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German Pages 274 [276] Year 1906
DIE CHRISTLICHE DEMÜT EINE HISTORISCHE UNTERSUCHUNG ZUR THEOLOGISCHEN ETHIK VON
D. KARL THIEME AO. PROFESSOR DER THEOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT L E I P Z I G
I. HÄLFTE WORTGESCHICHTE
U N D DIE D E M U T BEI J E S U S
VERLAG VON ALFRED
TÖPELMANN
( V O R M A L S J. R I C K E R ) — G I E S Z E N —1906 v Die II. Hälfte befindet sich in Vorbereitung. Jede Hälfte ist einzeln käuflich.
KARL THIEHE - DIE CHRISTLICHE DEHUT I.HÄLFTE-WORTGESCHICHTE ÜND DIE DEBÜT B E I »
Die christliche Demut Eine historische Untersuchung zur theologischen Ethik von
D. Karl Thieme ao. Professor der Theologie an der Universität Leipzig
Erste Hälfte W o r t g e s c h i c h t e u n d die D e m u t bei J e s u s
3--C
VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN {VORMALS J. RICKER) - GIESZEN - 1906
Alle Rechte vorbehalten.
Gedruckt bei Oacar Branda tettar In Leipzig. 29092
Der hochwürdigen
theologischen Fakultät zu Göttingen zum Dank für die ihm verliehene Würde eines Doktors der Theologie in Ehrerbietung gewidmet vom Verfasser.
Vorbemerkung. Nicht nur für die theologische Ethik, sondern auch für die Christologie ist eine Untersuchung der Demut bei Jesus fruchtbar. Also mag die sie enthaltende erste Hälfte dieses Buches als ein Beitrag zu dem fundamentalen christologischen Problem des Selbstbewußtseins Jesu zunächst allein ausgehen. Die zweite Hälfte wird die christliche Demut im Urchristentum noch ebenso ausführlich, in den Epochen ihrer späteren Geschichte aber kürzer behandeln und dann die Probleme zu lösen versuchen, die sie der Ethik aufgibt.
K. Th.
Inhaltsübersicht. (Die eingeklammerten Zahlen bezeichnen die Seiten.) Seite
Einleitung Allgemein wird die Demut vom nichtchristlichen Urteil noch nicht mißachtet (1), sondern analoge religiöse Stimmungen werden anerkannt (2). Angegriffen wurde sie neuerdings von Nietzsche (3—5), früher besonders von Celsus(5u.—6), Spinoza (7 f.), [Seume, Heine (8/9)], Feuerbach (9). Aber die angegriffene falsche Demut gilt nicht einfach als die christliche (10), sondern es ist die mönchische (10/11). Herrmanns Begriffsbestimmung (11 f.) und Härings und Harnacks Äußerungen (12) zeigen die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Demut für die theologische Ethik (13).
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Erstes Kapitel. Z u r W o r t g e s c h i c h t e 14—43 1. Demut und demütig in Luthers Bibelübersetzung (14). TajtetvotpQoavvr] ( = „Niedergesinntheit"), zuerst bei Paulus nachweisbar, im üblen Sinne bei Josephus und Epiktet (14/5), bedeutet bei ihm vielleicht zweimal, Kol. 2, „Kasteiung" (15), wofür sich zajteivoqjQÖvrjaig und xaneiva>ais finden (16). Nötig ist dieser Sinn dort nicht (17 f.). Dreimal bedeutet es bei ihm eine Tugend (18/19). •2. Nach A. Seeberg stammt dieser Tugendbegriff bei Paulus aus einem jüdischen Proselytenkatechismus (19), wogegen manches spricht (19/20). Aber wegen einer Berührung von Rom. 12,16 mit jüdischen Sittensprüchen (20—22) muß man sich in der jüdischen Literatur nach der xcuieivorpQoovvri umsehen (22). Daß sie bei Paulus neben neavtrjs steht, gibt mancherlei Fragen auf (22/3), besonders die, ob er von Jesu Selbstcharakteristik Matth. 11,29 abhängig war (23). 3. Feines Gründe hierfür (23), Vermutungen über Anspielungen bei Paulus auf die Sanftmut des irdischen Christus (24) und andere Erwägungen (25) machen nichts weiter wahrscheinlich, als daß er um Jesu sanftmütigen Erdenwandel gewußt hat (25/6). Auch dessen Niedrigkeit wird ihm nicht unbekannt gewesen sein (26 f.). Vielleicht war er durch Jesu Worte vom Dienen und von der Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung beeinflußt (27 f.). Nach
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Inhaltsübersicht.
diesen Annahmen richtet sich der Gang unsrer Untersuchung (28). Sie hat jedenfalls jene Umschau in der jüdischen Literatur nötig (29). 4. Dabei ist es aber nicht auf eine Skizze der Geschichte der jüdischen abgesehen, sondern nur auf die Kenntnis des jüschen Sprachgebrauchs auf diesem Begriffsgebiete (29 f.). Grundbedeutung und Gebrauch von »;j>t und (30/1). Sellins Theorie über diese Nomina (31). Ihre möglichen Bedeutungsnuancen in religiöser, altruistischer und ipsistischer*) Richtung (31/2). Die Bedeutung von in Num. 12, 3 (32 f.), von in Zeph. 2, 3 (34), in den Psalmen (34/5), in den Sprüchen (35 f.), im Buch Jesus Sirach (36 u. — 38). Die Bedeutung von xaneivo; (38 f.), xauteivwais (39), ngaig und nQavrr¡s (40 f.). 5. Das Nebeneinander von rajtsivotpQoavvt] und ngamiji bei Paulus im Lichte des Sprachgebrauchs in den jüdischen Schriften (41). Die Bedeutung von jigavzijg und xqavg im Neuen Testament außerhalb jener Nebeneinanderstellung und des Matthäusevangeliums (42 f.).
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Zweites Kapitel. J e s u M a h n u n g e n z u r D e m u t v o r G o t t u n d in der S e l b s t b e u r t e i l u n g 44—1021 6. Den Spruch „Wer sich selbst erhöht" usw. wird Jesus nicht nur einmal, sondern vielleicht noch öfter als dreimal gebraucht haben (44 f.). Er beschließt Luk. 14, 11 eine durch pharisäische Platzjägerei veranlagte Parabel (45 u. — 47 o.), bei der Jesus eine allgemeine Gesinnung im Auge hat, die sich z. B. in der Platzwahl betätigt (47). Verheißt jener Spruch Gottes Vergeltung dieser Gesinnung (47 u.), so gibt es dazu jüdische Parallelen (48), in den Proverbien auch zur Parabel Jesu (48/9). Deshalb berührt sich mit ihr auch Kabbinisches (49), ohne daß sie jede Originalität verlöre (50 o.). Das Herrnwort Luk. 16, 15 hat der Evangelist gegen das Streben gewendet, durch Reichtum zu imponieren (50/1), während Jesus damit das ruhmsüchtige Tun der Gerechtigkeit vor den Leuten strafte (51/2). 7. Auch dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, Luk. 18, wird Jesus selbst jenen Spruch hinzugefügt haben (52/3). Sonst hätten, wir hier eine urchristliche Auffassung der Selbsterniedrigung (53). Es handelt sich in dem Gleichnis um die pharisäische Selbstgerechtigkeit sogar vor Gott beim Beten und um das Sünderbewußtsein, das vor Gott Sündenbekenntnis und Bitte um Schulderlaß wird (53 u. — 55 o.). 8. Nach dem Kontext Matth. 23, in dem jener Spruch v. 12 zum drittenmal begegnet, ist Selbsterniedrigung, daß man sich seinesgleichen als Diener unterordnet, statt sich mit hohen Titeln zu überheben (55/6). Diese antirabbinische Verwendung des Spruchs, *) Über diesen Ausdruck s. S. 32 K
Inhaltsübersicht. die zur Selbsterniedrigung' auch das Dienen rechnet, wird von Jesus selbst herrühren (56 f.). 9. Matth. 18, 4, wo Selbsterniedrigung noch einmal vorkommt, ist nicht die Vorbildlichkeit der Kinder in ihr gemeint (57 u. — 59 o.), sondern nur derenNiedrigkeit(59). Bemerkungen überMatth.18,1 ff., besonders im Verhältnis zur Quelle Mark. 9, 33 ff. (59/60). Hier ist das Kind nicht Muster der Demut, sondern Typus der Kleinen v. 37, vielleicht auch Typus des Allerletzten v. 35 (60—63 o.). So lehrt auch Matth. 18, 4 nur, daß, wer jetzt sich selbst zum Niedrigsten in seinem Kreise mache, einst der Größte im Himmelreich sei (63—65). Dieser Gedanke stimmt mit dem jenes Spruchs Jesu (65/6). 10. Vergleicht man die Geschichte der Kindersegnung (66/7), deren zwei Herrnworte über das Kind sehr vieldeutig sind (67—74), so ergibt sich, daß im ersten „solchen ist das Himmelreich zu eigen" das „solchen" nach Markus auf die hilfsbedürftigen Kleinen und Niedrigen, nach Matth, auf die sich selbst zur Niedrigkeit des Kindes Erniedrigenden geht (75 o.). Auch Jesus selbst, der gewiß eine große Liebe zu den wirklichen Kindern hatte (75 f.), wird bei diesem Kinderspruch nicht an die kindlich Demütigen, sondern an die Kleinen, Unmündigen, Armen gedacht haben (77). 11. Matth. 18, 4 und Parallelen und Matth. 23, 11 sind vielleicht nur Absenker der Überlieferung aus der Hauptrede Jesu vom Dienen Matth. 20 u. Par. (78). Auch das Wort von den Ersten und Letzten gehört in diese Spruchgruppe (78/9). Ihr Gedankengehalt im zweiten (79—82), dritten (82—84 o.) und ersten Evangelium (84 f.). 12. Die bisher gefundenen Gedanken Jesu selbst (85 u.). Seine eigene Meinung beim Spruch von den Ersten und Letzten (86). Er hat damit die Selbsterniedrigung auf das Fahrenlassen der irdischen Güter ausgedehnt (87). Daß er das auch in bezug auf das Dienen getan, ist wahrscheinlich (87/8), kann uns aber erst später recht verständlich werden (88). 13. Im Gleichnis Luk. 17, 7—10 mahnt Jesus zur religiösen Niedergesinntheit des Bekenntnisses „Wir sind niedrige Knechte" (88 u. — 90 o.). Ja sogar ein Sündergefühl ähnlich dem des Zöllners in jenem andern Gleichnis (90) haben nach Jesus seine Jünger allzumal nötig im Bewußtsein der Schwäche des Fleisches (91) und fortgesetzter widergöttlicher Betätigungen (92). Denn er verlegt das Freiwerden von Sünde in die neue Welt (92/3). Jene Gleichnisse predigen nicht gemachte, kriechende Demut, die auch dem vierten Buch Esra fernliegt (93/4), sondern die Niedergesinntheit, die das Geltenwollen sogar vor Gott niederhält (94). 14. Das Geltenwollen vor den Menschen mit den guten Werken be-
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kämpft Jesus Matth. 6, 1—18: es soll dem niedergesinnten Willen zur Verborgenheit weichen (94 u. — 96). Das Wort über das Fasten v. 17 f. beweist seinen Abscheu vor der Eitelkeit bei der Askese (96/7). Das Gebot der Geheimhaltung der Gerechtigkeit berührt sich mit der Seligpreisung der Verfolgten (97/8). 15. Jesu Verbot des Richtens dringt auf die altruistische Niedergesinntheit der Milde gegen die gesetzlich Niedrigen (98 f.). Das Verbot des Splitterrichtens fordert die ipsistische Niedergesinntheit, die uns der eigenen Unvollkommenheit allemal dann gewahr werden läßt, wenn wir fremde sehen (99 u. —101). Z u s a m m e n f a s s u n g (101/2). Drittes Kapitel. J e s u e i g e n e D e m u t Selbstbeurteilung
vor G o t t u n d in
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der 103—173
Problematisch ist für die Bestimmung des Wesens der Demut und des Verhältnisses von Jesu eigener Demut zu der der Christen das Schuldgefühl (103 f.). 1. Abschnitt. D i e F r e i h e i t d e r D e m u t J e s u von S c h u l d gefühl 104—118 16. Jesus kann zu einer andern Niedergesinutheit ermahnt haben, als er selbst hatte (104 f.) und besonders in seinen Gebeten offenbarte (105/6). Daß die seinige Schuldgefühl enthielt, beweist nicht etwa sein Protest gegen den Titel „gütiger Meister", der sich anders erklärt (106—109). 17. Ohne Schuldgefühl war Jesu Gottesfurcht; denn sie war nicht die Furcht des bösen Gewissens vor Gott als Richter, sondern nur die gewissenhafte Furcht vor Gott als Gesetzgeber (109—112). 18. Was einzelnes im Leben Jesu anbelangt, das auf Ungewißheit über seine Schuldlosigkeit hinzudeuten scheint, so läßt sich seine Absicht bei seiner Taufe nicht mehr ermitteln (112/3). Neben stärkstem ethischen Kraftgefühl fehlt nicht ein Bangen wegen des schwachen Fleisches (113/4). Dennoch sprechen rein historische Erwägungen dagegen, daß in Jesu Frömmigkeit das Fürchten des Furchtbaren an Gott und jene Ungewißheit habe vorkommen können (114—118). Erst nach Untersuchung des Selbstbewußtseins Jesu läßt sich das Problem dieses Abschnitts ganz erledigen (118). 2. Abschnitt. J e s u S e l b s t b e w u ß t s e i n in H i n s i c h t auf s e i n e Demut untersucht 118—173 19. Auf seine Höhe war Jesus von Gott dadurch erhoben, daß er „mit ihm war" (119) und ihn ermächtigte, ein erhabenes Selbstbewußtsein geltend zu machen (119/20). Auslegung des großen Selbstzeugnisses Matth. 11,27(120—122). Andere Auswirkungen dieses Selbstbewußtseins (123). 20. Auf seiner Höhe hat Jesus sich selbst ipsistisch erniedrigt, indem
Inhaltsübersicht. er irdische Lehensgüter fahren ließ, statt standesgemäß zu leben (124/5). Einen Verzicht auf weltliche Macht und Ehre (125) bedeuten die Schweigegebote nach seinen Krankenheilungen (125 u. — 129 o.) und seine unpolitische Messiashoffnung (129). 21. Für das übermenschliche, pathologisch, dogmatisch, historischkritisch erklärte (130) Selbstbewußtsein Jesu ist hochbedeutsam seine religiöse Niedergesinntheit, sein Knechtsbewußtsein gegenüber der Wesensart des allmächtigen Schöpfers (131). Er bekundet seine Beschränktheit und Bedingtheit in bezug auf sein Wissen (132); durch sein Beten (133); in bezug auf seine Gotteserkenntnis (134 o.); in bezug auf seine Messiasherrschaft und seine Verleihung von Herrschaft und Ehrenplätzen (134—136). Das Spezifische seiner religiösen Niedergesinntheit (136 u.). 22. Über einige Stellen, wo sich Jesus über die Geltung seiner Person lind über das Verhältnis ihrer Geltung zu Gottes Ehre äußert (136 u. — 138); über das Wort von vergebbaren Privatbeleidigungen Jesu und der unvergebbaren Geisteslästerung (139—142). 23 A. Jesu Begriff von seiner Einheit mit Gott: reale Einheit als sein passives Organ bei den Krafttaten (142 u.); ideelle Einheit der Geltung als sein Stellvertreter (143); Übertragung solcher Einheit auf die Jünger (143/4); jene Kealeinheit auch bei besonderen Reden im Geiste (144 m.); die Stellvertretereinheit durch Rezeptivität vermittelt (144 u.). Dachte er an eine (ethische) Wesenseinheit mit Gott (144/5)? B. Zur Auslegung von Matth. 11, 25—30, wo das Sohnesbewußtsein rein religiös ist und keine souveräne Spontaneität des Sohnes bei seinem Offenbaren bezeugt wird (145—149). C. Sonst rechnet Jesus zu seiner auf Naturanlage zurückgeführten Sohnschaft auch seine sittliche Willensgleichheit mit Gott (149/50). Aber für gottheitliche heilige Liebe hat er sich nicht gehalten (150), sondern für den werkzeuglichen Stellvertreter Gottes kraft dessen Wechselverkehrs mit seinem persönlichen Willen (150/1). Er verharrt Gott gegenüber in totaler Abhängigkeit (151 u. — 153). 24. Über die Aussprüche, in denen Jesus seine Person in den Vordergrund stellt, Anhänglichkeit an sie fordernd usw. (153 u. — 158 o.). 25. Über die Art der gesetzgeberischen Tätigkeit Jesu (158 f.) und seines Sünden vergebens (159/60). Sein Weltrichtertum, das er wirklich beansprucht haben wird (160), ist zusammen mit seiner ganzen Zukunftshoffifting zu beurteilen: sie richtet sich nicht auf Gottwerdung, sondern auf Durchführung seines Stellvertretertums (161 f.); ein Maßstab für sie ist die Bitte der Zebedaiden, deren Beantwortung über die Art seines künftigen Begierens orientiert (163—165). Wesenhafte Gottgleichheit bedeutet auch die Weltrichterfunktion nicht, wohl aber völlige Idealität (166).
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26. Ohne das Bewußtsein von dieser hätte ein Jesus nicht an seine adäquate Stellvertretereinheit mit Gott geglaubt (166 u. — 168). Dieser Glaube involviert auch Jesu fromme Selbstgewißheit, daß er seine bisherige Idealität auch nie durch sein schwaches Fleisch noch verlieren werde (168 f.). Z u s a m m e n f a s s u n g (169u. — 173). Yiertes Kapitel. J e s u V o r b i l d in d e r D e m u t des D i e n e n s u n d s e i n e M a h n u n g e n dazu 174—207 27. Verschiedene Meinungsdifferenzen in bezug auf das Dienen bei Jesus (174 f.). Unser Verfahren (175/6). Jesus war rechtes, d. h. segnendes Herrschen das Höchste (176). Sein gegenwärtiges und zukünftiges Herrschen (176 u. — 177). Die Gleichung: Herrschen = Dienen (177/8). 28. Sie trifft nicht zu, sondern Jesus hält die beiden Akte auseinander und beurteilt fast nichts Gegenwärtiges als Herrschaftsakt (178—182). Seine Abhängigkeit vom Bild des jesaianischen Gottesknechts (182 u. — 184). 29. Jesus meint nicht das Dienen, wie es auch ein Herr treiben kann, sondern das Helfen in Niedrigkeit (184). Das Dienen in seinem Anschauungskreis (185). Er verwendet das Dienen als Bild für sein jetziges Sein und Wirken, weil dieses durch Niedrigkeit zu seinem zukünftigen Herrschen in Herrlichkeit kontrastiert (185 u. — 189 o.). Das „Königliche" im Dienen Jesu (189). Wider das Umwerten der zcmeiva im Leben Jesu zu Majestätsakten (190 f.) Jesus beurteilt also sein eigenes dienermäßiges Wirken als Selbsterniedrigung (191/2). 30. Auch mit dem Dienen seiner Jünger meint Jesus die Selbsterniedrigung (192) des Bedienens im eigentlichen Sinne (192/3) und anderen dienermäßigen Wirkens für die Brüder (193—196), aber nicht Selbsterniedrigung ohne Liebe (196 u. — 198). 31. Jesus verheißt für das Dienen zukünftige Größe (198/9), aber die Sucht, einander an Größe zu überragen, hat er durchs Dienstgebot heilen wollen (199—203). Daneben hat er Größenunterschiede unter seinen Jüngern anerkannt (203/4). Z u s a m m e n f a s s u n g (204—207). Fünftes Kapitel. J e s u S e l b s t c h a r a k t e r i s t i k Herzen demütig"
„Ich
bin
von 208—225
32. Sie findet sich im sog. Heilandsruf, der ohne Rücksicht auf seinen unsicheren geschichtlichen Anlaß auszulegen ist (208 f.). Jesus lädt darin im Angriff auf die bisherigen Volkslehrer die durch sie Beladenen ein, von ihm seine ruheschaffende Lehre zu lernen, weil er JZQOLV; xai icmsivog zfi xaodiq sei (209—211). 33. Über xfj xagbia (211/2). Über den Sinn von ngavs in den beiden anderen Stellen des ersten Evangeliums (212—214 o.). Hier wird
Inhaltsübersicht. es sünderfreundliche Sanftmut bedeuten (214) und xaitcivog ry xagdiq leutselige Herablassung (214—216). 34. Jesus wird aaS-^ty-i gesagt haben, womit „sanftmütig und leutseligen Herzens" gemeint sein konnte (216 f.). Denn diese Bedeutung ist auch für Jesus selbst festzuhalten (217 u. — 220 u.). Wider Kitschis Auslegung (220 u. — 222) und Herrmanns Überschätzung der Tragweite dieser Selbstcharakteristik (223 f.). Ihr Verhältnis zu dem andern Selbstzeugnis Jesu, er sei wie ein Diener (224 f.).
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S c h l u ß b e t r a c h t u n g e n ü b e r die D e m u t bei J e s u s 226—256 35. In einem Angriff Eduard von Hartmanns auf die Demut bei Jesus werden ihr gemachte Armesündergebärden fälschlich nachgesagt (226 f.). Auch das Verbot, dem Bösen zu widerstehen, ist mißverstanden; es macht übrigens Jesu Ethik nicht perfektionistisch (227 f.). Andere Übertreibungen von Hartmanns (229), besonders über die von Jesus geforderte Stärke (229/30) und Menge (230/1) der Schuldgefühle. Diese fehlen freilich nicht in der von ihm gebotenen Niedergesinntheit, so daß zu erwägen ist, wie sich zu ihr seine eigene religiös-ipsistische Niedergesinntheit verhält (231). 36. Vorher kann über die Niedergesinntheit bei Jesus in bezug auf Struktur und Richtungen bestimmt werden, daß sie in mannigfach ineinandergreifenden Auswirkungen in religiöser, altruistischer und ipsistischer Richtung den Trieb nach Geltung niederhalten soll (231 u. — 234 o.). Es empfiehlt sich, nur zwei Stände des Selbstbewußtseins Jesu in Hinsicht auf seine Niedergesinntheit zu unterscheiden, den ohne und den mit dem fertigen Glauben an seine Messianität (234). 37. In beiden bestanden Gleichheiten und Unterschiede zwischen der eigenen Niedergesinntheit Jesu und der von ihm vorgeschriebenen. Jesus war frei von Schuldgefühl, und sein Bewußtsein, ein Wesen mit schwachem Fleisch zu sein, war frei von Furcht vor diesem. Das ergibt den spezifischen Unterschied zwischen der Niedergesinntheit des Sündlosen und der der Sünder (235 f.). Aber daneben haben die zwei Formen der Niedergesinntheit von der Seite des Sittlichen her die Gleichheit, daß sie beide einen großen Abstand von Gottes Vollkommenheit fühlen. Weiter vermehrt das Knechtsgefühl, das auch bei Jesus nicht fehlt, die Gleichheit (236 f.). Erwägungen darüber, ob die zwei Formen unter eine Definition zusammenzufassen sind (237 f.) und inwiefern das Wort „Wir sind niedrige Knechte" auch für Jesus selbst gilt (239 f.). 88. Erwägungen darüber, ob Jesus auf sich selbst die wahre religiöse Niedergesinntheit der Menschen hingelenkt hat (240 u.—244 o.) und ob er erlaubt hat, daß man zu ihm bete (244—247).
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39. Abschließende Beleuchtung des Verhältnisses von Jesu eigener religiös-ipsistischen Niedergesinntheit zu der allgemeinmenschlichen (247 u. — 249 o.). Das Unterscheidungsmerkmal der letzteren, das Schuldgefühl, macht sich auch geltend in den Motiven und Zwecken der altruistischen Niedergesinntheit (249 f.). 40. Das letzte Problem ist, wie sich die Demut bei Jesus psychologisch und .historisch erklärt (250 u.). Sie war positiv mitbestimmt durch das sittliche Mittel, in dem er aufwuchs (250/1). Negativ war sie bestimmt durch den pharisäisch-rabbinischen Hochmut (251 m.). An eine damals schon vorhandene Reaktion gegen diesen kann Jesus angeknüpft haben (251/2). Vergleichung 1,252 f.). Das Originellste, die altruistische Niedergesinntheit gegen die Niedrigen, erklärt sich aus Jesu Naturell (253/4), wie auch seine persönliche Bescheidenheit (254 m.). Seine Selbstgewißheit von seiner eigenen Idealität und Stellvertretereinheit mit Gott machte ihn gleichgültig sowohl gegen die Niedrigkeitsunterschiede unter den Menschen (254 u. — 255) als auch gegen hohe und niedrige weltliche Stellung (256). Bibelstellenverzeichnis 257—258
Beriehtignng. 2
S. 123 lies 24 statt 25.
Einleitung. Man müßte in den Literaturen der Kulturvölker ungeheuer belesen sein, um feststellen zu können, wie die Demut in unserem Zeitalter im allgemeinen beurteilt wird. Übertrieben wäre es wohl zu klagen, daß sie von den nicht christlich urteilenden Zeitgenossen allgemein mißachtet werde. Denn wird sie nicht noch meist als der lobenswerte Gegensatz zum Hochmut verstanden? Nach manchen freilich liegt sie jenseits der lobenswerten Mitte, weil Hochmut und Demut darin übereinkämen, daß der wirkliche Wert der eigenen Persönlichkeit verkannt, nämlich vom Hochmütigen höher, vom Demütigen aber niedriger angeschlagen werde, als er tatsächlich ist. Auch nach dem sozialistischen Moralsystem der „Neuen Sittenlehre" Anton Mengers (1905, 54) ist die Demut ebenso wie der Hochmut als Übertreibung und Ausartung des Ranggefühls, als sein Sinken unter das Niveau der sozialen Stellung, ein Laster. Sollte es aber nicht noch allgemeiner sein, daß sich die Demut in der Vergleichung mit dem Hochmut über seinem extremen Gegensatz behauptet als die lobenswerte Eigenschaft, den eigenen Wert nicht zu hoch zu schätzen, ihn andern gegenüber nicht geltend zu machen, ja auf ihn überhaupt nicht zu reflektieren? In unserer schönen Literatur wurde die Demut mindestens als eine Zierde des Weibes, besonders des liebend bewundernden, viel gepriesen mit Chamisso und Faust-Goethe — „Daß Demut, Niedrigkeit, die höchsten Gaben Der liebevoll austeilenden Natur — Goethe vermied es nicht, sich „den demütigsten" von allen Christen zu nennen.1) x ) Bielschowsky, Goethe. ' 1905, 503. — Luthardt (Vortrage über die Moral des Christentums. 5. Aufl. 1898, 242) zitiert das Wort: „Es ist unwiderspreohlich, daß keine Lehre uns von Vorurteilen reinigt, als die vorher unsern Stolz zu erniedrigen weiß, und welche Lehre ist's, die auf Demut baut, als
T h l e m e Die christliche Demut. I.
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Einleitung.
Gerade er und seine Jünger widerlegen es auch als übertrieben, daß die Demut, sofern darunter eine religiöse Stimmung verstanden wird, auf unsrer Kulturstufe nichts mehr gelte. Indem man etwa nur die allgemein religiöse Ergebung damit festhält, bekennt man sich zu dem, was auch Goethes Religiosität behauptet: ein Gefühl der Unterordnung unter die unerforschliche Macht, ein der „Grenzen der Menschheit" bewußtes Verstummen vor ihr. Ein neuerer theologischer Ethiker, Hermann Schultz1), definiert die Demut als die Beurteilung des eigenen sittlichen Handelns aus dem Gesichtspunkte der Gnade Gottes und formuliert den ihr entsprechenden Pflichtgrundsatz negativ so: Beurteile dein eigenes sittliches Handeln nie so, als ob du selbst Herr und Ursache dieses sittlichen Lebens wärest. Dann räumt er ein, die philosophische Ethik könne diese Tugend nicht anerkennen, ja sie müsse sie mit Mißtrauen ansehen. Dagegen ließe sich aber doch hinweisen auf die philosophische Beurteilung des eigenen sittlichen Handelns aus dem Gesichtspunkte des den handelnden Charakter bedingenden Kausalzusammenhangs, „dessen Rückverfolgung erst in dem Zusammenhang des Weltlaufs ein Ende findet". „So aufgefaßt," fährt Wundt2) fort, „gewinnt die religiöse Anschauung, die den Willen symbolisch als ein Geschenk der Gottheit bezeichnet, ihre Berechtigung." Es ist mir immer interessant gewesen, wie lebhaft der atheistische Geschichtsschreiber der Ethik in der neueren Philosophie Friedrich Jodl allemal zustimmt, wenn er eine „philosophische Gnadenlehre" darstellt. Bei der Fichtes sagt er: „Das Reich der Vernunft und der sittlichen Autonomie ist zugleich ein Reich der Gnade: darin spiegelt Fichtes System das uralte Doppelantlitz aller sittlichen Erfahrung, das Schlußwort alles tiefsten Nachdenkens über die Gründe des Werdens in der Welt treuer als irgend ein anderes. Wir fühlen uns frei und zugleich gebunden, wir dürfen und müssen der eigenen Kraft vertrauen, und müssen, wenn wir ehrlich sein wollen, diese Kraft die aus der Höhe." Es steht im „Brief des Pastors" (W. in Kürschners D.N. L. 26, 214), der freilich nur mit Vorsicht für Goethes eigene und bleibende Überzeugungen angeführt werden kann. x ) Grundriß der evangelischen Ethik. 2. Aufl. 1897, S. 69—71. a ) Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. 3. Aufl. 1897, 497.
Einleitung.
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selbst, die uns zum Gelingen leitet, als eine geheimnisvolle Gabe anstaunen."1) Also sogar wenn man die Demut wie jener theologische Ethiker versteht, kann sie von der philosophischen Ethik nicht ganz verworfen werden, weil diese Erfahrungen kennt, die analoge Stimmungen erzeugen. Betont man freilich, daß der Gesichtspunkt der Gnade Gottes Kindesvertrauen bei der Demut involviere, so kann der Unterschied zwischen der Demut der theologischen Ethik und den analogen Stimmungen der philosophischen hervorbrechen. Wer möchte vergessen, fragt Jodl2), daß in dem „Zusammenhang des Universums auch eherne Bande geschmiedet werden, die den aufstrebenden Geist ans Niedrige und Gemeine fesseln? Die Frage: ,Warum bin ich der, der ich bin?' ist ebenso oft mit einem dankbaren Aufblick zu den geheimnisvollen Weltmächten, als mit bitterer Verwünschung gesprochen worden." Oder man denke etwa an Sascha Schneiders „Gefühl der Abhängigkeit". Ist da „Demut"? Den schärfsten, originellsten und wirksamsten Angriff auf die Demut hat in unsrer Zeit Friedrich Nietzsche gemacht. Nach ihm gibt es bekanntlich zwei Grundtypen der Moral: HerrenMoral und Sklaven-Moral. Die Herrschenden bestimmen als „gut" die erhobenen stolzen Zustände der Seele; der vornehme Mensch verachtet wie den Feigen, den Ängstlichen u. a. auch den SichErniedrigenden, die Hunde — Art von Mensch, welche sich mißhandeln läßt. Wenn dagegen die Beherrschten, Gedrückten, Leidenden moralisieren, werden die Eigenschaften mit Licht übergössen, die dazu dienen, Leidenden das Dasein zu erleichtern: hier kommt neben dem Mitleiden, der Geduld u. a. auch die Demut zu Ehren —, denn das sind hier die nützlichsten Eigenschaften.8) Die ängstliche Niedrigkeit wird zur „Demut" um*) Geschichte der Ethik in der neueren Philosophie. 2. Band, 1889, S. 88. Vgl. die Bemerkungen zu Kant S. 45 und zu Schleiermacher S. 178, aber auch schon im 1. Bande, 1882, S. 75 und anderwärts. a ) a. a. 0. S. 189. 8 ) Jenseits von Gut und Böse Nr. 260. Vgl. Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile Nr. 31: „Der getretene Wurm krttmmt sich. So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit, von neuem getreten zu werden. In •der Sprache der Moral: Demut. —" 1*
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Einleitung. 1
gelogen. ) Indem die Christen nach Art von Duckmäusern sich durchdrücken, im Winkel sitzen, im Schatten schattenhaft dahinleben, machen sie sich eine P f l i c h t daraus: als Pflicht erscheint ihr Lehen als Demut, als Demut ist es ein Beweis mehr für Frömmigkeit.2) Begonnen hat der Sklavenaufständ in der Moral mit den Juden. Sie sind es gewesen, die gegen die aristokratischen Werte die Umwertung gewagt haben, nämlich: die Elenden, die Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen sind allein die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Häßlichen sind auch die einzig Frommen. Ihre Propheten haben „reich", „gottlos", „böse", „gewalttätig", „sinnlich" in eins geschmolzen. Zu dieser Umkehrung der Werte gehört, das Wort für „Arm" als synonym mit „heilig" und „Freund" zu brauchen.8) Nietzsche muß hier den Sprachgebrauch des hebräischen Wortes ij^ meinen, von dem wir später zu reden haben werden. Das Christentum versteht er als die letzte jüdische Konsequenz, es ist der jüdische Instinkt noch einmal, seine Umdrehung der vornehmen, antiken, arischen Werte in unsäglich vergrößerten Proportionen. Es ist der Gesamtaufstand alles Niedergetretenen, Am-Boden-Kriechenden gegen das, was Höhe hat: das Evangelium der „Niedrigen" macht niedrig.4) Der christliche Glaube ist Verknechtung und Selbstverhöhnung, Selbstverstümmelung. Ein antiker Grieche würde an uns Europäern von heute zuerst die Selbstverkleinerung herauserkennen — damit allein schon gingen wir ihm „wider den Geschmack".6) Zu denken gibt uns eine Bemerkung Nietzsches über die demütigende und herunterbringende Wirkung der astronomischen — Wissenschaft. Sei nicht gerade die Selbstverkleinerung des Menschen, sein Wille zur Selbstverkleinerung seit Kopernikus in einem unaufhaltsamen Fortschritte? Ach, der Glaube an seine Würde, Einzigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangabfolge der Wesen sei dahin, — er ist Tier geworden, er, der in seinem früheren Zur Genealogie der Moral, 1. Abhandlung Nr. 14. Der Antichrist Nr. 44. 3 ) Genealogie, 1. Abhandlung Nr. 7. Jenseits Nr. 195. Antichrist Nr. 24, 27, 43. 6 ) Jenseits Nr. 46, 229, 267. Genealogie, 2. Abhandlung Nr. 23,
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Einleitung. 1
Glauben beinahe Gott („Kind Gottes", „Gottmensch") war. ) Hier wird wieder ersichtlich, daß der Demut analoge Stimmungen auch aus andern Boden als dem der christlichen Religion aufkommen können, und ferner, daß gerade diese den Menschen gar nicht, nur niedrig macht. Ja sogar Nietzsche selbst hat eine gewisse Demut da anerkannt, wo er aussagt, wie „wir Philosophen" das Leben führen. Man werde darin Armut, Demut, Keuschheit, die drei großen Prunkworte des asketischen Ideals, alle drei bis zu einem gewissen Grade immer wiederfinden. Man erkenne einen Philosophen daran, daß er auch dem Ruhme aus dem Wege geht, und was seine „Demut" angehe, so verträgt er, wie er das Dunkel verträgt, auch eine gewisse Abhängigkeit und Verdunkelung; er ist auf abhängige Lagen hingewiesen, wo man es ihm abnimmt, an sich zu denken.2) Auch in der Beschreibung des „vornehmen" Menschen heißt es, er verlange, daß sein Wert, auch wenn er sich über ihn irre, gerade so, wie er ihn kraft seines Herrenrechtes ansetze, auch von andern anerkannt werde, — aber das sei keine Eitelkeit, sondern Dünkel oder, in den häufigeren Fällen, das, was „Demut", auch „Bescheidenheit" genannt wird. Gleich daneben wird als Beispiel des „gemeinen", „gewöhnlichen" Menschen der gläubige Christ hingestellt wegen der Selbstunterschätzungen, die er seiner Kirche ablernt.8) Schon dieser Angriff Nietzsches könnte eine historische Untersuchung der christlichen Demut rechtfertigen. Wir möchten das Interesse daran aber auch noch dadurch mehren, daß wir an einige frühere philosophische Angriffe erinnern. Bei ihnen wurde ebenfalls eine gewisse Art von Demut als richtig anerkannt, so daß es zur Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Demut kam. Über wahre und falsche Demut hatte sich schon Origenes mit Celsus auseinanderzusetzen. Der fromme Heide platonischer Richtung hatte in seinem „Wahren Wort" die Demut bei den Christen als ein Mißverständnis von Worten Piatos geschmäht.4) Es ist die bei den Kirchenvätern so berühmte Stelle in den r
) ) 3 ) 4 ) 3
Genealogie, 3. Abhandlung Nr. 25. Genealogie, 3. Abhandlung Nr. 8. Jenseits Nr. 261. Vgl. noch Genealogie, 2. Abhandlung Nr. 18. Origenes, contra Celsum VI, 15 ed. Koetschau n , 1899, p. 85 f.
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Einleitung.
„Gesetzen" mit dem alten orphischen Gedanken von Gott als Anfang und Ende und Mitte alles Seienden.1) Ihm folge stets Dike, die diejenigen bestrafe, welche wider das göttliche Gesetz fehlen. An sie sich haltend folgt „ x a n e t v o ? xal xexoofirj/ievos", wer glückselig werden will.8) Aber schmählich findet Celsus die christliche %cmeivot selbst so faßte. Sicher sind die sich Erniedrigenden gemeint Sprüche 3,'34. 15, 33 (oben S. 21. 35). Beachtenswert ist für uns auch der Gebrauch von raneivcoaig. In den jüdischen Teilen der „Testamente der zwölf Patriarchen" spielt die xandvcooig xaQÖiag eine Rolle, die Selbsterniedrigung des Herzens: im Testament Rubens c. 6, wo c. 3 auf die vne^cpavia das ¡A£yalo(pQovüv des Menschen zurückgeführt war; im Testament Josephs c. 10 (neben inopovrj), der dahinter betont ov% vipov/u.t]v sv xfj xaQÖiq juov; im Testament Gads c. 5, wo sie (ohne xagdias) als tödlich dem Haß neben dixaioavvt) und cpößog xov vxpiaxov ge-
stellt wird.'2) Solcher Gebrauch von xaneivmai? macht doch Cremers (9988) Behauptung fraglich, es stehe nirgend in der biblischen Gräzität von der Gesinnung, auch nicht Sprüche 16, 19 (s. oben S. 22), sondern nur passivisch von der niedrigen Lage, der Niedrigkeit, in der sich jemand befindet. Wenigstens ist solcher Gebrauch nicht nur Sprüche 16,19, sondern auch Sirach 13, 20 (s. oben S. 38) mit in Erwägung zu ziehen, um von Jakobus 1, 10 noch zu schweigen. Und wenn Theodotion im Gebet Asariä v. 39 ev rpv%fj avvTETQifj,/j.Evrj xal nvev/iau lexaneivoifievq» JtQoadeyßdr]ixev
das reraneivcofievo) der LXX in raneivcboecog verändert, so wird das die als Opfer gemeinte Selbsterniedrigung vor Gott markieren sollen, in der angenommen werden möchten, die nach v. 37 xaneivoi, gedrückt, sind auf der ganzen Erde. x
) Vgl. Rahlfs a. a. 0. S. 86. ") ed. Sinker 1869, S. 133 unten, 131 oben, 191 Mitte, 181 oben.
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I. Kapitel.
Was endlich den Sprachgebrauch von ngav? und TtQavtrjs in der griechischen Bibel anbelangt, so ist ihre Ausdehnung nach allen religiös-sittlichen Eichtungen der hebräischen Worte UJJ , •OJJ und merkwürdig. Ci'emer (®910f.) führt aus, daß ngavs in der Profangräzität Bezeichnung des sanftmütig, freundlich, gütig und gnädig Handelnden sei; seltener finde es sich von gleichmütigem Erleiden. In der alttestamentlichen Gräzität dagegen sei es wesentlich Bezeichnung des sanftmütig, still, ohne Widerstreben, in der Hoffnung auf Gott das Unrecht und die Vergewaltigung Duldenden, und nur selten oder vielleicht nie Bezeichnung des sanftmütig Handelnden. Nirgend seien die = ngaeis solche, die von oben herab ziQamr]? beweisen, sondern stets seien es Leidende, Vergewaltigte, nicht im Besitze von Gewalt Befindliche. Aber neben diese Beobachtung wird man die des Gebrauchs des Substantivums nQavzr)? stellen müssen, worauf Cremer sich gar nicht einläßt. Von n u f r e i l i c h muß er selbst nachher notieren, daß es Psalm 18, 36 von der sich niederneigenden, herabbeugenden Gnade Gottes steht, womit er Psalm 45, 5 (LXX: TiQamrj?) vergleicht, worüber s. oben S. 34/5. ÜQavTrjg scheint von Gott zu stehen Psalm 90, 10 inrjX&e jiQavrrjs ¿9?' tf/Jäs, wo die LXX von unserm hebräischen Text ganz abweichen. Für altruistische nijj?., die von oben herab sanftmütig handelt, kommt es auch Sirach 3, 17; 4, 8 vor, s. oben S. 36/7. ^ Königliche ngam^g, die nach einem Zornesanfall sich freundlich bezeigt und mit Xöyoi? elg^vixoTs zuspricht, wird geschildert Stücke in Esther D 8 bei Swete II, 768. Auch ngavTt]g neben eXsog Sirach 36, 28 (25) wird wohl Sanftmut im altruistischen Handeln sein sollen. Religiösen Sinn dagegen hat nQavxtj? sicher Psalm 132,1, vielleicht auch Psalm 45, 5. Der religiöse Gebrauch von ngav? für und IJJJ geht wohl von dieser Nuance ihrer religiösen Bedeutung aus: im Leid sich unter Gott beugend, ohne ihm zu zürnen, ohne mit ihm zu hadern. Denn der eigentliche GegenYgl. 2. Macc. 15, 12 vom Hohenpriester Onias: MJÄOG %6v XQÖJIOV, mild von Sinnesart. Die allzu milde Sinnesart (TQÖJICOV NQAÖRRJG) der Athener beklagt Demosthenes in der Rede gegen Meidias p. 184.
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Zur Wortgeschichte. 1
satz zu ngavg im Ethos ist der Zornmut. ) Von da aus scheint jigavg im ganzen religiös-sittlichen Geltungsbereich jener hebräischen Ausdrücke durchgedrungen zu sein. Sogar wenn nijy. die Beugung in der Selbstbeurteilung bezeichnet wie Sirach 10, 28, wird es mit nqavrrjg wiedergegeben (vgl. oben S. 37). Oder sollte der Übersetzer hier die religiöse Beugung vor Gott damit gemeint haben, die ja auch die hier gebotene Selbstachtung vor Hochmut behütet? 13, 20 hat er ja ngavzrjg vermieden, vgl. S. 38 oben, und Touieivo — gebraucht. Man sieht, daß sich wohl keine Sicherheit darüber gewinnen läßt, was für eine Richtung nqavzt}g Sir. 45,4; 1, 27 hat und was noavg Num. 12, 3 bedeutet (vgl. S. 33). Damit haben wir die Kenntnisse über den jüdischen Hintergrund von TcmeivocpQoovvr}, ngamt/g usw. gewonnen, die zum Verständnis des urchristlichen Gebrauchs dieser Begriffe genügen dürften. 5. Wenn wir uns nunmehr die Fragen wieder ansehen, die man oben S. 22/3 angesichts des Nebeneinander von zansivocpQoavvrj und jzQavztjg beim wohl ersten Vorkommen jenes Tugendbegriffs Kol. 3,12 aufwerfen mußte, so erscheinen sie nur noch komplizierter, nachdem wir gefunden, daß ngavzrjg und in den jüdischen Schriften mehrerlei Sinn haben. Anderseits sahen wir, daß TiQavrrjg in ihnen auch seine im griechischen Sprachgebrauche aller Zeitalter gewöhnliche altruistische Bedeutung hat und nijy. eine ähnliche. Also hätte die Gleichung jiQuvzrjg = rnj}>., wenn sie Paulus bei der Aneinanderreihung von ransivocpQoavvr] und TiQavxvjg vorschwebte, von der gewöhnlichen Bedeutung von ngavtr]? gar nicht abzuführen brauchen. An diese muß man aber auch hier zunächst denken, wenn sie sonst paßt. Sie macht auch eine ähnliche Bedeutung von zajieivo&tjvat.
Über dieses Apokryphon vgl. Besch, a. a. 0. S. 397ff. 662. 669 und Agrapha. 1889, bes. 70 ff. Bopes, Die Sprüche Jesu usw. 1896, 151 f. Sein Sinn wird sein, daß die Jünger trachten sollen, aus Kleinem emporzuwachsen, statt aus Größerem geringer gemacht zu werden — von Niedrigkeit aus zur Höhe zu gelangen, statt nach Erhöhung erniedrigt zu werden. Nicht Übersetzungsvarianten eines und desselben Herrnworts haben wir an diesem Apokryphon und unsrer Gnome, sondern zwei Worte des Herrn, in denen er einen und denselben Gedanken verschieden ausdrückte. Wellhausen (Das Evangelium Matthäi. 1904, 102) nennt den Text ohne ¡ir) ein „geistreiches Paradoxon" und übersetzt: „trachtet darnach, aus Kleinem zu wachsen und aus Großem Kleines zu werden." Hennecke möchte weder tyrsTze imperativisch fassen, noch /nij lesen (Handbuch zu den Neutestamentlichen Apokryphen. 1904, 14). 3 ) Merx findet sie im Zusammenhange Matth. 20 sehr abfallend, 0. Holtzmann nur in solchem Zusammenhang erklärlich in der Predigt Jesu, dessen Beruf nicht gewesen, Anstandsregeln für Gastmähler zu geben. Gegen diese Beurteilung vgl. oben.
Jesu Mahnungen zur Demut vor Gott und in der Selbstbeurteilung'.
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wohl in der Quelle des Lukas der Anlaß der Parabel bezeichnet gewesen sein" (B. Weiß), und diese Angabe scheint mir Glauben zu verdienen. Jedenfalls versteht also der Evangelist das Gleichnis als einen Aufruf, statt pharisäischer Selbsterhöhung vielmehr Selbsterniedrigung zu betätigen. Er hat natürlich Jesus nicht zugetraut, daß er vor der unklugen Vordringlichkeit habe warnen wollen, die beschämt zu werden riskiert, und zu der gesuchten Bescheidenheit raten, die auf allgemeines Aufsehen erregende Ehrung Aussicht hat. Jesus ergeht sich allerdings in lebendiger Ausmalung der möglichen Folgen des vordringlichen und des bescheidenen Platzsuchens an fremdem Tische, aber es kommt ihm1) nicht darauf an, wie man sich in dieser einzelnen Situation des täglichen Lebens, in der er gerade den Pharisäergeist beobachtet hatte, mit Anstand benimmt, und nicht darauf, wie in einer solchen Situation das unschickliche Benehmen sich oft rächt und das schickliche belohnt. „Er belehrt nur über ein Einzelnes, doch in einem Stil, daß der rechte Hörer sogleich ein Grundgesetz wahrer Sittlichkeit dabei heraushört.. . . Nicht das „zu unterst Sitzen" wird ihm die Hauptsache sein, sondern die Betätigung der Gesinnung, die bei einem antiken Gastmahl sich in der Wahl des schlechtesten Platzes äußerte, für die es aber im täglichen Leben ebenso unzählige Formen wie Gelegenheiten der Betätigung gibt."2) Jesus hat eine allgemeine Gesinnung im Auge, von der die Vorliebe für die ersten oder für die letzten Plätze ein einzelnes Beispiel ist, und — Gottes Vergeltung dieser Gesinnung. Denn was die Sentenz v. 11 anbelangt, so gilt von ihr wohl beides, was Dalman, Die Worte Jesu I, 1898, 184s) in Rechnung zieht, sowohl daß sie mit populären Redeweisen zusammenhängen mag, die sich ursprünglich nur auf Beziehungen zwischen Menschen bezogen, als auch, daß Jesus Gott als den, der erniedrigt und erhöht, gemeint hat, aber seine Scheu, den göttlichen Namen zu nennen, auf die Stilisierung hat einwirken lassen. ') Über das Interesse des Evangelisten und der Gemeinde vgl. Weizsäcker, Das ap'ostol. Zeitalter. 81902, 391 unten (wogegen Wernle, Die synoptische Frage. 1899, 101); Zahn, Einleitung 2 II, 379 unten. 2 ) Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, n , 1899, 253. 3 ) Vgl. auch Wendt, Die Lehre Jesu. 2. Aufl. 1901, 131/2.
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II. Kapitel.
Erniedrigen und Erhöhen ist in der jüdischen Literatur ziemlich häufig als Gottes Funktion hingestellt. Wen er will zu erhöhen und wen er will zu erniedrigen, gehört so recht zur Hoheit des (orientalischen) Königs, Daniel 5,19. Aber die fromme Betrachtung glaubt: „nicht vom Aufgang und Untergang und nicht von der Wüste und den Bergen — sondern Gott ist der Kegent, diesen erniedrigt und jenen erhöht er" Psalm 75, 7 f. So steht es von Jahwe schon im Psalm der Hanna 1. Sam. 2, 7, er erniedrige und erhöhe auch. In der Endzeit sollen es nach Ezech. 17, 24 alle Bäume des Feldes erkennen, daß Jahwe hohen Baum erniedrigt und niedrigen Baum erhöht. Er hat nach 21, 31 gesprochen: „Empor mit dem Niedrigen und herunter mit dem Hohen."1) Wenn wir deutschen evangelischen Christen in „Wer nur den lieben Gott läßt walten" singen: „Gott ist der rechte Wundermann, Der bald erhöhn bald stürzen kann", so klingen die Verse Sirach 11, 4 b. 5; 10,13 b. 14f.; 7, I I b nach, wie sie schon im Magnificat Luk. 1, 52 nachklingen: „Er hat Gewaltige vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht."2) Mehr als „populäre Redeweisen, die sich ursprünglich nur auf Beziehungen zwischen Menschen beziehen", mehr als Sprichwörter im Stile des „Hochmut kommt vor dem Fall" mögen auch die beiden Verse aus den Sprüchen sein, aus denen unser Herrnwort offenbar eher „stammen" kann als aus Ezech. 21, 31, Sprüche 18,12 und 29, 23, s. oben S. 35 f. Etwas aus den Sprüchen 1
) L X X : hanetvwaas
rò vyttjkóv,
xal
vyiwaas
tò xajieivóv.
Das ist der
Ezechielyers, aus dem nach Spitta a. a. 0. II, 172 offenbar jenes Herrnwort stammt, vgl. oben S. 29. 2 ) Vgl. auch im Brief des Aristeas § 263 ed. Wendland 1900, p. 71, 9 f.: „6 &sòs TOVS vmQrjcpàvov; xa&aigeì, rovi ÒS èmeixeTs xal XOJIUVOVS vyot.a (Ähnliche Gedanken s. § 257. 269). Wendland vergleicht den Spruch, der von Chilo oder Äsop erzählt wurde als Antwort auf die Frage, was Zeus tue: ,,TÒ /lèv vyirjià
xancivoì,
rà
òè rajceivà vy>otu
(Die Wiener Apophthegmen-
Sammlung ed. Wachsmuth in der Festschrift zur . . . XXXVI. PhilologenVersammlung. 1882, p. 27). Von der Moral des Aristeasbriefes sagt von Wüamowitz-Möllendorf (Deutsche Literaturzeitung 1900, 3322), sie sei der Niederschlag vieler Jahrhunderte und Völker, der Bodensatz in all den alten Schläuchen; ob ihn Thaies oder Amenophis oder Eleazar verzapft, sei im Grunde einerlei. Vgl. noch im Klemensbrief 59, 3: xòv noiovvxa xajictvovg eis vy/os xal zovg vy>r]i.ovg tauetvovvxa und Plutarch, consol. ad Apoll. 5, p. 103 F.
Jesu Mahnungen zur Demut vor Gott und in der Selbstbeurteilung.
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mag ja Jesus auch bei seiner der Sentenz vorausgehenden Ausmalung des rechten Platzsuchens vorgeschwebt haben, nämlich 25, 6 f.: „Prunke nicht vor dem König und stelle dich nicht auf den Platz der Großen. Denn es ist besser, daß man zu dir sage: Rücke herauf! als daß man dich erniedrige vor einem "Vornehmen." Wegen dieser drei Stellen in den Sprüchen ist es auch kein Wunder, daß wir zu Luk. 14, 8—11 Parallelen in der rabbinischen Literatur haben.1) Im Midrasch Wajikra rabba findet sich folgendes.2) „R. Josua von Sichnin legte im Namen des R. Levi Prov. 25, 7 aus: ,Denn besser ist es, man spricht zu dir: komme herauf! als wenn man dich erniedrigt vor dem Fürsten.' R. Akiba lehrte im Namen des R. Simeon ben Asai: Halte dich fern von deinem Platze (der dir gebührt) zwei bis drei Sitze und warte, bis man dir sagt: steige herauf! und steige nicht herauf, damit man nicht zu dir sage: gehe hinab! Besser ist es, man sagt zu dir: steige herauf! steige herauf! als daß man zu dir sagt: steige hinab! steige hinab!3) So pflegte auch Hillel zu sagen: ,Meine Erniedrigung ist meine Erhöhung und meine Erhöhung ist meine Erniedrigung.'"4) *) Vgl. Zunz, „Alte Sentenzen über Hochmut und Demut" in Gesammelte Schriften. HI, 1876, 214 ff. Wünsche, Neue Beiträge zur Erläuterung der Evangelien aus Talmud und Midrasch. 1878, 33. 281—83. 458. 2 ) Wünsche, Der Midrasch Wajikra rabba usw. 1884, 5. 268. J) Vgl. Bacher, Die Agada der Tannaiten. I, 21903, 413. Schimeon ben Azzaj (um 110) sagte auch: „Wer sich um der Thora willen selbst zum Narren macht, wird am Schluß erhöht", Dalman a. a. 0. S. 93. 4 ) Vgl. Bacher a. a. 0. S. 5 f. Nach Aboth 1, 13 sagte Hillel, wer sich einen großen Namen machen wolle, büße leicht .seinen Ruf ein. Nach dem Traktat Erubin wurde die Schule Hillels der Schammai's durch eine Stimme vom Himmel vorgezogen, weil sie die Worte dieser Schule sogar v o r ihren eigenen lehrte. „Daraus kannst du lernen: Wer sich selbst erniedrigt, den erhöht Gott; wer sich selbst erhöht, den erniedrigt Gott. Wer der Größe nachjagt, den flieht die Größe; wer die Größe flieht, dem jagt sie nach", s. Winter und Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluß des Kanons. I, 1894, 247. Vgl. ebenda S. 645 (aus dem Traktat Derech erez sutta): „Erniedrigst du dich selbst, so wird dich der Heilige, gebenedeiet sei er! erhöhen, und wenn du dich selbst vor deinem Genossen erhöhest, so wird dich der Heilige, gebenedeiet sei er! erniedrigen." T h i e m e , Die christliche Demut. I.
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II. Kapitel.
Jesu Originalität besteht hier jedenfalls darin, daß er angesichts des nahen Gottesreiches und angesichts der Platzjägerei der Pharisäer aller Selbstüberhebung und aller Selbsterniedrigung Gottes gerechte Vergeltung ansagt. Es scheint mir selbstverständlich, was B. Weiß abweist, daß unser Herrnwort auf das zukünftige Gericht Bezug hat. Man kann sich dafür wohl auch auf den Schluß der mit v. 8—11 zusammengehörigen Mahnrede v. 12—14 berufen, wo der Selbstlosigkeit Vergeltung bei der Auferstehung verheißen wird. Im zukünftigen Beich Gottes wird jeder, der sich jetzt selbst erniedrigt, von Gott erhöht, und jeder, der sich jetzt selbst erhöht, von Gott erniedrigt werden. Statt gleich zur Untersuchung unsrer Gnome in Luk. 18 fortzugehen, wollen wir ein Herrnwort gegen Selbsterhöhung in Luk. 16 mitnehmen. War in Luk. 14 Jesu Stellungnahme zu einer charakteristischen Form der pharisäischen Selbstüberhebung erzählt, so zeigt ihn das nächste Kapitel in Verteidigung gegen ein Murren der Pharisäer und Schriftgelehrten, das aus ihrer Überhebung über Zöllner und Sünder entsprang. Auch 16, 14 berichtet wieder ein Naserümpfen der Pharisäer über Jesus, aber aus Liebe zum Gelde, das er zu verachten gelehrt hatte. Wie nun der Evangelist schon 11, 39 Jesus den Pharisäern ein „Inneres voll Raublust" vorwerfen läßt, so wird er in dem Herrnwort zu ihnen, das er 16,15 bringt: „Ihr seid die Leute, die sich selbst als gerecht darstellen vor den Menschen, Gott aber erkennt eure Herzen; denn was bei Menschen hoch ist, ist ein Greuel vor Gott" die Gier nach Geld als das, was Gott in ihrem Herzen erkennt, gedacht haben. Auch „was bei Menschen hoch ist" wird für den Evangelisten in der Richtung seines (pd&Qyvqoi vn&Qxovxes v. 14 liegen. Man kann sein gewähltes fiij ¡uezecoQiCeoöe 12, 29 x) vergleichen, nolite in sublime tolli (Vulgata), „fahret nicht hoch her" (Luther), überhebet euch nicht in euern Lebensbedürfnissen und Ansprüchen. Der Evangelist denkt sich natürlich die Pharisäer nicht nur geldgierig, sondern auch durch ihr „Rauben" reich geworden, vgl. 20, 47 das Fressen der Häuser der Witwen *) Vgl. besonders Psalm 131, 1: ov% vrpw&ri ¡xov ij xaoSia, ßiofrrioav ol ¿(p&aXfioi fiov xxX.
ovSe E/iereco
Jesu Mahnungen zur Demut vor Gott und in der Selbstbeurteilung.
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seitens der Schriftgelehrten. ) Reichtum aber mache hoch vor den Menschen. Übrigens brauchten da mit den Menschen nicht nur die gottwidrigen „Kinder dieser Welt" (y. 8) gemeint zu sein. Denn ich würde den Gedanken hier nicht unmöglich finden, daß die Pharisäer sich selbst als gerecht darstellen vor den Menschen, indem sie den jüdischen Glauben anspannen, daß der äußere Wohlstand des Menschen seinen innern Wert, seine Gottwohlgefälligkeit erkennen lasse.2) Von den reichen Pharisäern, meint jedenfalls der Evangelist, gilt, daß sie mit ihrer „Höhe" bei Menschen vor Gott ein Greuel sind, weil er hinter ihrem Reichtum die gemeine Habsucht ihrer Herzen erkennt. Die allgemeinere Wahrheit, die für ihn der Schluß des Hermworts enthält, dürfte sein, daß alles Verlangen nach der Höhe, auf die der Reichtum stellt, vor Gott greulich macht. Das sind natürlich mit Jesus selbst kongruente Wahrheiten. Aber hat er sie in diesem Wort aussprechen wollen? Er wird es, wenn er es so, wie es hier überliefert ist, gesprochen hat, wirklich an die Pharisäer gerichtet haben. Da wir aber den Zusammenhang, in dem er es ihnen entgegenschleuderte, nicht mehr sicher ermitteln können, so darf man das, was Gott in den Herzen der Pharisäer wahrnimmt, nicht auf die Geldgier beschränken, die in dem vom Erzähler stammenden v. 14 genannt ist, sondern muß es auf ihre gesamte Ungerechtigkeit deuten, die hinter der Musterfrömmigkeit stak, mit der sie sich selbst als gerecht darstellten, vgl. Matth. 23, 28: „So erscheint auch ihr von außen zwar den Menschen als Gerechte, inwendig aber seid ihr voll Heuchelei und Frevel." Und „das, was bei Menschen hoch ist", muß man auf den scheinheiligen Pharisäismus überhaupt beziehen, wie er sich selbst unter den Menschen dadurch erhöht hat, daß er sich selbst auf alle mögliche Weise vor ihnen als gerecht darstellt. Er ist ein Greuel vor Gott, ein Gewächs, das er nicht gepflanzt hat, und ausreuten wird, 1 ) Wellhausen zu 16, 14: „Die Pharisäer gehören nicht zu den niederen Schichten, sondern zu dem wohlhabenden Bürgerstande, namentlich in Jerusalem." 2 ) Vgl. besonders Henoch 96, 4 edd. Flemming u. Radermacher 1901,128, 9—11: „Wehe euch, ihr Sünder! euer Reichtum zwar läßt euch als Gerechte •erscheinen, aber euer Herz überführt euch, daß ihr Sünder seid."
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n . Kapitel.
Matth. 15, 13. Die allgemeinere Wahrheit in dem „was bei Menschen hoch ist, ist ein Greuel vor Gott" ist keine andere als: „jeden, der bei Menschen sich selbst erhöht, wird Gott erniedrigen" oder „aus Größerem — dem Großdastehen vor Menschen — von Gott geringer gemacht werden". Drohte Jesus 14, 11 der Gesinnung die Erniedrigung im Gericht, die z. B. überall die ersten Plätze aussucht, so offenbart er 16, 15 Gottes Zorn nicht nur wider den scheinheiligen Pharisäismus, sondern auch wider diejenige Betätigung jener Gesinnung, welche darin besteht, daß man mit seiner Gerechtigkeit Ruhm bei den Menschen sucht. Während der Evangelist das Wort gegen das Streben wendet, durch Reichtum zu imponieren, dürfte Jesus das damit gemeint haben, was er nach Matth. 6, 1—18; 23, 5 so heftig angriff, das Tun der Gerechtigkeit vor den Leuten, um von ihnen gepriesen zu werden. Sich den letzten Platz wählen und keinen Menschenruhm mit seiner Gerechtigkeit suchen, sind zwei Äußerungen einer allgemeinen Gesinnung, der Jesus in den Luk. 14, 8—11 und 16,15 überlieferten Worten das Wohlgefallen Gottes verkündigte. 7. Wie in dem eben besprochenen echten Herrnwort das „sich selbst als gerecht darstellen" und „was bei Menschen hoch ist, ist ein Greuel vor Gott" zusammenstehen, so mag wirklich Jesus selbst nach der Parabel vom selbstgerechten Pharisäer und schuldbewußten Zöllner Luk. 18, 10—14a die Sentenz v. 14b, daß Gott erniedrigt, was sich selbst erhöht usw., wiederholt haben. Viele (z. B. B. Weiß, Holtzmann, Jülicher, Wernle) bestreiten es. Könnte man aber nicht gegen Jülichers (II, 607) Meinung, wir würden dem Zöllner doch kaum eine Selbsterniedrigung nachsagen, schon sein schüchternes Fernestehen betonen? Erinnert es nicht an jene Forderung, sich lieber unten auf den niedrigsten Platz zu setzen, als den ersten in Beschlag zu nehmen? Er stand ferne von dem Pharisäer und von den andern Betern; in ihre Schar sich zu mischen, fühlte er sich viel zu niedrig. Und paßt es nicht unter den Begriff der Selbsterniedrigung, wenn man vor Gott nur ein einziges Gefühl hat und äußert, das, ein großer Sünder zu sein? Aber auch wenn es Jesus hier nur auf die erste Hälfte der Sentenz, von der Selbsterhöhung, wieder
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angekommen wäre, so hätte er trotzdem die ganze wiederholen können. Übrigens erzählt doch das Gleichnis v. 14 a eine göttliche Umkehrung menschlichen Urteils, zu der der Satz v. 14b vorzüglich paßt. Der verachtete Zöllner, der sich selber ferne stellte und als großen Sünder fühlte, „ging gerechtfertigt hinab in sein Haus im Vergleich zu jenem", der auf sich selbst vertraut hatte, daß er gerecht sei, und den andern verachtet hatte. Jesus braucht ja das Wort von Gottes umstürzendem Urteil und Gericht nicht gerade als Grund — ow kann schlechte Überlieferung sein — für das 14 a gefällte Urteil hinzugefügt zu haben. Aber eine Mahnung an Gottes letztes, definitives Gericht, in dem er jede Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung vergelten wird wie dort im Gleichnis, ist doch sehr angebracht. Sollte aber v. 14b ein Zusatz zur Gleichnisrede Jesu sein, so gewännen wir durch seine Zusammenstellung mit der Einleitung v. 9 etwa eine Spur mehr von einer urchristlichen Auffassung der Selbsterniedrigung und ihres Widerspiels. Nicht nur auf das Selbstvertrauen, daß man gerecht sei, sondern auch auf die Verachtung der übrigen ist die Überlieferung des Gleichnisses aufmerksam, die seine Figuren als Typen der Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung auffaßt. Zwar macht, wie Jülicher (II, 599) mit Eecht sagt, „Lukas' Ausdrucksweise (,die auf sich selbst vertrauten, daß sie gerecht seien') zweifellos, daß er eine Selbstüberschätzung im Auge hat, die als solche sündig ist, nicht etwa dadurch erst fehlerhaft wird, daß als ihre notwendige Folge die Unterschätzung der andern Menschen eintritt". Aber es ist doch bemerkenswert, daß laut des danebengestellten „und die übrigen verachteten" der antialtruistische Geist des Pharisäergebets sehr beachtet worden ist. Er wird also auch im Begriff der Selbsterhöhung, zu deren Gegenteil v. 14 b mahnt, ein nicht zu übersehendes Moment bilden sollen. Von dem sich selbst als Sünder bekennenden Zöllner bemerkt Bengel „de nemine alio homine cogitat". Das gilt ja von seinem Gebet; aber mit dem „Fernestehen" mag auch seine Geneigtheit angedeutet sein, an andern Menschen, besonders einem Pharisäer, hinaufzusehen. Doch das Verachten (uud Hochachten) der Menschen ist nur ein Nebenmoment im Gleichnis Jesu. Es schildert ja auch nicht den Selbstruhm vor Menschen, sondern vor Gott. Hat Jesus nach
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H. Kapitel.
16,15 die Pharisäer angegriffen, weil sie vor den Menschen sich selbst als gerecht darstellen, so handelt es sich dagegen in unsenn Gleichnis um den Selbstruhm ihrer eigenen Gerechtigkeit vor niemand anders als Gott. Mißverständlich ist Jülichers Ansicht (S. 607): „Das Gebet wird hier nur als Mittel zum Zweck gewählt worden sein, weil sich dabei die innerste Gesinnung der Menschen so klar offenbart." Allerdings ist das Gleichnis mehr als ein Beitrag zur Lehre vom rechten Gebet, wie es vielleicht der Evangelist aufgefaßt hat. Aber die Gesinnung, über die es lehrt, wird doch deshalb im Gebet gezeigt, weil gerade ihre Art zu beten für sie besonders charakteristisch ist. Nicht bloß als Offenbarung der innersten Gesinnung überhaupt figuriert hier das Gebet, sondern als diejenige Offenbarung der betreffenden Gesinnung, welche für sie am meisten bezeichnend ist. Nicht um des rechten Gebets willen wird die Selbstgerechtigkeit bekämpft, sondern im Kampf gegen sie wird ihr unfrommes Beten gegeißelt. Auch das ist schlimm, ja das Schlimmste an der Selbstgerechtigkeit, daß sie sogar vor Gott beim Beten nicht vergeht, sondern vielmehr den ganzen Stoff des ruhmredigen Gebets liefert, da sie blind gegen die eigene Ungerechtigkeit macht und kein Schuldbewußtsein aufkommen läßt. Der vermeintlichen Musterfrömmigkeit der Pharisäer, die Gott ihre Musterhaftigkeit vorrechnen1), stellt Jesus als wahre Frömmigkeit gegenMißverständlich redet Schlatter (Jesu Demut, ihre Mißdeutungen, ihr Grund. 1904, 88 f., vgl. Der Glaube im Neuen Testament. 31905, 100) über die Unfrömmigkeit des Pharisäers. Er spricht von der Überhebung gegen Gott, mit der sich der Mensch in der Würde des Gerechten selbständig neben Gott stellt; von der Selbstbejahung, die sich von Gott unabhängig macht; von einem Gottes nicht mehr bedürftigen und ihm gegenüber mit eigenem Recht und Wert ausgestatteten Selbstbewußtsein. Ist hiermit weiter nichts gemeint als der dreiste Judenglaube, Gottes würdiger Liebling zu sein, seiner Gnade nicht mehr zu bedürfen, sondern ihm gegenüber ein Recht auf Lohn zu haben? Wenn noch ein anderer Religionsfehler damit gemeint sein sollte — Selbsterhöhung, die den Gerechten von Gott ganz emanzipiert — so fände ich ihn vom Neuen Testament am Pharisäismus nirgends bezeugt. Wo uns dieser aber zum ersten Male darin begegnet, Matth. 3, 7 ff., wird ihm das eingebildete „Wir haben Abraham zum Vater" (uns kann es nicht fehlen, wir sind sicher vor dem Gericht) vorgeworfen. Nur derartige Hoffart stellt auch Jesus am betenden Pharisäer dar. — Verfehlt ist auch, wie von der Goltz (Das Gebet in der ältesten Christenheit. 1901, 56) das Pharisäergebet beurteilt: es
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über, daß das Gebet Sündenbekenntnis und Bitte um Schulderlaß wird. Die Voraussetzung davon ist das Sünden- und Schuldbewußtsein. Es ist am Zöllner nicht nur im Gebet, sondern auch in den äußern religiösen Gebärden gezeichnet, die es hervorruft: er mag zu Gott nicht emporschauen aus scheuer Scham und er schlägt an seine Brust aus reuigem Schmerz. Wer nun den Preis der Selbsterniedrigung v. 14 b mit dem Gleichnis verband, der rückte unter ihren Begriff, daß man sich selbst in Scham- und Schmerzgefühlen als Sünder beurteilt und als solchen vor Gott im Gebet bekennt. Diese ipsistisch-religiöse Betätigung ist von besonderer Wichtigkeit für die Erfassung der Begriffe Selbsterniedrigung und Niedergesinntheit. Wir entnehmen also für sie aus dem Lukasevangelium bis jetzt die drei Stücke: sich den letzten Platz wählen, keinen MeDSchenruhm mit seiner Gerechtigkeit suchen und sich selbst als Sünder erkennen und bekennen. 8. Noch ein drittes Mal finden wir die Sentenz von der göttlichen Vergeltung der Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung, und zwar im ersten Evangelium 23, 12, in der großen Rede gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Auch nach Zahn (Matth. 2641) kann darüber kein Zweifel sein, daß dies nicht eine einheitliche, so von Jesus gehaltene Rede ist, sondern ein Sammelstück, in dem mit einer Rede Jesu gegen die Rabbinen und Pharisäer verwandte, bei anderen Gelegenheiten gesprochene Worte verbunden und zu einem Ganzen verschmolzen sind. Wir können also den Zusammenhang der Verse 5—12 nicht unmittelbar für Jesu Auffassung von der Selbsterniedrigung verwerten, sondern zunächst nur für die der urchristlichen Überlieferung. Wir haben hier einen Kontext, in dem nicht nur v. 5 die Art der Schriftgelehrten und Pharisäer gerügt wird, „sich selbst", um mit Luk. 16,15 zu reden, „als gerecht darzustellen vor den Menschen", und nicht nur v. 6 — vgl. Luk. 14, 7ff.— ihre Vorliebe für die sei gar kein Gebet, sondern ein Selbstgespräch; hier rede ein Selbstgerechter zu sich oder anderen unter dem Schein des Verkehrs mit Gott. Aber hier handelt auch eine „schlecht verhohlene Gier der frommen Wünsche" (Wellhausen, Israel, u. jiid. Geschichte 5387) mit Gott: sie preist dem Lohnherrn die Leistungen an. Die Selbstbespiegelung erfolgt lohnsüchtigerweise vor Gott.
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ersten Plätze, sondern auch v. 7 neben der für öffentliche Begrüßungen die für den Rabbititel.1) Es folgt v. 8—10 für die ja untereinander gleichen Jünger Jesu ein Verbot dieses Titelwesens und v. 11 ein Gebot, daß der Größte gerade Diener sein solle. Dann schließt y. 12 diesen Kontext unser so formulierter Spruch: „Wer sich selbst erhöhen wird, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigen wird, wird erhöht werden". Selbsterhöhung ist also kontextgemäß, daß man sich über die andern mit hohen Titeln erhebt, Selbsterniedrigung, daß man sich seinesgleichen als Diener unterordnet. Wie Jesus dies Wort von der Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung sowohl aus Anlaß von ihm aufgefallener Platzjägerei der Pharisäer und Schriftgelehrten, als auch in einem Gleichnis wider pharisäische Selbstgerechtigkeit gesprochen hat, so kann er es natürlich auch einmal hinter Worten gegen rabbinisches Titelwesen wiederholt haben. Wegen des parallelen Gebrauchs der Sentenz in antipharisäischem Zusammenhange (Luk. 14, 11. 18, 14b) darf man annehmen, daß in Jesu Bild von der Selbsterhöhung der Pharisäer und Schriftgelehrten, durch das ihr Gegenteil, die Selbsterniedrigung, veranschaulicht wird, die Titelsucht nicht fehlte. Wir glauben also für Jesu eigene Idee von der Selbsterniedrigung nicht nur Luk. 14, 8—10, sondern wie Luk. 18, 10—14a so auch Matth. 23, 7—9 2 ) verwerten zu dürfen. Wie das sich selbst als Sünder Beurteilen und vor Gott Bekennen, so ist auch das sich nicht mit hohen Titeln über die andern Erheben eine weitere Betätigung jener allgemeinen Gesinnung, zu der Jesus besonders mit unsrer Gnome mehrmals mahnte. Auch daß Jesus mehrmals etwas ähnliches gesagt wie v. 11: „Der Größte von euch soll euer Diener sein", wird uns noch sehr glaubwürdig werden. Aber daß hier hinter diesem Spruch gleich jene Sentenz folgt, berechtigt eben noch nicht, in Jesu Vgl. Dalman X, 275: „Danach ist '35 eine außerordentlich respektvolle Anrede, deren eigentlichen Sinn das griechische fodäoxale keinenfalls wiedergibt. ,Mein Gebieter' wäre am ehesten eine richtige Übersetzung. Der mit '33 Angeredete wird dadurch als dem Redenden im Bange übergeordnet anerkannt." 2) v. 10 ist unecht nach Dalman (I, 251. 279), Blaß, Wellhausen u. a.
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eigene Idee von der Selbsterniedrigung den Dienst des Christen an seinesgleichen aufzunehmen. Übrigens wird man diesen Spruch dem Kontext gemäß im Anschluß an Zahn 2 S. 644 folgendermaßen verstehen müssen. Es handelt sich um Titel für Lehrer, um die Versuchung, die das Lehrgeschäft für die Jünger mit sich bringen wird, durch Titulaturen ihre Gleichheit untereinander zu verleugnen. Aber daß es daneben auch auf dem Gebiet der Lehre Unterschiede in der Gemeinde geben wird, bleibt unbestritten. Nur soll, wer in dieser Beziehung ein vergleichsweise Großer ist, nicht Anerkennung seiner Größe in Titeln beanspruchen, sondern das Lehren betreiben, indem er sich vielmehr immer nur als Diener von seinesgleichen fühlt und benimmt. Bedenkt man, daß für o ¡xü'Qow in der Sprache Jesu xrn vorauszusetzen ist1), so ergibt sich die Wahrscheinlichkeit eines Wortspiels mit Rabbi und damit die Wahrscheinlichkeit, daß Jesus wirklich ein Wort vom Größten wie v. 11 in diesem Zusammenhange gesprochen hat. Aber wir können noch lange nicht untersuchen, ob gewichtigere Gründe als der Kontext Matth. 23, 7—12 uns berechtigen, in Jesu eigene Idee von der Selbsterniedrigung den Dienst des Christen an seinesgleichen aufzunehmen. Betrachten wir jetzt die Stelle des ersten Evangeliums, in der das Wort Selbsterniedrigung noch einmal im Miinde Jesu vorkommt. 9. Es ist der Spruch 18, 4: „Wer also sich selbst niedrig machen wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich." Er ist nach dem Kontext 18,1 ff. Jesu eigentliche Antwort auf die Anfrage seiner Jünger, wer doch der Größte sei im Himmelreich. Jesus stellt ein Kind mitten unter sie und spricht: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nimmermehr ins Himmelreich kommen"; hieraus folgert er dann jene Antwort. Auch Zahn findet wieder die Vorbildlichkeit der Kinder in der Selbsterniedrigung hier gemeint. Er spricht von der „anspruchslosen Empfänglichkeit, wie sie an kleinen Kindern zu J
) S. Dalman I, 94. Ygl. Merx a. a. 0 . 1 , 47: „wer unter euch will, daß er Rab (d. h. groß oder Meister) werde" usw.
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sehen ist", vom ehrgeizigen Manne aber nur durch Sinnesänderung erworben werden könne. Das „sich selbst Erniedrigen" bezeichne eine Betätigung dieser Gesinnung in demütigem Verhalten gegen Gott und Menschen, nicht sich so niedrig oder so demütig machen, wie ein Kind es ist, sondern so, wie ein Kind es zu tun pflegt, sich bescheiden, zu den Größeren emporschauen, statt sich zu überheben. Wer sich nicht überhebt und nicht darnach strebt, groß zu sein, sondern sich demütig hält, wie das in den Kreis der Jünger gestellte Kind und die Kinder überhaupt, der ist allemal der Größere im Himmelreich. Recht fein ist auch die ähnliche Erklärung Haupts.1) Er bemerkt eine Steigerung: alle Kinder haben das Gefühl, daß sie keine Ansprüche machen können, — und dies ist das Merkmal aller, die zum Gottesreich gehören v. 3; aber das eine hier in die Mitte gestellte Kind hat dies Gefühl im höchsten Maße, es schämt sich, es möchte sich verstecken, weil es sich bewußt ist, daß es eine ihm nicht zukommende Stelle einnimmt, — und das ist das Zeichen des Größten im Himmelreich v. 4, weil hier das Gefühl der Demut am größten ist. „Der darin beschlossene Grundsatz ist also, daß der objektive Wert des Menschen in umgekehrtem Verhältnis steht zu seiner subjektiven eigenen Wertschätzung." Ich halte diese Auslegungen für unrichtig, weil sie eine Auffassung des folgenden antithetischen Verspaares 5 und 6 nötig machen, die nicht im Sinne des Evangelisten sein kann. Wäre das Kind v. 3 f. als Muster der den objektiven Wert des Menschen bestimmenden Demut hingestellt, so müßte bei sv naiöiov TOIOVTO V. 5 und bei eva zcbv FIIXG&v TOVZCOV X&V jiicnevövMOv et? ¿FIE v. 6 entweder an demütige Kinder — was wegen TOJV JIIOTSV¿VTCDV CTG E/IE und der Tendenz der ganzen Eede sehr unwahrscheinlich ist — oder (vgl. Zahn) an demütige Jünger Jesu gedacht sein, die jene Forderungen v. 3 f. erfüllt haben und in Gesinnung und Verhalten dem Kinde gleich geworden sind, so daß sie bei Gott nach v. 4 in höchsten Ehren stehen. Aber sollte der Evangelist annehmen, daß in bezug auf diese Demütigen die Mahnung an ihre Mitjünger ergehe, sie um Jesu willen *) Zum Verständnis des Apostolats im Neuen Testament. 1896, 18 f.
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aufzunehmen und nicht zu ärgern? Nein, er denkt natürlich an solche Personen, die zwar an Jesus glauben, aber klein sind an wertvoller Gesinnung und wertvollem Verhalten, so daß Jesu Erklärung überrascht, wer sie um seinetwillen aufnehme, der nehme ihn auf. „Die an Jesum glaubenden Kleinen sind schwache Mitglieder der Gemeinde, etwa was Paulus vrjmoi, äo&evovvreg Tfj märet, ädvvaroi nennt, Personen, die der Verführung durch Ärgernis besonders ausgesetzt sind" (Jülicher II, 327). Nicht als Muster der Demut, sondern nur wegen seiner „Niedrigkeit" und „Kleinheit" kommt das Kind Matth. 1 8 , 1 — 6 in Betracht. Aufs Richtige kann die Einsicht bei Haupt führen, daß dieses eine in die Mitte der Jünger gestellte Kind etwas Besonderes bedeutet. Aber muß denn darauf reflektiert sein, wie es diesem Kinde zumute war und wie es sich verhielt? Nichts nötigt zu einer Auslegung, die den ersten Evangelisten 18, 4 zu weit abkommen läßt von dem Gedanken seiner Quelle Mark. 9, 33 ff. Sonst liegen ja freilich genug Veränderungen vor. Während nach Mark, sich die Zwölfe schämten, Jesus von ihren ehrgeizigen Gesprächen Mitteilung zu machen, treten sie nach Matth, selber mit der Frage, wer doch der Größte im Himmelreich sei, an ihn heran. Wernle 1 ) urteilt, daß Matth, auf diese Weise ,4ns Häßliche vergröbert" habe. Stimmt das zu seinem Versuch 20, 20, die Zebedaiden auf Unkosten ihrer Mutter zu entschuldigen (Wernle S. 168/9)? Der erste Evangelist wird die Anfrage der Jünger gar nicht nur aus persönlichem Ehrgeiz, sondern auch aus sachlicher Wißbegier hergeleitet haben. Das würde dazu stimmen, daß er die ganze folgende Bede als eine allgemeine Gesetzgebung auffaßt, als eine gar nicht nur den Aposteln geltende Ordnung des innerkirchlichen Zusammenlebens, besonders mit irgendwie „kleinen" Brüdern. Schon der Anfang v. 3 macht mir gar nicht den Eindruck, als ob die zur Umkehr Gerufenen bloß die ehrgeizigen Zwölfe sein sollten. E r scheint mir zu sagen: „wenn ihr Menschen nicht umkehrt und werdet wie die Kinder" usw. V. 3 ist ja ein Zusatz zur Markusparallele, den der erste Evangelist entweder noch in der Tradition vorfand oder aus Mark. 1 0 , 1 5 ( = Luk. 18,17) gebildet hat.2) Aber >) Die synoptische Frage. 1899, 168. Vgl. Wernle S. 137.
2)
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lassen wir dahingestellt, ob er ein echtes Herrn wort ist oder nicht, und ob er in jenem Falle ursprünglich auf einen Rangstreit der Zwölfe ging1) oder allgemeineren Sinn hatte. Wir können es auch dahingestellt lassen, ob er vom Evangelisten so oder so gemeint ist2), da er nicht die eigentliche Antwort auf die Anfrage der Jünger ist. Diese Antwort y. 4: „wer sich selbst niedrig wie dieses Kind macht" ist Wiedergabe des Bescheids bei Mark. 9, 35: „Der Letzte von allen", der Luk. 9, 48 c mit „Der Kleinste unter euch allen" wiedergegeben ist. Joh. Weiß 8 ) klagt, der Abschnitt Mark. 9, 33—42 gehöre, was die Anordnung und was das Einzelverständnis anlange, zu den dunkelsten des Markusevangeliums. Er hält den ganzen v. 35 für einen Einschub des Bearbeiters4), wobei er unrichtig sagt, daß das Wort vom Ersten und Letzten bei Matthäus in diesem Zusammenhange überhaupt fehle — v. 4 ist vielmehr eine Reminiszenz daran (B. Weiß), ist seine Wiedergabe. Ich kann auch nicht zugeben, daß das Wort hier als eine drohende Weissagung zu fassen ist: Wenn einer will, d. h. den Anspruch erhebt, sich herausnimmt, der Erste zu sein, der wird sein von allen der Letzte und der Diener aller, der wird im Gericht „zum Diener von allen andern degradiert werden".5) Denn sollte ein Urchrist Jesus mit dem Dienenverden haben drohen lassen?8) Recht möglich ist 0. Holtzmanns Auslegung (Lehen Jesu S. 278): „,Wenn ihr nicht wieder wie Kinder werdet, könnet ihr nicht in das Himmelreich kommen.' Das heißt: ihr müßt euer Leben ganz von vorne anfangen, wenn ihr in das Gottesreich passen wollt; ihr müßt mit allen anerzogenen Fehlern und Vorurteilen brechen." (Vgl. Besch, 2. Heft S. 212 ff.) 2 ) Ich vermute: wenn ihr Menschen nicht umkehrt von euerm Streben, größer als andere zu werden, und werdet wie die Kinder, nämlich niedrig, klein, werdet ihr nimmermehr ins Himmelreich kommen. 3 ) Das älteste Evangelium. 1903, 257 ff. 4 ) Auch Wellhausen, Das Evangelium Marci 1903, 81, meint, er sei vielleicht ein Zusatz. 6
) Da dieser Abschnitt so dunkel ist, darf vielleicht statt der Weißscheu Hypothese über ihn auch die folgende gewagt werden. Sollte nicht „aller" in „und a l l e r Diener" betont sein und dann eine Aufzählung einiger Klassen von diesen „allen" folgen, denen die Jünger förderlich und dienstlich sein sollen, statt sie zu ärgern: 1. solchen Kindern, v. 37; 2. solchen, die wie der
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Behauptet Joh. Weiß weiter: „Bei Markus ist es schlechterdings unmöglich, das Kind als Typus der Demut aufzufassen. Das "Wort 9, 37 stellt das Kind überhaupt in keiner Weise als Muster auf", so ist sein „schlechterdings unmöglich" doch wohl zu stark. Markus könnte hei dem Hinstellen des Kindes mitten unter die Jünger an eine Inszenierung derjenigen Gesinnung gedacht haben, mit der das Nachsinnen der Zwölfe nach dem feierlichen Ausspruch v. 35 ganz beschäftigt war. Es kann jemand diese Gesinnung — nach Wellhausen würde es „die Unbekümmertheit um Rang und Größe" sein — für so charakteristisch fürs Kind halten, daß er denkt, wenn jemand unter Personen, die er dazu gemahnt hat, dann gleich ein Kind stellt, so müsse es auf sie als Muster davon wirken. Dazu kommt, daß es nach den Petruserinnerungen, die Markus hier erzählen mag, ein bestimmtes Kind in Kapernaum und zwar ev xfj oMa v. 33, d. h. doch wohl im Hause des Petrus gewesen sein kann, das Jesus und den Zwölfen als bescheiden bekannt war. Aber sowohl diese Phantasie als auch die Annahme jener kaum allgemeingültigen Auffassung des Kindeswesens halte ich selbst für unstatthaft und nur die Annahme für berechtigt, daß zwar nicht das Wort v. 37 das Kind als Muster aufstellt, wohl aber Markus das Hinstellen des Kindes mitten unter die Jünger als Inszenierung des vorausgehenden ndvxmv'¿a%aroggedacht haben kann. Damit widersprechen wir besonders Wernle, der a. a. 0. S. 31 und 137 betont, daß weder der erste noch der dritte Evangelist den Gedankenfortschritt des zweiten noch begriffen hätte; sie hätten im Kind, das Jesus hinstellt, ein Vorbild sehen wollen und deshalb die ganze Episode und den Gang des Gesprächs geändert Aber bei Markus sei der klare Spruch v. 35 die genügende Schlichtung des Rangstreits; fremde Exorzist „nicht wider uns" sind, v. 38—40; 3. solchen, die wenigstens einen Trunk Wasser für die Christusjünger haben, v. 41? Diese alle sind „Kleine", die unter 2 und 3 „Kleine, die da glauben", v. 42, denen die Jünger nicht durch geringschätzige Behandlung ärgerlich, hinderlich im Wachstum werden dürfen. Vielleicht sind übrigens v. 37 nicht wirkliche Kinder gemeint: nach Wellhausen S. 81. 85 ist das Kind anschauliches, wenngleich nur symbolisches Beispiel TCÖV /XIXQWV TOVTCOV R&v jiiarevövrcov, der Geringsten und Yerachtetsten, die Christus angehören wollen. Ganz sicher ist es nicht einmal Luk. 9, 48, daß an die Aufnahme wirklicher Kinder gedacht wird. Über die Spruchgruppe Mark. 9 vgl. auch Weinel, Die Gleichnisse Jesu. 1904, 44.
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nach seiner Erledigung beginne die Episode mit dem Kind ein neues Thema; zu einer Vorbildlichkeit des Kindes passe v. 37 schlechterdings nicht. Daß dieser Spruch v. 37 das Kind in keiner Weise als Muster aufstellt, geben wir Job. Weiß und Wernle natürlich gern zu. Er tut es hier ebensowenig wie in Matth. 18, 5. Aber wie ihm sogar Wernle, der v. 36 ein neues Thema beginnen läßt, eine Rückbeziehung auf den Rangstreit abgewinnt — „wenn ein Kind so hoch bei Jesus gilt, wie töricht ist das Streiten um den Vorrang!"1) — so kann auch die Hinstellung des Kindes mitten unter die Jünger nach Markus noch etwas anderes bedeuten sollen als nur den Beginn der Veranschaulichung des neuen Gedankens von der Hochschätzung eines solchen Kindes: sie kann ihm als Illustration des voranstehenden Wortes vom Ersten und Allerletzten gelten. Dann hätten wir v. 36 zwei selbständige symbolische Handlungen mit dem Kinde, ein Doppeltatgleichnis: seine Hinstellung unter die Jünger, die den vorangehenden, und seine Umarmung, die den folgenden Spruch illustriert. Wer es zu verzwickt findet, daß der Evangelist dasselbe Kind einerseits als Typus des navtcav zoyazoq, anderseits als Typus seiner Objekte, d. h. der vom ndvrmv la^axog mit Hochschätzung zu bedienenden „Kleinen" (vgl. oben S. 606) gefaßt habe, der bedenke, wie stark der erste Evangelist, die Handlung vereinfachend, indem er die Hlustrierung des zweiten Spruchs v. 37 wegließ, die Hinstellung des Kindes unter die Jünger dadurch hervorhob, daß er sie beiden Sprüchen — Matth. 18, 4 = Mark. 9, 35, 18, 5 = 9, 37 — v. 2 vorausschickte, was er wohl kaum getan haben würde, wenn er sie nicht bei Markus für eine selbständige, auf den ersten Spruch bezügliche symbolische Handlung gehalten hätte. Insofern bezeugt wohl der erste Evangelist das Verzwickte beim zweiten. Aber wir haben es ja auch bei ihm selbst, da das Kind v. 4 Typus der Niedrigsten (s. gleich S. 63 f.), v. 5 Typus ihrer *) Auch Joh. Weiß will die Kinderszene nicht ganz vom Rangstreit abgelöst wissen und versucht, dem Spruch v. 37 eine Beziehung auf den Ehrgeiz der Jünger abzugewinnen, um v. 35 entbehren zu können. Aber ich kann die von ihm S. 260 angenommene Beziehung nicht verständlich genug finden und also auch nicht den von ihm S. 262 rekonstruierten alten Markustext. Wie sehr v. 35 schon durch Luk. 9, 48 c gestützt wird, unterschätzt Weiß.
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Objekte, d. h. der von den Niedrigsten aufzunehmenden „Kleinen, die an mich glauben" ist. Doch gern erklären wir, daß sich über Mark. 9, 36 keine rechte Sicherheit mehr gewinnen läßt. Wir wiederholen, daß das Kind bei Markus zwar nicht Muster der Demut ist, aber Typus auch der Allerletzten sein mag. Weiter gar nichts ist es Matth. 18, 4 — nicht Vorbild der Demut! Die Verse Matth. 18, 3 f. gelten neuerdings wieder als „bedenkliche Umbildung" der echten Herrnworte. Joh. Weiß schilt1): „Wer sagt denn, daß Jesus gefordert habe, zu werden wie die Kinder? Das ist wieder nur die entschieden sekundäre Redaktion des Mt (18,3), die bei Mk Lk keine Parallelen hat. Der große Psycholog wußte, daß kindliches Wesen eben nicht gewollt und erstrebt werden kann, sondern eine Gabe Gottes ist. Entweder gehört man zu den Kindesnaturen oder man gehört nicht dazu. Gewollte Kindlichkeit ist die unkindlichste Fratze." Vortrefflich! Aber wer sagt denn, daß „der erste Evangelist die völlig unkindliche Eigenschaft des sich selbst Demütigens" 18,4 gemeint hat?2) Wer jetzt nicht durch Selbsterniedrigung niedrig 'wird, kommt einst überhaupt nicht ins Himmelreich, poniert v. 3. Also wer sich jetzt niedrig wie dieses Kind macht3), der ist einst der Größte im Himmelreich, folgert4), steigert v. 4. .Ta, wir haben eine Steigerung (vgl. Haupt) sowohl in den Haupt-, als auch *) Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes. 2. Aufl. 1900, 132 f. — „Bedenkliche Umbildung": Holtzmann, Handkommentar I, 1, 3. Aufl. 1901, 262. 2 ) In den „Schriften des Neuen Testaments", I, 324, sagt es auch Joh. Weiß nicht mehr. Von seiner jetzigen Deutung ist übrigens die unsrige ganz unabhängig. 3 ) Nachdem yevtjö&e cos ta naibia v. 3 keine Nachahmung kindlichen Verhaltens oder kindlicher Gesinnung bedeutet hat, sondern das Herabsteigen zur Niedrigkeit, die die Situation des Kindes ist, kann natürlich twtetvovv eavTov i&s TO natäiov rovro v. 4 bedeuten: sich so niedrig machen, wie dieses Kind es ist; es muß nicht auf die Nachahmung der Betätigung dieses Kindes, seiner Selbsterniedrigung, gehen, sondern die Selbstversetzung in seine Niedrigkeit konnte so ausgedrückt werden. *) Die Erwägungen von Merx (ET, 1, 261), der ovv durch y&Q ersetzen möchte, sind gar nicht zutreffend, weil er die Verschiedenheit der Hauptsätze v. 3 b und 4b ganz übersieht.
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in den Bedingungssätzen, einerseits: ins Himmelreich gelangen — der Größte darin sein, anderseits: niedrig werden, sich selbst erniedrigen — sich zum Niedrigsten machen. Es kommt alles darauf an, daß man diesen Superlativ in y. 4 merkt, die Wiedergabe des „Allerletzter" Mark. 9, 35, dem bei Luk. 9,48c „der unter euch allen der Kleinste ist" entspricht. Dieser Superlativ liegt in dem (TO naiöiov) rovro. A l l e Kinder sind niedrig und klein, heißen „die Kleinen", und Niedrigkeit, Kleinheit ist das Merkmal aller, die ins Himmelreich gelangen; aber dieses eine hier in die Mitte von zwölf Männern gestellte Kind stellt die kindliche Niedrigkeit und Kleinheit im höchsten Maße dar, es ist unter ihnen offensichtlich die allerletzte, kleinste, niedrigste Person — und größte Kleinheit, tiefste Niedrigkeit, Allerletztheit ist das Zeichen des Größten im Himmelreich. In diesem Zuge liegt also die eigentliche Belehrung: man kümmert sich um die Größenunterschiede und Rangstufen im Himmelreich, aber dabei kann von Hineingelangen gar nicht die Rede sein, sondern je mehr man in seinem ganzen Streben und Verhalten von Größe und Höhe absieht, je weniger einem der Gedanke an Vorrang und obere Plätze kommt, je ferner einem die Jagd danach liegt, um so reifer ist man dafür, der Größte im Himmelreich zu werden. Der hier proklamierte Grundsatz ist also, daß der objektive Wert des Menschen in umgekehrtem Verhältnis steht zu seinem eigenen Wertlegen auf Größe und Höhe. Diese Auffassung von v. 4 sieht dem Kinde weder eine vorbildliche Gesinnung noch ein vorbildliches Verhalten an, sondern bemerkt nur die kindliche Inferiorität, die sich im höchsten Grade aufdrängt, wenn man ein Kind unter lauter Großen sieht. Das unter die Zwölfe gestellte Kind markiert die Stellung und den Rang, die ein Kind nach der Natur der Dinge unter lauter Männern hat. Ein Kind unter Erwachsenen steht eben in der Regel faktisch unter ihnen, es gehört hinter sie, kommt zuletzt an die Reihe, es gebührt ihm zu schweigen, zu bewundern, jedem zu gehorchen und kleine Dienste zu leisten. Dieses kindliche Verhalten, das wir soeben berührten, kommt bei unserer Auffassung nicht etwa als vorbildlich in Betracht, sondern nur als der naturgemäße Ausdruck des „vorbildlichen" Untenanstehens des Kindes, seiner „vorbildlichen" Inferiorität. „Sich selbst niedrig wie diesea
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Kind machen" scheint uns also nur bedeuten zu sollen: sich selbst die Stellung suchen, die ein Kind unter Männern hat, wie sie dieses Kind unter den Zwölfen veranschaulichte — die niedrigste. Der Evangelist scheint uns Jesus lehren zu lassen: wer jetzt sich selbst niedrig macht wie dieses Kind, so daß er also der Niedrigste im Kreise ist, wie dieses Kind es unter euch ist, der ist einst der Größte im Himmelreich. Das Wort bei Markus vom Ersten und Allerletzten gab der erste Evangelist mit xaTieivovv eavröv und mit Hinweis auf die von Jesus geschaffene Situation des Bandes wieder. Die Nuance ist: wer sich selbst zum Niedrigsten im Kreise macht, ist der Größte im Himmelreich. *) Will man nun aus den Berichten der Evangelisten2) den Gedanken Jesu selbst erheben, so wiederhole ich, daß man über Gegen diese einfachste Auffassung von Matth. 18, 4 darf man nicht einwenden, daß, wenn das Kind v. 4 als die allerkleinste Person im Kreise gemeint wäre, der Superlativ auch in dem antithetischen Yerspaar 5 und 6 gelten müßte, wozu der Positiv ftixQoi v. 6 nicht stimme. Denn offenbar paßt der Superlativ der Kleinheit, die man aufnehmen und nicht ärgern soll, gerade gut zum Gedanken dieses Yerspaars, ja der ganzen Rede. Daß aber nicht deshalb der Positiv fiixgol aufgegeben wurde, kann sich schon damit erklären, daß der Evangelist den Ausdruck Jesu, den eis T&V FIIY.QCOV TOVTCOV (v. 10. 14. 10, 42; Mark. 9, 42; Luk. 17,2; vgl. auch Luk. 12, 32) wiedergab, konservieren wollte. Er wollte auch nicht die Kleinen v. 5 f. kleiner erscheinen lassen als die Kleinen v. 10—14 oder als den kleinen Bruder, der sich immer wieder versündigt v. 21 f. 2 ) Was den Bericht des dritten Evangelisten anbelangt, 9, 46—48, so füge ich der wohl richtigen Auslegung Holtzmanns (Hand-Commentar I, 1, 3. Aufl. 1901, 355/6) nur in bezug auf v. 48 hinzu, daß Lukas hier Jesus den Jüngern die Tatsache zu bedenken geben läßt, daß die Aufnahme sogar dieses Kindes, der kleinsten unter den anwesenden vierzehn Personen, nichts Geringeres als die Aufnahme seiner selbst bedeutet, daß das Allerkleinste also bei ihm sehr groß geachtet ist. Denn sein Grundsatz über Größe ist: „Der unter euch allen der Kleinste ist, der ist groß." Damit sollen sie den „Gedanken ihres Herzens" vergleichen. Ihm widersprechen beide Sprüche. Auch der erste, 9, 48ab = Mark. 9, 37, der ein Handeln an fremder Kleinheit vorschreibt, soll zugleich das Denken, das Denken über Größe und Kleinheit, das Denken über eigne Größe normieren. Und der zweite, 9, 48 c = Mark. 9, 35, der dem Denken über Größe und Kleinheit den rechten Maßstab gibt, gibt zugleich dem Streben einen Stoß nach unten. Auch Lukas hat im Kind nicht ein Vorbild irgend welchen Denkens oder Verhaltens sehen wollen (gegen Holtzmann, Wernle, Joh. Weiß), sondern nur einen Typus der Kleinheit. T h i e m e , Die christliche Demut. I.
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sein symbolisches Handeln mit dem Kinde keine Klarheit und Sicherheit mehr gewinnen kann, also auch nicht über den Gedankengehalt desselben. Man müßte sich also auf das Wort vom Ersten und Allerletzten oder vom Größten und Allerniedrigsten oder vom Großen und Allerkleinsten beschränken. Daß die mittlere dieser drei Formen, die im ersten Evangelium, echt ist, wüßte ich nicht wahrscheinlich zu machen. Aber möchte auch Jesus beim sogenannten Rangstreit nicht wieder von Selbsterniedrigung geredet haben, der Gedanke dieser Nuance, wer jetzt sich selbst zum Niedrigsten in seinem Kreise mache, sei einst der Größte im Himmelreich, würde offenbar mit dem des Worts von der göttlichen Erhöhung der Selbsterniedrigung in Zusammenhängen wie Luk. 14 und Matth. 28 stimmen. Dem Ehrgeiz, der zur Größe emporstrebt und im Eang immer obenan stehen will, würde Jesus verkünden, was groß im Himmelreich macht: keinen Wert legen auf Größe und Höhe, sondern sich selbst zum Allerniedrigsten machen, zu unterst stellen, mit der tiefsten Rangstufe begnügen. Aber es ist überhaupt fraglich, ob das Wort vom Ersten und Allerletzten oder vom Größten und Allerniedrigsten oder vom Großen und Allerkleinsten in irgend einer dieser drei Formen echt und nicht nur eine Dublette der Überlieferung zu einem andern, allein echten Herrnwort ist.1) Wir werden später diese Frage zusammen mit den als Dubletten denkbaren Worten über das Dienersein behandeln. 10. Jetzt gilt es, unsere Auffassung, daß in keinem Bericht über den Rangstreit das Kind als Vorbild der Demut, der anspruchslosen Empfänglichkeit, der Bescheidenheit gedacht sei, auch noch zu prüfen an der Geschichte der Kindersegnung, zu der die Szene mit dem Kinde beim Rangstreit nach manchen2) lediglich eine Variante des Markus ist. Da alle drei Evangelisten die Kindersegnung später als den Rangstreit erzählen, hat der Leser an Jesu Gedanken über die Kinder bei diesem ein ') So z. B. B. Weiß, zuletzt im „Leben Jesu" 4 H, 1902, 310, und Titius, „Das Verhältnis der Herrnworte im Markusevangelium zu den Logia des Matthäus", in den „Theol. Studien" für B. Weiß 1897, 303—305. 2 ) Z. B. B. Weiß, Das Lehen Jesu 4 II, 308; Wellhausen, Markusevangelium S. 85.
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gewisses Präjudiz über den Sinn seiner Worte bei jener Szene und nicht umgekehrt. Aber wenn die Kinder in der späteren Episode deutlich als Vorbilder jener Tugenden zu stehen kämen, so würde man doch danach auch die frühere verstehen wollen. Also müssen wir zusehen, ob sich unsere Auffassung von der Bedeutung des Kindes beim Rangstreit mit der Geschichte der Kindersegnung verträgt. Und da in dieser nach den meisten die Demut gelehrt wird, gehört sie ja auch abgesehen von ihrer Beziehung zum Rangstreit in unsre Untersuchung. Die Geschichte der Kindersegnung überliefert das vieldeutige Wort, das Himmelreich sei solchen zu eigen1), die wie die Kinder sind. Nicht wenige Ausleger halten es für das einzig Richtige, aus dem bei Mark. 10, 15 und Luk. 18, 17 unmittelbar angeschlossenen Ausspruch2), niemand werde ins Gottesreich gelangen, der es nicht annehmen werde wie ein Kind, zu bestimmen, welche Beschaffenheit der Kinder das "Wort meine, so wie sie Beschaffenen sei das Himmelreich zu eigen: so Beschaffenen, daß sie das Himmelreich wie ein Kind annehmen werden. Man dürfte nur dabei nicht die Art gemeint finden, wie ein Kind das Himmelreich annehmen wird8), da sie nicht als bekannt vorausgesetzt werden könnte, sondern bloß ganz im allgemeinen die Art, wie ein Kind das überhaupt anzunehmen pflegt, was ihm zum Annehmen gegeben wird. So scheint es eine gute Auslegung zu ergeben, wenn man die Yergleichung derer, denen das Himmelreich zu eigen ist, mit den Kindern beschränkt auf „die durch die Voranstellung nachdrücklich betonte Verhaltungsweise des Annehmens selbst" (Wendt a. a. 0. vorher). Aber ins Sichere kommt man auf diesem Wege gar nicht, weil die Art des kindlichen Annehmens sehr verschieden bestimmt werden kann. Wenn freilich Hahn4) an das rückhaltlose Vertrauen denkt, daß das Dargebotene etwas Gutes und Heilsames sei, so ist das wider *) W a s rä>v xotovxmv sazlv im Aramäischen voraussetzen wird, s. bei
Dalman a. a. 0. S. 104. s ) Nach Klostermann (Das Markusevangelium 1867, 209) ist er vielleicht anderswo gesprochen, aber von Markus hierher gestellt, um jenes Diktum verständlich zu machen. 8 ) An sie will Wendt (Die Lehre Jesu. 2. Aufl. 1901, 273/4) mit gedacht wissen. 4 ) Das Evangelium des Lukas. II, 1894, 415.
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den Kontext, in dem es sich ja um das Annehmen des höchsten Gutes handelt, des Himmelreichs, so daß dafür nur das kindliche Annehmen unfraglich guter Gaben als Vorbild aufgestellt sein kann. Aber auch diese speziellere Art kann sehr verschieden bestimmt werden. Man kann daran denken, daß die Kinder im Gefühl, auf das Geben und Helfen der Erwachsenen angewiesen zu sein, zuversichtlich danach als nach etwas Selbstverständlichem verlangen, sich gern schenken und helfen lassen und mit naiver Unersättlichkeit ohne Ziererei immer mehr nehmen; oder daran, daß sie noch nicht abgestumpft und übersättigt, nicht wählerisch und unzufrieden sind, sondern die Gabe, die Hilfe ohne vorgefaßte eigenwillige Ansprüche an sie, noch empfänglich und erkenntlich dafür, fröhlich und dankbar sich Wohlgefallen lassen; oder daran, daß sie die Gaben nicht als wohlverdienten Lohn für eigene Leistungen beanspruchen und nicht berechnen, wie sie sich ihrerseits dafür abfinden müssen. Man kann endlich auch an das alles zusammen denken. Aber an was ist in jenen Herrnworten gedacht? Es lassen sich ja wohl für alle Möglichkeiten parallele Gedanken in den Evangelien nachweisen. Und wenn das nicht der Fall wäre, so würde gelten, daß nicht jeder Gedanke mehr als einmal bezeugt sein muß. Aber vielleicht leidet dieser scheinbar so methodische Versuch der Auslegung nicht erst daran, daß er in einer Fülle von Möglichkeiten endet, sondern schon daran, daß er gleich anfangs aus dem di^Tai und seiner Voranstellung Mark. 10, 15 zu viel macht. Es geht vielleicht nur auf den Empfang (vgl. Apostelgesch. 28, 21) des Himmelreichs, ohne das Verhalten des Annehmens dabei hervorzuheben. Dann würde der Zustand des Kindes, der für sein Empfangen charakteristisch ist, zu bestimmen sein, was übrigens fast ebenso viele, den vorigen entsprechende Möglichkeiten ergäbe, größte Hilfsbedürftigkeit, Aufgeschlossenheit, Verdienstlosigkeit usw. Ich möchte nur, was das di%eoftai anbelangt, darauf hinweisen, daß man vielleicht sein wahrscheinliches Äquivalent in der Sprache Jesu wird beachten müssen. Wünsche1) hat zu Mark. 10, 15 bemerkt: „Eine höhere Weltregierung und VorNeue Beiträge S. 397.
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sehung anerkennen und sich ihr kindlich unterwerfen, heißt in der Mischna Berachoth II, 2 das Joch der göttlichen Regierung auf sich nehmen." Auch Dalman (S. 101) findet den rabbinischen Ausdruck „die Gottesherrschaft auf sich nehmen" oder „das Joch der Gottesherrschaft auf sich nehmen" hierher gehörig, insofern da an die willige Unterwerfung unter die göttliche Gewalt gedacht sei, wenn auch nicht an die Annahme einer Gabe. „In der Tat", sagt Joh. Weiß1), „liegt es nahe, anzunehmen, daß Jesus sich hier diesem Sprachgebrauche angeschlossen habe." Dann würde man also nicht versuchen müssen, zu erraten, an welche Art des kindlichen Annehmens oder des kindlichen Empfangens einer Gabe gedacht sei, sondern man würde behaupten dürfen, als die Art, wie ein Kind sich einer es fordernden Gewalt, einem höheren Willen, der an es herandringt, unterwirft, könne nicht wohl eine andere hier in Betracht kommen, als die man mit „willig, gehorsam, folgsam" charakterisiert. Die Kindlichkeit in diesem Sinne gehört zur Stimmung der ersten und Hauptbitte des Herrngebets, daß die Gottesherrschaft komme. Sie ist wohl nicht ausschließlich Bitte, sondern, indem sich in ihr auch noch die vorausgehende Huldigungsformel fortsetzt, eine Art unterwürfigen Gelöbnisses, daß man gewiß gern gehorsamer Untertan sein wolle, wenn die Gottesherrschaft, der man sich jubelnd entgegenstreckt, nur erst komme. „Das Gottesreich annehmen wie ein Kind" würde also bedeuten: willig sich ihm unterwerfen. Freilich ein sehr schlichter Sinn — der aber nicht deshalb unwahrscheinlich ist. Doch man wird sich dagegen auf das Gleichnis mit spielenden Kindern besinnen, Matth. 11,16—19; Luk. 7, 31—35, bei denen Jesus, „der sinnige Beobachter auch des kleinen Lebens, besonders stark die Wirkungen des launenhaften Eigensinns wahrgenommen hati,e, der immer gerade das nicht will, was ihm angeboten wird."2) Sollte da Jesus ein andermal die Kinder gerade als Vorbilder der dem Eigensinn entgegengesetzten Willigkeit und Lenksamkeit gebraucht haben? Indem man einen etwaigen Zusammenhang unsrer Sprüche mit jener zum Anfang des Vaterunsers gehörigen Stimmung erwägt, Die Predigt Jesu 2 S. 7, vgl. S. 5—8. -) Jülicher II, 32.
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kann einem der Einfall kommen, ob vielleicht in ihnen die Gotteskindschaft und zwar ganz im allgemeinen, die gesamte Kindesstellung, in die der Mensch zu Gott als seinem Vater kommen soll, gemeint sei: solchen, die wie die — Kinder sind, nämlich in Beziehung zu Gott, sei sein Reich zu eigen; wer es nicht wie sein — Kind annehme, werde nimmermehr dazu gelangen. Diese Deutung fand ich dann heiTitius 1 ): „Derart, wie Kinder, sind offenbar solche Menschen, die zu ihrem himmlischen Vater so stehen, wie Kinder zu ihrem Vater." Sie ist ebensowenig zu widerlegen wie zu beweisen. "Wen sie kaptiviert hat, der wird kein avrov hinter naidiov vermissen. Methodische Exegese wird sich freilich nicht damit befreunden können. Befriedigt sie der Versuch nicht recht, von v. 15 aus das tertium comparationis in der Vergleichung der Eigentümer des Himmelreichs mit den Kindern festzustellen, so wird sie sich bemühen, vielmehr aus der Veranlassung der Herrnworte, aus v. 13—14 a ihren Sinn zu erkennen. Die Inanspruchnahme eines Erwachsenen für Kinder steht in Frage. Da tritt als das Charakteristische der Kinder ihre Unbedeutendheit für ihn als solchen hervor: daß sie wegen ihres Mangels an dem, was er erst haben kann, ihm in der Regel im Bereich der ihm eigentümlichen Interessen nichts bieten können. So läßt die Veranlassung des Vergleichs an das denken, was den natürlichen Unterschied der Kinder von den Erwachsenen ausmacht: ihre Unerwachsenheit, Unfertigkeit, ihr Mangel an dem, was eben erst der Erwachsene haben kann: Größe, Stärke, Keife, Selbständigkeit, Erfahrung, selbsterworbene Werte. Dann würde Jesus hier etwa lehren, daß das Keich Gottes nur denen zu eigen sei, die nicht schon erwachsen und fertig sind in ihrem Leben mit Gott, sondern noch zunehmen müssen an Weisheit und Gnade bei Gott; die keinen Schritt allein gehen können im höheren Leben, ohne auf Gottes Stimme lauschen zu müssen; die keinen langen Wandel vor Gott hinter sich haben, in dem sie sich für sein Keich erzogen haben. Jesus erklärte, er sei nur für die Sünder gekommen, wie der Arzt nur für die Kranken Bedürfnis sei. Ähnlich würde er in unserm Wort sagen, das Reich Gottes sei nur 1
) Die neutestamentl, Lehre von der Seligkeit. I, 1895, 122.
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den Anfängern im geistlichen Leben zu eigen, wie Wachsen und Reifen nur Werdenden, Unerfahrenen, Kindern eigen sei. Der erste Evangelist konnte 19,14 voraussetzen, daß seine Leser an jene Seligpreisungen 5, 3. 6 zurückdenken würden, das alle satt machende Himmelreich sei denen zu eigen, die armen Geistes sind und nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Noch verwandter ist, daß Jesus Matth. 11,25 = Luk. 10, 21 Weisen und Klugen solche gegenüberstellte, die unmündige Kinder sind: ihnen habe Gott die vor jenen verborgenen Geheimnisse des Seiches Gottes geoffenbart — „den Ungebildeten, aber auch Unverbildeten". Der Mangel an Erkenntnis, die Unwissenheit, das Zunehmenmüssen an Weisheit ist für das Kind besonders charakteristisch. Wähnten damals die Juden, daß viel Wissen, genaue Gesetzeskenntnis zur Frömmigkeit gehöre, wollten auch die Jünger Jesu die Kinder wohl hauptsächlich deshalb nicht zum Meister lassen, weil er nicht für solche da sei, die von ihm noch nicht richtig lernen können, so stellt Jesus die Erklärung entgegen, daß gerade solche, die es im Erlernen der jüdischen Frömmigkeit nicht weit gebracht, geeignet seien, dem Himmelreich zum Schüler gemacht zu werden (Matth. 13, 52). Gut hebt 0. Holtzmann1) diesen Hauptpunkt in der Yergleichung mit den Kindern hervor: „Jesus findet das größte Hemmnis für den Erfolg seiner Predigt darin, daß fast jeder durch die Schule der Schriftgelehrten in die falsche Bahn einer äußerlichen, das Leben in lauter Fälle der Gesetzesbeobachtung auflösenden Frömmigkeit hineingezogen ist und nun viele Schwierigkeit hat, die ihm anerzogenen falschen Anschauungen zu überwinden. Da freut er sich der Kinder, die zutraulich zu ihm kommen, ohne durch irgendwelche Vorurteile verwirrt zu sein." Daneben sollte nur seine Anmerkung wegfallen, die Vorbildlichkeit des Kindes dürfte in der Harmlosigkeit und Sorglosigkeit zu suchen sein, die Jesus den um Nahrung und Kleidung besorgten Jüngern aus dem Naturleben predigt. An eine eigentliche, vorbildliche natürliche Tugend der Kinder wird Jesus überhaupt gar nicht gedacht haben, sondern nur an ihre natürliche allgemeine Aufgeschlossenheit und Bildsamkeit wegen ihrer allgemeinen Unfertigkeit. Leben Jesu. S. 290; 291 Anm. 2.
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Auch auf diesem Weg der Auslegung kamen wir zu einer Mehrzahl von Möglichkeiten, von denen sich dann eine als die passendste verfolgen ließ. Aber ich möchte nicht etwa über diese ganze Ausführung seit S. 70 Mitte den Schild halten, sie sei Schritt für Schritt geboten durch streng methodische Exegese. Vielmehr möchte diese doch noch anders einsetzen, als zuletzt versucht wurde. Die Kindersegnung steht bei Markus jenem Stück 9, 33—42 (Rangstreit usw.) nahe genug, daß ich mich wundere, daß Joh. Weiß 1 ) bei seinen Reflexionen über ihre Rolle im ganzen Abschnitt 9, 30—10, 45 nicht auch sie die „etwas animose Stimmung des Evangelisten gegen die Zwölfe" atmen läßt. Nur S. 252 berührt er, daß die Jünger zweimal als unduldsam dastehen, hier den Müttern gegenüber wie dort in jenem Stück dem fremden Exorzisten gegenüber. Hat man noch nicht lange vorher den Kontext 9, 36—42 wider geringschätzige Behandlung der „Kleinen" gelesen und in ihm insbesondere Jesu Umarmung des Kindes mit angeschaut und sein Wort über die Bedeutung der Aufnahme eines von solchen Kindern mit angehört, so kann man allerdings 10,14 mit Jesus unwillig werden über die Jünger, die, als man Kinder zu ihm brachte, nicht im Sinne von Jesu Tat und Wort handelten, sondern diesen wehrten, wie sie jenem „Kleinen", dem fremden Exorzisten, gewehrt hatten. Jesus muß 10,14 sein fxrj xcoivere 9, 39 wiederholen — seid keiner Art von „Kleinen" hinderlich, sondern allen förderlich und dienstlich — und wiederholt seine Umarmung {bayxahod/xevog wie 9, 36 so 10, 16). Aber wer die Spitze der Erzählung gegen die Jesu Geist nicht fassenden Jünger betonen will, mag nur nicht in der Meinung, daß neben diesen Wiederholungen auch das Wort „solchen ist das Gottesreich zu eigen" nach der Auffassung des Evangelisten eine Spitze gegen die Jünger gehabt haben müsse, diese Spitze falsch bestimmen. Sollte ihr Größenbewußtsein getroffen werden, aus dem sie „Kleine" geringschätzig behandeln? „Solchen, die sich nicht wie Ihr eigener Größe bewußt sind, ist das Gottesreich zu eigen"? So findet Zahn Matth. 19, 14 eine Erinnerung an die Lehre von 18, 3—4, wie er sie versteht (vgl.
Das älteste Evangelium. S. 262.
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oben S. 57/8): gegenüber dem Dünkel cler Jünger, die auf ihr Denken und Wollen, dessen die Kinder noch nicht fähig sind, den Anspruch gründen, daß ihnen das Reich gehöre, erinnere sie Jesus daran, daß sie vielmehr durch Verleugnung ihres eigenen Denkens und Wollens die Empfänglichkeit für die Segnungen und Güter des Reichs gewinnen müssen, die die unmündigen Kinder von selbst besitzen. Bei Markus würde das Herrnwort, wenn es diesen Sinn haben sollte, eine Erinnerung an die Lehre von 9, 35 sein müssen, zu der das Kind vielleicht durch v. 36 in eine Beziehung gebracht werden soll, vgl. oben S. 61 f. Doch sehr viel näher liegt es, xwv xoiovxmv 10, 14, auf xä naidia bezüglich, als ein Wieder aufklingen von ev x&v xoiovxcov naid'uav 9, 37 zu fassen. Hier ist aber die in Betracht kommende Beschaffenheit der Kinder allerhöchster Wahrscheinlichkeit nach nichts andres als die dienst- und aufnahmebedürftige „Kleinheit". So wird an nichts andres auch dort gedacht sein. Der Gedanke, daß solchen, die wie jene zu Jesus gebrachten Kinder dienstbedürftige „Kleine" sind, das Gottesreich zu eigen sei, liegt in einer Linie mit dem, daß, wer ein einziges von solchen dienstbedürftigen „kleinen" Geschöpfen wie jenes Kind um Jesu willen aufnimmt, Jesus selbst aufnimmt. Wenn die Jünger diesen Gedanken gefaßt hätten, wäre ihnen auch jener erreichbar und maßgebend für ihr Verhalten gewesen, als man Kinder zu Jesus brachte. Auch der 10, 15 an jenen Gedanken angeschlossene braucht kein neuer zu sein, sondern nur eine Variation mit „empfangen" und „dazu gelangen" statt „zu eigen haben". Sollte aber doch die Verhaltungsweise des „Annehmens" betont sein, vgl. oben S. 67, so ständen wir vor der Frage, wie dienstbedürftige „Kleinheit" anzunehmen pflegt. Da mehrere Antworten gleich möglich sind, ergibt sich, daß auch dieser methodisch beste Auslegungsversuch im Unsichern endet. Über Mark. 10, 15 ist auf keine Weise mehr Sicherheit zu gewinnen. Der erste Evangelist schließt dem Herrnwort „denn solchen ist das Himmelreich zu eigen" 19,14b kein weiteres an.1) Es 1
) Deshalb ist es allerdings wahrscheinlich, daß er Mark. 10, 15 zu dem Spruch 18, 3 umgebildet und bei der Kindersegnung als schon gebracht übergangen hat. Hätte er 18, 3 nicht selbst gebildet, sondern noch in der Tradition vorgefunden, so würde er Mark. 10, 15, weil nicht schon in Umbildung
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ist begreiflich, daß er im Eingang von 19,14 Jesu Zürnen über seine Jünger Mark. 10, 14 nicht berichtet, weil er weder Jesu Liebkosung des Kindes beim Rangstreit Mark. 9, 36 erzählt, noch Mark. 9, 37 in 18, 5 auf wirkliche Kinder bezogen hatte. Denn sv nmdiov TOIOVTO wird, wie wir schon S. 58 angedeutet haben, wegen T&V morevövrmv elg ¿¡ue in der parallelen Drohung v. 6 und wegen der Tendenz der ganzen Rede nicht ein wirkliches so niedriges Kind meinen, sondern ein so niedriges, so „kleines" gläubiges Gemeindeglied — „Kind" steht hier y. 5 im Übergang zu „diese Kleinen" v. 6 für „kindesgleicher Kleiner". Die Gleichbeschaffenheit „dieser Kleinen" mit dem Kind inmitten der Zwölfe besteht darin, daß sie an Vorzügen und Gaben die Niedrigsten in der Gemeinde sind und gerade deshalb der „Aufnahme" am bedürftigsten. In der Linie dieser „Aufnahme" solcher „Kleinen" liegt es natürlich, daß man auch wirklichen Kindern „nicht wehrt zu Jesus zu kommen" — insofern fehlt es nicht an Rückbeziehung von 19,14a auf 18, 5 f. Was aber 19,14b anbelangt, so klingt darin einfach 18, 3 wieder, wonach nur die wie die Kinder d. h. niedrig Gewordenen und zwar durch Selbsterniedrigung niedrig Gewordenen, also die sich selbst Erniedrigenden zum Himmelreich gelangen. Im Lukasevangelium weiß man seit 9,46—48, wie groß bei Jesus das Allerkleinste geachtet ist, wie man also über Größe und Kleinheit denken und an Kleinheit handeln soll. Da der Grundsatz: „Der unter euch allen der Kleinste ist, der ist groß", wie wir bereits oben S. 65 2 ) sagten, zugleich dem Streben einen Stoß nach unten gibt, also Selbsterniedrigung einschärft, von der man auch eben erst 18,14 gelesen, mag 18, 16 b nicht nur gebracht, nicht übergangen haben — er müßte ihn denn der Gleichheit des Inhalts wegen übergangen haben. Wernle (Die syn. Frage. S. 137) findet, daß der Markusspruch das Bedürfnis nach Vereinfachung nahe lege. Er denkt sich ihn aber auch schwieriger als er ist. „Das Gottesreich annehmen" sei eine verkürzte Kedensart für „die Botschaft vom Gottesreich annehmen" (Die Eeichsgotteshoffnung in den ältesten christlichen Dokumenten und bei Jesus. 1903, 31. 39). Merkt er nicht, daß og av /nij Se^rai futurischen Sinn hat? vgl. Joh. Weiß (zu Luk. 18, 17 bei Meyer 81892, 566): „Man bedenke, daß de£t]iai durch den futurischen Hauptsatz auch in die Zukunft versetzt wird und den Moment bezeichnet, in welchem man das messianische Heil in Empfang nimmt."
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wie bei Markus die aufnahmebedürftige Kleinheit der Kinder in Betracht kommen, sondern auch wie bei Matth, an die Selbsterniedrigung mitgedacht sein, durch die man die Kleinheit und Niedrigkeit der Kinder einholen soll. Nach alledem muß sich die exakte Auslegung unsrer evangelischen Texte damit begnügen, das „solchen" im Kinderspruch „solchen ist das Himmelreich zu eigen" nach Markus auf die hilfsbedürftigen Kleinen und Niedrigen, nach Matth, auf die sich selbst Erniedrigenden zu beziehen. Aber dringt man mit dieser Exaktheit in Jesu eigenes Innere ein? Gehörte dazu die Gewißheit, daß Gottes Hilfe nahe herbeigekommen, um die Niedrigen hoch, die Kleinen groß zu machen und die sich selbst Erniedrigenden zu erhöhen, so kann man sich das Wort in einer jener schlichten Bedeutungen einfach aus dem Ereignis selbst geboren denken. So schreibt Weinel1): „Man bringt Kinder zu Jesus, damit er sie segne. Durch das Abwehren der Jünger wird seine Gegenrede wachgerufen. Sofort treten seine tiefsten Gedankenreihen in Bewegung. Hier sind Jünger, welche die Kinder abweisen. Wie falsch! Solcher gerade ist das Himmelreich, Mc. 10,14. Einen neuen Ausdruck hat er so für die Art seiner Jüngerschaft gewonnen, ein Bild, das neben andere tritt, die er vielleicht ebenso gewonnen hat." Dann unterschiede sich also der Ausspruch nur durch das neue, Jesus damals zugewachsene Bild von den Seligpreisungen und der Gnome von der Selbsterniedrigung. Man wird gegen diese Erklärung unsres Worts aus einem Einzelerlebnis Jesu mit Kindern einwenden, daß zu den „tiefsten Gedankenreihen" und Stimmungen seines Innern nicht nur die Heilandsliebe zu den Kleinen und Niedrigen und zu den sich selbst Erniedrigenden gehörte, sondern offenbar auch eine große Liebe zu den wirklichen Kindern. Sie habe ihn zornig auf die Jünger gemacht und nicht nur gebieten lassen: „Laßt die Kinder zu mir kommen, wehrt ihnen nicht", sondern auch ausrufen: „denn solcher ist das Himmelreich." Wer wollte diesen Einwand damit abweisen, dieses Verx
) „Die Bildersprache Jesu in ihrer Bedeutung für die Erforschung seines inneren Lebens" in „Festgruß für Bernhard Stade." 1900, 68.
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halten Jesu sei vielmehr nur aus einer augenblicklichen Stimmung oder didaktischen Absicht zu begreifen? Wer wollte gegen die Kinderliebe Jesu geltend machen, es sei ja nur unsre Szene, die sie scheinbar bezeuge, da die beim Rangstreit nur eine Variante des Markus sei?1) Aber bei aller tiefgewurzelten Kinderliebe Jesu konnte es doch erst ein einzelnes Ereignis sein, bei dem es ihm in den Sinn kam, seine Lieblinge als Typen derer hinzustellen, denen das Himmelreich gehört, und daß er es wegen ihrer hilfsbedürftigen Kleinheit und allseitigen Niedrigkeit getan, läßt sich wohl leichter geschichtlich wahrscheinlich machen als anderes, woran man gedacht hat. Verweisen wir immerhin auf zwei glänzende Schilderungen der Kinderliebe Jesu, die man genießen kann, obgleich keine der andern sich als historischer vorzuziehen wagen dürfte. Die erste glückte Joh. Weiß2), die zweite von Wernle (Die Anfänge unserer Religion. 21904, 71) will ich hersetzen: „Von dem Kinderglück Jesu kann sich wohl kaum jemand eine Vorstellung machen. Er führte ein Leben im Sonnenschein und in der Freude, im kindlichen Gottvertrauen . . . Mitten im tobenden Seesturm kann er schlafen, wie das Kind in seiner Mutter Arm; was sollte ihm auch Schlimmes geschehen? . . . Seine Lieblinge sind die Kinder; die schließt er in die Arme und drückt sie an sein Herz. Er fühlt eben, daß er da unter seinesgleichen ist. Wir Menschen sollten Gottes Liebe fassen können, wie das Kind das Märchen, das man ihm erzählt; das sagt der Spruch: ,wer das Gottesreich nicht annimmt wie ein Kind, kann nicht hineingehen'." Gegen solche biographische Künste müssen einem Kählers8) bekannte Bedenken kommen; man fragt sich, ob nicht das Wenige mehr ist, was uns die Evangelisten über „solcher ist das Himmelreich" an die Hand geben, Markus: solcher, die hilfsbedürftige /JLIXQOI sind, Matthäus: solcher, die durch Selbsterniedrigung niedrig geworden. Vgl. oben S. 66ä). ) Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes. 21900, 132, vgl. Die Schriften des Neuen Testaments. I, 155. 3 ) Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus. «1896, 47 ff. 2
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Der Gedanke nach Markus ist der einfachere, echte. Das große Wort Jesu „solchen ist das Himmelreich zu eigen" wird eine Art Seligpreisung aller hilfsbedürftigen Kleinen sein. Man hat doch den Eindruck, daß die der Schutzrede Jesu für die Kleinen vorausgestellte Idee der Selbsterniedrigung zur Niedrigkeit des Kindes Matth. 18, 3 f. vom Evangelisten stammt. Daß aber die von ihm hier verwendeten Gedanken, Umkehr zur Selbsterniedrigung sei an der Zeit und ihr Grad bestimme die zukünftige Größe, völlig mit Jesus stimmen, wurde schon oben S. 66 betont und wird sich uns noch weiter ergeben. Damit allerdings, daß wir die Kleinen, denen nach Jesu sicher echtem Kinderspruch das Himmelreich zu eigen ist, immer als hilfsbedürftige Kleine bezeichneten, treten wir der Auffassung entgegen, daß doch auch dieser Spruch eine indirekte Ermahnung sein sollte, sich irgendwie freiwillig klein zu machen. Er kann, was man auch von Mark. 10,15 halten möge, eine reine Verheißung sein, ein Trostwort, ein Heilsruf. Jesus meint nicht diejenigen, welche freiwillig auf irgend eine Größe verzichtet haben, sondern solche, die sich durch Geburt und Schicksal, fremde oder eigene Schuld in kleinen Verhältnissen, in niedriger Lebenslage, in geringer Geltung, in mancherlei Ohnmacht und Schwachheit befinden, woraus ihnen geholfen werden möchte. In all ihrer Not sind all diese Kleinen gerade die Rechten für das Gottesreich mit seiner Hilfe. Es sind die Kreise der Niedrigen (Luk. 1, 52), der Armen, der Zöllner und Sünder, der Unmündigen, der Mühseligen und Beladenen (Matth. 11, 5. 19. 25. 28), des Volkes, das das Gesetz nicht kennt (Joh. 7, 49). Fragt man, ob nicht doch an eine besondere Kleinheit der hilfsbedürftigen Kleinen gedacht sei, so hat man nur die vr]ni&ct]? zu nennen ein Recht, auf die Matth. 11, 25 = Luk. 10, 21 "Wert gelegt ist, vgl. oben S. 71. Wir behaupten also, daß weder die Evangelisten noch Jesus selbst bei „solcher ist das Himmelreich" an solche gedacht haben, die den Kindern an Demut gleich sind. 11. Aber nach Matth., der an solche dachte, die den Kindern durch Selbsterniedrigung an Niedrigkeit gleich sind, wäre der Spruch nur eine neue Wendung des Hauptgedankens einer Reihe von Herrnworten, in der das von der göttlichen Vergeltung der
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Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung voransteht. Außerdem haben wir von dieser Reihe schon kennen gelernt im Matthäusevangelium 18, 4: „Wer sich selbst niedrig wie dieses Kind machen wird, der ist der Größte im Himmelreich" und 23, 11: „Der Größte von euch soll euer Diener sein"; im Markusevangelium 9, 35: „Wenn einer der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und der Diener von allen sein" und im Lukasevangelium 9, 48: „Der unter euch allen der Kleinste ist, der ist groß". Wir sind ja der Sentenz von der Selbsterniedrigung und Selbsterhöhung nachgegangen und haben Jesu verschiedene Gedanken bei ihrer mehrmaligen Verwendung gesammelt. Ob er sie einmal hinter dem Gebot, Diener zu sein, wiederholt hat (Matth. 23,11 f.), blieb unsicher; daß er einmal ein der Hälfte von der Selbsterniedrigung ähnliches Wort (Matth. 18, 4) gesprochen, erschien uns vorhin unwahrscheinlich. Dieses Wort vom Niedrigsten gehört zu den von ihm überlieferten Kindersprüchen und auch seine Parallelen (Mark. 9, 35; Luk. 9, 48) fallen in ihren Bereich. Aber vielleicht sind eben diese drei Sprüche und Matth. 23, 11 nur Absenker der Überlieferung aus folgenden verwandten Sprüchen, Matth. 20,26f. und fast gleich Mark. 10,43f.: „Wer unter euch groß werden will, der soll euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein will, der soll euer Knecht sein" (Mark.: „der soll der Knecht von allen sein"); ferner Luk. 22, 26: „Der Größte unter euch werde wie der Jüngste und der Führende wie der Bedienende". Endlich gehört offenbar mit den Worten von der Selbsterniedrigung auf den letzten Platz und vom Ersten und Allerletzten zusammen Mark. 10, 31 = Matth. 19, 30 (vgl. 20, 16; Luk. 13, 30): r
) Blaß: der soll der Diener von allen sein, und wer der Erste sein will, der soll der Letzte von allen sein. Vgl. seine Textkrit. Bemerkungen zu Matthäus. 1900, 40.
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„Viele Erste werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten". Über dieses letzte Wort hat Pfleiderer1) bemerkt, in welchem Zusammenhang es ursprünglich gesprochen worden sei, könnten wir nicht mehr wissen, und Jülicher (II, 471), wer garantiere seine ursprüngliche Zusammengehörigkeit mit der Lohnfrage des Petrus? So vorsichtig muß man sich auch zu den andern aufgezählten Sprüchen stellen und nicht vertrauen, daß ihr Zusammenhang in den Evangelien Jesu Meinung sicherstelle. Wir fragen zuerst nach der Meinung der Evangelisten bei ihnen. Es ist einfach richtig, wie wieder Wellhausen Mark. 10, 31 auffaßt: „Nach dem Zusammenhang, in den er hier gestellt wird, bedeutet der Spruch von der Umkehrung der irdischen Bangverhältnisse im Eeiche Gottes vornehmlich: die Jünger, die auf Erden alles verloren haben, werden im Eeiche Gottes die Ersten sein." Wenn Joh. Weiß schreibt2), mit ihrer überschwenglichen Verheißung bilde die Perikope 10, 2 8 — 3 1 fast einen Kontrast zu den demütigenden und niederschlagenden Worten Jesu (wie 9,35. 10,14 f. 24 f.), so habe ich denselben Eindruck von ihr und zwar so stark, daß ich nicht einmal mit Weiß fortfahren möchte, erst durch das angehängte Wort v. 31 von den Ersten und Letzten werde die paränetische Stimmung des Jüngerteils hergestellt. Wenigstens gilt die Paränese hier nur den Eeichen — sie, die die Ersten bleiben wollen (v. 22), werden die Letzten sein — die Jünger aber empfangen gar nichts als Verheißung. Denn ich halte es für ganz unwahrscheinlich, daß der Evangelist bei den vielen Ersten an die Jünger denke, die jetzt freilich zu den Ersten gehörten, aber sehr nachdrücklich vor Überhebung gewarnt würden, da solche, auf die sie als auf Letzte verachtend herabsehen, ihnen zuvorkommen könnten.8) Ich finde, daß auch v. 31 nur Anerkennung der Jünger atmen soll und keine jetzt Letzten — etwa aus 9, 38 ff. — heraufbeschworen werden müssen, auf die sie verachtend herabsehen. Nach 9, 35 Das Urchristentum. 2. Aufl. I, 1902, 870. ) Das älteste Evangelium. S. 264. 3 ) So faßt besonders Haupt das Herrn wort auf, Die eschatologischeu Aussagen Jesu 1895, 9f.; Apostolat S. 28. 52. 2
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ist aber nur die Prädizierung als die Letzten eine Anerkennung, „die (jetzt) Ersten" hat danach gar keinen guten Klang. Unser Spruch scheint mir nicht diese Mahnung, der Letzte von allen zu sein, mit der Drohung an die Ersten fortsetzen zu sollen, daß viele Erste die Letzten sein werden, sondern er scheint mir aus einem andern Tone zu gehen. E r soll anerkennen, daß die Jünger ja teilweise die Bedingung erfüllt haben, unter der man zu den Ersten gehören wird: sie haben alles um Jesu und des Evangeliums willen fahren lassen und sind dadurch schon teilweise die Letzten geworden. Ich glaube also nicht, daß die Jünger 10, 31 irgendwie an das gemahnt werden sollen, was auch ihnen noch fehlt, nämlich nach 9, 33 ff. die „Unbekümmertheit um Rang und Größe" und die grenzenlose Dienstwilligkeit. Es ist aber auch „nicht notwendig" (Wellhausen), daß diese letztere Stelle auf Größe und Primat im zukünftigen Reiche Gottes geht. Denn 9, 35 ist „ein Ansatz" (Wellhausen) zu dem Ausspruch 10, 43 f., der ja mit seiner Umgebung so einzigartige Bedeutung hat. Auf die Erzählung, daß die beiden Zebedäussöhne um die Sitze neben Jesus in seiner Herrlichkeit baten und dadurch den Unwillen ihrer zehn Mitjünger erregten, folgt eine Belehrung Jesu über Größe und Primat. Es fragt sich, ob der Evangelist an die Größe und den Primat im zukünftigen Reich Gottes gedacht hat. Dafür spricht „in deiner Herrlichkeit" in jener Erzählung v. 37. In ihr „erkennt Jesus", wie Wellhausen schreibt, „stillschweigend Rangunterschiede im Reiche Gottes an und verweist den beiden Bewerbern ihren Wunsch nicht als Unding". E r fährt auch richtig fort, dann werde „das Versäumte in etwas nachgeholt, freilich ist nicht vom Reiche Gottes, sondern von der christlichen Gemeinde die Rede. Es soll darin keinen Streit um den Primat und um den Rang geben." Über den Wunsch nach den ersten Sitzen im Reiche Gottes findet sich allerdings in jener Erzählung höchstens die eine Andeutung v. 40, daß er eben nichts weiter als ein bloßer Wunsch sein kann, v/üv, nicht auf die ins zukünftige Reich Gottes hineingedachte. Die Meinung ist nicht: wer einstmals im Reiche Gottes groß werden will in eurem Kreise, der soll jetzt vor seinem Anbruch euer Diener sein. Dagegen scheint mir außer v. 40, wozu eignes Wollen des Primats im Reiche Gottes v. 44 nicht stimmen würde, v. 42 zu entscheiden. Hier ist das ägxetv xcöv ¿{hä>v und das Dastehen als fieydXog zeitlich nicht getrennt von dem xaraxvQtsveiv und xare^ovaiaCetv. Darin, daß die Fürsten der Völker und ihre Großen mit ihnen „als Herren schalten" und über sie „Gewalt ausüben" — so übersetzt Wellhausen gut — bringen sie ihre Größe und Herrscherstellung zum Ausdruck. Wer recht gewalttätig herrschen kann, kommt sich und andern groß vor. Demgemäß werden auch in der christlichen Gemeinde v. 43 f. Größe und Dienst, Primat und Knechtsstellung nicht als zeitlich auseinanderfallend gedacht sein. Aber mit dieser Größe und diesem Primat hat es eine eigentümliche Bewandtnis. B. Weiß sieht die Pointe des von Markus gebildeten Doppelspruchs darin, daß man die wahre Größe nicht im Herrschen, sondern im Dienen suchen soll. Mir scheint der Evangelist ganz anders über wahre Größe, über Größe in der christlichen Gemeinde und über das Suchen von Größe gedacht zu haben. Wahre Größe gibt es für ihn gewiß nur in der „künftigen W e l t " v. 30 f., „in Jesu Herrlichkeit" v. 37; man hat sie kraft göttlicher Bestimmung v. 40. In der christlichen Gemeinde, die sich von den Völkern (v. 42) total unterscheiden soll, soll man erstens nicht als Herr schalten, sondern als Diener walten. Dieses Dienen soll aber zweitens nicht Größe über andern, Vorrang, Primat erstreben, sondern das Suchen von Größe und Primat soll sich in Dienen verlieren, darin ersterben. Die Pointe des Doppelspruchs liegt gerade darin, daß gesuchte Größe in der christlichen Gemeinde überhaupt gar nicht vorkommen, sondern durch Knechtsdienst ganz ersetzt werden soll: nichts, auch das Dienen nicht, soll dahin gerichtet werden, daß man in der christlichen Gemeinde groß dastehe, größer denn andere, als der Erste. Das Dienen ist nicht als der Weg zur Größe in der christlichen GeT h i e m e , Die christliche Demut. I.
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meinde gedacht, sondern als der "Weg zur Kleinheit lind Niedrigkeit, auf die erst im Reiche Gottes Größe und Höhe folgen werden, die allein wahre Größe und ewige Höhe. Die Meinung ist nicht: wer groß werden will, soll es durch Dienen dazu bringen, sondern: wer groß werden will, soll durch Dienen darauf verzichten. Dies unsre Auffassung von Mark. 10, 43 f. Dann wird aber der Evangelist auch im Ansatz dazu, 9, 35, nicht das Streben, der Erste im Reiche Gottes zu sein, gemeint haben. Um die Ersten in der zukünftigen Welt handelt es sich nur 10, 31. Jene beiden anderen Stellen dagegen bekämpfen den Willen, in der christlichen Gemeinde der Erste zu sein. Gehen wir in der uns beschäftigenden Reihe von Herrnworten vom zweiten zum dritten Evangelium weiter, so finden wir in den Parallelen anderen Gedankengehalt. Die wichtigste ist die zu Mark. 10, 42 ff., nämlich Luk. 22, 25 ff. Hiernach sollen, während bei den Völkern die Größten herrschen, in der Jüngergemeinde Jesu der Größte und der Führer dienen. Zwar gilt, wer zu Tische liegt, als größer denn wer bedient. Aber zu bedenken und zu befolgen ist, daß trotzdem jedenfalls Jesus, der Allergrößte, inmitten seiner Jünger wie der Bedienende ist. Die zukünftige Erhöhung der Jünger in Jesu Reich wird nicht ausbleiben: sie werden seine Tischgenossen und Mitregenten sein. Diese Rede, erzählt Lukas v. 24, wurde herausgefordert durch einen Streit der Jünger darüber, wer von ihnen der Größte zu sein schiene, d. h. sich als der Größte bewähre. Auch hier ist nicht an den "Vorrang in dem v. 18 verheißenen Reiche Gottes gedacht9), sondern der strittige Vorrang fällt mit dem Dienst zeitlich zusammen. Mag nur das Herrschen, das zu Tische Liegen als Funktion des Größten gelten — in Jesu Jüngergemeinde sollen die größten und führenden Männer dienen, was Jesu Vorbild lehrt. Ich weiß nicht, ob es im Sinne des Evangelisten ist, die folgenden Worte Jesu an Petrus v. 31 f. mit dem Inhalt jener vorausgehenden Rede in Verbindung zu bringen: Petrus bevorzugt, der Führer, von Gott auf Jesu Gebet hin im Glauben er•) Gegen Hahn (zur Stelle) und Holtzmann (Hand-Commentar s411).
Jesu Mahnungen zur Demut vor Gott und in der Selbstbeurteilung.
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halten, sein Dienst die Stärkung seiner Brüder. Man wird sich wenigstens die Vorstellungen des Evangelisten von Größe und Führerrolle in der christlichen Gemeinde nach v. 32 denken dürfen. Nicht auf eigner Kraft beruhen sie, sondern auf Mächten wie Jesu Gebet und Erscheinung (24, 34), Gottes Schöpfung (einer Felsennatur 6, 14) und Erhaltung. Während Mark. 10, 43 f. ohne Reflexion auf so bedingte Größenunterschiede in der christlichen Gemeinde aus ihr alle selbstgesuchte Größe verbannt wird, wird Luk. 22, 26 f. mit gottverliehener Größe gerechnet und ihr das niedrige Dienen befohlen. Zu noch ganz anderer Größe auf himmlischen Thronen werden alle Jünger im künftigen Herrlichkeitsreiche Jesu erhöht werden (v. 30). Keinesfalls ist der „Papstspruch" v. 32 etwa als Jesu Entscheidung, wer von den Jüngern der Größte sei, gedacht. So ist ja auch der Streitpunkt v. 24 gar nicht formuliert, sondern entsprechend der Rede Jesu, die als Anweisung aufgefaßt ist, daß seine Jünger ihre Größe nicht in falschen Leistungen bewähren sollen. Herrscher allein scheint der Größte sein zu können; aber in Jesu Gemeinde soll sich der Größte nicht aufs Herrschen werfen, sondern aufs Bedienen. Denn Jesus, der ihr doch der Allergrößte zu sein scheint, war wie der Bedienende. Zu unsrer Stelle mit einem Wort wie: „Der Größte unter euch werde wie der Jüngste" scheint es kein Ansatz zu sein, was •9, 48 steht: „Der unter euch allen der Kleinste ist, der ist groß." Dort wird der Größe geboten, sich klein zu benehmen, hier wird ; ¿£ovo(av e%cov und nicht wie die Schriftgelehrten" — dafür, daß als das Gewaltige der Lehre Jesu nicht nur eine göttliche Begleiterscheinung, seine Macht über die unreinen Geister, galt, sondern auch ihr „inneres Wesen" (Wellhausen) selbst. Das ist auch Jesu eigenes Bewußtsein gewesen, ja „nicht wie die Schriftgelehrten" war ihm viel zuwenig — man braucht nur an „niemand kennt den Vater, als nur der Sohn" (Matth. 11, 27) zu denken. Nicht wie die Propheten, nicht wie Moses, nicht wie der Täufer lehrt Messiasgeheimnis S. 79.
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der Sohn. Und er fährt fort: „und wem ihn der Sohn will offenbaren". Damit hat er wohl am ehesten Herrscherrecht von sich ausgesagt — wenn auch kein selbständiges neben Gott, wie wir oben S. 148 f. zeigten. Aber er hat doch nicht mit Allmachtbewußtsein gepredigt und zu sich gerufen (Mark. 10, 23—27), hat „eben nicht für s e i n e Tätigkeit besondere Gesetze anerkannt", sondern überspannte Erwartungen auf ihn und seine Sache abgewehrt1). Obwohl er nicht wie die Propheten lehrt, muß es ihm wie den Propheten zumute sein: Matth. 23, 37 (Jerusalem, Jerusalem usw.) ist sicher seine Stimmung getroffen. Die Gedanken Matth. 16, 17 und Joh. 6, 37. 39. 44 f., daß das Kommen zum Sohne auf dem Offenbaren, Geben, Ziehen, Lehren des Vaters beruhe, können echt sein und jenes „wem ihn der Sohn will offenbaren" beschränken, das wie Allgewalt über die Unmündigen klingt. Entscheidet denn aber nicht gegen die Abrückung des Lehrens vom Heilen jenes „und den Armen wird das Evangelium gepredigt", das nach Holtzmann2) „auf der höchsten Sprosse der Matth. 11, 5 = Luk. 7, 22 gebauten Himmelsleiter steht"? Dies doch nur, wenn man wie Holtzmann3) wähnt, Jesus habe das Vorausgehende sinnbildlich von seinen geistigen Erfolgen gemeint, oder wie B. Weiß 4 ), er habe unter den Armen das ganze Volk verstanden, während er nur einzelne Blinde, Lahme usw. heilte. Richtiger denkt man bei den „Armen" an die Zöllner und Sünder, die Unmündigen, die Mühseligen und Beladenen Matth. 11, 19. 25. 285). Daß nun der Messias für die Armen und Elenden wirksam sein werde, stand im Jesaiabuch 11, 4: er wird ihnen R e c h t v e r s c h a f f e n . Jesus aber spielt nur auf das prophetische Programm 61, 1 an, das mit „den cuj? frohe B o t s c h a f t zu b r i n g e n " beginnt. Er hat sich damit gewiß nicht nur als bloßen Prophezeier auf die nahen Tage des Messias geben wollen, sondern seine Predigt des Reiches gerade an die „Armen" galt
1
) ) 3 ) 4 ) 6 ) 2
Jülicher zur Parabel vom Säemann, die Resignation atmet, II, 537 f„ Neutest. Theologie I, 229. 132. 279. Handkommentar »I, 66. Z. B. Leben Jesu 4 Ü, 7. Vgl. Joh. Weiß, Predigt Jesu 2S. 129—131.
Jesu Vorbild in der Demut des Dienens und seine Mahnungen dazu.
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ihm schon als ein irdisches Vorspiel desselben ). Aber das Evangelium unter die „Armen" zu tragen, mit ihnen zu essen, die Sünderin in seiner Nähe zu dulden (Luk. 7, 36 ff.), das erschien ihm doch wohl weniger messiasmäßig, als einen Schächer mit sich ins Paradies zu nehmen oder einen Armen von seinen Engeln in Abrahams Schoß tragen zu lassen, wohl auch weniger messiasmäßig, als Blinde sehend, Lahme gehend zu machen usw.2). Nur sagt Zahn (S. 420) sehr richtig, in den folgenden Worten v. 6: „Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert" liege, daß das bisherige Wirken Jesu, wie das Beispiel des Johannes zeigte, in der Tat darnach angetan sei, auch den Frommen einen Anstoß zu bereiten, der sie in die Gefahr des Straucheins bringt. Jesus selbst hat kraft all seiner religiösen Erlebnisse nicht daran gezweifelt, daß er der kommende Gottesmann sei und die Messiasherrschaft erben werde. Aber er selber wird den niedrigen Anfangscharakter ihrer Anfänge, seiner Krankenheilungen, meist sehr stark empfunden haben. Yolz fährt nach dem in der letzten Anmerkung mitgeteilten Satze fort, es heiße z. B. in den Bilderreden des Henoch: das Schwert haust unter den Königen vor dem Angesicht des Menschensohnes3), er erscheint und alles Böse verschwindet4). „Wenn der Messias eben wie im Henochbuch ganz als Überirdischer auftritt, dann mag ihm nicht mehr eine menschliche Armbewegung zugemutet werden." Geschah es denn bei Jesus ohne alle menschliche Anstrengung, daß die Blinden wieder sahen, die Lahmen gingen usw.? Noch Dalman (I, 258) hat es unter den Beweisen der übermenschlichen Hoheit Jesu mit aufgezählt, daß „er nicht Wunder tat durch Gebet, noch weniger durch Flüsterung von Zauberformeln mit Namen von *) Dem Messias selbst wird Heilsverkündigung zugewiesen in einigen von Dalman (I, 85 unten) angegebenen späteren jüdischen Stellen. 2 ) Nach Zahn (Ev. d. Matth.8 S. 419/20) hat man darin, daß Jesus Matth. 11, 5 alle aufgezählten ¡¡eya nicht als seine eigenen Taten, sondern als Vorkommnisse der Gegenwart und Zeichen der Zeit beschreibt, einen Ausdruck der demütigen, allem prahlerischen und lärmenden Auftreten, abholden Gesinnung Jesu zu erkennen. Das ist aber einfach die „Ausdrucksweise der Apokalyptik, die gerne in Passiven redet und ,Dinge geschehen' läßt statt Personen handeln", Volz, Jüdische Eschatologie. 1908, 201 unten. 3 ) 63, 11 edd. Flemming und Radermacher 1901, S. 84, 6 f. 4 ) 69, 27. 29, a. a. 0. S. 90, 5 fi. 12 ff.
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Gott, Engeln und Dämonen, sondern indem er den Gelähmten hieß, zu gehen, das taube Ohr, zu hören" usw. Aber der geschichtlichen Wirklichkeit wird die Auffassung näher kommen, die „mit dem schon in den Evangelien vorliegenden Vorurteil bricht, als sei Jesu wunderbare Heiltätigkeit ein müheloses Geschäft gewesen"1). Sie „stellte sich äußerlich als eine solche dienende ärztliche Tätigkeit dar, wie sie von den Pharisäern unter den Begriff einer am Sabbat unerlaubten Arbeit gestellt werden konnte". Auch Zahn (Ev. d. Matth.2 S. 34284) nennt „die unablässige Heiltätigkeit, insbesondere die Beschäftigung mit den Dämonischen, eine anstrengende Arbeit; denn das Sprechen des heilkräftigen "Wortes, welches ihm in der Regel als einziges Mittel diente, war nicht das Hersagen eines Zauberspruchs, sondern die Frucht eines die ganze Persönlichkeit erregenden Gebets" usw. Nicht als Lob er um seinetwillen die Anstrengung geflohen hätte, sondern weil sie seinem Hilfsbedürfnis Grenzen zog, wird sich Jesus nach der Art des Wunderwirkens gesehnt haben, die in der Eichtling von Psalm 33, 9; Matth. 8, 8 f. liegt. Wenn Matth. 12, 28 und Luk. 10,18 f. ein triumphierendes Herrschergefühl ausbricht, so können wir das nicht für kontinuierlich halten. Sogar die Antwort für den Täufer'2) endet v. 6 resigniert. Wir erledigen hier bei Matth. 11, 5 gleich eine für Jesu Dienerbewußtsein nicht unwichtige Frage. Sollte die Anspielung „den Armen wird das Evangelium gepredigt" nicht dafür sprechen, daß sich Jesus als den Gottesknecht des Jesaiabuchs fühlte? Zwar redet Jes. 61, 1, worauf angespielt wird, gar nicht dieser Gottesknecht, aber dies Prophetenwort nimmt doch in den vorausgehenden Worten 42, 1 auf, wo Gott seinen Knecht als Träger seines Geistes einführt. Feine3) hat es gegen Hollmann4) wieder wahrscheinlich gemacht, daß in dem Selbstbewußtsein Jesu der Ebed Jahwe eine gewisse Rolle spielte, der „mit den Abtrünnigen gerechnet ward" Luk. 22, 37. ») Titius I, 53f. Das Folgende bei Wendt, Lehre Jesu 2 S. 353 \ Vgl. auch oben S. 128 und zu dieser Frage Knur, Christus medicus? 1905. a ) Das Stück „Tote werden erweckt" muß ja nicht echt sein. Die Dämonenaustreibungen fehlen, über die Jesus sonst frohlockt. 8 ) Jesus Christus und Paulus. S. 107 ff. 4 ) Die Bedeutung des Todes Jesu. 1901, 85 f.
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„Den Armen wird das Evangelium gepredigt" — damit stimmt, was vom Gottesknecht geschrieben stand, er werde geknicktes Rohr nicht brechen und glimmenden Docht nicht auslöschen 42, 3, sondern den Müden aufhelfen 50, 4. Wir können nicht wissen, ob Jesus das Wirken des Gottesknechtes als das eines Propheten oder Thoralehrers oder als das eines Regenten aufgefaßt hat1), und ob er im letzten Falle 42, 2 sachlich ganz dasselbe gesagt fand wie Sach. 9, 9: nicht nach Art der weltlichen Fürsten werde der Ebed bei seinem Regieren auftreten, sondern still, bescheiden, friedlich2). Aber selbst wenn Jesus beim Gottesknecht k ö n i g l i c h e Hilfe für die Armen wie beim messianischen König 11, 4 gefunden hätte — jedenfalls war hier vor staunenswerter Erhöhung so leidensvolle Niedrigkeit geschildert, daß der Gottesknecht zu Jesu Selbstbewußtsein paßte. Verglichen mit dem, was er werden sollte, war das, was er jetzt auf Erden erlebte, derart, daß er sich in diesem alttestamentlichen Bild erkennen konnte. In Verfolg der Frage, ob Jesus sein Lehren und Predigen als Herrschaftsakt galt, sind wir auf Matth. 11, 5 f. und damit auf den niedrigen Anfangscharakter seiner Wunderherrschaft und seine Abhängigkeit vom Bild des jesaianischen Gottesknechts gekommen. Über diese wird man nur zweierlei vermuten dürfen, erstens, auf Grund der Anspielung „den Armen wird das Evangelium gepredigt" Matth. 11, 5, daß der Ebed Jahwe Jesus ein Typus seiner niedrigen Anfänge als Rabbi und Heilsprophet der „Armen" l
) Vgl. Sellin, Studien zur Entstehungsgeschichte der jüdischen Gemeinde usw. I. Der Knecht Gottes bei Deuterojesaja. 1901, 78 ff. a ) Sellin S. 86. — Jesaia 42, 1 ff. in Sellins Auslegung reizt zur Kombination mit Mark. 10, 42 ff. Vgl. S. 87: Hier sei von einem „Herrscher und Regenten die Eede, der tatsächlich die Macht hat, zu unterdrücken, zu brechen, auszulöschen. Er tut es aber nicht, er handelt nicht wie die weltlichen Tyrannen, wie die einstigen verweltlichten Obersten, Richter und Könige Israels . . . über die das Verdikt erging ,die Schwachen stärktet ihr nicht' usw. Ez. 34, 4 ff. . . . Das war's, was Israel, hinausgestoßen ins Exil, als die große Krankheit empfand, an der die Völkerwelt überhaupt litt, daß nur das Recht des Starken galt, daß ein Recht für die Schwachen nicht existierte". Ansprechende Gedanken über die Bedeutung von Ez. 34 für die Pflichtauffassung Jesu s. bei 0. Holtzmann, War Jesus Ekstatiker? 1903, 75. 123. 131.
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war. Mit Matth. 11, 27 ff. in der richtigen Auslegung berührt sich nicht nur Jes. 42, 2 f., das bei Matth. 12, 17 ff. wohl besonders auf jenen Lehrerruf 11, 28 ff. geht, sondern vor allem Jes. 50, 4, wonach Jahwe dem Ebed das Ohr weckt, auf ihn zu hören wie die Jünger auf den Lehrer, und ihm die Zunge der Jünger gibt, den Müden1) zugute. Zweitens läßt sich auf Grund des Zitats „und er ward mit den Abtrünnigen gerechnet" Luk. 22,37 im Wort vom Lösegeld Mark. 10, 45 b, wenn es echt ist, eine Bezugnahme Jesu auf Jes. 53, vgl. Feine a. a. 0. S. 109, (und Dan. 12, 3) vermuten. Könnte nicht einmal schon vor Jesus für D ^ Jes. 53, 10 NJp;© gesagt worden sein? Unwahrscheinlich scheint es uns dagegen, daß Jesus schon bei dem Wort über sein Dienen, Mark. 10,45 a, vom Bild des Ebed Jahwe abhängig gewesen sei. 29. Über dieses Wort: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, bedient zu werden, sondern zu bedienen" hat Kähler2) geurteilt: „Es ist nicht der Sklavendienst, es ist nicht die gedrückte, untergeordnete Stellung, welche es ausdrückt, sondern es ist das Dienen, wie es auch ein Herr treiben kann; es ist Dienen zum Frommen der andern." Das ist diejenige Ansicht über Jesu Auffassung des Dienens, zu welcher die unsrige in vollem Gegensatz steht. So wird aber von den Meisten das Dienen dem Helfen einfach gleichgesetzt, und umgekehrt scheint ein VJIEQ manchem zu genügen, um das Dienen zum Ausdruck zu bringen, vgl. Hollmann a. a. 0. S. 157 über das VJIBQ in den Kelchworten beim Abendmahl: „Nicht aus eigennützigen Motiven, sondern im Interesse anderer, um ihnen zu helfen — und helfen ist dienen — geht Jesus in den Tod." Aber so wenig wie für Jesus Herrschen gleich Knechten und Schinden sein kann, fallen ihm Dienen und Helfen zusammen. Das Dienen ist ihm vielmehr nur das Helfen in Niedrigkeit und Schwachheit, unterschieden vom Helfen in Macht und Herrlichkeit, „wie es auch ein Herr treiben kann", wie es zur Gottesherrschaft und zur Messiasherrschaft gehört. Vgl. Holtzmann, Hand-Commentar I, 1, "1901, 240: die xomcövzeg sind „nach Field geradezu Müde". 3 ) Dogmatische Zeitfragen. H, 1898, 166.
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Nach dem Referat des Lukas 22, 27 hat Jesus das Dienen dem zu Tische Liegen gegenübergestellt. Mag das echt sein oder nicht — jedenfalls wird Jesu Rede vom Dienen „ihren Anschauungsstoff aus dem Bilderkreis von Luk. 12, 37; 17, 8 beziehen"1): Sklaven sich zu Tische legen heißen und sie bedienen; einem Sklaven nicht befehlen: Leg' dich zu Tisch, sondern: Rüste meine Mahlzeit zu und bediene mich. Solches Dienen beobachtete Jesus bei den Gastmählern, an denen er teilnahm, er ließ es sich auch selbst von Simons Schwiegermutter (Mark. 1, 31) und Martha von Bethanien (Luk. 10, 40; Joh. 12, 2) gefallen. Er hatte Frauen im Gefolge, die ihn bedienten (Mark. 15,41; Luk. 8, 3). Auch seine Jünger werden ihm derartige Dienste gewidmet haben „Diese Art der Bedienung durch Sklaven, Kinder oder jüngere Genossen spielt eine größere Rolle, als man oft annimmt"2). Schlatter macht zu der Angabe, daß Jochanans Schüler Eleasar den Esel hinter ihm trieb, die Bemerkung8): „Empfängt der Jünger die Weisheit des Meisters, so dient er ihm dafür. Es hat seinen reellen Sinn, daß für die Studienzeit die Formel ,die Weisen bedienen' üblich war. tfstf ist die Parallele zu diaxoveiv.4) Vgl. Joh. 12, 26." Daß auch Jesus allerlei persönliche Dienstleistungen seiner Jünger und Begleiterinnen annahm, verträgt sich natürlich sogar mit den überlieferten Worten: er sei in ihrer Mitte wie der Bedienende, oder: er sei nicht gekommen, bedient zu werden, sondern zu bedienen, verträgt sich erst recht mit dem einfachen Gedanken, den wir meiner Meinung nach allein als sicher echt jenen Worten entnehmen dürfen: sein ganzes Auftreten und Wirken gleiche dem Dienen. Denn das Dienen ist ja doch, wie wir gleich ausführen werden, ein Bild des eigenartigen, zumeist geistlichen Wirkens Jesu an seinen Jüngern, wofür sie ihn dankbar Holtzmann, Hand-Commentar I, 1, 3411. ) So von Dobschütz (Die urchristl. Gemeinden. 1902, 269 vgl. 73. 88) zu Paulus — Onesimus, Philemon 18. 8 ) Jochanan ben Zakkai, der Zeitgenosse der Apostel. 1899, 18. 22 1 . Vgl. auch Schlatter, Jesu Demut S. 73: „Dem Babbi dient der Jünger ohne Murren auch mit den Dienstleistungen des Knechts" und Bousset, Belig. d. Judentums. 1903, 146 oben. 4 ) Auch Dalman retrovertiert so. 2
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IV. Kapitel.
bedienen im eigentlichen Sinne (vgl. 1. Kor. 9,11). Dieses Bedienen ist etwas zu Unwesentliches, als daß es sich nicht mit der Auffassung Jesu reimte, sein Wirken gleiche dem Dienen, das Bedientwerden, das zu Tische Liegen sei nicht sein F a l l E r hat sich gewiß über dankbare Bedienung gefreut, vgl. die Salbungsgeschichten, aber wenn er in einer Antithese wie bei Mark. 10, 45 das Bedientwerden negiert haben sollte, so würde er daran gedacht haben, daß er seinen Vater bitten könnte, ihm mehr als zwölf Legionen Engel bereitzustellen, Matth. 26, 53. Die Evangelisten, die Jesus schon in seinem irdischen Leben ausnahmsweise von Engeln bedient werden lassen, vgl. z. B. Mark. 1,13, antizipieren damit, was er selbst von seiner Zukunft glaubte, daß ihm als Messiasherrscher die Engel zu Diensten stehen würden. Der Kontrast seiner irdischen Gegenwart zu dieser himmlischen Zukunft veranlaßte Jesus, sein jetziges Werk dem Gegenteil der Herrschaft, dem Dienst zu vergleichen. Denn wir verwerfen die Ansicht, daß Jesus nur einmal am letzten Abend durch die Situation bei Tische darauf gekommen sei, sich als aufwartenden Diener hinzustellen. Das heißt die Überlieferung des Lukas 22, 24—27 überschätzen1). Wenn rftöev diaxovijoai Mark. 10, 45 eine allgemeine Berufsauffassung Jesu ausspricht, so dürfte daran echt sein, daß ihm der Vergleich seines Berufswirkens mit dem Dienen fortwährend nahe lag, seit er sich trotz seines hohen Messiasbewußtseins in die Selbsterniedrigung begeben hatte. Von dieser wurde Nr. 20 S. 124 ff. vorgeführt, wie er nicht rabbimäßig, sondern als ein „Letzter" auftrat, keine ärztliche Berühmtheit werden wollte und an eine politische Führerrolle nicht dachte. Dann bemerkten wir S. 143/4, daß er soviel als möglich auf eine gewisse Gleichstellung seiner Jünger mit ihm selbst bedacht war. Endlich stießen wir vorhin in Nr. 28 auf die Schranken seiner leiblichen und geistlichen Heilandswerke als Arzt und Armenprediger. Seine ärztliche Tätigkeit war kein *) In bezug auf die oben S. 175 über v. 27 aufgeworfene Frage bemerken wir, daß uns an Jesu Gesamtverhalten, nicht an ein einmaliges Tun gedacht zu sein scheint, vgl. B. Weiß (bei Meyer 0 1901, 638): „Auch Lukas, wenn er das Stück dieses Spruches wegen in das letzte Mahl Jesu versetzte, hat doch nur daran gedacht, daß diese Situation Jesu das Bild an die Hand gab", nicht an die Fußwaschung, nicht an das Aufwarten beim Abendmahl.
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müheloses Geschäft, sondern ein anstrengendes, ermüdendes „Bedienen" der Kranken im eigentlichen Sinne. Und was seine Hauptaufgabe anbelangt, die „neue Lehre", besonders für die Armen, wozu er „ausgegangen", gekommen war, so war sie trotz aller „Vollmacht" (Mark. 1, 27; 38) verglichen mit der erhofften Messiasherrschaft doch nur eine so niedrige Funktion, daß sich der künftige Messiasherrscher gerade wie ein Diener vorkam. Zwar daß er der Heiland gerade der Armen wurde, war nicht unmessianisch, aber er half ihnen noch nicht königlich wider Druck und Unrecht1), sondern schaffte ihnen nur innerliche Ruhe durch seine Lehre. Wenn also Mark. 10, 45 „der Menschensohn" und „Dienen" zusammengerückt sind, so scheint uns an dieser Kontrastierung richtig, daß es das Bewußtsein Jesu, der zukünftige Messiasherrscher zu sein, war, was ihn zu der Auffassung bestimmte, vorläufig gleiche er als bloßer Lehrer und Arzt einem „Diener". Die Voraussetzung davon, daß Jesus das Dienermäßige seines Verhaltens hervorheben und damit auf seine Jünger Eindruck machen konnte, war natürlich ein Gefühl von seiner Größe und Hoheit in ihm selbst und in seinen Jüngern. Den „Menschensohn" brauchte er nun freilich nicht gerade beim Hinweis auf sein Vorbild im „Dienen" zu markieren. Denn sein „Ich sogar" ließe sich verstehen, auch ohne daß in ihm und seinen Jüngern das Bewußtsein von seiner Messianität und ihrem Kontrast zu seiner Selbsterniedrigung vorausgesetzt würde. Hatte er ja mindestens daran schon Größe und Hoheit, daß er als der Herr und Meister seiner kleinen Herde dastand2), und kontrastierte ja dazu schon nach jüdischen Begriffen allerlei Dienermäßiges in seinem Verhalten. Aber Jesu Selbstvergleichung mit einem Diener aus seiner Selbsterniedrigung nicht als Rabbi, sondern als „der Menschensohn" zu erklären, dazu gibt uns doch ein exegetisches Recht weniger der Gebrauch dieses Titels bei Mark. 10, 45, als vielmehr der Zusammenhang von v. 45 mit *) Vgl. Liitgert, Die Liebe im Neuen Testament. 1905, 81. ) Vgl. Joh. 13, 13 f. und Dalman I, 270/1: „Ursprünglich war das in der Kede an und von Jesus gebrauchte HO, «pö nur die ehrfurchtsvolle Bezeichnung des Lehrers seitens der Schüler". s
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v. 37, an dem man nicht zu rütteln braucht. Jesus und seine Jünger hofften auf seine „Herrlichkeit". In ihrem Lichte, im Vorblick auf das, was er dereinst werden und wirken sollte, erschien ihm sein gegenwärtiges Sein und Wirken niedrig, schwach, beschränkt, gering an Erfolg, belastet mit aufhaltender Anstrengung, kurz nicht herrscher-, sondern dienermäßig, sklavenhaft. Man pflegt aus Mark. 10, 45 zu entnehmen, daß Jesus sein Sterben unter dem Kennzeichen des Dienens in eine Linie mit seinem Lebenswerk gestellt habe. Das Dienen faßt man da gleich Helfen, Eintreten für andere. Vor allem aber ist zu betonen, daß er sein Lebenswerk unter dem Kennzeichen des bloßen Dienens in eine Linie mit seinem Leiden gestellt hat. Fanden wir oben S. 174 die Ansicht, es sei Selbstüberwindung, was Jesus bei den Vorschriften von der Selbsterniedrigung und vom Dienen verlangt habe, so berührt sich damit unsre Auffassung, daß für Jesus als künftigen Herrscher sein gegenwärtiges, bloß dienermäßiges Wirken Selbstüberwindung und ein gewisses Leiden in sich schloß. Nur wenn man dies Leiden in Jesu „Dienen" mitfühlt, versteht man einen Fortschritt seiner Gedanken vom „Dienen" zum Sterben wie Mark. 10, 45. „Dienen" ist ihm Helfen in Niedrigkeit und Schwachheit und in — Leiden. Sein Dienen ist schon leidensvoll und seine Leiden sind Dienstakte. Also nicht daß das Dienen ein Helfen ist, sondern daß es etwas Niedriges ist, scheint uns für Jesu Verwendung dieses Begriffs charakteristisch und diese mit dem Kontrastgefühl des zukünftigen Herrschers genügend erklärt. An ihre Abhängigkeit vom Typus des jesaianischen Gottesknechts glauben wir nicht. Zahns oben S. 175 angeführter Satz dürfte zu weit gehen. Die Niedrigkeit des aktiven Dienens tritt in diesem Typus hinter der des Leidens für andere ganz zurück.1) Da das Dienen für Jesus etwas Niedriges ist, hat er es mit dem Herrsein nicht zusammen gedacht: das Wirken eines Herrn zu Nutz und Frommen der andern ist ihm nicht Dienen, sondern *) Nur Jes. 49, 4 fügt den Zug des Sichabarbeitens ins Bild des Ebed; vgl. übrigens Sellin a. a. 0. S. 101. — Über den Sinn des Bildes „Knecht Jahwes" im zweiten Jesaiabuch s. Duhm zu Jes. 41, 8, 2. Aufl. 1902, 271.
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helfendes Herrschen, „Richten" ( = Eegieren), dem dienermäßiges Helfen gegenübersteht. Das „Dienen" oder dienermäßige Helfen Jesu beleuchtet Kahler a. a. 0. S. 93 folgendermaßen: „Er war nie in großen Geschäften, sondern in unermüdlichem treuem Kleinbetrieb; und mir wenigstens tritt seine königliche Erhabenheit fast am meisten heraus, wenn ich sehe, wie er diesem Kleinbetriebe gewachsen bleibt, ohne Zerrissenheit, ohne Kleinlichkeit, ohne Kleinmut, denn eben dieser Kleinbetrieb ist so unendlich in den Ansprüchen an ihn, daß er seinen Gefährten selbst über seine Kräfte zu gehen schien" usw. Diese königliche Erhabenheit Jesu ruhte in der Gewißheit seiner großen Zukunft. Überwältigend ist aber auch die Größe und Herrlichkeit der Liebe, die er in diesen Kleinbetrieb mitbringt. Sie ist die Eine Seele seines „Dienstes", seines Verlangens nach der Herrschaft und dieser selbst. Wenn Dalman (I, 259) betont, daß zwar nach jüdischer Messianologie das Tun und Lassen des Messias während seines Vorlebens mit dem messianischen Berufe nichts zu tun hat, bei Jesus aber die Zeit vor dem Antritt der Herrschaft mit der eigentlichen Herrschaftsperiode organisch verbunden wird, so ist es offenbar vor allem die Herrlichkeit der Liebe Jesu, was bei ihm die Zeit seines „Dienstes" mit der Periode seiner Herrschaft organisch verbindet, was er erst in Niedrigkeit wie ein Diener darlebt und in der Gewißheit ausprägt, es dann als Herrscher in Macht und Herrlichkeit noch ganz anders betätigen zu können. Jesu Reich war nicht von dieser Welt; sonst würde er seine Diener für sich haben kämpfen lassen (Joh. 18, 36 f.). Aber er war dennoch ein „König", schon während er wie ein Diener wirkte — ein „König" in bildlichem Sinne, sofern er durch die Größe seiner Liebe alle überragte und eine wenn auch nur „kleine Herde" erwarb und gewann. Aber man muß sich hüten, in der Art von Titius 1 ) mit dieser bildlichen „Königsherrschaft" Jesu aus seinem dienermäßigen Erdenwirken ein Herrschen zu machen. Gerade Vgl. oben S. 177/8 und Titius' Satz a. a. 0. S. 133: „Dann liegt aber auf der Hand, daß Jesus durch seine dienende Liebe Herrschaft übt, indem er durch sie alle, über die zu herrschen er als Sohn Gottes das göttliche Recht hat, auch tatsächlich sich verpflichtet, so daß sie ihm. als dem Sohne Gottes, sich beugen."
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IV. Kapitel.
weil Jesus ein „König" der Liebe war, hat er das „Dienen" nicht glorifiziert, sondern Messiaskönig werden wollen, um die „Königsherrlichkeit" seiner Liebe in großer Macht und Herrlichkeit, in weltherrscherähnlicher Wohltätigkeit bewähren zu können. Allenthalben begegnet einem in der heutigen Theologie das Umwerten der tansivd im Lehen Jesu zu Majestätsakten. So bezeichnet Kunze1) als einen Fehler die Voraussetzung der alten lutherischen Christologen, daß das Leiden Christi und die Weltregierung ohne Beziehung aufeinander seien, ja im Grunde einander ausschlössen. Diese Ansicht sei verkehrt, ja geradezu widerchristlich. Man müsse Christus gerade auch in seinem Leiden und Sterben die Weitregierimg zuschreiben. Nicht der den Lazarus auferweckende, sondern der am Kreuze sterbende Christus sei es, der die Welt aus den Angeln hebt, der sie im höchsten Sinne des Wortes erhält und regiert. Solchen Quidproquos gegenüber möchte ich dringend um Reinhaltung der Begriffe flehen2). Deshalb, weil Christus in seiner Passion allem Wissen und Wollen der Welt zum Trotz an ihr und durch sie den Rat Gottes verwirklichte, darf man nicht sagen, er habe zumal in seinem Leiden und Sterben sich als der Welt mächtiger Gott erzeigt. Er war der Welt mächtig, sofern er Gebetsmacht über Gottes Allmacht hatte. Durch Verzicht auf diese Weltmächtigkeit — Matth. 26, 53 — machte er selbst sich ohnmächtig gegen seine Feinde. Obwohl er gerade dadurch, daß er sich von ihnen töten ließ, seinen Liebeszweck verwirklichte, kann man doch die durch seine Ohnmacht gegen die Welt möglichen Widerfahrnisse nicht als Ausübungen seiner weltbeherrschenden Macht begreifen. Wer erlaubt sich denn z. B., die Buße des Siegers von Kanossa einen königlichen Herrschaftsakt zu nennen? Die Liebe Jesu vermochte nicht nur das Hohe, Gottes Allmacht herabzubeten wider irdisches Leid, sondern auch das Niedrige, das Los eines Verbrechers zu leiden. Majestätisch hieran ist nicht das Leiden selbst, das Leidenmüssen, sondern der Wille der Liebe zum Leiden3). 1
) ) Begriffs ») a
Die ewige Gottheit Jesu Christi. 1904, 59. Sonst hat Kunzes Schrift gerade das Verdienst, auf Reinhaltung des der Gottheit (Christi) zu dringen. "Vgl. hierzu Schultz, Die Lehre von der Gottheit Christi. 1881, 292:
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Der sterbende Christus sei es, der die Welt im höchsten Sinne des Wortes erhält und regiert. Erst wenn man aus diesem Fall von „Weltregierung" abnähme, daß unter diesen Begriff auch die directiodessen falle, was die Welt dem Weltregenten selbst in seiner Ohnmacht antut, hielte man die Lehre von Christi Verhältnis zur Weltregierung mit der von Gottes Weltregierung in Übereinstimmung. Aber wer prägt in der letzteren Lehre patripassianische Paradoxien aus? Gott selbst, der einzig und allein die Welt im höchsten Sinne des Wortes erhält und regiert, kann nicht in solcher Ohnmacht gegen die Welt gedacht werden, wie sie Christus an sich herstellte, indem er auf seine Art von „Weltregierung", nämlich auf seine Gebetsmacht über den Weltregenten verzichtete. Die Liebe des allein wahrhaften Weltherrschers vermag nicht nur, seine Sonne aufgehen zu lassen über Böse und Gute, sondern auch sein größtes und liebstes Erzeugnis, den Sohn, qualvoll leiden und sterben zu lassen. Wenn dies „erniedrigend" ist für Gott, so ist es doch eine total andere „Erniedrigung" als die des leidenden und sterbenden Sohnes selbst. Doch wir werden auf das Problem des deus humilis wieder zurückkommen. In majestätischer Liebe hatte sich Jesus vor seinem unmajestätischen Leiden und Sterben auch schon willig dem niedrigen, unköniglichen Dienen unterzogen. jSeine Dienstwilligkeit und seine Freude auf die Herrschaft flössen beide aus seiner „königlichen" Liebe zu den Menschen. Nur daß er sich mehr für das Dienen als für das Herrschen begeistert habe, sollte sich niemand einreden. Aber seiner Regel gemäß: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden" hat er sich selbst niedrig wie ein Diener gemacht und gehofft, daß ihn Gott zum Messiasherrscher erhöhen werde. Damit haben wir die für unsere Untersuchung sehr wichtige Einsicht gewonnen, daß Jesus auch dadurch, daß er sich „Schlaf, Leiden und Tod sind nicht Großtaten der persönlichen Freiheit, sondern weltliche Leidenszustände, in und an w e l c h e n ja allerdings sittliche Großtaten offenbar werden können." l ) „Directio est actus providentiae gubernatricis, quo Deus creaturarum actiones . . . malas ad certum finem a se praestitutum . . . dirigit". Qaenstedt bei Schmid, Die Dogmatik der ev.-luth. Kirche. '1893, 131.
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jetzt wie ein Diener vorkam, Selbsterniedrigung von sich selbst bezeugte. Auf die obige (S. 87f.) Frage, ob in Jesu eigene Idee von der Selbsterniedrigung das „Dienen" hineingehört, ergibt sich also zunächst die Antwort, daß ihm sein eigenes irdisches, mit dem zukünftigen verglichen dienermäßiges — niedriges Wirken Selbsterniedrigung war. 30. Aber auch wenn er für das rechte Wirken seiner Jünger „Dienen" sagt, ist dies nicht einfach dem Helfen und Fördern gleich, sondern einem Helfen, womit Selbsterniedrigung verbunden ist. Sämtliche Mahnungen Jesu zum „Dienen" waren nach der Überlieferung an die Zwölfe gerichtet. Man wird davon bei ihrer Erklärung wenigstens ausgehen dürfen. Auch der erste Evangelist wird 23,11 zunächst auf diejenigen fia&t)Tai v. 1 bezogen haben, welche sich nach v. 8 nicht Rabbi nennen lassen sollen, und bei diesen wie schon Jesus selbst in erster Linie an die Zwölf gedacht haben. Gerade diese Spruchreihe Matth. 23, 8—12 dürfte uns den historisch wahrscheinlichsten Ausgangspunkt jener Mahnungen zeigen, wenn man noch einen solchen außer Jesu eigenem Dienerbewußtsein suchen will (vgl. Joh. 13,16). Die zwölf Schüler Jesu waren als seine Mitarbeiter und Fortsetzer seines Werkes Lehrer. Als solche hatten sie die Warnung vor der Titelsucht und ähnlichen Fehlern (v. 6 f.) der jüdischen Schriftgelehrten nötig. Die oben S. 185 erwähnte Sitte, „die Weisen zu bedienen", wird der Hintergrund von Jesu Mahnung sein, daß seine Jünger statt wie die jüdischen Weisen1) auf Bedienung Wert zu legen, vielmehr einander, ja ihren Schülern als Brüdern allerlei übliche persönliche Dienste willig leisten sollen. Eine Illustration liefert, was sich bei Schlatter, Jochanan S. 13 findet: „Immer öffnete Jochanan selbst seinen Jüngern die Tür, und: ,Niemals kam ihm ein Mensch zuvor im Gruß, nicht einmal ein Fremder auf dem Markt', b. berak 17 a. Das bildete ein absichtlich gepflegtes Gegengewicht gegen das hochgehobene Selbst*) Auf die Kontrastierung zu den Herrschern der Völker, vgl. oben S. 176, kam Jesus einmal durch die Vorstellung vom zukünftigen Thronen (Mark. 10, 37. 40) der gegenwärtigen Lehrer. — Weinels Herleitung des Dienerbildes aus einem einzelnen Vorkommnis, s. oben S. 175, wird seiner Bedeutung schwerlich gerecht.
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bewußtsein, das der ,Weise' aus seiner Kenntnis des Gesetzes zog." Ein damaliger Schriftgelehrter mochte solch Bedienen als eine Erniedrigung empfinden. Aber nicht nur das Bedienen im eigentlichen Sinne hat Jesus seinen Jüngern zugemutet, sondern auch das andere Wirken für die Brüder, das er von ihnen forderte, hat erniedrigende, dienermäßige Seiten. Wir führten oben S. 174/5 Wendts Ansicht vor, Jesus betone mit seiner Aufforderung zur dienenden Selbsterniedrigung „diejenige Richtung des Wollens und Verhaltens, welche den charakteristischen Bestand des rechten Liebens ausmacht:" — diese Worte kann ich mir aneignen, aber die folgenden genügen nicht mehr — „daß man nicht an sich selbst denkt, nicht auf die eigene Erhebung, Vergrößerung und Bereicherung bedacht ist, sondern vielmehr zu Gunsten des anderen wirkt, seinem Wohle sich dienstbar erweist und Opfer und Verzichte für ihn bringt". Die charakteristische Richtung der christlichen Bruderliebe ist damit nicht scharf genug getroffen, die Art ihrer. Dienstbarkeit, die Größe ihrer „Opfer und Verzichte" nicht ausgedrückt. Ist damit „das Dienen, wie es auch ein Herr treiben kann" (vgl. oben S. 184) überboten? Auch Herrmanns Konstruktion im Artikel „Demut" wird dem christlichen Nächstendienst nicht gerecht. Seine Niedrigkeit besteht nicht nur darin, daß „der Mensch für sich selbst nichts anderes sucht, als zum Mittel für etwas Höheres zu werden, also zu dienen", sondern daß die Selbstverleugnung bis zum dienermäßigen Dienen getrieben werden soll, ist erst das Charakteristische. Aber was ist denn dienermäßiges Dienen? Werfen wir einen Blick auf den aristotelischen fieyaAöy>v%os, jenes gern verglichene Idealbild, worin ein gewisses Dienen keineswegs fehlt Er ist im stände, ev noietv, weil das Wohltun ein Überragen bedeutet — ßovkeiai öe VJI£QE%EIV. Auch vnrjQezäv jiQcy&vficog gilt von ihm, aber er kann nicht ngog allov £fjv, sein Leben auf einen andern beziehen, außer auf einen Freund. Denn es wäre dovXixöv.2) Diese Schilderung erinnert daran, daß wohltätiges „Dienen"
s
Haucks Realenzyklopädie IV, 574, 4f.; 17 f.; 21 f.; 55; S. 575,5—12. ) Nikom. Ethik 1124 b, 9 f. 14. 18. 31 f.
T h i e m e , Die christliche Demut. I.
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gar nicht klein und niedrig zu machen braucht, sondern etwas Großes sein und den Willen, groß dazustehen, zu überragen, befriedigen kann. G-erade diesen Willen zu überragen schließt das von Jesus gemeinte Dienen gründlich aus. Von Schrenck1) betont, daß Jesus doch nicht knechtisches Verhalten gegen Höherstehende meine: „Jesu Jünger sind untereinander Brüder, keiner soll sich Meister nennen lassen (Matth. 23, 8). Auch die dienende Liebe wird also dem Gleichstehenden erwiesen." Noch richtiger ist es, aus Matth. 23, 8 ff. zu entnehmen, daß Jesus meint, sein Jünger solle mit Verleugnung aller eigenen Größe für Tieferstehende wirken, die er sich gleich stellt. Statt ihre Größe, daß sie die ersten, unmittelbaren, besonders unterrichteten Schüler Jesu waren, gebieterisch, rabbimäßig — vgL oben S. 56 Anm. — geltend zu machen, sollen die Zwölfe alle, die ihr Wort annehmen, als Schüler Jesu selbst brüderlich anerkennen.2) Solch brüderliches Lehrerwirken widersprach dem „Willen zu überragen", dem „Pathos der Distanz", womit die jüdischen Rabbis gewöhnlich allen ihren Schülern als solchen gegenüberstanden3), es mußte ihnen dienermäßig vorkommen. Weiter sollen die Jünger Jesu, wenn sie sein Lehrerwirken fortsetzen, gesetzlich Tiefstehende nicht geringschätzen, sondern wie er gerade die „Kleinen" rufen und lehren und gerade auch zu den „Kleinen, die da glauben" eine brüderliche Haltung einnehmen und unerschütterlich bewahren. Das bringt sie in dienermäßige Beziehungen. Denn bovhxöv findet es Aristoteles, auf J
) Jesus und seine Predigt. 1902, 107. ) Vgl. Weizsäcker, Das apost. Zeitalter 3 37: „Die Fortsetzung der Schule des Meisters im eigentlichen Sinne, so daß nun seine ersten Schüler selbst wieder als Gesetzlehrer Autoritäten wurden, ist aber durch eine sichere Tatsache ausgeschlossen. Es ist eine ganz bestimmte Erinnerung, daß das Wort des Meisters ihnen selbst eine solche Stellung verbot. Sie sollten sich eben dadurch von den Schriftgelehrten unterscheiden. Keiner von ihnen, auch der Hervorragendste nicht, durfte sich Meister, Lehrer und Herr nennen und mit dieser Anrede verehren lassen . . . Dadurch eben wurden alle, welche das Wort annahmen, ganz und gar nur die Schüler Jesus selbst; es war damit zugleich der Grundsatz der Gleichheit aller ausgesprochen" usw. a ) Vgl. Schürer, Geschichte des jüd. Volkes S H, 317. 2
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andere hin zu leben, außer auf Freunde. Vergleichen wir nicht sein ngog TLva £ijv mit Jesu Dienen, sondern nur die Zweckobjekte: dort würdige Freunde, hier — alle. Denn das ndvrwv in der Überlieferung auf S. 78 (s. auch S. 606) erhält Forderungen Jesu wie die zu Gunsten der Kleinen aufrecht. Es liegt dem /neyakdyjvxos zwar fern, die Niedrigen und Schwachen seine Größe und Stärke fühlen zu lassen. Denn sie zu überragen ist ja leicht, und ihn reizt nur das Schwere und Ehrenvolle (1124 b, 18—23). Aber er opfert nie etwas von seiner Überlegenheit ihnen gegenüber auf: er hält sie nicht wert, er sucht sie nicht zu heben, er duldet nichts von ihnen. Dagegen hat Jesus auf mannigfaltige Weise dafür gesorgt, daß für seine Jünger die „Kleinen" einen Nimbus haben. Er verlangt für sie Achtung, Förderung, Geduld in einem Grade, daß jenes dovhxöv gilt. Aovhxov machen den christlichen Nächstendienst auch jene harten Forderungen Jesu wie die: „Wer dich schlägt auf die rechte Wange, dem wende auch die andere hin", Matth. 5, 39. Es wird richtig bestritten1), daß es Jesus dabei auf die altruistische Absicht ankomme, den Schlagenden zu beschämen, zu bessern, zu gewinnen. Alles Gewicht liegt auf der Bereitwilligkeit, Unrecht zu leiden. Aber wenn auch Jesus einmal diese Gesinnung schon um ihrer selbst willen gefordert hat, so wird sie doch selbstverständlich nötigenfalls in die Nächstenliebe eingreifen müssen, die Jesus als eine vollkommene fordert. Dazu gehört, daß der Nächstendienst bis zu jener Selbsterniedrigung, auch die andere Wange darzubieten, getrieben wird. Es ist irrefahrend, wenn 0. Holtzmann sagt2): „Jesus ist so weit entfernt, in dem Sich-Beohrfeigen-Lassen etwas Entehrendes zu sehen, daß er vielmehr gerade hieran die Größe seines Jüngers feststellt." Jesus verwischt nicht den Unterschied zwischen Gottes Größe, seine Sonne aufgehen zu lassen über Böse und Gute, und jener Selbsterniedrigung seines Jüngers, die etwas Entehrendes ist und bleibt, mag auch gottähnliche Liebe dahinter stehen. Es gibt eben herrenmäßige Betätigungen der Feindesliebe und dienermäßige: bis zu diesen soll es der christliche Nächstendienst bringen. *) Vgl. z. B. Joh. Weiß, Predigt Jesu 2 150; Die Schriften des Neuen Testaments. I, 257. s ) War Jesus Ekstatiker? 1908, 79. 13*
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Man denke aber auch an die Matth. 5, 40—42 folgenden Vorschriften. Wenn die Bereitwilligkeit, auch den Mantel fahren zu lassen und zwei Meilen statt einer mitzugehen1), der Nächstenliebe des Jüngers Jesu zuwächst, so wird dieser im Nächstendienst durch die Art und Größe seiner Opfer und Verzichte so weit herunterkommen, daß er abgerissen und abgehetzt wie ein armseliger Sklave dasteht. Das Geschlagenwerden und die aufreibende Hetzerei kennt Jesus im Sklavenleben, Luk. 12, 45; 17, 7 f. "Wenn er seinen Jüngern das Dienen gebietet, so meint er auch eine Intensität ihres Nächstendienstes, die sie durch Selbstaufopferungen in sklavenhafte Besitz- und Arbeitsverhältnisse herabdrückt. Jesu Eede vom Dienen seiner Jünger wird nach alledem zunächst auf das Bedienen im eigentlichen Sinne gehen, dann aber bildlich auf das dienermäßige Wirken für die andern, d. h. darauf, daß seine Jünger allen als Brüdern förderlich sein sollen, mit Verleugnung aller eigenen Höhe über ihnen, mit Bereitwilligkeit zu erniedrigenden Beziehungen und Lebensverhältnissen. Durch das Bild des Dienens wird das Moment der Erniedrigung ins altruistische Wirken hineingelegt: der Jünger Jesu widmet sich allen, auch den Niedrigsten, auch denen, die ihn erniedrigen; er widmet sich ihnen als Brüdern, ohne sie unter sich, sich über ihnen zu halten; er widmet sich ihnen bis zu tiefster Selbsterniedrigung. Also wie in bezug auf sich selbst, so scheint uns Jesus auch in bezug auf seine Jünger mit dem Dienen die Selbsterniedrigung zu betonen, die für sein und der Seinen Liebeswirken charakteristisch ist. Wir vermitteln zwischen der Ansicht, daß Jesus mit dem Dienen einfach das liebevolle Wirken für andere fordere, und der Ansicht, daß er damit nur die Selbsterniedrigung an sich vorschreibe, ohne ihre altruistische Absicht mit zu meinen. Er greift nach dem Begriff allerdings um der Selbsterniedrigung willen, kann ihn aber nur gebrauchen, weil er auch altruistischen .Gehalt hat. Jesu Interesse an diesem beweisen die Meisten aus der Ent-1) Tgl. auch Bischoff, Jesus und die Rabbinen. 1905, 61: „Einen Israeliten, zumal einen Thorakundigen, in solcher Weise zur Begleitung- zu nötigen,, galt als E r n i e d r i g u n g des Genötigten".
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gegensetzung zu dem egoistischen, inhumanen, gewalttätigen Herrschen der Völkerfürsten. Aber xaxaxvqieveiv und xaxe^ovoiäCeiv bei Mark. 10, 42 == Matth. 20, 25 könnten ja den Gedanken Jesu verschieben. Er kann auch nur gemeint haben, wie Luk. 22,25 verstanden werden kann, daß die Könige der Völker in Herrscherhöhe über ihnen schweben, ohne sie als Völkerschinder hinzustellen. Bei Lukas fehlt ja auch das Wort vom Lösegeld, das Mark. 10, 45 auf diaxovrjoai rückwirkend dies als altruistisch gemeint erscheinen läßt. Man sieht, daß die allgemeine Ansicht, Jesus habe in dieser Rede dem gewalttätigen Egoismus im Völkerleben die wohltätige Liebe als Grundgesetz seines Reiches entgegengestellt, nicht unerschütterlich in der Überlieferung der Rede fundamentiert ist. Kommt ja doch noch hinzu, daß die Betonung der Tyrannei im Völkerleben bei Markus und Matth, gar nicht gut zu dem Anlaß paßt, den die Rede gerade nach diesen beiden Evangelisten gehabt haben soll, und der viel größere historische Wahrscheinlichkeit hat als die lukanische Verlegung der Rede ins letzte Mahl.1) War es denn die Neigung, andere zu vergewaltigen, auf die Jesus in der Bitte der Zebedäussöhne und im Unwillen der Zehn über diese Bitte stieß? War es nicht einfach die Sucht, andere zu überragen, hoch und herrlich über ihnen dazustehen, der Jesus vorhielt, daß zwar die Herrscher der Völker die allerhöchsten Herren zu spielen pflegen, die Seinigen aber sich zu Dienern erniedrigen sollen? Es ist sehr wohl möglich, daß Jesus nicht die Härte, sondern nur den Herrscherstolz hier verurteilte, so daß sich für das Dienen aus seinem Gegensatz die Identität mit dem Wohltun nicht ergibt.9) 1
) Die geschichtliche Verknüpfung von Mark. 10, 35—40 und v. 42—45 durch y. 41 ist allerdings nicht über jede Anzweifelung erhaben. Daß Lukas die Perikope von den Zebedäussöhnen hat fallen lassen, ist sehr rätselhaft. Am besten scheint mir immer noch Wernles (syn. Frage S. 17) Erklärung, es sei aus christologischen Bedenken gegen Mark. 10, 40 geschehen. -) Auf oi ¿¡ovoid(ovrss UVTÖIV evsgyizai xaXovvrcu Luk. 22, 25 wage ich nichts zu bauen. Hat Jesus an diese Betitelung erinnert, um dagegen geltend zu machen, bei den Jüngern brauche es, um Wohltäter der Gemeinschaft zu sein, keiner Machthaberschaft (so Hofmann zur Stelle 1878, 524), so wäre ja das W o h l t u n durch Dienen sein Gedanke. Aber nach meinem Gefühl sind die Worte eine Arabeske des Lukas.
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Dafür, daß Jesus beim Dienen nicht nur an die Niedergesinntheit, sondern auch an die Liebe dachte, will ich also vorläufig nur den Gesamteindruck, den Jesus als „Diener" machte, aufbieten. Schaut man auf ihn selbst, so versinkt der Gedanke an eine solche Selbsterniedrigung, die man asketisch bloß um ihrer selbst willen übte, ohne daß sie jemandem zugute käme. Ich möchte auf W. Brandt über „die Liebe Jesu" verweisen 1 ): „Der Täufer war ein strenger Mann, ein Bußprediger und ein A s k e t . . . Gewißlich wollte er der Leute Bestes, doch hat man ihn nicht der Zöllner und der Sünder Freund geheißen. Ein Auftreten wie das seinige . . . kennzeichnet doch mehr einen Diener Gottes denn einen Erbarmer, sein tiefster Grund ist nicht Mitgefühl . . . So glaubt ihm die Menge, so ist sie bereit, ihm zu folgen, — nur daß man ihn auch g e l i e b t hätte, ist nicht gesagt und ist auch nicht wahrscheinlich. J e s u s hat ebenfalls für einen Propheten gegolten, jedoch nicht in so weitem Kreise . . . dafür aber wissen wir, daß er g e l i e b t wurde. Frauen haben ihm gedient, auf seinen Wanderungen ihn versorgt . . . Hier ist ohne das Motiv der Liebe nicht auszukommen: jene Liebe, die Jesus erfahren hat, ist Gegenliebe gewesen." Verglich sich Jesus mit einem Diener, so fühlte er sich nicht als Heros, der vor Himmel und Menschen ein erhabenes Schauspiel der Selbsterniedrigung aufführt, sondern tat mit diesem Vergleich seiner niedergesinnten Liebe genug, sofern sie sich jetzt in die Selbsterniedrigung zu niedrigem Sein und Wirken willig fand. Seine Liebe, die sie selbst erfahren, konnten auch seine Jünger bei diesem Vergleich nicht vergessen, und wenn er ihnen das Dienen vorlebte und vorschrieb, konnten sie ihn nicht so mißverstehen, als ob sie ihm Selbsterniedrigung ohne Liebe ablernen sollten. 31. Nachdem wir Jesu Gedanken über sein eigenes Dienen und das Dienen seiner Jünger behandelt haben, müssen wir schließlich untersuchen, wie sich nach ihm selbst der Dienst, der niedrig und klein macht, und die Größe, das Großsein und das Großwerden, zueinander verhalten. Da ihm das Dienen unter die Selbsterniedrigung fällt, wird es nach seiner Regel: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird er1
) Die evangelische Geschichte usw. 1893, 461 f.
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höht werden" zukünftige Größe zur Folge haben, zu der Gott erhöhen wird. Gewiß hat Jesus diese zukünftige Größe im zukünftigen Himmelreich nicht nur als etwas verheißen, das Gott verleihen wird, ohne daß man es selbst erstreben dürfte, sondern er mag wirklich gemahnt habenJ): Trachtet aus Kleinem (worein ihr euch jetzt begeben sollt, künftig) emporzuwachsen, statt aus Größerem (wonach ihr jetzt geizt, künftig) geringer gemacht zu werden. Jeder in der kleinen Herde darf danach trachten, daß auch er einst teilhabe an ihrer Herrschergröße. Aber daß Jesus in den einzelnen Jüngern den Willen, einander irgendwie und -wann an Größe zu überragen, und den Willen zum Primat über den andern aufgeweckt hätte, kann ich nicht glauben. Wenn mir die wesentliche Ursprünglichkeit der Worte Mark. 10, 43f.: „Wer da w i l l groß werden unter euch" usw. ganz sicher verbürgt wäre, würde ich etwas wie Ironie darin vermuten. Friedrich Paulsen schreibt2): „So ist das innere Verhältnis Jesu zu den irdischen Dingen ein Verhältnis erhabener Gleichgültigkeit, ,heiliger Indifferenz'. Tritt er damit der Selbstgewißheit gegenüber, womit die Menschen und vor allem die Reichen und Großen diese Dinge als die absolut wichtigen und großen nehmen und behandeln, so entsteht notwendig die ironische Stimmung; sie bildet, meine ich, einen Einschlag aller seiner Äußerungen über weltliche Angelegenheiten." Nichts fordert bekanntlich mehr die ironische Stimmung heraus, als wenn die Menschen und vor allem die Großen die Rangfragen als die absolut wichtigen und großen nehmen und behandeln — es ist schade, daß Paulsen Jesu Protest gegen die Streberei nach Vorrang, Titeln, Größe, Primat nicht berücksichtigt hat. Nun scheinen mir Sprüche wie „der Größte unter euch werde wie der Jüngste und der Führende wie der Dienende" (Luk. 22, 26) mehr den Charakter strenger, herber Mahnung zu haben. Aber wenn Jesus gesagt hat: „Wer da will groß werden unter euch, der soll euer Diener sein, und wer da will von euch der Erste werden, der soll der Knecht von allen sein" (Mark. 10, 43 f.), so scheint es mir schwer zu verkennen, daß er dem Willen zur Größe über *) Vgl. oben S. 46 a . ) Das Ironische in Jesu Stellung und Kede. Anhang zu „Schopenhauer. Hamlet. Mephistopheles." 1900, 255. 2
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andern nicht ohne einen Anflug von göttlichem Spott verordnete, sich ihnen dienend zu erniedrigen. Ich möchte jedenfalls so viel behaupten, daß Jesus jedes Streben, die Brüder in irgend etwas an Größe zu überragen, unendlich klein fand — allzumenschlich! Man darf sich nicht durch so eindrucksvolle Bemerkungen wie die Zahns1) einnehmen lassen: „So gewiß die Forderung, daß jeder Jünger ein diäxovog und dovlos des anderen sei, ernstlich gemeint ist, enthält auch die in dem zweimaligen og sdv Mlrj ausgesprochene Voraussetzung eine Anerkennung des Strebens, ein Großer und Erster im Reich zu werden. An Stelle des mit Mißgunst gepaarten Ehrgeizes soll nicht die selbstzufriedene und träge Mittelmäßigkeit, sondern ein edler Wettstreit treten. Resignation ist nicht das letzte Wort des Evangeliums vom Reich; aber der W e g zu dem herrlichen Ziel, welches das Evangelium den Frommen steckt, ist selbstverleugnender Dienst, Selbsterniedrigung bis zur Stellung des Sklaven, der kaum einen eigenen Willen hat." Ich bezweifle nicht, daß Zahn die Kindersprüche Matth. 18, 3 f. für echt hält. Am Schluß ihrer Auslegung sagt er S. 566: „Wer sich nicht überhebt und nicht danach strebt, groß zu sein, der ist allemal der Größere im Himmelreich." Nur dies scheint mir Jesu ernstliche Meinung zu sein. Ist dort Matth. 18, 3 nur Umkehr von dem mit Mißgunst gepaarten Ehrgeiz gefordert? Edel fand Jesus gewiß nur den Wettstreit, daß der eine den andern im gegenseitigen Dienen zu übertreffen trachtet, ohne damit den andern oder einen dritten an Geltung und zukünftiger Größe übertreffen zu wollen. Jesu Moral heißt freilich nicht „werdet mittelmäßig"2), wohl aber, „werdet zufrieden mit dem, was euch bereitet ist" (Mark. 10, 40). Resignation ist insofern das letzte Wort des Evangeliums vom Reich, als es das „Pathos der Distanz" 3 ) ausrottet. Auch Jülicher (II, 467) meint: „Die Monotonie des jeder wie J) 2)
Evangelium des Matthäus. 2 S. 603.
Vgl. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Nr. 262. Nietzsche, vgl. z. B. in dem Satz gegen das Dienen, „Zur Genealogie der Moral", 3. Abhandlung Nr. 14: „Das Höhere s o l l sich nicht zum Werkzeug des Niedrigeren herabwürdigen, das Pathos der Distanz s o l l in alle Ewigkeit auch die Aufgaben auseinanderhalten!" s)
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der andere ist sicher auch für die Vollendungszeit nicht das Ideal eines Mannes von so hohem Kraftgefühl wie Jesus gewesen." Hierzu bedarf es nur der Bemerkung, daß mit dem Hinweis auf Jesu Kraftgefühl nicht gemeint sein darf, er habe die Kräfte zum Wettstreit um zukünftigen Vorrang aufgerufen, sondern nur, daß er an eine Vielförmigkeit des ewigen Lebens geglaubt hat, die durch das Maß der von Gott bereiteten Kraft und ihres Gebrauchs bedingt ist. Denn dies, daß Jesus Kangund Größenunterschiede im Himmelreich angenommen hat, ist allerdings sicher1), so daß ovrög sanv 6 fiei£tov sv xfj ßaadsiarmv ovQavwv Matth. 18, 4 b eine echte Vorstellung Jesu enthält. Wir haben ja schon mehrmals im zweiten Kapitel erklärt, daß die Sprüche Matth. 18, 3 f. ihrem Gedankengehalt nach — Umkehr zur Selbsterniedrigung sei an der Zeit und ihr Grad bestimme die zukünftige Größe — echt sein könnten. Aber natürlich involviert der Gedanke: „je niedriger jetzt, um so größer einst" nicht eine Anerkennung desjenigen Wettstreits in der Selbsterniedrigung, welcher aus der Absicht hervorgeht, größer als die andern und der Erste im Eeich zu werden. Ich glaube, daß Jesus eine t o t a l e Umkehr von jedem Wege, auf dem Größe über den Brüdern und Primat erstrebt wird, gefordert und nicht nur diesem Streben einen neuen Weg, den der Selbsterniedrigung, vorgeschrieben hat. Er hat zur Selbsterniedrigung gewiß auch gerechnet, daß man sie nicht in der Absicht betreibt und steigert, dereinst um so größer über andern dazustehen. Er freut sich natürlich, daß er seinen Jüngern, die sich jetzt um seinetwillen so weit erniedrigt haben, die Letzten zu werden (vgl. oben S. 86), verheißen kann, daß sie dafür in der künftigen Welt gerade die Ersten sein werden, seine Tischgenossen und Mitherrscher. Er widerspricht auch nicht der Erwartung der Zebedäussöhne, daß es in seiner Herrlichkeit selbst unter seinen Aposteln einen Rangunterschied geben werde, aber klingt seine Antwort auf ihre Bitte um den Primat danach, daß er gleich darauf oder auch nur irgend ein andermal (vgl. oben S. 197 ^ unter den Zwölfen einen Wettstreit um den Primat angeregt habe? Nur bis dahin läßt Jesus die Gedanken seiner ') S. Haupt, Die eschatologischen Aussagen Jesu S. 98; Zahn, Ev. des Matth.2 S. 217 und vgl. Dalman I, 93; Volz, Jüdische Eschatologie 1903, 366.
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IV. KapiteJ.
Jünger gehen, daß ihre Stellung im Himmelreich verschieden sein wird. Aber nicht weiter! Denn sein eigenes Wissen und Vermögen reicht nicht weiter. Beim Vater allein steht die Bestimmung der Ersten im Reich. Sollte es sich mit Jesu Frömmigkeit vertragen haben, dann noch weiter über das Streben nach jener Würde, und zwar anerkennend, anfeuernd, zu reden? Wir haben jetzt in Auseinandersetzung mit Zahn erwogen, ob Jesus das Dienen als Weg zur Größe über andern im zukünftigen Himmelreich angegeben habe. Nun sahen wir ja aber S. 80/1 und S. 85, daß Mark. 10, 43 f. = Matth. 20, 26 f. vielmehr an Größe und Primat in der irdischen Christengemeinde gedacht sein wird. Auch Jesus hat natürlich nicht nur den Willen, einander dereinst im Himmelreich zu überragen, durchs Dienstgebot heilen wollen, sondern auch den Willen, schon gegenwärtig in der „kleinen Herde" größer als andere zu sein. Das Streben der jüdischen Schriftgelehrten, sich durch Inanspruchnahme von Ehrenplätzen, Begrüßungen, hohen Titeln über ihre Schüler und das Volk zu erhöhen, mag der dauernde Anlaß für Jesus gewesen sein, seine Jünger zur Selbsterniedrigung, insbesondere zur Selbsterniedrigung des Dienens zu mahnen. Als ihm nun einmal die Sucht der Zebedäussöhne und der Zehn, einander im Himmelreich zu überragen, entgegentrat, da mag er sich zu einer prinzipiellen, seine eigene dienermäßige Haltung ins Feld führenden Bekämpfung jeder Sucht, einander irgendwo und irgendwann zu überragen, veranlaßt gesehen haben. Den Eindruck einer prinzipiellen Belehrung erweckt gleich der Anfang seiner Rede: der zumeist durch sein eignes Herrscherwerden ihm nahegelegte Blick aufs entgegengesetzte Prinzip, auf den Herrscherstolz im Völkerleben. Diesem soll in der kleinen Herde die Willigkeit zu niedrigem Dienen gegenüberstehen, womit man aber nicht etwa irgendwelche Größe über den Mitjüngern beabsichtigen darf. Diese Absicht wäre eine Annäherung an jenen Herrscherstolz. Das Streben, dereinst in der Reichsherrlichkeit andere zu überglänzen, war schon in der Antwort an die Zebedäussöhne als unsinnig gerichtet (Mark. 10, 40). In der weiter nötigen prinzipiellen Belehrung mag Jesus auch den seinen Jüngern gewiß nicht fernliegenden Willen, schon jetzt in der Gegenwart einander an Rang zu übersteigen, angepackt haben.
Jesu Vorbild in der Demut des Dienens und seine Mahnungen dazu.
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Wie weit war doch Jesus nach meinem Gefühl davon entfernt, den Satz aufzurichten, „daß derjenige am meisten herrscht, welcher am meisten dient und durch Umfang und Gehalt seiner Dienstleistung allen unentbehrlich wird", den Wink zu geben, daß „wer am höchsten hinaufsteigen will, am tiefsten herabsteigen muß".1) Der Ehrgeiz seiner Jünger regte ihn wahrlich nicht dazu an, ihnen eine weittragende, umfassende Wirksamkeit fürs allgemeine Beste vorzumalen, bei der sie Größe und Primat einheimsen könnten, sondern vielmehr zu einer bescheidenen, niedrigen Dienertätigkeit sollen sie sich überwinden, bei der ihnen alle heimliche Ehrsucht vergehen soll. Es ist etwas Richtiges an der Meinung, daß die eigentlich soziale Nuance fehle. Es fehlt zwar nicht der Gedanke an die Liebe zu denjenigen, welchen man dient, wohl aber eine universalistische Betrachtungsweise des Dienens als einer unentbehrlichen Leistung für die Gesellschaft. Man wird nicht wie 0. Holtzmann2) sich ausdrücken dürfen: „Die Großen werden die Diener der Gemeins c h a f t sein, und die Ersten werden als Knechte aller anderen dastehen, d. h. der Einzelne wird so hoch gestellt sein, als er der G e s a m t h e i t förderlich ist." Wir wiederholen (vgl. oben S. 60 6 ) vielmehr, daß man „Knecht (Diener) von allen" Mark. 10, 44; 9,35 aus Jesu Sorge für die K l e i n e n wird erklären müssen. Wie sich nun aber im Matthäus-Evangelium neben 20, 26 f., wo all und jeder Wille zur Größe über andern verboten wird, 23,11 findet, wo ein Größter unter den Jüngern vorausgesetzt wird, so mag auch Jesus selbst zwar jenem Willen feind gewesen sein, aber daneben gewisse Größenunterschiede unter seinen Jüngern nicht ignoriert haben. Die „Monotonie des jeder wie der andere" (vgl. oben S. 200/1) für irgend eine Zeit durchzusetzen hätte sich nicht mit seinem frommen Sinn für das Wirkliche, wie es von Gott kommt, vertragen. Die Echtheit des Wortes vom Führer Luk. 22, 26 bleibe dahingestellt — aber, daß auch im Kreise seiner Jünger der Unterschied zwischen Führer und Geführten nach seinem Tode gleich da sein werde, ja jetzt schon da sei, hat Jesus gewiß einfach hingenommen. Wellhausen sagt von ihm, er sei „kein Woller, kein Umstürzer und Gründer" *) So Holtzmann, Neutestamentliche Theol. I, 177. 8 ) Leben Jesu. S. 303; vgl. „War Jesus Ekstatiker?" S. 5.
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IV. Kapitel. 1
gewesen. ) Daß Petrus der Erste wurde, oder daß er und die Zebedäussöhne Jesus als seine Vertrauten näher traten, machte sich ungewollt, von selbst, er brauchte da nichts zu gründen, sondern nur geschehen zu lassen und zu pflegen (Luk. 22, 32 a). Er stürzte die Regel nicht um, daß in jeder Gesellschaft die Kraftunterschiede zu Größen- und Rangunterschieden führen. Er forderte nur die „brüderliche" Gleichheit, daß jeder unmittelbar zu ihm selbst und nicht zu einem „Bruder" als Lehrmeister aufschaue, daß jeder den ehrgeizigen Willen zur Größe über andern „Brüdern" verleugne, und daß die zur Größe Berufenen sich zu Dienern auch der kleinsten „Brüder" hergäben (Luk. 22, 32 b). Die Behauptung H. Holtzmanns2): „Erinnerungen wie Mc 9, 35; Lc 9, 48; 22, 26 und Mc 10, 35—41; Mt 20, 20—24 schließen vollends jeden Gedanken an den Primat irgend eines Jüngers aus" erscheint mir unbegründet8). Die Überlieferung vom Primat des Petrus in der Urgemeinde stimmt mit dem Größenbegriff Matth. 23 und Luk. 22, der gerade einem Großen wie Jesus neben seiner großen Verachtung kleinlicher Großmannssucht zuzutrauen ist.
Die Z u s a m m e n f a s s u n g dieses Kapitels über Jesu Vorbild in der Demut des Dienens und seine Mahnungen dazu beginnen wir mit der Erledigung der auf S. 66, S. 78 und S. 175 berührten Dublettenfrage. "Was Matth. 23,11 anbelangt, so schien uns dieser Ausspruch schon S. 56 f. und S. 87 f. echt zu sein und in einem echten Zusammenhange zu stehen. Dies ist durch das soeben S. 203/4 Ausgeführte und durch den Nachweis dieses ganzen Kapitels bestätigt worden, daß Jesus mit dem Dienen etwas Niedriges meinte (vgl. S. 87/8. 88 Mitte). Matth. 23, 11 wird keine Überlieferungsdublette zur Hauptrede vom Dienen (Matth. 20, Mark. 10, Luk. 22) sein. Ebenso möchten wir aber auch über Mark. 9, 35 urteilen (vgl. S. 66. 78). Dieses "Wort ist fast identisch mit Mark. 10, *) Israel, und jüd. Geschichte 6 388. •) Bibelwörterbuch ed. Gutlie 1903, 509. 3 ) Ebenso die Argumentation bei Grill, Der Primat des Petrus. 1904, 43/4.
Jesu Vorbild in der Demut des Dienens und seine Mahnungen dazu.
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43 b. 44. Ist es ebenfalls echt, so hat Jesus dreimal, bei dem Titelverbot Matth. 23 und bei den beiden Rangstreiten Mark. 9 und 10, das gleiche Gebot gegeben, sein Jünger solle „Diener" der andern sein. Was er mit diesem Bilde gebot, lag ihm gewiß so sehr am Herzen, daß er es wahrscheinlich noch öfter damit seinen Jüngern tief einprägte (vgl. 8. 45 Mitte). Die altruistische Niedergesinntheit oder die Willigkeit der allgemeinen Bruderliebe zur Selbsterniedrigung war es, was Jesus mit dem Dienerbild am plastischsten als Ideal aufstellte. Er fordert damit von der für die anderen wirkenden Liebe, daß sie hierbei ohne jeden Ehrgeiz allen, auch den Niedrigsten, als Brüdern gegenüber zu Niedrigem bereit sei. Die Willigkeit zu irgendwie niedrigem Wirken ist das Charakteristische der Menschenliebe in der Christenheit: sie ist es, die den Christen zu einem „Diener" seiner Mitmenschen macht (S. 193). Diese spezifische Leistung der Liebe schrieb aber Jesus demgemäß vor, daß er selbst, der höchstgestellte Heilbringer der Menschen, seine Liebe zu ihnen in Selbsterniedrigungen vorlebte — dienermäßig! Gerade vermöge seiner Größe ward er das anschauliche Vorbild der „dienstwilligen" Liebe. Als der Sohn Gottes sein Stellvertreter und berufen, sein majestätisches Organ für die Vollendung seines Reiches zu werden (S. 161 ff.), fühlte er tief, in welchem Kontrast dazu das Heilandswerk stand, das ihm in der Gegenwart erst gewährt war. Es war zwar überprophetisch, aber untermessianiseh; nur selten überkam ihn kraft dessen, was er in den Höhepunkten seiner Krankenheilungen erlebte, ein Vorgefühl seiner wundermächtigen Messiasherrschaft (Nr. 28). Also erschien ihm — Nr. 29 — sein gegenwärtiges Heilandswirken als relativ niedrig, als ein Dienen. Von seiner zukünftigen Stellvertretung Gottes durch heilschaffendes Herrschen unterschied er als Dienen die erste, niedrigere Form seiner Heilswirksamkeit an Gottes Statt. Aber er diente in seinem Heilandsdienst dienstwillig. Willig gegenüber Gott war er zuerst nur sein noch nicht messianischer Stellvertreter, sein „dienendes" Organ. Hatte die heilige Liebe Gottes ein „Dienen" nötig, so nahm es Jesus willig auf sich als seine irdische Lebensaufgabe. Weiter war er willig gegenüber denjenigen, welchen Gottes heilige Liebe durch ihn das Heil
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IV. Kapitel.
bringen wollte, den Unmündigen, Armen, Kleinen. Es kostete ihn keine besondere Selbstüberwindung, Gottes Liebeswillen gerade an diesen niedrigen Leuten zu vollstrecken. Auf sie drängte sein Wesen, sein Selbstwille hin, schon ehe er dieses Gotteswillens berufsmäßig inne wurde. Er war williger Armenprediger, williger Freund der Zöllner und Sünder, willig im Sinne der freiwilligen Ergebenheit seines Willens an die Niedrigen und ihre Erhöhung ins Reich Gottes. Nicht auf jene religiöse Willigkeit gegenüber Gott, sondern auf diese altruistische Willigkeit gegenüber den Niedrigen kam es uns in diesem Kapitel an. Wir stellen zu ihr den im vorigen Kapitel (vgl. S. 143/4) bemerkten Zug altruistischer Niedergesinntheit Jesu, daß ihm eine gewisse Gleichstellung seiner Jünger mit ihm selbst am Herzen lag. Das berührt sich mit dem, was das Ipsistische an der altruistischen Willigkeit Jesu gegenüber seinem Jüngerkreis war: daß er sie in wirklicher D i e n s t willigkeit betätigte, d. h. willig zur Selbsterniedrigung. Von Gott zu seinem „dienenden" Organ gemacht, machte er sich selbst allseitig niedrig, bildlich gesprochen zum „Diener", in der Liebesabsicht, seinem Heilandsdienst für seine Freunde, die Niedrigen, ganz gerecht zu werden. Dienstwillig verzichtete er auf jede Höhe, die irgendwie sein Wanderpredigen unter den Armen hätte beeinträchtigen können. Den Kranken gegenüber scheint er zu ärztlichem Handwerk, also zu eigentlichem Bedienen willig gewesen zu sein (S. 181/2). So lebte Jesus in freiwilligen Selbsterniedrigungen den Seinen solche ipsistische Niedergesinntheit vor, wie er sie in den S. 101/2 zusammengefaßten Mahnungen ihnen vorschrieb. Indem er sich dabei als „Diener" bezeichnete, betonte er sowohl die (relative) Niedrigkeit seines irdischen Lebenswerkes als auch dessen Liebeszweck, Hilfe und Heil zu bringen. Selbsterniedrigung aus hilfsbereiter Liebe meint Jesus auch bei seinen Mahnungen zum Dienen (Nr. 30). Er richtete sie zunächst an die Zwölfe und stellte sich diese dabei in der Größe vor, die sie gemäß der eben erwähnten Gleichstellung mit ihm selbst als seine Vertreter hatten. Sie sollen sich weder zu groß dünken, einander und ihre Schüler im eigentlichen Sinne zu bedienen, noch bei Fortsetzung des geistlichen Lebenswerkes Jesu
Jesu Vorbild, in der Demut des Dienens und seine Mahnungen dazu.
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weltliche Größenvorstellungen beibehalten. Frei von Ehrsucht und Distanzgefühl sollen sie einander und ihre geistlichen Kinder als Brüder sich gleichstellen. Allen, auch den Niedrigsten, sollen sie brüderliche Helfer sein und nicht — um auch früher (S. 102) Gefundenes hier zu sammeln — lieblose Richter. Sogar den Brüdern gegenüber, die sich gegen sie vergehen, sie entehren und erniedrigen, sollen sie dienstwillig bleiben und auch sonst immer bereit sein zu erniedrigenden Beziehungen und Lebensverhältnissen. Nach alledem ordnet sich das von Jesus vorgelebte und vorgeschriebene Dienen jener Selbsterniedrigung ein, der er die Erhöhung verheißen hat. Aber nur dasjenige Dienen ist nach Jesus — Nr. 31 — der Erhöhung zur Größe würdig, wobei all und jede Sucht fehlt, den andern Brüdern den Eang abzulaufen und irgendwo und -wann größer als sie dazustehen. Im Dienstgebot Jesu steckt auch ein Verbot des Wettdienens um irgend welcher Größe willen. Wer aber schon durch die ihm von Gott bereiteten Gaben größer als andere ist, der soll damit, ohne sich zu überheben, dienstwillig helfen und fördern (S. 203/4). Es fragt sich nun noch, wie sich zu Jesu Dienstwilligkeit seine Selbstcharakteristik verhält, er sei „niedrigen Herzens".
Fünftes Kapitel.
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig". 82. Das Selbstzeugnis ngavg EIJLU xal T a n e i v o g r f j xagdta findet sich im sog. Heilandsruf. Er ist nur bei Matth. 11,28—30 überliefert und folgt hier auf den Jubelruf v. 25—27, den auch Lukas 10, 21 f. bringt. Dieser Jubelruf gehörte sicher der Spruchsammlung an, war aber vielleicht kein ursprünglicher Bestandteil dieser Quelle, sondern einem späteren Zuwachs, einem Anhang zu ihrer Missionsrede zugehörig, der „gewiß echte Herrnworte enthält, aber nicht solche, die von Anfang an zum Grundgesetz der Gemeinde gerechnet wurden". So Wernle.1) Vom Heilandsruf vermutet er, daß nicht schon Lukas, sondern erst Matth, ihn in seinem Exemplar der Spruchsammlung gelesen habe, da für jenen Evangelisten ein Grund zu seiner Auslassung nicht ersichtlich sei. Aber gegen diese Vermutung spricht die Zusammengehörigkeit von Jubelruf und Heilandsruf nach Inhalt und Form: sie bilden ein Ganzes, dieser ist die direkte Weiterführung zu jenem.2) Dann scheint aber auch der geschichtliche Anlaß, den der Jubelruf nach Lukas' Angabe, die den meisten als richtig gilt3), hatte, bei der Ausx
) Die synoptische Frage. S. 67. 232; Tgl. auch Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. 1901, 151. 2 ) So z. B. Brandt, Die Evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. 1893, 562 Anm.; 576 3 und Holtzmann, Hand-Commentar 3 14. — In den „synoptischen Evangelien" 1863, 147 vermutete Holtzmann, daß Lukas den Heilandsruf ausließ, weil er an dem rcmeivöe und wohl auch als gesetzesfreier Pauliner an dem fryog und rpofjziov Anstoß nehmen konnte. Schlechter als Wernles Hypothese scheint mir das Baten auf einen Anstoß a n ¡vyos 3
u n d (poQtiov
nicht.
) Vgl. aber oben S. 148 ä .
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
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legung des Heilandsrufs nicht unbeachtet bleiben zu dürfen. Nach Luk. 10, 21 veranlaßte die Rückkehr der Jünger von ihrer erfolgreichen Mission den Jubelruf Jesu. Sollte sein Selbstzeugnis im Heilandsruf Jigavg el/xi xal raneivög j f j xaQÖht sich der Stimmung nach mit jenem Wort Luk. 10, 20 berühren, das das ekstatische Selbstgefühl der Jünger niederhält: „Indessen darüber freut euch nicht, daß die Geister euch Untertan sind; freut euch vielmehr, daß eure Namen im Himmel eingeschrieben sind"? Resch's1) Vorgang schreckt von diesem Weg der Auslegung eher ab. Man darf sich keinesfalls so dazu stellen, als ob der Heilandsruf nur „mit Hilfe des Lukas-Kontextes in seinem ursprünglichen Sinn noch erfaßt werden" könnte. Jubelruf und Heilandsruf werden wegen der Lage ihrer Überlieferung am vorsichtigsten ohne Rücksicht auf ihren unsicheren geschichtlichen Anlaß isoliert ausgelegt.2) Der sogenannte Heilandsruf ist der Ruf, durch den der laut des Jubelrufs in Gottes Schule fertig gewordene Sohn in seine heilsame Lehre ruft. Von den Weisen, den Schriftgelehrten und Pharisäern, den bisherigen Lehrern und Leitern des Volks ruft Jesus dieses hinweg her zu sich selbst. Sie haben sich unberufen auf den Lehrstulil Moses' gesetzt und binden schwere Lasten von Satzungen zusammen und laden sie den Menschen auf die Schulter Matth. 23, 2. 4; 15, 1 ff.; Luk. 11, 46. Dadurch ist die Klasse der Mühseligen und Beladenen entstanden, an die sich Jesu Einladung richtet. Sie sind das „Volk, das das Gesetz nicht kennt" (Joh. 7, 49), das es in seiner unendlich komplizierten Auslegung und Erweiterung durch die „Überlieferung der Ältesten" (Matth. 15, 2) gar nicht wie „die Weisen", „die Gesetzeskundigen" kennen kann und deswegen und wegen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse es zu halten vergeblich sich abmüht. Von den Pharisäern sind sie nach Joh. 7, 49 aufgegeben als „verflucht". Sogar Hillel sagte nach Aboth 2, 5: „Ein Ungebildeter scheut nicht die Sünde und ein ^inh ny ist nicht fromm".8) ') Außerkanonische Paralleltexte II, 132. 136. 138. a ) Daß uns ihr Urzusammenhang entgeht, betont Merx a. a. 0. n , 1, 199. 203. 3 ) Wellhausen übersetzt noch anders in folgendem Zusammenhange (Israel, u. jüd. Geschichte6 S. 303/4): „Um all die Satzungen und Gebote des geT h i e m e , Die christliche Demut. I.
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Y. Kapitel.
Diesen Mühseligen und Beladenen will Jesus durch seine Lehre Ruhe schaffen. Deshalb fordert er sie auf: „lernt von mir", s. oben S. 154. Weder was vorausgeht: „nehmt mein Joch auf euch" noch v. 30 scheint mir den Gedanken zu enthalten, daß „auch er an die Menschen Ansprüche macht, welche man als ein Joch sich aufladen und als eine Last tragen muß" (Zahn2 441/2). Wir haben da nur die aus Jesus Sirach nachklingenden Bilder für seine Lehre, vgl. oben S. 146. Über diese ist weiter nichts ausgesagt, als daß sie den Seelen Euhe bringt. Das ist auch der Sinn von „bequem" und „leicht" bei den Bildern „Joch" und „Last" v. 30. Auch bei „lernt von mir" braucht nicht das freilich Selbstverständliche gedacht zu sein, daß Jesus „die wahre Gerechtigkeit nicht nur lehrt, sondern selbst vorbildlich übt".1) Aber was ist es nun, das die Mühseligen und Beladenen von Jesus lernen sollen? Man kann nur auf Grund von „lernt von mir" antworten: seine (ruheschaffende) Lehre, nicht etwa: daß er nQavq ist und taneivoe r f j xagdia. Denn wir halten nur die gewöhnliche Auffassung: „lernt von mir; denn ich bin usw." für richtig.2) Zahn bemerkt dagegen, der Sprachgebrauch (cf. Matth. 24, 32; Gal. 3, 2; Hebr. 5, 8) gestatte es nicht, /id&ere an gjuov objektschriebenen und ungeschriebenen Hechtes genau zu beobachten, dazu gehörte mehr, als Durchschnittsmenschen leisten konnten. Um sie auch nur zu kennen, dazu bedurfte es einer eigenen Gelehrsamkeit. ,Der Ungelehrte kann sich nicht in acht nehmen vor der Sünde, und der Laie kann nicht wahrhaft fromm sein'. Die Religion wurde schulmäßig gelernt und mühsam betrieben, sie war ein Studium und eine Kunst. Eine gewisse juristische Verschmitztheit paßte besser dazu als Einfalt. Die Pharisäer standen einerseits den Weltmenschen feindlich gegenüber, andererseits aber schieden sie sich auch sehr von der Menge, die vom Gesetz nichts wußte, und vergalten ihr die Verehrung, die sie ihnen zollte, mit unverhohlener Verachtung. Sie waren die Virtuosen der Frömmigkeit, zugleich die sachverständigen Kenner, die stets ihr Urteil bei der Hand hatten. Ein breiter Abstand herrschte zwischen Gebildeten und Ungebildeten auf einem Gebiete, auf welchem der Hochmut der Schule besonders widerwärtig und der Stolz auf das Wissen und Können besonders unberechtigt ist". *) B. Weiß zu Matth. 9 228. Er macht die unklassische Verbindung von nar&dvetv mit ano geltend: „lernt mir ab", die aber nichts zu bedeuten hat, s. Blaß, Grammatik a 127. 2 ) Vgl. Wellhausen (zur Stelle): „Der Satz mit ort gibt nicht den Inhalt der Forderung an, sondern ist im Deutschen als Relativsatz zu fassen" („lernt von mir, der ich" usw.).
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
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los zu fassen. Wie mag sich Zahn mit Stellen wie Kol. 1, 7 abfinden?1) Daß jene drei Stellen gleich einen feststehenden Sprachgebrauch beweisen, neben dem es nicht angänglich war, fiavMveiv anó Tivog im Sinne von „in jemandes Lehre, Schule sein, bei ihm studieren" zu gebrauchen, leuchtet mir nicht ein. Nach Zahn sichert Jesus zu, daß man bei ihm, über den törichte oder feindselige Urteile umlaufen, erfahren werde, was für ein Mann er ist. Mir scheint irgend welche Defensive- dem Geist der ganzen Stelle sehr fernzuliegen. Ihrer Tendenz entspricht auch nicht als Sinn des Selbstzeugnisses, daß er allein der Mann dazu sei, die beiden genannten Kardinaltugenden zu lehren (so B. Weiß), sondern nur der Sinn, daß er das volle Gegenteil der bisherigen Lehrer des Volkes sei. Was er seinerseits ist, das ist natürlich auch vorbildlich für seine Schüler, aber er sagt es hier nicht, damit sie es ihm ablernen sollen, sondern nur im Angriff auf die bisherigen Lehrer. E r setzt damit die Kritik ihres Lehrens fort, die in der Beschreibung ihrer Schüler als „mühselig und beladen" liegt. 33. Treten wir nun an die recht schwierige Erklärung von nQavs ei/M xal raneivog t f j xagdia heran! Ritsehl 2 ) behauptete, jtgavg und mneivóg seien synonym, da beide Wörter in der Septuaginta für das hebräische IJJ; eintreten, und allein dieses eine Wort oder vielmehr das gleichgeltende aramäische nsjj könne Jesus ausgesprochen haben. Den Zusatz Tfj xagdia, gleich airW., hielt Ritsehl für echt. Was zunächst diesen Zusatz anbelangt, so wird er wohl sicher nicht auch mit zu jigavg gehören sollen — vgl. z. B. L X X Psalm 76, 10 nQaetg rf¡ xagdiq für — sondern nur zu raneivós. Daß etwas ihm Entsprechendes im aramäischen Herrnwort gestanden, könnte man etwa deshalb bezweifeln, weil er in der christlichen Interpolation in den „Testamenten der zwölf Patriarchen" eon yaQ áh]{H¡g xal fiaxQÓfrvfiog, no&og xal Tansivóg3) Ygl. Ewald im Kommentar zum Neuen Testament ed. Zahn. Band X, 1905, 800 ». a ) Rechtfertigung und Versöhnung 3HE, 1888, 435 f., 597. Unterricht in der christl. Religion. §21d. ») "VU. Dan. c. 6 ed. Sinker S. 173; vgl. XII. Benjamin c. 9, S. 200:
Êyvcov ôè oïos Sarai rauitivoç âii yijç xai oîo; êvSoÇoç h ovQavqi. 14*
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V. Kapitel.
fehlt, oder deshalb, weil auch das rcp nvev/zazt der ersten Seligpreisung als Interpretation zugewachsen sein wird.1) Aber wie sich bei den Septuaginta für nn-'N?? Psalm 34,19 xanuvol reo nvevfxaii und im Gesang der drei Männer im Feuer (s. oben S. 38) xamivol xagöia findet2), was in der aramäischen mnsivog Übersetzung8) mit mb njjj wiedergegeben ist, so kann xfj xagöia Matth. 11, 29 eine aramäische Wortverbindung im Herrnspruch genau nachahmen. Was den griechischen Wortlaut weiter anbelangt, so kommt ngavg im ersten Evangelium noch zweimal vor, in der zweiten oder dritten Seligpreisung, 5, 4 oder 5, und 21, 5 im Zitat aus Sacharja 9, 9. Auch jene ist ja fast ein Zitat, Psalm 37, 11 liegt ihr zugrunde. Wie L X X und Matth, dort Sach. 9, 9 für ijy und hier Psalm 37, 11 für i^y beidemal ngavg setzen, so die Targume beidemal )nuj;. Dies Wort stand Jesu zur Verfügung, um im Anschluß an den Psalmspruch die Armen1), Jammervollen, Hungrigen, Verfolgten auch als solche selig zu preisen, die in diesen Lebenslagen Frömmigkeit bewähren.5) Jesu eigenes Bild von der Frömmigkeit dieser pjftüj; ist schwerer zu bestimmen, als an was für eine TtQavrrjs der erste Evangelist bei diesem Makarismus6) dachte. Wenn es nicht schon die Seite der besseren Gerechtigkeit ist, daß man seinem Bruder nicht zürnt 5, 22, so doch gewiß die, daß man dem Bösen nicht widersteht v. 39. So würde man das ngaeig des Evangelisten ohne Rückgang auf die *) Vgl. einerseits Heinrici, Die Bergpredigt. I, 1899, 28/9, anderseits Joh. Weiß, Predigt Jesu 2182 f. 2 ) OiT^P Sprüche 29, 23 ist ^'opn Sirach 7,17 xaiisircoaov zfjv
D a n i e l 5, 22 exaneiveoaas trjv xaoüiav 3)
mit xaxtivöxoi richtig aramäischem 6 ) Richtig betont Heinrici (Bergpredigt I, 44), daß in den Seligpreisungen die schweren Schickungen nicht ohne die ihnen wachsende religiöse Gesinnung vergegenwärtigt werden, aber nicht richtig scheint mir, daß er dann S. 45 Jammer und Hunger geistlich faßt. 6 ) Über die Echtheitsfrage, die wieder Wendt, Die Lehre Jesu a 2 2 P verneint, vgl. Joh. Weiß, Predigt Jesu 2184/5. Eine Interpolation in den Matthäus-Text nimmt Wellhausen (Ev. Matth. 1904, 15) an.
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
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alttestamentlichen D^JJ?. rein aus dem Sprachgebrauch, den wir sonst im Neuen Testament finden, s. oben S. 42 f., verstehen können, wenn sich die Seligpreisung nicht an einen alttestamentlichen Spruch von den D^JJJ. anschlösse. Das verleiht dem ngasig im Unterschied von dem rein altruistischen elsrjfiovsg v. 7 eine religiöse Nuance, die wohl auch das /urj ävriaxfjvai rcp novrjgm hat. Im Sacharjazitat 21, 5 ist die Meinung des Evangelisten bei ngavg kaum noch sicher zu erkennen. Er hat bekanntlich die W o r t e Idov o ßaadsvg
aov egxsrat aoi ngavg xal ¿mßeßrjxmg sämt-
lich aus LXX zitiert, unter Weglassung der Worte dixaiog xal ocbCa>v avrös zwischen aoi und ngavg.
Dagegen entspricht der
Schluß des Zitats viel genauer als LXX dem hebräischen Grundtext. Daraus, daß die LXX ow^mv und nicht aa>C6[ievog für yehj setzen, schließt Cremer (unter ngavg, 9S. 913), daß sie bei ngavg an das sanftmütige Handeln des messianischen Königs gegen Jerusalem denken. Hingegen der Evangelist habe es im alttestamentlichen Sinne davon verstanden, daß Jesus als yj; einzog, als einer, der keine Gewalt hatte, sondern selber zu den Unterdrückten gehörte, denen von Gott geholfen werden muß. Weil zu dieser Auffassung das dixaiog xal ocb^cov der LXX nicht paßte, habe er es absichtlich ausgelassen. Daß acoC(ov zu ngavg im Sinne der menschenfreundlichen
Milde gut paßt, ist ja klar, und daß Matth, besser verwertbare Abweichungen der LXX vom Urtext sonst benutzt, zeigt gleich 21, 16. Aber den Schluß Cremers aus der Weglassung von o(o£(ov wiegt der Einwand auf, daß der Evangelist ooj£mv durch eine zu Jigavg im alttestamentlichen Sinn passende Übersetzung von ytfy ersetzt haben würde, statt dieses ganz wegzulassen, wenn er ngavg so gefaßt hätte. Zahn 1 ) bemerkt über die ausgelassenen Worte ytf'yi pns, sie seien für den Zweck des Evangelisten weniger bedeutsam. Sein Zweck war, zu erzählen, daß Jesus den Wortlaut der Weissagung buchstäblich genau zur Erfüllung gebracht habe. Ob und wie dem Evangelisten das Prädikat yy LXX ngavg mit dem Tier der Weissagung zusammenhing, ist nicht sicher zu sagen — jedenfalls war es ihm hochbedeutsam wegen Jesu Selbstzeugnis im Lehrerruf 11, 29. Für ») Evangelium des Matthäus 2S. 611, vgl. Einleitung a n, 318.
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V. Kapitel.
die Auslegung von nqavg in diesem ist aus der Einzugserzählung nichts Sicheres zu entnehmen, sondern der Sinn von nqavg 21, 5 richtet sich vielmehr nach dem in 11, 29. Aber ngavg 21, 5 von menschenfreundlicher Milde zu verstehen, scheint mir auch wegen der Stelle 23, 37—39 rätlich, die nicht ohne Beziehungen zur Einzugserzählung ist. Dort wird mit „wie oft wollte ich deine Kinder versammeln wie eine Henne" usw. ein Verhalten Jesu gegen Jerusalem geschildert, das sich mit EQ%£iaiooi ngavg berührt.1) Da Tzoavs in der Seligpreisung zwar keinen rein altruistischen, aber doch einen altruistisch-religiösen Sinn hat und beim Sacharjazitat die altruistische Auffassung recht wahrscheinlich ist, steht von seiten des Sprachgebrauchs im ersten Evangelium gewiß nichts dem entgegen, daß nQavg 11, 29 „eine humane und keine religiöse Eigenschaft ist".2) Sollte der erste Evangelist nicht die in der Urchristenheit laut 2. Kor. 10, 1 (vgl. oben S. 24 f.) bekannte sünderfreundliche Sanftmut Christi 11,29; 21,5 gemeint haben? Kommen wir nun von ngavg zu xaneivog r f j xaqdiq, so geht ja in der eben erwähnten Stelle aus den paulinischen Briefen xaneivös auf die Haltung gegenüber Menschen, es heißt da entweder „kriechend" (vgl. S. 15) oder, was mir viel weniger wahrscheinlich ist, etwa „leutselig" (vgl. S. 25 Mitte), wie Wellhausen Matth. 11, 29 xaneivog r f j xaqöia wiedergibt. Daß in einem Zusammenhang, wo es sich um Eigenschaften Christi, also um Tugenden handelt, und wo nqavg als altruistische Eigenschaft direkt vorhergeht, xaneivog xfj xagdla von der Niedergesinntheit Jesu im Sinne leutseliger Herablassung gebraucht und verstanden werden konnte, scheint mir nicht zweifelhaft. Wie xaneivocpQoovvri seit Paulus eine Tugend bezeichnet, so konnte xanuvog — vgl. das deutsche „niederträchtig" — von dem sittlichen, verwerflichen Sinn „kriechend" aus, indem das Verwerfliche darin schwand, die Bedeutung tadelfreier Niederbeugung zu Menschen gewinnen. Nicht einlassen möchten wir uns auf die Möglichkeit, daß zu den Beziehungen zwischen den aufeinanderfolgenden Erzählungen von der Begrüßung durch die Blinden hei Jericho und vom Einzug in Jerusalem — jene ist ein „Vorspiel" (Wellhausen zu Mark. 10, 47) zu diesem — auch eine Beziehung zwischen anlayxnadek 20, 34 und noavs gehört. 2 ) Wellhausen, Matth. S. 58.
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
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Daß der erste Evangelist mit taneivog xfj xagdia die altruistische Richtung von noavg fortsetzen will, paßt aber offenbar am besten zum Zusammenhang, den wir oben S. 209 f. darlegten. Wie mit ngavg, so wird mit Taneivog j f j xagdia Jesus von den bisherigen Lehrern abgehoben, die die Leute „mühselig und beladen" machen, sich als strenge Gesetzeswächter über das „Volk, das das Gesetz nicht kennt" entrüsten und hochnäsig von den „Zöllnern und Sündern" absondern. Es würde freilich auch nicht schlecht zu dem antirabbinischen Zusammenhang passen, wenn der Evangelist nach der Sanftmut Jesu an seine Niedergesinntheit im Sinne niedergehaltenen Selbstgefühls gedacht hätte, woran es den eingebildeten Schriftgelehrten fehlte. Nach Zahns Behauptung, vgl. oben S. 26, schwebte Paulus bei eramivcoasv eavrov Phil. 2, 8 Jesu Selbsterniedrigung in seiner Taufe mit vor. Es wäre natürlich möglich, daß, wie man später1) in Jesu Taufe seine große raneivoq?goavvt] bewunderte, so schon der erste Evangelist bei zaneivög rfj xagdia daran dachte, daß Jesus, als Johannes mit dem Wege der Gerechtigkeit kam, es ziemlich fand, alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und sich von ihm taufen ließ — in Niedergesinntheit, für die ihn Gott alsbald mit Tat und Wort erhöhte (3, 13ff.; 21, 32). Auch auf andere Selbsterniedrigungen, die das Evangelium schon von Jesus berichtet hat, ließe sich ja als Unterlagen des ramivog j f j xagdia raten. Methodisch wäre es wohl am korrektesten, etwas gleich darauf folgendes zur Auslegung heraufzuziehen, wenn man die unsrige „leutseligen Herzens" verwirft. Im folgenden Kapitel 12 gehört zu ngavg, daß Jesus nach v. 20 laut der Weissagung geknicktes Rohr nicht zerbricht und glimmenden Docht nicht auslöscht. Was aber vorhergeht v. 19, kann in Beziehung zu Taneivog tfj xagdia stehen. Er streitet und lärmt nicht und läßt seine Stimme nicht hören auf den Gassen. Auf diesem v. 19 liegt der Nachdruck des Schriftbeweises v. 17 ff. Das (wiederholte 8, 4; 9, 30) Verbot Jesu v. 16, ihn wegen seiner Krankenheilungen in die Öffentlichkeit zu bringen, versteht der erste Evangelist „als Äußerung einer aller Ruhmredigkeit abgeneigten Sinnesart"). Vgl. z. B. Hippolytus (?) edd. Bonwetsch-Achelis I, 1897, 2. Hälfte, S. 259, 17. 2)
Vgl. oben S. 125/6.
216
Y. Kapitel.
Wenn die Pharisäer Almosen geben, so lassen sie auf den Gassen vor sich her posaunen, um von den Leuten gerühmt zu werden. Aber Jesus gibt Gesundheit, ohne es ausschreien zu lassen auf den Gassen, ohne damit großzutun und Ruhm und Volksgunst zu suchen, er ist niedergesinnt — „bescheidenen Herzens". Wer wollte sicher machen, ob der Evangelist „leutseligen" oder „bescheidenen Herzens" gemeint hat? Wir entscheiden uns für jenes. Denn die Freundschaft mit Zöllnern und Sündern, vgl. 11, 19, die Herablassung zu den Unmündigen und den Mühseligen und Beladenen paßt zur verlockenden Schilderung des Lehrers Jesus doch noch besser als das Gegenteil von ruhmsüchtigem Hochmut. An die Sanftmut reiht sich am einfachsten die Leutseligkeit an. Bedeuten die Worte ngavs xai tamivog rfj xagdia Matth. 11,29
„sanftmütig und leutseligen Herzens", so berühren sie sich dem Sinne nach gar nicht mit jrgavg xai raneivos Zephanja 3, 12; Jesaia 26, 6 und mit xaneivo? (rfj) xaqdiq im Gesang der drei Männer im Feuer v. 87, vgl. oben S. 34. 38. 34. Nachdem wir den griechischen Wortlaut und seine Bedeutung untersucht haben, müssen wir Jesu eigene Worte und Gedanken zu erreichen versuchen. Außer jener Behauptung Eitschls, Jesus könne allein ¿»-"ujj gesagt haben, notiere ich die Rückübersetzungen ins Hebräische von Delitzsch und von Resch1): nrr^gtf? uy, und ins Aramäische von Meyer2) ^ri nu. Ohne den Sachverständigen spielen zu wollen, schlage ich meinerseits kurzerhand das Einfachste vor: a g ^ p t f i jrnjy, und ohne alle Observationen, die mich dazu bestimmen, des langen und breiten vorzulegen, möchte ich nur nachweisen, daß damit „sanftmütig und leutseligen Herzens" gemeint sein konnte. Wie schon nijyundNum.12,3 wohl auch ij^ den altruistischen Sinn der griechischen Wörter ngavir)? und ngavg, der deutschen Wörter Sanftmut und sanftmütig hatten, s. oben S. 36/7. 32 f., so laut der Lexika nonuy oder Nnurruy und jrfüy. Das waren die Termini für Hillel, das jüdische Sanftmutsmuster. *) Die Logia Jesu 1898, 66. 2 ) Jesu Muttersprache. 1896, 84.
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
217
Aber nuy. hatte mehr als eine Richtung, s. S. 38 oben, und so auch das aramäische Nnunuj/. Dieses Wort war vor xanuvoereddfit]v vftTv atmet, davon noch (tä&exs an e/tov 11, 29 auseinanderhalten?
218
V. Kapitel.
in seinem Evangelium sein bleibendes persönliches Interesse für Jesu geschichtlichen Konflikt mit den Pharisäern und Rabbinen. Im Munde Jesu selbst war der sogenannte Heilandsruf jedenfalls der Ruf, womit er als der Meister, der sich allen Meistern in allem unendlich überlegen fühlte, in seine Lehre rief, weil sie von den Quälereien der früheren Meister heile, und weil er selbst kein zornmütiger und hochnäsiger Mann sei, sondern „sanftmütig und leutseligen Herzens". Wie gut die Betonung des „sanftmütig", jmy;, zur Empfehlunggerade eines Lehrers paßt, ist offensichtlich, vgl. oben S. 42 unten lind das Wort Hillels Aboth 2, 5: „Der Aufbrausende vermag nicht zu lehren". Aber was kann man sonst noch über pjj; bei Jesus sagen? Hat er nicht nur die Armen, ps.DD (vgl. S. 212% sondern auch die pjrwy selig gepriesen, so wird er damit ihre Frömmigkeit gemeint haben, vgl. oben S. 212. Das beweist natürlich nicht, daß ¡n-® auch in seiner Selbstcharakteristik religiösen Sinn hatte und nicht, wie wir annehmen, altruistischen. Mit Vermutungen über Jesu Verhältnis zu Sacharja 9, 9 möchte ich die Untersuchung nicht belasten. Hier ist alles völlig unsicher. Während wieder nach 0. Holtzmann') für Jesus diese messianische Stelle viel bedeutete, nämlich das göttliche Gebot, in welcher Weise der Messias seinen Einzug in Jerusalem halten müsse, hat Dalman2) geurteilt: „Den Lehrer und Wundertäter von Nazareth hat man damals mit Froh*) Leben Jesu. S. 315. Vgl. Baldensperger, Selbstbewußtsein Jesu 2 264; Volz, Jüdische Eschatologie S. 232 d. — Wenn man wie z. B. Zahn (Matth.Evang. 2 611: „nicht stolz auf seine eigene Macht, sondern demütig auf Gott vertrauend") den Begriff häufig gebraucht wird, wissen wir, s. oben S. 36 f., auch daß 45, 4 Moses' rwy nach Num. 12, 3 gerühmt wird, S. 33. Griff nun Jesus in seinem Meisterruf die „Weisen" an, die sich unberufen auf den Lehrstuhl Moses' gesetzt haben und zornig auf das „Volk, das das Gesetz nicht kennt" herabschauen, so konnten ihn auch jene beiden Lobsprüche auf Moses' rmy veranlassen, gerade diese Eigenschaft an sich selbst als dem hervorzuheben, der sich berufen fühlte, Moses sogar zu überbieten. Ich legte zu wenig Wert auf diesen Einfall, als daß ich ihn in Beziehungen zu dem vielseitigen Problem „Moses — der Messias — Jesus" l ) gebracht oder nach einer Tradition von Moses' systematisch gesucht hätte. Unsere Auslegung des Selbstzeugnisses Jesu, die mit unsrer ganzen Auffassung des Meisterrufs als eines Angriffs auf die Gesetzeslehrer eng zusammenhängt, unterscheidet sich ganz besonders von Ritschis 2 ) Verständnis der Stelle, das im wesent1 ) Vgl. Baldensperger, Selbstbewußtsein J e s u 4 S. 138ff.; Volz, Jüdische Eschatologie, Sachregister. G. Klein verheißt in der Zeitschr. für die neutest. Wissenschaft V, 148 ein Kapitel über Moses als Vorbild des Messias in seiner (noch nicht erschienenen) Arbeit: Essäismus und Christentum. — Wie mag wohl Holzinger (zu Num. 12, B im Handkommentar ed. Marti 1903, 47/8) zu der Bemerkung gekommen sein, nicht nur Hebr. 12, 3, auch Matth. 11, 29 klinge jenes Moses umzeichnende ijj>t an? 2
) a. S. 2 1 1 2 a. 0 . ; Wendt, Die Lehre Jesu
2
232 f. 499 f.
Jesu Selbstcharakteristik „Ich hin von Herzen demütig".
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liehen noch Wendt festhält: Jesus bezeichne sich selbst als einen Leidenden, der sich aber freiwillig in sein Leiden findet. Alttestamentliche Gelehrsamkeit über wie sie Ritsehl aufbot, war hier nur irreführend. Es kommt darauf an, die konkrete, geschichtliche Situation Jesu, seine Kämpfe gegen die Rabbinen, immer vor Augen zu haben, den „jüdischen Erdgeruch" wahrzunehmen, die Anlehnung an den Lehrerruf im Buch Jesus Sirach durchweg zu beachten. Nach den Ausführungen der drei neusten Erklärer des Evangelium Matthäi, Zahn, Wellhausen und Joh. Weiß, die über „mühselig und beladen"*) und den nichtreligiösen Sinn von „sanftmütig und niedrigen Herzens" übereinstimmen, werden sich die gegenteiligen Erklärungen nicht mehr lange halten können. Es scheint mir aus zu sein mit der Ritschis, einem Pfeilerchen seiner Christologie auf einem schwachen Punkte. *) Wellhausen argumentiert S. 58: „Jedenfalls sind die schweren Lasten analog dem leichten Joch, dem sie entgegengesetzt werden; also nicht Sünden, sondern ebenfalls Forderungen, die auferlegt werden, aber das Leben ersticken und nicht zum Leben führen". Die Argumentation aus dem Gegensatz zum leichten Joch scheint mir allerdings durchschlagend gegen Wendts Behauptungen in der ersten Hälfte seiner Anmerkung auf S. 238. Dieses Gegensatzes wegen muß es sich um Beladenheit durch irgendwelche Lehre handeln. Aber uns scheint, vgl. oben S. 210, Jesu „Joch" nicht Gesetz sein zu müssen. Es kann auch Evangelium sein, da eben „Joch" und „Last" nur aus Jesus Sirach nachklingende Bilder für Jesu Lehre sind, die nicht entscheiden können, ob an ihre gesetzliche oder evangelische Seite gedacht ist. — In der zweiten Hälfte jener Anmerkung argumentiert Wendt so, als ob es feststände, daß sich Jesus mit „sanft und aufrichtig demütig" nicht den Gesetzeslehrern, sondern den „Mühseligen und Beladenen" gegenüberstelle, und daß damit „aufrichtige demütige Ergebung" gemeint sei. Gegen jene Voraussetzung vgl. oben S. 209/10 und über diese Annahme betreffs der „Demut" vgl. später. — Wider die Ritsehl-Wendtische Auffassung der Beladenheit und des ngavs kann man auch jene alte Anspielung auf den Heilandsruf in den Sibyllinen VIII, 324ff. geltend machen, ed. Geffcken 1902, 163, vgl. dessen Übersetzung in den „Neutestamentlichen Apokryphen" ed. Hennecke 1904, 333: „Freue dich, heilige Tochter Zion, die du viel (Leiden) erduldet; dein König selbst kommt voller Sanftmut, damit er unser Joch, das schwer zu tragende Sklavenjoch, das uns auf dem Nacken liegt, nehme und die gottlosen Satzungen und die gewalttätigen Bande löse." Wellhausen verweist für die altchristliche Erklärung (Abnahme der Menschensatzungen) auf die Didaskalia Apostolorum, vgl. Die syrische Didaskalia übersetzt und erklärt von Achelis und Elemming. 1904, 6, 14 ff.; 50, 24 ff.; 124, 23 ff.; 133, 14 ff.
V. Kapitel.
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Denn das Bedenken, das Joh. Weiß *) veranlaßt, noch auf die davon freie Auslegung Ritschls hinzuweisen, kann sie nicht am Leben erhalten. Gegen die Selbstempfehlung: „ich bin milde und von Herzen bei den Niedrigen" bleibe ein leises Bedenken übrig. Sagt nun bereits Weiß selbst, sie sei ja aber nicht ein Prahlen mit Tugenden, sondern eine Verheißung: ich will euch gütig, milde und leutselig führen, so beseitigen wir das Hindernis noch weiter, indem wir als den Grund für diese Verheißung und Zusicherung die vorausgegangene Sohnesproklamation v. 27 angeben (vgl. schon S. 219). Schon ein Prophet — man hatte ja eben den Täufer erlebt — hat fast immer etwas Strenges und Unnahbares. In einzelnen Momenten mag auch Jesus solchen Eindruck gemacht haben.2) Vielleicht auch beim Jubelruf. Konnte die Größe des Sohnes, den nur Gott erkennt und der offenbart, wem er will, seinen Schülern nicht unheimlich werden? Deshalb will der Sohn alsbald über sich selbst im Lehrerruf beruhigen. Eeine Liebe und Menschenfreundlichkeit erklärt hinreichend die Selbstempfehlung seiner Leutseligkeit; sie klingt nicht mehr befremdend, wenn man es ihr abfühlt, daß sie selber eine Leutseligkeit war. Außer Ritschls Auslegung möchte ich nur noch die teilweise verwandte Auffassung Kählers erwähnen.8) Sanftmut sei der Gegensatz zum Hadern mit Gott. Wer mit Gott nicht hadert, sei gewiß nicht geneigt zu prahlen. Eine Demut, die nicht am äußeren Behaben genug hat, sondern im Herzen wohnt, habe Jesus von sich ausgesagt; doch lediglich um als ein Erfahrener in ihren Frieden zu laden. Also auch liier die Frontstellung gegen die unerbittlichen, mit dem Volk barsch hadernden Gesetzeswächter verkannt, der Zusatz „von Herzen" nicht leicht genug, sondern zu akzentuiert genommen, eine religiöse und eine ipsistische Tugend, fromme Gelassenheit (Geduld, Ergebung) und Bescheidenheit, gefunden, diese fein abhängig gedacht von jener. Möge sich statt dessen unsere einfache Annahme zweier x
) Die Schriften des Neuen Testaments. I, 301/2. ) Eine Spur davon haben wir wohl Mark.9,32. Vgl.auch Jülicher 11,213/4. 3 ) Dogmatische Zeitfragen. II, 1898, 1265. 135. a
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
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verwandter altruistischer Tugenden, die Jesus von sich als dem Lehrmeister katexochen bezeugte, immer mehr durchsetzen! Mit Herrmann in seinem Artikel „Demut" stimmt sie wenigstens darin überein, daß sie „niedrigen Herzens" weder religiös noch ipsistisch, sondern altruistisch versteht. Aber nach Hermann hat diese Selbstbezeichnung Jesu eine ganz umfassende Bedeutung. Er fordere damit seine Jünger auf, von ihm herzliche Dienstwilligkeit zu lernen, das Lebenwollen für andere, die Ergebung in den sittlichen Dienst der Liebe. In diesen Worten sei, wie Augustin richtig erfaßt habe, am deutlichsten die geistige Haltung bezeichnet, in der wir Jesus nachfolgen und uns über den Gesichtskreis der antiken Sittlichkeit erheben sollen. Der Sinn der Worte sei offenbar, daß an der Gesamthaltung Jesu deutlich gesehen werden könne, wie er sich selbst erniedrigt habe. Wir sollen danach diese Hauptsache von ihm lernen, indem wir auf ihn selbst und sein tatsächliches Verhalten sehen. Er habe in dieser Beziehung etwas völlig Neues in die Welt gebracht, das an seiner Person angeschaut werden muß.1) Wir unsrerseits bestritten oben S. 211, daß Jesus hier das habe aussprechen wollen, was seine Jünger von ihm als Vorbild lernen, worin sie ihm nachfolgen sollen. Er will sich vielmehr mit „niedergesinnt" nur von den Gesetzeslehrern abheben, die gegen die gesetzlich Niedrigen barsch und hochnäsig sind. Aber wir geben selbstverständlich wie schon a. a. 0. zu, daß seine „Niedergesinntheit" natürlich auch vorbildlich wirken soll auf alle seine Jünger untereinander, besonders auf diejenigen, welche als seine Mitarbeiter am Volk seine Lehre fortpflanzen. Sie sollen sich wie er den Niedrigen gegenüber verhalten. Wir faßten also diese „Niedergesinntheit" im Sinne von „Leutseligkeit". Sie ist etwas viel Engeres, als was Herrmann hier findet, die Dienstwilligkeit, die Ergebung in den sittlichen Dienst der Liebe, wobei er „Dienst" nicht in dem engeren, spezifisch christlichen Sinne faßt (vgl. S. 193). Bei richtiger konkreter Exegese des Meisterrufs verliert „niedergesinnt" die ganz umfassende prinzipielle Bedeutung, die Hermann ihm wieder bei*) Haucks Realenzyklopädie 52—55. 572, 5 f. 56.
3
IV, 575, 17 f. 43. 576, 9 f. 571,44—47.
224
Y. Kapitel.
mißt. Bedeutet wirklich die Aussage, er sei „niedergesinnt", „daß an der Gesamthaltung Jesu deutlich gesehen werden könne, •wie er sich selbst erniedrigt habe"? Wenn Paulus diese Selbstaussage gekannt hat, was nach unsrer Wortgeschichte S. 28 ff. allerdings unbeweisbar ist, so wird schon er mehr als die Leutseligkeit, mit der Jesus das Volk lehrte, darin gefunden haben. Ja, nicht nur von der an Selbsterniedrigung reichen irdischen Gesamthaltung Jesu, sondern auch von seiner ewigen Grundgesinnung, die ihn ins Irdische trieb, wird er das rn^-Vstf verstanden haben. Daß daran auch der erste Evangelist mitgedacht, schien uns S. 217 nicht unwahrscheinlich. Genaue Exegese wird sich aber dabei bescheiden müssen, daß Jesus hier keinen so prinzipiellen Ausspruch über seine Gesamthaltung und Grundgesinnung tun wollte, sondern nur eine einzelne Seite seines Wesens, die Leutseligkeit im Auftreten als Lehrer des Volkes, polemisch betonen. Nicht von diesem „niedergesinnt" im Meisterruf Jesu, sondern eher von seinem Ausspruch, er sei wie ein Diener, der seine Hauptrede vom Dienen krönt, könnte nach unsrer Ansicht gelten, daß damit die geistige Haltung bezeichnet sei, in der wir Jesus nachfolgen und uns über den Gesichtskreis der antiken Sittlichkeit erheben sollen. Es gibt freilich für diese geistige Haltung keinen besseren Ausdruck als „Niedergesinntheit", aber was „niedergesinnt" nach genauer Exegese in Jesu Meisterruf bedeutet, leutselig, das ist nur eine einzelne Seite an demjenigen Teile der geistigen Gesamthaltung und Grundgesinnung „Niedergesinntheit", welchen Jesus mit dem Dienerbild als Ideal aufstellte, nämlich an der Willigkeit der allgemeinen Bruderliebe zu niedrigem Wirken. Daß wir uns in ihr über den Gesichtskreis der antiken Sittlichkeit erheben, deutet ja Jesus selbst in seiner prinzipiellen Belehrung darüber durch deren Anfang an, durch den Blick aufs entgegengesetzte Prinzip, den Herrscherstolz im Völkerleben. Sein Scharfblick trifft die Seite am antiken Ideal, von wo aus es das Ideal der christlichen Liebe abstößt, den im Herrscherstolz anschaulichsten Widerwillen gegen jede Selbsterniedrigung. Nach Seiten ihrer Bereitwilligkeit zum Niedrigen fällt die christliche Liebe unter jene Niedergesinntheit,
Jesu Selbstcharakteristik „Ich bin von Herzen demütig".
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aus der alle Selbsterniedrigungen kommen, denen Jesus die göttliche Erhöhung verheißen hat. Eine Berührung des Ausspruchs Jesu, er sei wie ein Diener, mit seinem Jubel- und Meisterruf ist ja nicht zu verkennen. Aber worin besteht sie? Dort bezeugt Jesus das Ganze, die altruistische Selbsterniedrigung oder niedergesinnte Menschenliebe, hier einen Teil davon, die Leutseligkeit gegenüber den gesetzlich Niedrigen. Es ist wichtig, darauf zu achten, daß es sich hier Matth. 11 um Jesu Verhalten zu Unmündigen, Mühseligen und Beladenen, also zu Niedrigen handelt. Denn auch dort Matth. 20, wie in den andern Worten vom Dienen, ist die niedergesinnte Liebe zu allen, auch den Niedrigsten, den „Kleinen" gemeint. Auch das Ganze wird erst durch seine Allgemeinheit nach unten, das Mitumfassen auch der Kleinen, die Wendung gerade zu den Niedrigen recht charakterisiert. Aber das Ganze, wovon Leutseligkeit nur ein Teil, eine Seite ist, die niedergesinnte Bruderliebe, kommt, wie gesagt, nach Seiten ihres spezifisch christlichen Charakters selber nur als Teilerscheinung jener allgemeinen Niedergesinntheit zu stehen, aus der daneben andere Selbsterniedrigungen hervorgehen. Diejenigen, welche Jesus in den uns erhaltenen Mahnungen berücksichtigt hat, um die Niedergesinntheit zu predigen, sind S. 101/2 zusammengestellt. Auch in diesen ist er aber selber als Vorbild vorangegangen, nicht nur in der zum dienermäßigen Liebeswirken gehörigen Leutseligkeit als Volkslehrer. Deshalb wird man sich immer wieder dazu versucht fühlen, wider die genaue Exegese in sein Selbstzeugnis, er sei niedergesinnt, seine an Selbsterniedrigungen reiche Gesamthaltung, seine totale Niedergesinntheit als seine Grundgesinnung hineinzudeuten und die polemische Aussage zur prinzipiellsten Aufrichtung seines Vorbildes aufzubauschen. Der einfache Inhalt dieses kurzen Kapitels bedarf keiner besonderen Zusammenfassung.
T h i e m e , Die christliche Demut. I.
15
ScMußbetrachtungen über die Demut bei Jesus. 35. Wir haben in der Einleitung Angriffe auf eine falsche christliche Demut kennen gelernt, bei denen ein Unterschied zwischen ihr und der Demut bei Jesus selbst gemacht wurde. Neuestens aber hat niemand Geringeres als Eduard von Hartmann1) die Demut bei Jesus mit der asketischen, mönchischen in einem Angriff auf sie ganz gleichgesetzt, dessen Besprechung mir instruktiv zu sein scheint. Er stellt Jesu Gebot der Selbsterniedrigung mit dem Verbot einer Abwehr angetanen Unrechts und dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner zusammen. „Es erhellt daraus, daß die Selbsterniedrigung ganz realistisch und buchstäblich zu fassen ist; eine je geringere Meinung es dem Menschen gelingt von sich zu gewinnen, desto besser für ihn und seine Rechtfertigung (Luk. 18, 13—14), und wenn ihn sein Wahrheitsgefühl verhindert, seine innere Selbstschätzung unter ein gewisses Niveau hinabzuschrauben, so soll er wenigstens äußerlich so tun, als ob er von sich die allerschlechteste Meinung hätte, soll in blinder Unterwürfigkeit einem ihm sich aufdrängenden fremden Willen gehorchen (Matth. 5,41), sich willig von jedem Unverschämten in den Kot treten lassen und sein Gefühl für erlittene Beschimpfung und Schmach ertöten (Matth. 5, 39)." Es ist unerhört, einem Jesus nachzusagen, daß er unwahre, gemachte Armesündergebärden gefordert habe. Welch grobes Mißverständnis seiner Zeichnung des Zöllners im Gleichnis! Als ob sich dieser nicht auch im Innersten so niedrig schätzte, wie er sich äußerlich gebärdet!2) Es ist nur gut, daß jene Mahnung l
) Das Christentum des Neuen Testaments. 1905, 141—143. ) Vgl. oben S. 52 unten; S. 55 oben. Wenn sich von Hartmann nicht, wie ich annehme, auf Luk. 18, 18 stützt, sondern auf einen Analogieschluß aus dem Matth. 5, 39—41 Gebotenen, so ist seine Willkür noch bodenloser. a
Sehloßbetrachtungen über die Demut bei Jesus.
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Jesu erhalten ist, beim Fasten äußerlich so zu tun, als ob man nicht in schmerzlicher Bußstimmung, sondern in froher Feststimmung sei, vgl. oben S. 96 f.! Wer so mißtrauisch gegen Armesündergebärden, gegen öffentliche Selbsterniedrigungen ist, der hat nichts mit jener Demut zu schaffen, die in Selbstbeschimpfung und Selbstverunzierung etwas sucht. Ganz direkt ist durch jene Mahnung aus der Demut bei Jesus das eitle Schauspielern ausgeschlossen, das die Selbsterniedrigung zum Mittel der Selbsterhöhung vor den Leuten macht. In oberflächlicher Weise bringt Eduard von Hartmann auch das Matth. 5, 39—41 Gebotene mit der Demut bei Jesus zusammen. Ist dort wirklich „willenlose unterwürfige Nachgiebigkeit" (y. 41), „verbrecherische Nachsicht gegen Verbrechen" (v. 39—40) gefordert? Von der Wirkung, die das Gebotene auf den ausübt, der schlägt oder berauben oder requirieren will, hat Jesus ganz abstrahiert. Ohne sich hier damit zu befassen, daß das gebotene Verhalten den einen zur Fortsetzung, den andern zur Einstellung des Bösen bewegen kann, predigt er nichts weiter, als daß das Gotteskind (v. 45) über den Bachedurst erhaben sein soll und sich zu selig fühlen, als daß es nicht auch einmal entehrende Schläge ertragen, Bock und Mantel fahren lassen und eine oder zwei Meilen mitgehen könnte. Es ist eine der Sorgenfreiheit von Matth. 6, 25ff. ähnliche, ruhevolle Stimmung, die Jesus hier aufbietet gegen das Bacheschnauben und gegen das Außersichgeraten über einen Schlag usw. Über Matth. 6,1—18 sagt Heinrici1): „Eine gewisse ironische Heiterkeit durchweht das Ganze". Weht sie nicht auch 5, 39 ff. gegen allzumenschliche Wutausbrüche und Angstanfälle bei allerlei „Bösem"? Aufs Bichtige führt Heinricis2) Beden von der „frei») Die Bergpredigt. II, 1905, 60. Das Urchristentum. 1902, 27. Wenn er vorher und sonst (Ist die Lebenslehre Jesu zeitgemäß? 1904, 31) sagt: „Vergelte ich Böses mit Bösem, so verdopple ich das Böse und pflanze es fort", so kann man im Sinne von Hartmanns (S. 139 unten) fragen, ob denn nicht das Hinhalten der andern Wange den Bösewicht dazu reizt, das Böse zu verdoppeln und fortzusetzen. Oder darf man behaupten, Jesus habe eben nicht die verführerische, sondern nur die bessernde Wirkung des Verzichts auf Vergeltung berücksichtigt? Meiner Meinung nach hat er bloß diesen selbst in seinem Eigenwert ins Auge 15*
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Schlußbetrachtungen über die Demut bei Jesus.
machenden Kraft der Frömmigkeit", 1 ) die in der höchsten Selbstverleugnung ihre Triumphe feiere. Solche gelassene Selbsterniedrigung ist etwas ganz anderes, als jene schmachbeflissene mönchische Selbstwegwerfung, die es geradezu erstrebt, verachtet und schlecht behandelt zu werden. Man darf auch nicht von blinder, willenloser Unterwürfigkeit reden, wo dem Gotteskind die Kraft zugetraut wird, durch freiwillige Mehrleistung seine persönliche Unabhängigkeit von irdischen Werten und ihrer Bedrohung zu betätigen. Zu dem schon oben S. 195 über das Eingreifen dieser gelassenen Selbsterniedrigung in die allgemeine Bruderliebe Bemerkten sei hier noch folgendes hinzugefügt Obgleich jene auch einmal um ihrer selbst willen von Jesus angerühmt werden konnte, so bleibt es doch dabei, daß seine Ethik nicht „perfektionistisch" ist, sondern „utilitaristisch".2) Denn sein Jünger soll die gelassene Selbsterniedrigung nicht außerhalb seiner stetigen Arbeit für das Heil der Brüder in Szene setzen, sondern sie hierfür fruchtbar machen. Dabei soll ihm gewiß gerade auch das Heil desjenigen am Herzen liegen, welcher ihm Böses antut: indem er sich nicht dagegen wehrt, möchte er ihn womöglich beschämen und so von seiner Bosheit heilen. Aber das Zweckobjekt gelassener Selbsterniedrigung kann auch ein dritter sein. Wie oft besteht doch der Nächstendienst des Jüngers Jesu darin, daß er seinen Nächsten zugute gelassen sich selbst vor solchen erniedrigt, die ihm Böses antun! War denn nicht gerade" das der Fall beim Meister selbst — Mark. 10, 45? Will man den altruistischen Wert der Matth. 5, 39—41 gebotenen Selbsterniedrigung bestimmen, so muß man an viel mehr denken, als an ihren Eindruck auf den Täter des Bösen. Ein vollkommener gefaßt. Vgl. die hermeneutischen Bemerkungen Wendts, Die Lehre Jesu. *S. 126 unten. *) Vgl. Schlatter, Der Glaube im Neuen Testament. 31905, 156. Frei macht nach Jesus gar nicht nur der Glaube ans Jenseits und ans nahe Ende, sondern auch der Glaube an die im Diesseits noch waltende Vorsehung; vgl. eben die Begründung der Sorgenfreiheit. Vgl. Wellhausen oben S. 92 2 und „Israel, und jüdische Geschichte". 5 384: „Er weiß einen besseren Gottesdienst als die unfruchtbare Selbstheiligung: den Dienst des Nächsten".
Schlußbetrachtungen über die Demut bei Jeaus.
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Nächstendiener braucht fortwährend gelassene Selbsterniedrigung. Denn er kann dem Bösen nicht aus dem "Wege gehen, sondern muß sich ihm dienstwillig, mit dem Vorsatz, es sich gefallen zu lassen, aussetzen, um Liebeszwecke zu erreichen, die anderswo liegen als im Gewalttäter. Man kann natürlich einen Eduard von Hartmann von irgend einem Werte der dem Bösen nicht widerstehenden Selbsterniedrigung niemals überzeugen, weil er sie ihres religiösen Fundamentes wegen von vornherein verurteilt. Dieses beschreibt er nicht ohne starke Übertreibungen, obwohl er seinen Lesern versichert, in seiner Darstellung liege nicht die geringste Übertreibung. Jesus hat „die absolute Bedeutungslosigkeit des Irdischen und die ausschließliche Wichtigkeit des Jenseitigen" nur für den Fall des Entweder — Oder behauptet: erst wenn man z. B. entweder das Reich Gottes oder den Familienfrieden wählen muß, kommt dieser als „absolut" bedeutungslos zu stehen. Jesus hat auch nicht die reisefieberhafte Stimmung der letzten Minute2), sondern nur die ernste, auf das Weltende gefaßte Stimmung der letzten Stunde einflößen wollen. Übertrieben ist auch von Hartmanns Beschreibung der innerlichen Selbsterniedrigung, die Jesus allen Menschen als Sündern zumutet. Der Mensch solle sich so tief auf dem Boden der Sündhaftigkeit fühlen, daß er keine Spur von s i t t l i c h e m H a l t mehr in sich selber findet. Solange noch ein Funke von sittlichem Bewußtsein, von innerem Halt und Gefühl der Menschenwürde im Menschen glimmt , so lange sei er ein Kind des Teufels für das Evangelium, d. h. ein weltlich Gesinnter. Das heißt die Nuance der von Jesus selbst gewollten Armensünderstimmung gröblich verkennen. Er stellt viel zu hohe sittliche Anforderungen an den „willigen Geist", als daß er bei den Menschen mit einem Gefühl absoluter sittlicher Leere könnte gerechnet haben. Zwar kann nach ihm die Schwäche des Fleisches von niemand total überwunden werden; „das Bestehen *) Ed. von Hartmann a. a. 0. S. 142; das im folgenden Zurückgewiesene steht S. 158 und 142. 2 ) Man vgl. etwa das die weltlichen Ordnungen zerstörende Treiben der Montanisten, s. Haucks Kealencyklopädie "XTTT, 422, 31—46.
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Schlußbetrachtungen über die Demut bei Jesus.
vor der strengen Prüfung des eigenen Gewissens" — nach von Hartmann das Ideal der heidnischen Moral — gilt als unerreichbar, das Gefühl intakter sittlicher Würde als Selbstbetrug. Aber daß „das hilflose Sündenbewußtsein der denkbar tiefsten Stufe demütiger Selbsterniedrigung das Ideal der Moral Jesu" sei, ist wieder eine Übertreibung seines philosophischen Kritikers. Wenn Jesus auch von seinen Getreuesten jene Selbstbeurteilungen „Wir sind niedrige Knechte" und „Gott, sei mir Sünder gnädig" verlangt, so bedeutet das doch nicht, daß die denkbar tiefste Selbstverurteilung, die allerschlechteste Meinung von sich das Ideal sein solle, zu dem sie sich energisch zwingen sollen. Ideal soll nur sein, daß wahre Selbsterkenntnis das Gemüt bestimme, nämlich daß die Erkenntnis des Nichtbestehens vor der strengen Prüfung des eigenen Gewissens das Selbstgefühl zum Schuldgefühl deprimiere, das Geltenwollen vor Gott niederhalte und das Verhalten zu den sündigen Mitmenschen normiere. Man kann aber aus Jesu Mahnungen zur Selbsterniedrigung des Schuldgefühls unmöglich beweisen, daß er Aufmerksamkeit und Wille auf dieses Gebiet mit der Anforderung gerufen habe, daß hier der Superlativ des Affekts gewaltsam erweckt werden solle. Jesus fordert bleibende Sündentrauer vom Gotteskind, mag auch wünschen, daß es mit wachsender Erkenntnis des Guten immer feinfühliger für seine Sünden werde, aber das ist ein Reiferwerden ohne künstliche Gefühlssteigerungen, solche gelten nicht als fromme Pflicht — auch diese Mache fehlt der Demut bei Jesus. Ebensowenig hat er die denkbar größte Menge der deprimierenden Gefühle als das Ideal hingestellt. Zwar dem heiligen Gott gegenüber sollen sie ganz ohne Zwang immer wieder aktuell werden: so oft man betend vor ihn tritt, so oft man nach getaner Pflicht spürt, daß die Lohnsucht gen Himmel späht (Luk. 11, 4; 17, 10; 18,13). Und wie vor dem Angesicht des heiligen Gottes, so soll sich die Beobachtung angesichts des unheiligen Bruders ins eigene Selbst hineinkehren, um auch hier das Unheilige schmerzlich zu erkennen (S. 100/1). Aber mag Jesus auch noch bei andern Anlässen niederbeugende Selbstprüfung und Sündenschmerzen natürlich und gesund finden, so hat er doch sicher nicht gewollt, daß man sich das Nichtbestehen vor der strengen Prüfung des eigenen Gewissens durch metho-
Schlußbetrachtungen über die Demut bei Jesus.
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dischen Betrieb selbstquälerischer Bußexerzitien unaufhörlich zu Gemüte führe. Will man ohne Übertreibungen die Demut bei Jesus bekämpfen, so muß man den Angriff gegen seinen „Sünden-Entrüstungspessimismus" richten, wie von Hartmann S. 86 sagt. Bleibende Sünderstimmung gehört eben nach Jesus zum Menschen einfach wegen seiner bleibenden sittlichen Erlösungsbedürftigkeit. Jesu Moral nimmt zwar verschiedene Stufen sittlicher Schwäche und Unwürdigkeit an, aber freilich auch allgemeines Nichtbestehen vor der strengen Prüfung des eigenen Gewissens. "Wir sind hierfür oben S. 90 ff. eingetreten und haben deshalb S. 101 den das Geltenwollen vor Gott niederhaltenden Willen, Gott gegenüber in der Haltung eines Knechtes und schuldbewußten Sünders zu verharren, als eine Forderung Jesu festgestellt. Dies ist die religiöse Niedergesinntheit. Daß es nicht im Sinne Jesu ist, die Sünderstimmung aus ihr zu eliminieren, haben wir schon S. 103 gegen Ritsehl betont. Da sich nun dann in Nr. 16—18. 26 gezeigt hat, daß Jesus selbst keiner sittlichen Erlösung bedürftig und also seine Frömmigkeit von Sünderstimmung gänzlich frei war, ist das Verhältnis seiner eigenen religiösen Niedergesinntheit zu der von ihm den Menschen gebotenen das erste Problem, das wir in diesen Schlußbetrachtungen zu erledigen haben. 36. Es kommt dabei aber nicht nur die religiöse, sondern teilweise auch die ipsistische Richtung der Niedergesinntheit in Frage, wie ja im dritten Kapitel Jesu Demut vor Gott und seine Demut in der Selbstbeurteilung nicht durchweg auseinandergehalten werden konnten. Nachdem nun im vierten und fünften Kapitel auch die altruistische Richtung der Niedergesinntheit bei Jesus behandelt worden ist, können wir diese nunmehr nach Struktur und Richtungen formal bestimmen. Es kommt hier an dieser Stelle unsern Schlußbetrachtungen zugute. Man vermiede es vielleicht besser, bei der Niedergesinntheit von „Richtungen" zu reden, weil sie eben die Eine Richtung des ganzen Sinnes nach unten, ins Niedere ist. Der niedergerichtete, herabsteigende Sinn bewährt und betätigt sich aber auf den drei großen Gebieten der Frömmigkeit, der Menschenliebe und des Verhaltens zu sich selbst, in der religiösen, altruistischen und
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ipsistischen Sphäre, in der Richtung (wie man sonst sagt) auf Gott, die Menschen und das eigene Selbst. Die Niedergesinntheit bewirkt die Erniedrigung des eigenen Selbst — aber nicht immer um seiner selbst willen, sondern auch um Gottes und um der Menschen willen. Die Selbsterniedrigung des Zöllners, der auch nicht die Augen gen Himmel aufheben mag und, indem er Gott anruft, von sich selbst nur aussagt, daß er ein armer Sünder sei, hat doch nicht ihren Zweck in sich selber; hinter ihr wirkt doch nicht die ipsistische Absicht, Selbsterniedrigung darzustellen und einzuüben, auch nicht die egoistische Absicht „kriechender Gunstbewerbung" bei Gott (vgl. S. 93), sondern der religiöse Trieb, dem heiligen Gott in Selbsterniedrigung vor ihm mit Gefühlen, Worten und Gebärden die Ehre zu geben. Wir bestritten auch erst vorhin (S. 228) wieder, daß Jesu Ethik perfektionistisch sei, d. h. daß es ihm bei den Selbsterniedrigungen, die dem Nächsten förderlich sind, nicht auf die altruistische, liebevolle Absicht ankomme, sondern auf die Vollkommenheit des Selbst, auch das Niedrige zu vermögen. Man soll nach Jesus z. B. den „Kleinen" um ihrer selbst willen dienen, nicht nur um dem eigenen Selbst auch diejenigen Erniedrigungen abzugewinnen, welche hiermit verbunden sind. Die Niedergesinntheit soll sich also in der religiösen, altruistischen und ipsistischen Sphäre auswirken. Es ist aber bei der ungeheuern Verwickelung der Motive selbstverständlich, daß die meisten Selbsterniedrigungen nicht nur auf eines dieser drei Gebiete fallen. Wer z. B. sich selbst auf den letzten Platz erniedrigt, mag mitbeabsichtigen, andere zu respektieren, zu fördern usw. Besonders ist das Gottesbewußtsein mit dem Selbstbewußtsein des Frommen so innig verschmolzen, daß rein ipsistische Niedergesinntheit kaum vorkommt. Wir können aber die Niedergesinntheit, sofern sie auch abgesehen von religiösen und altruistischen Motiven in der Selbstbeurteilung (S. 102) und in der ihr entsprechenden sozialen Selbsteinordnung (S. 101/2) zur Niedrigkeit, statt zur Geltung des Selbst gewillt ist, als die ipsistische spezifizieren. Dabei ist es nach Jesus immer der Trieb nach Geltung, den die Niedergesinntheit niederdrückt. Seine Gnome gegen die Selbsterhöhung und für die Selbsterniedrigung steht in Angriffen
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auf die Pharisäer und Schriftgelehrten, die wegen ihrer Gerechtigkeit und Gelehrsamkeit vor Gott und Menschen Geltung beanspruchen und diese auf den ersten Plätzen auskosten wollen. Heißen die, welche alles haben fahren lassen, „Letzte", so wird damit das Nachstehen nicht an dem Lebensgenuß, sondern an dem Ansehen, das die irdischen Güter bringen (vgl. S. 51), ausgedrückt. Denn „Erste — Letzte" geht doch eben auf die Rangstellung (vgl. Mark. 9, 35): als ihre Umkehrung stellt die Gnome vom Tausch zwischen „Letzten" und „Ersten" die künftige totale Umwälzung dar.1) Auch bei der altruistischen Selbsterniedrigung ist an die der allgemeinen Bruderliebe nötige Kraft gedacht, auf Geltung zu verzichten. Die Arbeit an den „Kleinen" ist unansehnlich; ihre Gesellschaft bringt keine Ehre; ihre leutselige Behandlung verwischt Standesvorzüge. An den ärmlichen Lebensverhältnissen, in die man durch starke Bruderliebe hinabgerät, kommt das Unwürdige, Entehrende in Betracht. So wird man wohl die Unterscheidung machen können, daß bei Jesus die Selbsterniedrigung sich gegen das Geltenwollen, die Selbstverleugnung aber gegen das Leben- und Genießenwollen des Selbst richtet. Im Gesamtwillen Jesu und seiner jüdischen Jünger mag das Gelten wollen überwogen haben, mag am „Kreuz" mehr die Schmach als der Schmerz des Untergangs gefürchtet worden sein. Gilt aber Leiden und Sterben als schmachvoll und erniedrigend, so gilt als eine Voraussetzung von Geduld und Ergebung ins Leiden und Sterben die Niedergesinntheit. Wir haben das beim Gebot der Dienstwilligkeit verfolgt (s. S. 188), ohne alle Worte Jesu über Selbstverleugnung, Leid und Kreuz in die Untersuchung hineinziehen zu müssen. In bezug auf die inneren Abhängigkeitsverhältnisse, in denen die drei Seiten der Niedergesinntheit bei Jesus zu einander stehen, füge ich hinzu, daß man einerseits jene vorhin S. 232 betonte Verwicklung der Motive und Ausdehnung des Gottesbewußtseins berücksichtigen, anderseits aber auch die S. 99 unten bei Matth. 7, 1—5 geübte Vorsicht allgemein beobachten muß. Kann man von einem Propheten und Gesetzgeber erwarten, daß er über *) V g l . L u k . 1, 52 — anders v . 5 3 u n d 16, 25. Mit nävtcov
klärt Chrysostomus ca/aroi 1. Kor. 4, 9.
ariftotegoi
er-
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Sehlußbetrachtungen über die Demut bei Jesus.
den Kausalnexus der Tugenden untereinander doziere, die er gebietet? Nur ist die sittliche Triebkraft des Glaubens, unter andern an Gottes Gericht, sein Axiom und als ein unwahrscheinliches Systematisieren dürfte es doch nicht gleich gelten, daß er die Niedergesinntheit, die die andern nicht richtet, von derjenigen abhängig gedacht habe, welche das eigene Selbst richtet. Diesen formalen Bestimmungen sei noch eine methodische Auskunft angereiht, bevor wir Jesu eigene religiös-ipsistische Niedergesinntheit und die von ihm den Menschen gebotene mit einander vergleichen. Eduard von Hartmann hat du 0. S. 63—68 nachzuweisen versucht, daß jene in den drei von ihm S. 55 ff. unterschiedenen Perioden des öffentlichen Lebens Jesu gradweise dem Streben nach menschlichem Buhm und gottgleicher Ehre und dem Stolz auf die messianische Würde gewichen sei. Von der unwissenschaftlichen Willkür dieses Angriffs auf Jesus hatten wir oben S. 1272 eine Probe. Wir unsrerseits meinen, daß nur zwei Lebensperioden Jesu hinsichtlich seiner Niedergesinntheit zu unterscheiden möglich und nötig ist, die vor und die nach seinem ihm von Gott „überlieferten" Erkennen seiner selbst als des Stellvertreter-Sohnes, und obwohl wir selbst S. 122 ein Wachsen dieser Selbsterfassung nach den Erlebnissen der Taufzeit annahmen, halten wir doch nur diese für epochemachend und haben deshalb die jetzt nicht seltene Annahme als zu unsicher beiseite gelassen, daß Jesus seine höchsten Ansprüche erst ganz am Ende seines Lebens erhoben habe. Ebensowenig haben wir beim Ausgleich der Messiashoffnung Jesu mit seiner religiös-ipsistischen Niedergesinntheit uns der verwandten Annahme bedient, daß er beim Glauben an seine Messianität eine innerliche Zurückhaltung bewähre, die aus seiner Niedergesinntheit entspringe.1) Denn wir *) Vgl. z. B. Deißmann in „Beiträge zur Weiterentwicklung der christl. Religion". 1905, 106: „Die messianische Gewißheit Jesu . . . . dürfen wir uns nicht als eine . . . . Überzeugung vorstellen, die . . . . von einem bestimmten Augenblicke seines Lebens an sein fester ruhiger Besitz gewesen wäre.
Sie
ist vielmehr . . . . eine prophetische, eine geschenkte Gewißheit, die als solche ihre Gezeiten hat.
Sie ist eine Gewißheit, die dämmert und wieder ver-
schwindet, die in großen Offenbarungsstunden mit himmlischer Klarheit aufleuchtet, vor der er dann aber selbst wieder zurückbebt in Demut und Einfalt".
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wollten etwas, was ja, wenn es sicher zu greifen wäre, für Niedergesinntheit beweisen würde, die niedergesinnte Art und Weise des allmählichen, graduellen Werdens seines hocherhabenen Selbstbewußtseins, lieber aus der Untersuchung ausschalten, um sie dadurch sicherer und einfacher zu machen, daß wir nur zwei deutlich unterscheidbare Stände des (vorhimmlischen) Selbstbewußtseins Jesu in Betracht zögen, den ohne und den mit dem festen, fertigen Glauben an seine Messianität. 37. Was nun die religiös-ipsistische Niedergesinntheit Jesu anbetrifft, so bestanden in beiden Ständen Gleichheiten und Unterschiede zwischen ihr und der von ihm vorgeschriebenen. Schon ehe der Glaube an seine Stellvertretermission und sein zu ihr befähigendes Sohnwesen das Gottes- und Selbstbewußtsein Jesu bestimmte, hatte seine eigene Niedergesinntheit an ihrer Freiheit von Schuldgefühl das Merkmal, das sie in beiden Ständen von aller andern spezifisch unterscheidet. Ob auch schon damals das Kraftgefühl seines willigen Geistes verbunden mit starker Zuversicht auf Gottes Treue die Furcht vor dem schwachen Fleisch fast gar niemals aufsteigen ließ (vgl. S. 168 f.), bleibe dahingestellt. Nun ist aber etwas anderes als die Furcht vor dem schwachen Fleisch das bloße Bewußtsein, ein Wesen mit schwachem Fleisch zu sein. Wenn wir oben S. 91 dafür eintraten, daß nach Jesus seine Jünger allzumal das Bewußtsein der Schwäche des Fleisches als „negative Grundstimmung" nötig haben, so waren darin natürlich Gefühle der Furcht vor sich selbst, vor Fall in Schuld, enthalten gedacht. Diese müßte man fast ganz hinwegdenken, wenn man das Bewußtsein, ein Wesen mit schwachem Fleisch zu sein, als Jesu „negative Grundstimmung" behaupten wollte. Sollte uns dazu etwa jener Protest gegen „gütig" (vgl. S. 107/8) nötigen? Oder die Erwägung, daß gerade das gottesfürchtigste, gottinnigste Wesen bei seinem stetigen Einswerden mit Gott seine Belastung mit der erst zu überwindenden gemeinmenschlichen Fleischesschwäche unwillkürlich in seinem Bewußtsein stets gegenwärtig haben mußte? Das hieße doch den Eampf des Geistes Jesu wider sein Fleisch sich zu schwer und zu regelmäßig vorstellen und die mühelose Leichtigkeit seines vollkommenen Wandels vor Gott unterschätzen (vgl. S. 110). Als „Grundstimmung" Jesu wird
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man jenes Bewußtsein nicht bezeichnen dürfen, sondern nur als einen Beitrag zu ihr von der sittlichen Seite her. Aber dabei erhielten nicht Furcht und Bangigkeit sein Gemüt in Erregung, sondern es war gefaßt in ruhiger Resignation: Jesus war ergeben darein, daß er nicht nur willigen Geist, sondern auch schwaches Fleisch hatte, und daß also sein sittliches Sein nicht von Gottes Art war. Sind die Niedergesinntheit der Sünder und die des Sündlosen durch das vorhandene oder mangelnde Schuldgefühl spezifisch unterschieden, so trägt dazu natürlich auch die Verschiedenheit des beiderseitigen Bewußtseins der Fleischesschwäche mit bei. Aber daran haben die zwei Formen der Niedergesinntheit eine Gleichheit, daß sie beide einen großen Abstand von Gottes Vollkommenheit fühlen. Der tiefen Ehrfurcht Jesu vor Gottes unermeßlicher. Erhabenheit ist es zuzutrauen, daß in seiner Stimmung das ihm mit den Sündern im Unterschied von Gott gemeinsame Fleisch betonter war als seine ihm mit Gott im Unterschied von den Sündern gemeinsame Sündlosigkeit, daß er also mehr seinen Unterschied von Gott als den von den Sündern maßgebend sein ließ für seine Selbsteinordnung zwischen Gott und die Sünderwelt. Jedenfalls fehlt es zwischen der Niedergesinntheit des sündlosen Jesus und der der sündigen Menschen auch von der Seite des Sittlichen her doch nicht an einer gewissen Gleichheit. Von Gottes heiliger, übersittlicher Vollkommenheit befand sich Jesu Vollkommenheit in einem großen Abstand, weil sie teilweise auf Überwindung schwachen Fleisches beruhte. Hatte sein williger Geist es überwunden oder, ohne daß ein solcher Kampf nötig war, alles ihm Befohlene getan, sollte da Jesus nicht auch selbst haben sagen können: „Ich bin ein niedriger Knecht; was ich schuldig war zu tun, habe ich getan"? Wir haben schon oben S. 131 ein Knechtsgefühl bei Jesus mit seinem starken Bewußtsein kreaturenmäßiger, insbesondere werkzeuglicher Abhängigkeit vom Allherrn in Verbindung gebracht. So war seine Niedergesinntheit sogar nach seinem Auftreten als Gottes Stellvertreter-Sohn auch durch ein Knechtsgefühl derjenigen gleich, welcher er jene Eede „Wir sind niedrige Knechte" vorschrieb. Es beruhte darauf, daß in seiner Stimmung seine
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Wesensverwandtschaft mit den übrigen Gottesknechten betonter war als der Unterschied seiner sohnesmäßigen Stellvertretermission von ihrem Prophetenberuf. Und zu jener Mission gehörte ja eben nicht etwa Pienipotenz, sondern werkzeugliche Unselbständigkeit, wie sie ein Knecht hat. Jesu Lebenswerk war zwar unsündlich, aber nicht ohne Kämpfe mit schwachem Fleisch vollbracht; es war zwar einzig, noch nie dagewesen und nie wieder möglich noch nötig, aber doch nicht jeder Yergleichbarkeit mit den Werken früherer Gottesboten entrückt. So hat auch seine Niedergesinntheit, nicht einmal während er dieses Lebenswerk hoheitsvoll vollbrachte, jede Gleichheit mit der Niedergesinntheit derer abgestreift, die ihr Lebenswerk nicht ohne Sünde durchführen. Die beiden Gefühle, durch die sich Jesu Niedergesinntheit mit der der Sünder berührt, das Gefühl des Mangels gottheitlicher Vollkommenheit und das bei aller religiös-sittlichen Vollkommenheit bleibende Knechtsgefühl, sind aber doch nur Teilgefühle in der ihn ganz durchdringenden Grundstimmung, daß er, das einzige Sohn-Wesen, vor dem unendlichen Gott bedingt und begnadet, beschränkt und bedürftig dastehe — wesensverwandt mit seinen Kreaturen, von denen er doch durch das nur ihm bereitete religiös-sittliche Wesen unterschieden ist. Man hat hier wieder nur den Eindruck, daß das Gefühl seines bleibenden Abstandes und seiner dauernden Abhängigkeit von der alles bereitenden Allmächtigkeit des unendlich erhabenen Gottes in Jesus kräftiger war als das Gefühl seiner eigenen Erhabenheit über die übrigen Wesen. So würde er also auch seine eigene religiös-ipsistische Niedergesinntheit nicht als dermaßen erhaben über alle andere betrachtet haben, daß es nicht in seinem Sinn wäre, die zwei Formen unter eine Definition1) zu bringen: das x
) Es ist die gewohnte, vgl. S. 11 unten und etwa noch, wie Kahler, Die Wissenschaft der christl. Lehre 31905, S.535,§628, über die Demut spricht: „Den Grundzug wahrer Frömmigkeit bildet dieDemut gegenüber dem allmächtigen und weisen Schöpfer und Lenker der Welt, die willige Hingabe an die unbedingte Abhängigkeit. Das Bewußtsein des Abstandes, in welchem sich das unfertige persönliche Geschöpf von der unwandelbaren Person befindet, wird in der Bekehrung durch das Sündenbewußtsein vertieft und macht als Furcht oder Scheu vor dem allein guten Gott eine bleibende Seite der Demut aus."
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Bewußtsein des Abstandes von Gottes Vollkommenheit und der gänzlichen Abhängigkeit von seiner Macht und Gnade. Hierzu wäre ja gleich zu bemerken, daß dieses Bewußtsein nur bei Jesus vom Schuldgefühl frei blieb, das bei den andern allzumal hinzutritt und Jesus fremde Gefühle mit sich bringt, das Distanzund das Abhängigkeitsgefühl begnadigungsbedürftiger Sünder. Aber es ist stilwidrig, Jesu Stimmungen auf Gedanken über Tugenddefinitionen hin zu untersuchen. Man darf ihn nicht darum befragen, ob man um der einzigen Niedergesinntheit willen, die in ihm selbst bestand, das Schuldgefühl und seine Wirkungen nicht zu den „notwendigen Bedingungen" der Niedergesinntheit rechnen und also bei ihrer Begriffsbestimmung nicht berücksichtigen solle. Tut man das, hält man für konstitutiv nicht das sündermäßige, sondern das kreaturenmäßige Distanzgefühl und das Gefühl der Abhängigkeit nicht von der sündenvergebenden Erlösergnade, sondern von der alles bereitenden Schöpfergnade, so übt man eine Abstraktion, die der Bedeutung gewiß nicht gerecht wird, die Sünde und Erlösung im Gemeinglauben Jesu und seiner Religionsgenossen hatten. Aber lassen wir die Definitionsfrage hier ganz fallen, um nur zu betonen, daß Jesus das Bewußtsein des Abstandes von Gottes übergeschöpflicher Vollkommenheit und der gänzlichen Abhängigkeit von seiner Macht und Schöpfergnade zwar mit den von ihm zur Niedergesinntheit Ermahnten gemeinsam hatte, daß aber diese von ihm gepredigte Niedergesinntheit eine erweiterte Form jener Bewußtseinsstimmung war, die er, der Sündlose, nicht aus eigenem Erleben kannte, nämlich ihre durch den Hinzutritt des Schuldgefühls und seiner Wirkungen veränderte Gestalt. Nur so viel kann und soll in Analogie zu unsern Bemerkungen über die Gottesfurcht in Nr. 17, besonders S. 111/2, schon an diesem Punkte über die christliche Demut gesagt werden, daß die Anfänge des bloß Kreaturenmäßigen an der religiös-ipsistischen christlichen Demut innerhalb des inneren Lebens Jesu liegen — es ist ein Beispiel der Entstehung des Christentums aus dem „Christentum Christi" *) Sie ist bekanntlich klassisch skizziert in Wellhausens Sätzen (Israel, u. jüd. Gesch. 5 390): „Jesus wirkte so tief und so nachhaltig auf die Jünger, daß sein Wesen sich mit ihnen yerwob und ihr neues, besseres Ich wurde" usw.
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— daß aber die Anfänge des Sündermäßigen an der religiösipsistischen christlichen Demut außerhalb des inneren Lebens Jesu in dem durch seine Mahnungen zu ihr gestalteten Innenleben seiner Jünger iiegen. Wir haben vorhin S. 232/3 festgestellt, daß das Widerspiel der Demut bei Jesus immer der Trieb nach Geltung ist, wie wir ja S. 101 die von ihm gebotene religiöse Niedergesinntheit als den das Geltenwollen vor Gott niederhaltenden Willen zu knechts- und sündermäßiger Niederbeugung vor Gott bestimmten und S. 171 seine eigene Niedergesinntheit als den den Willen, als sein eigener Bildner zu gelten, niederhaltenden Willen, sich vor Gott als sein höchstbegnadetes Gebilde zu beugen. Im einzelnen sei nur hervorgehoben, wie dem Geltenwollen vor Gott bei Jesus selbst besonders das Bewußtsein der gänzlichen Abhängigkeit von seiner Schöpfergnade entgegenwirkt. „Von Gottes Schöpfergnaden bin ich, das ich bin" drückt Jesu Grundstimmung aus und deshalb ist er nicht dazu disponiert, seine religiös-sittliche Vollkommenheit durch Eigenruhm wieder zu gefährden, sondern er bleibt zu dem „Wir sind niedrige Knechte" willig, das sich sogar dem höchstbegnadeten Gebilde als solchem ziemt. Den Sündern lebt er hierdurch vor, wie sehr sich ihnen außerdem die Willigkeit zur unbedingten Abhängigkeit von der sündenvergebenden Erlösergnade Gottes ziemt. Seine Beugung vor der Gnade ist vorbildlich dafür, daß die Sünder die selbstgerechte Hoffart niederzwingen sollen. Eigentlich liegt ja in dem Wort „Wir sind niedrige Knechte" nicht das Zugeständnis, daß man nicht selbst, sondern Gottes Gnade, die mit einem ist, alles Befohlene getan habe. Aber wir möchten immer wieder gerade dieses Wort als die Formel benutzen, womit wir die Gleichheiten der Demut Jesu mit der aller Menschen ausdrücken. Es scheint uns dazu geeignet, obwohl Jesus nicht gesagt hat: „Ebenso laßt auch uns sprechen, wenn wir alles uns Befohlene getan haben: Wir sind niedrige Knechte; was wir schuldig waren zu tun, haben wir getan", und obwohl z. B. Joh. Weiß1), der auf den Einschluß Jesu gar nicht reflektiert, sogar die Bedeutung: Wir sind (im "Vergleich *) Die Schriften des Neuen Testaments. I, 454.
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mit Gott) schlechte (?), niedrige, gemeine (?) Knechte zu stark findet. Aber man muß sich nur klar machen, daß es der vollendeten Ehrfurcht vor Gott geradezu Bedürfnis ist, der Wahrheit die Ehre zu geben und die Niedrigkeit jedes Gebildes im Vergleich mit dem Bildner stark zu betonen. Der vollendeten Andacht zu dem allein Unvergleichlichen erscheinen vor seiner unendlichen Herrenhoheit alle endlichen Wesen als gleich niedrige Knechte. Daß Jesus, wenn er sich eingeschlossen hätte, gesagt haben würde „Ebenso laßt auch uns sprechen, wenn wir alles uns Befohlene getan haben" usw., ist nicht nötig anzunehmen. Das Meiste, was er anderen gebot, hat er sich selbst auch geboten, ohne das in den Geboten selbst durch ihre Formulierung anzudeuten. Das ist ja das allgemeine Verfahren der rechten Propheten, die im Namen Gottes Sittengesetze geben, daß sie sich selbst stillschweigend unter sie stellen, ohne diesen Zusammenschluß ihrer selbst mit ihrer Gemeinde fortwährend ausdrücklich hervorzuheben. Sollte man übrigens nicht an dem „alles" in „wenn ihr alles euch Befohlene getan habt" merken, daß Jesus das Gebot aus der Erkenntnis der für ihn selbst gültigen Pflicht heraus gibt, bei seinem alles ihm Befohlene sündlos ausführenden Tagewerk niedergesinnt zu bleiben? Unwillkürlich zeichnet er mit dem „alles" doch mehr sich selbst als seine Jünger (vgl. S. 90/1). Und die Geneigtheit, sich und sein Wirken mit den Jüngern und ihrem Wirken zusammenzuschließen, läßt sich doch sonst bei Jesus beobachten. „Daß er bei wichtigen Entscheidungen", sagt Jülicher1) ganz richtig, „ein ,Ich' ruhig, die Jünger mit einrechnend, in ,Wir' übergehen läßt, z. B. Mark. 9, 39 f., ist kein Zufall: niemals würde er durch ein ähnliches ,Wir' sich mit dem Vater zusammenordnen." 38. Wer wie wir Jesus zutraut, daß er sich in das „Wir sind niedrige Knechte" miteingeschlossen habe, der wird für die von ihm selbst gebotene Niedergesinntheit nicht jene oben S. 103 erwähnte Definition Schleiermachers zutreffend finden, Demut sei das beständige Bewußtsein vom Unterschiede zwischen uns und Christus. War denn Jesu Art, sich zu Gott und zu den *) Die Kultur der Gegenwart ed. Hinneberg I, IV Die christliche Religion 1906, 57.
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Menschen zu stellen, so, daß man von ihm erwarten kann, er habe sich selbst als denjenigen aufgestellt, vor welchem die Menschen nichts sollen gelten wollen, sondern das beständige Bewußtsein des Abstandes von seiner "Vollkommenheit und der gänzlichen Abhängigkeit von seiner Macht und Gnade und den Willen haben, ihm gegenüber in der Haltung eines Knechtes und schuldbewußten Sünders zu verharren? Kein Zweifel, er selbst maßte als der Heiland der Sünder beständig auf ihre Sünde aufmerksam sein, wobei er übrigens der Macht und Gnade seines himmlischen Vaters für seine eigene Beanlagung zur Sündlosigkeit dankbar war. Man darf auch auf Grund von Mark. 9, 19 und geschichtlichen Analogien mit Kähler1) behaupten, daß seine persönlichen Beziehungen zu allen Menschen, sogar den Vertrautesten, ein Herabsteigen, eine Selbstüberwindung bedeuteten. Aber auch das ist eine gute Beobachtung Kählers (S. 142), daß Jesus es niemandem zeigt, daß er zu jedem herabsteigen muß. Er ist auch darin der rechte Sünderheiland, daß er ohne jedes „Pathos der Distanz" die Distanz überbrückt, die ihn und die Sünder trennt. Nicht als ob er sich etwa so benähme, wie wenn auch er irgendwie mitbeteiligt wäre an einer Gesamtschuld. Aber bezeichnend ist, wie er, wahrscheinlich um dem unvermeidlichen Eindruck unnahbarer Größe zu begegnen, seine sanftmütige und leutselige Art hervorhebt, vgl. S. 222. Sollte zu seiner sanften und leichten Lehre gehört haben, daß die Seinen ihm gegenüber das knechts- und sündermäßige Bewußtsein des Abstandes von Gottes Vollkommenheit und der gänzlichen Abhängigkeit von seiner Macht und Gnade pflegen sollen? Wenn ihm gegenüber das sündermäßige Abstandsgefühl ganz ausbliebe, so würde er das gewiß als Selbstverstockung gegen eine Gottesoffenbarung verurteilen, vgl. S. 111 oben. Aber die erschrockene Niederbeugung vor dem heiligen Gott, der sich ') Dogmatische Zeitfragen II, 141/2; 151 Mitte; 152 unten. Dagegen möchte ich Kähler den Rückschluß S. 144 nicht nachsprechen, Jesu Werdezeit in Nazareth müsse „ein unaufhörliches Sicherniedrigen* gewesen sein. Mit dem nächsten Schritt ist man dann vollends nicht mehr in der Historie, sondern in der Christologie: bei der vorangehenden Selbstentäußerung als Ursache dieser unentwegten Selbsterniedrigung. T h i e m e , Die christliche Demut. I.
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durch seinen sündlosen Stellvertreter hindurch offenbart, soll doch nicht bei diesem aufgehalten werden. Der beugt sich selber auch vor dem allein heiligen Gott nieder, zwar ohne Sündenschrecken, aber mit Verantwortlichkeitsgefühl, weil Gott, die einzige Macht und Quelle des Guten, es ihm gnädig „überlieferte" und zu vollbringen gab. Er beugt sich vor diesem Guten, das er vor der Sünderwelt sündlos darzuleben vermag, wie vor einer objektiven Macht, die ihn treibt. Er beugt sich vor ihr wie ihr — Knecht. Daß er sich von ihr willigen Geistes treiben läßt, dessen rühmt er sich nicht gegen seine sündigenden Mitknechte, um ihre Bewunderung seines willigen Geistes zu ernten. Er rechnet freilich mit einer Zukunft, wo er mit dem Guten als sein Organ so eins geworden ist, daß er, ohne sich selbst von ihm richten lassen zu müssen, den heiligen und allmächtigen Gott als Weltrichter vertreten kann. Dann werden freilich alle, die er richtet, im Bewußtsein ihres Abstandes von seiner Vollkommenheit und ihrer gänzlichen Abhängigkeit von seiner Macht niedergeschmettert vor ihm stehen. Denn dann wird es ihm auch nicht mehr an der Vollmacht fehlen, Leib und Seele in der Gehenna zu verderben. Aber mit solchen Zukunftsbildern will er doch nicht den Seinen sich selbst als den eigentlichen Gerichtsherrn der Welt vorstellen, dem gegenüber sie in der Niedergesinntheit und Niedergeschlagenheit beharren sollen, die in der Frömmigkeit der Sünder nicht fehlen darf. Hiergegen scheinen mir sein Sohneseifer und sein Brudereifer beide gleich sehr zu entscheiden. Er will alle Gottesverehrung durch sich hindurch und über sich hinaus auf den Vater hinlenken, und er will die Seinen, die sich von ihm vor seinem Gericht retten lassen, sich sogar möglichst gleichstellen. Die durch sein brüderliches Rettungswerk sich bildende „kleine Herde" ist über das niederschmetternde Distanzbewußtsein hinausgehoben, das nur diejenigen ihm als Richter gegenüber nötig haben, die sich von ihm nicht retten lassen wollen. Gott selbst soll es sein, dem gegenüber es in Jesu kleiner Herde bleiben soll bei „Wir sind niedrige Knechte", „Gott, sei mir Sünder gnädig", „Vater, erlaß uns unsre Schulden". Gott selbst soll es sein, vor dem sie nichts soll gelten wollen, sondern sich gänzlich auf seine Gnade verlassen, die sie durch ihren Herrn
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Jesus rettet. Mag dessen Vollkommenheit auch immer wieder als ein niederbeugendes Kehrt um! zu jenen Bitten an Gott treiben — Jesus will eben nicht selbst ihr Empfänger sein, sondern vor Gottes heiliger Majestät gilt es sich niederzuwerfen. Aber wer sich selbst vor Gott erniedrigt, den richtet Jesus auf, indem er ihm beständig jenes Vertrauen auf ihn als Retter einflößt. Und auch seine Höhe als Retter bestimmt Jesus nicht, von denen, die er rettet, religiöse Niedergesinntheit ihm selbst gegenüber zu verlangen. Mag er auch sogar zu der Vollmacht erhöht werden, seine Engel zum Sammeln der Auserwählten abzusenden (vgl. S. 177) — da das Auserwählen so wenig seine Sache ist, wie das Verleihen der Sitze zu seiner Rechten und Linken, sollen die Auserwählten durch ihren Retter hindurch auf den alles bereitenden Gott selbst das beständige Bewußtsein der gänzlichen Abhängigkeit von seiner Macht und Gnade richten. Wir wiederholen zum Abschluß der durch jene Definition Schleiermachers veranlaßten Erörterung aus S. 164 f. die Behauptung, daß im Verkehr der Jünger mit Jesus kein Distanzbewußtsein vorkam, das an das, ihnen und Jesus gemeinsame, Bewußtsein der unendlichen Kluft zwischen der Kreatur und Gott streifte. Eben deshalb, weil Jesus selber dieses letztere Bewußtsein hatte, mußte er es erst recht den Sündern verordnen und unter ihrer Niedergesinntheit mehr verstehen als dasjenige Distanzbewußtsein, welches allein ihm selbst gegenüber eintrat. Wird er dereinst, mächtig in der Gehenna und über die Engel, als Richter die im Gericht Befindlichen und als Retter die Auserwählten noch in ein andersartiges Distanzbewußtsein versetzen, so will er dabei doch nur als Gottes Stellvertreter und bevollmächtigter Exekutor gelten und seine Regentschaft „von Gottes Gnaden" nicht mit dem allmächtigen Weltregiment des unbedingten Gottes verwechselt wissen, der da alles bereitet und beherrscht: Auswahl und Gericht, Gehenna und Engel, das Sitzen zur Rechten und Linken des Messias, auch diesen selbst. Mochten die Auserwählten infolge der sicheren Hoffnung auf Jesu zukünftige Herrlichkeit ihr gegenüber schon im voraus ein anderes Distanzbewußtsein haben als gegenüber seiner beschämenden Vollkommenheit, wir sehen vor allem aus der a. a. 0. gewürdigten Szene zwischen den Zebedaiden und Jesus, daß die Abstandsver16*
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hältnisse zwischen ihnen nicht die zwischen Gottes Herrlichkeit und kreatürlicher Niedergesinntheit waren, sondern daß erst durch den Hinweis Jesu auf den Ungenannten, der da alles bereitet, wahre religiöse Niedergesinntheit in die Szene kam. Man darf nicht etwa annehmen, daß nur hier einmal von den zwei Vertrauten Jesu diese ihre besondere Stellung zu ihm gemißbraucht und die religiöse Niedergesinntheit gegen ihn abgeworfen worden sei. Denn Jesus hatte diese gar nie verlangt, erlaubt, sondern dadurch, daß er sich auf möglichste Gleichstellung seiner Jünger mit sich selbst bedacht zeigte, werden solche Aspirationen begreiflich. Wir behaupteten vorhin, Jesus habe nicht selbst der Empfänger von Bitten wie „Gott, sei mir Sünder gnädig" oder „Vater, erlaß uns unsre Schulden" sein wollen. Wie beantworten wir also die Frage, ob er verlangt, erlaubt habe, daß man zu ihm bete? Jenes wurde in einem Zusammenhange behauptet, wo zu konstatieren war, daß Jesus jede Niedergesinntheit gegen ihn selbst ablehnte, die eine „Verleugnung" *) Gottes involviert haben würde. Wie wird er sich aber zum Beten zu ihm gestellt haben, wenn dabei keine Verleugnung Gottes zu befürchten ist? Man sieht ja darin die Verträglichkeit der Anbetung Jesu mit der Anbetung Gottes, daß jene ihrem Sinne nach diese sei und ihren Grund in Jesu Einheit mit Gott habe. Nun schreibt Lütgert2): „Wenn Liebe, Gehorsam, Glaube, Bewunderung, Verehrung, die sich an ihn wenden, sich damit nicht sofort an Gott wenden, so weist er sie ab Er will nicht in der Weise zwischen Gott und die Menschheit treten, daß er von Gott scheidet, sondern so, daß er zu Gott bringt". Das ist unfraglich richtig und ebenso, was er S. 52 und S. 54 zugibt, daß Jesus das Gebet zu sich nicht gesetzlich fordere, weil diese Forderung seiner Demut vollkommen widerspreche, und daß deshalb eine gesetzliche Forderung der Anbetung Jesu der Kirche verwehrt sei. Aber doch sei (S. 55) es Jesu 1
) Vgl. Lüdemann, Die Verleugnung Gottes des Vaters. Ein theologisches Bedenken. 1861. *) Die Anbetung Jesu. Beiträge zur Förderung christlicher Theologie. 8. Jahrgang 1904. 4. Heft, S. 64.
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bewußtes Ziel, angebetet zu werden, weil er den — nie gebetslosen — Glauben nur in der Weise auf Gott gerichtet habe, daß er ihn auf sich selbst gezogen habe, dadurch nämlich, daß er in göttlicher Macht gegeben habe, mit Gottes Macht und Liebe gehandelt habe. „Durch jede Tat, durch die er Gottheit geoffenbart hat, hat er Anbetung geweckt und gefordert." „Wessen Gottheit?" zu fragen wäre schon nicht im Sinne Jesu. Als ob es noch eine andere Gottheit gäbe als die des Vaters, als ob er selber auch Gottheit zu eigen hätte! Worin bestand denn sein Geben „in göttlicher Macht", sein Handeln „mit Gottes Macht und Liebe"? Er fühlte sich bevollmächtigt, Gottes eigene sündenvergebende Vaterliebe als ihr Organ unter den Sündern zu vertreten; dazu hätte er kein Geschick gehabt, wenn er nicht selber auch barmherzig wie Gott gewesen wäre; aber diese seine eigene Barmherzigkeit war eben nicht Gottes barmherziges Vaterwesen, auf das allein er den Glauben der Sünder gerichtet hat. Ebenso hat er durch seine Machttaten nicht etwa eine ihm eigene göttliche Macht neben Gottes Macht geoffenbart, sondern neben dieser nur seine Gebetsmacht über sie. Nicht auf diese, sondern auf Gottes Macht allein hat er den Glauben der Hilfsbedürftigen gerichtet. Zwar nicht auf sich selbst als ein Wesen von göttlicher Macht und Liebe hat Jesus den Glauben gezogen, wohl aber insofern auf sich selbst, als nur durch ihn hindurch sich der Verkehr zwischen Gottes Macht und Liebe und dem rechten Glauben der Menschen vollzieht. War es nun deshalb auch sein bewußtes Ziel, angebetet zu werden? Deshalb, weil an ihm nicht vorbeibeten könne, wer zu Gottes Macht und Liebe beten wolle? Das Glauben und das Beten sollen sich nach Jesus doch nicht gleichmäßig verhalten. Nur von jenem gilt, daß er es nur in der Weise auf Gott gerichtet hat, daß er es auf sich selbst gezogen hat (vgl. S. 156 f.). Aber vom Beten kann man doch nicht behaupten, es sei Jesu bewußtes Ziel gewesen, daß die Anbetung Gottes nur in der Weise geschehe, daß sein Stellvertreter angebetet werde in der Meinung, Gott in ihm anzubeten. Es ist doch Jesus nicht eingefallen, durch seine Tat und durch seinen Willen und mit Bewußtsein auch die gesamte Gottesanbetung durch sich hindurch zu lenken, sondern dies gilt nur von
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Schlußbetrachtungen Uber die Demut bei Jesus.
der Voraussetzung der rechten Gottesanbetung, dem rechten Grottesglauben. Niemand kann an Jesus vorbeiglauben, der an Gott recht glauben und zu ihm recht beten will, und man kann ja von dem rechten Gebet zu Gott wegen seines Wurzeins im Glauben an Jesus sagen, daß es kein Vorbeibeten an Jesus sei. Aber der Gottesglaube, den Jesus dadurch recht gemacht hat, daß er ihn durch sich hindurch leitete, braucht doch dann sein Gebet nicht immer an Jesus zu richten, als ob Gott nur durch Jesus hindurch angebetet werden sollte, sondern er kann fortfahren, Gott direkt anzubeten. Jesus, der sich selbst dadurch vor Gott erniedrigte, daß er die Anbetung nicht etwa für sich einforderte, sondern in ihrer direkten Direktion auf Gott bestärkte, hat doch nie den Zukunftsgedanken gehabt, Gott werde ihn zum stellvertretenden Empfänger, zum Durchgangspunkt der gesamten rechten Gottesanbetung erhöhen. Noch weniger als diese Änderung der Gebetspraxis kann Jesus diejenige irgendwie in Aussicht genommen haben, zu welcher es später faktisch in seiner Gemeinde gekommen ist, daß seine Gläubigen sowohl Gott direkt anbeten, als auch ihren Herrn Jesus, diesen aber so, daß sie dabei gar nicht etwa immer nur Gott den Vater anbeten wollen, sondern die Gottheit Jesu, die ihm in seinem persönlichen Unterschiede von Gott seinem Vater eigen ist.1) Wie wenig diese Gebetspraxis dem Sinne Jesu entspricht, zeigt das soeben S. 245 wieder Betonte. Er könnte nur den Zukunftsgedanken gehegt haben, daß bei seinen Gläubigen außer direkter Anbetung der einzigen Gottheit auch eine Anbetung seiner selbst vorkommen würde, die ihrem Sinne nach Anbetung der einzigen Gottheit in ihrem einzigen vollen Repräsentanten wäre. Vermöge seiner Niedergesinntheit würde er diese Anbetung seiner selbst ebensowenig auf sich selbst bezogen haben wie die Lästerung seiner selbst bei seinen Dämonenaustreibungen.2) Man könnte ja daran denken, für Jesu Wohlgefallen an seiner Anbetung ins Feld zu führen, daß sie wegen der Vertraut*) So versteht die Anbetung Jesu z. B. noch Kunze, Die ewige Gottheit Jesu Christi. 1904, 10, und wie viele Anbeter Jesu dachten und denken denn anders? 2 ) Vgl. S. 141 Mitte und S. 142 Mitte.
Schlußbetrachtangen über die Demut bei Jesns.
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heit seiner Gläubigen mit ihm die Freimütigkeit ihrer Gottesanbetung erleichtere. Aber hätte er nicht auch befürchten können, daß sie jene Vertrautheit mit ihm hindern würde, zu der er seine Jünger berechtigen wollte? Ihm selbst ist es, obwohl er der Sohn ist, beim Anbeten Gottes ganz niedergesinnt zumute, so niedergesinnt, wie er sich die Seinen ihm selbst gegenüber nicht wünschte. Er müßte deshalb in bezug auf jene eigentlich Gott meinende Anbetung seiner selbst, mit der allein er etwa einverstanden gewesen sein könnte, gewünscht haben, daß sie die eigentliche Niedergesinntheit für den eigentlich Anzubetenden spare. Auf die Frage, ob Jesus erlaubt habe, daß man zu ihm bete, läßt sich also jedenfalls die bestimmte Antwort geben, daß er kein Beten zu sich erlaubt hat, das, wie es von Gott scheidet, so auch von ihm als dem Bruder, Mitbeter und Vertrauensmann scheidet, der keine Niedergesinntheit begehrt, wie sie das Gebilde seinem Bildner schuldig ist. Nicht darauf war Jesus bedacht, daß die Menschen Zweien gegenüber ganz die gleichen religiösen Stimmungen hätten, sondern darauf, daß sie beim Verkehr mit Gott durch ihn hindurch insofern zwei verschiedene Stimmungen hätten, als die brüderlichen Gefühle gegen ihn, obwohl er Gottes Stellvertreter ist, nicht ganz verstummen sollen. Der dogmatische Satz cultus ab extra est indivisus, der jenen Ditheismus abschneidet, widerspricht doch deshalb den Absichten Jesu, weil dieser es allen, die Gott in ihm anbeten, gönnt, dabei nicht nur Gottes "Wesen, sondern auch sein Sonderwesen, daß er eben nicht Gott, sondern sein Stellvertreter ist, in besonderen Gefühlen zu genießen. Man gewinnt, wenn man Jesus daraufhin studiert, wie er sich zum Beten zu ihm gestellt hat, auch nur wieder den Eindruck, daß er seinen kreaturenmäßigen Abstand von Gott als zu groß empfand, denn daß er die diesem Abstand entsprechende niedergesinnte Gebetsstimmung auch demjenigen Abstand entsprechend gefunden hätte, der die Sünder von ihm trennt, mag er auch ihr sündloser, über Gott gebetsmächtiger, einst in Herrlichkeit wirksamer Retter und Richter sein. 39. Der volle Abstand des Gebildes vom Bildner gehört nach Jesus wie zum Anbeten so auch zur wahren religiösen Niedergesinntheit. Dieser Abstand bestimmt auch seine eigene
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Schlußbetrachtungen über die Demut bei Jesus.
religiöse Niedergesinntheit, und da er sich selbst als niemandes Gott und Schöpfer fühlt, ist es ihm nicht gemäß, derartige Niedergesinntheit für sich selbst einzufordern. Indem er sie nur für Gott durch Vorbild und Mahnwort fordert, fordert er aber doch nicht nur die nämliche, die er selbst hat, sondern die religiöse Niedergesinntheit der Menschen soll nach ihm nicht nur der Abstand des Gebildes vom Bildner, sondern auch der des Sünders vom heiligen Gott dauernd bestimmen. In einem großen Abstand befindet sich der Sünder auch schon vom sündlosen Retter und Richter der Sünder, aber da dieser als sittlicher Kämpfer sich selbst in einem großen Abstand von der kampflosen Vollkommenheit des allein heiligen Gottes fühlt, will er die eigentliche Niedergesinntheit der Sünder durch den größeren sittlichen Abstand bestimmt wissen und richtet sie deshalb über seine Sündlosigkeit hinaus auf die Heiligkeit Gottes. Das sie mitbedingende Gefühl des Abstandes von seiner Sündlosigkeit soll bei den Seinen nicht ganz ohne ein brüderliches Element auftreten, da er diese teilweise als Mitkämpfer gegen die gemeinmenschliche Fleischesschwäche errungen hat Gerade, daß seine Unwandelbarkeit im Guten teilweise eine werdende, durch Kämpfe zu erringende ist, wird ihn, wenn er Gott als Weltrichter vertritt, zum Maßstab der im Gericht befindlichen schlechten Kämpfer machen. Da werden diesen freilich die brüderlichen Gefühle ihm gegenüber gänzlich untergehen in tiefster Niedergesinntheit. Aber keine Niedergesinntheit vor Jesus, auch nicht die vor seiner zukünftigen Herrlichkeit und Vollmachtfülle, kann sich zu der des Geschöpfes vor seinem Schöpfer vertiefen. Wir haben in dem letzten Absatz noch einmal das Verhältnis von Jesu eigener religiös-ipsistischen Niedergesinntheit zu der allgemein-menschlichen beleuchtet. Daß die letztere sündermäßig ist, macht den fundamentalen Unterschied aus. Freilich rechnet Jesus zu ihrem Begriff auch das kreaturenmäßige Abstands- und Abhängigkeitsgefühl, weshalb er sich hütet, sie auf sich selbst zu lenken. Daß derartige Knechtsgefühle, ja sogar ein sittliches Abstandsgefühl seine eigene Niedergesinntheit bilden und sein Ranggefühl mehr bestimmen, als dies sein Vollkommenheitsgefühl tut, wiegt aber jenen Unterschied
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nicht auf; ihn durchgängig zu berücksichtigen ist ein HauptErfordernis für die richtige Fassung der Demut bei Jesus. Auch wenn wir die altruistische Niedergesinntheit Jesu selbst und die aller Menschen miteinander vergleichen, ist es ex-forderlich, dort an das Vollkommenheitsgefühl, hier an das Schuldgefühl zu denken. Mit der Dienstwilligkeit und Leutseligkeit des sündlosen Sünderheilands hat es eine andere Bewandtnis als mit der der Sünder untereinander. Der erste altruistische Zug der Niedergesinntheit, den wir in Jesu Mahnungen fanden, war ihr Widerwille gegen das Richten der gesetzlich Niedrigen (vgl. S. 98 f.). Schon Jesus selbst mag ihn zum Teil aus ihrem ipsistischen Zug hergeleitet haben, daß sie angesichts fremder Unvollkommenheit vielmehr ins Selbstgericht über die eigene treibt (vgl S. 233/4). Ein solches ist bei Jesus ausgeschlossen und deshalb seine Milde gegen die Kleinen anders motiviert. Verschiedenheit der Motivation findet aber nicht nur bei jenem Einzelzug der altruistischen Niedergesinntheit statt. Ist diese nach Jesus die "Willigkeit, für die Niedrigen in Niedrigkeit zu wirken, so ist sie in den Sündern, die ein starkes Gefühl von ihrer Niedrigkeit als Sünder haben, hierdurch aufs stärkste bedingt. Jesus hat zwar nicht etwa gefordert, daß jeder sich selbst für sittlich niedriger halte als jeden andern (vgl. S. 99/100); aber vom rechten Schuldgefühl erwartet er sicher auch die Wirkung, daß man sich beim Verhalten zu allen Sündern, auch den niedrigsten, mehr von der eigenen Zugehörigkeit zur Sünderschar bestimmen läßt, als von den sittlichen Niedrigkeitsunterschieden in ihr. Keines Sünders Niedrigkeit kann alle brüderlichen Regungen gegen ihn in dem auslöschen, der nur überhaupt selbst ein ehrliches Sünderbewußtsein hat. Weiter wird jeder, der mit der Souveränität und absoluten Würde des Sittlichen in der Trauer über seine sittliche Niedrigkeit wirklich Ernst macht, alle andersartige Niedrigkeit als verhältnismäßig gleichgiltig beurteilen. Er wird die niedrigeren Werte und Güter nicht so wichtig nehmen, daß er die danach gemessen Niedrigen deshalb niedrig schätzt und unwillig bedient. Er wird endlich vermöge dieser auf richtiger Wertschätzung beruhenden Gleichgültigkeit gegen allerart Niedriges sich selbst willig in
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Schlußbetrachtungen über die Demnt bei Jesus.
niedrige Widerfalirnisse hineinfinden, wenn der Nächstendienst sie mit sich bringt. Das sittliche Niedrigkeitsgefühl motiviert in den Sündern die altruistische Richtung der Niedergesinntheit von der ipsistischen her. Von ihm rühren aber auch gewisse Eigenschaften her, die das eigentlich altruistische Element in der altruistischen Niedergesinntheit oder der dienstwilligen Liebe zu den Niedrigen hat. Hierher gehört die positive Seite jenes vorhin S. 249 erwähnten Zugs, statt auf das Richten, lieber auf das Entschuldigen und Verzeihen aus zu sein. Überhaupt wird die Menschenliebe eines Sünders, den das Gefühl seiner Sünde und Schuld durchdringt, von diesem Gefühl auch ihren Zwecken nach bestimmt sein. Nichts wird da mehr Aufmerksamkeit, Verständnis und Mitleid finden als die Sündennot des Bruders: ihn daraus zu erlösen wird Hauptzweck werden. Unter andern Bedingungen steht die allgemeine Dienstwilligkeit in Jesus. Bei ihm, der kein schuldbewußter Sünder war, bestimmte kein sündermäßiges Niedrigkeitsgefühl seine altruistische Niedergesinntheit. Wir werden uns diese anders erklären müssen. 40. Denn das ist das letzte Problem dieser Schlußbetrachtungen, wie sich die bei Jesus so mächtige Niedergesinntheit psychologisch und historisch erklärt. Zwar die eigentlichen religionshistorischen Erwägungen über die Beziehungen der christlichen Demut zu analogen nichtchristlichen Erscheinungen scheint es uns richtiger hinter die Untersuchung der durch Jesu Vorbild und Mahnungen im Urchristentum gewirkten Demut zu verschieben. Aber einige zeitgeschichtliche Angaben über den negativen und positiven Einfluß, den auf die Demut bei Jesus seine Umwelt ausübte, gehören noch an den Schluß ihrer Untersuchung. Damit lassen sich leicht die Andeutungen verbinden, die man über die Entstehungsverhältnisse und Wechselbeziehungen der verschiedenen Seiten der Niedergesinntheit in der Seele Jesu machen kann. Für die historische Untersuchung beginnt die Demut bei Jesus nicht in seiner Präexistenz, sondern — abgesehen von Dispositionen in seinem Naturell, auf die wir zurückkommen werden — in seiner Erziehung durch seine Mutter Maria. Von
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ihr lernte er das Wort Nnmuy, und vielleicht ist sie in dem freilich mehr gehorsamen als niedergesinnten Ausspruch: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast" (Luk. 1, 38) treu gezeichnet. Jedenfalls darf man vermuten, daß die Demut bei Jesus durch das sittliche Mittel, in dem er aufwuchs, positiv mitbestimmt wurde. Gehörte doch dazu gewiß auch Pflege der z. B. im Buch Jesus Sirach so hoch gepriesenen rary (vgl. S. 146 oben). Aus Erfahrung und Schrift lernte Jesus alle cuj? lieben. In die Volkskreise, wo die D^JJ? der Psalmen und Spräche sich fortsetzten, hatte Gott ihn selbst hineingestellt, um dadurch seinen niedergesinnten Heilandsdienst an ihnen vorzubereiten. Nicht die geringste ihrer Nöte waren die Pharisäer und Schriftgelehrten. Daß durch den Hochmut der Pharisäer und Schriftgelehrten die ganze Demut bei Jesus negativ bestimmt ist, hat sich uns auf Schritt und Tritt gezeigt. Dieser Hochmut ist durch Jesu Bekämpfung in der ganzen Welt berüchtigt geworden. Beachtenswert ist aber, daß er damals schon zu einer Reaktion getrieben hatte, unter deren positivem Einfluß Jesus gestanden haben kann. Wir hatten auf mehrere Sentenzen Hilleis hinzuweisen, auf eine Praxis Jochanans und eine Anweisung Akibas, vgl. S. 49, S. 101 und S. 192/3. Auch Sch'maja hatte schon gesagt: „Hasse die Herrschaft" (nuri, hohe Stellung)1) und was der „messianische Pietist", der die „Himmelfahrt des Moses" verfaßt hat, bekämpft, ist doch auch Hochmut und Herrschsucht2), nicht nur Heuchelei, in bezug auf welche Baldensperger richtig bemerkt3): „Es braucht doch nicht erst Jesus dieses Erzlaster *) Pirke aboth 1,10. Sonst, findet sich in diesen noch: „Mache sie (d. h. die Worte der Thora) nicht zu einer Krone, um dich mit ihnen großzutun" (4, 5b); „Strebe nicht nach Größe für dich und begehre nicht nach Ehre" (6, 4b); „(die Thora wird erworben) sich fernhaltend von der Ehre, sich nicht in seinem Herzen überhebend wegen seiner Gelehrsamkeit" (6, 6, 33 f.). Vgl. auch S. 217 oben. 2 ) Vgl. in Clemens Übersetzung (bei Kautzsch, Pseudepigraphen 1900, 325): „die lehren, sie seien gerecht . . . nur sich selbst zu Gefallen lebend . . . der Armen Güter fressend . . . Streitsüchtige . . . (sprechend:) Wir wollen uns einbilden, wir wären Fürsten . . . ihr Mund (wird) groß prahlen". 3 ) Das Selbstbewußtsein Jesu 8 I, 1903, 41 f. Daß Friedländers (Die religiösen Bewegungen innerhalb des Judentums im Zeitalter Jesu. 1905) ein-
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des Pharisäismus entdeckt zu haben, wenn er es auch tiefer durchschaute als die anderen". Gewiß, es ist gut möglich, daß Jesus angeknüpft hat an schon vorhandene Einsicht in die religiös-sittlichen Gefahren des Lehrstandes, an schon laut gewordene Kritik der pharisäischrabbinischen Untugend, wegen Gerechtigkeit und Gelehrsamkeit vor Gott und Menschen Geltung zu beanspruchen. Die Verständigen werden ja zugeben, daß er jene Gefahren tiefer durchschaute als die anderen und eine sehr viel wuchtigere Kritik übte, die zu einem tödlichen Konflikt führte. Aber natürlich ist es chronologisch nicht beweisbar, was von Hartmann1) behauptet, das Wort Jesu „Wer sich selbst erniedrigt" usw. sei „wörtliches Zitat eines nach Spr. 29, 23 gebildeten talmudischen Spruches". Er fährt anerkennend fort: „dessen Sinn im Talmud durch einen sehr schönen Parallelspruch näher bestimmt wird: ,Wer der Größe nachjagt, den flieht sie; wer die Größe flieht, dem folgt sie nach'." Aber über Jesus und sein Gebot der Selbsterniedrigung klagt er, daß er nicht „einen ähnlichen wohlberechtigten Sinn damit verbunden habe und wesentlich jeder Störung in der absoluten demokratischen und kommunistischen Gleichheit und Brüderlichkeit der Kinder Gottes dadurch habe vorbeugen wollen". Also der altruistische Zusammenhang Matth. 23, 8—12 soll nach von Hartmann gar nichts gelten, sondern jene (oben S. 226) sich wegwerfende Demutsaskese von Jesus gemeint sein. In Wahrheit liegt aber gerade in altruistischer Richtung das Originellste an der Demut bei Jesus. Mit Recht sieht auch schlägiges Kapitel (Die religiösen Bewegungen im ,Landvolk'. S. 78 ff.) nur mit großer Vorsicht benutzt werden kann, wird jedermann bald gewahr. r ) A. S. 226 a. 0. Zu Hartmanns Angaben vgl. oben S.49 4 . Was hier aus zwei talmudischen Traktaten angeführt ist, widerrät Schlatters Differenzierung von Jesu Spruch und Hillels Gnome („Meine Erniedrigung ist meine Erhöhung und meine Erhöhung ist meine Erniedrigung"). Jesu Spruch laute nicht: wer sich selbst niedrig machte, wird sich dadurch hoch machen. „Erhöht werden", das sei bei Jesus ein festes, echtes Passiv, das durch Gottes Tat zustande kommt. Ist in Hillels Gnome sicher Selbsterhöhung gemeint? Auch anderes finde ich in den hierher gehörigen Ausführungen Schlatters (Jesu Demut S.72—79) nicht geglückt und nicht widerspruchsfrei (die Behauptungen S. 74/5; 75 Mitte u. a.).
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Fiebig, der neuste Übersetzer der Pirke aboth ), in jenem (S. 209) andern Wort Hillels: „Ein Ungebildeter scheut nicht die Sünde nnd ein DJ; ist nicht fromm" den Beweis, „wie verschieden Hillels Denkart von der Denkart Jesu war" und sagt in seinem Nachwort, daß „diese jüdische Ethik des Traktats ,Sprüche der Väter' trotz aller Betonung der Demut den Geist des Pharisäismus widerspiegelt, d. h. den Geist des Verdienstes und des Belohntwerdens, den Geist des religiösen Gelehrtentums, das sich über das Volk erhebt und meint, auf die des Gesetzes unkundige Masse herabblicken zu können. Jesus hat dies religiöse und ethische Gelehrtentum beseitigt". Jesus hat sich ja selbst in seiner Verschiedenheit von diesem Gelehrtentum charakterisiert: ich bin niedergesinnt — leutselig, nämlich gegen den Ungebildeten und den DJJ. Daß er seine „neue Lehre aus Vollmacht" den „Armen" predigte, daß er sich zu den gesetzlich „Niedrigen" ganz anders verhielt wie die Schriftgelehrten, ward als das Neue an dem Lehrer aus Nazareth teils geliebt, teils gehaßt — „geliebt" von denjenigen, welche er dadurch erquickte, den Armen und Niedrigen, die seine mitleidige Liebe zu ihnen spürten, denen er .als ihr Heiland sein Lebenswerk widmete. Wir wiederholen, daß Jesus seine Eigenheit als der neue Rabbi des persönlichsten Mitleids mit den hirtenlosen Schafen fühlte, daß ihn auf die Niedrigen sein Wesen, sein Selbstwille hindrängte (S. 153. 206). Seine Sympathie mit ihnen erklärt sich zwar nicht daraus, daß er selber auch die gottheitliche Liebe war, die „den Geringen aus dem Staube aufrichtet, den Armen aus dem Kot erhebt".2) Aber zu ihrer Erklärung genügt auch weder seine Kenntnis dieser Gottesliebe aus der Schrift und der eigenen Lebenserfahrung (S. 148/9), noch seine Herkunft aus dieser Volksschicht (S. 251), noch seine göttliche Berufung zu ihrem Heiland. Man wird vielmehr glauben müssen, daß Jesu Wesen von Gott mit einer natürlichen Willensneigung zu den Niedrigen beanlagt war, die ihn dazu geschickt machte, adäquater *) Pirque 'aboth. Der Mischnatraktat,Sprüche der Väter' usw. 1906,7.43. *) Psalm 113, 7. Nach Cremer (Wörterbuch 9 914) überträgt Jesus in seiner Selbstcharakteristik auf sich selbst Gottes
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Stellvertreter jener Gottesliebe und ihr Organ zu werden. Deshalb kostete es ihn, wie S. 206 gesagt, keine besondere Selbstüberwindung, Gottes Liebeswillen gerade an den Niedrigen leutselig auszuführen. Die Uagörrj; des paulinischen 6 llecbv-h iXagoTtju (Rom. 12, 8) hatte Jesus von Natur. So möchten wir also das Charakteristische der christlichen Menschenliebe, daß gerade die Niedrigen ihre Lieblinge sind, nicht ohne Rückgang bis auf Jesu Individualität, auf eine besondere Charakteranlage in seiner Seele erklärt wissen. Damit richten wir uns hauptsächlich gegen die Methode, alle Eigentümlichkeiten der Demut bei Jesus aus ihrer religiösen Seite abzuleiten. E s scheint uns hier wie sonst nötig, die sittliche Hoheit Jesu selbständig neben der religiösen zu denken. Auch die ipsistische Niedergesinntheit Jesu kann den Eindruck machen, daß sie nicht ohne eine eigentümliche Disposition seines Naturells erklärbar sei. Es erschien uns (S. 127 a ) nicht unbegründet, daß Eduard von Hartmann bei Jesu Scheu vor ärztlicher Berühmtheit von einem „instinktiven Charakterzug" Jesu redete. Die persönliche Bescheidenheit der Großen hat einen unsäglichen Reiz, da man spürt, daß sie aus den Tiefen ihrer einfach großen Seele quillt. Dieser Zauber hat Jesu Persönlichkeit nicht gefehlt Große Menschen sind auch groß im Erkennen und Zugestehen ihrer Schranken, in der Beugung vor fremder Größe. Es ist ein Unterschied Jesu von den Menschen, daß er auf dem Gebiet seiner Größe die Selbstgewißheit haben mußte, größer als alle Menschen zu sein. Aber diese Selbstbeurteilung, zu der Jesus schon als das religiös-sittlich vollkommene Wesen und dann als der einzige Stellvertretersohn Gottes geradezu verpflichtet war, war doch, was in Nr. 37 mehrmals betont wurde, in ipsistischer Richtung durch die religiöse Energie ganz überboten, womit er seine Kleinheit gegenüber Gott fühlte und demgemäß sein Ranggefühl, seine Selbsteinordnung nach unten dirigierte, von Gottes Höhe hinab zu den Kreaturen hin. Aber in altruistischer Richtung wirkte Jesu Erfahrung seiner eigenen Idealität und Stellvertretereinheit mit Gott verstärkend auf seine natürliche Niedergesinntheit oder Leutseligkeit gegen die Niedrigen. Wenn, wie wir S. 241 behaupteten, Jesu persön-
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liehe Beziehungen zu allen Menschen, sogar den Vertrautesten, eine Selbstüberwindung bedeuteten, so kostete es ihn, wie eben wiederholt, keine besondere Selbstüberwindung, der Freund der Kleinen und Niedrigen zu sein. An seiner eigenen Idealität hatte er den Maßstab für hoch und niedrig und maß nicht wie auch ein Hillel mit dem pharisäischen. „Er schämt sich der Sünder nicht, weil er die Sünde nicht bloß in ihnen entdeckt".1) Er hebt die wirklich Niedrigen nicht nur vor den Scheinheiligen, sondern eine fast allgemeine Nivellierung bedeutet das Wort: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe zuerst einen Stein auf sie" (Joh. 8, 7) im Munde des Bergpredigers, der mit der „besseren Gerechtigkeit" mißt (Matth. 5, 20. 28). Zwar freute er sich derer, die mit besonderen Kräften zum Guten begnadet und willigen Geistes waren2), aber da seinem Tiefblick auch ihre mannigfache Ohnmacht gegen ihr schwaches Fleisch nicht entging (S. 92), vertrug sich mit seiner Erfahrung keine Aristokratie der Hohen, die sein Brudergefühl von den Niedrigen abgesperrt hätte. Während wir Sünder infolge unseres sittlichen Niedrigkeitsgefühls ein Brudergefühl gegenüber allen Sündern behalten (S. 249), hat bei dem allein vollkommenen Jesus sein Vollkommenheitsgefühl eine erhabene, gelassene, geduldige Gleichgültigkeit gegen die sittlichen Niedrigkeitsunterschiede in der Sünderwelt erzeugt, die den Niedrigsten zugute kam. Sie ist eine Prärogative des sündlosen Sünderheilands, den ja seine Herablassung zu den Niedrigsten nicht herabzieht und der doch auch die Begnadetsten entbehren kann und begnadigen muß. Weit mehr noch als das Vollkommenheitsgefühl mußte Jesu Bewußtsein von seiner Stellvertretereinheit mit Gott ihn in eine gleichmäßige Stimmung gegen hoch und niedrig in der Menschheit versetzen. Ihm, dem einzigen Sohnwesen, auf Gottes Seite den Menschen gegenüberstehend, stand nichts Hohes unter diesen näher, keine Gotteskundigen, mit denen es sich allein verlohnt hätte, Gotteserkenntnisse auszutauschen, und die ihn wählerisch gemacht hätten beim Sammeln seiner „kleinen Herde". Er sammelte in sie — „Kinder" (S. 71. 77. 85/6). Wellhausen, Israel, u. jttd. Geschichte. 5 383. *) Auch sein „Sünden-Entrüstungspessimismus" ist frei von der „Monotonie des jeder wie der andere", vgl. S. 231 und 203/4.
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Nicht weniger leicht als die Gleichgültigkeit Jesu gegen die Niedrigkeitsunterschiede unter den Menschen erklärt sieh seine Gleichgültigkeit gegen alle weltlichen Rangunterschiede, Ehrenstellungen und Herrschaftsansprüche aus seiner Selbstgewißheit besonders von seiner zukünftigen Herrschergröße. „Hasse die Herrschaft" hatte Sch'maja gesagt (S. 251). Jesus liebte seine künftige Messiasherrschaft. Ihrer ganz gewiß, jagte er nicht nach dem, was sich ihm gegenwärtig von hoher weltlicher Stellung bot; nicht nur die Würdestellung eines Rabbi, sondern auch der Thron des Königs der Juden galten ihm als für ihn — allzuniedrig. Seine eigene Stimmung gegen das Weltliche ist getroffen in Luthers Vers: „Und wär die Welt vielmal so weit, von Edelstein und Gold bereit, so wär sie doch dir viel zu klein, zu sein ein enges Wiegelein". Nur glaubt Luther an den „Sohn des Vaters, Gott von Art", der „ein Gast in der Welt hier ward". Nach unsrer Überzeugung glaubte Jesus nicht an seine Arteinheit mit Gott und an eine himmlische Vergangenheit, sondern hoffte nur darauf, daß Gott durchführen werde, was er in ihm selbst angelegt hatte (S. 161). Dies machte ihn stolz gegen weltliche Höhe und gleichgültig gegen weltliche Niedrigkeit, so daß er willig — „diente". Daß solch dienstwilliges Selbstbewußtsein von ganz übermenschlicher Hoheit nur bei einem individuellen Untergrunde idealer kreaturenmäßiger religiöser Niedergesinntheit, die diese Hoheit ganz Gottes Wunderschöpfung verdankt, gesund und historisch-psychologisch erklärbar ist, wurde S. 131 betont. Insofern ist Jesu Demut allerdings allseitig von ihrer religiösen Seite umfaßt und getragen.
Bibelstellenyerzeichnis. Seite
32f.
Num. 12, 3
41.
216.
220. . 34. 40. 35. 40. 35. 40. . . . 21. 29. 36. . . . 35 f. f. . . 21 f. 36. 16, 19 . . . 39. n 18, 12 . . . 35 f. 48. n 22, 4 . . . 35 f. n 25, 6 f. . . . 49. n 29, 23 . . . 36. 48. 252. n Ezech. 21, 31 . . . . 48. Zeph. 2, 3 31. 34 f. Sirach 3, 17 ff. . . . 34. 36 f. 40. 34. 37. 40. 4,8 n 7, 17 . . . . 37. n 10, 28 f. . . . 37. 41. n 13, 20 . . . . 37 ff. » 45, 4 . . . . 33. 41. » Gesang d. 3 Männer 87 38. 212. 43. 212. 218. Matth. 5, 5 5, 21 ff. . . . 158 ff. n 5, 39 ff. . . . 195f.212.227f. n 6, 1—18 . . . 52. 94 ff. 125. n 127. 227. 6, 17 . . . . 96 f. 226/7. n 98 f. 7, 1 f n 7, 3 — 5 . . . 99 ff. 233/4. n 7, 21 . . . . 137 f. » 9, 37 f. . . . 152. n
Psalm 1 8 , 3 6 . n 45, 5 n 132,1 Sprüche 3, 34 . 15, 33 « 16, 18 n
n rt
. .
10, 28 . . . . 89. 110. 1 0 , 4 0 . . . . 143 f.
Thleme, Die ohrlatliehe Demut L
Seite Matth. 11, 5 f. . . 180 ff. 183. 11, 19 . . . 24. 125. 216. 11, 25 . . . 37 1 . 71. 77. 85/6. n 146. 11, 27 . . . 120 ff. 1 3 4 . 1 4 5 f f . n 158. 179/80.184. 219. 227. 11. 28 ff. . . 145 ff. 154. 184. n 208 ff. 11, 29 . . . 22 f. 25 1 . 29. 32. n 34.43.85.99.146. 12, 19 . . . 125 f. 215. n 12, 28 . . . 123. 142. 176/7. r> 182. 12, 31 f. . . 139 ff. n 18, 3 . . . 59. 63. 77. 200 f. r> 18, 4 . . . 57 ff. 60. 63. 65 1 . n 77. 78. 84. 201. 18, 5 . . . 62. )) 19, 14 . . . 71 ff. n 19, 28 . . . 134. 176 6 . n 19, 30 . . . 78/9. 84. 86. 20, 26 f. . . 85. n 21, 5 . . . 23. 43. 212 ff. n
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Mark. 1, 22 . . . .
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Bibelstellenverzeichnis. Seite
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