,2.17 f.
2 Vgl.
28 f. 3 Vgl. dazu etwa auch die erst kürzlich wiederentdeckten Briefe der Milena Jesenská aus ihrer Haft: „So sehr gelebt, so schwer gelitten“, in: Welt am Sonntag, 14. Juni 2015, S. 45 f.; M. Jesenská, Briefe; zur Einleitung: A. Wagnerová, Feuer.
76
3. Phil 2 – Text und Interpretation
was (mit ihm) geschieht – so die Behauptung des Apostels –, dient dem ‚Wachstum‘ (προκοπή) des Evangeliums (1,12.25). Teilen die Briefempfänger diese Einschätzung, so haben sie Gemeinschaft mit Paulus. Vollkommene Gemeinschaft aber entsteht erst dann, wenn die Forderung zum ‚Eins-Sein‘ auch untereinander erfüllt wird: Sie realisiert sich darin, gemeinsam an einem ‚Geist‘ (πνεῦµα) zu partizipieren und ‚einmütig‘ (µιᾷ ψυχῇ) im ‚Glauben des Evangeliums zu kämpfen‘ (1,27). Die innere Haltung der Philipper untereinander – und zwar sowohl intellektuell und noetisch (1,10) als auch psychologisch und emotional (2,1: σπλάγχνα) – und die darauf gegründete Sicht auf die Gemeinschaft im Evangelium (schon 1,5; 1,27) sind entscheidend. So thematisiert Paulus mehrfach im brieflichen Zusammenhang des Phil das ‚Gesinnt-Sein‘ der Adressaten (φρον-: bereits 1,7, dann aber: 2,2.5; ἡγέοµαι: 2,4.6). Erst in 2,3 klassifiziert er dieses Gesinnt-Sein näher, indem er es zugleich zum Werkzeug4 einer Gesinnungs-Ausrichtung macht: Die ταπεινο-φροσύνη – wörtlich: ‚Niedrig-Gesinnung‘ – soll den Philippern ein Zusammenleben ermöglichen, das die Haltung von ‚Eigennutz‘ (ἐριϑεία) und ‚leerem Ruhmstreben‘ (κενοδοξία) überwindet. Der Grund zu dieser Ermahnung der Niedrig-Gesinnung und der Überwindung von Ruhmsucht liegt in dem Versuch, persönliche Anwesenheit gleichsam zu kompensieren: Erst bei persönlicher Präsenz (παρουσία) des Paulus in Philippi kann der Ruhm ἐν Χριστῷ sichtbar werden (1,26). Während der physischen Trennung von Apostel und Gemeinde realisieren sich Trost und Gemeinschaft (2,1), ja sogar die Arbeit an der σωτηρία (2,12 f.) hingegen dadurch, dass die Gemeinde einmütig (σύµψυχοι), also auf dasselbe (τὸ αὐτό, vgl. auch Röm 12,16) und auf eines gesinnt ist (τὸ ἕν) und dieselbe Liebe hat. In diesem Zusammenhang 4 Τῇ ταπεινοφροσύνῃ ist als dativus instrumentalis zu verstehen, so z. B. bereits B. Weiß, Philipper-Brief, 138.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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fungiert die Demut als ethisches Werkzeug im Umgang miteinander: Die ταπεινοφροσύνη ermöglicht es, die Gemeinschaft, die aus der gegenseitigen Hochschätzung der Gemeindeglieder folgt, über das Eigenwohl des Einzelnen zu stellen. Paulus bereitet seine Ermahnung zur Demut nicht nur seit Phil 1,3 oder gar 1,1 vor. Vielmehr verbindet er Phil 2,1–4 auch mit dem nachfolgenden Schreiben. So wird er im Folgenden (2,5/6 ff.) erläutern, wie ταπεινοφροσύνη geübt werden kann. Indem er den Begriff mit einem bestimmten Artikel versieht – τῇ ταπεινοφρύνῃ – meint Paulus, wie Wilhelm Michaelis richtig erkannt hat, nicht „die Demut als die irgendwie (aus dem AT oder der Unterweisung) bekannte, sondern als die durch den Kontext illustrierte Eigenschaft“5. Paulus wird daher zur Veranschaulichung dessen, was Demut ist, die Christus-Geschichte als narratives exemplum wählen. Diesen Gedanken greift Augustinus theologisch sachgemäß auf, wenn er Christus in vielfältiger Weise als exemplum humilitatis bezeichnet6. Bevor wir Phil 2,5/6–11 näher betrachten und danach sehen, dass Paulus noch weitere exempla für die Haltung der ‚Niedrig-Gesinnung‘ anführen wird (2,19 ff.)7, müssen wichtige Überlegungen zur motivgeschichtlichen Herleitung der ταπεινοφροσύνη und zu deren Bedeutung in der frühkaiserzeitlichen Welt vertiefend angeschlossen werden8. Wir werden also den paulinischen Begriff lexisch und sachlich kontextualisieren. 3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung: Motivgeschichte Wenn Paulus in Phil 2,3 die ταπεινοφροσύνη lexisch gleichsam erfindet – so wie Philon das Adjektiv ὑψηλοτάπεινος prägt 5
W. Michaelis, Brief, 32. Vgl. C. Mayer, Humilitatio, 450 f. 7 S. dazu unten unter 3.4. und 3.5. 8 S. bereits einige vorläufige Beobachtung dazu oben unter 1.1. 6
78
3. Phil 2 – Text und Interpretation
(s. u.) –, knüpft der Apostel primär an ein Motivfeld an, das er aus der LXX-Sprache kennt: Hier hat die griechische Wortgruppe ταπειν-, die besonders häufig in den Psalmen, bei Ben Sira und beim Propheten Jesaja Verwendung findet, insgesamt einen eher positiven Klang (vgl. auch ταπεινόω: z. B. Jes 40,4LXX), der daher rührt, dass der Gott Israels als jemand beschrieben wird, der den Menschen seiner ταπείνωσις nicht überlässt (z. B. Ps 21,22LXX)9. In Judit 9,11 finden wir folgende Anrede Gottes: „Nicht auf Menge nämlich (stützt sich) deine Kraft, und deine Herrschaft nicht auf Starke, vielmehr bist du der Gott der Niedergedrückten (… ταπεινῶν εἶ ϑεός), der Helfer der Unterlegenen, der Beistand der Schwachen, der Beschützer der Verachteten, der Retter der Hoffnungslosen“10.
Ähnlich wird in Hiob 5,11 Gott als derjenige beschrieben, „… der Niedrige in die Höhe bringt (… ταπεινοὺς εἰς ὕψος) und Zugrundegegangene aufrichtet“11.
Gott ordnet Hierarchien und Raummetaphoriken neu: Er „sieht“ das Niedrige (Ps 137,6LXX) und „heilt“ (ἰάσατο) die Niedrigen (Hiob 12,21), die „Verleumder“ hingegen erniedrigt er (Ps 71,4LXX). Gott nämlich ist Richter (Ps 74,8LXX), so erniedrigt er die Gesetzlosen (Ps 106,17LXX) als die Hochmütigen (Ps 118,51LXX). Erfahrene Niedrigkeit soll (kollektiv) erinnert werden (Est 4,8). Vom religiösen Denken und Sprachgebrauch der LXX her ist es prinzipiell nicht angezeigt, sachlich zwischen einer selbst-gewählten Haltung der Demut oder Erniedrigung und der Erfahrung oder dem Erleiden von Demütigung und Niedrigkeit zu unterscheiden. Der Fokus liegt darauf, den Menschen im Gegenüber zu dem rechtschaffenen Handeln 9 Ausführlich zitiert und christologisch gedeutet bei: Justin, Tryph 98,5 und 105,1. 10 Übersetzung nach: Septuaginta Deutsch, 628. 11 Übersetzung nach: Septuaginta Deutsch, 1013.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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Gottes zu verstehen. Die aktive Demütigung anderer hingegen stellt eine Handlung dar, die zu verurteilen ist – hierbei verlassen wir allerdings weitgehend die ταπειν-Lexik12. Die Wortgruppe ταπειν‑ findet in der LXX vielfach Verwendung: Niedrigkeit, Demut, Schwachheit des Menschen sind bei der Beschreibung des Menschen im AT grundlegend. Dahinter stehen teils Erfahrungen der Verletzung von Ehre, Status und Recht (z. B. Ps 142,3LXX) wie auch die Hoffnung auf die (zukünftige) Begegnung mit Gott, der gerade den Demütigen, Schwachen und Entrechteten (Jes 11,4) nahe ist – besonders die Psalmen vermitteln eine eindrucksvolle Sicht auf die Bedeutung der Demut. Insgesamt dient das Wortfeld ταπειν‑ der Übersetzung einer ganzen Vielzahl von hebräischen Begriffen, die kürzlich wieder Takamitsu Muraoka zusammengestellt hat13. Dem Begriff der ταπεινοφροσύνη von Phil 2,3 kommen wir wohl am nächsten mit ταπεινοφρονέω (nur: Ps 130,2LXX / 131,2), was sich am besten als „gering denken“ in einem positiven Sinne übersetzen lässt, und ταπεινόφρων (nur: Prov 29,23) – zwei Formen, die die LXX-Übersetzer für die hebräischen Worte שׁוהund ל־רוּח ַ ְשׁ ַפgewählt haben. In Prov 29,23 wird sentenziös erläutert, warum ein „demütiger Sinn“ der weisheitlichen Lebensform enstpricht: „Hochmut demütigt einen Mann (ὕβρις ἄνδρα ταπεινοῖ), // die aber, die demütigen Sinnes sind (τοὺς δὲ ταπεινόφρονας), stützt der Herr mit Ehre“14.
Hinter der umfangreichen hebräischen Wortgruppe, die später auch im rabbinischen Judentum fortlebt (z. B. = ַענְ וָ הταπεινότης 12 Z. B. Gen 16,6: ἐκάκωσεν; vgl. aber ταπειν‑ im Sinne der Erfahrung aktiver Demütigung oder Vergewaltigung: Gen 15,13; 31,50; 34,2; Dtn 22,24; 2 Kg 13,12LXX; Ez 22,10 f. 13 T. Muraoka, Index, 116: ταπεινός, ταπεινότης, ταπεινοφρονέω, ταπεινόφρων, ταπεινόω, ταπείνωσις. 14 Übersetzung nach: Septuaginta Deutsch, 976.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
in LXX)15, liegt eine reiche und vielfältige, teils aber auch uneindeutige Vorstellungswelt. Denn von Demut, Demütigung, Niedrigkeit oder Armut ist in der hebräischen Bibel und in deren griechischer Übersetzung in verschiedenen Zusammenhängen die Rede. Die Wortgruppe ταπειν‑ in der LXX-Sprache beschreibt Namens-Etymologien (Gen 29,32), Vertiefungen im geometrischen (z. B. Lev 13,3 ff.) oder geographischen (Jos 11,16; Ri 1,15; 1 Makk 6,40) Sinne oder die soziale und finanzielle Niedrigkeit (1 Kg 18,23LXX) und Armut (Prov 10,4), etwa der Waisen (Ps 81,3LXX), oder auch die militärische Schwachheit (Jud 16,11). Mit ταπειν‑ werden den Lesern bestimmte geschichtliche Personen oder Figuren – durch ihr Handeln oder in persönlicher Bewährung – vorbildhaft vor Augen gestellt: so etwa Joseph, der als Sklave verkauft wurde und mit Fußfesseln erniedrigt wurde (Ps 104,17 f.LXX), Mose (Num 12,3; Sir 45,4) oder der Messias (Sach 9,9 f.: hebr.: ;ענִ י ָ LXX: πραύς), der auf einem Esel reitet, oder auch der Gottesknecht (Jes 53,8). Demut und Niedrigkeit im weitesten Sinne haben soziale Aspekte (anî = ָענִ יarm; und anaw = ָענָ וdemütig)16 und bewirken „Barmherzigkeit gegenüber den Bedürftigen“ (Jes 58,10)17. Demut kennt aber auch rituelle Formen (Fasten: Ps 34,13 f. LXX; Lev 16,29.31; Jes 58,5), oder sie begegnet als ethische Haltung oder Gesinnung18, die vor allem bei den Weisen zu Hause ist (Prov 11,2: ;צנעLXX: ταπεινός). Das semantische 15 Vgl. Strack-Billerbeck, I,192–194. Der hebräische Begriff begegnet in Aboth 6,4 f. 16 Vgl. A. Rahlfs, ani und anaw, 73 – er übersetzt: anî „ = ָענִ יin Knechtsstellung befindlich“; anaw „ = ָענָ וsich in Knechtsstellung versetzend“ (im Original kursiv). „Beide Wörter können verschiedene Bedeutungen annehmen je nach der Verschiedenheit dessen, dem gegenüber die Knechtsstellung eingenommen wird“ (ebd.). 17 M. Witte, Barmherzigkeit, 390 mit Hinweis auf: πτωχός, πένης, πενιχρός, ταπεινός und die hebräischen Äquivalente. 18 Vgl. H.-P. Mathys, Demut, 654.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
81
Feld ist weit und vielfältig. Paulus schöpft in Phil 2 aus diesem reichen Reservoir an LXX-Semantik. Gerade die Vielfalt anthropologischer Beschreibungen von ‚Niedrigkeit‘ in den LXXTexten macht es ihm möglich, eine eigene Begriffsprägung in Phil 2,3 vorzunehmen und damit das Wortfeld sachlich zu entwickeln. Gemeinsam ist den genannten Vorstellungen in der LXX, dass Gottesbild und Menschenbild eng verbunden sind: Gott ist derjenige, der das Niedrige und den Demütigen erhöht19. So kann sowohl die religiöse als auch die soziale Niedrigstellung des Menschen letztlich als Vorbereitung des künftigen Handelns Gottes verstanden werden. Der Begriff der Demut bindet die Ethik an die Zeit, denn die Übung der Demut orientiert sich einerseits an geschichtlichen Bildern und ist andererseits durchaus zukunftsorientiert. Sie leitet das menschliche Leben in der Gegenwart. Paulus bewegt sich in einem äußerst lebendigen Diskurs, der durch die LXX-Sprache vorgeprägt ist. Ein Beispiel dafür ist auch Ps 90 (89LXX), formal gesehen ein ‚Volksklagelied‘, in welches „Weisheitslehre … eingedrungen“ ist20. Selbst dieser Text, der nicht primär mit dem alttestamentlichen Konzept der Demut in Zusammenhang gebracht wird, gibt zu erkennen, wie die Sprach‑ und Gedankenwelt der LXX – als fortlaufender Intertext – Paulus bei seiner Vorstellung von der Demut vor Augen gestanden haben muss. Der Psalmist nimmt hier vor allem die Endlichkeit und Sterblichkeit des Menschen, seine „Todverfallenheit“21, zugleich aber seine Hoffnung auf Gott in den Blick: „Herr, eine Zuflucht bist du uns geworden, in Generation um Generation; bevor Berge entstanden und die Erde und der Erdkreis geformt
19
Hinweise auch bei W. Grundmann, ταπεινός κτλ., 5 und 14 f. H.-J. Kraus, Psalmen, 629. 21 H.-J. Kraus, Psalmen, 631. 20
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
wurden und von Ewigkeit bis in Ewigkeit bist du. Führe den Menschen nicht fort in die Erniedrigung (εἰς ταπείνωσιν)…“ (V. 1–3a)22.
Der durch die LXX-Sprache geprägte Diskurs über die menschliche Demut lebt auch bei Philon, dem frühjüdischen Zeitgenossen des Paulus fort. Philon kennt die Begriffe ταπεινός, ταπεινότης, ταπεινόω und ταπείνωσις23. Er verwendet sie teils in Anlehnung an den Sprachgebrauch der LXX24, so dass das Motiv der Ehrerbietung gegenüber den Niedrigstehenden (Decal 61) und die Fürsorge für die sozial Schwachen (Witwen, Waisen, Proselyten) in den Blick treten kann (Spec 4,176), teils aber auch in Anspielung auf nicht-biblische Texte, so Euripides und die Vorstellung von der Wechselhaftigkeit des Glücks (τύχη: Mos 1,31)25. Darüber hinaus gestaltet Philon das Wortfeld im literarischen Zusammenhang unterschiedlich und vielfältig. Er prägt mit ὑψηλοτάπεινος (Ios 142), „hoch-niedrig“, zwar einen Neologismus und entwickelt das Wortfeld weiter26, gibt zugleich aber ein Unbehagen im Umgang mit dem Begriffsfeld ταπειν‑ zu erkennen27. Anders aber, als es bei Josephus später der Fall ist (s. u.), nähert sich Philon dem semantischen 22
Übersetzung nach: Septuaginta Deutsch, 844. P. Borgen et al., Index, 327: ταπεινός: Leg 1,68; 2,89; 3,18.19. 82.84.134; Det 13.16.34; Post 47.48.74.79.109.149; Deus 167; Agr 61; Ebr 128; Migr 147; Her 29; Congr 175; Mut 222; Ios 144; Mos 1,31; 2,51.241; Decal 41.61; Spec 1,308; 2,106; 3,1; 4,176; Prob 24; 101; Prov 2,1; QG isf 5; ταπεινότης: Leg 3,214; Post 136; Congr 107; ταπεινόω: Sacr 62; Post 46.48.74; Fug 1.207; Mut 194; Ios 150; Spec 4,88; ταπείνωσις: Leg 1,68; Post 41.46.74; Her 268; Fug 1.5.207. 24 Vgl. etwa Fug 1.5.207 als Zitate von Gen 16,6 ff.; vgl. z. B. auch Mut 194; Mos 2,241; Decal 41; Spec 1,308. 25 Vgl. Euripides, Frgm. 420. Hinweis dazu bei: L. Cohn et al., Philo Band I, 229. 26 Übersetzung nach: L. Cohn et al., Philo Band I, 186. Vgl. auch LSJ 1909 – übersetzt mit: „now high, now low“. 27 Das Phänomen des ambivalenten Umgangs mit griechisch-hellenistischer Lexik und Motivik begegnet bei Philon vielfach, so etwa auch beim Tränen-Motiv, vgl.: E.-M. Becker, Tränen, 363. 23 Vgl.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
83
Feld in äußerst zwiegespaltener, ambivalenter Weise – teils negativ, auch wenn es um den sozialen Status und Ansehen geht (Mut 222; Ios 144; Spec 2,106), teils positiv: So dient ταπειν‑ zunächst der etymologischen Herleitung von Länder‑ („Äthiopien“: Leg 1,68) oder Personen-Namen („Lamech“: Post 41.74.79), die paradigmatisch für einen Seelenzustand (Post 46) oder gar die Genealogie eines Volkes ist (Post 48). Das Begriffsfeld umschreibt daneben unansehnliches Aussehen (Prob 101), die unangemessene, sich auf Irdisches und Niedriges beziehende menschliche Haltung Gott gegenüber (Leg 3,82.214) oder auch negative Gedanken (Ebr 128; Spec 3,1) und seelische Zustände oder eine sklavenhafte Gesinnung (Prob 24). Die Seele wird durch das Böse nach unten gezogen (Leg 3,19). Hochmut und der (falsche) Eindruck von Demütigung gehen Hand in Hand (Spec 4,88). Der Gebrauch des semantischen Feldes in der Ethik ist weitgehend durch den aristotelischen oder stoischen Diskurs geprägt und daher – auch in anthropologischer Hinsicht (Her 268) – negativ konnotiert (so auch Migr 147)28: Manche von denen, „die eine milde und soziale (κοινωνικήν) Philosophie zu erstreben suchen, [sagen,] die Tugenden seien Mittelwege (µεσότητας); diese stellen sie an die Grenze (zwischen den Extremen), weil maßlose prahlerische Überhebung ein Übel, dagegen das Streben nach überbescheidener (ταπεινοῦ) und anspruchsloser Lebenshaltung schwächlich ist, während die zwischen beiden liegende, gemischte (Sinnesart) allein von Nutzen ist“29.
Philon kann allerdings zugleich davon sprechen, dass sich der Mensch – angesichts seiner Erkenntnis von Nichtigkeit (Her 29; Congr 107) – demütigen solle, um Stolz abzulegen (Sacr 62), gebildet zu werden (Det 16), dem Gesetz zu dienen (Post 28
Vgl. zum Folgenden u.a.: Cicero, De fin 3,48; Seneca, Ep 75,9 (Hinweise bei L. Cohn Et al., Philo Band V, 191 Anm. 2). 29 Übersetzung nach: L. Cohn et al., Philo Band V, 191.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
48) und Ungerechtigkeit vermeiden zu können30. Die Haltung der Inferiorität wird als Gebot Gottes verstanden (Post 136 mit Hinweis auf Ex 19,24). Und doch stehen ἔνδοξος und ταπεινός im Kontrast (Post 109) – ἄδοξος und ταπεινός dagegen sind im Urteil der Menschen gleichbedeutend (Agr 61; Prov 2,1; QG isf 5), so wie auch δουλεία und ταπεινόν synonym sein können (Congr 175; Prob 24). Während in „De virtutibus“ das Begriffsfeld ταπειν‑ nicht begegnet, ist Det 34 für Philons Sicht auf die Tugendlehre und die Rolle der ‚Niedrigkeit‘ besonders interessant. Im textlichen Zusammenhang, der den Brudermord aus Gen 4 interpretiert, wird Kain als der sich selbst Liebende (φίλαυτος) bezeichnet, der diejenigen, die die Tugend lieben, für schwach und niedrig hält (Det 32 ff.): „Geniessen doch die Tugendfreunde (φιλάρετοι) alle keine Ehren (ἄδοξοι), sind verachtet, elend (ταπεινοί), entbehren das Nötigste, werden weniger geachtet als Hörige und Sklaven, sind schmutzig, bleich, abgezehrt, Hunger blickt ihnen infolge ihres Fastens aus den Augen, schwer Kranke sind sie und dem Tode hingegeben. Die aber für sich selber sorgen (ἐπιµελούµενοι), sind dagegen angesehen (ἔνδοξοι), reich, in führender Stellung (ἡγεµόνες), gepriesen, geehrt, gesund, kräftig, üppig, schwelgerisch …“31.
Philons Beschreibung der φιλάρετοι klingt zynisch und spiegelt zugleich das sachliche Dilemma, mit dem der alexandrinische Exeget bei der Interpretation der Wortgruppe ταπειν‑ zu kämpfen hat: In den Augen der Mächtigen und – scheinbar – Erfolgreichen steht ταπεινός für verfehlte Niedrigkeit, ja Elend. Auch Philon selbst schließt sich dieser Bewertungssprache vielfach an (s. o.) und wendet sich damit von der überwiegend positiven Konnotation des semantischen Feldes in der LXX-Sprache ab. Die religiöse Programmatik, die die Haltung der Niedrigkeit in Israel impliziert, scheint der politischen und kulturellen 30
Vgl. dazu N. Baumann, Demut, 225 mit Hinweisen auf: Post 46,1– 48,6; 73,1–74,7; 149,2; Her 268,3; Imm 167,6. 31 Übersetzung nach: L. Cohn et al., Philo Band III, 286 f.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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Realität in der Welt Philons im Alexandria des 1. Jhs. nicht Stand halten zu können32. Vor dem Hintergrund der hellenistisch-jüdischen Motivgeschichte wird das semantische Profil von ταπειν‑ in Phil 2 besonders deutlich: Paulus prägt mit der ταπεινοφροσύνη einen neuen Begriff und schreibt so den Demuts-Diskurs terminologisch und sachlich über die LXX hinaus fort. Im Unterschied zu Philon verwendet er das Begriffsfeld ταπειν‑ positiv. Er knüpft an Israels religiöse Vorstellung von der Niedrigkeit an und betreibt im Kontakt mit der sogenannten paganen Außenwelt das Programm einer produktiven und konsistenten ‚Umkehrung aller Werte‘. Die ταπεινοφροσύνη wird so zum ethischen Leitbegriff in der Gemeinde. Ebenso wichtig allerdings ist die Frage, wie Paulus diesen Begriff sachlich deutet und konzeptionell ausfüllt. Der Begriff allein kann noch nicht für ein Konzept stehen, sondern muss argumentativ erläutert werden. Ein Teil seiner Bedeutung erschließt sich, wenn wir nachvollziehen, wie die zeitgenössische frühjüdische und pagane Welt auf die paulinische ταπεινοφροσύνη reagiert haben muss. Im frühen Judentum hebräischer und aramäischer Provenienz begegnet insbesondere die Vorstellung von der sozialen oder kollektiven Bedeutung der Demut33, die auf den ersten Blick den ekklesiologischen Kontext von Phil 2 auszuleuchten scheint. Eine wichtige Quelle sind die sogenannten „Texte vom Toten Meer“: In der Sektenregel dient die Demut der Ordnung gemeinschaftlichen Lebens (1 QS 2,24; 3,8; 4,3; 5,3; 5,25; 32
Vgl. zu den intellektuellen Strukturmerkmalen Alexandrias (und der Stellung der Juden): A. Fürst, Christentum, 13–18; M. Clauss, Alexandria, 150–164; T. Georges et al. (Hgg.), Alexandria – darin verschiedene Beiträge zum ‚jüdischen Alexandria‘ und seiner Literatur: 175–399. 33 Bernhard Weiß, Philipper-Brief, 138, Anm. 1, der die Qumran-Texte noch nicht kannte, sah hierin eine paulinische Besonderheit. Wir sehen also, wie die Funde im Judean Desert auch wesentlich zur Motiv‑ und historischen Kontextanalyse beitragen können.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
9,22; 11,1; vgl. auch 4 Q 258 Frgm. 1 i,334; genauer: z. B. 1 QS 2,24: ;וְ ַענְ וַ ת1 QS 3,8: רוּח ַ וּב ְ )וַ ֲענָ וָ ה35. In 1 QS 2,23 ff. heißt es hierzu: „Keiner soll sich erniedrigen unter seinen Rangpostenplatz und keiner sich erheben über den Ort seines Loses, sondern alle seien in wahrhafter Einung und in demütiger Güte, in liebevoller Verbundenheit und gerechtem Denken [ein]er gegenüber seinem Nächsten in seinem Rat von Heiligkeit und von Söhnen eines ewigen Kreises“36.
In diesen Zusammenhängen ist vielfach auch von der ‚rechten Demut‘ als kollektiver Verhaltensnorm die Rede (z. B. 4 Q 266 Frgm. 8,4; 4 Q 525 Frgm. 14 ii,20), weniger allerdings von einer ‚Gesinnung des Einzelnen‘. Phil 2 steht dazu wiederum im Kontrast. Denn bei seiner Ermahnung zu Demut und Einmütigkeit zielt Paulus nicht allein darauf, bestehende gemeinschaftliche Strukturen mit Hilfe einer kollektiven Verhaltensnorm zu ordnen und zu stabilisieren. In Phil 2,4 richtet er vielmehr seinen Blick auf den Einzelnen (ἕκαστος) und das ranking der Einzelnen (ἑαυτῶν als genitivus comparationis) in der Gemeinde. Die paulinische Paränese impliziert: Die prioritäre Wahrnehmung der eigenen Interessen ist zwar möglich, sie ist aber sinnlos, denn sie bedeutet nichts weiter als ‚leeren Ruhm‘ (κενοδοξία). In dem Prozess der Hoch-, ja: Höher-Achtung der jeweils anderen, typologisch gedachten Person soll dagegen die ‚Niedrig-Gesinnung‘ das leitende Instrument im Umgang miteinander sein. So ist die ταπεινοφροσύνη ein Werkzeug der Interaktion, die vom Einzelnen her zu denken ist. Entsprechend 34
Belege bei J. Gnilka, Philipperbrief, 106: „Paulus kommt hier mit der qumranischen Vorstellung insofern überein, als er das von der Gesinnung der Demut getragene Verhalten für den dauerhaften Bestand der Gemeinde für unerläßlich hält“ (ebd.). 35 ’anāwā „bezeichnet die Demut und Herablassung; als Parallelbegriff begegnet die Jahwefurcht“ (Prov 15,33; 22,4), „als Gegensatz der Stolz“ (Prov 18,12), R. Martin-Achard, ענה, 346. 36 Übersetzung nach: J. Maier, Qumran-Essener, 171 f.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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erklärt Paulus in Phil 2,5 ff. auch von einem Einzelfall her, was Demut sei (s. u.). Auf welche Verstehensvoraussetzungen aber trifft die paulinische ταπεινοφροσύνη in der nicht-jüdischen Welt der frühen Kaiserzeit, genauer: in Nordgriechenland? Für nicht-jüdische Leser, die besonders in Philippi – der am stärksten römisch geprägten Stadt des Paulus37 – zu erwarten sind, musste die Forderung nach ταπεινοφροσύνη zunächst eine Zumutung oder gar eine Provokation sein. Das gilt besonders in sozialer Hinsicht. Zwar spricht auch die hellenistisch-römische Literatur von ‚Bescheidenheit‘ und Gottesfurcht (Epikur)38 oder dem Gehorsam Gott gegenüber (Vergil, Aen 5,467; 6,460; Herodot, 7,10; 1,32; 3,40)39. Entsprechende Vorstellungen werden später noch einmal – nun verstärkt von vermutlich christlichen Autoren – griechisch-römischen Denkern wie Seneca untergeschoben40. Die dabei genannten Haltungen und Handlungen der Ehrfurcht und Bescheidenheit lassen sich aber auf keine konzisen griechischen oder lateinischen Begriffe bringen, die das ambivalente Bedeutungsspektrum von ταπειν‑ abbilden könnten (vgl. z. B. Sir 40,18: αὐτάρκης). Umgekehrt – und deutlich anders als die Wortgruppe πραύς κτλ.41 – gehört die ταπειν-Semantik hier auch nicht in den Zusammenhang positiver anthropologischer oder ethischer Vorstellungen von Zurückhaltung oder Bescheidenheit den Menschen oder Gott gegenüber. Ταπεινός κτλ. wirkt hingegen semantisch und sachlich abstoßend und verkörpert eher ein Gegenkonzept zu dem, was Aristoteles mit πραύτης 37
Vgl. dazu zuletzt: D.-A. Koch, Geschichte, 256 ff. Vgl. z. B.: Frgm. 206 nach H. Usener = Seneca, Ep 20,9. 39 Darauf weist O. Schaffner, Demut, 38, hin. Hinweise auch bei J. Reumann, Philippians, 310. 40 Vgl. dazu z. B. den „Brief des Annaeus Seneca über Hochmut und Götterbilder“: A. Fürst, Brief, 176 ff. 41 Vgl. dazu auch F. Hauck/S. Schulz, πραύς κτλ., bes. 645–647. Vgl. zu Mt 11,29 etc. auch unten unter 6.4. 38
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
und µεγαλοψυχία als ethische Tugenden umschreibt (Eth Nic 2,5,1107bff.). Mit nur wenigen Ausnahmen, wo ταπειν‑ neutrale oder tendenziell positive Verwendung findet (vgl. Platon, Leg 716a; Plutarch, Quomod adol 9; Quaest Rom 49; Xenophon, Ages 11,11; Dion Chrysostomos [aus Prusa] 77/78,26)42, hat die Wortgruppe bei griechischen wie römischen Autoren einen negativen Klang. Wir werden gleich noch einmal darauf zurückkommen, inwiefern speziell der Beleg bei Platon eine bemerkenswerte Ausnahme darstellt. Besondere Bedeutung für die historische Semantik der Wortgruppe ταπειν‑ kommt dem hellenistischen Moralphilosophen Epiktet, einem etwas jüngeren Zeitgenossen des Paulus, zu, dem wir zuvor bereits begegnet sind (vgl. Epiktet, Diss 1,9,10; 3,22,104). Demut (ταπεινοφροσύνη) bezeichnet für ihn eine „niedrige Gesinnung“ oder eine „Servilität“ (Diss 3,24,56)43, die abzulehnen ist. Für einen durch Paulus und den Phil geprägten christlichen Theologen wie Johannes Chrysostomus dagegen besteht Servilität gerade in mangelnder Demut und so in ἀνελευϑερία (Hom Phil 6,55)44. Bei Epiktet ist das semantische Feld ταπειν‑ – im Unterschied zu seinem Lehrer Musonius Rufus (Diss 4,81; 9,129) – gut dokumentiert: Es finden sich insgesamt 39 Belege (davon 38 in den „Dissertationes“)45. 42
Hinweise auch bei K. Wengst, Demut, 32–34. dazu auch bei J. Gnilka, Philipperbrief, 106. Der Begriff wird hier mit κολακεία verknüpft: ὅταν τὰ ἐκτὸς καὶ ἀπροαίρετα ἠτιµακὼς ᾖς καὶ µηδὲν αὐτῶν σὸν ἡγηµένος, µόνα δ’ἐκεῖνα σά, τὸ κρῖναι καλῶς, τὸ ὑπολαβεῖν, τὸ ὁρµῆσαι, τὸ ὀρεχϑῆναι, τὸ ἐκκλῖναι, ποῦ ἔτι κολακείας τόπος, ποῦ ταπεινοφροσύνης; 44 Vgl. dazu ausführlicher unten unter 7.2. 45 Ταπεινοφροσύνη: 3,24,56; ταπεινοφρονέω: 1,9,10; ταπεινός (oder Steigerungsformen): 1,3,2; 1,3,4; 1,3,9; 1,4,25; 1,9,10; 1,9,33; 2,1,11; 2,6,3; 2,6,25; 2,14,22; 2,16,18; 3,2,14; 3,24,36; 3,24,43; 3,24,58; 3,24,75; 4,1,3; 4,1,54; 4,4,1; 4,7,11; 4,12,20; Ench 21,1; ταπεινῶς: 1,9,28; 2,6,6; 2,6,8; 3,24,54; (συν‑)ταπεινέω: 1,6,40; 2,8,15; 2,16,16; 2,21,12; 3,23,11; 3,24,1; 3,24,75; 3,26,33; 3,26,35; ταπείνωσις: 3,22,105; ἀταπείνωτος: 4,6,9. – Nach TLG (online), konsultiert, 1. 3. 2015. 43 Hinweise
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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Die Konnotationen sind (fast) durchgängig negativ. Epiktet bezeichnet mit ταπειν‑ ‚niedrige Gedanken‘ (z. B. 1,3,2; 1,3,4), einen niedrigen sozialen Status (z. B. 1,4,25), Erfahrungen von Erniedrigung und Demütigung (z. B. 1,6,40), falsche Selbstbescheidung (z. B. 1,9,10), aber auch einen ‚elenden Charakter‘ (z. B. 1,9,33), eine unterwürfige Haltung (z. B. 2,1,11), eine schlechte Einstellung (2,14,22) oder einen gedrückten Gemütszustand (3,23,11). ταπειν‑ bezieht sich gewissermaßen auf die Lebenssituation eines Sklaven (δοῦλος: 3,24,43; 3,24,75). Odysseus gilt umgekehrt als Beispiel für jemanden, der selbst als Schiffbrüchiger keine erbärmliche Haltung zeigte (3,26,33). Nur vereinzelt findet sich bei Epiktet ein Beleg, wo ταπειν‑ im Sinne der rhetorischen Tradition und jenseits moralischer Diskurse eher neutral für die Beschreibung der ‚einfachen Rede‘ verwendet wird (1,9,28). Der moralphilosophische Diskurs ist also – wie Epiktet andeutet – eng an die griechisch-römische Orientierungsmetaphorik angelehnt. Das gilt sogar für Aristoteles (Pol 1295b). Soziale und moralische Niedrigkeit stehen in Zusammenhang: Sie sind gleichermaßen abzulehnen. Daher begegnet in der griechisch-hellenistischen Literatur vielfach ἀνελεύϑερος als semantische Opposition zu ταπειν‑ (so auch Platon, Leg 791d). Die Differenz zwischen Epiktet und Paulus wiegt deswegen umso schwerer, als sich sonst vielfach semantische Analogien zwischen dem Moralphilosophen und dem Heidenapostel benennen lassen. So kennt auch Epiktet die wohl hellenistisch geprägte Vorstellung46 von der κενοδοξία, die Paulus in Phil 2,3 der ταπεινοφροσύνη gegenüberstellt: In Diss 3,24,43 bezeichnet Epiktet den Mann, der Dinge (von sich) behauptet, die nicht auf ihn zutreffen, als einen Prahler oder Lügner oder eben κενόδοξος. Ähnlich verwendet Paulus das Adjektiv in Gal 5,26,
46
Vgl. dazu A. Bonhöffer, Epiktet, 120.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
wo das Trachten nach leerem Ruhm dem Wandel im Geist (V. 25) gegenübergestellt wird. Wie grundsätzlich tief die griechisch-römische Distanz, ja Abneigung gegenüber den ‚Demuts-Vorstellungen‘ wirklich empfunden wurde, macht Josephus (z. B. BJ 4,319.365.494 u. ö.) am deutlichsten. Obwohl er die biblischen Traditionen der Demut bestens kennt, dient bei ihm das Wortfeld ταπειν‑ dazu, Menschen und Situationen, die durch Niedrigkeit gekennzeichnet sind, abzuwerten: So bedeutet ταπειν‑ im negativen Sinne eine niedrige soziale Stellung (BJ 4,365), die durch Herkunft oder Schicksal bedingt ist (BJ 4,365: ἀγένεια, τύχη). ‚Niedrigkeit‘ beschreibt vor allem einen schlechten Zustand (so auch Hebr 2,9). Zwar steht auch für Josephus die ταπεινοφροσύνη für eine Gesinnung – gemeint aber ist die „‚niedrige Gesinnung eines Geizhalses‘“47 oder dessen „Schäbigkeit“48 (BJ 4,494; so auch Epiktet, Diss 3,24,56). Der frühjüdische Historiker tut sich erkennbar schwer – noch schwerer als Philon – damit, dem jüdisch geprägten ‚Demuts‘Begriff in einem römischen Umfeld zu einem positiven Klang zu verhelfen, ihn zu so etwas wie einem moral value zu machen. Oder umgekehrt: Um sein historiographisches Schreiben zu legitimieren und zu akkulturieren, schließt sich Josephus den moralischen Bewertungen seiner hellenistisch-römischen Umwelt weitgehend an. Wenn Paulus – wohl aus römischer Haft – an die Philipper als die am meisten von römischer Kultur geprägte Gemeinde schreibt, um für die ταπεινοφροσύνη zu werben, teilt er offenbar nicht die Vorbehalte des Josephus. Er bewirkt bei seinen Adressaten zumindest eine kognitive Dissonanz: Paulus propagiert ein biblisches Ethos, das griechisch-römische Orientierungsmetaphern auf den Kopf stellt, füllt dieses letztlich aber 47
48
O. Schaffner, Demut, 39. So die Übersetzung bei O. Michel/O. Bauernfeind, 79.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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terminologisch und konzeptionell so aus, dass es am Ende sogar für eine nicht-jüdische Leserschaft attraktiv werden kann. Wie gelingt ihm das? Der argumentative Rahmen, in dem Paulus für das Ethos der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 wirbt, ist nicht allein mit Hilfe griechisch-römischer Orientierungsmetaphorik zu erschließen. Vielmehr bewegt sich Paulus in einem Diskursfeld, das in doppelter Weise vom griechisch-römischen MoralitätsDiskurs und der darin vorfindlichen Abneigung gegenüber der Demut abweicht. Erstens: Die exemplarische Christus-Erzählung in Phil 2,6 ff. spornt zur Nachahmung eines darin propagierten Ethos an (s. 3.3.) – das Ethos selbst kann so in Differenz zur sonst bekannten Orientierungsmetaphorik treten und sich zu einem moral value entwickeln. Zweitens: Die paulinische Konzeption der ταπεινοφροσύνη bewegt sich im Zusammenhang gemeindlicher Paränese und Lehre. Sie zielt auf das kommunitäre Handeln in der ἐκκλησία. Der Diskursrahmen in Phil 2 steht daher der antiken politischen Philosophie faktisch näher als der Moralphilosophie. In diesem Zusammenhang ist auf Platon und seine oben schon angeführten „Nomoi“ zurückzukommen: Denn Platon verwendet zwar im Einklang mit vielen anderen griechisch-hellenistischen Autoren das semantische Feld ταπειν‑ überwiegend negativ49. Dies gilt besonders im Zusammenhang der sozialen und ökonomischen Beschreibung von Unfreiheit (ἀνελεύϑερος). Gleichwohl begegnen positive Konnotationen des Wortfeldes ταπειν‑ an zwei markanten Stellen in den „Nomoi“50, also im Bereich der politischen Philosophie. Platon 49 Von den insgesamt 13 Belegen bei Platon weist die überwiegende Zahl auf eine negative Verwendung hin: Phdr 254e; 257c; Lys 210e; Tht 191a; Tim 72d; Polit 309a; R 553c; Leg 728e; 774c; 791d. 50 Nach N. Baumann, Demut, 196 f.: Leg 715e–717a; 6,762e; Leg 815a beschreibt – wenn auch nur im übertragenen Sinn – „keine positive Haltung“ (197).
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
vertritt hier einen politischen Perfektionismus51. In Leg 762e beschreibt Platon eine positive Haltung des Dienens: Hier ist davon die Rede, dass derjenige, der „unter die Landaufseher aufgenommen ist“, „diese zwei Jahre hindurch täglich eine bescheidene und ohne Feuer zubereitete Nahrung gekostet haben“ muss (… διαίτης δεῖ τῆς ταπεινῆς …)52. Wichtiger noch für Platons politische bzw. kommunitäre Deutung der Demut erweist sich Leg 715e–716a: „… der Gott, der, wie auch der alte Spruch (παλαιὸς λόγος) sagt, Anfang und Ende und Mitte von allem, was ist, in Händen hat, erreicht sein Ziel auf geradem Wege, indem er seiner Natur gemäß im Kreise geht. Ihm folgt als ständige Begleiterin die Dike (Δίκη), um diejenigen, die hinter dem göttlichen Gesetz zurückbleiben, zu bestrafen. An sie hält sich, wer glücklich werden will, und folgt ihr in Demut (ταπεινός) und Bescheidenheit (κεκοσµηµένος). Wenn sich aber jemand in hochmütigem Stolz erhebt, weil er stolz auf sein Geld oder auf Ehren oder auf körperliche Schönheit ist, und zugleich infolge seiner Jugend und Unvernunft in seiner Seele von Übermut (µεϑ’ ὕβρεως) entbrennt, weil er meint, er brauche weder einen Gebieter noch einen Führer, sondern sei sogar fähig, andere zu führen, der bleibt, von Gott verlassen (ἔρηµος ϑεοῦ), zurück, und indem er zurückbleibt und auch noch andere seinesgleichen um sich schart, springt er herum und bringt dabei alles durcheinander, und gar vielen gilt er wirklich als jemand; doch nach gar nicht langer Zeit zahlt er der Gerechtigkeit eine nicht zu tadelnde Strafe und richtet sich selbst und sein Hauswesen und die Stadt völlig zugrunde …“53.
Besonders dieser Platon-Beleg hat im frühen Christentum eine nachhaltige Rezeption erfahren, weil darin eine Vorschau 51 Vgl. C. Horn, Politische Philosophie, 168–180. Platon tut dies, „insofern er die Vervollkommnung der Staatsbürger zum Ziel der staatlichen Gesetzgebung erklärt. Politischer Eudämonist ist Platon, insofern er das Glück des Individuums mit dem Leben in einer ihn perfektionierenden Verfassungsordnung gleichsetzt“ (175 f.). 52 Übersetzung nach: K. Schöpsdau, Nomoi, 66. 53 Übersetzung nach: K. Schöpsdau, Nomoi, 23. – F. Schleiermacher, 303, übersetzt: An die Gerechtigkeit schließt sich an, „wer glückselig werden will und folgt ihr in Demut und Sittsamkeit“.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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auf das frühchristliche Konzept der ταπεινοφροσύνη gesehen wurde54. Worum aber geht es Platon selbst? Er stellt die Haltung der Demut einer Haltung von Arroganz oder Hybris gegenüber. Dike personifiziert die strafende Gerechtigkeit. So wie der παλαιὸς λόγος motivgeschichtlich „in die geistige Welt der Orphik verweist“55, deutet Platon auch den Zusammenhang von „mangelnder sittlicher Einsicht (Phronesis) und Unfähigkeit zur Verwaltung von Haus und Stadt“ – anders als noch in Leg 689d – an dieser Stelle religiös: Die „Zerstörung von Haus und Polis ist die Strafe der Dike für die Verletzung der göttlichen Ordnung durch Maßlosigkeit und Hybris“56. Ähnlich geht es auch Paulus als Gemeindeleiter um die Erbauung und Erhaltung der Ekklesia. In 2 Kor kämpft er gegen die Bedrohung und Zerstörung der Gemeinde57. Im Phil thematisiert er speziell das rechte πολιτεύεσϑαι der Gemeindeglieder in Philippi (1,27). Die griechisch-römische Antike kennt also eine positive Konnotation von ταπειν‑ bzw. die positive Vorstellung einer ‚Demuts‘-Haltung, die mit dem Wortfeld ταπειν‑ zum Ausdruck gebracht wird. Platon formuliert diese Vorstellung in produktiver Weise im Rahmen seiner politischen Philosophie58. Bei Aristoteles begegnet eine solche positive Konnotation von ταπειν‑ hingegen im vergleichbaren Diskursrahmen, nämlich 54 Belege bei N. Baumann, Demut, 198: Clemens, Strom 2,22,132; Eusebius P E 11,13,5.7; Origenes, C Cels 3,63,3; 6,15,9.27; Irenaeus, Adv haer 3,24,1; 3,25,5. – Speziell zu Clemens: N. Baumann, Demut, 226–234. 55 K. Schöpsdau, Nomoi, 208 – u. a. mit Hinweis auf Orph Fr. 21 und Derveni-Papyrus col. XII 12 sowie weiteren Lit.-hinweisen. 56 Zitate: K. Schöpsdau, Nomoi, 210. 57 S. u. unter 4.2. 58 Philon hingegen beschreibt Mose als Gesetzgeber so, dass er bedenkt, wie dieser die Gründung des Staatswesens darstellt (Mos 2,51): „Mit der Gründung eines Staatswesens durch Menschenhand seine Darstellung zu beginnen, erachtete er als der Würde der Gesetze zu wenig entsprechend (ταπεινότερον) … Daher leitete er sein Werk mit der Schöpfung des grossen Staatswesens … ein“ – Übersetzung nach: L. Cohn et al., Philo Band I, 309.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
der „Politika“, nicht. Hier ist das Wortfeld ausschließlich negativ konnotiert59: Es bezeichnet etwa eine verfehlte untertänige Haltung (1295b), die aus Demütigung resultiert (1315b), oder die Haltung eines „Kriechers“, der mit den Tyrannen Umgang pflegt (1313b)60. Die oben benannten semantischen Unterschiede zwischen Paulus und Epiktet reflektieren textpragmatische Divergenzen, die auch die politische Philosophie des Platon und des Aristoteles kennzeichnen: Anders, als Platon, der in seinen „Nomoi“ zeigt, wie wichtig ihm die „religiöse Fundierung der politischen Praxis“ (715e–718a) sowie die Handreichung eines normativen Verhaltenskatalogs ist, „der richtige selbstbezogene und fremdbezogene Haltungen und Einstellungen“, also gleichsam „‚Tugenden des vorbildlichen Staatsbürgers‘“ auflistet (726a–734e)61, verknüpft Aristoteles in deutlichem Maße die politische Ordnung des Gemeinwesens mit einer Reflexion über die ethisch-moralische Konstitution des Einzelnen. So spricht Christof Rapp bei der aristotelischen politischen Philosophie von einer „engen Verbindung von individueller Moral und staatlicher Gemeinschaft“62. Während Aristoteles das gesellschaftliche Zusammenleben gerne anthropologisch, ja geradezu psychologisch analysiert und so ταπεινότης als Form der µικροψυχία, der ‚kleinlichen Gesinnung‘, versteht und abwertet (Rhet 1384a; 1389b), verfolgt Platon die staatspolitische Frage nach dem gelingenden Zusammenleben in der Gemeinschaft im Rahmen einer Gerechtigkeits59 Zu ταπειν‑ in der „Politika“: 1284a; 1295b; 1313b; 1315b; 1337b. – Vgl. insgesamt dazu auch N. Baumann, Demut, 201–205: Alle vierzig Belegstellen des semantischen Feldes ταπειν‑ im Corpus Aristotelicum sind negativ konnotiert (201), das gilt auch für die Belege in der „Politika“ (1295b; 1337b). – Das häufigste Vorkommen ist in der „Rhetorik“ festzustellen: 1380a; 1384a; 1389a; 1389b; 1404b; 1408a; 1414a; 1419b – hier begegnen nur vereinzelt neutrale Konnotationen, z. B. Rhet 1389a. 60 Übersetzung nach: E. Schütrumpf, Politik, 221. 61 Zitate: C. Horn, Philosophie, 176 f. 62 C. Rapp, Aristoteles, 56.
3.2. ταπεινοφροσύνη – Niedrig-Gesinnung
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theorie, hinter der die religiöse Vorstellung eines Strafgerichts durchscheint. Hier liegt eine grundlegende Differenz zur epiktetischen Moralphilosophie63 und andererseits ein möglicher Vergleichspunkt zu einer ‚ekklesialen Ethik‘ des Paulus64, die ja auch vom δίκαιον ausgeht (Phil 1,7.11; 3,6.9; 4,7) und die Vorstellung vom Zorn Gottes kennt (Phil 3,19). Die platonische Gerechtigkeitstheorie65 ist weder mit der Prohairesis (so Epiktet) befasst, noch zielt sie im ethischen Sinne auf Konfliktlösung (so Aristoteles). Sie sucht vielmehr nach der Realisierung des idealen Staatswesens: Im Streben nach Recht und Gerechtigkeit erweist sich für Platon die Haltung der Demut (ταπεινός) für den Einzelnen als geeignet, ja zielführend. Der Einzelne bei Platon ist typologisch66 und weniger als individueller Akteur in einem moralischen Diskurs gedacht. Auch in dieser Deutung des Einzelnen ist Paulus dem Platon nicht unähnlich. Wir können festhalten: Wenn Paulus in Phil 2 die ταπεινοφροσύνη zum Ethos im Leben der Ekklesia macht, so steht er neben umfänglichen Anregungen durch die LXX-Sprache und ‑Vorstellungswelt (s. o.) zugleich ideengeschichtlich den staatsphilosophischen Überlegungen Platons zur Realisierung eines an der Gerechtigkeit orientierten Gemeinwesens nahe, jedenfalls näher als der hellenistischen Moralphilosophie. Paulus propagiert die religiöse Haltung oder Gesinnung der Demut zur Aufrechterhaltung gemeindlicher Ordnung und weiteren Entwicklung ekklesialer Gemeinschaft. Die überwiegend negative Konnotierung des Begriffs in der paganen 63 Obgleich diese in ihrer Weise ja durchaus auch die Philosophie als „Funktion menschlichen Handelns“ versteht: So M. Spanneut, Epiktet, 606. 64 Überlegungen zur Bedeutung des Gerechtigkeitsbegriffs für die paulinische Ethik vgl. H. Löhr, Eigenart, 444; ders., Ethik, 169. 65 Vgl. zur Gerechtigkeitstheorie im Rahmen der praktischen Philosophie zuletzt auch J. Rommerskirchen, Das Gute, 34 ff. und 201 ff. 66 Vgl. dazu auch K. Schöpsdau, Nomoi, 210 – mit Hinweis auf Resp 494c.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
Moralphilosophie schreckt ihn dabei nicht. Die ekklesiale Ethik des Paulus ist ‚staatspolitisch‘ motiviert und betreibt so die ‚Umkehrung moralischer Werte‘. Um für die ταπεινοφροσύνη produktiv zu werben, sucht er sie zu exemplifizieren. Dazu bedient er sich einer Beispiel-Erzählung – eines exemplum –, mit dem er das Ethos der Niedrig-Gesinnung letztlich zu einem Ethos des Erfolgs stilisieren wird. 3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη In Phil 2,6 verlässt Paulus die paränetische Sprache. Er erzählt in komprimierter exemplarischer Form (exemplum)67 am Beispiel Jesu von der konkreten Übung der Demut. Dieser Textabschnitt gehört zu den kompliziertesten Texten der Paulus-Exegese68. Die Forschung liest ihn spätestens seit Lohmeyer gerne als in Strophen gegliederten Christus-Hymnus oder Christus-Lied69 – eine literarisch-formale Beschreibung, die in der jüngsten Forschung zugunsten einer Deutung als ProsaText oder als epideiktische Passage zunehmend hinterfragt
67 Vgl. auch: S. Vollenweider, Enkomion, 225: „In seinem Kontext stellt er (= der Text) eine Digression dar, die den Philippern ein verheissungsvolles exemplum christlicher Selbsterniedrigung präsentiert“. 68 Vgl. E. Lohmeyer, Philipperbrief, 90. Die Komplexität der Textanalyse besteht vor allem in der philologischen und literarischen Bewertung des Textes (z. B. als Hymnus oder Enkomion) und in der Diskussion seiner Autorschaft (prä-paulinisch oder paulinisch) sowie in seiner religionsgeschichtlichen Zuordnung zur palästinischen oder zur hellenistischen Gemeinde (seit Wilhelm Bousset und Ernst Lohmeyer). 69 Zur Diskussion über die strophische Gliederung seit Lohmeyer vgl. z. B. C. H. Talbert, Problem, 142 ff. – Als vorpaulinisches Traditionsstück wird der Text tendenziell entweder dem hellenistischen Christus-Kultus oder der palästinischen Eucharistie zugeschrieben. Vgl. dazu ausführlich: E.-M. Becker, Paulus in Philippi, bes. 214 f.
3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη
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wird70. Anders als Ernst Käsemann meinte, liegt die zentrale Bedeutung von Phil 2,6–11 nicht darin, „die Epiphanie des Gehorsamen“ hervorzuheben71, sondern das Wesen der ταπεινοφροσύνη zu exemplifizieren: Christus ist Vorbild, nicht Urbild72. Der Textabschnitt ist daher für das Verständnis der ταπεινοφροσύνη zentral. Hier liegt der Schlüssel zur sachlichen Deutung der Demut. Das Christus-exemplum expliziert die ‚Niedrig-Gesinnung‘ anhand konkreter Handlungen (2,7–8), die aus der Haltung Christi (ἡγήσατο: 2,6b) resultieren. Paulus wählt keine Figur der fernen Vergangenheit für ein solches exemplum, also Mose oder einen Patriarchen wie Jakob (so 1 Clem 31,4), sondern deutet die ταπεινοφροσύνη, die die materia der Argumentation darstellt, von Christus her. Wie und in welcher Weise verkörpert oder personifiziert Christus die ταπεινοφροσύνη in diesem Textabschnitt? Paulus nennt insgesamt vier Aktivitäten, durch die Christus die ‚Niedrig-Gesinnung‘ realisiert: Attributverzicht, Gestaltwandel, Selbst-Erniedrigung und Gehorsam. Erstens spricht Paulus von der Entäußerung, der Kenosis, des Gottgleichen73 (V. 7a). Paulus formuliert hier ein Theologumenon, das dogmengeschichtlich folgenreich sein wird (vgl. Ign Pol 3,2; sog. kenotische Christologie)74. In der Sache ist so etwas wie Statusverzicht75, besser: ein ‚Attributverzicht‘ gemeint: Die Gottgleichheit (V. 6c) stattet Jesus mit Attributen und Fähigkeiten aus, auf die dieser in Folge der selbst gewählten Kenosis ver70 Vgl. zuletzt: B. Edsall /J. R. Strawbridge, Songs; R. Brucker, ‚Christushymnen‘; ders., ‚Songs‘. 71 Vgl. E. Käsemann, Analyse, 81. – Zu Käsemanns Kritik an der altkirchlichen und reformatorischen Auslegung: a. a. O., 53. Vgl. dazu auch: U. B. Müller, Christushymnus, 17 ff. 72 Gegen E. Käsemann, Analyse, 81: „Er ist Urbild, nicht Vorbild …“. 73 Vgl. A. Oepke, κενόω. 74 Vgl. dazu J. Webster, Christologie; D. R. Law, Christus. 75 Zum Begriff vgl. allgemein: G. Guttenberger Ortwein, Status; G. Theissen, Nächstenliebe.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
zichten wird. Die Kenosis Christi folgt aus einer Haltung des Rechtsverzichts: Damit ist eine Selbstwahrnehmung gemeint, die zwar um die ‚Rechtmäßigkeit‘ des persönlichen Status weiß (οὐχ ἁρπαγµόν …), diesen aber nicht einzuklagen beabsichtigt, sondern sogar im Sinne eines Attributverzichts aufzugeben bereit ist. Zweitens: Jesus, der in der µορφή Gottes existierte (V. 6a), wählt die µορφή eines Sklaven (V. 7b) und so die paradigmatische Rolle menschlicher Niedrigkeit. Jesus vollzieht einen Gestaltwandel76. Christus leistet drittens eine bedingungslose SelbstErniedrigung (ἐταπείνωσεν, V. 8a)77 und viertens Gehorsam, der bis zum Kreuzestod führt (V. 8bc). Christus exemplifiziert damit faktisch den knechtischen Gehorsam, der nach Paulus auch in der Gemeinde zur Durchsetzung der Gerechtigkeit (vgl. Röm 6,16) und der Proklamation der Ehre Gottes (Phil 2,11) führt. Um die genannten vier Aktivitäten der Demuts-Haltung Jesu kurz zusammenzufassen: Am Beispiel Jesu expliziert Paulus, dass sich ταπεινοφροσύνη in Attributverzicht (Kenosis), der aus der Haltung des Rechtsverzichts folgt, sowie in Gestaltwandel, SelbstErniedrigung und Kreuzesgehorsam verwirklicht. Hier schließt sich eine Frage zur historischen Rekonstruktion des Christus-exemplum in Phil 2 an: Gehen die sachlichen Explikationen der ταπειν-Haltung Christi, die in V. 6–11 begegnen, auf Paulus selbst zurück? Oder greift der Apostel in diesem Textabschnitt auf ein ihm bereits vorliegendes Traditionsstück zurück? Die exegetische Diskussion bietet kein einheitliches Bild78. Während große Teile der Forschung seit Lohmeyer von 76 Zur griechisch-hellenistischen Vorstellungswelt („Epiphaniedarstellungen“) vgl. U. B. Müller, Christushymnus, 25. 77 Die Deutungen spiegeln den jeweiligen Zeitgeist: Bei B. Weiß, Philipper-Brief, 142 wird Selbsterniedrigung als „Selbstverleugnung“ gedeutet, bei E. Lohmeyer, Philipperbrief, 88 als „Verzicht auf … Selbstbehauptung“. 78 Vgl. zu dieser Diskussion die Übersicht bei J. Reumann, Philippians, 333 ff.
3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη
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einer vor-paulinischen Textgestalt ausgehen79, wächst in der jüngsten Paulus-Exegese die Vermutung, dass Paulus selbst diesen Textabschnitt komponiert habe80. Allerdings können wir die Forschungsdiskussion an dieser Stelle weder umfassend wiedergeben noch fortführen, sondern nur einzelne motivische Beobachtungen anstellen, die bei der Klärung der traditionsgeschichtlichen Herleitung des Textabschnitts hilfreich sind. Grundsätzlich auffällig ist, dass sich in der frühesten christlichen Literatur keine expliziten außerpaulinischen Parallelen zu den Kategorien Gestaltwandel (µορφή) und (Kreuzes‑)Gehorsam (ὑπήκοος) finden. Gleichwohl bieten die synoptischen Passionsgeschichten (bes. Mk 15parr.) literarische Anspielungen zur Haltung des Rechtsverzichts (vgl. Mk 15,4 f.; Mt 27,13) und der Ausübung des Attributverzichts Jesu (vgl. Lk 23,8 f.; Mk 15,31 f.; Lk 23,35 ff.). Das Motiv der Selbst-Erniedrigung wiederum ist explizit aus der Jesus-Tradition bekannt (vgl. z. B. Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12; 18,4). Im Unterschied zur synoptischen Vorstellung ist in Phil 2,6 ff. allerdings weniger die „talionartige Vergeltung“ oder die „Ordnung ausgleichender Gerechtigkeit“ als vielmehr die göttliche Honorierung81 eines vorauslaufenden freiwilligen Handelns Christi im Blick82, das 79 Vgl. z. B. die klassische Sicht auf den als ‚Hymnus‘ gelesenen Textabschnitt, repräsentiert bei: G. Strecker, Redaktion; U. B. Müller, Christushymnus. Vgl. auch J. A. Fitzmyer, Background. Fitzmyer versucht u. a., die aramäische Fassung zu rekonstruieren. 80 Vgl. A. Yarbro Collins, Psalms. 81 Zum Diskurs über den cursus honorum vgl. z. B.: J. A. Hellerman, Honor. 82 „Die Erhöhung durch Gott ist … talionartige Vergeltung für die vorbildliche Haltung“ – es geht letztlich um die Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes: „Die Ordnung ausgleichender Gerechtigkeit kommt neu zur Geltung“, U. B. Müller, Christushymnus, 37 – mit Hinweis auf K. Berger, Formgeschichte, 176. Allerdings werden in Phil 2,6–11 nicht der Ausgleich oder die Kompensation hervorgehoben. Die Erhöhung (V. 9) geschieht als göttliche Honorierung des freiwilligen Handelns Christi. – S. dazu auch unten unter 6.4.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
mit Rechtsverzicht, Attributverzicht und Gestaltwandel einhergeht. Hier dürfte nicht zuletzt auch die Spruchweisheit Salomos motivisch im Hintergrund stehen: Ein „Sanftmütiger mit Demütigung“ ist dem, der „Beute mit Gewalttätern teilt“ vorzuziehen (Prov 16,19). „Vor dem Untergang erhebt sich das Herz eines Mannes, und vor der Ehre erniedrigt es sich (πρὸ δόξης ταπεινοῦται)“ (Prov 18,12), denn: „Der Herr widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“ (Prov 3,34)83. Auch das Motiv des Gehorsams gehört hierher und schließt unmittelbar an. Es ist in der LXX insbesondere mit der Vorstellung vom gerechten und weisen König verbunden (1 Kön 3,9/3 Kg 3,9LXX): Salomo bittet Gott im Traum (V. 5.15) um ein ‚hörendes‘, also gehorsames Herz (δώσεις τῷ δούλῳ σου καρδίαν ἀκούειν), so dass er das Volk Gottes in Gerechtigkeit richten (διακρίνειν τὸν λαὸν σου ἐν δικαιοσύνῃ …) und dabei zwischen Gut und Böse unterscheiden kann (V. 9). Gerade wegen dieser Bitte wird Salomo von Gott besonders gesegnet werden: Gott gibt ihm ein verständiges und weises Herz (καρδίαν φρονίµην καὶ σοφήν, V. 12) und schenkt ihm Reichtum und Ansehen (πλοῦτον καὶ δόξαν, V. 13) zusätzlich. Salomo wird so ein König sein, dem niemand zuvor gleichkommt (οὐ γέγονεν ἀνὴρ ὅµοιός σοι ἐν βασιλεῦσιν, V. 13). In Phil 2,6 ließe sich dieser ‚Gehorsam‘ des Königs sogar mit der Vorstellung von Christus „als Gegenbild zum Typ des sich selbst erhöhenden Herrschers“84 verknüpfen. Wirkmächtige LXX-Vorstellungen lassen sich schließlich auch im Blick auf die Motive der Selbsterniedrigung und die Haltung des Rechtsverzichts ausmachen: Das Gottesknechtslied in Jes 53 (bes. V. 8; vgl. auch Apg 8,33)
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Übersetzung nach: Septuaginta Deutsch, 940; 956; 958. S. Vollenweider, ‚Raub‘, 431 – Vollenweider weist bei seiner Deutung allerdings nicht weiter auf 1 Kön 3/3 Kg 3LXX hin. 84
3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη
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bietet sich als ein möglicher Intertext an85. In Jes 53LXX heißt es über den sog. leidenden Gottesknecht: „… Er aber wurde verwundet um unserer Gesetzlosigkeiten (διὰ τὰς ἀνοµίας ἡµῶν) willen und ist gebrechlich gemacht um unserer Sünden willen … Und er öffnet nicht den Mund, weil er misshandelt worden ist. Wie ein Schaf wurde er zur Schlachtung geführt … Durch (seine) Erniedrigung wurde sein Recht aufgehoben (ἐν τῇ ταπεινώσει ἡ κρίσις αὐτοῦ ἤρϑῃ; hebr.: …)מע ֶֹצר ֵ Aber der Herr will ihn reinigen von dem (Unglücks)schlag … Deshalb wird er viele beerben und der Mächtigen Beute (σκῦλα) als Teil erhalten, dafür, dass seine Seele in den Tod dahingegeben … wurde“ (Jes 53,5–12*LXX)86.
Die Bedeutung von Jes 53 als möglichem Intertext für Phil 2 ist ersichtlich und doch begrenzt: Paulus konzentriert sich in Phil 2 nicht auf das Leiden Christi87 oder die Sühne der Gesetzlosigkeit. Auch setzt er nicht bei Niedrigkeit oder Hässlichkeit an (vgl. Jes 52,14) – es geht ihm also nicht darum, „die dunkle, abgründige Seite des Menschseins“ darzulegen88. Vielmehr stellt Paulus die freiwillige Selbst-Erniedrigung Christi heraus: Diese Erniedrigung Christi ist in Phil 2 mit Attributverzicht, Gestaltwandel und Kreuzesgehorsam verbunden (V. 6–8). Sie führt im Ergebnis zur Erhöhung Christi durch Gott selbst (V. 9). Diese Erhöhung bedeutet nicht nur Kompensation oder Restitution. Durch die Erhöhung und die universale Verehrung (V. 9–11; vgl. auch Jes 53,10b–13) erreicht Jesus vielmehr erst
85 C. H. Talbert, Problem, 153 möchte die Kenosis und die SelbstErniedrigung vor dem Hintergrund von Jes 53 verstehen: „Both refer to the servant’s surrender of life“. Talberts Interpretation zielt darauf, 2,6–8 als formale und inhaltliche Parallelen zu lesen – seiner Meinung nach handelt der Text daher „only of the human existence of Jesus“ (ebd.). 86 Übersetzung nach: Septuaginta Deutsch, 1276 f. 87 So meint z. B. G. Theißen, Erleben, 328 f.: Phil 2,6 ff. vermittelt die „Vorbildlichkeit des Leidens“ (329, kursiv). Der Kreuzestod bedeutet hier primär Schande. 88 So meint E. Reinmuth, Anthropologie, 187.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
die Kyrios-Würde und die universale Herrschaft89, auf die er zu Lebzeiten verzichtet hat90. So bewähren sich Attributverzicht, Gestaltwandel, Selbsterniedrigung und Gehorsam im späteren ‚Erfolg‘ der Erhöhung, und so empfiehlt sich die Demut letztlich als ein attraktives christliches Ethos, das sich wie die Arete über den Tod hinaus durchsetzt (vgl. dazu schon Homer)91. Die Übung von Demut ist erfolgversprechend und dient nicht zuletzt der Durchsetzung von Gerechtigkeit und der Ehre Gottes. Wieweit können die oben angestellten Motivvergleiche also für die Frage nach der traditionsgeschichtlichen Herleitung von Phil 2,6–11 signifikant sein? Festzuhalten ist: Paulus kennt erstens aus der LXX-Tradition die Motive der Erniedrigung und des Rechtsverzichts des Gerechten sowie des Gehorsams, den der gerechte König üben will. Das im frühen Judentum geläufige Motiv der Niedrigkeit des Gerechten wird in der Verkündigung Jesu zweitens aktualisiert: Unklar ist, ob und wieweit Paulus mit diesem Logion aus der Jesus-Tradition direkt vertraut war92. In Phil 2,6–11 begegnen drittens christologische Vorstellungen, zu denen sich vergleichbare Anspielungen in den synoptischen Passionsgeschichten finden (Rechts‑ und Attributverzicht Jesu). Viertens beinhaltet das Christus-exemplum das christologische Motiv des Gestaltwandels, das insofern in modifizierter Form in Joh 1,14 wiederkehrt, als hier die Inkar89 Vgl. noch einmal ähnliche Motivik in 1 Kön 3/3 Kg 3LXX, wenn Salomo in Aussicht gestellt wird, ein König zu werden, dem niemand zuvor gleicht (V. 13). 90 Das Motiv: „… im Namen Jesu soll sich ein jedes Knie beugen“ (Phil 2,10) kehrt die Vorstellung, wie die Soldaten in zynischer Weise Jesus huldigten (vgl. Mt 27,29), um. 91 Vgl. P. Stemmer, Tugend: „In Taten und ihren Ergebnissen erweist sich die Arete, die in sozialem Prestige, Ehrungen und Ruhm, auch über den Tod hinaus, ihre begehrte öffentliche Anerkennung findet“, 1533 f. – mit Hinweis auf Od 4,725 f.815 f. etc. (a. a. O., 1545). 92 Vgl. zu Jesus-Traditionen bei Paulus zuletzt z. B.: J. Schröter, Verhältnis.
3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη
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nation des präexistenten Logos zu dessen Sichtbarwerdung in der Welt und unter den Menschen führt (vgl. auch Phil 2,7c.d). In traditionsgeschichtlicher Hinsicht sind also die Kategorien Rechts‑ und Attributverzicht, Gestaltwandel, Selbst-Erniedrigung und (Kreuzes‑)Gehorsam in verschiedenen frühjüdischen und frühchristlichen Diskursfeldern verankert. Im Dunkeln bleibt, ob und wieweit sich das Christus-exemplum in Phil 2 auf bereits zusammengesetzte (mündliche oder schriftliche) Vorformen oder geprägte christologische Traditionsstücke stützt. Im Verhältnis zu verwandten Motiven in der Jesus-Tradition und der Evangelienschreibung aber zeigt sich: Phil 2,6–11 repräsentiert eine eigenständige paulinische Momentaufnahme innerhalb einer durch pluriforme Vorstellungen geprägten Entwicklung frühchristlicher Christologie. Wichtiger als die Frage der (literarischen) Herkunft des Christus-exemplum ist für dessen Deutung ein anderer Aspekt: Welche Intention verfolgt Paulus selbst mit 2,6–11 und dessen Einbettung im literarischen Kontext? In welchem Verhältnis stehen Ethik und Christologie im Gesamtzusammenhang (2,1– 11)? Der Apostel illustriert die ταπεινοφροσύνη als ein ErfolgsEthos. So kann sie sogar für die sog. pagane Leserschaft in Philippi ihren negativen Klang verlieren. Dazu trägt nicht zuletzt die literarische Form bei93, die Paulus in seiner Beispielerzählung wählt. Denn es ist die exemplarische Rede im gehobenen literarischen Stil (genus medium), die den griechisch-römisch 93 Um auch literarisch zu unterstreichen, dass diese kurze Beispielerzählung über den Statusverzicht Christi eine ethische Funktion hat und der Begründung der christlichen Demut dient, wechselt Paulus den Stil: Mit dem Übergang vom genus humile zum genus medium kann er in noch stärkerem Maße bei den Adressaten rhetorisch gesehen den Affekt des Ethos erreichen. Vgl. H. Lausberg, Elemente, 154. Form und Inhalt sollen einander entsprechen. So möchte Paulus seine Leser günstig stimmen, und so zielt er auf deren Zustimmung zu der exemplarisch erzählten ‚Demut Christi‘, H. Lausberg, Elemente, § 69. Zum Phänomen des Stilwechsels vgl. generell: R. Brucker, ‚Christushymnen‘, 174–252.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
gebildeten Lesern ethische Vorstellungen zusätzlich plausibel macht. Ein Ethos, das in einer Erfolgsgeschichte begründet ist und mit besonderer rhetorischer Gestaltung entfaltet wird, spornt zur Nachahmung (imitatio) an94. Frühkaiserzeitliche Schriftsteller wie Cornelius Nepos (25,6,1–5) oder Josephus (BJ 4,319; vgl. auch 2 Makk 15,12) bieten entsprechende Parallelen für ebensolche paradigmatischen Erfolgs-Erzählungen. Mit Hilfe des Christus-exemplum expliziert Paulus sein sachliches Verständnis der ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3. Zugleich formuliert er einen wichtigen Grundtext für sein Konzept der ‚mimetischen Ethik‘ im Phil95. Unabhängig von der Frage, wieweit einzelne Elemente in Phil 2,6–11 bereits vorpaulinisch geprägt oder gestaltet worden sein könnten, hat sich gezeigt, dass der Textabschnitt für Paulus und seine argumentative Deutung der materia der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 unverzichtbar ist. Im Blick auf die sachliche Deutung der Demut im Phil ist also 2,1–11 in jedem Fall in seiner vorliegenden literarischen Form als ein paulinischer Text zu lesen. Bei der sachlichen Interpretation von Phil 2,6–11 können wir jetzt noch einen Schritt weiter gehen und dabei auf die zuvor angestellten Überlegungen zur Motivgeschichte der Demut zurückkommen96: Wir sahen bereits, dass die ταπειν-Semantik im staatstheoretischen Gerechtigkeitsdiskurs (Platon) beheimatet ist. In einen ähnlichen diskursiven Rahmen lässt sich das im Christus-exemplum propagierte Ethos der ταπεινοφροσύνη stellen: Es trägt ebenso zum Diskurs über die Etablierung von Recht und Gerechtigkeit in der ekklesialen Gemeinschaft bei. Um welche Art von Recht und Gerechtigkeit aber geht es? Bis hierher haben wir gesehen, dass das Christus-exemplum insbesondere die Haltung des Rechtsverzichts Christi illustriert. Die von Gott vorgenommene Erhöhung des Gekreuzigten 94
Vgl. z. B. M. B. Roller, Exemplarity. Vgl. dazu E.-M. Becker, Mimetische Ethik. 96 S.o. unter 3.2. 95
3.3. Phil 2,6–11: Christus als exemplum der ταπεινοφροσύνη
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dient der Ehrung dessen, der sich freiwillig und vorauslaufend selbst erniedrigt hat. In dieser Honorierung – und nicht im Bemühen um ‚ausgleichende Gerechtigkeit‘ – setzt sich die göttliche Gerechtigkeit durch. Hans Dieter Betz (2015) stellt Phil 2,6–11 in anderer Weise in den antiken GerechtigkeitsDiskurs: Er schlägt vor, in dem Gestaltwandel Christi einen „test of sovereign justice“ zu sehen97: Den Titel ‚Gottes-Sohn‘ kann Christus erst durch die Inkarnation in die menschliche Existenz ererben. Erst mit diesem Vorgang werden die Person Christi authentifiziert und die ἀγάπη ultimativ durchgesetzt98, und zwar so, dass sogar die Gerechtigkeit Gottes einem „test“ unterzogen wird: „It was tested by the giving up of his most precious and only son as the ultimate sacrifice imaginable. A god who even gave ‚his own‘ can be trusted to grant all of salvation“99.
Auch bei dieser Deutung wird die sachliche Differenz zwischen Phil 2 und Jes 53 (s. o.) deutlich: Der Gottesknecht leidet wegen der Gesetzlosigkeit und wird durch seine Erniedrigung rechtlos. Zwar leidet auch der selbsterniedrigte Christus am Kreuz Schande und Rechtlosigkeit. Für Paulus aber liegt der Fokus auf der Legitimierung der Person durch sein Handeln – und nicht durch sein Erleiden: Betz deutet bei dem in Phil 2,7 ff. skizzierten Handeln Christi besonders den zweiten Aspekt – den Gestaltwandel Christi in Form der Inkarnation (Phil 2,7b-d) – als Authentifizierungsbeleg für die Rechtmäßigkeit der Gottessohnschaft und den zuverlässigen Heilswillen Gottes, also als ultimative Legitimierung der Agape.
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H. D. Betz, Statement, 44. „… it is also to be held up against pagan mythical stories of divinities disguising themselves temporarily as ‚sons of gods‘ by merely putting on an ornate apparel (µορφή)“, H. D. Betz, Statement, 44. 99 H. D. Betz, Statement, 44. 98
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
In Betz’ Deutung aber kommt der Aspekt des Rechts‑ und Attributverzichts Jesu (Phil 2,6–7a) zu kurz – die folgende Deutung also legt sich näher: Christus exemplifiziert die ταπεινοφροσύνη als ‚Niedrig-Gesinnung‘ gerade darin, dass er auf die Attribute des Gottgleich-Seins, die er sich selbst noch nicht einmal in Hybris als Beute angeeignet, also geraubt hat100, proleptisch zu verzichten bereit ist, d. h. eine Haltung des vorauslaufenden Rechtsverzichts zeigt. Im Lichte antiker Hybris-Erzählungen (vgl. schon Homer) betrachtet101, stellt Paulus die Übung der Demut so als ein vorauslaufendes Mittel der Bewahrung sozialer Ordnung, ja mehr noch: als Praxis des Einzelnen zur Durchsetzung des gemeinschaftsfördernden Prinzips der Agape dar. Nach dieser, hier vorgeschlagenen Deutung zielt Paulus mit dem Christus-exemplum nicht darauf, Gottes Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit oder aber eine Ethik der Restitution von Gerechtigkeit zu skizzieren, sondern die Praxis der Niedrig-Gesinnung als vorauslaufendes Handeln zur Durchsetzung und Bewahrung der gerechten Ordnung in der Gemeinschaft werbend zu installieren (1,7.11). Nach Phil 2,6 ff. kann sich die Gerechtigkeit Gottes in Gestalt der Agape erst durch die proleptische Übung der Niedrig-Gesinnung Raum verschaffen und universal Fuß fassen.
100 ἁρπαγµός in Phil 2,6b lässt sich u. a. auch vor dem Hintergrund der antiken Hybris-Vorstellung verstehen: Hybris ist „Anlaß, daß Menschen sich übernehmen, ‚zu weit gehen‘ im Verfolgen eigener Wünsche, u(nd) Recht u(nd) Ehre der Mitmenschen mit Füßen treten. Ein solcher Übergriff war es, als Agamemnon dem Achilleus die Briseis, das rechtmäßige Ehrengeschenk aus einer Beute, wegnahm. Zweimal wird dieser Raub ὕβρις genannt … u(nd) von Achill als Affront gegen seine Ehre (τιµή) bitter verübelt … Achills Groll über seine Demütigung ‚brachte unendliche Leiden über die Achäer‘… Agamemnons Hybris zerrüttete die soziale Ordnung“, J. Procopé, Hochmut, 800 mit Verweis auf Il 1,2.203.214.355 f.; 9,648. 101 S. die vorausgehende Anm.
3.4. Der Briefeschreiber Paulus als Gefangener
107
3.4. Der Briefeschreiber Paulus als Gefangener Die paulinische Konzeption der ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3 ist situativ bedingt. Das gilt im Blick auf die Rezeption und die Produktion des brieflichen Schreibens. Paulus schreibt zum einen an Adressaten in Philippi, mit denen er nicht im Streit liegt (anders z. B. 2 Kor 10–13). Seine Überlegungen zur Demut resultieren also nicht aus Apologie oder Kontroverse, sondern ermöglichen die produktive Fortentwicklung ekklesialer Ethik. Zum anderen legt Paulus offen, dass er sich in der extern verursachten Situation der ‚Apologie‘ des Evangeliums befindet (1,7.16): Phil 2,6–11 sind vor dem Hintergrund der Gefangenschaft des Apostels zu lesen (zuerst: 1,7). In Kapitel 1 spricht Paulus mehrfach davon, „in Fesseln“ zu sein (1,7.13.14.17). Die Fesseln machen ihn unfrei. Nach eigenen Angaben hindern sie ihn aber weder daran, das Evangelium zu verkündigen, noch den Philippern zu schreiben. Womöglich lässt sich auch die Abfassung des besonderen Textes in Phil 2,6–11 im genus medium – gemeint ist das Christus-exemplum – mit der Haftsituation des Paulus in Zusammenhang bringen: Von Sokrates (vgl. dazu auch Epiktet, Diss 2,6,25–27)102 bis Bonhoeffer existieren eindrückliche Zeugnisse dafür, dass Philosophen oder Theologen gerade als Gefangene literarisch kreativ waren. Auch Paulus selbst sieht seine Missionstätigkeit – trotz und wegen seiner Haft – produktiv fortschreiten: Sogar im „ganzen Prätorium“ wurde seine Inhaftierung ἐν Χριστῷ bekannt (1,13). In Phil 4,22 schließt Paulus sein Schreiben sogar mit Grüßen von den „Heiligen … aus des Kaisers Haus“. Wo aber befindet sich Paulus? Wann schreibt er Phil 1–2? Ist die Aufforderung an die Gemeinde in Philippi, ταπεινοφροσύνη zu üben, einer bestimmten Haftsituation ge-
102
Ausführliche Belege in: E.-M. Becker, Person als Paradigma.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
schuldet? Welche Quellen – über Phil 1–2 hinaus – können uns bei der Klärung dieser historischen Fragen helfen? Nach den brieflichen Selbstzeugnissen des Paulus und den historiographischen Hinweisen in der Apg können wir insgesamt von mindestens vier verschiedenen Situationen in der Biographie des Paulus ausgehen, bei denen es zu Gefängnisaufenthalten kam: Paulus war im Zuge seiner Missionstätigkeit in Philippi (vgl. Apg 16,23 ff.), während eines mehrjährigen Aufenthaltes (vgl. Apg 19,10) in Ephesus (vgl. 2 Kor 1,8–11?) sowie – nach seiner Festnahme in Jerusalem (Apg 21,27 ff.) – in Caesarea (Apg 25,4) und schließlich in Rom (Apg 28,16 ff.) in Haft. Lassen sich Phil 1–2 mit einer Inhaftierung des Paulus an einem dieser Orte – freilich mit Ausnahme von Philippi – in einen besonderen Zusammenhang bringen?103 Die historische Kontextbestimmung von Phil 2 wirft in der exegetischen Forschung zahlreiche Fragen auf, die zugleich mit der Rekonstruktion der literarischen Genese des Briefes und seiner Datierung verbunden sind. So ist weithin umstritten, ob Paulus den ganzen Brief im Zusammenhang verfasst hat und wir infolgedessen von einer identischen Entstehungssituation unter Haftbedingungen ausgehen können – auch dann bleibt immer noch zu diskutieren, ob Paulus diesen Brief in Ephesus, Caesarea oder zuletzt in Rom geschrieben hat. Oder wir müssen mit einer späteren Briefkompilation und damit gegebenenfalls ursprünglich unterschiedlichen Schreibsituationen rechnen. John Reumann hat den letzten umfangreichen Kommentar zum Phil vorgelegt. Er schlägt vor, Phil 1,1–3,1 als einen Brief zu lesen (Brief B), der auf Phil 4,10–20 (Brief A) gefolgt sei – beide Briefe seien 54/55 n. Chr. aus ephesinischer Haft geschrieben worden; Brief C, der zumindest Phil 3,2–21 umfasst, habe Paulus dagegen etwas später (wohl 55 n. Chr.) aus 103 Zur Übersicht über die Forschungspositionen vgl. z. B. J. Reumann, Philippians, 8 ff.
3.4. Der Briefeschreiber Paulus als Gefangener
109
der Umgebung von Ephesus, nun aber nicht mehr aus der Haft heraus verfasst104. In der von Reumann vorgeschlagenen Rekonstruktion der ursprünglichen Brieffolge greifen literarkritische Beurteilungen sowie Fragen zur Datierung und Lokalisierung des Briefes / der Briefe direkt ineinander. Wir können die verschiedenen exegetischen Problemfelder an dieser Stelle nicht ausführlich diskutieren. Es sei nur zweierlei bemerkt. Unabhängig davon, ob wir an der literarischen Einheitlichkeit des Phil festhalten oder von Einzelbriefen ausgehen105, können wir Phil 1,1–2,30 oder 3,1 einem brieflichen Zusammenhang zuordnen: In dieser Bewertung stimmen alle, teils noch so stark divergierenden literarkritischen Teilungsmodelle überein106. Zweitens: Im Blick auf die Frage nach der Lokalisierung des Briefes werde ich mit einer evidenzbasierten Hypothese arbeiten. Textinterne Hinweise in Phil 1, und hier vor allem die Selbstaussagen des Paulus zu den äußeren Haftbedingungen und der inneren Befindlichkeit als Gefangener, machen eine Lokalisierung der Haft in Rom plausibel107. Die äußeren Haftbedingungen deuten auf einen Aufenthaltsort („Prätorium“) in der Nähe zur Prätorianergarde: ἐν ὁλῷ τῷ πραιτωρίῳ (1,13) bezeichnet eine Personengruppe und kein Gebäude – dafür spricht auch das nachfolgende τοῖς λοιποῖς πᾶσιν. Paulus scheint sich in einer libera custodia zu befinden, weil es ihm weiterhin möglich ist, seiner Verkündigungstätigkeit nachzugehen (1,12 ff.) – damit entspricht die Darstellung von Phil 1 weitgehend der lukanischen Schilderung der römischen Haft (vgl. Apg 28,30 f.). Auch die Hinweise auf die Haftgründe sprechen für Rom als Ort der Gefangenschaft und Abfassung von zu104 Vgl. J. Reumann, Philippians, 3 und ausführlich zur Chronologie 16–18. 105 Diese Frage wird in meiner Kommentierung des Phil ausführlich zu bearbeiten sein. 106 Vgl. etwa die Übersicht bei: L. Bormann, Philipperbrief, 267. 107 Vgl. zum Folgenden insgesamt: E.-M. Becker, Person als Paradigma.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
mindest Phil 1–2: Paulus sieht sich als Gefangener für die ‚Apologie des Evangeliums‘ (1,16). Er wartet mit Ungewissheit auf den Ausgang seines Prozesses (1,19–26) und schließt die Möglichkeit, die Philipper wieder zu besuchen, explizit nicht aus, sondern formuliert sie dreimal (1,27; 2,12; 2,24). Gleichwohl rechnet Paulus auch mit seinem (baldigen) Tod (1,20), der Leiden und Martyrium mit sich bringen wird (1,29). Paulus befindet sich kaum in einer zeitlich begrenzten Haft, sondern muss das Ende des Prozesses abwarten, das entweder zu einem Freispruch oder einer Verurteilung führt. Die Haftsituation deutet auf Rom hin. Phil 1–2 wurden also vermutlich Anfang der 60er Jahre aus Rom geschrieben. Dem entspricht auch die Beschreibung der inneren Befindlichkeit des Apostels: Paulus beschreibt sein Verlangen (ἐπιϑυµία), zu sterben und bei Christus zu sein (1,21–23). Er bringt dieses Verlangen aber nicht direkt mit seiner Haftsituation in Zusammenhang, sondern lässt die Philipper an einem inneren Konflikt teilhaben, in dem er gegen seine eigene Schwäche zu kämpfen hatte. Paulus scheint alt, vielleicht krank und lebensmüde und fordert von sich selbst die Bereitschaft, nicht seiner Christus-, also: Todes-Sehnsucht nachzugeben, sondern um der Gemeinde in Philippi wegen weiterhin am Leben bleiben zu wollen (1,21–24). Auch wenn wir hier mit einem Motiv aus der Topik der Gefangenschaftsbriefe rechnen können108, bleibt die persönliche und so auch spezifische Situation, aus der heraus Paulus schreibt, weiterhin erkennbar. Die Situation der offensichtlichen Bewährung generiert zudem ethische Überlegungen. Indem der Apostel zum Ausdruck bringt, das Gemeinwohl über seine eigenen Interessen zu stellen, macht er sich selbst zu einem Beispiel der Demuts-Haltung. Mit seiner autobiographischen 108 Vgl. dazu oben unter 3.1. die Beobachtungen zu den Gefängnisbriefen der Milena Jesenská sowie unter 2.2. zu Dietrich Bonhoeffer.
3.4. Der Briefeschreiber Paulus als Gefangener
111
narratio präsentiert sich Paulus – noch bevor er die eigentliche Ermahnung zur ταπεινοφροσύνη erteilt (2,3) und Christus zum exemplum der Ausübung von Niedrig-Gesinnung macht (2,6–11) – den Adressaten als δοῦλος im Dienst der Gemeinde. Es geht auch ihm dabei letztlich um die Bewahrung und Förderung ekklesialer Gemeinschaft, und zwar über physische Trennungen hinaus. Der situative Kontext, der auf die paulinische Konzeption der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 eingewirkt hat, ist womöglich nur indirekt durch die römischen Haftbedingungen geprägt. Nach Phil 1,19–26 leidet Paulus primär an innerer Schwäche, die physisch bedingt sein kann und/ oder auf die Ungewissheit hinsichtlich des Prozessausgangs zurückzuführen ist. Paulus rechnet mit seinem Tod und kämpft zugleich gegen seine Todessehnsucht. Indem er die Fürsorge für die Gemeinde über seine persönliche Befindlichkeit stellt und mehrfach die – mit den Adressaten zu teilende – ‚Freude‘ seiner inneren Bedrängnis (συνέχοµαι: 1,23) programmatisch entgegenstellt, charakterisiert sich Paulus letztlich selbst als ταπεινός im Sinne Christi. So konvergieren die Schilderung der persönlichen Situation des Paulus und dessen christologische Aussagen in 2,6–11 im Ethos der ταπεινοφροσύνη. Die ‚Niedrig-Gesinnung‘ ist der sachliche und ethische Brennpunkt von Phil 1–2. Sofern wir es hier mit dem zeitlich letzten Schreiben des Paulus zu tun haben sollten, ließen sich die paulinischen Überlegungen zur ταπεινοφροσύνη gar als Fragmente eines brieflichen Abschieds lesen. Dem entspricht, dass Phil 2,12–18 Elemente eines „farewell appeal“ aufweist109. Phil 1–2, also das in römischer Gefangenschaft entstandene Schreiben über die ταπεινοφροσύνη, erhält aber über die paulinische narratio (1,21 ff.) und das Christus-exemplum (2,6 ff.) hinaus noch zwei weitere Schilderungen persönlicher Beispiel109
Vgl. J. Reumann, Philippians, 405 – unter Hinweis auf Dtn 31 f.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
erzählungen. Sie begegnen in Phil 2,19–24 und 2,25–30 und beziehen sich auf Mitarbeiter des Paulus110. In Phil 2,19–24 stellt Paulus der Gemeinde den Timotheus – einen seiner engsten Mitarbeiter, der schon als Co-Sender des Briefes genannt war (1,1) – als wichtiges Vorbild für die rechte ChristusOrientierung vor Augen. Denn dieser ist ἰσόψυχος mit Paulus und kann für die Philipper sorgen (2,20). Zusammen mit Paulus ist Timotheus geübt darin, sklavisch (ἐδούλευσεν) an der Evangeliumsverkündigung zu arbeiten (2,22). Paulus hofft, ihn bald nach Philippi senden zu können (2,20.23). In Phil 2,25–30 kommt Paulus auf Epaphroditus zu sprechen, der offensichtlich von schwerer Krankheit genesen ist (2,27.30). Den Philippern ist er ein Apostel, für Paulus ein Helfer (2,25), der anstelle der philippischen Gemeinde für den Apostel Unterstützung geleistet hat (2,30)111. Epaphroditus erweist sich in seinem existentiellen und bedingungslosen Einsatz für das ‚Werk Christi‘ – in µέχρι ϑανάτου klingt sicher nicht zufällig Phil 2,8b wieder an – für die Philipper als vorbildhaft (2,30). Er hat im missionarischen Dienst sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt (παραβολευσάµενος τῇ ψυχῇ)112. Warum führt Paulus diese Beispielerzählungen zusätzlich zu der Schilderung seiner eigenen Situation und der Darlegung des Christus-exemplum in Phil 1–2 an? Worin liegt der argumentative ‚Mehrwert‘? Es geht ihm zum einen darum, bestimmte Eigenschaften seiner Mitarbeiter den Philippern als vorbildhaft vorzustellen: so etwa die ‚Gleichgesinntheit‘ und Dienstbereitschaft des Timotheus oder den grenzenlosen Einsatzwillen des Epaphroditus. Diese Eigenschaften laufen 110
Vgl. dazu M. Öhler, Mitarbeiter, bes. 248 und 250. wird in Relation zu Paulus als ἀδελφός, συνεργός, συστρατιώτης (vgl. Ausdruck auch Phlm 2) bezeichnet und gilt in Relation zur Gemeinde als ἀπόστολος, λειτουργός τῆς χρείας µου (das letzte Attribut ist zwar auf Paulus bezogen, wird aber in Relation zur Gemeinde bezeichnet). 112 Vgl. dazu A. Deißmann, Licht, 57 f. 111 Epaphroditus
3.5. Semantik des φρονεῖν im Phil
113
jedem Verhalten in Eigennutz (ἐριϑεία) zuwider (1,17; 2,3) und exemplifizieren, wie man als ‚Bruder‘ (oder Schwester) zugleich zu einem Imitator des Paulus werden kann (3,17: συµµιµηταί µου γίνεσϑε, ἀδελφοί). Zum anderen aber sollen die genannten Paradigmen die Absenz des Paulus – er selbst kann ja nur auf eine erneute künftige Präsenz in Philippi hoffen (2,24 u. ö.) – kompensieren. Speziell der Sendung des Timotheus kommt die Funktion zu, einen Boten zu schicken, der zugleich anstelle des Paulus in Philippi physisch präsent sein kann: Timotheus fungiert also nicht allein als Bote, sondern soll vielmehr, und zwar statt des Paulus für die Gemeinde sorgen können113. Mit den Beispielerzählungen in Phil 2 sucht der in Haft befindliche Paulus, die Isophronie, die er in 2,2 von den Philippern paränetisch eingefordert und in 2,5 ff. in der Christus-Orientierung begründet hatte, nun zwischen Christus, sich selbst, den Mitarbeitern und der Gemeinde herzustellen. Der gefangene Apostel zeigt sich so darum bemüht, im Modus des Briefeschreibens und durch exemplarische Erzählungen darin die Gemeinschaft (κοινωνία: schon 1,5) mit den Philippern trotz persönlicher Abwesenheit weiter zu vertiefen114. 3.5. Semantik des φρονεῖν im Phil In der antiken christlichen Literatur wird vielfach von der Demut als einer ‚Gesinnung‘ oder auch einer „magna virtus“ gesprochen (vgl. etwa Ambrosius, Ep 7,36,18)115. Die Vor113
Vgl. auch E. Lohmeyer, Philipperbrief, 114. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die entsprechende Terminologie der Gemeinschaft: συγχαίρω, εὐψυχῶ, ἰσόψυχος. Hierher leitet J. T. Fitzgerald, Philippians, seine Freundschafts-Topik besonders in Phil 1–3 ab. 115 „… non est ergo humilitas nisi sine fuco et sine fraude. Ipsa est vera quae habet piam mentis sinceritatem …“. Belege bei: C. Mayer, 114
114
3. Phil 2 – Text und Interpretation
stellung von einer Gesinnung lässt sich bereits auf Paulus und den Phil zurückführen. Die φρον-Semantik dominiert diesen Brief in einer – anders etwa als im 2 Kor – konstruktiven, nichtpolemischen Weise116: Paulus bemüht sich – anders auch als in seinen übrigen Briefen – ausdrücklich um die positive Entwicklung der Gesinnung seiner Adressaten. Mit der ταπεινο-φροσύνη bringt er die Gesinnung, die er für das Zusammenleben in einer christus-orientierten Gemeinschaft einfordert, auf einen konzisen Begriff (Phil 2,3). Das Konzept der ‚Niedrig-Gesinnung‘ umschreibt somit eine mögliche „Handlungsdimension der Christusteilhabe“117. Es erschließt sich vor dem Hintergrund, wie der Apostel in Kapitel 1–2 fortlaufend seine eigene φρόνησις und die seiner Adressaten zum Gegenstand von Lehre und Ermahnung macht. Paulus beschreibt die Gesinnungs-Haltung immer in personaler Relation. Auch die ταπεινοφροσύνη kann erst in der inter-personalen Relation der Gemeindeglieder zueinander (2,3 f.) und in deren Ausrichtung auf Christus (2,5) wirksam werden. Mit der Niedrig-Gesinnung entwirft Paulus also das Programm einer inter-personalen, ekklesialen Gesinnung, die er prozessual betrachtet: Paulus sieht erstens auf den aktuellen Status des Gesinnt-Seins von Apostel und Gemeinde (1,7), Humilitatio, 445 f. – Zum modernen Begriff der Gesinnung als Schlüsselbegriff „einer konkreten Theorie der Sittlichkeit“, der sich erst im 18. Jh. entwickelt, aber auf Luthers Übersetzung u. a. von Phil 2,5 zurückgreift, vgl. K. Stock, Gesinnung, 869 f.; vgl. auch ders., Gesinnungsethik. 116 Vgl. insbesondere Phil 1,7; 2,5; 3,15.19; 4,10. – 2 Kor ist hingegen von eher destruktiver φρον-Semantik dominiert: 2 Kor 11,1.16.17.19; 12,6.11 – die hier leitenden Begriffe ἄφρων, ἀφροσύνη begegnen dagegen in Phil – so wie auch in den meisten übrigen Paulus-Briefen (Ausnahme: Röm 2,20) – nicht. 117 U. Schnelle, Paulus, 600 (kursiv). Schnelle umschreibt den Grundcharakter der paulinischen Ethik als „Entsprechung zum neuen Sein“ (ebd.) und schlägt vor, das „Modell von Indikativ und Imperativ“ (a.a.O., 597) zur Erklärung der paulinischen Ethik aufzgeben.
3.5. Semantik des φρονεῖν im Phil
115
zweitens auf die spezifisch christus-orientierte Gesinnung als Prinzip ekklesialer Gemeinschaft (2,1 ff.) und drittens darauf, wie die Gemeinde (und letztlich auch er selbst) auf den ‚Tag Christi‘ (1,10) vorbereitet werden können. Hinter diesem prozessualen Zugriff auf die Gesinnung der Gemeinde und des Apostels steht eine „Transformationsdynamik“ (Gerd Theißen), die Paulus voraussetzt118. Die Transformation des Menschen geschieht nicht nur anthropologisch, sondern auch ethisch. Sie findet in der Gesinnung ihren Kulminationspunkt, denn die semantische Verbindung von Anthropologie und Ethik liegt im Wortfeld φρονεῖν κτλ.: Es bezeichnet die Gesinnung, „in der Denken und Wollen eine Einheit bilden“119. φρήν, φρένες („Zwerchfell“) wurde entsprechend in der griechisch-hellenistischen Welt als „Sitz geistiger u(nd) seelischer Tätigkeit betrachtet. Es ist Ausdruck der psychosomatischen Einheit des Menschen. Das Zwerchfell bestimmt Art u(nd) Stärke des Atems u(nd) damit auch den menschlichen Geist u(nd) seine Leidenschaften“120.
In Phil 1–2 reicht das semantische Inventar zur Phronesis sogar weit über die Wortgruppe φρον‑ hinaus. Paulus beschreibt mit vielfältiger Lexik die Gesinnung der an der brieflichen Kommunikation beteiligten Personen. Die Phronesis hat kommunikative, emotionale, noetische und ethisch-moralische Aspekte. In kommunikativer Hinsicht äußert Paulus seine fortlaufende Freude an der Gemeinschaft mit den Philippern und seinen Dank für gegenseitige Anteilnahme (1,3.18 u. ö.). Der 118 Vgl.
G. Theißen, Erleben, 76 ff. – Theißen greift allerdings den Verbindungspunkt, an dem Anthropologie und Ethik speziell im Phil aufeinander treffen – die Phronesis – nicht weiter auf. 119 R. Bultmann, Theologie, 215, u. a. mit Hinweis auf Phil 2,2; 3,19; 4,2.10. Im „‚fürsorglich gedenken‘“ (Phil 4,10) „tritt das Gesinnungsmoment besonders stark hervor“ (ebd.). 120 G. Bertram, φρήν κτλ., 217. – Vgl. zuletzt auch P. Aubenque, Begriff, 149 ff.
116
3. Phil 2 – Text und Interpretation
emotionale Aspekt der Phronesis knüpft hier an: Paulus legt seine Nähe zu den Philippern offen – er trägt die Gemeinde im Herzen (1,7) und ist in seinem tiefsten Innern (ἐν σπλάγχνοις) von Sehnsucht nach ihr umgetrieben (1,8). Daher berichtet er ihnen von seiner ἐπιϑυµία, seiner religiösen Sehnsucht, bei Christus zu sein (1,23). Er will davon ausgehen können, dass eine solche Emotionalität auch in Philippi herrscht (2,1: σπλάγχνα καὶ οἰκτιρµοί)121. Die emotionale Nähe des Paulus zu den Philippern wird zum Prototyp für die Nähe der Gemeindeglieder zu Paulus wie untereinander. Das emotionale Gesinnt-Sein kann durch die Haltung der Niedrig-Gesinnung weiter vervollkommnet werden (2,2 f.). Weit umfangreicher stellt sich der noetische Aspekt der Phronesis dar – er betrifft zum einen Paulus selbst: Der Apostel behält die Gemeinde im Gedächtnis (1,3). Er selbst weiß und ist zuversichtlich (πεποιϑὼς οἶδα), dass seine jetzige Situation zum Wachstum des Evangeliums beiträgt (1,25) und dass auch sein physisches Fortleben dazu ‚nötig‘ ist (1,24). Auch ist sich Paulus seiner Soteria bewusst (1,19) und bringt eine Heilsgewissheit zum Ausdruck, die er durch die Gebete der Philipper und den Geist Christi bestärkt sieht. Die noetische Dimension der apostolischen Gesinnung richtet sich auf das jetzige wie auf das zukünftige, unter Umständen eschatologische Schicksal: Paulus erwartet die Verherrlichung Christi (µεγαλυνϑήσεται) an seinem Leib (1,20), sei es in Form eines Martyriums, sei es im Rahmen der apostolischen Mission122. Jederzeit agiert Paulus in Parrhesia (ἐν πάσῃ παρρησίᾳ: 1,20)123. Der Briefeschreiber Paulus zeigt zum anderen die noetischen Aspekte in der Gesinnung seiner Adressaten auf. Er hofft da121 Nach BDR § 44229 als Hendiadyoin zu verstehen. Vgl. auch Phlm 7.12; Röm 12,1; 2 Kor 1,3. 122 Vgl. L. Scornaienchi, Sarx, 115. 123 Vgl. zum Zusammenhang von Parrhesia und Gesinnung (bei Johannes Chrysostomus): G. J. M. Bartelink, Parrhesia.
3.5. Semantik des φρονεῖν im Phil
117
rauf, dass deren Agape als Realisierungsform gemeinschaftlichen Lebens an Erkenntnis und Erfahrung (ἐν ἐπιγνώσει καὶ πάσῃ αἰσϑήσει) künftig zunimmt (1,9). Daneben soll die noetische Komponente christus-orientierter Gesinnung die Selbstwahrnehmung des Einzelnen im Verhältnis zum anderen (ἡγεῖσϑαι) umfassen: Paulus konzipiert eine Phronesis, in der die Gemeindeglieder einander für höher gestellt halten sollen als sich selbst (2,3). Vorbild dafür ist Christi eigene Selbstwahrnehmung und seine Haltung des Attributverzichts (2,6 f.)124. In ethischer Hinsicht wendet sich Paulus mit seinen Überlegungen zum Gesinnt-Sein einerseits wieder direkt an die Gemeinde: Er erwartet von den Philippern, dass sie ‚rein‘ und ‚tadellos‘ sein mögen (εἰλικρινεῖς καὶ ἀπρόσκοποι: 1,10)125. Das ‚Ethos christlicher Gemeinschaft‘ kann so dem ‚Lob Gottes‘ (1,11: εἰς δόξαν καὶ ἔπαινον ϑεοῦ) dienen, also gewissermaßen der Durchsetzung der ‚Tugendhaftigkeit‘ Gottes zugutekommen126. Andererseits bedenkt und bewertet Paulus die missionarische Gesinnung seiner Mitstreiter: So wie er selbst trotz Gefangenschaft unbeirrt von der προκοπή der missionarischen Verkündigung ausgeht (1,12), sind auch seine Mitarbeiter überwiegend zuversichtlich (πεποιϑότας), ja sie sehen sich sogar ermutigt (τολµᾶν), ‚ohne Furcht‘ (ἀφόβως) zu verkündigen (1,14), weil sie von Agape geleitet (1,16) und im Sinne der ‚Wahrheit‘ tätig (1,18: ἀλήϑεια) sind. Dem stehen diejenigen gegenüber, die von Neid, Streitsucht, Eigennutz und mangelnder Lauterkeit getrieben (1,15.17: διὰ φϑόνον καὶ ἔριν … ἐξ ἐριϑείας … οὐχ ἁγνῶς) sind. Sie verkündigen Christus nur zum ‚Schein‘ (1,18: πρόφασις), sind aber trotzdem geduldet (1,18: τί γάρ;)127. Dass deren missionarisches Ethos aber grundsätzlich mangelhaft ist, 124
S. dazu oben ausführlich unter 3.3. Ἀπρόσκοπος sonst nur im NT: 1 Kor 10,32; Apg 24,16. 126 Im Blick auf Gemeindeparänese wird in Phil 4,8 ἔπαινος mit ἀρετή verbunden, d. h. ἔπαινος steht für allgemeine Anerkennung (s. o. unter 1.3.). 127 Vgl. ein ähnliches Motiv in Mk 9,40. 125
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
lässt sich auch daran ablesen, dass sie dem gefangenen Paulus ‚Anfechtung‘ bereiten (ϑλῖψις, 1,17). Paulus unterscheidet deutlich zwischen ‚wahrhaftiger‘ Christus-Verkündigung und einem Missionseifer, der nur zum ‚Schein‘ geschieht. Daher verlangt der Apostel Verifikation128. Mit den genannten Begriffen skizziert Paulus unter den Bedingungen seiner Gefangenschaft in einigen Federstrichen die Phronesis ‚christlicher Gemeinschaft‘ sowie speziell die Gesinnung ‚missionarischer Arbeit‘, der seine Mitarbeiter verpflichtet sind. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Ethos der ταπεινοφροσύνη zu, das Paulus in 2,3 begrifflich präzise benennt? Wird es der Konzeption christlicher oder missionarischer Gesinnung als ‚Zusatz‘ beigefügt? Bezieht es sich im Kontext konkret auf die Abwehr von Prahlerei?129 Oder bildet es letztlich die Summe aller christlichen Ethik – in der Gemeinde wie in der Missionsverkündigung? Worin genau liegt die Funktion der ‚NiedrigGesinnung‘? Wer soll Demut üben? Folgen wir Phil 2,2 f. so sieht Paulus in der ταπεινοφροσύνη das geeignete Instrument zur Vervollkommnung der Gemeinschaft der Christus-Glaubenden: Diese sollen ihre Gesinnung an einander angleichen, also identisch machen: τὸ αὐτὸ φρονῆτε … (2,2). Welche Art von einer fortzuentwickelnden Phronesis als Gesinnung steht Paulus hier vor Augen? Der Apostel fordert von den Philippern ein τὸ ἓν φρονοῦντες (2,2), ein ‚Eins-Gesinnt-Sein‘, eine Henophronesis bzw. eine Isophronie, die für den Einzelnen (ἕκαστος) im Leben der Gemeinschaft gilt. Wie aber ist diese Gesinnung zu erreichen? Sie lässt sich – so Paulus – dann realisieren, wenn das Gesinnt-Sein untereinander (φρονεῖτε ἐν ὑµῖν) auf das Gesinnt-Sein in der Gemeinschaft mit Christus (ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) hin akkom128 129
Zu diesem Begriff: H. D. Betz, Introduction, 16. So angedeutet bei E. Lohmeyer, Philipperbrief, 87.
3.5. Semantik des φρονεῖν im Phil
119
modiert wird (2,5). Zugleich expliziert das Christus-exemplum das Wesen und die konkreten Handlungen der Niedrig-Gesinnung: Es beruht in Attributverzicht, Gestaltwandel, Selbsterniedrigung und Gehorsam130. Die an Christus orientierte Niedrig-Gesinnung bereitet die Erhöhung und Verherrlichung (Phil 3,21) – nämlich göttliches Handeln – an der Gemeinschaft der Glaubenden vor. Für Paulus steht dazu offenbar nicht in Widerspruch, dass zugleich der Selbst-Ruhm der Philipper wachsen solle (1,26). Wie im paulinischen Wirken (s. 2 Kor 10–13)131 kann auch im Leben der Gemeinde eine ekkesial verantwortete ‚Hybris‘ durchaus von Bedeutung sein. Das gilt insbesondere für deren Kommunikation mit Paulus (Phil 1,26) und mit der Außenwelt. Soweit haben wir die paulinischen Überlegungen zur Phronesis in Phil 1–2 als umfassende Beurteilung und Ermahnung der ‚Gesinnung‘ der Philipper beschrieben: Wir haben ihr kommunikative, emotionale, noetische und moralisch-ethische Aspekte beigemessen. Wie aber fassen wir das φρονεῖν, wenn wir es auf einen theoretischen Begriff bringen wollen? Zielt Paulus mit seinen Ermahnungen zum rechten φρονεῖν und zur ταπεινοφροσύνη im modernen Sinne des Begriffs der ‚Gesinnung‘ auf die Entwicklung der „Sittlichkeit“, d. h. auf die „die Person bzw. eine Gemeinschaft von Personen beseelende Intentionalität“ ihres Handelns (Phronesis als ‚Gesinnung‘)?132 Wir würden die paulinische Demut so in ein modernes ethisches Konzept überführen, sie aus ihrem brieflichen Kontext lösen und zu einem ‚ethischen Modell‘ machen. Diese – und andere – Konzeptionalisierungen kommen aber schnell an ihre Grenzen. So werden wir später sehen, dass das paulinische φρονεῖν noch in eine andere Richtung zu interpretieren ist. Es lässt sich nämlich einem weiteren Diskursfeld, 130
S. dazu oben unter 3.3. S. dazu unten unter 4.2. 132 So die Definition von Gesinnung bei K. Stock, Gesinnung, 870. 131
120
3. Phil 2 – Text und Interpretation
das in der Antike selbst liegt, zuordnen: der seit Platon und Aristoteles geführten Debatte über die ‚Klugheit‘ als Tugend133. Verstehen wir die ταπεινοφροσύνη also erst dann sachgemäß, wenn wir sie als christliche Klugheit bzw. im aristotelischen Sinne als einen „praktischen Habitus“ oder eine praktische „Verstandestugend“ deuten (Phronesis als Tugend)?134 Die paulinische Vorstellung von der Niedrig-Gesinnung lässt sich, so scheint es, einerseits mit einem modernen (‚Gesinnung‘) Konzept und andererseits mit einem antiken (Klugheit als Tugend) Diskurs in Zusammenhang bringen. Dabei sind allerdings die jeweiligen Rückwirkungen auf die Interpretation von Phil 2 kritisch zu bedenken. Sobald wir den Begriff der Demut bei Paulus konzeptionell mit antiken oder modernen Diskursen verknüpfen, werden wir die Textauslegung entscheidend beeinflussen, ja steuern. Wir müssen also fragen, wo genau dann die sachlichen Differenzen bei unserer Interpretation der paulinischen Phronesis liegen. Auf diese Fragen werden wir erst zurückkommen können, wenn wir zuvor die Beobachtungen zur paulinischen Konstruktion der ‚NiedrigGesinnung‘ im Phil und darüber hinaus vorläufig zum Abschluss gebracht haben135. 3.6. Semantik der Niedrigkeit im Phil So wie das Wortfeld φρον‑ Teil eines größeren semantischen Inventars ist, das im weiteren Sinne der Explikation der Gesinnungs-Haltung dient, bildet auch die ταπειν-Semantik – wie schon Adolf Bonhöffer angedeutet hatte136 – letztlich nur 133
Vgl. dazu unten unter 5.1. die Definition der aristotelischen Phronesis bei P. Aubenque, Begriff, 42; M. Becker, Klugheit, 98. 135 Vgl. dazu unten unter 5.4. 136 Vgl. A. Bonhöffer, Epiktet, 65 – s. dazu oben ausführlicher unter 2.1. 134 So
3.6. Semantik der Niedrigkeit im Phil
121
einen Ausschnitt in einem semantischen Feld, in dem unterschiedliche Haltungen und Handlungen der ‚Niedrigkeit‘ mit variierender Lexik zum Ausdruck gebracht werden. Ähnliches ist in Phil 1–2 zu beobachten. Schon im Präskript bezeichnen Paulus und Timotheus sich als δοῦλοι Χριστοῦ (Phil 1,1). Damit wählen die Absender des Briefes eine Selbstbezeichnung, die später im Briefcorpus im Blick auf Timotheus terminologisch wiederkehrt (2,22) und im Blick auf Paulus (1,12 ff.) und sogar Epaphroditus (1,30) narrativ entfaltet wird. Die Selbstbezeichnung als δοῦλος ruft gemein-antike Assoziationen von dem unfreien, also niedrigen Status der Sklaven auf (vgl. auch 1 Kor 12,13; Gal 3,28)137. Diese Stellung kann aber deswegen keine Schande sein, weil sie in der Nachfolge des Christus steht, der schon in seiner Verkündigung dem ‚Sklaven‘ neue Verantwortung zugewiesen hatte (Q 12,42 = Lk 12,42par.: δοῦλος φρόνιµος) und in seinem Wirken sogar selbst die Rolle eines δοῦλος angenommen hat (2,7b), um der Gerechtigkeit und Ehre Gottes zur Durchsetzung zu verhelfen. Im brieflichen Proömium, einer Danksagung (1,3 ff.), wechselt Paulus in die 1. Person Singular. Hier schildert er seine gegenwärtige Situation als ἔν τε τοῖς δεσµοῖς (1,7; vgl. auch 1,13 f.17). Auch dabei stehen der Freiheitsentzug und die allgemein bekannte (vgl. Epiktet, Diss 2,6,25 ff.) Schändlichkeit des Ortes, an dem Paulus „zur Apologie des Evangeliums liegt“ (1,16), im Vordergrund der Schilderung: κεῖµαι unterstreicht die von Paulus selbst empfundene Niedrig-Stellung138, 137 Vgl. G. Alföldy, Sozialgeschichte, 179 ff.; E. Ebel, Sklave, 80 ff. – S. dazu auch ausführlicher unter 4.1. – Die Rolle der Sklaven ist dauerhaft ein grundlegendes Thema in der römischen Sozial‑ und Wirtschaftsgeschichte, vgl. z. B. H. Schneider (Hg.), Sozial‑ und Wirtschaftsgeschichte. 138 Wieweit die Beschreibung des inneren Empfindens den äußeren Umständen der Haft (s. dazu oben unter 3.4.) entspricht, ist in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung.
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
die sein Aufenthaltsort mit sich bringt. Dem stellt Paulus die semantisch konträre Hoffnung gegenüber, dass Christus am Leib des Apostels „groß gemacht“ werde (1,20). In 2,1–4 entfaltet Paulus seine Vorstellung von der NiedrigGesinnung (ταπειν‑) der Einzelnen in der Gemeinde. Sie nimmt Maß an der Selbsterniedrigung Christi (2,8), der ‚Gott gleich‘ war (ἴσα ϑεῷ), so wie Timotheus gleichgesinnt mit Paulus ist (ἰσόψυχον, 2,20). In Phil 1–2 beschreibt Paulus mit Hilfe der Niedrigkeits-Semantik vertikale Bewegungen im ekklesialen Raum in den Prozessen von Erhöhung und Erniedrigung. Paulus steht dabei ein vertikaler Wechsel vor Augen, der erst vor einer vorausgesetzten Gleichheit seine eigentliche Dynamik entwickeln kann. So resultieren Gemeinschaft (κοινωνία), ‚Einheit‘ und Henophronesis in der Gemeinde aus der Haltung der ‚Niedrig-Gesinnung‘, die bereits die Bereitschaft zum GleichSein impliziert. Der persönliche Ausdruck für die ekklesiale Übung der Demut ist die Höher-Schätzung der Belange der jeweils anderen Person: ὑπερέχοντας (2,3) fungiert als eine semantische Opposition, zugleich als konvergierender Begriff zur Haltung des ταπειν-. Auch in 2,6–11 verwendet Paulus mehrfach Lexik der Niedrigkeit und Schande: Dazu zählen neben der selbstgewählten Sklaven-Gestalt Christi (s. o.) besonders sein Kreuzestod (2,8c) und sein Gehorsam (2,8b: ὑπήκοος, ὑπακοή). Wir haben es hier wieder mit einem Begriff aus dem Bereich der ‚Raummetaphorik‘ zu tun: Auch ὑπακούειν bringt eine vertikale Kommunikationsstruktur zum Ausdruck. Es setzt eine „Über‑ und Unterordnung“ voraus und beschreibt primär die kommunikative Haltung Untergebener, so auch der Sklaven (vgl. auch Röm 6,16)139. Diese Form des Gehorsams sollen auch die
139 G. Kittel, ἀκούω κτλ., 224. Vgl. zur Unterordnung von Kindern, Sklaven, Ehefrau auch Eph 6,1.5; Kol 3,20.22; 1 Petr 3,6.
3.6. Semantik der Niedrigkeit im Phil
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Philipper gegenüber dem Apostel und seiner Botschaft üben (2,12: ὑπηκούσατε). Die Niedrigkeits-Semantik in Phil 1–2 kommt in den Bereichen von Apostolatstheologie, Christologie und Ekklesiologie zum Tragen: Das semantische Feld betrifft also erstens die persönliche Situation des Paulus in Gefängnishaft, seine ‚berufliche‘ Stellung als Apostel Christi sowie die Haltung und Aktivität seiner Mitarbeiter (Timotheus und Epaphroditus). Es umschreibt zweitens Christi vorbildhafte, freiwillig gewählte Haltung und Übung der Demut. Und es soll drittens die ekklesiale Haltung und Gesinnung der Gemeinde neu definieren. Paulus verwendet die Niedrigkeits-Semantik in Phil 1–2 nicht, um das „Prinzip der egalitären Reziprozität“140, sondern um eine vertikale Interaktionsstruktur zu etablieren. Es geht dem Apostel dabei nicht wie den Verfassern der pseudepigraphen paulinischen Haustafeln (vgl. Eph 6,1 ff.; Kol 3,18 ff.) darum, soziale Hierarchien zu schaffen oder zu legitimieren – diese würden ja gerade vertikale Wechsel-Bewegungen im Raum der Gemeinde unmöglich machen. Vielmehr propagiert Paulus eine Einheit in der Gemeinde, die zugleich Gemeinschaft mit dem Apostel und mit Christus bedeutet. Er veranschaulicht sie, indem er vertikale Dynamisierungsprozesse darstellt und fordert: Erst die fortwährende Haltung und Übung der Niedrig-Gesinnung stiften dauerhaft 140 M. Wolter, Paulus, 323 (teils kursiv). Michael Wolter beschreibt so die „Eigenart der paulinischen Paränese“ (ebd.). Mit dieser Beschreibung wird allerdings das Wesensmerkmal der ταπεινοφροσύνη verkannt. Denn die Perspektive des Paulus im Phil auf eine kommunitäre Ethik ist durchgängig vertikal, nicht horizontal angelegt: Niedrig-Gesinnung realisiert sich in der Höher-Achtung des jeweils Anderen (Phil 2,3). Die Erniedrigung Christi führt zu seiner Erhöhung (Phil 2,8 f.). Sogar die eschatologische Hoffnung des Paulus richtet sich auf die Verwandlung des niedrigen Leibes in die christus-konforme, d. h. erhöhte eschatologische Existenz (Phil 3,21) bzw. auf die individuelle Auferstehung aus dem mit Christus geteilten Todesschicksal (Phil 3,10 f.).
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3. Phil 2 – Text und Interpretation
Henophronesis und Einheit, da sie ein dynamisierter Ausdruck von Agape sind und in der Nachfolge Christi stehen. Christus und auch der Apostel sind ein Beispiel für diese Haltung und Übung von Niedrigkeit. Die vertikalen Interaktions‑ und Dynamisierungsprozesse treten durch deren semantische Oppositionen, also Gleichheit und die Vorstellung von Erhöhung, in Kraft.141 Innerhalb der Gemeinde existiert ‚Niedrig-Gesinnung‘ somit als von allen gleichermaßen gelebter vertikaler Interaktionsprozess in inter-personaler Relation und immer relativ zur Ausgangssituation. Das Christus-exemplum allerdings zeigt die faktische Bandbreite der Niedrig-Gesinnung: Der, der sogar mit Gott gleich war, hat ‚unter den Menschen‘ mit seinem Tod absolute Niedrigkeit geübt (2,8b). Speziell der Kreuzestod (2,8c) stellt noch einmal die ultimative, nämlich niedrigste Form der SelbstErniedrigung dar. Paulus hält es nicht für ausgeschlossen, dass zumindest auch ihm diese Form der äußersten Niedrigkeit bevorsteht (3,10 f.). Demut und Tod stehen in Phil 2,6–11 und darüber hinaus in einem direkten Zusammenhang142. Zugleich aber rückt der Apostel den gemeinschafts-stiftenden Aspekt der Niedrigkeit in den Vordergrund (κοινωνία, 3,10). Im Phil stellt Paulus zudem heraus, dass die Haltung und Übung der Niedrigkeit freiwillig gewählt ist: Der Rechts‑ und Attributverzicht Christi (2,6 f.) wie auch die gegenwärtige Lebenshaltung des Apostels (τί αἱρήσοµαι …, 1,22; vgl. auch 3,7 ff.) exemplifizieren diese Freiwilligkeit und spornen so die Gemeinde an, Christus und Paulus zu imitieren143. 141 Das Modell, das Paulus in Phil 1–2(f.) vertritt sieht also folgendermaßen aus: Gleichheit – Demut – Einheit – (gemeinsame) Erhöhung. 142 Vgl. dazu auch unten unter 3.7. und unter 7.3. 143 Im Unterschied etwa zu Gal (1,10 ff.) beschreibt Paulus im Phil seine Rolle, Aufgabe und gegenwärtige Situation nicht als determiniert, sondern weitgehend als selbst gewählt.
3.7. Demut und Tod
125
3.7. Demut und Tod: Die ταπεινοφροσύνη in Lehre und Paränese Die Ermahnung des Paulus zur Demut in Phil 2,3 steht in paränetischem Zusammenhang144. Die paränetische Rede setzt bereits in 1,27 ein. Wie weit aber reicht sie? Ist die Erzählung über die Selbst-Erniedrigung Christi (2,6–11), die zu seinem Tod am Kreuz führt (2,8), noch Teil der paulinischen Paränese? In diesem Fall würde Paulus im Christus-exemplum konkret darlegen, wie Demut zu üben sei: Bei der Übung von Demut würde Nachfolge Christi somit einen gewaltsamen Tod notwendig beinhalten, wie ihn auch Paulus für sich selbst in Form eines Martyriums nicht ausschließen kann (Phil 1–3). Ist so auch die angebliche „Todessehnsucht des Märtyrers“ Paulus zu erklären?145 Ermuntert oder ermahnt der Apostel mit seiner Forderung von Demut also letztlich zum christlichen Martyrium? Um den argumentativen Zusammenhang von Phil 2,1–11 beschreiben zu können, müssen wir die Textpragmatik und ‑funktion von V. 3 und V. 8 genau betrachten. Die Frage ist: Wie sind die Abschnitte von „exhortation“ und „christological foundation“ miteinander verbunden?146 Auf der Textoberfläche endet die paränetische und imperativische Rede erkennbar nach 2,5. Sie wird erst in 2,12 wieder aufgenommen. 2,6–11 fungiert so gesehen wie ein Exkurs. Dieser kann besonders wegen seines literarischen Stils als selbständiger Textabschnitt gelesen werden. Der Exkurs ist jedoch dem paränetischen Argumentationsgang in 1,27 ff. gleichzeitig so bei- oder übergeordnet, dass in auffälliger Weise Textkohäsion entsteht: So 144
Vgl. dazu auch oben unter 3.1. E. Lohmeyer, Philipperbrief, 159. 146 So J. W. Thompson, Formation, 106. – Ähnlich Fragen zur Interdependenz von „exhortation“ und „theoretical argumentation“ stellt die gegenwärtige Epiktet-Forschung, vgl.: J. Wildberger, Paraenesis, z. B. 431 mit Blick auf Diss 1,4,28–32. 145
126
3. Phil 2 – Text und Interpretation
lässt sich ἴσα ϑεῷ (V. 6c) als Verweis auf τὸ αὐτὸ φρονῆτε (V. 2) lesen. Darüber hinaus erschließt sich die Textbedeutung von 2,6–11 aufgrund semantischer und syntaktischer Elemente der Kohäsionsbildung: 2,6–11 exemplifizieren erstens die Haltung und Übung der Demut narrativ, indem ἐταπείνωσεν in V. 8 anaphorisch die ταπεινοφροσύνη von V. 3 wieder aufnimmt. Zweitens greift der relativische Anschluss in V. 6 (ὅς) das Dativobjekt von V. 5 anaphorisch wieder auf: V. 6 ff. führt also narrativ den personalen Bereich dessen aus, woran die ekklesiale Haltung der Demut Maß nehmen soll (Χριστὸς Ἰησοῦς). Wie dieser Christus Demut praktizierte, wird im Christus-exemplum dann beispielhaft, d. h. in Bezug auf den spezifischen „cursus honorum“ des Gott-Gleichen erzählt. Trotz semantischer Kohäsionsmerkmale ist in Phil 2,1–11 zwischen paränetischer (2,3) und lehrender oder epideiktischer Rede (2,8), die der Exemplifizierung dient, deutlich zu unterscheiden. Lexik und Semantik generieren zwar Sinneinheiten, bewirken aber keine konsistente Textpragmatik. Auch jenseits von Kap. 2 verwendet Paulus im Phil die ταπειν-Semantik in textlichen Zusammenhängen, die jeweils unterschiedliche Textfunktion haben. Weder 3,21 noch 4,12 fungieren als Paränese: 3,21 steht im Zusammenhang von (polemisch vorgetragenen) Warnungen147; in 4,12 stellt Paulus seine eigene Haltung des Niedrig-Seins in Form einer Danksagung oder eines Lobes der Philipper dar148. Phil 2,1–11 geben weder Anlass, die Demuts-Haltung Christi als Haltung eines Märtyrers zu verstehen – vielmehr verifiziert der gewaltsame Tod des ursprünglich Gott-Gleichen die äußerste Niedrigkeit Jesu –, noch fordert der Text paränetisch 147 Vgl. E. Lohmeyer, Philipperbrief, 150 ff.; U. B. Müller, Brief, 144 ff.; J. Reumann, Philippians, 17. 148 Vgl. E. Lohmeyer, Philipperbrief, 178; U. B. Müller, Brief, 202 ff.; J. Reumann, Philippians, 17. Reumann rechnet 3,21 allerdings Brief C (3,2–21) und 4,12 Brief A (4,10–20) zu (ebd.).
3.7. Demut und Tod
127
eine Nachahmung des Todesschicksals Jesu ein. Paulus wählt das Christus-exemplum, um die Haltung der Demut ethisch zu illustrieren. In diesem Zusammenhang verweist er auf den Tod Jesu als Beispiel – der Vergleichspunkt liegt in Attributverzicht, Gestaltwandel, Selbst-Erniedrigung und Gehorsam Christi. Paulus wertet den Tod Jesu also ethisch „in der Wirkung auf den Menschen“149, die in Phil 2 in der exemplifizierenden Anschauungskraft geübter Niedrig-Gesinnung besteht. Auch die Geschichte der christlichen Martyrologie bietet keinen erkennbaren Hinweis darauf, dass Phil 2,3.8 als paulinische Aufforderung zu einer Demut, die sich speziell als Nachfolge Christi und des Paulus im Martyrium realisiert, verstanden worden wäre. Als Gesinnung darf die Demut einem Christen, der sich im Martyrium befindet, zwar nicht abgehen. Märtyrer orientieren sich in ihrem Leiden an Christi Haltung des Attributverzichts, wie sie in Phil 2,6 ff. dargelegt ist (vgl. Mart Pol 1,2; Mart Lyon 2,2; Ep Phil 2 [Eus]; Ep Phil 2 [Ruf ])150, suchen aber nicht ihrerseits unter Verweis auf Phil 2 ihren gewaltsamen Tod. Für den Märtyrer verheißt der gewaltsam zu erleidende Tod in erster Linie Gemeinschaft mit Gott und Anteilhabe an der Auferstehung Christi (vgl. auch Phil 3,11). Gemeinschaft der Leiden bedeutet letztlich Gemeinschaft des Trostes (vgl. 2 Kor 1). Der „Leib der Niedrigkeit“ ist dabei abzulegen (vgl. Phil 3,21). In seiner „Exhortatio ad martyrium“ stellt Origenes paradigmatisch die soeben genannten und sogar noch weiterführende theologische und ethische Begründungen für das christliche Martyrium dar: so etwa die Möglichkeit des Sich-Rühmen-Könnens oder die Aussicht auf Erhöhung. Dabei kommt Origenes allerdings in keiner Weise auf eine mögliche Forderung nach Demut zu sprechen, die sich auf Phil 2 berufen könnte. 149
So schon P. Feine, Theologie, 198. bei H. Musurillo, Acts, 2, 83, 321, 325. Vgl. zuletzt: H. R. Seeliger /W. Wischmeyer (Hgg.), Märtyrerliteratur, u.a. 47 ff. 150 Texte
128
3. Phil 2 – Text und Interpretation
Wir bewegen uns beim Martyrium einerseits und der Demut andererseits in erkennbar verschiedenen altkirchlichen Diskursfeldern151: Im antiken Christentum ist der Diskurs über Demut grundsätzlich mit Fragen zur Gestaltung christlicher Gemeinschaft und individueller Frömmigkeit, nicht aber zum künftigen Schicksal des Einzelnen verbunden. So kann der gewaltsam zu erleidende Tod auch nicht die notwendige Form, Demut im Sinne der Christus-imitatio zu üben, sein – wohl aber lässt die Haltung christus-orientierter Demut eine Leidens-Gemeinschaft mit Christus, die bis zum gewaltsamen Tod führen kann, möglich werden. Im antiken Christentum findet der Demuts-Diskurs daher letztlich im Mönchtum seinen geeigneten Sitz im Leben. Die enge sachliche Bindung der ταπεινοφροσύνη an das gewaltsame Todesschicksal Christi, das möglicherweise bevorstehende Martyrium des Apostels und die Sorge um die Einheit der ekklesialen Gemeinschaft, die Paulus besonders in Phil 1–2 vornimmt, erfährt weder in der altkirchlichen DemutsLehre noch in der Martyrologie eine Fortsetzung. Gefährlichen ethischen Weichenstellungen wird so vorgebeugt. Denn auch wenn Paulus selbst – wie gesehen – in Phil 2,1–11 zwischen Ermahnung und Lehre unterscheidet, so könnte die komplexe ethische Gesamtkonzeption des Paulus ein problematisches Gedankenexperiment anregen: das Martyrium als Einübung von Demut. Spätere Interpreten sind diesem Gedankenexperiment – glücklicherweise – nicht gefolgt. Ebenso wenig wird im frühesten christlichen Dokument, das offenbar das Thema Martyrium aufgreift, im 1 Clem152, Paulus als Beispiel für Demut angeführt: In einem Schreiben, das sich 151 Ähnlich spricht E. Mühlenberg, Lebensführung, 77 ff. von verschiedenen ‚Mustern christlicher Lebensführung‘ und unterscheidet hier: Märtyrer, Virginität und Demut. 152 Vgl. J. W. van Henten/F. Avemarie, Death, 88 f.
3.7. Demut und Tod
129
ansonsten umfänglich mit dem Begriff der Demut befasst153, wird die durch das Martyrium verifizierte Lebensleistung des Paulus als „Herold im Osten wie im Westen“ (κήρυξ)154 gerade nicht mit ταπεινοφροσύνη, sondern mit Geduld (ὑποµονή) umschrieben (1 Clem 5,5 f.). Schon Ende des 1. Jhs. also wird das mögliche Gedankenexperiment, einen gewaltsamen Tod und die Übung von Demut im Rückgriff auf Phil 2 ethisch zu verknüpfen, für die Person des Paulus selbst verworfen. Die Beobachtungen zu der besonders in textpragmatischer Hinsicht zu differenzierenden semantischen Nähe von Demut und gewaltsamem Tod bzw. Martyrium erweisen sich nicht nur für die Textauslegung von Phil 2 als grundlegend. Sie tragen auch dazu bei, martyrologische Deutungen des Phil – wie Lohmeyer u. a. sie angeregt haben – insgesamt kritisch zu hinterfragen und zurückzustellen. Denn als hermeneutischer Schlüssel zu Phil 1–2 führt der Begriff der Demut konzeptionell in eine andere Richtung – eher weg von jeder Martyrologie. Als ein zentrales Wesensmerkmal christlicher Identität verdrängt die Demut konzeptionell Ansätze einer Märtyrer-Theologie. Der Christus Nachfolgende kann sich wohl in einzelne Aspekte der jesuanischen Haltung der Demut, etwa in den Attributverzicht, nicht aber in das Todesschicksal Jesu einüben. Das besagt aber nicht, dass gerade diejenigen Theologen, die die Bedeutung des Begriffs der Demut entscheidend geprägt haben (Paulus, Bonhoeffer, Lohmeyer), nicht selbst zu Märtyrern wurden. Demut und Martyrium sind als Ausdrucksformen christlicher Existenz schicksalhaft verbunden. Die theologischen Kontexte und Begründungen aber sind verschieden. Diese Einsicht erweist sich als zentral, wenn wir die (europäische) Christentumsgeschichte einer umfassenden kulturellen und religiösen Identitätsanalyse unterziehen155. 153
Vgl. dazu unten unter 6.7. Übersetzung nach: A. Lindemann, Clemensbriefe, 36. 155 S.o. unter 1.2. 154
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm Die paulinische Rede über die ταπεινοφροσύνη in Phil 2 ist situativ veranlaßt. Sie hat im Rahmen eines Abschiedsschreibens an die Gemeinde in Philippi ultimativen Charakter und bleibt zugleich fragmentarisch. Der paulinische Begriff der Demut wird somit nicht umfassend oder abschließend konzipiert. Zugleich aber ist die ταπεινοφροσύνη in Phil 2 kein punktuelles paulinisches Gedankenexperiment – sie ist vielmehr Teil einer längerwährenden Beschäftigung des Paulus mit Demuts-Vorstellungen, wie sie bereits in 2 Kor und Röm zum Ausdruck kommen. Im Folgenden werden wird die entsprechenden Texte aus dem Corpus Paulinum, die zeitlich vor dem Phil entstanden sind, im Einzelnen betrachten und dann auch fragen, ob und in welcher Weise sich bei den hier formulierten verschiedenen Vorstellungen von Demut eine ‚Entwicklung‘ im paulinischen Denken erkennen lässt. 4.1. Paulus als δοῦλος: Autobiographie und Integrität der Person In Phil 1,1 wie auch in Röm 1,1 (vgl. ähnlich Gal 1,10) bezeichnet sich Paulus in der superscriptio als ein δοῦλος Χριστοῦ. So deutet er in metaphorischer Form die Unterordnung unter seinen Kyrios, der seinerseits erst als solcher akklamiert wurde, nachdem er selbst zuvor die Rolle eines Sklaven frei gewählt hatte (Phil 2,7b). Es handelt sich bei der paulinischen Bezeichnung als δοῦλος Χριστοῦ nicht nur um die Darstellung einer
4.1. Paulus als δοῦλος
131
Mittlerschaft, die an LXX-Sprache angelehnt ist1, sondern vielmehr um eine programmatische Form religiöser Selbststilisierung (self-fashioning)2 im Rahmen autobiographischer Rede. Paulus stellt darin sein ‚öffentliches Selbstbewusstsein‘ als Apostel dar, das im ‚realen Chronotop‘ der ekklesialen Gemeinschaft der Christus-Glaubenden seinen Haftpunkt findet3. Im Phil ist die religiöse Selbststilisierung als δοῦλος dem semantischen Feld der ‚Niedrigkeit‘ zugeordnet4. Paulus integriert im Phil die Selbststilisierung im Präskript in ein umfassendes ethisches Konzept, das aus der Situation der Gefängnishaft seine Aktualität bezieht. Paulus selbst wird dadurch zum Vorbild von ‚Niedrigkeit‘. So kann er auch von den Philippern eine religiöse, am Vorbild Christi orientierte Haltung und Übung der ‚Niedrig-Gesinnung‘ fördern. Das Ziel liegt darin, die Einheit in der Gemeinschaft in Philippi und mit ihm in der räumlichen Distanz zu fördern. Die narrative Selbstdarstellung als ‚Sklave‘ geht im Phil also über die Selbststilisierung im Präskript hinaus. Paulus macht besonders in Kap. 1–2 deutlich, wie seine Haltung der ‚Niedrig-Gesinnung‘ für die Philipper eine paradigmatische Funktion hat. Die Orientierung an Paulus hilft letztlich bei der Orientierung an Christus. Die Selbstinszenierung des Paulus als Sklave verrät zugleich Wesentliches über den brieflichen Charakter des Phil. Das wird besonders im Vergleich mit den vorhergehenden paulinischen Schreiben deutlich: In der korinthischen Korrespondenz spielt die Selbststilisierung als δοῦλος im Präskript keine Rolle. Im Röm dagegen setzt sich Paulus bereits einleitend ausführlich mit der ‚Sklaven‘-Existenz auseinander. Wie lassen sich die 1
So zuletzt bei der Analyse von Röm 1,1: M. Wolter, Brief, 79 f. dazu auch O. Wischmeyer, Romans 1:1–7, 136. In Phlm, wo Paulus das soziale Geschick des Sklaven Onesimus thematisiert (V. 16), bezeichnet sich Paulus selbst gerade nicht als δοῦλος. 3 Vgl. dazu: M. M. Bachtin, Chronotopos, 56–73, bes. 67. 4 S. dazu oben unter 3.6. 2 Vgl.
132
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
verschiedenen brieflichen Akzentuierungen beim Umgang mit der ‚Sklaven‘-Rolle verstehen? Ist das briefliche Präskript eine Formalie, oder nimmt es jeweils wesentliche Elemente der Selbstinszenierung des Paulus im Briefzusammenhang vorweg? Wir können zunächst einmal davon ausgehen, dass Paulus nicht nur eine epistolare Formalie prägt, sondern sich die Rolle eines Sklaven bewusst zugeschrieben hat. Sie entspricht der Lebenswirklichkeit des Apostels in der sozio-kulturellen Welt der frühen Kaiserzeit und ist Teil seiner ‚sozialen Erfahrung‘5. Sklaven zählten vielfach zu den Mitgliedern der paulinischen Gemeinden6. Die Lebenswelt der Sklaven war Paulus vertraut. In verschiedenen Briefen kommt er auf sie zu sprechen. So nimmt er erstens direkt auf die soziale Stellung der Sklaven Bezug (z. B. 1 Kor 7,21; vgl. auch Phlm). Paulus greift also die Sklaverei als zeitgeschichtliches Phänomen auf. Zweitens deutet Paulus die Rolle der Sklaven im Rahmen ekklesialer Lehre und Ermahnung neu: Selbst derjenige, der Sklave ist, wird in der Gemeinschaft mit Christus frei (1 Kor 7,22)7. Soziale und religiöse Rollen erscheinen dabei als ein Paradoxon. Paulus unterzieht die Sklaven-Rolle einer theologischen Deutung. Drittens verwendet Paulus die Rolle des δοῦλος auch als Metapher, die verschiedenen Handlungsträgern und personalen Relationen zugeordnet wird. Sie dient entweder der Beschreibung des Wirkens Christi (Phil 2,7b), der Relation des Apostels zu Christus oder zu den Gemeinden. Der metaphorische Gebrauch kommt besonders bei der autobiographischen Selbststilisierung des Pau5
G. Theißen, Christologie, 318 ff. D.-A. Koch, Geschichte (22014), 267: … „Haus‑ oder auch Gemeindesklaven, Sklaven aus Bergwerken oder Latifundien dagegen nicht …“. – Vgl. auch insgesamt: G. Alföldy, Sozialgeschichte, 179 ff.; E. Ebel, Sklave, 80 ff. 7 Auf die hier zu beobachtende Vergleichbarkeit der paulinischen Vorstellungen von Emanzipation mit denen Epiktets hat bereits T. Zahn, Epiktet, 18 und 25 (unter Verweis auf z. B. Diss 1,19,8; 2,16,41; 4,7,17) aufmerksam gemacht. 6 Vgl.
4.1. Paulus als δοῦλος
133
lus zum Einsatz. In welchen brieflichen Diskursen aber befindet sich der Apostel jeweils, wenn er sich mit der Rolle als δοῦλος autobiographisch oder theologisch auseinandersetzt? In der korinthischen Korrespondenz legt Paulus Wert darauf, sich immer wieder als Gründer und ‚Vater‘ der Gemeinde Autorität zu verschaffen (z. B. 1 Kor 3,6; 9,1 ff.). In 1 Kor 9 stellt er ausführlich dar, wie er seine apostolische Aufgabe als Gemeindegründer und ‑leiter versteht: Er ist prinzipiell frei (ἐλεύϑερος, V. 1), also kein Sklave, macht aber von den ihm zustehenden Rechten auf Entlohnung keinen Gebrauch (V. 12 ff.). Paulus versteht die Aufgabe des εὐαγγελίζειν gleichzeitig als einen ‚Zwang‘ (V. 16), nicht als selbst gewählt. Dennoch nimmt er keine Bezahlung an, sondern sieht seinen Lohn darin, ‚kostenlos‘ zu verkündigen und auf seine mögliche ἐξουσία am Evangelium, die er zuvor im Blick auf die ihm zustehenden materiellen Ansprüche konkret ausgeführt hatte (V. 4 ff.), keinen Anspruch zu erheben (V. 18). Paulus beschreibt seine missionarische und gemeindeleitende Arbeit in einer stetigen Paradoxie von Freiheit und Knechtschaft. Die paradoxe Redeweise deutet darauf hin, dass Paulus seine Glaubwürdigkeit in Korinth als zunehmend geschwächt sieht8. So behauptet Paulus, dass sich seine Freiheit in der Arbeit mit der Gemeinde faktisch in Knechtschaft verkehrt hat (V. 19): „Obwohl ich nämlich frei bin (ἐλεύϑερος) von allen, habe ich mich selbst in den Sklavendienst gestellt (ἐδούλωσα), damit ich die vielen gewinne“.
In den folgenden Versen (V. 20 ff.) führt der Apostel aus, um welche Form der Knechtschaft es sich handelt. Er ist allen alles geworden: den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Schwachen ein Schwacher, damit er seinem Verkündigungsauftrag, dem er soteriologische Bedeutung beimisst (ἵνα … σώσω, V. 22), gerecht werden kann. Der Sklavendienst an der 8
Vgl. H. Lausberg, Elemente, § 37.
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4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
Gemeinde ist selbst gewählt (ἐµαυτὸν ἐδούλωσα) und damit Ausdruck der Souveränität des apostolischen Wirkens. Die ‚apostolische Sklaverei‘ im Dienste der korinthischen Gemeinde hat materielle und personale Aspekte: Da Paulus von der Gemeinde kein Geld annimmt, ist er wirtschaftlich unfrei und muss selbst arbeiten. Als δοῦλος hat er zudem keine eigene personale Identität – er wird vollständig mit seiner Aufgabe identifiziert. Paulus liefert sich dieser Sklaverei mit seiner ganzen, auch somatischen Existenz bedingungslos aus (V. 27: δουλαγωγῶ). Auf diese Form der Selbststilisierung kommt Paulus in 2 Kor 4,5, nun unter ausdrücklicher Betonung der Kyrios-Stellung Christi, wieder zurück. Als Briefautor, der über Freiheit wie über Knechtschaft und die damit einhergehenden Paradoxien schreiben kann, belegt Paulus somit seine eigentliche Souveränität als Apostel. Beim metaphorischen Gebrauch der δοῦλος-Rolle im Brief an die Römer kann Paulus offenbar einen höheren Grad an Glaubwürdigkeit voraussetzen, denn er vermeidet einen paradoxen Sprachgestus9. Schon in der superscriptio spricht Paulus davon, ein ‚Sklave Christi‘ zu sein (1,1), und entfaltet stringent und selbstbewusst, wie er diese Rolle verstanden wissen will (1,1–7). So hat sein Apostolat die Aufgabe, den „Gehorsam des Glaubens unter allen Völkern“ aufzurichten (1,5). Das aber heißt: Als ein berufener Sklave Christi soll Paulus seinerseits dafür Sorge tragen, die Völker in die rechte Form der Unterordnung unter Christus zu führen. Paulus expliziert die Vorstellungen einer christus-orientierten ‚Sklaverei‘ besonders in Röm 6 ff. und 12–14. In Lehre und gemeindlicher Paränese greift er so auf den in 1,1 begründeten Motivbereich des δουλεύειν zurück. In Röm 6 ff. stellt er seinen Adressaten mit Hilfe des δουλεύειν die eigentliche anthropologische Alternative vor Augen, vor denen ihre Existenz steht: Sie sind entweder „Sklaven der Sünde zum Tod oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit“ (6,16). Da der 9
Vgl. noch einmal H. Lausberg, Elemente, § 36.
4.1. Paulus als δοῦλος
135
„alte Mensch“ mit Christus gekreuzigt ist, wurden der „Leib der Sünde vernichtet“ und das sklavische Unterworfen-Sein unter die Sünde beendet (6,6). Es ist daher möglich, sich in den „Dienst der Gerechtigkeit“ (δοῦλα τῇ δικαιοσύνῃ, 6,19) oder der „Neuheit des Geistes“ (ἐν καινότηι πνεύµατος, 7,6) zu stellen, der dem Leben der Menschen (8,15) wie auch der Kreatur (8,21) in der Gottes-Kindschaft Bahn bricht. In Röm 5–8 wirbt Paulus bei seinen Lesern lehrend für die aktive Unterwerfung in die neue, durch Christus definierte Herrschaftsrelation, in der ‚Rechtsfrieden‘ herrscht (5,1–5)10, d. h. die Gerechtigkeit Gottes wirksam ist (1,16 f.). In Röm 12 ff. macht der Apostel dagegen ermahnend deutlich, wie das christus-orientierte (Gemeinde‑)Leben in der Unterordnung unter den Kyrios (τῷ κυρίῳ δουλεύοντες, 12,11) konkret verwirklicht wird. Dabei spielt zum einen die Niedrig-Gesinnung (12,16)11, zum anderen die Durchsetzung und Bewahrung der Gerechtigkeit Gottes eine entscheidende Rolle: „Nicht nämlich ist das Reich Gottes (ἡ βασιλεία τοῦ ϑεοῦ) Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist. Derjenige nämlich, der darin Christus dient (δουλεύων τῷ Χριστῷ), ist Gott wohlgefällig (εὐάρεστος) und geschätzt (δόκιµος) bei den Menschen“ (14,17 f.).
In eben diesem Blick auf die rechte Durchsetzung der Gerechtigkeit in der ekklesialen Gemeinschaft lässt sich Röm 14,17 f. als ein wichtiger Intertext oder Prätext zu Phil 2,1 ff. verstehen: Die Unterordnung unter Christus, die Übung von NiedrigGesinnung und das Bemühen um die ekklesiale Gerechtigkeit sind auch in Röm 12–14 motivisch verbunden. Sie stehen so in sachlicher Nähe zum Phil. Und ähnlich Phil 1–2 bringt Paulus in Röm 15 das Vorbild Christi (15,1 ff.) sowie sein apostolisches
10 11
Vgl. O. Wischmeyer, Römerbrief, 303. Vgl. dazu unten ausführlicher unter 4.4.
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4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
Selbst-Verständnis (15,14 ff.), nun allerdings als λειτουργὸς Χριστοῦ Ἰησοῦ (15,16)12, ins Spiel. In Bezug auf die gewählten exempla stehen sich Röm 12 ff. und Phil 1–2 nahe, obgleich die narrative Form und Pragmatik der Selbstdarstellung variiert. Nach Röm 15,14–29 geht es Paulus im Röm darum, sein Missionsprogramm als Heidenapostel (15,16)13, insbesondere auch in Hinblick auf den anstehenden Besuch in Rom (15,24) einer ihm im Wesentlichen nicht bekannten Gemeinde zu erläutern. In Phil 1–2 hingegen legt Paulus derjenigen Gemeinde gegenüber, die ihm persönlich am nächsten steht, seine Haftbedingungen offen und entwickelt im Sinne von ultima verba weitreichende Vorstellungen über die Vervollkommnung ekklesialer Gemeinschaft. Lassen sich die verschiedenen Formen der Selbstdarstellung und ‑stilisierung somit auf unterschiedliche briefliche Kommunikationssituationen zurückführen, oder weisen sie auf eine schwankende Selbstwahrnehmung bzw. eine mangelnde Integrität der Person des Paulus hin? Auffallend ist, wie vergleichsweise nahe sich Röm und Phil trotz verschiedener brieflicher Situation stehen. Das gilt insbesondere für den motivischen Zusammenhang von Unterordnung unter Christus, der Übung von Niedrig-Gesinnung, die jeweils am Vorbild expliziert wird, und dem Bemühen um die ekklesiale Gerechtigkeit. Doch wie verhalten sich die korinthischen Briefe dazu, in denen sich Paulus ja gerade nicht explizit als δοῦλος Χριστοῦ stilisiert, wohl aber den Sklavendienst für die Gemeinde und seine Unterwerfung unter die Korinther in das Zentrum seiner Selbstdarstellung rückt? Auch in der korinthischen Korrespondenz, besonders in 2 Kor 10–13, ist zu beobachten, wie Paulus zunehmend eine 12 Sonst nur: Röm 13,6 und Phil 2,25 – hier wird Epaphroditus als λειτουργός des Paulus bezeichnet. 13 Εἰς τὰ ἔϑνη fehlt im Codex Vaticanus. Allerdings begegnet das Motiv der apostolischen Arbeit für die ἔϑνοι noch einmal in V. 16.
4.2. Die Niedrigkeit des Apostels
137
Theologie apostolischer Niedrigkeit entwirft, die an Christus Maß nimmt14. Paulus entwickelt also im Laufe seines Briefeschreibens verstärkt ein Verständnis von ‚Sklavendienst‘, das er mit einer an Christus orientierten Theologie der Niedrigkeit direkt auf seine Person bezieht und später im Präskript gebündelt in das Syntagma δοῦλος Χριστοῦ fasst. So wie grundsätzlich eine entscheidende Konstante in der brieflichen Selbstdarstellung des Paulus darin liegt, den Gemeinden seine Relation zu Christus darzulegen15, komprimiert er diese Verhältnisbestimmung: Je mehr Paulus sein Verhältnis zu Christus in den Begriffen der Niedrigkeit deutet, desto mehr sieht er sich selbst auf dem direkten Weg der Christus-Konformität. Hier liegt ohne Frage eine ‚Entwicklung‘ im paulinischen Denken von 1 und 2 Kor zum Röm und Phil16, die sich auch an der formalen Gestaltung der Präskripte ablesen lässt. Als Briefautor schreibt sich Paulus gleichsam in die Konformität mit Christus hinein. In der δοῦλος Χριστοῦ-Stilisierung findet sie ihren prägnantesten Ausdruck. Phil 1,1 bildet einen späten, den wohl spätesten uns überlieferten Stand dieser Entwicklung von Selbststilisierung. 4.2. Die Niedrigkeit des Apostels: 2 Kor 10,1; 11,7 Das Konzept der paulinischen Demut ist in doppelter Weise direkt mit dem Apostolat des Paulus verbunden: Wie gerade gesehen (4.1.), gibt Paulus durch seine autobiographischen 14
Vgl. dazu im Folgenden 4.2. und 4.3. Vgl. dazu E.-M. Becker, Person, 135. 16 Zur Diskussion über eine Entwicklung im paulinischen Denken vgl. zuletzt: M. Theobald, Wandlungen; die Frage wird schon seit den 60er und 70er Jahren des 20. Jhs. diskutiert (vgl. W. G. Kümmel, Problem) und wurde dann vor allem auf den Bereich der Eschatologie bezogen, vgl. A. Lindemann, Eschatologie. 15
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4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
Bemerkungen zu erkennen, in welcher Weise er sich als δοῦλος versteht und damit per definitionem einen Status der Niedrigkeit annimmt. Zugleich aktualisiert er diesen Status in der polemischen Auseinandersetzung mit seinen Gegnern in 2 Kor 10–13 laufend: Der paulinische Apostolat authentifiziert und bewährt sich in der Niedrigkeit der Person, selbst wenn diese, um persönliche Angriffe gegen sich abzuwehren, mit dem diametral entgegengesetzten, weil hochmütigen Mittel des ‚Selbstlobes‘ (καυχᾶσϑαι) argumentieren muss17. Paulus macht sich dabei aber letztlich selbst zum Narren (ἄφρων, 2 Kor 12,11). Im Zusammenhang der Apostolats-Theologie wird die persönliche ‚Hybris‘ zu einem komplexen rhetorischen Gegenmodell18: Paulus verpönt die ὑπερλίαν-Haltung seiner Gegner (2 Kor 11,5; 12,11) wie den eigenen Selbstruhm, zu dem er sich gleichzeitig gezwungen sieht: So nutzt er die Hybris faktisch als probates Verteidigungsinstrument seiner Demuts-Haltung. Wie ist diese Paradoxie zu verstehen? 2 Kor 10–13 spiegeln wider, dass der Konflikt des Paulus mit seinen Gegnern in Korinth weiter eskaliert sein muss. Die Mittel der Ironie oder Emphase, derer sich der Apostel bedient, zählen zu den paradoxen Elementen der Rede, die die schwache Glaubwürdigkeit des Briefeschreibers zum Ausdruck bringen. Da die Korinther selbst über den bei ihnen entbrannten Konkurrenzkampf richten, sucht Paulus deren Wahrheitsempfinden (genus admirabile) oder das ethische Empfinden (genus turpe) zu erschüttern. Das so erreichte „intellektuelle Paradox“ begegnet als Teil der Argumentation (materia) oder auch als „Verfrem17 Vgl. J. Procopé, Hochmut, 826. – Allerdings ist καυχᾶσϑαι keine direkte semantische Opposition zu ταπειν-. In 2 Kor 10–13 stellt Paulus dem ταπειν‑ die Haltungen seiner Gegner, der ὑπεραπόστολοι, wie den eigenen Selbstruhm gegenüber. 18 Das in der Gräzität sonst typische semantische Feld: ὑπερηφαν-, ὑβρ‑ (vgl. J. Procopé, Hochmut, 799 ff.) spielt bei Paulus in diesem Zusammenhang allerdings keine Rolle. Zur paulinischen Verwendung des Wortfeldes vgl. G. Bertram, ὕβρις κτλ., 305 f.
4.2. Die Niedrigkeit des Apostels
139
dungs-Phänomen“19. Beim Verweis auf Niedrigkeit und Hybris steht also nichts weniger als die Glaubwürdigkeit der Person des Paulus in Korinth auf dem Spiel. Der sog. Vierkapitel-Brief steht vermutlich am Ende der uns überlieferten brieflichen Korrespondenz mit den Korinthern20 und verschafft uns damit einen Einblick in das späteste Stadium der Entwicklung der Gemeinde in Achaia Mitte der 50er Jahre. Doch schon zu Beginn der uns erhaltenen brieflichen Kommunikation ist von Parteiungen die Rede – die Gemeinde ist gespalten (1 Kor 1,10 ff.: σχίσµατα). Ihr informeller Austausch mit Paulus ist dennoch rege: Es werden kontinuierlich Nachrichten ausgetauscht, die durch mehr oder weniger enge Mitarbeiter des Paulus (z. B. Chloe: 1 Kor 1; Titus: 2 Kor 7; u.v. a.) oder durch Briefe (z. B. 1 Kor 5,9; 7,1; 2 Kor 7,8) vermittelt sind. Trotz der Erfahrung persönlicher Beleidigungen (2 Kor 2) hält Paulus daran fest, den Korinthern seine enge Verbundenheit zeigen zu wollen (ἀγάπη). Er behauptet zwar, es nicht nötig zu haben, sich selbst empfehlen zu müssen (2 Kor 3), sondern die Korinther selbst als ‚briefliche Empfehlung‘ seines apostolischen Dienstes verstehen zu können. Faktisch erläutert er in 2 Kor 1–7 aber umfassend, worin seine διακονία besteht (2 Kor 4), nämlich im Dienst für die korinthische Teilhabe an der Versöhnung mit Christus (2 Kor 5,20). Der apostolische Dienst umfasst Leiden, Verfolgung, Verschmähung und Abweisung – er bringt Paulus und seine Mitarbeiter immer wieder in Todesgefahr (z. B. 2 Kor 1,8 ff.; 4,8 ff.; 6,4 ff.; 11,23 ff.; 12,10; schon 1 Kor 4,11–13). Weil Paulus aber das Leiden als „gemeinschaftsstiftende Teilhabe am Leidensgeschick Jesu Christi wahrnehmen kann“21, verliert er seine apostolischen Aufgaben nicht aus dem Blick: Er muss erstens die Geldsammlung für die Jerusalemer Urgemeinde voran19
H. Lausberg, Elemente, § 37 (S. 23). Vgl. zur Übersicht: E.-M. Becker, 2. Korintherbrief. 21 M. Wolter, Apostel, 239. 20
140
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
treiben und abschließen (1 Kor 16,1–14; 2 Kor 8–9) und zweitens unbeirrt für die weitere religiöse und ethische Erbauung (οἰκοδοµή) der korinthischen Gemeinde sorgen (1 Kor 3,9; 14,3 ff.; 2 Kor 5,1; 10,8; 12,19; 13,10). In diesen Aufgaben sieht er seine apostolische Legitimität und Autorität ohne Einschränkung begründet. Die Sprache, mit der Paulus den Korinthern seinen apostolischen Dienst erläutert, ist gewaltig. Er gesteht selbst ein, sich mit seinen Briefen eindrucksvoll verteidigen zu wollen (2 Kor 12,19; 10,9–11). Wie ist es dann zu verstehen, wenn Paulus in 2 Kor 10,1 explizit auf seine ‚Niedrigkeit‘ (ταπεινὸς ἐν ὑµῖν) im persönlichen Umgang mit den Korinthern verweist? Warum spricht er in 2 Kor 11,7 über konkrete Fragen seines Unterhalts hinaus, also verallgemeinernd davon, sich selbst ‚erniedrigt‘ und die Korinther erhöht zu haben (ἐµαυτὸν ταπεινῶν ἵνα ὑµεῖς ὑψωϑῆτε)? Und warum erwartet er in 2 Kor 12,21, dass Gott ihn beim nächsten Besuch in Korinth ‚demütigen‘ werde (ταπεινώσῃ µε ὁ ϑεός µου πρὸς ὑµᾶς)? Wie wir sehen, durchzieht die Semantik des ταπειν‑ regelmäßig und absichtsvoll den Vierkapitel-Brief. Wie deutet Paulus seine apostolische ‚Niedrigkeit‘? Welche Funktion kommt speziell der paulinischen ταπείνωσις in 2 Kor 10–13 zu – ist sie als eigentliche oder als ironische, vielleicht sogar sarkastische Rede zu verstehen? Wir gehen noch einmal einen Schritt zurück in der Entwicklung der korinthischen Korrespondenz. Denn bereits in 1 Kor 4 hatte Paulus seine Auffassung über den apostolischen Dienst dargelegt: Er versteht sich als ‚Erzeuger‘ der Gemeinde, als deren Vorbild und Erzieher (4,15 f.; vgl. auch 2 Kor 12,14), der die Korinther strafend oder auch in Liebe und Sanftmut (πραύτης) ermahnen kann (4,21). Die apostolische Autorität gründet im bedingungslosen Dienst, der fortlaufend mit Entsagungen verbunden ist: Der Apostel hat vor Gott und der Welt Rechenschaft für die Gemeinde abzulegen – er ist schwach, verachtet, leidet Hunger, macht sich zum Narren und sieht sich
4.2. Die Niedrigkeit des Apostels
141
zum Tode verurteilt, während die Gemeinde φρόνιµος, ἰσχυρός, ἔνδοξος ist (4,9–13). Hierin beruht in Relation zur Gemeinde das Prinzip apostolischer Niedrig-Gesinnung: Paulus ist ökonomisch unabhängig und bleibt so selbständig (vgl. auch 1 Kor 9; 2 Kor 12,13). Er übt stetige Rücksichtnahme hinsichtlich der Belange der Gemeinde und verweist auf seine Schwachheit, so dass die Gemeinde ihrerseits umso mehr um ihre institutionelle Stärke und Ehre wissen kann. In seinem Dienst und Leiden orientiert Paulus sich an Christus. Er stellt sich zugleich in die antike Tradition eines Boten: Paulus fungiert genauer als Gottes-Bote, der gegenüber seinem Auftraggeber, der Botschaft und deren Empfänger die mit dieser Botenstellung verbundene Gesinnung persönlicher Zurückhaltung, Zuvorkommenheit und Verzicht zu leisten hat. Schon in 1 Kor 4 stellt Paulus also sein apostolisches Selbstverständnis bereits umfassend dar. Doch erst in 2 Kor 10–13 bringt er es semantisch auf den Begriff ταπειν-. Wie ist diese Entwicklung zu deuten? Steht sie speziell im Vierkapitel-Brief mit dem Auftreten des ‚rechten Philosophen‘ in Zusammenhang?22 Eine andere Deutung legt sich näher: Paulus setzt die ταπειν-Semantik wie die paradoxe Rede (s. o.) bewusst im Sinne der ultima ratio apostolischer Selbstverteidigung ein und entwickelt so sein Apostolats-Verständnis konzeptionell weiter: ταπειν‑ bringt die durch Niedrigkeit und Schwachheit (ἀσϑένεια) gekennzeichnete persönliche Stellung des Apostels zum Ausdruck, die nach gemein-antiker Vorstellung schädlich und schändlich ist (vgl. auch Epiktet, Diss 3,2,14)23, aber durch den erhöhten Christus selbst legitimiert wurde (2 Kor 12,9). Sie ermöglicht es Paulus daher, sich unmittelbar an Christus zu orientieren, sich also in die Christus-Nachfolge zu stellen und sich so bei den Korinthern mit dieser Orientierung Autorität zu 22 23
Vgl. H. D. Betz, Apostel, 47 ff. – s. o. ausführlicher unter 2.1. S.o. Motivgeschichte unter 3.2.
142
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
verschaffen. Motivgeschichtlich greift Paulus dabei – bewusst oder unbewusst – auf den vielfältigen Wirkzusammenhang von Erniedrigung und Erhöhung in der Vorstellungswelt der LXX zurück, wie er besonders in der Sprache der Psalmen vorgeprägt wurde24. Indem der Apostel im 2 Kor, noch über 1 Kor hinaus, die Motivik des ταπειν‑ direkt auf seinen Dienst in Korinth überträgt bzw. seinen apostolischen Dienst als eine solche Haltung des ταπειν‑ deutet, stilisiert er sich umso deutlicher als δοῦλος Christi (s. o. 4.1.; vgl. auch 2 Kor 4,5). Im Lichte der platonischen Vorstellung vom ταπεινός als religiös motiviertem Streben nach der Erhaltung des gerechten Gemeinwesens lässt sich der paulinische Einsatz der ταπειν-Semantik in 2 Kor 10–13 schließlich auch als ein persönlicher Versuch verstehen, die ultima ratio apostolischer Autorität angesichts der Bedrohung und möglichen Zerstörung der Gemeinde (καϑαίρεσις: 2 Kor 10,4 ff.; 13,10) zur Anwendung zu bringen. Im letzten Abschnitt der korinthischen Korrespondenz setzt Paulus die ταπειν-Semantik in seiner Argumentation offensiv ein, um ein Scheitern seiner apostolischen Mission zu verhindern. So gibt die ταπειν-Semantik uns weniger Einblick in die innere Situation des Apostels – sie fungiert vielmehr als literarische Strategie paradoxer Rede in ihrer äußersten Form. Im Phil wird Paulus dagegen unter Beweis stellen können, dass er die Haltung des ταπειν‑ genauso beherrscht wie die des περισσεύειν (Phil 4,12). Mit περισσεύειν schafft er in Phil 4 einen weiteren Gegenbegriff zum Demütig-Sein: Die Haltung der Demut mag zwar durch äußere Umstände bedingt und gefordert sein – für Paulus bedeutet sie keine Restriktion, sondern die eigentliche Legitimierung des apostolischen Dienstes. Paradoxien sind im kommunikativen Umgang mit den Philippern weitgehend überflüssig. In der Selbstdarstellung des Paulus im 24
Vgl. noch einmal die Motivgeschichte unter 3.2.
4.3. Gott, Christus und die ‚Demut‘
143
Phil sind sie nur dann vonnöten, wenn der Apostel – kontrafaktisch zu seiner Situation „in Fesseln“ – behauptet, dass die προκοπή des Evangeliums gesichert ist (1,12). 4.3. Gott, Christus und die ‚Demut‘: 2 Kor 7,6; 8,9; 12,21 Wir kommen ein weiteres Mal auf den 2 Kor und die hierin formulierten Vorstellungen über die Niedrigkeit zurück. Bisher konnten wir zweierlei festhalten: Wir konnten zum einen sehen, wie Paulus sich in der korinthischen Korrespondenz jenseits der Präskripte als δοῦλος präsentiert (s. 4.1.). In einem zusehends eskalierenden Konflikt mit konkurrierenden Missionaren entwickelt Paulus zum anderen im Vierkapitel-Brief ein Programm apostolischer Niedrigkeit (s. 4.2.), das von Christus her autorisiert ist (2 Kor 12,1–10), zugleich aber die paradoxe Rede der Hybris wählt (καυχᾶσϑαι), um die persönliche Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und die Gemeinde vor einer καϑαίρεσις zu bewahren. Das Konzept der Demut begegnet aber drittens im 2 Kor auch jenseits von paulinischer Selbstpräsentation und ‑inszenierung: Paulus spricht vielmehr auch dann von Demut und Niedrigkeit des Menschen, wenn er – nun unter deutlich erkennbarem Einfluss der LXX-Sprache – die Eigenschaften Gottes benennt (2 Kor 7,6; 12,21) oder auch das paradigmatische Wirken Christi (2 Kor 8,9) deutet. Im Zusammenhang paulinischer Theologie und Christologie entwickelt das Begriffsfeld ταπειν‑ dabei eine weitere konzeptionelle Eigendynamik. In 2 Kor 7 bezeichnet Paulus Gott als denjenigen, der die ‚Demütigen‘ (ταπεινούς) tröstet (V. 6: παρακαλῶν). Er weist Gott damit die Eigenschaft der Paraklese zu (vgl. auch z. B. Jes 40,1LXX), die nicht zufällig gewählt ist, sondern sorgfältig in die paulinische Rede von Gott eingepasst ist. Schon in der brieflichen Eulogie (1,3–7) hatte Paulus von Gott als dem „Gott allen Trostes“ (1,3: ϑεὸς πάσης παρακλήσεως) ge-
144
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
sprochen25. Dieser Trost richtet sich an diejenigen, die in Anfechtung (ϑλῖψις) sind, damit sie selbst andere in Anfechtung trösten können (1,4). Paraklese wird also von Gott ausgeteilt und untereinander weitergegeben. Die Ursache des göttlichen Trostes sieht Paulus in Christus: „Denn so wie die Leiden Christi zu uns überfließen, so nimmt durch Christus auch unser Trost zu“ (1,5).
Gott, der Vater Jesu Christi (1,3), ist nämlich derjenige, der die Toten auferweckt (1,9). Mit dem Syntagma vom ϑεὸς ἐγείρων τοὺς νεκρούς formuliert Paulus das entscheidende Prädikat Gottes26, das auch aus der „jüdischen Gottesprädikation“ bekannt ist (vgl. auch Röm 4,17)27. In der Konsequenz bedeutet Teilhabe am Leiden zugleich Teilhabe am Trost (1,7). Solcher Trost geht gleichwohl von Christi Auferweckung aus. Diese Erfahrung kann innerhalb der christlichen Gemeinschaft ausgetauscht und geteilt werden (1,6). Im Gesamtzusammenhang von 2 Kor 1–7 erschließt sich daher neu, wen genau Paulus in 7,6 in den Blick nehmen und unter die ταπεινοί zählen kann: diejenigen nämlich, die leiden und an dem Trost Gottes teilhaben, der sich auf die Auferweckung Jesu von den Toten gründet. Vor dem Hintergrund dessen, wie Paulus in 2 Kor 1–7 Niedrigkeit, Trost, Teilhabe am Leiden und der Auferweckung Christi zusammendenkt, erscheint nun auch 2 Kor 12,21 noch einmal in einem anderen Licht. Bis hierher haben wir das ταπεινοῦν, das Paulus bei seinem nächsten Besuch in Korinth erwartet, allein auf die apologetische Rede im Vierkapitel-Brief bezogen28: Demnach arbeitet Paulus mit dem Paradoxon von 25 Ob die verknüpfende Lektüre von 2 Kor 7,6 mit 2 Kor 1,3 ff. notwendig bedeuten muss, dass 2 Kor 1–7 einem brieflichen Zusammenhang entstammen, kann hier nicht abschließend diskutiert werden. Zur Übersicht über literarkritische Fragen vgl. E.-M. Becker, 2. Korintherbrief. 26 Vgl. R. Feldmeier / H. Spieckermann, Gott, z. B. 402. 27 R. Bultmann, Der zweite Brief, 33. 28 S.o. unter 4.2.
4.3. Gott, Christus und die ‚Demut‘
145
Niedrigkeit und Hybris. Nehmen wir jedoch 2 Kor 1–7 als Intertext hinzu29, so steht den Lesern in 12,21 nicht zuerst apostolische Selbstverteidigung, sondern theologische Rede, motivisch von der LXX-Sprache geprägt, vor Augen. Die theologische Rede wird freilich in der Konsequenz auch für das paulinische Selbstverständnis relevant: In Niedrigkeit und Leid, das Paulus in den korinthischen Konflikten erfährt und auch künftig erwartet, hat der Apostel in besonderer Weise am Trost Gottes Anteil. Die Korinther können Paulus also weder mit Zank und übler Nachrede (12,20) verletzen noch verunsichern, sondern nur der Erfahrung von Trost und Hoffnung auf Christus umso näher bringen. Nicht zuletzt mit Gottesprädikationen und theologischer Rede sucht Paulus die Argumente seiner Gegner in Korinth zu entkräften und ihren Einfluss auf die Gemeinde zu schwächen, um sie so zu entmachten. Als Kollektenschreiben bilden 2 Kor 8–9 eine Zäsur im Duktus der korinthischen Korrespondenz. Das Wortfeld ταπειν‑ begegnet hier nicht. Und doch müssen wir aus zwei Gründen einen kurzen Blick auch auf 2 Kor 8,9 richten: Einerseits steht dieser Vers in großer gedanklicher Nähe zu Phil 2,6–8, die andererseits schon von frühchristlichen Autoren (vgl. 1 Clem 16,2) wie patristischen Exegeten (vgl. Johannes Chrysostomus, Hom Phil) bemerkt wurde und dazu führte, die Textstelle als wichtigen Beleg im Diskurs über die christliche Demut anzuführen30. Worum geht es? Paulus bezeichnet in 2 Kor 8,9 Christus als jemanden, der „um euretwillen arm geworden ist (δι’ ὑµᾶς ἐπτώχευσεν), obgleich er reich war (πλούσιος ὤν), damit ihr durch dessen Armut (πτωχείᾳ) reich würdet (πλουτήσητε)“. 29 Literarkritische Fragen und Kompilationstheorien sind hierbei besonders dann von untergeordneter Bedeutung, wenn sie die Abfassung von 2 Kor 10–13 zeitlich nach 2 Kor 1–7 ansetzen. 30 Vgl. dazu ausführlich P. Angstenberger, Christus, 25 ff. Vgl. auch unten unter 6.7. und 7.2.
146
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
In 2 Kor 8,9 haben wir es wieder mit einem Paradoxon zu tun, das syntaktisch auf einem antithetischen Parallelismus über Armut und Reichtum basiert: Die selbstgewählte Armut Christi führt zum Reichtum der Korinther. Im Zusammenhang seines Werbens für die Kollektenmission, macht Paulus den Christen in Achaia nicht nur die Makedonier (8,2), sondern letztlich Christus selbst zum Vorbild für eine uneigennützige Haltung der Spendenbereitschaft. Hierin liegt die Textpragmatik von 8,9. Die Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde ist für Paulus nichts weniger als ein Ausdruck von Charis (8,7). Margaret E. Thrall versteht die selbstgewählte Armut Jesu, auf die Paulus hier verweist, nicht als materielle oder spirituelle, sondern deutet sie inkarnationstheologisch und somit als eine direkte sachliche Parallele zu Phil 2,6–831. Sofern wir uns dieser – traditionellen – exegetischen Sicht auf 2 Kor 8,9 anschließen und den Vers in Nähe zu Phil 2,6 ff. als Beispiel für Christi Übung der Demut sehen, erhält der paulinische Begriff der Demut eine weitere Nuancierung: Paulus stellt Christi Haltung der Niedrig-Gesinnung als Ansporn für Spendenbereitschaft dar. Die am Beispiel Christi orientierte Demut hilft nicht allein zur Vervollkommnung ekklesialer Gemeinschaft (so Phil 2), sondern auch zur Realisierung konkreter materieller Hilfe für die Jerusalemer Christen (z. B. 2 Kor 8) und damit zur Durchführung einer Aufgabe, zu der sich Paulus beim Apostelkonzil verpflichtet hatte (Gal 2,10). Auch in diesem Fall lassen sich Christologie, ekklesiale Ethik und Apostolatstheologie schwerlich trennen. Vielmehr stellt Paulus das Verzichts-Handeln Christi, das ekklesiale Ethos der Spendenbereitschaft und das selbst-auferlegte missionarische Handeln des Apostels in einen konstitutiven Deutungszusammenhang.
31
Vgl. M. E. Thrall, Second Epistle, 532–534.
4.4. Ermahnungen zur Niedrig-Gesinnung
147
4.4. Ermahnungen zur Niedrig-Gesinnung: Röm 12,16 Die Vorgeschichte des paulinischen Begriffs der ταπεινοφροσύνη (Phil 2,3) nimmt in Röm 12 eine entscheidende Wendung. Wir können auch sagen: Im Röm findet der Übergang von der auf den paulinischen Apostolat bezogenen Deutung von Niedrigkeit zu einer grundlegenden Beschreibung ekklesialer Gesinnung statt. In Röm 12 bereitet Paulus also sein Programm einer ekklesialen Phronesis der Niedrig-Gesinnung in ersten Ansätzen vor, das er aber erst in Phil 1–2 terminologisch ausarbeiten wird. In Röm 12 begegnet der konzise Begriff der ταπεινοφροσύνη noch nicht. Wie kommt Paulus hier aber bereits auf die Vorstellung von einer ekklesialen Demuts-Gesinnung? Wie kein anderer Text – neben Phil 1–2 – ist Röm 12 von der Semantik des φρονεῖν bestimmt (12,3.16). Sie begegnet im Rahmen gemeindlicher Paränese, d. h. am Schluss des Briefes. Röm 12 ist dabei eine erste Vorschau auf Phil 1–2, noch keine konzeptionelle Vorwegnahme der ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3. Denn situative und literarische Unterschiede zwischen Röm 12 und Phil 1–2 treten deutlich zutage. Erstens muss Paulus in der Paränese des Röm eigens darauf hinweisen, für die Ermahnung autorisiert zu sein (12,3). Zweitens verbleibt er anders als in Phil 1–2 dauerhaft im ermahnenden Redegestus, den er mit παρακαλῶ (12,1) einleitet und mit einer Folge von konkreten Aufforderungen oder Prohibitiven expliziert. Drittens richten sich die Ermahnungen und Verbote des Paulus in Röm 12 wohl konkret auf eine gemeindliche Kontroverse über Pneumatikertum und Ekstase: So verbietet Paulus seinen Adressaten in Rom das ὑπερφρονεῖν (12,3) und fordert stattdessen ein σωφρονεῖν, d. h. die Haltung der Besonnenheit, die Paulus an anderer Stelle ekstatischem Verhalten gegenüberstellt (2 Kor 5,13). Die Mitglieder der römischen Gemeinde, ihrerseits Glieder am Leib Christi (12,4 ff.; vgl. auch 1 Kor 12),
148
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
sollen untereinander auf dasselbe gesinnt sein (12,16: τὸ αὐτὸ εἰς ἀλλήλους φρονοῦντες). Obgleich wir hier bereits gedanklich nahe bei Phil 2,2 sind, weist auch diese Wendung in Röm 12,16 eine für den Röm spezifische Prägung auf 32. Weiter: Die Gemeindeglieder sollen sich nicht für klug (φρόνιµοι) halten (vgl. auch Prov 3,7LXX) und nicht auf hohe Dinge gesinnt sein (µὴ τὰ ὑψηλὰ φρονοῦντες), sondern sich zu den niedrigen (Personen oder Dingen?) „herabbeugen“33, besser: „hinab‑ oder herabziehen lassen“34. Es ist speziell die Wendung: τοῖς ταπεινοῖς συναπαγόµενοι in V. 16b, die den Interpreten des Röm Schwierigkeiten bereitet. Paulus stellt in diesem Teilvers ὑψηλά und ταπεινά bzw. ταπεινοί einander gegenüber (vgl. auch Röm 11,20) und spricht vom συναπάγεσϑαι. Was ist hier gemeint? Fordert Paulus eine soziale Haltung der Fürsorge für Niedrige, Schwache, Kleine35? Fasst er ein christliches Ethos der Demut ins Auge36, oder kämpft der Apostel womöglich konkret gegen Pneumatiker in Rom37? 32 R. Jewett, Romans, 768 weist darauf hin, dass εἰς ἀλλήλους spezielle Diktion des Röm ist (vgl. 15,5). 33 So übersetzt E. Käsemann, Römer, 335. Käsemann (ebd.) deutet ταπεινοῖς nicht in Kongruenz zu ὑψηλά neutrisch, sondern maskulin und übersetzt: „Trachtet nicht nach dem Hohen, sondern beugt euch zu den Niedrigen!…“ (330). Ähnlich personal verstanden bei E. Lohse, Brief, 348 und 343. U. Wilckens, Brief, 23 hält das Genus bei ταπεινοῖς offen (Neutrum oder Maskulinum), während z. B. O. Michel, Brief, 275 ταπεινοῖς übersetzt als (verächtlich verwendete?) Neutrum-Form. 34 R. Jewett, Romans, 755 übersetzt (in Anlehnung an H. D. Betz, Galatians, 110 [zu Gal 2,13]): „being drawn toward …“. 35 Vgl. E. Käsemann, Römer, 335, der es ablehnt, ταπεινοῖς als „demütig“ zu verstehen: „Es meint die äußere Not …“. O. Michel, Brief, 275 Anm. 4 führt die in der Forschung bis dahin vertretenen Erklärungen bei einer maskulinen Übersetzung an. 36 Vgl. E. Lohse, Brief, 348: „Nicht in der Nachbarschaft zu hochmütigen Leuten, sondern in der Gemeinschaft mit den Demütigen ist der Ort zu finden, an den man sich zu begeben hat“. 37 Vgl. O. Michel, Brief, 275: Gemeint sind „geringe Dinge in der Gemeinde, die dem Pneumatiker weder Ehre noch Ansehen bringen“.
4.4. Ermahnungen zur Niedrig-Gesinnung
149
Die Interpretation der Wendung setzt bei der Genus-Bestimmung von ταπεινοῖς an. Die häufig anzutreffenden exegetischen Versuche, das Adjektiv im Dativ Plural als Maskulinum zu verstehen38, sind weder durch den Mikro-Kontext in Röm 12,16 noch durch motivische Parallelen (z. B. Did 3,9) und deren syntaktische Struktur gedeckt: Die antithetischen Parallelismen in Röm 12,14–15 so wie auch Did 3,9 basieren jeweils auf einer Kongruenz im Blick auf das Genus der substantivierten Partizipien oder Adjektive. So wie also Paulus ein „Trachten nach den hohen Dingen“ verbietet, empfiehlt er ein συναπάγεσϑαι „nach den niedrigen Dingen“39. Wie aber lässt sich bei dieser Empfehlung des Paulus die negative Konnotation, jedenfalls die Implikation von „irrationality“40 deuten, die συναπάγεσϑαι (vgl. Gal 2,13; 2 Petr 3,17) zum Ausdruck bringt?41 Otto Michel weist zudem auf die Paradoxie der Wendung hin: „… die geringen, niedrigen Dinge haben an sich keine Macht, den Menschen über sich selbst hinauszuheben“42.
Doch auch der Teilvers ὑψηλὰ φρονοῦντες muss aus paulinischer Sicht paradox wirken, wirbt Paulus doch zuvor für eine besonnene Gesinnung, also ein σωφρονεῖν (12,3). Φρονεῖν und ὑψηλά sind semantisch betrachtet Kontradiktionen. Es scheint daher plausibel, dass Paulus in 12,16 Wendungen prägt, die die Fremd‑ und Selbstwahrnehmungen der an der 38 So auch R. Jewett, Romans, 769 bes. Anm. 130. – S. auch die vorhergehenden Anm. oben. 39 Vgl. auch O. Michel, Brief, 275 und 268. 40 So H. D. Betz, Galatians, 110: „The verb συναπάγοµαι τινί has a strong connotation of irrationality“. 41 Liddell-Scott-Jones schlagen vor, die Wendung in Röm 12,16 als συµπεριφέροµαι, also als „accommodate“ oder „adapt oneself to“ zu übersetzen: LSJ, 1696 und 1682 f. Die negative Konnotierung des Lexems, das Paulus selbst in V. 16 wählt, aber wird so nicht aufgelöst, sondern bleibt bestehen. 42 O. Michel, Brief, 275.
150
4. Vor dem Phil – Paulus und die ‚Demut‘ in 2 Kor und Röm
Kontroverse beteiligten Gruppen verändert und so auf den Kopf stellt: Diejenigen, die nach den „hohen Dingen“ streben, werden von ihren Widersachern eigentlich als συναπαγόµενοι betrachtet, erscheinen nun aber im Licht der φρονοῦντες. Auch wenn ihr Streben von Paulus abgelehnt wird, wird ihnen zunächst geschmeichelt. Diejenigen, die sich nach den ταπεινά orientieren, schätzen ihr Streben als φρονοῦντες ein, werden aber als συναπαγόµενοι enttarnt – der möglichen Kritik ihrer Widersacher wird stattgegeben, aber nur vordergründig. Denn Paulus favorisiert unmissverständlich ebendiese eigentlich desavouierte Haltung des τοῖς ταπεινοῖς συναπαγόµενοι. Mit diesem Perspektivenwechsel auf Selbst‑ und Fremdeinschätzung sucht der Apostel letztlich nichts anderes, als die an der Kontroverse beteiligten Gruppen auf einander zu zu bewegen und die Einheit in der Gemeinde zu befördern (12,16a). Für die Geschichte des Begriffs der paulinischen Demut indes bleibt wichtig: Paulus bereitet in Röm 12 den Begriff der ταπεινοφροσύνη als ekklesiales Ethos der Niedrig-Gesinnung vor. Zugleich aber deutet er schon hier mögliche Ambivalenzen selbst an: Die Haltung der Niedrigkeit ist in der Gemeinschaft der Christus-Glaubenden unter Verdacht geraten, nicht φρονεῖν, sondern συναπάγεσϑαι zu sein. Anders als es in Phil 1–2 der Fall ist, räumt Paulus diesen Eindruck von Ambivalenz in Röm 12 nicht aus. Es ist der Verfasser des Kol, der genau diese Ambivalenz im Umgang mit der Demut wieder aufgreifen und in seiner Weise thematisieren und weiter entwickeln wird43.
43
Vgl. dazu unten unter 6.3.
5. Das paulinische Konzept in Phil 2: ‚Demut‘ als christliche Klugheit und literarische Übung 5.1. Ταπεινοφροσύνη als christliche φρόνησις In Phil 1–2 macht Paulus das φρονεῖν der Philipper und des Briefeschreibers zu einem Kernthema seines Schreibens1. In 2,1–3 entwickelt der Apostel die Demut im Zusammenhang der Überlegungen zur ‚Gesinnung‘ der Gemeinde. Die Demut als Niedrig-Gesinnung qualifiziert die gewünschte φρόνησις der Christus-Glaubenden: Henophronesis und Isophronie werden durch eine von Christus her definierte ταπεινο-φροσύνη erreicht. Der paulinische Begriff der ‚Niedrig-Gesinnung‘ lässt sich damit im weitesten Sinne in den antiken Phronesis-Diskurs hineinstellen. Wieweit nimmt Paulus aber tatsächlich am Phronesis-Diskurs der Antike teil? Wir wollen im Folgenden weder voraussetzen noch begründen, dass Paulus und der Begriff der Demut in der griechischhellenistischen praktischen Philosophie sachgemäß beheimatet sind oder sich kontextualisieren lassen. Es geht vielmehr darum zu zeigen, in welcher Weise sich das paulinische Argumentieren in konzeptioneller Nähe zu bestimmten Denkstrukturen bewegt, die für die praktische Philosophie grundlegend sind: so besonders die enge Verbindung von Politik und Ethik2 bzw. Tugendlehre, die für Platon und Aristoteles typisch ist. Der Vergleich von Phil 1–2 mit den aristotelischen oder platonischen 1
2
S. dazu ausführlich oben unter 3.5. Vgl. auch C. Rapp, Aristoteles, 55 ff.
152
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
Denkstrukturen hilft uns also – unabhängig von der Frage, wieweit die Ethik des Aristoteles im 1. Jh. innerhalb und außerhalb der peripatetischen Tradition rezipiert wurde3 – dazu, die relevanten Mechanismen im paulinischen Denken auszuleuchten, die zur Verbindung von Ethik und Ekklesiologie führen. Deren mögliche Ableitung aus der antiken Philosophie werden wir nicht postulieren. In der antiken Philosophie steht Phronesis gemeinhin für die praktische Gesinnung des Menschen: für seine LebensKlugheit4. Auch wenn die Definition des Begriffs in der „Nikomachischen Ethik“ einen „zu schwerfälligen oder … zu technischen Charakter“ hat5, spielt in der Entwicklung des Begriffs Aristoteles eine besondere Rolle, wie Pierre Aubenque (2007) herausgestellt hat. Aristoteles bezeichnet mit dem Wort „φρόνησις das, was die lateinische Tradition prudentia, Klugheit, nennt, und was von dem benachbarten und dennoch ganz verschiedenen Begriff Weisheit (sapientia, σοφία) zu unterscheiden ist“6. Aristoteles versteht – etwa im Unterschied zur Stoa – die Phronesis nicht als „‚Wissenschaft vom Guten und Schlechten‘“ und auch nicht als eine „Kunst“, sondern als einen ‚praktischen Habitus‘7, den er als ἕξις bezeichnet (Eth Nic 1,13,1103a9). Phronesis im aristotelischen Sinne stellt eine Verstandestugend,
3 Die Wiederentdeckung und Rezeption des Aristoteles im Zeitraum von ca. 200 v. bis 200 n. Chr. hat Robert W. Sharples (Philosophy) umfangreich dokumentiert, zur Einleitung: a. a. O., viiff. 4 Vgl. M. Becker, Klugheit, 99 ff. 5 P. Aubenque, Begriff 41 mit Hinweis auf Eth Nic 6,5,1140b20 und 5 (a. a. O., 218): „So folgt denn mit Notwendigkeit, daß die Klugheit ein untrüglicher, vernünftiger Habitus des Handelns ist in Dingen, die die menschlichen Güter betreffen“; sie ist ein „untrüglicher Habitus vernünftigen Handelns … in Dingen, die für den Menschen Güter und Übel sind“ (Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 135 f. [teils kursiv]). 6 P. Aubenque, Begriff, 11. 7 P. Aubenque, Begriff, 41 f.
5.1. Ταπεινοφροσύνη als christliche φρόνησις
153
also eine dianoetische Tugend dar und verlangt nach einer besonderen Definition: „Während die moralische Tugend ein (praktischer) Habitus im Hinblick auf die Entscheidung (προαιρετική) ist, handelt es sich bei der Klugheit um einen praktischen Habitus im Hinblick auf die Regel der Entscheidung. Es geht hier nicht um die Richtigkeit der Handlung, sondern um die Angemessenheit des Kriteriums …“8.
Nach diesem Verständnis steuert und bewertet die Klugheit den Prozess, in dem Handlungen überlegt und ausgeführt werden. Die Klugheit ist die „Norm für das ethisch wertvolle Handeln“ – zusammen mit der σοφία dient sie als Tugend dem praktischen und theoretischen Intellekt9. Die Sophrosyne ist „Bewahrerin der Klugheit … Sie bewahrt nämlich das zur Klugheit erforderliche Urteil“ (6,5,1140b11 f.)10. Auch Paulus beschreibt in Phil 2,3 die Demut wesentlich als ein Instrument, das den Prozess begleitet, in dem es um die Herstellung und Durchsetzung von Henophronesis geht. In welcher Weise lässt sich also die ταπεινοφροσύνη als eine paulinische Erfindung christlicher Phronesis oder gar als dianoetische Tugend im Sinne der aristotelischen Bestimmung der Klugheit verstehen? Im 6. Buch der schon genannten Ethica Nicomachea, der „Ethik ohne Metaphysik für den normalen Bürger“11, beschäftigt sich Aristoteles ausführlich mit den dianoetischen Tugenden12, besonders aber mit der Phronesis. Hellmut Flashar (2013) weist darauf hin, welche Wirkung gerade dieses aristotelische Kapitel über die Darstellung der Phronesis auf die Geschichte der Hermeneutik im 20. Jh. (Heidegger; Gadamer) hatte: 8
P. Aubenque, Begriff, 42. M. Becker, Klugheit, 114. 10 Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 136. 11 H. Flashar, Aristoteles, 72. 12 Diese sind schon eingangs definiert, vgl. Aristoteles, Eth Nic 1,13, 1103a5, und umfassen: Praktisches Können, wissenschaftliche Erkenntnis, Klugheit, Weisheit, Denken, vgl. H. Flashar, Aristoteles, 88. 9
154
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
„Die Spannung zwischen Verstehen und Anwenden in der mit dem Begriff Phronesis gegebenen Bemessung der Rolle, die die Vernunft im sittlichen Handeln zu spielen hat, die Anwendung von etwas Allgemeinem auf das Besondere, die methodische Überwindung der Isolierung von Subjekt und Objekt, indem beide Seiten dialektisch integriert werden, weil der Handelnde, von dem, was er erkennt und entscheidet, selbst betroffen ist, und wie dadurch das Problem der Methode eine moralische Dimension bekommt – das alles sind Grundsätze der aristotelischen Ethik, die für Gadamer Modell und Analogie für das hermeneutische Problem der modernen Geisteswissenschaften darstellen“13.
Lässt sich auch die paulinische ταπεινοφροσύνη entsprechend in einen geistesgeschichtlichen Diskurs einzeichnen, der Grundprobleme der philosophischen Hermeneutik aufgreift? Wir bleiben vorerst bei Aristoteles und seinem theoretisch-ethischen Zugriff auf die Phronesis. Der Philosoph legt dar, dass es die Klugheit mit „irdischen und menschlichen Dingen zu tun“ hat (6,8,1141b)14. Er nennt konkret die Eigenschaftsmerkmale des φρόνιµος: die Fähigkeit zu guter Beratschlagung und vorausschauender Planung, aber auch „das Verfolgen eigener Interessen“15. Klugheit lässt sich sogar daran messen, wieweit sie sich am eigenen Nutzen und dem der anderen orientiert (z. B. 6,5,1140a). Nur wer den eigenen Vorteil wahrnimmt, kann letztlich auch für die anderen sorgen und Verantwortung für das Gemeinwohl tragen (6,7,1141a25 f.). Eher noch als dem Philosophen ist einem Politiker wie Perikles und denen, die das Haus verwalten, Klugheit zuzusprechen (10,9,1179a)16. Dementsprechend gehören für Aristoteles Klugheit und Politik eng zusammen: Nur in Hinsicht auf den „Zuständigkeitsbereich“ lassen sich die individuelle, die ökonomische und die politische 13
H. Flashar, Aristoteles, 91. Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 139. 15 M. Becker, Klugheit, 116; vgl. auch: P. Aubenque, Begriff, 107–146: βούλευσις, προαίρεσις, γνώµη. 16 Vgl. auch P. Aubenque, Begriff, 59. 14
5.1. Ταπεινοφροσύνη als christliche φρόνησις
155
Phronesis – letztere in Form von Gesetzgebungskunst und Staatskunst – unterscheiden (6,8,1141b23/33)17. Auch Paulus ist im Phil um den Nutzen seiner eigenen Arbeit und der gegenseitigen Fürsorge in der Gemeinde besorgt. Er selbst gibt sich so als φρόνιµος zu erkennen. Der Gegenstandsbereich, in dem seine eigene Klugheit und die der Gemeinde im täglichen πολιτεύεσϑαι (1,27) zum Einsatz kommt, ist die Ekklesia bzw. die Gemeinschaft der ‚Heiligen‘ (1,1), die ihr Politeuma gleichwohl nicht immanent beanspruchen kann, sondern es in den Himmeln erwartet (3,20). Gerade weil Paulus prinzipiell um die Nutzenorientierung des eigenen und des in der Ekklesia vorherrschenden (2,3) Handelns weiß und ein Nutzendenken in bestimmten Zusammenhängen sogar selbst gutheißen kann18, fordert er im gemeinschaftlichen Leben der Philipper die ταπεινοφροσύνη als vertikale Interaktionsstruktur. Nur sie kann dem Aufkommen von ἐριϑεία und κενοδοξία entgegenwirken (2,3). Strukturelle Parallelen bei der aristotelischen und der paulinischen Konzeption von Phronesis sind deutlich. Eine vergleichende Aristoteles‑ und Paulus-Interpretation ist fruchtbar. Sie kann zudem die jeweiligen literarischen und (philosophisch‑)ethischen Interessen aufdecken, die für beide Autoren leitend sind: Die Ethica Nicomachea geht wohl auf Vorlesungen zurück19, während der Phil ein ultima verba Schreiben an die Philipper ist. Beide Autoren aber haben ihre audience direkt im Blick und sprechen sie an (vgl. Aristoteles, Eth Nic 1,1,1094b22; 1095a2 ff.). Dieser Umstand wirkt auch 17
M. Becker, Klugheit, 117. Vgl. dazu die Semantik des συµφέρειν, σύµφορον, ὠφέλεια, ὠφελεῖν, die im Phil nicht begegnet, aber u. a. in der korinthischen Korrespondenz eine wichtige Rolle spielt: 1 Kor 6,12; 7,35; 10,23.33; 12,7; 13,3; 14,6; 2 Kor 8,10; 12,1. 19 Vgl. H. Flashar, Aristoteles, 73. Vgl. kritischer im Blick auf die Frage, wieweit die gegenwärtige Form noch Zeichen des Vorlesungsmanuskriptes trägt: D. Frede, Form, 215. 18
156
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
auf die Komposition der Texte und die Argumentationstechnik ihrer Verfasser zurück20. Im Folgenden werden wir verschiedene Aspekte aufgreifen, die bei der gegenwärtigen (philosophisch-ethischen) Diskussion über den aristotelischen Klugheit-Begriffs begegnen. Daran anschließend versuchen wir nachzuzeichnen, wie wir in den paulinischen Überlegungen zu Demut, Niedrig-Gesinnung und Henophronesis (Phil 1–2) in Ansätzen eine konzeptionelle Fortschreibung des antiken Phronesis-Begriffs erkennen können. Es wird sich zeigen, dass Paulus die ταπεινοφροσύνη strukturell als Klugheit zur Durchsetzung ekklesialer Henophronesis bzw. Isophronie und Gerechtigkeit ethisch und noetisch entwickelt, ohne gleichzeitig darauf zu verzichten, die epistemischen Aspekte, die die gemein-antike Vorstellung von Phronesis impliziert, zu marginalisieren und dagegen zu polemisieren (vgl. 2 Kor 11,19; Röm 11,25; 12,16)21. Allerdings weist auch Aristoteles darauf hin, dass die Klugheit „nicht Wissenschaft ist. Sie befaßt sich ja … mit dem Letzten … Sie ist also das Gegenstück zum Verstand“ (6,9,1142a24 f.: τοῦ γὰρ ἐσχάτου ἐστίν … ἀντίκειται τῷ νῷ)22. Die Klugheit herrscht nicht über die Weisheit, sondern versucht, sie herzustellen (6,13,1145a)23. Es ist daher zu prüfen, wieviel der Strukturvergleich zwischen der aristotelischen Phronesis und der paulinischen Demut als ταπεινοφροσύνη am Ende austrägt. Geht es im paulinischen Konzept der Demut letztlich um die Interaktion 20 D. Frede, Form, 234 f. hat zuletzt die audience bei Aristoteles als Größe bezeichnet, bei der die ‚drei Stimmen‘ des Autors zusammenkommen: „the voice of the philosopher, the voice of the empirical researcher, in political science, and the voice of the pedagogue“ (a. a. O., 235). 21 Darauf weist M. Becker, Klugheit, 150 hin. 22 Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 141. 23 Zur Differenzierung von Sophia und Phronesis bei Aristoteles und der Überwindung dieser Differenz in der Stoa, vgl.: P. Aubenque, Begriff, 175 ff.
5.2. Ethik und Poetik: Der Apostel
157
von Ethik oder Politik oder doch mehr um die Moralisierung der Phronesis – eine Vorstellung, die den Begriff der Demut bei Paulus von den Denkstrukturen des Aristoteles wegführen und dann eher in die Nähe des stoischen Klugheit-Begriffs rücken würde?24 5.2. Ethik und Poetik: Der Apostel Aristoteles hat in seinem Zugriff auf die Phronesis eine wichtige differenzierende Zuordnung vorgenommen: Er unterscheidet die Phronesis als praktische Weisheit von der Poetik (Eth Nic 6,5,1140b): Phronesis ist mit einer auf sie selbst bezogenen Handlung befasst, Poiesis wird dagegen als ein auf die Herstellung eines Produkts hin bezogene Handlung definiert. Die zuerst genannte Handlung hat ethisch-moralischen Charakter, die zweite nicht25. In der gegenwärtigen Aristoteles-Rezeption im Bereich kulturwissenschaftlicher und hermeneutischer Forschungen werden hier Synthetisierungen vorgeschlagen. Es wird versucht, die Phronesis als eine poetische Handlung zu deuten, die zugleich neue ethisch-moralische Diskurse generiert. Ethisches und poetisches Handeln interagieren, ohne
24 Vgl. zur moralischen Aufladung der Klugheit in der Stoa: P. Aubenque, Begriff, 41 ff. und M. Becker, Klugheit, 121 ff. – Zur These der konzeptionellen Nähe des Paulus zur Stoa im Bereich der Ethik vgl.: T. Engberg-Pedersen, Paul and the Stoics; ders., Logic, auch zu den Differenzen paulinischer zur moralphilosophischen Ethik. Kritische Überlegungen dazu auch z. B. in: S. Vollenweider, Lebenskunst, 128. 25 J. Wall, Phronesis, 319: „Phronesis does not produce something new … It understands and pursues a good – happiness or eudaimonia – that is already written into the fabric of human nature. Poiêsis, on the other hand, produces new goods like plays and stories (and crafts and buildings), so that while it may sometimes be a useful instrument for moral life, it is not a moral activity in itself“.
158
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
dabei ununterscheidbar zu sein (z. B. Alasdair MacIntyre; Martha C. Nussbaum; Paul Ricœur)26. Diese Überlegungen erweisen sich auch für Phil 1–2 als relevant. Denn hier liegen – wie wir schon sahen – Ethik und Poetik nahe beieinander. Mit dem Begriff der ταπεινοφροσύνη prägt Paulus einen spezifischen ethischen Begriff, der das Instrument benennt, mit dem die Henophronesis in der Gemeinde verwirklicht werden kann: mit einer Gesinnung, die durch die Christus-Akkommodation bestimmt ist. Im Christus-exemplum wählt Paulus eine besondere literarische Form (genus medium), wenn er die Handlungen der ‚NiedrigGesinnung‘ veranschaulicht. Paulus formuliert also im brieflichen Kontext gemeindliche Paränese und konzipiert dabei die ταπεινοφροσύνη als ethischen Begriff. Er tut dies zugleich auf ‚poetischem‘, d. h. auf literarisch-kreativem Wege. Im aristotelischen Sinne schafft er mit Phil 1–2 ein ‚Produkt‘, dass über die Ermahnung zu einer an Christus orientierten NiedrigGesinnung hinausführt. Paulus bereitet in 2,6–11 nicht nur eine Personifizierung der ταπεινοφροσύνη vor, sondern stilisiert sich selbst, mit der superscriptio beginnend27, als einen δοῦλος Χριστοῦ und somit als persönliches Beispiel für die Übung von Niedrig-Gesinnung. Mit dieser literarischen Selbststilisierung gelingt es dem Apostel, seine Person in Konformität zu Christus darzustellen. Das Medium des (brieflichen) Schreibens entwickelt dabei eine poetische wie ethische Eigendynamik. Paulus weist sich nämlich als erster frühjüdischer, orthonym schreibender Autor aus, der nicht nur die ταπειν-Semantik vielfältig verwendet (vgl. Ben Sira), sondern auch erstmals autobiographisch über seine Haltung und Übung der Demut berichtet. Paulus schreibt damit die israelitisch-jüdische master narrative vom religiösen 26 27
Vgl. dazu J. Wall, Phronesis, 319. S. dazu oben unter 3.6. und auch 4.1.
5.3. Ekklesiale Klugheit: Die Gemeinde
159
(und sozialen oder rechtlichen) Erfolg des Demütigen (Ps; Jes 53 etc.) nicht nur fort, sondern auch um. Paulus kreiert nämlich das literarische Paradigma eines autobiographisch schreibenden ‚demütigen‘ Gemeindeleiters und Briefautors, das zugleich ethisch wirkt. Daran knüpfen christliche Schriftsteller wie Augustinus in vielfältiger Weise an, um sich mit Hilfe dieser literarischen und religiösen Tradition persönlich wie rhetorisch zu autorisieren28. Bei Paulus befördern Deutung, Exemplifizierung und Personifizierung der Demut demnach in entscheidendem Umfang die literarische Entwicklung einer frühchristlichen Vorstellung von der Phronesis als Mittel zur Erreichung einer Christus-Konformität – das gilt für den Bereich der Ethik und Poetik. 5.3. Ekklesiale Klugheit: Die Gemeinde In seiner Darstellung über das „Urchristentum“ hatte Johannes Weiß (1917) vier leitende Motive in der paulinischen Ethik erkannt: „das eschatologische …, das religiöse oder das Heiligkeits-Motiv … Das Gemeinschaftsmotiv … Das Persönlichkeitsmotiv“29. Diese knapp und präzise benannten Motive begegnen auch als Teilaspekte in einzelnen paulinischen Konzepten zur Ethik wieder: Wir sehen bei unserer Deutung von Phil 2,3, dass die Demut der Heiligung der Gemeinde in eschatologischer Perspektive dient (z. B. Phil 1,10; 3,17–21). Bei der paulinischen ταπεινοφροσύνη lassen sich zudem einerseits individuelle, andererseits kommunitäre Aspekte der ‚NiedrigGesinnung‘ betrachten. Zunächst zu den kommunitären Aspekten, die in den jüngsten Beiträgen zur paulinischen EthikForschung besonders hervorgehoben werden. Michael Wolter 28 29
Vgl. dazu z. B. T. Fuhrer, Erzählte Philosophie. J. Weiß, Urchristentum, 435–441.
160
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
(2011) hat darauf hingewiesen, dass die ekklesiale Ausrichtung paulinischer Ethik identitätsstiftend ist: „Basis der ethischen Weisung sind … die vom gesellschaftlichen Status unabhängigen interpersonalen Relationen innerhalb der Ekklesia. Von Bedeutung ist allein diejenige Identität, die allen gemeinsam ist: die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde“30.
Diese Beschreibung lässt sich – über Wolter hinaus – gerade auf die paulinische Konzeption der Demut anwenden. Paulus setzt bei den interpersonalen Relationen in Philippi an. Der Einzelne soll die Belange der anderen höher als die eigenen Belange betrachten (2,4). Es kommt dabei zu einer vertikalen Interaktionsstruktur31. In der vertikalen Interaktion wird Einheit möglich (2,2) und eine Gesinnung begründet, die sich an Christus orientiert (2,5). In dieser Haltung und Handlung liegen für Paulus die identitätsstiftenden Elemente, die es der Gemeinde erlauben, des Evangeliums würdig in der Welt zu leben und besonders mit der Außenwelt zu kommunizieren (πολιτεύεσϑε: 1,27). Es ist wohl diese Perspektive auf die Interaktionsstruktur in der christlichen Gemeinschaft, die letztlich Dietrich Bonhoeffers Interesse an der Demut als ekklesialer Haltung einheitlicher Gesinnung maßgeblich motiviert haben dürfte32. Die Heno phronesis, die mit Hilfe der ‚Niedrig-Gesinnung‘ hergestellt wird, erweist sich als eine ekklesiale Klugheit, mit der die Gemeinde zusammenstehen und ethisch unversehrt den ‚Tag des Herrn‘ erwarten kann (vgl. auch Phil 2,16). Die paulinischen Überlegungen lassen sich gerade an diesem Punkt auch gesellschaftspolitisch relevant machen. Paulus reflektiert über individuelle Möglichkeiten der Stärkung des Gemeinsinns. Das gegenwärtige politisch-ethische Interesse am „Kom30
M. Wolter, Identität, 151 f. (teil kursiv). Vgl. dazu oben unter 3.6. 32 Vgl. dazu oben unter 2.2. 31
5.4. Zwischen Ethos und Verstandestugend: Der Einzelne
161
munitarismus“33, das besonders den inneren Zusammenhalt von Gesellschaften in den Blick nimmt, kann unter Umständen von Paulus und seiner Sicht auf die gemeinschaftsfördernde Gesinnung der Demut Entscheidendes lernen. 5.4. Zwischen Ethos und Verstandestugend: Der Einzelne Die paulinische Ethik ist grundsätzlich ekklesial konzipiert. Sie ist daher nicht „vom erkennenden und handelnden, von der Vernunft und der Sittlichkeit bestimmten Subjekt her“ entworfen34. Gleichwohl spielt das ‚Persönlichkeitsmotiv‘, wie schon Weiß erkannte (s. o.), eine entscheidende Rolle. Nach Paulus ist die Demut eine anthropologische Größe, denn sie ist vom Einzelnen zu üben, auch wenn das ‚Prinzip der Reziprozität‘ gilt35. Ist die ταπεινοφροσύνη bei Paulus damit als Ethos oder als sittliche Tugend, als Gesinnung oder als Habitus gedacht? Die exegetische Forschung tendiert dazu, die Demut den Tugenden zuzurechnen (z. B. Feldmeier; Wright), ohne bei dieser Zuordnung die Grenzen zum Ethos deutlich zu markieren (z. B. Theißen) oder auch zu diskutieren, wieweit der Begriff der Demut an die dianoetischen Tugenden anschließt. Was aber hat unsere bisherige exegetische Analyse des Begriffs der Demut bei Paulus für die Frage nach der Bestimmung des ethischen Diskursfeldes, in dem sich der Apostel bewegt, und die mögliche Spezifizierung der (antiken) Tugendlehre erbracht?36 Die Ermahnung zur ταπεινοφροσύνη in der Gemeinde verbindet Paulus nicht mit der Bestimmung eines der Eudaimonia ähnlichen Ziels, das die Ausübung von Demut zu erwarten 33
Vgl. W. Huber, Ethik, 215; J. Rommerskirchen, Das Gute, 235 ff. U. Schnelle, Theologie, 294. 35 Vgl. M. Wolter, Paulus, 323. 36 Vgl. dazu oben unter 1.5. 34
162
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
habe – anders die Benediktsregel, die den ‚Lohn der Demut‘ in der vollkommenen Gottesliebe in Aussicht stellt. Auch formuliert Paulus nicht die präskriptive rabbinische Vorstellung, wonach die ‚Ferse der Demut‘ ‚die Furcht Jahves‘ sei37. Paulus hofft auf durch Gemeinschaftssinn wachsende Freude (χαρά) und erwartet einen Lohn der Demut erst als eschatologische Gabe, die aus der Christus-Konformität folgt38. Die Frage nach Entlohnung entschärft Paulus zudem insofern, als er das Ethos der Demut per se als ein Erfolgs-Ethos propagiert. Die exemplarisch erzählte Geschichte vom Attributverzicht und der Selbsterniedrigung Jesu ist eine Erfolgsgeschichte. Von daher soll die Ermahnung zur Demut nicht zuerst etwas präskriptiv fordern, das nachher belohnt werden wird, sondern für etwas werben, das in sich erfolgversprechend ist und vorauslaufend für die Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes sorgt39. Aristoteles dagegen postuliert beim Menschen eine „natürliche Neigung zum Guten“, die durch die Klugheit dann „in die rechte Bahn gelenkt“ wird40. Im Ergebnis macht die paulinische Beispiel-Erzählung Christus zu einem Vorbild der Niedrig-Gesinnung41. Demut konkretisiert sich im individuellen, freiwillig geübten Ver37 Rabbi Jicchaq b. Eleazar (um 340 n. Chr.): bei Strack-Billerbeck I,194. 38 Paulus spricht allerdings nicht über den konkreten ‚Lohn‘ der ταπεινοφροσύνη. Den Adressaten in Philippi wird – anders als den Märtyrern des 2. Jhs. – ebenso wenig Erfolg in Form einer ‚Erhöhung‘ in Aussicht gestellt. Steht die Erhöhung der Gemeinschaft erst eschatologisch aus? In Phil 3,21 drückt Paulus seine Hoffnung darauf aus, dass – wie er schreibt – ‚unser erniedrigter Leib verwandelt werde dem Leib seiner Herrlichkeit entsprechend‘. Es scheint sinnvoll, Phil 2,1–11 in einem Spannungsbogen zu lesen, der erst in 3,21 zu einem Abschluss kommt. 39 Vgl. dazu unten unter 5.5. 40 M. Becker, Klugheit, 115. 41 In anderen Teilen des Phil (Kap. 1–3) macht sich Paulus selbst – oder seine Mitarbeiter – zum Vorbild für die Gemeinde.
5.4. Zwischen Ethos und Verstandestugend: Der Einzelne
163
halten, das für tugendhafte Handlungen typisch ist42, und lässt sich am besten im erzählten Beispiel erfassen43. Das motiviert zur Nachahmung. Was aber bedeutet ‚Nachahmung‘ genau – wieweit kann das, was Christus tut, vorbildhaft für die Gemeinde sein?44 Sollen alle Gemeindeglieder einen gewaltsamen Tod in Kauf nehmen oder gar suchen und sich wie Christus kreuzigen zu lassen – eine Ausdrucksweise, die Paulus in anderen Argumentationszusammenhängen durchaus nicht unvertraut ist (Röm 6,6; Gal 2,19; 5,24)? Zwar gibt Paulus im Phil (Kap. 1 und 3) mehrfach zu erkennen, dass eine Leidensgemeinschaft mit Christus auch für ihn als Apostel einen gewaltsamen Tod bedeuten kann. Ein solcher Tod ist aber keineswegs gewiss. Das persönliche Schicksal des Paulus ist so wie das der Gemeinde letztlich bis zur eschatologischen Zeit (3,21) offen45. Daher ist die Christus-Orientierung nicht einfach gleichbedeutend mit Leiden und einem gewaltsamen Sterben, und Leidensnachfolge oder Martyrium müssen nicht notwendig Ausdruck von Demut sein46. Nur über das Lexem δοῦλος wird in Phil 2,1–11 das Kreuz (σταυρός) mit dem semantischen Feld der Niedrigkeit (ταπειν‑) logisch verbunden. Wie eine christus-orientierte Demut zu üben sei, ist vielmehr personen‑ und kontextabhängig. Auch das zeigt das Christusexemplum in eindrücklicher Weise. Welche Einsichten ergeben sich von hierher für den (antiken) Tugend-Diskurs? Kann die Übung der Demut eine persönliche Tugend oder ein Habitus sein? Kommen ihr gar 42
Vgl. H. Flashar, Aristoteles, 80. Die „Niedrigkeit, zu der Christus willig war“, wird nicht „mit irgend jemandes Stellung über ihm, sondern nur mit seiner eigenen bisherigen Stellung“ verglichen, K. Thieme, Philipper 2, 16. 44 Wie verhält sich die Erniedrigung Christi zu der von der Gemeinde geforderten ταπεινοφροσύνη (Phil 2,3–8)? 45 Daran sollen sich die Philipper orientieren: Phil 3,17. 46 Vgl. dazu ausführlicher oben unter 3.7. 43
164
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
Eigenschaften einer Verstandestugend zu? Aristoteles beschreibt und klassifiziert die Verstandestugenden wie folgt: „Verstandestugenden sind Weisheit, Verstand und Klugheit, sittliche Tugenden Freigebigkeit und Mäßigkeit. Denn wenn wir von dem sittlichen Charakter (ἦϑος) sprechen, sagen wir nicht, daß einer weise oder verständig (σοφὸς ἢ συνετὸς), sondern daß er sanft und mäßig (πρᾶος ἢ σώφρων) ist. Wir loben aber auch den Habitus der Weisheit (τὸν σοφὸν κατὰ τὴν ἕξιν). Ein lobenswerter Habitus wird aber Tugend genannt (τῶν ἕξεων δὲ τὰς ἐπαινετὰς ἀρετὰς λέγοµεν)“47.
Ist die Niedrig-Gesinnung im paulinischen Sinne also eine Verstandstugend nach aristotelischer Definition? Wir können soweit festhalten, dass sich die Demut konkret als individuelle Leistung des Verzichts auf eigene Statusmöglichkeiten im Dienste der Gemeinschaft realisiert. Es geht dabei grundsätzlich um die Höherschätzung der Interessen des anderen gegenüber den eigenen. Der leitende Rahmen ist die ἐκκλησία. Paulus lässt es – anders als Gerd Theißen meint – offen, ob hier auch an einen „Statusverzicht in der Gesellschaft“ gedacht ist (vgl. so eher: Mart Pol 1,2)48. Wir werden daher zurückhaltend sein müssen, wenn es darum geht, die sozialhistorische Situation der Gemeindeglieder in Philippi, wie sie Peter Oakes (2001) überzeugend rekonstruiert hat49, für die Interpretation 47
Übersetzung nach: E. Rolfes/G. Bien, Ethik, 25. G. Theissen, Kathedrale, 81. 49 Vgl. P. Oakes, Philippians, 91: Oakes nennt einige Beispiele dafür, was ‚Leiden‘, d. h. Repressalien, Schikane etc. konkret für verschiedene Gruppen in Philippi bedeutet haben könnte: „The crucial form of suffering for the bakers“ – so Oakes – „was economic. Broken relationships, broken reputations and broken heads would all be serious forms of suffering in themselves. However, for a family on a subsistence income, the most serious aspect of each of these would be the long-term economic effect that it produced“ (91). For „colonist farmers“ – so Oakes – das „main secondary concern would be loss of honour“ (91). „For them, a night in prison or a beating might not have great economic consequences, especially as the family income might be a little above subsistence level“ (91). 48
5.4. Zwischen Ethos und Verstandestugend: Der Einzelne
165
von Phil 1–2 fruchtbar zu machen. Als Niedrig-Gesinnung innerhalb der Gemeinde sagt die Demut in Phil 2 vielmehr Grundlegendes aus über die Gemeinschaft der Christus-Glaubenden miteinander in der ἐκκλησία τοῦ ϑεοῦ. Rudolf Bultmann hat an diesem Punkt in seiner „Theologie des Neuen Testaments“ den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er die ταπεινοφροσύνη bei Paulus als eine „spezielle Erscheinungsform“ der christlichen ἀγάπη bezeichnet50, eine Bezeichnung, die nicht weit entfernt von Max Schelers Beschreibung der Demut „als ein Modus der Liebe“ ist51. Als christus-orientierte Haltung und Handlung der Niedrig-Gesinnung geht sie dabei letztlich über das „Ethos von Nächstenliebe“52 hinaus. So gesehen ist die Demut so sehr oder so wenig Tugend oder Habitus, wie es die Agape ist. Weiter: Demut konkretisiert sich im Verhalten des Einzelnen. Sie gewinnt am beispielhaften Vorbild Gestalt: In V. 6–11 erzählt Paulus davon, dass Christus sich freiwillig entäußerte und so Demut übte – die Erniedrigung wurde ihm nicht abverlangt53. Demut kann auch den Philippern nicht abverlangt werden. Sie ist an das freiwillige Handeln des Einzelnen, das Paulus im Christus-Beispiel darlegt, gebunden. Umgekehrt lässt sich eine Gemeinschaft der Christus-Glaubenden ohne ein Handeln, das sich an Christus orientiert, kaum denken. Paulus macht die Übung der Demut aber nicht nur mit Hilfe des Christus-exemplum narrativ plausibel, sondern zeigt mit seinen ausführlichen Überlegungen zur Phronesis der Philipper in Kapitel 1–2 auf, dass das ekklesiale Handeln auch noetische 50 51
2.2.
R. Bultmann, Theologie, 346. M. Scheler, Umsturz 41955, 21. – S. dazu oben ausführlicher unter
52 G. Theissen, Arbeiten, 44 – hier besonders mit Verweis auf den Jak (1,25). Zum Zusammenhang von ‚Demut‘ und Liebe vgl. auch 1 Clem 21,8 – s. unter 6.7. 53 Der synoptische Passionsbericht (Mk 14 f.parr.) spiegelt diese Freiwilligkeit Jesu, während die Leidensweissagungen vom Motiv des göttlichen δεῖ durchzogen sind (Mk 8,31 u. ö.).
166
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
Implikationen hat54. So fällt die Übung der ταπεινοφροσύνη nicht nur in den Bereich der ethischen Tugenden, sondern fordert gleichermaßen Einsicht, Weisheit und Verständigkeit im Umgang miteinander. Hier berühren wir ein weiteres Mal einen Grundgedanken im aristotelischen Konzept der Phronesis, wo diese zu den dianoetischen Tugenden zu rechnen ist. Paulus entwickelt gleichwohl weder eine umfassende Tugendethik noch eine Tugendlehre. Umgekehrt würde Aristoteles nicht auf den Gedanken kommen, die Haltung von Demut und Niedrig-Gesinnung in seine Tugendethik einzubeziehen55. Und doch bewegt sich die ταπεινοφροσύνη, wie sie Paulus als Instrument zur Herstellung einer christus-orientierten Henophronesis zum Einsatz bringt, in konzeptioneller Nähe zur aristotelischen Verstandestugend der Klugheit – und zwar mehr als in Nähe zu einer ethischen Tugend. Denn Paulus spricht in diesem Zusammenhang weder von Gut und Böse, noch hat er ein Handeln vor Augen, das Maß halten soll. Die paulinische Forderung nach Demut ist vielmehr in gewissem Sinne maßlos. Das gilt in doppelter Weise: Wenn das ekklesiale Handeln sich zum einen an Christus orientieren soll (Phil 2,5), der die ultimative Form von Niedrig-Gesinnung geübt und danach absolute Erhöhung erfahren hat, und zum anderen dazu führt, dass die Freude des Apostels, der selbst größte Niedrigkeit erlebt, an der Gemeinschaft mit den Philippern vollkommen werde (Phil 2,1–4), so muss das von Aristoteles geforderte Maß halten ein Widerspruch in sich selbst sein. Ist es bei Aristoteles die Sophrosyne, die die Klugheit beschützt (s. o.), so ist die ταπεινοφροσύνη, von der Paulus spricht, vollkommen ungeschützt und unter Umständen der Willkür anderer Menschen ausgesetzt. Das aber gilt nur vorläufig, denn die Niedrig-Gesinnung wird in der Erwartung eines universalen 54 55
Vgl. dazu auch ausführlich oben unter 3.5. Vgl. dazu oben zur Motivgeschichte unter 3.2.
5.5. Niedrig-Gesinnung und Gerechtigkeit
167
Handelns Gottes geübt, das über jede Form von Restitution hinaus mit einer Anteilhabe am eschatologischen Schicksal Christi rechnet. Nicht der tugendhaft Handelnde, sondern nur Gott selbst kann nämlich Gerechtigkeit durchsetzen. 5.5. Niedrig-Gesinnung und Gerechtigkeit Nach aristotelischem Verständnis ist tugendhaftes Handeln zugleich gerechtes Handeln (z. B. Eth Nic 5,3,1129b28–30). Platon stellt in seiner „Politeia“ , wenngleich weniger praktisch-moralisch als Aristoteles, ähnliche Zusammenhänge her (R 621c): Demnach hat der Mensch die sittliche Aufgabe, nach der δικαιοσύνη µετὰ φρονήσεως zu streben. Die Gerechtigkeit hat hier die „Stellung der umfassenden u(nd) Einheit stiftenden Tugend“56. Bei Platon schwingen religiöse Vorstellungen mit, die auch im Konzept der εὐσέβεια als Tugend der Frömmigkeit sichtbar werden – Aristoteles indes verzichtet darauf, religiöse Motive zu berücksichtigen57. Das Verhältnis von Ethik und Gerechtigkeit, wie es sich bei Platon und Aristoteles darstellt, ist kategorial verschieden zu dem der Stoa: Für den Stoiker ist das Gerechte von Natur gegeben (vgl. z. B. Zenon)58. Das Naturrecht besagt demnach, dass „Recht u(nd) Staat … als Ergebnis eines sittlichen Handelns der Individuen nach den Maßstäben u(nd) Geboten der recht erkannten Natur“ zu verstehen sind59. So wird das Streben nach Gerechtigkeit als Übereinstimmung mit der Natur letztlich zu einer individuellen moralischen Aufgabe. 56 M. Becker, Klugheit, 112. Zu den konzeptionellen Unterschieden zwischen Aristoteles und Platon bei der politischen Bestimmung der Klugheit: a. a. O., 117. 57 Vgl. H. Flashar, Aristoteles, 84. 58 Belege bei A. Dihle, Gerechtigkeit, 266. 59 A. Dihle, Gerechtigkeit, 267.
168
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
Diese Beobachtungen helfen in doppelter Hinsicht dazu, ein weiteres wichtiges Element bei der paulinischen Konstruktion der ταπεινοφροσύνη in Phil 1–2 in den Blick nehmen und die paulinische Ethik im antiken Diskurs strukturell klarer verorten zu können. Zum einen lässt sich nun bei Paulus der gedankliche Zusammenhang von Demut und Gerechtigkeit genauer aufdecken: In seinem Schreiben über ταπεινοφροσύνη denkt auch Paulus darüber nach, was gerecht (δίκαιον) ist (1,7.11) und wie die Gemeinde würdig handeln kann (1,27). Christus zeigt mit seiner Übung der Demut ein Handeln, das – etwa in der Tradition Salomos (3 Kg 3LXX) – Ausweis einer vorauslaufenden Gerechtigkeit ist, die Gott selbst honoriert und die letztlich auch zur Sichtbarmachung der Doxa Gottes führt. So dient die Orientierung am Vorbild Christi bei der ekklesialen Übung von Demut der Bewahrung und Durchsetzung der Gerechtigkeit und Ehre Gottes im Gemeinwesen. Zum anderen wird ein weiteres Mal deutlich, in welchem allgemeinen antiken ethischen Diskursrahmen sich die paulinischen Überlegungen zur Demut bewegen: Bei Paulus ist die Übung der Niedrig-Gesinnung weder eine individuelle Aufgabe, noch eine moralische Pflicht. Gerade im Blick auf das Verhältnis von Gerechtigkeit und Ethik wird deutlich, wie fern Paulus dem stoischen Denken steht. Weitaus größer ist seine Nähe zur platonischen Staatslehre und der aristotelischen Ethik, und zwar über mögliche lexische Parallelen wie den Begriff der ‚Billigkeit‘ (ἐπιείκεια, vgl. 2 Kor 10,1; Phil 4,5) hinaus60, der in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles elementare Bedeutung hat. Platon und Aristoteles stimmen in den genannten Werkzusammenhängen von Politik und Ethik, die beide der praktischen Philosophie zuzurechnen sind und damit den „Cha60 Vgl.
κτλ.
H. Flashar, Aristoteles, 106. – Vgl. auch H. Preisker, ἐπιείκεια
5.5. Niedrig-Gesinnung und Gerechtigkeit
169
rakter einer Handlungstheorie“ haben61, darin überein, im Streben nach Gerechtigkeit das Prinzip zur Ordnung und/oder Bewahrung des politischen Zusammenlebens zu sehen. Dieser Denkzusammenhang begegnet auch im Phil – er ist womöglich in der paulinischen Ethik, die grundsätzlich ekklesiale Ethik ist, leitend. Bei Paulus ist die ταπεινοφροσύνη eine dianoetische, tugendähnliche Klugheit ekklesialer Phronesis, die letztlich zu nichts weniger dient als zur Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes. Dies geschieht im Rahmen der Ekklesia, um deren Ordnung und Bewahrung Paulus dauerhaft bemüht ist. Die dazu verordnete Henophronesis nimmt an Christus Maß. Die ekklesiale Übung der Niedrig-Gesinnung aber kann sich nur ihres endgültig gedachten, nicht des mittelbaren Ziels gewiss sein. Die sich an Christus orientierende Ekklesia ist nur Vorgriff auf und Zeugnis für die Gemeinschaft mit Gott, die jenseits jeder politischen Ordnung zu erwarten ist. So ist auch die ταπεινοφροσύνη keine Klugheit, die Maß behält – sie nimmt aber Maß an der grenzenlosen Niedrigkeit und Hoheit Christi. Es ist letztlich die eschatologische Perspektive, die den Vergleich der paulinischen Ethik mit Aristoteles wie Platon sprengt. Als christliche Phronesis zahlt sich die ταπεινοφροσύνη nicht in immanenten Strukturen des politischen Zusammenlebens aus. So ist die ταπεινοφροσύνη „für das Neue Testament das Zeichen der mit dem gekreuzigten Christus angebrochenen Endzeit“62. Als christliche Phronesis wirkt sie gleichwohl schon jetzt auf die ekklesiale ‚Politik‘ und Ethik im Sinne der Bewahrung und Ordnung des kommunitären Lebens ein und repräsentiert so das rationale christlicher Gemeinschaft. Frühchristliche Autoren nach Paulus haben wohl erkannt, welches politische und ethische Potential im christlichen Konzept der ταπεινοφροσύνη verborgen ist, wenn auch sie sachlich 61
62
H. Flashar, Aristoteles, 106. E. Käsemann, Römer, 335.
170
5. Das paulinische Konzept in Phil 2
Demut oder Niedrigkeit und Gerechtigkeit (Barn 19,6) und das Gemeinnützige (κοινωφελής: 1 Clem 48,6) zusammendenken. (Ps.‑)Athanasius spricht gar davon, wie die Demut vor allen anderen Tugenden steht: Deren Telos ist die Agape, währen die Fülle des Übels darin besteht, sich selbst für gerecht (δίκαιον) zu halten (Sermo pro iis 28,413,30). Die Frage, ob und wieweit diese und andere frühchristliche Autoren bei solchen Überlegungen – bewusst oder unbewusst – auf den Spuren des Paulus gewandelt sind, wollen wir im nächsten Kapitel exemplarisch untersuchen.
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums 6.1. Tendenzen Der paulinische Begriff der ταπεινοφροσύνη ist in der frühchristlichen Literatur aus neutestamentlicher Zeit nicht weit verbreitet. Er kehrt ausschließlich in den Schriften wieder, die sich in expliziter Form auf das paulinische Erbe beziehen, indem sie vielfältige lexische und kompositorische Verbindungen zu Paulus herstellen: im Kol (2,18.23; 3,12) und Eph (4,2) sowie im 1 Petr (5,5), aber auch in der Apg (20,19). Wir können davon ausgehen, dass die Autoren dieser Texte Phil 2 kannten: Ihre Verwendung des speziellen Begriffs der ταπεινοφροσύνη spricht für eine solche Textkenntnis. Die nachpaulinischen Autoren nehmen bei ihrer Rezeption von Phil 2,3 erkennbar die ethischen Fragestellungen der dritten und vierten christlichen Generation in den Blick. Im Ergebnis wird das paulinische Konzept der ‚Niedrig-Gesinnung‘ als ekklesiales Prinzip der Christus-Orientierung aus Phil 2 von anderen Begriffen und Vorstellungen überlagert oder verzerrt. Dies gilt umso mehr für diejenigen neutestamentlichen Schriften, die sich jenseits der Übernahme des konzisen paulinischen Begriffs der ταπεινοφροσύνη der ταπειν-Semantik in einem eher weitläufigen Rahmen bedienen (Mt; Lk; Jak). So führt der frühchristliche Diskurs über ταπειν‑ tendenziell (weit) weg von Paulus und dem Begriff der Demut. Die späteren Autoren setzen bei ihrer Deutung christlicher Niedrigkeit und Niedrig-Gesinnung je eigene Akzente, die letztlich dazu beitragen werden, dass das paulinische Erbe nicht einfach
172
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
tradiert und gepflegt, sondern eher unterbrochen wird. Wir können auch sagen: Die auf Paulus folgenden Autoren in neutestamentlicher Zeit sind primär nicht daran interessiert, Paulus wiederzugeben und zu interpretieren, sondern sie bemühen sich darum, ihrerseits autoritative und somit formative Texte zu schreiben. Erst Theologen wie Johannes Chrysostomus und Augustinus werden erkennbar deutlich auf Paulus und den Phil zurückkommen1. Die zeitlich dazwischen liegende Literatur des frühen 2. Jhs., die literaturgeschichtlich betrachtet der ‚exegetischen Periode‘ vom späten 2. bis zum 4. Jh. vorausgeht, schließt weitgehend an die Deutungen und Motivverknüpfungen an, die die neutestamentlichen Autoren nach Paulus (s. 6.2.–6.6.), aber noch in der ‚formativen neutestamentlichen Periode‘ geprägt hatten2. Die nachpaulinische Beschäftigung mit der Demut in neutestamentlicher Zeit, speist sich insgesamt aus drei ‚Quellen‘ oder Traditionsbereichen: Erstens leben in einzelnen Texten ähnlich vielfältige Vorstellungen von ταπειν‑ weiter, wie wir sie in der LXX-Sprache kennengelernt haben (vgl. Jak 1,9 f.; 4,6.10; 1 Petr 3,8; 5,5). In den Evangelien wird dabei besonders der Zusammenhang von Erhöhung und Erniedrigung betont sowie die semantische Nähe von ταπεινός κτλ. und πραύς κτλ. herausgestellt. Zweitens bilden sich in den Evangelien Vorstellungen heraus, die ausdrücklich von der Lehre oder dem vorbildhaften Handeln Jesu her inspiriert sind. Drittens wird in den pseudepigraphen Paulus-Briefen der folgenden Generation, dem sog. Deutero-Paulinismus, das paulinische Konzept der ταπεινοφροσύνη weitgehend in die Tugendethik integriert, damit aber im Wesentlichen auf den Bereich der gemeindlichen Paränese reduziert.
1
2
Vgl. dazu oben unter 2.1. und 2.2. sowie unten unter 7.2. Vgl. dazu unter und 6.7.
6.2. Die Apostelgeschichte
173
Schon in der frühchristlichen Literatur unmittelbar nach Paulus zeigt sich also die Tendenz, den paulinischen Vorstellungsbereich wohl aufzunehmen und weiter zu gestalten, ihn aber zugleich im Blick auf die jeweilige Situation des Schreibens nicht nur zu adaptieren, sondern hinsichtlich der Vielfalt an Implikationen und Aspekten, die Paulus in Phil 2 schafft und eröffnet, deutlich zu konkretisieren und so zu begrenzen. Es lässt sich eine zunehmende ethische Konzentration beobachten. Das werden wir in aller gebotenen Kürze nun im Einzelnen darstellen. Wir beginnen nicht in chronologischer Folge, sondern mit Apg 20 und dem hier von Lukas unternommenen Versuch, die paulinische Erfindung der Demut in Phil 2,3 gleichsam in Zeit und Raum narrativ zu verorten. 6.2. Die Apostelgeschichte In der Apg ist die Semantik der Niedrigkeit und Demut auf den ersten Blick von nachrangiger Bedeutung. Nur an einer Stelle überhaupt begegnet das Wortfeld ταπειν-: in Apg 20,193. Diese Beobachtung ist im Blick auf die kulturelle Prägung des Lukas – Verfasser der Apg – und seinen Zugriff auf die ihm vorliegenden Quellen gleichwohl aufschlussreich: Als literarischer Autor, der sich souverän in der Welt der hellenistischen Literatur bewegt, teilt Lukas vermutlich die Vorbehalte gegenüber dem semantischen Feld ταπειν‑ und ist dabei frühjüdischhellenistischen Autoren wie Philon und besonders Josephus, aber auch der überwiegenden Zahl griechisch-römischer Schriftsteller ähnlich4. 3
πραύς κτλ. begegnet im lukanischen Doppelwerk nicht. dazu oben ausführlich unter 3.2. Gerade diese hellenistische Prägung des Lukas erklärt aber nicht seinen Verzicht auf die Verwendung der πραύς-Semantik, die ja gerade in der griechisch-hellenistischen Literatur positiv konnotiert ist. Doch auch Philon und Josephus zeigen sich 4 Vgl.
174
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Und doch verwendet Lukas die ταπεινοφροσύνη in 20,19 an signifikanter Stelle: Sie findet im Zusammenhang mit der Abschiedsrede des Paulus in Milet Verwendung, also in der dritten wichtigen Rede des Paulus in der Apg und an der einzigen Stelle im lukanischen Werk, „an der die gemeindlichen Amtsträger der nachpaulinischen Zeit in den Blick kommen“5. Die Rede hat weder missionarischen noch apologetischen Charakter6. In Apg 20,17 ff. verabschiedet Paulus sich vielmehr von den Ältesten aus Ephesus, also der Stadt, die nach lukanischer Darstellung zugleich zu den wichtigsten Standorten seiner Missionstätigkeit zählt (Apg 18,19 ff.). Lukas schafft eine ultima verba Rede, die „Paul’s last will and testament“ dokumentiert7. Das Motivinventar in 20,17–38 macht insgesamt, speziell aber hinsichtlich des Begriffs der ταπεινοφροσύνη und der Phraseologie erkennbare Anleihen an Paulus und den Phil8. Diese Beobachtung wird in der Kommentar-Literatur zur Apg9 zurückhaltend in der Benutzung von πραύς κτλ., vgl. zu den wenigen Belegen z. B.: Ant 19,330; BJ 7,2,155. Philon benutzt am ehesten das Verb πραύνω oder spricht von der πραυπάϑεια (Abr 213,5). Vgl. dazu auch F. Hauck / S. Schulz, πραύς, 648 f. 5 J. Roloff, Kirche, 218 (teils kursiv). 6 Darauf weist J. A. Fitzmyer, Acts, 674 hin. 7 Zur Form und Funktion vgl.: J. Jervell, Apostelgeschichte, 509; J. A. Fitzmyer, Acts, 674 f. Zitat: 674. 8 Nur angedeutet bei J. A. Fitzmyer, Acts, 676, der aber prinzipiell höchstens mit einer lukanischen Kenntnis der paulinischen Phraseologie rechnet (675), ähnlich C. K. Barrett, Acts, 313: „contact with the Pauline tradition“. Barrett (ebd.) hält besonders πάσης (µέτα πάσης ταπεινοφροσύνης) für paulinischen Stil. Zur möglichen Rolle des Eph als ‚Quelle‘ des Lukas: s. u. – H. D. Betz, Rom, 11 hingegen lehnt (hier ohne weitere Begründung) die Annahme einer Kenntnis des Corpus Paulinum durch den Verfasser der Apg kategorisch ab: „Der Apostelgeschichte … ist das uns überlieferte Corpus der Briefe des Paulus … unbekannt“. 9 Zumeist werden motivische Parallelen zwischen Apg 20 und dem 2 Kor konstatiert – vgl. etwa J. Roloff, Apostelgeschichte, 303; J. Jervell, Apostelgeschichte, 509 f. Das gilt besonders auch für das Tränen-Motiv (vgl. 2 Kor 2,4), so etwa R. I. Pervo, Acts, 520.
6.2. Die Apostelgeschichte
175
allerdings gerne übersehen, und zwar selbst dann, wenn eingestanden wird, dass Lukas bei seiner Komposition der Rede in V. 17–35 Paulus-Briefe als Quelle benutzt haben wird10. Wir können aber genauer sein: Es scheint plausibel, speziell den Phil als eine literarische ‚Quelle‘ hinter der lukanischen Rede in Apg 20 zu vermuten. Wie kommt es zu dieser Vermutung? Paulus weiß nach lukanischer Darstellung bereits, dass ihm in Jerusalem „Fesseln und Bedrängnisse“ drohen (Apg 20,22). Er berichtet zunächst in einem autobiographischen Rückblick über seinen früheren Einsatz in der Provinz Asien (Apg 20,19), wo er mit Tränen und Versuchungen zu kämpfen hatte: „Ich habe dem Herrn gedient mit aller Niedrig-Gesinnung und mit Tränen und Versuchungen, die über mich gekommen sind durch die Anschläge der Juden …“ (… δουλεύων τῷ κυρίῳ µετὰ πάσης ταπεινοφροσύνης καὶ δακρύων καὶ πειρασµῶν …).
In der paulinischen Abschiedsrede an die πρεσβύτεροι in Ephesus finden sich also verschiedene Begriffe und Motive wieder, die aus dem Phil bekannt sind: Wenn der lukanische Paulus in Apg 20,19.31 die ‚Tränen‘ mit seiner Demut (ταπεινοφροσύνη) als Apostel und seiner Gemeinde-Lehre in Zusammenhang bringt, so klingen hier Phil 2,2 und 3,18–21 an, wo Paulus sein ‚Weinen‘, die Erfahrung von ‚Niedrigkeit‘ (ταπείνωσις, Phil 3,21) und die Ermahnung der Philipper motivisch verknüpft11. Daneben lassen sich weitere Parallelen zwischen Apg 20 und dem Phil beobachten, so etwa in Gestalt des Motivs der „Fesseln“ (Apg 20,22 f.; Phil 1,13 u. ö.), der Wettkampfmetaphorik („Lauf“: Apg 20,24; Phil 3,13 f.), der Nennung von „Bischöfen“ (Apg 20,28; Phil 1,1) und des Hinweises auf „Beten“ (Apg 20,36; z. B. Phil 1,9). Es finden sich aber auch verschiedene Anspielungen auf 1 und 2 Kor, so etwa in Hinblick auf die Motive „Unterhalt“ 10 11
So R. I. Pervo, Acts, 506. Vgl. dazu auch ausführlich: E.-M. Becker, Tränen.
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
(Apg 20,33 f.; 1 Kor 9,12 ff.), „die Schwachen“ (Apg 20,35; 1 Kor 8,12) und das „Geben“ (Apg 20,35; 2 Kor 8,8 f. und 9,7). Es ist anzunehmen, dass Lukas mehrere Paulusbriefe kannte und sie gerade in den Redeabschnitten, in denen seine Hand als historischer Schriftsteller besonders gut zu erkennen ist, als textliche und / oder motivische Grundlage verwendet hat12. Wie aber geht Lukas in diesem Zusammenhang speziell mit dem paulinischen Begriff der ‚Niedrig-Gesinnung‘ (Phil 2,3) um? Er nutzt die paulinische Rede, um beweisend darzulegen, in welcher Weise Paulus sich selbst am Prinzip der Demut messen lassen kann. Ähnliches gilt für die σωφροσύνη in Apg 26,25, auf die Lukas den Paulus in seiner Verteidigung gegenüber dem römischen Statthalter Porcius Festus verweisen lässt (vgl. 26,24): Auch in diesem Fall belegt Lukas die Kongruenz zwischen paulinischer Lehre (vgl. Röm 12,3: σωφρονεῖν) und dem öffentlichen Auftreten des Apostels13. Er stellt damit die Integrität des Apostels heraus. In Apg 20 rezipiert Lukas die paulinische ταπεινοφροσύνη, indem er sie direkt auf Paulus bezieht14. Er gibt in Ausschnitten sogar den Argumentationsgang des Phil wieder, der die Forderung zur Niedrig-Gesinnung rahmt: Paulus versteht im Phil wie in Apg 20 seine missionarische Arbeit als ein δουλεύειν, das ihn in Fesseln und Tränen führt. Die Niedrig-Gesinnung beschreibt in erster Linie seinen apostolischen Habitus als Missionar. Diese Gesinnung aber ist paradigmatisch für die Gemeinden. Lukas lässt Paulus also nicht nur hinsichtlich seiner „Amtsführung“ als vorbildhaft erscheinen15, sondern verleiht insbesondere der ταπεινοφροσύνη des Paulus eine paradigmatische Funktion. Er 12 Zur Bedeutung der Reden in der Apg – klassisch: M. Dibelius, Reden. 13 Vgl. dazu auch oben unter 4.4. 14 Ernst Haenchen (Apostelgeschichte, 528) meint, inhaltlich werde die Haltung der Demut in V. 29 expliziert. 15 So J. Roloff, Kirche, 219 (kursiv).
6.2. Die Apostelgeschichte
177
bedient sich dafür eines pathetischen rhetorischen Elements: So wie er zu Beginn und in der Mitte der Rede Paulus von seinen „Tränen“ berichten lässt (s. o.), erzählt er in der narrativen Rahmung später davon, wie die Zuhörer, nachdem der Protagonist niedergekniet ist und mit den Gemeindegliedern in Ephesus gebetet hat (Apg 20,36), diesen umarmen und aus Trauer über den endgültigen Abschied von ihm (Apg 20,38) selbst laut zu weinen beginnen (… ἱκανὸς δὲ κλαυϑµὸς ἐγένετο …, Apg 20,37). Die Reaktion der Hörer lässt sich als Konstatierung der sprachlichen Handlung verstehen: Lukas gibt damit zu erkennen, dass die Zuhörer mit dem paulinischen Habitus der Niedrig-Gesinnung zu sympathisieren bereit sind (vgl. ähnlich auch Röm 12,15). Wir sind hier erstaunlich nahe bei David Hume und seiner Vorstellung von einer ‚Ethik der Sympathie‘16. Lukas indes geht es darum, die apostolatstheologische und die ekklesiologische Dimension der paulinischen ταπεινοφροσύνη herauszuarbeiten. Er deutet die christologischen Aspekte nur an: Das, worin sich Paulus selbst als ein Vorbild für die Gemeinden sieht (ὑπέδειξα ὑµῖν, V. 35), nämlich in seinem Arbeitseinsatz und der Sorge für die Schwachen, führt er auf ein angebliches „Wort des Herrn“ zurück17. Anders als in Phil 2 also bietet in Apg 20 letztlich das Logion, nicht das vorbildhafte Handeln Christi ethische Orientierung. Mit dieser Akzentuierung bleibt Lukas in seinem δεύτερον λόγον, nämlich der Apg, immer noch auch als Redaktor der Logientradition erkennbar. Wir werden darauf zurückkommen18. 16 Vgl. zu Hume auch oben unter 1.2. – Zur Kritik an Hume auch A. Schweitzer, Ethik, 81. 17 Das Jesus-Logion in Apg 20,35 ist in den synoptischen Evangelien nicht belegt und wird gemeinhin zu den „Agrapha“ gerechnet: Vgl. J. A. Fitzmyer, Acts, 682. O. Hofius, Herrenworte, 78 weist gleichwohl darauf hin, dass wir es hier mit einer „in der griechisch-römischen Welt verbreitete(n) Sentenz“ zu tun haben, die irrtümlich auf Jesus übertragen worden sein kann. Vgl. so zuletzt auch O. Hofius, Außerkanonische Herrenworte, 187. 18 Vgl. dazu auch unten unter 6.4.
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Vorerst bleibt zu fragen: Warum verarbeitet Lukas den Begriff der Demut aus dem paulinischen Schreiben an die Philipper in einer Abschiedsrede in Milet, die an die Ältesten aus Ephesus gerichtet ist?19 Hat Lukas neben dem Phil auch den Eph gekannt und den dort verwendeten Begriff der ταπεινοφροσύνη als Hinweis auf die situative Verortung der Demut im Wirken des Paulus verstanden?20 Jedenfalls lässt Lukas den Apostel in der Provinz Asia programmatisch von seiner Niedrig-Gesinnung sprechen21. Und mit der umfassenden Wiedergabe des in Phil dargelegten Konzepts der Niedrig-Gesinnung im Rahmen einer ultima verba Rede versteht Lukas als erster Paulus-Interpret den literarischen Charakter des Phil als Abschiedsbrief: Wie Paulus im Phil geht es auch Lukas in Apg 20 letztlich um die „Einheit der Kirche“ (V. 28)22 angesichts des anstehenden Abschieds (V. 29: ἄφιξις) vom Apostel. 6.3. Deutero-Paulinismus: Kol und Eph Wie Lukas in der Apg rezipieren und modellieren auch die pseudepigraphen Paulusbriefe den paulinischen Begriff der Demut. Unser Blick gilt hier dem Kol und Eph als deutero-
19 Bei dieser Frage ist allerdings die textkritische Unsicherheit hinsichtlich der adscriptio in Eph 1,1 (ἐν Ἐφέσῳ) in Rechnung zu stellen: G. Sellin, Brief, 66 ff. Sellin (a. a. O., 57) hält Eph für einen ‚katholischen Paulusbrief‘, „der sich an alle paulinischen Gemeinden richtet“. Er könnte gleichwohl besonders oder in erster Linie in der Provinz Asia verbreitet gewesen sein. 20 Dagegen allerdings, dass Lukas (allein) Eph, nicht Phil kannte und den Begriff der ταπεινοφροσύνη aus Eph 4,2 rezipiert hat (so z. B. R. I. Pervo, Acts, 519), sprechen die weiteren, o.g. Motivparallelen zwischen Apg 20 und Phil, besonders das Tränen-Motiv. 21 Das passt zu der Vermutung G. Sellins (Brief, 57) im Blick auf die Verbreitung des Briefes, s. o. 22 J. Roloff, Kirche, 220 (kursiv).
6.3. Deutero-Paulinismus: Kol und Eph
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paulinischen Briefen23. Anders als der Kol (vgl. 2,18.23; 3,12) kommt der Eph, zeitlich später als der Kol, wohl zwischen 80 und 100 verfasst24, einzig in Kap. 4 auf die ταπεινοφροσύνη zu sprechen. Welche Form der Paulus-Rezeption ist hier zu beobachten? In welcher Weise greift Eph 4 den paulinischen Begriff der ταπεινοφροσύνη auf? Gerhard Sellin sieht Eph 4,2 f. trotz Unterschieden in der syntaktischen Struktur in direkter literarischer Abhängigkeit von Kol 3,12–1525. Das lässt sich auch für unsere Frage zunächst wahrscheinlich machen. In Eph 4,1 ff. beginnt ein parakletischer Abschnitt, in dem der fiktive Paulus, Gefangener im Herrn (vgl. ähnlich Kol 4,10), seine Adressaten ermahnt, „der Berufung … würdig zu wandeln“ (vgl. auch Kol 1,10; in Phil 1,27: πολιτεύεσϑε). Zu diesem der κλῆσις angemessenen περιπατεῖν gehört nach Eph 4 das, was der Verfasser insbesondere in V. 2–3 expliziert. Die Adressaten werden aufgefordert, „mit aller Demut (ταπεινοφροσύνη) und Sanftmut (πραύτης)26 und mit Langmut (µακροϑυµία), einander gegenseitig in Liebe anzunehmen“ (V. 2), und zwar, indem sie „sich darum bemühen, die Einheit des Geistes im Band des Friedens zu bewahren“ (V. 3: ἐν τῷ συνδέσµῳ τῆς εἰρήνης). Es liegt also eine Liste mit insgesamt drei Tugenden vor27, die direkt auf das christliche περιπατεῖν 23
G. Sellin, Brief, 56 spricht beim Kol von einem deutero‑ und bei dem davon abhängigen Eph von einem trito-paulinischen Brief. 24 Vgl. G. Sellin, Brief, 58. 25 Vgl. G. Sellin, Brief, 317. Zur generellen Frage der literarischen Abhängigkeit des Eph von Kol (in der neueren Forschung): a. a. O., 54–57, bes. 55. 26 Sonst auch: 2 Tim 2,25; Tit 3,2. 27 Es lässt sich diskutieren, ob die in Eph 4,2, genannte Haltung von ‚Langmut‘ die Demut und ‚Sanftmut‘ additiv ergänzt oder eher, weil eben nicht durch καί mit dem Vorhergehenden verknüpft, als Apposition fungiert und somit erläutert, wie sich ταπεινοφροσύνη und πραύτης in der Gemeinde verwirklichen lassen. G. Sellin, Brief, 317 versteht hingegen den Langmut als zweites Element, das das zuerst genannte Element (Demut
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
und nicht, wie etwa in Phil 1–2 auf das πολιτεύεσϑαι (Phil 1,27) oder darauf bezogen sind, die χαρά des Paulus vollkommen zu machen (Phil 2,2). Eine ganz ähnliche Kombination von Motiven begegnet in Kol 3,12 ff. Eph 4 geht wohl auf Kol 3 zurück. Denn auch in Kol 3 ermahnt der Verfasser zu christlichen Tugenden wie Demut, Sanftmut, Langmut (ταπεινοφροσύνη, πραύτης, µακροϑυµία, vgl. auch Kol 1,11)28. Lässt sich beim Verfasser des Kol wiederum die Kenntnis von Phil 1–2 wahrscheinlich machen?29 Und würde dies wiederum bedeuten, dass Eph 4 sich, ohne notwendig Kenntnis von Phil 1–2 zu haben, allein aus der Lektüre von Kol 3 speisen könnte? Auffällig ist, dass in Kol 3,12 insgesamt fünf Tugenden in einer katalogartigen Reihung genannt werden, die den zuvor angeführten zweimal fünf Lastern (V. 5.8) gegenüberstehen30. Auch in Kol 3 findet schließlich die Agape Erwähnung. Allerdings dient die Agape hier nicht der Verwirklichung der Tugenden, sondern steht über ihnen31: Sie wird als „Band der Vollkommenheit“ (V. 14: σύνδεσµος τῆς τελειότητος) bezeichnet. Damit aber ist Eph 4 in Hinsicht auf die Bedeutung der Agape der paulinischen Aufforderung zur Demut in Phil 2 näher. Beide Briefautoren fordern ihre Leser zu einer Haltung der Niedrig-Gesinnung auf, die mit gegenseitiger Liebe (ἐν ἀγάπῃ) einhergeht. In Eph 4 steht die Agape nicht wie in Kol 3 über der ταπεινοφροσύνη, und Milde) mit der Liebe verbindet: „Insgesamt ergibt sich eine Steigerung. Ziel der Aussage ist die ‚Einheit‘“. 28 Könnte die direkte Verbindung von Demut und Sanftmut durch den Einfluss synoptischer Traditionen (vgl. Mt 11,29) auf den Verfasser des Briefes bedingt sein? 29 E. Lohse, Kolosser, 256 rechnet damit, dass der Verfasser „mit den Grundthemen der paulinischen Theologie wohlvertraut ist“, dass er aber nur literarisch abhängig vom Phlm ist. Gleichwohl sind ihm die „Briefe des Paulus … bekannt“ (ebd.). 30 Vgl. E. Lohse, Kolosser, 211. 31 Vgl. auch E. Lohse, Kolosser, 213.
6.3. Deutero-Paulinismus: Kol und Eph
181
sondern ermöglicht sie erst. Es entsteht daher der Eindruck, dass der Verfasser des Eph den Kol vielfach im Lichte weiterer, ‚authentischer‘ Paulusbriefe liest und adaptiert32. Noch zwei weitere Beobachtungen zum Motivinventar rücken Eph 4 in eine sachliche Nähe zum Phil: Erstens dient die Demut in Eph 4 ähnlich Phil 2 der Verwirklichung von Einheit in der Gemeinschaft (vgl. auch Röm 12)33. Das Thema der Einheit ist für den Kol hingegen kaum relevant. Dieser Brief steht vielmehr, wie wir noch sehen werden, in akuter Auseinandersetzung mit häretischen Formen von Lehre und φιλοσοφία (vgl. Kol 2)34. Zweitens beschäftigen sich Eph wie Phil und anders als Kol mit dem Begriff der ‚Berufung‘, auf die die Übung der Demut gerichtet ist. Im Phil spricht der Apostel allerdings von der ἄνω κλῆσις (3,14), die die Haltung der Niedrig-Gesinnung in eine eschatologische Perspektive stellt. Der fiktive Paulus des Eph dagegen fasst die κλῆσις als eine bereits erfahrbare Seinswirklichkeit auf (ἐκλήϑητε), die dem gemeindlichen Leben der Jetztzeit Orientierung gibt. Der gegenwärtige Lebenswandel setzt also die schon wirksame Berufung um. Die Motivverknüpfung von Berufung und περιπατεῖν in Eph 4,1 f. ruft zudem 1 Kor 7,17–20 als einen weiteren möglichen Prä-Text auf. Doch hier spricht Paulus nicht über den ethischen Lebenswandel der Gemeindeglieder in Korinth, sondern vielmehr über die ethnisch-rituellen (περιτοµή versus ἀκροβυστία) und sozialen (V. 21 ff.: δοῦλος versus ἐλεύϑερος) Prädispositionen derjenigen, die zu den κλητοί der Ekklesia zählen. Die Anordnung des Paulus (διατάσσµοµαι) in 1 Kor 7 besagt: „Ein jeder soll in genau der Berufung verbleiben, in welcher er berufen wurde“ (V. 20). Ethnisch-rituelle oder 32
Ähnlich beschrieben bei M. Hüneburg, Paulus, 392 f. Das gesteht auch G. Sellin, Brief, 317 ein: „Die Spitze in Eph 4,2–3 ist die ‚Einheit‘, die der Geist bewirkt“. 34 Vgl. dazu auch J.-N. Aletti, Kolosserbrief, 1502 f. 33
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
soziale Lebenssituationen müssen daher um der Teilhabe an der Ekklesia willen nicht aufgegeben werden (vgl. auch V. 24)35. Bis hierher ist festzuhalten: Eph 4,2 greift besonders im Blick auf die Verknüpfung von Sanftmut, Demut und Langmut auf Kol 3,12 ff. zurück, bewegt sich darüber hinaus aber in einem ekklesiologischen und ethischen Diskurs, der zudem die Kenntnis von Phil und 1 Kor wahrscheinlich macht36. Besonders die gedankliche Verknüpfung von Einheit und Demut scheint durch Phil 1–2 inspiriert. Hier aber liegt zugleich auch ein konstitutiver Unterschied zwischen dem Paulus des Phil und dem ‚Paulus‘ des Eph, der dem Generationenunterschied zwischen beiden Briefen geschuldet sein dürfte. In Phil 1–2 fordert Paulus eine Henophronesis, die durch eine am Vorbild Christi orientierte Niedrig-Gesinnung ausgestaltet wird. Paulus selbst und seine Mitarbeiter exemplifizieren zusätzlich, wie diese Gesinnung die Gemeinschaft miteinander sogar über physische Trennungen hinweg fördern kann. Der Verfasser des Eph hingegen führt 20–40 Jahr später als Paulus im Phil aus, worin die ἑνότης der Gemeinde besteht (4,4–8)37. Er ruft dabei die soteriologisch relevanten Objekte und Subjekte der Berufung, die die Lebenswirklichkeit der Gemeinde längst bestimmen, konkret ins Gedächtnis. Diese sind: Leib Christi, Pneuma, Hoffnung, Kyrios, Glaube, Taufe, Gott (V. 4–5)38. Im Blick auf einzelne ethische Weisungen, wie sie insbesondere in 35 1 Kor 7,17–24 bietet sich auch insofern als möglicher Prä-Text zu Eph 4,1 ff. an, als Paulus hier mit den Überlegungen zur Rolle des δοῦλος den Grundbegriff seines Konzeptes der Niedrigkeit nicht nur sozial beleuchtet, sondern auch zu einer weitreichenden theologischen Metapher macht (vgl. dazu ausführlich oben unter 4.1.), auf die auch sein Begriff der ταπεινοφροσύνη in Phil 2 aufbauen wird. 36 G. Sellin, Brief, 57 vermutet: Der Verfasser des Eph „hat umfassende Kenntnisse der paulinischen Briefe und ihrer Theologie …“. 37 Hapax legomenon im Neuen Testament – nur in Eph 4,3.13. 38 Bei dieser parakletischen Erinnerung an die konfessorischen Grundlagen ekklesialer ἑνότης dürfte 1 Kor 8 zumindest motivisch als Prä-Text zu
6.3. Deutero-Paulinismus: Kol und Eph
183
der Eheparänese (5,21 ff.) begegnen, prägt der Eph zudem konzeptionelle Vorstellungen von ehelicher Liebe, die – wie Oda Wischmeyer (2015) zuletzt herausgestellt hat – ohne Parallele in den neutestamentlichen Schriften“ sind39. Um einen Text wie Eph 4 umfassend zu verstehen, erweist sich daher ein alleiniger Rückgriff auf Kol 3 als zu kurz. Der Tugend-Katalog in Kol 3,12 leuchtet die Motivverbindungen in Eph 4 nur partiell aus. Während für den Verfasser des Eph besonders Fragen der Einheit der Gemeinde im Zentrum seines Schreibens stehen40, sieht sich der Verfasser des Kol mit Gegnern konfrontiert, die sich auf eine ‚falsche Übung der Demut‘ berufen (Kol 2,18 ff.): „Gemeint ist … die Erfüllung bestimmter kultischer Vorschriften“41, die schon in 2,16 angedeutet wurden. Die ταπεινοφροσύνη in V. 18 und V. 23 „zeigt die willige Dienstbereitschaft an, mit der man die kultischen Forderungen erfüllt“42. Nicht nur christologische Lehre (z. B. Kol 2,8)43, sondern insbesondere die Aufdeckung falscher Demut ist daher ein wichtiges Element bei der Charakterisierung der Gegner und der Bestimmung der Wirkabsicht des Briefes44. Der Kol bietet eine äußerst differenzierte Sicht auf den paulinischen Begriff der Demut. In dieser diskursiven Auseinandersetzung mit der Demut liegt ein in der Forschung häufig übersehenes theologisches und ethisches Potential des Briefes: In Kol 3 wird der paulinische Begriff in einen Katalog von insgesamt fünf Tugenden integriert. In Kol 2 hingegen vermuten sein – das gilt besonders für das Bekenntnis: εἷς ϑεός, εἷς κύριος (1 Kor 8,6). 39 O. Wischmeyer, Liebe, 97. 40 Vgl. auch G. Sellin, Brief, 61. 41 E. Lohse, Briefe, 174. E. Lohmeyer, Kolosser, 124 rechnet mit der Übung von Askese als Mittel, Visionen zu erstreben. 42 E. Lohse, Briefe, 174. Vgl. auch a. a. O., 185. 43 So M. Dübbers, Christologie, 196 ff. 44 Vgl. dazu zuletzt auch N. Frank, Kolosserbrief, 417 ff.
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
setzt sich der Verfasser kritisch mit dem möglichen Missbrauch der Demut im Blick auf die Befolgung kultischer Forderungen auseinander. Damit greift der Verfasser den frühchristlichen Diskurs über die Ambivalenzen der Demut auf, der schon in Röm 12,16 angeklungen war. Im Ergebnis beschäftigt sich der Kol in Kapitel 2–3 mit nichts weniger als dem möglichen Missbrauch und dem rechten Gebrauch der Demut: Vor dem Hintergrund eines kultischen Missbrauchs (Kol 2,18–23) wird der rechte Gebrauch (Kol 3,12) umso deutlicher profiliert. Die christliche Demut ist daher erst dann recht verstanden, wenn sie neben Erbarmen, Freundlichkeit, Sanftmut und Langmut zu stehen kommt. 6.4. Matthäus‑ und Lukas-Evangelium Das Wortfeld ταπειν‑ begegnet mehrfach im Matthäus‑ und Lukas-Evangelium45, nicht aber bei Markus oder Johannes. Dieser Umstand ist bei der Betrachtung der Demuts-Vorstellungen in der Jesus-Überlieferung nicht nur quellen‑ und überlieferungsgeschichtlich, sondern auch traditions‑ und redaktionsgeschichtlich von Bedeutung. Der überlieferungsgeschichtliche Ausgangspunkt für die Ver wendung des Wort‑ und Motivfeldes bei Matthäus und Lukas liegt wohl in einem Q-Logion (Q 14,11), das hinter Lk 14,11par. steht (vgl. auch Mt 23,12; Lk 18,14): „Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden (ταπεινωϑήσεται), und der, der sich selbst erniedrigt (ταπεινῶν ἑαυτόν), wird erhöht werden“.
François Bovon hält im Anschluss an Bultmann das Logion für eine unabhängige Sentenz, „die an verschiedenen Orten in
45
Vgl. Mt 11,29; 18,4; 23,12; Lk 1,48.52; 3,5; 14,11; 18,14.
6.4. Matthäus‑ und Lukas-Evangelium
185
der synoptischen Tradition angehängt wurde“46. Sofern wir eine Überlieferung durch Q vermuten, ist auffällig, dass das Logion bei Mt und Lk ausschließlich im textlichen Zusammenhang von Sondergutüberlieferung (Mt 23; Lk 14,7 ff.; 18,9 ff.) begegnet. Wir müssen davon ausgehen, dass die Evangelisten das Q-Logion nicht eigens wiedergeben wollen, sondern es jeweils redaktionell in Verknüpfung mit ihrer Sondergutüberlieferung zum Einsatz bringen47. Die Vermutung einer freien redaktionsgeschichtlichen Adaption des Q-Logions bei Mt und Lk wird durch eine weitere Beobachtung gestützt: Nicht nur im Bereich des Sonderguts, sondern auch dann, wenn Mt eine Überlieferung aus Mk übernimmt48, fügt er ein Q 14,11 vergleichbares Logion an (vgl. Mt 18,4). Es stellt sich also die Frage: In welchem Umfang ist die Verwendung und Deutung des Wortfeldes ταπειν‑ bei Matthäus und Lukas durch die QÜberlieferung vorgeprägt? Sachlich wird in den genannten Texten immer der Zusammenhang von Erhöhung und Erniedrigung betont49. In Mt 23,12 geschieht dies in Form von weisheitlicher Ermahnung, die stilistisch in einer chiastischen Struktur abgebildet ist: „… wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht“.
Im Hintergrund steht die reiche Vorstellungswelt der LXX, der eine basale theologische Einsicht zugrunde liegt (z. B. Prov 3,34): Gott erhöht die Niedrigen. Mit ähnlicher Bedeutung verwendet Lukas in Kap. 1 die ταπειν-Semantik. Im Magnificat klingen speziell die ethisch-religiöse und die sozial-politische 46 F. Bovon, Evangelium, 485 mit Hinweis auf R. Bultmann, Geschichte, 193: „… sicher sekundär …“. 47 F. Bovon, Evangelium, 485 rechnet damit, dass bereits der Autor des Sonderguts den Spruch angefügt habe. 48 Vgl. Mk 9,33–37 par. Mt 18,1–5; Lk (9,46–48) verzichtet auf die Anfügung. 49 In Mt 23,11 weist Jesus selbst auf diesen Zusammenhang hin.
186
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Bedeutung der LXX-Traditionen nach, wenn Maria sagt (Lk 1,48.52): „… er (= Gott) hat hingeschaut auf die Niedrigkeit seiner Magd, siehe nämlich, von nun an werden mich selig preisen alle Generationen …; er hat die Mächtigen vom Thron gestoßen und die Niedrigen erhöht“50.
Die Umkehrung der Größenverhältnisse ist zugleich ein Kennzeichen der eschatologischen Zeit. Mit der ταπειν-Semantik geht also eine Zukunftsorientierung einher. Darauf weist Lukas in 3,5 in einem expliziten Zitat von Jes 40,3 ff.LXX hin. Während bei Lukas neben Jesus (14,11; 18,14) auch Maria (1,48 ff.) und Jesaja von Gottes Erhöhung des/der Niedrigen sprechen, findet sich die ταπειν-Semantik bei Matthäus ausschließlich im Munde Jesu: Jesus fordert die Haltung der Niedrig-Gesinnung in seiner Lehre (18,4; 23,12) und stilisiert sich in Kap. 11 sogar selbst (V. 29)51 als „sanftmütig und im Herzen demütig“ (πραύς und ταπεινὸς ἐν τῇ καρδίᾳ; vgl. Sach 9,9). In dem Logion in 11,29 überträgt Jesus die weisheitliche Tugend der ‚Sanftmut‘ (Ps 149,4; 75,9; vgl. aber Eph 4,2 f.; 1 Clem 56,1; 58,2: ἐπιείκεια) als Charaktermerkmal auf sich selbst52. Durch 11,29 bindet Matthäus die Demut paradigmatisch an die Person Jesu: Jesus wird in seinem irdischen Leben als Lehrer und Wundertäter zum persönlichen Vorbild von Demut und Sanftmut. Wir können hierin unter Umständen eine kritische Korrektur des Matthäus an der christologisch konzipierten Haltung der Niedrig-Gesinnung sehen, die Paulus Jesus in Phil 2,6 ff. zuschreibt53. Die Selbststilisierung oder „Selbstprädikation“54 Jesu in Mt 11,29 ist darüber hinaus in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: 50 Als Prä-Texte in der LXX lassen sich u. a. anführen: Gen 16,11; 1 Kg 1,11. – Vgl. dazu auch unten unter 6.5. zu Jak 1,9. 51 Haben wir es hier mit „M“-Material zu tun? 52 Vgl. H. Frankemölle, Πραύτης. 53 Zur Idee der impliziten Paulus-Kritik bei Matthäus, vgl. G. Theißen, Kritik. 54 F. Hauck / S. Schulz, πραύς κτλ., 649.
6.4. Matthäus‑ und Lukas-Evangelium
187
Zum einen verknüpft Matthäus ταπεινός und πραύς semantisch und greift damit einen weiteren Begriff aus der LXX-Sprache auf 55, der die rechte Haltung des Menschen Gott gegenüber beschreiben kann (z. B. Ps 149,4LXX). Matthäus wie auch Lukas (s. o.) erweisen sich mit ihrer Deutung von ταπειν‑ in vielerlei Hinsicht als konventionelle Interpreten der LXX. Da πραύς κτλ. in der griechisch-hellenistischen Welt weitgehend einen positiven Klang hat56, gelingt es Matthäus in 11,29 durch die Motivverknüpfung mit ταπεινός zum anderen, die ‚Demut‘ bzw. Niedrigkeit Jesu in ein günstiges Licht zu setzen. Die Wortverbindung, die Matthäus in 11,29 herstellt57, erweist sich als wirkungsvoll: In der weiteren Auslegungsgeschichte wird sogar πτωχός in Mt 5,3 von ταπεινός her gedeutet werden. Für Johannes Chrysostomus (z. B. Hom in Matth 57,224) ist daher ταπειν‑ nichts weniger als ein Leitbegriff christlicher Existenz58. Es ist maßgeblich dieser Text – Mt 11,29 – von der Selbststilisierung Jesu, der den Grundstein dafür legen wird, dass in späterer (vgl. 1 Petr 3,13 ff.), teils nachneutestamentlicher (vgl. Ign Eph 10,1 ff.) Zeit die konkreten Haltungen und Übungen von Sanftmut und Demut von der Person Jesu her verstanden werden (vgl. auch 1 Clem 16,17)59. Auch wenn Matthäus mit seiner Motivverknüpfung von ταπεινός mit πραύς die Haltung der Demut semantisch neu profiliert und so durchaus positiver akzentuiert, führen er wie auch Lukas weitgehend die verschiedenen LXX-Vorstellungen von sozialer und religiöser 55 Sonst: Mt 5,5; 21,5. – Zu πραύτης vgl. auch 2 Kor 10,1: Paulus greift auf den Sanftmut zurück, wenn es ihm darum geht, seine eigene Person gegenüber den Über-Aposteln in Korinth zu verteidigen. 56 Vgl. F. Hauck / S. Schulz, πραύς κτλ., 645 f. Dazu auch: H. D. Betz, Sermon, bes. 127. 57 Wie schon gesehen begegnet das Wortfeld πραύς κτλ. im lukanischen Doppelwerk nicht. 58 Vgl. dazu auch unten unter 7.2. 59 Vgl. H. D. Betz, Sermon, 127. Vgl. dazu auch unten unter 6.7.
188
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Niedrigkeit fort. Spricht dagegen Paulus in Phil 2 vom ταπεινοῦν Christi, so nimmt er eine Haltung der Niedrig-Gesinnung in den Blick, die nicht an vorfindliche Lebensbedingungen anknüpft, sondern frei gewählt ist und bedingungslos geübt wird: Nach Paulus eignet sich die Demut nicht zur Beschreibung der Lebenssituation oder eines Personenmerkmals – sie realisiert sich vielmehr in der aktiven vertikalen Bewegung im Raum der Ekklesia, die im kosmischen Bekenntnis zu Jesus als dem Kyrios begründet ist (Phil 2,11). 6.5. Außerpaulinische Brief-Literatur I: Jak Wohl am Ende des 1. Jhs. ist der Jak ein wichtiges Dokument für die weitere Entwicklung der frühchristlichen Demuts-Vorstellungen. Denn schon in 1,1 stellt sich der Verfasser mit seiner Selbststilisierung als δοῦλος – im Unterschied zu Paulus aber als ‚Sklave‘ Christi und Gottes – in den Bereich apostolischer Niedrigkeit60. Auch der Verfasser des Jak ist mit Fragen der Lebensführung befasst, die schon Paulus umtreiben: Jak 3,13 und Phil 1,27 liegen zwar lexisch fern (z. B. περιπατεῖν, πολιτεύεσϑαι, ἀναστροφή), stehen sich aber gedanklich nahe. Wir kommen darauf zurück (s. u.). In Jak 1 und 4 begegnen implizite (1,9; 4,6) oder explizite (1,10; 4,10) Aufforderungen zu Demut und Niedrigkeit. Sie haben eine besondere Bedeutung für das briefliche Schreiben. In Geschichte und Gegenwart der Erforschung des Briefes und seiner Ethik werden sie allerdings häufig nicht eigens betrachtet. Das gilt im Blick auf die sog. Leitfragen der Interpretation – die ταπειν-Semantik gibt offenbar wenig „Rätsel“ auf 61 – wie die Frage nach der Kontextualisierung des 60
Vgl. dazu oben unter 4.1. Vgl. dazu bereit A. Meyer, Rätsel, der dem Begriffsfeld ταπειν‑ keine besondere Aufmerksamkeit schenkt. 61
6.5. Außerpaulinische Brief-Literatur I: Jak
189
Briefes in seinem zeit‑ und sozialgeschichtlichen Umfeld62. Dabei lässt sich diskutieren, ob und wieweit das Syntagma ὁ ἀδελφὸς ὁ ταπεινός in Jak 1,9 bereits in den entstehenden frühchristlichen Diskurs über christliche Identitätsbildung im Sinne der self-designation hineingehört63: Dann handelte es sich sogar um einen der frühesten Belege überhaupt für die KurzIdentifizierung eines Christen als ταπεινός64. Diese Diskussion bleibt interessant, auch wenn sich eine andere Deutung des Syntagmas näher legt. Was die typologisch genannte Person in Jak 1,9 primär als einer christlichen Gemeinde zugehörig ausweist, ist die Bezeichnung als ἀδελφός, die später in der direkten Anrede des Briefes wiederkehrt (2,1; schon 1,2 im Plural)65. Das Begriffsfeld ταπειν‑ umfasst wichtige Stellen des Briefes, die auch für dessen Gliederung eine Schlüsselfunktion haben (s. u.). Es begegnet außerdem in lexisch wie stilistisch gebündelter Form (Jak 1,9.10; 4,6.10). Die Gestaltung des Begriffsfeldes im Jak spiegelt – wie wir sehen werden – insgesamt wider, dass der durch Paulus geprägte frühchristliche Diskurs über Niedrigkeit bekannt war, dass aber zugleich die paulinische ‚Erfindung‘ der Niedrig-Gesinnung als ekklesiales Prinzip der Christus-Orientierung in den Hintergrund tritt66. 62
Vgl. J. R. Strange, World. Vgl. R. P. Martin, James, 24: Die Anrede „shows that the use of ἀδελφός identifies this person as a Christian and a member of James’ community“. Vgl. auch zu dieser Diskussion: D. C. Allison, James, 201. Auch Paul Trebilco (Self-designations, 66 f.) hält die frühchristliche Bezeichnung ἀδελφοί für „distinctive“ (im Orig. kursiv) und versteht sie als „insider-designation“. Im Jak dient sie speziell der rhetorischen Strategie (a. a. O., 60). Die konkrete Bedeutung von ταπεινός macht Trebilco in dessen semantischer Gegenüberstellung zu πλούσιος fest (a. a. O., 59). 64 S. zu der Frage der Identifizierung bereits oben unter 1.1. und 2.1. 65 Vgl. insgesamt dazu: P. Arzt-Grabner, ‚Brothers‘; H. Frankemölle, Brief, 242. – In andere Richtung weist D. C. Allison, James, 200. 66 Anders W. Popkes, Brief, 95, der Jak 1,9–10a in auffallender Ähnlichkeit zu den paulinischen ‚Einheitskatalogen‘ (Gal 3,28; 1 Kor 12,13 etc.) deutet. 63
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Gründe dafür liegen in der Ekklesiologie: Paulus schreibt an konkrete Gemeinden (ἐκκλησία)67, deren Glieder κλητοί sind, so wie er als Apostel ‚berufen‘ ist. Die Haltung des ταπειν‑ nimmt also nicht nur Maß an Christus (Phil 2,6 ff.), sondern stiftet Gemeinschaft und Einheit unter den in einer Ortsgemeinde versammelten ‚Berufenen‘. Der Verfasser des Jak schreibt hingegen nicht an eine konkrete Gemeinde, sondern an die „zwölf Stämme in der Diaspora“ (1,1)68. Die Übung der Demut als ekklesiales Prinzip der Gemeinschaftsstiftung wird in der hier vorausgesetzten Situation der Adressaten kaum für die inter-personale Kommunikation in der Ortsgemeinde von Nutzen sein können. Gerade im Vergleich mit Paulus wird die sozialkritische und weisheitliche Prägung der Lexik im Jak evident werden. In allen vier Belegen des Jak ist ταπειν‑ direkt mit semantischen Oppositionen kombiniert (niedrig-hoch; reich-niedrig). Jak 1,9–10 gehört nach 1,2–4 und 1,5–8 der „third introductory subsection“ des Briefes an (1,9–11)69. V. 9–10 stellen zunächst eine in sich geschlossene Sentenz dar, auf die anschließend eine Begründung (V. 11) folgt70. V. 9–10 bilden einen antithetischen Parallelismus – den ersten Parallelismus im Jak71 –, der zugleich eine chiastische Struktur hat: ὁ ταπεινός – ἐν τῷ ὕψει αὐτοῦ (1,9); ὁ δὲ πλούσιος – ἐν τῇ ταπείνωσει αὐτοῦ (1,10).
67 Die Ekklesia bezeichnet die örtliche „Versammlung der Christen an jeweils einem Ort“, J. Roloff, Kirche, 96. 68 Vgl. zu der Diasporasituation des Jak und die Bedeutung für das Schreiben auch: T. Klein, Bewährung, bes. 182 ff. 69 So D. C. Allison, James, 194. 70 Vgl. O. Wischmeyer, Beobachtungen, 323. So auch M. Dieblius, Brief, 113. – Anders die Einteilung bei L. T. Johnson, James, 189, der Jak 1,9–12 („principle“) und 1,13–15 („clarification“) zusammennimmt. 71 Vgl. dazu auch D. C. Allison, James, 83.
6.5. Außerpaulinische Brief-Literatur I: Jak
191
Im Ergebnis erscheinen an dieser Stelle ‚Niedrigkeit‘ und ‚Reichtum‘ als das eigentliche Gegensatzpaar. Die weiten semantischen Nuancen, die das Begriffsfeld ταπειν‑ besonders in der LXX-Sprache hat, finden in Jak 1,9 f. zunächst dadurch eine sachliche Begrenzung72, dass im Jak die Begriffe ταπεινός und πτωχός zu einem gemeinsamen semantischen Feld gehören73. Trägt 1,9–11 damit zur „‚Reichtumskritik‘“ des Jak bei?74 Der Verfasser ermahnt in der Tat den Reichen (V. 10) und nimmt zuvor die soziale bzw. ökonomische Form der Niedrigkeit in den Blick (V. 9)75. Er übt allerdings an dieser Stelle nicht primär oder ausschließlich Sozialkritik, sondern spielt – besonders in der nachfolgenden Begründung (V. 11) – auf den weisheitlichen Charakter der Demut als anthropologisches Wissen an. Ein eschatologisches Begründungsmuster76 lässt sich nicht erkennen. Der Reiche muss sich vielmehr der Einsicht in eine wichtige conditio humana, nämlich in die Vergänglichkeit des Lebens und so auch des eigenen Reichtums bewusst werden (vgl. auch Lk 12,16 ff.). Als Reicher lastet auf ihm sogar eine besondere Verantwortung (vgl. auch Philon, Ios 150) – er muss 72
Vgl. auch L. T. Johnson, James, 184 f. So auch S. McKnight, Letter, 95. 74 So z. B. T. Klein, Bewährung, 320; vgl. bereits H. Windisch, Briefe, 7. – In der Forschung umstritten ist dann auch die Frage, ob der Verfasser sich an Reiche innerhalb oder außerhalb der ‚Gemeinde‘ wendet. 75 Anders M. Konradt, Existenz, 147 f., der 1,9 f. mit dem vorausgehenden Kontext verknüpfen und ταπεινός als „demütige Unterordnung unter Gott“ ethisch fassen will (148). 76 So etwa T. Klein, Bewährung, 322, der zwar weisheitliche Motive im Hintergrund sieht, Jak 1,10b–11 – unter Hinweis auf Jes 40,6 ff. – aber als Gerichtsankündigung versteht. Zur Deutung von Jes 40 – einem in der frühchristlichen Literatur wichtigen Motivbereich, der vielfach der Deutung von Jak 1,9 f. zugrunde gelegt wurde (so auch angeregt bei M. Dibelius, Brief, 115 f.) – als Intertext für Jak 1,9, vgl. auch ausführlich D. C. Allison, 197 ff. Mir scheint allerdings Jes 40,6 ff. – anders als im Falle von 1 Petr 1,24 – nicht (deutlich) hinter Jak 1,9 f. zu stehen. Möglicherweise hat die Exegese des 1 Petr auf die Deutung des Jak eingewirkt. 73
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6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
sich gewissermaßen mehr demütigen als andere (vgl. Sir 3,18). Daher kann und muss er sich – wenn überhaupt irgend etwas – der ταπείνωσις rühmen. Die Sentenz gehört in den aus der LXX bereits bekannten weisheitlichen Diskurs über Niedrigkeit und Demut (z. B. Ps 89LXX)77, in dem besonders auf das Wissen um die Vergänglichkeit menschlicher Existenz rekurriert wird. Dazu passt auch die hier verwendete Metaphorik, wie schon Martin Dibelius gezeigt hat: „Gras und Kräuter werden in der jüdischen Literatur gern als Bild der Vergänglichkeit benutzt“78.
Jak 4,6–10 befinden sich in einer ‚selbständigen Argumentation‘ (4,1–10), die den „‚Streit unter Brüdern‘“ zum Thema hat und eine ‚imperativische Anrede‘ (4,7–10) beinhaltet79. Auch in Jak 4,6 stammt die ταπειν-Semantik aus weisheitlicher Tradition: Der Verfasser zitiert Prov 3,34LXX, so wie der Verfasser des 1 Petr (5,5) oder des 1 Clem (30,2) und Ign Eph (5,3)80. Aufgrund der übereinstimmenden Abweichungen im Wortlaut des Zitates in 1 Petr und Jak gegen den LXX-Text81 werden in der Forschung literarische Abhängigkeiten diskutiert. Dabei scheint eine Abhängigkeit des Jak von 1 Petr eher als die umgekehrte Variante möglich82. Wir können diese Diskussion hier allerdings nicht vertiefen. 77 Zum
gemein-antiken Zusammenhang von Weisheit und dem (mit Demut einhergehenden) Wissen um Sterblichkeit vgl. z. B. auch Pirke Awot 4,4; Epiktet, Diss 3,24,85. 78 M. Dibelius, Brief, 115 – mit Hinweis auf z. B. Hiob 14,2; Ps 36/37,2; 89/90,5 f. 79 O. Wischmeyer, Beobachtungen, 324 f. 80 Vgl. dazu auch unten unter 6.7. 81 In LXX κύριος statt ϑεός. 82 Vgl. D. C. Allison, James, 623. – Gegen die Annahme literarischer Abhängigkeiten des Jak von 1 Petr (oder umgekehrt) spricht sich z. B. H. Frankemölle, Brief, 618 aus. Hans Windisch (Briefe, 27 f.) bezeichnete V. 7–10 insgesamt als „eine prophetische Bußpredigt in Imperativen“, die „aus paränetischer Tradition geschöpft“ ist. Das Motiv der Selbst-
6.5. Außerpaulinische Brief-Literatur I: Jak
193
Die Forderung, sich „gegenüber dem Herrn“ zu demütigen, die an die Leser in Jak 4,10 ergeht, schlägt den Bogen zurück zu 1,983. Die ταπειν-Semantik dient damit wesentlich auch der literarischen Strukturierung des Schreibens. Die Wendung ταπεινώϑητε ἐνώπιον κυρίου in 4,10 ist sprachlich als ein Semitismus konstruiert. Sie begegnet außerhalb von Jak 4,10 nicht in neutestamentlichen Texten84. Die Vorstellung von der Erhöhung desjenigen, der sich selbst erniedrigt, ist indes auch aus der synoptischen Tradition bekannt (vgl. Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12). Ob der Verfasser des Jak Kenntnis von oder direkten Zugriff auf Q-Überlieferung hatte, ist für unsere Deutung unerheblich, da der „Topos“ von Erniedrigung und Erhöhung sich in jedem Fall auch auf Traditionen der hebräischen Bibel bzw. der LXX zurückführen lässt85: das gilt für Q wie für den Jak. Für Jak könnte speziell eine Schrift wie Ben Sira als Prä‑ oder Intertext eine erhebliche Rolle gespielt haben (2,17; 3,18)86. Der Verfasser des Jak bezieht seine Motive von Niedrigkeit und Demut in Kap. 1 und 4 aus der alttestamentlichen und besonders der weisheitlichen Vorstellungswelt und – unter Umständen – deren Wiederaufnahme in der synoptischen Tradition. Welche literarische und theologische Funktion kommt der Motivik in seinem Schreiben zu? Und wie lassen sich die Überlegungen zur Niedrigkeit in Jak 1 und 4 im frühchristlichen Diskurs verorten? Es ist zu beobachten, dass ‚Jakobus‘ die demütigung (vgl. Sir 2,17) beinhalte „eine geläufige jüdisch-christliche Anschauung; die unabhängig von 1 Petr 5,6 aus Prov 3,34 abgeleitet sei (ebd.). 83 Vgl. auch L. T. Johnson, James, 286. 84 D. C. Allison, James, 633 verweist auf die LXX und „later Christian sources“. 85 Zitat und Belege bei W. Popkes, Brief, 279; ähnlich auch D. C. Allison, James, 632; H. Windisch, Briefe, 28. Popkes allerdings hält einen Zugriff des Jak auf Q für möglich (ebd.). 86 Vgl. dazu auch H. Frankemölle, Brief, 617. Vgl. bereits M. Dibelius, Brief, 272; H. Windisch, Briefe, 28.
194
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Semantik von ‚Erniedrigung‘ und ‚Erhöhung‘ zur Konstruktion einer räumlichen (spatial) Argumentation verwendet87. Wir haben es erneut mit dem Phänomen zu tun, dass Sprache bei der Herstellung von Raummetaphorik zum Einsatz kommt. Der Verfasser des Jak ist darin Paulus grundsätzlich nicht unähnlich. Die Differenzen zwischen Jak und Phil liegen in erster Linie in der Beschreibung dessen, was ‚von oben‘ kommt: Während Paulus im Phil von der religiösen Erwartung einer ἄνω κλῆσις (Phil 3,14) spricht, bringt der Autor des Jak an drei Stellen mit ἄνωϑεν seine Vorstellungen von der Berührung mit der göttlichen Welt zum Ausdruck: ‚Alle gute und vollkommene Gabe steigt herab vom Vater des Lichts‘ (1,17). ‚Die Weisheit von oben‘ (ἄνωϑεν σοφία) ist nicht irdisch (3,15), sondern zeichnet sich als besonders tugendhaft aus (3,17). ‚Jakobus‘ fordert seine Leser daher in ethischer Ermahnung (moral exhortation) dazu auf, nach dieser Weisheit – in „Sanftmut“ (3,13: πραύτης) – zu streben. Er erinnert sie in diesem Zusammenhang an das „eingepflanzte Wort“ (1,21: ἔµφυτος λόγος)88, das in ebensolcher Sanftmut anzunehmen ist. Wie Paulus geht es ihm um Fragen des Lebenswandels (3,13; vgl. Phil 1,27). Und wie Paulus reflektiert auch der Verfasser des Jak über die ‚richtige Haltung‘. Er beschreibt sie gleichwohl mit dem in der hellenistischen Welt deutlich positiver konnotierten Begriff πραύτης (3,13), nicht als ταπεινοφροσύνη (Phil 2,3), und er spricht über σοφία (1,5; 3,13.15), nicht wie Paulus über das φρονεῖν89. 87 Vgl. L. T. Johnson, James, 287: „These spatial contrasts between lower and higher … help define the religious framework for James’ moral exhortation“. 88 Ἔµφυτος ist Hapax legomenon im Neuen Testament. 89 φρονεῖν κτλ. begegnet nicht im Jak – tritt die σοφία im Jak sachlich bzw. konzeptionell an die Stelle der Phronesis bei Paulus und bedeutet eine Form von ‚Klugheit‘ (s. dazu oben ausführlicher unter 5.1.–5.5.)? Im antiken Diskurs über die Klugheit jedenfalls finden die Begriffe Sophia und Phronesis Verwendung, vgl.: M. Becker, Klugheit, bes. 99.
6.5. Außerpaulinische Brief-Literatur I: Jak
195
Sich zu ‚demütigen‘ ist also im Jak – anders als bei Paulus – nicht als Haltung des φρονεῖν, sondern als Handlung der Weisheit (σοφία) zu verstehen. Motivgeschichtlich alludiert der Verfasser des Jak mit der ταπειν-Semantik zudem deutlicher als Paulus auf die Vielfalt der Niedrigkeits-Vorstellungen, die in der alttestamentlichen Vorstellungswelt bzw. in der LXX geäußert werden. Die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Faktor des Reichtums und die geübte Reichtumskritik (vgl. auch Jak 2,1 ff.) sind ein wesentlicher Aspekt in der konkreten Übung von und im Umgang mit Niedrigkeit. Ethische Ermahnung, die weisheitlich begründet ist, dient der Bewährung in der ‚Versuchung‘ (πειρασµός, Jak 1,2 ff.). Auffällig ist zudem besonders in Jak 4 die Wahl der theozentrischen Perspektive90. Überhaupt dominiert die theologische Rede den Brief 91. Während Paulus eine im Christus-exemplum begründete ‚Gesinnung der Niedrigkeit‘ (ταπεινοφροσύνη) fordert, die nachzuahmen ist, propagiert der Verfasser des Jak Demut als soziale, religiöse und anthropologische Übung der Umkehr auf dem Weg der ethischen Bewährung, die vor Gott selbst zu verantworten ist. Mit diesem explizit ethischen, weisheitlichen und theologischen Zugriff auf die ταπειν-Semantik, der von der paulinischen Ekklesiologie, Christologie und Apostolatstheologie erkennbar weit entfernt ist, gibt sich ‚Jakobus‘ dennoch nicht notwendig als ‚Anti-Pauliner‘ zu erkennen. Er schreibt zu anderer Zeit an anderer Stelle zu anderen Lesern, denen das paulinische Erbe augenscheinlich fremd geworden ist. Ihre Herausforderung liegt wohl nicht in der phronetischen Vervollkommnung der κοινωνία, sondern in der weisheitlich inspirierten, ethischen Bewährung als Christen in der Diaspora.
90 91
So z. B. H. Frankemölle, Brief, 605; W. Popkes, Brief, 279. Vgl. insgesamt dazu: O. Wischmeyer, Jakobusbrief.
196
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
6.6. Außerpaulinische Brief-Literatur II: 1 Petr Anders als der Jak sucht der 1 Petr eine erkennbar direkte Verbindung mit der Paulus-Tradition herzustellen92. Dies wird an verschiedenen epistolographischen Merkmalen erkennbar, von denen wir nur einige benennen werden: Der Briefeingang, bestehend aus Präskript (1,1 f.) und nachfolgender Eulogie (1,3 ff.), erinnert an den Aufbau paulinischer Gemeindebriefe (z. B. 2 Kor). Der Hinweis auf Silvanus (5,12), einen engen Mitarbeiter des Paulus (vgl. 1 Thess 1,1; 2 Kor 1,19; Apg 15–18*), und auf Markus (5,13; vgl. Apg 12,12)93 soll eine Verbindung zwischen dem pseudepigraphen Briefeschreiber Petrus mit dem Paulus-Kreis herstellen. Sprachlich verdichtete christologische Texte lehnen sich an Phil 2,6–11 an, akzentuieren das Handeln Christi aber soteriologisch: In 1 Petr 2,21 ff. wird die vorbildhafte Bedeutung des Lebens und Wirkens Christi ὑπὲρ ὑµῶν besonders vom Leiden her gedeutet. Ist der Verfasser des Briefes darum bemüht, sich bzw. die brieflich inszenierte Petrus-Figur auch bei der Verwendung der ταπειν-Semantik in die PaulusTradition einzuschreiben? Das Begriffsfeld zu Niedrigkeit und Demut findet sich in 1 Petr 3,8 und 5,5 f. Mit Ausnahme des schon erwähnten Schriftzitates aus Prov 3,34LXX in 1 Petr 5,5b und der darauf folgenden Ermahnung zur ‚Demütigung‘ in 1 Petr 5,6, die in sachlicher Nähe zu Jak 4,6.10 steht (s. o.; vgl. auch Lk 14,11), greift der Verfasser des 1 Petr auf die Lexik zurück, die sich als ein Spezifikum der paulinischen Diktion bezeichnen lässt: ταπεινοφροσύνη (5,5)94 und ταπεινόφρων (3,8)95. Diese Wahl 92
So auch R. Feldmeier, Macht, 113. Vgl. M. Öhler, Mitarbeiter, 248. 94 Neben Phil 2,3: Kol 2,18.23; 3,12. – S. dazu oben unter 6.3. 95 Hapax legomenon im Neuen Testament. Einige Handschriften lesen stattdessen entweder φιλοφρονες (P; 307*; Byzpt) oder erweitern zu der varia lectio φιλοφρονες ταπεινοφρονες (1448vid.). 93
6.6. Außerpaulinische Brief-Literatur II: 1 Petr
197
der Semantik ist sicher nicht zufällig. Der Verfasser hebt so wie Paulus – und anders als Jak – den ‚Gesinnungs‘-Charakter (φρον‑) der Demut hervor. Der Unterschied zwischen 1 Petr und Phil liegt, wie sich zeigen wird, in der brieflichen Situation und in der Pragmatik des Schreibens. 1 Petr 5 steht im Zusammenhang einer konkreten Mahnung an die πρεσβύτεροι (5,1 ff.) und die νεώτεροι (5,5). Die Ermahnung in 5,5a, die ‚Demut festzuhalten‘ (ἐγκοµβώσασϑε)96, ergeht an „alle“ (πάντες). Die ταπεινοφροσύνη wird als bekannte christliche Haltung vorausgesetzt. Schreibt der Autor des Briefes damit die paulinische Vorstellung von der ekklesialen Übung der an Christus orientierten Niedrig-Gesinnung fort? Können wir gar von einer literarischen Abhängigkeit des 1 Petr von Phil 2 und Röm 12 ausgehen?97 Tatsächlich verbindet die Ermahnung zur Demut ja die ‚Alten‘ und die ‚Jüngeren‘, so wie sie in 3,8 Frauen und Männer zusammenbringt (s. u.). Und anders als ‚Jakobus‘, aber durchaus ähnlich wie Paulus rückt der Verfasser des 1 Petr die Christologie in den Mittelpunkt seines brieflichen Schreibens (z. B. 1,13). Im deutlichen Unterschied zu Paulus und dem Phil jedoch stellt die ‚Niedrig-Gesinnung‘ im 1 Petr keine umfassende argumentative Verbindung zwischen christologischer, ekklesiologischer und apostolischer Rede wie in Phil 1–2 her. Vielmehr ist in 1 Petr 3,8 von der Forderung nach ταπεινόφρων unter den Adressaten wie von einer ‚tugendhaften Gesinnung‘ die Rede, die gleichwertig erst aus ὁµόφρων, συµπαϑής, φιλάδελφος98 und εὔσπλαγχνος99 besteht. Die singuläre, einheitsfördernde Funktion des ταπεινόφρων wird nicht in den Blick genommen, auch wenn der Verfasser die Forderung nach ‚Niedrig-Gesinnt-Sein‘ an Frauen und Männer zugleich richtet (3,8: πάντες), nachdem 96
Hapax legomenon im Neuen Testament. So vermutet R. Feldmeier, Macht, 113. 98 Alle drei Begriffe sind Hapax legomena im Neuen Testament. 99 Sonst nur Eph 4,22. 97
198
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
er beide Gruppen – vermutlich „durch die Haustafeltradition bedingt“100 – zuvor separat angesprochen hatte (3,1 ff.; 3,7). Gleichwohl stellt der 1 Petr die ταπεινοφροσύνη nicht als einzigartiges Instrument der Gemeinschaftsbildung vor Augen. Auch fordert er nicht deren Übung, so dass er – wie Paulus es tut – die konkrete Orientierung der Selbst-Erniedrigung am Vorbild Christi darlegte. Der ‚Petrus‘-Brief entwickelt also nicht wie Paulus im Phil die ekklesiologische Strategie, die κοινωνία seiner Adressaten so zu einer Henophronesis vervollkommnen zu wollen, dass er sie in eine direkte Relation zur Demut Christi stellt. Vielmehr ermutigt der Verfasser des 1 Petr seine Leser, sich an der Gemeinschaft mit den Leiden Christi zu freuen (4,13: κοινωνεῖτε τοῖς τοῦ Χριστοῦ παϑήµασιν, χαίρετε). Bei der Verbindung von Christologie und Ekklesiologie fungiert daher nicht die ταπεινSemantik als eigentliches Scharnier: Vielmehr erweisen sich πάσχειν κτλ. sachlich und ethisch als die Schlüsselbegriffe des 1 Petr101. Wie lässt sich diese Entwicklung deuten? Ähnlich dem Jak mangelt es dem 1 Petr an der konzisen Vorstellung einer lokalen Ekklesia, um deren Zusammenwachsen der Verfasser bemüht sein könnte: Er schreibt stattdessen an Adressaten, die παροικία (1,17), πάροικος (2,11) oder παρεπίδηµος (1,1; 2,11), also ‚Fremdlinge‘ und ‚Verstreute‘ sind. Ähnlich wie Paulus im Röm (z. B. 1,5; 15,18) will zwar auch dieser Verfasser seine Adressaten zum ‚Gehorsam‘ führen (1,2). Anders als Paulus geht es ihm dabei aber nicht um eine Unterwerfung unter den ‚Gehorsam des Glaubens‘ oder der Gerechtigkeit (Röm 6,16), sondern unter die Gotteskindschaft (1,14) und Wahrheit (1,22), die durch die Teilhabe am soteriologisch relevanten Leiden Christi (1,2) vermittelt sind. 100
R. Feldmeier, Macht, 114. Im Blick auf das Leiden Christi: 1 Petr 2,21.23; 3,18; 4,1; im Blick auf das Leiden der Menschen: 1 Petr 2,19 f.; 3,14.17; 4,1.15.19; 5,10. πάϑηµα begegnet in 1 Petr 1,11; 4,13; 5,1.9. 101
6.6. Außerpaulinische Brief-Literatur II: 1 Petr
199
Und anders als Paulus stilisiert sich der Verfasser des 1 Petr weder explizit als Kommunikator des Gehorsams noch als Vorbild einer ‚Niedrigkeits‘-Haltung (δοῦλος etc.), die es – angespornt durch das Christus-exemplum selbst – zu imitieren gilt (Phil 2–3). Der fiktive Hinweis auf Rom alias Babylon (1 Petr 5,13; Eusebius, H E 2,15,2)102 könnte höchstens implizit auf das Wissen der Leser anspielen, dass ‚Petrus‘, der Märtyrer in Rom, als Vorbild des Leidens taugt. Hier wird noch einmal eine weitere signifikante Differenz zu Paulus deutlich: Obwohl Exegeten wie Lohmeyer speziell im Phil eine Märtyrertheologie zu erkennen meinten103 und Paulus tatsächlich eine Teilhabe an den παϑήµατα Χριστοῦ nicht ausschließt (3,10), weiß der Apostel aber nicht, ob er selbst Märtyrer werden wird104. Er betont die Ungewissheit seines biographischen Schicksals. Letztlich strebt Paulus eine Christus-Konformität an, die erst eschatologisch zu erwarten ist (3,21) und vorhergehende martyrologische Leiden höchstens beinhalten kann. Als Weg der Vorbereitung auf die ChristusKonformität schlägt Paulus daher nicht das Leiden, sondern die an Christus orientierte ταπεινοφροσύνη vor. Nur sie führt zur Erhöhung, wie das Christus-exemplum selbst lehrt. Im Vergleich mit dem Phil zeichnet der 1 Petr deutlich eine Situation des bereits eingetreten Leidens (vgl. 1,6; 2,18 ff.; 3,14 ff.; 4,12 ff.; 5,9 f.) an. Christus ist darin Vorbild (2,21; 3,18; 4,1). Hoffnung und Bewährung inmitten der Auseinandersetzung über die christliche Identität (3,16; 4,14 ff.) ermöglicht aus seiner Sicht die Form der „Selbststigmatisierung“105. 102
Vgl. dazu z. B. L. Goppelt, Commentary, 373 ff. Vgl. dazu unten unter 7.3. 104 So auch Bultmanns Kritik an Lohmeyer, vgl.: R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 253: „… Denn ob Paulus als Märtyrer sterben wird, steht doch noch dahin …“. 105 „Die Gläubigen sollen sich nicht nur durch Ablegung eines Geständnisses zu diesem Christennamen bekennen, sondern sollen den Namen mit 103
200
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
Es scheint, dass im Rahmen einer ‚sozial-kreativen Strategie der Identitätssicherung‘106 die ταπεινοφροσύνη als geeigneter ethischer, den Adressaten bestens vertrauter (5,5a) identity marker fungiert, der die Christen letztlich auch nach außen hin als tugendhaft (3,8; 2,12) zu erkennen gibt. Im Unterschied zu Jak lässt der Verfasser des 1 Petr in 5,5b–6 weitgehend offen, in welchen konkreten Handlungen sich die Übung der ‚Niedrigkeit‘ realisiert – in 3,4 wird lediglich der ‚sanftmütige Geist‘ der Frauen (πραύς) äußerem Protz und Reichtum gegenübergestellt. Die Niedrig-Gesinnung selbst versteht der 1 Petr in erster Linie als Ausweis einer tugendhaften Gesinnung, d. h. als wenig spezifizierte oder konkretisierte, aber offenbar bereits eingeführte christliche identity card. 6.7. Apostolische Väter: 1 Clem Im Bereich der Schriften, die zu den ‚Apostolischen Vätern‘107 gezählt werden, aber auch bei einem Autor wie Justin, begegnet das Wortfeld ταπειν‑ häufig und vielfältig108. Das gilt insbesondere auch für die Verwendung der Lexeme ταπεινοφρονέω, ταπεινοφρόνησις, ταπεινοφροσύνη, ταπεινόφρων. Der paulinische Begriff der Demut lebt also auch erkennbar in den Texten fort, die in nach-neutestamentlicher Zeit entstanden sind. Die Kenntnis der Paulusbriefe ist gerade bei den Autoren vorausStolz tragen und ihn als ein Mittel ansehen, Gott zu ehren. Sie intensivieren und akzentuieren dadurch ihre Identität als Mitglieder der Gruppe, die diesen Titel ertragen muss“, D. G. Horrell, Leiden, 129. 106 Der 1 Petr entwickelt „eine sozial-kreative Strategie, wobei Mitglieder der Gruppe die in der Bevölkerung weit verbreitete negative Beurteilung ihrer Identität verändern können“, D. G. Horrell, Leiden, 132. 107 Vgl. zum Begriff und der Sammlung: A. Lindemann, Väter, 652 f. 108 Vgl. die Lexeme: ταπεινός, ταπεινοφρονέω, ταπεινοφρόνησις, ταπεινοφροσύνη, ταπεινόφρων, ταπεινόω, ταπείνωσις: H. Kraft, Clavis, 419 f.
6.7. Apostolische Väter: 1 Clem
201
zusetzen, die speziell die ταπεινοφρον-Semantik aufgreifen (1 Clem, Hirt, Ignatius)109. In den genannten Schriften wird neben der Rezeption der Jesus-Überlieferungen, die teils auch im Lichte alttestamentlicher Verheißungen (so z. B. Barn 3,3; 14,9; Justin, Tryph 33,2; 50,3) gedeutet werden, insgesamt rasch das Bemühen erkennbar, den Begriff der ταπεινοφροσύνη κτλ. ethisch zu konkretisieren und zu konzentrieren: Die adressierten Leser sollen ‚Hochmut‘ (so Ign Pol 5,2) oder Streitsucht (Hirt Sim VIII,7 = 73,6) vermeiden. Nach außen sollen sie besonders von emotionalen Formen von Aggression, so etwa Zornesausbrüchen, Beschimpfung und Prahlerei (Ign Eph 10,2) Abstand nehmen und sich gerade darin als „Nachahmer des Herrn“ erweisen (Ign Eph 10,3). Sie sollen, um Selbstdemütigung zu leisten, Buße (Hirt Sim VII,4 = 66,4) oder Askese üben und fasten (so z. B. Hirt Vis III,10,6 = 18,6; V,3,7 = 56,7; Justin, Tryph 15,3 f.), dabei aber einer ‚rechten Fastenpraxis‘ folgen (Barn 3,1 ff.) und etwa dem Hungrigen Speise geben (so z. B. Barn 3,5; Justin, Tryph 15,6). Neben diese konkreten ethischen Forderungen treten generelle Ermahnungen: „Sei in jeder Hinsicht demütig“ (Barn 19,3; ähnlich Did 3,9; Hirt Mand XI,8 = 43,8). Demut zu üben, wird zu einer grundlegenden Lebenshaltung (Hirt Sim VII,6 = 66,6), die mit Geduld, die Gebote Gottes einzuhalten, einhergeht (Hirt Sim VIII,6 = 73,6). Im Vorgriff auf die monastische Tradition sind wir hier bereits nahe bei der Vorstellung, die Augen auf die Erde zu heften oder wie die Rabbiner in konzentrierter innerer und äußerer Haltung die Tora zu studieren (Pirke Awot 6,4 ff.)110. Die häufigsten Belege des Wortfeldes ταπειν‑ bei den Apostolischen Vätern sind neben dem Hirten 109 Zum
Verhältnis des Barn zu Paulus vgl. J. C. Paget, Epistle, bes. 207 ff. 110 Hinweise bei Strack-Billerbeck I, 192.
202
6. Nach Paulus: ταπειν‑ in den Anfängen des Christentums
des Hermas111 im 1 Clem112 anzutreffen. In beiden Schriften greifen Ethik und Ekklesiologie direkt ineinander113. Unser vertiefter Blick gilt dem 1 Clem, da dieses Schreiben geradezu eine Ethik des christlichen Demütig-Seins entwickelt114. Die demütige Gesinnung steht dem Übermut (30,8) oder der Prahlerei entgegen (2,1; 13,1; 16,2; 59,3) und dem Gehorsam (13,3) und der Agape (21,8) nahe. Den „Demütigen gehört Christus“ (16,1), sie werden jubeln (18,8). Verschiedene Männer (19,1; 62,2) so wie Abraham (17,2), Jakob (31,4), Mose (53,2), aber auch eine Frau wie Esther (55,6) und besonders Christus (16,17) sind Beispiele demütigen Handelns so wie auch die, die im Dienst Christi stehen, ihr Amt in Demut versehen (44,3). Demut ist Teil der christlichen Erziehung (21,8) und des religiösen Wissens (30,2 als Zitat von Prov 3,34)115. Sie gehört in den christlichen Tugendkatalog (30,3.8). Je größer jemand zu sein scheint, je mehr muss er Demut üben (48,6). Zeugnis für eine demütige Haltung können und dürfen nur andere, nicht die Demütigen selbst geben (38,2)116. Sanftmut (ἐπιείκεια) und Demut führen aus dem Leben in Verfehlung heraus: Sie haben soteriologische Bedeutung (58,2) und können erbeten werden (56,1; 59,3 f.). Demut richtet sich gegen Gott, den Vater und Schöpfer, und gegen alle Menschen (62,2). Die im 1 Clem vertretene christliche Ethik der Demut zielt in erster Linie nicht auf „Moral“, sondern auf die ekklesiale 111 Nach H. Kraft, Clavis, 419 f.: 18,6 (Vis III 10); 30,2 (Mand IV 2); 43,8 (Mand XI); 56,7 (Sim V 3); 66,4; 66,6 (Sim VII); 73,6 (Sim VIII 7). 112 Nach H. Kraft, Clavis, 419 f.: 1 Clem 2,1; 13,1.3; 16,1 f.7.17; 17,2; 18,8.17; 19,1; 21,8; 30,2 f.8; 31,4; 38,2; 44,3; 48,6; 53,2; 55,6; 56,1; 58,2; 59,3.4 (textkritisch unsicher); 62,2. 113 Zur Ethik und Ekklesiologie des Hirt vgl. M. Leutzsch, Hirt des Hermas, 141 ff. 114 Vgl. dazu auch oben unter 1.3. Vgl. zur Bedeutung der Agape in 1 Clem zuletzt: O. Wischmeyer, Liebe, 102 ff. 115 Vgl. auch Jak 4,6. 116 Vgl. A. Lindemann, Clemensbriefe, 64, 97, 117.
6.7. Apostolische Väter: 1 Clem
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Etablierung ‚sozialer Werte‘117. Diese Programmatik wirkt sich auch auf die in dieser Schrift vertretene Anthropologie aus: „Der Vf. ist bemüht, zu zeigen, daß und auf welche Weise die gottgewollte Ordnung der Kirche hergestellt werden muß … 1 Clem versteht den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, das sich bei richtiger Anleitung für das Tun des Guten zu entscheiden vermag“118.
Im Lichte einer so beschriebenen Ethik, Ekklesiologie und Anthropologie wird die Demut im 1 Clem umso mehr zu einem Schlüsselbegriff. Sie definiert die Haltung des Einzelnen gegenüber Gott und den Menschen, regelt das Leben in der Gemeinschaft und vermittelt der Gemeinde am Beispiel der Väter (und Mütter) im Glauben religiöse und ethische Orientierung. Soweit bewegt sich der Verfasser des 1 Clem durchaus in dem von Paulus definierten Diskursrahmen119. Im deutlichen Unterschied zu Paulus und dem Phil wird die Haltung der Demut im 1 Clem allerdings immer wieder ethisch konkretisiert und zuletzt auch soteriologisch aufgeladen. Der Verfasser ist – anders als Paulus selbst – um eine konkrete ethische Lehre der Demut bemüht, die durch ihre soteriologische Deutung autorisiert wird.
117 Vgl. A. Lindemann, Clemensbriefe, 21. Lindemann kommt aller dings in diesem Zusammenhang nicht auf die Bedeutung der Demut zu sprechen. 118 A. Lindemann, Clemensbriefe, 21. 119 Zur möglichen Kenntnis der Paulusbriefe in der römischen Gemeinde: A. Lindemann, Clemensbriefe, 38 (2 Kor, Phil, Phlm, Eph, Kol, 2 Tim, Apg).
7. Ausblick: Ambivalenz und Eindeutigkeit eines theologisch-ethischen Begriffs 7.1. Paulus und die Wirkungsgeschichte der christlichen Demut Bei Paulus hat der christliche Demuts-Diskurs seinen begrifflichen und konzeptionellen Ursprung. Mit der ταπεινοφροσύνη prägt Paulus den antiken Diskurs zugleich terminologisch neu. In der nachpaulinischen christlichen Literatur des 1. und 2. Jh. wird der paulinische Begriff der ταπεινοφροσύνη κτλ. rezipiert, aber – wie wir bis hierher sehen konnten – weitgehend in Abkehr von Paulus und dem Phil auf die konkreten ethischen und ekklesiologischen Belange der nächsten Generationen hin appliziert. Es findet dabei eine ethische Konzentration statt, die konzeptionell letztlich insofern weit hinter dem Phil zurückbleibt, als sie die Vielfalt der Vorstellungen, die das Motivfeld ταπειν‑ bei Paulus impliziert, deutlich reduziert. Geht es Paulus bei der Haltung und Übung der Demut vor allem um die nicht weiter konkretisierte ekklesiale Gestaltung einer an Christus orientierten Henophronesis, so setzen die auf ihn folgenden Schriften und Schriftsteller das Demütig-Sein mit konkreten religiösen und ethischen Handlungen gleich, ohne dabei jedoch die möglichen Ambivalenzen und Missverständnisse von Niedrig-Sein und Selbst-Erniedrigung unberücksichtigt zu lassen (s. z. B. Kol 2,18–23; 1 Clem 38,2). Während Clemens Alexandrinus seine Überlegungen zur christlichen Demut weitgehend auf die Lektüre der Evangelien gründet, wird wirkungsgeschichtlich bei Origenes, weit umfassender aber bei Augustinus und Johannes Chrysostomus das von exegetischen und hermeneutischen Interessen getragene
7.2. Von Clemens Alexandrinus bis zu Johannes Chrysostomus
205
Bemühen erkennbar, Paulus gewissermaßen wiederzuentdecken und in seiner innovativen und auch persönlich vorbildhaften Lehre über die Demut in den Blick zu nehmen. Der exegetisch-hermeneutische Zugang zum paulinischen Begriff der Demut ist dabei sichtlich von den intellektuellen Bedingungen der Zeit beeinflusst. Das gilt literarisch wie theologisch-ethisch. In der nachpaulinischen Epistolographie wird Paulus als demütiger Schriftsteller stilisiert, d. h. sogar literarisch und rhetorisch stilistisch mit der Demut in Zusammenhang gebracht: Im Seneca-Paulus-Briefwechsel erscheint der Apostel im Unterschied zu Seneca als derjenige Briefschreiber, der „aus Bescheidenheit und Demut seinen Namen erst hinter dem des Adressaten nennt“1. In theologisch-ethischer Hinsicht ist der Rekurs auf Paulus insbesondere von der Frage bestimmt, wieweit die Demut eine spezifisch christliche Haltung oder ob sie in den gemeinantiken Zusammenhang einer Tugendethik einzuzeichnen sei. Gerade in seinen Homilien zu den Evangelien und den Paulusbriefen, so auch zum Phil, erweist sich Johannes Chrysostomus in seiner Beschäftigung mit der Demut sicher als der produktivste und vielseitigste Kirchenschriftsteller in antiker Zeit und weit darüber hinaus. 7.2. Von Clemens Alexandrinus bis zu Johannes Chrysostomus In seiner Untersuchung zu Augustinus’ Konzept der Demut als Tugend, auf die wir schon früher gestoßen sind2, fragt Notker Baumann, auf welche vorausgehenden frühchristlichen Deutungen der Demut sich der lateinische Kirchenlehrer stützen konnte. Bei der Durchsicht der frühchristlichen Demuts-Lehre 1 A. Fürst,
Briefwechsel, 39. Vgl. z. B. Brief Nr. 2: „Annaeo Senecae Paulus salutem“. 2 Vgl. dazu oben unter 2.2.
206
7. Ausblick
steht vor allem die Frage im Raum, in welchen Zusammenhängen es zu einer Annäherung an die griechisch-römische Ethik und Tugendlehre gekommen ist. Bei Clemens Alexandrinus († 215 n. Chr.) – so Baumann – wird die Lehre von der Demut in doppelter Weise an die griechische Ethik und Philosophie angelehnt: „Zum einen wird sie mit der ἀπάϑεια verbunden; sie gleicht der Sanftmut und Leidenschaftslosigkeit … Auch Christus war ohne Leidenschaften. Zum anderen wird sie mit der ὁµοίωσις ϑεῷ verknüpft, die aus der platonischen Tradition stammt. Der Besonnene ist Gott lieb, weil er ihm ähnlich ist. Christlich gedeutet lebt Jesus dem Menschen die Demut vor; ihm gilt es ähnlich zu werden …“3.
In seiner Erarbeitung des christlichen, d. h. an Christus orientierten, Modells der Demut stützt sich Clemens weitgehend auf die Lektüre der vier kanonischen Evangelien. Wie Christus – oder auch Johannes der Täufer – als Vorbild der Demut oder als Erzieher zur Demut hin fungieren, liest und begründet Clemens (fast ausschließlich) aus den Evangelien. An epistolographischer Literatur spielt für ihn lediglich der 1 Clem – besonders Kap. 13–18 – eine Rolle4. Für Clemens erweist sich zudem Platon (Leg 715e–716a) als sachgerechter Ausleger des Jesus-Logions: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Mt 23,12; Lk 14,11; 18,14; vgl. Strom 2,22,132,1). Clemens denkt die biblischen Traditionen mit der griechischen Philosophie zusammen: Platon muss seine Tugendlehre, die im Einklang mit biblischer Lehre zu stehen kommt, also von Mose übernommen haben (Strom 2,18,78,1 f.). Clemens versucht, die christliche Demut zu „‚hellenisieren‘“ und so die pagane Tugendlehre mit den biblischen Traditionen 3 N. Baumann, Demut, 234. – Vgl. dazu auch: E. Mühlenberg, Lebensführung, 40 ff. 4 Hinweise bei: N. Baumann, Demut, 226–234 – u. a. mit Hinweis auf Strom 4,16,106,1.
7.2. Von Clemens Alexandrinus bis zu Johannes Chrysostomus
207
zu synthetisieren5. Die Rezeption von Phil 2 oder der explizite Rekurs auf Paulus scheinen dabei allerdings – anders als es bei Origenes († 253/254 n. Chr.)6 oder noch deutlicher bei Gregor von Nyssa († 394 n. Chr.)7, Ambrosius († 397 n. Chr.)8 oder Augustinus († 430 n. Chr.)9 der Fall sein wird – unerheblich zu sein. Welche Rolle spielen Paulus und speziell Phil 2 für die altkirchliche Entwicklung der Demuts-Lehre? Paulus wird auch jenseits der Deutung von Phil 2 vor allem dann im Diskurs über die Demut relevant, wenn es etwa unter Hinweis auf 1 Kor 4,7 oder 15,10 um die Darstellung der Gnade geht. Dies ist nicht nur bei Augustinus (En Ps 85,4; Schriften gegen Julian von Eclanum), sondern auch bei Johannes Chrysostomus der Fall (Hom in Eph 9,2)10. Zugleich aber ist Chrysostomus als etwas älterer Zeitgenosse des Augustinus derjenige patristische Theologe, der sich am umfassendsten zur paulinischen Sicht auf die Demut äußert. Chrysostomus hat seiner Bewunderung für Paulus eigens Ausdruck verliehen im liturgischen Rahmen des Gedenktages11. In seinen Homilien zum Phil bietet er zugleich eine umfassende Auslegung dieses, in der altkirchlichen Exegese sonst eher am Rande stehenden Paulusbriefes12. 5
Vgl. noch einmal N. Baumann, Demut, bes. 230 f. Vgl. z. B. Origenes, c Cels 6,15. 7 Vgl. z. B. Gregor von Nyssa, Eun 3. 8 Vgl. z. B. Ambrosius, Fid 3,7,52. Hinweise bei N. Baumann, Demut, 239, 248 und 263. 9 Vgl. C. Mayer, Humilitatio, 450: „Es überrascht nicht, wenn der Christushymnus … mit zu den am häufigsten zitierten und paraphrasierten Bibeltexten im a(ugistinischen) Œvre zählt“ – mit Hinweis auf A. Verwilghen, Christologie, 502 ff., der über 400 Zitate und 500 Paraphrasen auflistet. 10 Hinweise bei N. Baumann, Demut, 128 und 255. 11 Vgl. Johannes Chrysostomus, „De laudibus sancti Pauli apostoli“ – Hinweise dazu bei P. Allen, Homilies, xii Anm. 2. 12 Vgl. die Übersicht zu den griechisch‑ und lateinischsprachigen altkirchlichen Kommentaren bei P. Allen, Homilies, xxvii-xxxi. Hinweise auch bei N. Baumann, Demut, bes. 256 ff. 6
208
7. Ausblick
Johannes Chrysostomus († 407 n. Chr.) gehört insgesamt zu den antiken Autoren, die das Wortfeld ταπειν‑ am häufigsten verwenden13. Wegen seiner expliziten Bewunderung für Paulus und seinem speziellen Interesse am Phil gilt Chrysostomus gemeinhin als der wichtigste altkirchliche Interpret des Phil14. Pauline Allen (2013) hat kürzlich die Homilien zum Phil neu herausgegeben. Sie hält die Frage, ob die Homilien in Antiochien oder in Konstantinopel gehalten wurden und damit eine chronologische Präzisierung möglich sei, für nicht lösbar15. Für unsere Fragestellung ist besonders die Beobachtung entscheidend, dass in den Homilien zum Phil das Wortfeld ταπειν‑ häufig anzutreffen ist16. Chrysostomus beschäftigt sich hierin umfänglich mit der Demuts-Thematik. Unser Interesse gilt zunächst der sechsten Homilie, die eine Auslegung von Phil 2,1–4 beinhaltet17. Chrysostomus beginnt die sechste Homilie mit der Charakterisierung des Paulus als einem ‚spirituellen Lehrer‘. Der Apostel fordert die Gemeinde zu Henophronesis, besser: Isophronie auf. Denn auf dasselbe gesinnt zu sein, ist noch wichtiger als Henophronesis. Paulus verlangt in den Augen des Chrysostomus nicht nur Demut von den Philippern, sondern einen Progress an Demut (ἐπίτασις ταπεινοφροσύνης)18. Wie Demut zu üben sei, exemplifizieren einerseits Gestalten der Geschichte Israels, so etwa Joseph (vgl. Gen 40 ff.) und Daniel (vgl. Ezech 28,3; Dan 2,30 ff.). Andererseits ist Paulus selbst ein Beispiel für die rechte Übung der Demut (vgl. Apg 28,17 ff.; 2 Kor 4,5), wie 13
Nach TLG: Fast 1900 Belege (inkl. Fragmente, Katenen etc.). Vgl. P. Allen, Homilies, xii. – Zur Bedeutung des Chrysostomus für die Paulus-Rezeption vgl. auch S. Vollenweider, Paulus, 1063. 15 Vgl. P. Allen, Homilies, xii. 16 Es finden sich allein mehr als 100 Belege in den Homilien zum Phil laut TLG. 17 Text und englische Übersetzung, in: P. Allen, Homilies, 98–111. 18 P. Allen, Homilies, 103 übersetzt mit: „… increase in humility …“. 14
7.2. Von Clemens Alexandrinus bis zu Johannes Chrysostomus
209
Johannes der Täufer beispielhaft Mut und Parrhesia (ἀνδρεία, παρρησία, vgl. Mk 6,18) verkörpert. Die Demut ist scharf von Servilität, Schmeichelei und kriecherischem Verhalten (ἀνελευϑερία, κολακεία, ϑωπεία) zu unterscheiden. Alttestamentliche Beispiele für Schmeichelei sind Ziba (vgl. 2 Kg 16,1 ff.LXX), Ahitofel (vgl. 2 Kg 17,1 ff.LXX), Nabal (vgl. 1 Kg 25,10 f.LXX) und die Sifiter (vgl. 1 Kg 23,19 ff.LXX), aber auch die Juden im Johannes-Evangelium (vgl. 19,15). Während Servilität und Schmeichelei sich daran zeigen, wie jemand zum eigenen Nutzen einem anderen schön tut, erweist sich die ταπεινοφροσύνη darin, Gott zu gefallen und, um große und erstaunliche Werke zu beabsichtigen, die eigenen Interessen zurückzustellen. In der siebenten Homilie, die um die Auslegung von Phil 2,5–8 kreist, führt Chrysostomus weiter sein Verständnis von der ταπεινοφροσύνη aus19. Er kommt hierbei insbesondere auf die christologischen Implikationen zu sprechen. Wenn Paulus die Gemeinde zur Demut ermahnt, liegt sein eigentliches Verdienst darin, Christus – als rechtes Vorbild (ὑπόδειγµα) der ταπεινοφροσύνη – in die Mitte seiner Lehre gerückt zu haben (vgl. auch 2 Kor 8,9)20. Diese Einsicht gibt Chrysostomus nun die Möglichkeit, sich kritisch mit all jenen christologischen ‚Häresien‘ auseinanderzusetzen (Arius etc.), die den Gedanken vertreten, dass, wie Christus zu handeln, letztlich ein Gleichsein mit Gott bewirken könnte, so wie auch Christus sich erst die Gleichheit mit Gott durch Raub verschafft habe. So verstanden, wäre Demut aber missverstanden. Vielmehr setzt die Übung und Haltung der Demut grundsätzlich einen superioren (sozialen) Status voraus: Ein König kann gegenüber einem Untergebenen demütig sein, nicht umgekehrt21. Was also ist 19
Text und englische Übersetzung, in: P. Allen, Homilies, 112–139. verknüpfenden Deutung von Phil 2,6 ff. und 2 Kor 8,9 s. o. unter 4.3. 21 Hier – das gesteht Chrysostomus ein – kommt das Christus-exemplum an seine Grenzen: Weil Paulus im Verhältnis von Gott und Christus nicht 20 Zur
210
7. Ausblick
Demut, fragt Chrysostomus resümierend? „Auf niedrige oder bescheidene Dinge gesinnt zu sein“ (Τί οὖν ἐστι ταπεινοφροσύνη; τὸ ταπεινὰ φρονεῖν). Mit seinen Überlegungen zur Demut ruft Chrysostomus den paulinischen Begriff der ταπεινοφροσύνη programmatisch auf. Wie Paulus verbindet er ekklesiologische, ethische und christologische Fragen. Und wie Paulus vermeidet es der griechische Kirchenlehrer, die Übung der Demut konkret zu definieren – etwa als fasten oder als Haltung der Barmherzigkeit den Armen gegenüber. Der Begriff der Demut erfährt somit bei Chrysostomus nicht per se eine ethische Konzentration, doch kann er sie eröffnen, wie gerade die sozial-ethischen Aufrufe des Theologen zeigen, die in Konstantinopel zu seinem Sturz und schließlich zum Martyrium geführt haben. Der Kirchenlehrer gewichtet insbesondere die christologischen Implikationen hoch. Erweist er sich somit als kongenialer Paulus-Interpret? Chrysostomus ist zweifellos von den intellektuellen Fragen und den christologischen Kontroversen seiner Zeit und seiner Zuhörer in Konstantinopel oder Antiochien geleitet. Die Fragestellungen seiner Zeit sind deutlich andere als die des Paulus im formativen Christentum, wie nicht zuletzt der monastische Hintergrund des Antiocheners zeigt. Wie Paulus aber nutzt der Kirchenlehrer den Diskurs über die Demut in der Interaktion mit seiner audience auch als rhetorisches Instrument. Im literarischen wie theologischen Sinne leitet Chrysostomus daher die mögliche Renaissance des paulinischen Begriffs der Demut ein.
die Kategorien von ‚größer‘ und ‚kleiner‘ verwendet hat, ging er von der Gleichheit aus.
7.3. Ernst Lohmeyer
211
7.3. Ernst Lohmeyer: Ein Exeget des Phil und politischer Märtyrer Ernst Lohmeyer (1890–1946)22 zählt zu den bedeutendsten Paulus-Exegeten des 20. Jh.23 Zeugnis dafür geben seine vielfältigen Untersuchungen zu Paulus und zu den forschungsgeschichtlichen Problemen der Paulus-Interpretation24, insbesondere aber seine Arbeiten zum Phil, die er mit seiner Studie „Kyrios Jesus“ (1927/1928) eingeleitet und in seiner Kommentierung des Phil (1929/1930) umfassend dokumentiert hatte25. Der Kommentar zum Phil gilt nach wie vor als Standardwerk zur Exegese des Phil – nicht nur, weil er im Blick auf die Diskussion über die Herkunft von Phil 2,5/6–11 neue methodische Weichen gestellt hatte26. Für den Religionsphilosophen Lohmeyer war Phil 2,6 ff. zugleich der „Grundtext christlicher Philosophie“27. Lohmeyers Zugang zum Phil und speziell der ταπεινοφροσύνη in 2,3 kann in dreifacher Hinsicht als bemerkenswert erscheinen: Erstens versucht Lohmeyer grundsätzlich, exegetische Einsichten aus der Textinterpretation der Paulusbriefe in einen philosophischen Diskurs zu übertragen28. Er ist hierbei beeinflusst vom Philosophen Richard Hönigswald (1875–1947)29. 22
Vgl. zur Kurzbiographie: U. Hutter-Wolandt, Lohmeyer. Biographische Bemerkungen auch bei: H. D. Betz, Introduction, 16 f. – Ausführlich: A. Köhn, Lohmeyer, 5–156; vgl. auch D. Kuhn, Metaphysik, 4–6. 23 Auf Lohmeyers umfangreiche Arbeiten u. a. zu den Evangelien und der Apk ist hier nicht weiter einzugehen. 24 Vgl. z. B. E. Lohmeyer, Probleme; ders., Kolosserbrief/Philemonbrief. 25 Vgl. E. Lohmeyer, Kyrios; ders., Philipperbrief. 26 S. dazu oben besonders unter 3.3. 27 D. Kuhn, Metaphysik, 96. 28 Vgl. dazu auch: D. Kuhn, Metaphysik, 23 ff. 29 Vgl. zum Werk Hönigswalds auch: E. W. Orth/D. Aleksandrowicz (Hgg.), Studien.
212
7. Ausblick
Gerade hinsichtlich dieses Interesses an (zeitgenössischer) Philosophie30 wird Lohmeyer von seinem Vorgänger in Breslau, der zugleich exegetischer Mitstreiter, aber auch Konkurrent war – Rudolf Bultmann – geschätzt31. Mit seiner Zusammenarbeit mit Heidegger im Marburg der 20er Jahre versuchte Bultmann überdies ja Ähnliches. Bultmann teilt Lohmeyers Interesse daran, religiöse Phänomene und Begriffe nicht allein aus und in ihrem geschichtlichen Kontext zu deuten, sondern sie auf die „Erfassung der menschlichen Existenz selbst“ hin zu verstehen32. In seiner in Teilen durchaus kritischen Besprechung von Lohmeyers Buch: „Vom Begriff der religiösen Gemeinschaft“ (1925), schreibt Bultmann: „Der Verfasser sieht sehr deutlich, daß es nicht genügt, die Begriffe seiner Quellen ‚historisch-philologisch‘, d. h. aus dem kausalen geschichtlichen Zusammenhang ihres Vorkommens zu erklären, sondern daß eine wirkliche Erklärung nur gegeben werden kann, wenn die Begriffe aus den in ihnen gemeinten Sachverhalten verstanden werden …“33.
Ähnliche Einschätzungen wiederholt Bultmann 1930 bei seiner Besprechung von Lohmeyers Kommentar zum Phil34. Lohmeyers Interesse an Systematisierung und Abstraktion kommt letzt30 Vgl. dazu auch Lohmeyers philosophische Dissertation: „Die Lehre vom Willen bei Anselm von Canterbury“, die er 1914 mit dem Rigorosum an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg abschloss, vgl. dazu A. Köhn, Lohmeyer, 10. 31 Bultmann schätzte Lohmeyer „wie sonst keinen weiteren deutschsprachigen Neutestamentler seiner Generation gerade deshalb, weil er in seinem erstaunlich produktiven Werk die Selbstbeschränkung der Exegese auf einen historistischen Positivismus aufbrach und die systematisch-theologischen Implikationen der wissenschaftlichen Auslegung biblischer Texte im Blick behielt“, K. Hammann, Bultmann, 243. 32 R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 200. Vgl. auch K. Hammann, Bultmann, 243. 33 R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 200. 34 R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 252: Die Interpretation wird von der Frage geleitet, „welche Auffassung von der christlichen Existenz den paulinischen Aussagen zugrunde liegt“.
7.3. Ernst Lohmeyer
213
lich aber, und zwar deutlich anders, als es bei Bultmann zu beobachten ist35, gerade auch seiner Deutung der paulinischen Demut als anthropologischem Phänomen zugute: Der Begriff Demut „ist das allen menschlichen Wesen Entgegengesetzte und deshalb das Gott Angemessene und von ihm Geforderte“36. Demut „ist der grundsätzliche Verzicht auf jede Art von Selbstbehauptung vor Gott“37.
Zweitens wirft Lohmeyers martyrologische Interpretation des Phil38 nicht nur ein neues Licht auf die mögliche historische Situation der Person des Briefeschreibers Paulus in Gefängnishaft, sondern leuchtet auch das Verhältnis von Demut und Tod, das Phil 2,6 ff. sachlich bestimmt, aus: Der Gehorsam bis zum Tod ist der „göttliche Beweis einer beispielhaften Demut“39.
Man kann Lohmeyers Deutung von Phil 2,6 ff. vor dem spezifischen motivgeschichtlichen Hintergrund von Jes 53 kritisch gegenüberstehen40. Zugleich aber erlaubt der Fokus, den Lohmeyer bei seiner Textdeutung wählt, eine weiterführende theologisch-ethische Auslegung: Schon im „Kyrios Jesus“ äußert er
35
Vgl. dazu oben unter 2.3. E. Lohmeyer, Kolosser, 145. 37 E. Lohmeyer, Philipperbrief, 88. 38 Vgl. E. Lohmeyer, Philipperbrief, 5: „Es ist die einzigartige Situation des Martyriums, durch die Apostel und Gemeinde ebenso verbunden wie geschieden sind“. Im Phil spricht „ein Märtyrer zu Märtyrern“ (ebd.). – Zur Kritik daran auch R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 253 ff. 39 E. Lohmeyer, Kyrios, 42. – Kritik an dieser Deutung bei E. Käsemann, Analyse, 53. 40 Vgl. bereits Bultmanns Kritik: R. Bultmann, in: Theologie als Kritik, 256: „… Ich kann nicht finden, daß die Selbsterniedrigung der göttlichen Gestalt ins Menschenlos gedacht sei unter dem Gedanken des göttlichen Gesetzes, durch welches Hoheit und Niedrigkeit aneinandergebunden sind …“. 36
214
7. Ausblick
sich umfassend dazu, wie Demut und Tod in Phil 2,6 ff. in ihrer konstitutiven Verbindung zu verstehen sind: Es ist nun klar, „warum der Tod als seine (= Christi) eigene Tat und damit als Beweis seiner Demut erscheinen kann. Es hätte in seiner Macht gelegen …, dem Tode auszuweichen, weiß doch das AT oder die an das AT sich anknüpfende Legende von Henoch, Mose und Elia, daß sie ‚den Tod nicht geschmeckt haben‘. Aber er hat auch hier diesen Weg göttlicher Verklärung verschmäht … – sondern ist den Weg in die Niedrigkeit des Todes gegangen … Wohl ruht das ganze Gedicht (= Phil 2,6 ff.) auf der Anschauung, daß menschliche Niedrigkeit die unveräußerliche Voraussetzung göttlicher Erhöhung sei. Aber in diese allgemeine Fassung der Niedrigkeit trägt die Niedrigkeit des Todes noch ein besonderes Moment hinein, wenn sie als ein besonderes Zeichen der Demut hervorgehoben werden kann …“41.
Der theologische Rahmen, in dem Lohmeyer diese Beobachtungen formuliert, ist zunächst nicht die Ekklesiologie, sondern die Christologie. Es wird schnell deutlich, dass diese Überlegungen zu Demut und Tod grundsätzliche, wenngleich weiter zu diskutierende Einsichten in das christus-orientierte Personsein vermitteln. So ist es drittens beklemmend zu sehen, wie zuletzt auch Hans Dieter Betz (2015) herausgestellt hat, dass Lohmeyers eigene Biographie vom Schicksal des Martyriums eingeholt wurde. Betz versucht in eindrucksvoller Weise, das Leben und Sterben Lohmeyers mit dessen exegetischer Arbeit am Phil in Zusammenhang zu bringen: „… in terms of literary verification, Lohmeyer’s tragic death means that he suffered the kind of martyrdom he describes so vividly and impressively in his commentary“42.
Betz konstatiert allerdings einschränkend auch – zu Recht –, dass die Qualität und Plausibilität exegetischer Arbeit sich 41
42
E. Lohmeyer, Kyrios, 41. H. D. Betz, Introduction, 17.
7.3. Ernst Lohmeyer
215
nicht allein an theologischen Überzeugungen oder „real-life experiences“ messen lassen können43. Bei der Verbindung von Leben und Werk Lohmeyers wird gleichwohl der Begriff der Demut zu einem Schlüsselbegriff, denn Lohmeyer selbst wird zu deren Exempel: Mit seiner Strafversetzung nach Greifswald durch die Nationalsozialisten (1935), während seines Kriegsdienstes (1939–1943) sowie bei seiner Verhaftung durch die sowjetische Geheimpolizei (15. 2. 1946), seiner anschließenden Verurteilung zum Tode vor einem sowjetischen Militärtribunal (28. 8. 1946) und seinem Tod durch Erschießen (19. 9. 1946)44 wird Lohmeyers Schicksal zu dem eines Märtyrers. Wohl unwissend veranschaulicht er das Verhältnis von Demut und Tod im paulinischen Denken so, dass er es persönlich exemplifiziert. Lohmeyer wird zum Opfer der intellektuellen Philotyrannien des 20. Jhs. Sein persönliches Exempel ist in bemerkenswerter Weise an Christus orientiert. Schon der 21-jährige Student Lohmeyer schrieb fast in prophetischem Geist in seiner Examenspredigt zu 2 Kor 4,1–6 im Jahre 1911 in Berlin – er konnte zu dieser Zeit noch nicht wissen oder ahnen, welche grausamen Ereignisse sein Leben und Sterben bis 1946 bestimmen würden: „… So darf denn auch in unserer Liebe zu Gott nichts Zeitliches mehr sein; all das muss sterben, damit das Ewige in immer vollkommenerer Fülle sich entfalte. Nur wer sein Leben verliert, der wird es erhalten … Wir dürfen unter Kampf und Leid auf eine Gestalt schauen, die mehr gelitten hat als wir alle und die doch in sieghafter Freudigkeit und stiller, weltüberwindender Demut durch das Leben ging, die Gestalt Jesu Christi … Ein Knecht, ein Sklave hat keine Freiheit mehr, er tut alles in dem Dienst und nach dem Willen seines Herrn; so haben auch wir alle persönliche Freiheit verloren, und ein Muss, eine hohe Notwendigkeit ist an ihre Stelle getreten …“45. 43
H. D. Betz, Introduction, 18. Vgl. auch C. Böttrich, Lohmeyer, 9 f. 45 Examenspredigt über 2 Kor 4,1–6, in: A. Köhn (Hg.), Zeugnis, 30 und 32. 44
216
7. Ausblick
In diesen Worten allerdings setzt die Verbindung von Demut und Leiden eine Lektüre des Paulus46 aus Sicht des 1 Petr voraus. Dietrich Bonhoeffers Zugriff auf die Demut bleibt im Vergleich weitaus näher am paulinischen Begriff in Phil 2. Wir haben schon früher gesehen, wie Bonhoeffers Zugang zur Demut 1944 zuerst ekklesiologisch und ethisch motiviert war47: Bonhoeffers Deutung lässt sich als Sorge um die Zukunft der christlichen Gemeinschaft verstehen und kommt dem paulinischen Begriff sachlich und persönlich so nahe wie sonst kaum ein anderer Theologe des 20. Jhs. Durch das politische Martyrium wird auch Bonhoeffers Deutung der Demut persönlich wie ethisch verifiziert. Den sachlichen Zusammenhang von Demut und gewaltsamem Tod, wie er in Phil 1–2 zu Tage tritt, für das christliche Personsein exegetisch aufgezeigt und christologisch gedeutet zu haben, ist indes ein, vielleicht sogar das zentrale bleibende theologische Verdienst Ernst Lohmeyers. 7.4. Versuch einer Begriffsbestimmung: Paulus und die ‚Demut‘ Abschließend und zusammenfassend wollen wir sehen, wieweit sich der paulinische Begriff der Demut konzeptionell beschreiben lässt. Zunächst könnte es scheinen, als erfinde Paulus die ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3 nur, um im unmittelbaren Kontext seiner Argumentation ein ethisches Gegenkonzept zu ἐριϑεία und κενοδοξία zu formulieren. Die bisher angestellten Beobachtungen zum Ursprung und der Entwicklung des Begriffs vor Paulus und bei Paulus weisen in eine andere Richtung: Im argumentativen Duktus von Phil 1–2 und im Lichte der Biographie des Briefeschreibers Paulus betrachtet, gibt sich die ταπεινοφροσύνη als ein zentraler Begriff im paulinischen Denken 46 S.o.
unter 6.6. die ausführlichen exegetischen Beobachtungen zum 1 Petr. 47 S. dazu ausführlich oben unter 2.2.
7.4. Versuch einer Begriffsbestimmung
217
zu erkennen. Sie kommt dem Ausdruck: τὸ ζῆν Χριστός nahe, der seinerseits Theologie, Christologie, (ekklesiale) Ethik und Eschatologie vollständig umfasst48. So bedeutet Demut Christus-Akkommodation zum Zwecke der Durchsetzung ekklesialer Henophronesis. Die dahinter stehende Vorstellungswelt ist durch die LXX-Sprache geprägt (z. B. Sir 36 [33],12) und steht platonischer Staatslehre erstaunlich nahe. Der konzise Begriff der ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3 und das damit verbundene christliche Konzept gehen indes auf Paulus selbst zurück. Der Phil spielt – womöglich als briefliches Abschieds-Schreiben – eine prägende Rolle bei der Entwicklung und Deutung des Begriffs: Setzt Paulus sich in 2 Kor in einer ultimativen Rede zur Verteidigung seines Apostolats mit dem Begriff des ταπεινοῦν auseinander, so wird im Phil die ταπεινοφροσύνη zur ultima ratio eines gemeinde ethischen Prinzips. Mit der ταπεινοφροσύνη umschreibt Paulus eine ethische Haltung, die vom Einzelnen her zu denken und auf die Gemeinschaft zu beziehen ist. Das Ziel der Demut ist das Eins-Sein der Gemeinde im Blick auf die Erwartung der eschatologischen Zeit – die Demut fungiert dabei als ethisches und ekklesiologisches Werkzeug. Sie fördert die Gemeinschaft auch mit dem Apostel sogar über physische Trennung hinweg. Paulus definiert die ταπεινοφροσύνη nicht primär in Hinsicht auf ihren Inhalt, erläutert sie aber in einem exemplum narrativ. Demut zu üben, ist personen‑ und kontextabhängig, setzt aber, wie das Christus-Beispiel zeigt, einen selbstbewussten persönlichen Status voraus. Sie führt zu ekklesialer bzw. kommunitärer Dynamik, die in kontinuierlicher gegenseitiger Höher-Achtung ihren Ausdruck findet, und geht mit einer vertikalen Interaktionsstruktur einher. Die Niedrig-Gesinnung realisiert sich dabei zugleich in der personalen Wahrnehmung der Gemeinde48 Der Ausdruck τὸ ζῆν Χριστός „encompasses theology, christology, ethics and eschatology in their entirety“, H. D. Betz, Statement, 45.
218
7. Ausblick
glieder, der Person des Paulus und des Kyrios Christus. Im Sinne aristotelischer Ethik und platonischer Staatslehre dient die Demut als christliche Phronesis der ‚politischen‘ Organisation der ekklesialen Gemeinschaft zur Durchsetzung von Gerechtigkeit und Doxa Gottes (Phil 2,11). Die Übung der Demut hat eine religiöse Perspektive, die schon bei Platon anklingt, aber erst mit Paulus zu einem auf die ἐκκλησία bezogenen religiösen identity marker wird, der gerade in seinen kommunitären Aspekten für das frühe Christentum typisch ist49. Hierzu tragen nicht zuletzt die eschatologischen Implikationen bei: Der Lohn der Demut steht in der endgültigen Konformität mit Christus aus. Paulus propagiert die ταπεινοφροσύνη als Ethos, das Züge einer ethischen, aber mehr noch: einer dianoetischen (Phronesis) Tugend hat. Denn das Streben nach Christus-Konformität und der Gemeinschaft mit Gott rechnet mit einer Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes, auf die sich der κλητός nicht nur sittlich, sondern – im Sinne des φρονεῖν – mit der ganzen Person vorbereitet. Der Umstand, dass der Begriff der ταπεινοφροσύνη in der nachpaulinischen Wirkungsgeschichte zusehends in den intellektuellen Diskurs über (christliche) Tugenden und deren Verhältnis zur antiken Tugendlehre gerät, ist im paulinischen Konzept zu einem gewissen Grade bereits begründet und wird durch entsprechende Lexik befördert (z. B. ἀρετή in Phil 4,8). Der paulinische Begriff der Demut ist dennoch vielschichtig und eröffnet weitreichende theologisch-ethische Perspektiven auf das Zusammenleben in der christlichen Gemeinschaft und deren Platz in Raum, Zeit und Geschichte. Im „Wahrnehmen der Verantwortlichkeit für andere Menschen“ und für „ganze Gemeinschaften und Gemeinschaftsgruppen“ entsteht letztlich Geschichte50, und Demut wird deren Ermöglichungs49
Vgl. K. Eshleman, World, 3: „From the start, Christians conceptualized themselves in communitarian terms …“. 50 D. Bonhoeffer, Ethik, 219.
7.4. Versuch einer Begriffsbestimmung
219
grund. Ethisches Denken hat also nicht nur eschatologische, sondern auch geschichtliche Implikationen. Der Begriff der Demut bei Paulus ist entsprechend groß und vielschichtig angelegt. Die bloße Wiedergabe der ταπεινοφροσύνη in nachpaulinischen Tugendkatalogen bedeutet hingegen eine Reduktion der paulinischen Demut auf eine moralische Kategorie. Das dualistische Denken in Tugenden und Lastern steht dabei in der Gefahr, die Demut nach Bedarf moralisch aufzuladen oder auch zu diskreditieren (vgl. schon der Diskurs hinter Kol 2). Auch, dass die antiken christlichen Schriftsteller nach Paulus, wenn sie sich auf Diskussionen über die Nähe oder Ferne des Christentums zur antiken Philosophie einlassen, den Begriff der Demut als Beispiel für ein Analogon oder ein christliches Spezifikum (Augustinus) ins Feld führen, ist der argumentativen Dichte geschuldet, in der schon Paulus in Phil 1–2 ethische und noetische Überlegungen anstellt. So ist es fast als Ironie des Schicksals zu werten, dass in Teilen der altkirchlichen Exegese, die faktisch im Sinne des canonical approach arbeitet, der Erfinder der christlichen Demut – Paulus – aus dem Blick gerät und die Demut sachlich vor allem mit Hilfe der Evangelien-Erzählungen bestimmt wird: Die Handlungen des irdischen Jesus (Fußwaschung etc.) werden als Dienst betrachtet, der als Übung der Demut gilt und so zur konkreten ethischen Forderung an die Nachfolger Christi wird. Die Übung der Demut, die hierbei in sozialem Verhalten, rituellen Formen oder Sprachethik (z. B. versus Prahlerei) ihren Ausdruck findet, tendiert dann dazu, mehr ein Charakteristikum für den einzelnen Nachfolger Christi als für den henophronetischen Status ekklesialer Gemeinschaft zu werden. Historisch wie sachlich geht der Begriff der christlichen Demut auf Paulus zurück. Paulus fordert von den Philippern ταπεινοφροσύνη als ‚politische‘ bzw. kybernetische Aufgabe. Diese Forderung ist nicht als ethisches Gebot oder moralischer Appell zu verstehen, sondern Ausdruck einer Existenzform
220
7. Ausblick
(πολιτεύεσϑαι), die an Christus Maß nimmt und von Paulus vorgelebt wird. In Anlehnung an Chrysostomus ließe sich sagen: Nur der kann Demut fordern, der sie selbst übt. Paulus weiß persönlich zugleich um die Paradoxien und Ambivalenzen des Demütig-Seins (vgl. 2 Kor 10–13; Röm 12) und gibt sich auch darin als ein verantwortungsvoller ‚Hermeneut‘ der Demut zu erkennen. So wird die reiche Wirkungs‑ und Rezeptionsgeschichte des Begriffs, die in Zeiten des politisch-ethischen Interesses am Kommunitarismus und der Durchsetzung der Gerechtigkeit als Gemeinwohl51 neue Aktualität erlangen könnte, gerade auch in ihrem Kampf mit den Ambivalenzen der Demut von einer Paulus-Lektüre profitieren. Diese Lektüre wird in erster Linie Denkwege aufzeigen, nicht aber zu Systematisierungen des Denkens, also Denksystemen führen können. Ebenso wenig erschließt sich das produktive, eben nicht destruktive Potential (wie bei Nietzsche), das der paulinische Begriff der Demut entfalten kann, im Rahmen eines geschlossenen Konzepts einer Tugendethik. Paulus begründet in Phil 1–2 keine Denksysteme, sondern eröffnet Denkwege. Wenn wir jenen gedanklichen Reichtum, mit dem Paulus den Begriff der Demut gestaltet, und die Dynamik persönlicher Verifizierung, die bei Paulus und vielen Theologen nach ihm dahinter steht, in unser kulturelles Gedächtnis rufen, kann die Demut als konstruktives Merkmal christlicher Identität neue Würdigung erfahren.
51
Vgl. W. Huber, Ethik, 215; J. Rommerskirchen, Das Gute, 228 ff.
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Stellen und Belege(antike Texte)* Philipperbrief
2, 5, 6, 17, 36, 37, 42, 43, 54, 61, 65, 69, 73, 76, 88, 93, 104, 108, 109, 113–124, 126, 129, 130, 131, 135, 136, 137, 142, 155, 163, 169, 172, 174, 175, 176, 178, 181, 182, 194, 197, 198, 199, 203, 204, 205, 207, 208, 211, 212, 213, 214, 217 IX, X, 5, 5588, 75, 1–2 107, 108, 110, 111, 112, 114, 115, 119, 121, 122, 123, 128, 129, 131, 135, 136, 147, 150, 151, 156, 158, 165, 168, 180, 182, 197, 216, 219, 220 124141 1–2 f. 1–3 113114, 125, 16241
1
1, 54, 107, 109, 163 1,1–2,30 109 1,1–3,1 108, 109 37, 77, 112, 121, 1,1 130, 137, 155, 175 1,3–11 75 1,3 77, 115, 116 121 1,3 ff. 1,4 75, 752 1,5 76, 113 1,7 75, 76, 95, 106, 107, 114, 114116, 116, 121, 168 1,8 116 1,9 75, 117, 175 76, 115, 117, 159 1,10 1,11 95, 106, 117, 168 1,12–18 111 1,12 8, 75, 76, 117, 143 109, 121 1,12 ff. 1,13 107, 109, 175 1,13 f. 121 107, 117 1,14 1,15 117 107, 110, 117, 121 1,16 1,17 107, 113, 117, 118, 121
* Die Indices wurden erstellt von stud. theol. Daniel Vigtoft Jakobsen (Aarhus).
244
Stellen und Belege
1,18 752, 115, 117 1,19–26 110, 111 1,19 116 1,20 110, 116, 122 1,21–23 110 1,21–24 110 111 1,21 ff. 1,22 124 111, 116 1,23 1,24 116 1,25 8, 752, 76, 116 1,26 76, 119 76, 92, 110, 125, 1,27 155, 160, 168, 179, 180, 188, 194 1,27 ff. 75, 125 1,28 75 1,29 110 1,30 121 2–3 199 2 X, 1, 4, 6, 27, 32, 34, 37, 38, 39, 41, 54, 55, 60, 66, 66129, 69, 72, 73, 74–129, 130, 146, 151–170, 171, 173, 177, 180, 181, 18235, 188, 197, 207, 216 2,1–3 151 2,1–4 68, 74, 75, 77, 122, 166, 208 2,1–11 103, 104, 125, 126, 128, 16238, 163 2,1 76, 116 1, 115, 135 2,1 ff. 2,2 74, 752, 76, 113, 115119, 118, 126, 148, 160, 175, 176, 180
2,2 f. 116, 118 2,3–8 16344 2,3 IX, X, 1, 2, 38, 28, 33, 65, 66, 67, 72, 74–77, 79, 81, 89, 104, 107, 111, 113, 114, 117, 118, 122, 123140, 125, 126, 127, 147, 153, 155, 159, 171, 173, 194, 19694, 211, 216, 217 114 2,3 f. 2,4 76, 86, 160 2,5–8 209 2,5 68, 73, 76, 77, 114, 114115.116, 119, 125, 126, 160, 166, 211 2,5 ff. 87, 113 2,6–7a 106 2,6–8 101, 10185, 145, 146 1, 3, 77, 96–107, 2,6–11 110, 111, 122, 124, 125, 126, 158, 165, 196, 211 76, 126 2,6 2,6a 98 97, 106100 2,6b 2,6c 97, 126 2,6 f. 117, 124 68, 72, 77, 91, 2,6 ff. 106, 111, 126, 127, 146, 214, 186, 190, 20920, 211, 213 2,7–8 66125, 97 27, 37 2,7
Stellen und Belege
2,7a 97 2,7b 98, 121, 130, 132 2,7b–d 105 2,7c 103 2,7d 103 2,7 ff. 105 60, 122, 125, 126, 2,8 127 2,8a 98 2,8b 112, 122, 124 2,8bc 98, 122, 124 6, 123140 2,8 f. 2,9–11 101 2,9 9982, 101 2,10 10290 2,11 98, 218 2,12 110, 123, 125 76 2,12 f. 2,16 160 752 2,17 f. 2,18 75 2,19–24 112 77 2,19 ff. 2,20 112, 122 112, 121 2,22 2,23 112 110, 113 2,24 2,25–30 112 112, 13612 2,25 2,27 112 2,30 112 752 2,28 f.
3 163 3,2–21 108 3,6 95 3,7 124 3,9 95 3,10 124, 199 123140, 124 3,10 f. 3,11 127 175 3,13 f. 3,14 181, 194 3,15 114116 3,17–21 159 3,17 1, 3, 113, 16345 3,18–21 175 3,19–21 6 3,19 95, 114116 3,20 155 3,21 6, 119, 123140, 126, 126148, 127, 16238, 163, 175, 199 16, 142 4 4,5 168 4,7 95 4,8 14, 16, 69, 117126, 218 108, 126148 4,10–20 4,10 114116, 115119 4,10 ff. 8 126, 126148, 142 4,12 4,22 107
Altes Testament (Septuaginta) Genesis 4 84 15,13 7912
245
16,6 7912 16,6 ff. 8224 16,11 18650
246
Stellen und Belege
29,32 80 31,50 7912 34,2 7912 40 ff. 208 Exodus 19,24 84 20 19 Leviticus 13,3 ff. 80 16,29 80 16,31 80
3,5 100 3,9 100 3,12 100 3,13 100 3,15 100 Ester 4,8 78 Judit 9,11 78 16,11 80
Numeri 12,3 80
1. Makkabäerbuch 1,3 21 6,40 80
Deuteronomium 5 19 22,24 7912
2. Makkabäerbuch 9,8 21 15,12 104
Josua 11,16 80
4. Makkabäerbuch 19 1,21 ff.
Richter 1,15 80
Psalmen (Hebräische Bibel /LXX) 21,22 78 34/35,13 f. 80 36/37,2 19278 71/72,4 78 74/75,8 78 75/76,9 186 81/82,3 80 81, 192 89/90 89/90,5 f. 19278 104/105,17 f. 80 106/107,17 78 118/119,51 78 130/131,2 79 137,6 78 137/138,6 78
1. Samuel (1 Kg) 1,11 18650 18,23 80 209 23,19 ff. 25,10 f. 209 2. Samuel (2 Kg) 13,12 7912 16,1 ff. 209 209 17,1 ff. 1. Könige (3 Kg) 3 10084, 10289, 168
247
Stellen und Belege
142/143,3 79 149,4 186, 187
40,18 87 45,4 80
Sprüche Salomos (Proverbien) 3,7 148 3,34 100, 185, 192, 19382, 196, 202 10,4 80 12,2 80 15,33 8635 16,19 100 18,12 8635, 100 22,4 8635 29,23 79
Sacharja 9,9 186 80 9,9 f.
Hiob 5,11 78 78 12,21 14,2 19278 Weisheit Salomos (Sapientia Salomonis) 19 14,21 ff. Jesus Sirach (Ben Sira) 193, 19382 2,17 3,18 192, 193 36 [33],12 217
Jesaja 11,4 79 40 19176 40,1 143 186 40,3 ff. 40,4 78 40,6 ff. 19176 53 100, 101, 10185, 105, 159, 213 53,5–12 101 53,8 80, 100 53,10b–13 101 58,5 80 58,10 80 Ezechiel 22,10 f. 7912 28,3 208 Daniel 2,30 ff.
208
Qumran 1QS 38 2,23 ff. 86 85, 86 2,24 3,8 85, 86 4,3 85 5,3 85 5,25 85
9,22 86 11,1 86 86 4Q258 Frgm.1 i,3 4Q266 Frgm. 8,4 86 4Q525 Frgm.14 ii,20 86
248
Stellen und Belege
Frühjüdische Literatur Josephus Antiquitates Judaicae (Ant) 19,330 1744 Bellum Judaicum (BJ) 4,319 90, 104 4,365 90 4,494 90 7,2,115 1744 Philon von Alexandria De Abrahamo (Abr) 213,5 1744 De agricultura (Agr) 61 84 De congressu eruditionis gratia (Congr) 107 83 175 84 De decalogo (Decal) 61 82 Quod deterius potiori insidiari soleat (Det) 16 83 32 ff. 84 34 84 De ebrietate (Ebr) 128 83 Quis rerum divinarum heres sit (Her) 29 83 267 f. 6 268 83
De Iosepho (Ios) 142 82 144 83 150 191 Legum allegoriae (Leg) 1,68 36, 83 3,19 83 3,82 83 3,214 83 De migratione Abrahami (Migr) 147 83 De vita Mosis (Mos) 1,31 82 2,51 9354 De mutatione nominum (Mut) 222 83 De posteritate Caini (Post) 109 84 136 84 41 83 46 83 48 83–84 74 83 79 83 Quod omnis probus liber sit (Prob) 101 83 24 83 24 84 De providentia (Prov) 2,1 84
Stellen und Belege
Quaestiones et solutiones in Genesim incertae sedis fragmenta (QG isf ) 5 84 De sacrificiis Abelis et Caini (Sacr) 62 83
De specialibus legibus (Spec) 2,106 83 3,1 83 4,176 82 4,88 83
Rabbinische Literatur Pirke Awot 4,4 43
201 6,4 ff. 6,6 43
Neues Testament Matthäus 171, 184–188 186 1,48 ff. 5,3 187 5,5 18755 11 186 11,29 8741, 18445, 186, 187 18,1–5 18548 18,4 99, 18445, 185 18,14 186 21,5 18755 23 185 23,11 18549 23,12 99, 184, 18445, 185, 193, 206 27,13 99 Markus 184 6,18 209
8,31 16553 9,33–37 18548 9,40 117127 10,45 26, 27, 38 14 f. parr. 16553 15 parr. 99 15,4 f. 99 99 15,31 f. Lukas 171, 184–188 28, 185 1 1,48 27, 18445, 186 1,52 18445, 186 3,5 18445, 186 9,46–48 18548 10,38–42 27 191 12,16 ff. 12,42 par. 121 14,7 ff. 185
249
250 14,11 14,11 par. 18,9 ff. 18,14 23,8 f. 23,35 ff.
Stellen und Belege
99, 18445, 186, 193, 196, 206 184 185 99, 184, 18445, 193, 206 99 99
Johannes 184 1,14 102 13 26, 27, 38, 66129 19,15 209 19,40 2988 Apostelgeschichte 171, 173–178, 203119 6,14 2988 8,33 100 12,12 196 15–18 196 15,1 2988 16,21 2988 16,23 ff. 108 18,19 ff. 174 19,10 108 20 173, 1749, 175, 176, 177, 178 20,17–35 175 20,17–38 174 174 20,17 ff. 20,19 171, 173, 174, 175, 175 20,22 175 175 20,22 f. 20,24 175 175, 178 20,28 20,29 178
20,31 175 20,33 f. 176 176, 177, 17717 20,35 20,36 175, 177 20,37 177 20,38 177 21,27 ff. 108 24,16 117125 25,4 108 26,24 176 26,25 176 28,16 ff. 108 28,17 2988 28,17ff 208 109 28,30 f. Römerbrief 1, 130–150, 198 1 15 1,1–7 134 1,1 130, 1311, 134 1,5 134, 198 135 1,16 f. 1,29 ff. 15 1,30 2258 2,20 114116 4,17 144 5–8 135 5,1–5 135 6 ff. 134 135, 163 6,6 6,16 98, 122, 134, 198 6,19 135 7,6 135 8,15 135 8,21 135 11,20 148 11,25 156 12–14 134, 135
Stellen und Belege
12
14, 72, 73, 147, 150, 181, 197, 220 135, 136 12 ff. 12,1 116121, 147 12,3 147, 149, 176 147 12,4 ff. 12,11 135 12,14–15 149 12,15 177 72, 76, 135, 12,16 147–150, 156, 184 12,16a 150 12,16b 148 13,6 13612 13,8–10 15 135 14,17 f. 15 135 15,1 ff. 135 15,14–29 136 15,14 ff. 136 136, 13613 15,16 15,18 198 15,24 136 1. Korintherbrief 1, 137, 142, 175, 182 1 139 1,10 f. 140 3,6 133 3,9 140 4 140, 141 4,7 207 4,9–13 141 4,11–13 139 4,15 f. 140 4,21 140 5 15 5,9 139 5,10 f. 15
15, 19 6,9 6,12 15518 7 181 7,1 139 7,17–20 181 7,17–24 18235 7,20 181 7,21 132 181 7,21 ff. 7,22 132 7,24 182 7,25 ff. 16 7,35 15518 8 16, 18238 8,5 18338 8,12 176 9 133, 141 9,1 133 9,1 ff. 133 133 9,4 ff. 9,12 ff. 133, 176 8 9,15 ff. 9,16 133 9,18 133 9,19 133 9,20 ff. 133 9,22 133 9,27 134 10 16 10,23 15518 10,32 117125 10,33 15518 12,7 15566 12,13 121, 18966 13 15, 23 13,3 15518 13,4–7 15 140 14,3 ff. 14,6 15518 15,9 f. 62113
251
252
Stellen und Belege
15,10 207 15,33 2988 16,1–14 140 2. Korintherbrief 1, 93, 114, 130– 150, 1749, 175, 196, 203119, 217 1–7 139, 144, 14425, 145, 14529 1 127 1,3–7 143 1,3 116121, 143, 144 1,3 ff. 14425 1,4 144 1,5 144 1,6 144 1,7 144 1,8–11 108 1,8 ff. 139 1,9 144 1,19 196 2 139 2,4 1749 3 139 4 139 215, 21545 4,1–6 4,1 142 4,5 134, 142, 208 139 4,8 ff. 5,1 140 5,13 147 5,20 139 6 16 6,4 ff. 139 16 6,6–7 a 7 139, 143 7,5 144 7,6 143–146 7,8 139
8, 140, 145 8–9 8 146 8,2 146 8,7 146 8,8 f. 176 8,9 143–146, 209, 20920 8,10 15518 9,7 176 10–13 37, 38, 73, 107, 119, 136, 138, 13817, 140, 141, 142, 14529, 220 10 38 37, 137–143, 168, 10,1 18755 10,4 ff. 142 10,8 140 10,9–11 140 11,1 114116 11,5 138 11,7 137–143 11,16 114116 11,17 114116 11,19 114116, 156 11,23 ff. 139 15, 147 12 12,1–10 143 12,1 15518 12,6 114116 12,9 141 12,9 f. 62113 12,10 2258, 139 12,11 114116, 138 12,13 141 12,14 140 12,19 140 15, 145 12,20 12,21 140, 143–146 140, 142 13,10
Stellen und Belege
Galaterbrief 1 1,10 130 1,10 ff. 124143 2,10 146 2,13 149 2,19 163 3,28 121, 18966 5 16 5,19–23 16 5,24 163 5,25 90 5,26 89 Epheserbrief 171, 1748, 178– 184, 203119 1,1 17819 4 179, 180, 181, 183 4,1 f. 181 179, 18235 4,1 ff. 4,2–3 179, 18133 4,2 70, 171, 17820, 179, 17927, 182, 18237 4,2 f. 179, 186 4,3 179 4,4–5 182 4,4–8 182 4,13 18237 4,22 19799 4,31 f. 17 183 5,21 ff. 6,1 122139 6,1 ff. 123 6,5 122139 Philipperbrief (s. o. S. 243–245)
253
Kolosserbrief 171, 178–184, 203119 1,10 179 1,11 180 2–3 184 2 14, 181, 183, 219 2,8 183 2,16 183 184, 204 2,18–23 2,18 171, 179, 183, 19694 2,23 171, 179, 183, 19694 3 180, 183 3,5 180 3,5 ff. 17 3,8 17, 180 3,12–15 179 3,12 17, 52, 171, 179, 180, 183, 184, 19694 3,12 ff. 70, 180, 182 3,14 180 123, 183 3,18 ff. 3,20 122139 3,22 122139 1. Thessalonicherbrief 1, 15 1,1 196 2,2 2258 4,3 f. 15 1. Timotheusbrief 6,17 f. 17 2. Timotheusbrief 203119 2,25 17926
254
Stellen und Belege
Titusbrief 1,7 f. 17 3,2 17926 Philemonbrief 1, 132, 18029, 203119 1,7 116121 1,12 116121 Hebräerbrief 2,9 90 Jakobusbrief 171, 188–195, 196, 197, 198, 200 188, 193 1 1,1 188, 190 1,2–4 190 1,2 189 1,5–8 190 1,5 194 1,9–10 190 1,9–10a 18966 1,9–11 190, 191 1,9–12 19070 1,9 18650, 188, 189, 190, 191, 19176, 193 172, 191, 19176 1,9 f. 1,10 188, 189, 190, 191 1,10b–11 19176 1,11 190, 191 1,13–15 19070 1,17 194 1,21 194 2,1 189 2,1 ff. 195 188, 194 3,13 3,15 194
3,17 194 4 188, 193, 195 4,6–10 192 4,6 172, 188, 189, 192, 196, 202115 4,7–10 192, 19282 4,10 172, 188, 189, 193, 196 1. Petrusbrief 171, 19176, 192, 19282, 196–200, 200106, 216 1,1 198 196 1,1 f. 1,2 198 196 1,3 ff. 1,6 199 1,11 198101 1,13 197 1,14 198 1,17 198 1,22 198 1,24 19176 2,11 198 2,12 200 199 2,18 ff. 2,19 f. 198101 2,21 198101, 199 2,21 ff. 196 2,23 198101 3,1 ff. 198 3,4 200 3,6 122139 3,7 198 172, 196, 197, 200 3,8 3,13 ff. 187 3,14 198101 3,14 ff. 199 3,16 199
Stellen und Belege
3,17 198101 3,18 198101, 199 4,1 198101, 199 4,12 ff. 199 198, 198101 4,13 4,14 ff. 199 4,15 198101 4,19 198101 5 197 5,1 198101 5,1 ff. 197 5,5 17, 171, 172, 192, 196, 197
255
5,5a 197, 200 5,5b 196 5,5b–6 200 196 5,5 f. 5,6 19382, 196 5,9 198101 5,9 f. 199 5,10 198101 5,12 196 5,13 196, 199 2. Petrusbrief 3,17 149
Logienquelle Q Q
12,42 121 14,11 184, 185
185, 193
Apostolische Väter Didache 3,9
149, 201
Barnabas (Barn) 201 3,1 ff. 3,3 201 3,5 201 4,9 201 19,3 201 19,6 170 1. Clemensbrief 17, 18, 27, 128, 192, 200–203, 206 18, 202, 202112 2,1
5,5 f. 129 13–18 206 202, 202112 13,1 13,1 ff. 18 202, 202112 13,3 16,1 202 16,1 f. 18, 202112 16,2 145, 202 16,7 202112 16,17 187, 202, 202112 17,2 202, 202112 18,8 202, 202112 18,17 202112 19,1 202, 202112 21 18
256
Stellen und Belege
21,6–8 17 21,6 18 21,7 18 21,8 18, 202, 202112 30,2 192, 202 30,2 f. 202112 30,3 202 30,8 202, 202112 31,4 18, 97, 202 38,2 27, 202, 202112, 204 18, 202, 202112 44,3 48,6 170, 202, 202112 53,2 202, 202112 55,6 202, 202112 56,1 18, 186, 202, 202112 58,2 18, 186, 202, 202112 59,3 202, 202112 59,3 f. 202 59,4 202112 62,2 202, 202112
Ignatius
201
Ign Eph 192 5,3 192 10,1 ff. 187 10,2 201 10,3 201 Ign Pol 3,2 97 5,2 201 Polykarp Martyrium (Mart Pol) 1,2 127, 164 Hirt des Hermas Vis III,10,6 = 18,6 Mand IV,2 = 30,2 Mand XI,8 = 43,8 Sim V,3,7 = 56,7 Sim VII,4 = 66,4 Sim VII,6 = 66,6 Sim VIII,6 = 73,6
Gnostische Literatur Testimonium Veritatis (NHC IX, 3) NHC IX,3,41,4–45,6 38 NHC IX,3,44 38
Kirchenväter Ambrosius De Fide (Fid) 3,7,52 2078
Epistulae (Ep) 7,36,18 113
201, 202 201, 202111 202111 201, 202111 201, 202111 201, 202111 201, 202111 201, 202111
Stellen und Belege
(Ps.‑)Athanasius
Gregor von Nyssa
Sermo pro iis qui saeculo r enuntiarunt (Sermo pro iis) 28,413,30 170
Contra Eunomium (Eun) 2077 Eun 3
Augustinus Confessiones (Conf ) 7,14 41, 56, 57102 7,24 56 De civitate Dei (De civ Dei) 10,29,1 58 22,22 58104 De sancta virginitate (De S. Virgin) 31 57 Epistulae (Ep) 82,22 60108 118,3 58104 Enarrationes in Psalmos (En Ps) 85,4 207 Clemens Alexandrinus Stromata (Strom) 2,18,78,1 f. 206 2,22,132 58, 9354 2,22,132,1 206 4,16,106,1 2064 Eusebius Historia ecclesiastica (H E) 2,15,2 199 Praeparatio evangelica (P E) 11,13,5 9354 11,13,7 9354
Irenaeus Adversus haereses (Adv haer) 3,24,1 9354 3,25,5 9354 Johannes Chrysostomus Homiliae in epistulam ad Ephesios (Hom in Eph) 9,2 207 Homiliae in epistulam ad Philippenses (Hom Phil) 145 6 208 6,55 88 7 209 Homiliae in Matthaeum (Hom in Matth) 57,224 187 Justin Dialogus cum Tryphone (Tryph) 201 15,3 f. 15,6 201 33,2 201 50,3 201 Pseudo Macarius Homiliae (Hom) 15,27 42
257
258
Stellen und Belege
Marcian von Bethlehem De humilitate 25, 2571
6,15 58, 2076 6,15,9 9354 6,15,27 9354
Origenes Contra Celsum (C Cel) 3,63,3 9354
Griechisch-römische Literatur Aristoteles Ethica Nicomachea (Eth Nic) 153, 155 1,1,1094b22 155 1,1,1095a2 ff. 155 1,13,1103a5 15312 1,13,1103a9 151 2,1,1103a 32 2,1,1103a14 ff. 30 2,1,1103b 30 2,4,1106a 16 2,5,1107bff. 88 2,7,1107bff. 4 5,3,1129b28–30 167 6 153 6,5,1140a 154 6,5,1140b 157 6,5,1140b11 f. 153 6,5,1140b20 1525 6,7,1141a25 f. 154 6,8,1141b 154 6,8,1141b23 155 6,8,1141b33 155 156 6,9,114a24 f. 6,13,1145a 156 10,9,1179a 154
Politika (Pol) 1284a 9459 1295b 89, 94 1295b 9459 1313b 94, 9459 1315b 94, 9459 1337b 9459 Rhetorica (Rhet) 1380a 9459 1384a 94, 9459 1389 9459 1389a 9459 1389b 94 1404b 9459 1408a 9459 1414a 9459 1419a 40 40, 9459 1419b Cicero De finibus (De fin) 3,48 8328 De inventione (De inv) 40, 4027 1,15,20
Stellen und Belege
Dion Chrysostomos Orationes 77/78,26 88 Epiktet Dissertationes (Diss) 1,3,2 8845, 89 1,3,4 8845, 89 1,3,9 8845 1,4,25 8845, 89 1,4,28–32 125146 1,6,40 8845, 89 1,9,10 88, 8845, 89 1,9,28 8845, 89 1,9,33 8845, 89 1,10 ff. 36 1,19,8 132 2,1,11 8845, 89 2,6,3 8845 2,6,6 8845 2,6,8 8845 2,6,25–27 5, 36, 107 2,6,25 8845 2,6,25 ff. 121 2,8,15 8845 2,14,22 8845, 89 2,16,16 8845 2,16,18 8845 2,16,41 132 2,21,12 8845 3,2,14 8845, 141 3,22,104 88 3,22,105 8845 3,23,11 8845, 89 35, 8845 3,24,1 3,24,36 8845 3,24,43 8845, 89 3,24,54 8845 3,24,56 35, 88, 8845, 90
3,24,58 8845 3,24,75 8845, 89 3,24,85 43 3,26,33 8845, 89 3,26,35 8845 4,1,3 8845 4,1,54 8845 4,4,1 8845 4,6,8 35 4,6,9 8845 4,7,11 8845 4,7,17 132 4,12,20 8845 Encheiridion (Ench) 21,1 8845 Herodot Historien (Hist) 7,10 87 1,32 87 3,40 87 Homer Odyssee (Od) 10291 4,725 f. 4,815 f. 10291 Lukian Somnium (Somn) 9 3716 12 3716 13 3716 Musonius Rufus Dissertationes (Diss) 4,81 88 9,129 88
259
260
Stellen und Belege
Cornelius Nepos Vitae (Vit) 25,6,1–5 104 Platon Leges (Leg)/ „Nomoi“ 689d 93 715e–718a 94 715e–717a 9150 715e–716a 92, 206 715f 58 716a 21, 88 726a–734e 94 728e 9149 762e 9150, 92 791d 89, 9149 815a 9150 Lysis (Lys) 210e 9149 Phaedrus (Phdr) 254e 9149 257c 9149 Politicus (Polit) 309a 9149 Res publica (R) / „Politeia“ 553 9149 621c 167
Quaestiones Romanae (Quaest Rom) 49 88 Quomodo adolescens poetas audire debeat (Quomod adol) 9 88 Pollux aus Naukratis Onomastikon (Onom) 2,124 40 Properz Elegien (Eleg) 1,10,27 f. 41 3,17,1 41 3,9,29 41 Quintilian Institutio oratoria (Inst or) 2,20 41 8,3,48 40 8,3,60 41 10,1,87 41 Rhetorica ad Herennium 4,8,11 40 Seneca
Theaetetus (Tht) 191a 9149
Epistulae morales (Ep) 75,9 8328
Timaeus (Tim) 72d 9149
Varro
Plutarch Marcius Coriolanus (Coriolanus) 21 37
De lingua latina (Ling) 39 ling 5,23
Stellen und Belege
Vergil
Zenon
Aeneis (Aen) 5,467 87 6,460 87
Testimonia et fragmenta 37 1,53
Xenophon Agesilaos (Ages) Ages 11,11 88
261
Personen und Autoren (antike und moderne, im Text genannte) Allen, Pauline 208 Alypius 56 Ambrosius 113, 207, 2078 Antiochus I 21 Aristoteles VIII, 4, 16, 30, 31, 32, 40, 41, 8328, 87, 89, 93, 94, 95, 120, 151, 152, 1523, 153, 15312, 154, 155, 156, 15620.23, 157, 159, 162, 166, 167, 16756, 168, 169 Arius 209 Athanasius 34 (Ps.‑)Athanasius 170 Aubenque, Pierre 152 Augustinus 26, 34, 41, 56, 57, 58, 60, 60108, 77, 159, 172, 204, 205, 207, 219
Bonhoeffer, Dietrich 11, 21, 23, 24, 48, 51, 52, 5275, 53, 54, 5482.84, 55, 5588, 60, 107, 110108, 129, 160, 216 Bousset, Wilhelm 9668 Bovon, François 184 Boyarin, Daniel 69 Bultmann, Rudolf 23, 10, 36, 60, 61–66, 165, 184, 199104, 212, 21231, 213, 21340
Barrett, Charles Kinglsey 1748 Barth, Karl 45, 46, 52, 60 Basilius von Caesarea 34 Baumann, Notker 57, 205, 206 Ben Sira 78, 158, 193 Bernhard von Clairvaux 59, 59105.106, 60, 61109 Betz, Hans Dieter 18, 105, 106, 214 Bieri, Peter 9 Birgitta von Vadstena 25 Bonhöffer, Adolf Friedrich 35, 36, 37, 61, 62, 63, 120
Descartes, René 64 Dibelius, Martin 192 Dihle, Albrecht 42 Dike 92, 93 Dion Chrysostomos 88 Drecoll, Volker Henning 57, 5798
Carlyle, Thomas VII Cathrein, Viktor 24, 25 Cicero 40, 4027, 8328 Clemens Alexandrinus 18, 58, 9354, 204, 205–210 Cornelius Nepos 104
Eliot, Thomas Stearns VII Epiktet 4, 5, 35, 36, 37, 43, 61, 62, 63, 88, 89, 90, 94, 95, 107, 121, 1327, 141, 19277 Epikur 87
Personen und Autoren
Euripides 82, 8225 Eusebius 34, 9354, 199 Feldmeier, Reinhard 71, 72–73, 161 Flashar, Hellmut 153 Gadamer, Hans-Georg 153 Galen 34 Gregor von Nyssa 207, 2077 Gros, Frédéric 10 Haenchen, Ernst 17614 Halbig, Christoph 12 Halbwachs, Maurice 10 Han, Byung-Chul 2359 Härle, Wilfried 48 Heidegger, Martin 153, 212 Herms, Eilert 31 Herodot 87 Herrmann, Wilhelm 62, 62114 Hitler, Adolf 51 Höffe, Ottfried 7 Homer 102, 106 Hönigswald, Richard 211, 21129 Hume, David 13, 44, 177, 17716 Irenaeus 9354 Jesenská, Milena 753, 110108 Jesus 45, 4962, 55, 66129, 68, 69, 71145, 75, 96, 97, 98, 99, 101, 10185, 102, 10290, 103, 106, 126, 127, 129, 139, 144, 146, 162, 16553, 172, 17717, 184, 18549, 186, 187, 201, 206, 211, 213, 215, 219 Johannes Chrysostomus 34, 51, 88, 116123, 145, 172, 187, 204, 205–210, 220
263
Johnson, Mark 36 Josephus 35, 82, 90, 104, 173, 1734 Julian von Eclanum 207 Justin 789, 200, 201 Kant, Immanuel 19, 1946, 30, 44, 46, 59 Käsemann, Ernst 3, 39, 97, 14833 Kolnai, Aurel 21, 22 Köpf, Ulrich 46 Kristeva, Julia 9, 10, 11, 63 Lakoff, George 36 Lilla, Mark VIII, 9 Lindemann, Andreas 203119 Lohmeyer, Ernst 2, 54, 64, 64123, 66, 96, 9668, 98, 129, 199, 199104, 211–216 Lukian 37 Luther, Martin IX, 27, 28, 33, 62115, 114115 MacIntyre, Alasdair 158 Marcian von Bethlehem 25 Marsh, Charles 53, 54, 5485 Mell, Ulrich 25 Michaelis, Wilhelm 77 Michel, Otto 149 Miegel, Meinhard 21 Mikkelsen, Hans 33 Morgenstern, Christian 24 Mühlenberg, Ekkehard 56 Muraoka, Takamitsu 79 Musonius Rufus 88 Nietzsche, Friedrich 21, 25, 49, 4965.66, 50, 51, 5169, 52, 59, 66, 220 Nussbaum, Martha C. 158
264
Personen und Autoren
Oakes, Peter 164, 16449 Odysseus 89 Oldfather, William Abbott 35 Origenes 34, 56, 5691, 58, 9354, 127, 204, 207, 2076 Papst Franziskus 25 Ricœur, Paul 158 Pedersen, Christiern 33 Perikles 154 Philon von Alexandria 5, 36, 77, 82, 8227, 83, 84, 85, 90, 9358, 173, 1734, 191 Platon 21, 58, 88, 89, 91, 9149, 92, 9251, 93, 94, 95, 104, 120, 151, 167, 16756, 168, 169, 206, 218 Plutarch 34, 37, 88 Pollux aus Naukratis 40 Popkes, Wiard 19385 Properz 41 Prudentius 56 Ps. Macarius 42 Quintilian 40, 41 Rabbi Jicchaq b. Eleazar 16237 Rapp, Christof 94 Reumann, John 65, 108, 109, 126148 Ritschl, Albrecht 46 Rothe, Richard 46, 47 Salomo 100, 10289, 168 Scheler, Max 9, 21, 24 , 48, 49, 4961, 51, 165 Schleiermacher, Friedrich 46, 47, 60
Schrage, Wolfgang 66, 67, 69 Sellin, Gerhard 17819.21, 179 Seneca 8328, 87, 205 Sharples, Robert W. 1523 Sisaeus 2 Sokrates 4, 37, 107 Strabo 34 Theißen, Gerd 30, 31, 3193.94, 67, 68, 69, 115, 115118, 161, 164 Thrall, Margaret E. 38, 146 Tillich, Paul 47, 59 Trebilco, Paul 18963 Varro 39 Vergil 87 Veyne, Paul 11 Vollenweider, Samuel 63 Weber, Max 8 Weiß, Bernhard 65, 8533 Weiß, Johannes 159, 161 Welles, C. Bradford 3 Wengst, Klaus 70, 71 Williams, Bernard 1225 Windisch, Hans 19282 Wischmeyer, Oda 183 Wolter, Michael 123140, 159, 160 Wright, Nicholas T. 69, 70, 161 Xenophon 88 Zenon 37, 167
Begriffe und Sachen(in Auswahl) Abschiedsbrief 75, 178 Abschiedsrede 174, 175, 178 Agape, s. Liebe Ambivalenz, ambivalente Ethik 6, 11, 14–20, 27, 33, 150, 184, 204–220 Apostolat 2, 134, 137, 138, 141, 147, 217 Apostolatstheologie 73, 123, 138, 146, 177, 195 Attributverzicht 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 106, 117, 119, 124, 127, 129, 162 Benediktsregel 43, 59, 162 Christologie 2, 37, 57, 5798, 58, 60, 67, 71, 72, 789, 97, 102, 103, 111, 123, 125, 143, 146, 177, 183, 186, 195, 196, 197, 198, 209, 210, 214, 217 Christus‑ ‑Akkommodation 158, 217 ‑exemplum 97, 98, 102, 103, 104, 106, 107, 111, 112, 119, 124, 125, 126, 127, 158, 165, 195, 199, 20921 ‑imitatio 128 ‑Konformität 123140, 137, 158, 159, 162, 199, 218 Demuts‑ ‑Begriff 2674, 49, 90
‑Diskurs 48, 85, 128 ‑Haltung 93, 98, 110, 126, 138 ‑Kritik 13, 48, 49, 4965, 51, 66 ‑Lehre 5798, 128, 205, 207 ‑Vorstellung(en) 38, 90, 130, 184, 188, dianoetisch, s. Tugend (dianoetische) ἔθος 29, 2988, 30, 32 Einheit 1, 23, 74, 98, 103, 115, 122, 123, 124, 124141, 128, 131, 150, 160, 167, 178, 179, 181, 18133, 182, 183, 190 Ekklesiologie, ekklesiologisch X, 2, 47, 52, 53, 54, 55, 5588, 59, 65, 72, 73, 85, 123, 152, 177, 182, 190, 195, 197, 198, 202, 202113, 203, 204, 210, 214, 216, 217 Erfolgs‑ ‑Ethos 103, 162 ‑Geschichte 8, 104, 162 Eschatologie, eschatologisch 6, 47, 116, 123140, 13716, 159, 162, 163, 167, 169, 181, 186, 191, 199, 217, 218, 219 Ethos VIII, 11, 12, 14, 15, 29–32, 36, 37, 42, 43, 68, 68136, 69, 70, 71, 72, 90, 91, 95, 96, 102, 103, 10393, 104,
266
Begriffe und Sachen
111, 117, 118, 146, 148, 150, 161–167, 218 Freiheit 10, 47, 64, 64121.122, 65, 91, 121, 133, 134, 215 Fußwaschung 26, 2677, 38, 218 Gefangenschaft 75, 107, 109, 110, 111, 117 Gehorsam, Kreuzesgehorsam 43, 45, 50, 5275, 57, 60, 87, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 119, 122, 127, 134, 198, 199, 202 Gemeinschaft IX, 1, 15, 3193, 43, 44, 52, 53, 55, 60, 69, 72, 74, 75, 76, 77, 85, 86, 94, 95, 104, 106, 111, 113, 113114, 114, 115, 117, 118, 119, 122, 123, 124, 127, 128, 131, 132, 135, 136, 139, 144, 146, 14836, 150, 155, 159, 160, 161, 162, 16238, 163, 164, 165, 166, 169, 181, 182, 190, 198, 203, 212, 216, 217, 218, 219 genus humile 40, 4027, 41, 10393 gerecht, Gerechtigkeit 24, 30, 50, 84, 86, 92, 9253, 93, 94, 95, 9564.65, 98, 99, 9982, 100, 102, 104, 105, 106, 121, 133, 134, 135, 136, 142, 156, 162, 167–170, 198, 218, 220 Gesinnung, s. Phronesis Gestaltwandel 97–103, 105, 119, 127 Henophronesis 118, 122, 123, 151, 153, 156, 158, 160, 166, 169, 182, 198, 204, 208
Hermeneutik 19, 153, 154 humilitas 38, 28, 33–42, 44, 56, 57, 59 Hochmut IX, 21, 22, 28, 48, 58, 78, 79, 83, 100, 138, 14836, 201 Hybris 8, 21, 22, 52, 53, 68, 93, 106, 106100, 119, 138, 139, 143, 145 Identitätsanalyse 7–14, 20, 32, 62, 129 identity marker X, 2, 23, 42, 200, 218 Individualität, individuell 11, 21, 29, 46, 47, 63117, 94, 95, 123140, 128, 154, 159, 160, 162, 164, 167, 168 Interaktion 29, 31, 43, 86, 123, 124, 155, 156, 160, 210, 217 Isophronie 113, 118, 151, 156, 208 ἦθος 18, 29, 2988, 30, 164 Kenosis, kenotisch 97, 98, 10185 Klugheit 32, 50, 120, 151, 152, 1525, 153, 154, 155, 156, 157, 15724, 159–161, 162, 164, 166, 16756, 169, 19489 Kommunitarismus 161, 220 Kulturkritik 48 Lasterkataloge (s. Tugend‑ und Lasterkataloge) Liebe 15, 1636, 18, 23, 42, 47, 48, 49, 57, 67, 68, 69, 72, 74, 75, 76, 84, 105, 106, 117, 124, 139, 140, 162, 165,
Begriffe und Sachen
16552, 170, 179, 180, 18027, 183, 202, 215 Martyrium 23, 54, 68136, 69, 110, 116, 125, 127, 128, 129, 163, 210, 21338, 214, 216 Mönchtum, monastisch 25, 43, 44, 46, 59, 128, 201, 210 Myth-Historie 68 Niedrig-Gesinnung VII1, XI, 1, 4, 5, 36, 37, 74, 76, 77–96, 97, 106, 111, 114, 116, 118, 119, 120, 122, 123, 124, 127, 131, 135, 136, 141, 146, 147–150, 151, 156, 158, 159, 160, 162, 164, 165, 166, 167–170, 171, 175, 176, 177, 178, 180, 181, 182, 186, 188, 189, 197, 200, 217 Niedrigkeit 4, 5, 6, 28, 37, 39, 49, 58, 72, 75, 78, 79, 80, 81, 84, 85, 89, 90, 98, 101, 102, 120–124, 126, 127, 131, 137–143, 144, 145, 147, 150, 163, 16343, 166, 169, 170, 171, 173, 175, 18235, 186, 187, 188, 189, 191, 192, 193, 195, 196, 199, 200, 21340, 214, noetisch 76, 115, 116, 117, 119, 156, 165 Paränese, paränetisch 15, 17, 19, 72, 74, 75, 86, 91, 96, 113, 117126, 123140, 125–129, 134, 147, 158, 172, 183, 19282 Paraklese 143, 144 Person (des Paulus) 38, 54, 62, 73, 76, 107–113, 121, 123,
267
129, 130–137, 137–143, 158, 213, 218, 220 Phronesis 32, 93, 115, 115118, 116, 117, 118, 119, 120, 147, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 15623, 157, 15725, 159, 165, 166, 169, 19489, 218 Politik 7, 10, 24, 151, 154, 157, 168, 169 πραύς, πραύτης 87–88, 1744, 186, 187, 194 Raummetaphorik VII1, 78, 122, 194 Rechtsverzicht 98, 99, 100, 102, 104 Rezeption, Rezeptionsgeschichte 3, 12, 34, 42, 58, 60, 61, 66, 67, 70, 92, 107, 1523, 157, 171, 179, 201, 207, 220 Selbst-Erniedrigung 97, 98, 99, 101, 10185, 103, 124, 125, 127, 198, 204 Servilität 343, 88, 209 Sophrosyne 153, 166 Staatslehre 168, 217, 218, Statusverzicht 67, 68, 68136, 69, 97, 10393, 164 X, 23, 2361 Tlawmngaihna Topik 75, 110, 113114, Tugend VIII, 4, 5, 11, 12, 13, 14–20, 2675, 28, 29–32, 3612, 41, 45, 49, 50, 52, 56, 57, 59, 61111, 63, 68, 69, 70, 71, 71146, 83, 84, 88, 94, 117, 120, 152, 153, 161, 163, 164, 165, 166, 167, 169, 170, 179, 180, 183,
268
Begriffe und Sachen
186, 194, 197, 200, 205, 218, 219 Tugend (dianoetische) 32, 153, 161, 166, 169, 218 Tugendethik 12, 16, 166, 172, 205, 220 Tugendkataloge / Lasterkataloge 15, 16, 17, 41, 183, 219
Tugendlehre 12, 19, 20, 29, 30, 31, 32, 51, 52, 5275, 59, 70, 84, 151, 161, 166, 206, 218 ultima verba 1, 136, 155, 174, 178