Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis: Zur »Wesentlichkeitstheorie« und zur Reichweite legislativer Regelungskompetenz, insbesondere im Schulrecht [1 ed.] 9783428460458, 9783428060450


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German Pages 420 Year 1986

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Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis: Zur »Wesentlichkeitstheorie« und zur Reichweite legislativer Regelungskompetenz, insbesondere im Schulrecht [1 ed.]
 9783428460458, 9783428060450

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 506

Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis Zur „Wesentlichkeitstheorie“ und zur Reichweite legislativer Regelungskompetenz, insbesondere im Schulrecht

Von

Jürgen Staupe

Duncker & Humblot · Berlin

JÜRGEN STAUPE Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis

Schriften zum Öffentlichen Band 506

Recht

Parlamentsvorbehalt u n d Delegationsbefugnis Zur „Wesentlichkeitstheorie" und zur Reichweite legislativer Regelungskompetenz, insbesondere i m Schulrecht

Von D r . Jürgen Staupe

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

E i n e V e r ö f f e n t l i c h u n g aus d e m Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Staupe, Jürgen: Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis: zur „Wesentlichkeitstheorie" u. zur Reichweite legislativer Regelungskompetenz, insbesondere im Schulrecht / von Jürgen Staupe. — Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 506) I S B N 3-428-06045-8 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Werner Hüdebrand, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3-428-06045-8

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 1985 vom Fachbereich Rechtswissenschaft I I der Universität Hamburg als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft (Dr. jur.) angenommen worden. Gutachter waren Prof. Dr. Ingo Richter und Prof. Dr. HansJoachim Koch. Die Erstellung der Arbeit wurde durch ein Stipendium der Max-PlanckGesellschaft gefördert. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, an dem ich längere Zeit gearbeitet habe, hat die technische Herstellung des Buches bis zur Druckvorlage übernommen. Für die zügige und umsichtige Fertigstellung des Manuskripts in seinen verschiedenen Phasen sorgte Heide Hempel; Renate Hoffmann übernahm die Verantwortung für die Erstellung des druckfertigen Satzes. Den Umbruch besorgten Ulrich Kuhnert und Dieter Schmidt. Allen, die das Entstehen und die Fertigstellung der Arbeit mit Rat und Tat, mit Ideen und Kritik unterstützt haben, insbesondere den Kollegen im MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung, gilt mein herzlicher Dank. In diesen schließe ich auch Herrn Ernst Thamm, Geschäftsführer der Duncker & Humblot G m b H Verlagsbuchhandlung, ein, der das Erscheinen der Arbeit in der Schriftenreihe zum öffentlichen Recht durch einen entgegenkommenden Verlags vertrag ermöglichte. Das Manuskript wurde im Januar 1985 abgeschlossen. Spätere Rechtsprechung und Literatur wurden zum Teil noch in den Fußnoten nachträglich berücksichtigt.

Berlin, im Dezember 1985

Jürgen Staupe

Gliederung Inhaltsverzeichnis

8

Abkürzungsverzeichnis

18

I.

Einleitung

23

II.

Die historische Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes und der parlamentarischen Delegationsbefugnis

42

III. Die Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulverhältnis als besonderem Gewaltverhältnis

72

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" V.

103

Die herkömmlichen Versuche einer verfassungsrechtlichen Begründung des Parlaments Vorbehalts

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlaments Vorbehalts

162 201

VII. Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 236 VIII. Alternativen zu einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 296 IX. Die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Schulrecht

338

X.

387

Thesenartige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Literaturverzeichnis

392

Stichwortverzeichnis

415

Inhaltsverzeichnis Kapitel I Einleitung 1. 2.

Problemstellung und Hauptfragen Kein Konsens über die Beantwortung der Grundfragen des Parlamentsvorbehalts 3. Terminologische Vorklärungen 3.1 Die Vorbehaltsterminologie 3.1.1 Der Parlamentsvorbehalt 3.1.2 Abgrenzung des Parlamentsvorbehalts zu anderen Vorbehaltsbegriffen (1) Rechtssatzvorbehalt (2) Vorbehalt des Gesetzes (3) Gesetzesvorbehalt (4) Sonstige Vorbehaltsbegriffe 3.2 Der Delegationsbegriff 3.2.1 Definition 3.2.2 Schranken parlamentarischer Delegationsbefugnis 3.2.3 Offene und verdeckte Delegationen 3.2.4 Entbehrlichkeit des Delegationsbegriffs? 4. Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis im Schulrecht 5. Gang der Untersuchung

23 24 27 28 29 31 31 32 32 33 34 34 35 37 38 39 41

Kapitel II Die historische Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes und der parlamentarischen Delegationsbefugnis 1. 2. 2.1 2.2 2.3 3. 4. 5. 6.

Die Voraussetzungen des Vorbehalts des Gesetzes Der Konstitutionalismus in Deutschland Die Ausprägung des Vorbehalts des Gesetzes in den Vormärzverfassungen Der Wandel des Vorbehaltsprinzips nach 1848 Das verstärkte Interesse an der Delegationsproblematik im Kaiserreich Kontinuität und Wandel während der Weimarer Republik Schrankenlose Delegationsbefugnis und völlige Selbstentmachtung des Gesetzgebers in der Zeit des Nationalsozialismus Die verfassungsrechtliche Ausgangssituation unter der Geltung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen nach 1945 Folgerungen

42 44 44 49 53 57 63 66 71

nsverzeichnis

9

Kapitel I I I Die Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulverhältnis als besonderem Gewaltverhältnis 1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.5 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5 2.6.6 2.6.7 3.

Die Gegenstandsbereiche des Schulrechts Das Schulverhältnis als besonderes Gewaltverhältnis Die staatsrechtlichen Grundlagen in der Zeit des Konstitutionalismus Die rechtlichen Bezugspunkte der Rechtsfigur „besonderes Gewaltverhältnis" Die These vom besonderen Gewaltverhältnis als rechtsfreiem Raum ... Der Vorbehalt des Gesetzes Der Vorrang des Gesetzes Die Grundrechte im besonderen Gewaltverhältnis Fazit Die Weimarer Reichsverfassung und das Schulwesen Die Weimarer Schulartikel und der Umfang gesetzlicher Normierung des Schulwesens Der Vorbehalt des Gesetzes Die Geltung der Grundrechte Die Justitiabilität von Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis Fazit Der Nationalsozialismus und das Schulwesen Das Schulwesen unter der Geltung von Grundgesetz und Landesverfassungen Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen Die Landesgesetzgebung zum Schulrecht bis zum Beginn der siebziger Jahre Der Vorbehalt des Gesetzes Die Geltung der Grundrechte Die Regelungskompetenz der Exekutive und die Sonderverordnungen Die Justitiabilität von Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis Fazit Der Strafgefangenenbeschluß des BVerfG und seine Konsequenzen für die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes im besonderen Gewaltverhältnis

72 74 75 77 78 78 79 81 81 81 82 84 86 86 86 87 88 88 90 92 93 94 95 96 99

Kapitel IV Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" 1. 2. 3. 3.1 3.1.1

Fragestellung Differenzierung zwischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Parlamentsvorbehalts Tatbestandsseite Das Kriterium der „Wesentlichkeit" Die sogenannte „Wesentlichkeitstheorie"

103 103 104 104 104

nsverzeichnis

3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2

Die Historie des Wesentlichkeitsmerkmals Schwankende Terminologie Bezugspunkte des Wesentlichkeitskriteriums Die Grundrechtsrelevanz Die Grundrechtsakzessorietät des Parlamentsvorbehalts Die Abkehr von der Freiheit- und Eigentum-Formel (1) Freiheit und Eigentum (2) Die Abkehr vom Eingriffsdenken (3) Der Wandel des Grundrechtsverständnisses (4) Keine Einbuße der Abwehrfunktion der Grundrechte (5) Entbehrlichkeit der Unterscheidung zwischen Eingriff und Leistung (6) Kein Total vorbehält Die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit Konkretisierungsbedürftigkeit des Intensitätsmerkmals Gleitende Abstufung Folgenorientiertheit des Intensitätsmerkmals Der politische Parlamentsvorbehalt

106 110 112 113 114 114 114 115 116 116 117 119 120 122 123 124 126

Rechtsfolgenseite Regelungsebene Parlamentsvorbehalt oder Rechtssatzvorbehalt? (1) Rechtsprechung des BVerfG (2) Rechtsprechung des BVerwG (3) Literatur (4) Keine gemeinsame „Wesentlichkeitstheorie" von BVerfG und BVerwG (5) Die Trennungslinie des Wesentlichkeitsmerkmals Der Parlamentsvorbehalt als Delegationsverbot Regelungsdichte Konkretisierungen des Bestimmtheitsgebots Verdeckte Delegationen Bestimmtheitsgebot als integraler Bestandteil des Parlamentsvorbehalts Abgrenzung gegenüber anderen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgeboten (1) Rechtsstaatliches Bestimmtheitsgebot (2) Das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG

128 129 129 130 130 131 132 132 133 136 137 139 139

148 148

5.3 5.4 5.5 5.6 5.7

Relativierungen des Parlamentsvorbehalts Der sogenannte „dynamische Grundrechtsschutz" Bereichsspezifisch unterschiedliche Anforderungen (Eigengesetzlichkeit) Vielgestaltige Sachverhalte Schranken des Parlamentsvorbehalts aus den Grundrechten Die Beschränkung auf den Bereich des „Normativen" Die Einräumung von Übergangsfristen Fazit

150 151 152 153 155 157

6. 6.1

Parlamentsvorbehalt und Vorbehaltslehre Vorbehalt des formellen und des materiellen Gesetzes

158 158

3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 4. 4.1 4.1.1

4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

5. 5.1 5.2

140 140 142

nsverzeichnis

6.2 6.3

Ausdifferenzierung der Vorbehaltslehre durch den Parlamentsvorbehalt Ermächtigungen zu gesetzesändernden Rechts Verordnungen

11

159 160

Kapitel V Die herkömmlichen Versuche einer verfassungsrechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts 1. 1.1 1.1.1 1.1.2

Die primären Begründungsansätze Das Demokratieprinzip Die herrschende Auffassung Einwände gegen die herrschende Meinung (1) Empirische Relativierung (2) Verfassungsunmittelbare institutionelle Legitimation der Exekutive (3) Funktionswandel des Vorbehaltsprinzips (4) „Wesentliche" Kompetenzen anderer Staatsorgane (5) Höhere demokratische Legitimation volksbeschlossener Gesetze? (6) Die Formindifferenz des Demokratieprinzips 1.2 Das Rechtsstaatsprinzip 1.2.1 Die herrschende Auffassung 1.2.2 Einwände gegen die herrschende Meinung (1) Rechtsförmigkeit untergesetzlicher Rechtsnormen (2) Vorhersehbarkeit aufgrund der Ermächtigung? (3) Unterscheidung zwischen offenen und verdeckten Ermächtigungen (4) Folgerungen (5) Mögliche Erklärungen für den Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip 1.3 Methodische Grenzen einer Deduktion aus allgemeinen Verfassungsprinzipien 2. Weitere (sekundäre) Begründungsansätze 2.1 Sozialstaatsprinzip 2.2 Gewaltenteilung und Funktionentrennung 2.3 Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG 2.4 Die Kompetenznormen der Art. 73 ff. GG 2.4.1 Bleckmann 2.4.2 Unergiebigkeit der Art. 73 ff. GG (1) Horizontale Gewaltenteilung (2) Unanwendbarkeit für die Landesgesetzgebung (3) Abschichtung innerhalb der Gesetzgebungsmaterien 2.5 Grundrechtsvorbehalte 2.5.1 Unterschiedlichkeit der Grundrechtsvorbehalte 2.5.2 Systematik der Grundrechtsvorbehalte (1) „durch Gesetz" (2) „aufgrund eines Gesetzes" (3) „aufgrund eines förmlichen Gesetzes" (4) „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" (5) Grundrechte ohne Gesetzes vorbehält

162 163 163 167 167 167 171 173 174 175 175 175 178 179 179 180 181 181 182 185 185 187 189 190 190 191 191 192 192 193 193 194 194 194 195 195 195

nsverzeichnis

2.5.3

2.5.4 2.5.5 2.5.6 3.

Delegationsfeindliche Grundrechtsvorbehalte? (1) Art. 15 GG (2) Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG (3) Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG Delegationsfreundliche Grundrechtsvorbehalte? Die kompetentielle Offenheit der Grundrechtsvorbehalte Rangverhältnis der Grundrechte? Ergebnis

196 196 197 197 198 199 199 200

Kapitel VI Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsvorbehalts 1. 2. 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.4 3.5 3.6 4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8

Funktionell-rechtlicher Ansatz Methodische Problematik Materiell-rechtlicher Maßstab: die Grundrechte Grundrechtsschutz und Grundrechtsverwirklichung durch Verfahren Entwicklung dieses Rechtsgedankens Justizgrundrechte Verallgemeinerung des Rechtsgedankens Beschränkung auf das gerichtliche Verfahren Ausdehnung auf das Verwaltungsverfahren Fehlende Anwendung auf das Rechtsetzungsverfahren Die Ratio des Grundrechtsschutzes im gerichtlichen und behördlichen Verfahren Die notwendige Anwendung auf das Rechtsetzungsverfahren Die Frage nach der grundrechtsadäquaten Regelungsform (Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung) Grundrechte als Kompetenzgarantien Strukturelle und funktionelle Unterschiede von Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung Organstruktur Gesetzgeber Verordnungsgeber Zusammensetzung von Parlament und Regierung Leistungsfähigkeit Verfahrensstruktur Mehrere Lesungen im Gesetzgebungsverfahren Beteiligung anderer oberster Staatsorgane Ausfertigung Verkündung Aufwendigkeit versus Flexibilität Angleichungen und Nivellierungen der Verfahren Kontrolle durch Kooperation Öffentlichkeitsfunktion (Publizität)

201 202 202 203 204 205 206 207 207 208 208 210 211 213 213 214 214 215 216 219 219 219 220 221 221 222 222 223 224

nsverzeichnis

4.2.9 4.2.10 4.2.11 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 5. 6.

Rolle der Opposition Rolle der Medien Orientierungsmöglichkeiten für den Wähler Regelungsstruktur Vorrang des Parlamentsgesetzes Verhältnis zum Gewohnheitsrecht Exkurs: Gewohnheitsrecht und Vorbehalt des Gesetzes Außen- und Selbststeuerung Zwischenergebnis Konsequenzen für Parlaments vorbehält und Delegationsbefugnis: die Proportionalität von Form und Inhalt Konsequenzen für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

13

226 227 227 228 228 230 231 232 233 233 234

Kapitel VII Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1

2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.4 2.4.1

2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7

Einleitung Indikatoren für die Geltung des Parlamentsvorbehalts Die Wichtigkeit (Wesentlichkeit) einer Regelung Grundrechtliche und politische Wichtigkeit Grundrechts Wichtigkeit Differenzierung nach der Art der Grundrechtsregelung (1) Eindimensionale Grundrechtsregelungen (2) Mehrdimensionale Grundrechtsregelungen (3) Komplexe Grundrechtsregelungen Lösung von Grundrechtskollisionen Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsverletzung Auswirkungen auf den örundrechtsträger Vorrang spezifischer Grundrechte? Minderheitenschutz „Verteilung des Mangels" Strukturierung ganzer Lebensbereiche Die politische Wichtigkeit Politisch kontroverse Entscheidungen (1) Kisker (2) BVerfG (3) Stellungnahme Wahl- und Wählerrelevanz Größe des Adressatenkreises Langfristige Festlegungen Gravierende finanzielle Auswirkungen Regelungen mit Prognose- und Experimentiercharakter Alternativentscheidungen

236 237 237 238 239 239 239 241 241 243 244 245 245 246 247 247 247 248 248 249 249 250 251 252 252 252 253

nsverzeichnis

2.4.8

2.4.9 2.4.10 2.4.11 2.4.12 2.4.13

Neuerungen (1) Rechtsprechung (2) Literatur (3) Stellungnahme Leitentscheidungen Kontroll-und Steuerungsbedürfnis Verdrängung von Gewohnheitsrecht Einheitlichkeit des Regelungsorts Konkretisierung des offenen Verfassungsrechts

254 254 254 255 257 258 259 260 260

3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.2.9 3.2.10 3.2.11 3.2.12

Indikatoren für die Delegierbarkeit von Regelungen Negativausgrenzung Eigenständige Kriterien Flexibilität und Anpassungsfähigkeit Entwicklungsoffene Sachverhalte Eigengesetzlichkeit des Regelungsgegenstandes Versuche Entlastungsfunktion untergesetzlicher Regelungen Bundesstaatlicher Koordinierungsbedarf Bedürfnis nach dezentralen Lösungen Rechtsschutzaspekt Beteiligungsrechte Eilfalle Fehlender Sachverstand und Leistungskapazität des Parlaments? Technizität des Regelungsgegenstandes

261 261 261 262 264 265 265 266 267 269 271 275 276 276 277

4. 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Delegationspflichten des Gesetzgebers Delegation als Legislativermessen Beschränkung auf „wesentliche" Entscheidungen Rechtspolitische Forderung Verfassungsrechtliche Pflicht Funktionell-struktureller Ansatz

278 278 279 279 279 280

5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7

Realisierung des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots Formell-rechtliche Aspekte Bestimmung des Ermächtigungsadressaten Angabe der Regelungsform Verpflichtung zum Erlaß einer Rechtsverordnung Materiell-rechtliche Aspekte Zieldefinition und Aufgabenbeschreibung Maßstäbe und Entscheidungskriterien Regelbeispiele Fall- und Sachverhaltsgruppen Härte- und Ausnahmeklauseln Eingriffs- und Anspruchsvoraussetzungen Konkrete finanzielle und zeitliche Angaben

282 282 282 283 283 284 284 285 285 286 286 286 287

nsverzeichnis

5.2.8 5.2.9 5.2.10 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Anweisungen für die inhaltliche Ausgestaltung Organisations- und Verfahrensregelungen Bestimmtheitsgebot und verdeckte Delegation Folgerungen Materiell-rechtliche Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts Restituierung des materiellen Gesetzesbegriffs? Kriterienkatalog statt Wesentlichkeitsmerkmal Mögliche Kritik Methodische Grenzen materiell-rechtlicher Kriterien

15

287 287 288 291 291 291 292 292 293

Kapitel VIII Alternativen zu einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.6.4

8.6.5 8.6.6 8.6.7

Die politisch-dezisionistische Variante (Legislativermessen) Die justitiell-kasuistische Variante Die verfassungsändernde Variante Die organisatorisch-dezisionistische Variante Die verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante (Oppositions· und Minderheitenrechte) Die partizipatorische Variante Die kompensatorisch-kooperative Variante Vorlagepflicht Anhörung und Stellungnahme (Konsultationspflicht) Veto vorbehält Zustimmungsvorbehalt Rückhol- und Kassationsvorbehält Stellungnahme Politisch-pragmatische Variante Justitiell-kasuistische Variante Verfassungsändernde Variante Organisatorisch-dezisionistische Variante Partizipatorische Variante Kompensatorisch-kooperative Variante Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Kompensationseffekt Möglicher Anwendungsbereich Kompensationsbedürfnis (1) Rechtliches Bestimmtheitsdefizit (2) Faktisches Bestimmtheitsdefizit Verstärkte Zugriffsrechte Art. 47 Abs. 1 Satz 2 Berliner Verfassung Eingeschränkte Ermächtigung

296 298 299 299 300 302 303 304 304 304 305 305 306 306 309 312 314 316 317 318 320 320 321 322 323 323 324 325

nsverzeichnis

8.6.8

8.6.9 8.7 8.7.1 8.7.2 8.7.3 9.

Vorbehalt des Gesetzes oder Vorbehalt des Parlaments (1) Kisker (2) Scholz/Bismark (3) Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur (4) Stellungnahme Zwischenergebnis Verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante Verfassungsmäßigkeit Derzeitige Instrumente Mögliche Bedenken Ergebnis

326 326 327 327 328 332 333 333 334 335 337

Kapitel IX Die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Schulrecht 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 4.

Parlamentsvorbehalt und Schulsystem Aufbau und Gliederung des Schulwesens Förderstufe, gymnasiale Oberstufe Schularten (Definition, Status, insbesondere Gesamtschule) Auslese versus Breitenförderung/Durchlässigkeit Behinderte Schüler Ausländische Schüler Konfessionelle Struktur, Religionsunterricht Versuchsschulen, Schul versuche Berufliche Schulen, Zweiter Bildungsweg Klassenfrequenz Parlamentsvorbehalt und Schulorganisation Schulorganisationsakte Ganztagsschulen Fünf-Tage-Woche Schulbezirke (Schulsprengel) Blockunterricht Einfache Regelungen des laufenden Schulbetriebs Parlamentsvorbehalt und Schulinhalte Bildungs-und Erziehungsziele Sexualkundeunterricht Fächerkatalog Gegenstandsbereiche des Unterrichts Fachspezifische Lernziele Sprachenfolge in der Orientierungsstufe Lehrpläne (Rahmenrichtlinien), Stundentafeln Schulbuchzulassung Parlamentsvorbehalt und Schulverhältnis

338 340 341 341 342 342 343 343 343 344 345 346 347 349 350 351 352 352 353 354 356 356 357 358 358 360 361 362

nsverzeichnis

4.1 4.2 4.3 4.4

Begründung des Schulverhältnisses Schulpflicht Recht auf Bildung Aufnahme, Entlassung, Zuweisung, Überweisung, Zulassungsbeschränkungen 4.5 Leistungsbedingte Schulentlassung 4.6 Disziplinarische Schulentlassung 4.7 Weitere Ordnungsmaßnahmen 4.7.1 Überweisung in eine Parallelklasse, befristeter Ausschluß vom Unterricht 4.7.2 Arrest, Nachsitzen 4.7.3 Verweis, Tadel 4.7.4 Verschiedene Regelungsorte? 4.8 Körperliche Züchtigung 4.9 Versetzung/Nichtversetzung 4.10 Zugang zur gymnasialen Oberstufe 4.11 Leistungsbewertungen, Prüfungen 4.12 Form der Leistungsbeurteilung 4.13 Notenspiegel 4.14 Politische Schülerrechte, Meinungsfreiheit 4.15 Politische Werbung, Plaketten 4.16 Pressefreiheit, Schülergruppen 5. Parlaments vorbehält und Schulverfassung 6. Parlamentsvorbehalt und Schulträgerschaft/Schulfinanzierung 6.1 Schulträgerschaft 6.2 Schulfinanzierung 6.3 Lernmittelfreiheit, Schülerbeförderung 7. Parlamentsvorbehalt und Privatschulen (Schulen in freier Trägerschaft) 7.1 Genehmigung 7.2 Anerkennung 7.3 Privatschulfinanzierung 7.4 Zulassung privater Volksschulen 8. Der Schulgesetzentwurf der Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages

Kapitel X Thesenartige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

17

364 364 365 366 367 368 368 369 369 370 370 371 371 373 373 374 375 375 376 377 377 379 379 380 381 382 382 383 383 384 384

387

Literaturverzeichnis

392

Stichwortverzeichnis

415

Abkürzungsverzeichnis*

a.A. ABl. AcP a.F. AK-GG AktZ ALR AöR ASchO ASOVG atw B. bay. bayObLG BayVBl. BayVerfGH BayVGH beri. BFH BG(E) brem. BVerfG(E) BVerwG(E) BT-Drucks. b.-w. DJT DJT-SchulGE DJZ DÖV DuR *

anderer Ansicht Amtsblatt Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Alternativkommentar zum Grundgesetz Aktenzeichen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5.2.1794 Archiv des öffentlichen Rechts Allgemeine Schulordnung Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz atomwirtschaft-atomtechnik, Zeitschrift Beschluß bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof berliner Bundesfinanzhof Bundesgericht, Schweizerisches; Entscheidungen des B G bremer Bundesverfassungsgericht; Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht; Entscheidungen des BVerwG Bundestagsdrucksache baden-württembergisch Deutscher Juristentag Schulgesetzentwurf der Kommission Schulrecht des D J T (Schule im Rechtsstaat, Bd. I, 1981) Deutsche Juristenzeitung Die öffentliche Verwaltung Demokratie und Recht

Vgl. im übrigen: Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache. 3. Aufl., Berlin, New York 1983, bearbeitet von Hildebert Kirchner und Fritz Kastner.

Abkürzungsverzeichnis

DV DVB1. DVO ESVGH ET EUG EuGH EuGRZ EvStL FS GA GbSch GesBL, GBl. GG GO BT GVB1./GVOB1. hamb. HDStR hess. HFR JA JöR Jura JuS JZ Kap. KMK KJ LFG LMFrG LT-Drucks. LV(en) MS m.w.N. nds. n.F. NJW NVwZ n.-w. OLG OVG

19

Deutsche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Entscheidungen des hessischen Verwaltungsgerichtshofs (ab Bd. 12, 1963) Energiewirtschaftliche Tagesfragen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Bayern) Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte Zeitschrift Evangelisches Staatslexikon Festschrift Goltdammers Archiv Gesetz über das berufliche Schulwesen (Bayern) Gesetzblatt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 Geschäftsordnung des Bundestages Gesetz- und Verordnungsblatt hamburger Handbuch des Deutschen Staatsrechts hessisch Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Juristische Ausbildung Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kultusministerkonferenz Kritische Justiz Lernmittelfreiheitsgesetz (NRW) Gesetz über die Lernmittelfreiheit (Bayern) Landtagsdrucksache Landesverfassung(en) Manuskript mit weiteren Nachweisen niedersächsisch neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht nordrhein-westfalisch Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht

20

PrivSchG PrVerwBl. RdJB Rdn. RdS RG rh.-pf. RiA saarl. SchFG SchMG SchO SchoG SchOG SchulG SchulGE SchulpflichtG SchulVerfG SchumG

SchVG s.-h. SoSchG SPE

StGH U.

Ua. UPR VerfGH VerwArch VfGH VG VGH(E) VvB WDStRL VwGO VwVfG WRV ZaöRV ZBR ZfPäd

Abkürzungsverzeichnis

Privatschulgesetz Preußisches Verwaltungsblatt Recht der Jugend und des Bildungswesen Randnummer Recht der Schule Reichsgericht rheinland-pfälzisch Recht im A m t saarländisch Schulfinanzierungsgesetz/Schulfinanzgesetz Gesetz über die Mitwirkung im Schulwesen - Schulmitwirkungsgesetz Schulordnung Schulordnungsgesetz (Saarland) Schulordnungsgesetz (NRW) Schulgesetz s. DJT-SchulGE Schulpflichtgesetz Schulverfassungsgesetz Gesetz Nr. 994 über die Mitbestimmung und Mitwirkung im Schulwesen - Schulmitbestimmungsgesetz (Saarland) Schulverwaltungsgesetz schleswig-holsteinisch Sonderschulgesetz (Bayern) Ergänzbare Sammlung schul- und prüfungsrechtlicher Entscheidungen, hrsg. von Knudsen/Seipp, Neuwied/ Darmstadt, Stand: Dezember 1984 Staatsgerichtshof Urteil Urteilsabdruck Umwelt und Planungsrecht Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv österreichischer Verfassungsgerichtshof Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof; Entscheidungen des V G H Verfassung von Berlin Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Pädagogik

Abkürzungsverzeichnis

ZfSchwR ZLW ZParl ZRP

Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift

für für für für

Schweizerisches Recht Luftrecht und Weltraumfragen Parlamentsfragen Rechtspolitik

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I. Einleitung 1. Problemstellung und Hauptfragen M i t der Erosion des besonderen Gewaltverhältnisses ist auch die Vorbehaltslehre heftig in Bewegung geraten. Die Diskussion um den Parlamentsvorbehalt ist bisher nicht zum Stillstand, geschweige denn zu einem klärenden Abschluß gekommen. Drei Fragen stehen im Vordergrund: 1. Was muß der Gesetzgeber selbst im Parlamentsgesetz regeln? 2. Was darf der Gesetzgeber zur Regelung an die Exekutive delegieren? 3. Wie konkret muß in diesen beiden Fällen die parlamentsgesetzliche Regelung, wie bestimmt muß die gesetzliche Delegationsermächtigung sein?1 M i t diesen Fragen steht die Reichweite des Parlamentsvorbehalts zur Diskussion. Wie die drei Kernfragen erkennen lassen, geht es einerseits um die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsebene (Fragen 1 und 2), andererseits aber zugleich auch um die der erforderlichen Regelungsdichte (Frage 3). Obwohl diese Fragen keineswegs neu und originell sind, bereitet ihre Beantwortung erhebliche Schwierigkeiten, 2 da sie grundlegende und sehr komplexe Probleme der verfassungsmäßigen Kompetenzordnung berühren. Komplex ist diese Problematik insbesondere deshalb, weil mit der Bestimmung der „richtigen" Regelungsebene und Regelungsdichte Grundfragen der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung angesprochen sind, die das äußerst sensible Verhältnis zwischen den „Gewalten", insbesondere im Verhältnis von Legislative und Exekutive betreffen. 3 Diese Fragen besitzen vor allem deshalb so große Bedeutung, weil mit der verfassungsgemäßen Regelungsform zugleich festgelegt wird, welches Organ in welchem Verfahren über welchen Regelungsgegenstand zu entscheiden hat. Daraus erhellt zugleich, daß Kompetenzfragen letztlich nichts anderes sind als juristisch verkleidete Machtfragen. 4

1 Vgl. statt vieler BVerfGE 58, 257 (274); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1983, § 6, Rdn. 20; Hennecke, D Ö V 1982, 696; Roewer/Hoischen, DVB1. 1979, 900 ff. (901); Jülich, Kooperativer Bildungsföderalismus und Gesetzesvorbehalt im Schulrecht, 1983, 755 ff. (758); Erichsen, Schulrecht und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (121) m.w.N.; Bryde, Rdn. 2 zu Art. 76, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983; Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984, 111 ff. (122). 2 Dies unterschätzt Thode, Das kommunal-staatliche Kondominium in der Schulträgerschaft, 1982, 70, wenn er zur Wesentlichkeitsrechtsprechung meint, in der Diskussion sei heute im Grunde genommen nur noch, welche Entscheidungen zu den Grundentscheidungen zählen, die der Gesetzgeber selbst zu treffen hat. 3 BVerfGE 58, 257 (271): Es geht um die Frage der Kompetenz des Gesetzgebers oder der Verwaltung, des Parlaments oder des Kultusministers. 4 Vgl. Ossenbühl, Zur Erziehungskompetenz des Staates, 1976, 751 ff. (753).

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I. Einleitung

Hinter den drei genannten Kernfragen steht darüber hinaus das Problem, auf welchem methodischen Weg der Verfassungsinterpretation die aufgeworfenen Fragen beantwortet werden können. Unklar ist vor allem, wie verfassungsrechtlich fundierte, Rechtssicherheit and Praktikabilität versprechende Entscheidungskriterien gewonnen beziehungsweise konsensfähige Entscheidungen über diese Fragen herbeigeführt werden können. 5 Über die eher pragmatische Frage nach der Reichweite des Parlamentsvorbehalts darf allerdings die zunächst zu beantwortende nicht vorschnell beiseite geschoben werden, das heißt die dogmatische Frage, ob und wenn ja wie sich die Geltung eines „ParlamentsVorbehalts" überhaupt verfassungsrechtlich begründen läßt. 6

2. Kein Konsens über die Beantwortung der Grundfragen des Parlamentsvorbehalts Stellt man heute die Frage nach der Reichweite des Parlaments Vorbehalts, so wird man in aller Regel auf die sogenannte „Wesentlichkeitstheorie" von BVerfG und BVerwG verwiesen. 7 Der in allen einschlägigen Entscheidungen wiederkehrende Grundtenor dieser „Theorie" 8 besagt, daß das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes den Gesetzgeber verpflichten, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen (Parlamentsvorbehalt). 9 M i t diesen Kernsätzen und 5

Vgl. Buschmann, RiA 1979, 189 ff. (192 f.). Ähnlich Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (115). 7 Von einer Wesentlichkeitstheorie spricht - soweit ersichtlich - erstmals Oppermann (Bildung, in: von Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1976, I I 6, 641, Fn. 140; Ders., Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 46 mit Fn. 94, C 49 mit Fn. 104. Seit einigen Jahren ist die Bezeichnung „Wesentlichkeitstheorie" zu einem festen Terminus im verfassungsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sprachgebrauch avanciert; vgl. Dietze, DVB1.1975,389; Starck, NJW 76, 1375; Stober, D Ö V 1976, 518 ff.; Evers, JuS 1977, 804 ff.; Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff.; Nevermann, VerwArch 71, (1980), 241 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz 1980, Art. 7 Rdn. 23 ff.; Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981,12,32 ff.; Hennecke, D Ö V 1982,696; Wilke, JZ 1982,758 ff.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl. 1983, Rdn. 69; Schnapp, Rdn. 46 zu Art. 20 und Bryde, Rdn. 4 und 21 zu Art. 80 in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983; Heussner, Vorbehalt des Gesetzes und „Wesentlichkeitstheorie", 1983, 111; Osterloh, JuS 1983,280 ff. (282); Bethge, N V w Z 1983,577; Staff, Schul- und Hochschulrecht, 1983, 323 ff. (325 f.); Bethge, N V w Z 1983, 577; Degenhart, DVB1. 1983,926 ff. (933); Gusy, JuS 1983,189 ff. (191); Stern, Staatsrecht Bd. 1,1984,803,812,1003; Bäumlin/Ridder, Art. 20 Abs. 1-3, I I I , Rdn. 62 in: A K - G G 1984; Jekewitz, ebd., Art. 76 Rdn. 2 f. 6

8 Zur Kritik an der Bezeichnung „Theorie" ist zu sagen, daß diese Bezeichnung im juristischen Sprachgebrauch nicht in dem strengen Sinne zu verstehen ist wie im naturwissenschaftlichen oder auch im sozialwissenschaftlichen Bereich. Juristische Theorien haben in der Regel nur die Funktion, ein bestimmtes Abgrenzungskriterium vor anderen herauszuheben (vgl. dazu A. von Brünneck, Die Ausweitung der Eigentumsgarantie durch Richterrecht, 1979, 215 ff., 222). Die Kritik Kloepfers am „Theorienehrgeiz" des BVerfG (JZ 1984, 685 ff., 689) trifft angesichts der Zurückhaltung des BVerfG gegenüber der Verwendung der Bezeichnung „Wesentlichkeitstheorie" den falschen Adressaten. Vgl. auch Mayer-Tasch/Kohler, ZParl 11 (1980), 530 ff.; Umbach (Fn. 1), 1984, 111 ff. 9 So zuletzt BVerfGE 58, 257 (268) - Versetzung/Schulentlassung - und BVerwGE 64, 308 (310) - Latein - für das Schulwesen und das Verhältnis Gesetzgeber - Schulverwaltung. Zuvor schon BVerfGE 34,165 (192 f.) - Förderstufe; 41,251 (259 f.) - Speyer-Kolleg; 45,400 (417 f.) gymnasiale Oberstufe; 47, 46 (78 f.) - Sexualkunde; 53, 185 (204) - gymnasiale Oberstufe; BVerwGE 47, 194 (197 ff.) - Sexualkunde; 47, (204 f.) - Fünf-Tage-Woche; 56, 155 (157 f.) Versetzung; 57, 360 (363 f.) - Sexualkunde.

2. Kein Konsens über die Grundfragen des Parlamentsvorbehalts

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weiteren konkretisierenden Ausführungen haben BVerfG und BVerwG und ihnen folgend die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte der Länder sowie weite Teile der Literatur die Diskussion um Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis vorstrukturiert. Wer sich heute der verfassungsrechtlichen Vorbehaltsproblematik zuwenden will, kommt an diesen Vorgaben nicht vorbei, sondern muß hier - gleichgültig ob affirmativ oder kritisch - ansetzen. Dies gilt um so mehr, als die zunächst vor allem für das Schulwesen entwickelten Grundzüge der „Wesentlichkeitsrechtsprechung" inzwischen auf zahlreiche andere Rechtsgebiete übertragen worden sind, wie zum Beispiel das Arbeitsrecht, 10 das Atomrecht, 1 1 das Beamtenrecht, 12 das Gnadenrecht, 13 verschiedene Teile des Hochschulrechts, 14 die Juristenausbildung, 15 das Kommunalrecht, 16 die Kriegsopferversorgung, 17 die Nachrichtendienste, 18 das Planungsrecht, 19 das Prüfungsrecht, 20 das Rundfunkrecht, 21 das Sozialrecht, 22 das Subventionsrecht, 23 das Steuerrecht, 24 den Strafvollzug, 25 das Umweltrecht, 26 10

Kloepfer, NJW 1985, 2497 m.w.N. O V G Nordrhein-Westfalen, NJW 1978, 439 - Kalkar; BVerfGE 49, 89 (126 ff.) - Kalkar; V G Schleswig, NJW 1980, 1296 - Brokdorf; vgl. dazu Wagner/Ziegler, atw 1977, 622 ff.; Listi, DVBl. 1978, 10 ff.; Rengeling, NJW 1978, 2217; Kisker, ZParl 9 (1978), 53 ff.; Degenhart, Kernenergierecht 1981,13,191 ff., 200 ff.; Ders., DVBl. 1983,926 ff. (933);Geulen, KJ 1982,263, der in der derzeitigen Rechtsprechung und Literatur zur atomaren Entsorgung die Tendenz zu einem Unterlaufen des Gesetzesvorbehalts, des Bestimmtheitsgebots und des Wesentlichkeitsansatzes sieht. Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, 233 ff., 254 ff., hält die zentrale entsorgungsrechtliche Vorschrift des § 9a Abs. 1 Atomgesetz wegen Verletzung des Wesentlichkeitsgebots für verfassungswidrig. 12 V G Karlsruhe, nicht veröffentlichtes U. vom 19.7.1979, Ua., 10 - Anstellung als Beamter auf Probe; BVerfGE 55, 207 - Nebentätigkeitsverordnung. O V G Rheinland-Pfalz, DVBl. 1984, 967 (968); V G Schleswig, U. vom 16.5.1984 - Pflichtstundenzahl (nicht veröffentlicht); Battis, Bundesbeamtengesetz, 1980, § 15 Anm. 3. 13 BVerfGE 45, 187 (242 ff., 246 ff., 252) - lebenslange Freiheitsstrafe. 14 BVerfGE 33,303 - Numerus clausus; BVerfGE 45, 393 (399) - Parallelstudium; BVerwGE 56,31 (40) - Kapazitätsermittlung; BVerwG DVBl. 1982,894 - Multiple Choice; vgl. auch Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, 1982, 296 ff., wonach die Grundzüge der Zuteilung von Lehrverpflichtungen des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Hochschulen wegen ihrer erheblichen Grundrechtsrelevanz dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben müssen. 15 S t G H Bremen, D Ö V 1975,352 mit Anm. Röper- Einstufige Juristenausbildung; vgl. auch O V G Saarlouis, U. vom 18.4.1974, NJW 1975, 132. 16 Vgl. Saarl. VerfGH, DVBl. 1984, 325; Umbach (Fn. 1), 1984, 111 ff. (129). 17 BVerfGE 56, 1. 18 Vgl. Lisken, ZRP 1984, 144. 19 Vgl. Ossenbühl, Verhandlungen des 50. D J T 1974, Bd. I, Β 155 ff. Faber, Art. 20 Abs. 1-3 V Rdn. 7, in: A K - G G , 1984 m.w.N.; Ders., ebd., Art. 28 Abs. 2 Rdn. 37; V G München, Z L W 1981, 95. 20 BVerwG, U. vom 18.5.1982, AktZ 7 C 24.81, Ua., 9 ff. - Multiple Choice. BVerwG DVBl. 1984, 269 - Approbationsordnung für Apotheker, multiple choice. 21 BVerfGE57,295; vgl. dazu Degenhart, D Ö V 1981,960; Ricker,NJW 1981,1925;Schmidt, DVBl. 1981, 920; Scholz, JZ 1981, 561; Umbach (Fn. 1), 1984, 111 ff. (129 f.) - Neue Medien. 22 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. I, 1984, 810 m.w.N. unter Hinweis auf den in § 31 SGB festgelegten Vorbehalt des Gesetzes. 23 V G Berlin, DVBl. 1975,268; O V G Berlin, JZ 1976,402 mit Anmerkung Hoffmann-Riem (Pressesubventionen), vgl. auch W. Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen, 1979,53 ff.; Grosser, BayVBl. 1983, 551 ff. m.w.N.; Schnapp, Rdn. 45 und 46 zu Art. 20, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981; Krebs, DVBl. 1977, 632 ff.; Jarass, N V w Z 1984,473 ff.; Bleckmann, Ordnungsrahmen für das Recht der Subventionen, Gutachten D zum 55. D J T 1984, 11

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I. Einleitung

die sogenannte „Nachrüstung" 27 sowie Teile des Allgemeinen Verwaltungsrechts. 28 Die auf der Grundlage des Strafgefangenenbeschlusses 29 erfolgte Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts auf die ehemaligen besonderen Gewaltverhältnisse - insbesondere das Schulrecht - hat ganz offenbar auf zahlreiche zum allgemeinen Gewaltverhältnis rechnende Rechtsgebiete zurückgewirkt. Die in Rechtsprechung und Literatur vor allem zum Schulrecht diskutierte Problematik von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis ist somit von allgemeiner Bedeutung. Obwohl die sogenannte „Wesentlichkeitstheorie" in Rechtsprechung und Literatur inzwischen weithin zugrundegelegt und angewandt wird, 3 0 vermag sie sich bis heute keiner ungeteilten Zustimmung zu erfreuen. Vielmehr herrscht nach wie vor trotz einer rund zehnjährigen Wesentlichkeitsrechtsprechung und einer Fülle von Literatur zu Grundsatz- und Einzelproblemen Unklarheit und Ungewißheit. 31 Breiter und bisweilen recht unkritischer Zustimmung stehen auf der anderen Seite Stimmen gegenüber, die gegenüber der „Wesentlichkeitstheorie" schwerwiegende Einwände vorbringen, die über den D 57 ff.; Bauer, D Ö V 1983,53 ff., der eine Übertragung der vom BVerfG mit der Wesentlichkeitsrechtsprechung entwickelten Grundsätze auf das Subventionswesen für erforderlich hält, da das Haushaltsgesetz den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts nicht gerecht werde. Bauer legt dabei in Anlehnung an BVerfGE 17, 210 (216) einen weiteren Subventionsbegriff zugrunde ( D Ö V 1983, 55). Vgl. auch Umbach (Fn. 1), 1984, 111 ff. (129). Zuleeg, D Ö V 1984, 733 ff. (734 f.). Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981,400, fordert statt vieler unterschiedlicher Subventionsprogramme ein allgemeines Subventionsgesetz. 24 Vgl. BVerfGE48,210(221 f.); B F H E 137,526. Das Steuerrecht ist gleichwohl nach wie vor eines der Rechtsgebiete, in denen dem Vorbehalt des Gesetzes nur unzureichend Rechnung getragen wird; das Steuerrecht dürfte in weiten Teilen verfassungswidrig sein. 25 BVerfGE 40, 276; vgl. dazu Müller-Dietz, JuS 1976, 88 ff. 26 Vgl. Breuer, Der Staat 20 (1981), 393 ff. (419 ff.); Ders., Umweltschutzrecht, 1982,633 ff. (654 ff.); Rengeling, Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge, 1982,31 ff.; Sendler, Umwelt und Planungsrecht 1981, 1 ff. (6); Storm, Umweltschutz und Verfassung, 1981, 21 ff. (27); Erbguth, D Ö V 1984, 699 ff. (701 f.); Wolf, KJ 1984, 239 ff. (242 ff., 256); Benda, Umweltvorsorge und Recht, in: Umweltbundesamt (Hrsg.), Symposium: Das Vorsorgeprinzip im Umweltschutz, 1984, 23 ff. (29 f.). 27 Vgl. BVerfG NJW 1984,601 ; Däubler, Stationierung und Grundgesetz, 2. Aufl. 1983,124 ff.; Bleckmann, DVB1.1984,6 ff.; Umbach (Fn. 1), 1984,111 ff. (130), m.w.N., sowie aus jüngster Zeit die Entscheidung des BVerfG vom 18.12.1984, NJW 1985, 603. 28 O V G N W , NJW 1980, 1406 - Beleihung Privater. 29 BVerfGE 33, 1. 30 Vgl. dazu BVerfGE 47, 46 (78) unter Hinweis auf zustimmende Rechtsprechung und Literatur. 31 Vgl. BVerfGE 58,257 (268); BVerfG N V w Z 1984,781 ; Evers, JuS 1Ç77,804 ff. (807); Faller, E u G R Z 1981, 611 ff. (624); Bryde, D Ö V 1982, 243 f.; Kisker, DVB1. 1982, 886 ff.; Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, 1980, 34 ff.; Ders., JZ 1982, 758 ff.; Richter, N V w Z 1982, 357 ff.; Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (838); Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981,225: Die Doktrin-Bildung des BVerfG zum Vorbehalt des Gesetzes nach dem Maßstab der „Wesentlichkeit" einer Sachmaterie befriedige in ihrer jetzigen Fassung noch nicht (unverständlich dagegen seine Kritik S. 227 oben und S. 228); Reuter, Verrechtlichung - Schutz für den Bürger oder Bürokratisierung des Staates? 1982,161 f. konstatiert, trotz der langjährigen Diskussion um die Aufgabenabgrenzung zwischen Parlamenten und Verwaltungen sei bislang eine befriedigende Theorie der Parlamentsfunktionen und ein pragmatisches Konzept der Parlamentsaufgaben, das heißt der wesentlichen, grundrechtserheblichen und daher der gesetzlichen Entscheidung unterliegenden Themen nicht entwickelt worden. Vgl. zuletzt zu dieser Problematik Heussner (Fn. 7), 1983, 111 ff. (118); Jülich (Fn. 1), 1983,755 ff. (761); Jekewitz, Art. 76 Rdn. 3, in: A K - G G , 1984; Umbach (Fn. 1), 1984, 111 ff. (115); Peine, Systemgerechtigkeit, 1985, 135.

3. Terminologische Vorklärungen

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Einwand der Banalität 32 bis hin zum Vorwurf einer rechtsdogmatischen Bankrotterklärung 33 und zu der resümierenden Feststellung reichen, das Kriterium der Wesentlichkeit sei offensichtlich nicht geeignet, für die Frage der Grenzziehung zwischen parlamentarischer und exekutivischer Rechtsetzung einen entscheidenden Beitrag zu leisten. 34 Breite Zustimmung und zunehmende Anwendung in der Praxis der Gerichte auf der einen, der Vorwurf der Unbrauchbarkeit und des dogmatischen Scheiterns auf der anderen Seite angesichts dieser ungewöhnlich kontroversen Rezeption muß sich die Frage aufdrängen, ob die eingangs formulierten drei Hauptfragen auf der Grundlage der „Wesentlichkeitstheorie" tatsächlich zufriedenstellend beantwortet werden können. Es erscheint zumindest fraglich, ob der Versuch, den Vorbehalt des Gesetzes durch die Wesentlichskeitsrechtsprechung auf ein neues Fundament zu stellen, mit dem BVerfG bereits als gelungen bezeichnet werden kann, oder ob dem neuen Fundament nicht doch noch einige Ecksteine fehlen. 35 Einigkeit besteht lediglich hinsichtlich einer Feststellung: Die zentralen Probleme von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis sind nach wie vor nicht abschießend geklärt. 36

3. Terminologische Vorklärungen Bevor auf die erwähnten Probleme im einzelnen eingegangen werden kann, bedarf es zur Vermeidung unnötiger Mißverständnisse einiger begrifflicher Klärungen zur Verwendung der Bezeichnungen „Parlamentsvorbehält" und „Delegation".

32 Die Aussage, daß das Gesetz im Schulrecht alle „wesentlichen" Entscheidungen zu treffen habe, sei ebenso selbstverständlich wie nichtssagend; in diesem Sinne Kisker, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 82; Ders., NJW 1977,1313 ff. ( 1317); Ossenbühl, D Ö V 1977,801 ff.; Mayer, RdS 1979, 5 ff. (6); Krebs, Jura 1979, 304 ff. (308 f.). 33 Vgl. Kisker, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 82; Nevermann, ebd., M 96; zurückhaltender in der Formulierung Wimmer, JZ 1976, 461; vgl. dazu auch Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979, 138. 34 Zeizinger, RdS 1981,65 ff. (66); Bleckmann, D Ö V 1983,129 ff. (132). Kritisch auch Pieske, DVBl. 1977,673 ff.; Erichsen, VerwArch 69 (1978), 378 ff.; Roellecke, NJW 1978,1776 ff.; Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, 1980, 34. Ule, VerwArch 76 (1985), 1 ff. (12) äußert gar Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der (Wesentlichkeits-)Theorie. 35 BVerfGE 47,46 (78 f.); Wilke, JZ 1982,759 polemisiert, das Fundament sei zwar neu, aber nicht fest. Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (58) ist der Ansicht, vor allem die Vielfältigkeit und Verschiedenartigkeit der den Entscheidungen zugrundeliegenden Regelungsgegenstände erschwere eine systematische Verdichtung der Einzelergebnisse. 36 BVerfG, N V w Z 1984, 781, B. vom 6.2.1984: „Was ... im einzelnen einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers bedarf, was durch Verordnungsermächtigung an die Exekutive delegiert werden und was der Schulverwaltung... zur eigenständigen Regelung überlassen bleiben kann, ist in Rechtsprechung und Schrifttum ... nicht abschließend geklärt." Jekewitz, Art. 76 Rdn. 3, in: A K - G G , 1984; Eberle D Ö V 1984,485 ff.; Jülich (Fn. 1), 1983,755 ff. (761); BVerfGE 58,257 (268); ebenso schon BVerfGE 45,400 (418); Kloepfer, JZ 1984,685 ff. (689). Vgl. auch die weiteren Zitate oben Fn. 31. Lediglich Dietze, N V w Z 1984, 773 hält einen über die Wesentlichkeitsrechtsprechung hinausgehenden „Klärungsbedarf in rechtsdogmatischer Hinsicht" für nicht gegeben.

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I. Einleitung

3.1 Die Vorbehaltsterminologie Ein Grundproblem der Vorbehaltsdiskussion liegt in ihrer verwirrenden Terminologie. 37 Die Ursachen sind vielschichtig. Der Vorbehaltsbegriff tritt in den verschiedensten Zusammensetzungen auf, die jeweils unterschiedliche Strukturmerkmale akzentuieren. 38 Traditionell gebräuchlichen Vorbehaltsbegriffen wie Vorbehalt des Gesetzes, Gesetzes-, Grundrechts- und Eingriffsvorbehalt wurden von der fortschreitenden Vorbehaltslehre weiterer Begriffe zur Seite gestellt wie Total-, Delegations-, Allgemein-, Speziai-, Sonder-, Rechtssatz-, Regelungs-, Konkretisierungs-, Ausführungs-, Wesentlichkeits-39 und Kompetenzvorbehalt. 40 Den Partizipanden an der Vorbehaltsdiskussion kann man, was die Bildung neuer Vorbehaltsbegriffe angeht, Kreativität und Phantasie nicht absprechen. Verwirrend ist die verwendete Terminologie darüber hinaus vor allem deshalb, weil nicht selten unterschiedliche Begriffe synonym und gleiche Begriffe in unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden. 41 Das Verhältnis der verschiedenen Begriffe zueinander ist oft unklar. Nicht von ungefähr sehen sich gründlich arbeitende Autoren immer wieder genötigt, zu Beginn eines Beitrags zur Vorbehaltsthematik zunächst die von ihnen zugrundegelegte Terminologie zu erläutern. 42 Im folgenden können und sollen all diese terminologischen Probleme nicht umfassend erörtert werden. Dazu bedürfte es umfangreicherer Ausführungen, die für die Zwecke dieser Arbeit entbehrlich sind. Erforderlich und ausreichend erscheint es, kurz zu explizieren, in welcher Bedeutung der zentrale Begriff des Parlamentsvorbehalts verwendet und in welchem Verhältnis er zu den anderen Vorbehaltsbegriffen gesehen wird, ohne daß damit der Frage, ob sich ein Parlamentsvorbehalt verfassungsrechtlich begründen läßt, vorgegriffen werden soll. Hier geht es zunächst nur darum, klarzustellen, welche kompetenzrechtlichen Implikationen nach dem hier zugrundegelegten Verständnis an den Terminus „Parlamentsvorbehalt" geknüpft werden.

37 Vgl. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 1982, 84. Bryde, Rdn. 4 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 1983; Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1980,14 m.w.N. 38 Zum Beispiel verfassungssystematische, kompetentielle, die Reichweite oder die Art der Umsetzung betreffende Merkmale. 39 Vgl. Gusy, JuS 1983, 189 ff. (191). 40 Vgl. demgegenüber die wenigen von Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, 30 ff. (insbesondere 34) erörterten Vorbehaltsbegriffe. 41 Insbesondere die Bezeichungen Gesetzesvorbehalt, Vorbehalt des Gesetzes und Parlamentsvorbehalt werden zum Teil synomym, zum Teil in unterschiedlicher Bedeutung benutzt. 42 So zum Beispiel Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, 11 mit Fn. 1; Kisker, NJW 1977,1313 mit Fn. 1; Ders. (Fn. 37), 1980,14 mit Fn. 4 und 46 mit Fn. 127; vgl. auch Jesch (Fn. 40), 1961, 32 mit Fn. 107; Löhning, Der Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis, 1974, 16; Niehues (Fn. 7), 1983, Rdn. 64 mit Fn. 137; Falckenberg, BayVBl. 1978, 166 mit Fn. 7; vgl. zur Terminologie auch Ekkehart Stein, Staatsrecht, 1980, § 5 I I I 1; Bethge N V w Z 1983, 577; Umbach (Fn. 1), 1984, 111 ff. (112 mit Fn. 7b).

3.1 Die Vorbehaltsterminologie

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3.1.1 Der Parlamentsvorbehalt

Vom Parlamentsvorbehalt 43 wird auch als Vorbehalt des Parlaments, 44 Vorbehalt der Legislative, 45 Vorbehalt des Gesetzgebers, 46 Vorbehalt des formellen Gesetzes47 oder als Vorbehalt des Parlamentsgesetzes gesprochen. 48 Soweit er auf der Grundlage der sogenannten Wesentlichkeitstheorie verstanden wird, ist auch von einem „Wesentlichkeitsvorbehalt" die Rede. 49 Manche sprechen auch von einem „gesteigerten Parlamentsvorbehalt" 50 oder einem Parlamentsvorbehalt im engeren Sinne. 51 Unabhängig von diesen begrifflichen Unterschiedlichkeiten wird der kompetenzrechtliche Gehalt des Parlamentsvorbehalts, abgesehen von wenigen abweichenden Auffassungen, 52 im 43 Zum Begriff „Parlamentsvorbehalt" vgl. Kisker(Fn. 37), 1980,14; Krebs, Jura 1979,304 ff. (311); Falckenberg, BayVBl. 1978, 166; Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (712); Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff.; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (486); Das BVerfG zeigte sich diesem Begriff gegenüber zunächst zurückhaltend. In BVerfGE 45, 100 (418) - gymnasiale Oberstufe - werden lediglich die Beschlüsse des 51. D J T mit der Formulierung „Parlaments- und Gesetzesvorbehalt" ohne weitere Stellungnahme zitiert. In BVerfGE 49, 89 (125) - Schneller Brüter Kalkar - ist eher beiläufig von Parlamentsvorbehalt die Rede. In den übrigen Entscheidungen zum Vorbehalt des Gesetzes wird diese Bezeichnung durchweg vermieden, vgl. BVerfGE 54,173 - Kapazitätsberechnung; 237 - Sozietät: 55,205 - Nebentätigkeit; 56,1 - Kriegsopfer. Erst in BVerfGE 57, 295 (321) - saarl. Rundfunkgesetz - spricht der 1. Senat explizit von einem (Landes-)Parlamentsvor'oehalt. In BVerfGE 58,257,268,275 hängt das Gericht dit Bezeichnung „Parlamentsvorbehalt" nun als Klammerzusatz an die Wesentlichkeitsformel an und nimmt gleichsam eine „Judikaldefinition" vor. Anders das BVerwG, das schon frühzeitig diese Bezeichnung verwendet (BVerwGE 56, 31, 37 f.; 56,130, 137). Vgl. auch Hess. V G H D Ö V 1983, 858 f. 44 Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1971, 87, der auch vom „parlamentarischen Vorbehaltsbereich" spricht. 45 BVerfGE 1,372(395). 46 Kleiser, Der Vorbehalt des Gesetzes nach dem Bonner Grundgesetz, 1963,27; ähnlich schon Thoma, HDStR I I , 1932, 221, Fn. 2. 47 Selmer, JuS 1968,489: Das Erfordernis des formellen Gesetzes wohne dem Vorbehaltsprinzip inne; Krebs (Fn. 42), 1975, 112: Der traditionelle Eingriffsvorbehalt ist ein Vorbehalt des förmlichen Gesetzes; Ekkehart Stein, Staatsrecht, 1980, § 5 I I I 1; kritisch dazu Schwan, Zuständigkeitsregelungen und Vorbehalt des Gesetzes, 1971, 16; Maunz, Die Schule in der Sicht der Rechtsprechung, 1979,246 ff. (248): Das Wesentliche muß im förmlichen Gesetz geregelt werden; Pietzcker, JuS 1979, 715: Die „wesentlichen" Entscheidungen im Grundrechtsbereich muß der Gesetzgeber selbst im förmlichen Gesetz treffen; Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (549): Alle wesentlichen und grundlegenden Entscheidungen müssen durch förmliches Gesetz getroffen werden; Vogt, Empfiehlt sich die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung? 1981 x 69: Die wesentlichen Entscheidungen sind im förmlichen Gesetz zu treffen; ebenso Bosse, D Ö V 1975,350 ff. (351); Evers, JuS 1977,804 ff. (807); Listi, DVBl. 1978,10ff.(12); Zeizinger, RdS 1981,65 ff. (66 mit Fn. 6); Goerlich (Fn. 31), 1981,48, 219 ff., 228, 232; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 1981, 110; Katz, Grundkurs im öffentlichen Recht I, 1981, 85; Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982, 16; Maurer (Fn. 1), 1983, § 4 Rdn. 47. Sinngemäß auch: Roewer/Hoischen, DVBl. 1979, 900 ff. (901); Hennecke, D Ö V 1982, 696. 48

Rüpp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 133; Vogt (Fn. 47), 1981,

67 ff. 49

Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, 1980, 38; Ders., JZ 1982, 759; Stern, Staatsrecht Bd. I, 1984, 812 Fn. 292. 50 Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (712 mit Fn. 27). 51 Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 55 ff.; Falckenberg, BayVBl. 1978, 166. 52 Einige verbinden mit dem Begriff des Parlamentsvorbehalts lediglich das Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Grundlage für das Tätigwerden der Verwaltung; vgl. W. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, 1982, § 1 Rdn. 16; nach Maunz, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1978, Art. 80 Rdn. 5, kann der Begriff Parlamentsvorbehalt in einem doppelten Sinn verstanden werden: Parlamentsvorbehalt könne bedeuten, daß dem Gesetzesvorbehalt nur durch ein Gesetz genügt wird, an dem die Volksvertretung maßgeblich mitge-

30

I. Einleitung

allgemeinen dahingehend verstanden, daß unter bestimmten - noch näher zu definierenden - Voraussetzungen eine Regelung im Parlamentsgesetz erfolgen muß, die zudem eine gewisse - noch näher zu konkretisierende - Bestimmtheit aufzuweisen hat. 5 3 Der so verstandene Parlamentsvorbehalt impliziert ein doppeltes Postulat: Er verlangt - erstens - einen bestimmten Regelungsort (das Parlamentsgesetz) und fordert - zweitens - auf dieser Regelungsebene zugleich eine bestimmte Regelungsdichte. Da der Parlaments vorbehält zwingend auf das Parlamentsgesetz verweist, begründet er eine Regelungspflicht des parlamentarischen Gesetzgebers. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts nicht nur regeln darf, sondern auch regeln muß. Der Parlaments vorbehält umschreibt die notwendige Tätigkeit der Legislative. 54 Wenn der Gesetzgeber bestimmte Gegenstände selbst regeln muß, so bedeutet dies konsequenterweise, daß er sie nicht an den Verordnungsgeber delegieren darf. Mit der Regelungspflicht korrespondiert spiegelbildlich ein Delegationsverbot. Der Parlamentsvorbehalt wird daher auch als delegationsfeindlich 55 oder als ein zum Delegationsverbot verdichteter Gesetzesvorbehalt bezeichnet; 56 er gibt den delegationsfesten Vorbehaltsbereich des Parlaments an. 5 7 M i t dem Parlamentsvorbehalt wird gleichzeitig unterstellt, daß zwischen erlaubter und unerlaubter Delegation von Rechtsetzungskompetenzen zu differenzieren sei. Soweit der Parlamentsvorbehalt reicht, steht die Wahl der Regelungsform (Regelungsebene) nicht im Belieben des Gesetzgebers; eine Regelung durch untergesetzliche Rechtsetzungsakte ist vielmehr untersagt. Der Parlamentsvorbehalt verlangt somit eine Regelung „durch Gesetz"; eine Regelung lediglich „aufgrund eine Gesetzes" erfüllt diese Anforderungen nicht. Die vom Parlamentsvorbehalt gezogene kompetentielle Grenze verläuft demnach zwischen dem Parlamentsgesetz auf der einen und sämtlichen untergesetzlichen Regelungsformen (wie Rechtsverordnung und Satzung) auf der anderen Seite. Die zweite Komponente des Parlamentsvorbehalts fordert eine bestimmte Regelungsdichte. Wenn der Parlamentsvorbehalt auf der Basis der Wesentwirkt hat, also durch ein Gesetz im formellen Sinn; Parlamentsvorbehalt könne aber auch bedeuten, daß sich die Volksvertretung in dem ermächtigenden Rechtssatz vorbehalten hat, eine Rechtsverordnung von ihrer Zustimmung abhängig zu machen. - Häufig bleibt der kompetenzrechtliche Gehalt des Begriffs Parlamentsvorbehalt unklar, insbesondere wenn eine deutliche begriffliche Abgrenzung zu den übrigen Vorbehaltsbegriffen nicht vorgenommen wird. (So etwa bei Denninger, Staatsrecht 2,1979,39 f., der den Begriff „Parlamentsvorbehalt" unvermittelt und offenbar synonym mit „Gesetzesvorbehalt" verwendet.) 53 Vgl. statt vieler BVerfGE 58, 257 (268 ff.) m.w.N. sowie oben Fn. 1. 54 Vgl. Fockenberg, BayVBl. 1978, 166; Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff. (24 f.); Böckenförde, Thesen zu den Fragen des Kulturausschusses betreffend die Anhörung von Wissenschaftlern zum Antrag der CDU-Fraktion (Drs. 8/335) vom 21.6.1976 (nicht veröffentlicht), 2; Ossenbühl, Kurzgefaßte Stellungnahme zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen durch den Ausschuß für Schule und Kultur des Landtags Nordrhein-Westfalen am 30.6.1976 vom 14.6.1976 (nicht veröffentlicht), 1. 55 Krebs (Fn. 42), 1975,109; Ders., Jura 1979,304ff. (311); Stern, Staatsrecht I I , 1980,574mit Fn. 77. 56 Krebs, Jura 1979, 304 ff. (312); Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, 393; Erichsen (Fn. 1), 1984, 113. Stern (Fn. 55), 1980, 574; ähnlich Roewer/Hoischen, DVB1. 1979, 900 ff. (901). 57 Hansen (Fn. 44), 1971,319.

3.1 Die Vorbehaltsterminologie

31

lichkeitsrechtssprechung verlangt, daß die als wesentlich qualifizierten Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind, dann kann der Parlamentsvorbehalt hinsichtlich der Regelungsdichte des Parlamentsgesetzes nicht indifferent bleiben. Da die Zuweisung eines Regelungsgegenstandes zum Parlamentsgesetz noch nicht notwendig zu einer substanziellen Eigenregelung des Gesetzgebers führen muß, erfordert der Parlaments vorbehält zugleich eine materielle Regelung mit einer noch konkretisierungsbedürftigen inhaltlichen Dichte und Bestimmtheit. 58 3.1.2 Abgrenzung des Parlamentsvorbehalts

zu anderen Vorbehaltsbegriffen

( 1) Rechtssatzvorbehalt

Abzugrenzen ist der Parlamentsvorbehalt vor allem gegenüber dem sogenannten Rechtssatzvorbehalt, der - in Anlehnung an den doppelten Gesetzesbegriff - auch als Vorbehalt des materiellen Gesetzes bezeichnet wird 5 9 und dementsprechend Regelungen durch untergesetzliche, das heißt nicht im formellen Gesetzgebungsverfahren verabschiedete Außenrechtssätze wie Rechtsverordnungen und Satzungen zuläßt. Während der Parlamentsvorbehalt eine Regelung unmittelbar „durch Gesetz" fordert, läßt der Rechtssatzvorbehalt eine Regelung „aufgrund eines Gesetzes" ausreichen. 60 Dem Rechtssatzvorbehalt genügt daher ein A k t delegierter Rechtsetzung; er ist im Gegensatz zum Parlamentsvorbehalt delegationsfreundlich. Er wird daher auch als Delegationsvorbehalt bezeichnet. 61 I m Vergleich zum Parlamentsvorbehalt ist der Rechtssatzvorbehalt weniger streng, da er über die gebotene Rechtssatzebene - Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung beziehungsweise Satzung - keine Aussage trifft. In der Sicht des Rechtssatzvorbehalts bilden vielmehr sämtliche Rechtssätze62 unter vorbehaltsrechtlichem Aspekt eine Einheit, die gegenüber einer Regelung durch Verwaltungsvorschriften abzugrenzen ist. Die vom Rechtssatzvorbehalt gezogene Grenze verläuft daher zwischen Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung und Satzung auf der einen und den Verwaltungsvorschriften auf der anderen Seite. Da der Rechtssatzvorbehalt sowohl Regelungen durch Parlamentsgesetz als auch durch Rechtsverordnung oder Satzung zuläßt, der Parlamentsvorbehalt demgegenüber jedoch nur eine dieser Regelungsformen - das Parlamentsgesetz - als Erfüllung der vorbehaltsrechtlichen Erfordernisse anerkennt, ist der Parlamentsvorbehalt spezieller als der Rechtssatzvorbehalt. Man kann insoweit von einem Stufenverhältnis sprechen. 63 58

So schon Hansen (Fn. 44), 1971, 60 ff., 319 ff. Vgl. zum Beispiel Hansen, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 92. 60 Vgl. Roewer/Hoischen, DVBl. 1979, 900 ff. (901); Hennecke, D Ö V 1982, 696. 61 Vgl. Hansen (Fn. 44), 1971, 62, 319 ff. 62 Der Rechtssatzbegriff ist nach wie vor umstritten. Wenn im folgenden von „Rechtssatz" die Rede ist, so werden darunter Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen in Abgrenzung zu Verwaltungsvorschriften verstanden. 63 Vgl. Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (97); Ders., VerwArch 69 (1978), 387 ff. (396); Ders., VerwArch 70 (1979), 249 ff. (252 f.); Weber, JuS 1976, 336 mit Fn. 9. 59

32

I. Einleitung

(2) Vorbehalt des Gesetzes

Daneben wird nach wie vor vom „Vorbehalt des Gesetzes" gesprochen. Hierbei handelt es sich um die herkömmliche Bezeichnung. 64 Würde man den Vorbehalt des Gesetzes entweder mit dem Parlamentsvorbehalt oder mit dem Rechtssatzvorbehalt gleichsetzen, so wäre einer dieser Termini entbehrlich. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sollte man dann auf den weiteren Gebrauch eines der Begriffe verzichten. Demgegenüber erscheint es jedoch sinnvoll, die eingebürgerte allgemeine Bezeichnung „Vorbehalt des Gesetzes" beizubehalten und als neutralen Oberbegriff zu verwenden. „Vorbehalt des Gesetzes" meint danach das allgemeine Vorbehaltsprinzip, ohne bereits zwischen Parlamentsvorbehalt und Rechtssatzvorbehalt zu differenzieren. Diese beiden Vorbehaltsbegriffe sind in diesem Sinne spezielle Ausprägungen des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes. (3) Gesetzesvorbehalt

Die Bezeichnungen „Vorbehalt des Gesetzes" und „Gesetzesvorbehalt" werden häufig synonym verwendet. 65 Andere wiederum verstehen den Begriff „Gesetzesvorbehalt" in einem verfassungssystematischen Sinn und beziehen ihn auf die in der Verfassung normierten besonderen Vorbehalte. 66 Gesetzesvorbehalte sind danach vom Grundgesetz oder den Landesverfassungen im Einzelfall niedergelegte Verweisungen auf das Gesetz. Solche finden sich bei den speziellen Gesetzesvorbehalten der Grundrechte oder bei anderen Speziai· oder Sondervorbehalten 67 wie zum Beispiel Art. 59 Abs. 2 oder Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG. Aus Gründen der Rechtsklarheit, insbesondere zur Abgrenzung vom allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes, sollte dieser Auffassung gefolgt werden. Die Bezeichnung „Vorbehalt des Gesetzes" kann auch insoweit als Oberbegriff verstanden werden, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, daß die Begriffe Parlaments- und Rechtssatzvorbehalt in erster Linie kompetenzrechtliche, der Begriff „Gesetzesvorbehalt" dagegen verfassungssystematische Bedeutung besitzt. Aus der hier zugrunde gelegten terminologischen Differenzierung folgt zugleich, daß häufig anzutreffende Formulierungen wie „Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt", „Gesetzes- oder Parlamentsvorbehalt", „Gesetzes-bzw. Parlamentsvorbehalt" oder „Gesetzes(Parlaments-)vorbehalt" 68 zu vermei64

Vgl. schon bei Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1924, 70. Vgl. statt vieler Kisker, NJW 1977, 1313, Fn. 1. 66 So insbesondere Krebs (Fn. 42), 1975, 11 ff. 67 Die Bezeichnungen „Spezialvorbehalt" und „Sondervorbehalt" gehen auf Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. zurück. Sie werden von Jesch (Fn. 40), 1961, 31 f. unter dem Oberbegriff des Vorbehalts des Gesetzes verwendet; ähnlich Löhning (Fn. 42), 1974, 16; Falckenberg, BayVBl. 1978,166 mit Fn. 7 in BVerfGE 1, 372 (395) ist von einem „Sondervorbehalt der Legislative" die Rede; ebenso BVerwGE 60, 162 - NDR-Staatsvertrag. 65

68 Vgl. BVerfGE 45,400 (418); 58,257 (268 ff.); Beschlüsse des 51. D J T 1976, Sitzungsbericht, M 230; ähnlich Laaser, RdJB 1978, 57 ff. (58); Freitag, Jura 1980, 34 ff. (40); Oppermann, Gutachen C zum 51. D J T 1976, C 45, C 62, C 105; Ders., Bildung, in: von Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1976, 641; ebenso die 6. Aufl., 1982, 851; DJT-Schi'lGE 1981, 20; Bryde, D Ò V 1982, 243.

3.1 Die Vorbehaltsterminologie

33

den sind, da sie Ausdruck der terminologischen und kompetenzrechtlichen Unsicherheiten hinsichtlich der Reichweite des Parlamentsvorbehalts sind. Nicht selten gewinnt man den Eindruck, daß aus diesem Grunde die genannten Kumulativbezeichnungen „sicherheitshalber" verwendet werden. 69 Die leichtfertig erweckte Assoziation, der bisherige Vorbehalt des Gesetzes sei durch ein neues Rechtsinstitut des „Parlaments- und Gesetzesvorbehalts" ersetzt worden, verschließt vorschnell den Weg zu sachgerechten Differenzierungen. 70 (4) Sonstige Vorbehaltsbegriffe

Während der Terminus „Parlamentsvorbehalt" vor allem in Abgrenzung zum Rechtssatzvorbehalt die Frage der parlamentarischen Regelungspflicht und Delegationsbefugnis im Verhältnis Legislative - Exekutive thematisiert, gibt es eine Reihe weiterer Vorbehaltsbegriffe, die andere Strukturmerkmale des Vorbehalts des Gesetzes akzentuieren. So beziehen sich die Bezeichnungen „Eingriffs-" und „Totalvorbehalt" auf den Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes je nach Typus der Verwaltungstätigkeit. Der Eingriffsvorbehalt knüpft an die klassische Ausprägung des Vorbehaltsprinzips an, wonach ausschließlich Eingriffe in Freiheit, Eigentum und sonstige Rechte71 dem Vorbehalt des Gesetzes unterstellt waren. 72 Der Totalvorbehalt dehnt demgegenüber den Anwendungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes über die Eingriffsverwaltung hinaus auch auf die LeistungsVerwaltung aus,73 wobei sich zwischen Eingriffs- und Totalvorbehalt zahlreiche Zwischenpositionen finden, die sich unter anderem in dem wenig nutzbringenden begrifflichen Streit 69

So auch Falckenberg, BayVBl. 1978, 166. Begriffliche und kompetenzrechtliche Differenzierungen korrespondieren miteinander. 71 Die „sonstigen Rechte" werden häufig zu Unrecht durch Verwendung der verengten Freiheit- und Eigentum-Formel aus dem Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts ausgeklammert (vgl. zum Beispiel Krebs (Fn. 42), 1975, 11; Böckenförde, Organisationsgewalt, 1964, 90; BVerfGE 8,155 (166 f.); 47,46 (78 f.)). Die Verengung auf die Grundrechte Freiheit und Eigentum entspricht jedoch nicht der herkömmlichen Doktrin. Schon die bei Otto Mayer zu findende Definition („und sonstige Rechte") macht deutlich, daß der Vorbehalt des Gesetzes ursprünglich keineswegs nur Eingriffe in Freiheit und Eigentum erfaßte; vgl. Otto Mayer (Fn. 64), 1924, 70. Vielmehr sollte der gesamte Rechts- und Freiheitsbereich des Bürgers bei staatlichen Eingriffen unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen. Ganz deutlich wird dies von Thoma hervorgehoben, der ausdrücklich darauf hinweist, daß die Worte „in Freiheit und Eigentum" im weitesten Sinne zu verstehen seien, so daß sie die gesamte Rechts- und Freiheitssphäre der Individuen und ihrer Verbände umfassen; Thoma, HDStR I I , 1932,221 ff. (223). Mit der ausdrücklichen Nennung von Freiheit und Eigentum wurden lediglich formelhaft die zentralen Rechte generalklauselartig umschrieben (vgl. Krebs, Jura 1979, 304). 72 Zum Eingriffsvorbehalt und zur Freiheit- und Eigentum-Formel vgl. Jesch (Fn. 40), 1961, 117 f.; Böckenförde (Fn. 56), 1981,73 ff.; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 1982, 86 ff. 73 Zum Totalvorbehalt vgl. Jesch (Fn. 32), 1961, 34,'205, 227; Kleiser (Fn. 46), 1963, 34 ff.; Böckenförde, Organisationsgewalt, 1964, 59; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 115 ff.; Ossenbühl, Verwaltungs Vorschriften und Grundgesetz, 1968, 211 f.; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, 281; Krebs (Fn. 42), 1975, 105; Stern, Staatsrecht Bd. 1,1984,808. - Ein Totalvorbehalt findet sich positiv-rechtlich in Art. 18 Abs. 1 der österreichischen Verfassung; vgl. dazu den Diskussionsbeitrag von Winkler, V V D S t R L 25 (1967), 422, der auf die praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Totalvorbehalt in Österreich hinweist; vgl. auch Novak, V V D S t R L 40 (1982), 45 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs. 70

34

I. Einleitung

ergehen, ob es sich bei ihrer jeweiligen Auffassung um einen „erweiterten klassischen Vorbehalt" oder aber um einen „eingeschränkten Totalvorbehalt" handelt. 74 Sowohl der Eingriffs- als auch der Totalvorbehalt können prinzipiell als Parlamentsvorbehalt wie auch als Rechtssatzvorbehalt verstanden werden, ohne daß insoweit in kompetenzrechtlicher Hinsicht eine zwingende Verknüpfung bestünde. Ganz ähnlich verhält es sich mit Bezeichnungen wie Schranken-, Regelungs-, Konkretisierungs- und Ausführungsvorbehalt. 75 Diese Vorbehaltsbegriffe beziehen sich auf den materiell-rechtlichen Gegenstand des verfassungsrechtlichen Regelungsauftrages und bewegen sich gleichfalls nicht in erster Linie auf der Ebene der kompetentiellen Abgrenzung von Regelungspflicht und Delegationsbefugnis im Verhältnis Legislative - Exekutive.

3.2 Der Delegationsbegriff 3.2.1 Definition

Unter „Delegation" versteht man in Anlehnung an Triepels grundlegende Studie zu „Delegation und Mandat im öffentlichen Recht" einen Rechtsakt, durch den der Inhaber einer staatlichen oder gemeindlichen Zuständigkeit seine Kompetenz76 ganz oder zum Teil auf ein anderes Subjekt überträgt. 77 Jede Delegation führt somit stets zu einer Kompetenzverschiebung und zu einer Abweichung von der von der Verfassung für den Regelfall vorgesehenen Kompetenzregulierung. Wird dagegen eine Abweichung von der „normalen" Kompetenzverteilung bereits in der Verfassung selbst geregelt, so handelt es sich nicht um eine Delegation, da die eingeräumte Kompetenz nicht von einem anderen Kompetenzträger abgeleitet, sondern von der Verfassung selbst originär verliehen wird. 78 Werden der Exekutive zum Beispiel verfassungsunmittelbare Verordnungskompetenzen zugewiesen, so liegt kein Fall einer Delegation vor. In derartigen Fällen sollte der allgemeine Begriff „Ermächtigung" verwendet werden. 79 Andere Bezeichnungen wie „Verleihung" und „Übertragung" charakterisieren den Vorgang der Kompetenzverschiebung zwar ebenfalls in 74

Vgl. dazu Ossenbühl (Fn. 73), 1968, 210 ff.; Starck (Fn. 73), 1970, 281. Vgl. dazu Rupp, JuS 1975,609 ff. (616); Krebs, DVB1.1977,632 ff. (635); ähnlich wohl auch Henke, AöR 101 (1976), 576 ff. (584 f.). 76 Die Begriffe Zuständigkeit und Kompetenz werden im folgenden in synonymer Bedeutung verwendet; ebenso Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, 160 mit Fn. 2; zu möglichen Differenzierungen vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I I , 1976, § 72 I C 1. 77 Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, 23. 78 Ein in der Verfassung begründetes Notverordnungsrecht ist daher nicht als „Delegation" anzusehen; gleiches gilt für verfassungsunmittelbare Ermächtigungen an die Exekutive zum Erlaß von Rechts Verordnungen; vgl. Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, 1952, 7 ff. (10 f.). 79 Diese beiden Begriffe überschneiden sich allerdings häufig, so zum Beispiel bei einfach-gesetzlichen Verordnungsermächtigungen, die zugleich eine Form der Delegation darstellen. 75

3.2 Der Delegationsbegriff

35

zutreffender Weise, werden heute aber kaum noch verwendet und sollten aus Gründen der begrifflichen Klarheit jedenfalls als termini technici nicht mehr verwendet werden. 80 Verschiedene Arten der Delegation sind zu unterscheiden. Der Delegierende kann seine eigene Zuständigkeit zugunsten des Delegatars vollständig aufgeben (echte Delegation), er kann sich bei der Zuschiebung der Zuständigkeit aber auch vorbehalten, die delegierte Kompetenz weiterhin selbst ausüben zu dürfen (unechte, konkurrenzschaffende Delegation). 81 Im letzteren Fall ist der Delegierende nicht gehindert, aufgrund eines neuerlichen Entschlusses die delegierten Kompetenzen vollständig oder teilweise wieder an sich zu ziehen. Da mit der Problematik des Parlamentsvorbehalts die Frage nach der parlamentarischen Regelungspflicht und Delegationsbefugnis aufgeworfen ist und der Delegationsbegriff ausschließlich abgeleitete Kompetenzen betrifft, regelt der Parlamentsvorbehalt genau genommen nicht die Frage der (originären) Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive im Sinne einer Abgrenzung selbständiger Zuständigkeitsbereiche, sondern betrifft allein die Frage, ob und inwieweit der parlamentarische Gesetzgeber befugt ist, bestimmte Entscheidungen zur Regelung an die Exekutive zu delegieren. 3.2.2 Schranken parlamentarischer

Delegationsbefugnis

Das Grundgesetz und die Landesverfassungen haben die Zulässigkeit der Delegation rechtsetzender Kompetenzen von der grundsätzlich für die Rechtsetzung zuständigen Legislative auf die Exekutive anerkannt. Dies gilt nicht nur für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verordnungsermächtigungen, 82 sondern auch für die Delegation von Regelungskompetenzen an autonome Satzungsgeber, obwohl nur Art. 28 Abs. 2 G G eine bundesverfassungsrechtliche Anerkennung der Delegationsbefugnis gegenüber den Gemeinden enthält. 83 Da sowohl das Grundgesetz als auch die Landesverfassungen für jede Rechtsetzungsdelegation eine spezielle parlamentsgesetzliche Delegation verlangen, besteht - von einigen unbedeutenden Ausnahmen abgesehen84 unter der Geltung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen weder ein originäres Verordnungsrecht der Exekutive noch eine originäre Satzungsautonomie. 85 Jede Rechtsetzung der Exekutive innerhalb des originären 80

Vgl. zu diesen Bezeichnungen Klein (Fn. 78), 1952, 9 ff. Vgl. Triepel (Fn. 77), 1942, 51 ff. 82 Vgl. Art. 80 Abs. 1 G G sowie die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen: Baden-Württemberg Art. 61; Bayern Art. 55 Nr. 2 Satz 3, Art. 70; Berlin Art. 47; Bremen Art. 124; Hamburg Art. 53; Hessen Art. 107, 118; Niedersachsen Art. 34; Nordrhein-Westfalen Art. 70; Rheinland-Pfalz Art. 110; Saarland Art. 104; Schleswig-Holstein Art. 33; vgl. dazu Klein (Fn. 78), 1952, 73 ff. 81

83 Vgl. BVerfGE 33,125 (156) m.w.N. Nach der hier vorgeschlagenen Terminologie wäre von einer „Ermächtigung" zu sprechen. 84 Art. 119, 127, 132 Abs. 4 GG. 85 Vgl. dazu Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages für Verfassungsreform, Schlußbericht, BT-Drucks. 7/5924, 91 f., wo die Ablehnung eines selbständigen Verordnungs-

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I. Einleitung

Funktionsbereichs der Legislative ist daher nur gesetzesabgeleitet (derivativ) zulässig.86 Soweit die Exekutive außerhalb der Legislativfunktion durch den Erlaß von Verwaltungsvorschriften rechtsetzend tätig wird, 87 erfolgt dies aufgrund originärer Exekutivkompetenzen. Diese beschränken sich indes auf Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete ergehen und die dazu dienen, Organisation und Handeln der Verwaltung zu steuern. 88 Die originären Kompetenzen der Exekutive zur Rechtsetzung durch Verwaltungsvorschriften sind somit in doppelter Hinsicht eng begrenzt, nämlich nach Adressaten und Regelungsgegenständen. Danach sind für den Bereich der Rechtsetzung drei Kompetenzebenen zu unterscheiden: - die originären Rechtsetzungskompetenzen des parlamentarischen Gesetzgebers; - die vom parlamentarischen Gesetzgeber abgeleiteten Rechtsetzungskompetenzen der Exekutive; - die originären Rechtsetzungskompetenzen der Exekutive. Zu unterscheiden sind somit auf einer horizontalen Ebene die originären Legislativ- und die Exekutivkompetenzen. Auf einer vertikalen Ebene bewegen sich die von den originären Parlamentskompetenzen abgeleiteten derivativen Exekutivkompetenzen: Dies ist der hier zu behandelnde Bereich der Delegation, der mit der Frage nach dem Parlamentsvorbehalt problematisiert wird. Mit dem Parlamentsvorbehalt wird der Blick in erster Linie auf die vertikale Ebene - mithin auf die Delegationsproblematik - gerichtet. Demgegenüber faßt der Rechtssatzvorbehalt die originären Parlaments- und die abgeleiteten Exekutivkompetenzen zusammen und grenzt sie gegenüber den originären Exekutivkompetenzen ab. Die Delegationsproblematik ist aus der Sicht des Rechtssatzvorbehalts irrelevant. Da der Parlamentsvorbehalt (als speziellere Form) den Rechtssatzvorbehalt voraussetzt, trifft allerdings auch der Parlamentsvorbehalt eine Abgrenzung gegenüber den originären ExeküT tivkompetenzen: Was unter den Parlaments vorbehält fällt, ist der originären Regelungsbefugnis der Exekutive entzogen. Aus vorbehaltsrechtlicher Sicht lassen sich die drei genannten Kompetenzebenen wie folgt konkretisieren: - originäre, ausschließliche, nicht delegierbare Parlamentskompetenzen („Parlamentsvorbehalt"); rechts der Regierung de constitione lata anerkannt und auch de constitione verenda abgelehnt wird; vgl. dazu zuletzt Vogt (Fn. 47), 1981,2 ff. der im Ergebnis die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung befürwortet. 86 Vgl. Jesch (Fn. 40), 1961; Krebs (Fn. 42), 1975,102 f f . - D i e Rechtsfigur der Sonderverordnung stellt insoweit einen Systembruch dar, auf dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit noch einzugehen sein wird. 87 Daß Verwaltungsvorschriften im rechtstheoretischen Sinn „Recht" sind und der Erlaß von Verwaltungsvorschriften dementsprechend als Rechtsetzung anzusehen ist, ist heute ganz überwiegend anerkannt; vgl. Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, 1983, § 7 IV. 88 Vgl. Ossenbühl (Fn. 87), 1983, § 7 I V 1.

3.2 Der Delegationsbegriff

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abgeleitete Exekutivkompetenzen, oder aus der Sicht des Parlaments: originäre, delegierbare Parlamentskompetenzen („Rechtssatzvorbehalt"); - originäre, nicht delegationsbedürftige Exekutivkompetenzen (kein Vorbehalt des Gesetzes).89 Mit der Frage nach dem Parlamentsvorbehalt wird implizit eine Unterstellung getroffen und explizit ein Problem formuliert: Unterstellt wird, daß zwischen delegierbaren und nicht delegierbaren Parlamentskompetenzen zu unterscheiden sei, womit zugleich die Frage gestellt ist, ob die parlamentarische Delegationsbefugnis grenzenlos gilt oder aber verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen ist. Wird diese Frage bejaht, so stellt sich das weitere Problem, wie die delegierbaren von den nicht delegierbaren Kompetenzen abzugrenzen sind.

3.2.3 Offene und verdeckte Delegationen

Die bisher getroffene Grenzziehung zwischen originären und abgeleiteten exekutivischen Rechtsetzungskompetenzen bedarf einer gewissen Relativierung. Die scheinbar eindeutige Grenzziehung ist weder theoretisch noch praktisch uneingeschränkt aufrecht zu erhalten. Über die erwähnten klassischen Formen offener Delegation 90 hinaus gibt es weitere Medien gesetzlicher Regelung, die, ohne dies wie Verordnungsbefugnisse oder Satzungsautonomie verleihende Ermächtigungen eindeutig zu offenbaren, im Ergebnis gleichfalls einen Delegationseffekt besitzen. Insoweit kann man von verdeckten Ermächtigungen oder Delegationen sprechen. Dieser Kategorisierung liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der Gesetzgeber auch bei Verwendung von unbestimmten Gesetzesbegriffen, Generalklauseln, Kann- und Soll-Bestimmungen oder bei der Formulierung von Ermessenstatbeständen partiell offene Regelungen trifft, die delegationsähnliche Kompetenzverweisungen enthalten.91 Als „verdeckt" sind solche Delegationsformen zu bezeichnen, weil sie die Rechtsetzungsermächtigung an die Exekutive nicht explizit aussprechen,92 sondern konkludent durch ihre semantische Offenheit zum Ausdruck bringen. Zwar räumen die genannten Formen verdeckter Ermächtigung der Exekutive in erster Linie die Möglichkeit ein, auf der Grundlage der offenen gesetzlichen Regelung innerhalb ihres originären Funktionsbereichs

89 Vgl. dazu Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (97 f.); Listi, DVBl. 1978, 10 ff.; Rengeling, NJW 1978, 2217 ff. (2219); Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981, 32 ff; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, 468. Abzulehnen daher Böckenförde (Fn. 23), 1981, 394 ff., der die nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallenden Gegenstände unter Vernachlässigung der mittleren Kompetenzebene zum Funktionsbereich der Exekutive rechnet, was die Frage nach der Funktion von Rechtsverordnungen aufwirft. 90 Gesetzliche Verordnungsermächtigung und Einräumung von Satzungsautonomie. 91 Vgl. Niehues (Fn. 7), 1983, Rdn. 105,165,476 m.w.N.; ähnlich Scholz/Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980, 113. 92 Formulierungen wie: „der... Minister wird ermächtigt,... zu regeln" werden in den Fällen verdeckter Delegation nicht verwendet.

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I. Einleitung

Einzelfallentscheidungen zu treffen, so daß insoweit von einer Delegation von (Rechtsetzungs-)Kompetenzen nicht die Rede sein kann, weil die Exekutive durch Erlaß von Einzelakten innerhalb ihres originären Funktiohsbereichs tätig wird. Verdeckte Delegationsnormen schaffen aber zugleich die Grundlage für gesetzesauslegende und gesetzeskonkretisierende Regelungen der Exekutive. Soweit sich diese in dem oben umschriebenen engen Bereich originärer Regelungskompetenzen der Exekutive bewegen, ist dies unproblematisch. Da die gesetzesausfüllenden Exekutivregelungen auf der Grundlage verdeckter Delegationen sich aber keineswegs notwendig auf den Bereich originärer exekutiver Regelungskompetenzen beschränken, stellt sich in gleicher Weise wie für offene auch für verdeckte Delegationen die Frage, ob und inwieweit derartige Delegationen im Einzelfall verfassungsrechtlich zulässig sind. Die Problematik des Parlamentsvorbehalts erstreckt sich somit auch auf verdeckte Delegationen. Für die folgende Untersuchung ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Zum einen sind die verdeckten Ermächtigungen mit in die Überlegungen einzubeziehen.93 Darüber hinaus wird deutlich, daß die Frage der gesetzlichen Regelungsdichte nicht länger allein unter dem Aspekt der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebote erörtert werden kann, sondern zugleich als Delegationsproblem erkannt und in den Kontext der Vorbehaltslehre gestellt werden muß. 3.2.4 Entbehrlichkeit

des Delegationsbegriffs?

Teilweise wird die Auffassung vertreten, Begriff und Rechtsfigur der Delegation seien entbehrlich. 94 G. Müller begründet diese Auffassung in seiner Baseler Habilitationsschrift wie folgt: Die Verordnungskompetenz der Regierung beruhe unmittelbar auf der Verfassung (zum Beispiel Art. 80 Abs. 1 GG). Spreche der Gesetzgeber eine Ermächtigung aus, so stelle sich dies nicht als eine konstitutive Delegation, sondern vielmehr als eine Begrenzung der bereits nach der Verfassung bestehenden Rechtsetzungsgewalt der Regierung auf eine bestimmte Materie dar. Praktisch handele es sich damit nicht um eine Frage der Kompetenzdelegation, sondern einer Grenzziehung zwischen dem bereits in der Verfassung enthaltenen Gesetzgebungsrecht des Parlaments und dem ebenfalls in der Verfassung enthaltenen Verordnungsrecht der Exekutive. Nach diesem Verständnis enthält die gesetzliche Verordnungsermächtigung keine kompetenzbegründende Ermächtigungsnorm, sondern eine „Klärungsnorm", die für den Verordnungsgeber verbindlich festlegt, was ihm noch zu tun bleibt. 95

93 Im Vordergrund der Untersuchung wird insoweit allerdings die klassische Form der offenen Delegation, insbesondere die Problematik der Verordnungsdelegation stehen. 94 So ausdrücklich G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, 189 ff. 95 Müller (Fn. 94), 1979, 195 f.; zustimmend Häberle, D Ö V 1981, 550 ff. (551).

4. Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis im Schulrecht

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Dieser Auffassung ist folgendes entgegenzuhalten: Der Verfassungsgeber hat sich sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gegen eine originäre Rechtsetzungskompetenz der Exekutive entschieden. Ein selbständiges Verordnungsrecht gibt es de constitutione lata weder im Bund noch in den Ländern. 9 6 Obwohl die abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis der Exekutive bereits in der Verfassung angelegt und als „Durchbrechung" 97 der grundsetzlichen Funktionenzuordnung verfassungsrechtlich legitimiert ist, trägt sie lediglich potentiellen und fakultativen Charakter. Sie muß stets im Einzelfall von der Legislative aktualisiert werden. 98 Unabdingbare Voraussetzung ist eine entsprechende Delegationsentscheidung des Gesetzgebers. Dieser ist nach herrschender Meinung nicht gehindert, eine vollständige und abschließende Regelung im Parlamentsgesetz zu treffen, ohne Teile seiner Regelungskompetenz an den Verordnungsgeber zu delegieren. Die Exekutive kann die Erteilung gesetzlicher Verordnungsermächtigungen und damit die Aktualisierung ihrer potentiellen Rechtsetzungsbefugnisse nicht erzwingen. Der Gesetzgeber entscheidet damit nicht nur über die Weite des exekutiven Verordnungsspielraums, sondern zunächst und viel grundsätzlicher über die Frage, ob die Exekutive überhaupt als Verordnungsgeber tätig werden kann. 9 9 Demnach ist die Delegationsentscheidung des Gesetzgebers durchaus nicht rein deklaratorischer Natur, sondern in jedem Einzelfall konstitutiv für die Begründung von Verordnungskompetenzen. Die Rechtsfigur der Delegation ist daher keineswegs obsolet. Die Problematik des Parlamentsvorbehalts und der damit verknüpften Delegationsbefugnis des Gesetzgebers sind kaum verfassungsrechtlich diskutierbar, wenn man die Tatsache gesetzgeberischer Delegationsentscheidungen leugnet. A n der Rechtsfigur der Delegation ist somit nach wie vor festzuhalten.

4. Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis im Schulrecht Wenngleich die Thematik von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis eine allgemeine verfassungsrechtliche Problematik betrifft, deren

96

Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1978, Art. 80 Rdn. 3 m.w.N. Diese Formulierung sollte möglichst vermieden werden, weil sie von einem vorverfassungsrechtlichen Idealtypus der Gewaltenteilung ausgeht, dessen Existenz zweifelhaft ist. Vor allem aber hat sich die konkrete verfassungsrechtliche Funktionentrennung allein nach dem positiven Verfassungsrecht zu richten. Verfassungsunmittelbare „Durchbrechungen" der Funktionentrennung sind daher ein Widerspruch in sich. Vgl. dazu auch Zimmer, Funktion - Kompetenz Legitimation, 1979, 22 ff. 97

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Mißverständlich insoweit Scholz/Bismark (Fn. 91), 1980, 99 ff. Sogar nach erfolgter Delegation liegt es in der Hand des Gesetzgebers, die Delegation rückgängig zu machen, da die Verordnungsdelegation (gleiches gilt für die Einräumung von Satzungsautonomie) nach Art. 80 Abs. 1 G G keinen „abschiebenden", sondern „zuschiebenden" Charakter besitzt, so daß sich das Parlament seines Zugriffsrechts auf die Materie nicht begibt (vgl. Bettermann, Legislative ohne Posttarifhoheit, 1966,25 m.w.N.). Im Sinne der TriepePschen Terminologie handelt es sich um eine unechte Delegation; vgl. Triepel (Fn. 77), 1942, 53 ff.; BVerfGE 22,330 (346); Wilke, in: von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Anm. I I 3 b zu Art. 80; Bryde, Rdn. 5 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 99

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I. Einleitung

Grundlagen losgelöst von einem bestimmten Rechts- und Politikbereich diskutiert werden können und dessen Bedeutung - wie bereits dargelegt - über einzelne Rechtsbereiche weit hinausreicht, so erscheint es doch sinnvoll, im Hinblick auf eine gewisse Geschlossenheit der Darstellung die zu treffenden sachgegenständlichen Konkretisierungen schwerpunktmäßig auf ein bestimmtes Rechtsgebiet zu konzentrieren. Hierzu bietet sich aus verschiedenen Gründen das Schulrecht an. 1 0 0 Dieses Rechtsgebiet gehört zu den klassischen sogenannten besonderen Gewaltverhältnissen, in denen die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes lange Zeit bestritten war. I m Gegensatz zum Schulrecht waren andere ehemalige besondere Gewaltverhältnisse wie das Beamten- und das Soldatenrecht seit jeher relativ ausführlich und umfassend geregelt, so daß sich dort die Vorbehaltsfrage kaum stellte. Das Regelungsdefizit in einem weiteren klassischen besonderen Gewalt V e r h ä l t n i s , dem Strafvollzug, wurde infolge der bekannten Verfassungsgerichtsentscheidung 101 mehr oder weniger rasch beseitigt. 102 Demgegenüber hat sich die Vorbehaltsproblematik im Schulrecht nicht so schnell erledigen lassen. Obwohl seit Anfang der siebziger Jahre eine vergleichsweise große Zahl von Gerichtsentscheidungen erging, in welchen die Landesgesetzgeber aufgefordert wurden, verschiedene Teilbereiche des Schulrechts einer den Vorbehaltsanforderungen gemäßen Regelung zuzuführen und obwohl die Konturen der sogenannten Wesentlichkeitsrechtsprechung weitgehend an Einzelfällen des Schulrechts entwickelt wurden, erfolgte die notwendige Neukodifizierung des Schulrechts nur sehr zögernd. 1 0 3 Vielfach gingen Kultusbürokratie und Landtage bei der erforderlichen Vergesetzlichung des Schulwesens nur gerade so weit, wie es die Gerichte des betreffenden Landes forderten. 104 So ließ sich das Land Bayern, dessen Kultusminister sich als einer der vehementesten Kritiker einer Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts im Schulrecht profilierte, 105 erst durch eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs 106 zu einer teilweisen Novellierung des bayerischen Schulrechts bewegen. 107 Die bis in die achtziger Jahre anhaltende Judikatur von BVerfG und BVerwG, aber auch der Unter100 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei gleich hier ausdrücklich daraufhingewiesen, daß es nicht Zielsetzung dieser Untersuchung ist, materiell-rechtliche Aussagen zur inhaltlichen Gestaltung der Schule zu entwickeln oder die Verfassung(en), insbesondere die Grundrechte, auf ihren Direktionsgehalt für die (Grund-)Rechte der Schüler, Eltern und Lehrer auszuloten. Hier geht es vielmehr allein um die Normierungskompetenz im Verhältnis von Gesetz- und Verordnungsgeber. 101 BVerfGE 33, 1. 102 Vgl. Strafvollzugsgesetz vom 16.3.1976 (BGBl. I, 581). Böckenförde (Fn. 56), 1981, 383 Fn. 22, weist zu Recht daraufhin, daß (jedenfalls zunächst) nahezu alle Leitentscheidungen des BVerfG zum Gesetzesvorbehalt sich auf Regelungsfragen in den früheren sogenannten besonderen Gewaltverhältnissen beziehen. 103 Vgl. Laaser, Die Verrechtlichungdes Schulwesens, 1980,1343 ff.; Staupe, Leviathan 1982, 273 ff. (279 f.). 104 Vgl. Lorentzen, RdJB 1981, 492 f. 105 Vgl. H. Maier, Zur inhaltlichen Gestaltung der Schule aus der Sicht von Politik und Verwaltung, 1977, 11 ff. (17 ff.). 106 BayVerfGH 33, 33 (Entscheidung vom 27.3.1980). 107 Vgl. dazu Richter, RdJB 1981, 429 f., der zugleich das dieser Novellierung zugrundeliegende Gutachten von Lerche (Fn. 89), 1981, einer kritischen Würdigung unterzieht.

5. Gang der Untersuchung

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gerichte, belegt ebenso wie die zur Vorbehaltsproblematik ergangene Fülle an Literatur die offenkundigen Probleme einer verfassungsadäquaten Vergesetzlichung des Schulrechts. Auch die Tatsache, daß der Deutsche Juristentag gegenüber dem Widerstand der CDU/CSU-regierten Länder einer Kommission Schulrecht mit dem Auftrag einsetzte, als Handreichung für die Länder einen Musterentwurf für ein Landesschulgesetz zu erarbeiten, 108 ist ein deutliches Indiz für den Stellenwert der Problematik von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis gerade im Schulrecht. Daß die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Schulrecht trotz (oder wegen?) einer relativ umfangreichen Rechtsprechung und Literatur nach wie vor ungeklärt ist, wird auch in neuesten Beiträgen immer wieder hervorgehoben. 109

5. Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung wird den drei eingangs formulierten Fragen nachzugehen und für die vorstehend skizzierten Probleme zumindest Lösungsansätze aufzuzeigen haben. Dabei soll zugleich versucht werden, Entwicklungslinien und Veränderungstendenzen des Vorbehaltsprinzips und der parlamentarischen Delegationsbefugnis auf dem Hintergrund der sogenannten Wesentlichkeitsrechtsprechung zu verdeutlichen. Nach einer Vergewisserung über die historischen Grundlagen von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis (Kapitel I I ) und der speziellen Entwicklung des Schulverhältnisses vom besonderen Gewaltverhältnis zum Rechtsverhältnis (Kapitel I I I ) ist das Verständnis des Parlamentsvorbehalts zunächst auf der Basis der Wesentlichkeitsrechtsprechung zu analysieren (Kapitel IV) und auf die Frage hin zu untersuchen, wie die Reichweite des Parlamentsvorbehalts von der herrschenden Meinung konkretisiert wird. Sodann wird der Frage nachzugehen sein, welches die von der herrschenden Meinung gegebenen verfassungsrechtlichen Begründungen für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts sind und ob diese zu überzeugen vermögen (Kapitel V). Gegebenenfalls ist dann nach anderen/ergänzenden Begründungsansätzen zu fragen (Kapitel VI). Die drei abschließenden Kapitel wenden sich der Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts zu, und zwar anhand der Entwicklung materiell-rechtlichen Kriterien (Kapitel V I I ) sowie durch Erörterung alternativer oder flankierender Möglichkeiten (Kapitel V I I I ) ; schließlich wird die Reichweite des Parlamentsvorbehalts auf der Grundlage der erarbeiteten Ergebnisse für den Regelungsbereich des Schulrechts exemplarisch zu konkretisieren sein (Kapitel IX).

108 Zum Zustandekommen der Kommission Schulrecht vgl. DJT-SchulGE, 1981, 411 f. (Anhang 2: Übersicht über das Zustandekommen der Kommission Schulrecht). 109 Vgl. Kisker, DVBl. 1982, 886 ff.; Bryde, D Ö V 1982,661 ff.; Heussner (Fn. 7), 1983, 118.

I I . Die historische Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes und der parlamentarischen Delegationsbefugnis1 1. Die Voraussetzungen des Vorbehalts des Gesetzes Dem Vorbehalt des Gesetzes als kompetenzzuweisendem Verfassungsprinzip konnte erst mit der Trennung von legislativer und exekutiver Funktion Bedeutung zukommen. 2 Der Vorbehalt des Gesetzes setzt eine Funktionentrennung beziehungsweise Gewaltenteilung 3 innerhalb des Staates notwendig voraus. Von einer solchen konnte in Deutschland in Ansätzen erst ab dem Zeitpunkt die Rede sein, als das Bürgertum seine Beteiligung an der Gesetzgebung erkämpft hatte und die bisherige Alleinzuständigkeit des Monarchen für die Ausübung sämtlicher Staatsfunktionen beendet worden war. Vorläufer des Vorbehalts des Gesetzes lassen sich ideengeschichtlich allerdings bis ins Mittelalter zurückverfolgen, und zwar in Form des strafrechtlichen Vorbehalts „nulla poena sine lege" in der Magna Charta libertatem von 1215, wobei allerdings keine verbriefte Gesetzesform verlangt, sondern das Gewohnheitsrecht als ausreichend angesehen wurde. 4 Einen weiteren bedeutsamen Vorläufer hat der Vorbehaltsgrundsatz in dem vorabsolutistischen Steuerbewilligungsrecht der Landstände.5 Auch wenn die Beschlußfassung über die Auferlegung von Steuern kein Akt der formellen Gesetzgebung war, so war sie gleichwohl dem

1 Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzesvorbehalts gibt es eine Reihe jüngerer Untersuchungen, die sich ausführlich den historischen Aspekten gewidmet haben und auf die hier Bezug genommen wird; die Darstellung kann sich daher schwerpunktmäßig auf die historischen Aspekte der eingangs skizzierten Fragestellungen konzentrieren und sich vor allem dem Verhältnis legislativer und exekutiver Rechtsetzungskompetenzen sowie der damit aufgeworfenen Delegationsproblematik zuwenden. Vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981 ; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961 ; Kleiser, Der Vorbehalt des Gesetzes nach dem Bonner Grundgesetz, 1963, 29 ff.; Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490 ff.); Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, 1973,11 ff.; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975,16 ff.; Grawert, Gesetz, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2,1975, 863 ff.; Rupp, JuS 1975,609 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V I Rdn. 59; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 3. Aufl., 1982, 85 ff. 2 Jesch (Fn. 1), 1961,103; Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, 1983, § 5 I I (61 f.); Vogt, Empfiehlt sich die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung? 1981,48. - Das Verhältnis der Staatsfunktionen zueinander und damit die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes ist eine Konsequenz der Staatsform (vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982, § 17 Rdn. 8). 3 Zu dieser Unterscheidung vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964,79; Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970,109 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd I, 1984, 792 ff.; Rengeling, NJW 1978, 2217 ff. (2218); Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, 1979,19 ff. - Zur historischen Entwicklung der Gewaltenteilung vgl. den Uberblick bei Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1980, 226 ff. 4 Jesch (Fn. 1), 1961, 102 ff.; insbesondere Fn. 6,103. Vgl. auch Grawert, Jura 1982,247 ff. 5 Jesch (Fn. 1), 1961,104 ff.; Kleiser (Fn. 1), 1963,60; F. Müller, Der Vorbehalt des Gesetzes, 1977, 17; Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (712).

1. Die Voraussetzungen des Vorbehalts des Gesetzes

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Landesherrn bis zur Hochblüte des Absolutismus ohne die Einwilligung der Betroffenen oder wenigstens des entscheidenden Teils der Betroffenen nicht möglich.6 Eine entscheidende Weiterentwicklung deutete sich in Art. 7 und 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 an, weil der dort verwendete Gesetzesbegriff sowohl die Gesetzesform voraussetzte als auch die Selbstbestimmung des Volkes im Sinne des demokratischen Gesetzesbegriffs zur Basis hatte.7

Für die Blütezeit des Absolutismus war naturgemäß die Gewaltenteilung und damit auch der Vorbehalt des Gesetzes kein Thema. Die gesamte Staatsgewalt war in den Händen des Landesherrn vereinigt. Spezielle organisatorische, materielle oder kompetentielle Unterschiede zwischen einzelnen Staatsmaßnahmen gab es nicht. 8 Zwar wurde auch schon im Absolutismus begrifflich zwischen Gesetzen, Verordnungen, Erlassen, Edikten, Reskripten usw. unterschieden; 9 all diese Bezeichnungen waren jedoch nicht konturenscharf definiert. Auch ein einheitlicher Gesetzesbegriff fehlte. Die Worte „Gesetz" und „Verordnung" wurden nicht selten synonym verwendet. 10 Zum Teil wurde der Begriff des Gesetzes, zum Teil der der Verordnung als Oberbegriff gebraucht. 11 Ursprünglich machten „Gesetz" und „Verordnung" - neben anderen Bezeichnungen zusammen funktionell den einheitlichen Gesetzesbegriff im Sinne der verbindlichen Rechtsetzung aus. 12 Da mit den verschiedenen Termini nicht auf unterschiedliche gesellschaftlich-politische Kräfte, Kompetenzträger, Rechtsetzungsverfahren und Rechtsformen verschiedener Qualität und Wirkung verwiesen wurde, war ihre politische Bedeutung vergleichsweise gering und eine rechtliche Relevanz praktisch nicht vorhanden. 13 Versuche einer materiell-rechtlichen Differenzierung zwischen Gesetz und Verordnung wurden mangels kompetenz-rechtlicher Bedeutung kaum unternommen. Sie hätten auch nicht mehr als theoretisch-systematische Bedeutung gehabt 14 und blieben - soweit sie vorgenommen wurden - staatsrechtlich bedeutungslos, solange die Normgebung institutionell beim absoluten Herrscher - zusammen mit seinen sonstigen Machtbefugnissen - monopolisiert war. 1 5 Der Begriff des Gesetzes blieb daher im absoluten Staat völlig verschwommen. 16 6 Das Steuerbewilligungsrecht war traditionell nur ein Einnahmebewilligungsrecht, kein Ausgabenbewilligungsrecht der Stände; vgl. Papier (Fn. 1), 1973,20. Siehe auch zum Beispiel Teil V I I , §§ 3,4,8 der späteren Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818 (abgedruckt bei Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1961, 151 f.). 7 Jesch (Fn. 1), 1961, 103 mit Fn. 6. 8 Vgl. dazu Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490). 9 Des weiteren sprach man von Mandat, Kodex, Ordnung, Patent, Publikandum, Deklaration, Landrecht, Ordonnanz, Reglement; vgl. dazu Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 1958, 78; Böckenförde (Fn. 1), 1961, 80; Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490); Grawert (Fn. 1), 1975, 863 ff. (871 ff.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I , 1980, 560 ff. 10 Böckenförde (Fn. 1), 1981, 80; Grawert (Fn. 1), 1975, 906 f. 11 Stern (Fn. 9), 1980, 560 f. 12 Grawert (Fn. 1), 1975, 908. 13 Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Gesetz, 1961, 114; Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490). 14 Grawert (Fn. 1), 1975,914. 15 Grawert (Fn. 1), 1975,893. 16 Ebel (Fn. 9), 1958, 89; Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490).

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

2. Der Konstitutionalismus in Deutschland 2.1 Die Ausprägung des Vorbehalts des Gesetzes in den Vormärzverfassungen Erste konstitutionelle Ansätze eines Vorbehalts des Gesetzes brachten die deutschen Verfassungsurkunden nach den Freiheitskriegen. Die eine Gruppe der Verfassungen des Vormärz bediente sich der auf das staatsphilosophische Schrifttum des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts (vor allem Locke, Rousseau und Montesquieu) zurückgehenden Freiheit- und Eigentum-Formel, 1 7 die die landständische Zustimmung auf allgemeine neue Landesgesetze einschränkte, welche die Freiheit der Person oder das Eigentum des Staatsangehörigen betrafen. 18 Andere Verfassungsurkunden gingen weiter und stellten die gesamte Gesetzgebung unter den Vorbehalt der Mitwirkung der Stände. 19 Die Verfassungen der zweiten Gruppe bedurften mangels einer ausdrücklichen Abgrenzung des Vorbehaltsbereichs einer Auslegung des verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriffs. Diese Interpretationsversuche stellten jedoch nicht auf die Ermittlung eines begrifflich-logischen, rechtstheoretischen Gesetzesbegriffs ab, sondern suchten entsprechend dem derzeitigen Stand der politischen Machtauseinandersetzung zwischen Staat und Gesellschaft zu einer Aufteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen Landesherrn und Ständen zu gelangen. A u f diesem Wege wurden die an sich weitergehenden Verfassungsbestimmungen letztlich ebenfalls auf die Freiheit- und EigentumFormel reduziert. 20 Durch die in den Vormärzverfassungen überwiegend vorgesehenen Mitwirkungsbefugnisse der Stände, die sich - zum Teil schon nach dem Verfassungswortlaut, zum Teil nach einer entsprechenden Verfassungsinterpretation - auf die allgemeinen, die Freiheit der Person oder das Eigentum der Staatsangehörigen betreffenden Gesetze bezogen, ergab sich eine Klassifizierung in zustimmungsbedürftige (weil Freiheit und Eigentum betreffende) und sonstige, zustimmungsfreie Gesetze.21 Begriffe wie „Allgemeinheit" (des Ge17 Vgl. dazu Böckenförde (Fn. 1), 1981, 71 ff.; Jesch (Fn. 1), 1961, 102 ff.; Grawert ^Fn. 1), 1975, 900; Ders., Jura 1982, 247 ff. (254). 18 Vgl. Titel V I I , § 2 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818; in der Sache ebenso: § 2 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden vom 22.8.1818; § 2 des Patents des Herzogtums Nassau vom 1./2.9.1814; vgl. auch die Bemerkungen des Freiherrn vom Stein zum Hardenbergschen Entwurf der Grundlagen einer deutschen Bundesverfassung aus dem Jahre 1814. 19 § 88 der Württembergischen Verfassung vom 25.9.1819; Art. 72 Abs. 1 der Verfassung des Großherzogtums Hessen vom 17.12.1820; Art. 86 der Verfassung des Königreichs Sachsen vom 4.9.1831; § 95 der Kurhessischen Verfassung vom 5.1.1831; Art. 62 der preußischen Verfassung vom 31.1.1850. 20 Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, HDStR I I , 1932,221 ff. (222 ff.); Selmer, JuS 1968,489 ff. (490); Papier (Fn. 1), 1973, 13 f. 21 Grawert (Fn. 1), 1975,904 ff., mit einer Aufzählung der im einzelnen für zustimmungsbedürftig gehaltenen Gegenstände (905). - Die Freiheit- und Eigentum-Formel wurde fast von Anfang an so weit verstanden, daß sie sich auf den gesamten Rechts- und Freiheitsbereich des Bürgers erstreckte, vgl. Thoma (Fn. 20), 1932, 223. Nach Herzog (Fn. 1), 1980, ergaben sich so gewissermaßen zwei Freiheits- und Eigentumsbegriffe, je nachdem, ob es um die Anwendung der betreffenden Grundrechtsartikel oder um die Anwendung des Vorbehalts des Gesetzes ging.

2. Der Konstitutionalismus in Deutschland

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setzes), „Freiheit und Eigentum" hatten zunächst allein die Funktion von Aufteilungskriterien zwischen zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzen und stellten daher ursprünglich keine Definitionsmerkmale des Gesetzesbegriffs dar. Der Gesetzesbegriff war weder formell durch das Zustimmungserfordernis noch inhaltlich durch die Freiheit- und Eigentum-Formel umschrieben, sondern wurde konstitutionell vorausgesetzt. 22 Die Freiheit- und Eigentum-Formel tendierte erst allmählich dazu, aus einer gegenständlichen Mitwirkungsbegrenzung zum Synonym für den Gesetzesbereich zu werden, der schließlich vom Gesetzesbegriff abgedeckt wurde. 23 Die zustimmungsfreien „Gesetze", die sich im allgemeinen durch ihren Konnex zu einem engeren Herrschaftsbereich auszeichneten, erließ weiterhin der Landesherr allein. Diese „Gesetze" wurden zunehmend als „Verordnungen" bezeichnet. Stand dieses Wort zunächst unspezifisch neben oder anstelle von „Gesetz", so finden sich, nachdem auch in Preußen Repräsentativorgane zustimmungsberechtigt wurden, zunehmend häufiger die Bezeichnungen „Gesetz" für die mit Zustimmung erlassenen allgemeinen Anordnungen, während „Verordnung" sich auf die zustimmungsfreien Anordnungen des Königs beziehungsweise seiner Regierung verengte. 24 M i t Beginn der ständischen Mitwirkung an der Gesetzgebung entwickelte sich in der Staatspraxis die Bezeichnung „Verordnung" allmählich zum sachlichen und kompetenziellen Gegenbegriff zu „Gesetz". 25 Die monarchische Verordnungsgewalt fand sich so aus der Funktion der Gesetzgebung hinausinterpretiert. 26 Schon mit der Interpretation des Gesetzesbegriffs in den Vormärzverfassungen wurde die Wurzel gelegt für die spätere Identifikation der Freiheitund Eigentum-Formel mit dem Gesetzesbegriff, 27 was schließlich in der Auseinandersetzung um die Auslegung des Art. 62 der preußischen Verfassung vom 31.1.1850 zu der historisch-konventionellen Kurzschließung von Gesetzesbegriff, Rechtssatzbegriff und Rechtsbegriff führte. 28 Die nach der Wiener Bundesakte vom 8.6.1815 zu schaffenden Verfassungen der deutschen Einzelstaaten trugen deutlich Kompromißcharakter. Einerseits erwartete das Bürgertum im Hinblick auf die Teilnahme des ganzen Volkes (allgemeine Wehrpflicht, Landsturm) am Freiheitskampf eine Honorierung dieser politischen Vorleistung durch Teilhabe der Gesellschaft am Staat. 29 Während einige Länder, wie zum Beispiel Preußen und Österreich, die Erfüllung der von Bürgern und Studenten gestellten Forderungen hinauszö22

Böckenförde (Fn. 1), 1981, 78; Grawert (Fn. 1), 1975, 908. Grawert (Fn. 1), 1975, 906. 24 Grawert (Fn. 1), 1975, 906 f. 25 Grawert (Fn. 1), 1975, 907. 26 Grawert, Jura 1982, 247 ff. (254). 27 Vgl. dazu Grawert (Fn. 1), 1975,906,908; F. Müller (Fn. 5), 1977,18,20; Erichsen (Fn. 1), 1982, 89. 28 Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des norddeutschen Bundes, 1871, 10 f. 29 Ebel (Fn. 9), 1958, 80. 23

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

gerten, bis die Revolution von 1848 wenigstens auch in Preußen die Beteiligung des Volkes an der Staatsgewalt erzwang, waren die geschriebenen Verfassungsurkunden des Vormärz Ausdruck der Forderung nach einer „Verfassung". Dem Bürgertum war es jedoch nicht gelungen, seine Forderungen durchzusetzen. Weiterhin herrschte die Auffassung vor, die Verfassung sei nicht Quelle aller Staatsgewalt, sondern habe die aus dem Absolutismus überkommene Herrschaftsgewalt der Krone nur beschränkt, 30 so daß von einer vollen Volkssouveränität noch keine Rede sein konnte. Die Verfassungen wurden bestimmt durch das „monarchische Prinzip". 31 Dem Monarchen verblieb sowohl das Recht der Gesetzesinitiative als auch das der Gesetzessanktionierung; 32 eine Mitwirkungsbefugnis bestand danach nur dann, wenn der Fürst sich zum Erlaß eines Gesetzes entschloß. 33 Jenseits der Freiheit- und Eigentum-Formel verblieb dem Landesherrn ein gesetzes- und damit ständeunabhängiges Verordnungsrecht, das sich insbesondere auf die in die Staatsorganisation integrierten „besonderen Gewaltverhältnisse" erstreckte. 34 Die Erwartungen des Bürgertums auf eine Teilhabe am Staat erfüllten sich alles in allem gesehen nur in beschränktem Maße. 35 Der Vorbehalt des Gesetzes bildete gleichsam die juristische Formel für den politischen Waffenstillstand bei fortdauernder politischer Rivalität zwischen Monarch und Bürgertum. 36 Die Wirkungen des in der Ständemitwirkung zum Ausdruck kommenden Vorbehalts des Gesetzes waren zunächst begrenzt. Der Vorbehalt blieb auf die demokratisch-partzipatorische Komponente beschränkt, 37 die zuvor bereits in der Teilnahme des Bürgertums an der gemeindlichen Selbstverwaltung Ausdruck gefunden hatte. 38 I n seiner demokratischen Komponente besagte der Vorbehalt des Gesetzes zunächst nur, daß der Erlaß neuer Rechtssätze der Legislative vorbehalten bleiben sollte und daß Rechtssätze grundsätzlich der Gesetzesform bedurften. 39 Die Mitwirkung der Stände beschränkte sich mangels Initiativrechts auf den pauschalen A k t der Zustimmung, während der effektive Einfluß auf den Inhalt der jeweiligen Regelung gering blieb. Der mit der Freiheit- und Eigentum-Formel begründete Vorbehalt bezog sich zunächst allein auf die (präventive) Beteiligung am Erlaß von Gesetzen und besagte vorerst noch nichts über die Gebundenheit der Verwaltung. 40 Ob 30 Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes im preußischen Verfassungsrecht, 1916,167 ff.; Jesch (Fn. 1), 1961, 76 ff.; Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1970, 58 m.w.N. 31 Vgl. dazu Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490). 32 Vgl. zum Beispiel Titel V I I § 30 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818. 33 Grawert (Fn. 1), 1975,904. 34 Vgl. dazu im einzelnen unten Kap. I I I . 35 Selmer, JuS 1968,489 ff. (490); Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 1979, Rdn. 240. 36 Vgl. W. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, 1982,1. Teil, Rdn. 16. 37 Vgl. Hansen (Fn. 30), 1970,58; Erichsen (Fn. 1), 1982,88. Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (712), spricht von einer „politischen Beteiligung der Volksvertretung". 38 Stein'sche Städteordnung von 1808. 39 F. Müller (Fn. 5), 1977, 18. 40 Vgl. Hansen (Fn. 30), 1970, 58 ff.; Ders., Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 91; F. Müller (Fn. 5), 1977, 18 f.

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und inwieweit im Einzelfall die Behörden durch Individualakte in Freiheit und Eigentum der Bürger eingreifen durften, war nicht Gegenstand des Vorbehaltsprinzips der Vormärzverfassungen. 41 Zwar galt auch jetzt schon der Grundsatz, daß nichts contra legem geschehen durfte. A u f diese Weise sollte der Bürger vor landesherrlicher Einzelfallwillkür geschützt werden. Das Gesetz sollte Allgemeinheit und Gleichheit gewährleisten und den Landesherrn binden. 42 Gegen die vom Bürgertum mitbeschlossenen Gesetze durfte die Exekutive daher nicht verstoßen. Dieser Grundsatz brachte jedoch im Grunde nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, da ansonsten die gesetzlichen Regelungen ohne Bindungswirkung geblieben wären. Die Wirkung des Vorbehaltsprinzips beschränkte sich jedoch praktisch auf die vorhandenen gesetzlichen Regelungen; wo sie fehlten, konnte die Exekutive weiterhin ungebunden tätig werden. Ein Handeln praeter legem war die Exekutive durch den Vorbehalt des Gesetzes keineswegs untersagt. Entscheidende Bedeutung kam somit dem A k t der Mitwirkung zu. Die Kontrolle und Disziplinierung der Staatsmacht beschränkte sich im wesentlichen auf diese verfahrensmäßige Sicherung, ohne daß Reichweite und Beschränkbarkeit der betreffenden Rechte ausdrücklich formuliert worden wären. Der rechtsstaatliche Aspekt des Vorbehalts des Gesetzes war in den ersten deutschen Verfassungsurkunden noch kaum realisiert. 43 Auch die mögliche Steuerungsfunktion von Gesetzen gegenüber staatlichem Handeln blieb weitgehend im Hintergrund. Hierfür zeichneten sowohl die begrenzten verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Bürgertums (lediglich Mitwirkung, kein Initiativrecht usw.) als auch die Tatsache verantwortlich, daß sich die - zu jener Zeit nicht völlig unbekannte - leistende Tätigkeit der Verwaltung entweder in privatrechtlichen Formen vollzog oder durch die Einschaltung von Anstalten oder anstaltsähnlichen Institutionen ausgeübt wurde, die vom Geltungsbereich des Vorbehalts von vornherein ausgenommen waren. 44 A l l dies führte zu einer weitgehenden Trennung zwischen Gesetzesinhalt und Gesetzgebungsakt. Da sich kaum materielle Richtigkeitsformeln fanden, kam der verfahrensmäßigen Mitwirkung der Stände zentrale Bedeutung im Sinne einer „Richtigkeitsgewähr" zu. 4 5 Die vorrangig demokratische Komponente des Vorbehaltsprinzips der ersten deutschen Verfassungsurkunden deutete offensichtlich auf das - nach heutiger Terminologie - formelle Gesetz. 46 Wenn die ursprüngliche demokra41

Thoma (Fn. 20), 1932,227. Vgl. Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechts Verordnungen, 1980,9 ff. (48); Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 1982, 86. 43 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,769 f., der dies damit erklärt, daß auch die Gewaltenteilung noch nicht realisiert war. 45 Vgl. Grawert (Fn. 1), 1975, 877. 46 Jesch (Fn. 1), 1961, 32 f.; Selmer, JuS 1968, 489; Papier (Fn. 1), 1973, 15. Schon zu damaliger Zeit kann durchaus die Rede sein von einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren, was zum Beispiel deutlich wird in den in der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26.5.1818 im Abschnitt V I I vorgesehenen „förmlichen" Bestimmungen zum Gesetzgebungsverfahren. 42

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tisch-partizipatorische Funktion des Vorbehalts in der Beteiligung der Stände lag, so vermochten andere Rechtsetzungsformen, die ohne ihre Beteiligung ergingen, dem demokratischen Vorbehaltsprinzip nicht zu genügen. Rechtliche Regelungen der in der konstitutionellen Zeit nicht demokratisch legitimierten Exekutive konnten naturgemäß der demokratischen Vorbehaltsidee nicht entsprechen. I m Hinblick auf die Frage der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers darf aus der eindeutigen Verweisung des Vorbehaltsprinzips auf das formelle Gesetz indes nicht vorschnell der Schluß gezogen werden, der ursprüngliche demokratische Vorbehalt des Gesetzes sei absolut delegationsfeindlich gewesen. Vielmehr lag es gerade in der Konsequenz der demokratisch-partizipatorischen Ausrichtung des Vorbehalts, daß gesetzesabgeleitete Regelungen ohne weiteres für zulässig und ausreichend erachtet wurden, da die erforderliche Partizipation der Volksvertretung aufgrund des primären formell-gesetzlichen Akts gewährleistet war. 4 7 Vorbehalt des förmlichen Gesetzes oder Vorbehalt der Legislative bedeutete immer nur, daß hoheitliche Eingriffe in die Freiheits- und Eigentumssphäre des Bürgers entweder durch formelles Gesetz oder aufgrund einer formell-gesetzlichen Ermächtigung durch untergesetzlichen Rechtsakt vorgenommen werden durften. Auch im Vorbehaltsbereich war demnach die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive grundsätzlich nicht ausgeschlossen.48 Der einen primären formellgesetzlichen A k t fordernde demokratische Vorbehalt des Gesetzes war durchaus delegationsfreundlich und schloß vom formellen Gesetz abgeleitete sekundäre Staatsakte keineswegs aus. 49 Das „Wie" des Partizipationsakts, das heißt die Konkretheit und die materielle Bestimmtheit sowie die Steuerungsfähigkeit des Gesetzes blieben infolge der Beschränkung auf die vorrangig demokratische Grundidee des in den Verfassungen realisierten Vorbehaltsprinzips zunächst im Hintergrund. 5 0 Der ursprüngliche demokratisch-partizipatorische Vorbehalt des Gesetzes erweist sich daher bei genauerem Hinsehen sowohl als ein Vorbehalt des formellen als auch als ein Vorbehalt des materiellen Gesetzes. Da er für Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger ein - zustimmungsbedürftiges Gesetz forderte, verwies er auf das formelle Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung der Stände. Da er andererseits eine Regelung durch materielles Gesetz auf der Basis einer formellgesetzlichen Ermächtigung ausreichen ließ, war er zugleich ein Vorbehalt des (nur) materiellen Gesetzes. Auf der Basis der oben entwickelten Begriffsbestimmungen 51 ist er als „Rechtssatzvorbehalt" zu klassifizieren. 47

Papier (Fn. 1), 1973, 17 f. Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. (225 ff.); Jellinek, AöR 32 (1914), 580 ff., 585; Lukas, V V D S t R L 6 (1929), 25 ff., 45; RGSt 55,88 (91); 102,161 (165) zu Art. 153 W R V ; vgl. auch Hansen (Fn. 30), 1970, 319; Papier (Fn. 1), 1973, 17. 49 Jesch (Fn. 1), 1961, 33. 50 Nach Herzog (Fn. 1), 1980, konnte die rein präventive Beteiligung im Extremfall auf eine völlig inhaltsleere Ermächtigung hinauslaufen. 51 Kap. 13.1. 48

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2.2 Der Wandel des Vorbehaltsprinzips nach 1848 Nach 1848 kam es erstmals zu einer Teilung der Gesetzgebungsfunktion zwischen Monarch und Volk. Als Beispiel kann die preußische Verfassung vom 31.1.1850 angeführt werden, durch die den an der Gesetzgebung beteiligten Kammern eine gleichberechtigtere Stellung eingeräumt wurde. 52 Das Recht zur Gesetzesinitiative, das vorher allein beim Monarchen gelegen hatte, wurde jetzt auf beide Kammern ausgedehnt (Art. 64). Zur Beschlußfassung über ein Gesetz war nun die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern erforderlich (Art. 62). Eine volle Volkssouveränität wurde gleichwohl nicht verwirklicht. Dem König verblieb nach Art. 63 ein Notverordnungsrecht. Ferner war der König unmittelbar durch die Verfassung ermächtigt, die zur Ausführung der Gesetze nötigen Verordnungen zu erlassen (Art. 45). Nach wie vor war deutlich, daß zwischen Fürst und Volk, zwischen Staat und Gesellschaft ein realpolitischer Dualismus bestand und sich Monarch und Bürgertum als „echte politische Potenzen" gegenüberstanden. 53 Wo die Grenze zwischen den beiden politischen Machtsphären, der zum Teil demokratisch legitimierten Legislative und der undemokratischen Exekutive verlief, hing entscheidend davon ab, welche Reichweite dem Vorbehalt des Gesetzes zugesprochen wurde. Je weiter diese war, um so größer war der politische Einfluß des Bürgertums, je enger der Vorbehalt gefaßt wurde, um so stärker blieb die Machtposition des Königs. 54 Alle Gegenstände, die nicht unter den Vorbehalt des Gesetzes gestellt waren, verblieben weiterhin in der Entscheidungskompetenz des Monarchen. Nach wie vor entfaltete das monarchische Prinzip eine Kompetenzpräsumtion zugunsten des Monarchen: Alle Befugnisse, die nach der Verfassung nicht ausdrücklich dem Parlament oder anderen Organen zugewiesen waren, standen dem Monarchen allein zu. 55 Da die revidierte preußische Verfassung von 1850 auf die Freiheit- und Eigentum-Formel der Vormärzverfassungen verzichtete und in Art. 62 nur in allgemeiner Form von der „gesetzgebende(n) Gewalt" sprach, fehlte eine materiell-rechtliche Definition des Mitwirkungsbereichs der Kammern. Auch die in die Verfassung aufgenommenen und mit Gesetzesvorbehalten versehenen grundrechtlichen Gewährleistungen gingen trotz ihrer stärkeren Spezifizierung kaum über die herkömmliche Freiheit- und Eigentum-Formel hinaus, verdeutlichten allerdings die zunehmende individualrechtliche Komponente des Vorbehaltsprinzips. Infolgedessen war man weitgehend auf das inzwi52 Art. 62 ff. der preußischen Verfassungsurkunde vom 31.1.1850 (preußische Gesetzessammlung, 17). 53 W. Weber, Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem, 1959, 253 ff. (256); Selmer, JuS 1968, 489 ff. (490). 54 Vgl. Böckenförde (Fn. 1), 1981, 130; Thoma (Fn. 30), 1916, 168: „Was schneidet der Vorbehalt aus vom Umkreis aller Anordnungen?" 55 Kleiser (Fn. 1), 1963, 56; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 133 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, 48, 214 m.w.N.; Jesch (Fn. 1), 1961, 88, 91, der daraufhinweist, daß die berühmte „Lückentheorie" Bismarcks ihre staatstheoretische Basis im monarchischen Prinzip Metternichs gefunden habe.

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sehen entwickelte staatsrechtliche und -politische Verständnis des mitwirkungsbedürftigen Gesetzesbereichs (= Vorbehalt des Gesetzes) angewiesen. Es ist naheliegend, daß so dem Vorbehalt des Gesetzes - und mit ihm dem Gesetzesbegriff - zwangsläufig eine Schlüsselrolle bei der verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisung und damit bei der politischen Machtverteilung zufallen mußte. 56 Der Vorbehalt des Gesetzes (und mit ihm der Gesetzesbegriff) wurde so zu einem regelrechten politischen Kampfinstrument, das über die Kompetenz- und Machtabgrenzung zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen dem aufstrebenden Bürgertum und dem in Prinzip nach wie vor souveränen König entschied. Der Vorbehalt des Gesetzes wurde zum Chiffre für die Grenzziehung zweier Machtsphären. 57 Vor dem Hintergrund des preußischen Budgetkonflikts (1862 bis 1866)58 und des Streits um die Auslegung des Gesetzesbegriffs in Art. 62 der preußischen Verfassung von 1850 entstand, vor allem aufgrund der Abhandlung Labands über das Budgetrecht, 59 die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff. Nach dieser Lehre gibt es neben den materiellen, die Abgrenzung der Befugnisse und Pflichten der einzelnen Subjekte gegeneinander regelnden Gesetze die (nur) formellen Gesetze (wie zum Beispiel das Haushaltsgesetz), die im Grunde eine Grenzüberschreitung der Legislative markieren. 60 Von großer Bedeutung war aber weniger diese Unterscheidung als vielmehr die Gleichsetzung des materiellen Gesetzesbegriffs mit dem Rechtssatz- und Rechtsbegriff schlechthin. A u f diese Weise wurden die innerhalb des Rechtssubjekts Staat erlassenen - und somit nicht der Abgrenzung zwischen verschiedenen Rechtssubjekten dienenden - Verwaltungsvorschriften nicht nur aus dem Gesetzesbegriff, sondern überhaupt aus der Sphäre des Rechts herausgenommen. Staatsinterne Regelungen bildeten so einen angeblich rechtsfreien Raum, was zugleich bedeutete, daß sämtliche Regelungen innerhalb dieser sogenannten besonderen Gewaltverhältnisse aus dem Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes ausgenommen waren. 61 Als Nicht-Recht bedurften sie keiner gesetzlichen Delegation, so daß für die als staatsintern begriffenen Regelungen, insbesondere im Rahmen der besonderen Gewalt Verhältnisse, nicht einmal ein Rechtssatzvorbehalt bestand. Hier kam der Exekutive vielmehr eine originäre, nicht gesetzesabgeleitete Regelungsbefugnis zu. Im Laufe des 19. Jahrhunderts machte das Vorbehaltsprinzip einen Wandel durch. Das ursprünglich rein demokratische, auch als staatsrechtlicher Vorbehalt des Gesetzes bezeichnete62 Vorbehaltsprinzip diente zunächst allein der Unterscheidung zwischen zustimmungsbedürftigen (weil Freiheit und Eigen56

Böckenförde (Fn. 1), 1981,131; Selmer, JuS 1968,489 ff. (491); Grawert, Jura 1982,247 ff.

(253). 57

Jesch (Fn. 1), 1961, 91; Papier (Fn. 1), 1973, 18; Ossenbühl (Fn. 2), 1983, 54. Vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I I I , 1963, 305 ff., 955 ff.; Selmer, JuS 1968, 489 ff. (491). 59 Laband (Fn. 28), 1871, 10 f. 60 Vgl. Jesch (Fn. 1), 1961, 22. 61 Zum besqnderen Gewaltverhältnis vgl. unten Kap. I I I . 62 F. Müller (Fn. 5), 1977, 19. 58

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tum betreffenden) und sonstigen, zustimmungsfreien Gesetzen63 und war daher ausschließlich auf den Erlaß abstrakt-genereller Normen bezogen. Diese durften, wenn sie in den Vorbehaltsbereich fielen, nur durch Gesetz oder zumindest durch Verordnungen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassen werden. In der Praxis wurde der staatsrechtlich-demokratische Vorbehalt des Gesetzes bald auf eine Bindung der Verwaltung, also um eine verwaltungsrechtlich-rechtsstaatliche Komponente erweitert, 64 was nicht zuletzt auf die in den Grundrechtsvorbehalten verstärkt zum Ausdruck kommende individualrechtliche Dimension des Vorbehaltsprinzips zurückzuführen war. Nach diesem erweiterten Vorbehaltsverständnis durften nunmehr auch Einzelakte der Exekutive nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung ergehen, wenn durch sie in Freiheit oder Eigentum der Bürger eingegriffen wurde. 65 Der Grundsatz, daß nichts contra legem geschehen dürfe, wurde allmählich ergänzt durch den Grundsatz, daß auch ein Verwaltungshandeln praeter legem unzulässig war. 6 6 Das Gesetz wurde so zur notwendigen Bedingung für Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Sphäre. Diese Entwicklung wurde seit Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts durch das preußische O V G vorangetrieben und fand in der berühmten Kreuzberg-Entscheidung 6 7 ihren vorläufigen Abschluß. Der Vorbehalt des Gesetzes entwickelte so neben seiner ursprünglichen Aufgabe, die Kompetenzabgrenzung zwischen der (wenigstens zum Teil) demokratisch legitimierten Legislative und der undemokratischen Exekutive vorzunehmen, eine zweite Funktion, die von Otto Mayer schließlich auf den Begriff gebracht wurde: Es ging um den Ausschluß des selbständigen Vorgehens der vollziehenden Gewalt. 68 Jede in Freiheit und Eigentum eingreifende Verwaltungstätigkeit (im allgemeinen Gewaltverhältnis) mußte sich auf einen Gesetzgebungsakt der Legislative zurückführen lassen. Erforderlich, aber auch ausreichend war daher eine gesetzliche Grundlage. Der Vorbehalt des Gesetzes war weiterhin ein reiner Rechtssatzvorbehalt. Stärker in den Vordergrund rückte damit der Gesichtspunkt, daß jeder Einzelakt der Exekutive im allgemeinen Gewaltverhältnis einer gesetzlichen Legitimation bedurfte. Der Legitimationsgedanke machte indes ebensowenig wie die demokratisch-partizipatorische Grundidee des ursprünglichen Vorbehaltsprinzips besondere Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetz-

63

Grawert (Fn. 1), 1981, 904 ff. F. Müller (Fn. 5), 1977, 19; Hansen (Fn. 30), 1970, 58 ff. 65 Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 59. 66 Hansen (Fn. 30), 1970, 59; Ders., Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 91 f.; Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 59. 67 PrOVGE 9, 353 ff. vom 10.6.1882. 68 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 1. Aufl., 1895; 3. Aufl., 1924, 69 f. Vgl. auch das bei Claneritzer/Rosin, Geschichte des Preußischen Unterrichtsgesetzes, 1912, 191, zitierte Beispiel: Man bestritt dem Minister das Recht, so tief in das Volksleben einschneidende Bestimmungen wie die Regulative auf einfachem Verordnungswege zu erlassen; die einen forderten in einer so wichtigen (!) Angelegenheit wenigstens eine Regel durch das Gesamtministerium, andere gingen weiter und verlangten einen durch die gesetzgeberischen Gewalten vollzogenen gesetzgeberischen Akt. 64

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liehen Regelung erforderlich. Entscheidend war insoweit, daß eine irgendwie geartete gesetzliche Grundlage vorhanden war. Die im Hinblick auf die verwaltungsrechtlich-rechtsstaatliche Dimension des Vorbehalts des Gesetzes naheliegende Folgerung, daß eine effektive Bindung und Steuerung der Exekutive eine hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung voraussetzt, wurde noch nicht gezogen; es dominierte nach wie vor die partizipatorischdemokratische Funktion des Vorbehalts. Auch für die Delegationsproblematik blieb die Erweiterung des Vorbehaltsprinzips um ihre verwaltungsrechtliche Komponente vorerst ohne Folgen. In den umfänglichen Bereichen, in denen die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes suspendiert war und die Exekutive aus eigener Machtvollkommenheit Regelungen treffen durfte (vor allem: besondere Gewaltsverhältnisse, militärische Kommandogewalt, Organisationsgewalt 69 ), bestand von vornherein weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit einer Rechtsetzungsdelegation. Für den verbleibenden, ohnehin schmalen Mitwirkungsbereich der Volksvertretung gab es weder verfassungsrechtliche noch politische Bedenken gegenüber einer unbegrenzten Delegationsbefugnis der Legislative. Angesichts des gesellschaftlich-politischen Dualismus von König und Volksvertretung bestand aus verständlichen Gründen politisch keinerlei Interesse des Bürgertums, sich der gerade erkämpften und ohnehin noch stark beschränkten Mitwirkungsbefugnisse bei der Gesetzgebung durch eine extensive Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen wieder zu entäußern. In der Staatspraxis wurde dementsprechend von der Möglichkeit der Rechtsetzungsdelegation bei wichtigen Fragen so gut wie gar kein, bei untergeordneten Regelungen nur sparsam Gebrauch gemacht. 70 Die Gefahr einer Selbstentmachtung der Volksvertretung war realpolitisch nicht gegeben. Da der Vorbehalt des Gesetzes das „rechtliche Dürfen" der Legislative umschrieb und die politischen Zugriffsrechte des Bürgertums festlegte, bestand kein Anlaß, der Gesetzgebung durch Beschränkungen ihrer Delegationsbefugnis verfassungsrechtlich etwas zu untersagen, was sie ohnehin aus elementarem politischen Interesse nicht über Gebühr tun würde. Da das politische Interesse des Bürgertums daraufgerichtet war, den Bereich der legislativen Mitwirkung zu sichern und auszuweiten, mußte die abstrakte Gefahr, die Kammern könnten sich durch eine extensive Rechtsetzungsdelegation an die Exekutive ihrer begrenzten Mitwirkungsrechte freiwillig begeben, geradezu abwegig erscheinen. Ohnehin widersprach bereits die Tatsache, daß von einer vollen Volkssouveränität und einer klaren Funktionentrennung zwischen Legislative und Exekutive noch keine Rede sein konnte, staatstheoretisch der Vorstellung einer echten Rechtsetzungsdelegation von der Volksvertretung auf die vom Monarchen beherrschte Exekutive.

69

Vgl. dazu im einzelnen Rupp, JuS 1975, 609 ff. Poetzsch, Koreferat zum 32. D J T 1921 in Bamberg (1922), 35 ff. (38); Hasskarl, Die Begrenzung exekutiver Rechtsetzungsbefugnis unter besonderer Berücksichtigung der Bundesgesetzgebung, 1969, 11 f. mit Anm. 41. Grawert (Fn. 1), 1975, 916 ff. 70

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Nach fast einhelliger Meinung galten daher für gesetzliche Ermächtigungen weder besondere Bestimmtheitsgebote noch war die legislative Delegationsbefugnis verfassungsrechtlich beschränkt. 71 Nur vereinzelt wurden in der Staatsrechtslehre Stimmen laut, die das politisch ohnehin Naheliegende auch für verfassungsrechtlich geboten erklärten. So vertrat von Rönne die Auffassung, daß es den rechtsetzenden Organen verfassungsrechtlich untersagt sei, sich des Rechts auf die Gesetzgebung zu begeben beziehungsweise dieses auf ein anderes Staatsorgan zu übertragen, sofern die Verfassung dies nicht ausdrücklich vorsah. 72 Von Rönne hielt legislative Delegationen, soweit es sich um Ermächtigungen zu gesetzesvertretenden Verordnungen handelte, für verfassungswidrig. 73 Solche Auffassungen blieben jedoch in der Minderzahl und vermochten sich weder in der Staatsrechtslehre noch in der Staatspraxis durchzusetzen. 74

Für die ganz herrschende Meinung zur Zeit der konstitutionellen Monarchie stand die unbeschränkte Delegationsbefugnis der Gesetzgebungsorgane außer Zweifel. Eventuelle Delegationsgrenzen rechtsetzender Gewalt waren nach alledem entweder kein Thema, oder die Frage wurde ohne weiteres verneint. 75 2.3 Das verstärkte Interesse an der Delegationsproblematik im Kaiserreich Da die Bismarck'sche Reichsverfassung von 1871 - im Gegensatz zur preußischen Verfassungsurkunde von 1850 - auf eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung der Exekutive zur Verordnungsgebung verzichtete und auch im übrigen keine ausdrückliche Bestimmung über den Erlaß von Rechtsverordnungen enthielt, wurde den Problemen der Verordnungsgebung und der Rechtsetzungsdelegation von der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Man versuchte zunächst, die grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtsetzungsdelegation verfassungsrechtlich zu begründen und deren Voraussetzungen näher zu bestimmen. Einigkeit bestand darüber, daß auch unter der Reichsverfassung von 1871 materielle Rechtssätze grundsätzlich in der Form des förmlichen Gesetzes zu erlassen seien. Aus dem Schweigen der Reichsverfassung über die Verordnungsgebung folgerte die Staatsrechtslehre nicht die Unzulässigkeit der Rechtsetzungsdelegation, sondern zog vielmehr den gegenteiligen Schluß, daß die Reichs Verfassung die Delegation weder ausdrücklich verbiete noch für unzulässig erkläre. 76 Das Gesetz könne - so die ganz 71 Vgl. Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952,11 f.; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969 m.w.N. 72 von Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. Aufl., 1877, Bd. 2, 13; vgl. dazu Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, Bd. 1, 1912, 137 mit Fn. 4. 73 Vgl. Klein (Fn. 71), 1952, 12. 74 Klein (Fn. 71), 1952, 11 f. 75 Vgl. Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919,672 mit Anm. 7; Triepel, in: Verhandlungen des 32. D J T 1921 in Bamberg (1922), 11 ff. (insbesondere 18-20). 76 Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, Bd. I, 1912, 137: „Wenn sonach die RV weder den Erlaß von Ausführungsverordnungen noch den Erlaß von Verordnungen mit interimistischer Gesetzeskraft für zulässig erklärt und kein Organ des Reiches dazu ermächtigt, so ist es andererseits ebenso unrichtig, daß die RV den Erlaß von Rechtsverordnungen verboten oder für unzulässig erklärt habe, und daß die Sanktionierung von Rechtsvorschriften auf einem anderen Wege als dem der Gesetzgebung verfassungswidrig sei"; vgl. auch Triepel (Fn. 75), 1922, 16.

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herrschende Auffassung - „seine rechtssatzschaffende Kraft" auf andere Stellen übertragen. 77 War damit anerkannt, daß die Legislative eine Delegation rechtsetzender Kompetenzen vornehmen durfte, so bestand ebenso Einigkeit darüber, daß dies ausdrücklich in einem förmlichen Gesetz erklärt werden mußte. 78 Haenel bemerkte im Anschluß an seine den Vorbehalt umschreibende Feststellung, daß die Form des Gesetzes für alles notwendig sei, was der Regelung durch Rechtsetzung fähig und bedürftig sei: „Nur das Gesetz selbst kann eine Vertretung in dieser seiner Funktion anordnen." 79 Besondere materielle Anforderungen an die Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen wurden dagegen nicht aufgestellt. Es wurde sogar die Auffassung vertreten, Grenzen und Inhalt einer Rechtsetzungsdelegation könnten gar nicht a priori bestimmt werden. 80 Die Staatsrechtslehre bemühte sich vielmehr darum, eine materiell-schrankenlose Delegationsbefugnis verfassungsrechtlich zu begründen und zu untermauern. Zu diesem Zweck wurde das Prinzip der unbeschränkten Regelungskompetenz des Gesetzgebers 81 nutzbar gemacht. Aus der potentiellen Allzuständigkeit des Parlaments (Zugriffsrecht des Gesetzgebers) und dessen Kompetenz-Kompetenz 82 wurde die ebenso umfassende Delegationsbefugnis abgeleitet. Sie war ebenso unbeschränkt wie die Regelungsbefugnis des Parlaments im übrigen. 83 Laband drückte diese Auffassung mit den Worten aus: „Der Gesetzgebung ist keine Schranke auferlegt, daß sie nicht auch Anordnungen über die Aufstellung von Rechtsvorschriften treffen dürfte. Ein Gesetz kann demnach, anstatt unmittelbar Rechtsregeln aufzustellen, Anordnungen darüber enthalten, wie gewisse Rechtsregeln erlassen werden sollen." 8 4 Durch diese Argumentation wurde in geschickter Weise die Problematik der Delegationsbefugnis nicht als formelles kompetenzrechtliches Problem der Übertragung rechtsetzender Gewalt behandelt, sondern in die materiellrechtliche Frage umformuliert, ob Gegenstand gesetzlicher Regelungen auch solche über den Erlaß untergesetzlicher Rechtsvorschriften sein dürften. Mit 77 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl., 1924, 67; vgl. auch Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, 119 m.w.N. 78 Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reiches auf der Grundlage des preußischen und unter Berücksichtigung des fremdländischen Verordnungsrechts, 1884,23; Hasskarl (Fn. 70), 1969, 9. 79 Haenel, Das Gesetz im formellen und im materiellen Sinne, 1888, 281. 80 So Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, 382 f.; Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht in Preußen, 2. Aufl., 1895, 67; Hasskarl (Fn. 70), 1969, 10. 81 Laband (Fn. 76), 1912,129; O. Mayer (Fn. 68), 1895,68 ff.; Thoma (Fn. 30), 1916,210 mit Fn. 92; Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, 281. 82 Auch soweit die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes - etwa durch die Annahme eines besonderen Gewaltverhältnisses - eingeschränkt war, wurde der Legislative der gesetzgeberische Zugriff nicht verwehrt. Das Fehlen einer Gesetzgebungspflicht wurde nicht als Fehlen eines Gesetzgebungsrechts angesehen. 83 Vgl. Triepel (Fn. 75), 1922, 11 ff. (18 f.), unter Hinweis auf die herrschende Meinung unter der preußischen wie unter der Bismarckschen Reichsverfassung; vgl. auch Thoma (Fn. 20), 1932,

221.

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Laband (Fn. 76), 1912, 137 f.

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der Bejahung dieser Frage stand im Ergebnis „die schrankenlose Delegationsbefugnis des schrankenlosen Gesetzgebers" außer Zweifel. 85 Somit durfte der Substanz nach alles, was auch Gegenstand eines Gesetzes sein konnte, durch Verordnung festgesetzt werden. 86 Jeder mögliche Regelungsgegenstand konnte dem Verordnungswege überwiesen werden. 87 Der materielle Inhalt und gegenständliche Umfang einer delegierten Verordnungsbefugnis bestimmte sich allein nach dem ermächtigenden Gesetz, in welchem der Gesetzgeber - ohne durch die Verfassung vorgegebene materielle Bindungen praktisch autonom die möglichen Grenzen der delegierten Befugnisse selbst festlegen konnte. 88 Die Entscheidung, ob die Voraussetzungen einer Grundrechtseinschränkung im formellen Gesetz selbst festgelegt werden oder dies dem Verordnungsgeber übertragen werden sollte, stand somit im ungebundenen, das heißt von konstitutionellen Bindungen freien legislativen Ermessen des Gesetzgebers. Darüber hinaus war der Gesetzgeber zu einer Begrenzung der an die Exekutive delegierten Befugnisse von Verfassungs wegen nicht verpflichtet. Ob, an wen, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen der Gesetzgeber die Befugnis, rechtsverbindliche Vorschriften irgendwelcher Art zu erlassen, auf die Exekutive übertragen wollte, blieb dem Gesetzgeber überlassen und nicht durch materielle Anforderungen der Verfassung festgelegt. 89 Es wurde sogar die Meinung vertreten, ein Gesetz brauche möglicherweise nichts anderes zu enthalten „als die Anordnung, daß eine gewisse Materie durch Verordnung normiert werden soll". 9 0 Ein Gesetz könne sich unter Umständen auf den einzigen Satz beschränken, daß eine ganze Rechtsmaterie im Wege der Verordnung ihre Regelung finden sollte. 91 Nach wie vor wurde die Funktion des Vorbehalts des Gesetzes vor allem in der (präventiven) Beteiligung des parlamentarischen Gesetzgebers gesehen. Dementsprechend interessierte sich die Staatsrechtslehre nicht weiter für die Frage, ob die rein formale und im Extremfall völlig inhaltlose Ermächtigung, die sie forderte, den Anforderungen an ein Mindestmaß gesetzlicher Bestimmtheit gerecht werden könnte. 92 Lediglich in formeller Hinsicht mußte die für eine Rechtsverordnung erforderliche gesetzliche Ermächtigung bestimmten Anforderungen genügen. 93 Sie 85 Vgl. Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf um Weimar - Genf - Versailles 1923-1929, 1940, 214 ff. (222). 86 Arndt (Fn. 78), 1884, 22 f.; ebenso Jellinek (Fn. 80), 1887, 383. 87 So Triepel (Fn. 75), 1922, 19, unter Hinweis auf Schulze (ohne Quellenangabe); Jellinek (Fn. 80), 1887, 383. 88 Vgl. auch Neumeyer, Die verfassungsmäßig notwendige Begrenzung der gesetzlichen Ermächtigung zum Erlaß von Rechts Verordnungen, 1967, 36 ff., 208. 89 Vgl. Arndt (Fn. 78), 1884, 23; Hasskarl (Fn. 70), 1969, 9. Dem Vorbehalt des Gesetzes wurde rein formal durch die im Gesetz erteilte Ermächtigung genügt; vgl. W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, 87. 90 Vgl. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. Bd., 4. Aufl., 1901, 99. 91 Triepel (Fn. 75), 1922, 11 ff. (19). 92 Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 81. 93 Vgl. Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, 203.

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

hatte nach überwiegender Auffassung den Ermächtigungsadressaten (Subjekt) wie auch den Ermächtigungsgegenstand (Objekt) zu bestimmen, dies freilich nicht aus Gründen der gesetzlichen Bestimmtheit im Interesse der Rechtssicherheit für den Bürger, sondern aus justiztechnischen Gründen, nämlich - wie Laband es ausdrückte - „zur Erleichterung der gerichtlichen Kontrolle der Rechtsgültigkeit der Verordnung". 94 Ausnahmsweise wurden zwei zusätzliche formelle Anforderungen aufgestellt. Zum einen bedurfte es für Rechts V e r o r d n u n g e n , die ihrem Inhalt nach verfassungsänderndes Recht schaffen sollten, einer Grundlage in einem verfassungsändernden Gesetz. Außerdem bestand, soweit ein in der Reichsverfassung ausgesprochener Gesetzesvorbehalt (Spezialvorbehalt) als zwingend angesehen wurde, ein Vorbehalt des formellen Gesetzes. Dieser wurde dahingehend verstanden, daß dem verfassungsrechtlichen Spezialvorbehalt nur durch eine ausschließliche Regelung im formellen Gesetz Genüge getan werden konnte, so daß eine Delegation rechtsetzender Befugnisse insoweit ausnahmsweise nicht in Betracht kam. 9 5 Entgegen der herrschenden Meinung, die jegliche materielle Begrenzung der Delegationsbefugnis ablehnte, vertrat eine Mindermeinung die Auffassung, der zulässige Inhalt gesetzlicher Ermächtigungen beschränke sich auf die Ausführung des ermächtigenden Gesetzes.96 Von Rönne, der diese Ansicht bereits früher unter der Geltung der preußischen Verfassung vertreten hatte, folgerte aus Art. 5 Abs. 1 der Reichsverfassung, es sei verfassungswidrig „in ein Reichsgesetz eine Bestimmung aufzunehmen, daß der Bundesrat ermächtigt sein solle, im Wege der Verordnung ohne weitere Zuziehung des Reichstages Vorschriften über Gegenstände zu erlassen, welche an sich und ihrer Natur nach zu denjenigen gehören, welche dem Gebiet der Gesetzgebung angehören". 97

Von Rönnes Ansatz einer beschränkten Zulässigkeit von Rechtsverordnungen deutete in Richtung auf eine materielle Begrenzung der Delegationsbefugnis. Daß sich seine Auffassung, wie schon unter der preußischen Verfassung, nicht durchzusetzen vermochte, lag wohl neben der argumentativen Schwäche seines Ansatzes („... an sich und ihrer Natur nach ...") vor allem daran, daß weder Staatspraxis noch Staatsrechtslehre ein praktisches Bedürfnis für eine Begrenzung der Delegationsbefugnis sahen. 98 Denn trotz der von der ganz herrschenden Meinung als schrankenlos angesehenen Delegationsbefugnis des Gesetzgebers hielt sich die Verfassungspraxis unter der Geltung der Reichsverfassung von 1871 - wohl auch aus den oben genannten Gründen 9 9 - mit Verordnungsermächtigungen stark zurück. 1 0 0 Der nach wie vor 94 95

Laband (Fn. 90), 1901, 98; Ders. (Fn. 76), 1912, 141. Klassisches Beispiel: Die Feststellung des Haushaltsplans; vgl. auch Klein (Fn. 71), 1952,

12 f. 96 von Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, 1873,174; Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 1880, 129; von Rönne (Fn. 72), 1877, 56. 97 von Rönne (Fn. 72), 1877, 13. 98 Vgl. Poetzsch (Fn. 70), 1922, 38: „Eine weitere Vertiefung des Problems hatte aber früher geringeren praktischen Wert. Die Gesetzgebung hielt sich mit ihren Ermächtigungen sehr weise zurück"; ähnlich Hasskarl (Fn. 70), 1969, 11 f. 99 Vgl. oben 2.2. 100 Poetzsch (Fn. 70), 1922, 35 ff. (38); Hasskarl (Fn. 70), 1969, 11 mit Fn. 41, der darauf hinweist, daß die entgegenstehenden Auffassungen sich auf weder quantitativ noch qualitativ ausreichende Beispiele stützen, da die Ermächtigungen im wesentlichen Verordnungen organisatorischen Inhalts betreffen; vgl. auch Schack, Die Verlagerung der Gesetzgebung im gewaltenteilenden Staat, 1950, 332 ff. (334).

3. Kontinuität und Wandel während der Weimarer Republik

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bestehende realpolitische Dualismus von Staat und Gesellschaft ließ derartige Tendenzen in größerem Umfang oder für wichtige Regelungsgegenstände erst gar nicht aufkommen. Auch das sogenannte Ermächtigungsgesetz von 1914, 101 das gelegentlich zum Beweis des Gegenteils herangezogen wird, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Die in diesem Gesetz enthaltene, in der Tat sehr weitgehende Ermächtigung stellt eine Ausnahmeerscheinung dar, die sich allein aus der Kriegslage erklärt und keineswegs als repräsentativ für eine mehr als vierzigjährige Ermächtigungspraxis angesehen werden kann. 1 0 2

3. Kontinuität und Wandel während der Weimarer Republik „Neues ist ja seit 1914 und 1917 nicht nachzutragen. Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht." M i t diesen Worten leitete Otto Mayer die 3. Auflage seines Lehrbuches zum deutschen Verwaltungsrecht von 1924 ein. 1 0 3 Dieser vielzitierte Satz, der lapidar und ernüchternd und - wie sich zeigen sollte - treffend den Übergang vom Bismarck'schen Kaiserreich zur Weimarer Republik kommentierte, charakterisiert ebenso prägnant die Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes und der parlamentarischen Delegationsbefugnis. Trotz der grundlegenden politisch-gesellschaftlichen Umwälzungen gegenüber der konstitutionell-monarchischen Epoche, die in einer in wesentlichen Punkten gewandelten Verfassungsstruktur zum Ausdruck kam, 1 0 4 wurde die herkömmliche Gesetzes- und Vorbehaltsdogmatik kaum in Frage gestellt. Dabei hätte es durchaus nahegelegen, Sinn und Funktion des traditionellen Vorbehaltsprinzips im Hinblick auf das neue Staats- und Gesellschaftsverständnis grundlegend zu überdenken. 105 I m Grunde war die verfassungsgeschichtliche Funktion des Vorbehalts des Gesetzes entfallen. 106 A n die Stelle des realpolitischen Dualismus von monarchischer Exekutive und wenigstens teilweise demokratisch legitimierter Legislative war mit der Demokratisierung der Staatsverfassung ein „gewaltenvereinigender parlamentarischer Monismus getreten". 107 „Die Staatsgewalt geht 101 Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen, des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse vom 4.8.1914 (RGBl. 327); vgl. dazu Klein (Fn. 71), 1952, 13 mit Fn. 27. 102 Hasskarl (Fn. 70), 1969, 11 f.; ähnlich Schack (Fn. 100), 1950, 332 ff. (334). 103 O. Mayer (Fn. 68), 1924, Vorwort zur 3. Aufl. Vgl. dazu auch Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, 146 ff. 104 Vgl. Jesch (Fn. 1), 1961,74 ff., der ausführlich auf die unterschiedlichen Verfassungsstrukturen der konstitutionellen Monarchie und der Bundesrepublik Deutschland eingeht; vieles davon besitzt auch für den Übergang zur Weimarer Republik Gültigkeit; vgl. auch Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (546 f.). 105 Vgl. Selmer, JuS 1968, 489 ff. (492); Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 59. 106 Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 59; vgl. auch Hansen, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 92: „Der alte Begriff des Gesetzesvorbehalts war ja überflüssig geworden, nachdem das Parlament mit der Weimarer Verfassung die umfassende Regelungsbefugnis erhalten hatte." Vgl. auch Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984, 111 ff. (113). 107 Thoma, HDStR I I , 1932, 108 ff. (117).

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

vom Volke aus." M i t diesen Worten erkannte Art. 1 der Weimarer Reichsverfassung die volle Volkssouveränität an und begriff die Rechte des Volkes nicht mehr als vom Monarchen abgeleitet. M i t der Demokratisierung waren staatstheoretisch die früheren antagonistischen Machtkonstellationen entfallen. A n die Stelle der alten Machtfaktoren Monarch, Adel, Stände trat nun als einzige und vereinigende Größe das V o l k . 1 0 8 Dadurch ging das letztlich für die Entstehung des Vorbehaltsprinzips ursächliche Gegenüber und Gegeneinander zweier realpolitisch entgegengesetzter „Gewalten" verloren. Wenn die Verfassung gleichwohl weiterhin Organe der Legislative und der Exekutive unterschied, so standen hinter diesen nunmehr keine Gewalten im Sinne antagonistischer gesellschaftlich-politischer Bevölkerungsgruppen; die Verfassung beschrieb damit vielmehr verschiedene Staatsfunktionen, die für den einen Souverän - das Volk - von mehreren Staatsorganen wahrgenommen wurden. 1 0 9 Aus der „séparation des pouvoirs" war - wie es Böckenförde ausdrückte - eine „séparation des fonctions" geworden. 110 A n die Stelle der Gewaltenteilung trat eine Funktionentrennung und Funktionendifferenzierung. Durch die Volkswahl des unter der Weimarer Reichsverfassung noch sehr starken Reichspräsidenten (Art. 41 WRV), der seinerseits den Reichskanzler und die Reichsminister ernannte (Art. 53 WRV), war nunmehr auch die Exekutive zumindest mittelbar demokratisch legitimiert. Die Kompetenzen der Exekutive waren im Gegensatz zur konstitutionellen Epoche nicht mehr der Verfassung vorausgesetzt und von dieser nur sanktioniert; vielmehr legitimierten sich die Kompetenzen der Exekutive nunmehr allein und unmittelbar aus der Verfassung. 111 Der Reichskanzler war gegenüber dem Reichstag politisch verantwortlich (Art. 56 WRV). Ihm konnte im Wege des Mißtrauensvotums (Art. 54 WRV) ebenso wie den einzelnen Ministern durch den Reichstag das Vertrauen entzogen werden. Der ursprünglich demokratischen Stoßrichtung des Vorbehalts des Gesetzes war durch die Demokratisierung der Exekutive im Grunde der Boden entzogen. Die im Konstitutionalismus offensichtliche Gefahrdung von Freiheit und Eigentum der Bürger durch eine undemokratische, dem politischen Antipoden (dem Monarchen) unterstellte Exekutive 1 1 2 konnte nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden, wenn nun auch hinter der Exekutive als politische Größe das Volk stand und die Exekutive ebenfalls demokratisch legitimiert war. Während die Rechtsetzungsbefugnisse des früher absoluten Herrschers durch die Verfassungen konstitutionell eingeschränkt wurden, waren die Rechtsetzungskompetenzen des modernen Parlaments gegenüber der Exekutive konstitutionell unbeschränkt. 113 Der Freiheit- und Eigentum-Formel und 108

Vgl. dazu Ossenbühl, D Ö V 1980, 845 ff. (847). Vgl. dazu Achterberg (Fn. 3), 1970, 109 ff. 110 Böckenförde (Fn. 3), 1964, 79. 111 Jesch (Fn. 1), 1961,98. 112 Man war stets unausgesprochen davon ausgegangen, daß eine Gefahr für Freiheit und Eigentum nur von Seiten der Exekutive, nicht aber vom vordemokratischen Gesetzgeber her drohte (vgl. Grimm, JuS 1980, 704 ff., 705). 109

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mit ihr dem Vorbehalt des Gesetzes konnte demnach nicht mehr die ursprüngliche Funktion zukommen, den Bereich der demokratischen Mitwirkung an der Gesetzgebung festzulegen. Da dem Reichstag von der Verfassung die umfassende Gesetzgebungskompetenz zugesprochen wurde (Art. 68 WRV), war die kompetenzzuweisende Funktion des Vorbehalts des Gesetzes (im Sinne des politischen Dürfens) entweder entfallen oder hätte zumindest einer grundsätzlichen Neubestimmung bedurft. Trotz all dieser Veränderungen in der Gesellschafts- und Verfassungsstruktur wurde der Vorbehalt des Gesetzes weder fallengelassen noch radikal auf seine veränderten Funktionen hinterfragt, sondern im wesentlichen unverändert in die neue Verfassungsordnung hinübergeschleppt. 114 Die mögliche neue kompetenzrechtliche Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes, eine eindeutige Kompetenzzuweisung an die Legislative zu treffen und auf diese Weise für eine stabile Machtbalance zwischen den verschiedenen Staatsfunktionen zu sorgen, wurde nicht erkannt. Dabei war es naheliegend, daß man sich nunmehr auf die bisherigen Selbststeuerungsmechanismen der alten realpolitischen Interessengegensätze zwischen Legislative und Exekutive nicht mehr verlassen konnte, die bisher als natürlich-politisches Korrektiv freiwillige Machtpreisgaben zwischen den Gewalten verhindert und für eine relativ stabile Balance gesorgt hatten. So hatte etwa die nach Verfassungsrecht für zulässig erachtete unbeschränkte Delegationsbefugnis in der Verfassungspraxis zu keiner extensiven Delegationspraxis geführt, weil dies den elementaren politischen Interessen des endlich an der Gesetzgebung beteiligten Bürgertums widersprochen hätte. Daß die Demokratisierung der Staatsverfassung und der Wandel der Gewaltenteilung zur Funktionentrennung auch auf den Vorbehalt des Gesetzes und die parlamentarische Delegationsbefugnis ausstrahlen könnte, wurde jedoch weder von den Vätern der Weimarer Verfassung noch von der Weimarer Staatsrechtslehre in vollem Umfang erkannt. 1 1 5 M i t der Unterscheidung zwischen zwingenden und übertragbaren Sondervorbehalten formulierte Thoma zwar deutlich das Problem der Rechtsetzungsdelegation, nahm aber nur kasuistisch zur Auslegung der einzelnen Sondervorbehalte Stellung, ohne die Frage nach der Übertragbarkeit rechtsetzender Kompetenzen umfassend auch für den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes zu beantworten. 116 Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) enthielt selbst keine allgemeine Bestimmung über Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen. 117 A n der Zulässigkeit der Verordnungsdelegation bestand jedoch nach wie vor 113

Jesch (Fn. 1), 1961,93. Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 59. 1,5 Vgl. Kleiser (Fn. 1), 1963,47. 116 Kleiser (Fn. 1), 1963,47. 117 In Art. 77 W R V ist lediglich bestimmt, daß die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften grundsätzlich von der Reichsregierung erlassen werden. Nach einhelliger Auffassung ging der Verfassungsgeber dabei von dem überlieferten Gegensatzpaar Rechtsverordnung - Verwaltungsvorschrift aus und wollte mit Art. 77 W R V nur die Verwaltungsvorschriften erfassen; vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919, 14. Aufl., 1933, Art. 77, Anm. 2; vgl. auch Hasskarl (Fn. 70), 1969, 14 f. 114

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

kein Zweifel. Auch die grundsätzliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung im Falle der Delegation rechtsetzender Gewalt wurde nicht in Frage gestellt. Schon unter der Geltung der W R V war damit anerkannt, daß es grundsätzlich keine originäre Rechtsetzungs- und das heißt: Eingriffskompetenz der Exekutive in die bürgerliche Sphäre gab. 1 1 8 Der Grundsatz, daß die Verordnungsermächtigung geschriebenen Rechts sein mußte, wurde aber weitgehend dadurch aufgehoben, daß auch vorkonstitutionelle und gewohnheitsrechtliche Delegationen für ausreichend angesehen wurden. 1 1 9 Nach Thoma und Jacobi konnte eine Verordnungsdelegation außer durch einfaches förmliches Gesetz auch durch die Verfassung selbst erfolgen. 120 Da auch Einigkeit darüber bestand, daß weiterhin von dem Grundsatz auszugehen sei, daß materielle Rechtssätze in der Form des förmlichen Gesetzes zu erlassen seien, wurde - auch im Hinblick auf das Bekenntnis der W R V zur Volkssouveränität (Art. 1 WRV) und der Überantwortung des umfassenden Gesetzgebungsrechts an das Parlament (Art. 68 WRV) - aus der Verfassung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung abgeleit e t 1 2 1 und ihr ein grundsätzliches Bekenntnis zur Herrschaft des Gesetzes entnommen. Daß es gleichwohl in der Staatspraxis der Weimarer Zeit keineswegs zu einer Herrschaft des Gesetzes kam, ist auf vielfältige Ursachen zurückzuführen, die sich zum Teil aus der politischen Entwicklung ergaben, zum Teil aber auch bereits in den Bestimmungen der Verfassung angelegt waren, die mit Hilfe einer der Demokratisierung in weiten Teilen skeptisch gegenüberstehenden Staatsrechtslehre im Sinne der Stärkung exekutiver Machtpositionen ausgelegt und angewendet wurden. I m Gegensatz zu den früheren Verfassungen enthielt die Weimarer Reichsverfassung Bestimmungen, die als pauschale verfassungsunmittelbare Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen aufgefaßt wurden. 1 2 2 Während die wenigen ausdrücklichen verfassungsunmittelbaren Verordnungsermächtigungen der W R V 1 2 3 ohne große praktische Bedeutung blieben, erwies sich eine andere Verfassungsbestimmung, die gar nicht ausdrücklich vom Erlaß von Rechtsverordnungen sprach, als höchst praktikables Instrument für eine extensive Verordnungsgebung. Der berühmte Notverordnungsartikel 48 Abs. 2 W R V ermächtigte den Reichspräsidenten für den Fall, daß im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit 118

Vgl. statt vieler: Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. (227). Zum Verhältnis des Vorbehaltsprinzips zum Gewohnheitsrecht vgl. auch unten Kap. V I 4.3.2 und 4.3.3 und Kap. V I I 2.4.11. 120 Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. (227); Jacobi, HDStR II, 1932, 236 ff. (241). 121 Vgl. Poetzsch (Fn. 70), 1922, 35 ff. (37). 122 Die Preußische Verfassung von 1850 beschränkte in Art. 45 das verfassungsunmittelbare Verordnungsrecht auf die Gesetzesausführung; die RV von 1871 enthielt gar keine verfassungsunmittelbare Verordnungsermächtigung. 123 Art. 88,91 W R V ; vgl. auch die Übergangs- und Weitergeltungsbestimmungen der Art. 178 und 179 WRV. 119

3. Kontinuität und Wandel während der Weimarer Republik

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und Ordnung nötigen Maßnahmen zu treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einzuschreiten. Nach den Vorstellungen des Verfassungsgebers sollte Art. 48 W R V offenbar auf Polizeiwidrigkeiten größeren Ausmaßes beschränkt bleiben. 124 Blieb die Handhabung dieser Bestimmung zu Beginn der Weimarer Republik im wesentlichen auf derartige Fälle beschränkt, so ging die Reichsregierung bald dazu über, mit Hilfe des Art. 48 W R V den aufkommenden wirtschaftlichen und finanzpolitischen Schwierigkeiten entgegenzutreten. 125 Geschah dies zunächst nur vereinzelt, so wurde Art. 48 W R V immer häufiger herangezogen als 1930 die Weltwirtschaftskrise auf Deutschland übergriff. Die Flucht in die Verordnungsgebung stand in engem Zusammenhang mit der parlamentarischen Situation im Reichstag. Die zunehmende Anwendung des Art. 48 W R V war unter anderem darauf zurückzuführen, daß die starke parteipolitische Zersplitterung im Reichstag das Zustandekommen aktionsfähiger Mehrheiten verhinderte. 126 Da die Tätigkeit des Parlaments in jenen Jahren aufgrund der parteipolitischen Schwierigkeiten nahezu gelähmt war, 1 2 7 wurde Art. 48 W R V zum wichtigsten Instrument der Staatsführung und die Notverordnung zur herrschenden Form der „Gesetzgebung", was, „weil als notwendig anerkannt, niemanden recht störte". 1 2 8 Gleichwohl dürfte die extensive Auslegung des Art. 48 Abs. 2 W R V (Maßnahmen treffen = Rechtsverordnungen erlassen) kaum den Vorstellungen des Verfassungsgebers entsprochen haben. Jedenfalls ging mit Hilfe des Art. 48 W R V bereits um das Jahr 1930 die gesetzgebende Gewalt zu einem beträchtlichen Teil auf die Regierung über. 1 2 9 Für den Vorbehalt des Gesetzes und die Delegationsproblematik ergaben sich aus dieser Situation wichtige Konsequenzen. Die Interpretation des Art. 48 W R V als Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen führte zur Anerkennung eines praktisch unbegrenzten verfassungsunmittelbaren Verordnungsrechts der Exekutive. In dem Maße, wie der Anwendungsbereich 124 Vgl. Schack (Fn. 100), 1950,332 ff. (339).-Die Fassung des Art. 48 WRVläßt sich nur aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges erklären, als die starke Begrenzung des polizeilichen Eingriffsrechts als zu eng und die unterschiedliche Rechtslage in den Ländern als hinderlich empfunden worden war (vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I I I , 4. Aufl., 1978, § 121 Rdn. 9 ff.). Durch die Generalklausel des Art. 48 hatte die Weimarer Verfassung den bis dahin verhältnismäßig restriktiven Polizeibegriff erheblich ausgeweitet und kompetenziell auf den Reichspräsidenten ausgedehnt (und damit zentralisiert). Darüber hinaus wurden durch Art. 48 Abs. 2 W R V mehrere wichtige Grundrechte, die die Verfassung durch Gesetzesvorbehalte „polizeifest" gemacht und damit Eingriffen aufgrund der polizeirechtlichen Generalermächtigung entzogen hatte (vgl. Wolff/Bachof, a.a.O., Rdn. 12), wieder dem Zugriff der Exekutive ausgesetzt, da der Reichspräsident sie zum Zwecke der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorübergehend ganz oder zum Teil außer Kraft setzen durfte. Daß Art. 48 W R V ganz in der Tradition des Polizeirechts stand, wird auch aus § 10 I I 17 des Allgemeinen preußischen Landrechts von 1794 deutlich. 125 Vgl. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 1946,261; Schack (Fn. 100), 1950,332 ff. (339). 126 Apelt (Fn. 125), 1946, 262; Schack (Fn. 100), 1950, 332 ff. (339). 127 Vgl. Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 1974, Kap. 48 V 2; Jacobi, Die Rechtsverordnungen, HDStR I I , 1932, 236 ff. (239). 128 Ebel (Fn. 9), 1958, 100. 129 Ottmar Buehler, Lehrbuch des Steuerrechts, I. Bd., 1927,34, sprach schon für die Jahre der Geldentwertung von einer „wahren Verordnungsflut".

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

des Art. 48 W R V ausgedehnt wurde, entfiel zugleich die Notwendigkeit einfach-gesetzlicher Verordnungsermächtigungen. Die von der Verfassung postulierte Herrschaft des Gesetzes wurde so zu einer Herrschaft der Verordnung. Auch für die an einfach-gesetzliche Verordnungsermächtigungen gestellten Bestimmtheitsanforderungen konnte die Handhabung des Art. 48 W R V nicht ohne Folge bleiben. Angesichts der fast grenzenlosen verfassungsunmittelbaren Ermächtigung des Art. 48 W R V erschien es nur als konsequent, auch dem einfachen Gesetzgeber eine ähnlich weite Befugnis zur Delegation rechtsetzender Gewalt zuzugestehen. Wie schon in der Zeit des Konstitutionalismus wurde die materiell schrankenlose Delegationsbefugnis als in der prinzipiellen Allzuständigkeit des Parlaments enthalten angesehen. Auch im Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes war die Delegationsbefugnis des Parlaments in keiner Weise begrenzt. 130 Die herrschende Staatsrechtslehre trug maßgeblich zur Ausweitung der Verordnungsgebung bei. So wurde unter anderem die Wirksamkeit des Art. 48 W R V noch zusätzlich dadurch erhöht, daß den sogenannten Notverordnungen Gesetzeskraft zugesprochen wurde. 1 3 1 Daneben wurde als weitere Unterart der gesetzesvertretenden Verordnungen 132 die Rechtsfigur der Verordnungen des vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens entwickelt, durch die - erstens - die umfassende Regelung bestimmter Gebiete und Gegenstände durch die Exekutive für verfassungsrechtlich zulässig erklärt wurde und dies zweitens - mit Gesetzeskraft erfolgte. 133 Auch für diese weitreichenden Verordnungen wurden an die gesetzliche Ermächtigung keine verstärkten Bestimmtheitsanforderungen gestellt. Darüber hinaus wurden sogar Ermächtigungen an die Exekutive, durch Verordnungen Bestimmungen der Verfassung außer Kraft zu setzen oder von ihnen abzuweichen (verfassungsändernde Verordnungen), unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig gehalten. 134 Die unter dem Eindruck der ausufernden Verordnungspraxis zunehmenden Versuche, eine materielle Begrenzung der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers verfassungsrechtlich zu begründen, blieben vereinzelt und alles in allem ohne nennenswerte Wirkung. Thoma äußerte die Auffassung, der Gebrauch der Delegationsfreiheit müsse sich „in gewissen äußersten (schwer formulierbaren) Grenzen halten, jenseits deren ein verfassungswidriger Mißbrauch vorläge". 135 Mit dieser Einschränkung war jedpch nicht viel gewonnen, zumal Thoma zugleich die Ansicht vertrat, den in den grundrechtlichen Normen enthaltenen Begriffen „Reichsgesetz", „Gesetz", „gesetzlich" werde im Zweifel durch eine auf zureichender Delegation beru-

130 Vgl. Thoma, HDStR I I , 1932,221; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1933, 544 f.; Kleiser (Fn. 1), 1963, weist darauf hin, daß auch den in der Verfassung verankerten Grundrechten nicht nur durch formelle Gesetze, sondern auch durch Rechtsverordnungen in rechtswirksamer Weise Schranken gesetzt werden konnten. 131 Schöenborn, Die Notverordnungen, HDStR I I , 1932, 300 ff. 132 Vgl. zur kategorialen Einordnung B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff. (202 ff.). 133 Diese beiden Aspekte werden in der Weimarer Staatsrechtslehre nicht immer hinreichend deutlich getrennt, vgl. B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194ff.;Schack(Fn. 100), 1950,335 mit Fn. lb, 334. 134 Jacobi (Fn. 127), 1932, 240 f. 135 Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. (227).

4. Schrankenlose Delegationsbefugnis im Nationalsozialismus

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hende Reichsverordnung genügt. 136 Die Erkenntnis von Triepel, aus der Verfassung sei der Satz abzuleiten, daß es dem Gesetzgeber nicht gestattet sei, Ermächtigungen schrankenlos, nach Gutdünken zu erteilen, 137 führte ebenso wenig zu einer konkreten materiellen Einschränkung der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers wie der warnende Hinweis, daß sonst „die wichtigsten Dinge" hinter verschlossenen Türen behandelt werden und das Volk mit „den einschneidendsten Neuerungen" völlig überrascht werden könnte. 138 Gut gemeinte Appelle an die an der Reichsgesetzgebung beteiligten Stellen, in Zukunft die Verleihung von Verordnungsrechten auf das mit der Verfassung verträgliche und auf das unumgänglich notwendige Maß zu beschränken 139 brachten keine dogmatischen Fortschritte und waren eher als Ausdruck der Ratlosigkeit anzusehen. Weitgehend einigen konnte man sich auf den Satz, es sei sehr schwierig, den Umfang der Zulässigkeit von Rechtsverordnungen zureichend zu formulieren. 140 Konkretere Vorstellungen hinsichtlich der Begrenzung des Verordnungsrechts entwickelte Poetzsch, der die Auffassung vertrat, die einfache Gesetzgebung könne nicht unbeschränkt den Verordnungsweg zulassen. Aus der Verbürgung des Rechtsstaats in Art. 68 der Verfassung ergebe sich, daß die Verordnungsgebung nur auf vereinzelte Ausnahmen beschränkt werden dürfe. 141 Die Gefahren erkennend und vorausahnend wies Poetzsch darauf hin, das Parlament dürfe sich nicht selbst aufheben und mit diesem „Selbstmorde" die verfassungsmäßig verbürgte Grundlage des Rechtsstaats beseitigen. Die Grenzlinie zwischen Gesetz und Verordnung lediglich als politische Frage zu begreifen, lehnte er ausdrücklich ab. Rechtsverordnungen dürften vielmehr aus verfassungsrechtlichen Gründen nur ausnahmsweise und nur dort erlassen werden, wo eine unabweisbare Notwendigkeit dazu bestehe. Jede grundsätzliche Regelung sei dem Verordnungswege entzogen. 142

Die Flucht in die Verordnungsgebung vermochten diese wenigen für eine Begrenzung der Delegationsbefugnisse plädierenden kritischen Stimmen jedoch nicht zu verhindern.

4. Schrankenlose Delegationsbefugnis und völlige Selbstentmachtung des Gesetzgebers in der Zeit des Nationalsozialismus Die von der Weimarer Staatsrechtslehre für zulässig erklärte und in der Staatspraxis bereits weithin praktizierte unbegrenzte Delegationsbefugnis trug in der Zeit des Nationalsozialismus zu einer schnellen, scheinbar legalen 1 4 3 Ausschaltung des Parlaments bei. Die Entwicklung war bereits gegen Ende der Weimarer Republik deutlich vorgezeichnet. 144 136

Thoma, HDStR I I , 1932, 221 ff. (226); Lukas, V V D S t R L 6 (1929), 45. Triepel (Fn. 75), 1922, 11 ff. (23). 138 Triepel (Fn. 75), 1922, 29. 139 Triepel (Fn. 75), 1922, Leits. I V , Abs. 3, 56. 140 Hasskarl (Fn. 70), 1969, 18 m.w.N. 141 Poetzsch (Fn. 70), 1922, 35 ff. (37). 142 Poetzsch (Fn. 70), 1922, 39. 143 Hier zeigt sich deutlich die Problematik eines formalen Rechtsstaatsbegriffs; vgl. dazu Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 772 f. 144 Vgl. BVerfGE 2,307 (327); Ebel (Fn. 9), 1958,100, der von einer „Vorbereitungswirkung" spricht. - Die gelegentlichen Argumentationsversuche der Staatsrechtslehre - soweit sie überhaupt noch Stellung nahm oder nehmen konnte - für eine Einschränkung der Delegationsbefugnis blieben im Vergleich zur Weimarer Zeit äußerst dürftig und muten nicht selten anachronistisch an; vgl. zum Beispiel die gegenüber seinem Referat auf dem Bamberger Juristentag 1921 erheblich abgeschwächten Schrankenziehungen von Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942,120 f., der diese laut Vorwort erstmals vor vierzig Jahren konzipierte Untersuchung zu einem Zeitpunkt veröffentlichte, als die verfassungsrechtliche Problematik von der politischen Entwicklung längst überrollt worden war. - Die beschwörenden Warnungen von Poetzsch auf 137

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

Bereits die aufgrund des Art. 48 Abs. 2 WRV erlassene Reichstagsbrandverordnung 145 änderte das Strafgesetzbuch und führte unter anderem für bestimmte Straftaten, die bis dahin mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht waren, die Todesstrafe ein. 1 4 6 Die Zulässigkeit gesetzesändernder Verordnungen wurde hier zur radikalen Verschärfung der Strafgesetze ausgenutzt. Schwerwiegender noch wogen die in § 1 der Verordnung enthaltenen Bestimmungen, nach denen demokratische Grundrechte bis auf weiteres außer Kraft gesetzt wurden. Die Reichstagsbrandverordnung entfaltete damit verfassungsändernde, oder richtiger: partiell Verfassungsbeseitigende Wirkung. 1 4 7 Die vollständige Selbstentmachtung des Parlaments erfolgte wenig später durch das als Ermächtigungsgesetz geläufige „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich". 1 4 8 Nach diesem vom Reichstag beschlossenen und mit Zustimmung des Reichsrats verkündeten Gesetz durften Reichsgesetze (im formellen Sinn) außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. 149 De iure entstand eine Gesetzgebungskonkurrenz von Reichstag und Reichsregierung, wodurch die Regierung zu einem zweiten Gesetzgeber wurde. De facto wurde dies sehr bald zu einer nahezu alleinigen Gesetzgebung durch die Reichsregierung. Praktisch ergingen die meisten Rechtsnormen in der Form von durch die Reichsregierung erlassenen „Gesetzen", die ihrerseits zum Teil wiederum die einzelnen obersten Reichsbehörden zum Erlaß von Rechtssätzen „ermächtigten". Als Gesetze ergingen eine Vielzahl von Regelungen, die materiell unterschiedlichsten Gehalt - von der Verfassungsänderung bis hin zu Verwaltungsanweisungen - aufwiesen. Die Bezeichnung „Gesetz" verlor dadurch seine materiellen Konturen ebenso wie der Begriff der Rechtsverordnung. 150 Damit war der entscheidende Schritt zur Aufhebung der Trennung von Legislative und Exekutive getan. Das Gesetzgebungsrecht war praktisch auf die Exekutive übergegangen. Klein bezeichnet das Ermächtigungsgesetz als berühmten Beispielsfall einer strukturell-immanent unzulässigen Ermächtigung, da der Reichstag sein Recht zur formellen Gesetzgebung, das heißt seine wesentliche Zuständigkeit fast ausnahmslos auf die Reichsregierung zunächst auf vier Jahre delegierte. 151 dem 32. DJT von 1921 bewahrheiteten sich in der Folgezeit in wohl kaum vorhergesehenem Ausmaß. 145 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933 (RGBl. 83). 146 § 5 ReichstagsbrandVO. 147 Vgl. Klein (Fn. 71), 1952, 15. 148 „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24.3.1933 (RGBl. 141); vgl. Klein (Fn. 71), 1952,15. - Schon in den Anfängen der Weimarer Republik wurden mehrere Gesetze als „Ermächtigungsgesetz" bezeichnet. Dieses Wort taucht zum ersten Mal in der Überschrift des Gesetzes vom 17.8.1922 (RGBl. 717) auf (vgl. Klein, a.a.O., 14 mit Fn. 30). Dieses war weder das erste noch das einzige Ermächtigungsgesetz (vgl. etwa die Gesetze vom 17.4.1919 oder vom 31.8.1919). 149 Art. 1 des Ermächtigungsgesetzes. 150 Vgl. zu alledem Ebel (Fn. 9), 1958, 101. 151 Klein (Fn. 71), 1952,85. - „Eine Regierung, welche zugleich Gesetze gibt, ist despotisch zu nennen" (Kant, zitiert bei Ebel, a.a.O., 79 Fn. 5).

4. Schrankenlose Delegationsbefugnis im Nationalsozialismus

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Der letzte Schritt wurde schließlich durch das Reichsgesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30.1.1934 vollzogen, 152 in welchem festgelegt wurde, daß auch neue Verfassungsgesetze durch einen Beschluß der Reichsregierung Zustandekommen konnten. 1 5 3 Praktisch war damit das gesamte Verfassungssystem aus den Angeln gehoben. A n die Stelle einer nach Kompetenzen und Funktionen ausdifferenzierten Staatsgewalt war - entsprechend dem nationalsozialistischen Staatsgedanken - die neo-absolutistische allumfassende „Führergewalt" getreten, 154 aus der sich sogar die richterliche Gewalt herleitete. 155 Von einem Vorbehalt im liberalistisch-demokratischen Sinne konnte nicht mehr die Rede sein. 156 A b 1933/34 waren sowohl die Gewaltenteilung im Sinne einer Trennung von Legislative und Exekutive aufgehoben als auch die bis dahin bestehende Unterscheidung zwischen verfassungsändernden und einfachen Gesetzen sowie die Unterscheidung zwischen Gesetz und Rechtsverordnung aufgegeben. 157 A n die Stelle des - jedenfalls im Prinzip bestehenden - Gesetzesstaates war der totale Verordnungsstaat getreten. Vielfach beschränkten sich Gesetze ausschließlich auf die Ermächtigung an den zuständigen Minister, das betreffende Rechtsgebiet durch Verordnung zu regeln, womit an die Auffassungen aus der Zeit der Monarchie angeknüpft wurde. 1 5 8 Gleichzeitig wurde in bisher unbekanntem Umfang auf die Verwendung von Generalklauseln zurückgegriffen, die nicht nur die Formalstruktur des Rechts aufzulösen begannen, 159 sondern darüber hinaus eine Fülle wichtiger Entscheidungen auf diesem Wege an die Exekutive delegierten, ohne daß diese gesetzlichen Bindungen unterworfen worden wäre. 1 6 0 Damit hatte der vollständige „Ausverkauf des Gesetzgebers" stattgefunden. 161 Letztlich hatte die Anerkennung der schrankenlosen Delegationsbefugnis des schrankenlosen Gesetzgebers 162 zu seiner schrankenlosen Selbstentmachtung geführt. 163 152

RGBl. I, 75. Vgl. dazu Klein (Fn. 71), 1952, 15; Ehrlich, Der Vorbehalt des Gesetzes in der deutschen Verfassungsentwicklung, 1934, 26. 154 Vgl. F. Neumann, Die Herrschaft des Gesetzes, 1980, 343. 155 Vgl. dazu E. R. Huber, Die Einheit von Staatsgewalt, D J Z 39 (1934), 950; Ders., Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl., 1939, 230 f.; Schmitt, Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13.7.1934, D J Z 39 (1934), 945. 156 Vgl. auch Gräßlin, Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, 1939, 41 f. 157 Schack (Fn. 100), 1950, 334 ff. (353); Herrfahrdt, in: Bonner Kommentar, Art. 80, Erläuterung II. 1. 158 Vgl. oben bei Fn. 91. 159 Vgl. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933; F. Neumann (Fn. 154), 1980,329ff. 160 F. Neumann (Fn. 154), 1980, 330; sehr aufschlußreich in diesem Zusammenhang Gräßlin (Fn. 156), 1939, 53 f.: „Indem die Gesetzgebung in zunehmendem Maße weite Ermessens- und unbestimmte Begriffe (Schmitt: ,Es gibt heute überhaupt nur noch unbestimmte Rechtsbegriffe 4) verwendet, sieht sich die Verwaltung gezwungen, das ihren Maßnahmen zugrunde zu legende Recht nicht aus Normen auszuklügeln, sondern es aus der Volksordnung selbst zu schöpfen. Einst bloße Gesetzesvollziehungsmaschine, ist die Verwaltung jetzt zur wahren Erfüllerin ihrer völkischen Aufgaben geworden. Sie ist nicht mehr normenverstrickte Gesetzesvollzieherin, wohl aber Rechtserfüllung in ihrer eigentlichen Bedeutung. Sie ist nicht mehr in dem engen, gesetzesstaatlichen Sinne gesetzmäßig, aber sie ist in einem höheren, völkischen Sinne rechtsmäßig." 161 So Ebel (Fn. 9), 1958, 100. 162 So C. Schmitt (Fn. 85), 1940, 214 ff. (222); Ders., ZaöRV 6 (1936), 252 ff. (261, Fn. 21); ebenso Klein (Fn. 71), 1952,13; ferner Böckenförde (Fn. 1), 1981,219, dervon einer „Zuflucht zu dem juristischen Kunstbegriff beliebiger Kompetenz-Delegationen" spricht. 153

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

5. Die verfassungsrechtliche Ausgangssituation unter der Geltung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen nach 1945 Nach Kriegsende ergaben sich durch den Erlaß des Grundgesetzes und der neuen Landesverfassungen wichtige Veränderungen der verfassungsrechtlichen Situation im Hinblick auf die Delegation rechtsetzender Kompetenzen an die Exekutive. 1 6 4 Die neuen verfassungsrechtlichen Bestimmungen lassen ebenso wie der Wegfall einzelner Normen der Weimarer Reichsverfassung deutlich das Bestreben erkennen, aus den bitteren Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit zu lernen und einer ausufernden Ermächtigungs- und Verordnungspraxis mit verfassungsrechtlichen Mitteln zu begegnen. 165 Zentrale Bedeutung kommt dabei Art. 80 Abs. 1 G G und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen zu. 1 6 6 Während die Weimarer Reichsverfassung keine allgemeine Bestimmung über den Erlaß von Rechtsverordnungen durch die Exekutive enthielt und keinerlei Schranken der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers formulierte, treffen das Grundgesetz und die Landesverfassungen erstmals eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelung über die Verordnungsgebung. M i t Art. 80 Abs. 1 Satz 1 G G und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen 167 wird erstmals aus163 Die Weimarer Staatsrechtslehre muß sich daher durchaus die Frage gefallen lassen, ob sie nicht (ungewollt) den aufkommenden Faschismus in Deutschland begünstigt und es versäumt hat, sich rechtzeitig mit verfassungsrechtlichen Argumenten gegen die Pervertierung des Verfassungsrechts zu wenden. 164 Zur Verfassungsstruktur der Bundesrepublik im Hinblick auf das Verhältnis von Legislative und Exekutive vgl. Jesch (Fn. 1), 1961, 92 ff. 165 Vgl. JöR, n.F. Bd. 1, 1951, Art. 80 Abs. 1 (588); BVerfGE 1, 14 (59 f.); 2, 307 (327 f.); Dyckmans, Rechtsetzung zwischen Parlament und Regierung, 1979, 9 ff. 166 Art. 61 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 55 Nr. 2 Satz 3, Art. 70 der Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 47 der Verfassung von Berlin; Art. 124 der L V der Freien Hansestadt Bremen; Art. 53 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg; Art. 107,118 der Verfassung des Landes Hessen; Art. 34 der vorläufigen niedersächsischen Verfassung; Art. 70 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen; Art. 110 der Verfassung für Rheinland-Pfalz; Art 104 der Verfassung des Saarlandes; Art. 33 der Landessatzung für Schleswig-Holstein; vgl. dazu Klein (Fn. 71), 1952, 73 ff. 167 Wenn in folgenden durchgehend ausschließlich von Art. 80 G G und nicht von den Bestimmungen der LV gesprochen wird, so geschieht dies aus Vereinfachungsgründen. Für landesgesetzliche Ermächtigungen, also auch für schulgesetzliche Verordnungsermächtigungen, kommen allein die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Verordnungsgebung zur Anwendung. Es ist heute allgemein anerkannt, daß eine unmittelbare Anwendung des Art. 80 Abs. 1 G G auf die Landesgesetzgebung ausscheidet (vgl. zuletzt BVerfGE 55, 207,226 m.w.N.). Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G gilt nicht, wie vielfach behauptet wird, über Art. 28 Abs. 1 Satz 1 G G in den Ländern, denn diese Norm ist als „Normativbestimmung" zu verstehen, welche die dort genannten Prinzipien nicht selbst als Landesverfassungsrecht statuiert, sondern den Landesverfassungsgeber verpflichtet, die Landesverfassung danach zu gestalten (zutreffend von Mutius, VerwArch 62 (1971), 410 ff., 412); dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen (BVerfGE 34, 52,58 ff.). Gleichwohl erscheint es gerechtfertigt, im folgenden die Erörterungen auf Art. 80 G G zu beschränken. Nach den Verfassungsänderungen in Rheinland-Pfalz (Gesetz vom 23.2.1979, GVB1.65) und im Saarland (Gesetz vom 4.7.1979, ABl. 650) gelten inzwischen in sieben Ländern dem Art. 80 Abs. 1 G G inhaltsgleiche Bestimmungen. Auch in den übrigen Ländern stützen sich die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte auf die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 80 G G und leiten entsprechende Bestimmtheitsanforderungen, wie sie sich aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ergeben, aus dem landes verfassungsrechtlich normierten Rechtsstaatsprinzip und dem Prinzip der Gewaltenteilung her (vgl. Bay V G H , BayVBl. 1981,495; Bay V G H , NJW 1982,1089, der nach

5. Verfassungsrechtliche Ausgangssituation nach 1945

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drücklich die Zulässigkeit der Delegation rechtsetzender Gewalt an die Exekutive verfassungsunmittelbar anerkannt 1 6 8 und zugleich begrenzt. Auch durch Art. 19 Abs. 1 Satz 1 G G und die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte wird die Zulässigkeit der Verordnungsdelegation unmittelbar verfassungsrechtlich anerkannt, soweit sie Grundrechtseinschränkungen nicht nur „durch Gesetz", sondern auch „aufgrund eines Gesetzes" (das heißt zum Beispiel durch Rechtsverordnungen) zulassen. 169 Die im Parlamentarischen Rat ursprünglich mit Art. 80 G G (beziehungsweise Art. 102 des Herrenchiemsee-Entwurfs) verfolgte Intention ging indes nicht dahin, die bislang ohnehin unbestrittene Delegationsbefugnis verfassungskräftig anzuerkennen. Vielmehr sollte im Hinblick auf die Weimarer und die nationalsozialistische Ermächtigungspraxis eine Übertragung echter Gesetzgebungsbefugnisse verhindert werden. 170 Der eigentliche Sinn des Art. 80 Abs. 1 G G liegt demnach nicht in einer Legitimations-, sondern in einer Schrankenfunktion: Es sollte gesichert werden, daß n u r zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden darf, nicht aber zum Erlaß von „Gesetzen im eigentlichen Sinne". 171 Eine Ersatzgesetzgebung durch die Exekutive, gleichgültig ob durch „Gesetze" oder durch „Verordnungen", sollte durch Art. 80 Abs. 1 G G ausgeschlossen werden. 172

Gleichzeitig wurde mit Art. 80 Abs. 1 G G das Erfordernis einer formell-gesetzlichen Ermächtigung aufgestellt, wodurch klargestellt wurde, daß die bisher als zulässig erachteten gewohnheitsrechtlichen Ermächtigungen nicht mehr ausreichen. 173 Vielmehr wird durch Art. 80 Abs. 1 G G eine ausdrückliche geschriebene Spezialermächtigung verlangt. 174 Zugleich wird durch Art. 80 Abs. 1 G G sowie durch das Fehlen anderslautender Bestimmungen klargestellt, daß ein originäres Verordnungsrecht der Exekutive unter der Geltung des Grundgesetzes grundsätzlich nicht besteht. 175 Die Rechtsetzungsfunktion kommt daher grundsätzlich der Legislabayerischem Verfassungsrecht annimmt, daß der Gesetzgeber „aufgrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 Satz 1ΒV)" verpflichtet ist, zumindest eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzte Ermächtigung zu formulieren, womit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G für das bayerische Verfassungsrecht praktisch wortgleich übernommen wird). Durch die an Art. 80 Abs. 1 G G und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG orientierte Rechtsprechung der Landesverfassungs- und -Verwaltungsgerichte kommen die zu Art. 80 Abs. 1 G G entwickelten Grundsätze praktisch in gleicher Weise im Landesrecht zur Anwendung. Die verbleibenden rechtlichen Streitfragen zum Verhältnis des Art. 80 G G zur Landesgesetzgebung sind ohne große praktische Bedeutung; vgl. hierzu BVerfGE 34,52,58 f.; Bartelsperger, VerwArch 58 (1967), 249 ff.; von Mutius, VerwArch 62 (1971), 410 ff. 168 B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff.; Schack (Fn. 100), 1950, 332 ff. 169 So zum Beispiel Art. 2 Abs. 2 Satz 2,8 Abs. 2,10 Abs. 2 Satz 1,11 Abs. 2 Satz 1,12 Abs. 1 Satz 2,12a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4, Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Satz 1,16 Abs. 1 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG. 170 Vgl. JöR n.F. Bd. 1, 1951, Art. 80 Abs. 1 (588). 171 Vgl. JöR n.F. Bd. 1, 1951, Art. 80 Abs. 1 (588). 172 Vgl. dazu auch Klein (Fn. 71), 1952, 20 ff. (insbesonders 24). 173 Klein (Fn. 71), 1952,30. 174 Klein (Fn.71), 1952,30; Schack (Fn. 100), 1950,352 f., 356 f.; zur Weitergeltung vorkonstitutioneller Ermächtigunen vgl. Art. 129 G G , der ebenfalls nur geschriebenes Recht („Rechtsvorschriften") weitergelten läßt; vgl. dazu Kirn, Rdn. 1 zu Art. 129, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983, der allerdings der Auffassung ist, das Fortgelten gewohnheitsrechtlicher Ermächtigungen sei danach nicht ausgeschlossen, sondern richte sich nach Art. 123 G G . 175 Dies gilt jedenfalls für das allgemeine Gewaltverhältnis. Für die besonderen Gewaltverhältnisse wurde über die Rechtsfigur der Sonderverordnung eine partielle originäre Verord-

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

tive zu. 1 7 6 Soweit der Exekutive nicht verfassungsunmittelbare Regelungskompetenzen zukommen, empfängt sie ihre Rechtsetzungsbefugnisse ausschließlich im Wege der Rechtsetzungsdelegation vom parlamentarischen Gesetzgeber. 177 A u f die Einräumung verfassungsunmittelbarer Verordnungsermächtigungen haben Grundgesetz und Landesverfassungen fast völlig verzichtet. 178 Soweit die Exekutive vereinzelt verfassungsunmittelbar zum Erlaß von Verordnungen mit Gesetzeskraft ermächtigt wird, handelt es sich um Übergangsregelungen für Sondermaterien mit absolutem Ausnahmecharakter. 179 Die in der Weimarer Zeit für zulässig erachteten Verordnungen des vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens sind zum Teil ausdrücklich verfassungsrechtlich untersagt, 180 zum Teil durch eine funktionelle Beschränkung der Verordnungsgebung auf die Durchführung oder Ausführung von Gesetzen ausgeschlossen. 181 Auch soweit es an expliziten verfassungsrechtlichen Verboten fehlt, sind Verordnungen des vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens nach Bundesverfassungsrecht durch Art. 80 Abs. 1 G G ausgeschlossen, im übrigen als im Widerspruch zum Vorrang des Gesetzes stehend abzulehnen. 182 Durch Art. 79 Abs. 1 Satz 1 G G wurde nicht nur erstmals bundesverfassungsrechtlich ein Verbot von Verfassungsdurchbrechungen aufgestellt, sondern zugleich die in der Weimarer Zeit für zulässig gehaltenen verfassungsändernden Rechtsverordnungen verboten. 183 Die zunächst im Hinblick auf Art. 129 Abs. 3 G G umstrittene Frage, ob das neue Verfassungsrecht die sogenannten

nungskompetenz der Exekutive konstruiert. Im Schulverhältnis wurde Art. 7 Abs. 1 G G entgegen seinem Wortlaut - lange Zeit als verfassungsunmittelbare Ermächtigung der Exekutive aufgefaßt. Die Staatsrechtslehre war sich im übrigen einig, daß das G G (und ebenso die LVn) keine Grundlage für ein selbständiges Verordnungsrecht der Exekutive bieten (vgl. dazu Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform der BT-Drucks. 7/5924 vom 9.12.1976, 91 f., in dem die Ablehnung eines selbständigen Verordnungsrechts der Regierung de constitutione lata anerkannt und auch de constitutione ferenda abgelehnt wird; vgl. dazu zuletzt Vogt, Empfiehlt sich die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung?, 1981, 2 ff., der die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung insgesamt befürwortet). 176

Vgl. Magiera (Fn. 93), 1979, 184. Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968,212, unter Bezugnahme auf Jesch. - Dies gilt auch für die Verleihung von Satzungsautonomie, vgl. BVerfGE 33,125 ff.; dazu Reyer, Grundrechtseinschränkungen durch autonome Satzungen, 1976, 32 f. 178 Ausnahmen: Art. 119, 127, 132 Abs. 4 G G . 179 Die in Fn. 178 aufgeführten Ausnahmen, durch die das G G der Exekutive verfassungsunmittelbare Verordnungskompetenzen eingeräumt hat, sind als Übergangsregelungen für die Beseitigung von Kriegs- und Besatzungsfolgen von der Sache her unbedeutend und längst durch Zeitablauf überholt; vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl., 1984, Rdn. 524. 180 Ygi A r t 118 d e r Verfassung des Landes Hessen, wonach der Landesregierung durch Gesetz nur die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen über bestimmte einzelne Gegenstände, aber nicht die Gesetzgebungsgewalt im ganzen oder für Teilgebiete übertragen werden kann. 181 Vgl. Art. 55 Nr. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 47 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung von Berlin; Art. 124 der L V der Freien Hansestadt Bremen; Art. 107 der Verfassung des Landes Hessen; Art. 110 der Verfassung für Rheinland-Pfalz. 182 B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff. (202 f.); Schack (Fn. 100), 1950, 323 ff. (341 ff.). 183 Vgl. Bryde, Rdn. 7 zu Art. 79, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 1983. 177

5. Verfassungsrechtliche Ausgangssituation nach 1945

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gesetzesvertretenden Verordnungen ausschließen wollte, 1 8 4 ist vom BVerfG zu Recht verneint worden. 1 8 5 Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, daß das Grundgesetz aus der Weimarer Notverordnungspraxis die Lehren gezogen hat und keine dem Art. 48 Abs. 2 W R V entsprechende Bestimmung enthält. Damit fehlt es im Grundgesetz an einer verfassungsunmittelbaren Globalermächtigung, die der Exekutive ohne weitere Parlamentsbeteiligung die Aneignung eines umfassenden materiellen Gesetzgebungsrechts im Wege der Verordnungsgebung ermöglichen könnte. Eine ausufernde Verordnungspraxis, wie sie in der Weimarer Republik unter der Geltung des Art. 48 W R V möglich war, ist somit unter der Geltung des Grundgesetzes ausgeschlossen. Knapp die Hälfte der Landesverfassungen enthält ebenfalls kein Notverordnungsrecht, 186 während sechs Landesverfassungen ein solches beibehalten haben. 1 8 7 Allerdings ist auch in diesen Ländern das Notverordnungsrecht an eng umgrenzte Voraussetzungen gebunden und zumeist gegenständlich beschränkt. Durch Bestimmungen über die Höchstdauer und das Erfordernis nachträglicher Genehmigung durch das Parlament besteht das Notverordnungsrecht in wesentlich eingeschränkterem Umfang als nach Art. 48 WRV, wobei die Begrenzungen je nach Land unterschiedlich umschrieben werden. 188 Im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung ist eine deutliche Einschränkung der Notverordnungsbefugnisse erfolgt.

184 Vgl. einerseits B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff. (209 f.); Laidig, Gesetzesvertretende Verordnungen, 1968, 104; Siegl, Gesetzesvertretende Verordnungen und Rechtsverordnungen mit unbestimmten Rechtsbegriffen, 1968, 122 ff.; Schack (Fn. 100), 1950, 347 f. (kein Verbot gesetzesvertretender Verordnungen); a.A. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1978, Art. 80 Rdn. 7; Klein (Fn. 71), 1952,61 ff.; Ossenbühl (Fn. 2), 1983,71 ; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 25 V I I b 2; Kleinrahm, DVB1.1950,299 (gesetzesvertretende Verordnungen durch Art. 80 G G ausgeschlossen); vermittelnde, aber in sich widersprüchliche Auffassung bei Kirn, Rdn. 1,7 zu Art. 129 in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983, der gesetzesvertretende Verordnungen für rechtsstaatlich bedenklich erklärt, es sei denn, die Ermächtigung zum Erlaß gesetzesvertretender Verordnungen halte sich im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ; da jede Ermächtigung den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G genügen muß, müßten gesetzesvertretende Verordnungen konsequenterweise generell für zulässig gehalten werden. 185 Vgl. BVerfGE 8, 155 (169 ff.), wonach es zulässig ist, daß der Gesetzgeber selbst eine gesetzliche Bestimmung mit einer Anwendungsbeschränkung versieht und die Subsidiarität der gesetzlichen Bestimmung gegenüber Verwaltungsvorschriften oder Rechtsverordnungen anordnen kann. Der Vorrang des Gesetzes als Verfassungsprinzip werde dadurch so lange nicht verletzt, wie der Gesetzgeber nicht „Vorschriften von solcher Bedeutung und in solchem Umfang für subsidiär erklärt, daß sich dadurch innerhalb des Staatsgefüges eine Gewichtsverschiebung zwischen gesetzgebender Gewalt und Verwaltung ergibt". - Auch die Enquête-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages geht von der Zulässigkeit gesetzesvertretender Verordnungen (im Rahmen der Art. 80 Abs. 1 Satz 2 und 20 G G ) aus; vgl. Zwischenbericht, BT-Drucks. VI/3829, 80. 186 So die Verfassungen der Länder Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland und SchleswigHolstein. 187 Art. 62 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 48 der Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 110, 125 der Verfassung des Landes Hessen; Art. 35 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung; Art. 60 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen; Art. I l l , 112 der Verfassung für Rheinland-Pfalz. 188 Vgl. dazu Ebel (Fn. 9), 1958, 97 f.

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II. Historische Entwicklung: Gesetzesvorbehalt und Delegationsbefugnis

Eine ebenfalls unter dem Eindruck der Weimarer und der nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetze stehende Regelung enthält Art. 79 Abs. 3 GG, der elementare Grundprinzipien des Grundgesetzes der Verfassungsänderung entzieht. 189 Im allgemeinen Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rates wurde zu Art. 79 Abs. 3 G G betont, die Bestimmung solle zum Ausdruck bringen, „daß dieses G G nicht die Hand bieten darf zu seiner eigenen Totalbeseitigung oder -Vernichtung, insbesondere dazu, daß gegebenenfalls eine revolutionäre antidemokratische Bewegung mit demokratischen Mitteln auf scheinbar,legalem' Wege die hier normierte demokratisch-rechtsstaatliche Grundordnung ins Gegenteil verkehrt". 1 9 0 Zwar war man sich einig, daß eine solche Bestimmung eine Revolution nicht werde verhindern können; der Abgeordnete Carlo Schmid wies gegenüber entsprechenden Bedenken daraufhin, es sei jedoch ein Unterschied, ob jemand gezwungen sei, offen Revolution zu machen, oder ob man ihm die Möglichkeit gebe, unter dem Schutz einer Scheinlegalität effektiv Revolution zu machen, ohne sich dazu bekennen zu müssen.191

Ein Ermächtigungsgesetz wie jenes vom 24.3.1933 wäre, selbst wenn es als verfassungsänderndes Gesetz erginge, unter der Geltung des Grundgesetzes verfassungswidrig. 192 Die durch Art. 79 Abs. 3 G G gezogene materielle Kompetenzgrenze für den (verfassungsändernden) Gesetzgeber bewirkt zugleich eine Beschränkung seiner Delegationskompetenzen: Was der Gesetzgeber selbst nicht ändern darf, das darf er auch nicht an den Verordnungsgeber delegieren. Auch Art. 79 Abs. 3 G G schließt daher als Spezialbestimmung zu Art. 79 Abs. 1 Satz 1 G G bestimmte verfassungsändernde Verordnungen aus, die in der Weimarer Republik 1 9 3 für verfassungsgemäß gehalten wurden. Eine wichtige Sicherungsfunktion kommt in diesem Zusammenhang der Tatsache zu, daß über die Einhaltung des Art. 79 Abs. 3 G G nicht die für die Verfassungsänderung zuständigen Organe (Bundestag und Bundesrat) selbst entscheiden, sondern dies in die Kompetenz des BVerfG fällt. 1 9 4 Die wichtigste unmittelbar die Verordnungsgebung betreffende Neuregelung des Grundgesetzes enthält Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Das BVerfG kommentierte diese Bestimmung in einer seiner ersten Entscheidungen mit folgenden Worten: „In bewußter Abkehr von der Praxis der Weimarer Zeit fordert Art. 80 G G als Grundlage von Rechtsverordnungen jeder Art eine gesetzliche Ermächtigung, die nach Inhalt, Zweck und Ausmaß genau umgrenzt ist. Das Grundgesetz entscheidet sich hier wie an anderer Stelle für eine strengere Teilung der Gewalten. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entziehen können, daß es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Regierung überträgt, ohne genau die Grenzen dieser übertragenen Kompetenzen bedacht und bestimmt zu haben. Die Regierung andererseits soll nicht, gestützt auf unbestimmte Ermächtigungen zum Erlaß von Verordnungen, an die Stelle des Parlaments treten. Ob die Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend begrenzt ist, läßt sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Jedenfalls fehlt es dann an der nötigen Beschränkung, wenn die Ermächtigung so unbestimmt ist, daß nicht mehr 189 JöR n.F. 1,1951,584 f.; Bryde, Rdn. 24 zu Art. 79, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 190 JöR n.F. 1, 1951,586. 191 JöR n.F. 1, 1951,586. 192 Vgl. Hesse (Fn. 179), 1984, Rdn. 524. 193 Siehe die sogenannte ReichstagsbrandVO (vgl. oben bei Fn. 145). 194 Vgl. dazu Bryde, Rdn. 25 zu Art. 79, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983.

6. Folgerungen

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vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können." 195

Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G erweitert durch seine Bestimmtheitsanforderungen erstmals die verfassungsrechtliche Bedeutung des Ermächtigungserfordernisses. Lag diese ursprünglich vor allem in der demokratisch-politischen Partizipationsfunktion, so wurde mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G die gewaltenteilende Steuerungsfunktion gesetzlicher Ermächtigungen gegenüber Exekutivregelungen erkannt und erstmals verfassungsrechtlich normiert. Die bisherige „Inhaltsindifferenz" 196 der gesetzlichen Ermächtigung wurde damit aufgegeben und die inhaltliche Beschaffenheit gesetzlicher Verordnungsermächtigungen erstmals durch die Verfassung selbst zu einer Verfassungsfrage aufgewertet.

6. Folgerungen Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers stellt sich nach alledem für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland - allein schon wenn man von den Veränderungen gegenüber der Weimarer Zeit ausgeht - in weit stärkerem Maße als in früheren Verfassungsepochen. Der Wegfall verfassungsunmittelbarer Verordnungsermächtigungen, insbesondere der Verzicht auf eine dem Art. 48 Abs. 2 W R V entsprechende Verfassungsnorm (beziehungsweise eine erhebliche Einschränkung der Notverordnungsbefugnisse in einigen Landesverfassungen), die Ablehnung eines selbständigen Verordnungsrechts der Exekutive, die Abkehr von früheren Rechtsfiguren (wie den Verordnungen des vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens) Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und entsprechender landesverfassungsrechtlicher Bestimmungen führen notwendigerweise zu der Frage, ob sich aufgrund heutigen Verfassungsrechts im Gegensatz zu den vorangehenden Epochen eine Beschränkung der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers feststellen läßt, die möglicherweise in der Entwicklung des Parlamentsvorbehalts seine dogmatische Ausprägung gefunden hat. Bevor dieser Problematik im einzelnen nachgegangen wird, soll zunächst erläutert werden, wie sich die Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes und der Delegationsbefugnis im Bereich des Schulrechts darstellt, welches als exemplarisch zu behandelndes Rechtsgebiet ausgewählt wurde. 195 BVerfGE 1, 14 (59 f.); vgl. auch JöR n.F. 1, 1951, 587 ff. - Wenn Herzog (Fn. 1), 1980, Rdn. 82 mit Fn. 2 im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G von einer „verfassungsgeschichtlich nicht ganz stichhaltigen Reaktion auf das Ermächtigungsgesetz vom März 1933" spricht und zur Begründung darauf verweist, dieses Gesetz habe zum Erlaß von Gesetzen, nicht von Rechtsverordnungen ermächtigt, so ist dem entgegenzuhalten, daß Satz 2 des Art. 80 Abs. 1 G G im Zusammenhang mit dessen Satz 1 sowie mit Art. 79 Abs. 1 und 3 G G zu sehen ist, wodurch eine globale und totale gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsnormen durch die Exekutive (gleichgültig, ob durch verfassungsänderndes Gesetz, durch einfaches Gesetz oder durch Rechtsverordnung) ausgeschlossen ist und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ein notwendiges Mosaiksteinchen zur „Abdichtung" dieser Systematik darstellt. 196 Diese sprachlich wenig schöne, aber treffende Bezeichnung stammt von Magiera (Fn. 93), 1979,188.

I I I . Die Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulverhältnis als besonderem Gewaltverhältnis 1. Die Gegenstandsbereiche des Schulrechts Um zunächst festzustellen welche Regelungsgegenstände unter der Bezeichnung „Schulrecht" zusammengefaßt werden, bedarf es vorab einer kurzen Abgrenzung dieses Rechtsgebiets. „Als Schulrecht bezeichnet man die Gesamtheit der Rechtsnormen, die sich auf die Schule und das Schulwesen beziehen."1 Als Gegenstände des Schulrechts zählen Heckel/Seipp insbesondere auf: - Struktur, Aufbau und Gliederung (Organisation) des Schulwesens in seiner Gesamtheit; - Verfassung, Unterhaltung und Verwaltung des öffentlichen Schulwesens und die Rechtsverhältnisse der in den öffentlichen Schulen versammelten Personen (Lehrer, Schüler, Eltern usw.); - die Rechtsverhältnisse der Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulen) und der in ihnen versammelten Personen; - staatliche Schulhoheit und Schulaufsicht. Nach Löhning umfaßt das Schulrecht das Schulorganisationsrecht (Schulsystem, Schulverwaltung, Schulaufsicht, kommunale Beteiligung); das Recht der Schulunterhaltung, Schulträgerschaft und -finanzierung; das Recht der Lehrer als Teil des Beamtenrechts; das Schul-Kirchenrecht; das Privatschulrecht; das Schulbenutzerrecht. 2 Das Bild des Schulrechts hat sich gegenüber diesen Strukturierungsversuchen inzwischen gewandelt. Nicht nur die Zuordnung und Gewichtung der dort genannten Gegenstandsbereiche ist zweifelhaft geworden; vielmehr wurde inzwischen auch die rechtliche Relevanz weiterer Gegenstände erkannt. Vor allem die Gesamtheit derjenigen Regelungen, die die schulischen Ziele und Inhalte (wie Bildungs- und Erziehungsziele, Lehrpläne, Methoden, Schulbücher usw.) betreffen, wird heute als ein wichtiger Teilbereich des Schulrechts angesehen.3 Sein Fehlen in den oben zitierten Aufzählungen läßt sich wohl nur daraus erklären, daß schulische Ziele, Aufgaben und Inhalte in der Vergangenheit mehr dem Bereich des Pädagogischen als dem des Rechtlichen zugeordnet wurden, obwohl sich bereits in mehreren nach 1945 erlassenen Landesverfassungen wie auch in einigen frühen Landesschulgesetzen um 1950 Normierungen von Lernzielen und schulischen Inhal-

1 Heckel/Seipp, Schulrechtskunde, 1976,7; ähnlich Margies/Roeser, Grundlagen des Schulrechts, 1979, 27. 2 Löhning, Der Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis, 1974, 19. 3 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, 30 f., 39 f., 64 ff. (§§ 2 bis 14), 136 ff.

1. Die Gegenstandsbereiche des Schulrechts

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ten finden. 4 Gleichwohl wurden diese Gegenstände lange Zeit als rein „schulfachliche Angelegenheiten" und damit als Teil des inneren (pädagogischen) Lebens der Schule und damit nicht als eigentliche Gegenstände rechtlicher Regelungen betrachtet. 5 Darüber hinaus ist in den letzten Jahren die Bedeutung der Schülerrechte 6 (Recht auf Bildung, politische Schülerrechte) stärker beachtet worden. 7 Die Durchführung von Reformen im Schulbereich und deren versuchsweise Erprobung hat zu einem neuen ausgrenzbaren Teilbereich des Schulrechts geführt (Schulversuche, Versuchsschulen, Modellschulen). 8 Diese beziehen sich entweder auf schulische Inhalte und Methoden, haben häufig aber auch schulorganisatorische Abweichungen vom Regelschulsystem zum Gegenstand.9 Die Einführung von Schulverfassungen (Schulmitwirkung und -mitbestimmung) Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre hat für die kollektive Mitwirkung aller Schulbeteiligten einen neuen organisatorischen Rahmen geschaffen, insbesondere durch die Einrichtung eines ausdifferenzierten Konferenzsystems. 10 A u f der anderen Seite ist die Bedeutung des Schul-Kirchenrechts, das in der Nachkriegszeit zunächst zu den umstrittensten juristischen und politischen Gegenständen der Auseinandersetzungen gehörte, 11 infolge der Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf den Schulbereich stark zurückgegangen. 12 Der Einfluß der Kirchen beschränkt sich heute fast ausschließlich auf die in kirchlicher Trägerschaft errichteten und betriebenen Privatschulen sowie auf den Religionsunterricht. 1 3 4

Vgl. dazu DJT-SchulGE, 1981, 30 f. m.w.N. Vgl. Heckel/Seipp (Fn. 1), 1976,9; diese Denkweise kommt noch deutlich zum Ausdruck in BayVerfGH D Ö V 1974,672, wo die Einführung der Mengenlehre durch Erlaß mit dem Argument für zulässig erklärt wird, daß es sich „... um eine Bestimmung über die innere Gestaltung des Mathematikunterrichts und nicht um eine rechtliche Regelung handelt...". 6 Zu den politischen Schülerrechten vgl. die Beiträge von Berkemann (Die „politischen Rechte" des Schülers) 102 ff., und Hennecke (Ordnungsrecht und Schülerstreik), 123 ff., in: Nevermann/Richter, Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Eltern, 1977. 7 Zum Recht auf Bildung vgl. Heymann/Stein, AöR 97 (1972), 185 ff.; Richter, Bildungsverfassungsrecht, 1973,183 ff.; Reuter, DVBl. 1974, 7 ff.; Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, 1975; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 86 ff. m.w.N.; Sendler, D Ö V 1978, 581 ff. (588); zur Diskussion um soziale Grundrechte vgl. Böckenförde, Was nützen soziale Grundrechte? in: F A Z vom 27.2.1980, 11, sowie die in der Abt. I I I (Soziale Grundrechte) des 5. Rechtspolitischen Kongresses der SPD (29.2 bis 2.3.1980) gehaltenen Referate, abgedruckt in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte im Verfassungsgefüge, 1981; vgl. dazu Richter/Schlink, Grundrechte auf Bildung - Grundrecht auf Ausbildung, RdJB 1980, 202 ff.; zu den nationalen und internationalen Normierungen eines Rechts auf Bildung vgl. DJT-SchulGE, 1981, 126 ff, 8 Vgl. dazu Stober, D Ö V 1976,518 ff.; Richter, JZ 1978,553 ff.; Ders., Versuch macht klug, in: Alternative Schulen? 1979, 63 ff.; Hoffmann-Riem, ZRP 1980, 31 ff. (zu Modellversuchen im Bereich der Kabelkommunikation). 9 Anderer Ansicht offenbar Löhning (Fn. 2), 1974,21 (dort unter 4.), der Schulversuche und Versuchsschulen offenbar ausschließlich unter dem Aspekt „Unterrichtsinhalt" sieht. 10 Vgl. dazu Nevermann, RdJB 1975, 200 ff.; Ders., Grundzüge des Schul Verfassungsrechts, in: Nevermann und Richter (Hrsg.), Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Eltern, 1977, 173 ff.; zur Elternmitwirkung auf Schulebene und im überschulischen Bereich vgl. die Tabellen zum derzeitigen Regelungsstand, in: DJT-SchulGE, 1981, 321 ff. 11 Vgl. Richter, D Ö V 1968, 383 (384 ff.). 12 Vgl. BVerfGE 41, 29; 41, 65; 41, 88 - Gemeinschaftsschule. 13 Vgl. zuletzt Frowein, Zur verfassungsrechtlichen Lage der Privatschulen unter besonderer Berücksichtigung der groß-kirchlichen Schulen, 1979; Müller, Das Recht der freien Schule nach 5

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I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

Unter Berücksichtigung dieser Veränderungen sind heute folgende Gegenstandsbereiche schulrechtlicher Regelungen zu nennen: - Schulsystem (organisatorische Grundstruktur des Schulwesens einschließlich Schulstufen, Schularten und Schulversuchen, das heißt die grundlegenden schulpolitischen Entscheidungen, die das gesamte Schulsystem auf Landesebene festlegen); - Schulorganisation, das heißt die organisatorischen Maßnahmen auf der Ebene der Einzelschule (Schulerrichtung, -auflösung, -Zusammenlegung usw.); - Schulinhalte (Bildungs- und Erziehungsziele, Aufgaben der Schule und des Unterrichts, Lehrpläne, Fächerkatalog, Stundentafeln, Schulaufsicht, pädagogische Freiheit); - Schulverhältnis (Rechtsverhältnis der Schulbenutzer zur Schule: Recht auf Bildung, Schulpflicht, Schülerrechte, Aufnahme und Entlassung, Leistungsbeurteilung, Zeugnisse, Versetzung, Übergänge, Prüfungen, Abschlüsse, Schulstrafen); - Schulverfassung (Schulmitwirkung und -mitbestimmung, schulische Gremien, Konferenzrecht); - Schulträgerschaft und Schulfinanzierung; - Privatschulrecht (Schulen in „freier", das heißt privater und kirchlicher Trägerschaft, Privatschulfinanzierung). Das Lehrerrecht gehört, soweit es nicht an die Besonderheiten der beruflichen Funktion der Lehrer anknüpft und insoweit, vor allem im Hinblick auf die pädagogische Freiheit, Regelungsgegenstand der sogenannten inneren Schulangelegenheiten ist, zum Beamtenrecht im weiteren Sinne (einschließlich Besoldungsrecht, Laufbahnrecht, Disziplinarrecht und Lehrerbildung). 14 Von seinem Sachbezug her ist das Schulrecht als Teil der Bildungspolitik und des Bildungsrechts anzusehen;15 von seiner rechtssystematischen Einordnung her ist das Schulrecht Bestandteil des besonderen Verwaltungsrechts. 16

2. Das Schulverhältnis als besonderes Gewaltverhältnis Die traditionellen rechtlichen Besonderheiten des Schulrechts resultieren vor allem aus der Klassifizierung des Schul(benutzer)verhältnisses unter die dem Grundgesetz als Maßstab für Gesetzgebung und Exekutivpraxis der Länder, 1982 (siehe dazu die Besprechungen zur Erstauflage von Maunz, DOV1981,234, und Wimmer, DVB1.1981, 552); Avenarius, Gesetzesvorbehalt und Privatschulrecht, 1980, 153 ff. 14 Anders Löhning (Fn. 2), 1974,19, der - in sich widersprüchlich - „das Recht der Lehrerais Teil des Beamtenrechts" zum Schulrecht zählt. 15 Neben dem Hochschulrecht und Weiterbildungsrecht; problematisch ist die Zuordnung des Rechts der Vorschulen (sogenannter Elementarbereich), entweder zum Schulrecht oder zum Jugend- und Familienrecht, dem es in der Regel verwaltungsmäßig zugeordnet ist; im Übergangsbereich zwischen Elementar- und Primarbereich (Vorklassen, Eingangsstufen, Schulkindergärten) findet ohnehin eine Verzahnung beider Bereiche statt. 16 Heckel/Seipp (Fn. 1), 1976,13; Oppermann, Bildung, in: von Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 1982, 811 ff.

2.1 Staatsrechtliche Grundlagen im Konstitutionalismus

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Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses. 17 Das Schattendasein, das das Schulrecht lange Jahre trotz seiner unbestrittenen individualrechtlichen wie auch gesellschaftlich-politischen Bedeutung geführt hat, 1 8 erklärt sich ebenso wie der rechtsdogmatische Nachholbedarf wohl nur aus der rechtlichen Sonder- beziehungsweise Abseitsstellung, in die das Schulbenutzerverhältnis, in erster Linie also das Verhältnis der Schüler, aber auch das der Eltern zur Schule, gerückt wurde. 19

2.1 Die staatsrechtlichen Grundlagen in der Zeit des Konstitutionalismus Staatsrechtlich wurde die Einordnung des Schulverhältnisses als besonderes Gewaltverhältnis im wesentlichen wie folgt begründet. In Anlehnung an Laband 2 0 wurde der Bereich des Rechts auf die Beziehungen der Bürger untereinander und der Bürger (Untertanen) zum Staat beschränkt. 21 Der Staat wurde als ein isoliert neben den anderen Rechtspersonen stehendes Rechtssubjekt angesehen. Nach dieser Auffassung bestand Recht allein in der Abgrenzung der Befugnisse und Pflichten der einzelnen Subjekte gegeneinander. „Verhaltensmaßregeln, die ein einzelner sich selbst gibt, können niemals Rechtsvorschriften sein." 22 Diese Erkenntnis wurde auch auf den Staat bezogen. Dem äußeren Staat/Bürger-Verhältnis wurde ein selbständiger staatlicher Innenbereich gegenübergestellt; aus dem „allgemeinen Gewaltverhältnis" zwischen Bürger und Staat, welches rechtlich geordnet und rechtlichen Schranken unterworfen war, 2 3 wurde das sogenannte besondere Gewaltverhältnis innerhalb des Rechtssubjekts „Staat" ausgegliedert. Regeln in diesem staatsinternen Bereich konnten nach der Laband'schen Formel kein Recht sein. So wurde ein angeblich rechtsfreies Staatsinternum konstruiert, in

17 Vgl. Löhning (Fn. 2), 1974, 39 ff.; Riegel, Kommt dem besonderen Gewaltverhältnis ..., 1975, 15 ff.; Wenninger, Geschichte der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis, 1982, 53 ff. 18 Vgl. Heckel/Seipp (Fn. 1), 1976,13 ff.; Löhning (Fn. 2), 1974,20. Der B G H spricht in einem U. vom 23.10.1957 (NJW 1958, 798) noch vom „Schulrecht". 19 Erst in jüngster Zeit wird dem Schulrecht auch von Seiten der Rechtswissenschaft wachsende Aufmerksamkeit zuteil, was sich vor allem in dem zunehmenden Umfang rechtswissenschaftlicher Literatur zum Schulrecht, in der beginnenden Einbeziehung in das rechtswissenschaftliche Hochschulstudium und in den Versuchen, die Bedeutung des Schulrechts auch den betroffenen Nicht-Juristen (Lehrern, Lehrerstudenten, Schülern und Eltern) nahezubringen, widerspiegelt; in diesem Zusammenhang sind auch die Aktivitäten im Rahmen wissenschaftlicher Politikberatung zu sehen (so zum Beispiel die Tätigkeit der Kommission Schulrecht des DJT, die von 1978 bis 1980 einen Entwurf für ein Landesschulgesetz erarbeitete). 20 Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1871, 10 f.; Ders., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. I I , 1911, 181. 21 Vgl. bereits Robert von Mohl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, Bd. 1, 1. Aufl., 1832,182; Anschütz, Artikel „Gesetz", in: Stengel/Fleischmann, Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2. Aufl., 1913, 212 ff. (214). 22 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. I I , 1911,181; vgl. auch Rupp, JuS 1975,609 (610). 23 Ronellenfitsch, D Ö V 1981, 933 (934); Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, 13 ff.

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I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

welchem Regelungen keine Rechtsnormen und Anordnungen keine Rechtsakte sein konnten. 2 4 Der Einzugsbereich des so verstandenen Staatsinternums wurde sehr weit gefaßt. Schon das Allgemeine Preußische Landrecht stellte dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes das Verhältnis der Militär- und Zivilbediensteten gegenüber, die ihrem Monarchen besondere Treue und Gehorsam schuldig waren und damit einer verschärften Herrschaftsgewalt unterlagen. 25 Der Gesichtspunkt der verschärften Herrschaftsgewalt findet sich auch in der klassischen Definition Otto Mayers, der den Begriff des besonderen Gewaltverhältnisses prägte. Danach bezeichnet das besondere Gewaltverhältnis „die verschärfte Abhängigkeit, welche zugunsten eines bestimmten Zweckes öffentlicher Verwaltung begründet wird, für alle einzelnen, die in den vorgesehenen besonderen Zusammenhang treten". 26 Die besondere Abhängigkeit wurde sogar über den eigentlichen Schulbereich hinaus ausgedehnt. 27 In einem Urteil des Preußischen O V G vom 26.11.1887 erklärte das Gericht die Pflicht des Schülers, das Lehrpersonal auf der Straße zu grüßen, als Bestandteil der Schulzucht; bei Unterlassung des Grußes dürfe der Lehrer den Schüler strafen und, sofern keine rechtlichen Bestimmungen entgegenstehen, sogar an Ort und Stelle züchtigen. 28 Das besondere Gewaltverhältnis wurde in der Folgezeit auf die verschiedensten Beziehungen zwischen Bürger und Staat ausgedehnt. 29 So wenig überzeugend die offenbar für selbstverständlich gehaltene verschärfte Abhängigkeit innerhalb der besonderen Gewaltverhältnisse je rechtlich begründet wurde, 30 so konsequent schienen die aus der Konzeption des besonderen Gewaltverhältnisses gezogenen Schlußfolgerungen: Wo sich jemand in einen staatsinternen „rechtsfreien" Raum begibt, da kann er sich auf seine Grundrechte nicht berufen; wo Grundrechte 24

Vgl. Rupp, JuS 1975, 611 mit Fn. 15 unter Hinweis auf die sogenannte Impermeabilitäts-

lehre. 25

I I 10 § 2 A L R ; vgl. dazu Ronellenfitsch, D Ö V 1981, 933 (934). Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1., 3. Aufl., 1924, 101 f. 27 Abzulehnen ist die Auffassung von Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl., 1978, Art. 133 Rdn. 3, der noch heute der Ansicht ist, es bestehe eine „Achtungs- und Gehorsamspflicht gegenüber dem Lehrer (vgl. V G H BayVBl. 1969,142), die sich räumlich nicht streng auf das Schulgelände zu beschränken braucht (Oppermann bei von Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt I I 2 c)". Abgesehen davon, daß Oppermann diese Auffassung (a.a.O.) nicht vertritt, haben solche obrigkeitsstaatlichen Relikte heute keinerlei Existenzberechtigung mehr. Aus dem besonderen Rechts- und Pflichtenverhältnis (!) meint Meder ableiten zu können, auch außerhalb des Unterrichts seien „verfassungsfeindliche" oder „die Ehre des Lehrers verletzende Äußerungen" untersagt (a.a.O). Demgegenüber ist darauf zu verweisen, daß das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nur gemäß Art. 5 Abs. 2 G G eingeschränkt werden darf und der Rückgriff auf das besondere Rechts- und Pflichtenverhältnis die Grundrechtsbeschränkung ohne entsprechende gesetzliche Grundlage nicht legitimieren kann. 28 Entscheidung des preußischen O V G , Kurzausgabe, Gruppe V, Schul- und Kirchenrecht, Bd. 1, Schulrecht, 1956, 45 f. 29 Vgl. Ronellenfitsch, D Ö V 1981, 933 (934). 30 Rupp, JuS 1975,609 (612), meint, für die Ausgliederung beispielsweise des Schulverhältnisses als „besonderes Gewaltverhältnis" aus den Agenden des Rechtsstaates und seine Unterwerfung unter die angeblich rechtsfreie Exekutivgewalt habe es seit eh und je keine plausible rechtliche Begründung, sondern nur eine handfeste politische Erklärung gegeben. Vgl. auch Ronellenfitsch, D Ö V 1981,933 (934); Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V I Rdn. 63, weist darauf hin, daß die Abgrenzung dieser „künstlichen Innenverhältnisse" zum Außenverhältnis nicht nach objektiven Kriterien, sondern nur nach historischen Zufälligkeiten möglich war. 26

2.2 Rechtliche Bezugspunkte des „besonderen Gewaltverhältnis"

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nicht gelten, da können sie auch nicht verletzt werden; 31 wo es keine Rechtsakte gibt, da ist kein Rechtsschutz denkbar; wo der Staat innerhalb seines staatsinternen Bereichs agiert, da benötigt er für die einzelnen Maßnahmen keine gesetzliche Grundlage oder Ermächtigung, so daß der Vorbehalt des Gesetzes nicht gilt. Die Problematik der Grundlagen und Grenzen einer Delegationsbefugnis des Gesetzgebers stellte sich noch weniger als im allgemeinen Gewaltverhältnis. 32

2.2 Die rechtlichen Bezugspunkte der Rechtsfigur „besonderes Gewaltverhältnis" Die rechtlichen Aspekte, auf die sich das besondere Gewaltverhältnis bezieht, lassen sich danach stichwortartig wie folgt zusammenfassen: Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes), originäre Regelungskompetenz der Exekutive, Grundrechtsgeltung, Rechtsschutz.33 Die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses setzte sich somit aus vier rechtlichen Aspekten zusammen, die zwar eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig zumindest teilweise bedingen, deren Unterscheidung aber gleichwohl sinnvoll erscheint, um die verschiedenen Phasen der Entwicklung und Veränderung des besonderen Gewaltverhältnisses deutlich machen zu können. Die häufig anzutreffende pauschale Rede vom Wandel des besonderen Gewaltverhältnisses vom „rechtsfreien Raum" zum Rechtsverhältnis ist zu wenig differenziert, um die Feinheiten in der Entwicklung erfassen und deren rechtliche Konsequenzen adäquat beurteilen zu können. 34 Die vier verschiedenen Aspekte des besonderen Gewaltverhältnisses müssen daher jeweils für sich betrachtet werden. Ronellenfitsch faßt die verfassungsrechtliche Kategorie des besonderen Gewaltverhältnisses in seiner klassischen Form in vier Thesen zusammen: „ 1. Im besonderen Gewaltverhältnis gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht. 2. Im besonderen Gewaltverhältnis gelten insbesondere die Grundrechte nicht. 3. Anordnungen im besonderen Gewaltverhältnis ergehen in Form von verwaltungsinternen Verwaltungsvorschriften und Anweisungen. 4. Derartige Verwaltungsvorschriften und Anweisungen können gerichtlich nicht angegriffen werden." 35

31

Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (242). Vgl. dazu oben Kap. I I 2. 33 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V I Rdn. 63, Fn. 1, und Sturm, RdJB, 1974, 1 (3), nennen nur drei Merkmale und lassen den Aspekt der originären Regelungskompetenz der Exekutive weg; dieser besitzt jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, eigenständige Bedeutung. 34 Zu undifferenziert zum Beispiel Schenke, JuS 1982,906, der verkennt, daß das besondere Gewaltverhältnis nicht uno actu zu einem Rechtsverhältnis wurde. 35 Ronellenfitsch, D Ö V 1981,933 (935), der daraufhinweist, daß sich die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis in dieser Form im Schrifttum und in der Rechtsprechung allgemein durchsetzte; vgl. dazu auch bei zahlreichen Nachweisen bei Löhning (Fn. 2), 1974, 39 f., Fn. 323. 32

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I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

2.3 Die These vom besonderen Gewaltverhältiiis als rechtsfreiem Raum Diese Anschauungen waren Grundlage für die These, das besondere Gewaltverhältnis (und damit zugleich das Schulverhältnis) stelle einen rechtsfreien Raum dar. 3 6 Diese schon früher bestrittene Auffassung 37 bedarf jedoch einer gewissen Relativierung, da die von Ronellenfitsch wiedergegebenen Thesen nicht uneingeschränkt zutreffend, zumindest aber mißverständlich sind. Die Einwände beziehen sich auf den Punkt 1 (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung), und zwar unter zwei Gesichtspunkten. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, verfassungsrechtlich verankert in Art. 20 Abs. 3 G G , 3 8 umfaßt nach heute allgemeiner Auffassung zwei Grundsätze: den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes und den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes.39 Stern nennt diese beiden Aspekte die negative und positive Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. 40 Wenn es zuträfe, daß im besonderen Gewaltverhältnis nach Auffassung der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht gegolten hat, so wären folglich beide Elemente des Gesetzmäßigkeitsprinzips, das heißt neben dem Vorbehalt des Gesetzes auch der Vorrang des Gesetzes suspendiert gewesen.41

2.3.1 Der Vorbehalt des Gesetzes

Unter Bezugnahme auf die lange Tradition der Schulpflichtregelungen wird zum Teil die Auffassung vertreten, schon nach der herkömmlichen Vorbehaltslehre habe zumindest die zwangsweise Begründung eines besonderen Gewaltverhältnisses einer gesetzlichen Grundlage bedurft, 42 was auf die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes hindeutet. Es spricht jedoch einiges dafür, 36 Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961,206ff.; Löhning(Fn. 2), 1974,43; Sturm, RdJB 1974,1 (3); Rupp, JuS 1975,609 (611 mit Fn. 16); Ders., D Ö V 1976,90; Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff.; Groß, D Ö V 1971, 186 ff.; Franke, Grundrechte des Schülers und Schul Verhältnis, 1974,3 ff.; Erichsen, Besonderes Gewaltverhältnis und Sonderverordnung, 1973,219 ff.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 30; Schenke, JuS 1982, 906. 37 So schon Nawiasky, Forderungs- und Gewaltverhältnis, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, 1913, zitiert bei Thieme, D Ö V 1956, 522, Fn. 21; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 1958, Art. 19 Anm. I V Rdn. 25; Jesch (Fn. 36), 1961, 207 f. 38 BVerfGE 6, 32 (43); Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des BVerfG, Bd. I I , 1967, 21; Stein, Staatsrecht, 1980, § 5 I I I 1. (50). 39 So schon Otto Mayer (Fn. 26), 1924,65 ff.; vgl. auch Jesch (Fn. 36), 1961,1 ; Bachof (Fn. 38), 1967, 21; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, 273; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1984, 802 ff.; Stein (Fn. 38), 1980, 50. F. Müller, Der Vorbehalt des Gesetzes, 1977,17; a.A. Selmer, JuS 1968,489, der das Vorrangprinzip als mit dem in Art. 20 Abs. 3 G G niedergelegten Grundsatz der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" kongruent ansieht. 40 Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1980, 803 ff. 41 Es muß allerdings einschränkend darauf hingewiesen werden, daß die Terminologie ursprünglich nicht ganz einheitlich war. Teilweise wurde das Gesetzmäßigkeitsprinzip mit dem Vorbehalt des Gesetzes gleichgesetzt (vgl. Hansen, M 91 f.), so daß bei Zugrundelegung dieser Sichtweise tatsächlich der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht gegolten hat. Ohne einen Hinweis auf das jeweilige Verständnis des Gesetzmäßigkeitsprinzips ist die These 1 von Ronellenfitsch jedoch zumindest mißverständlich. 42

Löhning(Fn. 2), 1974,37.

2.3 Die These vom besonderen Gewaltverhältnis als rechtsfreiem Raum

79

daß diese Auffassung^zwar für die Weimarer Zeit, jedoch noch nicht für die Zeit der konstitutionellen Monarchie zutreffend war. 4 3

2.3.2 Der Vorrang des Gesetzes

Dagegen war der Vorrang des Gesetzes auch nach der klassischen Auffassung zu keiner Zeit suspendiert. Schon für die Zeit des deutschen Vormärz hat Böckenförde nachgewiesen, daß Verordnungen nur praeter, aber niemals contra legem ergehen konnten. 4 4 In gleichem Sinne entschied der V G H Stuttgart in einem Urteil vom 10.3.1909 einen Rechtsstreit; danach war ein Ausschluß von der Schule nach freiem Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörden nur insoweit zulässig, wie nicht gesetzliche Bestimmungen entgegenstanden.45 Auch im besonderen Gewaltverhältnis bestand also das Verbot, Verwaltungsmaßnahmen entgegen gesetzlichen Bestimmungen zu treffen. 46 Das Ausmaß der Gesetzesbindung im besonderen Gewaltverhältnis war daher weitgehend abhängig vom tatsächlichen Vorhandensein gesetzlicher Regelungen; mit anderen Worten: In welchem Umfang das Gesetzmäßigkeitsprinzip im besonderen Gewaltverhältnis (und damit auch im Schulverhältnis) zur Anwendung kam, hing von Vorhandensein, Umfang und Dichte der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen ab. Nun könnte man aus der Nichtgeltung des Vorbehalts des Gesetzes schließen, daß aus diesem Grund auch jegliche gesetzliche Regelungen fehlten und dadurch über die Suspendierung des Vorbehalts der Vorrang des Gesetzes wenn nicht rechtlich, so doch zumindest faktisch ebenfalls völlig ausgeschaltet war. Der Vorbehalt des Gesetzes umschreibt jedoch nur die notwendige, nicht aber die mögliche Tätigkeit der gesetzgebenden Gewalt. 47 Daraus leitet sich der zweite Einwand gegen die These vom rechtsfreien Raum ab: Die Suspendierung des Vorbehalts des Gesetzes führt nicht notwendig zum völligen Fehlen gesetzlicher (und sonstiger) Regelungen des Schulverhältnisses. Und in der Tat lassen sich gesetzliche Regelungen zu Teilen des Schulverhältnisses bis 43 Die bei Löhning (Fn. 2), 1974, angegebenen Quellen beziehen sich ausschließlich auf die Weimarer Republik; es finden sich weder bei Löhning noch in den zitierten Quellen weitere Hinweise darauf, daß diese Auffassung schon früher herrschend gewesen wäre. 44 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, 193, mit Hinweis auf den Artikel „Gesetz" von Welcker, in: Bd. 6 des Staatslexikons (Hrsg.: von Rotteck/Welcker) von 1838; vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V I Rdn. 35, wonach der Vorrang des Gesetzes „gewissermaßen zum Urgestein des konstitutionellen Gedankengutes" gehört; vgl. auch Hansen, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 91 f. 45 V G H Stuttgart, Entscheidung vom 10.3.1909, in: Jahrbuch der Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, 1910, 920 f. 46 Dieser Grundsatz galt für das allgemeine Gewaltverhältnis schon lange, bevor er in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Preußischen O V G durch den Grundsatz ergänzt wurde, daß nichts praeter legem geschehen dürfe (vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz, 1980, Anm. V I Rdn. 59; Hansen, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 9 \ f . ) . 47 Vgl. Fockenberg, BayVBl. 1978,166; Kisker, NJW 1977,1313(1317); Herzog, in: Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V I Rdn. 44, weist auf die Allzuständigkeit des Gesetzgebers hin.

80

I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

in das beginnende 18. Jahrhundert zurückverfolgen, obwohl diese nach herrschender Auffassung nicht geboten waren. So finden sich in Preußen bereits 1717 erste Regelungen zur allgemeinen Unterrichtspflicht. 48 Dem GeneralLandschulreglement vom 12.8.176349 folgte dann mit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht ( A L R ) von 1794, dem bedeutendsten Gesetzeswerk des aufgeklärten Absolutismus, die erste größere Regelung (auch) des Schulrechts, mit der die Schule zu einer Veranstaltung des Staates erklärt und die staatliche Schulaufsicht begründet wurde. 50 Die einschlägigen Schulbestimmungen des A L R enthielten unter anderem die Begründung der Schul- beziehungsweise Unterrichtspflicht 51 sowie Bestimmungen zur Schulzucht (Züchtigungsrechte der Schullehrer). 52 Im preußischen Kommunalabgabengesetz findet sich außerdem eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Schulgeld. 53 Daneben wurde in Preußen die Schulaufsicht durch Gesetz vom 11.3.1872 geregelt. 54 Für den Bereich der äußeren Schulangelegenheiten ist das Volksschulunterhaltungsgesetz von 1906 zu erwähnen. 55 Dagegen wurde der in Art. 26 der revidierten preußischen Verfassung von 1850 enthaltene Gesetzgebungsauftrag („Ein besonderes Gesetz regelt das ganze Unterrichtswesen") nicht realisiert. Trotz verschiedentlicher Bemühungen kam ein Unterrichtsgesetz nicht zustande. 56 Der de iure geltende Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes war zwar keineswegs bedeutungslos, jedoch de facto insoweit in seiner Wirkung eingeschränkt, als es nur einen begrenzten Bestand gesetzlicher Regelungen gab, die Vorrangwirkung entfalten konnten. Gemessen an den Gegenständen, die heute als Regelungsteile des Schulverhältnisses angesehen werden, 57 ist - abgesehen von den Schulpflichtbestimmungen - ein fast völliges Fehlen gesetzlicher Regelungen im Schulverhältnis festzustellen. Das Schulrecht insgesamt und das Schulverhältnis im besonderen wurde weitgehend beherrscht von den Regelungen der Exekutive in Form von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. 58 Trotz grundsätzlicher 48 Generaledikt betreffend die Schulpflicht vom 28.9.1717 (abgedruckt in: Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. I, 1968,91); vgl. dazu auch Leschinsky/Roeder, Schule im historischen Prozeß, 1976,45; nicht ganz zutreffend daher Schlicht, Vom Burschenschafter zum Sponti, 1980,13, der das Generaledikt übersieht und das Jahr 1763 (offenbar bezogen auf das General-Landschulreglement) nennt. 49 Abgedruckt in: Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. 1,1968,105 ff.; dazu Leschinsky/Roeder (Fn. 48), 1976, 45 ff. 50 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5.2.1794 (ALR) I I 12 § 1. 51 A L R I I 12 §§43-46. 52 A L R I I 12 §§ 50-53. 53 Vgl. Entscheidung des preußischen O V G vom 18.11.1902 (Fn. 28), 125. 54 Schulaufsichtsgesetz vom 11.3.1872 (abgedruckt in: Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. I, 1968, 183). 55 Volksschulunterhaltungsgesetz vom 28.7.1906 (abgedruckt in: Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. I, 1968, 184 ff.). 56 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I V , 1969,876 ff.; Krawietz, in: Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. I, 1968, 46 ff. (59). 57 Siehe oben unter 1. 58 Vgl. Fuß, V V D S t R L 23 (1966), 199 ff. (210 f.).

2.4 Die Weimarer Reichsverfassung und das Schulwesen

81

Geltung des Vorrangs des Gesetzes entfaltete dieser Verfassungsgrundsatz infolge des weitgehenden Fehlens gesetzlicher Regelungen in der Praxis keine große Bedeutung. 2.3.3 Die Grundrechte im besonderen Gewaltverhältnis

Die Wirksamkeit des Vorrangprinzips wurde darüber hinaus auch durch die Nichtgeltung der Grundrechte im besonderen Gewaltverhältnis weiter reduziert. Soweit den Grundrechten generell überhaupt unmittelbare Verbindlichkeit zugesprochen wurde, war die Vorrangwirkung der Verfassung jedenfalls im besonderen Gewaltverhältnis insoweit ausgeschaltet.59

2.3.4 Fazit

Zusammenfassend läßt sich zum Stand des Schulrechts und zur Auffassung des Schulverhältnisses als besonderes Gewaltverhältnis für die Zeit der konstitutionellen Monarchie in Deutschland sagen: Die gesetzlichen Regelungen des Schulrechts bezogen sich im wesentlichen auf die sogenannten äußeren Schulangelegenheiten. Trotz der Nichtgeltung des Vorbehalts des Gesetzes in dem als besonderes Gewaltverhältnis angesehenen Schulverhältnis finden sich vereinzelte diesbezügliche Regelungen, insbesondere gesetzliche Schulpflichtregelungen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung war - entgegen einer verbreiteten Auffassung - nicht völlig suspendiert, da zumindest die Geltung des Gesetzesvorrangs im besonderen Gewaltverhältnis anerkannt war. Die allgemein vertretene These, das besondere Gewaltverhältnis (und damit auch das Schulverhältnis) sei in seiner herkömmlichen Form ein vollständig rechtsfreier Raum gewesen, ist somit abzulehnen. Diese These begründete sich vor allem auf die zur Zeit der konstitutionellen Monarchie vorherrschende Auffassung, die Regelungen der Exekutive im besonderen Gewaltverhältnis (VerwaltungsVorschriften) seien Nicht-Recht, so daß das besondere Gewaltverhältnis insofern als rechtsfrei im Sinne von rechtssatzfrei anzusehen sei. Schon E. Kaufmann und R. Thoma vertraten die Auffassung, im rechtstheoretischen Sinne seien auch Verwaltungsvorschriften „zweifellos Rechtsnormen". 60

2.4 Die Weimarer Reichsverfassung und das Schulwesen Unter der Geltung der Weimarer Reichs Verfassung vom 11.8.1919 änderte sich trotz einer in manchen Punkten veränderten Verfassungslage und unge59

Vgl. dazu Riegel (Fn. 17), 1975, 126 ff. Kaufmann, Artikel „Verwaltung, Verwaltungsrecht", in: von Stengel/Fleischmann, Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, 1914, Bd. I I I , 688 ff. (696 rechte Spalte); Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes im preußischen Verfassungsrecht, in: Festgabe für Otto Mayer, 1916, 167 ff. (176); Ders., Die Funktionen der Staatsgewalt. Grundbegriffe und Grundsätze, in: HDStR II, 1932, 108 ff. (124 f.). 60

82

I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

achtet gelegentlicher kritischer Auseinandersetzungen mit Einzelproblemen, die aus der klassischen Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis resultierten, 61 nur wenig an den herrschenden Auffassungen zum Schulrecht, und auch Umfang und Reichweite der schulgesetzlichen Regelungen bleiben im wesentlichen unverändert. 62

2.4.1 Die Weimarer Schulartikel und der Umfang gesetzlicher Normierung des Schulwesens

Betrachtet man allein die im vierten Abschnitt der Weimarer Verfassung unter der Überschrift „Bildung und Schule" enthaltenen sogenannten Schulartikel (Art. 142 bis 149 WRV), so hätte man aus mehreren Gründen eine umfangreiche gesetzliche Kodifikation des Schulrechts erwarten können. Erstmals wurde dem Reich die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung für das Schulwesen einschließlich des Hochschulwesens und des wissenschaftlichen Büchereiwesens eingeräumt (Art 10 Ziff. 2 WRV). Das Reich machte jedoch von der neuen Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Schulwesens kaum Gebrauch. Aufgrund des Art. 10 Ziff. 2 W R V ergingen insgesamt nur drei Reichsgesetze, die sich fast ausschließlich auf Grundschulen und Vorschulen bezogen. 63 Eine Reihe weiterer gesetzgeberischer Versuche, die die Berufsschule, die Privatschule und die Höhere Schule zum Gegenstand hatten, führten zu keinem Ergebnis. 64 Nicht einmal in den Fällen, in denen die W R V selbst ein Reichsgesetz vorschrieb (Art. 143 Abs. 2 W R V für die Lehrerbildung, Art. 146 Abs. 2 W R V für die Volksschulen), kamen diese Gesetze zustande, obwohl es an gesetzgeberischen Initiativen nicht fehlte. 65 Ebenso wie das durch Art. 143 Abs. 2 W R V geforderte Lehrerbildungsgesetz, zu dem ein bereits ausgearbeiteter Referentenentwurf von der Reichsregierung nicht eingebracht wurde, konnte auch der in Art. 146 Abs. 2 W R V enthaltene Gesetzgebungsauftrag zum Erlaß eines Reichsvolksschulgesetzes trotz sorgfältiger Vorbereitungen nicht eingelöst werden. Dieselben weltanschaulichen Gegensätze, die schon bei der Verabschiedung der Verfassung bestanden hatten und durch die Verfassungsartikel nur notdürftig überbrückt worden waren (wie Religionsunterricht, weltanschauliche Grundsätze, Bekenntnisschule oder rein weltliche Schule), verhinderten auch den Erlaß eines Reichs-

61

Vgl. etwa Jellinek, V V D S t R L 2 (1925), 8 ff. (59 ff.). Allgemein dazu Fuß, V V D S t R L 23 (1966), 199 ff. (211 ff.). Zur Entwicklung des Schulwesens unter der Weimarer Verfassung vgl. auch Kurtz, Zur Geschichte der Schulaufsicht im deutschsprachigen Raum, 1982, 273 ff. 63 Reichsgesetz betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen vom 28.4.1920 (RGBl. I, 851); Reichsgesetz betreffend den Lehrgang der Grundschule vom 18.4.1925 (RGBl. I, 49); Reichsgesetz zur Änderung des Reichsgesetzes betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen vom 26.2.1927 (RGBl. I, 67). Diese Gesetze sind abgedruckt bei Führ, Zur Schulpolitik der Weimarer Republik, 1970, 161 ff. 62

64 Landé , Die staatsrechtlichen Grundlagen des deutschen Unterrichtswesens, in: HDStR I I , 1932,694; Führ (Fn. 63), 1970,81 ff.(zum Reichsberufsschulgesetz); Krawietz(Fn. 56), 1968,62. 65 Landé (Fn. 64); Führ (Fn. 63), 1970, 64 ff.

2.4 Die Weimarer Reichsverfassung und das Schulwesen

83

gesetzes.66 Art. 174 Satz 1 WRV, nach dem es bis zum Erlaß des in Art. 146 Abs. 2 W R V vorgesehenen Reichsgesetzes bei der bestehenden Rechtslage verbleiben sollte, wirkte sich zugleich als konstitutionelle Bremse für die Landesgesetzgebung aus, denn die Länder waren nicht befugt, ihre bisherige Gesetzgebung über Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen vor Erlaß der reichsrechtlichen Grundsätze abzuändern. 67 Das Scheitern aller Versuche, zu einer Reichsschulgesetzgebung zu gelangen, hatte zur Folge, daß von weiteren Initiativen resignativ Abstand genommen wurde. 68 Während die Art. 143 Abs. 2, 146 Abs. 2 und 174 W R V lediglich Bestimmungen für künftige Reichsgesetze aufstellten, entfalteten die übrigen Schulartikel der WRV im Laufe der Zeit die Bedeutung einer ersten reichsrechtlichen Kodifikation des Schulrechts. 69 Die Bestimmungen betrafen unter anderem auch Teile des Schulverhältnisses, insbesondere die Schulpflicht (Art. 145 WRV) und Grundsätze für die Aufnahme in die Schule (Art. 146 Abs. 1 Satz 3 WRV), aber auch die Mitwirkung der Erziehungsberechtigten bei der Errichtung von Bekenntnis- oder Weltanschauungsschulen sowie soziale Hilfsmaßnahmen wie Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lernmittel (Art. 145 Satz 3 WRV) und die Gewährung von Erziehungsbeihilfen (Art. 146 Abs. 3 WRV). Bemerkenswert sind darüber hinaus vor allem die in Art. 148 W R V normierten Bildungs- und Erziehungsziele der Schule sowie die Erwähnung einiger Unterrichtsfächer und grundlegender Prinzipien (wie zum Beispiel das Toleranzprinzip). 70 Die Bedeutung der Schulartikel der WRV relativierte sich jedoch dadurch, daß sie nur für Teilgebiete des Schulrechts (und des Schulverhältnisses) galten, sehr allgemein formuliert waren, lediglich Grundzüge des Schulrechts regelten und ihnen zum Teil nur programmatischer Charakter zugesprochen wurde. 71 Eine umfassende systematische Grundlegung aller wichtigen schulrechtlichen Fragen enthielten die Schulrechtsartikel jedoch ebenso wenig wie die wenigen aufgrund der W R V zustandegekommenen Reichsgesetze zum Schulwesen. Im Grunde war das Scheitern aller Kodifikationsversuche bereits in der WRV selbst angelegt. Denn die W R V selbst enthielt kaum mehr als Kompromißformeln; die Verweisung auf die einfache Gesetzgebung entsprang nicht selten der Tatsache, daß die W R V im schulrechtlichen Bereich über „dilatorische Formelkompromisse" nicht hinausgekommen war. Viele

66

Krawietz (Fn. 56). Krawietz (Fn. 56), 1968, 63. 68 Vgl. dazu und zu den vielfaltigen Ursachen des Scheiterns aller Initiativen Landé (Fn. 64), 1932, 694 f. 69 Landé (Fn. 64), 1932, 695. 70 Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979, 24, Fn. 24, der die in Art. 148 W R V festgelegten Leitlinien für die innere Gestaltung der Schule unter Hinweis auf Landé als „wahllos und fast zusammenhanglos" bezeichnet. 67

71 Krawietz (Fn. 56), 1968, 63; bloß programmatischen Charakter besitzen danach die Art. 143 Abs. 1 Satz 2, 145 Satz 3 und 146 Abs. 1 W R V ; vgl. auch Hössel, Schulrecht und Schulverwaltung, 1981, 17 f.

84

I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

wichtige Probleme wurden von der Verfassung nicht gelöst, sondern dem einfachen Gesetzgeber zugeschoben, der sich aber ebenso wenig in der Lage sah, die vom Verfassungsgeber gelassenen Lücken zu schließen. Seiner ihm von der Verfassung zugewiesene Aufgabe, die politisch kontroversen, insbesondere weltanschaulichen Fragen zu lösen, vermochte der Gesetzgeber nicht gerecht zu werden. Auch die herrschende Auffassung in der Weimarer Staatsrechtslehre trug dazu bei, daß es nicht zu einer umfassenden Kodifikation des Schulrechts kam. Soweit in den Schulartikeln der W R V von Landesgesetz oder Landesgesetzgebung die Rede war, lag nach herrschender Meinung der Akzent nicht auf „Gesetz", sondern auf Landes- im Gegensatz zu Reichsgesetz(gebung).72 Spezielle Gesetzesvorbehalte wurden daher in den Schulartikeln der WRV nicht gesehen. 2.4.2 Der Vorbehalt des Gesetzes

Die Geltung des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes wurde für das Schulund Unterrichtswesen von der herrschenden Lehre nur für denjenigen Teilbereich des Schulverhältnisses angenommen, der ohnehin auf eine lange Regelungstradition zurückblicken konnte: die Schul- und Unterrichtspflicht. 73 Die Verfassungsrechtslehre folgte hier offensichtlich der Verfassungspraxis, nicht umgekehrt. Die von Landé ohne nähere Begründung vorgetragene Auffassung, Normen, die den Einzelnen verpflichten, überhaupt ein Unterrichtsinstitut zu besuchen oder auch nur Unterricht zu nehmen, bedürften eines formellen Gesetzes,74 wirkt ebenso wie eine nachträgliche juristische Rationalisierung eines allein historisch zu erklärenden Faktums wie die von Löhning vertretene Ansicht, nach traditioneller Lehre habe die zwangsweise Begründung eines besonderen Gewaltverhältnisses einer gesetzlichen Grundlage bedurft. 7 5 Die frühe Normierung der Schul- und Unterrichtspflicht - in Preußen ab 171776 - entsprang unter dem Einfluß von Reformation und Aufklärung dem Interesse des Staates an einer elementaren Schulbildung aller Bürger. 77 Es 72 Landé (Fn. 64), 1932,700, Fn. 45; Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, in: HDStR I I , 1932, 221 (226). 73 Landé (Fn. 64), 1932, 700; Wenninger (Fn. 17), 1982, 53; vgl. dazu oben Kap. I I I 2. 74 Landé (Fn. 64), 1932, 700. 75 Löhning (Fn. 2), 1974, 37. 76 Vgl. dazu oben unter 2. 77 Aus dem Generaledikt betreffend die Schulpflicht vom 28.9.1717 geht ebenso wie aus dem General-Landschulreglement vom 12.8.1763 das Bestreben hervor, durch ausnahmsweisen Erlaß des Schulgeldes auch den Kindern minderbemittelter Eltern den Schulbesuch zu ermöglichen; § 8 des General-Landschulreglements bestimmt: „Wenn aber einige Eltern notorisch so arm waeren, daß sie fuer ihre Kinder das erforderliche und gesetzte Schul-Geld nicht bezahlen koennen,... so muessen sie sich deshalb bey den Beamten, Patronen, Predigern und Kirchen-Vorstehern, in so fern dieselbe ueber die Kirchen-Mittel zu disponiren haben, melden: Da denn, wenn kein anderer Weg vorhanden, entweder aus dem Klinge Beutel oder aus einer Armen- oder Dorf-Casse die Zahlung geschehen soll, damit den Schulmeistern an ihrem Unterhalt nichts abgehe, folglich dieselbe auch beydes armer und reicher Leute Kind mit gleichem Fleiß und Treue unterrichten moegen."

2.4 Die Weimarer Reichsverfassung und das Schulwesen

85

darf vermutet werden, daß auch die gesetzlichen Schulpflichtregelungen in der Weimarer Zeit 7 8 ihre Existenz weniger der verfassungsrechtlichen Auffassung zu verdanken hatten, insoweit gelte ein Vorbehalt des formellen Gesetzes, zumal auch die Schulpflichtbestimmungen keineswegs durchweg durch förmliches Gesetz, sondern zum Teil auch durch Verordnungen getroffen wurden. 79 In den Ländern, die trotz der Kompetenz des Reichs zur Rahmengesetzgebung im Schulwesen sowohl rechtlich (vgl. Art. 12 WRV) wie auch faktisch weitgehend die Kulturhoheit und damit zugleich die Regelungskompetenz für das Schulwesen behielten, war die Regelungssituation ähnlich wie im Reich. In Preußen, das hier wiederum exemplarisch genannt werden soll, wurde nach 1918/19 eine allgemeine gesetzliche Regelung des Schulwesens nicht mehr in Angriff genommen. Abgesehen von mehrfachen Novellierungen des Lehrerbesoldungsrechts wurden im übrigen nur einzelne weitere Gebiete in Sondergesetzen normiert. 8 0 Noch im Jahre 1932, also bereits gegen Ende der Weimarer Republik, stellte Landé zusammenfassend fest: „Das deutsche Unterrichtswesen ist in der Mehrzahl der Länder in großem, auf anderen Gebieten nicht mehr üblichem Umfang durch Verordnung geregelt. Erst neuerdings werden weitere Gebiete durch gesetzliche Regelung erfaßt. Dabei überwiegen die Einzelgesetze und nur seltener hat man unternommen, das Unterrichtswesen kodifikatorisch in einem Unterrichtsgesetz oder in einer Serie von Gesetzen zu normieren." 81 In der Weimarer Zeit kamen die Gesetzgeber im Reich und in den Ländern kaum darüber hinaus, in ersten Ansätzen die „Insel des Absolutismus" abzubauen. 82 Die Rechtsetzungskompetenzen der Exekutive blieben weitgehend ungebrochen. Weiterhin blieb das Schulwesen „Hausgut der Verwaltung" und wurde von der Exekutive zugleich normiert und verwaltet. Abgesehen von den wenigen gesetzlichen Regelungen und den verfassungsrechtlichen Leitlinien der Schulartikel der WRV bestimmten Rechtsund VerwaltungsVerordnungen der Exekutivorgane innerhalb der Teilstaaten, Kabinettsinstruktionen, Ministerialerlasse und Anordnungen im Rahmen der Schulaufsicht und der jeweiligen Anstaltsgewalt die rechtliche Situation der Schule. 83 Hinsichtlich des Vorbehalts des Gesetzes und der Rechtsetzungskompetenzen der Exekutive blieb die Grundstruktur des Schulverhältnisses als besonderes Gewaltverhältnis nahezu unverändert.

78 Zum Beispiel preußisches Gesetz über die Volksschulpflicht vom 15.12.1927 (GS 207); preußisches Gesetz über die Berufsschulpflicht vom 31.7.1923 (GS 367). Thüringen: SchulpflichtG vom 12.6.1925 (ABl. 165); Mecklenburg-Schwerin: SchulpflichtG vom 30.1.1930 (RegBl. 17). 79 So zum Beispiel in Bayern; vgl. zum Regelungsstand der Weimarer Zeit ausführlich Landé (Fn. 64), 1932, 698, Fn. 43. 80 Neben den Schulpflichtregelungen zum Beispiel das Schulgeld (1930); vgl. dazu (mit Nachweisen im einzelnen) Landé (Fn. 64), 1932, 698 mit Fn. 43. 81 Landé (Fn. 64), 1932, 690 ff.; vgl. auch V G H Stuttgart (Fn. 45): „Im Unterschied zu der Volksschule sind für die höheren Lehranstalten in Württemberg gesetzliche Vorschriften nicht erteilt." 82 83

Vgl. Evers, VVDStRL 23 (1966), 147 ff. (154); Ders., JuS 1977, 804 (806). Vgl. Hössel(Fn. 71), 1981,18.

86

I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schul Verhältnis 2.4.3 Die Geltung der Grundrechte

Ähnliches gilt für einen anderen Aspekt des besonderen Gewaltverhältnisses, die Geltung der Grundrechte. Auch in der Weimarer Zeit hielt sich die Auffassung, daß die Grundrechte auf die besonderen Gewaltverhältnisse nicht bezogen seien, wenngleich niemand mehr daran vorbei konnte, daß die WRV zum Beispiel den Beamten und Soldaten bestimmte Grundrechte eindeutig zuerkannte. 84 Obwohl Art. 130 Abs. 2 WRV den Beamten ausdrücklich die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistete, vertrat Anschütz in dem maßgeblichen Kommentar zur W R V die Auffassung, die Freiheitsrechte der Beamten seien „nach wie vor durch jene Pflichten (besonderes Gewaltverhältnis) eingeschränkt und nicht umgekehrt". 8 5 Art. 133 Abs. 2 Satz 2 WRV, wonach das Reichswehrgesetz bestimmen sollten, inwieweit für Angehörige der Wehrmacht zur Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Erhaltung der Manneszucht einzelne Grundrechte einzuschränken sind, wurde kurzerhand ignoriert. 86

2.4.4 Die Justitiabilität

von Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis

Allein hinsichtlich der Justitiabilität von Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis war schon in der Weimarer Zeit ein erstes Aufbrechen des besonderen Gewaltverhältnisses festzustellen. 87 Infolge der Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel in Hamburg und Bremen kam es zu ersten Anfängen einer gerichtlichen Überprüfung von Maßnahmen im Schulverhältnis. So begrüßte es etwa Jellinek, daß nunmehr die Aufnahme von Schülern in die Sexta gerichtlich angegriffen werden konnte und nicht mehr in ohnmächtiger Wut hingenommen werden müsse.88 2.4.5 Fazit

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich in der Weimarer Zeit infolge einiger weniger verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Regelungen sowie durch die partielle Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel die Grenze zwischen allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis schrittweise weiter in den Bereich der besonderen Gewaltverhältnisse hinein verschob. 89 Das Schulverhältnis war weder völlig gesetzesfrei noch völlig rechts84

Vgl. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1931, 122 f., 206, 341, 484, 488, 493. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, Art. 130 Anm. 1 (603); ebenso Thoma, Grundbegriffe und Grundsätze, in: HDStR I I , 1932,223; Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: HDStR I I , 1932, 255 ff. 86 Vgl. Ronellenfitsch, D Ö V 1981, 933 (935). 87 Vgl. dazu Riegel (Fn. 17), 1975, 188 ff. 88 Jellinek, V V D S t R L 2 (1925), 8 ff. (59 ff.). Gleichwohl ist festzustellen, daß der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis in der Praxis weitgehend ignoriert wurde. Vgl. dazu auch Ule, VerwArch 76 (1985), 1 ff., 129 ff. (130). 89 Ronellenfitsch, D Ö V 1981, 933 (935). 85

2.5 Der Nationalsozialismus und das Schulwesen

87

schutzfrei, obwohl insoweit nach wie vor ein enormer Nachholbedarf gegenüber dem sogenannten allgemeinen Gewaltverhältnis festzustellen blieb. Im großen und ganzen blieb das Schulwesen weiterhin eine Domäne der Exekutive. Nach wie vor war für das Schulverhältnis weithin eine originäre Regelungskompetenz der Exekutive anerkannt, so daß sich insoweit die Frage nach der Zulässigkeit einer Rechtsetzungsdelegation von der Legislative auf die Exekutive gar nicht stellen konnte. Soweit gesetzliche Regelungen vorhanden waren beziehungsweise die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes angenommen wurde, waren Grenzen der Delegationsbefugnis des Schulgesetzgebers für die Staatsrechtslehre kein Thema, zumal die partielle Anwendung des Vorbehalts des Gesetzes auf den Schulpflichtbereich ohnehin weniger aus verfassungsrechtlichen Auffassungen als vielmehr aus der langen Regelungstradition dieses Teilbereichs des Schulrechts resultierte.

2.5 Der Nationalsozialismus und das Schulwesen In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland blieb die nahezu völlige Aufhebung der Gewaltenteilung auch auf das Schulrecht nicht ohne Einfluß. Die einzige bedeutende gesetzliche Regelung erfolgte durch das Reichsschulpflichtgesetz vom 6.7.1938, 90 durch das die allgemeine Schulpflicht reichseinheitlich geregelt und die Schulpflicht auf die vierjährige Volksschuloberstufe und die zwei- bis dreijährige Berufsschule ausgedehnt wurde. Zugleich wurde eine wichtige Voraussetzung für die reichsrechtliche Neuordnung anderer Probleme (der Schulorganisation, Verteilung der Schullasten und schulfachlichen Tätigkeit) verwirklicht. 91 Das Reichsschulpflichtgesetz wurde in der Folgezeit im Verordnungswege in der sogenannten Ostmark, in den eingegliederten Ostgebieten und im sogenannten Reichsgau Sudetenland eingeführt. 92 In seinen nicht vom Nationalsozialismus geprägten Teilen galt das Reichsschulpflichtgesetz auch unter dem Grundgesetz und den Landesverfassungen bis zum Erlaß entsprechender landesgesetzlicher Regelungen zunächst weiter. 93 Die Zentralisierung der bildungspolitischen Kompetenzen durch die am 1. Mai 1934 erfolgte Gründung eines Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung führte durch eine Serie von ministeriellen Erlassen zu einer Verankerung der nationalsozialistischen Ideologie auch im Schulbereich. 94 Die übrigen im Erlaßwege verfügten Änderungen des Schul-

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RGBl. I, 799. Vgl. dazu im einzelnen Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, 1963,50 ff.; vgl. auch Krawietz (Fn. 56), 1968, 65. Zur Entwicklung des Erziehungswesens in der Zeit des Nationalsozialismus vgl. auch Kurtz (Fn. 62), 1982, 281 ff. 92 Verordnung vom 25.7.1939 (RGBl. I, 1337); Verordnung vom 28.5.1940 (RGBl. I, 836); Verordnung vom 26.6.1940 (RGBl. I, 955). 93 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, 231. 94 Noch im Jahr der Machtergreifung wurde am 18.12.1933 als Ziel der nationalsozialistischen Erziehungspolitik „die Erziehung der Jugend zum Dienst am Volkstum und Staat im nationalso91

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III. Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

rechts bezogen sich vor allem auf den Schulaufbau und brachten neue Bestimmungen für die Grundschule, 95 eine Neuordnung der Höheren Schule 96 sowie der Mittel- und Volksschule, 97 durch die sämtliche weiterführenden Formen (Mittel- beziehungsweise Oberstufe) vereinheitlicht wurden und mit Ausnahme der vier- bis sechsjährigen Aufbau-, Mittel- und Oberschule auf der vierjährigen Volksschule aufbauten. 98 A n den verfassungsrechtlichen Anschauungen zu den Elementen des besonderen Gewaltverhältnisses änderte sich praktisch nichts. Da die Grundsätze des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung dem Führerprinzip weichen mußten, traten rechtsdogmatische Überlegungen hinter machtpolitischen Intentionen immer mehr zurück. Die Einschätzung, daß der Erziehung eine ganz zentrale Bedeutung für die Umerziehung der Jugend im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zukomme, hatte Hitler schon in seinem Buch „Mein K a m p f hervorgehoben. 99 Die Schulartikel der WRV bildeten dabei kein unüberwindbares Hindernis; soweit sie als „unbrauchbar" angesehen wurden, hielt man es nicht einmal für erforderlich, sie formell außer Kraft zu setzen, da es - wie Reichsinnenminister Frick erklärte - lediglich notwendig sei, „im Einzelfall das Nötige zu veranlassen". 100 Angesichts der weitgehenden Ignorierung rechtlicher Bestimmungen sowie der Gleichschaltung der Gewalten waren die das besondere Gewaltverhältnis betreffenden Probleme durch die politische Entwicklung überholt und praktisch obsolet geworden.

2.6 Das Schulwesen unter der Geltung von Grundgesetz und Landesverfassungen 2.6.1 Die verfassungsrechtlichen

Bestimmungen

Mit Erlaß des Grundgesetzes und der Landesverfassungen kann man im Vergleich zur Weimarer Zeit und insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus von einer (Re-)Föderalisierung des Schulrechts bereits auf der Ebene des Verfassungsrechts sprechen. I m Grundgesetz wurde die einheitliche bundesverfassungsrechtliche Kodifizierung des Schulrechts gegenüber der Weimarer Reichsverfassung auf ein Minimum zurückgeschraubt. Neben der wörtlichen Übernahme des Art. 144 Satz 1 erster Satzteil der W R V in Art. 7 Abs. 1 G G („Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates") finden sich zialistischen Geist" erklärt. Es folgten die „Leitgedanken zur Schulordnung" vom 18.12.1934 sowie der Erlaß vom 27.3.1935 über die „Schülerauslese an den höheren Schulen", der die herkömmliche Kriterienskala umkehrte und die körperliche und charakterliche Tüchtigkeit der geistigen Befähigung voranstellte; vgl. hierzu und zur Schulpolitik des „Dritten Reiches" Froese und Krawietz, in: Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. 1,1968,41 ff. und 64 f., sowie grundlegend Eilers (Fn. 91), 50 ff. 95 Bestimmungen für die Grundschule vom 10.4.1937. 96 Neuordnung der Höheren Schule vom 29.1.1938. 97 Neuordnung der Mittel- und Volksschule vom 15.12.1939. 98 Vgl. hierzu im einzelnen Froese (Fn. 91), 43; mit Erlaß vom 9.3.1942 wurde schließlich die österreichische Form der vierjährigen Hauptschule anstelle der Mittelschule rezipiert. 99 Vgl. Kurtz (Fn. 62), 1982, 281 f. 100 Vgl. Krawietz (Fn. 56), 1968, 64.

2.6 Das Schulwesen unter der Geltung von G G und Landesverfassungen

89

im Grundgesetz lediglich Bestimmungen zum Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 2 und 3 GG), zum Privatschulrecht (Art. 7 Satz 4 und 5 GG) und zur Aufhebung von Vorschulen (Art. 7 Abs. 6 G G ) . 1 0 1 Von den Regelungen der Weimarer Reichsverfassung wurden insbesondere die Bestimmungen über die Schulpflicht (Art. 145 WRV), den Schulaufbau (Art. 146 WRV) sowie die in Art. 148 W R V enthaltenen Leitlinien für die innere Gestaltung der Schule (Ziele, Inhalte, Lehrfächer und allgemeine Grundsätze) weggelassen. Allein der Wegfall der verfassungsrechtlichen Schulpflichtbestimmungen führte nicht sogleich zu einer Föderalisierung, da mit dem zunächst weitergeltenden Reichsschulpflichtgesetz vorerst eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung der Schulpflicht vorhanden war. Dies war zugleich der Grund, weshalb eine bundesverfassungsrechtliche Normierung der Schulpflicht entbehrlich erschien. Eine zentrale Bedeutung für die Gestaltung des Schulwesens entfaltete Art. 7 Abs. 1 GG, der zwar dem Wortlaut nach lediglich die verfassungsrechtliche Legitimation für die institutionellen Aufgaben der staatlichen Schulaufsicht darstellt, in der Folgezeit jedoch von der Rechtsprechung im Wege einer extensiven Auslegung als Sammelbegriff für alle Rechte, Aufgaben und Tätigkeiten des Staates in bezug auf die Schulen erheblich ausgeweitet wurde. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und BVerwG umfaßt der Begriff der Schulaufsicht „die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens". 102 Die aus der Schulaufsicht folgenden Kompetenzen des Staates schließen die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge, Unterrichtsziele und des Unterrichtsstoffes ein. Wenn auch die historische Zielsetzung der Staatlichkeit der Schulaufsicht, nämlich die Loslösung der Schule von der geistlichen Schulaufsicht, heute entfallen ist, so kommt Art. 7 Abs. 1 G G gleichwohl eine wichtige Legitimationsfunktion für das staatliche Tätigwerden in Abgrenzung zu anderen Trägern von Erziehung zu. So steht Art. 7 Abs. 1 G G in einem Spannungsverhältnis zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG), zu den Rechten der Privatschulen (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG), vor allem aber zum elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) - eine Abgrenzung, zu der das BVerfG in mehreren Entscheidungen grundlegende Weichenstellungen getroffen hat. 1 0 3 Die Verfassungen der Länder enthalten in unterschiedlichem Umfang Bestimmungen zum Schulwesen. Während einige Landesverfassungen eher den Charakter von Organisationsstatuten tragen und keine Regelungen über das Schulwesen enthalten, 104 haben die übrigen Landesverfassungen je nach schulrechtlicher Tradition und bildungspolitischen Präferenzen in überwiegend allgemeiner Form, teilweise aber auch sehr ins Detail gehende Bestim101 Die Bestimmung des Art. 7 Abs. 6 G G entspricht der bereits in Art. 145,147 Abs. 3 W R V und im Reichsgrundschulgesetz von 1920 getroffenen Aufhebung der (privaten) Vorschulen (siehe oben Fn. 61). 102 BVerfGE 26,228 (238 f.); 34,165 (182); 47,46 (80); BVerwGE 6,101 (104), 18,39 (st. Rspr.). 103 BVerfGE 24, 119(138, 143 f.); 34, 165; 41, 29; 41, 65; 41, 88; 47, 46 (69 f.); 52, 223. 104 So die Verfassungen der Länder Berlin, Hamburg und Niedersachsen.

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I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

mungen über verschiedene Bereiche des Schulwesens getroffen. Zum Teil stehen diese landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen deutlich in der Tradition der Art. 143 bis 149 WRV. Wie schon die Weimarer Reichsverfassung enthalten auch die Verfassungen der Bundesländer durchweg keine umfassende oder systematische Grundlegung des Schulrechts. Nach Regelungstechnik, verbaler Gestaltung und inhaltlicher Aussage im einzelnen weichen die Verfassungen erheblich voneinander ab; die meist in besonderem Maße interpretationsbedürftigen Formulierungen vermitteln insgesamt einen kaleidoskopischen Eindruck. 1 0 5 Die vorhandenen Bestimmungen betreffen überwiegend Fragen der Schulorganisation und Schulverwaltung, den Schulaufbau, die Schulpflicht, Bildungs- und Erziehungsziele, Unterrichtsfächer und Unterrichtsprinzipien (zum Beispiel Toleranzgedanke), das Schul V e r h ä l t n i s , die Mitwirkung von Schülern, Lehrern und Eltern in der Schule, die Lernmittelfreiheit, das Privatschulrecht sowie weitere Einzelfragen des Schulwesens. 106 Wegen des zumeist hohen Abstraktionsgrads der landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie im Hinblick auf die verschiedentlich erteilten Gesetzgebungsaufträge entfalten die Landesverfassungen selbst nur begrenzten Einfluß auf das schulische Geschehen. 107 Der von den Landesverfassungen für die Gestaltung des Schulwesens formulierte relativ offene Rahmen verdichtet sich nur gelegentlich zu konkreten, unmittelbar verbindlichen oder den Landesgesetzgeber effektiv bindenden Vorgaben.

2.6.2 Die Landesgesetzgebung zum Schulrecht bis zum Beginn der siebziger Jahre

Was die einfache Landesschulgesetzgebung bis zum Beginn der siebziger Jahre angeht, so fällt auch insoweit - ähnlich wie bei den Landesverfassungen der Befund sowohl nach Ländern wie auch nach Regelungsgegenständen unterschiedlich aus. 108 Für die Entwicklung des Schulrechts in der Bundesrepublik bis zum Beginn der siebziger Jahre kann man von zwei Wellen, 109 oder besser: Phasen, der Schulgesetzgebung sprechen. 110 In der ersten Phase Ende der vierziger bis Mitte der fünfziger Jahre trafen die Länder grundlegende, aber keineswegs umfassende oder erschöpfende Bestimmungen zum

105

Vgl. Evers (Fn. 70), 1979, 35. Zu den landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen vgl. DJT-SchulGE, 1981, wo zu den einzelnen Teilen des Schulgesetzentwurfs in der Begründung (jeweils unter 1.1) die verfassungsrechtlichen Bestimmungen im Überblick dargestellt werden (siehe 136 ff., 163, 175, 181 f., 220, 230 f., 255, 297 f., 320, 359 ff., 372, 387 f.; zu den Erziehungszielen in den LVen vgl. auch Evers (Fn. 70), 1979, 34 ff. 107 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, 26. 108 Vgl. Löhning (Fn. 2), 1974, 36 ff.; DJT-SchulGE 1981, 30 ff. 109 So Richter, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 34. 110 Das Wort „Welle" ruft, insbesondere auf dem Hintergrund der aktuellen Verrechtlichungsdiskussion, Assoziationen wie Gesetzesflut, Normenschwemme usw. hervor, die den bescheidenen Umfang der gesetzlichen Regelungsaktivitäten in der frühen Nachkriegszeit erheblich überzeichnen würden. 106

2.6 Das Schulwesen unter der Geltung von G G und Landesverfassungen

91

Schulwesen. Während in Anlehnung an das Reichsschulpflichtgesetz nahezu alle Länder gesetzliche Schulpflichtregelungen erließen und dieser Regelungsbereich die einzige geschlossene gesetzlich geregelte Materie im Bereich des Schulverhältnisses darstellte, finden sich im übrigen nur sporadische Regelungen zu anderen Teilbereichen des Schulverhältnisses (zum Beispiel Bildungsziele, Aufnahme in die Schule). 111 Sonstige schulgesetzliche Regelungen betrafen vor allem die Schulorganisation, Schulfinanzierung und -Unterhaltung, Schulgeld- und Lernmittelfreiheit, Regelungen zu bestimmten Schularten wie Volksschule, Hilfsschule, Sonderschule und Berufsschule, Privatschulrecht, Schulaufsicht und Schulverwaltung sowie die Lehrerbildung. 1 1 2 Auch soweit die Länder bereits Schul- oder Schulordnungsgesetze erließen, faßten diese nur die in anderen Ländern verstreuten Regelungen zusammen, ohne im Regelungsumfang und -dichte über diese hinauszugehen. 1 1 3 In den sechziger Jahren wurde der Bestand schulgesetzlicher Regelungen langsam ergänzt und erweitert, so zum Beispiel hinsichtlich der Schulpflichtregelungen, Schulstrafen, erste Ansätze einer Schulmitwirkung, Schulversuche, Schülerzeitungen, Schülerunfallversicherung, Schulgesundheitspflege und schulärztliche Untersuchungen. Einige Länder trafen das Schulverhältnis betreffende gesetzliche Regelungen, insbesondere zur Wahl weiterführender Schulen; im übrigen wurden nur ganz vereinzelt gesetzliche Regelungen getroffen über Zeugnisse, Prüfungen, Versetzungen, Aufnahme, Austritt und Entlassung aus der Schule, Notengebung, Probezeit und Übergänge. 114 Die zweite größere Phase der Schulgesetzgebung setzte Ende der sechziger Jahre

111

Vgl. Löhning (Fn. 2), 1974, 37. Vgl. dazu die Übersicht über die Schulgesetzgebung der Länder aus der Zeit nach 1945 bei Heckel, Schulverwaltung, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. I I , 1957, 127 bis 130 (Gesetzesstand: 1956). 113 Berlin: SchulG vom 26.6.1948 (VOB1.1, 358) i.d.F. vom 17.5.1951 (GVB1. 381), 5.8.1952 (GVB1.957) und vom 9.8.1955 (GVB1.723) mit 1. D V O vom 28.2.1950 (VOB1.1,76), 2. D V O vom 25.8.1950 (VOB1.1, 391), 3. D V O vom 13.12.1951 (GVB1. 1147), 4. D V O vom 3.11.1952 (GVB1. 1007), 5. D V O vom 3.11.1952 (GVB1. 1008) und 6. D V O vom 13.11.1952 (GVB1. 1032) i.d.F. vom 13.7.1954 (GVB1. 425); Bremen: SchulG vom 4.4.1949 (GBl. 59) mit 1. D V O vom 28.10.1949 (GBl. 219) und 2. D V O vom 24.12.1954 (GBl. 120); SchVG vom 31.1.1950 (GBl. 21) mit D V O vom 25.7.1950 (GBl. 89); Hamburg: Gesetz über das Schulwesen (SchulG) vom 25.10.1949 (GBl. 257) i.d.F. vom 4.3.1954 (GBl. 9) mit 1. D V O vom 4.7.1950 (GBl. 171) und Ausführungsbestimmungen vom 25.11.1950 (GBl. 213) i.d.F. vom 20.4.1954 (GBl. 22); Niedersachsen: SchVG vom 19.5.1954 (GVB1. 29) mit D V O vom 7.8.1954 (GVB1. 73); Nordrhein-Westfalen: Erstes Gesetz zur Ordnung des Schulwesens (SchulG) vom 8.4.1952 (GVB1. 61) mit 1. AusführungsVO vom 31.7.1952 (GVB1. 155), Verfahrensvorschriften vom 14.8.1952 (ABl. 114) und 2. AusführungsVO vom 11.12.1953 (GVB1. 432); vgl. dazu Evers, JZ 1973,555 (556), der die Auffassung vertritt, die „verwaschene klausel des § 1 Beri. SchulG" habe nur solange als hinreichende Abgrenzung zwischen Staatsgewalt und Grundrechtssphäre hingenommen werden können, solange die Schule und ihre Bildungs-, Lern- und Erziehungsziele in den herkömmlichen Bahnen fortentwickelt wurden. Vgl. auch Löhning (Fn. 2), 1974, 37 mit Fn. 304, der im Hinblick auf die ersten Schulgesetze von „minimalen Regelungen" cklung einiger Bereiche der Schulgesetzgebung (Lernziele und Fächerkatalog, Prüfung und Versetzung, Schulmitwirkung, Schulorganisation und Ordnungsrecht) findet sich in DJT-SchulGE, 1981, 30 ff. 114 Siehe dazu die Übersicht bei Löhning (Fn. 2), 1974, 23 ff. (Regelungsstand: 1.1.1973); zu den Erziehungszielen der Landesgesetze vgl. Evers (Fn. 70), 1979, 39 ff. 112

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I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

ein und führte im Zuge der Demokratisierungsdiskussion zu einer Kodifizierung der Schul Verfassung (Schulmitbestimmung). 115 Löhning hat zu Recht davor gewarnt, sich von derartigen auswertenden Bestandsaufnahmen über Regelungsumfang und vor allem Regelungsintensität der schulgesetzlichen Bestimmungen bis Anfang der siebziger Jahre täuschen zu lassen und ausdrücklich auf den fragmentarischen, oft unsystematischen und recht zufällig wirkenden Charakter eines im Grunde zersplitterten Schulrechts hingewiesen. 116 Trotz der beginnenden Vergesetzlichung des Schulwesens lag bis Anfang der siebziger Jahre der Schwerpunkt der Regelungen in inneren Schulangelegenheiten und im Schulverhältnis nach Umfang und Intensität eindeutig bei den Verwaltungsvorschriften. Gesetze und Rechtsverordnungen stellten nicht mehr als einen vagen Rahmen dar, die eigentlichen Entscheidungen fielen häufig erst mittels Verwaltungsvorschriften. 1 1 7 2.6.3 Der Vorbehalt des Gesetzes

Bereits diese kursorische Sichtung des schulgesetzlichen Regelungsbestandes legt beredtes Zeugnis davon ab, daß trotz Art. 20 Abs. 3 G G und der Grundrechtsvorbehalte die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes im besonderen Gewaltverhältnis nach wie vor abgelehnt wurde. In einigen anderen Rechtsgebieten, die wie das Schulverhältnis herkömmlich als besonderes Gewaltverhältnis angesehen wurden, hatte sich die Problematik infolge ausführlicher gesetzlicher Regelungen in den fünfziger Jahren entschärft. 118 Von den klassischen besonderen Gewaltverhältnissen war nur das Strafgefangenenverhältnis bis in die siebziger Jahre gesetzlich völlig ungeregelt und führte ein hinsichtlich seiner gesetzlichen Ausgestaltung noch stiefmütterlicheres Dasein als das Schulverhältnis. 119 Obwohl bereits in den fünfziger und sechziger Jahren zunehmende Kritik an der herrschenden Auffassung vom besonderen Gewaltverhältnis und auch an der Nichtgeltung des Vorbehalts des Gesetzes im Schul- wie im Strafgefangenenverhältnis laut wurde, 1 2 0 hielt sich hart-

1,5 Zum Stand der Gesetzgebung Mitte der siebziger Jahre vgl. Nevermann, RdJB 1975, 200 ff., sowie Ders., Grundzüge des Schulverfassungsrechts, in: Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Eltern (Hrsg.: Nevermann/Richter), 1977, 173 ff. 116 Löhning (Fn. 2), 1974,38. 117 Löhning (Fn. 2), 1974, 39. n s BundesbeamtenG vom 14.7.1953 (BGBl. I, 551); Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (SoldatenG) vom 19.3.1956 (BGBl. I, 114); Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (BeamtenrechtsrahmenG) vom 1.7.1957 (BGBl. I, 667). 119 Nur die Rechtsgrundlagen der Verurteilung und das Verfahren waren im StGB und in der St PO gesetzlich geregelt; der Strafvollzug und das Strafgefangenen Verhältnis waren gesetzesfrei und ohne gesetzliche Ermächtigung allein durch Dienst- und Vollzugsordnungen der Justizverwaltungen (die insoweit über die Konferenz der Justizminister der Länder der Bundesrepublik untereinander kooperierten) geregelt. 120 Becker, Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, V V D S t R L 14 (1956), 96 ff. („Relikt des Obrigkeitsstaates"); Krüger, ZBR 1956,309 ff. („Schmarotzer am Stamm der Grundrechte"); Köhl, ZBR 1957, 121 ff. (124); Heckel, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. I I , 1957, 120 ff. (121 ff.), 131 („... steht das Fehlen einer rechtlichen Fundierung des

2.6 Das Schulwesen unter der Geltung von G G und Landesverfassungen

93

näckig die herrschende Auffassung, die von der Suspendierung des Vorbehalts des Gesetzes im besonderen Gewaltverhältnis ausging. 121

2.6.4 Die Geltung der Grundrechte

Dagegen geriet ein ariderer klassischer Eckpfeiler des besonderen Gewaltverhältnisses, die Aussetzung der Grundrechtsgeltung, stark ins Wanken. Nach dem Kriege wurde die Geltung der Grundrechte auch im besonderen Gewaltverhältnis kaum mehr bestritten. 122 Obwohl danach die Grundrechte de iure auch im besonderen Gewaltverhältnis „galten" und Art. 1 Abs. 3 G G die unmittelbare Bindung der drei „Gewalten" an die Grundrechte postulierte, 1 2 3 wurde dieser Schritt nach vorn dadurch weitgehend wieder zurückgenommen, daß die Ausübung der Grundrechte insoweit eingeschränkt oder die Grundrechte sogar außer Kraft gesetzt werden konnten, soweit es Wesen und Zweck des jeweiligen Gewaltverhältnisses erforderten. 124 Grundrechtssystematisch fungierte das besondere Gewaltverhältnis als implizite Grundrechtsschranke 125 praeter constitionem und verhinderte ein volles Wirksam werden der Grundrechte. Zur Begründung für die Relativierung der Grundrechte im besonderen Gewaltverhältnis wurden verschiedene Argumentationen vorgebracht, mit denen die verstärkte Einschränkungsmöglichkeit legitimiert werden sollte. Besondere Verbreitung fand das Argument, bei freiwillig eingegangenem besonderen Gewaltverhältnis unterwerfe sich der Betroffene unter die Anstaltsgewalt und verzichte dadurch auf die Ausübung und Geltendmachung seiner Grundrechte („volenti non fit iniuria") 1 2 6 - eine Konstruktion freilich, deren fiktiver Charakter nicht zu übersehen ist. 1 2 7 schulischen Gewaltverhältnisses in ausgesprochenem Mißverhältnis zum rechtsstaatlichen Denken der Gegenwart, zu den Persönlichkeitsrechten des Kindes und zu dem grundrechtlich gesicherten Elternrecht"); Evers und Fuß, Verwaltung und Schule, V V D S t R L 23 (1966), 147 ff.. 199 ff.; Wimmer, DVBl. 1966,846; Abelein, Zeitschrift für Politik 1967,313 ff.; aus der Literatur zum Strafvollzug vgl. Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, 59 ff.; ZRP 1969, 147 ff.; Ders., JZ 1972,360 ff.; Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung und Strafvollzugsreform, 1970, 74 ff.; Maetzel, D Ö V 1970, 459 ff. jeweils m.w.N. 121 Die Frage nach der Geltung des Vorbehalts des Gesetzes wurde häufig gar nicht gestellt, vgl. zum Beispiel hess. V G H , B. vom 26.2.1970, SPE I I D V I I , 51 - Verweisung von der Schule. 122 Vgl. Ronellenfitsch, D Ö V 1981,933 (936) mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 24; Erichsen (Fn. 36), 1973, 219 ff. (233). 123 Art. 1 Abs. 3 G G positivierte schon 1949 die durchgängige Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte (vgl. BVerfGE 33,1,11 ; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, 128). Die Bedeutung des Art. 1 Abs. 3 G G für die Geltung der Grundrechte auch im besonderen Gewaltverhältnis wurde jedoch mehr als 20 Jahre lang nicht voll erkannt. 124 Erichsen (Fn. 36), 1973,231. 125 BVerfGE 33, 1 (10); Rupprecht, NJW 1972, 1345; Pieroth, VerwArch 68 (1977), 217 ff.

(218).

126 Vgl. BVerfGE 1,260 (lange Zeit st. Rspr.); Jesch (Fn. 36), 1961,209 f.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 1973,128; aus strafrechtlicher Sicht Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, 1981, 79 ff. Als weitere Argumentationsfiguren wurden vorgetragen: 1. Bei unfreiwillig begründeten besonderen Gewaltverhältnissen rechtfertige das Gesetz, das den Zwang vorsieht, zugleich die Beschränkung der Grundrechte. 2. Das G G erwähne selbst bestimmte besondere Gewaltverhältnisse (wie das Beamtenverhältnis in Art. 33 G G , das Wehrdienstverhältnis in Art. 17a G G , das Schulverhältnis in Art. 7 G G , das

94

I I I . Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schul Verhältnis 2.6.5 Die Regelungskompetenz der Exekutive und die Sonderverordnungen

Infolge der Nichtanwendung des Vorbehalts des Gesetzes fiel die Definitionsmacht, worin das „Wesen" und der jeweilige „Zweck" des besonderen Gewaltverhältnisses bestand, der Exekutive zu, die auf diese Weise mit Hilfe einer höchst flexiblen und praktikablen Pauschalermächtigung die Grundrechte praktisch nach Belieben relativieren konnte. 1 2 8 Auf der anderen Seite konnte infolge der im Grundsatz unbestrittenen Grundrechtsgeltung die Außenwirkung von Maßnahmen und Regelungen im besonderen Gewaltverhältnis nicht länger bestritten werden. Diese Erkenntnis mußte die bisher anerkannte originäre Regelungskompetenz der Exekutive per Verwaltungsvorschrift fragwürdig erscheinen lassen, da ein grundlegender Wesenszug der Verwaltungsvorschriften nach traditionellem Verständnis in ihrer nur verwaltungsinternen Wirkung zu sehen war. Daß trotz der unbestreitbaren Außenwirkung von Regelungen im besonderen Gewaltverhältnis die Regelungskompetenz der Exekutive zufallen sollte, bedurfte daher einer verfassungsrechtlichen Legitimation. Zu diesem Zweck wurde der Gesichtspunkt der freiwilligen Unterwerfung unter die Anstaltsgewalt auch kompetenzrechtlich zugunsten der Exekutive nutzbar gemacht. Auch im besonderen Gewaltverhältnis wurde im Prinzip eine Ermächtigung für Rechtsetzungen der Verwaltung gefordert. Jedoch zog man daraus nicht die Konsequenz, die Ermächtigung müsse Gesetzesqualität haben. Für das Schul Verhältnis wurde das Ermächtigungserfordernis praktisch wieder aufgehoben, indem eine gewohnheitsrechtliche Globalermächtigung der Schulverwaltung zum Erlaß untergesetzlicher allgemeiner Schulregelungen, insbesondere Schulordnungen, postuliert sowie Art. 7 Abs. 1 G G im Sinne einer Ermächtigung der Schulverwaltung zur schulrechtlichen Rechtsetzung gedeutet wurde. 1 2 9 Die Anstaltsgewalt diente als Ersatz für die fehlenden gesetzlichen Ermächtigungen und erlangte so die Funktion eines generellen Ermächtigungssurrogats. 130 Einer Delegation des Gesetzgebers im Einzelfall bedurfte es daher nicht, so daß der Frage der gesetzgeberischen Delegationsbefugnis insoweit weder dogmatische noch praktische Relevanz zukam. Damit war zwar der Versuch gemacht, die Regelungskompentenz der Exekutive unmittelbar verfassungsrechtlich abzusichern; der in der Regelungsform der Verwaltungsvorschrift begründete Widerspruch zwischen Außenwirkung und Freistellung von der Ermächtigungsbindung des Art. 80 Abs. 1 G G (und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen) war damit jedoch nicht ausgeräumt. Die „geniale" Idee zur Auflösung dieser Strafgefangenenverhältnis in Art. 104 GG); aus der Anerkennung folgten entsprechend dem Auslegungsprinzip der praktischen Konkordanz die für die Aufrechterhaltung des besonderen Gewaltverhältnisses unerläßlichen Befugnisse (Ronellenfitsch, D Ö V 1981, 933 (936)). 127 So auch Schenke, JuS 1982, 906. 128 Vgl. die entsprechende Kritik am bisherigen Rechtszustand in BVerfGE 33, 1 (10). 129 Erichsen (Fn. 36), 1973, 219 ff.; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 50; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. I, 1974, § 25 V I I I b (136); BVerwG D Ö V 1965, 638 und b.-w. V G H E 11,5. 130 Vgl. dazu Pieroth, VerwArch 68 (1977), 217 ff. (220 f.).

2.6 Das Schulwesen unter der Geltung von G G und Landesverfassungen

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Aporie hatte Wolff mit der Entwicklung (oder besser gesagt: Erfindung 1 3 1 ) der Rechtsfigur der sogenannten Sonderverordnung. 132 Die Idee, eine Regelungsform mit den Rechtswirkungen von Rechtsverordnungen und den Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen von Verwaltungsvorschriften zu entwickeln, 133 war so verblüffend wie praktisch, denn sie vereinigte aus der Sicht der Exekutive die Vorteile beider RegeUmgsformen auf sich. Hinzu kam: Wo spezielle Gesetzesvorbehalte zumindest eine Regelung durch materielles Gesetz forderten (zum Beispiel bei Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) waren Verwaltungsvorschriften nicht ausreichend, da man sie nicht als Gesetze im materiellen Sinne ansah. 134 Die Sonderverordnungen, denen man den Charakter von materiellen Gesetzen zuerkannte, waren dagegen geeignet, Gesetzesvorbehalte zu erfüllen. 135 Diese Konsequenz entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie: Einem Gesetzesvorbehalt wird durch eine Regelung genügt, an der der Gesetzgeber in keiner Weise, nicht einmal durch eine gesetzliche Ermächtigung, beteiligt war. Die Sonderverordnungen sollten demnach einerseits Rechtssätze darstellen, andererseits aber von dem Ermächtigungserfordernis normaler Rechtsverordnungen (Art. 80 Abs. 1 GG) befreit sein. 136 Gleichwohl wurde die gesetzesungebundene, originäre und von den verfassungsrechtlichen Ermächtigungserfordernissen freigestellte Rechtsetzungskompetenz der Exekutive im besonderen Gewaltverhältnis auf diese Weise vorerst gerettet, die Bedenken gewissenhafter Dogmatiker durch ein neues dogmatisches Retortengebilde vorübergehend zerstreut.

2.6.6 Die Justitiabilität

von Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis

Die vierte tragende Säule des klassischen besonderen Gewalt Verhältnisses, die Nicht-Justitiabilität, wurde schon früh und überdies am wirkungsvollsten angekratzt. Obwohl zunächst noch teilweise die herkömmliche Auffassung vertreten wurde, ein gerichtlicher Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis scheide generell aus, 137 erkannte die Rechtsprechung schon relativ früh an, daß auch Akte innerhalb des Schul Verhältnisses Verwaltungsakte seien und daher mit der Anfechtungsklage verwaltungsgerichtlicher Überprüfung 131 Dem G G und den LVen ist diese Regelungsform unbekannt. Der hess. StGH, D Ö V 1970, 201 (203), spricht von einer „Neuschöpfung". 132 Wolff, Verwaltungsrecht 1,1. Aufl., 1956,§25 V i l l a 1; ebenso noch in der 9. Aufl. von 1974 (Fn. 133), ebd. (134 ff.). 133 So wurden zum Beispiel Versetzungsordnungen, Prüfungsordnungen usw. durchaus als Rechtsvorschriften angesehen, jedoch als Anstaltsordnungen von einer Ermächtigungsnorm i.S.d. Art. 80 G G und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften freigestellt; sie brauchten damit zugleich nicht im Gesetzblatt verkündet zu werden; vgl. dazu V G Freiburg NJW 1976, 865 (868) m.w.N. 134 BVerfGE 1, 83; 8, 75; 9, 17; BVerwG D Ö V 1960,632; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 24 I I d. 135 Vgl. Freitag/Meyer, JuS 1975, 314 ff. (316). 136 Zu den Sonderverordnungen vgl. Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff. 137 Vgl. zum Beispiel Nebinger, Verwaltungsrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1949, 197; Friesenhahn, D V 1949, 481.

96

III. Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

zugeführt werden können. 1 3 8 Auch in der Literatur der fünfziger Jahre wurde in zunehmendem Umfang die Auffassung vertreten, daß innerhalb der besonderen Gewaltverhältnisse bei Verletzung von subjektiven Rechten, insbesondere von Grundrechten im Sinne der Verfassungen, der Rechtsschutz nicht ausgeschlossen sei. 139 Von der Rechtsprechung wurde insbesondere für Prüfungsentscheidungen überwiegend die Auffassung vertreten, daß die Beurteilung von Prüfungsleistungen als Verwaltungsakt anzusehen und daher im Verwaltungsrechtsweg mit der Anfechtungsklage angreifbar sei. 140 Die bereits Anfang der fünfziger Jahre verbreitete Praxis der Gerichte, je nach Intensität der schulischen Maßnahme Rechtsschutz zu gewähren oder die Justitiabilität zu verneinen, wurde durch die von Ule auf der Staatsrechtslehrertagung von 1956 eingeführte Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis dogmatisch abgesichert und führte zur Stabilisierung eines partiellen Rechtsschutzes im besonderen Gewaltverhältnis. 141 Zu den gerichtlich überprüfbaren Maßnahmen im Grundverhältnis zählten diejenigen, die das Rechtsverhältnis selbst begründeten, veränderten oder beendeten. I m Schulrecht gehörten danach insbesondere Entscheidungen über Aufnahme, Entlassung, Versetzung oder Versagung eines schulischen Abschlusses zu den anfechtbaren Rechtsakten, während gegenüber Maßnahmen des Schulbetriebs, wie Notengebung, Anordnung des Nachsitzens oder Erteilung von Hausaufgaben der Weg zu den Gerichten verschlossen blieb, ohne daß die Rechtsprechung insoweit jedoch strikte Einheitlichkeit wahrte. 1 4 2 2.6.7 Fazit

Zusammenfassend läßt sich für die Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses, insbesondere des Schulverhältnisses, unter der Geltung des 138 BVerwGE 1, 260; 1, 263 (U. vom 10.12.1954); V G Düsseldorf, D Ö V 1954, 696 (vom 28.5.1954); O V G Rheinland-Pfalz, D Ö V 1956,631 (U. vom 16.5.1956); Württemberg-Badischer V G H Bebenhausen, JZ 1959, 67 (U. vom 19.7.1958 mit ablehnender Anmerkung Menger, VerwArch 50 (1959), 280 f.); a.A. O V G Lüneburg, DVBl. 1953, 663 (vom 18.12.1953) und O V G Rheinland-Pfalz, DVBl. 1954, 579 (vom 18.12.1953), die bei Nichtversetzung eines Schülers keinen Verwaltungsakt annahmen und die Klage deshalb (!) als unzulässig abwiesen, da der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sei (vgl. dazu die zu Recht ablehnende Urteilsanmerkung von Hamann, DVBl. 1954, 581; V G Wiesbaden, NJW 1963,2140 (U. vom 20.6.1963), verneinte bei einer einzelnen Zeugnisnote die unmittelbare rechtliche Außenwirkung und wies die Klage mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes als unzulässig ab (vgl. dazu die kontroversen Anmerkungen von Menger, VerwArch 55 (1964), 387 f.; Czermak, NJW 1964, 939; Ule, NJW 1964, 939 f.); mit ähnlichem Tenor wie V G Wiesbaden auch V G Berlin, NJW 1964, 939 (U. vom 18.4.1963). 139 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 3. Aufl., 1953, 107 bis 110, 170, 393; Krüger, NJW 1953, 1369 ff. 140 BVerwGE 2, 22 (25 ff.); Übersicht bei Thieme, NJW 1954, 742; a.A. Werner, DVBl. 1952, 342; Bachof, NJW 1953, 317; Schneider, DVBl. 1953, 82. 141 Ule, Das besondere Gewaltverhältnis, V V D S t R L 15 (1957), 133 (157 f.); vgl. dazu Sturm, RdJB 1974, 1 (4); DJT-SchulGE, 198, 27. Die verbreitete Auffassung, erst durch die Ule'sche Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis habe sich die partielle Gewährung von Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis etabliert, ist unzutreffend; die Rechtsprechung praktizierte diese Unterscheidung bereits vorher (siehe oben Fn. 138), wozu vor allem die Ausbreitung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel nach 1945 beitrug. 142 Vgl. Sturm, RdJB 1974, 1 (4), sowie die Nachweise oben in Fn. 138.

2.6 Das Schulwesen unter der Geltung von G G und Landesverfassungen

97

Grundgesetzes und der Landesverfassungen folgendes festhalten: Schon Mitte der fünfziger Jahre war das ursprünglich als rechtsfrei angesehene Schulverhältnis in mehrfacher Hinsicht weiter ver recht licht. Neben den gegenüber der Weimarer Reichsverfassung reduzierten Schulrechtsbestimmungen des Grundgesetzes fanden sich in der Mehrzahl der Landesverfassungen sowie in den schulgesetzlichen Regelungen der ersten Gesetzgebungsphase über die Schulpflichtregelung hinaus erste Ansätze zur Regelung des Schulverhältnisses. Die schulgesetzlichen Bestimmungen wurden in etlichen Durchführungsverordnungen und einer Fülle von Verwaltungsvorschriften ergänzt und konkretisiert. Sieht man die Verwaltungsvorschriften mit der zutreffenden Auffassung in rechtstheoretischer Sicht als rechtliche Regelungen an, 1 4 3 so war das Schulverhältnis bereits zu Beginn der fünfziger Jahre weder ein regelungs- noch ein gesetzesfreier Raum. Auch die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Anschauungen hatten sich verändert. Der bereits in der Weimarer Zeit in einigen Ländern gewährte Rechtsschutz im Schulverhältnis fand Anfang der fünfziger Jahre bereits eine begrenzte Ausweitung, die in der Folgezeit durch die Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis dogmatisch abgesichert wurde. Das Schulverhältnis war damit zwar nicht vollständig justitiabel, von einem rechtsschutzfreien Raum konnte jedoch keine Rede mehr sein. Die „tabuisierte Rechtsschutzmauer" 144 war wenigstens teilweise abgetragen worden. Da auch die Grundrechtsgeltung nach 1949 kaum mehr bestritten wurde, stellte das Schulverhältnis auch keinen grundrechtsfreien Raum mehr dar; gleichwohl bestanden im Vergleich zum allgemeinen Gewaltverhältnis verstärkte Möglichkeiten zur Einschränkung der Grundrechte. Während somit schon relativ früh einige wichtige Grundpfeiler des besonderen Gewaltverhältnisses ins Wanken gerieten, hielt sich die Auffassung, nach der der Vorbehalt des Gesetzes im besonderen Gewalt V e r h ä l t n i s nicht zur Anwendung kam, trotz zunehmender Kritik in Rechtslehre und später auch Rechtsprechung bis in die siebziger Jahre hinein. Das besondere Gewaltverhältnis blieb nach wie vor ein vorbehaltsfreier Raum. Korrespondierend dazu ging man weiter davon aus, daß Grundrechtseingriffe auch ohne gesetzliche Grundlage zulässig seien und der Exekutive eine originäre Kompetenz zum Erlaß von Rechtssätzen (Sonderverordnungen) zustehe. Damit blieb das Schulverhältnis in die siebziger Jahre hinein ein ermächtigungsfreier Raum. Zugleich wurde damit die Geltung des Art. 80 Abs. 1 G G und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Anforderungen an gesetzliche Verordnungsermächtigungen für das Schulverhältnis suspendiert. Die vom Grundgesetz und den Landesverfassungen bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgestellten verschärften Bestimmtheitsanforderungen an gesetzliche Ermächtigungen griffen im Schulbereich über zwei Jahrzehnte lang nicht. Die Delegationsproblematik im Verhältnis Gesetzgeber - Verordnungsgeber 143 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1958, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 25; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 25 V i l i a (135); Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, 1983, § 7 I V 3 (87 f.). 144 Maetzel, D Ö V 1970, 563.

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III. Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

stellte sich infolgedessen für das Schulverhältnis nicht. Da der Exekutive nach wie vor eine originäre Regelungskompetenz zugesprochen wurde, bedurfte es insoweit nicht der Delegation von Rechtsetzungskompetenzen. Die Frage nach etwaigen Schranken der parlamentarischen Delegationsbefugnis wurde ebenso wenig gestellt wie die Frage nach der notwendigen gesetzlichen Regelungsdichte. Dies gilt in gleicher Weise für diejenigen, die schon in den fünfziger und sechziger Jahren entgegen der herrschenden Meinung für die Geltung des Gesetzesvorbehalts im besonderen Gewalt V e r h ä l t n i s , speziell im Schulverhältnis votierten. Besonders deutlich wird dies in den Referaten und Diskussionsbeiträgen auf der Kieler Staatsrechtslehrertagung von 1964. Ganz im Vordergrund stand die Frage nach dem „Ob" gesetzlicher Regelungen im Schulverhältnis; das „Wie" der Durchführung und der Durchsetzung des Gesetzes Vorbehalts, insbesondere die Abgrenzung zwischen Regelungen im formellen Gesetz und in Rechtsverordnungen sowie die Frage nach der notwendigen Regelungsdichte im förmlichen Gesetz wurden kaum gestreift. 145 Die verschiedenen Elemente des besonderen Gewaltverhältnisses erlebten somit zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Ausmaß grundlegende Veränderungen. Die allmähliche Erosion des besonderen Gewalt Verhältnisses wurde begleitet von einer Fülle neuer Bezeichnungen, wie verwaltungsrechtliches Sonder(rechts)verhältnis, 146 gesteigertes Abhängigkeits- oder besonderes Pflichtenverhältnis, 147 Sonderstatusverhältnis, 148 personales Kontaktverhältnis, 149 verwaltungsrechtliche Sonderverbindung, 150 öffentlich-rechtliche Sonderbindung 151 oder besonderes VerwaltungsVerhältnis. Durch derlei begriffliche Variationen 152 - Krebs spricht von einem „verfassungsdogmatischen Rettungsversuch" für die besonderen Gewaltverhältnisse 153 - wurde dem besonderen Gewaltverhältnis zwar ein gefälligeres Etikett umgehängt, der Sache nach jedoch keineswegs zu einer radikalen Neuorientierung gefunden. 154 Es ist vielmehr zu vermuten, daß die dogmatischen Neuschöpfungen wie die Unterscheidung von Grund- und Betriebs145

V V D S t R L 23 (1966), 269, 275, 280, 285. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 32 I V c 3 (212); Schnapp, ZBR 1977, 208; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1983, § 6 Rdn. 17. 147 von Münch, Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Erichsen/Martens (Fn. 143), 1983,$ 3 I I 2 (44). Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981,14,74; BayVerfGH D O V 1974,672 - Mengenlehre; Meder (Fn. 27), 1978, Art. 133 Rdn. 3; BayVerfGH, Entscheidung vom 27.5.1981, BayVBl. 1981, 495; Oppermann (Fn. 16), 1982, 827. 146

148 Hesse, Grundzüge des Verfa^sungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl., 1984, Rdn. 322 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 378; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht 1,1974, § 3 2 I V c 3 (212). 149 Fuß, D Ö V 1972, 773. 150 Erichsen (Fn. 36), 1973, 219 ff. (242). 151 Loschelder (Fn. 23), 1982, 353 ff. 152 Die begriffliche und inhaltliche Abgrenzung dieser Formulierungen bleibt weitgehend unklar. 153 Krebs (Fn. 123), 1975,129. Zu der Frage, inwieweit das besondere Gewaltverhältnis noch eine Bedeutung als verfassungs- oder verwaltungsrechtliche Kategorie besitzt, vgl. zuletzt Ronellenfitsch, D Ö V 1984, 781 ff. 154 Ähnlich die Kritik von von Münch (Fn. 147), 1983,44; Battis, Bundesbeamtengesetz, 1980, § 2 I d (14).

3. Strafgefangenenbeschluß des BVerfG

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Verhältnis und die Entwicklung der Rechtsfigur der Sonderverordnung ebenso wie begrifflich-terminologische Veränderungen objektiv dazu dienten, dogmatische Bedenken zu beruhigen und so zu einer vorläufigen Beibehaltung überkommener Auffassungen in neuem Gewände beitrugen. Die Konstruktionen der Rechtslehre trugen aller Wahrscheinlichkeit nach dazu bei, daß eine frühzeitige grundlegende Abkehr vom traditionellen Verständnis des besonderen Gewaltverhältnisses verhindert wurde. 1 5 5

3. Der Strafgefangenenbeschluß des BVerfG und seine Konsequenzen für die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes im besonderen Gewaltverhältnis Der letzten tragenden Säule des besonderen Gewalt Verhältnisses, die sich bis in die siebziger Jahre hinein retten konnte - der Nichtgeltung des Gesetzesvorbehalts - rückte das BVerfG mit dem bahnbrechenden Strafvollzugsbeschluß vom 14.3.1972 zu Leibe. 1 5 6 Diese Entscheidung bildete den eigentlichen Anstoß zur späteren Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen. Der 2. Senat 157 brach in diesem Beschluß mit der bis dahin herrschenden Auffassung, im besonderen Gewaltverhältnis könnten Grundrechte auch ohne gesetzliche Grundlage eingeschränkt werden. Noch das O L G Celle, gegen dessen Entscheidung sich die Verfassungsbeschwerde des Strafgefangenen richtete, hatte - ganz auf dem Boden der traditionellen Lehre stehend - die Kontrolle und das Anhalten von Gefangenenpost auf der Grundlage einer Dienst- und Vollzugsordnung (= Verwaltungsanordnung) für zulässig erklärt; die Grundrechte des Strafgefangenen dürften, wie sich aus dem Wesen und Zweck des Strafvollzugs ergebe, soweit eingeschränkt oder gar außer Kraft gesetzt werden, als es die durch den Strafzweck bedingte Natur des Anstaltsverhältnisses zur notwendigen Folge habe. Der Beschwerdeführer könne sich daher nicht auf Art. 5 G G berufen. Diese Beschränkung ergebe sich aufgrund der nach dem Grundgesetz zulässigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe; eine besondere gesetzliche Regelung sei darüber hinaus

155

Ähnlich Löhning (Fn. 2), 1974, 189. BVerfGE 33, 1; vgl. zuvor schon hess. StGH, D Ö V 1971, 201 (U. vom 15.7.1970), der aufgrund des allgemeinen Gesetzesvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 der hess. Verf. eine Ausgestaltung des Schulverhältnisses auf gesetzlicher Grundlage verlangte. - Die Entscheidung fand überwiegend Beifall; vgl. Erichsen, VerwArch 63 (1972), 444; Fuß, D Ö V 1972,765 ff.; Kempf, JuS 1972, 704; Krebs (Fn. 123), 1975,127 ff.; Müller-Dietz, NJW 1972,1162; Rupp, JuS 1975,709 ff. (713); Rupprecht, NJW 1972, 1345; Starck, JZ 1972, 360; ablehnend Fries, Die Rechtsstellung des Studenten innerhalb der wissenschaftlichen Hochschule, 1974, 34 ff.; Forsthoff (Fn. 126), 1973, 128, Fn. 1; Rupprecht, NJW 1972, 1347 ff., kritisiert das Ergebnis hinsichtlich Art. 5 G G . 156

157 Starck, JZ 1972, 361, weist darauf hin, daß möglicherweise ein gerichtsorganisatorischer Umstand, nämlich die aufgrund des Plenarbeschlusses vom 17.12.1970 (BGBl. 11971,14) erfolgte Änderung der Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich Strafvollzug, Untersuchungs- und Strafhaft zugunsten des 2. Senats, für den Bruch mit der bis dahin herrschenden Auffassung, die auch das BVerfG in seinen Beschlüssen nach § 93 a BVerfGG vertreten hatte, von entscheidender Bedeutung war, zumal kurz vor der Entscheidung ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter in den 2. Senat gewählt worden war, der mit diesen Fragen auch schon als Parlamentarier befaßt gewesen war (gemeint ist der ehemalige Verfassungsrichter Hirsch, dessen Amtszeit am 8.12.1971 begann).

100

III. Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schul Verhältnis

nicht notwendig. 1 5 8 Den radikalen Bruch mit der von der Vorinstanz ein letztes Mal formulierten herkömmlichen Auffassung zum Gesetzesvorbehalt im besonderen Gewaltverhältnis brachte das BVerfG im ersten Leitsatz mit lapidaren Worten zum Ausdruck: „Auch die Grundrechte von Strafgefangenen können nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden." Zur Begründung führte das Gericht aus: „Soweit es um die Einschränkung von Grundrechten geht, bestimmen ... die betreffenden Verfassungsnormen, daß dies nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig ist... Der naheliegende Schluß, der Gesetzgeber sei verpflichtet, auch für den Bereich des Strafvollzugs ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, wurde aber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zunächst in Rechtsprechung und Lehre nicht gezogen. Vielmehr griff man auf die Rechtsfigur des »besonderen Gewaltverhältnisses 4 zurück und verstand dieses als eine eigenständige, implizite Beschränkung der Grundrechte der Strafgefangenen ... Diese Auffassung ist rückblickend nur damit zu erklären, daß die traditionelle Ausgestaltung des Strafvollzuges als eines »besonderen Gewaltverhältnisses' es zuließ, die Grundrechte des Strafgefangenen in einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren ... In Art. 1 Abs. 3 G G werden die Grundrechte für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung für unmittelbar verbindlich erklärt. Dieser umfassenden Bindung der staatlichen Gewalt widerspräche es, wenn im Strafvollzug die Grundrechte beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden könnten. Eine Einschränkung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht. Die Grundrechte von Strafgefangenen können also nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, das allerdings auf - möglichst eng begrenzte - Generalklauseln nicht wird verzichten können." 159

A u f eine auf die einzelnen Argumente der traditionellen Lehre und Rechtsprechung eingehende Auseinandersetzung verzichtete das BVerfG. Da das Strafgefangenenverhältnis zu den zwangsweise begründeten besonderen Gewaltverhältnissen gehört, hatte der Senat keinen Anlaß, sich zu der Frage zu äußern, ob für die freiwillig eingegangenen besonderen Gewaltverhältnisse, zum Beispiel für das Schulverhältnis nach Beendigung der Schulpflicht, möglicherweise weiterhin der Gesichtspunkt der freiwilligen Unterwerfung - volenti non fît iniuria - eine Grundrechtseinschränkung ohne gesetzliche Grundlage würde rechtfertigen können. Auch die Herleitung der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage aus den Gesetzesvorbehalten der Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und Art. 5 Abs. 2 G G , also aus speziellen Grundrechtsvorbehalten, ließ die Frage offen, ob die Ausführungen des Gerichts auch für die anderen besonderen Gewaltverhältnisse und für den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes gelten würden. A u f der anderen Seite waren die Ausführungen zu Art. 1 Abs. 3 G G so grundsätzlich gehalten, daß eine gegenteilige Argumentation zum Beispiel in bezug auf das Schulverhältnis nicht gut denkbar gewesen wäre. Bereits der Strafgefangenenbeschluß entfaltete daher Wirkungen für alle anderen besonderen Gewalt Verhältnisse. Der Vorbehalt des Gesetzes war damit auch auf das besondere Gewaltverhältnis ausgedehnt worden. Da damit eine nicht gesetzesabgeleitete Rechtsetzungskompetenz der Exekutive 158 Vgl. BVerfGE 33,1 (4), wo die Argumentation des O L G Celle ausführlich wiedergegeben wird. Nachweise zu der entsprechenden Rspr. der O L G zu §§ 23 ff. E G G V G bei Müller-Dietz, NJW 1972, 1161. 159 BVerfGE 33, 1 (10 f.).

3. Strafgefangenenbeschluß des BVerfG

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verworfen war, bedurften nunmehr Regelungen der Exekutive im besonderen Gewaltverhältnis - wie auch im allgemeinen Gewaltverhältnis - einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, die nicht länger entgegen Art. 80 Abs. 1 G G und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen durch nicht gesetzliche Ermächtigungssurrogate wie Gewohnheitsrecht, Anstaltsgewalt, besonderes Gewaltverhältnis usw. ersetzt werden konnte. Das besondere Gewaltverhältnis war damit kein vorbehaltsfreier und kein ermächtigungsfreier Raum mehr; es war zu einem echten Rechtsverhältnis geworden. 160 Für die Grundrechte von materieller Bedeutung war die Aussage, eine Einschränkung komme nur zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes und nur dann, wenn sie unerläßlich ist, in Betracht. 161 M i t diesen strengen Anforderungen wurde die Grundrechtsgeltung im besonderen Gewaltverhältnis durch verschärfte Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Einschränkbarkeit verstärkt. 162 Auch für die Frage der Justitiabilität von staatlichen Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis ist der Strafvollzugsbeschluß insofern von Bedeutung, als das BVerfG selbst in seiner Entscheidung Rechtsschutz im Hinblick auf Maßnahmen gewährte, die nach der bisherigen Praxis nicht zum Grund-, sondern zum Betriebs Verhältnis gezählt wurden. 1 6 3 War mit der Strafgefangenen-Entscheidung die grundsätzliche Geltung des Vorbehalts des Gesetzes auch in den früheren besonderen Gewaltverhältnissen bejaht worden, so stellte sich nun die Frage, wie sich die zum Strafgefangenenverhältnis getroffene Entscheidung auf das Schulrecht, insbesondere auf die Geltung des Gesetzes Vorbehalts im Schulrecht auswirken würde. In der Folgezeit ergingen eine Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen zum Schulwesen. 164 Der Kernsatz der in diesen Entscheidungen formulierten sogenannten „Wesentlichkeitstheorie" besagt, daß das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes den Gesetzgeber verpflichten,

160 Vgl. Heckel/Seipp (Fn. 1), 1976,284 ff.; Niehues, Schul-und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 30 ff.; Richter, Art. 7 Rdn. 12, in: A K - G G , 1984. Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984,111 ff. (116), sieht im Strafgefangenen-Beschluß den Grundstein für die spätere Wesentlichkeitsrechtsprechung. 161 BVerfGE 33, 1 (11). 162 Ein verbreiteter Irrtum, der durch die mißverständlichen Ausführungen auf S. 13 der Entscheidung verursacht wurde, liegt darin, diese Aussage nur auf die Übergangszeit zu beziehen (vgl. zum Beispiel Starck, JZ 1972, 361; Weber, JuS 1976, 116); die Ausführungen auf S. 11 ergeben jedoch unzweideutig, daß die materiellen Anforderungen an die Einschränkbarkeit von Grundrechten („unerläßlich") nach Auffassung des Senats generell gelten sollen. Vgl. dazu auch BVerfGE 34, 369 (379 f.) - Grundrechtseinschränkungen in der Untersuchungshaft. 163 Mit der Bejahung der Grundrechtsbetroffenheit des Strafgefangenen werden implizit die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer verwaltungsgerichtlichen Klage bejaht (insbesondere Außenwirkung, Verwaltungsaktqualität, Klagebefugnis, Rechtsschutzbedürfnis). 164 BVerfGE 34,165 - Förderstufe; 41, 251 - Speyer-Kolleg; 45,400 - gymnasiale Oberstufe Hessen; 47, 46 - Sexualkundeunterricht; 58, 257 - Versetzung/Schulentlassung; BVerwGE 47, 194 - Vorlagebeschluß Sexualkundeunterricht; 47,201 - 5-Tage-Woche); 56,155 - Versetzung; 57, 360 - Sexualkundeunterricht; 64,308 - Latein als Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe.

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III. Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes im Schulerhältnis

die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen (Parlamentsvorbehalt). 165 Mit dem Begriff „Parlamentsvorbehalt" war damit eine neue Rechtsfigur in die Diskussion um den Vorbehalt des Gesetzes eingeführt. Was unter dem „Parlamentsvorbehält" in Rechtsprechung und Literatur verstanden wird und welche Antworten die sogenannte „Wesentlichkeitstheorie" auf die Frage nach der Reichweite dieses Parlamentsvorbehalts gibt, soll im folgenden Kapitel erörtert werden.

165

BVerfGE 58, 257 (268) - Versetzung/Schulentlassung.

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" 1. Fragestellung Zunächst ist der Frage nachzugehen, wie der „Parlamentsvorbehält" in Rechtsprechung und Literatur verstanden wird 1 und wie die herrschende „Wesentlichkeitslehre" die Reichweite dieses Parlamentsvorbehalts zu bestimmen versucht. Es sind also die Konturen des Parlamentsvorbehalts und der dazu entwickelten sogenannten Wesentlichkeitstheorie zu umreißen, um vor dem Hintergrund der herkömmlichen Vorbehaltslehre 2 die Charakteristika des Parlamentsvorbehalts insbesondere mit Blick auf die Delegationsproblematik herauszuarbeiten.

2. Differenzierung zwischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Parlamentsvorbehalts Zur Strukturierung der folgenden Untersuchung ist zwischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Parlamentsvorbehalts zu unterscheiden. Bei der Frage nach den Voraussetzungen des Parlamentsvorbehalts geht es - Sozusagen auf der Tatbestandsseite - um die Bestimmung der Gesichtspunkte, die für die Geltung und Anwendung des Parlamentsvorbehalts von konstitutiver Bedeutung sind. A u f der Rechtsfolgenseite steht die Frage im Vordergrund, welche kompetenzrechtlichen Konsequenzen aus der Annahme des Parlamentsvorbehalts folgen. Werden - auf der Tatbestandsseite - die Voraussetzungen für die Geltung des Parlamentsvorbehalts bejaht, so stellt sich - auf der Rechtsfolgenseite - die Frage nach der dann gebotenen Regelungsebene und Regelungsdichte für die dem Parlamentsvorbehalt unterfallenden Entscheidungen.3 A u f der Tatbestandsseite sind die Merkmale und Kriterien zu untersuchen, die die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts indizieren können. A u f der Rechtsfolgenseite stellt sich die Frage, ob und inwieweit - das heißt mit welcher Dichte und Bestimmtheit - der Parlamentsvorbehalt eine Regelung im förmlichen Gesetz (durch Gesetz) erfordert oder eine Regelung aufgrund eines Gesetzes durch Rechtsverordnung, Satzung oder andere Formen delegierter Rechtsetzung zuläßt. Aus der genannten Differenzierung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite sowie zwischen Regelungsebene und Regelungsdichte andererseits ergeben sich Struktur und Reihenfolge der Untersuchungen dieses Kapitels. 4 1

Zum Begriff des Parlamentsvorbehalts vgl. oben Kap. I 3.1.1. Vgl. dazu oben Kap. II. 3 Zur Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite vgl. auch Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (691 f.). 2

104

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

3. Tatbestandsseite Nach herrschender Meinung verpflichten das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip 5 den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen. Dies gelte insbesondere für die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre im Bereich der Grundrechtsausübung. Umfang und Reichweite des durch Wesentlichkeit und Grundrechtsrelevanz bestimmten Parlamentsvorbehalts werden zum Teil durch das Merkmal der Intensität der Grundrechtsberührung weiter konkretisiert. 6 3.1 Das Kriterium der „Wesentlichkeit" 3.1.1 Die sogenannte „ Wesentlichkeitstheorie"

Dreh- und Angelpunkt der neuen Vorbehaltslehre ist das Merkmal der „Wesentlichkeit", das sich wie ein roter Faden durch Rechtsprechung und Literatur zieht. Dieser Begriff hat auch Pate gestanden, als es galt, den als neu empfundenen dogmatischen Erkenntnissen einen Namen zu verleihen. Erstmals spricht Oppermann von einer „Wesentlichkeitstheorie", 7 wobei er Bezug nimmt auf einige kurz zuvor ergangene Entscheidungen des BVerfG und des BVerwG. 8 In der Folgezeit hat sich die Bezeichnung „Wesentlichkeitstheorie" trotz aller K r i t i k 9 als Bezeichnung für die neue Entwicklung der Vorbehaltslehre weithin durchgesetzt. 10 Die Kurzformeln „Parlamentsvorbehalt" und „Wesentlichkeitstheorie" sind inzwischen zu geläufigen Signalbegriffen und 4 Mit dieser Differenzierung sollen die bestehenden Zusammenhänge zwischen Tatbestandsund Rechtsfolgenseite nicht geleugnet werden; gleichwohl erscheint die Differenzierung aus Gründen der dogmatischen Klarheit erforderlich. 5 Zur verfassungsrechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts vgl. Kap. V und V I . 6 Zu diesen Grundaussagen der Wesentlichkeitsrechtsprechung vgl. BVerfGE 33,125 ( 158 ff., 163); 33, 303 (346 f.); 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 f.); 41, 251 (259 ff.); 45, 393 (399 f.); 45, 400 (417 ff.);47,46(79f.);48,210(221 f.);49,89(126 f.); 51,268(290f.); 54,173(192f.); 56, l(12f.); 57, 295 (320 f.); 58, 257 (268 f.); BVerwGE 47,194 (197 ff.); 47,201 (203 ff.); 56, 155 (157 ff.); 57, 130 (137 ff.); 57, 360 (363 f.); 60,162 (181 f.); 64, 308 (310 ff.); NJW 1982,250; DVB1. 1982, 894; DVB1. 1984,269; BayVerfGH, NJW 1980,1838; NJW 1982,1089; Bay V G H , BayVBl. 1982,562; VerfGH N R W , DVB1. 1983, 223. Aus der fast unüberschaubaren Literatur vgl. zum Beispiel Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981; Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff.; Niehues, DVB1. 1980, 465 ff.; Kisker, NJW 1977, 1313 ff.; Falckenberg, BayVBl. 1978, 166 ff.; Evers, JuS 1977,804 ff.; Pieske, DVB1.1979,329 ff.; Starck, D Ö V 1979,269 ff.; Heussner, Vorbehalt des Gesetzes und „Wesentlichkeitstheorie", 1983,111 ff.; Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff.; Kloepfer, JZ 1984, 685 ff.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 62 ff., 124 ff., 170 ff., 282 ff., 356 ff. (weitere Nachweise oben Kap. I Fn. 7). 7 Oppermann, Bildung, in: von Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1976, I I 6,641, Fn. 140; Ders., Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 46 mit Fn. 94; C 49 mit Fn. 104. 8 BVerfGE 33,303; 34,165; BVerwGE 47,194; 47,201 ; Hinweis auch auf die KMK-Erklärung zur Stellung des Schülers in der Schule vom 25.5.1973, GMB1. 1973, 267, auch abgedruckt bei Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 364 ff. 9 Vgl. oben Kap. I 2. m.w.N. 10 Vgl. oben Kap. 12.; so auch Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984, 111 ff. (112).

3.1 Das Kriterium der „Wesentlichkeit"

105

gängigen Argumentationsfiguren des Staats- und Verwaltungsrechts herangewachsen.11 Gleichwohl wurden bereits auf dem 51. D J T 1976 Stimmen laut, die davor warnten, vorschnell von einer neuen „Theorie" zu sprechen. 12 „Wesentlich" sei zunächst als heuristischer Begriff und nicht als Beitrag zur Dogmatisierung zu verstehen, da er im Grunde nur eine Binsenweisheit ausspreche, daß nämlich die wirklich wichtigen Dinge in einem parlamentarisch-demokratischen Staatswesen vor das Parlament gehörten. 13 Diese frühen Warnungen haben im großen und ganzen wenig Gehör gefunden. 14 Festzustellen ist heute eher eine dogmatische Verfestigung. Die eingangs zitierte Wesentlichkeitsformel wurde in Rechtsprechung wie Literatur weitgehend unkritisch übernommen und wird auch vom BVerfG und BVerwG zunehmend formelhaft verwendet. Das BVerfG hat die Auffassung vertreten, als ein entscheidender Fortschritt des Wesentlichkeitsansatzes sei es anzusehen, daß der Vorbehalt des Gesetzes von seiner Bindung an überholte Formeln (Eingriff in Freiheit und Eigentum) gelöst und von seiner demokratisch-rechtsstaatlichen Funktion her auf ein neues Fundament gestellt werde, auf dem aufbauend Umfang und Reichweite dieses Rechtsinstituts neu bestimmt werden können. 15 Auch der hessische V G H äußert sich hinsichtlich des Wesentlichkeitskriteriums dahingehend, daß sich das entsprechende Rechtsverständnis vom „Gesetzes- oder gar Parlamentsvorbehalt" erst zu Beginn der siebziger Jahre entfaltet habe. 16 Ob die höchstrichterliche Rechtsprechung und - ihr folgend - die Literatur mit der Akzentuierung des Wesentlichkeitsansatzes der Vorbehaltslehre wirklich ein neues Fundament gesetzt haben, läßt sich indes im Hinblick auf frühere Entscheidungen sowie in der Literatur geäußerte Auffassungen bezweifeln. Richtig ist zwar, daß sich der Wesentlichkeitsansatz mit den Entscheidungen des BVerfG und BVerwG zu Beginn der siebziger Jahre in Rechtsprechung und Lehre durchzusetzen begann. Das Wesentlichkeitskriterium selbst wird jedoch zur Bestimmung des Vorbehaltsbereichs bereits seit längerem herangezogen. 17

11

Bethge, N V w Z 1983, 577. Oppermann, Diskussionsbeitrag, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 115. Zum Theoriebegriff in diesem Zusammenhang Umbach (Fn. 10), 1984, 111 f., der sogar von einer „Supertheorie" im Sinne Luhmanns spricht. 13 Simon, ebd., M 108. 14 Vgl. aber BVerfGE 47, 46 (79 f.). 15 BVerfGE 47, 46 (78 f.); ähnlich Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (689). 16 Hess. V G H , U. vom 4.12.1978, KMK-Dokumentation Nr. 4,116 f.; vgl. auch die Zitate in BVerfGE 58,257 (268 ff.), die bei dem Förderstufenurteil vom 6.12.1972 (BVerfGE 34,165,192 f.) ansetzen. Vgl. auch Oppermann, Bildung (Fn. 7), 1976, 641, der als früheste Entscheidung BVerfGE 33, 303 vom 18.7.1972 und BVerfGE 34,165 vom 6.12.1972 sowie BVerwGE 47,194, 201 vom 15.11.1972 zitiert. Wilke(JZ 1982,759) und Umbach (Fn. 10), 1984,111 ff. (116), sehen im Strafgefangenenbeschluß vom 14.3.1972 (BVerfGE 33, 1) die Begründung der Wesentlichkeitstheorie. 17 Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 12

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" 3.1.2 Die Historie des Wesentlichkeitsmerkmals

In der Rechtsprechung des BVerfG aus den siebziger Jahren äußert das Gericht bereits im Facharztbeschluß vom 9.5.1972,18 einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich prägende Vorschriften über die Auslegung des Berufs seien dem Gesetzgeber zumindest in den Grundzügen vorzubehalten. Jedenfalls die „statusbildenen" Normen seien in den Grundzügen durch ein formelles Gesetz festzulegen. 19 Bereits zwei Jahre vorher hatte der hessische StGH in einem Urteil vom 15.7.197020 die Geltung des Gesetzesvorbehalts für das Schulverhältnis mit den rechtsstaatlichen und demokratischen Geboten der Verfassung begründet. Zugleich lehnte es eine originäre Rechtsetzungsbefugnis der Exekutive, gestützt auf das besondere Gewaltverhältnis oder die Rechtsfigur der Sonderverordnung ausdrücklich ab. In einer Entscheidung vom 25.4.1972 vertrat das V G Hamburg die Auffassung, der Vorbehalt des formellen Gesetzes sowie Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und Art. 53 Abs. 1 Satz 2 der hamburgischen Verfassung sollen gewährleisten, daß das Parlament selbst die „wesentlichen Entscheidungen" trifft und selbst die für die Ordnung eines Lebensbereichs entscheidenden Vorschriften erläßt. 21 Geht man zeitlich noch etwas weiter zurück, so stellt man fest, daß die Grundgedanken der Wesentlichkeitslehre der siebziger Jahre bereits in mehreren Entscheidungen des BVerfG aus den fünfziger und sechziger Jahren, insbesondere zur Auslegung des Art. 80 G G , sowie in verschiedenen Äußerungen des Schrifttums zum Ausdruck kommen. Nach ersten auf einen Parlamentsvorbehalt hindeutenden Äußerungen des BVerfG im Neugliederungsurteil 22 und im Beschluß zur Änderung von Gerichtsbezirken 23 führte das Gericht in der Entscheidung zum Umsatzsteuergesetz 24 aus: „Die Vorschrift des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G soll den Gesetzgeber zwingen, die für die Ordnung eines Lebensbereichs entscheidenden Vorschrif-

18

BVerfGE 33, 125 (160); ähnlich BVerwGE 41, 261. BVerfGE 33, 125 (163). 20 Hess. StGH, E S V G H 21, 1 (12 ff.). 21 V G Hamburg, D Ö V 1973, 54. Wenn zum Teil von einer „Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts" gesprochen wird (so zum Beispiel Bethge, N V w Z 1983, 577, und Bryde, Rdn. 4 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983), so werden dabei die wichtigen dogmatischen Beiträge des BVerwG (insbesondere BVerwGE 47,194,201) als auch die frühen Initiativen anderer Gerichte nicht hinreichend gewürdigt. Diese Entscheidungen übersieht Grosser, BayVBl. 1983,551 ff. (552), wenn er meint, die Wesentlichkeitsrechtsprechung sei erst mit dem Numerus-clausus-Beschluß des BVerfG vom 18.7.1972 (BVerfGE 33, 303) eingeleitet worden. Auch die Gewichtung bei Umbach (Fn. 10), 1984,111 ff. (122), das BVerwG und andere Verwaltungsgerichte seien dem BVerfG gefolgt, ist daher nicht ganz zutreffend. 22 BVerfGE 1, 14 (59 f.), U. vom 23.10.1951 - Neugliederung. 23 BVerfGE 2, 307 (334), B. vom 10.6.1953 - Änderung von Gerichtsbezirken; ähnlich schon B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff. 24 BVerfGE 7,282 (302), U. vom 5.3.1958 - Umsatzsteuergesetz; vgl. dazu Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl., 1984, 811, Fn. 289, wonach das Stichwort für die Regelung des „Wesentlichen" durch den Gesetzgeber schon - wenngleich im Verhältnis zum Verordnungsgeber - erstmals 1958 in dieser Entscheidung sichtbar geworden sei. 19

3.1 Das Kriterium der „Wesentlichkeit"

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ten selbst zu setzen ..." 2 5 Daß dem Gesetzgeber die Eigenregelung der entscheidenden und wesentlichen Gegenstände dieses Regelungsbereichs selbst vorbehalten bleiben solle, kommt im dritten Leitsatz dieser Entscheidung deutlich zum Ausdruck: „Ein Gesetz, das eine Steuer einführt, und es dem Verordnungsgeber überläßt, das Wesentliche zu bestimmen, verstößt gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit." 26 Dieser Aussage läßt sich im Umkehrschluß entnehmen, daß der Gesetzgeber das Wesentliche selbst im Gesetz bestimmen muß und dies nicht dem Verordnungsgeber überlassen darf - eine Kompetenzzuweisung, die den Kerngehalt der späteren Wesentlichkeitsrechtsprechung bereits Ende der fünfziger Jahre vorwegnimmt. 27 I n einem Urteil vom 5.8.1966 leitet das Gericht aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Prinzip der Gewaltenteilung das später immer wieder zitierte 28 Gebot ab, „daß der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung die der staatlichen Eingriffsmöglichkeit offenliegende Rechtssphäre selbst abgrenzt und dies nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörde überläßt". 2 9 Bereits in dieser Entscheidung wird zur Abgrenzung des vom Gesetzgeber selbst zu regelnden Bereichs darauf abgestellt, ob die Grundrechtssphäre des Bürgers betroffen ist. In einer wenige Monate später ergehenden Entscheidung zum Gebührenrecht unterstellt das BVerfG den Erlaß von Gebührenordnungen wegen ihrer einschneidenden Bedeutung für den Staatsbürger einen Vorbehalt des förmlichen Gesetzes.30 Die Feststellung, daß die im Streit stehende Bestimmung das vom Gericht geforderte Minimum materieller Regelungen nicht enthalte, führt das Gericht zu der Rüge, der Gesetzgeber habe „auf wesentliche Entscheidungen verzichtet" und sie der Bundesregierung und dem Bundesrat allein überlassen. 31 Im Schrifttum der fünfziger und sechziger Jahre werden die Aussagen der Rechtsprechung von Teilen der Literatur rezipiert und ohne weitere Kommentierung, aber offenbar zustimmend, wiedergegeben. 32 Andere Äußerungen ergehen ohne ausdrücklichen Bezug zur Rechtsprechung des BVerfG, deuten aber der Sache nach in die gleiche Richtung. So versucht Ehmke in seiner Monographie „Wirtschaft und Verfassung" den „Kernbereich der Gesetzge25

BVerfGE 7, 282, Leitsatz 2. BVerfGE 7, 282 (302) und Leitsatz 3. 27 Diese Aussage greift das Gericht in einem U. vom 15.12.1959 (BVerfGE 10,251 - Beförderungssteuer) noch einmal auf und wiederholt den 2. Leitsatz jener Entscheidung in leicht modifizierter Form. In einem B. vom 18.5.1965 zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 G G führt das BVerfG aus, die „fundamentalen" Zuständigkeitsregelungen müßten vom Gesetzgeber gegeben werden (BVerfGE 19, 52,60). Zum institutionell-organisatorischen Gesetzesvorbehalt vgl. auch Listi, DVB1. 1978, 10 ff. (14). 26

28

Vgl. BVerfGE 34, 165 (192 f.); 45, 400 (418); BVerwGE 64, 308 (310 f.). BVerfGE 20, 150 (157 f.), U. vom 5.8.1966 - Sammlungsgesetz; ebenso BVerfGE 22, 330 (345), B. vom 15.11.1967. 30 BVerfGE 20,257 (268 ff.), B. vom 11.10.1966 - Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen. 31 BVerfGE 20,257 (269 ff.); ganz ähnlich BVerfGE 21,209 (215) - Lastenausgleich: Aus dem Rechtsstaatsprinzip folge, daß der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit zu treffen habe. 32 Vgl. Meschede, Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf die Exekutive unter besonderer Berücksichtigung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 G G , 1963, 11 f., 86. 29

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

bung" mit den Worten zu umreißen, der Gesetzgeber müsse „die material-allgemeinen Normen niederlegen, die für das politische Gemeinwesen gichtigen' Entscheidungen treffen". 33 Die Grenzziehung habe „zwischen wesentlichen und unwesentlichen Akten" zu erfolgen, wobei Ehmke zu deren näherer Bestimmung auf Tradition, Rechtsbewußtsein, politische Kräfteverhältnisse und Verfassungsgerichtsbarkeit abstellt. Wenn auch diese eher rechtssoziologischen als verfassungsrechtlichen Kriterien in ihrer deskriptiven Form kaum für eine rechtliche Grenzziehung fruchtbar gemacht werden können, so ist doch der Grundgedanke, das Wesentliche müsse der Gesetzgeber selbst regeln, auch hier deutlich erkennbar. Andere verlangen, daß „wesentliche" Sachfragen nicht dem Satzungsgeber überlassen werden dürfen. 34 Das Parlament dürfe auf sein Erstgeburtsrecht bei der Entscheidung wichtiger Fragen von allgemeiner Bedeutung nicht verzichten. Der Gesetzesvorbehalt biete heute im wesentlichen eine Garantie dafür, daß das Parlament seine politische Führungsaufgabe nicht aus der Hand gibt. 3 5 Pflicht des Gesetzgebers sei es, die „obersten Zielsetzungen der Staatstätigkeit inhaltlich zu bestimmen". 36 Aufgabe des Gesetzgebers sei es, das Grundsätzliche zu regeln. 37 Andere gelangen im Wege einer Auseinandersetzung mit dem Gesetzesbegriff zu ähnlichen Ergebnissen. So vertritt Hollerbach die Auffassung, der Begriff vom allgemeinen Gesetz meine dogmen-historisch das für das politische Gemeinwesen Wichtige, Grundlegende und Richtungsweisende.38 Ähnlich votiert Hesse dafür, es sei von einem einheitlichen Gesetzesbegriff auszugehen, wonach die „grundlegenden Fragen" der Form des Gesetzes bedürfen. 39 Starck schließlich verlangt im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG, der Gesetzgeber müsse die wesentlichen Regelungen der Berufsordnung selber treffen. 40 Bereits diese begrenzte Auswahl von Literaturmeinungen belegt, daß der Gedanke, den Vorbehaltsbereich des Gesetzgebers mit Hilfe des Wesentlichkeits- oder Wichtigkeitskriteriums abzugrenzen, schon im verfassungsrechtlichen Schrifttum der fünfziger und sechziger Jahre verbreitet war. Die Spur des Wesentlichkeitsgedankens läßt sich indes noch weiter zurückverfolgen. A u f dem 32. Bamberger Juristentag 1922 wurde der im Vorjahr von dem Abgeordneten Schiffer und seiner Fraktion beim Reichstag eingebrachte Vorschlag, zur Entlastung des Reichstags die Möglichkeit zu eröffnen, Gesetze von einem Ausschuß des Reichstags beschließen zu lassen,41 dahingehend eingeschränkt, daß diejenigen Reichsgesetze dem Parlament vorzubehalten seien, die „leitende Grundsätze" enthielten oder aus anderen Gründen 33 Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961,77,555 ff., unter Bezugnahme auf Scheuner, Der Bereich der Regierung, 1952, 253 ff. (274). 34 Häberle, D Ö V 1965, 369 ff. (374). 35 Bachof, V V D S t R L 24 (1966), 225 f. 36 Weyer, Das Verordnungsrecht der Exekutive als Gewaltenproblem, 1956, 141 (149). 37 Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 1958, 99. 38 39 40 41

Hollerbach, V V D S t R L 24 (1966), 233. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 5. Aufl., 1971, 202 ff. Starck, AöR 92 (1967), 449 ff. (469). Reichstags-Drucks. 1921, Nr. 1380 bis 1382.

3.1 Das Kriterium der „Wesentlichkeit"

109

„von besonderer Bedeutung waren". 42 Damit wurde im Verhältnis Parlamentsplenum - Parlamentsausschuß ein Wichtigkeitsvorbehalt aufgestellt. Diese Aussage betraf zwar nicht das Verhältnis Legislative - Exekutive, der Grundgedanke aber, daß das Parlamentsplenum in seiner Funktion als Gesetzgeber die wichtigen Dinge selbst entscheiden müsse, liegt ganz offenbar auch den damals angestellten Überlegungen zugrunde. Ähnliches kommt in der Stellungnahme Triepels zum Ausdruck, der angesichts der Unschärfe der zitierten Abgrenzungskriterien die Gefahr gegeben sah, daß „die wichtigsten Dinge" hinter verschlossenen Türen behandelt werden und das Volk mit „den einschneidendsten Neuerungen auf rechtlichem Felde völlig überrascht werden" könnte. 43 Auch in seiner Schrift „Delegation und Mandat im öffentlichen Recht", die zwar erst 1942 erschien, aber bereits Anfang des Jahrhunderts konzipiert wurde, 44 wirft er die Frage auf: „Soll man zwischen Wichtigem und Unwichtigem die Trennungslinie ziehen?" 45 Die dazu geäußerte Skepsis Triepels bezieht sich weniger auf diese grundsätzliche Aussage als vielmehr auch hier auf die Unbestimmtheit der Abgrenzungsformel. Bekanntlich wurde der Begriff „Vorbehalt des Gesetzes" von Otto Mayer in seinem Handbuch „Deutsches Verwaltungsrecht" geprägt. 46 Dort heißt es: „Das verfassungsmäßige Gesetz ist ... nur für gewisse besonders wichtige Gegenstände zur notwendigen Bedingung aller Staatstätigkeit gemacht worden. Für alle übrigen ist die vollziehende Gewalt an sich frei... Wir nennen den Ausschluß ihres selbständigen Vorgehens, der bezüglich jener besonders ausgezeichneten Gegenstände besteht, den Vorbehalt des Gesetzes."47 Otto Mayer brachte das Vorbehaltsprinzip auf den Begriff; die ersten Ausprägungen des Vorbehaltsprinzips tauchen jedoch bereits in den Vormärz-Verfassungen auf. 4 8 Und selbst dort läßt sich bereits der Wesentlichkeitsansatz aufspüren: Die Hannoversche Verfassung von 1840 enthält in Art. 113 die Bestimmung, daß sich die Mitwirkung der Stände „auf den wesentlichen Inhalt der Gesetze" beschränke. 49 Der Mitwirkungsbereich der Stände an der Gesetzgebung wird bereits hier mit Hilfe des Wesentlichkeitsbegriffs abgegrenzt. Selbst wenn man von der frappierenden verbalen Parallelität absieht, so wird die hier vertretene These, daß die angeblich so neue „Wesentlichkeitstheorie" so neu gar nicht ist, sondern ihre Wurzeln in den Anfängen des Vorbehaltsprinzips selbst findet, durch eine Rückbesinnung auf Sinn und 42

Vgl. dazu Triepel, Verhandlungen des 32. D J T 1922, 11 ff. (28). Triepel (Fn. 42), 1922, 11 ff. (28 f.). 44 Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942 (Hinweis im Vorwort, der erste Entwurf dieser Untersuchung sei vor 40 Jahren entstanden). 45 Triepel (Fn. 44), 1942, 113. 46 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1. Aufl., 1895, 3. Aufl., 1924. 47 Otto Mayer (Fn. 46), 1923,69 ff. Aufschlußreich auch die Genese des preußischen Unterrichtsgesetzes; in der Diskussion wurde dem Ministerdas Recht bestritten, „so tief ins Volksleben einschneidende Bestimmungen auf einfachem Verordnungswege selbständig zu erlassen", und dafür ein „durch die gesetzgebenden Gewalten vollzogener gesetzgeberischer Akt" gefordert (vgl. Clausnitzer/Rosin, Geschichte des preußischen Unterrichtsgesetzes, 1912, 191). 48 Vgl. dazu oben Kap. I I 2.1. 49 Zitiert nach Ebel (Fn. 37), 1958, 90. 43

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Funktion des Vorbehalts des Gesetzes bestätigt. Schon die klassische Freiheitund Eigentum-Formel des 19. Jahrhunderts bedeutete im Grunde nichts anderes als die Anerkennung der politischen Wesentlichkeit der beiden nach damaligem Zeitverständnis im Vordergrund stehenden Grundrechte. 50 Mit der Freiheit- und Eigentum-Formel wurde genau das umschrieben, was heute mit der Wesentlichkeitsformel als Maßstab für das Erfordernis gesetzlicher Normierung anerkannt wird: die grundrechtliche wie allgemeinpolitische Bedeutung, kurz: die Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Bedeutsamkeit einer Maßnahme für den oder die Betroffenen. 51 Da der Staat in jener Zeit als ausschließlicher potentieller Beeinträchtiger der Grundrechte angesehen wurde, war für die Bürger das Unterbleiben derartiger Eingriffe in ihre Rechtspositionen „wesentlich". 52 Letztlich umschrieb daher die Freiheit- und Eigentum-Formel nur mit anderen - zeitgemäßen - Worten den gleichen Grundgedanken wie die heutige Wesentlichkeitstheorie. Das Merkmal der Wesentlichkeit beziehungsweise Wichtigkeit war im Grunde schon immer der maßgebliche Drehund Angelpunkt des Gesetzesvorbehalts, ohne freilich als solcher erkannt worden zu sein. 53 Es stellt nach alledem keine Übertreibung dar, wenn man feststellt: Der Wesentlichkeitsgedanke ist so alt wie der Vorbehalt des Gesetzes selbst. 54 Die Entwicklung der Wesentlichkeitstheorie bedeutet somit keineswegs eine Stunde Null in der Diskussion um den Gesetzesvorbehalt. Es sind daher bereits an dieser Stelle Vorbehalte anzumelden, ob die Wesentlichkeitstheorie tatsächlich einen so revolutionären Schritt nach vorn gebracht hat, wie allgemein angenommen wird. 5 5 Diese Erkenntnis mahnt zugleich zur Skepsis gegenüber überzogenen Erwartungen, die an die Entwicklung der vermeintlich so neuen Wesentlichkeitstheorie geknüpft worden sind. 56

3.1.3 Schwankende Terminologie

Ob eine Auseinandersetzung mit dem Wesentlichkeitsbegriff überhaupt weiterführen kann, ist auch aus anderen Gründen zu bezweifeln. Die Fixierung auf das Wesentlichkeitsmerkmal hat sich erst im Laufe der Zeit heraus50

Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 53. Vogt, Empfiehlt sich die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung?, 1981, 58. 52 Zimmer, Der Staat 18 (1979), 161 f. 53 Vogt (Fn. 51), 1981,59. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß man sich an der konkreter erscheinenden klassischen Vorbehaltsformel orientierte, ohne daß die Notwendigkeit bestand, sich auf die hinter ihr stehenden Grundgedanken zu besinnen (vgl. Vogt, S. 69 mit Fn. 109a). 54 Vgl. dazu Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, 385 f. 55 Ähnlich Vogt (Fn. 51), 1981, 60; vgl. auch Lerche (Fn. 6), 1980, 35. 56 Wenn der Wesentlichkeitsgedanke so alt ist wie der Vorbehalt des Gesetzes selbst, so wird man von ihm allein kaum entscheidende neue Erkenntnisse für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts erwarten dürfen, zumal es sich - wie dargelegt - um eine Verallgemeinerung gegenüber der ja konkreteren herkömmlichen Vorbehaltsformel (Stichworte: Freiheit und Eigentum, Eingriff) handelt. Andererseits wird man hier und dort durchaus auf herkömmliche Argumentationsfiguren zurückgreifen können. 51

3.1 Das Kriterium der „Wesentlichkeit"

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gebildet. I m Numerus-clausus-Urteil benutzte das BVerfG noch abwechselnd die Bezeichnungen wesentlich, grundlegend und einschneidend. 57 Das BVerwG verwendete die Begriffe „wesentlich" und „grundlegend" im Vorlagebeschluß der Sexualkunde, im Urteil zur Fünf-Tage-Woche sowie in der Lateinentscheidung in synonymer Bedeutung. 58 In weiteren Entscheidungen sowie im Schrifttum gesellten sich weitere Bezeichnungen hinzu wie bedeutsam, bedeutend, grundsätzlich, (ge)wichtig, fundamental, entscheidend, maßgeblich. 59 Gelegentlich werden darüber hinaus substantivistische Formulierungen verwendet wie Grundzüge, parlamentarische Leitentscheidungen, Kern (des Zulassungswesens), grundsätzliche Gemeinschaftsentscheidungen. 60 I m Parlamentsgesetz seien das Grundlegende, Belangvolle, Gewichtige, Gefestigte und die staatsleitenden Akte zu regeln. 61 Erst seit dem Sexualkundebeschluß des BVerfG scheint sich die Konzentration auf das Adjektiv „wesentlich" allgemein durchgesetzt zu haben. Läßt man den Katalog sinnverwandter Begriffe an sich vorüberziehen, so wird ohne weiteres deutlich, daß die Wahl des jeweiligen Ausdrucks wohl in erster Linie eine Frage des Sprachgefühls sein dürfte und dem Wort „wesentlich" nichts anderes als die triviale Bedeutung „wichtig" beizumessen ist. 6 2 Für eine dogmatisch befriedigende Lösung des Problems, wie die Reichweite des Parlamentsvorbehalts zu bestimmen ist, läßt sich nach alledem kaum bei dem - im Grunde austauschbaren - Begriff „wesentlich" ansetzen. Von vornherein verfehlt wäre es deshalb, sich in einer Wesentlichkeitsargumentation festzubeißen. 63 Etymologische oder wissenschaftstheoretische Überlegungen zum „Wesen des Wesens" erübrigen sich daher, nicht nur, weil die Argumentation aus dem Wesen einer Sache den von Scheuerle dargelegten wissenschaftstheoretischen Einwendungen ausgesetzt wäre, 64 sondern vor allem auch im Hinblick darauf, daß mit einer begriffsjuristischen Herangehensweise der zugrundeliegenden kompetenzrechtlichen Problematik nicht beizukommen wäre.

57

BVerfGE 33, 303. BVerwGE 47, 194 (199 f.); 47, 201 (203 ff.); 64, 304 (312, 315). 59 Vgl. dazu Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, 205 ff. Auf die schwankende Terminologie der Wesentlichkeitslehre weist auch Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (54), hin. Vgl. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1983, § 6 Rdn. 11; Grosser, BayVBl. 1983, 551 ff. (552); Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (123). 60 Vgl. zum Beispiel BVerfGE 33, 303 (336 ff.); 40, 237 (249 f.); 41, 251 (260); O V G Berlin, NJW 1973,819; Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 74; Ossenbühl, D Ö V 1982,833 ff. (838); Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (55). 61 So Eichenberger, V V D S t R L 40 (1982), 27; vgl. auch Loose, Möglichkeiten der Entlastung des Deutschen Bundestages bei der Gesetzgebung, 1977, 48. 62 Das BVerfG hat dies im Sexualkundebeschluß selbst sehr deutlich zum Ausdruck gebracht (BVerfGE 47, 46, 79). 63 Vgl. Dietze, DVBl. 1976, 593 ff. (602). 64 So der Titel eines Aufsatzes von Scheuerle, AcP 163 (1963), 429 ff.; vgl. dazu auch Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, 1980, 47. Es geht auch nicht um das „Wesen der Sache" oder um die „Natur der Sache", vgl. Maurer (Fn. 58), § 6 Rdn. 11 ; Umbachs (Fn. 10), 1984,111 ff. (122 f.) Versuch, der Wesentlichkeitstheorie über die sogenannten „Wesenstheorien" beizukommen, ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. 58

112

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" 3.1.4 Bezugspunkte des Wesentlichkeitskriteriums

Wenn schon der Wesentlichkeitsbegriff für sich allein die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts nicht anzugeben vermag, so kommt es um so mehr darauf an, mit welchem Bezugspunkt die Bezeichnungen „wesentlich", „wichtig" usw. verwendet werden. Eine Einigung über das, was wesentlich ist, setzt Konsens darüber voraus, wofür es wesentlich sein soll. 65 Da es keine Wesentlichkeit oder Wichtigkeit an sich gibt, muß sich diese an bestimmten Bezugspunkten (wesentlich wofür? im Hinblick worauf?) und Maßstäben (wesentlich gemessen an was?) orientieren. 66 Die Rechtsprechung zeigt ein buntes Bild an unterschiedlichen Bezugspunkten. War in der Facharztentscheidung davon die Rede, dem Gesetzgeber seien die das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich prägenden Vorschriften über die Ausübung des Berufs vorzubehalten 67 und forderte das BVerfG im ersten Numerus-clausus-Urteil, die wesentlichen (grundlegenden) Entscheidungen habe der Gesetzgeber selbst zu treffen, 68 so hieß es im Förderstufenurteil, der Gesetzgeber müsse die wesentlichen Merkmale dieser Schulform festlegen, 69 womit nun das Wesentlichkeitsmerkmal auf den zu regelnden Sachgegenstand bezogen wurde. I m Vorlagebeschluß des BVerwG zum Sexualkundeunterricht sowie im Urteil zur Fünf-Tage-Woche taucht erstmals deutlich der Grundrechtsbezug auf. In grundrechtsrelevanten Bereichen solle der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. 70 Auch hier wird das Wesentlichkeitsmerkmal unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Entscheidungen des BVerfG in verschiedenster Weise attributiv und adverbial verwendet. In der Sexualkundeentscheidung des BVerfG setzt sich dieses erstmals eingehend mit dem Wesentlichkeitskriterium auseinander. Deutlicher noch als in den beiden Entscheidungen des BVerwG wird der Grundrechtsbezug hervorgehoben. 71 Die noch im Oberstufenbeschluß des BVerfG 7 2 zusammenhanglos nebeneinander stehenden Gesichtspunkte der 65 Vgl. Nevermann, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 96; Ders., ZfPäd 1977, 119; Ders., VerwArch 71 (1980), 241 ff.; Hufen, JA 1977, 73 ff. (75); Ders., RdJB 1977, 2 f. (5). 66 Vgl. Kisker, NJW 1977, 1313 ff.; Faber, Art. 20 Abs. 1-3, V, Rdn. 24, in: A K - G G , 1984. Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (122), bemängelt, in den Entscheidungen des BVerfG suche man vergeblich nach den Kriterien, nach denen sich die „Wesentlichkeit" bemessen soll (vgl. auch 124 f.). 67 BVerfGE 33, 125 (160). 68 BVerfGE 33, 303 (345 f.). 69 BVerfGE 34, 165 (192). 70 BVerwGE 47, 194 (197); 47, 201 (203 f.). 71 BVerfGE 47,46 (79): „Ob eine Maßnahme wesentlich ist und damit dem Parlament selbst vorbehalten bleiben muß oder zumindest nur aufgrund einer inhaltlich bestimmten parlamentarischen Ermächtigung ergehen darf, richtet sich zunächst allgemein nach dem Grundgesetz. Hier vermittelt der Schutz der Grundrechte einen wichtigen Gesichtspunkt... Im grundrechtsrelevanten Bereich bedeutet somit ,wesentlich' in der Regel ,wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte 4 ..." 72 BVerfGE 45,400 (418); ähnlich BVerfGE 40,237 (249), wo vor allem auf die Unmittelbarkeit der Betroffenheit des Bürgers abgestellt wurde; in BVerfGE 41,251 (260 f.), wurde besonders auf die Eingriffsintensität abgestellt. Die Zitate vorausgegangener Entscheidungen in BVerfGE 47, 46 (79) erwecken den unzutreffenden Eindruck, der Grundrechtsbezug des Wesentlichkeitskriteriums sei schon dort in gleicher Form hergestellt worden. Zur Kritik an der Zitierweise in Gerichtsentscheidungen vgl. Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (97).

3.2 Die Grundrechtsrelevanz

113

Wesentlichkeit und des Grundrechtsbezugs werden nunmehr miteinander verknüpft. Wer nach der Sexualkundeentscheidung Klarheit über den Bezugspunkt des Wesentlichkeitsmerkmals erwartet hatte, sah sich in den folgenden Entscheidungen des BVerfG zur Versetzung und Schulentlassung73 und des BVerwG zur Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe (Lateinentscheidung) 7 4 enttäuscht. Der Wesentlichkeitsbegriff wird auch hier erneut in unterschiedlichen Bezügen und nicht immer in der gleichen Bedeutung verwendet, was einer klaren Konturierung des Wesentlichkeitsansatzes abträglich ist. Insbesondere in der Lateinentscheidung des BVerwG fällt der geradezu inflationäre Gebrauch des Begriffs „wesentlich" auf. 75 Dieser wird zunehmend zu einem handlichen Passepartout für die Begründung des Vorbehalts des Gesetzes.76 Dabei erscheint die Wortwahl nicht selten in sich widersprüchlich und verwirrend. 77 Hinzu kommt, daß das Wesentlichkeitskriterium mal auf der Tatbestandsseite (zum Beispiel: wesentliche Veränderung, deshalb Regelung durch den Gesetzgeber), mal auf der Rechtsfolgenseite (zum Beispiel: was muß der Gesetzgeber regeln: zum Beispiel die wesentlichen Merkmale der Förderstufe) verwendet wird. 7 8 Fügt man beides zusammen, dann muß der Gesetzgeber bei „wesentlichen" Entscheidungen das „Wesentliche" selbst regeln - eine Verknüpfung, welche die Allzweckfunktion des Wesentlichkeitsmerkmals und seine Konturenlosigkeit besonders deutlich macht. 79 3.2 Die Grundrechtsrelevanz Den prägnantesten Bezug des Wesentlichkeitsmerkmals hat das BVerfG im Sexualkundebeschluß hergestellt, als es ausführte, im grundrechtsrelevanten 73

BVerfGE 58, 257. BVerwGE 64, 308. 75 Im einzelnen benutzt das Gericht folgende Formulierungen: wesentliche (grundlegende) Entscheidungen im Schulwesen; wesentliche Schulangelegenheiten; Entscheidungen ... von wesentlicher (grundlegender) Bedeutung;... ist für die Verwirklichung des... elterlichen Erziehungsrechts wesentlich; Schulinhalte, die ... in ihren wesentlichen Punkten geändert werden sollen; wesentliche Voraussetzungen für die Wahrung ihres Elternrechts; wesentlich für die Verwirklichung dieses Grundrechts (Elternrecht); die Bestimmung der Pflichtfremdsprache... steckt... in einem wesentlichen Punkt den Rahmen ab; bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung..., die die Struktur des herkömmlichen Schulsystems organisatorisch und inhaltlich wesentlich verändert hat; die Wahl des weiteren Bildungsweges wird ... wesentlich beeinflußt; Gesetzesvorbehalt für die wesentlichen (grundlegenden) Entscheidungen im Schulverhältnis. 76 Der Oberbegriff „Vorbehalt des Gesetzes" wird hier bewußt gewählt, weil das Wesentlichkeitskriterium teils zur Begründung des Parlamentsvorbehalts, teils zur Begründung des Rechtssatzvorbehalts verwendet wird. 77 Macht es nicht einen grundlegenden Unterschied, ob sich der Vorbehalt des Gesetzes für wesentliche Entscheidungen auf das „Schulwesen" insgesamt oder nur auf das „Schulverhältnis" oder auf die „wesentlichen Schulangelegenheiten" bezieht; ist es dasselbe, ob etwas „in wesentlichen Punkten geändert" wird oder „in einem wesentlichen Punkt" einen Rahmen absteckt? 78 Vgl. auch Lerche (Fn. 6), 1981,71; Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff. (396); Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (57); Kloepfer, JZ 1984, 685 (691 f.). 79 Maurer (Fn. 59), 1983, § 6 Rdn. 11, stellt daher fest, es sei nicht zu verkennen, daß sich mit der Wesentlichkeitstheorie im Einzelfall kaum eindeutige Ergebnisse erzielen lassen. Ule, VerwArch 76 (1985), 1 ff. (13), weist daraufhin, die Entscheidung, wann eine Frage wesentlich ist, stehe weitgehend im Belieben des BVerfG. 74

114

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Bereich bedeute „wesentlich" in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". 80 Der Grundrechtsbezug des den Parlamentsvorbehalt indizierenden Wesentlichkeitsmerkmals ist in Rechtsprechung und Literatur mit breiter Zustimmung rezipiert worden, 81 wenngleich auch hier zum Teil die Kritik an der Wesentlichkeitslehre ansetzt. 82

3.2.1 Die Grundrechtsakzessorietät

des Parlamentsvorbehalts

M i t der Formel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" hat das BVerfG deutlich gemacht, daß Geltung und Reichweite des Parlamentsvorbehalts grundrechtsbezogen zu bestimmen sind. Die Grundrechte entfalten somit im Rahmen der Vorbehaltslehre deutlich kompetenzrechtliche Wirkungen. 83 Dieser Ansatz führt zu einer Grundrechtsakzessorietät des Parlamentsvorbehalts. Seine Reichweite ist abhängig von der Reichweite des materiellen Grundrechtsschutzes. Die Kompetenzfrage ist daher für den jeweiligen Regelungsbereich auf dem Hintergrund der einschlägigen Grundrech tspositionen zu beantworten. Die Reichweite der materiellen Grundrechte wird so für die Reichweite des Parlamentsvorbehalts konstitutiv.

3.2.2 Die Abkehr von der Freiheit- und Eigentum-Formel

Der entscheidende Wandel und Fortschritt der sogenannten Wesentlichkeitstheorie ist mit dem BVerfG 8 4 darin zu sehen, daß der Vorbehalt des Gesetzes von seiner Bindung an überholte Formeln (Eingriff in Freiheit und Eigentum) gelöst worden ist und Umfang und Reichweite des Parlamentsvorbehalts unabhängig von der klassischen Freiheit- und Eigentum-Formel neu bestimmt werden können. ( 1) Freiheit und Eigentum

Nach der Freiheit- und Eigentum-Formel unterlagen diejenigen Regelungen dem Vorbehalt des Gesetzes, durch die in Freiheit und Eigentum der Bürger eingegriffen wurde. 85 Auch der herkömmliche Vorbehalt des Gesetzes knüpfte somit an die Grundrechtsrelevanz der Regelung an und war daher 80

BVerfGE 47, 46 (79). Vgl. auch BVerfGE 34,165 ( 192 f.); 40,237 (249); 45,400 (418); 56,1(13); 57,295 (321 ); 58, 257 (272 ff.); 49, 89 (126 ff.); 62,169 (182 f.); BVerwG, U. vom 12.4.1984, 5 C 72.82 - Berufsbildungsrecht; ähnlich schon BVerwGE 47, 194(201 ff.); 56,155(157); 64,308(312f.);BayVerfGH, BayVBl. 1980, 368 (370). 82 Vgl. Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (488): Einerseits würden solche Maßnahmen dem Parlamentsgesetz vorbehalten, die einen Bezug zu Grundrechten aufweisen, andererseits werde zum Beispiel die Bestimmung des Rechtsrisikos bei Atomanlagen der Verwaltung überlassen, weil dies einem dynamischen Grundrechtsschutz diene. 83 Vgl. Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken, 1981,36 ff. 84 BVerfGE 40,237 (248 f.); 47,46 (79); 49,89 ( 126 f.); vgl. auch Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff. (393). 85 Vgl. dazu oben Kap. I I 2. 81

3.2 Die Grundrechtsrelevanz

115

nicht weniger grundrechtsakzessorisch als der Parlamentsvorbehalt im Verständnis der neueren Rechtsprechung. Eine entscheidende Veränderung liegt dabei nicht etwa in einer Ausdehnung des Grundrechtsbezuges auf andere Grundrechte als Freiheit und Eigentum. Schon mit der klassischen Freiheit- und Eigentum-Formel wurde im Prinzip der gesamte Rechtsbereich des Bürgers abgedeckt. 86 Bereits die von Otto Mayer verwendete Umschreibung des Vorbehalts des Gesetzes machte deutlich, daß dieser keineswegs nur auf Eingriffe beschränkt war, welche Freiheit und Eigentum betrafen. 87 Die Begriffe „Freiheit und Eigentum" wurden seit jeher im weitesten Sinne verstanden, so daß sie die gesamte Rechts- und Freiheitssphäre der Individuen und ihrer Verbände umfaßten. 88 (2) Die Abkehr vom Eingriffsdenken

Wenn somit das grundlegend Neue nicht darin bestehen kann, daß die Akzessorietät des Vorbehaltsprinzips von zwei Grundrechten auf den gesamten Grundrechtsbereich ausgedehnt wurde, so liegt das Entscheidende vielmehr in der Abkehr vom herkömmlichen negatorischen Eingriffsdenken. 89 Die Annahme des Vorbehalts des Gesetzes war seit jeher an das Vorliegen eines Eingriffs in die Rechtssphäre des Bürgers geknüpft. Der Vorbehalt des Gesetzes war - um in der oben verwendeten Terminologie zu bleiben eingriffsakzessorisch. Auch wenn Rechtsprechung und Literatur nach wie vor vereinzelt im Kontext des Vorbehaltsprinzips von Eingriffen sprechen 90 und im Einzelfall weniger strenge Anforderungen an die Bestimmtheit von Ermächtigungen bei begünstigenden Verwaltungsakten als bei Eingriffsermächtigungen stellen, 91 so wird doch im Gefolge der Wesentlichkeitsrechtsprechung der Vorbehalt des Gesetzes durchgehend von der Kategorie des Eingriffs getrennt. 92 Das Vorbehaltsmerkmal „Eingriff 4 ist damit als notwendige Voraussetzung für die Geltung des Gesetzesvorbehalts aufgegeben worden. 86 Die monarchischen Exklaven wie die des besonderen Gewaltverhältnisses verdankten ihre Existenz nicht einem Herausfallen aus den konkreten Grundrechten Freiheit und Eigentum, sondern generell einer Herausnahme aus der Sphäre des Rechts. 87 „Die klassische Form ist die Aufstellung sogenannter Grundrechte oder Freiheitsrechte, wonach den Bürgern persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit des Eigentums und sonstiger Rechte gewährleistet werden ..."; Otto Mayer (Fn. 47), 70. 88 Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, in: HDStR, Bd. I I , 1932, 221 ff. (223). 89 Vgl. BVerfGE 40,237 (249); 47,46 (79 f.); ähnlich BVerfGE 49,89 (126); dazu auch Lerche (Fn. 6), 1981,54; Böckenförde (Fn. 54), 1981, 391 f.; Bethge, N V w Z 1983,577; Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 69; Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984,113 ff. (119); Eberle, D Ö V 1984, 485; Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (114); noch eingriffsorientiert BVerfGE 41, 251 (262 f.); ähnlich noch Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff. (396); zum herkömmlichen Verständnis vgl. auch BVerfGE 8, 155 (166 f.). 90 Zum Eingriffsvorbehalt ausführlich Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, 1980, 22 ff. 91 BVerfGE 48, 210 (221 f.), mit der Begründung, die Grundrechtsrelevanz von Eingriffsermächtigungen sei regelmäßig erheblich gewichtiger als die von Ermächtigungen zu begünstigenden Verwaltungsakten. Auch hier wird also trotz Differenzierung zwischen Eingriff und Nichteingriff letztlich auf die generelle Grundrechtsrelevanz und ihre Intensität („erheblicher", „gewichtiger") abgestellt. Ähnlich V G Hamburg, NJW 1976, 75 ff. (77), sowie Grosser, BayVBl. 1983, 551 ff. (555), für das Subventionswesen. 92 Vgl. schon BVerfGE 40, 237 (249); vgl. dazu auch Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (688).

116

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

(3) Der Wandel des Grundrechtsverständnisses

M i t der Wende zu einem leistungsstaatlichen Grundrechtsverständnis 93 mußte sich notwendig auch der grundrechtliche Vorbehalt des Gesetzes wandeln: Wenn die Grundrechte nicht mehr nur als negatorische Abwehrrechte zu verstehen sind, sondern zugleich positive Schutzverbürgungen darstellen, erweitert sich der auf die Beschränkung grundrechtlicher Freiheit bezogene Kompetenzvorbehalt des Gesetzes auf den normativen Auftrag, grundrechtliche Freiheiten zu schützen und zu ermöglichen. Versteht man die Grundrechte auch als Teilhaberechte, 94 so ist der Bürger auf ein aktives Tätigwerden des Gesetzgebers angewiesen. Teilhaberechte sind, wie alle grundrechtlichen Freiheiten in ihrem leistungsstaatlichen Aspekt, nicht nur regelungsfähig, sondern stets regelungsbedürftig. Insoweit wandeln sich die früher ausschließlich abwehrend verstandenen Grundrechtsvorbehalte zu echten Regelungsvorbehalten. 95 Damit wird deutlich, daß die materielle Expansion der Grundrechte zugleich die Frage der Verteilung der Kompetenzen zwischen den Trägern staatlicher Gewalt berührt 9 6 und tendenziell zu einer Ausweitung des Vorbehalts des Gesetzes führen muß. 9 7 (4) Keine Einbuße der Abwehrfunktion

der Grundrechte

Durch den Wandel des Grundrechtsverständnisses haben die Grundrechte indes ihre Abwehrfunktion gegenüber staatlichen Eingriffen weder eingebüßt noch hat der Eingriffsvorbehalt seine Bedeutung völlig verloren. 98 Es kann daher keineswegs von einem „weggelegten Kriterium des Eingriffs" gesprochen werden. 99 Dem stehen schon die als Eingriffsvorbehalte formulierten Grundrechtsvorbehalte des positiven Verfassungsrechts entgegen. 100 Nach wie vor besitzt der Vorbehalt des Gesetzes die Funktion, die Grundrechtspositionen des Bürgers durch das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für staatliche Eingriffe vor einer rechtlich ungebundenen Exekutive zu schützen, insbesondere in den klassischen Eingriffsbereichen wie zum Beispiel des Polizeirechts oder des Strafrechts. Ob die Abwehr- und Schutzfunktion der Grundrechte überhaupt an Bedeutung eingebüßt hat, hängt im wesentlichen davon ab, wie man historisch-politisch die potentielle Gefährdung durch den 93 Mit dieser geht zugleich ein Wandel im Verständnis der Staatsaufgaben im modernen Sozial- und Leistungsstaat einher; eine Reduzierung der Staatsaufgaben auf die klassische Eingriffsverwaltung ist heute überholt. 94 Vgl. BVerfGE 33, 303 (330); Häberle, D Ö V 1972, 729 ff.; Plander, NJW 1972, 1941 ff.; Maunz, BayVBl. 1972, 469 ff.; Weber, JuS 1972, 664 ff., mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes zur materiellen Reichweite des Art. 12 Abs. 1 G G (entweder bloßes Abwehrrecht gegen berufslenkende staatliche Eingriffe oder Recht auf gleichmäßige Teilhabe an den vorhandenen Studienmöglichkeiten oder Recht auf Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Studienplätzen). 95 Häberle, D Ö V 1972, 729 ff. (735); Rupp, JuS 1975, 609 ff. (616). 96 Plander, NJW· 1972, 1941 ff. (1942). 97 Vgl. dazu insbesondere Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (687 f.). 98 Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (248); Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (486). 99 So aber Bäumlin/Ridder, Art. 20 Abs. 1-3, I I I Rdn. 62, in: A K - G G , 1984. 100 Vgl. zum Beispiel Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 8 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 14 Abs. 3, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 G G .

3.2 Die Grundrechtsrelevanz

117

in die Rechtssphäre des Bürgers eingreifenden Staat heute im Vergleich zu früheren Epochen einschätzt. Die Abkehr der Wesentlichkeitslehre vom klassischen Eingriffsvorbehalt wird man nicht als Einschränkung, sondern als Erweiterung des traditierten Vorbehalt des Gesetzes zu verstehen haben. Auch wenn die Rechtsprechung nunmehr ganz überwiegend ohne Differenzierung zwischen Eingriff und Leistung auf die Grundrechtsrelevanz abstellt, so wird man doch sagen können, daß Eingriffe im herkömmlichen Sinn im allgemeinen als so wesentlich anzusehen sind, daß regelmäßig der Parlaments vorbehält zur Anwendung gelangt. 1 0 1 Auch wird sich die Schwere des Betroffenseins bei hoheitlichen Eingriffen meist leichter bemessen lassen als wenn es darum geht, die nachteiligen Folgen ausgebliebener Leistungen daraufhin zu gewichten, ob sie „wesentlich" sind oder nicht. 1 0 2 Trotz alledem kann der Bejahung eines Eingriffs kaum mehr als Indizwirkung in bezug auf die Annahme des Parlamentsvorbehalts zukommen. Wilke kritisiert, das BVerfG verdränge die in zahlreichen Schrankenbestimmungen der Grundrechte enthaltenen Eingriffsvorbehalte und erkenne sie nur noch als „Ausprägungen" des von ihm erdachten Wesentlichkeitsvorbehalts an. 1 0 3 Dem ist insoweit zuzustimmen, als die als Eingriffsvorbehalte formulierten Grundrechtsvorbehalte nicht durch eine veränderte Interpretation des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes in ihrer Eingriffsdimension aufgehoben werden können. Richtig ist, daß dogmatisch zwischen dem allgemeinen Vorbehaltsprinzip und den speziellen Vorbehalten der Verfassung unterschieden werden muß. Daraus folgt aber zugleich, daß einzelne, als Eingriffsvorbehalte formulierte Grundrechtsvorbehalte eine sich vom Eingriffsmerkmal lösende Interpretation des allgemeinen Vorbehaltsprinzips nicht hindern können. Die Tatsache, daß einzelne Grundrechtsvorbehalte als Eingriffsvorbehalte konzipiert sind, steht der für das allgemeine Vorbehaltsprinzip vollzogenen Abkehr von der Eingriffsakzessorietät nicht entgegen. (5) Entbehrlichkeit

der Unterscheidung zwischen Eingriff

und Leistung

Einen deutlichen Fortschritt bringt die Abkehr vom herkömmlichen Eingriffsvorbehalt insbesondere für diejenigen Rechtsbereiche, in denen nicht eindeutig zwischen Eingriffen und Leistungen unterschieden werden kann. Nicht nur für das Schulwesen hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, daß hier vielfach Eingriff und Leistung, Belastung und Begünstigung ganz eng 101 Dieser Gedanke liegt auch BVerfGE 48,210 (221 f.), zugrunde (vgl. oben Fn. 90); ähnlich auch von Olshausen, D Ö V 1979, 340. Freilich gibt es Gegenbeispiele: Das Bußgeld über 10 D M ist als Eingriff sicherlich weniger grundrechtsrelevant als eine den Konkurrenten benachteiligende Subvention in Millionenhöhe. Unzutreffend allerdings Eberle, D Ö V 1984,485, wenn er behauptet, es werde nach wie vor in der Regel darauf abgestellt, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt; über das von ihm zitierte Numerus-clausus-Urteil ist die Rechtsprechung längst hinweggegangen. 102 Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (248 m.w.N.); Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 69. Gleichwohl wäre es falsch, generell auf die Eingriffsintensität abzustellen (so aber Bryde, Rdn. 21 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983). 103 Wilke, JZ 1982, 759 mit Hinweis auf BVerfGE 49, 89 (127).

118

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

verwoben sind und zum Teil unentwirrbar ineinander übergehen. 104 Dies wird insbesondere angesichts der engen Verbindung schulischer Maßnahmen mit dem allgemeinen Berechtigungswesen sowie im Hinblick auf den hier zur Geltung zu bringenden allgemeinen Bildungsanspruch sinnfällig. 105 Daß zahlreiche Maßnahmen im Schulverhältnis zugleich eingreifenden als auch leistenden Charakter besitzen und sich weder eindeutig dem einen noch dem anderen Bereich zuordnen lassen, 106 wird an den Beispielen der Nichtversetzung 1 0 7 und des Lehrplans 108 deutlich. Die Überwindung der klassischen Dichotomie von Eingriff und Leistung macht - nicht nur für das Schulwesen 109 - oft schwierige und kaum sachgerechte Abgrenzungsversuche zwischen Eingriff und Leistung entbehrlich. 110 104 Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); 41, 251 (259); 47, 46 (79); 49, 89 (126); 58, 257 (273 f.); vgl. schon Hennecke, Staat und Unterricht, 1972,136 ff.; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975,102ff.;Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (713); Böckenförde (Fn. 54), 1981,383; Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (688); Eberle, D Ö V 1984,485; siehe auch den Schlußbericht der Enquête-Kommission, Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/5924, Kap. 6, Ziff. 3, S. 92, wo die „außerordentliche Schwierigkeit einer sauberen Abgrenzung von Eingriffs- und Leistungsverwaltung44 besonders betont wird; ähnlich auch Maurer (Fn. 58), 1983, § 6 Rdn. 20; V G Hamburg, NJW 1976, 75 ff. (77). 105

Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 69. BVerwGE 47,201; Hennecke (Fn. 104), 1972,139; Wagner, RdJB 1976,264. Aber auch für die klassische Eingriffsverwaltung, zum Beispiel für das Polizei- und Ordnungsrecht, ist die herkömmliche Unterscheidung zwischen Eingriff und Leistung fragwürdig geworden. Die typischerweise zur Eingriffsverwaltung gerechnete polizeiliche Tätigkeit kann auch als staatliche Gewährleistung (Leistung!) von Sicherheit und Ordnung begriffen werden (vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982,259, Rdn. 1); ähnlich schon Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, 1965,268. Schnapp (Rdn. 44 zu Art. 20, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981) spricht für Gebiete, in denen eine untrennbare Wechselwirkung zwischen Leistungen und Eingriffen besteht, bereits von einer „Interdependenzlehre 44 (unter Hinweis auf BVerwGE 6, 282, 288; 18, 352; Hess. V G H , D Ö V 1963, 880). Der Schritt hin zu einer neuen Mischform zwischen Eingriff und Leistung scheint dann nicht mehr weit. So votiert etwa Scheffler, D Ö V 1980, 240, für eine Überwindung der Dichotomie von Eingriff und Leistung. Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (56), spricht von „janusköpfigen Maßnahmen 44 . 106

107 Die Nichtversetzung berührt einerseits die Entfaltung der Persönlichkeit des Schülers und greift somit in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 G G ein. Die Verlängerung der Schulzeit kann zu finanziellen Mehrbelastungen für die Eltern und - durch Hinausschieben der Berufsaufnahme auch für den Schüler zu finanziellen Einbußen führen. Andererseits kann eine Nichtversetzung als pädagogische Maßnahme durchaus auch im Interesse des - aus welchen Gründen auch immer überforderten Schülers liegen und möglicherweise seine weitere Entwicklung und Bildung positiv beeinflussen (vgl. BVerfGE 58,257,273 f.; Eberle, D Ö V 1984,485). Möglicherweise kann nur so ein völliges Scheitern mit allen psychologischen Folgewirkungen und Schädigungen verhindert werden. In BVerwGE 56,155 (158), wird darauf abgestellt, daß die Lebens- und Berufschancen durch eine Nichtversetzung maßgeblich beeinträchtigt würden. 108 Die Tatsache, daß der Schüler über den Lehrplan diejenigen Bildungsziele und -inhalte hinnehmen muß, die im Lehrplan vorgeschrieben sind, kann als Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 G G angesehen werden. Andererseits kann dies aber auch als Leistung des Staates, als ein Bildungsangebot begriffen werden. Der Leistungsaspekt wird besonders deutlich, wenn man an die zur Realisierung der Lehrplaninhalte notwendigen staatlichen Aufwendungen für das Schulwesen denkt. 109 Dies gilt auch für andere Rechtsbereiche wie zum Beispiel für den Umweltschutz. So umfaßt etwa das Wasserrecht, das sich aus dem klassischen Polizeirecht entwickelt hat, heute ohne Zweifel auch leistende Elemente, wie zum Beispiel die Sicherung der Trinkwasserversorgung und der Gewässergüte. 110 Schon in der Vergangenheit wurde die Trennung nicht strikt eingehalten. So verlangte schon BVerfGE 6, 282 (288), eine gesetzliche Gestaltung der Vergabe von staatlichen Mitteln, „wenn eine untrennbare Wechselwirkung zwischen der Auferlegung von Belastungen und der

3.2 Die Grundrechtsrelevanz

119

Sie enthebt darüber hinaus von der gar nicht so hypothetischen Notwendigkeit, wegen der offenkundigen Unzulänglichkeit der Kategorien „Eingriff und Leistung" zur adäquaten dogmatischen Erfassung von Maßnahmen mit Doppelcharakter möglicherweise neben den beiden herkömmlichen noch eine dritte Kategorie staatlicher Maßnahmen entwickeln zu müssen, um der unauflöslichen Durchdringung von Eingriff und Leistung gerecht werden zu können. Abgesehen von der Vermeidung unnötigen dogmatischen Ballasts 111 hat die Abkehr vom Eingriffsvorbehalt durchaus praktische Konsequenzen. Das in der Vergangenheit vielfach verwendete Argument, das Schulverhältnis insgesamt sowie einzelne Maßnahmen innerhalb des Schulverhältnisses seien überwiegend der LeistungsVerwaltung zuzuordnen mit der Folge, daß der Vorbehalt des Gesetzes (verstanden als Eingriffsvorbehalt) nicht eingreife, wird mit dem Verlust der vorbehaltsrechtlichen Relevanz der Kategorie Eingriff nunmehr endgültig abgeschnitten. Der Geltung des Parlamentsvorbehalts läßt sich somit nicht entgegenhalten, die Schule stelle primär staatliche Leistung dar. 1 1 2 (6) Kein Totalvorbehalt

Gleichwohl kann von einer vollständigen Durchsetzung des eigentlichen Gegenstücks zum Eingriffsvorbehalt, des sogenannten Total Vorbehalts, nicht die Rede sein. 113 Der Totalvorbehalt stellt, was den Anwendungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes angeht, die radikalste Version des Vorbehalts dar und meint eine durchgehende, umfassende Gesetzesabhängigkeit der Verwaltung. 1 1 4 Demgegenüber zieht die Wesentlichkeitslehre eine deutliche Grenze Gewährung von Begünstigungen besteht", weil die staatlichen Leistungen unmittelbar durch Inanspruchnahme von Abgabepflichtigen finanziert werden (vgl. auch Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I I I , 1978, § 138 Rdn. 16, § 154 Rdn. 20 f.). 111 Man denke etwa an die schwierigen Probleme der Verwaltungsakte mit Dritt- und Doppelwirkung oder der influenzierenden Wirtschaftssubventionen (vgl. dazu Kloepfer, JZ 1984, 685 ff., 688 mit Fn. 23). 112 So Lerche (Fn. 6), 1981,54; vgl. auch Falckenberg, BayVBl. 1978,166 ff. (167); Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff. (394). Das V G Hamburg, NJW 1976,75 (77), argumentierte damit, es sei zu bezweifeln, daß die Nichtversetzung überhaupt einen Eingriff darstelle. Nicht ganz nachvollziehbar erscheint die Auffassung von Achterberg (Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982,268, Fn. 43), der der Ansicht ist, die Beschränkung darauf, daß als „wesentlich" solche Entscheidungen zu gelten hätten, die den Grundrechtsbereich berühren, reduziere die Wesentlichkeitsrechtsprechung wieder auf den Eingriffsbereich, wodurch letztlich nichts gewonnen sei. Vgl. dazu auch Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (118) m.w.N. 113 Vgl. dazu Stern, Staatsrecht, Bd. I I , 1980, 575; Weber, JuS 1979, 362; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 1981, 110 m.w.N.; Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 41 f.; Maurer (Fn. 58), 1983, § 6 Rdn. 10; Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (686); unklar Umbach (Fn. 10), 1984, 111 f. (insbesondere 115). In BVerfGE 40, 237 (252), wird der Begriff „Totalvorbehalt" in einem anderen Sinne verwendet. Dort geht es nicht um die Abgrenzung gegenüber dem Eingriffs vorbehält, sondern um die Aussage, daß auch im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts keine durchgehende gesetzliche Normierung bis in alle Einzelheiten zu verlangen ist. 114 Ein Totalvorbehalt findet sich positiv-verfassungsrechtlich in Art. 18 Abs. 1 der Österreichischen Verfassung: „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden", Bundesverfassungsgesetz i.d.F. von 1929, BGBl. Nr. 1/1930; vgl. dazu den Diskussionsbeitrag von Winkler, V V D S t R L 25 (1967), 422, der auf die praktischen Schwierigkei-

120

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

in dem Sinn, daß nur die wesentlichen - und das heißt nach übereinstimmender Auffassung von BVerfG und BVerwG: grundrechtsrelevanten - Entscheidungen unter den Rechtssatzvorbehalt fallen. Damit soll nicht die gesamte staatliche Verwaltung, sondern lediglich die grundrechtsrelevante Staatstätigkeit unter den Vorbehalt des Gesetzes gestellt werden. 115

3.3 Die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit Während beim Wesentlichkeitskriterium allein nicht immer deutlich wird, ob es zur Begründung des Parlamentsvorbehalts oder lediglich des Rechtssatzvorbehalts herangezogen wird, hat das BVerfG zur Begründung des Parlamentsvorbehalts zunehmend auf das Merkmal der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit abgestellt. In der Facharztentscheidung stellte das BVerfG erstmals deutlich auf die „Intensität des Eingriffs" ab. 1 1 6 I m Sexualkundebeschluß wurde das Abstellen auf die Intensität der Grundrechtsrelevanz fortgeführt, 117 ohne daß aber vollständig deutlich wurde, ob die „in hohem Maße" angenommene Grundrechtsrelevanz für die Annahme des Parlamentsvorbehalts ausschlaggebend war. Ob das Gericht auch bei „einfacher Grundrechtsrelevanz", ohne das „große Gewicht" und das „hohe Maß" der Grundrechtsintensität bei der Einführung der Sexualkunde ebenfalls eine wesentliche, vom Gesetzgeber selbst zu treffende Regelung angenommen hätte, stand nicht zur Entscheidung und blieb daher unbeantwortet. In der Entscheidung des BVerfG zur Versetzung und Schulentlassung wird dagegen eine klare Konzeption erkennbar. Aus der Grundrechtsrelevanz (der leistungsbedingten Schulentlassung und der Nichtversetzung) leitet das Gericht zunächst lediglich einen Rechtssatzvorbehalt ab, der eine Regelung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Rechtsverordnung zuläßt. Die Grundrechtsrelevanz einer Regelung allein begründet danach für sich gesehen noch kein Gebot einer parlamentsgesetzlichen Regelung. Ausgehend von dieser Grundannahme schließt das BVerfG in einem zweiten Prüfungsschritt die Frage an, ob die zumindest einen Rechtssatz erfordernde Regelung möglicherweise sogar nur vom Gesetzgeber selbst durch formelles Gesetz getroffen werden kann. Dazu führt das Gericht aus: „Der Umfang des parlamentarischen Regelungsvorbehalts bestimmt sich nach der Intensität, mit welcher die Grundrechte der Regelungsadressaten betroffen werden. Da diese in den verschiedenen Regelungsbereichen des Schulrechts und von Fallgruppe zu Fallgruppe verschieden sein kann, bedarf es jeweils einer besonderen Prüfung anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Wesentlichkeitsmerkmale, was der parlamentarischen Willensbildung vorbehalten ist und ten im Umgang mit dem Totalvorbehalt in Österreich hinweist. Vgl. auch Novak, V V D S t R L 40 (1982), 45 f., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs. 1,5 116 117

Zur Ablehnung des Totalvorbehalts vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 808 m.w.N. BVerfGE 33, 125 (158 ff.); vgl. dazu Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (117). BVerfGE 47, 46 (82).

3.3 Die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit

121

was durch gesetzliche Ermächtigung dem Verordnungsgeber übertragen werden darf." 1 1 8 Entscheidendes Merkmal zur Begründung des Parlaments Vorbehalts ist nach der Auffassung des BVerfG, wie sie in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommt, der Gesichtspunkt der grundrechtsbezogenen Regelungsintensität. Da der Senat die Grundrechtsintensität der beiden betroffenen Regelungsgegenstände ganz unterschiedlich beurteilt, kommt er zu einem differenzierten Ergebnis. Während der zwangsweise Ausschluß von einer Schule als sehr einschneidende Maßnahme gewertet wird, sieht das Gericht die Nichtversetzung als erheblich weniger einschneidend an - eine Unterscheidung, die vor allem mit den ungleich starken Auswirkungen auf die freie Wahl des Berufs begründet wird. 1 1 9 Aus der unterschiedlichen Einschätzung der Grundrechtsbetroffenheit des Schülers bei der Nichtversetzung einerseits und bei der zwangsweisen leistungsbedingten Schulentlassung andererseits zieht das Gericht entscheidungserhebliche Konsequenzen: Während es für die Schulentlassung in Anwendung des Parlamentsvorbehalts für erforderlich hält, daß der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die zwangsweise Schulentlassung selbst regelt, 120 hält es für die Versetzung eine ebenso weitgehende Regelungsverpflichtung des Gesetzgebers im Hinblick auf die erheblich geringere Grundrechtsbetroffenheit für nicht verfassungsrechtlich geboten. Vielmehr könne die Festlegung der Versetzungsvoraussetzungen in den Ausbildungsgängen der Regelung im Verordnungswege überlassen werden. 1 2 1 Während bei der Regelung des zwangsweisen Ausschlusses von der Schule somit kaum Raum für eine Rechtsetzung durch die Exekutive verbleibt, darf das Parlament seine Regelungsbefugnis hinsichtlich der Versetzung umfassend an den Verordnungsgeber delegieren. 122 Die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit bestimmt nach dieser Auffassung den Umfang des parlamentarischen Regelungsvorbehalts und ist für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts konstitutiv. Begründet die Grundrechtsrelevanz einer Regelung lediglich einen Rechtssatzvorbehalt, so ist deren Intensität für das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts entscheidend. Zugleich wird damit die Grundrechtsrelevanz näher konkretisiert. Das Merkmal der Wesentlichkeit wird bei dieser Differenzierung allerdings unspezifisch. Ob bereits die (nur) grundrechtsrelevanten oder erst die intensiv grundrechtsrelevanten Regelungen als „wesentlich" zu bezeichnen sind, wird auch in der Entscheidung des BVerfG nicht eindeutig beantwortet. 123

118

BVerfGE 58, 257 (274). BVerfGE 58, 257 (274 ff.). 120 Dazu rechnet das Gericht: die Voraussetzungen für die zwangsweise Entlassung aus der Schule und den Ausschluß eines Schülers von allen Schulen einer bestimmten Schulart sowie die Zuständigkeiten für eine derartige Maßnahme und die Grundsätze des dabei einzuhaltenden Verfahrens (BVerfGE 58, 257, 275). 121 BVerfGE 58, 257 (276). 122 Vgl. Kisker, DVB1. 1982, 886. 123 Zwar handelt es sich in erster Linie um eine begriffliche Frage, doch lassen sich die Fragen: Was ist wesentlich? und: Unterliegen wesentliche Regelungen dem Parlamentsvorbehalt? auf der Grundlage dieser Konzeption nicht eindeutig beantworten. 119

122

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Der für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts auf die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit abstellenden Rechtsprechung des BVerfG sind weite Teile von Rechtsprechung und Literatur gefolgt. 124

3.3.1 Konkretisierungsbedürftigkeit

des Intensitätsmerkmals

M i t dem Gesichtspunkt der Intensität der Grundrechtsberührung hat das BVerfG die unbestimmten Rechtsbegriffe „wesentlich" und „grundrechtsrelevant" mit einem nicht weniger ausfüllungsbedürftigen Kriterium zu konkretisieren versucht. Ob freilich der Gesichtspunkt der Grundrechtsintensität geeignet ist, andere unbestimmte Rechtsbegriffe zu konkretisieren, so daß sich die Vorraussetzungen für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts verläßlicher beurteilen ließen, ist zu bezweifeln. 125 Auch der Gesichtspunkt der Intensität ist nicht weniger dehnbar und ausfüllungsbedürftig. Ähnlich wie hinsichtlich der Wesentlichkeit und der Grundrechtsrelevanz kann keineswegs vorausgesetzt werden, daß über die Intensität anhand allgemein nachvollziehbarer Argumentationsmuster stets Konsens erzielt werden kann. Die offenkundigen Schwierigkeiten bei der Handhabung dieses Merkmals zeigen sich bereits bei der Entscheidung des BVerfG zur Versetzung und Schulentlassung, in welcher dieser Aspekt als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal zwischen Rechtssatzvorbehalt und Parlamentsvorbehalt verwendet wurde. Bryde hat die vom BVerfG vorgenommene Differenzierung zwischen dem als „sehr einschneidend" beurteilten zwangsweisen Schulausschluß und der „erheblich weniger einschneidenden" Maßnahme der Nichtversetzung 126 mit deutlichen Worten kritisiert. 1 2 7 Nach seiner Auffassung vermag diese Differenzierung nicht zu überzeugen. Zwar lasse sich nicht bestreiten, daß die Schulentlassung gegenüber der Nichtversetzung der schwerwiegendere Grundrechtseingriff ist, doch rechtfertige dies nicht, beide Maßnahmen unterschiedlichen Grundrechtsbereichen zuzuordnen und so unterschiedliche Konsequenzen an die getroffene Unterscheidung zu knüpfen, 128 zumal die Nichtversetzung in aller Regel die Schulentlassung zu 50 Prozent determiniere. 129 Der Kritik Brydes an der vom BVerfG im konkreten Fall vorgenommenen Differenzierung ist zuzustimmen. Da die (zweimalige) Nichtversetzung in der Regel Tatbestandsvoraussetzungen für den zwangsweisen leistungsbedingten Schulausschluß ist und dieser zu Recht als intensiv grundrechtsrelevant angesehen wird, so wäre es nur konsequent, auch die 124 Hess. StGH, D Ö V 1984, 718 ff. (720); BVerwG, U. vom 12.4.1984, 5 C 72.82, Ua. S. 21; Hennecke, D Ö V 1982, 696; Heussner (Fn. 6), 1983, 111 ff. (118 ff.); anders BVerwGE 64, 308 (313 ff.), wo die abgestufte Konzeption des BVerfG nicht aufgenommen wird. 125 Vgl. Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (487). 126 BVerfGE 58, 257 (274 ff.). 127 Bryde, D Ö V 1982, 243 f. 128 Einerseits (Schulentlassung) Geltung des Parlamentsvorbehalts, andererseits (Nichtversetzung) weitgehende Delegierbarkeit an den Verordnungsgeber bei starker Reduzierung der Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung. 129 Bryde, D Ö V 1982, 243.

3.3 Die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit

123

Voraussetzungen, die zu dieser einschneidenden Maßnahme führen, dem Parlamentsvorbehalt zu unterstellen. Zu Recht wird daher die Intensität der Grundrechtsberührung als ein höchst unsicheres Abgrenzungskriterium zur Bestimmung von Geltung und Reichweite des Parlamentsvorbehalts bezeichnet. 1 3 0

3.3.2 Gleitende A bstufung

Einwände gegen das Einzelfallergebnis in der genannten Entscheidung des BVerfG müssen nicht notwendig gegen die Sinnhaftigkeit des Intensitätsmerkmals als Voraussetzung für die Geltung des Parlamentsvorbehalts sprechen. Ohne dieses Beispiel überbewerten zu wollen, zeigen sich an ihm doch deutlich die Schwierigkeiten, die mit einem so ausfüllungsbedürftigen und wertungsabhängigen Begriff die „Intensität der Grundrechtsbetroffenheit" verbunden sind. Dies gilt um so mehr, als mit einem Gesichtspunkt wie diesem von vornherein keine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Regelungsebene - im Sinne eines entweder/oder - getroffen werden kann. Dieses Merkmal erfordert vielmehr eine gleitende Abstufung nach Intensitätsgraden, wobei an irgendeiner Stelle der Wendepunkt gesetzt werden muß, an welchem der Rechtssatzvorbehalt in den Parlamentsvorbehalt umschlägt. 131 Die Markierung dieses Umschlagpunktes kann wohl nur im konkreten Einzelfall getroffen werden, so daß die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit kaum mehr als ein Anhaltspunkt für die Geltung des Parlamentsvorbehalts sein kann. Eine allgemein gültige Festlegung, welche Regelungen eines bestimmten Gegenstandsbereichs unter den Parlamentsvorbehalt fallen, wird man anhand des auf gleitende Übergänge ausgerichteten Intensitätsgesichtspunkts kaum je treffen können. 1 3 2 Feste Grenzmarkierungen ermöglicht das Merkmal der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit somit nicht. Die Übergänge bleiben fließend. Kisker hat dem BVerfG vorgehalten, es habe auf eine griffige Konkretisierung der Wesentlichkeit und ihrer Stufen verzichtet und den Versuch, die von einer Rechtsprechung vorausgesetzten Intensitätsgrade der Grundrechtsberührung begrifflich herauszuarbeiten, bedauerlicherweise unterlassen. 133 Der Preis einer Freiheit von starren Formeln liege darin, daß die Kompetenzabgrenzung zwischen Parlament und Exekutive im Ungewissen bleibe. 1 3 4 In der Tat geht die Konkretisierung des Wesentlichkeitsmerkmals in der Rechtsprechung kaum über die Aussage hinaus, daß es auf die Grundrechtsrelevanz und - so das BVerfG - auf ihre Intensität ankomme. 130

Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (487) m.w.N. Kisker, DVB1. 1982, 886 ff. (887). 132 Maurer (Fn. 59), 1983, bezeichnet die „Wesentlichkeit" als eine „Gleitformer. Unzutreffend ist allerdings die Behauptung Wilkes (JZ 1982, 758 ff., 760), das BVerfG gebe nicht zu erkennen, daß Abstufungen des „Wesentlichen" denkbar seien, so daß auch das „Wesentliche" minderen Grades allein der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers unterliege. Gerade das wird durch das Abstellen auf die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit vermieden. 133 Kisker, DVB1. 1982, 886 ff. 134 Kisker, DVB1. 1982, 886 ff. 131

124

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" 3.3.3 Folgenorientiertheit

des Intensitätsmerkmals

M i t dem Gesichtspunkt der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit hat das BVerfG deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es auf die konkreten Folgen und Auswirkungen einer Regelung oder eines auf deren Grundlage ergangenen Ausführungsakts auf die Betroffenen ankommen soll. 1 3 5 Die Folgenorientiertheit des Parlamentsvorbehalt trägt der Tatsache Rechnung, daß das Parlament nicht nur sanktionierbare Entscheidungsverantwortung für die (historische, systematische, grammatikalische oder teleologische) „Richtigkeit" seiner Gesetzesbeschlüsse trägt, sondern auch für deren Realisierung (Implementation) verantwortlich ist und daher die tatsächlichen wie rechtlichen Wirkungen in der Lebenswirklichkeit zu bedenken und zu berücksichtigen hat. 1 3 6 Die explizite Folgenorientiertheit des Parlamentsvorbehalts ist allerdings auch der herkömmlichen Vorbehaltslehre keineswegs fremd. Schon die klassische Freiheit- und Eigentum-Formel basierte auf keiner anderen Überlegung: Regelungen, die die Bürger am stärksten betrafen, nämlich diejenigen, welche Eingriffe in Freiheit und Eigentum zuließen, sollten der Mitwirkung der Stände unterliegen. Nachdem später die rechtsstaatliche Komponente des Vorbehaltsprinzips erkannt und hinzugefügt worden war, wurden für entsprechende folgenschwere Einzelakte der Exekutive gesetzliche Grundlagen verlangt. 1 3 7 Der Parlamentsvorbehalt ist somit, wie der herkömmliche klassische Vorbehalt des Gesetzes, nicht nur grundrechts-, sondern - wenn man so will - auch folgenakzessorisch. In der Literatur ist die Frage aufgeworfen worden, ob man nicht sagen könne, daß die Wesentlichkeit das funktionale Äquivalent der Eingriffsintensität für die nicht-eingreifende Verwaltung darstelle, also im Grunde als eine Schweretheorie für alle Arten des Verwaltungshandelns im grundrechtsrelevanten Bereich zu betrachten sei. 138 In der Tat wird mit dem Intensitätsgesichtspunkt im Vorbehaltsbereich nicht nach dem eher formalen Kriterium der Gleichbehandlung entschieden, 139 sondern nach dem materiellen Kriterium der Schwere und Tragweite einer Maßnahme sowie der Schutzbedürftigkeit des betroffenen Rechtsguts. Dies erfordert eine wertende Betrachtungsweise, die die staatliche Maßnahme in eine differenzierte Relation zu den Folgen für den Betroffenen und für die Allgemeinheit setzt. Der Hinweis auf die Schweretheorie hebt zu Recht hervor, daß auch den klassischen Grund135 Die Folgenorientiertheit ist auch in der Rechtsprechung des BVerwG zu erkennen (Grundrechtsrelevanz), tritt dort aber nicht so differenziert in Erscheinung wie beim BVerfG (Intensität). Vgl. auch Erichsen (Fn. 6), 1984, 113 ff. (123). 136 Vgl. Zimmer, Der Staat 18 (1979), 161 ff. (179). Zur Implementation vgl. Mayntz, Die Verwaltung 10 (1977), 51 ff., sowie die Beiträge auf dem Jürgen-Rödig-Gedächtnissymposium („Rationalisierung der Gesetzgebung") vom 28. bis 30.10.1982 in Salzburg; ebenso das Ende 1983 in Bielefeld veranstaltete Symposium zum Thema „Implementation von Gerichtsentscheidungen" (Beiträge für das Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1986 vorgesehen). 137 Vgl. oben Kap. II. 138 Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (248). 139 So die im Gegensatz zur Schweretheorie vertretene sogenannte Sonderopfertheorie (vgl. dazu Dicke, Rdn. 46 und 47 zu Art. 14, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981).

3.3 Die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit

125

rechtslehren der Gedanke zugrundeliegt, auf die Folgen und Auswirkungen einer Maßnahme abzustellen. Darüber hinaus verdeutlicht der Hinweis auf die Schweretheorie, daß bereits nach bisheriger Auffassung zumindest stillschweigend vom Erfordernis einer gewissen Eingriffsintensität ausgegangen wurde, die implizit mit dem Begriff des Eingriffs mitgedacht wurde. Weniger grundrechtsintensiven Eingriffen wurde von vornherein die Eingriffsqualität abgesprochen, so daß das Intensitätsmerkmal gleichsam in den Eingriff hineininterpretiert wurde. Blieb zum Beispiel eine eigentumsrechtlich relevante Maßnahme unter einer gewissen Intensitätsschwelle, so wurde ein Eingriff in das Eigentum (eine Enteignung) verneint. Dies galt - ceteris paribus - in gleicher Weise für Bagatelleingriffe in andere Grundrechte. Unterhalb einer gewissen Belastungsgrenze verneinte man überhaupt die Eingriffs-(= Grundrechts-)Relevanz der Maßnahme oder erkannte ihr eine Außenwirkung ab, so daß das Vorliegen eines Verwaltungsakts verneint würde. 1 4 0 Zwei Folgerungen ergeben sich hieraus. Wenn schon dem klassischen Eingriffsvorbehalt Gesichtspunkte wie Schwere, Tragweite und Intensität einer Maßnahme nicht völlig fremd waren, so kann die Differenz zu dem neuen, ebenfalls auf die Folgen und Auswirkungen einer Regelung im Grundrechtsbereich abstellenden „Wesentlichkeitsvorbehalt" 141 nicht so groß sein, wie allgemein angenommen wird. Kommt es - zweitens - schon nach herkömmlicher Auffassung für die Abgrenzung des einfachen Gesetzesvorbehalts (Rechtssatzvorbehalts) zum vorbehaltsfreien originären Exekutivbereich auf den Gesichtspunkt der Grundrechtsintensität an, dann ist - folgt man dem BVerfG - eine doppelte Intensitätsprüfung erforderlich, da ja auch für die Abgrenzung zwischen Rechtssatz- und Parlamentsvorbehalt der Intensitätsgesichtspunkt maßgebend sein soll. M i t anderen Worten: Zunächst sind anhand des Gesichtspunkts der Grundrechtsintensität Bagatellmaßnahmen aus dem Geltungsbereich des Rechtssatzvorbehalts auszuklammern, die von der Exekutive durch Verwaltungsvorschriften geregelt werden können. Sodann ist an der nächsten Grenzlinie, nämlich der zwischen Rechtssatz- und Parlamentsvorbehalt, erneut unter dem Aspekt der Grundrechtsintensität abzuschichten. Die weniger intensiven Grundrechtsmaßnahmen sind dabei aus dem Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts auszuscheiden, bedürfen aber einer Regelung durch Rechtssatz. Nach alledem ist bei Annahme eines Parlamentsvorbehalts an zwei verschiedenen Grenzlinien - nämlich zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung als auch zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift - anhand der Grundrechtsintensität eine Abgrenzung vorzunehmen. 142 140 Zur fehlenden Grundrechtsrelevanz und zur Nichtgeltung des Gesetzesvorbehalts bei Bagatelleingriffen vgl. Kloepfer, V V D S t R L 40 (1982), 74 m.w.N.; Kisker, ZParl 9 (1978), 53 ff. (56). Aus der Rechtsprechung vgl. V G Hamburg, NJW 1976, 75 ff. (77). 141 Zu diesem Begriff vgl. Gusy, JuS 1983, 189 ff. (191). 142 Feste Grenzmarkierungen ermöglicht das Merkmal der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit somit weder hinsichtlich der Regelungsdichte noch hinsichtlich der Regelungsebene (vgl. dazu Kisker, DVB1. 1982, 886 ff., 887). Die Übergänge bleiben vielmehr Hießend, so daß Regelungsebene wie Regelungsdichte nur im einzelnen Regelungsfall unter wertender Einschätzung der Auswirkungen der zu schaffenden Norm zu bestimmen sind.

126

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

3.4 Der politische Parlamentsvorbehalt Neben dem grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt wird in Rechtsprechung und Literatur für die Annahme eines Parlamentsvorbehalts gelegentlich darauf abgestellt, ob eine Entscheidung von „allgemeiner politischer Brisanz", von „evidenter allgemeiner Bedeutsamkeit" ist, oder ob es sich um eine „bildungspolitisch hoch bedeutsame Maßnahme" handelt. 1 4 3 In eine ähnliche Richtung gehen Auffassungen, die unter dem Wesentlichen das politisch Kontroverse verstehen. 144 Andere wiederum heben auf das „Gewicht der Gemeinschaftsinteressen" ab. 1 4 5 In der Lateinentscheidung (Festlegung der Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe) zieht das BVerwG zwar auch den Gedanken heran, daß es sich um eine „bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung" handelt, die die Struktur des herkömmlichen Schulsystems organisatorisch und inhaltlich wesentlich verändert habe. 1 4 6 Das BVerwG verlangt aber trotz dieser Begründung lediglich eine „normative Regelung", so daß die politische Bedeutung dieser Entscheidung hier nicht zur Begründung eines Parlaments Vorbehalts, sondern lediglich des herkömmlichen Rechtssatzvorbehalts führt. Das BVerfG hat in der Kalkar-Entscheidung die auf einen politischen Parlamentsvorbehalt hindeutenden Ansätze dezidiert zurückgewiesen. Die Tatsache, daß eine Frage politisch umstritten ist, vermögen die von der Verfassung zugeordneten Entscheidungskompetenzen nicht zu verschieben. 1 4 7 In anderen Entscheidungen scheint das BVerfG der Annahme eines auf die politische Bedeutung einer Entscheidung abstellenden Parlamentsvorbehalts nicht so ablehnend gegenüberzustehen. Das BVerfG weist dort dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, den Ausgleich widerstreitender Interessen herbeizuführen. 148 In den neueren schulrechtlichen Entscheidungen erklärt das BVerfG die Markierung der - oft fließenden und schwer auszumachenden Grenzen zwischen verschiedenen Grundrechten zur Aufgabe des Gesetzgebers. 149 Schon im Speyer-Kolleg-Beschluß hatte das BVerfG für die Anwendung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit auch auf das Schulverhältnis auf die „weitreichende Bedeutung der Schulbildung für das gesamte Gemeinwesen und seine Bürger" abgestellt. 150

143

Vgl. Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 56 ff.; Böckenförde (Fn. 54), 1981,

383. 144 Kisker, NJW 1977, 1313 ff.; Benda, D Ö V 1983, 305: Das politisch Kontroverse, die Konflikte, gehören vor die Parlamente, nicht vor die Verwaltungsgerichte. Ähnlich Rengeling, Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge, 1982, 43. 145 Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 72. 146 BVerwGE 64, 308 (315). 147 BVerfGE 49, 89 (126); a.A. O V G Münster, NJW 1978, 439 (440). 148 BVerfGE 40, 237 (249 f.). 149 BVerfGE 46,47 (80); 58, 257 (268 f.); vgl. auch Heussner (Fn. 6), 1983, 111 ff. (117); a.A. Grämlich, N V w Z 1983, 602, der bei der Regelung des Wirkzusammenhangs von Grundrechten unterschiedlich interessierter Individuen und Gruppen keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Regelung der „Aufgaben der Schule" sieht. 150 BVerfGE'41, 251 (259).

3.4 Der politische Parlamentsvorbehalt

127

Allerdings fehlt es sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur an praktikablen Konkretisierungen eines „politischen Parlamentsvorbehalts". 1 5 1 Insbesondere bleibt offen, wann von einer politisch bedeutsamen oder kontroversen Entscheidung gesprochen werden kann, die das Attribut „wesentlich" verdient. Festzustellen ist lediglich, daß für die Begründung des Parlamentsvorbehalts gleichsam eine zweite Schiene nachgelegt wird: Neben der grundrechtsbezogenen, die man als die primär individual-rechtlichrechtsstaatliche bezeichnen könnte, wird ein überindividuell, primär politisch-demokratisch orientierter Weg für die Begründung des Parlamentsvorbehalts gewiesen, für dessen genaue Streckenführung es aber bisher an brauchbaren Wegweisern fehlt. Insbesondere läßt sich das bereits erörterte Konkretisierungsmerkmal der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit per definitionem nur dort anwenden, wo es um die Geltung des grundrechtlichen Parlamentsvorbehalts geht. Soweit die Anwendung des politischen Parlamentsvorbehalts in Frage steht, faßt der Topos der Intensität einer Regelung nicht mehr. 1 5 2 Zwar mag es auch unterschiedliche Intensitätsstufen politischer Wichtigkeit geben, der Bezugspunkt muß jedoch ein anderer sein. Überall dort, wo die Geltung des Parlamentsvorbehalts ausschließlich über die politische Wichtigkeit und Umstrittenheit begründet wird, ohne daß eine unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit vorliegt, versagt das Abgrenzungsmerkmal der grundrechtsbezogenen Regelungsintensität. Hier bedarf es anderer Konkretisierungsansätze, die allerdings von Literatur und Rechtsprechung kaum angeboten werden. Möglicherweise könnte beim politischen Parlamentsvorbehalt der Grad der Umstrittenheit als Äquivalent zum Intensitätsgedanken beim grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt angesehen werden. Unabhängig von den bisher fehlenden Konkretisierungen des politischen Parlamentsvorbehalts ist dieser Begründungsansatz deshalb interessant, weil er den Gesichtspunkt der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit sozusagen in der Breite ergänzt: Während mit der Intensität auf das Maß und den Grad der Betroffenheit des einzelnen abgestellt und danach gefragt wird, wie stark und wie tief eine Regelung in den Grundrechtsbereich des einzelnen eindringt, bewegt sich der Aspekt der Abgrenzung von Grundrechtssphären untereinander sowie gegenüber dem staatlichen Bildungsauftrag in einer horizontalen Abgrenzung verschiedener Rechtsbereiche. Der Frage, inwieweit die involvierten Rechtspositionen im einzelnen betroffen sind, käme keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Da durch schulrechtliche Regelungen sehr häufig mehrere Grundrechtssphären betroffen sind, nämlich die der Eltern, der Schüler und möglicherweise auch der Lehrer und diese ihrerseits gegenüber dem staatlichen Erziehungsauftrag und den staatlichen Regelungskompetenzen abzugrenzen sind, dürfte bei Zugrundelegung des Merkmals der Grundrechtsabgrenzung gerade im Schulbereich eine Vermutung dafür sprechen,

151 152

Vgl. Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (126 f.). Vgl. Hennecke, D Ö V 1982, 696.

128

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

daß bei zahlreichen Regelungen die Geltung des Parlamentsvorbehalts anzunehmen wäre. 153 Der Versuch, das Wesentlichkeitsmerkmal durch Annahme eines politischen Parlamentsvorbehalts zu konkretisieren, ist jedoch nicht frei von Unklarheiten. A u f die Schwierigkeiten, Wesentlichkeitsmerkmale wie politische Umstrittenheit oder politische Wichtigkeit einigermaßen verläßlich zu definieren, wurde bereits hingewiesen. Darüber hinaus besteht keineswegs Einigkeit darüber, daß der politisch-demokratische Ansatz überhaupt zur Annahme eines Parlamentsvorbehalts führen muß. 1 5 4 Sollte die These zutreffen, daß das Maß der Umstrittenheit als Äquivalent der Grundrechtsintensität anzusehen ist, so vermag die Wesentlichkeitstheorie hierzu keine überzeugende verfassungsrechtliche Begründung zu liefern. Mit der apodiktischen Feststellung, die Markierung der Grenzen zwischen verschiedenen Grundrechten (und der staatlichen Regelungskompetenz) sei Aufgabe des Gesetzgebers, 155 ist es jedenfalls nicht getan. Die Ansätze für einen politischen Parlamentsvorbehalt bewegen sich im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie auf verfassungsrechtlich wenig gesichertem Boden.

4. Rechtsfolgenseite I m vorangehenden Abschnitt wurde die Frage behandelt, nach welchen Kriterien die sogenannte Wesentlichkeitstheorie versucht, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts näher zu bestimmen. Der folgende Abschnitt wendet sich nun der Frage zu, welche Konsequenzen die Wesentlichkeitslehre an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts knüpft. Ging es bisher darum, zu präzisieren, wann der Parlamentsvorbehalt Anwendung findet, so geht es nun um die Klärung der Frage, welche Rechtsfolgen mit der Annahme des Parlamentsvorbehalts verbunden sind. Mehrfach klang bereits eine Differenzierung an, die für die folgenden Überlegungen von besonderer Bedeutung ist: Die Unterscheidung zwischen der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsebene und der notwendigen Regelungsdichte. Regelungsebene meint dabei die verschiedenen Regelungsformen wie Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsvorschrift usw., während mit Regelungsdichte das erforderliche Maß an tatbestandlicher Bestimmtheit der jeweiligen Regelung angesprochen ist. A n die Unterscheidung zwischen Regelungsebene und Regelungsdichte muß sich konsequenterweise die Frage anknüpfen, aufweichen dieser beiden Aspekte sich die im vorigen Abschnitt erörterten Kriterien für die Anwend153

Ähnlich Evers, JuS 1977, 804 ff. (807). Während das BVerwG in E 64, 308 (315), nur zu einem Rechtssatzvorbehalt gelangt (vgl. oben bei Fn. 146), will Kloepfer bei rechtsstaatlich orientierter Begründung nur einen Rechtssatzvorbehalt gelten lassen und im Gegensatz zum BVerwG allein einen demokratischen Parlamentsvorbehalt anerkennen (JZ 1984, 685 ff., 695). 155 BVerfGE 47, 46 (79 f.); 58, 257 (268 f.). 154

4.

129

Regelungse

barkeit des Parlamentsvorbehalts beziehen. Entweder sie erschöpfen sich darin, auf die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsebene des Parlamentsgesetzes zu verweisen, oder sie fordern alleine eine bestimmte Regelungsdichte, oder aber neben der Regelungsebene des Parlamentsgesetzes wird zugleich eine bestimmte Regelungsdichte auf dieser Regelungsebene gefordert. Die herrschende Meinung beantwortet diese Frage eindeutig in letzterem Sinne, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Sämtliche genannten Kriterien für die Geltung des Parlamentsvorbehalts schließen die Regelungsebenen unterhalb des Parlamentsgesetzes aus, besitzen also sowohl eine positive Zuweisungswirkung (zum Parlamentsgesetz) als auch eine negative Ausgrenzungswirkung (gegenüber der Rechtsverordnung, der Satzung, der Verwaltungsvorschrift). Gleichzeitig soll sich nach der Pauschalformel „je wesentlicher desto bestimmter" das erforderliche Maß der Intensität einer Regelung nach deren - wie auch immer zu konkretisierenden - Wesentlichkeit richten. 1 5 6 In diesem abstrakten Sinne treffen die Kriterien auf der Tatbestandsseite also sowohl Festlegungen hinsichtlich der Regelungsebene als auch hinsichtlich der Regelungsdichte, so daß von einer Doppelfunktion der Kriterien auf der Tatbestandsseite gesprochen werden kann.

4.1 Regelungsebene 4.1.1 Parlamentsvorbehalt

oder

Rechtssatzvorbehalt?

Die eben erwähnte Einschränkung dieses Grundsatzes betrifft die Tatsache, daß die Kriterien der Wesentlichkeit, Grundrechtsrelevanz, Grundrechtsintensität und Grundrechtsabgrenzung in Rechtsprechung wie Literatur nicht einheitlich als Zuweisungskriterien zum Parlamentsgesetz verwendet werden. Es herrscht keineswegs Klarheit darüber, ob mit den genannten Kriterien eindeutig die Regelungsebene des Parlamentsgesetzes angezeigt wird. Die entscheidende Frage besteht darin, ob bei Bejahung der „Wesentlichkeit" beziehungsweise ihrer Konkretisierungsmerkmale die betreffende Regelung ausschließlich vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst im Parlamentsgesetz zu treffen ist oder ob eine solche Regelung delegierbar ist und „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Rechtsverordnung" getroffen werden darf. 1 5 7 Zu klären ist mithin, ob die Wesentlichkeitslehre lediglich den Regelungsbereich des Gesetzgebers von dem originären Regelungsbereich der Exekutive abgrenzt (und damit eine normative Regelung fordert, die auch durch Rechtsverordnungen erfüllt wird), oder ob darüber hinaus eine Trennungslinie gezogen wird zwischen den Gegenständen, die der Gesetzgeber „höchstpersönlich" 158 entscheiden muß sowie denen, die er im Wege einer Verordnungsermächtigung delegieren darf. 156

BVerfGE 58, 257 (268 ff.); Hennecke, D Ö V 1982, 696 f. ? Zu dieser Fragestellung vgl. Hennecke, D Ö V 1982, 696 f.; Jülich, Kooperativer Bildungsföderalismus und Gesetzesvorbehalt im Schulrecht, 1983, 755 ff. (758). 158 Hennecke, D Ö V 1982, 696 f. 15

130

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

( 1) Rechtsprechung des BVerfG

Die vorstehenden Fragen werden in der Rechtsprechung des BVerfG nicht mit Eindeutigkeit beantwortet. Die wichtigsten Entscheidungen des BVerfG zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen deuten allerdings durchgängig auf die Annahme eines echten Parlamentsvorbehalts h i n . 1 5 9 Wird dies bereits in der Sexualkundeentscheidung deutlich zum Ausdruck gebracht, so werden doch erst in der Entscheidung zur Versetzung und Schulentlassung klar und eindeutig die systematischen Konturen dessen aufgezeigt, wie das BVerfG das Verhältnis von Parlamentsvorbehalt und Rechtssatzvorbehalt versteht. 160 Aus der Grundrechtsrelevanz einer Regelung wird zunächst (nur) ein Rechtssatzvorbehalt abgeleitet. Die Qualität der Grundrechtsbetroffenheit ist dabei unerheblich. Ausreichend ist, daß überhaupt ein Grundrecht berührt wird, 1 6 1 selbst wenn die fragliche Maßnahme das betreffende Grundrecht nur vergleichsweise wenig „einschneidend" betrifft. In diesem Fall hat die Regelung durch Rechtssatz zu erfolgen, so daß grundsätzlich sowohl eine Regelung im formellen Gesetz als auch durch Rechtsverordnung aufgrund einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungen zulässig ist. Die Grundrechtsrelevanz einer Materie schließt danach die Delegierbarkeit der Regelung nicht aus. Erst wenn diese eine besondere Intensität der Grundrechtsberührung aufweist, verdichtet sich der Rechtssatzvorbehalt zu einem Parlamentsvorbehalt, der eine Regelung des parlamentarischen Gesetzgebers selbst erfordert. (2) Rechtsprechung des BVerwG

Demgegenüber fällt es schwer, in den wichtigsten Entscheidungen des BVerwG zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen eine eindeutige Linie auszumachen. Während der 7. Senat im Vorlagebeschluß zum Sexualkundeunterricht und im Urteil zur Fünf-Tage-Woche verlangt hatte, der Gesetzgeber müsse „grundlegende Entscheidungen im Schulwesen selbst durch Gesetz" regeln, 162 womit grundlegende Entscheidungen einem „Vorbehalt des formellen Gesetzes" unterstellt wurden 1 6 3 und diese Auffassung im Urteil zur Sexualerziehung bestätigt wurde („parlamentarische Leitentscheidung"), 164 wird in dem zwischenzeitlich ergangenen Versetzungsurteil 165 sowie in der vorerst letzten wichtigen Entscheidung des BVerwG, der Lateinentscheidung, 1 6 6 die gegenteilige Auffassung vertreten. Danach sind die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen in ihren Grundzügen durch Gesetz oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch Rechtsverordnung zu regeln. 167 159 160 161 162 163 164 165 166 167

Vgl. BVerfGE 34, 165; 41, 251; 45, 400; 47, 46. BVerfGE 58, 257 (268 ff.). BVerfGE 58, 257 (274). BVerwGE 47, 194 (199 ff.). BVerwGE 47, 201 (205). BVerwGE 57, 360 (363). BVerwGE 56, 155. BVerwGE 64, 308. BVerwGE 56, 155 (157, 160).

4.

Regelungse

131

Obwohl das BVerwG in der Lateinentscheidung die Wesentlichkeit der fraglichen Regelung bejaht und darüber hinaus von einer bildungs- und schulpolitischen Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung spricht, 1 6 8 verlangt es lediglich eine normative Regelung, die eine Delegation an den Verordnungsgeber nicht ausschließt. 169 Unterstellt man auch hier, daß die letzte Entscheidung des BVerwG den derzeitigen Erkenntnis- und Meinungsstand wiedergibt, so sind die Unterschiede zur Auffassung des BVerfG unübersehbar. Während der Ausgangspunkt, daß die als Grundrechtsrelevanz verstandene Wesentlichkeit zu einem Rechtssatzvorbehalt führt, noch geteilt wird, folgt das BVerwG dem BVerfG nicht in der Auffassung, daß bei besonderer Intensität der Grundrechtsberührung der Rechtssatzvorbehalt zu einem Parlamentsvorbehalt verdichtet w i r d . 1 7 0 Während das BVerfG dem Gesichtspunkt der Intensität der Grundrechtsberührung zentrale Bedeutung zumißt, ist dieser Aspekt für das BVerwG ohne vorbehaltsrechtliche Konsequenzen. Selbst eine als intensiv grundrechtsrelevant eingestufte Entscheidung ist nach dieser Auffassung delegierbar. Für das BVerwG gibt es im Grunde den Parlamentsvorbehalt, wie er vom BVerfG vertreten wird, nicht. 1 7 1 Beide Gerichte kommen somit unter gleichen Voraussetzungen (intensive Grundrechtsberührung) zu unterschiedlichen Rechtsfolgen. (3) Literatur

In der Literatur spiegeln sich die verschiedenen Auffassungen nicht selten widersprüchlich und häufig vermengt wider. Überwiegend wird der Auffassung des BVerfG gefolgt und ein allein vom parlamentarischen Gesetzgeber regelbarer Kompetenzbereich anerkannt (Parlamentsvorbehalt). 172 Nicht selten wird durch die Formulierung, der Vorbehalt des Gesetzes fordere eine Regelung „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" verbal die Geltung eines Rechtssatzvorbehaltes zum Ausdruck gebracht, zugleich aber die Begriffe „wesentlich" oder „Parlamentsvorbehalt" verwendet, so daß auch hier keine völlige Klarheit herrscht. 173 Dies gilt auch, soweit angenommen wird, der Parlamentsvorbehalt verlange eine Rechtsgrundlage in einem förmlichen Parlamentsgesetz, denn diese Aussage geht nicht über den herkömmlichen 168

BVerwGE 64, 308 (315 ff.). BVerwGE 64, 308 (315 ff.). 170 Vgl. insbesondere BVerwGE 56, 155 (158). 171 Dies gilt jedenfalls für die letzten wichtigen Schulrechtsentscheidungen des BVerwG. Anders dagegen U. des BVerwG vom 12.4.1984 - 5 C 72.82 - Ua. S. 21, wonach die Grundzüge einer wesentlichen Regelung unter Berücksichtigung der Intensität der je nach Regelungsbereich unterschiedlichen Grundrechtsbetroffenheit formellgesetzlich bestimmt werden müssen; lediglich ergänzend sollen Regelungen durch Rechtsverordnung ergehen dürfen. Ähnlich auch BVerwG, U. vom 7.10.1983 - 7 C 95.82 - Ua. S. 7. 172 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,812ff.;Roewer/Hoischen,DVBl. 1979,900 ff.; Krebs, Jura 1979, 304 ff.; Maurer (Fn. 59), 1983, 76 ff.; Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (55); Glotz/Faber, Richtlinien und Grenzen des Grundgesetzes für das Bildungswesen, 1983,999 ff. (1022); Richter, Art. 7 Rdn. 44, in: A K - G G , 1084. 173 Unklar zum Beispiel Hill (Fn. 113), 1982, 39, und Böckenförde (Fn. 54), 1981, 392 f., wonach „Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt inhaltlich zusammenfallen (392), andererseits Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt deutlich voneinander unterschieden werden (393). 169

132

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Rechtssatzvorbehalt hinaus und folgt überdies bereits aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Die grundsätzliche Frage, ob es Gegenstände gibt, die der parlamentarische Gesetzgeber nicht delegieren darf, bleibt vielfach unbeantwortet. 174 (4) Keine gemeinsame „ Wesentlichkeitstheorie"

von BVerfG und BVerwG

Betrachtet man die vom BVerfG und die zum Teil vom BVerwG vertretenen Konzeptionen auf dem Hintergrund der im zweiten Kapitel dargestellten historischen Entwicklung des Vorbehaltsprinzips, so ist festzustellen, daß die vom BVerwG vertretene Auffassung in ihren Konsequenzen kaum vom herkömmlichen Vorbehalt des Gesetzes abweicht, der ja traditionell eine Begrenzung der parlamentarischen Delegationsbefugnis verneinte. 175 Die Rechtsprechung des BVerwG hat zwar - ebenso wie die des BVerfG - zu modifizierten Voraussetzungen auf der Tatbestandsebene geführt und geht insofern über den traditionellen Vorbehalt des Gesetzes hinaus. A u f der Rechtsfolgenseite bleibt jedoch nach der Rechtsprechung des BVerwG alles beim alten: Auch bei hoher Intensität der Grundrechtsrelevanz wird eine Regelung „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes", das heißt eine normative, rechtssatzmäßige Regelung für ausreichend gehalten. Die grundsätzlich nicht beschränkte Delegationsbefugnis des Gesetzgebers wird somit nicht angetastet. Unter diesen Voraussetzungen muß sich bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG die Problematik letztlich auf die Frage nach der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsdichte des Parlamentsgesetzes sowie parlamentsgesetzlicher Verordnungsermächtigungen beschränken. Das Maß dessen, was im Parlamentsgesetz selbst geregelt werden muß, bestimmt sich dann ausschließlich über die Enge oder Weite der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen. Angesichts dieses Befundes muß sich die Frage aufdrängen, ob die Probleme der Wesentlichkeitslehre dann nicht allein unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G zu erörtern wären. Möglicherweise ist die gesamte Diskussion dann an der falschen verfassungsrechtlichen Front des Gesetzesvorbehalts geführt worden, statt - wie es richtig gewesen wäre - sie auf die Frage nach möglicherweise veränderten Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots zuzuspitzen. Es ist somit im Ergebnis festzuhalten, daß nur das BVerfG und die ihm folgenden Teile von Rechtsprechung und Literatur die Wesentlichkeitslehre im Sinne eines echten Parlamentsvorbehalts verstehen. Angesichts dieses Befundes wird man kaum noch von einer gemeinsamen „Theorie" oder auch nur „Konzeption" 1 7 6 von BVerfG und BVerwG sprechen können. (5) Die Trennungslinie

des Wesentlichkeitsmerkmals

Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen von BVerfG und BVerwG sowie der ihnen jeweils folgenden Literatur und Rechtsprechung herrscht 174 175 176

Vgl. Hill (Fn. 113), 1982,39. Vgl.obenKap.il. So aber Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (124).

133

4. Regelungse

Unklarheit darüber, wo die Wesentlichkeitslehre die Grenzziehung vornimmt: Trennt sie Parlamentsgesetz und Rechts Verordnungen (sowie Satzungen) als Rechtssätze auf der einen und die Verwaltungsvorschriften auf der anderen Seite, oder zieht sie die Trennungslinie zwischen dem Parlamentsgesetz und allen anderen untergesetzlichen Regelungsformen? 177 Nach der vom BVerwG vertretenen Auffassung werden Gesetz und Rechtsverordnung vorbehaltsrechtlich als Einheit gesehen und gegenüber den Verwaltungsvorschriften abgegrenzt. Was als „wesentlich" zu qualifizieren ist, darf nicht durch Verwaltungsvorschriften geregelt werden, sondern erfordert zumindest eine Rechtsverordnung. Die Frage, ob die Regelung eventuell sogar durch Parlamentsgesetz getroffen werden muß, wird bei Annahme eines solchen Rechtssatzvorbehalts nicht beantwortet. Hier verläuft die Trennungslinie zwischen Gesetz und Rechtsverordnung auf der einen und den Verwaltungsvorschriften auf der anderen Seite. Anders stellt sich die Situation nach der vom BVerfG vertretenen Auffassung dar. Bei grundrechtsrelevanten Regelungen wird zwar ebenfalls eine Regelungsmöglichkeit durch Verwaltungsvorschriften ausgeschlossen, so daß das Merkmal der Grundrechtsrelevanz die Trennungslinie zunächst an derselben Stelle zieht. In einem zweiten Schritt geht das BVerfG aber über diese Grenzziehung hinaus und fügt eine weitere hinzu: Unter der Voraussetzung einer besonderen Grundrechtsintensität gilt der Parlamentsvorbehalt, der eine weitere Trennungslinie zwischen dem Parlamentsgesetz und allen anderen untergesetzlichen Regelungen zieht. Dieser „echte" Parlamentsvorbehalt bestimmt, was weder durch Verwaltungsvorschrift noch durch Rechtsverordnung geregelt werden darf. Bei Annahme eines Parlamentsvorbehalts erfolgt somit eine zweifache Grenzziehung, nämlich einmal gegenüber den Verwaltungsvorschriften (Rechtssatzvorbehalt als Vorstufe des Parlamentsvorbehalts) und zum zweiten gegenüber den Rechtsverordnungen (Parlamentsvorbehalt). Rechtssatzvorbehalt und Parlamentsvorbehalt stehen demnach zueinander in einem Stufenverhältnis. 178 4.1.2 Der Parlamentsvorbehalt

als Delegationsverbot

Der herkömmliche Vorbehalt des Gesetzes ging - wie in Kapitel I I dargelegt - von einer grundsätzlich unbegrenzten Delegationsbefugnis des Gesetzgebers aus. Es fragt sich, ob und inwieweit sich durch die neuere Entwicklung der Vorbehaltslehre hieran etwas geändert hat. M i t der Annahme eines Parlamentsvorbehalts wird der Gesetzgeber verpflichtet, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der 177 178

Vgl. zu dieser Fragestellung Jülich (Fn. 157), 1983, 755 ff. (758).

Vgl. Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (97); Ders., VerwArch 69 (1978), 387 ff. (396); Ders., VerwArch 70 (1979), 249 ff. (252 f.); Ders., DVB1.1985,22 ff. (26 f.); Weber, JuS 1976,336 mit Fn. 9; Lerche (Fn. 6), 1981,59; Falckenberg, BayVBl. 1978,166ff. (168); kritisch Ossenbühl, Zur Erziehungskompetenz des Staates, 1976,751 ff. (756); Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982,463 mit Fn. 543. Skeptisch gegenüber einer weiteren „Stufentheorie" Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (128).

134

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Verwaltung zu überlassen (Parlamentsvorbehalt). 179 Grundlegende Entscheidungen oder die Regelung bestimmter Gegenstände in den Grundzügen soll der Gesetzgeber treffen müssen. 180 Damit wird für bestimmte Regelungsgegenstände eine Selbstentscheidungspflicht des parlamentarischen Gesetzgebers formuliert. Wenn der Gesetzgeber aber bestimmte Fragen selbst regeln muß, so folgt daraus im Umkehrschluß, daß er diese Fragen nicht an den Verordnungsgeber oder an den Satzungsgeber delegieren darf. 1 8 1 Der Parlamentsvorbehalt besitzt danach eine Regulativfunktion gesetzgeberisch zulässiger Delegation an die untergesetzlichen Normgeber. 1 8 2 Geht man von der vom BVerfG im Beschluß zur Versetzung und Schulentlassung vertretenen Auffassung aus, daß die Grundrechtsrelevanz einer Regelung zunächst den Rechtssatzvorbehalt konstituiert und erst eine gesteigerte Intensität der Grundrechtsbetroffenheit den Parlamentsvorbehalt begründet, 183 so kann man den Parlamentsvorbehalt als einen zum Delegationsverbot verdichteten Rechtssatzvorbehalt bezeichnen. 184 Der Parlamentsvorbehalt erfordert demgemäß eine Differenzierung zwischen delegierbaren und nicht delegierbaren, zwischen ausschließlichen und übertragbaren Parlamentskompetenzen. 185 Die ausschließlichen Parlamentskompetenzen werden dabei als der Bereich delegationsfeindlicher Regelungen verstanden, wobei die Entscheidungen vom Parlament selbst getroffen werden müssen und deshalb von jeglicher Regelung durch die Exekutive, gleichgültig, ob aufgrund derivativer oder originärer Kompetenz, ausgenommen sind. 1 8 6 Das Delegationsverbot wird 179

BVerfGE 58, 257; 46, 47; BVerwGE 47, 194; 47, 201. BVerwGE 47, 194(199). 181 So schon BVerfGE 33, 125 - Facharztentscheidung. 182 Henke, AöR 101 (1976), 576 ff. (579). 183 BVerfGE 58, 257 (272 ff.). 184 Vgl. Erichsen (Fn. 6), 1984,113; Böckenförde (Fn. 54), 1981,393; Krebs, DVBl. 1977,636; Ders., Jura 1979, 304 ff. (311 f.). 185 Ossenbühl (Fn. 178), 1976, 751 ff. (756). Ob allerdings, wie Ossenbühl meint, jeder Gesetzesvorbehalt einen Kern ausschließlicher Parlamentskompetenzen einschließt, erscheint fraglich, da nicht notwendigerweise jeder Rechtssatzvorbehalt partiell zu einem Parlamentsvorbehalt verdichtet sein muß. 186 Eine abschließende gesetzliche Regelung braucht im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts nicht getroffen zu werden. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, alle Einzelheiten der parlamentsrelevanten Materie im Gesetz selbst zu regeln. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die Leitentscheidung der Sache nach notwendig eine Detailentscheidung ist. Vgl. dazu BVerfGE 34,165 (194); 40,237 (249 f.); 41,251 (265); 47,46 (82 f.); 58,257 (275); ähnlich schon BVerfGE 3, 187 (197); 14, 174 (187 und 2. Leitsatz); 14, 245 (251); 22, 21 (25); 33, 125 (163). Vgl. auch BVerwGE 47, 194 (199); 47, 201 (204); 54, 237; 57, 360 (363); 56, 155 (160); NJW 1982, 250; DJT-SchulGE 1981, 271; Listi, DVBl. 1978, 10 ff. (13); Franck, RdJB 1981, 179; Evers, RdJB 1982,227 ff. (229); Bethge, N V w Z 1983,579 ff. (580); Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 71. Hennecke ( D Ö V 1982, 696) vertritt die Auffassung, je „wesentlicher" ein Gegenstand und je höher der Intensitätsgrad einer Regelung im Hinblick auf ihren Gegenstand sei, desto mehr wachse dem Gesetzgeber selbst die Pflicht zu, den Gegenstand im Gesetz abschließend zu regeln und ihn nicht der Verwaltung zur Regelung durch Rechtsverordnung zu überlassen. Nach Auffassung von Jülich (Fn. 157), 1983, 755 ff., 758, ist im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts eine „Vollregelung" durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erforderlich. An anderer Stelle hält er es für zulässig, die Erziehungsziele ergänzend durch Verordnung festzulegen und die Bestimmung der Lehr- und Stoffpläne zu ihrer Konkretisierung sowie Einzelheiten der Unterrichtsmethoden den Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) vorzubehalten (a.a.O., 760, unter Bezug auf BVerwGE 47,194(199)und 57,360(363)). Kisker (DVBl. 1982,886 ff., 887) spricht von 180

4. Regelungse

135

allerdings durchweg als Ausnahmefall gegenüber der grundsätzlich weiterbestehenden Delegationsbefugnis des Gesetzgebers angesehen.187 M i t der Anerkennung eines durch den Parlamentsvorbehalt begründeten Delegationsverbots stellt sich die Frage nach der Reichweite eines solchen Delegationsverbots. Bezieht es sich auf gesamte Rechtsgebiete (zum Beispiel das Schulrecht), auf einzelne Gegenstandsbereiche (zum Beispiel den Sexualkundeunterricht, die Schulpflicht usw.) oder nur auf einzelne besonders qualifizierte Regelungsgegenstände (wie zum Beispiel Beginn oder Dauer der Schulpflicht)? Einigkeit besteht darüber, daß es zu weit ginge, einen ganzen Rechtsbereich dem Delegationsverbot zu unterstellen. Nicht jede Regelung des Schulrechts ist intensiv grundrechtsrelevant, ja nicht einmal jede ist grundrechtsrelevant. Wie verschiedene Entscheidungen des BVerfG verdeutlichen, werden auch nicht einzelne Gegenstandsbereiche vollständig dem Parlamentsvorbehalt und damit dem Delegationsverbot unterstellt. So hebt das BVerfG in der Entscheidung zum Sexualkundeunterricht explizit einige Regelungspunkte hervor, die es für im Parlamentsgesetz regelungsbedürftig hält. 1 8 8 Auch in der Entscheidung zur Versetzung und Schulentlassung unterstellt das BVerfG nur einige besonders wichtige (grundlegende) Teile des Regelungskomplexes „Schulentlassung" dem Parlamentsvorbehalt. 189 Das Delegationsverbot bezieht sich damit stets nur auf einzelne besonders qualifizierte Teilaspekte eines Gegenstandsbereichs. Richtiger ist es daher, statt von einem generellen Delegationsverbot von einem durch den Parlamentsvorbehalt begründeten partiellen Delegationsverbot zu sprechen. Es erweist sich daher als notwendig, innerhalb eines jeden Regelungsbereichs zwischen den delegierbaren und den nicht delegierbaren (delegationsfesten) Teilen der jeweiligen Regelung abzuschichten. M i t der alleinigen Feststellung, der Sexualkundeunterricht, die Schulentlassung usw. unterlägen dem Parlamentsvorbehalt, ist daher für die Frage der Delegierbarkeit oder Nichtdelegierbarkeit nur wenig gewonnen. Festgestellt wird damit zunächst nicht mehr und nicht weniger, als daß bestimmte Teile dieser Regelungsmaterie vom Gesetzgeber selbst zu regeln und mithin nicht delegierbar sind. Welche Teile aber im einzelnen dazugehören und wieweit im jeweiligen Regelungsfall das Delegationsverbot reicht, ist damit noch nicht entschieden. Fest steht nur, daß keinesfalls die gesamte Regelung des Sexualkundeunterrichts, der Schulentlassung usw. ausschließlich im Parlamentsgesetz zu treffen sind. Darüber hinaus wird das Delegationsverbot nicht dahingehend verstanden, der Gesetzgeber müsse in dessen Geltungsbereich sämtliche grundrechtsrelevanten Entscheidungen selbst treffen. Vielmehr bezieht sich der Parlamentseiner „Skala ..., die von der parlamentsgesetzlichen Vollregelung über die präzis programmierende Ermächtigung bis hin zur Globalermächtigung und schließlich zur Entbehrlichkeit der Mitwirkung des Parlaments reicht". 187 Weber, JuS 1975, 599; Ders., JuS 1976, 336; Niehues, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 43; Ders., DVB1. 1980, 465 ff. (467); Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (712). 188 BVerfGE 47, 46 (83). 189 BVerfGE 58, 257 (275).

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

vorbehält und damit das Delegationsverbot ausschließlich auf die normativen Grundlagen grundrechtsrelevanter Entscheidungen. Dies bedeutet keinesfalls, daß der parlamentarische Gesetzgeber etwa intensiv grundrechtsrelevante Einzelentscheidungen (Verwaltungsakte) selbst treffen müßte. Auch im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts ist es nicht ausgeschlossen, daß das Gesetz die Verwaltung zum Erlaß von Einzelakten in Vollzug des Gesetzes ermächtigt und ihr dabei Ermessensspielräume einräumt. Wird die Exekutive vom Gesetzgeber ermächtigt, Einzelfallentscheidungen zu treffen, so handelt es sich auch hierbei um eine Form der Delegation von Entscheidungskompetenzen. Ein völliges Delegationsverbot besteht daher nicht einmal im engen Gestaltungsbereich des Parlamentsvorbehalts. Vielmehr kommt es im Verhältnis zur einzelfallentscheidenden Verwaltung auf eine hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung als Grundlage für die an die Exekutive delegierte Einzelentscheidung an. Der Anerkennung eines derartigen (begrenzten) Delegationsverbots scheint sich das BVerwG nicht durchweg anschließen zu wollen. Das BVerwG verwendet zwar in früheren Entscheidungen ebenfalls auf ein Delegationsverbot hindeutende Formulierungen. 190 In seiner letzten wichtigen Entscheidung zum Schulrecht, der Bremer Lateinentscheidung, verlangt das Gericht jedoch lediglich eine „normative" Regelung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, obwohl es die Festlegung der Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe für eine bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung und für eine wesentliche (grundlegende) Entscheidung im Schulverhältnis hält. 1 9 1 Gleichwohl lehnt das BVerwG in dieser Entscheidung die Annahme eines strengen Parlamentsvorbehalts und damit die Anerkennung eines Delegationsverbots ab. Auch hinsichtlich des von der herrschenden Meinung angenommenen Delegationsverbots wird somit deutlich, daß die sogenannte Wesentlichkeitstheorie der herrschenden Meinung zu wichtigen Einzelfragen der Vorbehaltsproblematik keine einheitliche Antwort gibt.

4.2 Regelungsdichte Die Wesentlichkeitslehre konkretisiert die Selbstentscheidungspflicht des Gesetzgebers nicht nur durch ein partielles Delegationsverbot, sondern setzt dem Gesetzgeber auch Vorgaben für die inhaltliche Dichte der von ihm zu treffenden Regelungen. Durch das Erfordernis einer bestimmten Regelungsebene - des Parlamentsgesetzes - wird über das „Ob" des gesetzgeberischen Handelns entschieden; die Anforderungen an eine bestimmte Regelungsdichte des Parlamentsgesetzes schreiben dem Gesetzgeber darüber hinaus das „Wie" des Regelungsaktes vor. 1 9 2 Nicht ausreichend ist somit, daß überhaupt

190 BVerwGE 47, 194 (199); 47, 201 (204 f.); vgl. auch neuere Entscheidungen wie U. des BVerwG vom 7.10.1983 - I C 54.82. 191 BVerwGE 64, 305 (315 f.). 192 Vgl. auch Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (691); Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (57).

4.2 Regelungsdichte

137

eine parlamentsgesetzliche Regelung vorhanden ist; vielmehr muß die Aussage des Gesetzgebers der Bedeutung der Sache entsprechend präzise sein. 193 Die Frage nach dem gebotenen Umfang gesetzlicher Regelungen im Bereich des Parlamentsvorbehalts wird damit nicht allein durch die Entscheidung über eine bestimmte Regelungsebene beantwortet, sondern bedarf außerdem einer Präzisierung zu der verfassungsrechtlich geforderten Regelungsdichte und Bestimmtheit parlamentsgesetzlicher Regelungen. 194 Die Anforderungen an die Reichweite 195 beziehungsweise den Umfang des parlamentarischen Regelungsvorbehalts 196 werden in der Rechtsprechung häufig mit den Worten umschrieben, die parlamentsgesetzliche Regelung müsse die Tätigkeit der Verwaltung inhaltlich normieren und dürfe sich nicht darauf beschränken, allgemein gehaltene Grundsätze aufzustellen. 197 Schon in früheren Entscheidungen wurde darauf verwiesen, das Parlament als Gesetzgeber sei verpflichtet, im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre selbst abzugrenzen und nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörde zu überlassen. 198 4.2.1 Konkretisierungen

des Bestimmtheitsgebots

Herrscht im Grundsatz weitgehende Einigkeit darüber, daß der Parlamentsvorbehalt Anforderungen an die parlamentsgesetzliche Regelungsdichte stellt und stellen muß, so besteht nach wie vor weitgehende Unklarheit darüber, welche Regelungsdichte der Parlamentsvorbehalt konkret gebietet. Auch die Frage, nach welchen Kriterien die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsdichte zu ermitteln ist, wird häufiger gestellt als beantwortet. 199 Nach wie vor stützt man sich mehr oder weniger auf die bereits auf dem 51. D J T 1976 geprägte Formel: Je wesentlicher eine schulische Angelegenheit ist, um so bestimmter muß die normative Aussage des Gesetzgebers sein. 200 Die Erkenntnis, je mehr eine Regelung auf die Rechtsstellung des Betroffenen einwirke, um so mehr sei im Parlamentsgesetz zu regeln und um so schärfer seien die Bestimmtheitsanforderungen zu fassen, 201 geht kaum über die For193 O V G N W , SPE I D I X , 1 Blockunterricht; O V G N W DVB1. 1978, 278 - Mindestschülerzahl; V G Regensburg, RdJB 1981, 249 - Stoppt-Strauß-Plakette; zustimmend Kiepe, D Ö V 1979, 399 ff. (403). 194 Vgl. Rengeling, NJW 1978,2218 ff.; Krebs, Jura 1979,304ff. (311); Hennecke, D Ö V 1982, 696; Breuer, Umweltschutzrecht, 1982, 654 ff.; Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (128). 195 Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 67. 196 BVerfGE 58, 257 (274); Bethge, N V w Z 1983, 577 ff. (578). 197 BVerfGE 52, 1 (41), unter Hinweis auf BVerfGE 21, 73 (79); Lerche (Fn. 6), 1981, 31; Roewer/Hoischen, DVB1. 1979, 900 ff. (901); O V G N W , NJW 1977, 826. 198 BVerfGE 20,150 (157 f.); 33,125 (158 f., 163); 34,165 (192 f.); BVerwGE N J W 1975,1898; BVerwGE 47, 194; 47, 201; ähnlich BayVerfGH, BayVBl. 1975, 298 (300); O V G Berlin, NJW 1973, 819; O V G N W , NJW 1976, 725 f. 199 Dazu Hennecke, D Ö V 1982, 691; Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 67; vgl. dazu auch oben Kap. I 2. 200 51. D J T 1976, M 230. 201 Vgl. BVerfGE 58, 257 (277 ff.); dazu Ruland, JuS 1983, 315 ff. (317).

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

mei des Juristentages hinaus. Entsprechendes gilt für Versuche, die gebotene Regelungsdichte mit Hilfe anderer Formulierungen zu umschreiben. So wird teilweise eine „parlamentarische Leitentscheidung mit hinreichender Bestimmtheit" 2 0 2 oder eine Regelung „in den Grundzügen" verlangt. 203 Soweit zugleich gefordert wird, der Gesetzgeber müsse „die wesentlichen Entscheidungen" treffen, 204 wird dem Wesentlichkeitsmerkmal die bereits erwähnte Doppelfunktion angedient: Es taucht nicht nur auf der Tatbestandsseite auf, wo es bestimmen soll, unter welchen Voraussetzungen der parlamentarische Gesetzgeber eine Regelung selbst zu treffen hat, sondern soll darüber hinaus auch auf der Rechtsfolgenseite angeben, mit welcher Dichte und Bestimmtheit die parlamentsgesetzliche Regelung erfolgen muß. 2 0 5 Derartige Konkretisierungsversuche haben etwas Zirkelschlüssiges und fördern nicht gerade die Transparenz der Wesentlichkeitstheorie. 206 Doch auch unabhängig von der verbalen Doppelspurigkeit auf Tatbestands- und Rechtsfolgenebene stellt die Wesentlichkeitslehre hinsichtlich des Ob und des Wie der parlamentsgesetzlichen Regelung auf die gleichen Kriterien ab, nämlich auf die Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität. 207 In dem Maße, wie Teile eines Regelungsgegenstandes wegen abnehmender Intensität der Grundrechtsberührung delegierbar werden, nimmt zugleich das Maß der gebotenen Gesetzesbestimmtheit ab. Hennecke spricht (in umgekehrter Sicht) von einer „Linie aufsteigender Intensität", wobei analog zu dem gebotenen Regelungstypus von der Verwaltungsvorschrift über die Rechtsverordnung bis hin zum förmlichen Gesetz die Bestimmtheitsanforderungen je nach Wesentlichkeit und Intensitätsgrad einer Regelung verstärkt werden. 208 Einer gleitenden Abstufung der wie auch immer konkretisierten Wesentlichkeit entspricht eine ebenso gleitende Abstufung der Intensität parlamentarischer Mitwirkung. 2 0 9 Wenn - auf der Tatbestandsseite - die Intensität der Grundrechtsberührung mehr oder weniger stark sein kann und daher fließende Übergänge bestehen, so soll diesem Umstand auf der Rechtsfolgenseite durch eine entsprechende Abstufung der Bestimmtheitsanforderungen entsprochen werden. Damit wird zugleich das hinsichtlich der Regelungsebene unvermeidliche Entweder Oder (Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung) abgemildert und eine flexible Abstufung gesetzgeberischer Regelungspflichten vorgenommen. Mit dem Grad der Gesetzesbestimmtheit wird zugleich über die Feineinstellung der Kompetenzverteilung zwischen Gesetz- und Verordnungsgeber entschieden. 2 1 0 202 BVerfGE 47,46 (83); ähnlich 58,257 (271); Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 80 ff.; BVerwGE 47, 194 (198), spricht vom Erfordernis einer „politischen Leitentscheidung". 203 BVerfGE 47, 46 (83); BVerwGE 47, 194 (199); 47, 201 (205). 204 BVerfGE 47, 46 (83); BVerwGE 47, 194 (199 f.); 47, 201 (203 f.); 56, 155 (157); 57, 360 (363 f.). 205 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, 685 (691 f.); kritisch dazu auch Bosse, D Ö V 1975, 350 ff. (351). 206 So auch Kloepfer, JZ 1984, 685. 207 Vgl. Kisker, DVBl. 1982, 886 ff. (887); Lerche (Fn. 6), 1981, 80 f. m.w.N. 208 Hennecke, D Ö V 1982, 691. 209 Kisker, DVBl. 1982,886 ff. (887); Lerche (Fn. 6), 1981,80 f.; Bryde, Rdn. 21 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, 2. Aufl., 1983. 210 Vgl. Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 71 mit Fn. 157.

4.2 Regelungsdichte

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4.2.2 Verdeckte Delegationen

Daß ein auf das Verhältnis Gesetz- und Verordnungsgeber beschränktes partielles Delegationsverbot nicht ausreicht, um die vom Parlamentsvorbehalt intendierte Selbstentscheidungspflicht des Gesetzgebers durchzusetzen, wird insbesondere am Beispiel verdeckter Delegationen deutlich. 211 Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften begründen als Varianten planmäßiger gesetzlicher Offenheit ein hohes Maß an Entscheidungsspielräumen für die regelnd tätig werdende Exekutive. 212 Unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln und Ermessensvorschriften erweisen sich somit als kompetenzrechtliche Verweisungstatbestände zugunsten der Exekutive und sind als verdeckte Delegationsnormen kompetenzrechtlich kaum weniger bedeutsam als die offenen Delegationen an Verordnungs- oder Satzungsgeber. Das aus dem Parlamentsvorbehalt entwickelte Delegationsverbot führt daher ebenso wie das Gebot einer verstärkten Regelungsdichte in Anwendung der Wesentlichkeitslehre zu einer Begrenzung der Verwendung verdeckter Delegationsformen. 213

4.2.3 Bestimmtheitsgebot als integraler Bestandteil des Parlamentsvorbehalts

Der als Rechtssatzvorbehalt verstandene traditionelle Vorbehalt des Gesetzes zeichnete sich in seiner ursprünglichen Form durch eine schrankenlose Delegationsbefugnis des Gesetzgebers aus. 214 Durfte sich ein Gesetz auf den einzigen Satz beschränken, daß eine ganze Rechtsmaterie im Wege der Verordnung geregelt werden solle, 215 so konnte der herkömmliche Vorbehalt des Gesetzes unmöglich mit einem Bestimmtheitsgebot verknüpft sein. Auch unter der Geltung des Grundgesetzes wurde die Bestimmtheitsproblematik im wesentlichen nur für das Verhältnis des Gesetzgebers zum Verordnungsgeber unter dem Blickwinkel des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen erörtert. 2 1 6 Ein etwaiges Bestimmtheitsgebot im Verhältnis des Gesetzgebers zum Satzungsgeber war damit ebensowenig ein Thema wie bezüglich der verdeckten Delegationsnormen. In der Folgezeit verbreitete sich jedoch die Auffassung, daß das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage seinen guten Sinn verlöre, wenn es lediglich als Formalität aufgefaßt würde. 2 1 7 In der Kriegsopferentscheidung schließlich erklärte das BVerfG, daß sich „das Bestimmtheitsgebot mit dem

211

Zum Begriff der verdeckten Delegation vgl. oben Kap. I 3.2.3. Vgl. Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 71. 213 Ebenso Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (691) m.w.N. Allgemein zum Verhältnis von Parlamentsvorbehalt und unbestimmten Gesetzesbegriffen Erichsen, DVB1. 1985,22 ff. (26 ff.), sowie Ule, VerwArch 76 (1985), 1 ff. (13). 214 Vgl. dazu oben Kap. 2. 215 So Triepel, in: Verhandlungen des 32. D J T 1921 in Bamberg (1922), 11 ff. (19). 216 Vgl. dazu auch Geitmann, BVerfG und offene Normen, 1971, 83 ff. 217 BVerfGE 41, 251 (263 ff.). 212

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Verfassungsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ... berührt". 2 1 8 Diese „Berührungsthese" des BVerfG geht offensichtlich nach wie vor davon aus, daß das Bestimmtheitsgebot ein selbständiges Verfassungsprinzip neben dem Vorbehaltsprinzip darstellt. Etwas weiter geht bereits Rengeling, wenn er erklärt, das Bestimmtheitsgebot diene der Intensivierung des logisch vorrangigen Parlamentsvorbehalts. 219 Wenn es zutrifft, daß der Parlamentsvorbehalt nicht nur eine irgendwie geartete parlamentsgesetzliche Regelung verlangt, sondern die Aussage des Gesetzgebers der Bedeutung der Sache entsprechend bestimmt sein m u ß 2 2 0 und ein rein formal auf ein Delegationsverbot reduzierter Parlamentsvorbehalt die von der Wesentlichkeitslehre geforderte Selbstentscheidung des Gesetzgebers nicht durchsetzen könnte, so kann daraus nur folgen, daß das hier diskutierte Bestimmtheitsgebot ein integraler Bestandteil des Parlamentsvorbehalts sein muß. Zöge man diese Konsequenz nicht, so bestünde die Gefahr, daß ein ohne komplementäres Bestimmtheitsgebot verstandener und auf ein Delegationsverbot reduzierter Parlamentsvorbehalt leerlaufen könnte. Mag die Berührungsthese des BVerfG im Anwendungsbereich des Rechtssatzvorbehalts mit Blick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ausreichend sein, so wird man für den Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts eine „Integrationsthese" aufstellen müssen. 221

4.2.4 Abgrenzung gegenüber anderen verfassungsrechtlichen

Bestimmtheitsgeboten

Wenn nach alledem das vom Parlamentsvorbehalt umfaßte Bestimmtheitsgebot als dessen integraler Teil anzusehen ist, so muß sich die Frage stellen, in welchem Verhältnis das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot zu den anderen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgeboten steht. Die notwendige Abgrenzung betrifft zum einen das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und zum anderen die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. ( 1) Rechtsstaatliches Bestimmtheitsgebot

Das Verhältnis zwischen den vom Parlamentsvorbehalt umfaßten Bestimmtheitsanforderungen und dem allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot ist bisher nicht hinreichend geklärt. 2 2 2 Ob und worin die Unterschiede bestehen, läßt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Anwendungsbe218 BVerfGE 56,1(13); ähnlich BVerfGE 49,89 (129): stehen „in unmittelbarem Zusammenhang" zueinander. Kisker, ZParl 9 (1978), 53 ff. (55 ff.), spricht von einem den Vorbehalt des Gesetzes „ergänzenden Bestimmtheitsgebot". 219 Rengeling (Fn. 164), 1982, 31; Ders., NJW 1978, 2217 ff. 220 Vgl. O V G N W , SPE I D I X , 1 - Blockunterricht. 221 Ähnlich schon Geitmann (Fn. 216), 1971,91 ff.; vgl. auch mit ähnlicher Tendenz BVerfGE 58,257 (278) sowie Braun, VerwArch 76 (1985), 24 ff. (54 ff.); a.A. wohl Kloepfer, JZ 1984,685 ff. (691). 222 Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (691).

4.2 Regelungsdichte

141

reich erschließen. Während das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot allein die Regelungsdichte der parlamentsgesetzlichen Regelung im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts betrifft, gilt das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot 223 auch dort, wo der Parlamentsvorbehalt nicht zur Anwendung gelangt, beispielsweise also bei Gesetzen, die nicht dem Parlamentsvorbehalt unterliegen. 224 Nicht nur aus Gründen des Parlamentsvorbehalts erlassene gesetzliche Regelungen, sondern alle Gesetze müssen ein Mindestmaß inhaltlicher Bestimmtheit aufweisen, um von der Verwaltung angewendet und vollzogen werden zu können und um den Gerichten eine Kontrolle der Rechtsanwendung zu ermöglichen. Darüber hinaus gilt das allgemeine rechtsstaatliche - im Gegensatz zum vorbehaltsrechtlichen - Bestimmtheitsgebot auch für andere Rechtsetzungsakte wie Rechts Verordnungen oder Satzungen, aber auch für sonstige Handlungsformen von Exekutive (zum Beispiel Verwaltungsakte) und Justiz (zum Beispiel Urteile). 2 2 5 Die Ratio des allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots liegt im Bereich der Rechtsetzung in der Notwendigkeit begründet, im Interesse der Rechtssicherheit hinreichend eindeutige normative Aussagen zu gewährleisten, um sowohl für den Bürger als auch für die gesetzesanwendende Verwaltung sowie für die Gerichte eine einigermaßen voraussehbare und einheitliche Rechtsanwendung zu ermöglichen. Das vom Parlamentsvorbehalt umfaßte Bestimmtheitsgebot geht über diese Anforderungen hinaus. Es soll den Gesetzgeber in die Pflicht nehmen und ihn veranlassen, die als wesentlich qualifizierten Entscheidungen selbst zu treffen und nicht an die Exekutive zu delegieren. Das Motiv des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots liegt somit vor allem auf kompetenzrechtlichem Gebiet. Damit werden die Unterschiede zwischen dem allgemeinen rechtsstaatlichen und dem vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebot deutlich: Dient das erstere vor allem der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit, so trifft das zweite eine kompetenzrechtliche Aussage über die Regelungspflichten im Verhältnis des parlamentarischen Gesetzgebers zur rechtsetzenden Exekutive. Das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot bezieht sich auf die Reichweite der Regelungspflichten eines jedweden Normgebers, wohingegen das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot ausschließlich Entscheidungsund Regelungspflichten des parlamentarischen Gesetzgebers begründet und dadurch zugleich dessen Delegationsbefugnisse einschränkt. Vorbehaltsrechtliches und rechtsstaatliches Bestimmtheitsgebot erweisen sich somit sowohl nach Sinn und Zweck als auch nach Anwendungsbereich unterschiedlich und sind daher voneinander rechtlich unabhängig. 226 223 Vgl. dazu BVerfGE 1,14 (45,59 f.); Geitmann (Fn. 216), 1971,188 ff.; Gusy, DVB1. 1979, 575 f.; Ders., JuS 1983, 189 ff. (192). 224 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (691). 225 Vgl. für Verwaltungsakte § 37 Abs. 1 VwVfG; für Urteile siehe Kopp, VwGO, 6. Aufl., 1984, § 117 Rdn. 10; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl., 1982, § 313 Anm. I I I . 226 So im Ergebnis auch Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (691).

142

IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

(2) Das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG

Wesentlich problematischer und umstrittener stellt sich das Verhältnis des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots zu den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G dar. 2 2 7 Während das BVerfG die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G unabhängig von Geltung und Reichweite des Parlamentsvorbehalts bestimmt, 2 2 8 wird dem zum Teil entgegengehalten, das BVerfG hätte sich in der Entscheidung zur Versetzung und Schulentlassung auf die Prüfung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G beschränken sollen. 229 Des Parlamentsvorbehalts bedürfe es eigentlich nicht, da alle Fälle mit Hilfe des herkömmlichen Vorbehalts des Gesetzes (sprich: Rechtssatzvorbehalt) im Zusammenspiel mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G lösbar seien. 230 Die Vertreter dieser Auffassung gehen implizit von einer Parallelität oder sogar Identität der Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts und des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G aus. 2 3 1 Dementsprechend wird die Frage aufgeworfen, ob unter diesen Voraussetzungen nicht jede dem Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G genügende Verordnungsermächtigung stets notwendig auch den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt. 232 Träfe dies zu, dann wären alle scheinbar neuen Überlegungen zu dem Bestimmtheitsgebot des Parlamentsvorbehalts letztlich „alter Wein in neuen Schläuchen". Die Diskussion um den Parlaments vorbehält hätte dann, soweit sie das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot betrifft, letztlich nur die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G unter einem neuen Etikett problematisiert. Unter diesem Gesichtspunkt wird zum Teil bezweifelt, ob die Wesentlichkeitsrechtsprechung überhaupt etwas Neues gebracht habe. 233 Ebenfalls in die Richtung auf eine Identität der Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts und des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G geht die zum Teil in der Literatur vertretene Auffassung, die richtige Verteilung staatlicher Regelungskompetenzen im Verhältnis von Legislative und Exekutive reduziere sich im wesentlichen auf das Problem, wie bestimmt die parlamentarische Willensbildung sein müsse, um in dem nach rechtsstaatlichen, demokratischen und sozialstaatlichen Grundsätzen erforderlichen Ausmaß eine wirkliche Leitentscheidung zu sein. 234 Die Frage nach den Grenzen der Dele227 Vgl. Pietzcker, JuS 1979,710ff.; Wilke, JZ 1982,759 f.; Kloepfer, JZ 1984,685 ff. (692 f.); Richter, Art. 7 Rdn. 12, in: A K - G G , 1984. 228 BVerfGE 58, 257 (277). 229 Wilke, JZ 1982, 759 f. (760). 230 Wilke, JZ 1982, 759 f. (760); vgl. auch schon Ossenbühl (Fn. 178), 1976, 751 ff. (756 mit Fn. 26); Schenke, D Ö V 1977, 27 ff. (30); Roellecke, N J W 1976, 1776 ff. (1778); ähnlich wohl Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (693), und Koch, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1984, 119. 231 Vgl. Böckenförde (Fn. 54), 1981, 393, 395. 232 Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (712 mit Fn. 27), wirft die Frage auf, ob man nicht im Verhältnis Gesetzgeber - Verordnungsgeber mit Hilfe schärferer Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Verordnungsermächtigung in vielen Fällen dasselbe Ergebnis erzielen könnte wie mit einem neben Art. 80 Abs. 1 G G bestehenden Parlamentsvorbehalt. Ähnlich Koch (Fn. 230), 1984, 119. 233 234

Lerche (Fn. 6), 1981,35. Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 71.

4.2 Regelungsdichte

143

gationsbefugnis des Gesetzgebers wird hier allein als ein Problem des verfassungsrechtlich gebotenen Ausmaßes formell-gesetzlicher Regelungsdichte begriffen. 235 Andere wiederum befürchten eine Aushöhlung der Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G durch den Parlamentsvorbehalt. Da das BVerfG die Wesentlichkeit der Materie am sorgfältigsten auf der Ebene des Parlaments Vorbehalts untersuche, tendiere es dazu, entweder eine Regelung unmittelbar durch den Gesetzgeber zu verlangen oder, wenn es diese nicht für erforderlich halte, auch keine besonderen Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen, so daß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G seine selbständige Bedeutung zu verlieren drohe. 2 3 6 Hier wird auf die Gefahr hingewiesen, daß bei einer gleitenden Abstufung der Bestimmtheitsanforderungen je nach Intensität der Grundrechtsberührung nur noch im Anwendungsbereich des Parlamentsvorbehalts relativ strenge Bestimmtheitsanforderungen gelten sollen, im weniger „wesentlichen" und deshalb delegierbaren Bereich an die inhaltliche Bestimmtheit der gesetzlichen Verordnungsermächtigung aber kaum noch über das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot hinausgehende Anforderungen gestellt werden. Die Entwicklung der verstärkten vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen könnte dazu führen, daß gegenläufig die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G fast völlig zurückgenommen werden, da es sich ja nicht um „wesentliche" Regelungen handelt. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G könnte so Gefahr laufen, durch den Parlaments vorbehält in ein Schattendasein abgedrängt zu werden. Alle diese Auffassungen üben Kritik an der Rechtsfigur des Parlamentsvorbehalts, insbesondere soweit er eigenständige Bestimmtheitsanforderungen aufstellt. Ganz unterschiedlich dagegen ist die Stoßrichtung der skeptischen Äußerungen: Halten die einen den Parlaments vorbehält wegen Identität der Bestimmtheitsanforderungen mit denen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G für entbehrlich, so glauben die anderen, sehr unterschiedliche Bestimmtheitsanforderungen zu erkennen und sehen gerade darin eine Gefahr der Aushöhlung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Gehen wir zunächst der Identitätsthese und der Behauptung nach, der Parlamentsvorbehalt und insbesondere die aus ihm entwickelten Bestimmtheitsanforderungen seien im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entbehrlich. Für diese Auffassung könnte sprechen, daß nicht nur der Parlamentsvorbehalt im Sinne einer Selbstentscheidungspflicht verstanden wird, sondern auch aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G eine „Selbstentscheidungsformel" entnommen wurde. 2 3 7 Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs um identische Regelungspflichten. Vor allem die ältere Rechtsprechung des BVerfG interpre235

Erichsen (Fn. 6), 1984, 113 ff. (121 m.w.N.). Bryde, Rdn. 21 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 237 BVerfGE 2, 307 (334); 23, 62 (72); Hasskarl, Die Begrenzung exekutivischer Rechtsetzungsbefugnisse unter besonderer Berücksichtigung der Bundesgesetzgebung, 1969, 88; Bryde, Rdn. 20 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 236

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

tierte Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G dahingehend, der Gesetzgeber müsse selbst die Entscheidung treffen, welche Fragen durch Verordnung geregelt werden sollen (Inhalt), er müsse die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen (Ausmaß) und angeben, welchem Ziel die Regelung dienen solle (Zweck). Demgegenüber begründet die aus dem Parlamentsvorbehalt abgeleitete Selbstentscheidungspflicht des parlamentarischen Gesetzgebers ein partielles Delegationsverbot. Die zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entwickelte Selbstentscheidungsformel stellt lediglich Bestimmtheitsanforderungen an die gesetzliche Regelung für den Fall einer gesetzgeberischen Delegation an den Verordnungsgeber. Damit regelt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G das „Wie" einer eventuellen Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an den Verordnungsgeber. Über das „Ob" einer solchen Verordnungsdelegation trifft diese Verfassungsnorm dagegen keine Aussage. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G bestimmt nicht selbst, wann eine Verordnungsdelegation verfassungsrechtlich zulässig ist, sondern setzt vielmehr deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit voraus. 2 3 8 Nicht Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G , sondern der Parlamentsvorbehalt gibt eine Antwort auf die Frage, ob eine Verordnungsdelegation verfassungsrechtlich zulässig ist. 2 3 9 Wollte man in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G auch eine Aussage über das „Ob" erblicken, so bliebe unbeantwortet, woraus sich die entsprechenden verfassungsrechtlichen Festlegungen im Verhältnis zum Satzungsgeber und bezüglich verdeckter Delegationen ergeben sollten. Konsequent erscheint daher allein, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G allein im Sinne einer Festlegung des „Wie" der gesetzlichen Verordnungsdelegation zu interpretieren. 240 Während der Parlamentsvorbehalt somit die Aufgabe hat, die Fragen nach der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsebene und Regelungsdichte zu beantworten, beschränkt sich die Funktion des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G allein auf die Regelungsdichte, und dies auch nur für den Spezialfall der gesetzlichen Verordnungsermächtigung. Ob sich der Gesetzgeber zur Delegation entschließen darf, ist nicht Regelungsgegenstand des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Damit ist zugleich die Auffassung abzulehnen, die den Parlamentsvorbehalt als ausschließliches Problem der Regelungsdichte begreifen will. Eine politische Leitentscheidung auf Verordnungsebene ist gerade das, was der Parlamentsvorbehalt nicht als verfassungsrechtlich ausreichend anerkennt, selbst wenn sie inhaltlich noch so bestimmt wäre. Ginge es aber allein um die hinreichende Bestimmtheit einer Regelung unabhängig von der Regelungsebene, so müßte es prinzipiell gleichgültig sein, ob die substanzielle Regelung im Parlamentsgesetz, durch Rechtsverordnung oder durch Verwaltungsvorschrift getroffen wird. Da dies nicht dem Verständnis des Parlamentsvorbehalts im Sinne der Wesentlichkeitslehre entspricht, wird stets stillschweigend 238 Vgl. schon Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, 77; Ders., VVDStRL 24 (1966), 231 f.; Geitmann (Fn. 216), 1971, 87; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 1973, 73 f.; Lerche, DVBl. 1958,524 ff. (530 f.); Krebs, Jura 1979,304 ff. (311); Böckenförde (Fn. 54), 1981, 395 f.; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (487). 239 Umbach (Fn. 10), 1984,111 ff. (128): „Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G zielt auf die Bestimmtheitsanforderungen, gibt aber keine Antwort auf die Frage, welche konkrete Sachentscheidung auf welcher Stufe ausschließlich der Gesetzgeber zu treffen hat." 240 Anderer Ansicht Wilke, JZ 1982, 758 ff.

4.2 Regelungsdichte

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die Regelungsebene des Parlamentsgesetzes vorausgesetzt - eine Zuweisung, die nur der Parlamentsvorbehalt leisten kann. Erst wenn eine Regelung überhaupt durch Gesetz erfolgen muß, stellt sich die Frage nach der erforderlichen Regelungsdichte dieser gesetzlichen Regelung. 241 Die Frage nach der gebotenen Regelungsebene ist derjenigen nach der notwendigen Bestimmtheit der parlamentsgesetzlichen Regelung logisch vorgeschaltet. 242 Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G sind daher weder identisch noch ist der Parlamentsvorbehalt wegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entbehrlich. Die fehlende Identität von Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ergibt sich auch aus den im übrigen unterschiedlichen Anwendungsbereichen. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G greift nur dort, wo der Gesetzgeber eine Verordnungsdelegation vornimmt. Trifft das Parlament eine gesetzliche Regelung ohne Verordnungsermächtigung, so kommt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ebensowenig zur Anwendung wie die aus ihm entwickelte Selbstentscheidungsformel. Eine eventuelle Unzulänglichkeit der Regelungsdichte kann in einem solchen Fall allein am Maßstab des Parlamentsvorbehalts festgestellt werden. Das gleiche gilt, soweit der Gesetzgeber zwar eine Delegation vornimmt, dabei jedoch andere Formen der legislativen Delegation als die Verordnungsermächtigung wählt. Delegiert er eine Entscheidung an den Satzungsgeber, so ist Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G nach allgemeiner Auffassung nicht anwendbar. 243 Gleichwohl hat das BVerfG auch im Verhältnis zum Satzungsgeber eine mit einem Delegationsverbot gekoppelte Selbstentscheidungspflicht des parlamentarischen Gesetzgebers angenommen. 244 Aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ließe sich eine solche Auffassung nicht ableiten. Nichts anderes ist der Fall bei Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, Generalklauseln und Ermessenstatbeständen, da auch hier Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G nicht greift. 245 Das gleiche gilt, wenn der Gesetzgeber eine unter Vorbehaltsgesichtspunkten erforderliche Regelung unterläßt; auch hier kann nur der Parlamentsvorbehalt, nie aber Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G verletzt sein. I n all diesen Fällen können sich Regelungspflichten sowie Bestimmtheitsanforderungen, die über das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot hinausgehen, nicht aus Art. 80 G G ergeben, sondern nur aus dem vorbehaltsrechtlichen Regelungsund Bestimmtheitsgebot des Parlaments Vorbehalts. Nähme man eine inhaltliche Identität der Bestimmtheitsanforderungen im Falle von Verordnungsdelegation, Satzungsdelegation sowie verdeckter Delegation an, so würde hier241 Vgl. Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff. (396), unter Hinweis auf Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (97 f.); Falckenberg, BayVBl. 1978,166 ff. (168); Lerche (Fn. 6), 1981, 59; kritisch Ossenbühl (Fn. 178), 1976, 751 ff. (756). 242 Sehr deutlich BVerfGE 58, 257 (274 ff.); Bryde, Rdn. 4 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983; unzutreffend daher Wilke, JZ 1982, 758 ff. 243 BVerfGE 12,319 (325), st. Rspr.; vgl. auch Stern, Staatsrecht, Bd. I I , 1980, § 3814b; Bryde, Rdn. 10 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 244 BVerfGE 33, 125 (158 ff.) - Facharztbeschluß. 245 Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 73, erwähnt zwar in diesem Zusammenhang Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G , ohne jedoch eine entsprechende Anwendung zu befürworten.

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

aus nicht die Entbehrlichkeit, sondern - im Gegenteil - die Notwendigkeit eines vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots folgen, denn soweit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G nicht zur Anwendung gelangt, können sich überhaupt nur aus dem Parlamentsvorbehalt entsprechende Bestimmtheitsanforderungen ergeben. Umgekehrt kann der Anwendungsbereich des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G auch weiter sein als der des Parlaments Vorbehalts. So kann ein Verstoß allein gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G dann in Betracht kommen, wenn der Gesetzgeber eine unzureichende Verordnungsermächtigung verwendet, dieser Teil der gesetzlichen Regelung oder die gesamte gesetzliche Regelung aber nicht unter den Vorbehalt des Gesetzes fällt. Dagegen spricht auch nicht, wie Wilke meint, 2 4 6 daß der Gesetzgeber dann selbst in dem „unwesentlichen und daher delegierbaren Sachbereich" noch Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen muß. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G knüpft die Geltung der Inhalt-, Zweck- und Ausmaßklausel eben gerade nicht an die Voraussetzung einer wie auch immer zu definierenden Wesentlichkeit, sondern verlangt eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung in jedem Fall einer Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an den Verordnungsgeber. Umgekehrt genügt keineswegs jede Verordnungsermächtigung, auch wenn sie noch so bestimmt ist, den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts. Unterliegt zum Beispiel die Entscheidung über die Einführung eines Sexualkundeunterrichts dem Parlamentsvorbehalt, dann darf diese Entscheidung eben nicht - auch nicht auf der Grundlage einer den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G genügenden Verordnungsermächtigung - dem Verordnungsgeber überlassen werden. Denkbar sind auch solche gesetzlichen Regelungen, die zwar insgesamt dem Parlamentsvorbehalt entsprechen und alles „Wesentliche" regeln, gleichwohl aber eine zu unbestimmte Verordnungsermächtigung zu einer untergeordneten Einzelfrage enthalten, etwa weil das Ausmaß der Ermächtigung nicht hinreichend deutlich wird. Umgekehrt ist es nicht ausgeschlossen, daß ein Gesetz eine oder mehrere hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigungen für die Regelung von Detailfragen enthält, im übrigen aber wesentliche Punkte der Gesamtmaterie ungeregelt gelassen, unvollständig oder nicht konkret genug geregelt hat. 2 4 7 Daß eine Identität von Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G nicht gegeben ist, ergibt sich auch aus folgender Überlegung. Besteht ein Delegationsverbot, so gelangt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G gar nicht zur Anwendung. Die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G sind folglich von vornherein nur auf delegierbare Regelungen anwendbar. Demgegenüber gelten die Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts gerade für den - anderen - nicht delegierbaren Teil der betreffenden Regelung, indem sie festlegen, wie bestimmt die vom Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen zu fassen sind. Die Bestimmtheitsgebote des Parlamentsvorbe246 247

Wilke, JZ 1982, 759 ff. (760). Vgl. Lerche, DVBl. 1958, 524 ff. (530 mit Fn. 62).

4.2 Regelungsdichte

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halts und des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G beziehen sich daher komplementär auf die nicht delegierbaren Regelungen einerseits und die delegierbaren andererseits. Aus alledem folgt, daß eine Identität zwischen den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts und denen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G nicht besteht. Der Parlaments vorbehält ist daher keineswegs, wie von Teilen der Literatur angenommen wird, entbehrlich. Erweist sich damit die Identitätsthese als nicht haltbar, so könnte sich gerade dadurch die andere Auffassung, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G werde durch die Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts in ein Schattendasein gedrängt, bestätigen. In der Tat ist nicht zu bestreiten, daß die Rechtsprechung im delegierbaren Bereich nur noch geringe Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Verordnungsermächtigungen stellt. 2 4 8 Damit bestätigt sich allerdings nur die von der Rechtsprechung ohnehin schon seit längerem vorgenommene Relativierung der Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. So verlangt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung zwar, daß die gesetzliche Verordnungsermächtigung spezielle Angaben dessen enthalten muß, was in der Rechtsverordnung geregelt werden soll, daß die gesetzgeberische Tendenz ersichtlich sein muß und daß die Grenzen der dem Verordnungsgeber übertragenden Rechtsetzungsbefugnis umschrieben sein sollen. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G verlange jedoch nicht, daß die Ermächtigung in ihrem Wortlaut so genau wie nur irgend möglich formuliert und gefaßt sein müsse, sie habe von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. 249 Ob es angesichts dieser Tatsache berechtigt ist, die Kritik gerade beim Parlamentsvorbehalt anzusetzen, der ja der Aufweichung der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen entgegenwirkt, erscheint zweifelhaft. Möglicherweise ist die Entwicklung des Parlamentsvorbehalts unter Einbeziehung vorbehaltsrechtlicher Bestimmtheitsanforderungen nur aus der die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G immer mehr relativierenden Rechtsprechung zu erklären. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß eine relativ laxe Handhabung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G dort eher gerechtfertigt erscheint, wo der Gesetzgeber aufgrund des Parlamentsvorbehalts bereits die wichtigsten Leitentscheidungen im Gesetz getroffen hat. Gerade wenn man der ständigen Rechtsprechung folgt, wonach zur Klärung von Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Bestim248 Vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung BVerfGE 55, 207 (242 ff.), wo das Ausmaß der Ermächtigung für die Beschränkung der Nebentätigkeit von Beamten zwar formal erörtert und als hinreichend bestimmt bezeichnet wird, bei näherem Hinsehen aber doch erhebliche Zweifel bestehen, inwieweit die Ermächtigung des § 75 NRW-Beamtengesetzes überhaupt eine Begrenzung des „Ausmaßes" enthält. Weiteres Beispiel ist BVerfGE 58, 257 (275 ff.), wo für die parlamentarische Versetzungsregelung für ausreichend gehalten wird, daß der Gesetzgeber sich auf die bloße Nennung der zu regelnden Materie (hier: Versetzung/Nichtversetzung) beschränkt. Kritisch dazu Bryde, D Ö V 1982,243 f.; Ders., Rdn. 21 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983. Zur schwankenden Auslegung des Konkretisierungsgebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G vgl. schon W. Schmidt (Fn. 174), 1969, 84; Hasskarl, Die Begrenzung exekutivischer Rechtsetzungsbefugnis unter besonderer Berücksichtigung der Bundesgesetzgebung, 1969, 60 ff. 249 BVerfGE 55,207 (226) - Nebentätigkeit von Beamten; st. Rspr. seit BVerfGE 8,274 (312); 26, 228 (241); vgl. dazu auch Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (693).

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

mungen und das Ziel, daß die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, zu berücksichtigen sind, 2 5 0 so führen regelmäßig die in Anwendung des Parlamentsvorbehalts getroffenen gesetzlichen Regelungen stets zugleich zu einer Konkretisierung der ergänzend getroffenen Verordnungsermächtigungen. Nach alledem läßt sich festhalten, daß das dem Parlamentsvorbehalt innewohnende Bestimmtheitsgebot weder mit dem allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz noch mit den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G identisch ist. Es handelt sich vielmehr um ein rechtliches Aliud. Da sich das Bestimmtheitsgebot des Parlamentsvorbehalts auf den nicht delegierbaren Regelungsbereich bezieht, sind die Bestimmtheitsanforderungen entsprechend der höheren Bedeutung des Regelungsgegenstandes notwendig stärker als die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots. Die Gefahr einer generellen Aufweichung der Bestimmtheitsgebote besteht gerade im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts nicht, vorausgesetzt daß die parlamentarischen Leitentscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden. Die Gefahr einer Aushöhlung der Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen besteht dagegen dort, wo nur der Rechtssatzvorbehalt zur Anwendung gelangt. Diesen Gefahren läßt sich insgesamt nur dadurch begegnen, daß die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G wieder strenger gehandhabt werden als in der bisherigen Rechtsprechung. I m Rahmen eines abgestuften Bestimmtheitskonzepts führt dies gleichzeitig zu einer vergleichsweise strengen Handhabung der Bestimmtheitsanforderungen des Parlaments Vorbehalts.

5. Relativierungen des Parlamentsvorbehalts Die bisherigen Charakteristika des Parlaments Vorbehalts, der durch ein partielles Delegationsverbot sowie das Gebot einer verstärkten Regelungsdichte gekennzeichnet ist, deuten auf eine intensivierte Wirkkraft des Vorbehaltsprinzips hin, soweit es sich, oder genauer: nur soweit es sich um „wesentliche" Entscheidungen handelt. Hierin liegt bereits eine erste Beschränkung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts. 251 I m Hinblick auf die vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nimmt die herrschende Meinung auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch in verschiedener Hinsicht weitere Relativierungen vor. 5.1 Der sogenannte „dynamische Grundrechtsschutz" Während die herrschende Meinung für die Geltung des Parlamentsvorbehalts zunächst auf die Grundrechtsrelevanz und die Intensität der Grund250

Vgl. BVerfGE 55, 207, 226 m.w.N. Vgl. hierzu insbesondere Böckenförde (Fn. 54), 1981, 392: Der Parlamentsvorbehalt erstreckt sich nicht auf jedwede, sondern nur auf die „wesentlichen" normativen Regelungen. Grosser (BayVBl. 1983, 551 ff. (552)) spricht von einer „Beschränkung auf grundsätzliche Fragen". 251

5. Relativierungen des Parlamentsvorbehalts

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rechtsberührung abstellt, wird andererseits an Anlehnung an die Ausführungen des BVerfG im Kalkar-Beschluß 252 die Auffassung vertreten, es könne unter Umständen im Sinne eines „dynamischen Grundrechtsschutzes" liegen, die Bestimmtheitsanforderungen an die parlamentsgesetzliche Regelung zurückzuschrauben, wenn ein effektiver Schutz und die Verwirklichung der Grundrechte durch eine offene Gesetzesfassung eher gewährleistet erscheinen. Eine weniger bestimmte Gesetzesformulierung soll dann nicht nur zulässig, sondern verfassungsrechtlich geboten sein, wenn durch die Unbestimmtheit der gesetzlichen Norm dem Grundrechtsschutz des einzelnen effektiver gedient werden kann. 2 5 3 Zu detaillierte Regelungen könnten beispielsweise im Schulrecht den aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 G G ) abzuleitenden Anspruch auf individuelle, pädagogisch vertretbare und situationsangemessene Behandlung der einzelnen Schüler oder Schulklassen verletzen. 254 Der Rechtsfigur eines dynamischen Grundrechtsschutzes liegt der Gedanke zugrunde, daß es unter Umständen grundrechtsschonender sein kann, die Verwaltung in die Lage zu versetzen, den besonderen Umständen des Einzelfalls und den schnell wechselnden Situationen des Lebens gerecht zu werden, weil auf Änderungen flexibler und schneller reagiert werden kann. 2 5 5 Die Zurücknahme der vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen im Hinblick auf einen dynamischen Grundrechtsschutz bedeutet jedoch nicht, daß der Grundrechtsschutz generell besser durch den Verordnungsgeber oder durch die einzelfall-entscheidende Verwaltung gewährleistet wäre. Vielmehr besteht hier ein Spannungsverhältnis zwischen Bestimmtheitsgebot und materiellem Gehalt der Grundrechte. 256 Ein effektiver Schutz der Grundrechte wird nach dieser Auffassung nicht stets und unter allen Umständen besser durch parlamentsgesetzliche Regelungen gewährleistet. Dies bedeutet, daß unter Umständen der Verzicht auf eine präzise parlamentsgesetzliche Regelung gerade wegen der Grundrechtsrelevanz des Regelungsgegenstandes geboten sein kann. Die Grundrechtsrelevanz führt in diesem Fall zu einem Delegationsgebot. Wenn oben festgestellt wurde, daß Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität einer Regelung für die Geltung des Parlamentsvorbehalts und damit 252 BVerfGE 49,89 ( 137,140). Der Kalkar-Beschluß des 2. Senats des BVerfG macht deutlich, daß der 2. Senat von einer enger begrenzten Reichweite des Parlamentsvorbehalts ausgeht als der 1. Senat, von dem alle schulrechtlichen Entscheidungen zum Vorbehalt des Gesetzes stammen wie BVerfGE 34,165 - Förderstufe; 41,251 - Speyer-Kolleg; 45,400 - gymnasiale Oberstufe; 47,46 Sexualkunde; 58, 257 - Versetzung/Schulentlassung. 253 Evers, Die Befugnisse des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979, 139; Heussner(Fn. 6), 1983, 111 ff. (121); Roßnagel, N V w Z 1984, 137 ff. 254 Starck, ZRP 1979, 209 ff. (212); vgl. auch K M K , Ursachen und Auswirkungen der „Verrechtlichung im Schulwesen", Stellungnahme der K M K , beschlossen am 23./24.6.1983, RdJB 1983, 388 ff. (389). 255 BVerfGE 8, 274 (326); 13, 153 (160 f.); 56, 1 (12); Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1315 f.); Lerche (Fn. 6), 1981,39 ff. - Das BVerfG weist in der Kalkar-Entscheidung allerdings daraufhin, daß u.U. ein „Nachfassen" des Gesetzgebers geboten sein kann. Vgl. dazu auch Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (492). 256 Vgl. Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, 1982, 297,435.

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

für die Annahme eines Delegationsverbots konstitutiv sind, so folgt hier aus der Grundrechtsrelevanz gerade das Gegenteil. Die Grundrechtsrelevanz einer Regelung kann demnach sowohl die Geltung des Parlamentsvorbehalts als auch seine Nichtgeltung indizieren - eine Konsequenz, die zugleich deutlich macht, daß der Gedanke eines dynamischen Grundrechtsschutzes das Kriterium der Grundrechtsrelevanz als entscheidendes Merkmal für die Geltung des Parlamentsvorbehalts ganz erheblich relativiert und seine Eignung als sicheres Indiz für die Parlamentsrelevanz einer Entscheidung in Frage stellen muß. Ein „Wesentlichkeitsmerkmal", welches sowohl die Parlamentsrelevanz als auch deren Gegenteil indizieren kann, kann kaum als eindeutiges Zuweisungskriterium angesehen werden. Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität als kompetentielle Zuweisungskriterien erweisen sich somit als durchaus ambivalent. Sie indizieren zwar nach der herrschenden Auffassung im Regelfall die Wesentlichkeit und damit den Parlamentsvorbehalt, ohne jedoch eine solche Zuweisung durchgängig und ausnahmslos zu treffen. Im praktischen Ergebnis folgt daraus, daß auch bei Bejahung von Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität einer Regelung stets die Kontrollüberlegung angeschlossen werden muß, ob nicht möglicherweise der Schutz und die Verwirklichung der involvierten Grundrechte besser durch Verzicht auf eine detaillierte parlamentsgesetzliche Regelung gewährleistet wird. Es liegt auf der Hand, daß unter diesen Umständen zusätzliche Kriterien notwendig sind, wenn der Aspekt der Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität nicht zirkelschlüssig geraten soll. Derartige Zusatzaspekte werden aber von Rechtsprechung und Literatur nur in begrenztem Maße angeboten. In diesem Zusammenhang werden die Aspekte der Flexibilität, Änderungsbedürftigkeit, Anpassungsfähigkeit und Praktikabilität erwähnt, ohne daß allerdings hinreichend begründet würde, weshalb gerade diesen Kriterien ausschlaggebende kompetenzrechtliche Relevanz zukommen soll. 2 5 7

5.2 Bereichsspezifisch unterschiedliche Anforderungen (Eigengesetzlichkeit) Überwiegend wird die Auffassung vertreten, daß die Anforderungen des Parlamentsvorbehalts insbesondere für das verfassungsrechtlich gebotene Maß an Gesetzesbestimmtheit je nach Gegenstandsbereich unterschiedlich stark ausgeprägt sind. 2 5 8 Hinsichtlich der gebotenen Regelungsebene und Regelungsdichte soll je nach Regelungsgegenstand differenziert werden. 259 Dieser Aspekt setzt zwar nach herrschender Meinung nicht das grundsätzliche 257 Vgl. dazu Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 72 und 83; BVerwGE 56,155 (159); Evers (Fn. 253), 1979, 140 ff.; Heussner (Fn. 6), 1983, 111 ff. (121). 258 BVerfGE 40,237 (248 f.); 47,46 (82 f.); 56,1(13); 58,257 (274); BVerwG, U. vom 12.4.1984 - 5 C 72.82; Evers (Fn. 253), 1979, 139; Katz, Grundkurs im öffentlichen Recht I, 1981, 85; DJT-SchulGE, 1981,47 f.; Ramsauer, Art. 80 Rdn. 56, in: A K - G G , 1984; Erichsen (Fn. 6), 1984, 113 ff., 124 m.w.N.; Wolf, KJ 1984, 239 ff. (242), für das Verhältnis des Umweltrechts und des Rechts der technischen Sicherheit zum Schulrecht. 259 Bryde, Rdn. 21 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl. 1983; Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (121 f.).

5. Relativierungen des Parlamentsvorbehalts

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Gebot verstärkter Regelungsdichte im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts außer Kraft. Es führt aber doch zu einer gewissen Relativierung hinsichtlich des konkret gebotenen Maßes an Gesetzesbestimmtheit. Wie auch immer die Indikatoren für die „Wesentlichkeit" auf der Tatbestandsseite aussehen mögen: I m Hinblick auf die bereichsspezifisch unterschiedlichen Anforderungen erlauben sie keine eindeutige und einheitliche Schlußfolgerung auf die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsdichte. Ein einheitliches Verhältnis zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite ist daher nicht gegeben. Selbst eine „intensive Grundrechtsrelevanz" verlangt nicht notwendig nach der größtmöglichen Gesetzesbestimmtheit. Aus diesem Ansatz ergibt sich die Forderung nach Rücksichtnahme auf die Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereichs. 260 Eine Abschwächung sowohl des Delegationsverbots als auch des Bestimmtheitsgebots kann nach dieser Auffassung in der Sachstruktur der jeweiligen Materie begründet sein. 261 Speziell für das Schulrecht wird daraus die Folgerung gezogen, daß die gesetzlichen Regelungen nicht zu einer unvertretbaren Einengung des pädagogischen Handlungsspielraums (pädagogische Freiheit) führen und die Offenheit für die Weiterentwicklung der Pädagogik und Didaktik nicht behindern dürfen. 262 Sieht man einmal von den methodischen Bedenken und Problemen ab, was unter der sogenannten Eigengesetzlichkeit eines Regelungsgegenstandes zu verstehen und wie diese zu ermitteln ist, so müßte die Wesentlichkeitslehre, gemessen an den von ihr selbst gesetzten Maßstäben, jeder Aussage über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts eine Sachbereichsanalyse vorschalten. A u f diese wird jedoch in aller Regel verzichtet. Man muß daher den Eindruck gewinnen, daß die Rede von den bereichsspezifischen Eigengesetzlichkeiten im wesentlichen als Begründungssurrogat für ein nicht näher expliziertes Vorverständnis hinsichtlich der gebotenen Regelungsdichte dient.

5.3 Vielgestaltige Sachverhalte Das BVerfG hat insbesondere in der Entscheidung zur Versetzung und Schulentlassung betont, die Nichtversetzung könne nicht mit der für die praktische Anwendung notwendigen Bestimmtheit und Klarheit vom Gesetzgeber selbst geregelt werden. Dies sei angesichts der „Vielgestaltigkeit und 260 Zum Begriff der Eigengesetzlichkeit vgl. Hufen (Fn. 256), 1982, 180; Ders., N V w Z 1983, 516 ff. (522); vgl. auch Heussner (Fn. 6), 1983,111 ff. (121); Jekewitz, Art. 76 Rdn. 3, in: A K - G G , 1984; Eberle, D Ö V 1984,485 ff. (491); aus der Rechtsprechung vgl. BVerfGE 40,237 (249); 49,89 (127); 51,268 (287 ff.); BVerwGE 65,323 (326). Zur Eigengesetzlichkeit im besonderen Gewaltverhältnis vgl. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur Öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, 28 ff., 39 ff.; Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (119). 261 Lerche (Fn. 6), 1981,38. 262 Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (249 ff.); Lerche (Fn. 6), 1981,39; für den Bereich der Kunstfreiheit vgl. Hufen, N V w Z 1983, 516 ff.

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Vielschichtigkeit der Materie" und unter Berücksichtigung der erforderlichen Flexibilität dieser pädagogischen Maßnahme von Verfasssungs wegen nicht zu fordern. 263 Auch dieser Aspekt, der ebenfalls die Anforderungen des Parlamentsvorbehalts relativiert, leidet unter seiner Konturenlosigkeit. Das BVerfG macht nicht deutlich, ob es mit den Begriffen „vielgestaltig und vielschichtig" auf die Komplexität des Regelungsgegenstandes verweisen will, ob die unterschiedliche Zahl von Anwendungsfällen angesprochen werden soll oder ob schlicht die Schwierigkeiten einer abstrakt-generellen Regelung angesprochen sind. 2 6 4 I m Kontext der Entscheidung des BVerfG zur Versetzung und Schulentlassung vermag der Aspekt der „Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit" nicht zu überzeugen. Nach Auffassung des BVerfG führt dieser Gesichtspunkt zu einer Nichtregelbarkeit durch den Gesetzgeber. Dieser soll überfordert sein, die Voraussetzungen für die Versetzung/Nichtversetzung mit der für die praktische Anwendung notwendigen Bestimmtheit und Klarheit selbst zu regeln. Dem ist zu Recht entgegengehalten worden, es bleibe unerfindlich, warum die ein oder zwei Paragraphen, die die Regelung der Versetzung erfordert, nicht in einem Gesetz stehen können, 2 6 5 zumal das BVerfG die Regelbarkeit durch den Verordnungsgeber nicht zu bezweifeln scheint. Wenn sich aber die Voraussetzungen der Versetzung in einer Rechtsverordnung regeln lassen, so kann dies ohne weiteres auch im Parlamentsgesetz selbst geschehen - die vorgebliche Vielgestaltigkeit steht jedenfalls einer abstrakt-generellen Regelung nicht prinzipiell im Wege. Daß eine gesetzliche Regelung der Versetzung auch in der Praxis auf keine unüberwindlichen Schwierigkeiten stößt, belegt der Verweis auf § 27 des Berliner Schulgesetzes ebenso wie der Vorschlag der Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages. 266

5.4 Schranken des Parlamentsvorbehalts aus den Grundrechten M i t der Rechtsfigur des Parlamentsvorbehalts wird eine Zuweisung von Regelungskompetenzen und -pflichten an den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen. Die Wesentlichkeitslehre nennt als Zuweisungskriterien vor allem die Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität der zu treffenden Regelung. Einschränkend gegenüber diesem grundsätzlichen Ansatz wird darauf hingewiesen, daß der Grundrechtsbezug als kompetentielles Zuweisungskriterium an den Gesetzgeber die staatliche Regelungskompetenz voraussetzt. Für diejenigen Grundrechte, die nicht unter Gesetzesvorbehalt stehen, sei diese Voraussetzung nicht ohne weiteres gegeben, so daß die Grundrechtsrelevanz 263 BVerfGE 58,257 (275 f.); vgl. auch BVerfGE 56,1 ( 13) und 49,89 (133); ähnlich Heussner (Fn. 6), 1983, 111 ff. (121); Scholz/Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980, 73 ff. (115 f.). 264 Vgl. dazu auch Ramsauer, Art. 80 Rdn. 51 und 56, in: A K - G G , 1984. 265 Bryde, D Ö V 1982, 243. 266 Vgl. § 56 des DJT-SchulGE, 1981, 91 f.; dazu auch Bryde, D Ö V 1982, 243.

5. Relativierungen des Parlamentsvorbehalts

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nicht automatisch zu einer Regelungskompetenz des Gesetzgebers führe. Keineswegs in allen grundrechtsrelevanten Regelungsbereichen könne die staatliche Regelungskompetenz ohne weiteres vorausgesetzt werden. 267 Nicht jede grundrechtsrelevante Entscheidung dürfe der Staat treffen. 268 Bevor im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsintensität einer Materie auf die Geltung des Parlamentsvorbehalts (oder auch nur des Rechtssatzvorbehalts) geschlossen werden kann, ist nach dieser Auffassung stets zunächst die Vorfrage zu beantworten, ob der Staat hier überhaupt regelnd eingreifen darf. In der Rechtsprechung wird die gleiche Auffassung etwas verklausuliert mit den Worten zum Ausdruck gebracht, das Parlament sei verpflichtet, „die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre" selbst abzugrenzen und nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörde zu überlassen. 269 In der Sexualkundeentscheidung erörtert das BVerfG dementsprechend zunächst ausführlich die Frage, ob dem Staat überhaupt ein Recht zur Sexualerziehung in der Schule zukommt. 2 7 0 Bevor die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive erörtert werden konnte, war vorab die Reichweite des staatlich-schulischen Erziehungsauftrags in Abgrenzung zum Elternrecht zu bestimmen. Stets wird daher in grundrechtsrelevanten Bereichen die staatliche Regelungskompetenz als eine conditio sine qua non vorausgesetzt. Soweit davon gesprochen wird, alle wesentlichen beziehungsweise grundrechtsrelevanten Regelungen unterlägen dem Parlamentsvorbehalt, so ist dies nach alledem nur unter der genannten Einschränkung zutreffend.

5.5 Die Beschränkung auf den Bereich des „Normativen" In der Kalkar-Entscheidung bezeichnet es das BVerfG als ständige Rechtsprechung, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden „normativen" Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. 271 Das BVerfG beschränkt damit die Aussagen der Wesentlichkeitsrechtsprechung auf den Bereich des „Normativen". 2 7 2 Ähnliche Äußerungen finden sich im Urteil des BVerwG zum NDR-Staatsvertrag. Bei der Erörterung der Frage, ob die Kündigung des NDR-Staatsvertrags durch das Land Schleswig-Holstein wegen fehlender Zustimmung des schleswig-holsteinischen Landtags unwirksam war - was der Senat verneinte - , ging das Gericht auf die sogenannte „Wesentlichkeitstheorie" ein. Diese besage, daß die wesentlichen Grundent267 Hufen, N V w Z 1983,516 ff. (521), in bezug auf Art. 5 Abs. 3 G G (kunstrelevante Entscheidungen); ähnlich Starck, ZRP 1979, 209 ff. (212): 268 Hufen, N V w Z 1983, 516 ff. (522). 269 BVerfGE 34, 52; 34,165; 45,400 (417 f.); BVerwGE 47,194; 47, 201; NJW 1975,1898; 64, 308 (310 f.); O V G N W , NJW 1976,75; Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff.; Rupp, JuS 1975,609; Bethge, N V w Z 1983, 577; Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. 270 BVerfGE 47,46 (79 f.). 271 BVerfGE 49,89 (126 f.), unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen. 272 Vgl. dazu auch Lerche (Fn. 6), 1981, 32 ff.

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

Scheidungen „im Bereich der Rechtsetzung" der Volksvertretung vorbehalten sind. 2 7 3 Lerche meint, in den Äußerungen des BVerfG einen gewissen Hang zur Tautologie und Züge eines Zirkelschlusses feststellen zu können. Der Raum der Vergesetzlichung werde bezogen und zugleich begrenzt auf den Bereich, der nach Ordnung des Grundgesetzes die Kompetenz des Parlaments ausfüllen soll - was auf die einigermaßen banale Formel hinauslaufe, daß das Parlament den ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenzraum auch wahrzunehmen habe. 274 Niehues befürchtet darüber hinaus, daß die horizontale Trennung zwischen normativen und nicht normativen Bereichen als eine Wiedergeburt der ehedem konzedierten rechtsfreien Räume mißverstanden werden könnte. 2 7 5 Lerche ist darin beizupflichten, daß die Beschränkung der Wesentlichkeitslehre auf den Bereich des Normativen zirkelschlüssig ist. Die Funktion des Parlaments Vorbehalts besteht darin, den Zugriffsbereich des Gesetzgebers zu bestimmen. Die Beschränkung auf das „Normative" oder den „Bereich der Rechtsetzung" würde nur dann einen Sinn machen, wenn der Funktionsbereich der Gesetzgebung a priori feststünde. Dies ist jedoch nicht der Fall, da diese Begriffe nicht minder unklar und konkretisierungsbedürftig sind als der Umfang des Parlamentsvorbehalts selbst. 276 Die Aufgabe des Parlamentsvorbehalts liegt gerade darin, den Funktionsbereich des Gesetzgebers zu bestimmen. M i t der Einschränkung auf das „Normative" wird vorweggenommen, was der Parlamentsvorbehalt erst festlegen soll. Gäbe es einen bereits vorab definierten „Bereich der Rechtsetzung", so wäre der Parlamentsvorbehalt als dogmatische Figur überflüssig. In der scheinbaren Einschränkung auf den Bereich der Rechtsetzung liegt in methodischer Hinsicht die Gefahr, a priori ohne weitere Begründung eine bestimmte Entscheidung dem Bereich der Rechtsetzung zuzuordnen oder davon auszunehmen und dadurch vorweg über Anwendung beziehungsweise Nichtanwendung des Parlamentsvorbehalts zu entscheiden. Diesem methodischen Fehler ist das BVerwG in der NDR-Entscheidung erlegen. Die Anwendbarkeit der Vorbehaltsgrundsätze verneint das Gericht mit der schlichten Behauptung, bei der Kündigung eines Staatsvertrages handele es sich nicht um einen Fall der Rechtsetzung. Hieraus folgert das Gericht, daß die Kündigung des Staatsvertrages nicht der Zustimmung des Landtags bedurfte. Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen, da der Senat selbst davon ausgeht, daß die Zustimmung des schleswig-holsteinischen Landtags beim Abschluß von Staatsverträgen „in Gesetzesform" („gesetzesförmlich") erfolgen müsse. 277 Wenn aber die Zustimmung zum Abschluß von Staatsverträgen zum 273

BVerwGE 60, 162 (181) - NDR-Staatsvertrag - unter Bezugnahme auf BVerfGE 49, 89

(126 f.). 274 275 276 277

Lerche (Fn. 6), 1981, 35; ähnlich wohl auch Richter, RdJB 1981, 430. Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 67. Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 V I Rdn. 60. BVerwGE 60, 162 (175 f.).

5. Relativierungen des Parlamentsvorbehalts

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Funktionsbereich der Legislative gerechnet wird, dann erscheint es keineswegs von vornherein selbstverständlich, die Kündigung eines Staatsvertrages aus dem Funktionsbereich der Rechtsetzung herauszunehmen. Die Formel von dem „Bereich der Rechtsetzung" ermöglicht es hier, das Vorverständnis des Gerichts, was zum Bereich der Rechtsetzung gehöre, an die Stelle einer kompetenzrechtlichen Begründung zu setzen. Eine sinnvolle Einschränkung des Anwendungsbereichs des Parlamentsvorbehalts kann in der Beschränkung auf das Normative beziehungsweise den Bereich der Rechtsetzung nicht gesehen werden. Es kommt darin kaum mehr zum Ausdruck als die selbstverständliche Klarstellung, daß sich die Pflicht des Parlaments, die „wesentlichen" Entscheidungen selbst zu treffen, auf den Funktionsbereich der Legislative beschränkt. Die Beschränkung auf das „Normative" ist allein dort sinnvoll, wo die Verfassung ausdrücklich als wesentlich zu qualifizierende Entscheidungsbefugnisse anderen Staatsorganen anheim gibt. 2 7 8 Doch auch hier wird nur die verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß mit Hilfe des Parlamentsvorbehalts keine Kompetenz der Legislative zum Übergriff auf die von der Verfassung begründeten Funktionsbereiche von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung begründet werden kann. In allen anderen Fällen, in denen eine solch eindeutige Kompetenzzuweisung von der Verfassung nicht getroffen worden ist, muß der Funktionsbereich der Legislative mit Hilfe des Gesetzesvorbehalts bestimmt werden. In diesen allein problematischen Fällen gibt die Formel von der Beschränkung auf das Normative jedoch nichts her. Eine wirkliche Beschränkung des Parlamentsvorbehalts wird somit auf diese Weise nicht vorgenommen.

5.6 Die Einräumung von Übergangsfristen In zahlreichen Entscheidungen gelangen die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte zu einem gespaltenen Ergebnis. Obwohl sie eine Verletzung des Parlamentsvorbehalts annehmen, weil es an einer hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Regelung fehlte, kommen sie im Ergebnis nicht zur Erklärung der Nichtigkeit der fraglichen Normen beziehungsweise zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahmen. Vielmehr werden die Klagen abgewiesen, obwohl die Kläger mit der Rüge einer Verletzung des Parlamentsvorbehalts in der Sache durchdringen. 279 Der förmliche Mangel - so die Gerichte - sei für eine Übergangszeit hinzunehmen, um dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer rechtsförmigen Regelung zu geben. 280 Die Notwendig278 Vgl. Art. 65 Satz 1 G G : Bestimmung der Richtlinien der Politik durch den Bundeskanzler, Art. 68: Auflösung des Parlaments durch den Bundespräsidenten, Art. 81 : Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes. 279 Nicht zuletzt haben die in der Sache voll obsiegenden und prozessual lediglich wegen der Gewährung von Übergangsfristen unterliegenden Kläger die gesamten Verfahrenskosten zu tragen, ein offenbar unbilliges Ergebnis in zahlreichen Einzelfallen. 280 BVerfGE 33, 1 (12 f.); 33,303 (347); 41,251 (267); 51,268 (288 ff.); 58,257 (280 f.); N V w Z 1984, 781, B. vom 6.2.1984 - Schulsprengel; BVerwGE 41, 261 (266); 42, 296 (301 f.); 48, 305

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

keit solcher Übergangsfristen wird von der Rechtsprechung im Hinblick auf die gewandelte Verfassungsinterpretation als Ausnahme anerkannt, um eine sonst eintretende Funktionsunfähigkeit staatlicher Einrichtungen zu vermeiden, die der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als der bisherige Zustand. Nach den Grundsätzen, die das BVerfG erstmals in der SpeyerKolleg-Entscheidung aufgestellt hat, 2 8 1 dürfen die bisherigen Regelungen jedoch nicht ohne weiteres so angewendet werden, als seien sie verfassungsrechtlich unbedenklich. Das festgestellte Fehlen einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage wird insoweit berücksichtigt, als sich die Befugnis der Behörden und Gerichte zu Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Positionen bis zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes durch den Gesetzgeber auf das reduziert, was im konkreten Fall für die geordnete Weiterführung eines funktionsfähigen Betriebes - unter Ausschöpfung auch bisher nicht erwogener organisatorischer Regelungen - unerläßlich ist. 2 8 2 Zu prüfen sei dabei insbesondere, ob nicht auch schonendere Maßnahmen ausreichen, die Funktionsfähigkeit sicherzustellen. 283 Die großzügige Gewährung von Übergangsfristen erscheint verfassungsrechtlich bedenklich. Abgesehen davon, daß die Gerichte die genannten Einschränkungen im Einzelfall nicht immer beachten und häufig schon ein „Funktionieren minderen Ausmaßes" genügen lassen, um den Rechtsschutz zu verweigern, 284 erscheint die eintretende Verkürzung des Individualrechtsschutzes nicht mit Art. 19 Abs. 4 G G vereinbar. Diese Verfassungsnorm garantiert nach inzwischen allgemeiner Meinung nicht nur die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern sichert einen effektiven Rechtsschutz. 285 Ein solcher ist dann nicht mehr gewährleistet, wenn die Gerichte mit einer floskelhaften, beliebig transponierbaren Fertigteilbegründung, die nicht immer im Einzelfall auf ihre argumentative Berechtigung geprüft w i r d , 2 8 6 den (312 f.); 56,155 (161 f.); BVerwGE, N V w Z 1984,102 ff. (104); BVerwG, B. vom 12.2.1986 - 7 Β 179.85, Ua. S. 2 f.; BayVerfGH, BayVBl. 1981, 495; V G Freiburg, NJW 1976, 865; V G H BW, N J W 1976,869; O V G Berlin, DVBl. 1975,731; O V G N W , N J W 1976,725; DVBl. 1978,278; V G Schleswig, NJW 1976,989; O V G Rh.-Pf., A S O V G 13,264; Hess. V G H , D Ö V 1983,858; aus der Literatur statt vieler Niehues (Fn. 6), 1983, Rdn. 85 ff.; Glotz/Faber (Fn. 172), 1983, 999 ff. (1023). Keine Übergangsfrist wurde eingeräumt von: Hess. V G H , N V w Z 1984, 116 ff.; Hess. StGH, D Ö V 1984, 718. 281

BVerfGE 41, 251 (266 f.). Vgl. zuletzt BVerfG, RdJB 1984, 370 f. - Schulsprengel - mit Anm. Kaschner; dazu auch Füssel, N V w Z 1984. 283 BVerfGE 41, 251 (266 f.); 58, 275 (280 ff.). 284 Vgl. Fischer, DVBl. 1981, 517 ff. (519 f.). Vielfach wird ohne näheren .Nachweis übereilt eine angebliche Funktionsunfähigkeit unterstellt, was einer empirischen Überprüfung nicht immer standhält (so zum Beispiel die Behauptung, daß bei Versetzung eines einzelnen Schülers nach erfolgreicher Klage das Niveau der Klasse so sehr sinken würde, daß von einer Funktionsunfähigkeit gesprochen werden könnte). Die Gefahrenschwelle für die angebliche Funktionsunfähigkeit der Schule wird häufig viel zu niedrig angesetzt. 285 Vgl. Hendrichs, Rdn. 51 zu Art. 19, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1983. 286 Pieroth, VerwArch 68 (1977), 217 ff. Bisweilen wird sogar ohne nähere Begründung von Gefahren für die Funktionsfähigkeit der Schule eine Übergangsfrist gewährt (vgl. BVerwG, N V w Z 1984, 102 - Schulbuchzulassung). Das Gericht läßt sogar dahinstehen^ob die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts verletzt sind, da in jedem Fall eine angemessene Übergangsfrist zu gewähren sei. 282

5. Relativierungen des Parlamentsvorbehalts

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Rechtsschutz versagen. Die Gewährung von Schonfristen für den Gesetzgeber mag zu Beginn der Wesentlichkeitsrechtsprechung angängig gewesen sein. Nach nunmehr über zehn Jahren hatten die Gesetzgeber ausreichend Zeit, um sich dem gewandelten Verfassungsverständnis anzupassen und die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu treffen. „Übergangsfristen" dürfen nicht ohne zeitliche Begrenzung, sondern nur vorübergehend und für eine bestimmte beschränkte Zeit eingeräumt werden. 287 Durch die Gewährung von Übergangsfristen wird nicht selten die Weitergeltung von Verwaltungsvorschriften von den Gerichten abgesegnet. Mag dies in einer Notsituation wie unmittelbar nach einer gewandelten Verfassungsinterpretation zulässig sein, so liegt hierin nach Ablauf der Notsituation eine Funktionsüberschreitung seitens der Gerichte, da sie als Ersatzgesetzgeber die ansonsten für Bürger und Gerichte nicht verbindlichen Verwaltungsvorschriften zu geltendem Recht erheben. 288 Darüber hinaus werden die Grundrechte auf diese Weise unter einen immanenten Vorbehalt des Funktionierens (oder gar des guten Funktionierens) staatlicher Einrichtungen gestellt - eine Relativierung der Grundrechte, die einer verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt. Die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen darf nach geltendem Verfassungsrecht nicht auf Kosten der Grundrechte und der Rechtsschutzgewährleistung gesichert werden; vielmehr sind die als schutzwürdig angesehenen staatlichen Einrichtungen gehalten, ihre Funktionsfähigkeit unter Beachtung der Grundrechte und des objektiven Rechts sicherzustellen. 289 Die Gewährung von Übergangsfristen stößt daher zumindest inzwischen auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. Es ist nun Sache der Gerichte, der Einräumung von Übergangsfristen bald ein Ende zu setzen.

5.7 Fazit Von den in Rechtsprechung und Literatur vorgenommenen Relativierungen des Parlaments Vorbehalts vermag lediglich der oben unter 5.4 erörterte Aspekt zu überzeugen, daß im Hinblick auf die nicht unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechte stets vorab die staatliche Regelungsbefugnis festgestellt werden muß, bevor der Parlamentsvorbehalt zum Zuge kommt. Die übrigen Relativierungen weifen dagegen mehr Fragen auf als sie beantworten. Darüber hinaus stoßen sie zum Teil auf verfassungsrechtliche Bedenken.

287

Vgl. Riegel, Kommt dem besonderen Gewaltverhältnis ..., 1975, 123 ff. Zur Kritik an der Gewährung von Übergangsfristen vgl. auch Wimmer, NJW 1979, 230 (231); Stüer, JR 1974,450; Kisker, DVB1. 1982,886 ff. (888). Pieroth (Fn. 287) spricht von einer Kapitulation der Rechtsdogmatik vor der Wirklichkeit. 289 Vgl. zu dieser Problematik Fischer, DVB1. 1981, 517 ff. 288

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

6. Parlamentsvorbehalt und Vorbehaltslehre 6.1 Vorbehalt des formellen und des materiellen Gesetzes Der Parlamentsvorbehalt wird auch als Vorbehalt des formellen Gesetzes oder als Vorbehalt der Regelung durch förmliches Gesetz bezeichnet, 290 da er eine Regelung durch formelles Parlamentsgesetz verlangt. Dieses Erfordernis allein grenzt den Parlamentsvorbehalt jedoch noch nicht hinreichend von anderen Vorbehaltsbegriffen ab. Auch der traditionelle Vorbehalt des Gesetzes, wie er in der Zeit der konstitutionellen Monarchie und in der Weimarer Zeit verstanden wurde, 2 9 1 war ein Vorbehalt des formellen Gesetzes. Denn für jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum wurde eine gesetzliche Grundlage, das heißt eine Grundlage im formellen Gesetz gefordert. Diese war notwendige Bedingung einer jeden untergesetzlichen Rechtsetzung, 292 soweit nicht Rechtsfiguren wie das besondere Gewaltverhältnis, die Anstaltsgewalt und ähnliches als Gesetzessurrogate anerkannt wurden. Doch auch der Vorbehalt des materiellen Gesetzes, der eine Regelung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zuläßt (Rechtssatzvorbehalt), ist unter der Geltung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen zumindest auch ein Vorbehalt des formellen Gesetzes. Da Art. 80 Abs. 1 G G und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen für den Erlaß von Rechtsverordnungen eine formell-gesetzliche Grundlage fordern und auch für den Erlaß autonomer Satzungen das Erfordernis an einer formell-gesetzlichen Grundlage anerkannt ist, 2 9 3 steht der Erlaß von Gesetzen im materiellen Sinne gleichfalls unter dem Vorbehalt des formellen Gesetzes, oder genauer: unter dem Vorbehalt einer formell-gesetzlichen Ermächtigung. Jeder Vorbehalt des materiellen Gesetzes setzt somit eine formell-gesetzliche Delegation und damit den Vorbehalt des formellen Gesetzes notwendig voraus. Ist von einem Vorbehalt des materiellen Gesetzes die Rede, so ist dadurch keineswegs der Vorbehalt des formellen Gesetzes suspendiert. Beide Vorbehaltsbegriffe sind daher zueinander komplementär, zumal der Parlamentsvorbehalt keine abschließende Regelung erfordert und daher auf Ergänzungen und Konkretisierungen durch materielle Gesetze angelegt ist. I m Unterschied zum herkömmlichen Vorbehalt des Gesetzes beinhaltet der Parlaments vorbehält ein Gebot verstärkter Regelungsdichte. Nach traditionellem Vorbehaltsverständnis kam es dagegen allein auf das Vorhandensein eines formellen Gesetzes oder einer formell-gesetzlichen Ermächtigung an, ohne daß an deren inhaltliche Beschaffenheit (Regelungsdichte) besondere Anforderungen gestellt wurden. Der herkömmliche Vorbehalt des formellen 290

Vgl. dazu oben Kap. 13.1.1. Vgl. oben Kap. I I 2. und 3. (abgesehen von der ausnahmsweisen Zulässigkeit gewohnheitsrechtlicher Ermächtigungen). 292 BVerfGE 33, 125 (158 ff.). 293 Vgl. BVerfGE 33,125 (155 ff.); Gubelt, Rdn. 69 zu Art. 12, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981. 291

6. Parlamentsvorbehalt und Vorbehaltslehre

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Gesetzes war daher ein rein formeller und „inhaltsindifferenter", das heißt ausschließlich auf eine bestimmte Regelungsform und nicht auf eine bestimmte Regelungsintensität verweisender Vorbehalt. Soweit es sich unter der Geltung des Grundgesetzes um eine gesetzliche Verordnungsermächtigung handelte, wurde dieser inhaltsindifferente Vorbehalt durch Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G aufgegeben. Der Parlamentsvorbehalt dehnt nun über das ihm innewohnende Bestimmtheitsgebot die inhaltlichen Anforderungen an gesetzliche Regelungen über den Sonderfall der gesetzlichen Verordnungsermächtigung hinaus auf andere Formen legislativer Delegation aus. Der als Parlamentsvorbehalt verstandene Vorbehalt des Gesetzes zeichnet sich somit vor allem durch sein Bestimmtheitsgebot aus; er ist dadurch nicht mehr wie der herkömmliche Vorbehalt des Gesetzes inhaltsindifferent. Der Parlamentsvorbehalt kann als Vorbehalt des nur formellen Gesetzes bezeichnet werden, weil seinen Erfordernissen allein eine Regelung im Parlamentsgesetz genügt. Während der herkömmliche Vorbehalt des Gesetzes absolut delegationsfreundlich war, stellt sich der heutige Parlamentsvorbehalt dagegen als partiell delegationsfeindlich dar. Da er andererseits im Regelfall keine abschließende Regelung im formellen Parlamentsgesetz fordert, 2 9 4 erweist sich eine Abschichtung innerhalb des jeweiligen Regelungsgegenstandes nach parlamentsbedürftigen und nicht parlamentsbedürftigen Regelungsteilen als erforderlich.

6.2 Ausdifferenzierung der Vorbehaltslehre durch den Parlamentsvorbehalt Betrachtet man die Diskussion um die Verrechtlichung des Schulwesens in den sechziger Jahren, 295 so ging es zunächst allein um die Grundsatzfrage, ob das Schulwesen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden solle. Die weitergehende Frage nach dem „Wie" (Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung) und nach dem „Inwieweit" (Regelungsdichte) gesetzlicher Regelungen des Schulwesens stand dabei völlig im Hintergrund. Die Blickrichtung der damaligen Diskussion war auf die Schaffung hinreichender Rechtsgrundlagen für die Exekutive orientiert. Demgegenüber geht die Funktion des Parlamentsvorbehalts als spezieller Form des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes dahin, das Parlament zu bestimmten, als „wesentlich" qualifizierten Regelungen zu veranlassen. Stand beim traditionellen Vorbehalt des Gesetzes die Frage im Vordergrund, welche gesetzlichen Regelungen notwendig sind, damit die Exekutive bestimmte Maßnahmen ergreifen darf, so liegt das Schwergewicht des Parlamentsvorbehalts bei der Frage, 294 Vgl. BVerfGE 3,187(197); 14,174 (187) und 2. Leitsatz der Entscheidung; 14,245 (251); 22, 21 (25); 33, 125 (163); 34, 165 (194); 40, 237 (249 f.); 41, 251 (265); 47, 46 (82 f.); 58, 257 (275); BVerwGE 47,194 (199); 47,201 (204); 57,360 (363); 56,155(160); NJW 1982,250; DJT-SchulGE, 1981, 271; Franck, RdJB 1981, 179; Evers, RdJB 1982, 229; Listi, DVB1. 1978, 10 ff. (13). 295 Vgl. dazu vor allem die Staatsrechtslehrertagung von 1964 mit den Beiträgen von Fiiß und Evers, V V D S t R L 23 (1966), 147 ff., 199 ff., sowie Wimmer, DVB1. 1966, 846 ff.; dazu auch Hennecke, RdJB 1976, 254 ff.

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IV. Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie"

welche Regelungen die Legislative selbst treffen muß. Ging es dem herkömmlichen Vorbehalt des Gesetzes nur um das rechtliche Dürfen der Verwaltung, so geht es dem Parlamentsvorbehalt (auch) um das rechtliche Müssen des Gesetzgebers. 296 Der Parlamentsvorbehalt hat somit zu einer Erweiterung und Ausdifferenzierung der Vorbehaltslehre geführt.

6.3 Ermächtigungen zu gesetzesändernden Rechtsverordnungen Möglicherweise ergeben sich aus der Anerkennung des Parlamentsvorbehalts neue Aufschlüsse hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von gesetzlichen Ermächtigungen zu gesetzesändernden Rechtsverordnungen. Deren Zulässigkeit ist seit langem umstritten, 2 9 7 da die Änderung eines Gesetzes durch eine Rechtsverordnung mit der grundgesetzlich vorgezeichneten Normenhierarchie in Kollision treten kann. Die Diskussion der Problematik litt lange Zeit unter der Verquickung mit der angrenzenden Frage nach der Zulässigkeit gesetzesvertretender Verordnungen, die in der Weimarer Zeit als „Verordnungen mit Gesetzeskraft" angesehen wurden. 2 9 8 Solche Verordnungen, denen der Rang von Parlamentsgesetzen zuerkannt wird mit der Folge der Verdrängung vorhergehenden parlamentsgesetzlichen Rechts, sind mit der Rechtsordnung des Grundgesetzes, von einigen Übergangsregelungen 299 und vom Verteidigungsfall 300 abgesehen, unvereinbar. 301 Dagegen werden von der ganz überwiegenden Auffassung gesetzesändernde Rechtsverordnungen - ohne Anerkennung von Gesetzesrang - für zulässig gehalten, da das Gesetz durch die Ermächtigung zum Erlaß einer gesetzesändernden Rechtsverordnung selbst von vornherein nur einen subsidiären Geltungsanspruch erhebe. Regelungen in Abweichung vom Parlamentsgesetz seien vom Gesetzgeber selbst zugelassen, so daß das potentielle Zurückweichen des Gesetzesrechts

296 Ossenbühl (Fn. 178), 1976, 751 ff. (756); Falckenberg, BayVBl. 1978, 166; Listi, DVBl. 1978,10 ff. (15); Böckenförde (Fn. 54), 1981,382. Während der Vorbehalt des Gesetzes die Macht des Gesetzgebers stärken sollte, zielt der Parlamentsvorbehalt auf eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des Gesetzgebers: Er darf nicht mehr - wie nach der herkömmlichen Dogmatik seine Regelungskompetenz nach Gutdünken delegieren. Der Parlamentsvorbehalt schützt den parlamentarischen Gesetzgeber gewissermaßen vor sich selbst (Kloepfer, JZ 1984, 685 ff., 687, 690). 297 Vgl. dazu schon B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff.; Laidig, Gesetzesvertretende Verordnungen und die prinzipielle Trennung zwischen exekutiver und legislativer Gewalt nach dem Grundgesetz, 1968, 52; Siegl, Gesetzesvertretende Verordnungen und Rechtsverordnungen mit unbestimmten Rechtsbegriffen, 1968, 48, 122 ff. Vgl. auch oben Kap. I I 5. 298 Vgl. Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: HDStR I I , 1932, 236 ff. (248 f.). 299 Art. 119, 127 G G . 300 Art. 115 k G G . 301 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1978, Art. 80 Rdn. 7; Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, 1952, 7 ff. (61 ff.); Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, 1983, § 7 I I I 2 b; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 25 V I I b 2; Stern, Staatsrecht, Bd. I I , 1980, § 38 I I 2 b; Bryde, Rdn. 3 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983.

6. Parlamentsvorbehalt und Vorbehaltslehre

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gegenüber dem Verordnungsrecht bereits vom Gesetzgeber selbst angeordnet und durch die Rechtsverordnung lediglich aktualisiert werde. 302 Bei Anerkennung eines Parlamentsvorbehalts wird man an dieser Auffassung nicht ohne Einschränkung festhalten können. Dort wo der Gesetzgeber aufgrund des Parlamentsvorbehalts zu einer parlamentsgesetzlichen Regelung verpflichtet ist, muß die Anerkennung einer zum Delegationsverbot verdichteten Selbstentscheidungspflicht zum Verbot der Ermächtigung zu gesetzesändernden Verordnungen führen. Hat der Gesetzgeber aufgrund des Parlamentsvorbehalts eine parlamentsgesetzliche Leitentscheidung zu treffen und dieser Pflicht entsprochen, so darf er den Verordnungsgeber nicht zu Regelungen ermächtigen, die diese Leitentscheidung wieder abändern können. 3 0 3 Die Zulässigkeit gesetzesändernder, gesetzesergänzender und gesetzeskonkretisierender Verordnungen ist daher im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts zu verneinen. Sind damit die wichtigsten Konturen und Konsequenzen der Anerkennung eines Parlamentsvorbehalts aufgezeigt worden, so stellt sich nun die Frage, inwieweit sich die Geltung des Parlamentsvorbehalts verfassungsrechtlich begründen läßt. Dabei fragt sich vor allem, ob die von der herrschenden Meinung vorgetragenen Begründungsansätze zu überzeugen vermögen oder ob darüber hinausgehend nach neuen Begründungsansätzen zu suchen ist.

302 BVerfGE 8, 155 (171); Sinn, Die Änderung gesetzlicher Regelungen durch einfache Rechtsverordnungen, 1971, 31 ff. 303 Vgl. dazu Saarl. VerfGH, DVB1. 1984, 325 ff. (327).

V. Die herkömmlichen Versuche einer verfassungsrechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts 1. Die primären Begründungsansätze „Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen (Parlamentsvorbehalt)." 1 Diese Kurzformel, die unter anderem auf die verfassungsrechtliche Begründung des Parlamentsvorbehalts verweist, hat sich seit dem Vorlagebeschluß des BVerwG zur Sexualkunde und dem am gleichen Tag ergangenen Urteil zur Fünf-Tage-Woche sowie dem Oberstufenbeschluß des BVerfG 2 allgemein durchgesetzt. 3 Dies gilt sowohl für die Rechtsprechung der Ländergerichte als auch für das rechtswissenschaftliche Schrifttum. 4 Die zitierte Standardformel nimmt, wie auch die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Ausführungen, denen sich die Literatur weitgehend angeschlossen hat, Bezug auf zwei zentrale verfassungsrechtliche Begründungsansätze für die Annahme eines Parlaments Vorbehalts: das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip. 5 Aus diesen grundlegenden Strukturprinzipien der Verfassung leitet die Wesentlichkeitslehre die Verpflichtung des Gesetzgebers ab, die als „wesentlich" qualifizierten normativen Entscheidungen selbst im Parlamentsgesetz zu treffen (Selbstentscheidungspflicht und 1 Vgl. zuletzt BVerfGE 58, 257 (268); BVerwGE 64, 308 jeweils m.w.N., sowie oben Kap. I Fn. 7. 2 BVerwGE 47, 194; 47, 201; BVerfGE 45, 400. 3 In den 50er und 60er Jahren wurden allerdings bereits ähnliche Postulate unter anderem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet. Die Grundaussage, daß der Gesetzgeber das Wesentliche selbst zu regeln habe und nicht der Verwaltung überlassen dürfe, wurde bereits in den frühen Entscheidungen des BVerfG getroffen (vgl. BVerfGE 7,282,302 und 3. Leitsatz; 8,71,76; 10,251, 258; 20,150,157 f.; 22, 330, 345). Das Demokratieprinzip dagegen wird erst mit Beginn der 70er Jahre in den Entscheidungen des BVerfG mit herangezogen (vgl. BVerfGE 33,125,159 ff., 163; 33,303,346; 34,52,59; 40,237,249 f.; 41,251,259 ff.; 47,46,78; 48,210,221; 49,89,126 ff.; 53,185 (204); 54,173,192; 56,1,12 f.; 57,295,320 f.; 58,257,268; BVerwGE 64, 308 (310) m.w.N.), was jedoch nicht durchgängig geschieht (vgl. zum Beispiel BVerfGE 34,165,192 ff.). In BVerfGE 45, 400 (415 f.) wird eingangs das Demokratieprinzip zwar erwähnt, in der weiteren Entscheidungsbegründung aber nur auf das Rechtsstaatsprinzip abgestellt. Ebenso BVerfG, N V w Z 1984,781 Schulsprengel, wo ebenfalls nur von einem möglichen „rechtsstaatlichen Regelungsdefizit" die Rede ist. Ebenso Dietze, N V w Z 1984, 773. 4 Für die Rechtsprechung vgl. oben Kap. I Fn. 9; für die Literatur vgl. statt vieler: DJTSchulGE, 1981,25 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. I I , 1980,572 ff.; Degenhart, Kernenergierecht, 1981, 192 mit Fn. 3. 5 Grundlegend BVerfGE 33,125 (158). Während das BVerfG im Förderstufenurteil noch rein rechtsstaatlich argumentiert (BVerfGE 34,165,192 ff.), stützt es die Regelungspflicht des Gesetzgebers in den schulrechtlichen Entscheidungen erstmals im Speyer-Kolleg-Beschluß auch auf das demokratische Prinzip (BVerfGE 41,251,259 ff.). Vgl. auch hess. V G H , JZ 1977, 223, mit Anm. Rupp.

1.1 Demokratieprinzip

163

Delegationsverbot) sowie diese Regelungen und Ermächtigungen mit hinreichender Bestimmtheit zu treffen (Bestimmtheitsgebot). Zunächst ist zu prüfen, ob die genannten Begründungsansätze für die Annahme eines Parlamentsvorbehalts tragfähig erscheinen. 6

1.1 Das Demokratieprinzip 1.1.1 Die herrschende Auffassung

Die Begründung des Parlamentsvorbehalts 7 unter Bezugnahme auf das Demokratieprinzip des Grundgesetzes und der Landesverfassungen findet seine verfassungstheoretischen und historischen Wurzeln im Verständnis des parlamentarischen Gesetzes als eines Akts der Selbstbestimmung und der autonomen Entscheidung über die die eigenen Rechte betreffenden Angelegenheiten. 8 Der demokratische Aspekt des Vorbehaltsprinzips, der in den Vormärzverfassungen noch vor dem rechtsstaatlichen Moment zum Ausdruck kam, zielte auf die den Monarchen und die ihm unterstellte Exekutive bindende Mitwirkung der Stände bei allen wichtigen, weil Freiheit und Eigentum betreffenden Maßnahmen des Staates ab. 9 Während die Maßnahmen des Staates im Absolutismus einer demokratischen Legitimation entbehrten, knüpften sich Wirksamkeit und Legitimation der Gesetze und der nunmehr herrschenden Staatstheorie an die Zustimmung der Betroffenen. Die Bindung an das Gesetz resultierte aus der Selbstbindung, die in der Mitwirkung des Volkes beziehungsweise seiner Repräsentanten an der Gesetzgebung zum Ausdruck kamen. 10 M i t der späteren Erlangung der vollen Souveränität des Volkes nach Ende des Kaiserreichs konnte das Gesetz dann als eigener Willensakt des Souveräns „Volk" angesehen werden. Der demokratische Aspekt des Vorbehaltsprinzips stellt somit auf die Handlungs- und Entscheidungskompetenz des vom Volk gewählten Organs, des Parlaments, ab. Mit der Bezugnahme auf das Demokratieprinzip wird der Blick auf das zur Entscheidung berufene staatliche Organ gerichtet. 11 6 Schnapp, Rdn. 46 zu Art. 20, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981, bezeichnet es als bemerkenswert, daß insbesondere die Judikatur weniger nach der normativen Herleitung des Gesetzesvorbehalts fragt, sondern ihre Vorbehaltsdoktrin unabhängig von dem geregelten Bereich formuliert. 7 In dem in Kap. I V 4.1.2 erläuterten Verständnis eines partiellen Delegationsverbots (für als „wesentlich" qualifizierte Entscheidungen) und eines verstärkten Bestimmtheitsgebots für die formell-gesetzliche Regelung dieser Gegenstände. 8 Vgl. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, 26 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981,383. 9 Vgl. oben Kap. I I 2. 10 Vgl. Jesch (Fn. 8), 1961, 27. 11 Die Begründung des Vorbehaltsprinzips aus demokratischem Gedankengut ist daher keineswegs neu (vgl. oben Kap. I I 2.1). Der häufig zu findende Hinweis, der Vorbehalt des Gesetzes beziehungsweise der Parlamentsvorbehalt werde jetzt auch auf das Demokratieprinzip gestützt (vgl. BVerfGE 49,89,126; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 A n m . V I Rdn. 85; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, 269 ff.; Ders., Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 77 f.; Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (712); Weber,

164

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

Die verfassungsrechtliche Begründung eines Parlamentsvorbehalts geht von der wohl unbestrittenen Erkenntnis aus, daß unter der Geltung des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 2 GG) und der Landesverfassungen die Ausübung jeglicher Staatsgewalt der Rückführung auf das demokratische Prinzip und damit einer demokratischen Legitimation bedarf. 12 Jede staatliche Ordnung eines Lebensbereichs muß sich auf eine Willensentschließung der vom Volk gewählten Gesetzgebungsorgane zurückführen lassen.13 Der Ausübung jeglicher Staatsgewalt außerhalb dieser Legitimationskette fehlt es an der erforderlichen demokratischen Legitimation. 14 Aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und 2 G G folgt weiterhin, daß sich die demokratische Legitimation staatlichen Handelns nicht in dem einmaligen A k t der verfassungsrechtlichen Institutionalisierung von Funktionen und Organen und einer Kompetenzzuweisung an diese erschöpfen kann. Aus der Tatsache allein, daß die Verfassung den in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 G G institutionell verankerten Staatsfunktionen die Fähigkeit zuspricht, die vom Volk ausgehende Staatsgewalt auszuüben, folgt noch nicht die demokratische Legitimation eines jeden Einzelakts der entsprechenden Organe. Demokratische Legitimation erwächst erst in einem permanenten politischen Prozeß unter - wie auch immer gearteter - Beteiligung des Volkes an der staatlichen Aufgabenerfüllung und Organbesetzung. 15 Das Maß der demokratischen Legitimation hängt daher nicht zuletzt davon ab, in welcher A r t und Weise und in welchem Umfang das Volk in den politischen Prozeß einbezogen ist. Da das Volk in unterschiedlich enger Beziehung zu den verschiedenen staatlichen Organen steht, wird diesen auch in unterschiedlichem Maße die Fähigkeit zugesprochen, mit Legitimationskraft versehene Entscheidungen hervorzubringen. I n Abhängigkeit vom Grad der demokratischen Legitimation des Entscheidungsorgans wird die Kompetenz zugesprochen, bestimmte besonders qualifizierte Entscheidungen zu treffen und die entsprechenden Rechtssätze zu erlassen. 16 Danach soll die Entscheidung der wichtigsten Fragen dem Organ zukommen, das am stärksten demokratisch legitimiert ist. Zwischen der Bedeutung einer Entscheidung 17 und der Kompetenz, diese zu treffen, wird so eine unmittelbare Verknüpfung hergestellt. Je wichtiger die

JuS 1979,362; Rengeling, N J W 1978,2218; Bleckmann, D Ö V 1983,129 ff. (132)), vernachlässigt diese historische Tatsache. Zutreffend ist allerdings, daß unter der Geltung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen der Vorbehalt des Gesetzes zunächst ganz überwiegend oder ausschließlich unter rechtsstaatlichen Aspekten diskutiert wurde. 12 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, 196; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, 71; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973,161; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, 99. 13

BVerfGE 33, 125 (158); BVerwGE 47, 194 (197 f.). Vgl. Magiera (Fn. 12), 1979, 99, 103. 15 Vgl. Magiera (Fn. 12), 1979, 99 f. 16 Kamber, Die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, 1980, 65. 17 Hier kann zunächst dahinstehen, nach welchen Kriterien sich die Bedeutung einer Entscheidung bestimmen läßt; vgl. dazu unten Kap. V I I . 14

1.1 Demokratieprinzip

165

Entscheidung ist, um so stärker muß die demokratische Legitimation des Entscheidungsorgans sein, oder umgekehrt ausgedrückt: Je höher die demokratische Legitimation eines staatlichen Organs ist, um so eher ist ihm die Kompetenz der Entscheidung der besonders wichtigen Fragen zuzusprechen. 18 Für das kompetentielle Verhältnis von Legislative und Exekutive wird in erster Linie auf das unterschiedliche Kreationsverfahren bei der Wahl von Parlament und Regierung abgestellt. Die Besetzung beider Organe mit Organwaltern 19 unterscheidet sich insofern, als die Abgeordneten des Parlaments unmittelbar vom Volk gewählt werden, 20 während die Regierung und die Regierungschefs 21 vom Parlament und somit nur mittelbar vom Volk gewählt werden. 22 A u f diese Weise entsteht zwar eine ununterbrochene personelle Legitimationskette vom Volk über das Parlament zur Regierung; in dieser Kette stehen aber die Abgeordneten dem Volk „näher" als die Regierungsmitglieder, so daß das Parlament im Vergleich zur Regierung demokratisch stärker - weil direkter - legitimiert erscheint. 23 Die unmittelbarere personelle Legitimation des Parlaments gegenüber der Regierung als Spitze der Exekutive ist für die herrschende Meinung unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips das entscheidende Argument, mit dem die alleinige Kompetenz des Parlaments begründet wird, die besonders wichtigen (wesentlichen, bedeutsamen) Entscheidungen zu treffen. Das BVerfG hat diesen Gedanken wie folgt formuliert: „ I n einem Staatswesen, in dem das Volk die Staatsgewalt am unmittelbarsten durch das von ihm gewählte Parlament ausübt, erscheint vor allem dieses Parlament dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen über die von der Verfassung offengelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden." 24 Dem vom Parlament be-

18 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,811; Kamber(Fn. 16), 1980,65 f.; G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, 107 f. 19 Zum Begriff des Organwalters vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht 11,4. Aufl., 1976,57 f.; Steiger (Fn. 12), 1973, 67 ff. 20 Vgl. Art. 38 G G und die entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen. 21 Die Bezeichnungen unterscheiden sich im Bund und in den Ländern (Bundeskanzler, Ministerpräsident, Erster Bürgermeister, Regierender Bürgermeister, Präsident des Senats). 22 Art. 63 G G ; Landesverfassungen: Baden-Württemberg Art. 46; Bayern Art. 44 Abs. 1,45; Hessen Art. 101; Niedersachsen Art. 20; Nordrhein-Westfalen Art. 52; Schleswig-Holstein Art. 21 Abs. 2; Saarland Art. 87 Abs. 1; Rheinland-Pfalz Art. 98; Berlin Art. 41 Abs. 1 und 2; Bremen Art. 107; Hamburg Art. 34 Abs. 1. Teilweise wird der Ministerpräsident nicht vom Landtag, sondern von der Regierung gewählt (Bremen, Hamburg) und besitzt die Stellung eines primus inter pares. 23 Vgl. Thieme, JZ 1964,82; Ossenbühl (Fn. 12), 1968,201; Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 66 m.w.N.; Löhning, Der Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis, 1974, 175; Magiera (Fn. 13), 1979, 103 f., 160 m.w.N.; Jesch (Fn. 8), 1961, 171, 205; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 14. Aufl., 1984, Rdn. 525; Scholz/Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980, 101 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 811. Je weiter ein gewähltes Organ innerhalb der Legitimationskette vom Volk „entfernt" ist, um so geringer wird seine demokratische Legitimation angesehen. 24 BVerfGE 33, 125 (159); Evers, JuS 1977, 804 ff. (807).

166

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

schlossenen Gesetz komme gegenüber dem bloßen Verwaltungshandeln die unmittelbarere demokratische Legitimation zu. 2 5 Dem Parlament als dem am unmittelbarsten legitimierten demokratischen Organ obliege es, alle Bereiche staatlicher Tätigkeit zu steuern. 26 Das BVerfG ist sogar so weit gegangen festzustellen, nur das Parlament besitze die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung, 27 eine Aussage, die es allerdings später erheblich relativiert hat. 2 8 Unter Berufung auf das Demokratieprinzip wird dem Parlament nicht selten eine generelle Führungsrolle und die Leitungs- und Lenkungsaufgabe bei allen Formen staatlicher Leistungen und Begünstigungen zugesprochen 29 und das Gesetz als „höchste staatliche Willensäußerung" deklariert. 30 Teilweise führt dieser Gedankengang zu einer merkwürdig emphatisch-pathetischen Überhöhung von Parlament und Parlamentsgesetz. 31 Das so verstandene Demokratieprinzip ist in der Rechtsprechung zum Parlamentsvorbehalt im Schulwesen und in der daran anknüpfenden Vorbehaltsliteratur zu einem tragenden Pfeiler geworden, der zur Annahme eines Delegationsverbots für wesentliche Entscheidungen und eines verstärkten Bestimmtheitsgebots für die entsprechenden formell-gesetzlichen Regelungen herangezogen wird. Sailer hat dies, bezogen auf die Delegationsproblematik, kurz und prägnant auf die Formel gebracht: „Aus dem Demokratieprinzip resultiert die Pflicht des Gesetzgebers zur Zurückhaltung bei Delegationen." 32 25 BVerfGE 40, 237 (249); O V G N W , NJW 1980, 1406 (1407); Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (243); Krebs, Jura 1979, 304 ff. (310); Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (54); Heussner, Vorbehalt des Gesetzes und „Wesentlichkeitstheorie", 1983, 111 ff. (116). 26 Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (713). 27 BVerfGE 34, 52 (59). 28 BVerfGE 49, 89 (124 ff.). 29 Jesch (Fn. 8), 1961,205; Evers und Fuß, V V D S t R L 23 (1966), 159,213; nach Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 54, ergibt sich aus der besonderen personellen Legitimation des Parlaments die „ebenso schlichte wie fundamental richtige Überlegung, daß es eine elementare Folgerung aus der parlamentarisch-demokratischen Volkssouveränität ist, daß die politisch wichtigen Angelegenheiten und Entscheidungen dem Parlament als dem Organ der demokratischen Gesamtleitung des Staates anvertraut sein müssen". 30 Vgl. BVerfGE 8, 155 (169); Knack, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz 1976, § 35 Rdn. 6; Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, 1983, § 5 II. 31 Vgl. zum Beispiel Kirchhof, Rechtsquellen und Grundgesetz, 1976,78: „Das demokratisch gewählte Entscheidungsorgan soll in zentralen Fragen staatlicher Gemeinschaft Staatsautorität und Gerechtigkeit jedenfalls prinzipiell zur Deckung bringen." Ähnlich Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, 171: „Die im Grundgesetz normierte äußere Form des Gesetzes garantiert ein bestimmtes Maß an Vernünftigkeit und Gerechtigkeit..." Derartige Überhöhungen des Parlaments und des Gesetzes (höchster Rechtswert, höchste staatliche Willensäußerung, Führungsrolle des Parlaments usw.) sind im Grunde Relikte aus vordemokratischen Zeiten und stehen in merkwürdigem Gegensatz zu dem für die Begründung des Parlamentsvorbehalts herangezogenen Demokratieprinzip des Grundgesetzes. Unausgesprochen wird damit an die Vorstellungen des Vernunftsrechts angeknüpft, wonach Ratio und Gesetz weithin identifiziert wurden (vgl. dazu Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, 1969, 1 ff. (10)). Mengel konstatiert in Literatur und Rechtsprechung ein „mystisch überhöhtes Gesetzesverständnis" (ZRP 1984, 153 ff., 154). 32 Sailer, BayVBl. 1978,713 ff. (720); Rengeling, NJW 1978,2217 fT. (2218), ist der Ansicht, die Ableitung des Gesetzes Vorbehalts (in unserer Diktion: des Parlamentsvorbehalts) aus dem Rechtsstaatsprinzip trete in neuerer Zeit mehr und mehr zurück. „Nicht mehr Herrschaft des Rechts, Verbürgung von Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit des Rechts sowie beständige Ordnung, also auf dem (formellen und materiellen) Rechtsstaatsprinzip beruhende Funktionen

1.1 Demokratieprinzip

167

1.1.2 Einwände gegen die herrschende Meinung

Obwohl die Stützung eines Parlaments Vorbehalts auf das Demokratieprinzip in Rechtsprechung und Literatur breiteste Zustimmung gefunden hat, 3 3 müssen Zweifel geltend gemacht werden, ob die vorstehend skizzierte Argumentation wirklich zu überzeugen vermag. (1) Empirische Relativierung

Die idealtypische Betrachtungsweise der Wahl von Parlament und Regierung als eines zweistufigen sukzessiven Wahlakts bedarf einer erheblichen empirischen und verfassungsrechtlichen Relativierung und Vervollständigung. 34 Möglichen Einwänden gegenüber der Heranziehung empirischer Gesichtspunkte 3 5 ist entgegenzuhalten, daß das Maß demokratischer Legitimation nicht rein normativ ermittelt werden kann. Demokratische Legitimation ist nicht Selbstzweck, sondern zielt unter anderem darauf ab, Folgebereitschaft und Akzeptanz gegenüber staatlichen Entscheidungen und gegenüber dem parlamentarischen System insgesamt zu erzeugen. 36 Inwieweit die von der Verfassung vorgesehenen Verfahren dies zu leisten vermögen, läßt sich nicht allein normativ ermitteln, sondern bedarf der Heranziehung rechtstatsächlicher Gesichtspunkte. (2) Verfassungsunmittelbare

institutionelle

Legitimation der Exekutive

Unbestritten ist, daß auch die Exekutive eine demokratische Legitimation besitzt. 37 Die verfassungsunmittelbare Legitimation als Institution und Funktion ist derjenigen der anderen Staatsfunktionen beziehungsweise Gewalten (Legislative, Judikative) gleichrangig. Allein schon aus diesem Grunde muß sich die Frage stellen, ob ein eventuelles höheres Maß an personeller Legitimades Gesetzesvorbehalts scheinen zur Zeit der Betonung wert zu sein, sondern der Gesichtspunkt der Herrschaft des Volkes, also ein demokratisches Element, schlägt sich im Gesetzesvorbehalt nieder, wird funktions- und damit inhaltsbestimmend." 33 Vgl. statt vieler: DJT-SchulGE, 1981,20 ff. und passim; kritisch Eberle, D Ö V 1984,485 ff. (488 ff.). 34 Vgl. Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (244); G. Müller (Fn. 18), 1979, 18, der der Ansicht ist, der Staat besitze aufgrund der Rechtsetzung durch nichtstaatliche Institutionen längst kein „Monopol" der Rechtsetzung mehr. 35 Magiera (Fn. 12), 1979,98, hält es in einer verfassungsrechtlichen Untersuchung für wenig gewinnbringend, den empirischen Inhalt des Demokratieprinzips zu erforschen. Wie seine späteren Ausführungen (insbesondere 103 ff.) zeigen, will er damit aber wohl nicht die Heranziehung empirischer Gesichtspunkte generell für unzulässig erklären, sondern vielmehr hervorheben, daß sich auch empirische Erkenntnisse stets an der konkreten Verfassungsordnung messen lassen müssen und nur so normative Bedeutung entfalten können. 36 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 2, 1972, 259 ff.; Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, 96 ff. 37 Vgl. BVerfGE 49,89 (125); Ossenbühl (Fn. 12), 1968,187 ff., 199; Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff. (25 f.); Starck, D Ö V 1979, 269 ff. (270); Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (101); Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,815; Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982,41 f. m.w.N.; Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984, 111 ff. (115 m.w.N., Fn. 17).

168

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

tion die von der Verfassung zuerkannte institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation der anderen Staatsfunktionen entscheidend aufwiegen und die von der Verfassung vorausgesetzte prinzipiell gleiche Legitimation aus der Balance bringen kann. 3 8 Aber auch die über das Verfahren zur Bestellung der Regierung vermittelte mittelbare personelle Legitimation der Regierung ist heute wohl unbestritten. 3 9 Insofern beruht die auf die demokratische Legitimation abstellende Argumentation auf einer relativen (komparativen) Annahme: Die Exekutive sei zwar ebenfalls personell demokratisch legitimiert, diese Legitimation sei jedoch schwächer als die des unmittelbar gewählten Parlaments. 40 Die herrschende Meinung stellt somit auf den unterschiedlichen Grad der demokratischen Legitimation der verschiedenen Organe ab und zieht daraus kompetenzrechtliche Konsequenzen für die Rechtsetzungsbefugnis. 41 Es kommt also entscheidend darauf an, ob das unterschiedliche Kreationsverfahren von Parlament und Regierung tatsächlich zu einem - relativen - Mehr an demokratischer Legitimation zugunsten des Parlaments führt. In der Verfassungswirklichkeit vollziehen sich weder die Wahl der Parlamentsabgeordneten noch die Wahl der Regierungsmitglieder durch diese als isolierte Spontanentscheidungen. 42 Das Volk wählt kein Honoratiorenparlament, dessen Abgeordnete dann in freier Gewissensentscheidung den beziehungsweise die „Besten" zu Regierungschef und Ministern wählen. Die einzelnen Wahlakte bilden vielmehr lediglich den - wenn auch besonders markanten und gewichtigen - formell-momentanen Kristallisationspunkt innerhalb eines materiell-kontinuierlichen Prozesses demokratischer Willensbildung. 43 38 Ossenbühl (Fn. 12), 1968, 199; Schwan, Zuständigkeitsregelungen und Vorbehalt des Gesetzes, 1971, 53. 39 BVerfGE 34, 52 (59); 49, 89 (125); Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964,79; Ossenbühl (Fn. 12), 1968,198 f.; Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff. (15 f.); Starck (Fn. 31), 1970, 282; Schwan (Fn. 38), 1971, 52 mit Fn. 25; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 65 f.; Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (101); Ders., VerwArch 69 (1978), 387 ff. (394); Ders., VerwArch 70(1979), 249 ff.; Krebs, DVBl. 1977,632ff. (635); Kisker, NJW 1977,1313 ff.; Sailer, BayVBl. 1978,713 ff. (720); Richter, RdJB 1978,2 ff.; Falckenberg, BayVBl. 1978,166 ff. (168); Ders., BayVBl. 1978,371 ff. (372); Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (713); Starck, D Ö V 1979, 269 ff. (271); Eiselt, D Ö V 1980, 405 ff. (406). - Es ist damit anerkannt, daß die Exekutive nicht mehr die undemokratische Instanz ist, die sie im Absolutismus und zum Teil noch in der konstitutionellen Monarchie gewesen ist. Die demokratische Legitimation der Exekutive zu bezweifeln hieße, längst überholtes historisches Gedankengut fortzuschleppen, obwohl sich die gesellschaftlich-politischen sowie die verfassungsrechtlichen Bedingungen seit dem Ende der Monarchie grundlegend geändert haben. Krebs (Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, 106) weist allerdings zu Recht daraufhin, die demokratische Legitimation auch der Exekutive lasse die Frage nach der Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Staatsfunktionen durchaus offen. - Die Exekutive kann auf eine eigene originäre institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation verweisen (vgl. Ossenbühl (Fn. 12), 1968, 196 ff.; Ders., Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 66). 40 Die Argumentation der herrschenden Meinung ist demnach nicht schon dadurch aus den Angeln zu heben, daß, wie es vielfach geschieht, auf die auch vorhandene demokratische Legitimation der Exekutive verwiesen wird; denn diese wird von der herrschenden Meinung gar nicht bestritten. 41 Vgl. statt vieler G. Müller (Fn. 18), 1979, 107 f. 42 Magiera (Fn. 12), 1979, 104; Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (244). 43 Magiera (Fn. 12), 1979, 104 m.w.N.

1.1 Demokratieprinzip

169

Das Parlament wird nicht in einem Urakt als Repräsentant des Volkssouveräns hervorgebracht, sondern - wie es Nevermann treffend formuliert hat im Rahmen eines „scenarios", in dem parteiinterne Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, Rivalitäten, Abhängigkeiten und Kombattanzen sowie Einflüsse der öffentlichen Meinung durch die Massenmedien nicht nur in Wahlkampfzeiten notwendig zusammenwirken. 44 Ebensowenig setzen die Überlegungen zur Regierungsbildung erst nach der Wahl des Parlaments ein. Zentrale Bedeutung kommt dabei den politischen Parteien zu, deren politischer Einfluß und tatsächliche Bedeutung zwar der normativen Anlage des Grundgesetzes entspricht (Art. 21 GG), sie in der Verfassungspraxis aber erheblich übersteigt. Sie sind heute die entscheidenden Faktoren, die über die personelle Zusammensetzung von Parlament und Regierung entscheiden. Die nach Abschluß des parteiinternen Willensbildungsprozesses erstellten Parteilisten sind für den Wähler Pauschalangebote, die er akzeptieren oder ablehnen kann, auf deren Erstellung im einzelnen er aber keinen Einfluß besitzt. 45 Die starre Parteiliste, die ausschlaggebende Zweitstimme und die infolge „sicherer" Wahlkreise relativ geringe Bedeutung der Erststimme beschränkt die Wahlentscheidung auf eine Bestimmung des Sitzanteils der Parteien im Parlament. 46 Da sich die Parteien, deren Ziel es ist, an der Regierungsbildung mitzuwirken, in aller Regel nicht nur auf eine Liste von Abgeordneten festlegen, sondern für den Fall ihres Wahlsieges auch einen Regierungschef und zumindest die wichtigsten Regierungsmitglieder benennen, entscheidet der Wähler nicht nur über die parteimäßige Zusammensetzung des Parlaments, sondern auch über diejenige der Regierung und vor allem über die Person des Regierungschefs. Die über die Parteien vermittelte Wahl ist deshalb Parlaments- und Regierungswahl zugleich. I m Bewußtsein vieler Wähler geht es sogar vorrangig um die Wahl des Regierungschefs und weniger um die des Parlaments. 47

44

Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (244). Vgl. hierzu und zum folgenden Magiera (Fn. 12), 1979, 104 ff. (insbesondere 106). 46 „Das Prä personeller Legitimation des Parlaments wird... durch Parteien... und parteipolitische Homogenität zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung ... im wesentlichen aufgewogen." (Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 66) 47 Vgl. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl., 1967,104 f.; Grimm, AöR 97 (1972), 489 ff. (511); Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V Rdn. 28, der unter anderem auf den sogenannten „Kanzlerbonus" hinweist, der seit jeher bei Bundestagswahlen eine wichtige Rolle gespielt hat (vgl. Wahlkampfparolen wie „auf den Kanzler kommt es an" usw.). Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (713), meint: „In Wahrheit wählen wir ja weniger den einzelnen Abgeordneten als vielmehr den Kanzler oder die Regierungsmannschaft." Nach Zeh (Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl., 1979, 16) haben die Wähler auch das politisch-faktisch durchaus zutreffende Bewußtsein, bei der Bundestagswahl gleichsam den Kanzler zu wählen; die Abgeordneten der Parlamentsmehrheit fungieren gewissermaßen als „Wahlmänner" und wählen den im Wahlkampf herausgestellten Kanzlerkandidaten. Dadurch entstehe eine politisch sehr enge Verknüpfung zwischen dem Akt der allgemeinen Wahl und der Regierungsbestellung. - (Der „Kanzlerbonus" dürfte auch einer der ausschlaggebenden Gründe gewesen sein, warum die C D U / C S U im Herbst 1982 nicht bereit war, mit dem damaligen Bundeskanzler Schmidt (SPD) eine Vereinbarung über Neuwahlen unter einer Minderheitenregierung Schmidt zu treffen. Die Kanzlerzentriertheit der Bundestagswahlen dürfte zugleich das schwerwiegendste Argument gegen die politisch-moralische Legitimität des Koalitionswechseins der F D P im Herbst 1982 gewesen sein.) 45

170

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

Der Wähler (= das Volk) entscheidet somit mehrheitlich darüber, wer die Regierungsverantwortung übernehmen darf und wer die parlamentarische Opposition bilden soll. Das Parlament stellt daher im Rahmen der Funktionengliederung nur idealtypisch eine Einheit dar, der auf der anderen Seite die Exekutive (Regierung und Verwaltung) gegenübersteht. In Wirklichkeit ist das Parlament ein aus verschiedenen politischen Interessengruppen pluralistisch zusammengesetztes Organ. Bekanntlich hat sich die klassische Gewaltenteilung zu einer neuen Frontenbildung verschoben, bei der sich Parlamentsmehrheit und Regierung auf der einen und Parlamentsminderheit (Opposition) auf der anderen Seite gegenüberstehen. 48 Der Wahlakt des Volkes verleiht nach alledem nicht nur dem Parlament, sondern auch der Regierung eine demokratische Legitimation. Diese Legitimation ist ebenso wie die des Parlaments eine unmittelbare. 49 Dem scheinbaren Legitimationsplus des Parlaments ist damit die Grundlage entzogen. 50 Der Regierung kommt folglich eine gleich starke demokratische Legitimation zu wie dem Parlament. Stellt sich somit die Annahme eines demokratischen Legitimationsvorsprungs des Parlaments vor der Regierung qua Wahlakt als Fiktion heraus, so können die hieran geknüpften kompetentiellen Konsequenzen nicht aufrechterhalten werden. Wenn Parlament und Regierung durch den Wahlakt demokratisch gleichermaßen legitimiert sind, dann kann dieser Gesichtspunkt bei der Lösung der Delegationsproblematik nicht ausschlaggebend sein. Ein Parlamentsvorbehalt im Sinne einer Beschränkung der parlamentarischen Delegationsbefugnis läßt sich demnach auf diese Weise nicht überzeugend begründen. 51 48

Vgl. statt vieler Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 794, 1032. Vgl. Magiera (Fn. 12), 1979,108. - Die Verknüpfung von Parlaments- und Regierungswahl kann allerdings durch einen Regierungswechsel während der Legislaturperiode verlorengehen. In der Verfassungspraxis zeigt sich aber gerade im Fall eines vorzeitigen Regierungs- beziehungsweise Koalitionswechsels, daß - jedenfalls bei gravierenden Richtungsänderungen - verfassungsrechtlich vorgesehene und damit legale Möglichkeiten zu deren Herbeiführung (zum Beispiel das konstruktive Mißtrauensvotum nach Art. 67 G G ) nur dann als demokratisch legitim angesehen werden, wenn der Wähler unverzüglich ein neues Votum für oder gegen die neue Regierung abgeben darf. Dies gilt insbesondere dann, wenn er die Fronten wechselnde Koalitionspartner mit der Kanzlerfigur des anderen Koalitionspartners für sich geworben hat. Die Bonner Ereignisse im Herbst 1982 können als Indiz dafür gewertet werden, daß bei gravierenden Veränderungen im Bereich der Regierung von breiten Bevölkerungskreisen eine demokratische Legitimation der neuen Regierung durch Neuwahlen verlangt wird. Wenn aber die demokratische Legitimation der neuen Regierung ohne erneuten Wahlakt nicht auf allgemeine Akzeptanz stößt, dann bezieht sich die demokratisch legitimierende Wirkung einer Wahl ganz offenbar auch auf die Regierung. 50 Man könnte sogar umgekehrt argumentieren: Die Regierung erfährt aufgrund der Wahl des Regierungschefs durch das Parlament eine zusätzliche Legitimation durch ein seinerseits demokratisch sehr stark legitimiertes Staatsorgan. 51 Vgl. Richter, RdJB 1978,2 ff. (3), der - allerdings in sehr allgemeiner Form - auf die nicht schlüssige Begründbarkeit eines Parlamentsvorbehalts auf der Grundlage der Prinzipien des Art. 20 G G hinweist. H. P. Schneider, AöR 105 (1980), 4 ff. (20 f.), macht ergänzend auf die Repräsentationsdefizite der Parlamente aufmerksam (zum Beispiel hinsichtlich Disparitäten in der Berufsstruktur des Parlaments und der Erwerbsgruppen der Gesamtbevölkerung); die Entstehung der Bürgerinitiativen wertet er als Zeichen einer Parlamentsverdrossenheit, die ebenfalls die Repräsentativität der Parlamente in Frage stellt. Im Ergebnis wie hier Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (489). 49

1.1 Demokratieprinzip

171

(3) Funktionswandel des Vorbehaltsprinzips

Es erscheint darüber hinaus fraglich - und dies ist der zweite gravierende Einwand gegenüber einer Begründung des Parlamentsvorbehalts aus dem Demokratieprinzip - , ob der argumentative Ansatzpunkt der herrschenden Meinung (die besondere Legitimation des Parlaments) überhaupt ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Begründung eines Parlamentsvorbehalts sein kann. Die herrschende Meinung erkennt zwar, daß das Vorbehaltsprinzip im Vergleich zur konstitutionellen Monarchie einen grundlegenden Funktionswandel durchgemacht hat, 5 2 zieht daraus jedoch nicht immer die notwendigen Schlüsse. Der Vorbehalt des Gesetzes diente vom Vormärz bis in das Kaiserreich der Definition und Sicherung der Mitwirkungsrechte der Volksvertretung, was sich aus dem realpolitischen Dualismus zwischen Volk und Monarch erklärte. 53 Die Funktion des Vorbehalts bestand darin, das rechtliche Dürfen des Parlaments verfassungsdogmatisch zu bestimmen und so die Rechte der Volksvertretung festzulegen. In der parlamentarischen Demokratie, die die volle Volkssouveränität verfassungskräftig anerkannt hat, kommt dem Vorbehalt des Gesetzes demgegenüber die Aufgabe der Funktionsteilung zwischen Legislative und Exekutive zu. 5 4 Dabei geht es nicht mehr um die Machtverteilung zwischen verschiedenen „Gewalten", sondern um Kompetenzzuweisungen an die verschiedenen Staatsorgane, die für das Volk die Staatsgewalt ausüben (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Da die natürlichen politischen Steuerungsmechanismen des konstitutionellen Zeitalters, die des realpolitischen Dualismus zwischen Volk und Monarch, heute nicht mehr greifen, kann sich die Funktion des Gesetzesvorbehalts nicht mehr darauf beschränken, Entscheidungens r e c h t e festzulegen. Kompetenzzuweisungen begründen vielmehr auch E n t s c h e i d u n g s p f l i c h t e n . Nur so kann gewährleistet werden, daß die verschiedenen Staatsorgane die ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Funktionen auch tatsächlich ausüben und es nicht zu einer die von der Verfassung beabsichtigte Machtverteilung gefährdenden Funktionsund Kompetenzverschiebung kommt. Dies ist der eigentliche Grund dafür, daß aus dem herkömmlichen Gesetzesvorbehalt, der ausschließlich das rechtliche Dürfen des Parlaments bestimmte, ein Parlamentsvorbehalt geworden ist, der - als Selbstregelungspflicht und Bestimmtheitsgebot - das rechtliche Müssen festlegt. Umschrieb der klassische Vorbehalt des Gesetzes die fakultative Tätigkeit des Parlaments, so bestimmt der Parlamentsvorbehalt die notwendige Tätigkeit der Legislative. 55 Aus einem Zugriffsrecht ist eine Zugriffspflicht geworden. 56 Der Parlamentsvorbehalt bringt diesen Wandel durch die Begründung von Selbst52 Vgl. Ossenbühl, Zur Erziehungskompetenz des Staates, 1976,751 ff. (756); Evers, JuS 1977, 804 ff. (807); Rengeling, NJW 1978, 2217 ff. (2218); Falckenberg, BayVBl. 1978, 371 ff. (372); Listi, DVB1. 1978, 10 ff. (15). 53 Vgl. hierzu oben Kap. II. 54 Vgl. Evers, JuS 1977, 804 ff. (807). 55 Vgl. Ossenbühl (Fn. 52), 1976,751 ff. (756); Falckenberg, BayVBl. 1978,166; Listi, DVB1. 1978, 10 ff. (15). 56 So Falckenberg, BayVBl. 1978, 371 ff. (372).

172

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

entscheidungspflichten und Bestimmtheitsgeboten zum Ausdruck, die eine Beschränkung der Delegationsbefugnis des Parlaments bedeuten. Der Parlamentsvorbehalt beinhaltet somit Schranken des parlamentarischen Regelungsermessens. Während sich für den herkömmlichen Vorbehalt des Gesetzes, der ausschließlich ein Recht begründete, ein demokratischer Begründungsansatz geradezu aufdrängen muß te, soll nun unter Bezugnahme auf die demokratische Legitimation des Parlaments eine Beschränkung der parlamentarischen (Delegations-)Befugnisse begründet werden. Aus dem demokratischen Prinzip werden auf diese Weise nicht Rechte, sondern Pflichten, Gebote und Verbote hergeleitet. Der Parlamentsvorbehalt bewirkt also Kompetenzschranken des Parlaments. Während es einleuchtet, aus einer besonderen demokratischen Legitimation ein Recht, das heißt ein kompetenzrechtliches Dürfen herzuleiten, muß es befremdlich erscheinen, aus einer besonderen Legitimation eine Beschränkung von (Delegations-)Kompetenzen herleiten zu wollen. Spricht man - wie die herrschende Meinung - dem Parlament eine so exponierte dem Parlament eindemokratische Legitimation zu, dann wäre es naheliegender, ihm auch die Kompetenz zuzusprechen, über Eigenregelung oder Delegation selbst zu entscheiden. Dafür spricht ferner, daß es bei der Frage nach dem Parlamentsvorbehalt nicht um eine echte Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive geht. Die originären Kompetenzen von Legislative und Exekutive werden durch den einfachen Vorbehalt des Gesetzes (Rechtssatzvorbehalt) voneinander abgegrenzt. I m Gegensatz dazu besteht die Funktion des Parlamentsvorbehalts darin, innerhalb der originären Parlamentskompetenzen zwischen den ausschließlichen, das heißt nicht delegierbaren, und den übertragbaren (delegierbaren) Parlamentskompetenzen zu unterscheiden. 57 Die herrschende Meinung berücksichtigt nicht hinreichend, daß der Parlamentsvorbehalt keine Kompetenzverteilung auf der gleichen Ebene originärer Parlaments- und Exekutivkompetenzen vornimmt, denn im Falle der Delegation entstehen nur „unechte", derivative Exekutivkompetenzen, die das Parlament jederzeit zurücknehmen kann. Insofern kommt dem Parlamentsvorbehalt in keiner Weise die Funktion zu, Rechte des Parlaments gegenüber der Exekutive zu begründen oder zu sichern. Hinsichtlich des delegierbaren Bereichs kommt dem Gesetzgeber ein uneingeschränktes Zugriffsrecht zu. Er ist verfassungsrechtlich nicht gehindert, auf jegliche Delegation zu verzichten. Umgekehrt verbietet der Parlamentsvorbehalt die Delegation von Rechtsetzungskompetenzen. Dem Parlamentsvorbehalt geht es daher in der Tat ausschließlich um die Beschränkung, nicht um die Begründung parlamentarischer Kompeten57 Zu den drei Strukturebenen: 1. Originäre ausschließliche (nicht delegierbare) Parlamentskompetenzen (Parlamentsvorbehalt); 2. Originäre übertragbare (delegierbare) Parlamentskompetenzen (= derivative Exekutivkompetenzen) (Rechtssatzvorbehalt); 3. Originäre Exekutivkompetenzen (kein Vorbehalt des Gesetzes) vgl. oben Kap. I 3.2.1. Zu kurz greift die Problemstrukturierung von Hill (Fn. 38), 1982, 39, der nur die 2. und 3. Ebene als Probleme des Vorbehalts des Gesetzes identifiziert und die Ebene der nicht übertragbaren Parlamentskompetenzen übersieht. Listi (DVB1. 1978, 10 ff., 12) unterscheidet zwischen einem obligatorischen Vorbehalt des Gesetzes (analog zum Parlamentsvorbehalt) und einem fakultativen Zugriffsbereich des Parlaments, der zwischen dem (obligatorischen) Vorbehaltsbereich des Gesetzgebers und dem der Exekutive vorbehaltenen Tätigkeitsfeld liegt.

1.1 Demokratieprinzip

173

zen. Der Rückgriff auf die höhere demokratische Legitimation des Parlaments zu dem Zweck, dem Parlament die Delegation bestimmter Entscheidungen zu verbieten, offenbart somit einen inneren Widerspruch. (4) „ Wesentliche"

Kompetenzen anderer Staatsorgane

Auch aus anderen Gründen erscheint fraglich, ob der von der herrschenden Meinung vollzogene Schluß von der angeblich höheren demokratischen Legitimation des Parlaments auf seine relative Stellung im Verhältnis zu anderen Staatsorganen und seine angeblich herausragenden Entscheidungskompetenzen mit der Verfassung vereinbar ist. Grundgesetz und Landesverfassungen haben die Entscheidung weitreichender, politisch wichtiger und grundrechtsrelevanter Fragen der Kompetenz anderer Staatsorgane anheim gegeben, obwohl diesen nur eine (zum Teil mehrfach) vermittelte personelle Legitimation zukommt. So hat das Grundgesetz dem Bundespräsidenten eine mit wichtigen politischen Kompetenzen versehene Position eingeräumt. 58 Das BVerfG wurde mit Letztentscheidungskompetenzen auch gegenüber dem Gesetzgeber ausgestattet. 59 Auch der Exekutive hat das Grundgesetz herausragende Kompetenzen eingeräumt, worauf das BVerfG im Kalkar-Beschluß hingewiesen hat. 6 0 Die herrschende Meinung basiert auf einem Verständnis des Demokratieprinzips, das ohne hinreichende Würdigung der konkreten Kompetenzverteilung im Grundgesetz und in den Landesverfassungen von einem aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonis58 Vgl. dazu Hemmrich, Rdn. 3 zu Art. 54, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 2,2. Aufl., 1983; hinzuweisen ist vor allem auf die Ermessensentscheidung des Bundespräsidenten bei der Auflösung des Bundestages gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 G G („kann") sowie auf das Auswahlermessen des Bundespräsidenten nach Art. 63 Abs. 4 Satz 3 G G (Ernennung des Minderheitenkanzlers oder Auflösung des Bundestages). Zum mehrfach vermittelten Wahlverfahren (Bundesversammlung) vgl. Art. 54 GG. 59 Vgl. Art. 93 G G . Einige Entscheidungen des BVerfG besitzen gemäß § 31 BVerfGG sogar Gesetzeskraft. Zum Wahlverfahren vgl. Art. 94 Abs. 1 Satz 2 G G . Die Legitimationskette bei den vom Bundesrat gewählten Richtern ist lang: Volk - Landtag - Landesregierung - Bundesrat Richterwahl. - Käme dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation die behauptete zentrale Bedeutung zu, so würde sich die Frage stellen, wie^ie weitreichenden Kompetenzen des BVerfG gegenüber dem Gesetzgeber demokratisch zu legitimieren sind. Damit soll die verfassungsunmittelbare institutionelle Legitimation des BVerfG nicht bezweifelt werden. Soweit es aber um umstrittene Kompetenzfragen im Verhältnis Bundesgesetzgeber - BVerfG (entsprechend auf Landesebene) geht, müßte möglicherweise das Demokratieprinzip im Zweifel zugunsten des Parlaments den Ausschlag geben (zum Beispiel bei der verfassungsgerichtlichen Kontrolle gesetzgeberischer Prognoseentscheidungen über tatsächliche Entwicklungen). Eine isolierte Argumentation unter demokratischen Aspekten würde aber auch hier einer funktionsadäquaten Kompetenzverteilung widersprechen und die personelle Legitimation einseitig gegenüber der von der Verfassung zuerkannten institutionellen und funktionellen demokratischen Legitimation überbewerten. 60 BVerfGE 49, 89 (124 ff.) mit Hinweis unter anderem auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Art. 65 Satz 1 GG); vgl. auch Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (244), der auf die gravierenden Kompetenzverschiebungen im Verhältnis Legislative - Exekutive insbesondere in konjunktur- und stabilitätspolitischen Fragen hinweist. Zu erwähnen sind außerdem die außenpolitischen Kompetenzen der Regierung, die durch den Zustimmungsvorbehalt des Art. 59 Abs. 2 G G kaum geschmälert werden, da das BVerfG diese Bestimmung äußerst restriktiv ausgelegt hat. Vgl. dazu BVerfGE 1, 351 - Petersberger Abkommen; 1, 372 - deutsch-französisches Wirtschaftsabkommen; 2, 347 - Kehler-Hafen-Abkommen. Der Vorsitzende des Innenausschusses spricht demgemäß in seinem Bericht über die 8. Wahlperiode des Bundestages von einer Beschränkung auf eine eher formale Kenntnisnahme (Lenz, ZRP 1980,249 ff. (253,254)).

174

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

mus zugunsten des Parlaments ausgeht. 61 Die aus dem Demokratieprinzip abgeleitete Annahme eines „Entscheidungsmonopols des Parlaments" 62 beruht weitgehend auf einer Fiktion. Der vorgeblichen Binsenweisheit, daß die wirklich wichtigen Dinge in einem parlamentarisch-demokratischen Staatswesen vor das Parlament gehören, 63 ist die ebenso fundamentale Erkenntnis entgegenzuhalten, daß sich ganz wesentliche Entscheidungsbereiche vor allem ökonomischer Art (von den Investitionen über die Tarifabschlüsse bis zum Konsum-/Sparverhalten und der Schaffung oder NichtSchaffung von Arbeitsplätzen 64 ) der politisch-staatlichen Willensbildung und damit einer parlamentarischen Regelung weitgehend entziehen. 65 Die Wirkkraft des Demokratieprinzips im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Begründbarkeit des Parlamentsvorbehalts wird somit erheblich überschätzt. 66 (5) Höhere demokratische Legitimation

volksbeschlossener

Gesetze?

Darüber hinaus wird die von der herrschenden Meinung vertretene Auffassung einer höheren demokratischen Legitimation von Parlamentsgesetzen gegenüber Rechtsverordnungen von der herrschenden Meinung nicht konsequent zu Ende gedacht. Noch niemand ist auf die Idee gekommen, daß die vom Volk selbst beschlossenen Gesetze geltungskräftiger und daher Parlamentsgesetzen vorrangig seien - eine Forderung, die - gemessen an der demokratischen Legitimation des Produkts - naheliegend wäre. 67 Diese 61 Vgl. BVerfGE 49,89 ( 125). Unzutreffend daher Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 75 f., wenn er behauptet, nach geltendem, unbestrittenem Verfassungsrecht seien alle wichtigen Fragen und Entscheidungen dem Parlament anvertraut worden. Fiedler, JZ 1979, 184, weist zu Recht auf ein „oft undifferenziertes, verfassungsfernes Argumentieren mit dem Demokratieprinzip" hin. Wie dehnbar das Demokratieprinzip ist, zeigt sich auch an ganz gegensätzlichen Aussagen des BVerfG, das dem Parlament zunächst die alleinige demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung zuordnete (BVerfGE 34,52,59; ebenso O V G Münster, DVB1.1978, 62 ff.), diese Aussage im Kalkar-Beschluß (BVerfGE 49, 89, 125) dahingehend abänderte, dem Demokratieprinzip könne kein allumfassender Parlamentsvorbehalt entnommen werden (vgl. oben bei Fn. 28 und 29). 62 So BVerfGE 49, 89 (125). 63 BVerfGE 47, 46 (79). 64 Vgl. Zippelius, Machtkontrolle durch strukturelle Vielfalt und Funktionenteilung, 1982, 147 ff. (152); man denke außerdem an die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen gemäß § 5 TarifVG von 1949, die Festsetzung des Diskontsatzes durch die Deutsche Bundesbank gemäß § 15 BBankG von 1957 oder die Festlegung von Währungsparitäten durch die Bundesregierung (vgl. Grawert, Jura 1982, 307), von Gewohnheits- und Richterrecht einmal ganz abgesehen. 65 So mit Recht Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (244); in der herrschenden Meinung kommt ein traditionelles Politikverständnis zum Ausdruck, das in verengter Sicht den Staat als den dominanten Träger von Politik begreift und dabei die gravierenden Entscheidungen im gesellschaftlichen Raum zu sehr vernachlässigt. Wie hier Häberle, D Ö V 1981,551 ; ähnlich schon Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, 1965, 131 ff. 66 In methodischer Hinsicht werden hier die Gefahren deutlich, die der Versuch einer Ableitung von Kompetenzen aus höchst allgemein gehaltenen Verfassungsprinzipien in sich birgt. Vgl. dazu Starck (Fn. 32), 1970,282 f.; Ders., NJW 1972,1490; Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 53, Β 55; Krebs, 1975, 106; Niehues, DVB1. 1980, 465; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit 1,1982,90; G. Müller (Fn. 18), 1979,1 f.; Magiera (Fn. 12), 1979,177. 67 Vgl. Grawert, Jura 1982,304. Meder (Die Verfassung des Freistaates Bayern, 1978, Art. 72 Rdn. 1) lehnt einen höheren Rang vom Volk beschlossener Gesetze gegenüber den vom Landtag verabschiedeten ausdrücklich ab. Diese Tatsache läßt nur zwei Schlußfolgerungen zu: Entweder

1.2 Rechtsstaatsprinzip

175

Tatsache läßt nur zwei Schlußfolgerungen zu: Entweder offenbart sich hier eine Lücke im System des Gesetzes vor rangs, oder aber die Unmittelbarkeit der demokratischen Legitimation kann nicht so ausschlaggebend sein wie von der herrschenden Meinung angenommen. (6) Die Formindifferenz

des Demokratieprinzips

Die Schwäche des Demokratieprinzips zur Begründung des Parlamentsvorbehalts wird noch durch eine weitere Überlegung bestätigt. Der Parlamentsvorbehalt fordert wie jeder Vorbehalt des Gesetzes eine formell-gesetzliche Regelung. Dem Parlamentsvorbehalt wird daher grundsätzlich nicht durch einen einfachen Parlamentsbeschluß genügt, sondern nur durch ein Parlamentsgesetz (dessen inhaltliche Beschaffenheit hier dahinstehen kann). Der Parlamentsvorbehalt verlangt also eine bestimmte Handlungsform des Parlaments. Unter dem demokratischen Aspekt dagegen ist die Handlungsform prinzipiell gleichgültig; entscheidend ist die Handlungs- und Entscheidungskompetenz des staatlichen Organs „Parlament". Auch wenn dessen wichtigste Form der Willensäußerung das von ihm beschlossene Gesetz darstellt, besitzt die Gesetzesförmigkeit in demokratischer Sicht nachrangige Bedeutung. Unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation des Parlaments ließe sich zwar begründen, daß das Parlament handeln muß, nicht jedoch, daß dies gerade in der Form des Gesetzes zu geschehen hätte. Denn unter dem demokratischen Legitimationsaspekt ist es prinzipiell gleichgültig, ob das Parlament durch Gesetz oder durch schlichten Parlamentsbeschluß entscheidet; die personelle demokratische Legitimation ist in beiden Fällen die gleiche. 68 Auch würde es unter demokratischen Gesichtspunkten keinen Unterschied machen, ob das Parlament durch vorherige Ermächtigung der Exekutive oder durch eine nachträgliche Beteiligung am Erlaß von Rechtsverordnungen entscheiden würde. 69 Unter dem von der herrschenden Meinung herangezogenen Aspekten des Demokratieprinzips läßt sich daher die Notwendigkeit einer parlamentsgesetzlichen Regelung und damit die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nicht überzeugend begründen. 1.2 Das Rechtsstaatsprinzip 1.2.1 Die herrschende Auffassung

Stellt das Demokratieprinzip in den Vordergrund die Frage, wer entscheidet, so geht es dem Rechtsstaatsprinzip darum, wie entschieden wird. Fragt offenbart sich hier eine Lücke im System des Gesetzesvorrangs oder aber die Unmittelbarkeit der demokratischen Legitimation kann nicht so ausschlaggebend sein wie von der herrschenden Meinung angenommen. 68 Ähnlich Schwan (Fn. 38), 1971, 54. 69 Vgl. Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechts Verordnungen, 1980, 47 f. Selbst wenn die behauptete demokratische Präponderanz der Legislative bestünde, wäre daraus allenfalls ein Ermächtigungsvorbehalt, nicht aber ein Parlamentsvorbehalt zu folgern; vgl. Schwan (Fn. 38), 1971, 52.

176

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

das Demokratieprinzip nach dem entscheidungsbefugten Organ, so richtet das Rechtsstaatsprinzip den Blick auf die zu wählende Handlungsform. 70 Da sich Rechtsprechung und Literatur auch auf das Rechtsstaatsprinzip eher formelhaft berufen, muß auch hier auf den herkömmlichen Bedeutungsinhalt des Rechtsstaatsprinzips zurückgegriffen werden. Für die Begründung eines Parlamentsvorbehalts sind naturgemäß nicht alle Facetten des Rechtsstaatsprinzips von Bedeutung. So können hier insbesondere die strukturellen, institutionellen und prozessualen Aspekte des Rechtsstaatsprinzips vernachlässigt werden. 71 I n unserem Zusammenhang wird vielmehr auf die kompetenzrechtlichen Aspekte des Rechtsstaatsprinzips abzustellen sein, aus denen sich die Annahme eines Parlamentsvorbehalts im Sinne eines partiellen Delegationsverbots und eines verstärkten Bestimmtheitsgebots begründen lassen könnte. 72 Wie die demokratische hat auch die rechtsstaatliche Komponente des Vorbehaltsprinzips eine lange Tradition, die bis in die Anfange des Konstitutionalismus zurückreicht. 73 Die kompetentielle, auf das förmliche Gesetz als notwendige Grundlage exekutiven Handelns verweisende Funktion des Rechtsstaatsprinzips wird seit jeher darin gesehen, durch vorherige, abstrakte und generelle Festlegung staatlichen Handelns vor allem eine Bindung der Exekutive herbeizuführen, soweit diese als vollziehende Gewalt die Rechtssphäre des Bürgers betreffende Maßnahmen ergreift. Wurde das Gebot gesetzlicher Grundlagen zunächst auf Eingriffe in die Grundrechtssphäre beschränkt, so gilt das Gebot der Rechtsförmigkeit staatlicher Maßnahmen heute ohne Unterscheidung zwischen Eingriffen und Leistungen. 74 Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet über das Vorbehaltsprinzip die gleichmäßige und rechtsförmige Entscheidung sowohl bei staatlichen Eingriffen als auch bei Leistungen und Begünstigungen. Rechtsstaats- und Vorbehaltsprinzip dienen so der Gewährleistung und dem Schutz persönlicher und politischer Freiheit. 75 M i t dem Gebot gesetzlicher Grundlagen und rechtsförmiger Entscheidungen verbinden sich Gesichtspunkte wie Allgemeinheit, Gleichheit, Rechtssicherheit, Verläßlichkeit, Übersichtlichkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit für den Bürger. 76 Für den Fall gesetzlicher Verordnungsermächtigungen fordert das BVerfG, der Bürger müsse voraussehen können, in welchen Fällen und mit welcher 70

Vgl. dazu Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (713). Zur kategorialen Aufgliederung des Rechtsstaatsprinzips vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984,783 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V I I ; Hesse (Fn. 24), 1984, § 6. 72 Die Vernachlässigung der kompetenzrechtlichen Aspekte des Rechtsstaatsprinzips wird deutlich in den Kategorisierungen von Zacher (Freiheitliche Demokratie, 1969,57 ff.) und Stern (Staatsrecht, Bd. I, 1984, 783 f.). 73 Vgl. dazu oben Kap. I I 2. Den historischen Aspekt vernachlässigen diejenigen Stimmen in der Literatur, die die Ansicht vertreten, erst „im Zeichen des demokratischen Rechtsstaates des Grundgesetzes" übernehmen der Gesetzesvorbehalt eine demokratisch-rechtsstaatliche Funktion (so zum Beispiel Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 1981, 109). 71

74

Vgl. etwa BVerfGE 47,46 (79); 41, 251 (259 f.). Umbach (Fn. 38), 1984, 111 ff. (114). Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 774; Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 204 ff. 76 BVerfGE 34, 52 (59); Rengeling, N J W 1978, 2217 ff. (2218); Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (712); Kisker (Fn. 69), 1980,50. 75

1.2 Rechtsstaatsprinzip

177

Tendenz von ihr Gebrauch gemacht wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Regelungen haben können. 77 Die Vorhersehbarkeit wird auch im Hinblick darauf gefordert, daß das Verwaltungshandeln anhand der spezifischen gesetzlichen Ermächtigungen meßbar und kontrollierbar sein muß. Dem Rechtsstaatsprinzip wird darüber hinaus (in Verbindung mit dem Demokratieprinzip) entnommen, das Parlament als Legislative besitze die verfassungsrechtliche Aufgabe, die Tätigkeit der vollziehenden Gewalt inhaltlich zu normieren. 78 Das Rechtsstaatsprinzip zielt damit auf die Steuerung, Bindung und Kontrolle der Außenrecht setzenden vollziehenden Gewalt. 7 9 Wegen seiner engen Beziehung zur Rechtsstaatsidee wird der Vorbehalt des Gesetzes - im Sinne der (positiven) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 80 traditionell als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips angesehen und die Frage nach der sedes materiae mit Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 G G beantwortet. 81 Über das Gebot gesetzlicher Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten hinaus enthält das Rechtsstaatsprinzip nach herrschender Auffassung ein Bestimmtheitsgebot, welches eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte und begrenzte Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten verlangt. 82 Das Bestimmtheitsgebot will verhindern, daß der Gesetzgeber sich vager Generalklauseln bedient, die es dem Ermessen der Exekutive überlassen, die Grenzen der Freiheit im einzelnen zu bestimmen. Nicht die rechtsanwendende Exekutive soll entscheiden können, wieweit sie im Grundrechtsbereich Eingriffe vornehmen und Begünstigungen verteilen darf. Bei ihrer ausführenden Tätigkeit soll sie vielmehr an die mit hinreichender Bestimmtheit erlassenen Gesetze gebunden sein. Die zentrale Funktion des Rechtsstaatsprinzips besteht nach alledem in seiner grundrechtsschützenden und grundrechtsgewährleistenden Bedeutung. Die Rechtsprechung hat demgemäß hervorgehoben, der Parlamentsvorbehalt gelte insbesondere für die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechts-

77 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 1,14 ff. (60); 38,61 (83); 34,52 (60); kritisch dazu Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1970, 92 f. 78 BVerwGE 47, 194 (200); BVerfGE 33, 125 (158 f.); 34, 52 (59 f.). 79 Vgl. Kisker (Fn. 69), 1980, 49; Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (713). Im Gegensatz zum absoluten Staat, dessen Verwaltung eine ausschließlich durch Zweckmäßigkeitsrücksichten geprägte Tätigkeit darstellte, sorgt das Rechtsstaatsprinzip dafür, daß die Verwaltung nunmehr durch Rechtssätze in ihrem Handeln gebunden wird (vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 771). 80 Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 805. 81 Vgl. für die herrschende Meinung Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,805; zur rechtsstaatlichen Ableitung des Gesetzesvorbehalts auch Seifert/Hörmig, Grundgesetz, 1982, Art. 20 Rdn. 9; Wagner/Nobbe, NJW 1978, 1028 ff. (1030 ff.); Rengeling, NJW 1978, 2217 ff. (2218); a.A. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 Anm. V Rdn. 90 ff.; Art. 20 Anm. V I Rdn. 76 ff., 79 sowie Art. 20 Anm. V I I Rdn. 30 ff., der den Vorbehalt des Gesetzes als einen Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts ansieht. Vgl. auch Löhning (Fn. 23), 1974,181 m.w.N. 82 BVerfGE 8, 274 (325); 56, 1 (12 ff.); Niehues, Schul- und Prüfungsrecht (Fn. 39), 1983, Rdn. 65.

178

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

Sphäre im Bereich der Grundrechtsausübung. 83 Zwar bindet Art. 1 Abs. 3 G G auch die Rechtsprechung und, anders als unter der Weimarer Verfassung, den Gesetzgeber an die Grundrechte, 84 doch ist unter Vorbehaltsgesichtspunkten allein die Bindung der vollziehenden Gewalt an die Grundrechte von Bedeutung. Nach richtiger Auffassung ist Art. 1 Abs. 3 G G in diesem Zusammenhang funktional zu verstehen; 85 der Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen fallt daher unter den Begriff der Gesetzgebung. Das rechtsstaatliche Moment des Vorbehaltsprinzips zielt also in erster Linie auf eine Bindung der gesetzesvollziehenden Verwaltung, soweit sie im Außenverhältnis zum Bürger in der Regel durch den Erlaß von Verwaltungsakten tätig wird. 8 6 Für den Verordnungsgeber dagegen ergibt sich die (rechtsstaatliche) Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung aus Art. 80 Abs. 1 G G . 8 7 Als entscheidende Frage erweist sich nach alledem, ob die genannten rechtsstaatlichen Gesichtspunkte die Annahme eines Parlamentsvorbehalts verstanden im Sinne eines partiellen Delegationsverbots und eines verstärkten Bestimmtheitsgebots - verfassungsrechtlich zu begründen vermögen. 1.2.2 Einwände gegen die herrschende Meinung

Eine Beschränkung der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers wäre aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten dann geboten, wenn die dargelegten vom Rechtsstaatsprinzip geforderten Garantien nur durch formell-gesetzliche Regelungen gewährleistet werden könnten. 83

BVerfGE 47, 46 (78). Zum grundlegenden Wandel gegenüber der Weimarer Zeit vgl. Dürig in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Gründgesetz, 1958, Art. 1 Abs. 3 Rdn. 104; von Münch, Rdn. 51 zu Art. 1, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981. Prägnant die Formulierung von H. Krüger (Grundgesetz und Kartellgesetzgebung, 1950, 12): Früher Grundrechte nur im Rahmen der Gesetze, heute Gesetze nur im Rahmen der Grundrechte. 85 Art. 1 Abs. 3 G G nennt Funktionen, nicht Organe, vgl. dazu Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht und Rechtsverordnungen, 1981, 288; unzutreffend Dürig, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1958, Art. 1 Abs. 3 Rdn. 101; ähnlich Jesch (Fn. 8), 1961, 93. Parlamentsbeschlüsse, die sich nicht auf den Erlaß von Gesetzen beziehen (zum Beispiel die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten), oder Wahlakte im Rahmen der Kreationsfunktion des Parlaments (zum Beispiel Wahl des Regierungschefs) können nicht als Gesetzgebung im funktionalen Sinne angesehen werden. 86 Auf den Erlaß abstrakt-genereller Verwaltungsvorschriften bezieht sich der Vorbehalt schon deshalb nicht, weil Verwaltungsvorschriften im Außenverhältnis zum Bürger ohne unmittelbare Wirkung und daher auch nicht für die Gerichte verbindlich sind. Eine Selbstbindung der Verwaltung ergibt sich nicht kraft der Verwaltungsvorschriften, sondern entstehe erst durch das gleichmäßige Verwaltungshandeln der Exekutive, und zwar unabhängig davon, ob es auf Verwaltungsvorschriften beruht oder nicht. 87 Würde sich die Bindung des Verordnungsgebers und die Notwendigkeit gesetzlicher Ermächtigungen aus dem (rechtsstaatlichen) Vorbehaltsprinzip ergeben, so wäre Art. 80 Abs. 1 G G überflüssig, da das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Verbindung mit dem Gebot der Normklarheit ausreichen würde. Auch der Vorrang des Gesetzes im Verhältnis Gesetzgeber Verordnungsgeber folgt funktional verstanden nicht aus Art. 20 Abs. 3 G G , sondern aus Art. 80 Abs. 1 G G . Im Verhältnis Gesetzgeber - Satzungsgeber, für das Art. 80 G G nicht anwendbar ist (vgl. BVerfGE 33,125,157 f.), folgt die Notwendigkeit gesetzlicher Ermächtigungen einerseits aus Spezialbestimmungen der Verfassung (Art. 28 Abs. 2 G G ) , andererseits aus der Tatsache, daß das Grundgesetz autonome Körperschaften nicht verfassungsunmittelbar zur Rechtsetzung ermächtigt und es deshalb eines Delegationsaktes des Gesetzgebers bedarf. 84

1.2 Rechtsstaatsprinzip (1) Rechtsförmigkeit

untergesetzlicher

179

Rechtsnormen

Demgegenüber ist festzustellen, daß auch Rechtsverordnungen und Satzungen in gleicher Weise wie förmliche Gesetze die Allgemeinheit der Regelung, die Gleichheit der Rechtsanwendung, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, Bindung und Berechenbarkeit, kurz: die Rechtsförmigkeit des Verwaltungshandelns gewährleisten. 88 Zwar erfolgt die unmittelbare Bindung der vollziehenden Gewalt bei einem Tätigwerden aufgrund von Rechtsverordnungen und Satzungen durch die Exekutive selbst, so daß es sich anders als bei parlamentsbeschlossenen Gesetzen streng genommen nicht um eine Außenbindung, sondern um eine Selbstbindung der Exekutive handelt. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß der Gesetzgeber über die gesetzliche Ermächtigung einen erheblichen steuernden Einfluß auf den Inhalt untergesetzlicher Rechtsetzung besitzt. Aus der Sicht des Bürgers ist es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten von nachrangiger Bedeutung, welches Staatsorgan in welcher Rechtsform die Bindung staatlichen Handelns festlegt, zumal auch durch Rechtsverordnungen und Satzungen subjektive Rechte begründet werden können und die Justitiabilität nicht geschmälert wird. 8 9 (2) Vorhersehbarkeit

aufgrund der Ermächtigung?

Allerdings fordert das BVerfG bei Verordnungsermächtigungen, daß die Vorhersehbarkeit bereits aufgrund der gesetzlichen Verordnungsermächtigung gegeben sein muß. Eine Vorhersehbarkeit aufgrund der zu erlassenden Rechtsverordnung wird nicht für ausreichend gehalten. 90 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob rechtsstaatliche Gesichtspunkte eine Vorhersehbarkeit bereits aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung verlangen. Zwar steht außer Frage, daß das Rechtsstaatsprinzip, möglicherweise auch Art. 2 Abs. 1 G G , 9 1 eine Kalkulierbarkeit der Rechtsordnung für den Bürger fordern, damit dieser weiß, wozu er verpflichtet und berechtigt ist und er sein Verhalten danach einrichten kann. Plötzliche Änderungen des Verwaltungshandelns sollen vermieden werden und nur bei einer Änderung der Rechtsgrundlage zulässig sein, wobei rückwirkende Vorschriften nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind und sonstige Änderungen mit Hilfe von Übergangsvorschriften für die Betroffenen zumutbar gehalten werden müssen. Nicht ersichtlich ist jedoch, weshalb bei Rechtsverordnungen andere, das heißt strengere Maßstäbe anzulegen sein sollen als bei formellen Gesetzen. Soweit die Rechte und Pflichten des Bürgers und die Handlungsbefugnisse der Verwaltung erst in der Rechtsverordnung festgelegt werden sollen, erscheint es aus der Sicht des Bürgers unter dem Gesichtspunkt der Kalkulierbarkeit als völlig ausreichend, wenn aus der Rechtsverordnung hervorgeht, mit welchen Befugnissen die 88 Vgl. Pietzcker,JuS 1979,710ff.(714);Kisker(Fn.69), 1980,51. Herzogen:Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 V I Rdn. 59; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (488). 89 Die Justitiabilität kann unter Umständen gegenüber Rechtsverordnungen sogar eher gewährleistet sein; man denke nur an § 47 VwGO. 90 BVerfGE 23, 62 (72 f.); 34, 52 (60); weitere Nachweise bei Hasskarl, AöR 94 (1969), 85 ff. (87 ff.). 91 Vgl. hierzu und zum folgenden Kisker (Fn. 69), 1980, 50 f.

180

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

Verwaltung dem Bürger gegenüber ausgestattet ist. Auch bei Parlamentsgesetzen, die einen speziellen Verfassungsauftrag ausführen oder sonstige Konkretisierungsermächtigungen der Verfassung wahrnehmen, würde niemand unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine Vorhersehbarkeit für den Bürger bereits aufgrund der Verfassung fordern. Das Rechtsstaatsprinzip fordert allein die Kalkulierbarkeit aufgrund der unmittelbar für den Bürger geltenden Vorschriften, unabhängig davon, ob es sich um formelle Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen handelt. Zweifellos läßt sich auch aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entnehmen, daß die gesetzliche Verordnungsermächtigung dafür zu sorgen hat, daß der Inhalt der auf ihrer Grundlage ergangenen Rechtsverordnungen einigermaßen vorhersehbar ist. 9 2 Dieses Gebot besteht jedoch nicht aus rechtsstaatlichen Gründen zum Schutz des Bürgers, sondern aus Gründen einer funktionsgerechten Kompetenzverteilung im Verhältnis Legislative - Exekutive. Verordnungsgebung ist eben keine vollziehende Tätigkeit, sondern funktional Gesetzgebung. Dem Schüler nützt es wenig, wenn er weiß, daß der Kultusminister beispielsweise eine Abiturordnung oder eine Versetzungsordnung erlassen darf, so lange er nicht den genauen Inhalt dieser Ordnung kennt und dadurch feststellen kann, welche Leistungen er mindestens erbringen muß. 9 3 Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen haben daher nicht den Sinn, Vorhersehbarkeit für den Bürger zu gewährleisten, sondern für eine hinreichende vorherige Steuerung des Verordnungsgebers durch den Gesetzgeber und die Ermöglichung einer nachträglichen Kontrolle, ob der Verordnungsgeber sich in den gesetzlich gesteckten Grenzen gehalten hat, zu sorgen. 94 (3) Unterscheidung zwischen offenen und verdeckten Ermächtigungen

Anderes gilt freilich für die sogenannten verdeckten Ermächtigungen, 95 durch die die Verwaltung zum unmittelbaren Gesetzesvollzug ohne Zwischenschaltung weiterer Rechtssätze ermächtigt wird. Hier entfaltet das rechtsstaatliche Gebot der Vorhersehbarkeit unmittelbar Wirkungen im Verhältnis zum Bürger. Darf die Verwaltung unmittelbar aufgrund des formellen Gesetzes tätig werden und verwendet das Gesetz dabei unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln oder Ermessenstatbestände, so fordert das rechtsstaatliche Gebot der Berechenbarkeit eine hinreichende Bestimmtheit oder zumindest Bestimmbarkeit dessen, wozu die Exekutive ermächtigt werden soll. 9 6 92 Vgl. BVerfGE 1,14 ff. (60), und st. Rspr. (zum Beispiel BVerfGE 38,61,83); Bryde, Rdn. 20 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 93 Vgl. Hansen (Fn. 77), 1970,92 f., der mit verschiedenen anderen Beispielen überzeugend die Nutzlosigkeit einer Vorhersehbarkeit für den Bürger bei gesetzlichen Verordnungsermächtigungen darlegt. 94 Im Ergebnis wie hier: Hansen (Fn. 77), 1970,92 f.; Kisker (Fn. 69), 1980,50 f.; Pietzcker, JuS 1979, 710 ff. (714). 95 Vgl. Kap. I 3.2.3. 96 Die hinreichende Bestimmtheit kann sich unter Umständen auch aus einer gefestigten Rechtsprechung zu unbestimmten Gesetzesbegriffen oder generalklauselartig formulierten Ermächtigungsgrundlagen ergeben (vgl. zum Beispiel die Diskussion um die polizeirechtliche Generalklausel).

1.2 Rechtsstaatsprinzip

181

(4) Folgerungen

Aus alledem folgt, daß sich aus den genannten rechtsstaatlichen Gewährleistungen keine Schranken der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers gegenüber dem Verordnungs- und Satzungsgeber (also im Verhältnis zur untergesetzlichen Rechtsetzung) ergeben, während bei verdeckten Ermächtigungen zum unmittelbaren Verwaltungsvollzug rechtsstaatliche Aspekte eine hinreichende Bestimmtheit der formell-gesetzlichen Ermächtigung fordern. Für die Rechtsetzungsdelegation lassen sich Schranken der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht überzeugend begründen, da den Hauptanliegen des Rechtsstaatsprinzips auch durch Rechtsverordnungen und Satzungen Genüge getan wird. Die rechtsstaatlichen Garantiefunktionen vermögen zwar die Geltung des traditionellen delegationsfreundlichen Vorbehalts des Gesetzes (Rechtssatzvorbehalt), der förmliches Gesetz und Rechtsverordnung vorbehaltsrechtlich als Einheit begreift, plausibel zu erklären und ein Tätigwerden der Verwaltung allein aufgrund von Verwaltungsvorschriften zu verbieten, geben jedoch keine Antwort auf die Frage, weshalb rechtsstaatliche Aspekte zwingend Regelungen durch förmliches Gesetz erfordern und weshalb nicht Rechtsverordnungen oder Satzungen ausreichend sein sollten. Die erwähnten rechtsstaatlichen Garantien erfordern nach alledem keine kompetentielle Abgrenzung zwischen förmlichem Gesetz einerseits und Rechts Verordnungen und Satzungen andererseits. Ganz im Gegenteil wird deutlich, weshalb Gesetz und Rechts Verordnung nach der traditionellen Vorbehaltslehre als Einheit begriffen wurden: Beide gewährleisten in gleicher Weise all das, was mit der rechtsstaatlichen Komponente des Vorbehaltsprinzips intendiert war. Wenn aber das Rechtsstaatsprinzip die vorbehaltsrechtliche Einheit von förmlichem Gesetz und Rechtsverordnung einsichtig macht, dann ist mit rechtsstaatlichen Erwägungen eine kompetentielle Differenz zwischen Gesetz und Rechtsverordnung nicht zu begründen. (5) Mögliche Erklärungen für den Rückgriff

auf das Rechtsstaatsprinzip

Stellt man sich die Frage, weshalb die herrschende Meinung gleichwohl zur Begründung eines Parlamentsvorbehalts auf das Rechtsstaatsprinzip rekurriert, so sind drei Erklärungen naheliegend. Zum einen hat die herrschende Meinung die - zutreffende - verfassungsrechtliche Begründung des herkömmlichen, als Rechtssatzvorbehalt verstandenen Vorbehalts des Gesetzes aus dem Rechtsstaatsprinzip ohne weiteres auf den Parlamentsvorbehalt übertragen, ohne den oben beschriebenen Funktionswandel des Vorbehaltsprinzips hinreichend zu bedenken. 97 Zum zweiten erklärt sich die rechtsstaatlich orientierte Argumentationsweise daraus, daß der Parlaments vorbehält zunächst zum Schulrecht und damit zu einem Rechtsgebiet entwickelt wurde, in welchem bis in die siebziger Jahre hinein ein erhebliches rechtsstaatliches Defizit und ein dementspre97

Zum Funktionswandel des Vorbehaltsprinzips vgl. oben Kap. I V 6.2.

182

V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

chendes Nachholbedürfnis bestand und zum Teil noch heute weiterbesteht. 98 Noch in den sechziger Jahren konzentrierten sich die Bemühungen vor allem darauf, für das traditionell als besonderes Gewaltverhältnis begriffene Schulverhältnis zunächst überhaupt die Notwendigkeit gesetzlicher Grundlagen, Regelungen und Ermächtigungen und damit die Geltung des einfachen Rechtssatzvorbehaltes zu begründen. Für diese Argumentation bot sich das Rechtsstaatsprinzip geradezu an. Die Problematik einer Begrenzung der gesetzgeberischen Delegationsbefugnis wurde dabei kaum erkannt; 99 weshalb hätte auch der zweite Schritt vor dem ersten getan werden sollen? Die rechtsstaatliche Argumentation der sechziger Jahre wurde dann bruchlos auf die Begründung des Parlamentsvorbehalts übertragen, ohne zu bedenken, daß zwischen der Forderung nach gesetzlichen Grundlagen des Schulwesens und einer Beschränkung parlamentarischer Delegationsbefugnisse (Parlamentsvorbehalt) streng unterschieden werden muß. Schließlich liegt drittens der Begründung aus dem Rechtsstaatsprinzip unausgesprochen die nur historisch zu erklärende Vorstellung zugrunde, daß der parlamentarische Gesetzgeber ohne weiteres als Garant rechtsstaatlicher Grundsätze angesehen wird, so daß sich der Gesetzgeber als Anwalt rechtsstaatlicher Prinzipien und bürgerlicher Freiheit darstellt. 100 Bei diesem Gedankengang wird jedoch weder der nach dem Ende des Kaiserreichs eingetretene Strukturwandel der Verfassung von der Gewaltenteilung zur Funktionentrennung hinreichend gewürdigt noch die Tatsache beachtet, daß das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 3 G G auch den Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden und ihm durch Art. 79 Abs. 3 eine Änderung oder Aufhebung des Rechtsstaatsprinzips untersagt hat. Hierdurch hat das Grundgesetz zu erkennen gegeben, daß es im Hinblick auf die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip durchaus ein Schutzbedürfnis auch gegenüber dem Gesetzgeber für gegeben erachtet. 1.3 Methodische Grenzen einer Deduktion aus allgemeinen Verfassungsprinzipien Sowohl am Beispiel des Demokratieprinzips 101 als auch des Rechtsstaatsprinzips erweisen sich die Grenzen der traditionellen Methode, Funktionen und Kompetenzen der Staatsorgane unmittelbar aus allgemeinen Verfassungsprinzipien zu deduzieren. 102 Ohne die zentrale Bedeutung grundlegender 98 Vgl. dazu Stock, RdJB 1978,4; aus der älteren Literatur vgl. insbesondere Wimmer, DVBl. 1966, 846 ff. 99 Vgl. Evers und Fuß, V V D S t R L 23 (1966), 147 ff., 199 ff. sowie die Diskussionsbeiträge, 249 ff. 100 Ähnlich Pietzner, JA 1973, 339 ff. (341). 101 Vgl. dazu bereits oben Fn. 66. 102 Vgl. dazu G. Müller (Fn. 18), 1979, 1; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, 106, der unmittelbare Deduktionen aus grundlegenden Verfassungsprinzipien für vorschnell und rational nicht überzeugend hält. Ebenso Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, 52 ff., 62 ff.; Ders., D Ö V 1973, 289 ff. (290); Erichsen, VerwArch 69 (1978), 387 ff. (394); Ders., Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, 3. Aufl., 1982, 90. Vgl. dazu auch oben Fn. 73.

1.3 Methodische Grenzen allgemeiner Verfassungsprinzipien

183

Verfassungsprinzipien (wie Rechtsstaats-, Demokratie-, Sozialstaats-, Bundesstaats- und Gewaltenteilungsprinzip) und deren normative Substanz prinzipiell in Frage stellen zu wollen, 1 0 3 sind sie doch von ihrer Struktur her nur begrenzt geeignet, bei der Lösung schwieriger kompetentieller Einzelprobleme weiterzuhelfen. Sicher sind auch die grundlegenden Verfassungsprinzipien im Wege der Auslegung bis zu einem gewissen Grad konkretisierbar, so daß ihr unbestrittener Kerngehalt normativ gedeutet werden kann. Dazu bedarf es jedoch durchweg weiterer konkretisierender und substantiierender Zwischenfiguren und sinnvermittelnder Zwischensätze, um für den Anwendenden griffig und anwendungsbereit zu sein. 104 Auch wenn man nicht so weit gehen will und die genannten Verfassungsprinzipien als „Leerformeln" und „Begriffshülsen" 105 abqualifizieren will, so ist doch offenkundig, daß sie einer äußerst weiten Interpretation zugänglich sind und sehr verschiedene, unter Umständen sogar widerstreitende Deutungen zulassen. 106 Die Folgerungen des BVerfG aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip sind durchaus ambivalent: Das Gericht entnimmt diesen Prinzipien Anhaltspunkte, die teils für, teils gegen einen Parlamentsvorbehalt sprechen. So betont es in bezug auf das Schulverhältnis die freiheitssichernde, rechtsstaatliche Funktion des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes, 107 hält es andererseits aber für zulässig, daß die Versetzung im Verordnungswege geregelt wird. 1 0 8 Das BVerfG hebt mehrfach die besondere demokratische Legitimation des Gesetzgebers hervor, 1 0 9 leitet daraus aber ausdrücklich keinen Vorrang des Parlaments im Sinne eines „alle konkreten Kompetenzordnungen überspielenden Auslegungsgrundsatzes" her, zumal auch die Exekutive demokratisch legitimiert sei. 110 Starck geht sogar so weit, den Vorwurf zu erheben, mit der Berufung auf solche allgemei103

Vgl. Löhning (Fn. 23), 1974, 164. Ossenbühl, D Ö V 1980, 545. Nach Auffassung von Denninger, Demokratieprinzip und Verfassung, 1977, 33 ff. (43), gibt das Demokratieprinzip verfassungsrechtlich nur äußerste Grenzen vor. 105 So Jesch (Fn. 8), 1961,66;Rupp(JZ 1977,227) weist daraufhin, daß einerseits die aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip entwickelten Gesichtspunkte und Argumente und andererseits der allgemeine und grundrechtliche Gesetzesvorbehalt in der Rspr. des BVerfG „einigermaßen ungesondert und schlagwortartig durcheinandergehen" und für die Begründung des Gesetzeserfordernisses und das Maß der gesetzlichen Regelungsdichte undifferenziert verwendet werden. 106 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 1959, Art. 20 Anm. I V Rdn. 68; Starck (Fn. 31), 1970,282; Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984,113 ff. (116 f.) m.w.N. Die Ambivalenz der Verfassungsprinzipien wird beispielsweise am Bundesstaatsprinzip deutlich (vgl. im gleichen Sinne Löhning (Fn. 23), 1974, 164, zum Demokratieprinzip): In der Vorbehaltsdiskussion wird es als Argument gegen die Vergesetzlichung im Schulwesen ins Feld geführt und ein „Föderalismus mit Zementfüßen" beschworen (vgl. Hans Maier, Essener Gespräche, Bd. 12, 1977,11 ff. (23)). Dem ist entgegenzuhalten, daß sich die schon vor mehr als 20 Jahren festgestellte Unitarisierung (Hesse, Der unitare Bundesstaat, 1962) seither noch verstärkt hat (Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bildungswesen, kooperativer Föderalismus unter Mitwirkung des Bundes). Dies hat zu einer massiven Präjudizierung der Landesparlamente in einem Kernbereich der Länderstaatlichkeit, dem Bildungswesen, geführt (BVerfGE 6, 309 ff.; Sailer, BayVBl. 1978,713 ff.). Das Bundesstaatsprinzip fordert daher eine Stärkung der Landtagskompetenzen. Insofern spricht das Bundesstaatsprinzip jedenfalls für den Bereich der Länderkompetenzen für eine verstärkte Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts. 107 BVerfGE 41, 251 (259). 108 BVerfGE 41, 251 (265 f.); 58, 257 (273 ff.). 109 BVerfGE 33, 125 (158); 40, 237 (249); 41, 251 (260). 1,0 BVerfGE 49, 89 (125 f.); zu alledem Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (488). 104

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V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

nen und erst im einzelnen ausfüllungsbedürftigen Grundsätze verlasse der Verfassungsinterpret die Grundlage jeder rechtsdogmatischen Arbeit und sein irrationaler Beitrag als Deuter werde übermächtig. 111 Angesichts der Maßstablosigkeit und Direktionsschwäche der fundamentalen verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien 112 besteht in der Tat die Gefahr, daß nicht der Verfassung eine normative Aussage entnommen wird, sondern die verfassungspolitische Meinung des Interpreten als geltendes Verfassungsrecht ausgegeben wird. 1 1 3 Jede Ableitung von Kompetenzen aus Verfassungsprinzipien läuft Gefahr, zugunsten einer präfabrizierten Vorstellung von Inhalt und Geltung gewisser Prinzipien, die von außen an die Verfassung herangetragen werden, die Zusammenhänge der konkret gegebenen Verfassungsstruktur zu vernachlässigen. 114 Daß die hier formulierte Skepsis gegenüber einer unmittelbaren Deduktion aus Verfassungsprinzipien nicht unbegründet ist, zeigt sich auch für unsere Fragestellung. Zweifellos ist der Vorbehalt des Gesetzes ein wesentliches Element (zumindest auch) des Rechtsstaatsprinzips. Dieses bietet aber selbst keine Maßstäbe zur Ermittlung der Reichweite des Vorbehaltsprinzips. Auch läßt sich im Wege der Subsumption unter dieses Verfassungsprinzip nicht ermitteln, ob und unter welchen Voraussetzungen der Vorbehalt im Sinne eines Rechtssatzvorbehalts oder im Sinne eines Parlamentsvorbehalts aufzufassen ist. Das Rechtsstaatsprinzip fordert nach allgemeiner Auffassung eine klare Kompetenzordnung und Funktionentrennung; es sagt aber selbst nichts darüber aus, wie diese Kompetenzordnung und Funktionentrennung im einzelnen auszusehen hat. 1 1 5 Damit soll keineswegs die strukturelle Beziehung der Delegationsproblematik zu den grundlegenden Verfassungsprinzipien geleugnet werden, nur läßt sie sich im Wege der Deduktion von Kompetenzen unmittelbar aus diesen Prinzipien nicht lösen. Wie wenig verläßlich Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Grundlage für die verfassungsrechtliche Begründung des Parlamentsvorbehalts sind, 111

Starck (Fn. 31), 1970, 282 f. Ossenbühl, D Ö V 1980,545; vgl. auch den methodisch sehr vorsichtigen Umgang mit dem Rechtsstaatsprinzip in BVerfGE 45,187 ff.; vgl. BVerfGE 7,89 (92 f.): Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit enthalte keine eindeutigen bestimmbaren Gebote oder Verbote von Verfassungsrang, sondern stelle einen Verfassungsgrundsatz dar, der der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten bedürfe, wobei allerdings fundamentale Elemente des Rechtsstaats und der Rechtsstaatlichkeit im ganzen gewahrt bleiben müssen. - Bleckmann ( D Ö V 1983, 129 ff., 132) sieht in der Tatsache, daß das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip nur sehr allgemeine Anhaltspunkte liefern, den Grund dafür, daß auf der Basis der Wesentlichkeitsrechtsprechung eine griffige Abgrenzungsformel für die Reichweite des Gesetzesvorbehalts bisher nicht gefunden worden ist; diese sei aber für Gesetzgeber und Verwaltung unbedingt erforderlich. Vgl. auch Bleckmann, D Ö V 1983, 129 ff. (132). 113 Starck (Fn. 31), 1970, 282 f.; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, 91; zuletzt Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken, 1981, 41 m.w.N. 114 Diese Gefahr birgt vor allem das Gewaltenteilungsprinzip, dessen reine Form im Sinne Montesquieus sich im geltenden deutschen Verfassungsrecht nicht wiederfindet, gleichwohl aber häufig „im Hinterkopf steckt" und zu Unrecht als Maßstab für die Lösung konkreter Kompetenzfragen herangezogen wird. Vgl. dazu auch Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, 1979, 24 f. 115 Vgl. Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 185. 112

2

staatsprinzip

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zeigt sich nicht zuletzt an den oben in Kapitel I V dargelegten unterschiedlichen Auffassungen von BVerfG und BVerwG: Obwohl beide Gerichte sich übereinstimmend auf dieselben verfassungsrechtlichen Begründungsansätze stützen, gelangen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen (einerseits Rechtssatzvorbehalt, andererseits Parlamentsvorbehalt) und keineswegs zu einer gemeinsamen „Wesentlichkeitstheorie". Nach alledem ist festzustellen, daß der von der herrschenden Meinung unternommene Versuch, die Geltung eines Parlamentsvorbehalts (mit den im vorangehenden Kapitel beschriebenen Konturen) auf der Grundlage des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips zu begründen, erheblichen Bedenken ausgesetzt ist, wobei sich die Einwände sowohl gegen das methodische Vorgehen als auch gegen die aus den genannten grundlegenden Verfassungsprinzipien im einzelnen abgeleiteten Schlußfolgerungen für die kompetenzrechtliche Zuordnung von Regelungsbefugnissen richten. M i t der Feststellung, daß die herrschende Meinung die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nicht in überzeugender Weise zu begründen vermögen, ist indes noch nicht gesagt, daß der Parlamentsvorbehalt abzulehnen ist. Bevor insoweit ein negativer Befund festgestellt werden kann, sind andere Begründungsmöglichkeiten zu prüfen. Zu diesem Zweck bietet sich an, zunächst weitere in Literatur und Rechtsprechung anklingende - sozusagen sekundäre - Begründungsansätze zu untersuchen.

2. Weitere (sekundäre) Begründungsansätze I m folgenden soll geprüft werden, ob das Sozialstaatsprinzip (dazu 2.1), das Gewaltenteilungsprinzip beziehungsweise die Staatsfunktionen und der Gesetzesbegriff (dazu 2.2), Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G (dazu 2.3), die Kompetenznormen der Art. 73 ff. G G (dazu 2.4) oder die Grundrechtsvorbehalte (dazu 2.5) taugliche Anknüpfungspunkte für die verfassungsrechtliche Begründung der Geltung eines Parlamentsvorbehalts aufweisen.

2.1 Sozialstaatsprinzip Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts aufgrund des Sozialstaatsprinzips wird in Rechtsprechung wie Literatur nur gelegentlich angesprochen. Dies geschieht eher beiläufig und meist als zusätzliche Begründung neben Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. 1 1 6 Eine eingehendere Begründung dafür, 116 Vgl. V G H Kassel, NJW 1977, 1856; O V G Berlin, DVB1. 1973, 273 (276); BayVerfGH, NJW 1982,1089 m.w.N.; Löhning (Fn. 23), 1974,170ff., 186; der im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip aber auch nur zu einem Rechtssatzvorbehalt gelangt („Die Ausgestaltung des Schulverhältnisses hat also unmittelbar durch Gesetz oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung zu erfolgen." S. 187); Riegel, Kommt dem besonderen Gewaltverhältnis ..., 1975, 64 ff. Beschlüsse des 51. D J T 1976, M 230; Niehues (Fn. 39), Rdn. 70; Ders., DVB1.1980,465 ff. (467); Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (119).

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V. Herkömmliche Begründung des Parlamentsvorbehalts

warum das Sozialstaatsprinzip die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nahelege, wird nur selten gegeben. 117 Abgesehen von den dargelegten Begründungen, die gegen die unmittelbare Ableitbarkeit von Kompetenzen aus allgemeinen Verfassungsprinzipien sprechen und die natürlich in gleicher Weise für das Sozialstaatsprinzip gelten, ist - trotz dieser Vorbehalte - zu fragen, ob das Sozialstaatsprinzip Anhaltspunkte für die Begründung des Parlamentsvorbehalts aufweist. Zwar mag es eine Reihe von Gründen geben, warum das Sozialstaatsprinzip im einzelnen eine gesetzliche Regelung gebietet. 118 I n aller Regel Wirdes hier aber nur um eine normative Regelung gehen, die auch in Form einer Rechtsverordnung dem jeweiligen Regelungsbedürfnis Rechnung trägt. I m Sinne des Sozialstaatsprinzips kann es unter Umständen sogar liegen, eine Entscheidungsbefugnis an die Exekutive zu delegieren, um den jeweiligen Umständen des Einzelfalls im Sinne sozialer Gerechtigkeit zu entsprechen. Während das Rechtsstaatsprinzip - insbesondere unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes - eher eine egalitäre Regelung gebieten kann, geht die Intention des Sozialstaatsprinzips dahin, Differenzierungen dort vorzunehmen oder zu ermöglichen, wo ungleiche soziale Bedingungen eine differenzierende Entscheidung gebieten. 119 Mag es auch aus diesen Erwägungen heraus zunächst so scheinen, als könne das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für ein Delegationsgebot herangezogen werden und daher eher gegen einen Parlamentsvorbehalt (im Sinne eines Delegationsverftöte) sprechen, so wäre diese Schlußfolgerung doch vorschnell. Der Parlamentsvorbehalt betrifft zunächst die Frage, auf welcher Regelungsebene die abstrakt-generellen Festlegungen für das Handeln der Exekutive zu treffen sind. Gilt statt des Parlamentsvorbehalts nur ein Rechtssatzvorbehalt, so bedeutet dies nicht notwendig, daß die Entscheidung zur Einzelfallentscheidung an die Verwaltung delegiert wird. Die Geltung eines Rechtssatzvorbehalts ermöglicht vielmehr eine vorherige abstrakt-generelle Regelung durch Rechtsverordnung. Dies bedeutet nun aber noch keineswegs, daß die durch Rechts Verordnung getroffene Regelung der Einzelfallgerechtigkeit stärker Rechnung trägt als eine parlamentsgesetzliche Regelung. Auch die Rechtsverordnung trifft eine abstrakt-generelle Regelung, die ihrerseits erst im Einzelfall konkretisiert werden muß. I m Sinne des Sozialstaatsprinzips kann es daher allein liegen, gegebenenfalls der rechtsanwendenden - nicht der durch Rechtsverordnung rechtsetzenden - Exekutive einen Entscheidungsspielraum einzuräumen. I m norma117 Vgl. zum Beispiel Löhning (Fn. 23), 1974,170 ff., 186. Nach Niehues (DVBl. 1980, 467), ergeben sich aus der sozialstaatlichen Komponente insoweit Anhaltspunkte für die „Wesentlichkeit", als es darum gehe, die Belange der Schwächeren in den Gemeinschaftskompromiß einzubringen. Niehues räumt selbst ein, daß diese Ansätze noch sehr abstrakt sind. 118 Zum Beispiel um Rechtsansprüche zu begründen, zur Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes usw. 119 Zum Beispiel BilligkeitsVorschriften, wie Ermächtigung zum Erlaß, Stundung, Minderung usw. bei Zahlungsverpflichtungen; Ermächtigungen zu Ausnahmen von der gesetzlichen Grundsatzregelung anknüpfend an soziale Gesichtspunkte; Härteklauseln.

2.2 Gewaltenteilung und Funktionentrennung

187

tiven Bereich, das heißt für das Verhältnis von Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung, vermag das Sozialstaatsprinzip dagegen keine Direktiven im Sinne eines Delegationsgebots zu geben. Hinsichtlich der gebotenen Regelungsebene erweist sich das Sozialstaatsprinzip als indifferent. Was die zweite Komponente des Parlamentsvorbehalts, die Frage der gebotenen Regelungsdichte angeht, so kann sich aus dem Bedürfnis nach Spielräumen der Exekutive im Sinne einzelfallgerechter Entscheidungen allerdings ein Gebot geringerer Regelungsdichte ergeben, welchem ein größerer Entscheidungsspielraum der gesetzesanwendenden Verwaltung entspricht. Dies darf jedoch nicht dazu führen, durch Verwendung vager Normen und unbestimmter Gesetzesbegriffe die Exekutive zur Ausführung dieser delegationsähnlich strukturierten Regelungen durch Verwaltungsvorschrift zu ermächtigen. Vielmehr muß das Gesetz auch in einem solchem Fall möglichst klar umschreiben, wie die gesetzgeberischen Leitentscheidungen zu konkretisieren sind und unter welchen Voraussetzungen die Exekutive im Einzelfall von der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers abweichen darf. I m Ergebnis läßt sich somit für beide Komponenten des Parlamentsvorbehalts (Regelungsebene wie Regelungsdichte) feststellen, daß das Sozialstaatsprinzip die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nicht zu begründen vermag, sondern im Gegenteil unter bestimmten Voraussetzungen eher für eine Zurücknahme der Anforderungen an die gesetzliche Regelungsdichte sprechen kann. 2.2 Gewaltenteilung und Funktionentrennung Das Gewaltenteilungsprinzip beziehungsweise die Funktionentrennung, 120 die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 G G verfassungskräftig festgelegt ist, gebietet in kompetenzrechtlicher Hinsicht die Zuordnung bestimmter Staatsfunktionen (Gesetzgebung, vollziehende Gewalt, Rechtsprechung) zu den entsprechenden Organen (Parlament, Regierung, Verwaltung, Gerichte). Die Verfassung schreibt damit institutionell wie kompetentiell die Aufteilung der vom Volk übertragenen Staatsgewalt auf verschiedene Organe vor. Die Verfassung trifft mit dieser Festlegung jedoch zunächst nur die Bestimmung, d a ß diese Funktionentrennung vorzunehmen ist, ohne im einzelnen Aussagen darüber zu treffen, w i e diese konkret umzusetzen ist. 1 2 1 Eine Konkretisierung der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Funktionentrennung ist in der Weise erfolgt, daß die entsprechenden Organe geschaffen werden. Ihnen sind die verschiedenen Funktionen wie zum Beispiel die der Gesetzgebung zuzuordnen. Könnte man angeben, was Gegenstand -oder genauer: was obligatorischer Gegenstand - der Gesetzgebung ist, könnte man auf diesem Wege zugleich den Umfang und die Reichweite des Parlamentsvorbehalts bestimmen. 120 Vgl. dazu Achterberg (Fn. 102), 1970, 109 ff.; Ders., D Ö V 1973, 289 ff. (290); Ellwein, Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung, 1983, 1093 ff. (1095 ff.). 121 Vgl. Schnapp, Rdn. 3 zu Art. 20, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981.

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Begründung des Parlamentsorbehalts

Die Staatsfunktion „Gesetzgebung" könnte möglicherweise durch den Begriff des „Gesetzes" näher definiert werden. Für die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 G G genannten klassischen Staatsfunktionen fehlt es indes nach wie vor an einer eindeutigen Abgrenzung. Die Verfassungen selbst nehmen keine Definitionen der Staatsfunktionen vor, sondern setzen diese voraus. 122 Teilweise wird sogar beklagt, die Abgrenzungsprobleme seien heute ungelöster denn j e . 1 2 3 Negativ-Definitionen der Staatsfunktionen - wie etwa die, Verwaltung sei diejenige Staatstätigkeit, die nicht Gesetzgebung oder Rechtsprechung ist 1 2 4 - würden nur dann weiterhelfen, wenn die Komplementärfunktionen präzise definiert wären. 125 Wenn schon der Inhalt von Verwaltung beziehungsweise vollziehender Gewalt nicht positiv definierbar erscheint, 126 so läßt sich die Funktion der Gesetzgebung jedenfalls nicht in Abgrenzung zu den beiden anderen klassischen Staatsfunktionen ermitteln, soll die Definition nicht rein formaler Natur und letztlich zirkelschlüssig bleiben. Positive Definitionen der Staatsfunktion „Gesetzgebung" stützen sich überwiegend auf eine begrifflich-formale Umschreibung. Danach ist Gesetzgebung der Erlaß von Anordnungen durch die gesetzgebenden Körperschaften im Verfahren der Gesetzgebung und der Form des Gesetzes.127 Korrespondierend hierzu wird „Gesetz" definiert als der vom Parlament in dem in der Verfassung vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren hervorgebrachte Hoheitsa k t . 1 2 8 Hierbei handelt es sich um deskriptive Definitionen, die zwar zutreffend beschreiben, was ein Gesetz und was Gesetzgebung ist, die aber keinerlei normative Sollensaussage darüber enthalten (oder auch nur ermöglichen), unter welchen Voraussetzungen der Weg der formellen Gesetzgebung zu beschreiten ist. Kompetenzrechtliche Zuweisungen lassen sich mithin aus der formellen Definition von Gesetz und Gesetzgebung nicht entnehmen. 129 Eine demgegenüber materielle Umschreibung der Gesetzgebungsfunktion ist ebenfalls nicht weiterführend, da eine solche nicht nur auf die Gesetze im 122

Vgl. Böckenförde (Fn. 8), 1981, 381 f. Vgl. Achterberg, D Ö V 1973,289 ff. (290 f.); Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht 1,1974, § 21; Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (548). 124 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 1895, 9 und 13; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 2 I a; Ossenbühl (Fn. 12), 1968, 187 m.w.N. 125 Selbst die scheinbar so eindeutige Staatsfunktion „Rechtsprechung" läßt bis heute Fragen offen. So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Tätigkeit des BVerfG im Normenkontrollverfahren funktional Rechtsprechung oder nicht eher Gesetzgebung ist. Entsprechendes muß für sonstige Normenkontrollverfahren vor den Landesverfassungsgerichten, aber auch nach § 47 V w G O gelten. Hier zeigt sich, daß Funktionenfragen nicht Begriffs-, sondern Kompetenzfragen sind (vgl. dazu Zimmer (Fn. 114), 1979,58 mit Hinweis auf Jellinek); ähnlich Achterberg, D O V 1973, 289 ff. (290). 126 Der positive Definitionsversuch von Wolff/Bachof (Verwaltungsrecht 1,1974, § 2 I I a 6) trägt kaum zur Klärung des Problems bei: „Verwaltung im materiellen Sinne kann mithin definiert werden als mannigfaltige, zweckbestimmte, i.d.R. organisierte fremdnützige und verantwortliche, nur teilplanende, selbstbeteiligt ausführende und gestaltende Wahrnehmung von Angelegenheiten, insbesondere durch Herstellung diesbezüglicher Entscheidungen." 127 Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 502 ff. 128 Achterberg, D Ö V 1973, 289 ff. (297). 129 Vgl. dazu Böckenförde (Fn. 8), 1981, 381 f., sowie oben Kap. I V 6.1. 123

2.3 Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG

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formellen Sinne, sondern auch auf andere abstrakt-generelle Regelungen zutrifft, die nicht im förmlichen Verfahren der Gesetzgebung erlassen worden sind. Gesetze im materiellen Sinne sind auch Rechtsverordnungen und Satzungen. 130 Da das „materielle Gesetz" für diese Regelungsform eine gemeinsame Klammer bildet, vermag dieser Begriff die in kompetenzrechtlicher Hinsicht notwendige Abgrenzung zwischen diesen Regelungsformen bereits begrifflich nicht zu leisten, geschweige denn die notwendige kompetenzrechtliche Abschichtung vorzunehmen. Auch der Versuch, über das Prinzip der Gewaltenteilung und Funktionentrennung unter Zuhilfenahme von Definitionen der Staatsfunktionen und des Gesetzesbegriffs den obligatorischen Bereich der Gesetzgebung zu bestimmen und damit die verfassungsrechtliche Grundlegung für die Geltung des Parlamentsvorbehalts zu liefern, ist daher zum Scheitern verurteilt. 131 Die Problematik, aus allgemeinen Verfassungsprinzipien konkrete kompetenzrechtliche Aussagen abzuleiten, 132 stellt sich auch für das „allgemeine und konturlose" Prinzip der Gewaltenteilung. 133

2.3 Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Möglicherweise läßt sich die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Sinne einer partiellen Selbstentscheidungspflicht (= Delegationsverbot) und eines verstärkten Bestimmtheitsgebots verfassungsunmittelbar aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G beziehungsweise den entsprechenden - überwiegend inhaltsgleichen - Bestimmungen der Landesverfassungen herleiten. Dies hätte unter anderem den Vorteil, sich nicht auf die vagen Aussagen allgemeiner Verfassungsprinzipien stützen zu müssen, sondern auf eine vergleichsweise konkrete verfassungsrechtliche Spezialbestimmung zurückgreifen zu können. Oben wurde jedoch bereits festgestellt, daß sich die Anwendungsbereiche von Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G zwar teilweise, nämlich bei der Frage der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsdichte berühren, sie aber insgesamt nicht deckungsgleich sind. Dies gilt vor allem für die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsebene.134 Eine Begründung des Parlamentsvorbehalts aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G muß daher von vornherein ausscheiden. 135 130

Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 502. So im Ergebnis auch Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (488 f.). 132 Vgl. oben 1.3. 133 Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 113 ff. 134 Vgl. oben Kap. I V 4.2.4 (2). 135 Das BVerfG hat allerdings schon in frühen Entscheidungen ähnliche Aussagen wie zum Parlamentsvorbehalt aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entwickelt (vgl. BVerfGE 1,14,59 f.; 2,307; 7, 282; 20, 257, 270 f.; 34, 52, 60). Ein Indiz dafür, daß das BVerfGE diese Anknüpfung selbst für nicht allein tragfähig erachtete, ergibt sich aus der Tatsache, daß in der Folgezeit zunehmend auf zusätzliche verfassungsrechtliche Prinzipien Bezug genommen wurde (wie Rechtsstaatsprinzip, Prinzip der Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, später Demokratieprinzip); vgl. dazu oben Fn. 3. 131

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Begründung des Parlamentsorbehalts

Denkbar wäre allenfalls, das vom Parlamentsvorbehalt umfaßte Gebot einer verstärkten Regelungsdichte aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G herzuleiten. Wenn sich - wie es das BVerfG ausgedrückt hat - das allgemeine Bestimmtheitsgebot mit dem Verfassungsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes berührt, 1 3 6 so scheinen sich hier Ansätze für eine - zumindest partielle - Begründung des Parlamentsvorbehalts auf der unmittelbaren verfassungsrechtlichen Basis des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G anzubieten. Andererseits wurde aber auch festgestellt, daß die Anwendungsbereiche des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und des Parlamentsvorbehalts selbst in der Frage der Regelungsdichte unterschiedlich sind. Während Art. 80 Abs. 1 Sat2 2 G G das Verhältnis von Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung regelt, greift der Parlamentsvorbehalt wesentlich weiter und erfaßt auch das Verhältnis des Parlamentsgesetzes zu den Satzungen, den Verwaltungsvorschriften, zum unbestimmten Gesetzesbegriff und zu den Ermessenstatbeständen, die gleichfalls als Delegationstatbestände identifiziert worden sind. 1 3 7 Wenn Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G somit eine Spezialregelung allein für das Verhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung enthält, so würde der Anwendungsbereich dieser Verfassungsnorm erheblich überstrapaziert, würde man ihn auf den gesamten Bereich des Verhältnisses von Parlamentsgesetz und untergesetzlicher Normsetzung sowie exekutivischer Normkonkretisierung anwenden. Eine Herleitung des Parlamentsvorbehalts aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G , die ohnehin von vornherein auf den vorbehaltsrechtlichen Teilaspekt der Regelungsdichte beschränkt bleiben müßte, würde praktisch zu einer analogen Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G insbesondere auf die Satzungsgebung, auf die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe und letztlich auf alle Formen gesetzgeberischer Normsetzungsdelegation führen. Damit würde der eindeutig auf das Verhältnis Gesetz - Rechtsverordnung beschränkte Anwendungsbereich des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G weit überschritten. M i t Recht hat daher die herrschende Meinung eine analoge Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G auf die Satzungsgebung abgelehnt. 138 Scheidet hinsichtlich der Frage nach der gebotenen Regelungsebene eine Begründung des Parlamentsvorbehalts aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G von vornherein aus, so gilt dies nach alledem auch für den zweiten Aspekt des Parlamentsvorbehalts, die Frage nach der notwendigen Regelungsdichte (Bestimmtheit). 2.4 Die Kompetenznormen der Art. 73 ff. GG 2.4.1 Bleckmann

Ausgehend von der auch hier vertretenen Auffassung, 139 daß weder das Demokratie- noch das Rechtsstaatsprinzip die Problematik des Parlaments136 137 138 139

BVerfGE 56, 1 (13). Vgl. oben Kap. I 3.2.3 und Kap. I V 4.2.2. Vgl. BVerfGE 33, 125 ff.; a.A. Niehues (Fn. 39), 1983, Rdn. 73. Siehe oben unter 1.

2.4 Die Kompetenznormen der Art. 73 ff. GG

191

Vorbehalts zu lösen vermögen, geht Bleckmann der Frage nach, ob sich für die Begründung des Parlamentsvorbehalts der Kompetenzkatalog der Art. 73 ff. G G anbieten könnte. 1 4 0 Dieser setze mit der Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund voraus, daß die in den Art. 73 ff. G G genannten Gegenstände grundsätzlich durch den Gesetzgeber zu regeln seien. Es bleibe allerdings offen, ob der Bundesgesetzgeber die dort genannten Materien nur regeln darf oder ob er sie (auch) regeln muß. Darüber hinaus ergebe sich aus anderen Bestimmungen des G G , daß nicht alle in dem Art. 73 ff. G G genannten Regelungsgegenstände durch den Gesetzgeber zu regeln seien. 141 Bleckmann gelangt zu der resümierenden Feststellung, der Zuständigkeitskatalog der Art. 73 ff. G G könne nicht beanspruchen, eine letztverbindliche Entscheidung über den Gesetzesvorbehalt zu verankern; er könne daher den allgemeinen Gesetzes vorbehält nicht ersetzen oder begründen. Der Katalog dürfe nur herangezogen werden, um Kriterien für die nähere Abgrenzung des anderweitig verankerten Gesetzgebungsvorbehalts zu liefern. 142

2.4.2 Unergiebigkeit

der Art. 73 ff. GG

Ob sich am Art. 77 ff. G G Begründungsansätze für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts oder auch nur zur Bestimmung seiner Reichweite entnehmen lassen, ist aus verschiedenen Gründen zu bezweifeln. (1) Horizontale Gewaltenteilung

Die verfassungsrechtliche Funktion der Art. 73 ff. G G liegt in der - horizontalen - Abschichtung von Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern durch Begründung von ausschließlichen und konkurrierenden Kompetenzen sowie von Rahmenkompetenzen des Bundes. Soweit dem Bund keine Gesetzgebungskompetenzen zugewiesen sind beziehungsweise er von diesen keinen Gebrauch macht, 1 4 3 kommt den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zu. Die Art. 73 ff. G G betreffen die sogenannte horizontale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern, nicht aber die vertikale Gewaltenteilung im Verhältnis Legislative und Exekutive. Letztere ist Gegenstand der verschiedenen Ausprägungen des Vorbehalts des Gesetzes (Parlamentsvorbehalt, Rechtssatzvorbehalt usw.). Die Kompetenznormen der Art. 73 ff. G G und die kompetentiellen Aussagen des Gesetzesvorbehalts beziehen sich somit auf ganz unterschiedliche Kompetenzebenen. Allein aus diesem Grund vermögen die (horizontalen) Kompetenznormen der Art. 73 ff. 140

D Ö V 1983, 129 ff. (132). Wie zum Beispiel die auswärtigen Angelegenheiten, Art. 59 Abs. 2 G G ; die wissenschaftliche Forschung, Art. 91 b GG. 142 D Ö V 1983, 129 ff. (132). 143 Art. 72 Abs. 1 GG. 141

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Begründung des Parlamentsorbehalts

G G nichts zur Lösung der (vertikalen) Kompetenzproblematik des Parlamentsvorbehalts beizutragen. 144 (2) Unanwendbarkeit für die Landesgesetzgebung

Als unbrauchbar erweist sich der Ansatz über Art. 73 ff. G G im gesamten Bereich der Gesetzgebungskompetenzen der Länder. Da diese nicht enumerativ aufgeführt sind, sondern der Generalzuweisung der Art. 70 G G unterfallen, finden die Art. 73 ff. G G für die Landesgesetzgebung keine Entsprechung. Würde man die Art. 73 ff. G G zur Begründung des Parlamentsvorbehalts heranziehen, so wären die gewonnen Aussagen auf das Bundesrecht zu beschränken. I m Ergebnis müßte man zwischen einem durch Art. 73 ff. G G begründeten und konkretisierten bundesrechtlichen und einem - auf diesem Weg nicht begründbaren - landesrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterscheiden. Der Sinn der Art. 73 ff. G G kann aber sicherlich nicht darin liegen, eine derartige dysfunktionale Differenzierung zu treffen. (3) Abschichtung innerhalb der Gesetzgebungsmaterien

Eine Begründung des Parlamentsvorbehalts auf der Grundlage der Art. 73 ff. G G könnte schließlich nur dazu führen, gesamte Regelungsgebiete dem parlamentarischen Gesetzgeber zuzuweisen, 145 da die Nennung von Regelungsgegenständen keinerlei Kriterien bereitstellt, um zwischen den delegierbaren und nicht delegierbaren Kompetenzen zu unterschieden. 146 Konsequenterweise müßte die Stützung des Parlamentsvorbehalts auf die Art. 73 ff. G G zu einem totalen Parlamentsvorbehalt mit absolutem Delegationsverbot für alle dort genannten Regelungsgegenstände führen, da sie sämtlich vom parlamentarischen Gesetzgeber abschließend im Gesetz zu regeln wären. Alle zu den Regelungsgegenständen der Art. 73 ff. G G ergangenen Rechtsverordnungen wären als verfassungswidrig anzusehen. 147 Ein solches Ergebnis aber wäre bereits mit Art. 80 G G unvereinbar, da dieser die grundsätzliche Delegationsbefugnis des Gesetzgebers voraussetzt. Ein auf alle Regelungsgegenstände der Art. 73 ff. G G ausgedehntes vollständiges Delegationsverbot ist daher abzulehnen. 144 Dies wird bereits anhand der von Bleckmann genannten Auswärtigen Gewalt sehr deutlich: diese ist als ausschließliche Kompetenz c em Bund zugewiesen, ohne daß diese Kompetenz nur im Wege der Gesetzgebung wahrgenommen werden könnte. - Vgl. auch das Sondervotum der Richter Mahrenholz und Böckenförde zum Urteil des BVerfG vom 24.4.1985 über die Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung (NJW 1985,1528). Dort wird daraufhingewiesen, daß die bundesstaatlichen Kompetenzvorschriften (nur) den Sinn haben, die Handlungsbereiche von Bund und Ländern gegeneinander abzugrenzen. Das Sondervotum warnt vor einer Überinterpretation von bloßen Kompetenznormen (im Sinne materiell-rechtlicher Handlungsaufträge, -geböte oder sonstiger „Wert"-Entscheidungen, die anderweitig in der Verfassung festgelegte Modalitäten oder Begrenzungen staatlichen Handelns wieder aufheben oder einschränken). 145 Wie zum Beispiel das öffentliche Dienstrecht des Bundes (Art. 73 Nr. 8 GG), der Straßenverkehr (Art. 74 Nr. 22 GG). 146 Bleckmann, D Ö V 1983, 129 ff. (132), vermag denn auch nicht anzugeben, wie aus dem Kompetenzkatalog der Art. 73 ff. G G Abgrenzungskriterien gewonnen werden könnten. 147 Wie zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung, die Nebentätigkeitsverordnung, um nur einige wenige zu nennen. Kritisch zur Auffassung Bleckmanns auch Menzel, D Ö V 1983, 805, sowie dazu das Schlußwort Bleckmanns, D Ö V 1983, 808.

2.5 Grundrechtsvorbehalte

193

2.5 Grundrechtsvorbehalte Ähnlich wie Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G oder die Art. 73 ff. G G könnten auch die Grundrechtsvorbehalte als spezielle Verfassungsbestimmungen möglicherweise eine im Vergleich zu den allgemeinen Verfassungsgrundsätzen konkretere Grundlage für die Begründung des Parlaments Vorbehalts darstellen. Der Blick auf die Grundrechts vorbehalte bietet sich insbesondere deshalb an, weil nach verbreiteter Auffassung das allgemeine Vorbehaltsprinzip in den Grundrechtsvorbehalten eine spezielle Ausprägung für den Grundrechtsbereich gefunden hat. 1 4 8 2.5.1 Unterschiedlichkeit

der Grundrechtsvorbehalte

Dem Versuch, aus den Grundrechts vorbehalten gemeinsame Aussagen für das allgemeine Vorbehaltsprinzip und hier speziell für den Parlamentsvorbehalt zu gewinnen, stellt sich das Problem entgegen, daß die Grundrechtsvorbehalte selbst höchst unterschiedlich formuliert sind. Das in bezug auf die Grundrechte zulässige staatliche Handeln wird mit Bezeichnungen wie eingreifen, regeln, beschränken, einschränken usw. verschieden gekennzeichnet, ohne daß immer ein sachlicher Unterschied erkennbar wäre. Die Setzung von Grundrechtsschranken darf nach einigen Grundrechtsvorbehalten durch Gesetz, 149 nach anderen aufgrund eines Gesetzes, 150 zum Teil durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes 151 erfolgen, während andere Grundrechte substantivisch von Bundes- oder Landesgesetzen sprechen 152 oder als Grundrechtsschranke die verfassungsmäßige Ordnung 1 5 3 oder die allgemeinen Gesetze nennen. 154 Andere Grundrechte enthalten keine speziellen Vorbehalte. 155 Über die Bedeutung der spezifischen Formulierung gehen die Meinungen auseinander. Einige glauben darin eine höchst ausdifferenzierte Schrankensystematik erkennen zu können und versuchen, dem durch die Entwicklung einer ebenso differenzierten und ausgescherten Dogmatik der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte gerecht zu werden. 156 Andere dagegen bezweifeln, ob jedem Formulierungsunterschied stets eine Sinndifferenz zugrundeliegt, weshalb zum Teil sogar von einem „Schrankenwirrwarr" gesprochen w i r d . 1 5 7 148 Vgl. BVerfGE 49,89(127); von Münch, Rdn. 54 der Vorbemerkung zu Art. 1-19, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981. 149 Art. 15 Satz 1 G G ; Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G a.F. 150 Art. 2 Abs. 2 Satz 3 G G ; Art. 6 Abs. 3 G G ; Art. 10 Abs. 2 Satz 1 G G ; Art. 13 Abs. 3 G G ; Art. 16 Abs. 1 Satz 2 G G ; Art. 104 Abs. 1 Satz 1 G G läßt eine Beschränkung der Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zu. 151 Art. 8 Abs. 2; Art. 11 Abs. 2 Satz 1 G G ; Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G ; Art. 12a Abs. 5 Satz 2 G G , Abs. 6 Satz 1 G G ; Art. 14 Abs. 3 Satz 2 G G ; vgl. auch Art. 19 Abs. 1 Satz 1 G G . 152 Art. 4 Abs. 3 Satz 2 G G ; Art. 7 Abs. 4 Satz 2 G G . 153 Art. 2 Abs. 1 G G ; Art. 146 G G ; Art. 5 Abs. 2 GG. 154 Art. 5 Abs. 2 GG. 155 Art. 1 G G ; Art. 3 Abs. 2 und 3 G G ; Art. 4 Abs. 1 und 2 G G ; Art. 5 Abs. 3 G G ; Art. 9 Abs. 3 G G ; Art. 16 Abs. 2 G G ; Art. 17 G G ; Art. 103 GG. 156 Zum Beispiel von Mangold/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1,1957, Vorbemerkung Β X V , 120 ff.; Seetzen, NJW 1975, 429 ff. (432 f.). 157 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, 444; kritisch auch von Münch, Rdn. 53 zu Art. 1-19 Vorbemerkung, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981.

194

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Begründung des Parlamentsorbehalts

In unserem Zusammenhang interessiert dabei zunächst weniger die materiellrechtliche Frage, ob eine Einschränkung sozusagen „von außen" (das heißt durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber) oder eine Ausgestaltung „von innen" (das heißt aus der materiell-rechtlichen Substanz der Grundrechte selbst) vorzunehmen ist, denn durch eine Bestimmung der materiell-rechtlichen Widerstandskraft der Grundrechte gegenüber staatlichen Eingriffen und ihrer Aktivkraft, Ansprüche auf staatliche Leistungen zu begründen, wäre für die kompetenzrechtliche Frage, w e r diese Grundrechtskonkretisierung vornehmen darf, nicht viel gewonnen. 158 Die Aufmerksamkeit muß sich daher auf eine mögliche kompetenzrechtliche Bedeutung der Grundrechtsvorbehalte richten. 2.5.2 Systematik der Grundrechtsvorbehalte

Geht man einmal von der Hypothese aus, die Grundrechts vorbehalte seien ein in sich geschlossenes System und die unterschiedlichen Formulierungen seien stets von Bedeutung, dann könnte man ausgehend vom Wortlaut der Grundrechtsvorbehalte zu folgender Systematik gelangen. 159 (1) „durch Gesetz"

Die Formulierung „durch Gesetz" läßt Grundrechtseinschränkungen ausschließlich durch förmliches Gesetz zu und verbietet Grundrechtskonkretisierungen sowohl durch untergesetzliche Rechtsetzung (Rechtsverordnungen und Satzungen) als auch durch Verwaltungsakte. Die Grundrechtseinschränkung muß demnach unmittelbar durch das förmliche Gesetz selbst vollzogen werden. Ein so formulierter Grundrechtsvorbehalt ist streng delegations/ewrflich und beinhaltet ein absolutes Delegationsverbot. 160 (2) „aufgrund eines Gesetzes"

M i t der Formulierung „aufgrund eines Gesetzes" wird demgegenüber einerseits zum Ausdruck gebracht, daß eine Grundrechtseinschränkung nur auf formell-gesetzlicher Grundlage zulässig ist, andererseits wird aber die Möglichkeit einer Delegation an den Verordnungs- oder Satzungsgeber ebensowenig ausgeschlossen wie eine Delegation an die unmittelbar gesetzesanwendende Verwaltung. Ein solcher Grundrechtsvorbehalt ist absolut delegationsfreundlich und enthält keine Schranken einer Delegationsbefugnis des Gesetzgebers. 161 Möglicherweise würde ein solcher Grundrechtsvorbehalt so158

Vgl. Wülfing (Fn. 113), 1981, 38. Vgl. dazu statt vieler Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 310-316. 160 Anders zu verstehen sind dagegen die Formulierungen „durch die Gesetze" (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 G G ) und „Vorschriften der allgemeinen Gesetze" (Art. 5 Abs. 2 G G ) (vgl. Dicke, Rdn. 38 zu Art. 14, in: von Münch, GG-Kommentar, 2. Aufl., 1981). Abzulehnen ist daher die Auffassung von Schwerdtfeger, N V w Z 1983,199 ff. (200), der in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 G G einen Parlamentsvorbehalt begründet sieht. 161 Vgl. Roellecke, NJW 1978, 1776 ff. (1778), der daraufhinweist, daß nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G auch die Verwaltung Grundrechte einschränken darf und daraus den Schluß zieht, 159

2.5 Grundrechtsvorbehalte

195

gar eine Einschränkung unmittelbar durch förmliches Gesetz verbieten und ausschließlich die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Verwaltungsentscheidungen zulassen. 162 Eine solche Einzelfallentscheidung könnte sowohl aufgrund eines formellen als auch aufgrund eines materiellen Gesetzes (Rechtsverordnung oder Satzung) ergehen. (3) „aufgrund eines förmlichen

Gesetzes"

Dagegen lassen Grundrechts vorbehalte, die eine Grundrechtsbeschränkung nur „aufgrund eines förmlichen Gesetzes" zulassen, bei sonst gleichen Voraussetzungen (insbesondere Erfordernis einer formell-gesetzlichen Grundlage) Grundrechtseinschränkungen nur im Wege des unmittelbaren Vollzugs eines formellen Gesetzes zu. Sie müssen daher entweder durch Einzelakt der Verwaltung unmittelbar aufgrund des formellen Gesetzes ergehen (das heißt ohne Zwischenschaltung einer Rechtsverordnung oder Satzung), oder die Regelung durch Rechtsverordnung oder Satzung muß unmittelbar die Grundrechtsbeschränkung vornehmen, ohne daß ein weiterer Vollzugsakt der Verwaltung notwendig wäre (selbstvollziehende Rechtsverordnungen oder Satzungen). Ein solcher Grundrechtsvorbehalt nimmt gewisse Einschränkungen der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers vor, ohne sie jedoch generell zu verbieten. (4) „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes"

Lautet der Vorbehalt alternativ „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes", so überläßt er dem Gesetzgeber die Entscheidung zwischen Eigenregelung und Delegation. In einem solchen Fall ist der Vorbehalt dele%2X\oxssindifferent und überantwortet die Delegationsentscheidung dem Legislativermessen des Gesetzgebers. 163 Auch Art. 19 Abs. 4 G G geht von der Einschränkbarkeit der Grundrechte durch oder aufgrund eines Gesetzes aus. 164 (5) Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt

Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt sind ebenfalls als delegations indifferent anzusehen. Materiell-rechtlich lassen sie keine Grundrechtseinschränkungen zu, sondern lediglich eine konkretisierende und operationalisierende Formulierung derjenigen Begrenzungen, die sich bereits aus einer Normbeman könne die Frage, wieweit die Regelungspflicht reicht, nicht aus den Grundrechten beantworten. - Roelleckes „Lösungsvorschlag" freilich, der die Verteilung der Rechtsetzungskompetenzen „den Organisationsvorschriften der Verfassung, also vor allem den Art. 19 Abs. 1,20 Abs. 3,70 ff. und 80 Abs. 1 Satz 2 GG" entnehmen will, ist zum Teil abwegig. Der Hinweis auf Art. 19 Abs. 1 G G widerspricht Roelleckes eigener Argumentation, da dort ebenfalls von einer Einschränkung von Grundrechten unter anderen „aufgrund eines Gesetzes" die Rede ist. Die Heranziehung von Art. 70 ff. G G stößt auf die oben 2.4 erörterten Bedenken. 162 Seetzen, NJW 1975, 429 ff. 163 Vgl. BVerfGE 41, 251 (265), wonach sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G keine direkten Anhaltspunkte für die Differenzierung der Regelungsformen ergeben. 164 Vgl. Weber, JuS 1976, 336.

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reichsanalyse des betreffenden Grundrechts erschließen lassen. 165 Die Kompetenz zu einer solchen begrenzten Grundrechtskonkretisierung 166 lassen diese Grundrechte offen. Sie sind daher wie die vorangehende Kategorie der Grundrechtsvorbehalte („durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes") zu behandeln und unterscheiden sich von diesen lediglich materiell-rechtlich durch ihre nur begrenzte Konkretisierbarkeit. 167

2.5.3 Delegationsfeindliche

Grundrechtsvorbehalte?

Nach dieser Systematik, die auch von Teilen der Literatur zugrunde gelegt w i r d , 1 6 8 wären allein der Vorbehalt „durch Gesetz" absolut und der Vorbehalt „aufgrund eines förmlichen Gesetzes" relativ delegationsfeindlich. Alle übrigen Grundrechtsvorbehalte lassen eine Beschränkung oder gar ein Verbot der Delegation rechtsetzender Kompetenzen auf die Exekutive nicht erkennen. Insoweit ist festzustellen, daß jedenfalls die Grundrechtsvorbehalte insgesamt nicht die generelle Aussage zulassen, für grundrechtsrelevante Regelungen bestehe eine Beschränkung der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers. Vielmehr läßt die Mehrzahl der Grundrechtsvorbehalte Grundrechtseinschränkungen entweder „aufgrund eines Gesetzes" oder „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" zu, womit sich die meisten Grundrechts vorbehalte als delegationsindifferent oder sogar als delegationsfreundlich darstellen. (1) Art. 15 GG

Ein Vorbehalt „durch Gesetz" findet sich innerhalb des Grundrechtskatalogs allein in Art. 15 GG. Die herrschende Meinung interpretiert diesen Gesetzesvorbehalt ganz im Sinne der oben entwickelten Systematik und betrachtet ihn als absolut delegationsfeindlich. Sozialisierungen dürfen danach ausschließlich durch unmittelbar selbstvollziehende förmliche Bundes- oder Landesgesetze erfolgen, nicht aber durch (nur) materielle Gesetze (Rechtsverordnungen, Satzungen, Gewohnheitsrechte). Ebensowenig wird eine Sozialisierung durch Verwaltungsakt für zulässig gehalten. 169 Folgt man dieser Auffassung, so scheint es im Grundrechtsbereich zumindest einen absolut delegationsfeindlichen Gesetzesvorbehalt zu geben, welcher den Beweis erbringt, 165 Vgl. BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (193); zur Normbereichsanalyse vgl. Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 310 ff.; von Münch, Rdn. 48 und 57 zu Art. 1-19 Vorbemerkung, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1, 2. AuH., 1981. 166 Vgl. Krebs (Fn. 102), 1975, 116. 167 Eine selbständige Begrenzung von Grundrechten durch die vollziehende Gewalt (oder die Rechtsprechung) scheidet von vornherein aus (vgl. Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 314), da durch den Verzicht auf einen Grundrechts vorbehalt dem betreffenden Grundrecht eine materiell besonders starke Stellung eingeräumt wird, nicht aber der Exekutive neue (originäre) Kompetenzen eröffnet werden (vgl. Krebs (Fn. 102), 1975,117). Aus einem fehlenden Grundrechtsvorbehalt darf nicht auf eine insofern bestehende „komplementäre" Exekutivkompetenz geschlossen werden (vgl. Krebs, DVBl. 1977, 635). 168 Vgl. Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 313 ff. 169 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1969, Art. 15 Rdn. 24 und 25 m.w.N.

2.5 Grundrechtsvorbehalte

197

daß dem Grundgesetz im Grundrechtsbereich absolute Delegationsverbote zumindest nicht fremd sind. Gleichwohl kann Art. 15 G G als Beleg für eine solche Auffassung nicht herangezogen werden, denn Art. 15 G G enthält, obwohl im Grundrechtsteil des Grundgesetzes stehend, kein Grundrecht im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts. 170 Der Grundrechtsteil des Grundgesetzes kennt daher keine absolut delegationsfeindlichen Vorbehalte. 1 7 1 (2) Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG

Dem ließe sich entgegenhalten, daß das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G lautete: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden." Erst durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24.6.1968 172 wurde dieser Vorbehalt durch die Worte „oder aufgrund eines Gesetzes" ergänzt. Daraus könnte man folgern, daß zumindest das G G in seiner ursprünglichen Fassung im Grundrechtsteil ein absolutes Delegations verbot enthalten habe. Eine sachliche Änderung hat das Grundgesetz jedoch nach allgemeiner Auffassung durch diese Neufassung nicht erfahren. Schon vorher hatte das BVerfG Berufsregelungen auch durch nachkonstitutionelle, auf gesetzlicher Grundlage beruhende Verordnungen für zulässig erachtet. 173 Auch die ursprüngliche Fassung des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G wurde somit nicht als delegationsfeindlich interpretiert. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G a.F. kann daher ebenfalls nicht zum Beleg für das Vorhandensein absoluter Delegationsschranken im Grundrechtsbereich herangezogen werden. Zugleich wird hieran deutlich, daß das BVerfG der oben dargelegten und in sich schlüssig scheinenden Systematik der Grundrechtsvorbehalte nicht immer gefolgt ist, sondern sie durch eine auf das jeweilige Grundrecht abstellende Verfasssungsinterpretation teilweise durchbrochen hat. (3) Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG

Die oben als „relativ delegationsfeindlich" bezeichnete Wendung „aufgrund eines förmlichen Gesetzes" findet sich im Grundrechtskatalog ausschließlich in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 G G . 1 7 4 Eingriffe in die Freiheit der Person dürften auf der Basis der dargelegten Systematik der Grundrechtsvorbehalte - nicht aufgrund von Rechtsverordnungen, Satzungen oder Gewohnheitsrecht erfol170

Vgl. Maunz, ebd., Rdn. 3 m.w.N. Die Tatsache, daß Art. 15 G G und andere Bestimmungen des Grundgesetzes als absolut delegationsfeindlich anzusehen sind, soll damit nicht bestritten werden; sie ist aber im Rahmen der Begründung eines Parlamentsvorbehalts aus den Grundrechtsvorbehalten ohne Relevanz. Entsprechendes gilt daher für die sogenannten zwingenden Sondervorbehalte der Art. 59 Abs. 2 und 110 Abs. 2 Satz 1 G G . 172 BGBl. 1,709. 173 Vgl. BVerfGE 33, 125 (156); 20, 283 (295); 21, 72; ebenso BVerwGE 21, 203. In gleicher Weise verfuhr die Staatspraxis (vgl. dazu BVerfGE 33, 125, 156). 174 Art. 104 G G ist trotz seiner Aufnahme in den Abschnitt I X „Die Rechtsprechung" ein echtes Grundrecht; vgl. Kunig, Rdn. 1 zu Art. 104, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 171

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gen. 1 7 5 Gleichwohl hat die Rechtsprechung eine begrenzte Delegation an den Verordnungsgeber dann für zulässig erklärt, wenn der Gesetzgeber bereits im ermächtigenden (förmlichen) Gesetz hinreichend die Strafbarkeit sowie Art und Umfang der Strafe bestimmt hat, der Verordnungsgeber somit nur noch zu spezifizieren hat. 1 7 6 Die Rechtsprechung entwickelt somit einerseits aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 G G ein verstärktes Bestimmtheitsgebot und erweitert dafür andererseits die Möglichkeit der Rechtsetzungsdelegation. 177 Sie nähert sich so in gewisser Weise der allgemeinen Delegationsnorm des Art. 80 Abs. 1 G G an. Auch der in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 G G enthaltene Grundrechtsvorbehalt enthält nach alledem kein striktes Delegationsverbot für den Gesetzgeber im Grundrechtsbereich.

2.5.4 Delegationsfreundliche

Grundrechtsvorbehalte?

A u f der anderen Seite gibt es Beispiele, daß Rechtsprechung und Literatur scheinbar delegationsfreundliche Grundrechtsvorbehalte („aufgrund eines Gesetzes") dahingehend auslegen, daß Eingriffe in diese Grundrechte nicht aufgrund einer auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Rechtsverordnung, sondern nur unmittelbar aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässig sind. 1 7 8 A l l dies deutet nachhaltig darauf hin, daß die Grundrechtsvorbehalte in kompetenzrechtlicher Hinsicht keine in sich geschlossene Systematik aufweisen. Ob und inwieweit grundrechtsrelevante Maßnahmen nur durch förmliches Gesetz getroffen oder an den Verordnungs- oder Satzungsgeber delegiert werden dürfen, ergibt sich ebenso wenig unmittelbar aus den einschlägigen Gesetzesvorbehalten wie das Erfordernis einer mehr oder weniger starken inhaltlichen Bestimmtheit der formell-gesetzlichen Grundrechtsregelung. 179 Was oben zu den grundlegenden Verfassungsprinzipien gesagt wurde, gilt in entsprechender Form auch hier: Die Grundrechtsvorbehalte bedürfen ebenfalls sinnvermittelnder Zwischensätze und der Heranziehung zusätzlicher Kriterien, um zwischen dem materiellen Grundrecht und der es einschränkenden Regelungsform eine adäquate Verknüpfung herzustellen. Soweit hierzu, wie es häufig geschieht, auf das Rechtsstaatsprinzip oder das Demokratieprinzip zurückgegriffen und insbesondere auf die behauptete höhere demokratische Legitimation des Parlaments abgestellt wird, wurde oben bereits die mangelnde Tragfähigkeit eines solchen Ansatzes dargelegt.

175

Kunig, ebd., Rdn. 8. BVerfGE 14, 174 (186 f.); B G H Z 15, 64. So wird § 21 StVG als verfassungsgemäß angesehen, da der Kreis der möglichen strafbaren Handlungen hinreichend bestimmt ist und dem Verordnungsgeber nur die Spezifizierung des Straftatbestandes überlassen bleibt (BVerfGE 14, 245 (251 ff.)). Die Strafbarkeitsvoraussetzungen sind dabei um so präziser zu bestimmen, je höher die Strafandrohung ist (BVerfGE 14, 245, 251; vgl. auch Art. 103 Abs. 2 GG). 177 Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (339), spricht insoweit von einer „Auflockerung". 178 Vgl. BVerfGE 22,180 (219) zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G ; dazu auch von Münch, Rdn. 68 f., zu Art. 2, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981 m.w.N. 179 Vgl. Roellecke, NJW 1976, 1776 ff. (1778); W. Schmidt, AöR 106 (1981), 497 ff. (523); Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (486). 176

2.5 Grundrechtsvorbehalte 2.5.5 Die kompetentielle Offenheit

199

der Grundrechtsvorbehalte

Die Grundrechtsvorbehalte selbst geben somit für die Lösung des Delegationsproblems unmittelbar nichts her, da sie die Frage nach dem zu Grundrechtseingriffen kompetenten Entscheidungsträger nicht zu beantworten vermögen. Aus den Grundrechts vorbehalten läßt sich zwar durchgehend die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage beziehungsweise Ermächtigung entnehmen und damit eine originäre Kompetenz der Exekutive zur Gründl rechtskonkretisierung verneinen; 180 kompetenzrechtlich nötigt die Erkenntnis jedoch lediglich zur Annahme eines Rechtssatzvorbehalts. Die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit eines Parlamentsvorbehalts vermögen die Grundrechtsvorbehalte dagegen nicht zwingend nahezulegen. Für die Abgrenzung delegierbarer und nicht delegierbarer originärer Parlamentskompetenzen fehlt den Grundrechtsvorbehalten ein direktiver Gehalt; sie sind kompetentiell offen. 1 8 1 Die Grundrechtsvorbehalte enthalten daher keine eindeutigen Anhaltspunkte zur Differenzierung der Regelungsformen. Zu Recht zieht Wülfing daraus die Folgerung, daß in kompetenzrechtlicher Sicht das allgemeine Vorbehaltsprinzip keineswegs neben den Grundrechtsvorbehalten entbehrlich sein kann, wolle man sich nicht durch Stützung allein auf die Grundrechtsvorbehalte in die Aporie eines kompetentiellen non liquet begeben. 182

2.5.6 Rangverhältnis der Grundrechte?

Teilweise wird versucht, aus dem Rang des betreffenden Grundrechts kompetentielle Folgerungen in der Weise zu ziehen, daß die Grundrechtseinschränkung beziehungsweise -konkretisierung besonders hochrangiger Grundrechte allein dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sein soll. Die ranghöchsten Grundrechte unterstünden nach diesem Ansatz dem Parlamentsvorbehalt, die rangniedrigeren dagegen nicht. 1 8 3 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob sich eine ausgeprägte Wertrangordnung der Grundrechte aufstellen läßt. 1 8 4 Selbst wenn man den Grundrechten auf Leben, Freiheit der Person und körperlicher Unversehrtheit einen Höchstwert zumessen wollte, 1 8 5 weil ihre Gewährleistung unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung der 180 Vgl. dazu ausführlich Krebs (Fn. 102), 1975,102 ff.: Die Grundrechtsvorbehalte verlangen lediglich eine Primärregelung beziehungsweise Ermächtigung im Parlamentsgesetz. 181 Wülfing (Fn. 113), 1981, 43; Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, 222; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (486). 182 Wülfing (Fn. 113), 1981,42; abzulehnen daher Klaus Vogel, V V D S t R L 24 (1966), 125 ff. (151). 183 Ygi v o n Münch, ebd., Rdn. 68 m.w.N. 184 So Ossenbühl, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das BVerfG, 1976, 458 ff. (507); Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977, 269. 185 Etwa BVerfGE 49,24 (53)-Kontaktsperre; vgl. auch BVerfGE 19,342 (349); 35,185(190); 39, 1 (42) - Fristenlösung; Kloepfer, Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken in der Rechtsprechung des BVerfG, 1976, 405 ff. (412); Hesse (Fn. 23), 1984, Rdn. 316; von Münch, Rdn. 68 f. zu Art. 2, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981.

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übrigen Grundrechte ist, so würde damit noch keine Rangordnung a l l e r Grundrechte, sondern allein die herausragende Bedeutung einzelner weniger Grundrechte begründet, deren „Rangverhältnis" untereinander aber ebenfalls ungeklärt bliebe. Vor allem aber würde aus dem materiellen Rang eines Grundrechts nicht ersichtlich, weshalb dieser unmittelbar kompetentielle Folgen in der Weise nach sich ziehen sollte, daß bei einem ranghöheren Grundrecht der Gesetzgeber selbst zu entscheiden hätte, bei einem rangniedrigeren Grundrecht dagegen eine Delegation an den Verordnungsgeber zulässig sein sollte. Für eine überzeugende Grenzziehung in dieser so wichtigen Kompetenzfrage gibt die genannte Differenzierung nichts her. Eine Unterscheidung zwischen wichtigen und weniger wichtigen Grundrechten würde letztlich zu einer unerträglichen Relativierung einzelner Grundrechte und damit letztlich der Grundrechte insgesamt führen. Die Einschränkbarkeit der Grundrechte oder bestimmter Grundrechte nur durch den Gesetzgeber selbst - mithin der Parlamentsvorbehalt - ist somit weder aus den Grundrechtsvorbehalten noch aus einer vermeintlichen Rangordnung der Grundrechte herzuleiten.

3. Ergebnis Wenn nach alledem die von der herrschenden Meinung für die Annahme eines Parlamentsvorbehalts für „wesentliche" Entscheidungen vorgetragenen primären wie sekundären verfassungsrechtlichen Begründungsansätze nicht zu überzeugen vermögen, dann stellt sich die Frage nach den daraus zu ziehenden Konsequenzen. Eine Möglichkeit besteht darin, den Versuch einer verfassungsrechtlichen Begründung eines Parlamentsvorbehalts für „wesentliche" Entscheidungen als gescheitert anzusehen. Dies hätte allerdings zur Konsequenz, daß man in einer wichtigen Kompetenzfrage in der Tat vor einem non liquet kapitulieren müßte, da die Grenzen der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers ungeklärt blieben - ein Ergebnis, das sich aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sowie im Hinblick auf das rechtsstaatliche Erfordernis einer eindeutigen Kompetenzordnung verbietet. 186 Verlangt also das Rechtsstaatsprinzip nach einer klaren Kompetenzordnung, 1 8 7 dann verbleibt angesichts des Scheiterns der herkömmlichen Begründungsansätze nur die Möglichkeit, andere verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte zu suchen, um zu einer funktionsgerechten verfassungsrechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts zu gelangen. I m folgenden wird nunmehr zu prüfen sein, ob sich unter anderen als den von der herrschenden Meinung erörterten Gesichtspunkten die Geltung eines Parlamentsvorbehalts begründen läßt. 186

Vgl. BVerfGE 41, 251 (260); Krebs (Fn. 102), 1975, 111. Ohne allerdings die konkreten Konturen dieser Kompetenzordnung selbst zu benennen (vgl. dazu ausführlich oben 1.2). 187

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsvorbehalts 1. Funktionell-rechtlicher Ansatz Abstrahiert man einmal von der speziellen Delegationsproblematik, so geht es - allgemein gesprochen - bei der Frage nach der Zuordnung von Regelungskompetenzen um das Verhältnis von (Regelungs-)Form und (Regelungs-)Inhalt. 1 Dabei stellt sich die Frage, welche inhaltlichen Entscheidungen in welcher Regelungsform zu treffen sind. M i t der jeweiligen Regelungsform, sei es das Parlamentsgesetz oder die Rechtsverordnung, wird jedoch mehr als nur eine äußere Form gewählt. Die verschiedenen Regelungsformen besitzen unterschiedliche Qualitäten und Eigenschaften. Vor allem wird mit ihnen festgelegt, welches staatliche Organ in welchem Verfahren über die Regelung zu entscheiden hat. „Entscheidungsform" meint daher zugleich ein bestimmtes Entscheidungsorgan und ein bestimmtes Entscheidungsverfahren - drei Elemente der Kompetenzproblematik, die untrennbar miteinander verknüpft sind. Eine funktionell-rechtliche Verknüpfung dieser drei Elemente wird zugleich dem oben formulierten Postulat 2 gerecht, bei der Entscheidung von Kompetenzfragen an den normativen Bestimmungen der Verfassung anzuknüpfen. Nicht nur das Gesetzgebungsverfahren ist verfassungsrechtlich unmittelbar geregelt, auch hinsichtlich der Stellung, Wahl und Zusammensetzung des Parlaments und zu den Eigenschaften des Parlamentsgesetzes im Vergleich zu anderen Regelungsformen enthält das Grundgesetz unmittelbare Aussagen. Es gilt daher zu prüfen, ob sich aus den einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen Anhaltspunkte ergeben, die eine zwingende Zuordnung bestimmter Regelungsinhalte zur Regelungsform des Parlamentsgesetzes gebieten. Zu diesem Zweck soll im folgenden der Blick auf den funktionalen Zusammenhang der verschiedenen Faktoren der Kompetenzproblematik (Organ, Verfahren und Regelungsform) gerichtet werden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wird man dann in eine funktionelle Beziehung zu Art und Bedeutung der möglichen Regelungsgegenstände zu setzen und sodann zu entscheiden haben, ob die Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur hinsichtlich Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung Unterschiede aufweisen, die eine Zuordnung bestimmter Regelungsinhalte zu der einen oder anderen Regelungsform verfassungsrechtlich geboten erscheinen lassen. Möglicherweise kann man auf diese Weise zu neuen Einsichten für die notwendige Zuordnung von Form und Inhalt gelangen.3 1 Vgl. Georg Müller, Inhalt und Formen der Rechtssetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, 2. 2 Siehe oben Kap. V 3. 3 Vgl. Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (549). Zum Zusammenhang von „formellem" und „materiellem" Recht vgl. auch Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, 709 ff.

202

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

2. Methodische Problematik Die Hauptschwierigkeit, die sich dem Versuch einer funktionell-rechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts entgegenstellt, besteht darin, daß ein solcher Ansatz sich nicht auf gesicherten methodischen Pfaden bewegt.4 Zwar finden sich sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur funktionell-rechtliche Überlegungen, 5 doch sind diese zum Teil bruchstückhaft, zum Teil von ganz unterschiedlichen Intentionen getragen, so daß von einem entwickelten, homogenen methodischen Ansatz noch nicht die Rede sein kann. I m folgenden wird zu prüfen sein, ob sich die in Rechtsprechung und Literatur vorfindlichen Versuche einer funktionell-rechtlichen Verfassungsinterpretation für eine überzeugende verfassungsrechtliche Begründung eines Parlaments Vorbehalts nutzbar machen lassen.

3. Materiell-rechtlicher Maßstab: die Grundrechte Bei der Frage nach der „richtigen" Verknüpfung von Form und Inhalt wird man naturgemäß nicht ohne materiell-rechtliche Maßstäbe auskommen können, an der die „Richtigkeit" der Zuordnung zu messen ist. Als verfassungsrechtliche Maßstäbe kommen insoweit die materiellen Grundentscheidungen der Verfassung in Betracht, insbesondere die Grundrechte, sowie die materiell verstandenen verfassungsrechtlichen Grundprinzipien. 6 Auch wenn diese ebenso wenig wie die Grundrechtsvorbehalte aus sich heraus die Annahme eines Parlamentsvorbehalts zu begründen vermögen, 7 so können sie doch in ihrem faßbaren materiellen Kerngehalt in einem funktionell-rechtlichen Bezugsrahmen von Form und Inhalt den materiellen Maßstab abgeben und sozusagen die Folie bilden, auf deren Hintergrund die Zuordnung von Form und Inhalt erfolgen und deren Richtigkeit im Sinne einer funktionsgerechten Kompetenzstruktur gemessen und beurteilt werden kann. Den Grundrechten kommt in der verfassungsrechtlichen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zentrale Bedeutung zu. Dies wird sowohl in historischer als auch in verfassungssystematischer Sicht deutlich. Anders als noch unter der Geltung der Weimarer Reichs verfassung, auf deren Grundlage den Grundrechten überwiegend lediglich Programmsatzcharakter beigemes4 Allerdings ergeht es denjenigen, die sich auf die „allgemein anerkannten Prinzipien und Methoden der Verfassungsinterpretation" berufen, nicht viel besser, denn eine im eigentlichen Sinne anerkannte, hinreichend konsolidierte und tragfahige Interpretationsmethode gibt es nicht. Dazu ausführlich Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, 1979,68 ff.; vgl. auch Dreier, in: Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, 1976, 13 ff. 5 Vgl. etwa Zimmer (Fn. 4), 1979; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979; Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980; Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (548 f.); Evers, JuS 1977, 804 ff. (807); die in einzelnen Entscheidungen des BVerfG auftauchenden funktionell-rechtlichen Argumentationspartikel sind zum Teil methodisch nur schwer zu verorten, so daß ihr Argumentationswert fragwürdig erscheint; vgl. etwa BVerfGE 33, 125 (158 ff.); 40, 237 (249). 6 Vgl. Schulze-Fielitz, N V w Z 1983, 709 ff. (711). 7 Vgl. dazu oben Kap. V 2.5.

3. Materiell-rechtlicher Maßstab

203

sen wurde, 8 erhielten sie durch das Grundgesetz und die Landesverfassungen unmittelbare Rechtswirkung im Sinne subjektiver Rechte, die auch gegenüber dem Gesetzgeber Geltungskraft entfalten. 9 Die verstärkte Geltungskraft der Grundrechte haben das Grundgesetz und die Landesverfassungen auch durch die systematische Stellung des Grundrechtskatalogs an der Spitze der Verfassungsnormen besonders hervorgehoben. 10 Die zentrale Bedeutung der Grundrechte ist bereits im parlamentarischen Rat ausdrücklich hervorgehoben worden 11 und hat auch durch das BVerfG Bestätigung gefunden, das den Grundrechtsteil als „unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale der geltenden Verfassung" bezeichnet hat. 1 2 Für den einzelnen Bürger sind die Grundrechtsnormen diejenigen Bestimmungen der Verfassung, die ihn im Alltag am meisten betreffen. 13 Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes und der Landesverfassungen ist der Schutz der Grundrechte in vielfältiger Weise erweitert worden. 14 3.1 Grundrechtsschutz und Grundrechtsverwirklichung durch Verfahren Für die Delegationsproblematik und die Frage nach dem Parlamentsvorbehalt könnte insbesondere eine neuere Tendenz der Grundrechtsdiskussion von Bedeutung sein, nämlich die organisations- und verfahrensrechtliche Ausdeutung der Grundrechte. Die Erkenntnis, daß die mit Anerkennung eines Parlamentsvorbehalts vollzogene Kompetenzzuweisung an den Gesetzgeber zugleich eine Zuweisung bestimmter Regelungsgegenstände an ein bestimmtes Organ „Parlament" und ein bestimmtes Verfahren (parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren) enthält, läßt die Überlegung gerechtfertigt erscheinen, ob nicht auch hier ein Zusammenhang zwischen Organisation, Verfahren und Grundrechten besteht. Diese Frage muß sich um so mehr 8 Vgl. Anschütz, Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung, 14. Aufl., 1933, 415 ff.; vgl. dazu Hesse, EuGRZ 1978, 427 ff. (430); Starck, JuS 1981, 237. 9 Vgl. insbesondere Art. 1 Abs. 3 G G . 10 Mit Ausnahme der Verfassung des Freistaates Bayern, die die Grundrechte erst im zweiten Hauptteil regelt, und der Verfassungen der Länder Hamburg, Niedersachsen und SchleswigHolstein, die - wohl hauptsächlich im Hinblick auf den bei Erlaß angenommenen Vorläufigkeitscharakter dieser Verfassungen und auf den im bereits in Kraft getretenen Grundgesetz enthaltenen Grundrechtskatalog - auf eine Formulierung eigener Grundrechte verzichtet haben. 11 So Carlo Schmid am 6.5.1949 in einem Generalbericht in der zweiten Lesung im Plenum des Parlamentarischen Rates, JöR 1 n.F. 1951,47; vgl. auch Hesse, EuGRZ 1978,427 ff. (428), der darauf hinweist, daß den Grundrechten eine gesteigerte Geltungskraft auch gegenüber den übrigen Verfassungsnormen des Grundgesetzes zukomme. 12 BVerfGE 37, 271 ff. (280). Von Bedeutung sind vor allem die zahlreichen speziellen Absicherungen der Grundrechte im Grundgesetz (Art. 1 Abs. 3,19 Abs. 2 und 4,79 Abs. 1 und 3, 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG); vgl. dazu im einzelnen Hesse, EuGRZ 1978, 428 ff. 13 von Münch, Rdn. 1 der Vorbemerkung zu Art. 1 bis 19, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981. 14 Es seien hier nur einige Stichworte genannt: Grundrechte als objektive Prinzipien, Grundrechte als Elemente einer Wertordnung und als wertentscheidende Grundsatznormen, Grundrechte als Richtlinien und Impulse der Staatstätigkeit, Grundrechte als institutionelle Garantien, Grundrechte als Teilhaberechte statt bloßer Abwehrrechte, soziale Grundrechte, Drittwirkung der Grundrechte; vgl. aus der unüberschaubaren Literatur zur Grundrechtsdiskussion die Überblicke bei Hesse, EuGRZ 1978, 427 ff.; Starck, JuS 1981, 237 ff.; von Münch (Fn. 13).

204

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlaments Vorbehalts

aufdrängen, da Rechtsprechung und Literatur die Grundrechtsrelevanz einer Regelung als Abgrenzungsmerkmal für die Anwendung des Parlamentsvorbehalts ansehen, bisher aber die Verpflichtung gerade des Gesetzgebers zur Regelung grundrechtsrelevanter Entscheidungen in erster Linie auf das Demokratie· und Rechtsstaatsprinzip gestützt haben. Wenn aber Parlament und Regierung durch den Wahlakt des Volkes gleichermaßen demokratisch legitimiert sind, wenn das Volk heute als Souverän hinter allen drei „Gewalten" steht, 15 wenn das historische Gegenüber von Volk und Monarch neuen gewaltenteilenden Konstellationen unter einer überwölbenden Parteidemokratie gewichen ist und wenn hinter der Parlamentsmehrheit, die die Gesetze verabschiedet, die gleichen politischen Kräfte stehen wie hinter den Regierungen, welche die Rechtsverordnungen erlassen, wenn schließlich Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung in gleicher Weise geeignet sind, rechtsstaatliche Garantien zu verbürgen, dann muß sich notwendig die Frage aufdrängen, ob es nicht letztlich gleichgültig ist, ob grundrechtsrelevante Regelungen durch Parlamentsgesetz oder durch Rechtsverordnung getroffen werden. Die auch heute noch vielfach anklingende Auffassung, das Parlament als Legislative sei von vornherein als geborener Garant der Grundrechte anzusehen,16 ist unter der Geltung des Grundgesetzes überholt und legt beredtes Zeugnis darüber ab, daß sich das heutige VerfassungsVerständnis noch längst nicht völlig frei gemacht hat vom überkommenen Gedankengut der konstitutionellen Monarchie. 17 3.2 Entwicklung dieses Rechtsgedankens Um entscheiden zu können, ob die in Rechtsprechung und Literatur verstärkt sichtbar gewordene Tendenz einer Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren 18 aus dem verfassungsrechtlichen Begründungsdefizit für die Annahme eines Parlamentsvorbehalts hinausführen kann, erscheint es zunächst erforderlich, sich einen kurzen Überblick über Argumentation und Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur zu verschaffen. 19 15

Art. 20 Abs. 2 G G . Vgl. die Darstellung dieser Auffassung bei Pietzner, JA 1973, 339 ff. (341). 17 Vgl. schon die entsprechende Kritik bei Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1970, 87 ff. 18 So der Titel des Aufsatzes von Bethge, NJW 1982, 1 ff.; von Mutius, NJW 1982, 2151, spricht von der „heute meist diskutierten Tendenz der neueren Grundrechtsinterpretation". Ähnlich Hesse, EuGRZ 1978, 427 ff., und Simon/Heussner, Sondervotum zu BVerfGE 53, 30 (69 ff.). Ossenbühl dagegen warnt davor, daß bei einer undifferenzierten Betrachtungsweise eine allgemeine grundrechtlich orientierte Verfahrenseuphorie mit unübersehbaren Konsequenzen ausbrechen könnte ( D Ö V 1981, 1 ff., 6). 19 Vgl. aus der Literatur insbesondere Hesse, EuGRZ 1978,427 ff. (434 ff.); Simon/Heussner, Sondervotum zu BVerfGE 53,30 (69 ff.); Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981; Redeker, NJW 1980,1593 ff.; Steinberg, D Ö V 1982,619 ff.; Bethge, N J W 1982,1 ff.; Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 ff.; Dolde, N V w Z 1982,65 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1981,65 ff.; von Mutius, N J W 1982, 2150 ff.; Hufen, NJW 1982, 2160 ff.; Schulze-Fielitz, N V w Z 1983, 709 ff. (710) m.w.N.; zur Rechtsprechung insbesondere des BVerfG vgl. die Übersichten bei Goerlich, a.a.O., 57 ff., und von Mutius, NJW 1982, 2150 ff. 16

3. Materiell-rechtlicher Maßstab

205

3.2.1 Justizgrundrechte

Die komplexe Problematik der Wechselbeziehung zwischen Grundrechten einerseits und Organisation und Verfahren andererseits spielt schon seit jeher bei den Justizgrundrechten eine große Rolle. 2 0 Bereits das Grundgesetz selbst enthält, einer alten Verfassungstradition folgend, verschiedene unmittelbare Verfahrensgrundrechte (Prozeßgrundrechte) 21 sowie die allgemeine Gewährleistung des Zugangs zu den staatlichen Gerichten in Form der Rechtsweggarantie. 22 Diese grundgesetzlichen Gewährleistungen verlangen entsprechende Prozeßgesetze, die ihrerseits der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Prozeßgarantien dienen. 23 Das BVerfG hat diese verfassungsunmittelbaren Bestimmungen sowohl als objektiv-rechtliche Prozeßgrundsätze als auch als subjektive Rechte mit Verfassungsrang interpretiert, die dem einzelnen Freiheit durch ein faires, rechtsstaatlichen Anforderungen genügendes Verfahren vor Gericht sichern sollen. 24 Zwar stellen diese Verfahrensnormen zum Teil selbst unmittelbar geltende Grundrechte dar; gleichwohl ist ihre dienende Funktion in bezug auf andere materielle Grundrechte, insbesondere das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) unverkennbar. 25 Die verfassungsunmittelbar gewährleisteten Verfahrensgrundrechte sind keineswegs Selbstzweck, sondern besitzen eine Komplementärfunktion gegenüber den materiellen Grundrechten, deren Schutz sie effektivieren sollen. 26 Man kann daher sagen, daß die materiellen Grundrechte bereits verfassungsunmittelbare Organisations- und Verfahrenswirkungen hervorbringen, die sich in den verselbständigten Prozeßgrundrechten ausprägen und durch die von der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Grundsätze und die Umsetzung in einfaches Gesetzesrecht verstärkt worden sind. Ähnliches gilt für die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt den Weg zu den Gerichten eröffnet. Das BVerfG hat hieraus das Gebot eines möglichst lückenlosen, umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutzes gegen die Verletzung der Rechtssphäre des einzelnen abgeleitet. 27 Art. 19 Abs. 4 G G gewährt, auch wenn die Vorschrift nicht selten als formelles Hauptgrundrecht bezeichnet 20 Vgl. dazu Goerlich, NJW 1981, 2616; Ders., DVB1. 1978, 362; Bethge, NJW 1982, 1; Ossenbühl, D Ö V 1981,1 ff. (5); Starck, JuS 1981,237 ff. (242); BVerfGE 6,32,44 - Elfes; 7,198, 205, 207 - Lüth; 24, 367 (401) - Hamburger Deich. 21 Art. 101,103 und 104 G G (insbesondere rechtliches Gehör, gesetzlicher Richter, Verbot von Ausnahmegerichten, nullum crimen sine lege, ne bis in idem, Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehung). 22 Art. 19 Abs. 4 G G . 23 Vgl. Starck, JuS 1981, 237 ff. (242). 24 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 14. Aufl., 1984, Rdn. 298, 339, 358 ff. m.w.N. 25 Das rechtliche Gehör zum Beispiel soll dem Verfahrensbeteiligten vor einer richterlichen Entscheidung die Möglichkeit zur Verteidigung seiner subjektiven Rechtsposition eröffnen (vgl. von Mutius, NJW 1982, 2150 ff., 2153); das Verbot von Ausnahmegerichten (Art. 101 Abs. 1 Satz 1 G G ) und der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 G G ) sollen organisationsrechtlich die Gleichbehandlung aller vor Gericht absichern und zur Vermeidung willkürlicher Entscheidungen beitragen (Art. 3 Abs. 1 GG). 26 Vgl. dazu von Mutius, NJW 1982, 2150 ff. (2153). 27 BVerfGE 8, 274 (326); 25, 352 (365); 41, 23 (26).

206

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

wird, 2 8 nicht selbst materielle Rechte, sondern setzt die zu schützenden Rechte voraus 29 und dient somit, wie aus den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 19 Abs. 4 G G und seiner systematischen Einordnung zu entnehmen ist, in erster Linie der verfahrensrechtlichen Sicherung der materiellen Rechtssphäre des einzelnen. 30 Ergänzt wird diese Bestimmung durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a G G , der die Möglichkeit der Erhebung von Verfassungsbeschwerden vor allem im Fall von Grundrechtsverletzungen eröffnet und damit ebenfalls eine verfahrensrechtliche Verankerung zur Verwirklichung und zum Schutz der Grundrechte darstellt.

3.2.2 Verallgemeinerung

des Rechtsgedankens

Darüber hinaus haben Rechtsprechung und Literatur auch aus den materiellen Grundrechten verfahrensrechtliche Folgerungen gezogen,31 wobei sich das BVerfG zunächst auf Art. 14 Abs. 1 G G stützte, später aber auch aus Art. 12 Abs. 1 und 2 G G das Gebot einer dieser Grundrechte schützenden und verwirklichenden Verfahrensgestaltung herleitete. 32 In der Folgezeit wurde die Abstützung der materiellen Grundrechte durch Verfahren auf weitere Grundrechte ausgeweitet 33 und schließlich dahingehend verallgemeinert, der Gesetzgeber habe im Rahmen seiner Konkretisierungs- und Beschränkungsbefugnis die Pflicht zu einer Verfahrensgestaltung, die eine Verletzung der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter möglichst ausschließt. 34 Dieser Ansatz beschränkte sich keineswegs auf bestimmte gerichtliche Verfahrensarten, sondern der Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung wurde praktisch auf alle Arten gerichtlicher Verfahren angewendet. 35 Insgesamt kann man von einem Grundrechtsschutz durch Verfahrensgarantien in allen gerichtlichen Verfahren und für alle Grundrechte sprechen. 36

28 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1958, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 2; Hendrichs, Rdn. 40 zu Art. 19, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981. 29 BVerfGE 15, 275 (281). 30 Vgl. Hendrichs, Rdn. 40 zu Art. 19, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981. 31 Vgl. zum Beispiel den Grundsatz der Waffengleichheit der Prozeßbeteiligten (dazu von Mutius, NJW 1982,2153 m.w.N.), der freilich in der Praxis nicht konsequent realisiert wird. Die jüngere Rechtsprechung zu § 146 StPO, die im Zuge der Terroristenprozesse das Verbot der Mehrfachbeteiligung unvertretbar ausgedehnt hat, hat zu einem erheblichen Übergewicht der Ermittlungsbehörden gegenüber der Verteidigung geführt, so daß der Grundsatz der Waffengleichheit jedenfalls für bestimmte Arten des Strafprozesses nicht mehr gewährleistet ist. 32 Vgl. dazu BVerfGE 53, 30 (65) mit den einschlägigen Hinweisen; dazu auch Simon/ Heussner, Sondervotum zu BVerfGE 53, 30 (69 ff.); von Mutius, NJW 1982, 2150 ff. (2154); Hesse, EuGRZ 1978, 427 ff. (435), jeweils m.w.N. 33 Vgl. zum Beispiel BVerfGE 52,391 (407 f.); BVerfG, NJW 1981,1436; V G Stuttgart, NJW 1982, 541 (sämtlich zu Art. 16 Abs. 2 GG). 34 BVerfGE 42, 64 (73); 46, 325 (333); 52, 131 (153). 35 Gleichgültig ob sie kontrollierender oder rechtsgestaltender Art sind oder ob es sich um Strafverfahren oder Disziplinarverfahren handelt; vgl. Hesse, EuGRZ 1978, 435 mit Fn. 51; Simon/Heussner, Sondervotum zu BVerfGE 53, 30 (69 ff.) m.w.N. 36 Hesse, EuGRZ 1978, 427 ff. (435).

3. Materiell-rechtlicher Maßstab 3.2.3 Beschränkung auf das gerichtliche

207 Verfahren

Die Ausdeutung der Grundrechte im Sinne organisations- und verfahrensrechtlicher Gebote beschränkte sich zunächst auf das gerichtliche Verfahren. 37 Das Behördenverfahren war zunächst nur mittelbar dadurch betroffen, daß dem Gesetzgeber eine grundrechtsfreundliche Regelung des Behördenverfahrens aufgegeben wurde und aus den Grundrechten Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektivierende gesetzliche Verfahiensgestaltung entnommen wurde. Soweit dadurch der Gesetzgeber zu verfahrensrechtlichen Regelungen zugunsten des Bürgers veranlaßt wurde, 38 bezog sich die verfahrensrechtliche Ausdeutung der Grundrechte nicht auf das Gesetzgebungsverfahren selbst, sondern führte zu inhaltlichen Anforderungen an die materiellrechtliche Regelung durch den Gesetzgeber, dem die Sicherung und Verwirklichung der Grundrechte durch entsprechende verfahrensrechtliche Regelungen abverlangt wurde.

3.2.4 Ausdehnung auf das Verwaltungsverfahren

In der Entscheidung vom 13.11.197939 dehnte das BVerfG den Einfluß der Grundrechte auf das Verfahrensrecht erstmals unmittelbar auf das Verwaltungsverfahren aus. Es betonte, daß die aus den Grundrechten (hier: Art. 12 Abs. 1 GG) folgenden Auswirkungen sich nicht auf das Verfahren der gerichtlichen Überprüfung beschränken, sondern unmittelbar die Gestaltung des behördlichen Verfahrens - zum Beispiel durch Verfahrensteilhabe der Betroffenen - beeinflussen, soweit die behördliche Entscheidung Grundrechte berührt. Dieser Gedanke wurde kurz darauf im Mühlheim-Kärlich-Beschluß vom 20.12.1979 bestätigt und fortgeführt. 40 Das BVerfG verallgemeinerte die bisherigen Aussagen dahin, der Grundrechtsschutz sei weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken; die Grundrechte beeinflußten demgemäß nicht nur das gesamte materielle Recht, sondern auch das Verfahrensrecht, wobei die bisherige Beschränkung auf das gerichtliche Verfahren aufgehoben und der Grundrechtsschutz in auf das behördliche Verfahren vorverlagert wurde. Den materiellen Grundrechten wurde so nicht mehr nur vermittelt über einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, sondern unmittelbare Wirkung auf das Behördenverfahren zuerkannt. Darüber hinaus hat die Rechtssprechung den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen ein verfassungsrechtliches Gebot zur Schaffung grundrechtsadäquater Organisationsformen entnommen. 41 37 38

Vgl. Simon/Heussner, Sondervotum zu BVerfGE 53, 30 (72). Vgl. BVerfGE 41, 332 (334 ff.) zu § 45 StPO.

39

BVerfGE 52 (38 f.) - „schweigender Prüfling". BVerfGE 53,30 (65) mit Sondervotum Simon/Heussner, 69 ff. - Das Verwaltungsverfahrensrecht wird zum Teil auch aus den Grundrechten abgeleitet, vgl. Pietzcker, Grundrechtsbetroffenheit in der verwaltungsgerichtlichen Dogmatik, 1984, 131 ff. (136). 40

41 BVerfGE 12, 205 (262 f.) - Fernsehurteil; 35, 79 - Niedersächsisches Vorschaltgesetz; 50, 290 - Mitbestimmung; 57,295 (319 ff.) - Saarländisches Rundfunkgesetz; vgl. dazu auch Häberle,

208

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsvorbehalts 3.2.5 Fehlende Anwendung auf das Rechtsetzungsverfahren

Hat damit der Gedanke des Grundrechtsschutzes durch Verfahren in vielfältiger Weise Anwendung gefunden auf das gerichtliche und auf das behördliche Verfahren, so ist auf der anderen Seite festzustellen, daß entsprechende Konsequenzen für das Verfahren der Rechtsetzung und für den Vorbehalt des Gesetzes bisher weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur in eindeutiger Form gezogen worden sind. Soweit sich hierzu in der Rechtsprechung des BVerfG und im verfassungsrechtlichen Schrifttum Andeutungen finden, werden diese meist nur im Sinne materieller Anforderungen an die zu treffende Regelung verstanden, 42 nicht aber im Sinne kompetenzrechtlicher Zuweisung an ein bestimmtes Rechtserzeugungsverfahren. Die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers wird dabei meist als selbstverständlich unterstellt. Erkennbare Konsequenzen für die Problematik der gesetzgeberischen Delegationsbefugnis und den Parlamentsvorbehalt werden aber - soweit ersichtlich - bisher nicht gezogen.43

3.3 Die Ratio des Grundrechtsschutzes im gerichtlichen und behördlichen Verfahren Bevor geklärt werden kann, ob der Zusammenhang von Organisation und Verfahren einerseits und Grundrechten andererseits verfassungsrechtliche Relevanz für die Zuordnung bestimmter Regelungsgegenstände zu bestimmten Entscheidungsträgem, Entscheidungsverfahren und Entscheidungsformen haben kann oder sogar haben muß, bedarf es eines kurzen Blicks auf die Grundgedanken, die der bisher vollzogenen Ausweitung des Grundrechtsschutzes auf das gerichtliche und das behördliche Verfahren zugrundeliegen.

V V D S t R L 30 (1972), 86 ff.; Hesse, EuGRZ 1978,427 ff., 334 ff.; Baum, D Ö V 1980,425 ff. (430); Starck, JuS 1981,237 ff. (242 f.); Goerlich (Fn. 19), 1981,47; Bethge, NJW 1982,1; Wolf,KJ 1984, 239 ff. (245). 42 Das BVerfG weist in E 40,237 (249) auf die Tatsache hin, das parlamentarische Verfahren gewährleiste ein höheres Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche und damit auch größere Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, zieht daraus jedoch keine Folgerungen für die Delegationsproblematik, sondern lediglich für die „Ausdehnung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts über die überkommenden Grenzen hinaus" (das heißt: Abkehr vom traditionellen Eingriffsvorbehalt). Soweit in der Literatur auf diese und ähnliche Gesichtspunkte hingewiesen wird, dominiert gleichwohl nach wie vor die Begründung parlamentarischer Regelungspflichten und Delegationsverbote aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip (vgl. zum Beispiel Evers, JuS 1977, 807; Kisker, N J W 1977, 1313 ff.). Im Ansatz konsequenter Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981,29 ff., der allerdings den Verfahrensaspekt bei der Problematik der kollidierenden Rechtspositionen eher vernachlässigt (31). Die Äußerungen von Goerlich (Fn. 19), 1981, 217 ff., und NJW 1981,2616, bleiben in Andeutungen stecken. Häberle (VVDStRL 30 (1972), 87) zieht aus seinem zutreffenden Ansatz keine kompetenzrechtlichen Konsequenzen. 43 Vgl. aber den Versuch Mengeis, den Verfahrensaspekt auf die Gesetzgebung anzuwenden (ZRP1984,153 ff.). Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984,111 ff. (130 f.) deutet die Entscheidung des BVerfG zur sogenannten Nachrüstung (E 65,1,59 vom 15.12.1983) dahingehend, daß in Abkehr von der Wesentlichkeitstheorie auf die „Grundrechtsgewährleistung durch Verfahren" abgestellt werde. - Der an sich zutreffende Ansatz von Böckenförde (Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981,384) wird nicht kompetenzrechtlich nutzbar gemacht, sondern bleibt dem Gesetzesbegriff verhaftet.

3. Materiell-rechtlicher Maßstab

209

Die organisations- und verfahrensrechtliche Ausdeutung der Grundrechte soll deren materiell-rechtliche Seite unter den Bedingungen des modernen Leistungsstaats stärken. 44 Dem Verständnis der Grundrechte als Verfahrensgarantien liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der heutigen sozialstaatlichen, leistenden und planenden pluralistischen Gesellschaft ein Grundrechtsverständnis nicht mehr gerecht wird, das deren Bedeutung allein in der Funktion als Abwehrrechte sieht. Was durch die Grundrechte gewährleistet werden soll, ist durch ein begrenztes Verständnis der Grundrechte im Sinne der klassischen Freiheitsrechte mit ihrer abwehrenden Bedeutung noch nicht sichergestellt. 45 Häufig bedarf es gesetzlicher Regelungen, um die Grundrechte erst wirksam werden zu lassen. Insbesondere in solchen Bereichen, in denen dem Staat (noch) eine weitgehende Monopolstellung zukommt (zum Beispiel Rundfunkbereich, Hochschulbereich), aber auch in anderen Bereichen gesellschaftlichen Ungleichgewichts (man denke an die Mitbestimmungsproblematik) können Grundrechte nur durch entsprechende organisatorische, institutionelle und verfahrensrechtliche Vorkehrungen wirksam werden. Besonders hervorgehoben werden diese Grundgedanken dort, wo unterschiedliche pluralistisch strukturierte Interessen und Grundrechtspositionen aufeinandertreffen, diese aber weder vom Verfassungs- noch vom Gesetzgeber abschließend geregelt werden können. Lassen sich aber zu treffende Entscheidungen nicht inhaltlich im voraus festlegen und steuern, so bedarf es zur Entscheidungsfindung einer Festlegung von Verfahren und Prozessen, die die verschiedenen (Grund-)Rechtspositionen aufzunehmen, zu verarbeiten und zu integrieren vermögen. 46 Treffen verschiedene Grundrechtspositionen aufeinander, so soll nach Möglichkeit keine Entscheidung herbeigeführt werden, die nur ein Recht auf Kosten des oder der anderen durchsetzt. Die Mehrheitsposition soll nicht rigoros unter Zurückdrängung jeglicher Minderheitenposition durchgesetzt werden. Die verfahrensrechtliche Regelung soll vielmehr zu einem Ausgleich der widerstreitenden Interessen und Rechtspositionen führen und im Sinne eines schonenden Ausgleichs Lösungen ermöglichen, die nicht nur infolge der Verfahrensbeteiligung der Betroffenen objektiv „gerechter" sind, sondern darüber hinaus subjektiv als akzeptabel anerkannt werden. Das Rechtsstaatsprinzip entfaltet hier im Sinne eines Minderheitenschutzes eine Korrektivwirkung gegenüber dem (mehrheitsorientierten) Demokratieprinzip. Das - vorgezogene - Verfahren wird so zum Vehikel „praktischer Konkordanz" und soll zur Konfliktvermeidung und Konsensherstellung beitragen. 47 Darüber hinaus führt das Verständnis der Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien zu einer rechtsschutzerweiternden Vorverlegung des Rechtsschutzes durch eine frühzeitige Beteiligung am behördlichen Entscheidungsverfahren, so daß hier der Ge44

Vgl. schon Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 86; jetzt auch Umbach (Fn. 43), 1984, 111 ff.

(115). 45

So BVerfGE 57, 295 (320). BVerfGE 57, 295 (321); vgl. auch Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 87; Baum, D Ö V 1980, 425 ff. (430). 47 Vgl. Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 87. 46

210

V I . Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

danke des präventiven Rechtsschutzes zum Tragen kommt. 4 8 Dies alles setzt freilich ein grundlegendes Umdenken voraus, welches staatliche Entscheidungen nicht mehr statisch nur vom Produkt und Ergebnis her sieht (Verwaltungsakt, Gesetz), sondern dem Prozeß, in welchem diese Entscheidungen hervorgebracht werden, zunehmend stärkere Aufmerksamkeit widmet. Die Erzeugung von Rechtsnormen und Einzelmaßnahmen erschöpft sich nicht in dem momentanen A k t der juristischen Sekunde, in der sie in Kraft gesetzt werden, sondern es handelt sich, wie es Häberle ausgedrückt hat, um Recht „in processu". 49 Insgesamt dient die skizzierte Entwicklung dem Ziel einer größtmöglichen Grundrechtseffektivität, 50 indem die bisherige Verkürzung der Grundrechte auf materielles Recht aufgehoben wird 5 1 und die Grundrechte in ihrer Funktion als Teilhaberecht nicht mehr allein auf materielle Ansprüche fixiert bleiben. 52 Aus dem eindimensionalen Verhältnis von Individuum und Staat (Grundrechtseingriffe) wird ein mehrseitiges LeistungsVerhältnis, das kollektive Wirkungen intendiert und gegenseitige Kommunikation gewährleistet. 53 3.4 Die notwendige Anwendung auf das Rechtsetzungsverfahren Angesichts dieser grundsätzlichen und weitreichenden Überlegungen zur Grundrechtsverwirklichung durch Organisation und Verfahren erscheint es fraglich, ob eine solche Grundrechtsinterpretation überhaupt auf Gerichtsund Verwaltungsverfahren beschränkt bleiben kann. Es ist keineswegs auszuschließen, daß auch die Wahl des Verfahrens zur Rechtserzeugung (hier: Gesetzgebungsverfahren oder Verordnungsverfahren) Einfluß haben kann auf die Qualität des Grundrechtsschutzes. Wenn den Grundrechten eine Ausstrahlung auf die gesamte Rechtsordnung zuerkannt wird, 5 4 dann ist nicht einzusehen, weshalb der Gedanke einer optimalen Grundrechtsverwirklichung zwar auf das gerichtliche und behördliche Verfahren der Rechtsanwendung ausstrahlen, gerade aber vor dem Verfahren der Rechtserzeugung haltmachen soll. Gewiß sind Unterschiede nicht zu verkennen, die einer Übertragung der vorstehend skizzierten Grundrechtsinterpretation auf die Problematik des Gesetzesvorbehalts entgegenstehen könnten. Handelt es sich im einen Fall um 48 Vgl. BVerfGE 53, 30 (51, 64) mit Sondervotum Simon/Heussner, 80; O V G Nürnberg, Goerlich (Fn. 19), 1981,230 mit Fn. 58; Geulen, K J 1982,263 ff. (265); Baum, D Ö V 1980,425 ff. (427) weist darauf hin, daß es oft unbefriedigend bleibe, hinsichtlich der Effektivität der Grundrechtsgewährleistung nur auf die nachträgliche gerichtliche Kontrolle zu setzen. 49 V V D S t R L 30 (1972), 87 ff.; ähnlich Ellwein/Görlitz, Parlament und Verwaltung, 1967,33; Schulze-Fielitz, N V w Z 1983, 709 ff. (711). 50 BVerfGE 39,1 (38) - § 218 StGB; BVerfGE 58,257 (271); von Münch, Rdn. 51 zu Art. 1 bis 19 Vorbemerkung, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981. 51

Goerlich (Fn. 19), 1981, 218 f. Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 89. 53 Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 87, 89. 54 Roellecke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation in der Rechtsprechung des BVerfG, 1976, 22 ff. (34); von Münch, Rdn. 22 und 27 zu Art. 1 bis 19 Vorbemerkung, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., 1981. 52

3. Materiell-rechtlicher Maßstab

211

das Verfahren der Rechtsanwendung, so geht es hier - noch einen Schritt davor - bereits um das Verfahren der Rechtserzeugung. Läuft der Gedanke des Grundrechtsschutzes durch Verfahren im einen Fall auf eine Beteiligung der Betroffenen hinaus, so würde er hier lediglich zu einer Zuweisung von Regelungskompetenzen zwischen verschiedenen staatlichen Organen führen. Geht es dort um die Schaffung grundrechtsadäquater Verfahren und um die Begründung subjektiver Beteiligungsrechte im Einzelfall, so würde hier bereits das Verfahren, in welchem jene Regelungen hervorgebracht werden sollen, unter das gleiche Postulat gestellt. Konkretisiert sich der Grundrechtsschutz dort erst in der Erzeugung und Anwendung von Organisations- und Verfahrensrecht, so soll er hier bereits auf die Kompetenzverteilung ausstrahlen, die diese Regelungen erzeugt. Geht es dort um die Verpflichtung des Gesetzgebers, bestimmte inhaltliche Normierungen vorzunehmen, so geht es hier um die Verpflichtung (oder das Verbot) für den Gesetzgeber, überhaupt tätig zu werden. A u f der anderen Seite fragt sich, ob diese Unterschiede so grundlegend sind, daß sie einer Anwendung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren auf die Delegationsproblematik und den Parlamentsvorbehalt wirklich zwingend entgegenstehen. Wenn die Verfassung einen Auftrag an Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichte zur Grundrechtseffektivierung enthält und damit einen Maßstab setzt für die Schaffung sekundären (der Verfassung nachfolgenden) Rechts, so muß dieser Grundsatz der Verfassung selbst immanent sein und die Auslegung des originären Verfassungsrechts beeinflussen. Einer Anwendung auf das verfassungsrechtliche Vorbehaltsprinzip und die von der Verfassung getroffene Funktionentrennung ist daher nicht prinzipiell ausgeschlossen. Insbesondere der Gedanke der rechtsschutzerweiternden Vorverlagerung des Grundrechtsschutzes legt es nahe, nicht nur verfahrensrechtliche Vollzugsdefizite, sondern bereits normative Regelungsdefizite zu verhindern. 55 Der bestmögliche Grundrechtsschutz ist der frühestmögliche. Grundrechtsrelevante Gesichtspunkte, die im Rechtsetzungsverfahren nicht berücksichtigt wurden, können infolge der Gesetzesbindung von Exekutive und Judikative weder im gerichtlichen noch im behördlichen Verfahren im nachhinein korrigiert werden. 3.5 Die Frage nach der grundrechtsadäquaten Regelungsform (Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung) Wenn aus den Grundrechten Konsequenzen für Verfahren und Organisation gezogen werden, dann erscheint es nur konsequent, auch umgekehrt aus 55 Vgl. Simon/Heussner, Sondervotum zu BVerfGE 53,30 (76); wie hier auch Schulze-Fielitz, N V w Z 1983,709 ff. (711). - Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Sondervotum des Richters Mahrenholz zum Urteil des BVerfG vom 24.4.1985 (NJW 1985,1519ff., 1574 f.) zur Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung: die gesetzliche Regelung des § 9 Abs. 2 K D V G könne im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 G G - dem Mindeststandard an ordentlicher und fairer Gestaltung des verwaltungsmäßigen Procedere nicht genügen. Die Grundrechtswidrigkeit liege hier bereits im Gesetz, das ein grundrechtskonformes Verwaltungsverfahren (hier: Möglichkeit der Ablehnung wegen Befangenheit) nicht mehr zulasse.

212

V I . Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

bestimmten Organisationsstrukturen von Parlament oder Ministerialbürokratie und aus bestimmten Verfahrensstrukturen (Gesetzgebungsverfahren oder Verordnungsverfahren) Rückschlüsse zu ziehen auf die Möglichkeit optimaler Grundrechtsverwirklichung durch die Wahl des „richtigen" Entscheidungsorgans und -Verfahrens. Nichts anderes hat im übrigen das BVerfG in seinem Kalkar-Beschluß durch den Hinweis auf das Gebot eines „dynamischen Grundrechtsschutzes" zum Ausdruck gebracht. 56 In dieser Entscheidung hat das Gericht hervorgehoben, daß es unter Umständen im Sinne des Grundrechtsschutzes liegen kann, auf zu detaillierte gesetzliche Regelungen zu verzichten und statt dessen die Entscheidung über die notwendigen Sicherheitsstandards dem behördlichen Entscheidungsverfahren zu überantworten, um so eine flexible, den praktischen Bedürfnissen entsprechende Regelung herbeizuführen. In dieser Entscheidung wird zugleich deutlich, daß ein Abstellen auf Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur durchaus nicht in jedem Fall zu einer Kompetenzzuweisung an den parlamentarischen Gesetzgeber führen muß, sondern daß unter Umständen eine Regelung durch Rechtsverordnung oder der Verzicht auf eine detaillierte Regelung im Sinne eines dynamischen Grundrechtsschutzes adäquater sein kann. In der Tat stellt sich bei konsequenter Fortführung des funktionell-rechtlichen Ansatzes die Frage, ob nicht neben der „Wesentlichkeitstheorie" auch eine „Unwesentlichkeitstheorie" zu entwickeln ist. 5 7 Auch wenn man derartigen „Theorie"bildungen mit Skepsis begegnen muß, so ist doch offensichtlich, daß bei einer Anknüpfung an die jeweiligen Organ-, Verfahrens- und Regelungsstrukturen keine einseitigen Ergebnisse zu erwarten sind. Sollte die Frage nach der adäquaten rechtlichen Handlungsform ergeben, daß eine Regelung im Verordnungsverfahren grundrechtseffektivierender wäre, dann hätte dies notwendig zur Konsequenz, daß der Gesetzgeber die Entscheidung nicht nur delegieren darf, sondern von Verfassungs wegen zur Delegation verpflichtet wäre. Die funktionell-rechtliche Anknüpfung kann sich nicht auf eine durchgehende Zuweisung zum Gesetzgebungsverfahren beschränken, wenn eine andere Verfahrensart grundrechtsadäquater erscheint. 58 Auch ein simples Regel- und Ausnahmeverhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung, wie es immer wieder angenommen wird, 5 9 wird der Problematik nicht gerecht. Wenn die Funktion des Parlamentsvorbehalts unter anderem auch darin besteht, den Gesetzgeber zu entlasten, um zu einer Qualitätsverbesserung der Gesetze und zu einer Konzentration auf die eigentlich wichtigen Fragen beizutragen, dann könnte hierin jedenfalls dann mehr als nur ein verfassungspolitisches Postulat liegen, wenn die „Krise der Gesetzgebung" und die Überlastung der Parlamente diese an die Grenze ihrer Funktionsfähigkeit brächte. In diesem Fall wäre es nicht nur ein verfassungspolitisches Postulat, sondern ein unmittelbares verfassungsrechtliches Gebot, durch eine funktionssichernde Verfassungsinterpretation die Funktionsfähigkeit der Parlamente 56 57 58 59

BVerfGE 49, 89(137). Vgl. Maunz, Die Schule in der Sicht der Rechtsprechung, 1979, 249. So auch Lerche (Fn. 42), 1981, 30. Vgl. BVerfGE 24, 184 (197); Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (340).

4. Unterschiede zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung

213

wiederherzustellen. Unter Umständen könnte hierzu eine Selbstentlastung durch Rechtsetzungsdelegation geboten sein.

3.6 Grundrechte als Kompetenzgarantien Nach alledem läßt sich feststellen, daß die Verfassung im Bereich der Rechtsetzung eine grundrechtsadäquate Wahl von Entscheidungsorganen, Entscheidungsverfahren und Entscheidungsformen und damit eine funktionsgerechte Kompetenzordnung verlangt. Auch im Bereich der Rechtsetzung ist dasjenige Entscheidungsverfahren zu wählen, das möglichst effektiven Schutz und Verwirklichung der Grundrechte verspricht. Der Gesetzesvorbehalt wird damit zum Verfahrensvorbehalt. 60 Die Grundrechte entfalten neben den Verfahrensgarantien Organ- und Formgarantien, oder zusammengefaßt: Kompetenzgarantien. Auch wenn die kompetentielle Bedeutung der Grundrechte keineswegs neu ist, so tritt sie in diesem Lichte doch deutlicher hervor als bisher. 61 Es kommt somit entscheidend darauf an, ob und in welcher Weise sich Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur bei einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers einerseits und des Verordnungsgebers andererseits unterscheiden.

4. Strukturelle und funktionelle Unterschiede von Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung I m folgenden soll daher im Wege des vergleichenden Vorgehens geprüft werden, ob und wenn ja welche strukturellen und funktionellen Unterschiede zwischen Parlamentsgesetz und Rechts Verordnung bestehen.

60 Vgl. Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 87. Dieser Gesichtspunkt wird häufig übersehen, zum Beispiel wenn von einem „Vorbehalt zugunsten des Parlaments" die Rede ist und dem Parlament die Form der Entscheidung (Gesetz oder einfacher Parlamentsbeschluß) anheimgestellt wird (in dieser Richtung Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1980,14,46 ff.; Scholz/Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980,121 ff.). Auch Lerche (Fn. 42), 1981,31, vernachlässigt den von ihm zuvor betonten Verfahrensaspekt, indem er für die Lösung von Grundrechtskollisionen Gesetzgebungsund Rechtsverordnungsverfahren als gleichrangig darstellt. 61 Schon die klassische Freiheit- und Eigentum-Formel wies den Grundrechten kompetenzverteilende Funktion zwischen Monarch und Volksvertretung zu. Das Verständnis der Grundrechte als „negative Kompetenznormen" (vgl. dazu Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961,30; kritisch Goerlich (Fn. 19), 1981, 20) im Verhältnis Bürger - Staat betrifft eine weitere Kompetenzdimension der Grundrechte. Zu erwähnen sind schließlich die Grundrechts vorbehalte, die zwar für die Delegationsproblematik „kompetentiell offen" sind, aber im Verhältnis Legislative Exekutive einer originären Kompetenz der Exekutive zur Grundrechtskonkretisierung im Wege stehen (vgl. dazu oben Kap. V I 2.5.4). Auch die Justizgrundrechte können als Kompetenznormen im Verhältnis Bürger - Judikative begriffen werden. - Zur kompetenzrechtlichen Bedeutung der Grundrechte vgl. auch Starck, N Z W 1972, 1489 ff. (1490); Erichsen, VerwArch 67 (1976), 98; Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 (89 ff.); BVerfGE 33, 125 (158 ff.).

214

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlaments Vorbehalts 4.1 Organstruktur 4.1.1 Gesetzgeber

Die Funktion des Gesetzgebers kommt nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen dem Parlament zu, auf Bundesebene also dem Bundestag und auf Landesebene den Landtagen, die teilweise besondere Bezeichnungen tragen. 6 2 Unabhängig von Beteiligungsrechten anderer Organe sind allein der Bundestag und die Landtage als Gesetzgeber anzusehen. 63 I m Gegensatz zum Grundgesetz und in Anlehnung an das Vorbild des A r t . 73 der Weimarer Reichsverfassung und des A r t . 6 der preußischen Verfassung vom 30.10.1920 sieht die Mehrzahl der Landesverfassungen außerdem die - allerdings in unterschiedlichem Maße begrenzte - Möglichkeit der Verabschiedung von Gesetzen durch Volksabstimmung (Volksentscheid) v o r . 6 4 W i r d von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so ist nicht das Parlament, sondern das Volk selbst der Gesetzgeber. I n der Staatspraxis hat die verfassungsrechtlich vorgesehene Möglichkeit der Verabschiedung von Gesetzen unmittelbar durch das Volk nur geringe Bedeutung erlangt. 65 Bisher ist, soweit ersichtlich, noch nie von der Möglichkeit der Verabschiedung von Gesetzen durch Volksentscheid Gebrauch gemacht worden. 6 6 I n den wenigen Fällen, in denen es bisher zu Volksbegehren gekommen ist, endete das Verfahren aus verschiedenen Gründen vor der eigentlichen Volksabstimmung. 6 7 7 0 62

In Berlin: Abgeordnetenhaus, in Bremen und Hamburg: Bürgerschaft. Vgl. Bryde, Rdn. 3 zu Art. 77, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 64 Baden-Württemberg: Art. 59 Abs. 3, 60, 64; Bayern: Art. 72 Abs. 1, 73, 74; Bremen: Art. 69 ff., 123; Hessen: Art. 116 Abs. 1 Buchst, a), 117, 124; Nordrhein-Westfalen: Art. 68, 69 Abs. 2; Rheinland-Pfalz: Art. 107 Buchst, a), 108, 109; Saarland: Art. 99, 100. 63

65 Vgl. Mayer/Ule, Staats- und Verwaltungsrecht in Rheinland-Pfalz, 1969,28 (für RheinlandPfalz); vgl. auch Geller/Kleinrahm/Dickersbach, Die Verfassung des Landes NordrheinWestfalen, 1977, Art. 68 Anm. 7 mit zwei Beispielen für Nordrhein-Westfalen. Art. 29 G G ist hier nicht einschlägig, da der dort vorgesehene Volksentscheid nicht unmittelbar ein Gesetz verabschiedet, sondern - wenn auch bindend - lediglich mittelbar auf den Bundesgesetzgeber einwirkt. Auch die sogenannten Volksbefragungen gehören nicht hierher, da sie nicht unmittelbar die Verabschiedung von Gesetzen herbeiführen (vgl. dazu BVerfGE 8, 104 - Volksbefragung über Atombewaffnung). Ebenfalls nicht die Gesetzgebung betreffen Volksabstimmungen über die Auflösung des Parlaments (vgl. zum Beispiel Art. 39 Abs. 1 beri. Verf.; dazu Pestalozza, NJW 1981,733). 66 Vgl. für Hessen: Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Bd. 2, 1980, Einführung, 23; Enquête-Kommission des Bundestages für Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924, Kap. 3.2. Achterberg, D Ö V 1982,976 ff. (978), bezeichnet die Volksgesetzgebung als „praktisch... belanglos". 67 Der BayVerfGH erklärte durch Entscheidung vom 15.12.1976 (vgl. RdJB 1977, 231), die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Ergänzung des Art. 132 der bay. Verf. (Lernmittelfreiheit) für gegeben, während er die Voraussetzungen hinsichtlich des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des bayerischen Ausbildungsf0rderungegesetz.es und des Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulwegs für nicht gegeben erachtetc. Zu einer Änderung der bayerischen Verfassung betreffend die Lernmittelfreiheit kam es nicht. 68 Nach der in Nordrhein-Westfalen 1977/78 erfolgreich gewesenen Kampagne „Stopp KOOP" gegen die Einführung der vom Landesgesetzgeber beschlossenen kooperativen Gesamtschule machte die Landesregierung einen Rückzieher; der Landtag verabschiedete daraufhin am 1.3.4.1978 in erster und zweiter Lesung einstimmig den Gesetzentwurf der Bürgeraktion zur Änderung des Schulverwaltungsggesetzes, das erst am 8.11.1977 im GVB1. verkündet worden

4.

ranstruktur

215

Wegen der in der Staatspraxis geringen Bedeutung der unmittelbaren Gesetzgebung durch Volksentscheid oder Volksabstimmung soll diese im folgenden ausgeklammert werden. Wenn im weiteren von „Gesetzgeber" gesprochen wird, so sind damit stets die Parlamente als die in der bisherigen Praxis allein tätig gewordenen Gesetzgebungsorgane gemeint.

4.1.2 Verordnungsgeber

Art. 80 Abs. 1 Satz 1 G G nennt als mögliche Ermächtigungsadressaten Bundesregierung, Bundesminister und Landesregierungen. Die Landesverfassungen sehen, soweit sie nicht die möglichen Delegatare offenlassen, 71 die Landesregierungen oder einzelne Minister als potentielle Verordnungsgeber vor. 7 2 Soweit die Verfassungen die möglichen Ermächtigungsadressaten nennen, ist diese Aufzählung erschöpfend. 73 Doch auch dort, wo ein verfassungsrechtlich vorgeschriebener Numerus clausus der Erstdelegatare besteht, ist in allen Fällen die Möglichkeit der Subdelegation gegeben, die im Gesetz vorgesehen sein muß und durch die Rechtsverordnung ausgesprochen werden kann. 7 4 Als Subdelegatare kommen andere Exekutivbehörden wie zum Beispiel Regierungspräsidenten, Kreise, Ämter, Gemeinden, Bundes- oder Landesoberbehörden oder die Organe bundes- oder landeseigener Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts in Betracht. 75 Die parlamentarische Verantwortlichkeit ist in der Regel zumindest mittelbar über die oberste Aufsichtsbehörde gewährleistet. 76 Da dies bei Privaten nicht der Fall ist, war. Vgl. dazu die sehr anschaulich wiedergegebene Chronologie der Ereignisse bei Lehmann, Schulreform und Politik. Der Konflikt um die kooperative Schule und ihre Orientierungsstufe, 1978, 3 ff., sowie Geller/Kleinrahm/Dickersbach (Fn. 65), 1977, Art. 68 Anm. 7. 69 Bei dem Volksbegehren in Nordrhein-Westfalen gegen die Gebietsreform (WattenscheidGesetz) wurde mit 6,02 % die von Art. 68 Abs. 1 L V geforderte Anzahl von 1/5 der Stimmberechtigten bei weitem nicht erreicht (vgl. Geller/Kleinrahm/Dickersbach, Fn. 68). 7ü Das beabsichtigte Volksbegehren im Lande Hessen gegen die Startbahn West scheiterte an dem Beschluß des hess. StGH vom 14./15.1.1982 ( D Ö V 1982, 320), der die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Hessen verneinte. - Zur verfassungspolitischen Problematik plebiszitärer Elemente wie Volksbegehren, Volksentscheid, Volksbefragung vgl. Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/5924, Kap. 3 (S. 12 ff.). Demgegenüber tritt Pestalozza (NJW 1981, 733) für Volksbefragungen als „demokratisches Minimum" ein. 71 Niedersachsen: Art. 34; Nordrhein-Westfalen: Art. 70; Rheinland-Pfalz: Art. 110; Saarland: Art. 104; Schleswig-Holstein: Art. 33. 72 Baden-Württemberg: Art. 61 Abs. 2; Bayern: Art. 55 Nr. 2; Berlin: Art. 47 Abs. 1; Bremen: Art. 124; Hamburg: Art. 53; Hessen: Art. 107, 118. 73 BVerfGE 8,155 (163); B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 ff. (216); Wilke, in: von Mangoldt/ Klein, Anm. V la; Herrfahrdt, in: Bonner Kommentar, Art. 80, Erläuterung I I 1 ; Bryde, Rdn. 11 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 74 Zur Subdelegation vgl. Geller/Kleinrahm/Dickersbach (Fn. 65), 1977, Art. 70 Anm. 13; zur Frage der Zulässigkeit einer vorweggenommenen Subdelegation unmittelbar durch den Gesetzgeber vgl. Bryde, Rdn. 11 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983 (verneinend); a.A. (bejahend) Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1978, Art. 80 Rdn. 15; Obermayer, DVBl. 1959, 357 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, 170 mit Fn. 72. 75 Zur Frage, ob Parlamentsausschüsse als Ermächtigungsadressaten in Betracht kommen können, vgl. Roewer/Hoischen, DVBl. 1979, 900 ff. (902). 76 Vgl. Geller/Kleinrahm/Dickersbach (Fn. 65), 1977, Art. 70 Anm. 12c.

216

V I . Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

können diese nicht im Wege der Subdelegation zum Verordnungsgeber gemacht werden. Verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen sind daher in den in Fußnote 71 genannten Ländern unmittelbare gesetzliche Verordnungsermächtigungen an Schulaufsichtsbehörden oder an öffentliche Schulen in ihrer Eigenschaft als nicht rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts. 77 I m geltenden Schulrecht richten sich die gesetzlichen Verordnungsermächtigungen indes praktisch ausschließlich an die Kultusminister (zum Teil im Einvernehmen mit anderen Ministern), seltener an die gesamte Landesregierung. 7 8 In der Staatspraxis kann daher durchweg davon ausgegangen werden, daß als Verordnungsgeber in der Regel ein Minister, in Ausnahmefällen die Regierung tätig wird. Subdelegationen der genannten Art sind praktisch bedeutungslos. Zur Vermeidung akademischer Diskussionen sollen sich die Erörterungen im folgenden auf die praktisch allein relevante Version konzentrieren, daß Minister beziehungsweise Regierungen als Verordnungsgeber tätig werden. Für den Vergleich der Organstruktur von Gesetz- und Verordnungsgeber wird sich die Aufmerksamkeit im folgenden daher auf die Unterschiede zwischen Parlamenten einerseits und Ministerien/Regierungen andererseits richten. Die offenkundigen beiderseitigen Gemeinsamkeiten, die zum Teil bestehen, können dabei vernachlässigt werden, da sie für eine kompetenzielle Differenzierung nichts herzugeben vermögen.

4.1.3 Zusammensetzung von Parlament und Regierung

I m Parlament sind alle diejenigen Parteien und Gruppierungen vertreten, denen es gelungen ist, die wahlrechtlichen Sperrklauseln zu überwinden. Die Parlamente sind somit durch eine repräsentative Zusammensetzung aller relevanten Wählergruppen charakterisiert. 79 Sie geben als personelle Gesamtrepräsentation des Volkes ein fast vollständiges Spiegelbild des Wählervotums ab, da sie durchweg mehr als 95 Prozent der Wähler repräsentieren. Selbst bei Wahlen, bei denen kleinere Parteien knapp an der Fünf-ProzentHürde scheitern und dadurch nur zwei Parteien im Parlament vertreten sind, finden regelmäßig immer noch mehr als 90 Prozent der Wähler die von ihnen gewählte Partei im Parlament wieder. 80

77 § 23 Abs. 1 b.-w. SchulG; Art. 3 Abs. 1 Satz 4 bay. EUG; § 16 Abs. 2 brem. SchulVerwG; § 1 Abs. 3 Satz 2 nieders. SchulG; §§ 6, 32 nr.-w. SchVG; § 60 rh.-pf. SchulG; § 16 Abs. 1 saarl. SchoG; § 3 schl.-h. SchulG. 78 So zum Beispiel § 17 Abs. 4 und 5 brem. SchulG. 79 Vgl. Roewer/Hoischen, DVBl. 1979,900 ff. (903). Was eine „relevante" Gruppierung ist, hat das Wahlrecht mit der in Bund und Ländern geltenden Fünf-Prozent-Klausel beantwortet. 80 Vgl. die Landtagswahlen in Niedersachsen vom 4.6.1978 (SPD: 42,2 %, C D U : 48,7 %, zusammen: 90,9 %), Nordrhein-Westfalen vom 11.5.1980 (SPD: 48,4 %, C D U : 43,2 %, zusammen: 91,6 %), Bayern vom 10.10.1982 (SPD: 31,9 %, CSU: 58,3 %, zusammen: 90,2 %), Rheinland-Pfalz vom 6.3.1983 (SPD: 39,6 %, C D U : 51,9 %, zusammen: 91,5 %) und SchleswigHolstein (SPD: 43,7 %, C D U : 49,0 %, zusammen 92,7 %).

4.

ranstruktur

217

Demgegenüber repräsentieren die Regierungen allein die politische Mehrheit, die unter Umständen nur knapp über 50 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, bei Minderheitenregierungen sogar weniger als 50 Prozent. Die Regierung repräsentiert nicht die Gesamtheit der durch Volkswahl als verfassungsrechtlich relevant ausgewiesenen politischen Standpunkte und Interessen. 81 Nur bei „großen Koalitionen" oder bei „Allparteienregierungen", die jedoch in der politischen Kultur der Bundesrepublik verpönt sind und daher nur ausnahmsweise vorkommen, 8 2 nähert sich das repräsentative Bild von Parlament und Regierung an. Im allgemeinen weisen daher die Parlamente im Vergleich zur Regierung eine stärkere pluralistische Zusammensetzung auf. Die personelle und politische Zusammensetzung der Regierung ist in aller Regel durch eine repräsentative Verkürzung gekennzeichnet. Regierung und Ministerien verkörpern daher eine - infolge des von der Verfassung vorgesehenen Mehrheitsprinzips völlig legitime 83 - personelle Verengung und politische Einseitigkeit. Dies gilt, wenn auch in abgeschwächter Form, für die heute weithin üblichen Koalitionsregierungen, da sich auch diese zu einer gemeinsamen politischen Linie vereinbaren und sich dadurch gegenüber der Parlamentsminderheit politisch abgrenzen. Auch wenn Koalitionsregierungen ein gewisses Maß an politischer Pluralität verkörpern, so ist doch die Pluralität stets - relativ gesehen - geringer als diejenige des Gesamtparlaments. Auch noch so knappe Mehrheiten eröffnen der Parlamentsmehrheit die Möglichkeit, die Regierung zu bilden sowie Gesetze, insbesondere den Haushalt, zu verabschieden. Da aber alle Abgeordneten und nicht nur die der Mehrheit demokratisch gewählt und damit legitimiert sind, auf den politischen Prozeß Einfluß zu nehmen, läßt sich eine stärkere demokratische Legitimation des Parlaments im Vergleich zur Regierung zwar nicht durch die Unmittelbarkeit des Wahlverfahrens, 84 sondern vielmehr im Hinblick auf die ebenfalls gegebene demokratische Legitimation der Parlamentsminderheit (Opposition) begründen. Aus alledem ergibt sich zugleich die von der Verfassung vorgesehene Funktion der Opposition. Stellung und Funktion der Opposition im parlamentarischen System der Bundesrepublik haben im staatsrechtlichen Schrifttum bisher nicht die gebührende Beachtung und Würdigung gefunden. 85 Die Opposition ist weder im Grundgesetz noch in der Mehrzahl der Landesverfassungen überhaupt erwähnt. Eine Ausnahme bildet lediglich Art. 23a der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 8 6 der Aufgaben und Funk81

Vgl. Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 78 f., Β 106. Vgl. dazu Magiera (Fn. 5), 1979, 116 m.w.N. 83 Vgl. Art. 63, 67, 68 mit 121 G G ; dazu auch Magiera (Fn. 5), 1979, 116 f. 84 Vgl. oben Kap. V I 1.1.2. 85 Vgl. Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, B i l l m.w.N.; vgl. dazu auch Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 1022 ff., insbesondere 1037 ff.; Η . P. Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1974. 82

86 In die Verfassung eingefügt durch das 2. Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 18.12.1971 (GVB1.1,21); vgl. schon Art. 120 der Verfassung des Landes Baden vom 19.5.1947 (Bad. GVB1., 129).

218

V I . Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

tion der Opposition in knappen Worten beschreibt: „Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Sie hat die ständige Aufgabe, die Kritik am Regierungsprogramm im Grundsatz und im Einzelfall öffentlich zu vertreten. Sie ist die politische Alternative zur Regierungsmehrheit." Das BVerfG hat die „verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition" ausdrücklich als „grundlegendes Prinzip" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anerkannt. 87 Der Opposition kommt danach vor allem die Aufgabe zu, Parlamentsmehrheit und Regierung im Wege öffentlicher Diskussionen und Stellungnahmen einem ständigen Begründungszwang für ihr Handeln zu unterwerfen, ihre Absichten und Maßnahmen einer öffentlich sichtbaren Kontrolle zu unterziehen und dem Regierungsprogramm die eigenen programmatischen Alternativen, generell und in der einzelnen Sachfrage, entgegenzusetzen. A u f diese Weise repräsentiert die parlamentarische Opposition denjenigen Teil der Meinungen und Interessen derjenigen Wähler, die sich nicht unmittelbar im politischen Programm der Mehrheit berücksichtigt sehen. 88 Nach dem Wegfall des klassischen Antagonismus von Monarch und Volksvertretung stehen sich heute in gewaltenteilender und machtkontrollierender Funktion Regierung und Mehrheitsfraktion(en) auf der einen und die Minderheitsfraktion(en) auf der anderen Seite gegenüber. Die charakteristische Besonderheit, die das Parlament gegenüber der Regierung heraushebt, ist in seiner Eigenschaft als Forum der grundsätzlichen Befürworter und der grundsätzlichen Gegner der Regierungspolitik zu sehen. 89 Zwar besitzt die Opposition trotz aller in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehenen Minderheitsrechte keine zwingenden Mittel, um sich gegen die Mehrheit durchzusetzen, sie ist aber in den Ausschüssen entsprechend ihrem Mandatsanteil vertreten, was bei knappen parlamentarischen Mehrheiten zu nahezu ausgewogenen Konstellationen führen kann. Von daher eröffnen sich für die Opposition nicht nur Möglichkeiten zur Kontroverse 90 und Kontrolle, sondern auch politisch wirksame Wege zur Kooperation, zum Konsens und zum Kompromiß. 9 1 Das Parlament ist daher von seiner pluralistischeren Organstruktur her eher als Regierung und Ministerien in der Lage, notwendige Integrationsfunktionen wahrzunehmen. 92 A u f Bundesebene wird dies durch die Beteiligung des Bundesrats und die in Art. 77 Abs. 2 G G angelegte Einrichtung eines Vermittlungsausschusses noch verstärkt. 87

BVerfGE 2, 1 (14); 5, 85 (140). Zeh, Der Deutsche Bundestag, 1979, 18. - Die Beteiligung der Opposition im Gesetzgebungsverfahren stellt dadurch in gewisser Weise ein Instrument des Minderheitenschutzes dar. 89 Vgl. BVerfGE 10,4 (12 f.), wo vom Bundestag als einem „Forum für Rede und Gegenrede" gesprochen wird; vgl. auch Magiera (Fn. 5), 1979,154 f.; dem steht die Äußerung von E. Fraenkel (Deutschland und die westlichen Demokratien, 3. Aufl., 1968,24) gegenüber, der die in Deutschland fehlende Tradition der großen Parlamentsdebatten bemängelt, in denen in offener Feldschlacht um Sieg oder Niederlage einer Regierung gerungen wurde. 90 Vgl. Schäfer, ZParl. 4 (1973), 441: Das Parlament sei von seiner Wesensart kontrovers angelegt und könne in seiner Arbeitsmethode nur kontrovers erfolgreich arbeiten. Ähnlich Degenhart, D Ö V 1981, 477 ff. (479 f.). 91 Zeh (Fn. 88), 1979, 18; Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 42 f. 92 Vgl. Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 107; Hesse (Fn. 24), 1984, Rdn. 506. 88

4.2 Verfahrensstruktur

219

4.1.4 Leistungsfähigkeit

Ein weiterer wichtiger Unterschied ist darin zu sehen, daß der Regierung und den Ministern als Verordnungsgebern ein wesentlich größerer personeller, sachlicher wie auch finanzieller Apparat zur Verfügung steht. Regierung und Ministerien steht in ihrer Funktion als Verordnungsgeber eine hochdifferenzierte, -qualifizierte und -spezializierte ministeriale Verwaltung zur Verfügung, die sich - abgesehen von den politischen Beamten - größtenteils aus Beamten auf Lebenszeit zusammensetzt, die sich in der Regel auf bestimmte Fachfragen und -gebiete spezializiert haben. Hinzu kommen die den Ministerien nachgeordneten selbständigen und unselbständigen Behörden der mittelbaren Bundes- und Landesverwaltung und die nicht rechtsfähigen Bundesund Landesanstalten, zu deren Aufgaben unter anderem die fachliche und wissenschaftliche Beratung und Unterstützung der übergeordneten Ministerien gehört. 93 Der den Ministern und der Regierung zuarbeitende Behördenapparat verfügt somit über ein hohes Maß an Arbeitskapazität, Information, Spezialwissen und Leistungsfähigkeit. A u f der anderen Seite können die parlamentarischen Hilfsdienste und die persönlichen Mitarbeiter der Abgeordneten dieses Defizit nicht ausgleichen. Zwar weist auch der parlamentarische Bereich mittlerweile Strukturen auf, die ein gewisses Gegengewicht bilden. So kommt den parlamentarischen Ausschüssen die Funktion von Arbeitsorganen zu, in denen vielfach ebenfalls sehr weitgehend spezialisierte Abgeordnete mit großem Sachverstand mitwirken. Entsprechendes gilt für Fraktionsarbeitskreise und interfraktionelle Arbeitsgruppen. Auch die Maßnahmen im Rahmen der kleinen Parlamentsreform (Enquête-Kommissionen, Hearings, unabhängige Expertenkommissionen) haben eine gewisse Verbesserung gebracht. Insgesamt gesehen kann aber das Parlament hinsichtlich Arbeitskapazität, Informationslage und Leistungsfähigkeit nach wie vor nicht mit der Exekutive konkurrieren. In dieser Hinsicht weist die Organstruktur des Verordnungsgebers ein erhebliches Übergewicht gegenüber dem Parlament auf.

4.2 Verfahrensstruktur 4.2.1 Mehrere Lesungen im Gesetzgebungsverfahren

Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ist durch das Grundgesetz und die Landesverfassungen detailliert festgelegt und formalisiert. Sowohl die Initiativrechte als auch der Gang des Gesetzgebungsverfahrens sowie die Beteiligungsrechte anderer Staatsorgane sind weitgehend verfassungsrechtlich geregelt. 94 Einige Landesverfassungen schreiben vor, daß jedes Gesetz in 93 Auf Bundesebene zum Beispiel Umweltbundesamt, Bundesgesundheitsamt, Statistisches Bundesamt, Bundeskartellamt, Institut für Raumforschung u.a.; vgl. dazu Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I I , 1976, § 82; von Münch, Verwaltung und Verwaltungsrecht, 1983, § 2 I. 94 Vgl. Art. 76 ff. G G und die entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen.

220

V I . Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

der Regel in zwei Lesungen im Landtag beraten werden muß und unter bestimmten Voraussetzungen eine weitere dritte Lesung stattzufinden hat. 9 5 In den übrigen Ländern sowie im Bund schreiben die parlamentarischen Geschäftsordnungen ebenfalls mehrere Gesetzesberatungen vor. 9 6 Entsprechende Vorschriften für das Verfahren der Verordnungsgebung bestehen nicht. 4.2.2 Beteiligung anderer oberster Staatsorgane

Darüber hinaus sehen die Verfassungen von Bund und Ländern in stärkerem Maße die Beteiligung anderer oberster Staatsorgane am Gesetzgebungsverfahren vor. 9 7 Insbesondere durch die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Ausfertigung von Gesetzen ist eine Mitwirkung eines oder mehrerer anderer oberster Staatsorgane vorgesehen. Während das Grundgesetz eine Ausfertigung der Gesetze durch den Bundespräsidenten vorsieht, 98 erfolgt dies auf Landesebene entweder durch die Landesregierung (Senat), den Ministerpräsidenten (zum Teil gemeinsam mit den zuständigen/beteiligten Ministern) oder durch den Präsidenten des Landtages. 99 Die Ausfertigung 95

Berlin: Art. 45 Abs. 3 und 4; Hamburg: Art. 49 und 50. Es könnte grundsätzlich auf methodische Bedenken stoßen, nicht unmittelbar verfassungsrechtliche Regelungen als Anknüpfungspunkt für die Entscheidung verfassungsrechtlicher Kompetenzfragen heranzuziehen. Die Regelungen der parlamentarischen Geschäftsordnungen wirken jedoch als ergänzendes (sekundäres) Verfassungsrecht auf das primäre Verfassungsrecht zurück und prägen so nicht nur die Verfassungswirklichkeit, sondern den lebendigen Inhalt des verfassungsrechtlichen Verfahrensrechts entscheidend mit. Zudem können zahlreiche Grundzüge der Geschäftsordnungen zum politischen „Gewohnheitsrecht" gerechnet werden. Hierzu gehört auch die traditionell in mehreren Lesungen erfolgende Gesetzesberatung. Sie sind fester Bestandteil der „politischen Kultur" der Bundesrepublik. Darüber hinaus steht das innere Parlamentsrecht nicht in einer Rangkonkurrenz mit dem einfachen Gesetzes- und Verordnungsrecht, sondern steht als verfassungsergänzende Materie außerhalb der eigentlichen Normenhierarchie, so daß ihm der Charakter eines speziellen Unterverfassungsrechts zukommt (vgl. dazu auch Magiera (Fn. 5), 1979, 122 ff.). Vgl. auch Achterberg, Die Deutung der Natur der Parlamentsgeschäftsordnung als Folge des Staats Verständnisses, 1982, 331 ff. 96

97 Vgl. dazu Degenhart, D Ö V 1981, 477 ff. (479). - Auf Bundesebene besteht neben dem Initiativrecht der Bundesregierung und des Bundesrats die Beteiligung des Bundesrats am Gesetzgebungsverfahren. Ergänzend ist die Institution des Vermittlungsausschusses (Art. 77 Abs. 2 G G ) zu erwähnen. Auf Landesebene bestehen hinsichtlich des Initiativrechts entsprechende Bestimmungen. Eine Beteiligung einer „zweiten Kammer" kennt auf Landesebene nur das bayerische Verfassungsrecht in Form des Senats (Art. 34 bis 42, 71 der bay. Verf.). 98

Art. 82 Abs. 1 Satz 1 G G . Baden-Württemberg: Art. 63 Abs. 1 (Ministerpräsident); Bayern: Art. 76 Abs. 1 (Ministerpräsident); Berlin: Art. 46 Abs. 2 (Präsident des Abgeordnetenhauses); Bremen: Art. 123 Abs. 2 und 3 (Senat); Hamburg: Art. 52 (Senat); Hessen: Art. 120 (Ministerpräsident); Niedersachsen: Art. 36 Abs. 1 Satz 1 (Ministerpräsident mit den zuständigen Ministern); Nordrhein-Westfalen: Art. 71 Abs. 1 Satz 1 (Landesregierung); Rheinland-Pfalz: Art. 113 Abs. 1 (Ministerpräsident); Saarland: Art. 102 (Ministerpräsident mit den zuständigen Ministem; bei Verfassungsänderungen alle Mitglieder der Landesregierung); Schleswig-Holstein: Art. 34 Abs. 1 (Ministerpräsident unter Mitzeichnung der beteiligten Landesminister). 99

4.2 Verfahrensstruktur

221

impliziert nach einhelliger Auffassung zumindest ein formelles, nach herrschender Meinung auch ein materielles Prüfungsrecht und eine entsprechende Prüfungspflicht hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.100 Den verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Ausfertigung von Gesetzen kommt somit ein präventiver Kontrolleffekt zu. 4.2.3 Ausfertigung

Die Ausfertigung von Rechtsverordnungen dagegen erfolgt, soweit dies verfassungsrechtlich überhaupt geregelt ist, durch die Stelle, die die Rechtsverordnung auch erläßt. 101 Ein formelles und materielles Prüfungsrecht und eine entsprechende Prüfungspflicht kommt nach herrschender Meinung zwar auch den eine Rechtsverordnung erlassenden und ausfertigenden Stellen zu. Einen effektiven Kontrolleffekt weist dieses Verfahren indes nicht auf, da es sich lediglich um eine Form der Selbstkontrolle handelt und es praktisch ausgeschlossen erscheint, daß eine Behörde die von ihr selbst erlassene Rechtsverordnung im Ausfertigungsverfahren für verfassungswidrig erklären würde. Einen wirksamen rechtsstaatlichen Kontrolleffekt weist allein das Ausfertigungsverfahren bei Gesetzen auf, da hier andere Stellen zur Prüfung und Kontrolle berufen sind als diejenigen, die die betreffende Rechtsnorm erlassen haben. Wenn auch dieser Kontrolleffekt nicht überschätzt werden darf, so gibt es doch aus der Staatspraxis Beispiele dafür, daß von diesem Recht auch Gebrauch gemacht worden ist. 1 0 2 4.2.4 Verkündung

Vergleicht man die Bestimmungen zur Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen, so ist auf Bundesebene im Grundsatz kein Unterschied 100 Vgl. Bryde, Rdn. 2 ff. zu Art. 82, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983; Spreng/Birn/Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1954, Art. 63 Anm. 1; Geller/Kleinrahm/Dickersbach (Fn. 65), 1977, Art. 71 Anm. 2 b; Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl., 1978, Art. 76 Rdn. 1 ; Mang/Maunz/Mayer/Obermayer, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 4. Aufl., 1975,47 f.; Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdn. 471; Achterberg, D Ö V 1982, 976 (980). 101 Art. 82 Abs. 1 Satz 2 G G ; Baden-Württemberg: Art. 63 Abs. 2; Niedersachsen: Art. 36 Abs. 1 Satz 2; Nordrhein-Westfalen: Art. 71 Abs. 2; Saarland: Art. 104 Abs. 2; SchleswigHolstein: Art. 34 Abs. 2. 102 Vgl. dazu Bryde, Rdn. 2 zu Art. 82, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983. Es ist allerdings einzuräumen, daß der Kontrolleffekt auf Bundesebene durch den Bundespräsidenten und in Berlin durch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses als unabhängige, bis dahin am Gesetzgebungsverfahren nicht oder nur mittelbar beteiligte Organe größer ist als in der Mehrzahl der Länder, da die Regierung (beziehungsweise die Ministerpräsidenten oder die zuständigen Minister) ein für verfassungswidrig gehaltenes Gesetz in aller Regel bereits im Parlament verhindern werden. In der Praxis ist bisher ein einziges Gegenbeispiel bekannt (vgl. Berger, ZParl 1971, 4 f.; „lex Platow"). Das Prüfungsrecht der Regierung (Ministerpräsident) könnte aber unter Umständen in Zukunft größere Bedeutung im Fall von Minderheitenregierungen erlangen. Solche gehören - ganz im Gesetz zur Weimarer Zeit - in der Bundesrepublik bisher kaum zur geläufigen Staatspraxis, könnten aber in Zukunft durch die Veränderung der parlamentarischen Situation (siehe Berlin 1981, Hamburg 1982 und Hessen 1982) zunehmend praktisch werden.

222

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlaments Vorbehalts

festzustellen. Sowohl Gesetze als auch Rechtsverordnungen werden grundsätzlich im Bundesgesetzblatt verkündet. 103 Die Länder haben zum Teil ähnliche Bestimmungen getroffen, wonach Gesetze wie Rechtsverordnungen im Gesetzblatt (beziehungsweise Gesetzund Verordnungsblatt) des Landes verkündet werden. 104 Überwiegend wird der Landesgesetzgeber, ähnlich wie nach Art. 82 Abs. 1 Satz 2 G G , zu einer abweichenden Regelung der Verkündung von Rechtsverordnungen ermächtigt. 1 0 5 In einigen Ländern ist die Verkündung im Gesetzblatt verfassungsrechtlich nur für Gesetze vorgeschrieben, 106 zum Teil fehlt es überhaupt an entsprechenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen. 107 Insgesamt ist festzustellen, daß die verfassungsrechtlichen Verkündungsbestimmungen für Rechtsverordnungen weniger streng sind als für Parlamentsgesetze. Allein die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen bestimmt ausdrücklich, daß Gesetze und Rechtsverordnungen in gleicher Weise im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden sind. 1 0 8 4.2.5 Aufwendigkeit

versus Flexibilität

I m Vergleich beider Rechtsetzungsverfahren erweist sich das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als wesentlich formalisierter, zeit- und arbeitsaufwendiger sowie beratungs- und beteiligungsintensiver. Der größeren Gründlichkeit steht auf der anderen Seite eine gewisse Schwerfälligkeit und Umständlichkeit gegenüber. Das Verfahren der Verordnungsgebung ist demgegenüber weniger aufwendig und kann dadurch schneller zu einer Regelung oder einer Regelungsänderung führen. Es erweist sich somit als das weniger gewichtige, gleichzeitig aber als das flexiblere und geschmeidigere Verfahren. 1 0 9 4.2.6 Angleichungen und Nivellierungen

der Verfahren

Freilich können sich zwischen beiden Verfahrensarten in mancher Hinsicht Angleichungen und Nivellierungen ergeben. So können die verschiedenen Lesungen im Gesetzgebungsverfahren ausnahmsweise zusammengelegt wer103 Art. 82 Abs. 1 Satz 1 G G . Art. 82 Abs. 1 Satz 2 G G läßt jedoch für Rechtsverordnungen andere Verkündungsmöglichkeiten offen. 104 Baden-Württemberg: Art. 63 Abs. 2; Hamburg: Art. 52 bis 54; Niedersachsen: Art. 36 Abs. 1; Nordrhein-Westfalen: Art. 71 Abs. 1 und 2; Saarland: Art. 104; Schleswig-Holstein: Art. 34. 105 Auf Bundesebene siehe das Gesetz über die Verkündung von Rechts Verordnungen vom 30.1.1950 (BGBl. S. 23). 106 Bayern: Art. 76 Abs. 1; Hessen: Art. 120; Rheinland-Pfalz: Art. 113. 107 So in Berlin und Bremen. 108 Das Grundgesetz weicht den Grundsatz der Gleichbehandlung durch Art. 82 Abs. 1 Satz 2 G G wieder auf, da dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt wird, abweichende Bestimmungen zu treffen. 109 Vgl. BVerfGE 19, 17 (29); 29, 198 (210 ff.); Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (340); Starck, Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen, 1972,48.

4.2 Verfahrensstruktur

223

den, so daß sich auch Gesetze im Bedarfsfall in einer Art Eilverfahren verabschieden lassen. A u f der anderen Seite sehen manche Verordnungsermächtigungen Beteiligungsrechte des Parlamentsplenums (Zustimmungs-, Kassationsvorbehalte) oder von Parlamentsausschüssen vor, 1 1 0 was allgemein als verfassungsrechtlich zulässig anerkannt ist. 1 1 1 In einem solchen Fall wird das Verordnungsverfahren naturgemäß verlängert und gerät dadurch aufwendiger und beratungsintensiver. Doch selbst in diesen Fällen, die lediglich Ausnahmecharakter besitzen, steht das Verordnungsverfahren hinsichtlich seiner Aufwendigkeit und Gewichtigkeit deutlich hinter dem Gesetzgebungsverfahren zurück. 4.2.7 Kontrolle durch Kooperation

Vergleicht man das Verfahren der Gesetzgebung mit dem der Verordnungsgebung, so ist festzustellen, daß beide keine diametral entgegengesetzten Verfahren darstellen, für das im einen Fall allein der Verordnungsgeber, im anderen Fall allein der Gesetzgeber verantwortlich wäre. Dies gilt insbesondere für das Gesetzgebungsverfahren. Die Gewaltenteilung hat hier einen deutlichen Funktionswandel durchgemacht. Die klassische idealtypische Vorstellung, die Legislative mache die Gesetze und die Exekutive führe sie aus, entspricht schon längst nicht mehr der heutigen Realität in der funktionentrennenden modernen parlamentarischen Demokratie. 1 1 2 Wenn das Grundgesetz und die Landesverfassungen den Eindruck vermitteln, das Parlament sei Herr der Gesetzgebung, so trifft dies nur unter formellem Aspekt zu. Richtig ist zwar, daß Gesetze allein durch Parlamentsbeschluß zustande kommen können. Ein materielles Übergewicht geht mit dieser förmlichen Hoheit des Parlaments allerdings nicht notwendig einher. Der faktische Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens entzieht sich dem Zugriff der Verfassungsnormen, so daß die tatsächliche Rollenverteilung im legislativen Prozeß außerhalb des Verfassungstextes im empirischen Bereich zu suchen ist. 1 1 3 Vom Initiativrecht, das sowohl der Legislative als auch der Exekutive zusteht, macht die Regierung im Gesetzgebungsverfahren weit häufiger Gebrauch als das Parlament. 114 Noch extremer wird die Relation, wenn man bedenkt, daß von den tatsächlich gefaßten Gesetzesbeschlüssen mehr als 80 Prozent auf Initiative der Regierung zustande kommen. 1 1 5 Die große 110 Vgl. aus dem Bereich des Schulrechts § 26 b Abs. 1 und 2 n.-w. SchVG, wonach für Ausbildungs- und Prüfungsordnungen des Kultusministers die Zustimmung des Landtagsausschusses für Schule und Weiterbildung erforderlich ist. 111 Vgl. Kisker (Fn. 60), 1980,21 ff. (m.w.N. in Fn. 26). Vgl. dazu unten Kap. V I I I 7 und 8.6. 112 Vgl. Grimm, ZParl 1970, 448 ff. (454 ff.); Kamber, Die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, 1980, 68 f. 113 Vgl. zu alledem wie auch zum folgenden Grimm, ZParl 1970, 448 ff. (454 ff.). 114 In der 8. Wahlperiode des Bundestages stammten von 487 Gesetzesvorlagen 323 von der Bundesregierung, nur 111 aus der Mitte des Bundestages und 53 vom Bundesrat (7. Wahlperiode: von 681 Bundesregierung 470, Bundestag 136 und Bundesrat 75). Vgl. dazu auch Hill, DÒV1981, 487 ff. (491); Ellwein, Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung, 1983, 1093 ff. (1104 f.). 115 8. Wahlperiode des Bundestages: Von 354 Gesetzesbeschlüssen kamen 299 auf Initiative der Bundesregierung zustande, nur 40 auf Initiative des Bundestages und 15 auf Initiative des Bundesrates; vgl. dazu die Angaben bei Ziller, Das Parlament, Nr. 46 vom 15.11.1980, 4.

224

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

Mehrzahl der Gesetze wird von der Exekutive ausgearbeitet. Das Parlament in seiner heutigen Struktur (trotz der Ausschüsse) eignet sich weniger dazu, Gesetze auszuarbeiten als vielmehr sie zu beraten und politisch zu bewerten. 1 1 6 Gesetzgebung vollzieht sich als kooperativer Prozeß zwischen Exekutive und Legislative. Das Parlament macht nicht die Gesetze, es macht sie verbindlich. Der Hauptunterschied zwischen Gesetzen und Rechtsverordnungen besteht demnach darin, daß Rechtsverordnungen von der sie erarbeitenden Exekutive selbst beschlossen werden, Gesetze dagegen zusätzlich das parlamentarische Verfahren durchlaufen und von einem anderen Organ beschlossen werden als von dem, das sie erarbeitet. Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren wird der Sachverstand der Ministerialbeamten häufig durch Mitarbeit in den parlamentarischen Ausschüssen einbezogen und genutzt. 1 1 7 Außerdem wirkt die Regierung durch das sachliche Gewicht, das ein von einer fachkundigen Ministerialbürokratie ausgearbeiteter Gesetzentwurf hat, mit erheblichem Gewicht in den Entscheidungsbereich der Legislative hinein. 1 1 8 Überspitzt ließe sich sagen, daß das Parlament im Regelfall die von der Ministerialbürokratie aufgrund der politischen Vorgaben von Regierung und Ministerium erarbeiteten Gesetzentwürfe und die auf diese Weise vorstrukturierten Inhalte kontrolliert und nach einem parlamentarischen Verfahren der Prüfung, Diskussion und Verhandlung letztverbindlich über sie entscheidet. 119 Die Rechtsetzung durch das Parlament entfernt sich immer mehr von einer eigenständigen politischen Gestaltungsaufgabe und wird mehr und mehr zur Kontrollfunktion. 1 2 0 Die Kontrolle der die rechtlichen Bestimmungen erarbeitenden Exekutive erfolgt somit weitgehend durch Zusammenwirken. 1 2 1 Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren stellt sich im Vergleich zum Verordnungsverfahren nicht als ein grundlegend anderes, sondern vielmehr als ein additives, zusätzliches Verfahren dar, in welchem das von der Exekutive Erarbeitete einer weiteren Prüfung, Kontrolle und Beschlußfassung unterworfen wird.

4.2.8 Öffentlichkeitsfunktion

(Publizität)

Für das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene schreibt Art. 42 G G den Grundsatz der Öffentlichkeit vor. Entsprechende Bestimmungen enthalten

116 Vgl. Grimm, ZParl 1970, 462; dies ist zum Teil eine Folge der Technizität der Gesetzgebung; vgl. Ellwein/Görlitz (Fn. 49), 1967, 22. 117 Grimm, ZParl 1970, 455 m.w.N. 118 Vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1980, 234. 119 Plakativ könnte man sagen: Die Exekutive macht die Gesetze, das Parlament macht sie verbindlich. 120 Vgl. Georg Müller (Fn. 1), 1979, 27. Hofmann, Die Bundesrepublik Deutschland - ein gouvemementaler Bundesstaat?, 1980,63 ff.; Krahl, Wie weit ist das Parlament tatsächlich in der Lage, die Verwaltung zu kontrollieren?, 1979; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982. 121 Vgl. Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 70 f. m.w.N.; Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 38; Ellwein (Fn. 114), 1983, 1093 ff. (1105 f.) spricht von einem „weitgehend arbeitsteiligen" Prozeß; ähnlich schon Bäumlin, ZfSchwR 1966,165 ff. (244).

4.2 Verfahrensstruktur

225

die Landesverfassungen. 122 Für das Verfahren der Verordnungsgebung enthalten die Verfassungen keine derartigen PublizitätsVorschriften. Eine wesentliche Eigenschaft des parlamentarischen Verfahrens besteht somit in seiner relativen - Öffentlichkeitsfunktion. 123 Es wäre allerdings vorschnell, von dem verfassungsrechtlichen Befund unmittelbar auf die Verfassungswirklichkeit schließen zu wollen. Wenn auch die Diskussion und die Beschlußfassung der Gesetze im Parlamentsplenum öffentlich sind, so ist damit noch keineswegs die tatsächliche Transparenz des Beratungs-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozesses garantiert. Aus diesem Grund richtet sich ein Hauptaspekt der Parlamentarismuskritik vor allem gegen das Defizit an effektiver Transparenz. Bemängelt wird, die parlamentarische Entscheidung sei nur eine formale Bestätigung der hinter verschlossenen Türen ausgehandelten Beschlüsse.124 Das Parlament sei in Wirklichkeit kein Forum, in dem Kontroversen und Alternativen in der politischen Auseinandersetzung deutlich gemacht werden. 125 Das Parlamentsplenum ist heute sicher nicht das oder das einzige politische Entscheidungszentrum. Diese Funktion muß es teilen mit Regierung, Parteien, Parlamentsausschüssen, Verbänden, Lobbies und Fraktionen. Sowohl die parlamentarischen Ausschußberatungen als auch die parteiinternen Entscheidungsprozesse sowie die interparteilichen und interfraktionellen Absprachen vollziehen sich weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit. 126 Die vielfältigen Einflüsse aus dem gesellschaftlichen Raum auf den parlamentarischen Entscheidungsprozeß werden allein durch die Öffentlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens nicht hinreichend transparent. Umgekehrt gibt es durchaus Beispiele dafür, daß auch Entscheidungen, die lediglich auf Verordnungsebene oder durch Verwaltungsvorschriften getroffen werden, durchaus zu großer Publizität gelangen können. Zu denken wäre hier etwa an das Beispiel der Hamburger Richtlinien für die Sexualerziehung von 1970, deren öffentliche Erörterung als Verwaltungsvorschriften kaum intensiver hätte sein können, wenn es sich um ein parlamentarisches Verfahren gehandelt hätte. 1 2 7 Auch die öffentlichen Kontroversen um die hessischen 122 Baden-Württemberg: Art. 33 Abs. 1; Bayern: Art. 22 Abs. 1; Berlin: Art. 30 Abs. 3 und 4; Bremen: Art. 91; Hamburg: Art. 21; Hessen: Art. 89; Niedersachsen: Art. 9 Abs. 1; NordrheinWestfalen: Art. 42; Rheinland-Pfalz: Art. 86; Saarland: Art. 72; Schleswig-Holstein: Art. 11 Abs. 1. 123 Vgl. BVerfG 33,125 (159); 40,237 (249); 41,251 (260); Kisker, NJW 1977,1313 ff. (1315); Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 45 f.; Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (244 f.); Böckenförde (Fn. 43), 1981, 384; Schulze-Fielitz, N V w Z 1983, 709 ff. (711); Ellwein (Fn. 114), 1983, 1093 ff. (1105); Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (687). 124 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl., 1926, 5 ff.; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962, 244. 125 Vgl. H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 4 ff. (17 m.w.N.). 126 Nach H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 4 f. (18), stehen die nicht öffentlichen Ausschußund Unterausschußsitzungen zu den Plenarberatungen im Verhältnis von 8 bis 10 zu 1. Allerdings sehen die Landesverfassungen und parlamentarischen Geschäftsordnungen zum Teil die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen vor. 127 Vgl. Hufen, JA 1977; dazu auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1983, § 6, Rdn. 19 (zur Oberstufenreform).

226

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

Rahmenrichtlinien betrafen keine gesetzlichen Bestimmungen, sondern Verwaltungsvorschriften. 128 Darüber hinaus ist insbesondere im Bereich der Exekutive immer wieder das Argument zu hören, die Partizipationsmöglichkeiten für Betroffene seien beim Erlaß von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnung wesentlich größer als im Rahmen des GesetzgebungsVerfahrens. Gegenüber derartigen empirischen Einwänden ist jedoch Vorsicht geboten. Inwieweit die Exekutive beim Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften mit den geplanten Regelungen an die Öffentlichkeit tritt und Verbände und andere interessierte Gruppen vor der endgültigen Entscheidung um Stellungnahmen bittet, ist verfassungsrechtlich nicht festgelegt und erfolgt weitgehend auf freiwilliger und informeller Basis. Der Umfang der Partizipation richtet sich daher weitgehend nach der politischen Zweckmäßigkeitsentscheidung der Exekutive. Soweit Beteiligungsformen im Verfahren der Verordnungsgebung gesetzlich festgelegt sind, gewährleisten sie häufig nicht die Publizität, die sich mit dem Gesetzgebungsverfahren verbinden läßt und häufig auch verbindet. 129 Sowohl der Zeitpunkt als auch der Umfang der Informationen kann von der Exekutive gesteuert werden. Demgegenüber steht die Publizität des Gesetzgebungsverfahrens nicht zur Disposition des Parlaments. Abgesehen davon, daß auch Gesetzentwürfe in noch stärkerem Maße interessierten Kreisen vor der Verabschiedung zugänglich gemacht werden könnten, fragt sich, ob eine selektive Beteiligung und ein entsprechender Einfluß bestimmter Interessenverbände überhaupt wünschenswert und nicht vielmehr unter Gleichheitsgesichtspunkten selektive Beteiligungsformen abzulehnen sind. 4.2.9 Rolle der Opposition

I n diesem Zusammenhang kommt erneut der Opposition eine wichtige Funktion zu. 1 3 0 Auch wenn sie sich mangels Mehrheit rein zahlenmäßig nicht durchsetzen kann, besitzt die Opposition doch verschiedene parlamentarische Möglichkeiten, die ihr problematisch oder inakzeptabel erscheinenden Teile eines Gesetzentwurfs im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens vor die Öffentlichkeit zu ziehen. 131 Die Kontrollfunktion der Opposition hat ihr Schwergewicht im Gesetzgebungsverfahren. 132 Da der Opposition über die Ausschußarbeit in weit stärkerem Maße Informationen zugänglich sind als im Verordnungsverfahren, besitzt sie die Möglichkeit, die kontroversen Fragen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Schutz der parlamentarischen Opposition ist auch ein meist übersehener 1 3 3 Gesichtspunkt, der gegen die Zulässigkeit von Ermächtigungen zu 128 Eine andere Frage ist freilich, ob eine Behandlung im parlamentarischen Verfahren nicht zu einer wesentlich frühzeitigeren Publizität geführt hätte. 129 Vgl. Saarl. VerfGH, DVBl. 1984, 325 ff. (328). 130 Vgl. oben 4.1.3. 131 Vgl. Schäfer, ZParl 4 (1973), 441. 132 Ellwein/Görlitz (Fn. 49), 1967, 12; vgl. auch Schäfer, ZParl 4 (1973), 441. 133 Vgl. aber Saarl. VerfGH, DVBl. 1984, 325 ff. (328).

4.2 Verfahrensstruktur

227

gesetzesändernden Rechtsverordnungen spricht. Dies muß zumindest dann gelten, wenn es sich um Regelungen von besonderer politischer und/oder rechtlicher Bedeutung handelt.

4.2.10 Rolle der Medien

Eine besondere Funktion kommt in diesem Zusammenhang den Massenmedien zu. I m Verein mit der Opposition können sie Regierung und Parlamentsmehrheit zur öffentlichen Rechtfertigung ihrer Gesetzesvorhaben zwingen und sie dadurch unter Diskussions- und Begründungszwang setzen. Die Opposition hat auf diesem Wege die Möglichkeit, sich den Wählern mit sachlich politischen Alternativen zu präsentieren und ihre Position in den Ausschuß- und Plenumsberatungen durch die Rückwirkungen der veröffentlichten Meinung zu stützen. 134

4.2.11 Orientierungsmöglichkeiten

für den Wähler

Die im Vergleich zum Verordnungsverfahren größere Publizität des Gesetzgebungsverfahrens verschafft dem Wähler eher eine Orientierungsmöglichkeit für sein künftiges Wahl verhalten. Auch wenn der Wähler nur selten Gelegenheit haben wird, Parlamentsdebatten „live" oder in Rundfunk und Fernsehen vollständig zu verfolgen, und auch wenn man darüber hinaus in Rechnung stellt, daß die Berichterstattung durch die Medien einen politischen Filtereffekt besitzt und notwendig zu Verzerrungen führt, so dürfte doch wenigstens die relativ größere Öffentlichkeit des parlamentarischen Diskussions- und Entscheidungsprozesses, verbunden mit der Selbstdarstellung der verschiedenen politischen Richtungen, im Vergleich zum rein ministeriellen Regelungsverfahren auch für den Wähler eher Hilfen zur persönlichen Meinungsbildung bieten. 135 Die Möglichkeit der unmittelbaren Anteilnahme ist durch die Medienanwesenheit im Parlament tendenziell größer als im ministeriellen Entscheidungsverfahren. Die Möglichkeit der Rückkoppelung an die öffentliche Meinung (Wähler) ist durch das parlamentarische Verfahren strukturell eher gewährleistet als in einem weniger öffentlichen Entscheidungsverfahren. Dem ist in der Vergangenheit häufig die These einer weitgehenden Assimilation und Nivellierung von Regierung und Opposition entgegengehalten worden. 1 3 6 In Wahrheit fenle es an einer wirksamen parlamentarischen Opposition. Dies belegten unter anderem die wenigen kontrovers verabschiedeten Gesetze. 137 Es erscheint bereits fraglich, ob die für die Bundesgesetzgebung 134

Vgl. auch Hesse (Fn. 24), 1984, Rdn. 525 ff.; Saarl. VerfGH, a.a.O. Vgl. Magiera (Fn. 5), 1979, 155 f.; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (489). 136 So insbesondere Offe, Politisches Herrschaftssystem und Klassenstruktur, 1969, 173 ff. 137 Nach Schier, BayVBl. 1979,321 ff. (324), wurden in der 7. Wahlperiode des Bundestages, 87 % aller Gesetzesbeschlüsse nicht kontrovers, 73 % sogar einstimmig verabschiedet. 135

228

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

vorgelegten Zahlen auch auf die Landesgesetzgebung zutreffen, da auf Bundesebene qua Bundesrat und Vermittlungsausschuß stärkere Integrationsmechanismen bestehen. Doch selbst wenn man davon ausgeht, daß die weitaus größte Zahl von Gesetzen nicht kontrovers verabschiedet werden, so erscheint es doch äußerst wichtig, daß gerade für die - möglicherweise geringe Zahl strittiger Gesetzgebungsvorhaben die Informations- und Zugriffsmöglichkeit von Opposition und Medien gewährleistet ist. Für den Schulbereich dürfte die Nivellierungsthese ohnehin nicht zutreffen. Wer in den Landtagsdrucksachen und Plenarprotokollen nachliest, wird feststellen, daß schulpolitische Themen in den Landtagen häufig zu sehr kontroversen Auseinandersetzungen führen und durchaus öffentlichkeits-, medien- und damit Wähler- und wahlkampfwirksam sind. 1 3 8 Doch auch abgesehen von den Spezifika des Schulwesens dürfte sich die Nivellierungsthese durch die in jüngster Zeit in vielen Landtagen veränderte parlamentarische Situation infolge des Hinzutretens neuer parlamentarischer Gruppierungen inzwischen erheblich relativiert haben. 139 Insgesamt läßt sich trotz aller strukturellen Mängel der Öffentlichkeit in der parlamentarischen Demokratie feststellen, daß das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren im Vergleich zum Verfahren der Verordnungsgebung - und nur um diese relative Feststellung geht es hier - von seinen strukturellen Voraussetzungen eher in der Lage ist, Öffentlichkeit zu gewährleisten. 4.3 Regelungsstruktur 4.3.1 Vorrang des Parlamentsgesetzes

Art. 20 Abs. 3 G G bestimmt die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht. 1 4 0 Die Verfassung normiert damit ausdrücklich den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes, der als Teil des Rechtsstaatsprinzips und als die - neben dem Vorbehalt des Gesetzes - zweite Komponente der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung besagt, daß Verwaltungsmaßnahmen nicht gegen höherrangige Rechtssätze verstoßen dürfen. Der Vorrang des Gesetzes gilt daher unstreitig im Verhältnis des Parlamentsgesetzes zur gesetzesausführenden vollziehenden Gewalt. A m Vorrangprinzip gegenüber der vollziehenden Gewalt nehmen auch Rechtsverordnungen und Satzungen teil, da sie unter den Begriff des Gesetzes im Sinne des Art. 20 Abs. 3 G G , zumindest aber unter „Recht" im Sinne dieser Verfassungsbestimmung fallen. 1 4 1 Insoweit besitzen Parlamentsgesetz und Verordnung gleiche Wirkungen. 138 Vgl. hierzu Lehmann, Schulreform und Politik. Der Konflikt um die kooperative Schule und ihre Orientierungsstufe, 1978, 3 ff. 139 Dies gilt nicht nur für die Funktion dieser neuen Gruppen selbst, sondern auch für die mittelfristig zu erwartenden Polarisierungswirkungen im Spektrum der traditionell in den Parlamenten vertretenen Parteien. 140 Ebenso Art. 25 Abs. 2 b.-w. Verf. und Art. 2 Abs. 2 nieders. Verf.; auch ohne entsprechende landesverfassungsrechtliche Bestimmung gilt das Vorrangprinzip unmittelbar aufgrund des Art. 20 Abs. 3 G G in den Ländern. 141 Vgl. Schnapp, Rdn. 36 zu Art. 20, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981.

4.

eensstruktur

229

Fraglich erscheint, ob sich aus Art. 20 Abs. 3 G G ein Vorrang des Parlamentsgesetzes gegenüber Rechtsverordnungen und Satzungen ableiten läßt. Dahinter steht die Frage, ob der Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen zur vollziehenden Gewalt oder zur Gesetzgebung im Sinne des Art. 20 Abs. 3 G G zu rechnen ist. Stellt man ausschließlich auf das jeweils handelnde Staatsorgan ab, ohne dabei die Art der Maßnahme zu betrachten, so rechnet jede Tätigkeit von Exekutivorganen zur vollziehenden Gewalt, also auch der Erlaß von Rechtsverordnungen. Zur „vollziehenden Gewalt" in diesem Sinne gehören dann alle Maßnahmen von Regierung und Verwaltung, unabhängig davon, wie sie materiell oder funktionell zu qualifizieren sind. 1 4 2 Stellt man dagegen für die Interpretation der in Art. 20 Abs. 3 G G genannten Staatsfunktionen nicht allein auf das handelnde Organ, sondern in erster Linie auf das jeweilige staatliche Handeln ab, so wäre der Erlaß von Rechtsverordnungen bei funktionaler Betrachtungsweise als Rechtsetzung und damit als „Gesetzgebung" im Sinne des Art. 20 Abs. 3 G G anzusehen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich dann zwar die Bindung von Gesetz-, Verordnungsund Satzungsgeber an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch das verfassungsrechtliche Rangverhältnis dieser Normen untereinander. 143 Welcher Interpretation des Art. 20 Abs. 3 G G zu folgen ist, kann hier dahinstehen, denn auch bei einer funktionellen Interpretation dieser Bestimmung ergibt sich der Vorrang des Parlamentsgesetzes im Verhältnis zur Rechtsverordnung jedenfalls aus Art. 80 Abs. 1 GG. Wenn die Verfassung den Verordnungsgeber an die Vorgaben des Gesetzes bindet, so statuiert sie ein Über- und Unterordnungsverhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung. Die Rangfolge entspricht derjenigen, die durch eine organbezogene Interpretation des Art. 20 Abs. 3 G G gewonnen wird. Der Vorrang des Gesetzes gilt daher in jedem Fall auch im Verhältnis von Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung. 1 4 4 Das Parlamentsgesetz ist demnach in der Lage, untergesetzliche Regelungen zu verdrängen. Durch Gesetze können Verordnungsermächtigungen aufgehoben und der Verordnung damit die verfassungsrechtlich gebotene gesetzliche Grundlage entzogen werden. Das Gesetz kann und muß gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen den Inhalt der Verordnung steuern und vorprogrammieren. Das Gesetz kann eine inhaltlich der Rechtsverordnung widersprechende Regelung treffen und diese über das Vorrangprinzip außer Kraft setzen. 145 Das Gesetz kann den Verordnungsgeber auch rechtsverbindlich anweisen, eine Rechtsverordnung zu erlassen. 146 Das Parlamentsgesetz ist somit von der 142

So der Abgeordnete Dehler im Parlamentarischen Rat, JöR 1 (n.F.), 1951, 200. Zum Verständnis der Verordnungsgebung im funktionellen Sinn als Gesetzgebung vgl. Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht und Rechtsverordnungen, 1981, 283 ff. (288). 144 Für das Verhältnis Parlamentsgesetz - Satzung ergibt sich dasselbe aus der Gesetzesakzessorietät der Satzung (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG). Böckenförde (Fn. 43), 1981, 384, bezeichnet das Gesetz als die nach der Verfassung „ranghöchste Form der Rechtsetzung". 145 Triepel (Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, 51 ff.) spricht deshalb von „unechter" Delegation, die keinen Kompetenzverlust des Gesetzgebers herbeiführt. 146 Vgl. dazu Württenberger, AöR 105 (1980), 340 ff. 143

230

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

Verfassung als höherrangige Rechtsquelle im Vergleich zum Verordnungsrecht konzipiert und weist eine funktionale Überlegenheit gegenüber allen untergesetzlichen Geltungsanordnungen auf.

4.3.2 Verhältnis zum Gewohnheitsrecht

In der Rechtsprechung findet sich vereinzelt die Auffassung, Gewohnheitsrecht könne nur durch ein Gesetz im formellen Sinne, nicht aber durch eine Rechtsverordnung aufgehoben werden. Die Problematik entzündete sich am Züchtigungsrecht des Lehrers, das in Bayern durch die Allgemeine Schulordnung verboten worden war. Das bayerische Oberlandesgericht vertrat dazu die Auffassung, die Bestimmung in der Allgemeinen Schulordnung habe das entgegenstehende Gewohnheitsrecht nicht aufheben können. 1 4 7 Wäre diese Auffassung zutreffend, so käme dem Verordnungsrecht gegenüber dem Gewohnheitsrecht eine im Vergleich zum Parlamentsgesetz schwächere Wirkungskraft zu, da es Gewohnheitsrecht nicht verdrängen könnte. M i t seiner Auffassung steht das bayerische Oberlandesgericht indes weitgehend allein. Der Bundesgerichtshof, auf den sich das Gericht zur Stützung seiner Auffassung beruft, hat in seiner Entscheidung das genaue Gegenteil vertreten. 148 Die Auffassung des bayerischen Oberlandesgerichts vermag im übrigen auch in der Sache nicht zu überzeugen. Der Staat hat nach geltendem Verfassungsrecht die Befugnis, das für alle verbindliche Recht zu setzen (Art. 20 Abs. 2 GG). Auch durch Rechtsverordnungen setzt der Staat Recht, und zwar mit Billigung der Verfassung und aufgrund einer Ermächtigung des Parlaments. Gewohnheitsrecht als ein auf gleichmäßiger Übung und Überzeugung der Rechtsgemeinschaft beruhendes Recht steht in Kompetenzkollision zum staatlich gesetzten Recht. Durch seine verfassungsrechtlich verankerte Befugnis zur Rechtsetzung ist dem Staat (nicht nur dem Gesetzgeber) ein Kompetenzvorrang eingeräumt worden. Der Staat besitzt daher die Legitimation, durch die in der Verfassung vorgesehenen Rechtsnormen (wie Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung, Satzung) das von den Rechtsetzungsorganen mißbilligte Gewohnheitsrecht außer Kraft zu setzen. Gewohnheitsrecht ist daher von der Duldung durch die staatlichen Normgeber abhängig. 149 Sobald 147 BayObLGSt 1978, 182, Beschluß vom 4.12.1978, NJW 1979, 1371 unter Berufung auf BGHSt 11, 241 (253 f.) = NJW 1958, 799; zustimmend: DJT-SchulGE 1981, 292 m.w.N.; zur Problematik des gewohnheitsrechtlichen Züchtigungsrechts vgl. auch B G H NJW 1976, 1949 m.w.N. 148 Nach Auffassung des B G H kann eine auf Gewohnheitsrecht beruhende Züchtigungsbefugnis nur durch materielles Gesetz oder Gewohnheitsrecht aufgehoben werden, nicht aber durch bloße Verwaltungsanordnungen. Unter materiellen Gesetzen versteht der B G H daher keine Verwaltungsvorschriften, sehr wohl aber Rechtsverordnungen. Damit erklärte der B G H zwar das Verbot jeder Art körperlicher Züchtigung durch Erlaß des hessischen Ministers für Kultus und Unterricht in Ziff. 8 der Erläuterungen betreffend Schulstrafen vom 13.5.1946 (ABl. 1949, 372) für nicht ausreichend, wies aber ebenfalls darauf hin, daß dazu eine mit Gesetzesrang ausgestattete Rechtsverordnung notwendig (und ausreichend) gewesen wäre. Ebenso die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. RGSt 19,265; 73,257); ebenso auch O L G Zweibrücken, NJW 1974, 1772. 149 Vgl. Friauf, Gewohnheitsrecht, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., 1975, 874 f.

4.

eensstruktur

231

die staatlichen Rechtsetzungsorgane, sei es der parlamentarische Gesetzgeber oder der von ihm dazu ermächtigte Verordnungsgeber, eine dem Gewohnheitsrecht entgegenstehende Regelung trifft, entfällt die bis dahin vorhandene und für das Weitergelten von Gewohnheitsrecht notwendige staatliche Duldung. Der Frage, ob auch Verordnungsrecht Gewohnheitsrecht außer Kraft setzen kann, ist nach alledem nicht durch Überlegungen zum Rangverhältnis von Verordnungsrecht und Gewohnheitsrecht beizukommen, 150 sondern nur über das Verhältnis staatlicher und gesellschaftlicher Rechtserzeugung. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird durch eine weitere Überlegung bestätigt. Geltungsvoraussetzung für Gewohnheitsrecht ist eine längere tatsächliche Übung, die eine dauernde, selbständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt w i r d . 1 5 1 Sobald eine staatliche Rechtsnorm erlassen wird, die dem Inhalt des bisher geltenden Gewohnheitsrechts widerspricht, entfällt damit eine der essentiellen Tatbestandsvoraussetzungen für das Weitergelten von Gewohnheitsrecht. Denn ab dem Zeitpunkt kann von einer allgemeinen und von allen Beteiligten anerkannten Überzeugung, das Gewohnheitsrecht bestehe als verbindliche Rechtsnorm fort, nicht mehr die Rede sein. Zumindest die zweifellos zu den „Beteiligten" zählenden Rechtsetzungsorgane haben unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie das bisherige Gewohnheitsrecht nicht mehr als verbindliche Rechtsquelle anerkennen. Da Gesetze und Rechtsverordnungen kaum je unter vollständiger Ablehnung seitens aller Betroffenen ergehen, wird in aller Regel ein relevanter Bevölkerungsanteil die getroffene Regelung billigen oder ihr zustimmen. Auch dieser Konsens hinsichtlich des positivierten Rechts bedeutet notwendig einen Dissens einer mehr oder weniger großen Zahl von Beteiligten gegenüber dem bisherigen Gewohnheitsrecht. Zutreffend ist daher die Auffassung, nach der auch das staatlich gesetzte Verordnungsrecht in der Lage ist, Gewohnheitsrecht außer Kraft zu setzen. In diesem Punkt besteht also für unsere Fragestellung kein ergiebiger Unterschied zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung. 152

4.3.3 Exkurs: Gewohnheitsrecht und Vorbehalt des Gesetzes

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Gewohnheitsrecht nicht überhaupt überall dort ausscheiden muß, wo der Vorbehalt des Gesetzes gilt. 1 5 3 Dabei ist es prinzipiell gleichgültig, ob dieser als Rechtssatzvorbehalt oder als Parlamentsvorbehalt aufgefaßt wird, da in jedem Fall zumindest eine - wenn auch noch so pauschale - formell-gesetzliche Ermächtigung gegeben sein muß. 150 Stern (Staatsrecht, Bd. I I , 1980, 580) hebt hervor, Gewohnheitsrecht könne „auf allen Stufen entstehen". 151 BVerfGE 34, 293 (303 f.); vgl. auch Maurer (Fn. 127), 1983, 48 f. 152 Das Problem des Züchtigungsrechts aufgrund von Gewohnheitsrecht hat sich auch praktisch dadurch erledigt, daß nunmehr auch der bayerische Gesetzgeber in Art. 63 Abs. 3 Satz 2 E U G vom 10.9.1982 (GVOB1. 743) den anderen Ländern gefolgt ist und die körperliche Züchtigung durch Gesetz für unzulässig erklärt hat. 153 Vgl. dazu Maurer (Fn. 127), 1983, 48 ff.

232

V I . Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

Wollte man überall dort, wo bisher grundrechtsrelevante Maßnahmen aufgrund von Gewohnheitsrecht für zulässig erachtet wurden, weiterhin das Gewohnheitsrecht als verfassungsrechtlich ausreichende Grundlage anerkennen, so liefe dies dem Sinn des Vorbehaltsprinzips diametral entgegen. Wenn dessen gewandelte Funktion unter anderem darin besteht, den Gesetzgeber zur Regelung zu zwingen und ihn in die (Regelungs-)Pflicht zu nehmen, so kann dies durch eine Anerkennung von Gewohnheitsrecht im Vorbehaltsbereich nicht erreicht werden. Vielmehr könnte die Verwaltung weiterhin in diesem Teilbereich ohne gesetzliche Grundlage tätig sein. Eine verfassungstheoretische Überlegung zum Spannungsverhältnis von Gewohnheitsrecht und Verfassungswandel stützt dieses Ergebnis. Wollte man auch dort, wo sich ganz offenbar ein allgemein anerkannter Verfassungswandel zur Geltung des Vorbehaltsprinzips - in welcher Form auch immer vollzogen hat, weiterhin den Rückgriff auf Gewohnheitsrecht für verfassungsrechtlich zulässig erklären, so würde ein Verfassungswandel am Gewohnheitsrecht auf verfassungsrechtliche Grenzen stoßen. Gewohnheitsrecht erwiese sich damit als resistenter gegen Verfassungswandel als andere Rechtsquellen. Bezogen auf den Parlamentsvorbehalt würde dies bedeuten, daß eine dem Parlamentsvorbehalt unterfallende Regelung nicht mehr wie bisher durch Rechtsverordnung geregelt bleiben dürfte, während eine entsprechende gewohnheitsrechtliche Norm Bestand behalten würde. Da ein solcher Unterschied nicht plausibel zu erklären wäre, müssen im Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes bisher bestehende gewohnheitsrechtliche Regelungen ihre Geltung verlieren. 154 4.3.4 Außen-und Selbststeuerung

Sowohl dem Parlamentsgesetz als auch der Rechtsverordnung kommt die Funktion zu, die Maßnahmen der vollziehenden Gewalt zu steuern. Vergleicht man nun die Steuerungsfunktion beider Regelungsformen, so ist festzustellen, daß dem Parlamentsgesetz in bezug auf das Verwaltungshandeln die Funktion einer Außensteuerung zukommt, während die von der Spitze der Exekutive erlassene Rechtsverordnung in stärkerem Maße eine Form der Selbstbindung und Selbststeuerung darstellt. 155 Denn mit der Formulierung und dem Erlaß einer Rechtsverordnung wird die Rechtsbindung der Exeku154 Im Ergebnis ebenso Friauf, Gewohnheitsrecht, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., 1975,875; anders wohl noch BVerfGE 34,293 (303), das eine Regelung der Berufsausübung durch Gewohnheitsrecht für möglich halt, sofern es sich um vorkonstitutionelles Recht handelt (Grundsatz des Art. 123 Abs. 1 GG). Dem ist entgegenzuhalten: Wenn sich die verfassungsrechtliche Begründung des Parlamentsvorbehalts aus der spezifischen Organstruktur des Parlaments, aus der Verfahrensstruktur des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens sowie aus der Qualität des Parlamentsgesetzes ergibt, dann stellt Gewohnheitsrecht unter diesen Gesichtspunkten kein adäquates Surrogat des Parlamentsgesetzes dar. Wenn der Parlamentsvorbehalt eine Regelungspflicht des Gesetzgebers begründet, so ist der parlamentarische Gesetzgeber zur Ablösung oder Bestätigung der gewohnheitsrechtlichen Regelung verpflichtet (ähnlich Maurer (Fn. 127), 1983, 76). 155 Dies gilt unter gewaltenteilendem Aspekt jedenfalls dann, wenn man Regierung und Verwaltung gemeinsam der Staatsfunktion „vollziehende Gewalt" zurechnet.

5. Die Proportionalität von Form und Inhalt

233

tive durch ein Organ der Exekutive selbst bewirkt. Auch wenn sie dabei infolge des Erfordernisses einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Verordnungsermächtigung nicht völlig frei, sondern durch den Gesetzgeber vorprogrammiert ist, bleibt jedoch in jedem Fall ein mehr oder weniger großer Entscheidungsspielraum über das Ausmaß der zu treffenden Festlegung und Bindung der Verwaltung. Würde dieser Spielraum nicht bestehen, so wäre das Instrument der Rechtsverordnung völlig funktionslos, da der Gesetzgeber die Entscheidung bereits selbst vollständig und abschließend im Gesetz getroffen hätte. Die Anerkennung eines Parlamentsvorbehalts besitzt somit tendenziell eine gewalten- und machtverteilende Funktion durch eine stärkere Außenbindung und Kontrolle des Exekutivhandelns.

4.4 Zwischenergebnis Nach alledem bestehen zwischen den Regelungsformen des Parlamentsgesetzes und der Rechtsverordnung mit den funktionellen und strukturellen Voraussetzungen ihrer Entstehung eine ganze Reihe von Unterschieden, die sich aus den geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen entwickeln lassen. Die festgestellten Unterschiede beziehen sich auf die innere Struktur und Zusammensetzung der Entscheidungsorgane, auf Struktur und Funktion des Entscheidungsverfahrens sowie auf die verfassungsrechtlich unterschiedlichen Qualitäten der Regelungsformen des Parlamentsgesetzes und der Rechtsverordnung. Auch wer die einzelnen Unterschiede bei isolierter Betrachtung nicht als sehr gravierend bewerten mag, wird einräumen müssen, daß doch die Summe der festgestellten Divergenzen einiges Gewicht besitzt.

5. Konsequenzen für Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis: die Proportionalität von Form und Inhalt Wenn all die festgestellten im Verfassungsrecht verankerten Unterschiede zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung nicht völlig sinn- und folgenlos sein sollen und man dem Verfassungsgeber insoweit nicht willkürliche und sinnlose Differenzierungen unterstellen will, dann müssen die zu treffenden Entscheidungen und die zu regelnden Gegenstände in Beziehung zu der jeweiligen Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur stehen. Die dargelegten verfassungsrechtlichen Differenzierungen erhalten nur dann einen Sinn, wenn ihnen eine Proportionalität von Form und Inhalt entspricht. „Form" meint damit zugleich „Verfahren" als auch „Organ", faßt also die einzelnen Kompetenzelemente zusammen. Die Proportionalität von inhaltlicher Entscheidung einerseits und Organisationsstruktur, Verfahrensregelung und Rechtsetzungsform andererseits ist somit ein Gebot der Verfassung, in welcher die Differenzierungen im einzelnen verankert sind. Der Grundsatz der Proportionalität fordert, daß die jeweiligen Regelungsinhalte und die von der Verfassung vorgesehenen funktionell-strukturellen Voraussetzungen der verschiedenen Regelungsformen zur Deckung zu bringen sind. Die Verfassung

234

VI. Funktionell-strukturelle Begründung des Parlamentsorbehalts

fordert damit eine Organ-, Verfahrens- und Formadäquanz der zu regelnden Sachgegenstände.156 Eine weitere Konsequenz ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Grundrechtseffektuiérung durch Organisation und Verfahren. Wenn dieser Grundsatz, wie oben dargelegt, nicht auf das gerichtliche und das behördliche Verfahren beschränkt bleiben darf, sondern auch - vielleicht sogar erst recht - bereits im Vorfeld der Rechtsanwendung zum Zwecke eines präventiven und frühestmöglichen Grundrechtsschutzes auf das Verfahren der Rechtsetzung Anwendung finden muß, so kann die Tatsache, daß es mit unterschiedlichen Strukturen, Funktionen und Qualitäten ausgestattete Verfahren der Rechtsetzung gibt, im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht ohne Folgen bleiben. Das Verfassungsrecht fordert vielmehr, daß unter den möglichen Verfahren der Rechtserzeugung jeweils dasjenige zu wählen ist, welches am ehesten zu gewährleisten vermag, daß eine Regelung „grundrechtsadäquat" zustande kommt. Damit hat sich auf der Basis eines funktionell-strukturellen Ansatzes der Verfassungsinterpretation einerseits sowie im Hinblick auf das Gebot eines optimalen Grundrechtsschutzes andererseits im Grundsatz die Erforderlichkeit der Annahme eines Parlaments Vorbehalts erwiesen. Sollten die strukturellen wie funktionellen Unterschiede zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung hinsichtlich Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur nicht folgenlos bleiben, so ist im Grundsatz anzuerkennen, daß es bestimmte - oder besser: (noch) zu bestimmende - Arten von Entscheidungen und Regelungen geben muß, die ausschließlich dem einen oder ausschließlich dem anderen Regelungstypus zugewiesen sind. Gibt es demnach Entscheidungen, die von Verfassungs wegen allein dem parlamentarischen Gesetzgeber zukommen, so kann damit die verfassungsrechtliche Begründbarkeit und Erforderlichkeit eines Parlamentsvorbehalts und eines begrenzten Delegationsverbots nicht mehr zweifelhaft sein.

6. Konsequenzen für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts Ob der hier entwickelte Ansatz auch zu praktisch verwertbaren Anknüpfungspunkten zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts führen kann, ist damit allerdings noch offen. Im folgenden wird es deshalb darum 156 Zum Grundsatz der Proportionalität vgl. Herb. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964,285; Eichenberger, ZfSchwR 73 (1954), la ff. (22a); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970,169 ff.; Loose, Möglichkeiten der Entlastung des Deutschen Bundestages bei der Gesetzgebung, 1977, 50; G. Müller (Fn. 1), 1979, 108; Zimmer, Der Staat 18 (1979), 161 ff. (170 ff.); Magiera (Fn. 5), 1979, 182 ff., 205; Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (550); Böckenförde (Fn. 43), 1981, 384; Hesse (Fn. 24), 1984, Rdn. 488 ff.; Zippelius (Fn. 118), 1980, 230 f.; Schulze-Fielitz, N V w Z 1983, 709 ff.; siehe auch Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform, BT-Drucks. VI/3829,82; ähnlich schon Küster, AöR 75 (1949), 397 ff. Im Ansatz ähnlich, allerdings beschränkt auf den Verfahrensaspekt: Eberle, D Ö V 1984,485 ff. (489 f.), und Jekewitz, Art. 76 Rdn. 3, in: A K - G G , 1984, nach dessen Auffassung die Wesentlichkeitstheorie auf eine „Legitimation durch Verfahren" im Luhmann'schen Sinn hinausläuft.

6. Konsequenzen für die Reichweite des Parlamentsvorbehalts

235

gehen, auf der Grundlage der erarbeiteten verfassungsrechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts zu prüfen, ob sich aus den dargelegten Ansätzen praktikable Kriterien für die Abgrenzung des Geltungsbereichs des Parlamentsvorbehalts entwickeln lassen. 157 Das weitere Vorgehen wird sich darauf zu konzentrieren haben, die funktionell-strukturellen Unterschiede zwischen Gesetz- und Verordnungsgebung sowie das Gebot der Grundrechtseffektuierung in der Weise zu „operationalisieren", daß sich konkrete Zuweisungskriterien für die Bestimmung des Herrschaftsbereichs des Parlamentsvorbehalts ergeben.

157 Ob die verbreitete Skepsis hinsichtlich der Möglichkeit, solche Kriterien zu entwickeln (vgl. dazu Eberle, D Ö V 1984, 485 ff., 490; Umbach (Fn. 43), 1984, 111 ff. (122)), berechtigt ist, wird sich dann herausstellen.

VII. Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 1. Einleitung I m vorangehenden Kapitel wurde aus den im Grundgesetz und in den Landesverfassungen angelegten zahlreichen Differenzierungen zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung, die sich in der jeweiligen Organ-, Verfahrens· und Regelungsstruktur widerspiegeln, das verfassungsrechtliche Gebot einer Proportionalität von Form und Inhalt abgeleitet. Als materieller Maßstab wurde dieser These das Gebot der Grundrechtsadäquanz des zu wählenden Verfahrens der Rechtserzeugung zur Seite gestellt. Es gilt nun, diesen verfassungsrechtlichen Ansatz zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts und der Delegationsbefugnis des Gesetzgebers anhand der festgestellten funktionell-strukturellen Unterschiede zu konkretisieren. Möglicherweise führt dieses Vorgehen zu einer weitergehenden Konkretisierung der Parlamentsrelevanz als der herrschende Wesentlichkeitsansatz. Zu diesem Zweck soll zunächst versucht werden, aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen Indikatoren für die Geltung des Parlamentsvorbehalts zusammenzustellen (dazu unten 2.), wobei die Reihenfolge der Erörterung nicht im Sinne einer Rangfolge der Kriterien zu verstehen ist. Im Anschluß daran wird der Frage nachzugehen sein, ob sich - sozusagen als Kehrseite der Medaille - Indikatoren für die Delegierbarkeit von Entscheidungen aufstellen lassen. Es wird zu prüfen sein, ob es neben Kriterien für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts auch solche für die Geltung eines Rechtssatzvorbehalts gibt (dazu unten 3.). Daran wird sich konsequenterweise die Frage anzuschließen haben, ob es dem Gesetzgeber bei Vorliegen von Indizien für die Delegierbarkeit von Entscheidungen freisteht, zu delegieren oder selbst zu regeln, oder ob sich unter den gegebenen Voraussetzungen Delegationspflichten des Gesetzgebers ergeben können (dazu unten 4.). Während diese Untersuchungsschritte die Regelungsebene betreffen, bedarf es darüber hinaus einer Konkretisierung und Realisierung der vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebote (dazu unten 5.). I m vorstehenden Kapitel wurde die verfassungsrechtliche Begründung für die Geltung des Parlamentsvorbehalts vor allem unter zwei Gesichtspunkten diskutiert: dem Gebot der Proportionalität von Inhalt und Form 1 und dem Gebot der Grundrechtseffektuierung. Diese beiden Aspekte der funktionellstrukturellen Begründung des Parlamentsvorbehalts werden im folgenden die Hauptanknüpfungspunkte für die Entwicklung von Kriterien für die Delegierbarkeit und Nichtdelegierbarkeit von Entscheidungen sein. 1 Unter dem Terminus „Form" werden dabei Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur sowie die Funktion der Regelungsform zusammengefaßt; vgl. dazu oben Kap. V I 1.

2.1 Die Wichtigkeit (Wesentlichkeit) einer Regelung

237

2. Indikatoren für die Geltung des Parlamentsvorbehalts 2.1 Die Wichtigkeit (Wesentlichkeit) einer Regelung Nach herrschender Meinung bildet das Wesentlichkeitsmerkmal den Drehund Angelpunkt für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts. Die verfassungsrechtliche Begründung aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip vermag allerdings, wie oben dargelegt, 2 nicht zu überzeugen. Zu prüfen ist nun, ob der funktionell-strukturelle Ansatz das Kriterium der Wichtigkeit bestätigen (und damit zugleich auf gesicherten verfassungsrechtlichen Boden stellen) kann, oder ob dieses Merkmal zu verwerfen ist. In diesem Zusammenhang sind mehrere oben getroffene Feststellungen von Bedeutung. So wurde festgestellt, daß dem Parlamentsgesetz von der Verfassung ein höherer Rang und Rechtswert als allen untergesetzlichen Regelungsformen zuerkannt wird. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG), sondern auch aus der von der Verfassung anerkannten Steuerungsfunktion des Parlamentsgesetzes gegenüber untergesetzlichen Exekutivregelungen (zum Beispiel Art. 80 Abs. 1 GG). Darüber hinaus erwies sich das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als wesentlich formalisierter, aufwendiger sowie beratungs- und beteiligungsintensiver. Es stellt sich dadurch als besonders bedeutsames und gewichtiges Verfahren dar. Darüber hinaus kommt dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren eine höhere demokratische Legitimation zu, zwar nicht, wie die herrschende Meinung annimmt, wegen einer unmittelbareren personellen demokratischen Legitimation aufgrund des Wahlverfahrens, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, daß am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren die ebenfalls demokratisch legitimierte Opposition beteiligt ist und eine demokratische Mehrheitsentscheidung getroffen wird. 3 Auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kommt dem Gesetzgebungsverfahren ein höherer Rang als dem Verfahren der Verordnungsgebung zu, da das insgesamt aufwendigere und gründlichere parlamentarische Verfahren gegenüber der Verordnungsgebung durch die Ministerialverwaltung einen zusätzlichen Kontrollmechanismus bewirkt. Ist das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nach alledem wesentlich aufwendiger und intensiver, genügt es darüber hinaus mehr als das Verordnungsverfahren demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen, genießt das in diesem Verfahren verabschiedete Gesetz schließlich einen höheren Rang als die Regelungsformen der Exekutive, so können nach dem Prinzip der Proportionalität die besonders wichtigen, grundsätzlichen, richtungsweisenden Entscheidungen nur dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten sein.4 2

Vgl. oben Kap. V 1. und 2. Die Verordnungsgebung ist zwar ebenfalls demokratisch legitimiert, doch fehlt im jeweiligen Einzelfall die für das parlamentarische Entscheidungsverfahren typische (demokratische) Mehrheitsentscheidung unter unmittelbarer Beteiligung der Opposition. 4 Vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1982, 198, 233: Dem Staatsoberhaupt sei es vorbehalten, „wichtigen" Staatsakten den zur Rechtsgültikeit notwendigen Abschluß zu geben, insbesondere Gesetze auszufertigen. Umgekehrt läßt sich sagen, daß die Einschaltung des Staatsoberhaupts (auf Bundesebene) nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn es sich tatsächlich um „wichtige" Entscheidungen handelt. 3

238

V I I . Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts

Unterscheiden Grundgesetz und Landesverfassungen zwischen mehr und weniger aufwendigen Verfahrensarten, treffen sie für Gesetz und Rechtsverordnung unterschiedlich strenge Bestimmungen 5 und statten sie beide Arten von Rechtsnormen mit unterschiedlichem verfassungsrechtlichem Rang aus, so erscheint es folgerichtig, wenn die besonders bedeutsamen, für den einzelnen oder für die Allgemeinheit besonders folgenschweren Entscheidungen in dem aufwendigeren, gründlicheren Verfahren, die weniger bedeutsamen dagegen in dem weniger aufwendigen Verfahren getroffen werden. 6 Der Gesichtspunkt der Wichtigkeit wird auch durch die speziellen Parlamentsvorbehalte 7 des Grundgesetzes bestätigt. So liegt dem Art. 59 Abs. 2 G G der Gedanke zugrunde, die außenpolitisch wichtigen Entscheidungen an die Zustimmung des Parlaments in Gesetzesform zu binden. 8 Entsprechendes ergibt sich aus Art. 110 Abs. 2 GG, wonach der Haushaltsplan als der wohl wichtigste staatsleitende A k t im aktuellen politischen Prozeß vom Parlament im formellen Gesetzgebungsverfahren als Haushaltsgesetz festgestellt wird. 9 Auch nach dem funktionell-strukturellen Ansatz - im Ergebnis wie nach der herrschenden Meinung - ist die Wichtigkeit einer Entscheidung ein allgemeines Abgrenzungsmerkmal für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts. I m Gegensatz zur herrschenden Meinung stellt der funktionell-strukturelle Ansatz dieses Kriterium jedoch auf eine gesicherte verfassungsrechtliche Grundlage.

2.2 Grundrechtliche und politische .Wichtigkeit Ist damit im Grundsatz das Wichtigkeitskriterium bestätigt worden, so sind damit die Probleme der Konkretisierung dieses noch relativ abstrakten Gesichtspunkts noch nicht gelöst. Eines läßt sich jedoch bereits jetzt im Unterschied zur herrschenden Meinung feststellen: Wenn sich das Wichtigkeitskriterium nach dem funktionell-strukturellen Ansatz aus verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkten herleitet, welche die Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur wie auch die Funktion der Rechtsnormen berücksichtigen und damit nicht - wie nach der herrschenden Meinung - auf den Grundrechtsbereich begrenzt bleibt, so ist „wichtig" (wesentlich) in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Die Aussage des BVerfG in der Sexualkundeentscheidung, im grundrechtsrelevanten Bereich (!) bedeute „wesentlich" in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte", ist die Aussage zur Seite zu stellen, daß auch außerhalb des grundrechtsrelevanten Bereichs „wesentliche" Entscheidungen denkbar sind, soweit sich diese als „politisch wichtig" darstel5

Zum Beispiel hinsichtlich der Verkündung und Ausfertigung. Vgl. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970,169 ff.; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, 182; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1984, Rdn. 506 und 524. 7 In der herkömmlichen Terminologie: Durch die „zwingenden Sondervorbehalte". K Vgl. Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. DJT, 1974, Β 68. Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1970, Art. 110 Rdn. 9 ff. b

2.3 Grundrechtswichtigkeit

239

len. Neben der grundrechtlichen Wichtigkeit ist daher auch eine politische Wichtigkeit anzuerkennen. 10

2.3 Grundrechtswichtigkeit Wenn das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gegenüber dem Verfahren der Verordnungsgebung das aufwendigere und gründlichere ist, so ist davon auszugehen, daß wichtige grundrechtsrelevante Regelungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zu treffen sind. Anknüpfend an die funktionell-strukturellen Unterschiedlichkeiten im Vergleich zwischen Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren 11 wird man annehmen müssen, daß das Gesetzgebungsverfahren eher als das Verordnungsverfahren geeignet ist, grundrechtsadäquate, das heißt grundrechtsschonendere Entscheidungen hervorzubringen. Der zusätzliche Kontrolleffekt, der im Vergleich zum Verordnungsverfahren durch das hinzutretende parlamentarische Gesetzgebungsverfahren bewirkt wird, gewährleistet sicher nicht absolut, so doch aber jedenfalls relativ eine größere Grundrechtsadäquanz der Regelung. 2.3.1 Differenzierung

nach der Art der Grundrechtsregelung

Da nun aber nicht jede grundrechtsrelevante Entscheidung durch Parlamentsgesetz getroffen werden kann - auch die Verwaltung trifft im Vollzugsbereich grundrechtsrelevante Regelungen - , muß versucht werden, das Merkmal der Grundrechtswichtigkeit zu präzisieren. Für eine Strukturierung des Merkmals der Grundrechtswichtigkeit erscheint eine Differenzierung je nach der Art des Grundrechtsproblems notwendig, weil die Funktion des Parlamentsgesetzes in bezug auf die Einschränkung und Verwirklichung von Grundrechten unterschiedlich sein kann. Zu unterscheiden ist zwischen eindimensionalen, mehrdimensionalen und komplexen Grundrechtsproblemen. 12 ( 1) Eindimensionale Grundrechtsregelungen

Unter eindimensionalen Entscheidungen werden solche verstanden, bei denen sich Staat und Bürger sozusagen als Parteien gegenüberstehen. Der klassische Fall der eindimensionalen Grundrechtsentscheidung ist die Situation des Grundrechtseingriffs. 13 Aber auch im Bereich der Leistungsverwal10 Vgl. BVerfGE 40,237 (249 f.); Eichenberger, ZfSchwR; 1974,7 ff. (21 mit Fn. 22); Scheuner, ZParl 4 (1973), 435 ff. (442); G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, 110 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1983, § 6 Rdn. 10; Zimmer, Der Staat 18 (1979), 161 ff. (166, 170); Evers, Die Befugnisse des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979,139. - Vgl. dazu auch oben Kap. I V 3.4. 11 Vgl. dazu oben Kap. V I 4. 12 W. Schmidt, AöR 106 ( 1981 ), 497 ff., faßt diese verschiedenen Kategorien unter dem Begriff „Verfassungsvorbehalte" zusammen. 13 Man denke etwa an die klassischen Fälle des Polizei- und Ordnungsrechts.

240

V I I . Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts

tung sind Regelungsfälle denkbar, in denen es sich um ein eindimensional gewährendes Verhältnis zwischen Staat und Bürger handelt. Hier stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Staat überhaupt in den Lebensbereich (Grundrechtsbereich) eindringen darf. Dieses klassische Problem wurde zum Beispiel in der Sexualkundeentscheidung des BVerfG im Hinblick auf die Abgrenzung des Elternrechts zur staatlichen Schulhoheit erörtert. 14 Für diese Art der Grundrechtsregelung kommt es entscheidend auf die Intensität der staatlichen Regelung an. 1 5 I m Rahmen eindimensionaler Grundrechtsprobleme ist es - je nach Intensität der Regelung - Sache des parlamentarischen Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Rechten einzelner und den Belangen der Allgemeinheit herzustellen. 16 Bei derartigen eindimensionalen Grundrechtsproblemen ist zugleich die Funktion des Gesetzgebers angesprochen, als Hüter des Gemeinwohls tätig zu werden, das heißt zwischen den berechtigten Interessen des einzelnen Grundrechtsträgers und den unter Umständen widerstreitenden Interessen der Allgemeinheit abzuwägen. 17 Versteht man „Gemeinwohl" nicht als bereits vorgegebene, von der Verfassung abschließend definierte Größe, dann kann die Bestimmung des Gemeinwohls nur als ein Prozeß der gesellschaftlichen und politischen Gemeinwohlfindung verstanden werden, in welchem die Interessen einzelner und einzelner Gruppen mit den staatlichen Belangen zueinander in Konkurrenz treten und im Wege der Auseinandersetzung unter den politisch relevanten Gruppen, Parteien usw. einer Entscheidung zugeführt werden. 18 Gemeinwohlfindung wird so als Prozeß der Kommunikation und der wechselseitigen Anpassung der Standpunkte verstanden, was im Verfahren der parlamentarischen Beratung - auch in den Ausschüssen - eher geleistet werden kann als im Verfahren der Verordnungsgebung. 19 Gerade bei eindimensionalen Grundrechtsregelungen kann der Gedanke einer Vorbeugung vor Grundrechtsbeeinträchtigungen zum Tragen kommen. 2 0 Ein derartiger präventiver Grundrechtsschutz kommt besonders dort in Betracht, wo die Grundrechtssphäre des einzelnen durch Eingriffe der Exekutive besonders gefährdet erscheint. 21

14

BVerfGE 46, 47 (69 ff.) - Abgrenzung von Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 G G .

15

BVerfGE 58, 257. 16 BVerfGE 33, 125; O V G Koblenz, NJW 1979, 941; Starck, ZRP 1980, 212. 17 BVerfGE 33, 125; 40, 237 (248 f.); 41, 251 (259 f.). 18 Vgl. auch Häberle, D Ö V 1981, 550 f., und Ders., DVBl. 1972, 909, 912 f.,. in seiner Besprechung der Facharztentscheidung des BVerfG, in der das Gericht ebenfalls den Offentlichkeits- und Gemeinwohlbezug betont, in welchem der parlamentarische Gesetzgeber steht 19 Vgl. Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980, 27. Freilich tritt hier ein Zielkonflikt auf zwischen der kooperativen und kompromißfähigen Diskussion, Beratung und Beschlußfassung in den Ausschüssen („legislative bargaining") und dem Bedürfnis nach Transparenz, das durch eine Verlagerung des parlamentarischen Entscheidungsprozesses in die Ausschüsse unterlaufen wird. Vgl. dazu auch von Arnim, D Ö V 1982, 917 f. 20 BVerfGE 53, 30 (51); ebenso O V G Lüneburg, N V w Z 1982, 256. 21 Vgl. Hesse (Fn. 6), 1984, Rdn. 509; Geulen, KJ 1982, 263 ff. (265).

2.3 Grundrechtswichtigkeit (2) Mehrdimensionale

241

Grundrechtsregelungen

Anders dagegen stellt sich die Frage hinsichtlich mehrdimensionaler Grundrechtsprobleme dar. 2 2 Gemeint sind Regelungen von weitgefächerter Grundrechtsbetroffenheit, wobei der Staat die Sphären mehrerer Grundrechtsträger gegeneinander abzugrenzen hat. 2 3 Hier stehen sich nicht Staat und Bürger gleichsam als widerstreitende Parteien gegenüber, sondern der Staat erscheint als „neutraler Dritter", der sozusagen als Schiedsrichter über die Reichweite verschiedener Grundrechtssphären zu entscheiden hat. In diesen Fällen kommt es weniger auf die Intensität der Einwirkung auf das jeweilige Grundrecht an, 2 4 so daß das insbesondere vom BVerfG entwickelte Konkretisierungsmerkmal der „Intensität" der Grundrechtsberührung bei den mehrdimensionalen Grundrechtsentscheidungen - ähnlich wie beim politischen Parlamentsvorbehalt 25 - nicht greift. Der Regelungsauftrag liegt vielmehr häufig allein darin, die Grundrechtssphären von einzelnen oder von Gruppen gegeneinander abzuwägen und abzugrenzen. 26 Bei mehrdimensionalen Grundrechtsproblemen obliegt der notwendige Interessenausgleich und die Entscheidung von Zielkonflikten im Grundrechtsbereich dem Gesetzgeber. 27 Die Notwendigkeit von Grundrechtsabwägungen und -abgrenzungen indiziert daher den Parlamentsvorbehalt. 28 (3) Komplexe Grundrechtsregelungen

Die dritte Kategorie kann man als komplexe Grundrechtsprobleme bezeichnen. 29 Als komplex können Grundrechtsprobleme dann bezeichnet werden, wenn sie sowohl ein- als auch mehrdimensionale Komponenten enthalten. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn einerseits die Frage zu beantworten ist, inwieweit der Staat überhaupt in diesen Bereich regelnd eingreifen darf (insoweit eindimensional), 30 andererseits aber zugleich die Interessen und Rechte verschiedener Grundrechtsträger gegeneinander abzugrenzen sind (insoweit mehrdimensional). Wenn der Gesetzgeber bei eindimensionalen Grundrechtsregelungen im Falle besonderer Intensität der Grundrechtsbe22 Vgl. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 138 ff.; Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977, 256 ff.; Schuppert (Fn. 19), 1980, 26 ff.; ähnlich Evers JZ 1973, 555 ff. (556). 23

Vgl. dazu schon BVerfGE 34, 165 (192 ff.). Vgl. Hennecke, D Ö V 1982,696. Maßstab für die Zuweisung mehrdimensionaler Entscheidungen an den parlamentarischen Gesetzgeber kann nicht die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit sein, sondern in erster Linie die Abgrenzungsbedürftigkeit verschiedener Grundrechtspositionen. 25 Vgl. dazu unten 2.4. 26 Vgl. Bleckmann, D Ö V 1983, 129 ff. (133); Roewer/Hoischen, DVBl. 1979, 900 ff. (901) m.w.N.; Heussner, Vorbehalt des Gesetzes und „Wesentlichkeitstheorie", 1983, 111 ff. (117); Hesse (Fn. 6), 1984, Rdn. 509. 27 BVerfGE 33, 125 (159); 57, 295 (321); W. Schmidt, AöR 106 (1981), 497 ff. (506, 523 ff.). 28 Nach Katz, Grundkurs im Öffentlichen Recht 1,1981,85, fallen „gewichtigere Güterabwägungsfragen" unter den Parlamentsvorbehalt. Nach Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 66, hat der Gesetzgeber „Interessenkonflikte allgemeiner Art durch seine Entscheidung zu lösen". 29 Diese Dimension wird von Schuppert (Fn. 19), 1980, vernachlässigt. 30 Vgl. Evers (Fn. 10), 1979, 138. 24

242

V I I . Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts

troffenheit und bei mehrdimensionalen Grundrechtsproblemen im Hinblick auf die notwendige Abgrenzung von Grundrechtssphären als das kompetente Organ anzusehen ist, dann muß dies unter gleichen Voraussetzungen erst recht für komplexe Grundrechtsprobleme gelten. Bei komplexen Grundrechtsentscheidungen stehen sich also der Staat einerseits sowie verschiedene Grundrechtssphären der Bürger andererseits gegenüber. Liegt nun eines der charakteristischen Strukturmerkmale des Parlaments im Vergleich zum Verordnungsgeber in der pluralistischeren personellen Zusammensetzung und ist der Bereich der Regierung demgegenüber durch eine repräsentative Verkürzung gekennzeichnet, so erscheinen die Parlamente im Sinne einer organadäquaten Kompetenzzuweisung eher geeignet, mehrdimensionale und komplexe Entscheidungen zu treffen, bei denen in besonderem Maße unterschiedliche politische, soziale, weltanschauliche, aber auch rechtliche Interessen, Standpunkte und Meinungen in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen und zum Ausgleich zu bringen sind. 31 Aufgrund seiner pluralistischen Zusammensetzung eignet sich das Parlament von seiner Organstruktur her eher als der Verordnungsgeber dazu, die Komplexität interessengeprägter Entscheidungen zu reduzieren. 32 Die sachliche Komplexität einer Rechtsetzungsaufgabe erfordert die Beteiligung eines möglichst breiten, pluralistischen Personenkreises an der Rechtsetzungsfunktion. Damit ist nicht die Vielzahl der Abgeordneten im Parlament gemeint, sondern ihre relativ, das heißt im Vergleich zur (repräsentativ verkürzten) Regierung stärker ausgeprägte Interessenpluralität. 33 Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eignet sich somit besser als das Verordnungsverfahren, das Problem der adäquaten Umwandlung der herrschenden Wertepluralität in Gesetzesform zu lösen. 34 Je komplexer sich die Interessenlage darstellt, um so eher ist der Gesetzgeber berufen, die notwendigen Regelungen zu treffen. Die Situation der komplexen Grundrechtsentscheidung wird gerade im Schulbereich häufig gegeben sein, 35 da hier die staatlichen Interessen (Art. 7 Abs. 1 GG) mit den grundrechtlich geschützten Positionen der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG), der Schüler (Art. 2 Abs. 1, Art. 3, 12 Abs. 1 GG) sowie den Rechtspositionen der Lehrer und der Kirchen aufeinandertreffen, die naturgemäß nur teilweise deckungsgleich sind. 36 Die Grenzen zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 G G und dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 G G sowie den Persönlichkeitsrechten der Schüler aus Art. 2 Abs. 1 G G sind oft fließend und nur schwer auszumachen. Ihre Markierung 31 Vgl. BVerfGE 40,237 (248 f.); 49,89 (124 ff.); Heussner (Fn. 26), 1983,111 ff. (116); Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 7. 32 Reduktion von Komplexität durchaus verstanden im Sinne der Luhmannschen Terminologie. 33 Eichenberger, ZfSchwR, 1974, 7 ff. (21). 34 Vgl. G. Schmid, Der Staat 1982, 449. 35 Dietze, JZ 1976, 367 ff. (368), meint daher, in der Konsequenz dieses Gedankens sei zu vermuten, daß im Zweifel eine Schulrechtsfrage für wesentlich gehalten werden müsse. Ähnlich Evers, JuS 1977, 804 ff. (807). 36 Heussner (Fn. 26), 1983, 111 ff. (116).

2.3 Grundrechts Wichtigkeit

243

ist für die Ausübung dieser Grundrechte vielfach von maßgebender Bedeutung. Sie ist daher zu Recht vom BVerfG als Aufgabe des Gesetzgebers erklärt worden. 37 2.3.2 Lösung von Grundrechtskollisionen

Hat der Gesetzgeber bei eindimensionalen Grundrechtsproblemen die dem Staat offenliegende Rechtssphäre abzugrenzen, 38 so besteht seine Aufgabe bei mehrdimensionalen und komplexen Grundrechtsproblemen darin, die aktuelle oder potentielle Grundrechtskollision zum Ausgleich zu bringen. 39 Der Gesetzgeber hat die Kollision entweder bereits im Gesetz einer Lösung zuzuführen, 40 oder, wenn dies nicht in abstrakt-genereller Form für alle zukünftigen Fälle möglich oder nur in relativ allgemeiner Form zu realisieren ist, die von der Exekutive im jeweiligen Einzelfall zu findende Kollisionslösung soweit wie möglich vorzustrukturieren und gegebenenfalls Organisations- und Verfahrensregelungen zu treffen, 41 um eventuelle Bestimmtheitsdefizite der materiell-rechtlichen Regelung Verfahrens- und organisationsrechtlich zu kompensieren. Dies darf allerdings nicht zu einer Politik der „dilatorischen Formelkompromisse" führen, durch die - ähnlich wie in der Weimarer Zeit 4 2 die problematischen Fragen mangels Konsensfähigkeit im Parlament auf den Verordnungsgeber verlagert werden. Eine solche Politik der „non-decision" durch Rechtsetzungsdelegation würde der Funktion von Gesetz und Verordnung zuwiderlaufen. Aus der Aufgabe des Gesetzgebers, nicht nur aktuelle, sondern auch potentielle Grundrechtskollisionen zu lösen beziehungsweise deren Lösung vorzustrukturieren, folgt, daß der Parlamentsvorbehalt bei mehrdimensionalen und komplexen Grundrechtsproblemen vor allem dann indiziert ist, wenn schwierige Abwägungen zwischen verschiedenen Interessen, Rechten und Standpunkten vorzunehmen sind. Durch die größere Pluralität des Parlaments im Vergleich zu den verordnungsgebenden Organen gewährleistet er einen problemangemessenen mehrdimensionalen „Entscheidungs-Input", der in der Regel der zu findenden Lösung zugute kommen wird. 37 BVerfGE 46, 47 (80); 58, 257 (269); BVerfG, N V w Z 1984, 781; ähnlich BVerwGE 64, 308 (312 f.); VerfGH N W , U. vom 23.12.1983, Ua. S. 17; Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981, 31; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 814; zu undifferenziert Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (123), der darauf abstellt, „ob viele Grundrechte betroffen sind". 38 Vgl. BVerfGE 33,125 (158 f.); 20,150 (157 f.); 34,165 (192 f.); ähnlich schon BVerfGE 8,71 (76); vgl. auch BVerwGE 47, 194 (198); 64, 308 (310 f.). 39 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320 f.); 52, 1 (41 f.); W. Schmidt, AöR 106 (1981), 497 ff. (524); Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981, 31; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff.; Maurer (Fn. 10), 1983, § 6 Rdn. 20. 40 So auch Erichsen (Fn. 37), 1984, 113 ff. (127). 41 Zum Beispiel klare Zuständigkeitsregelungen, Art des Entscheidungsverfahrens, Entscheidungsbeteiligung (Mitwirkung, Anhörung usw.), Informationsrechte. Vgl. dazu Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs durch gesetzgeberisches Verfahren, 1984, 97 ff. (103 ff.). 42 Vgl. dazu oben Kap. I I 3. Ähnliches findet sich auch im Grundgesetz; so werden zum Beispiel Inhalt und Schranken des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 G G durch die einfachen Gesetze bestimmt. Vgl. dazu von Brünneck, Die Ausweitung der Eigentumsgarantie durch Richterrecht, 1979, 215 f. m.w.N.

244

V I I . Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts

Sofern die Grundrechtskollision im Sinne praktischer Konkordanz 4 3 nicht einseitig zugunsten des einen und zu Lasten des anderen Grundrechts gelöst werden darf, ist das Parlament das geeignetere Organ, die von der Ministerialverwaltung vorgeschlagenen Regelungen zumindest im zuständigen Parlamentsausschuß noch einmal zu diskutieren und zu kontrollieren. Bei Grundrechtskollisionen ist somit, da sie mehrdimensionale Grundrechtsprobleme darstellen, der Parlamentsvorbehalt indiziert, wobei sich die Regelung unter Umständen darauf beschränken kann, die betroffenen Grundrechtssphären gegeneinander abzugrenzen, ohne die Grundrechte selbst einzuschränken, so daß die Grundrechte nicht beeinträchtigt, sondern lediglich durch Abgrenzung untereinander berührt werden.

2.3.3 Grundrechtsrelevanz

und Grundrechtsverletzung

Damit klärt sich zugleich ein Problem, das in einer Anmerkung zur Lateinentscheidung des BVerwG aufgeworfen wird. 4 4 In der Rezension vertritt Richter die Auffassung, daß die grundrechtlichen Begründungen der Entscheidung nicht überzeugen. Wenn die Bestimmung der Unterrichtsinhalte in den Bereich der staatlichen Gestaltungsfreiheit gehöre und das Elternrecht die Bestimmung der Pflichtfremdsprache gar nicht umfasse, dann sei es kurios, daß sie wegen ihrer Grundrechtsrelevanz dem Gesetzesvorbehalt unterliegen solle, zumal das Recht der Eltern, den Bildungsweg ihrer Kinder zu wählen, in keiner Weise beeinträchtigt werde. Hier liege ein Widerspruch in der Begründung, es sei denn, der Gesetzgeber müsse auch regeln, worauf sich das Grundrecht gerade nicht erstrecke. Nach dem zu den mehrdimensionalen und komplexen Grundrechtsproblemen Gesagten fällt eine solche Regelung in der Tat in den Aufgabenbereich des Gesetzgebers. Denn die Aufgabe der Abgrenzung von Grundrechtssphären führt notwendig dazu, daß der Gesetzgeber zu sagen hat: Bis hier her und nicht weiter, ohne daß dabei in jedem Fall das Grundrecht eingeschränkt werden muß. Die vorhandenen Unklarheiten haben zweierlei Ursachen. Zum einen werden nicht hinreichend deutlich eindimensionale, mehrdimensionale und komplexe Grundrechtsprobleme voneinander unterschieden. Zum anderen verläuft die vom BVerwG verfolgte Linie in dieser Frage alles andere als gradlinig. 45 Während der 7. Senat im Urteil zur Fünf-Tage-Woche eine Grundrechtsver/eizw/ig als Voraussetzung für die Anwendung des Parlamentsvorbehalts verlangt hatte, läßt er in der Lateinentscheidung nunmehr eine Grundrechts&erwArww^ ausreichen und weist ausdrücklich darauf hin, daß es auf die Grundrechtsrelevanz, nicht aber auf eine Grundrechtsverletzung oder -beeinträchtigung ankomme. Sache des Gesetzgebers sei auch die Abgrenzung von Grundrechtssphären untereinander sowie gegenüber dem 43

Vgl. dazu Hesse (Fn. 6), 1984, Rdn. 72; BVerfGE 39, 1 ff. (43) - Fristenlösung. Richter, N V w Z 1982, 357 ff. (358); vgl. zum folgenden auch Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (120). 45 Vgl. dazu oben Kap. I V 4.1.1 (2). 44

2.3 Grundrechtswichtigkeit

245

staatlichen Bildungsauftrag - in der hier gewählten Diktion die Lösung komplexer Grundrechtsprobleme. Das Gericht weist konsequenterweise darauf hin, die Anwendung des Gesetzesvorbehalts könne nicht deswegen suspendiert werden, weil das Elternrecht durch die konkrete Regelung der Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe nicht verletzt werde. 46 Damit ist das BVerwG nunmehr auf die Linie des BVerfG eingeschwenkt. 47

2.3.4 Auswirkungen auf den Grundrechtsträger

Für die Frage, ob der grundrechtliche Parlaments vorbehält zum Zuge kommt, ist nach alledem nach dem Verhältnis der involvierten Grundrechte zueinander zu differenzieren. Für eindimensionale Grundrechtsprobleme ist der Parlamentsvorbehalt dann indiziert, wenn die Regelung besonders intensiv in die Grundrechtssphäre des Bürgers eindringt. Die Grundrechtsbetroffenheit darf nicht nur eine oberflächliche sein. Der Grad der Intensität bemißt sich nach den Auswirkungen und Folgen für den einzelnen Grundrechtsträger. 48 Nur die Auswirkungen auf ihn und das betreffende Grundrecht sind hier zu prüfen. Aus der neueren Rechtssprechung zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen können vor allem die Ausführungen des BVerfG in der Entscheidung zur Versetzung und Schulentlassung herangezogen werden. 49 Die Auswirkungen und Folgen einer Regelung sind in generalisierender Form, unter Umständen im Vergleich zu anderen vorhandenen oder denkbaren Regelungen in diesen und in anderen Rechtsbereichen festzustellen.

2.3.5 Vorrang spezifischer

Grundrechte?

Abzulehnen ist dabei allerdings die Auffassung Kiskers, Regelungen, welche spezifische Grundrechte (wie Art. 12 GG) betreffen, seien von vornherein „wesentlicher" als Regelungen, die nur in das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 G G eingreifen. 50 Weder ist eine solche Differenzierung der Entscheidung des BVerfG zur Versetzung und Schulentlassung zu entnehmen noch ist sie grundrechtssystematisch überzeugend. Überdies rückt sie ohne einleuchtenden Grund von der Folgenorientiertheit der Regelung im Einzelfall 51 ab. 46 Vgl. BVerwGE 47, 201 - 5-Tage-Woche; ähnlich Maunz, Die Schule in der Sicht der Rechtsprechung, 1979, 239 ff. (249), der davon spricht, die Wesentlichkeitstheorie sei „auf die Verletzung von Grundrechten bezogen". Anders jetzt BVerwGE 64,308 (313 f.) - Lateinentscheidung. 47 Vgl. zuletzt BVerfG, N V w Z 1984, 781 - Schulsprengel. Das BVerfG hatte bereits im Sexualkundebeschluß die Auffassung vertreten, die Grenzen zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 G G ) und dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 G G ) sowie den Persönlichkeitsrechten des Kindes (Art. 2 Abs. 1 G G ) seien oft flüssig und nur schwer auszumachen; ihre Markierung sei für die Ausübung dieser Grundrechte vielfach von maßgebender Bedeutung; sie sei daher Aufgabe des Gesetzgebers (BVerfGE 47, 46, 80); vgl. dazu auch oben Fn. 36. 48 Vgl. oben Kap. IV 3.3.3. 49 BVerfGE 58, 257. 50 So Kisker, DVBl. 1982, 886 ff. (887). 51 Einzelfall hier gemeint als einzelner Regelungsfall (im Rahmen der gesetzlichen Regelung), nicht als Anwendungsfall im Rahmen des Gesetzesvollzugs.

246

V I I . Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts 2.3.6 Minderheitenschutz

Die Geltung des Parlamentsvorbehalts ist auch dann angezeigt, wenn die Notwendigkeit eines Minderheitenschutzes besteht. Zwar dienen Minderheitenrechte heute in erster Linie zur Aktualisierung und Effektuierung politischer Kontrolle, mithin der Machtbegrenzung durch parlamentarische Gegenmacht, während der „Minderheitenschutz" im überkommenen Verständnis dahinter zurücktritt. 5 2 Gleichwohl kommt dem parlamentarischen Verfahren in doppelter Hinsicht die Funktion eines Minderheitenschutzes zu. In rechtsstaatlicher Hinsicht werden durch die verfahrensrechtlichen Vorkehrungen des Gesetzgebungsverfahrens Einbeziehung und Berücksichtigung der Rechte von Minderheiten eher als im Verordnungsverfahren gewährleistet. Der demokratische Minderheitenaspekt des Gesetzgebungsverfahrens besteht in der durch die Opposition vermittelten Beteiligung der bei den Wahlen unterlegenen Minderheit. Durch eine Befassung des Parlaments mit dem Regelungsgegenstand wird gewährleistet, daß die demokratische Minderheit von möglicherweise 49 Prozent der Stimmen nicht völlig unberücksichtigt bleibt. Die Wahrung des Minderheitenschutzes wird damit zu einer wesentlichen Funktion der Opposition. Allein schon die Beteiligung der Opposition stellt eine strukturelle Voraussetzung dar für die Einbeziehung der von ihr vertretenen Minderheitenpositionen in den Argumentationsprozeß. Zumindest wird die Mehrheit gezwungen, sich mit der Minderheitenposition auseinanderzusetzen und ihre eigene Position argumentativ zu begründen. I m Parlament kommen durch die Beteiligung der Opposition das demokratische Mehrheitsprinzip einerseits und der - ebenfalls demokratisch, aber auch rechtsstaatlich motivierte - Minderheitenschutz eher zum Ausgleich als im Verfahren der Verordnungsgebung, bei welchem sich die ebenfalls mögliche und teilweise praktizierte Beteiligung von Opposition, Verbänden und anderen Interessengruppen wesentlich vermittelter vollzieht. Das förmliche Gesetz ist nach alledem nicht nur mit Rang und Prädikat einer demokratischen Mehrheitsentscheidung ausgestattet,53 sondern darüber hinaus auch durch die stärkere materielle Qualität der Minderheitsbeteiligung im Vergleich zum Verordnungsverfahren gekennzeichnet. 54 Die pluralistischere Organstruktur des Parlaments im Vergleich zu den möglichen Verordnungsgebern spricht dafür, Entscheidungen mit notwendig pluralistischem Einschlag dem für solche Entscheidungen prädestinierten Parlament zu überantworten. Die Notwendigkeit des Minderheitenschutzes indiziert daher den Parlamentsvorbehalt. Der Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes besitzt nicht nur Bedeutung für die Repräsentation der in der Minderheit gebliebenen Wählergruppierungen, sondern insbesondere auch für die Parlamentsminderheit selbst. Entscheidungen, welche die legitimen Rechte der Opposition im Wege der Mehr52 Vgl. H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1974, 236 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 1022 ff., 1037 ff. 53 Vgl. H. P. Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 75; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 799. 54 Vgl. dazu Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. DJT 1974, Β 106.

2.4 Die politische Wichtigkeit

247

heitsentscheidungen erheblich tangieren können, dürfen nicht durch Verordnungen getroffen werden. Zu denken wäre etwa an Regelungen betreffend das Wahlrecht, das Parteienrecht oder die Parteienfinanzierung. 55

2.3.7 „ Verteilung des Mangels"

Eine weitere Konkretisierung der mehrdimensionalen und komplexen Grundrechtsproblematik ist unter sozialstaatlichen Aspekten möglich. In einer Gesellschaft, in der mehr und mehr die „Verteilung des Mangels" zu einem zentralen politischen sowie grundrechtlichen Problem wird, fällt auch diese Aufgabe als mehrdimensionales beziehungsweise komplexes Grundrechtsproblem unter den Parlamentsvorbehalt. 56 Bildungs- und sozialpolitische Grundsatzentscheidungen mit vielfältigen Grundrechtsauswirkungen sind Sache des parlamentarischen Gesetzgebers. Die sozialstaatliche Komponente des Parlamentsvorbehalts ist bisher nur vereinzelt in Rechtsprechung und Literatur erkannt worden; 57 ihr dürfte in der Zukunft bei sich verschärfenden Verteilungskonflikten zunehmende Bedeutung zukommen.

2.3.8 Strukturierung

ganzer Lebensbereiche

I m Rahmen komplexer Grundrechtsprobleme wird vor allem die Ordnung und Strukturierung gesamter Rechts- und Lebensbereiche Sache des Gesetzgebers sein, weil derartige Regelungen durchweg sowohl die Zugriffskompetenz des Staates (in der Regel der Exekutive) festlegen als auch Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Grundrechtssphären treffen. 58 Die Schaffung einer positiven Ordnung, über die Eingriffsdimension hinaus und unabhängig von der Differenzierung zwischen Eingriff und Leistung, für bestimmte gesellschaftliche Bereiche (wie zum Beispiel das Sozialsystem, das Schulsystem oder das Rundfunksystem) fällt in den Aufgabenbereich des Gesetzgebers.

2.4 Die politische Wichtigkeit Insbesondere bei den komplexen, aber bereits auch bei den mehrdimensionalen Grundrechtsproblemen wurde deutlich, daß Grundrechtsprobleme häufig, wenn nicht sogar im Regelfall eine politische Dimension besitzen. Das 55 Ein ähnlicher Ansatz findet sich in Art. 92 Abs. 2 der italienischen Verfassung, wo von der Möglichkeit der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an Ausschüsse bestimmte Materien ausgenommen sind, so zum Beispiel das Wahlrecht. 56 Vgl. Loose, Möglichkeiten der Entlastung des Deutschen Bundestages bei der Gesetzgebung, 1977, 47, 51. Scheuner, Die Funktion des Gesetzes im Sozialstaat, 1981, 127 ff. (134) m.w.N.; vgl. auch Selmer/Brodersen, NJW 1983, 1088 ff. (1089). 57 Vgl. dazu oben Kap. V 2.1. 58 Vgl. BVerfGE 38, 69 (83); Schuppert (Fn. 19), 1980, 29.

248

V I I . Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlaments Vorbehalts

Grundgesetz hat die politische Wichtigkeit als Anknüpfungspunkt für den Parlamentsvorbehalt in Art. 59 Abs. 2 und 110 Abs. 2 G G positiv verfassungsrechtlich normiert. Da die Außenpolitik nicht generell eine herausgehobene Stellung gegenüber Fragen der Innenpolitik besitzt, enthält Art. 59 Abs. 2 G G einen allgemeinen Grundgedanken: Wichtige politische Entscheidungen, die in Form rechtlicher Regelungen erfolgen (Bereich der Rechtsetzung), sollen grundsätzlich der Letztentscheidung des Parlaments unterstellt werden. 59 Wenn sich die Wichtigkeit (Wesentlichkeit) einer Regelung als Indiz für die Anwendung des Parlamentsvorbehalts nicht allein aus den Grundrechten herleiten läßt, sondern vielmehr auf der Basis eines funktionell-strukturellen Ansatzes, der auf die Organ-, Verfahrens- und Regelungsstrukturen abstellt, so fehlt es von vornherein an einer verfassungsrechtlichen Grundlage für eine strikte Begrenzung des Wichtigkeitskriteriums auf den Grundrechtsbereich. Neben einem grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt ist ein allgemein-politischer Parlamentsvorbehalt anzuerkennen. 60 Ein Indiz für die Geltung des Parlamentsvorbehalts ist daher in der allgemein-politischen Bedeutung einer Entscheidung, das heißt in ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit zu sehen.61 Das Problem liegt auch hier vor allem in der Konkretisierbarkeit dieses „politischen" Parlamentsvorbehalts.

2.4.1 Politisch kontroverse Entscheidungen

Umstritten ist insoweit vor allem, ob der Gesichtspunkt des „politisch Kontroversen" einen Gesichtspunkt darstellt, unter welchem die Anwendung des „politischen" Parlamentsvorbehalts angezeigt ist. (1) Kisker

A u f der einen Seite hat Kisker dezidiert die Auffassung vertreten, das Wesentliche sei das politisch Kontroverse. 62 Das Wesentlichkeitskriterium des Umstrittenseins begründet er historisch für das Schulrecht mit der These, zu politischer Prominenz und damit zur „Wesentlichkeit" habe zum Beispiel den Lernzielen erst die Tatsache verholfen, daß sie kontrovers geworden seien. Darüber hinaus sei der Einsatz des aufwendigen Apparates von Parlament und öffentlicher Meinung stets dort und vielfach auch nur dort erforderlich und sinnvoll, wo es Konflikte zu lösen gelte. Zugleich weist er aber auch auf die Zeitbedingtheit dieses Kriteriums sowie auf die nicht immer gegebene Voraussetzung in Form der Artikulationsfähigkeit der Betroffenen hin. In 59 Vgl. Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 68. - Zum politischen Parlamentsvorbehalt vgl. oben Kap. I V 3.4. 60 Dabei muß allerdings gesehen werden, daß eine Verrechtlichung politischer Konflikte eintreten kann; vgl. dazu Seibel, DuR 1980,123 ff.; Staupe, Leviathan, 1982,273 ff. (296) m.w.N. 61 BVerfGE 40, 237 (249); O V G Münster, NJW 1978,439; Evers (Fn. 10), 1979, 139; Faller, EuGRZ 1981,611 (624); Rengeling, Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge, 1982,43; Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 70; Erichsen, Besonderes Gewaltverhältnis und Sonderverordnung, 1973, 219 ff. (245); Bauer, D Ö V 1983, 53 ff. (55 f.). 62

Kisker, NJW 1977,1313 (1318).

2.4 Die politische Wichtigkeit

249

Rechtsprechung und Literatur ist die Auffassung Kiskers sowohl auf Ablehnung 6 3 als auch auf Zustimmung 6 4 gestoßen. (2) BVerfG

Das BVerfG hat im Kalkar-Beschluß unter Hinweis auf die verfassungsunmittelbaren Kompetenzen von Exekutivorganen und die ebenfalls gegebene personelle demokratische Legitimation der Exekutive die Auffassung vertreten, die Tatsache, daß eine Frage politisch umstritten ist, vermöge die von der Verfassung zugeordneten Entscheidungskompetenzen nicht zu verschieben. 65 Trotz der offensichtlichen Stoßrichtung dieses Passus gegen die These Kiskers steht sie mit dieser nicht im Widerspruch. Denn im Grunde ist die Aussage des BVerfG banal. Soweit die Verfassung ausdrückliche Kompetenzzuweisungen trifft, können diese selbstverständlich nicht durch Formeln wie: „Das Wesentliche ist das politisch Kontroverse" außer Kraft gesetzt werden. Die entscheidende Frage, ob eine solche Formel dort weiterhelfen kann, wo die Verfassung eine eindeutige Kompetenzzuweisung gerade nicht getroffen hat, läßt dagegen auch das BVerfG unbeantwortet. (3) Stellungnahme

Vom Standpunkt des funktionell-strukturellen Ansatzes ist die These Kiskers, das politische Umstrittensein einer Entscheidung spreche für die Geltung des Parlamentsvorbehalts, im Grundsatz zu bestätigen. Sowohl der Vergleich zwischen der Organstruktur des Parlaments auf der einen und der als Verordnungsgeber in Betracht kommenden Organe auf der anderen Seite als auch die Verfahrensstruktur sprechen dafür, kontroverse politische Streitfragen im Bereich der Rechtsetzung im Wege der Gesetz- und nicht im Wege der Verordnungsgebung zu entscheiden. Vor allem die Beteiligung der Opposition im parlamentarischen Entscheidungsverfahren, insbesondere in den Ausschußberatungen, prädestiniert das Parlament zur Diskussion und letztendlichen Entscheidung über die zwischen den politischen Lagern besonders kontroversen Fragen. 66 Auch der Publizitätseffekt parlamentsgesetzlicher Entscheidungen ist bei kontroversen Fragen potentiell größer. 67 Der im par63 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981,389; H. Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdn. 26; Heussner (Fn. 26), 1983, 111 ff. (117); Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (487); Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984, 111 ff. (126 f.); zurückhaltend auch Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 66 Fn. 145 („... allenfalls ... Teilaspekt..."), sowie Kloepfer, NJW 1985, 2497 ff. (2499), der aber mit der Ausdehnung der „Wesentlichkeitstheorie" auf Privatrechtsbeziehungen (wie das Arbeitsrecht) implizit einen politischen Parlamentsvorbehalt anerkennt, soweit nicht die Grundrechtsproblematik des Art. 9 Abs. 3 G G tangiert ist. 64 O V G Münster, NJW 1978, 439; vgl. auch Degenhart, D Ö V 1981,477 (479); Katz (Fn. 28), 1981, 85, will auf die „Stärke des politischen Konflikts" abstellen. Richter, RdJB 1978, 3, ist der Auffassung, die in den letzten Jahren im Schulwesen aufgebrochenen Konflikte müßten durch die Parlamente gelöst oder jedenfalls doch geregelt werden. Ähnlich Scheuner, ZParl 4 ( 1973), 435 ff. (442); Maurer (Fn. 10), 1983, § 6 Rdn. 11; Faber, Art. 76 Rdn. 3, in: A K - G G , 1984; Degenhart, D Ö V 1981, 477 ff. (479 f.). 65 BVerfGE 49, 89 (126); a.A. O V G Münster, NJW 1978, 439 (440). 66 Vgl. Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1971, 204 mit Fn. 10; Ossenbühl, Gutachten zum 50. D J T 1974, Β 78; Rengeling, NJW 1978, 2217 (2219); Novak, VVDStRL 40 (1982), 40 ff. (59). 67 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1983, § 6 Rdn. 19.

250

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts

lamentarischen Gesetzgebungsverfahren strukturell angelegte Zwang zum Kompromiß, der auch für die Mehrheit bestehende stärkere Argumentationsund Begründungszwang und die daher zu erwartende größere Integrationsleistung des Gesetzgebungs- im Vergleich zum Verordnungsverfahren spricht dafür, die politische Umstrittenheit einer Regelungsfrage als Indiz für die Geltung des Parlamentsvorbehalts anzuerkennen. Auch der Legitimationsaspekt erfordert, die Entscheidungen, die nicht auf einen breiten Konsens in der Bevölkerung stoßen, dem aufwendigeren und beteiligungsintensiveren Gesetzgebungsverfahren zu unterwerfen. 68 Wenn das Recht im Grunde nichts anderes ist als das Resultat politischer Entscheidung und somit die „geronnene Politik" verkörpert, so gehört die rechtliche Fixierung gerade der politischen Entscheidungen, die das Produkt eines „legislative bargaining" darstellen, in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß es im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, festzustellen, ob eine Entscheidung als politisch kontrovers anzusehen ist. Reicht dafür bereits eine abweichende Auffassung, die ein Bürger zum Beispiel in einem Leserbrief äußert? Muß es mindestens eine der „gesellschaftlichen relevanten" Gruppen sein, die anderer Meinung ist? Oder muß sich die politische Kontroverse im Parlament selbst manifestieren? 69 Bereits diese nicht ohne weiteres mit ja oder nein zu beantwortenden Fragen zeigen, daß man auch bei dem Merkmal des „politisch Kontroversen" um die Auslegungs- und Konkretisierungsproblematik nicht umhin kommt. Man wird daher Anhaltspunkte angeben müssen, wann ein politisches Umstrittensein anzunehmen ist, wobei zunächst die Exekutive, im Streitfall letztendlich die Gerichte wie auch bei der Anwendung anderer unbestimmter Rechtsbegriffe letztverbindlich zu entscheiden haben. Als politisch umstritten wird man eine Regelungsfrage dann anzusehen haben, wenn feststeht oder zu erwarten ist, daß die Auffassungen im politischen Prozeß bei relevanten Gruppen hierzu im Grundsätzlichen oder in wichtigen Einzelheiten divergieren. So verstanden kann das Merkmal „politisch kontrovers" als Indiz für die Geltung des Parlamentsvorbehalts herangezogen werden. 70

2.4.2 Wahl- und Wählerrelevanz

Ein weiteres Indiz für die politische Wichtigkeit ist die Wahl- beziehungsweise Wählerrelevanz einer Entscheidung. Besitzt das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durch seine in der Verfassung verankerte stärkere Pu68

Mengel, ZRP 1984, 153 ff. (155 f. m.w.N.). Nicht ausschlaggebend kann sein, daß eine Streitfrage im Klagewege ausgetragen wird; anderenfalls müßten die Gerichte schon die bloße Klageerhebung als Indiz für die Kontroversität und damit für die Parlamentsrelevanz zu werten haben. Entscheidend kann aber nur der Zeitpunkt der Regelung beziehungweise Nicht-Regelung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber sein (ex ante-Betrachtung). Zur Problematik des Merkmals „politisch kontrovers" vgl. auch Wagner/Nobbe, NJW 1978, 1028 ff. (1030 f.); Rengeling, NJW 1978, 2217 ff. (2219); H. Schneider, Gesetzgebung, 1982, § 2 Rdn. 25; Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (487). 70 So im Ergebnis auch Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (487). 69

2.4 Die politische Wichtigkeit

251

blizität strukturell eine größere Öffentlichkeitswirkung und Transparenz (relativ im Vergleich zum Verfahren der Verordnungsgebung), so gehören diejenigen Entscheidungen, die für die Meinungsbildung des Wählers und für seine Wahlentscheidung von besonderer Bedeutung sein können, in das Gesetzgebungsverfahren. Unter diesen Voraussetzungen erscheint das öffentlichere und damit transparentere Entscheidungsverfahren als das geeignetere, 71 weil die über die Medien vermittelte Informationsmöglichkeit für den Wähler im Gesetzgebungsverfahren im Regelfall größer sein wird als im Verordnungsverfahren. Hiergegen spricht auch nicht der Einwand, wenn man entscheiden könne, ob eine Frage umstritten ist, sei der notwendige Öffentlichkeitseffekt bereits hergestellt, 72 da es auch und gerade in diesem Fall sinnvoll erscheint, den Entscheidungsprozeß so transparent wie möglich zu gestalten. Für den Wähler kann es eine Hilfe sein, wenn die kontroversen Standpunkte im Diskussionsprozeß - möglicherweise in öffentlicher Parlamentsdebatte - deutlich und pointiert herauskristallisiert werden und sich die Parteien dadurch für ihn deutlicher profilieren. Dies ist aber im parlamentarischen G esetzgebungsverfahren eher gewährleistet als im Wege der Verordnungsgebung. 2.4.3 Größe des Adressatenkreises

Der politische Parlamentsvorbehalt läßt sich indes noch weiter konkretisieren. So wird vorgeschlagen, auf die Größe des Adressatenkreises beziehungsweise auf den Umfang des Kreises betroffener Personen abzustellen, da hierin ein Hinweis auf die Bedeutung einer Norm liege. 73 G. Müller schränkt allerdings selbst ein, daß oft auch eine Bestimmung, die sich nur an einige wenige Personen wendet, von großer Tragweite sein kann, wenn man etwa an Gesetze denke, mit denen gewisse Unternehmen verstaatlicht oder einem kleinen Kreis von Pflichtigen eine Steuer auferlegt werde. 74 Derartige Fälle erscheinen insbesondere deshalb nicht ausgeschlossen, weil das BVerfG die Kategorie des Maßnahmegesetzes als verfassungsrechtlich irrelevant ansieht. 75 Auch der Gedanke von Rödig, man werde eine Regelung im Zweifel als je wichtiger anzusehen haben, desto mehr Anwendungsfälle sie besitze, 76 zielt in eine ähnliche Richtung. Einschränkend ist hier festzuhalten, daß auch nur ein einzelner Anwendungsfall sehr einschneidend die Grundrechte oder allgemeinpolitische Belange betreffen kann. Unter den genannten Einschränkungen kann die Größe des Adressatenkreises immerhin ein Indiz zur Bestimmung der Wichtigkeit einer Regelung sein. 71 72

Vgl. Zippelius (Fn. 4), 1982, 153 ff., 157. Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (247).

.. 7 3 Vgl. G. Müller (Fn. 10), 1979,111 m.w.N.; Eichenberger, ZfSchwR 1974,7 (21 f.); Sinn, Die Änderung gesetzlicher Regelungen durch einfache Rechtsverordnung, 1971,70. Vgl. dazu schon Clausnitzer/Rosin, Geschichte des Preußischen Unterrichtsgesetzes, 1912, 274: Dem Minister wurde das Recht bestritten, ohne gesetzliche Grundlage „das Bildungswesen von 95 % der Bevölkerung" regelnde, „tief einschneidende" Bestimmungen zu erlassen. 74 G. Müller (Fn. 10), 1979, 111. 75 BVerfGE 25, 371 (396); E 42, 263 (305); vgl. dazu auch Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,827. 76 Rödig, Zum Begriff des Gesetzes in der Rechtswissenschaft, 1976, 5 ff. (43).

252

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 2.4.4 Langfristige

Festlegungen

Die politische Wichtigkeit einer Regelung kann sich auch daraus ergeben, daß die allgemeinpolitischen Auswirkungen der Regelung (im Gegensatz zu den grundrechtlichen) besonders gravierend sind. 77 So kann eine Regelung unter Umständen langfristige, kaum reversible Festlegungen treffen, die auch vom nächsten Bundestag oder Landtag nicht mehr revidiert werden können oder möglicherweise sogar Konsequenzen für künftige Generationen nach sich ziehen. 78 Derartige Langzeitwirkungen ergeben sich zum Beispiel beim Bau von Atomkraftwerken im Hinblick auf die nach wie vor ungelöste Entsorgungsproblematik. Im Bildungsbereich ist in diesem Zusammenhang die Festlegung von Bildungs- und Ausbildungsgängen zu nennen, da sich deren Struktur nicht nur über Jahre hinweg auf den einzelnen Schüler auswirkt, sondern auch dessen weiteren Bildungsgang und Lebensweg entscheidend mitprägen kann. Vor allem aber die sogenannten „Schicksalsfragen der Nation" fallen in diesem Sinne unter die Kategorie der politischen Wichtigkeit. 7 9 Grundlegende Fragen des Umweltschutzes oder Regelungen im Zusammenhang mit Rüstungsfragen, die entscheidende Weichenstellungen für die künftige Rüstungs- und/oder Friedenspolitik vornehmen, unterliegen daher dem Parlamentsvorbehalt. 80

2.4.5 Gravierende finanzielle A uswirkungen

Entsprechendes gilt für Entscheidungen mit gravierenden finanziellen Auswirkungen. 81 Wenn dem Parlament die Letztentscheidung über „alle Einnahmen und Ausgaben" zukommt (Art. 110 GG), dann sind Entscheidungen mit hohen Folgekosten vom parlamentarischen Gesetzgeber zu treffen.

2.4.6 Regelungen mit Prognose- und Experimentiercharakter

Wenn an das parlamentarisch verabschiedete Gesetz im Vergleich zum Verfahren der Verordnungsgebung eine höhere Rationalitätserwartung geknüpft wird, weil es zeit- und arbeitsaufwendiger sowie beteiligungsintensiver und damit im Regelfall gründlicher ist, so eignet sich das Gesetzgebungsver77 Vgl. Starck (Fn. 6), 1970, 169 ff.; Magiera (Fn. 6), 1979, 182; Hesse (Fn. 6), 1984, § 14 I 1 c und 3 a; Rengeling, NJW 1978,2217 (2219); O V G Münster, NJW 1978,439; dazu auch Backhaus, ET 1977, 802; vgl. auch Hage, RdJB 1982, 26 ff., und Henseler, AöR 108 (1983), 489 ff. 78 Schäfer, ZParl 9 ( 1978), 118; Badura, Verfassungsfragen der Finanzplanung, 1971,1 ff. ( 15); Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 79; nach Meyer-Abich, ZRP 1984,40 ff., nimmt das Ausmaß irreversibler Entwicklungen infolge technischer Entwicklungen ständig zu. 79 Listi, DVBl. 1978, 10 ff. (14 f.). 80 Soweit es sich um „politische Verträge" handelt, ergibt sich dies bereits aus Art. 59 Abs. 2 G G ; vgl. auch BVerfGE 49, 89 (127); Schäfer, ZParl 9 (1978), 118, sowie die Entscheidung des BVerfG vom 18.12.1984 - ZBvE 13/83 - zur sogenannten Nachrüstung mit Minderheitsvotum des Richters Mahrenholz. 81 Dazu Eichenberger, ZfSchwR 1974, 7 ff. (21 f.).

2.4 Die politische Wichtigkeit

253

fahren besser als das Verordnungsverfahren für solche Grundsatzentscheidungen, die in tatsächlicher Hinsicht notwendigerweise mit Ungewißheit belastet sind, insbesondere Gefahrenpotential in sich bergen und von daher Prognose und/oder Experimentiercharakter besitzen. 82 Zum einen kann das kooperative parlamentarische Gesetzgebungsverfahren dazu beitragen, die Informationsbasis in tatsächlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht zu verbreitern. Zum anderen eignet sich das Parlament aufgrund seiner Organstruktur, insbesondere im Hinblick auf die Beteiligung aller relevanten politischen Gruppierungen (Opposition) eher als der reine Exekutivbereich dazu, die kontroversen politischen Auffassungen zu diskutieren und die Risiken abzuschätzen. Dieser Gesichtspunkt kommt vor allem dann zum Tragen, wenn versuchsweise Regelungen - aber nicht nur solche - ein besonderes Gefahrenpotential in sich bergen. Hinzu kommt, daß auch durch Versuche und Experimente häufig nicht oder nur unter großen Kosten reversible Festlegungen für die Zukunft getroffen werden. Man denke zum Beispiel an Versuche im Bereich des Schulbaus oder an Kabelpilotprojekte, die, sind sie einmal mit Kosten in Millionenhöhe versuchsweise eingeführt, kaum noch eine Entscheidung gegen sie zulassen. Es ist daher stets die Frage zu prüfen, inwieweit bei der Entscheidung für die Durchführung von Versuchen nicht in Wahrheit die endgültigen Entscheidungen bereits unwiderruflich präjudiziert werden. 83 In einem solchen Fall kann der Parlamentsvorbehalt nicht mit dem Argument zurückgewiesen werden, es handele sich ja nur um ein Gesetzgebungsexperiment. 84

2.4.7 Alternativentscheidungen

Wenn das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als das im Vergleich zur Verordnungsgebung wesentlich aufwendigere Verfahren für die wichtigen Entscheidungen vorgesehen ist, dann sind dort insbesondere die Entscheidungen zu treffen, bei denen es im Bereich der Rechtsetzung um ein grundsätzliches Ja oder Nein für eine bestimmte politische Entscheidung geht. Derartige Alternativentscheidungen sind Sache des parlamentarischen Gesetzgebers. 85 Ob die Schule Sexualkundeunterricht anbieten soll oder nicht, ob die Gesamtschule als Versuchs-, Angebots- oder Regelschule eingeführt werden soll, ob die Lernmittelfreiheit weiter zum Zweck der Gewährleistung von Chancengleichheit aufrechterhalten bleibt oder nicht, ob Kernkraftwerke gebaut werden sollen oder nicht, ob durch Stationierung neuer Atomraketen (sogenannte „Nachrüstung") eine für das Kräftegleichgewicht der Supermächte qualitativ neue Situation geschaffen werden soll - all dies sind Beispiele für Entweder-/Oder-Entscheidungen, die die Anwendung des Parla82

Vgl. Katz (Fn. 28), 1981,85. Vgl. Hoffmann-Riem, ZRP 1980, 31 ff. 84 Vgl. dazu auch unten 3.2.4. 85 Vgl. Loose (Fn. 56), 1977, 56. Skeptisch zur Entscheidung des Gesetzgebers über von der Exekutive vorzulegende Alternativen Faber, Art. 20 Abs. 1-3 V Rdn. 24, in: A K - G G , Bd. 1,1984. 83

254

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsorbehalts

mentsvorbehalts indizieren können. Dies wird freilich nur dann der Fall sein, wenn andere inhaltliche Gesichtspunkte hinzutreten. So werden die genannten Beispiele nur dann unter den Parlamentsvorbehalt fallen, wenn sie ein gewisses Gewicht besitzen, politisch kontrovers oder ihre Auswirkungen auf die Betroffenen besonders gravierend sind. Trotz dieser materiell-rechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit mag die Entscheidungssituation des Entweder/Oder, des Ja oder Nein in Grundsatzfragen einen gewissen Anhaltspunkt für die Geltung des Parlamentsvorbehalts bieten, der sich dann als Kompetenzsperre für die Exekutive auswirkt.

2.4.8 Neuerungen

Umstritten ist, ob die Tatsache, daß es sich um eine Neuerung, das heißt um eine Änderung des Status quo handelt, die Geltung des Parlamentsvorbehalts bewirken kann. (1) Rechtsprechung

In der Rechtsprechung ist wiederholt für die Begründung des Parlamentsvorbehalts darauf abgestellt worden, ob es sich um eine Entscheidung handelt, die den bisherigen Zustand wesentlich verändert hat. 8 6 Unter dieser Voraussetzung wird die Geltung des Parlamentsvorbehalts angenommen, so zum Beispiel für „Umgestaltungen der Bildungsinhalte von grundsätzlich verändernder bildungspolitischer Qualität". 8 7 (2) Literatur

In der Literatur ist die Brauchbarkeit des Kriteriums der „Neuerungen" insbesondere von Richter in einer Stellungnahme zur Lateinentscheidung des BVerwG kritisiert worden. 88 In dieser Entscheidung hatte das BVerwG die Geltung des Gesetzesvorbehalts mit der Begründung bejaht, die Festlegung der Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe sei eine bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung, die die Struktur des herkömmlichen Schulsystems organisatorisch und inhaltlich wesentlich verändert habe. 89 Diese „reformorientierte Begründung" hält Richter für nicht überzeugend: Ob der Lateinunterricht weiterhin als erste Fremdsprache angeboten werde, wenn sich immer weniger Eltern dafür entschieden, wenn die Bedeutung eines früheren Lateinunterrichts für die humanistische Bildung zunehmend bezweifelt und wenn die Durchlässigkeit der 86 BVerwGE 64,308 (315); BVerwGE 57,130 (139); O V G Münster, S P E I D I X , 1; hess. V G H , N J W 1976,1856; bay. VerfGH, D Ö V 1974,672; BVerfGE 47,46 (85); BVerwGE 47,194 (200 f.). 87 Vgl. Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 51 f., C 60 ff.; Ders., Diskussionsbeitrag zum 51. D J T 1976, M 60; ähnlich Erichsen, Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Zeugnisregelung für die Klassen 1 und 2 der Grundschule in Nordrhein-Westfalen, 1978, 112; kritisch dazu Wagner, RdJB 1976, 261 f.; Pieroth, VerwArch 68 (1977), 217 ff. (224 f., 244). 88 89

Richter, N V w Z 1982, 357 ff. (358); zustimmend dagegen Clemens, N V w Z 1984,65 ff. (66). BVerwGE 64, 308 (315).

2.4 Die politische Wichtigkeit

255

Bildungswege zu Lasten der Chancengleichheit aller Kinder beeinträchtigt werde, sei doch ebenfalls eine bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung. Die Entscheidung für die Beibehaltung des Bestehenden sei angesichts des sich permanent vollziehenden gesellschaftlichen Wandels ebenfalls eine Grundentscheidung. Der veränderungsbezogenen Begründung hafte schließlich das Odium einer reformfeindlichen Funktion des Gesetzesvorbehalts an. (3) Stellungnahme

Die Kritik Richters legt eine wesentliche Schwäche des Neuerungs-Ansatzes offen: Der Veränderungsgesichtspunkt ist ein rein formales Kriterium, welches bei mehreren Lösungsmöglichkeiten stets nur eine, nämlich die neue Lösung, unter den Parlamentsvorbehalt stellt. Dies führt zu dem kuriosen Ergebnis, daß zum Beispiel die Frage, ob der Fächerkatalog oder ob die fachspezifischen Lernziele unter den Parlamentsvorbehalt fallen, davon abhängig gemacht wird, welche konkreten Fächer beziehungsweise welche fachspezifischen Lernziele vorgesehen werden sollen. Die Frage nach der Geltung des Parlamentsvorbehalts wird nicht abstrakt vom Gegenstand der Regelung (Schulform, erste Fremdsprache, Lerngruppen usw.), sondern vom konkreten Inhalt abhängig gemacht (Gymnasium oder Gesamtschule, Englisch oder Latein, Kurs oder Klasse, Fünf- oder Sechs-Tage-Woche, Noten oder verbale Beurteilung). Abstrahiert man von der jeweiligen konkreten Entscheidung und stellt auf den Regelungsgegenstand als solchen ab, so greift das formale Kriterium der „Neuerung" nicht mehr. Schwer einzusehen ist auch, wieso zunächst stets nur das Neue unter den Parlamentsvorbehalt fallen soll, bei einer späteren Rückgängigmachung aber plötzlich die alte Regelung als nunmehr „wesentliche Neuerung" vom Parlamentsvorbehalt erfaßt werden soll. Auch kann in einem Wahlkampf zum Beispiel das Thema Gesamtschule eine zentrale Rolle spielen; soll sich die Wichtigkeit dieses Themas unter Vorbehaltsaspekten danach richten, ob die konservative oder die fortschrittliche Auffassung obsiegt? In der Praxis wird sich das Problem allerdings wegen des Vorrangs des Gesetzes weitgehend entschärfen. Ist bereits eine gesetzliche Regelung vorhanden, so kommt es für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung nicht auf den Gesichtspunkt der Neuerung an, da die bisherige Regelung wegen des Vorrangs des Gesetzes ohnehin nur durch eine gleichrangige, das heißt ebenfalls eine gesetzliche Regelung abgeändert werden kann. Insoweit wird über den Vorrang des Gesetzes in vielen Fällen dasselbe bewirkt, was über das Kriterium der „Neuerung" erreicht würde. Die veränderungsbezogene Begründung des Parlamentsvorbehalts wird deshalb nur dort zum Tragen kommen, wo eine - nicht völlig unbedeutende - Neuerung eingeführt werden soll, die bisher nicht gesetzlich geregelt ist. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn eine neue Lösung realisiert werden soll, durch die ein bisher unbestrittener und deshalb nicht für regelungsbedürftig angesehener Zustand abgeändert werden soll. A n dieser Stelle wird deutlich, daß das scheinbar formale Kriterium der Neuerung durchaus einen vorbehaltsrechtlich relevanten Kern enthalten

256

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

kann. In aller Regel wird eine Neuerung, die einen bisher unbestrittenen Zustand ablösen soll, in erheblichem Maße politisch kontrovers und daher diskussionsbedürftig (im Parlament wie in der Öffentlichkeit) sein und unter diesem Gesichtspunkt unter den Parlamentsvorbehalt fallen. Insoweit stellt der Gesichtspunkt der „Neuerung" nichts anderes dar als das formale Pendant zu dem materiellen Kriterium des „politisch Kontroversen". 90 Hinzu kommt, daß der Neuerungsgesichtspunkt zusätzlich durch den Gesichtspunkt der Wichtigkeit gefiltert wird. Dies wird zum Beispiel am Urteil des BVerwG zur Einführung der Fünf-Tage-Woche deutlich, in welchem das Gericht die Geltung des Parlamentsvorbehalts im Hinblick auf die geringe Bedeutung der Entscheidung (Grundrechtsrelevanz) verneinte. Aber auch in der Stellungnahme Richters kommt zum Ausdruck, daß für ihn letztlich der materiellrechtliche Gesichtspunkt der Wichtigkeit beziehungsweise die Frage, ob es sich um eine „Grundentscheidung" handelt, ausschlaggebend ist. Diese Einschränkung erscheint notwendig und einleuchtend: Würde jede auch noch so nebensächliche Änderung der normativen Grundlagen zur Anwendung des Parlamentsvorbehalts führen, so würde sich der Regelungsbestand automatisch immer mehr auf die Regelegungsebene des Gesetzes verlagern. Es muß daher über das formale Indiz der Neuerung hinaus anhand materieller Gesichtspunkte (zum Beispiel wichtig, politisch kontrovers) beurteilt werden, ob es sich um eine gravierende Veränderung oder lediglich um eine marginale Korrektur handelt, ob ein grundlegender Bruch mit den bisherigen Regelungen oder nur eine stetige Fortentwicklung des bestehenden Rechts erfolgt. M i t diesen Einschränkungen kann der Tatsache, daß es sich um eine Neuerung handelt, Indizwirkung im Hinblick auf den Parlaments vorbehält zukommen. Ob die veränderungsbezogene Begründung des Parlamentsvorbehalts tatsächlich als „reformfeindlich" bezeichnet werden kann, erscheint indes fraglich, da dieses Vorbehaltsmerkmal in gleicher Weise bei der Rückgängigmachung von Reformen sowie bei der Durchsetzung konservativer politischer Ziele zur Anwendung kommt und insofern auch als „restaurationsfeindlich" bezeichnet werden könnte. Auch aus einem weiteren Grund erscheint zweifelhaft, ob sich der Parlamentsvorbehalt überhaupt in das Schema reformfeindlich - reformfreundlich pressen läßt. Die Geltung des Parlamentsvorbehalts kann eine Veränderung in die eine ebenso wenig wie in die andere Richtung verhindern, sondern allenfalls infolge des erforderlichen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens verzögern. So konnte zum Beispiel die hessische Reform der gymnasialen Oberstufe mit Hilfe des Gesetzesvorbehalts trotz Ausschöpfung aller Klagemöglichkeiten nicht „aus den Angeln gehoben" werden. 91 Das Durchlaufen eines aufwendigen, beteiligungsintensiven und 90 Ähnlich Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1318), der der Auffassung ist, mit der auf die Veränderung des Status quo bezogenen Argumentation werde auf den durch die Veränderung ausgelösten politischen Konflikt abgestellt. 91 Hennecke, D Ö V 1982, 365, ist der Auffassung, am Gesetzesvorbehalt sei „allzu forscher Reformeifer ... häufig gescheitert". Das von ihm in bezug genommene Urteil des hess. V G H zur Oberstufenreform beweist indes das Gegenteil (wie hier Richter, RdJB 1978,3); vgl. auch Staupe, Leviathan 1982, 273 ff. (288 m.w.N.).

2.4 Die politische Wichtigkeit

257

vergleichsweise öffentlichen Verfahrens ist unter Reformaspekten keineswegs von vornherein negativ zu bewerten. Zweifelhaft ist auch, ob die Neuerung stets die „fortschrittlichere" Lösung darstellt. 92 Insoweit läßt sich der Parlamentsvorbehalt nicht unter die Kategorie „Normen gegen Reformen" subsumieren. 93 Ist darüber hinaus die Geltung des Parlamentsvorbehalts unter rechtsstaatlichen, demokratischen, grundrechtlichen oder funktionell-strukturellen Gesichtspunkten verfassungsrechtlich geboten, so ist der Parlamentsvorbehalt als solcher bereits positiv zu bewerten. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß die größere Publizität des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens gerade bei grundlegenden Neuerungen die kontroversen Positionen für die Öffentlichkeit eher transparent machen kann als eine Entscheidung im Verordnungsverfahren.

2.4.9 LeitentScheidungen

Wenn dem Parlamentsgesetz aufgrund des Vorrangs des Gesetzes ein höherer Rechtswert zukommt als der Rechtsverordnung und wenn die Funktion der Außensteuerung der Exekutive durch das Parlamentsgesetz eher gewährleistet werden kann als durch die Rechtsverordnung, 94 dann gehören programmatische Regelungen, Grund- und Leitentscheidungen, 95 Rahmen- und Grundsatzregelungen 96 in das Parlamentsgesetz und nicht in die Rechtsverordnung. Grundlegende gesellschaftspolitische, wirtschafts-, bildungs- oder sozialpolitische Entscheidungen sind auf der ranghöheren Regelungsebene zu treffen. Zur näheren Konkretisierung dieser Vorbehaltsmerkmale kann auf die Rechtsprechung zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G verwiesen werden, wo insbesondere die vom BVerfG entwickelte sogenannte Programmformel in eine ähnliche Richtung zielt. 97 Wenn sich Entscheidungen organisations-theoretisch in programmierende und programmierte typisierend einordnen lassen 98 - andere sprechen von „primären" und „sekundären" Rechtssätzen99 92 Dies gilt vor allem für den Fall, daß eine „fortschrittliche" durch eine konservative Regierung abgelöst wird. „Reformen" (Neuerungen) werden in einem solchen Fall eher konservativen Charakter besitzen. 93 Richter weist selbst an anderer Stelle zutreffend darauf hin, daß „strategische Vorstellungen" in beiden Richtungen „äußerst kurzsichtig" seien (RdJB 1978, 2). 94 Vgl. Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (262 f.): Bei der Entscheidung über die Anerkennung einer privaten Ersatzschule durch das Kultusministerium sei der Beurteilungsspielraum des Kultusministers, ob eine Privatschule gleichwertig ist, durch formell-gesetzliche Entscheidungen des Parlaments verbindlich zu begrenzen. 95 Vgl. Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 65, 71, 74; Hess. StGH, U. vom 4.4.1984, Ua. S. 21; BVerfGE 41, 251 (265); 47, 46 (82 f.); 58, 257 (278). 96 So auch das Regelungsprinzip des Planungsrechts, vgl. § 2 ROG (Grundsätze), § 5 Abs. 2, 4 R O G (Ziele), wobei die Grundsätze i.d.R. als Parlamentsgesetz ergehen. 97 Vgl. dazu Hasskarl, Die Begrenzung exekutivischer Rechtsetzungsbefugnisse unter besonderer Berücksichtigung der Bundesgesetzgebung, 1969,65. Vgl. auch Bryde, Rdn. 20 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983. 98 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 2, 1972, 240; Zippelius (Fn. 4), 1982, 232; kritisch dazu Frohn, Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, 1977, 96: Auch legislatives Entscheiden sei durch die Verfassung vorprogrammiert; im Rahmen von Entscheidungsprozessen sei ein Kontinuum von mehr beziehungsweise minderprogrammierten Entscheidungen anzunehmen. Tat-

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VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

oder differenzieren zwischen gesetzlicher, gesetzlich vorgeformter und administrativer Strukturierung 1 0 0 - , so gehören im Hinblick auf die Steuerungsfunktion des Gesetzes die programmierenden Rechtsetzungsentscheidungen in dieses, die programmierten auf die untergesetzliche Regelungsebene.101 Wird nicht eine bereits getroffene Entscheidung durchgeführt, sondern besitzt diese - abgesehen von verfassungsunmittelbaren Direktiven - gleichsam originären Charakter, so ist dies ein Indiz dafür, daß diese Entscheidung nicht delegierbar ist und daher unter den Parlamentsvorbehalt fallen muß. Dienen zum Beispiel Verfahrensregelungen dem Vollzug „primärer" (parlamentsgesetzlicher) Normen, so können sie als „sekundäre" Norm auf die untergesetzliche Regelungsebene delegiert werden. Geht es dagegen um den Vollzug verfassungsunmittelbarer Normen, so ist zunächst eine „primäre" einfach-gesetzliche Regelung im Parlamentsgesetz erforderlich. 102 Dagegen können die Einzelheiten der gesetzestechnischen Durchführung dem Verordnungsgeber überlassen werden. 103 2.4.10 Kontroll- und Steuerungsbedürfnis

Geht man davon aus, daß das Parlamentsgesetz ein Instrument der laufenden administrativen Außensteuerung der Verwaltung durch das Parlament darstellt, 104 dann kommt einer parlamentsgesetzlichen Regelung im Hinblick auf das normvollziehende Handeln der Verwaltung tendenziell eine stärker sache ist jedoch, daß die Verfassung für die Verordnungsgebung ein über die Vorgaben der Verfassung hinausgehendes zusätzliches programmiertes Entscheiden ausdrücklich vorschreibt. 99 F. Fleiner/Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 1949, 774, 803 f.: Nur die sekundären Rechtssätze dürfen auf die Exekutive übertragen werden, während der Erlaß primärer Rechtssätze dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Ähnlich Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung, 1962, 42; vgl. auch Zippelius (Fn. 4), 1982, 232. 100 Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, 467. 101 Ebenso Rödig (Fn. 68), 5 ff. (43), der die Wichtigkeit einer Regelung verneint, wenn es sich lediglich um eine „geringfügige Ausgestaltung einer schon vorhandenen" handelt. Zu eng Zippelius (Fn. 4), 232, der lediglich die gesetzesvollziehende Verwaltung und die Rechtsprechung als gesetzlich vorprogrammierte Entscheidung ansieht; auch untergesetzliche Rechtsetzung durch die Exekutive ist, jedenfalls beim Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, gesetzlich vorprogrammiert. 102 Eine ähnliche Unterscheidung trifft Art. 72 Abs. 4 der italienischen Verfassung; der italienische V G H hat dazu entschieden, daß „disegri di legge in materia constituzionale" (was weiter ist als „disegri di leggi constituzionali" und nicht nur formelle Verfassungsgesetze, sondern auch materielles Verfassungsrecht umfaßt) vom Parlamentsplenum geregelt werden müssen und nicht (an Parlamentsausschüsse) delegiert werden dürfen; vgl. dazu von Lucius, AöR 97 (1972), 568 ff. (573). 103 Ebenso Enquête-Kommission für Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, Zwischenbericht, BT-Drucks. VI/3829,81 (sub 6.); ähnlich Brohm, V V D S t R L 30 (1972), 267 ff., der jedenfalls für die grundlegenden politischen Entscheidungen Vorbehaltsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz beim Erlaß genereller Verhaltensregelungen uneingeschränkt zur Anwendung kommen lassen will, während er im übrigen für zulässig hält, daß die Verwaltung im Prozeß der Zielverwirklichung selbst Zwecke setzt und sich selbst programmiert. 104 So Scheuner, zitiert bei Oschatz, DVBl. 1980, 736 ff. (741); vgl. auch Herzog, in: Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 V I Rdn. 45; Kloepfer, JZ 1984,685 ff. (687). Dieser Aspekt wird mit der Ausbreitung von Ziel- und Programmgesetzen zunehmend wichtiger; vgl. Böckenförde (Fn. 63), 1981, 397.

2.4 Die politische Wichtigkeit

259

gewaltenteilende Funktion zu als einer Regelung durch Rechtsverordnung. Programmierende Entscheidungen - und damit der Parlamentsvorbehalt kommen vor allem dort zum Tragen, wo es unter gewaltenteilendem Aspekt im Hinblick auf eine stärkere Außenkontrolle und Außensteuerung der Exekutive durch die Legislative in besonderem Maße auf die rechtsstaatliche Kontrolle des Exekutivhandelns ankommt. 1 0 5 Ein besonderes Kontroll- und Steuerungsbedürfnis gegenüber dem Exekutivhandeln kann somit die Geltung des Parlamentsvorbehalts indizieren. Zu denken wäre hier zum Beispiel an solche Rechtsbereiche, in denen ein starkes Interesse der Exekutive an der Effizienz des Verwaltungshandelns (Stichworte: Polizeirecht, Verfassungsschutz, Datenverarbeitung, Strafverfolgung usw.) mit dem Interesse des Bürgers an Schutz und Verwirklichung seiner Freiheitsrechte (insbesondere den politischen Rechten) in Kollision treten kann. 1 0 6 In solchen Fällen bedarf es einer Außensteuerung der Verwaltung in der Weise, daß nicht ihr im Ergebnis die strukturelle Letztverantwortung zukommt. 1 0 7

2.4.11 Verdrängung

von Gewohnheitsrecht

Folgt man der oben dargelegten - und abgelehnten - Auffassung, daß Gewohnheitsrecht nur durch das Parlamentsgesetz und nicht durch untergesetzliche Regelungen verdrängt werden kann, 1 0 8 so würde diese Auffassung faktisch zur Geltung eines Parlamentsvorbehalts führen unter der Voraussetzung, daß bestehendes Gewohnheitsrecht außer Kraft gesetzt werden soll. 1 0 9 Dieser Gesichtspunkt wird bei der Novellierung des bayerischen E U G 1 1 0 eine Rolle gespielt haben, als in Art. 63 Abs. 3 Satz 2 nunmehr im Gesetz selbst die körperliche Züchtigung für unzulässig erklärt wurde. Der Rechtsprechung des BayObLG, wonach die bisherige Regelung auf der Ebene der Rechts Verordnung das gewohnheitsrechtliche Züchtigungsrecht nicht außer Kraft gesetzt haben soll, wurde so der Boden entzogen. In Strafverfahren gegen Lehrer wird es nunmehr nicht mehr möglich sein, ein Gewohnheitsrecht eines Lehrers auf maßvolle Züchtigung als Rechtfertigungsgrund anzunehmen. 111

105 Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 788 ff.; Böckenförde (Fn. 63), 1981, 383; vgl. dazu auch Krahl, Wie weit ist das Parlament tatsächlich in der Lage, die Verwaltung zu kontrollieren?, 1979; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982. 106 Zum Spannungsverhältnis von Verwaltungseffizienz und Grundrechtsschutz vgl. Steinberg, D Ö V 1982, 619 ff.; von Mutius, NJW 1982, 2150; Degenhart, DVBl. 1982, 872; Ossenbühl, N V w Z 1982, 465. 107 Vgl. schon BVerfGE 8, 272 (275); 22, 330 (345 f.); 49, 89 (129); Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (124). 108 Vgl. oben Kap. V I 4.3.2 und 4.3.3. 109 BayVerfGH 33, 33. 110 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (bay. E U G ) vom 10.9.1982 (GVB1. 743, berichtigt 1032). 111 Vgl. Landtags-Drucks. IX/9803, 38; so aber die bisherige Rechtsprechung, vgl. bay. ObLGSt 1978, 182 ff. (184).

260

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 2.4.12 Einheitlichkeit

des Regelungsorts

Wenn man zwischen parlamentsrelevanten und delegierbaren Regelungen abschichtet, dann wird es häufig oder sogar im Regelfall dazu kommen, daß ein Teil der Regelung ins Gesetz gehört, andere Teile dagegen delegierbar sind. In derartigen Situationen kann es aus praktischen Gründen sachgerecht erscheinen, eine Trennung des Regelungsgegenstands und eine Verteilung auf verschiedene Regelungsorte zu vermeiden. Nun kann die Lösung in einem solchen Fall nicht in einer vollständigen Delegation auf den Verordnungsgeber bestehen, da ja in jedem Fall eine hinreichend bestimmte gesetzliche Verordnungsermächtigung erforderlich ist. Die Delegation führt hier notwendig zur Aufspaltung auf zwei verschiedene Regelungsorte. 112 Die Konzeption: Grundsatzregelungen im Parlamentsgesetz, Vollzugsregelungen in der Rechtsverordnung kann also zu einer Aufspaltung des Regelungsgegenstandes führen. Dies macht die Materie unübersichtlicher. Für den Rechtsanwender führt das zu der wenig glücklichen Situation einer Aufspaltung des Regelungsgegenstandes auf zwei Rechtsquellen und Regelungsorte. Die Gesichtspunkte der Rechtseinheit und Übersichtlichkeit können daher unter Umständen dafür sprechen, nicht gesetzesbedürftige Regelungen gleichwohl im Parlamentsgesetz gemeinsam mit der Grundsatzentscheidung zu treffen. Dies gilt auch für den Fall, daß es aus der Eigenart der Materie heraus nicht möglich sein sollte, eine Verordnungsermächtigung so bestimmt zu fassen, daß - wie das BVerfG fordert - vorausgesehen werden kann, welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können und werden. 113 In diesem Fall kann die Konsequenz nicht darin bestehen, auf die Beachtung der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse zu verzichten. Vielmehr muß der Gesetzgeber in diesem Fall auf die Delegation verzichten und die Regelung selbst im Parlamentsgesetz treffen. 114

2.4.13 Konkretisierung

des offenen

Verfassungsrechts

Schließlich besteht eine ganz zentrale Funktion des Gesetzes darin, das .offene" Verfassungsrecht zu konkretisieren. 115 Dort wo die Verfassung keine 112 Dies übersieht Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (350), wenn er in derartigen Fällen eine (Voll-)Regelung durch Rechtsverordnung, kombiniert mit einem Zustimmungs- oder Aufhebungsrecht des Parlaments vorschlägt (vgl. dazu unten Kap. V I I I 7 und 8.6). 113 BVerfGE 1,14(60);2,307(334);5,71 (76);7,267(274f.);7,282(301); 15,153(160); 19,354 (361); 23, 62 (72 f.); 41, 251 (265 f.); 55, 207 (226). 1.4 So auch Bettermann, Legislative ohne Posttarifhoheit, 1967, 62. 1.5 BVerfGE 33, 125 (159); Evers, JuS 1977, 804 ff. (807). Vgl. Bleckmann, D Ö V 1983, 129 ff. (133); Bauer, D Ö V 1983, 53 f. (59): Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die von der Verfassung offengelassenen grundlegenden Fragen der Grundrechtsverwirklichung und des Zusammenlebens selbst zu entscheiden und verbindlich zu regeln. Bei seiner (etwas überzogenen) Kritik an einem „Parlamentsvorbehalt zur Grundrechtskonkretisierung" verkennt Krawietz, Politisierung oder Legalismus, 1979, 32 ff., 47, die partielle Offenheit der Verfassung. Ohne die Positivität dessen bestreiten zu wollen, was in der Verfassung geregelt ist, ist doch offenkundig, daß die Verfassung notwendigerweise viele Fragen offenläßt (man denke nur an den Regelungsvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 G G , der den Gesetzgeber sogar ermächtigt, eine Inhaltsbestimmung des Eigentumsgrundrechts zu treffen). Vgl. schon oben Kap. I I I 2.4.1 für die Weimarer Zeit.

3.2 Eigenständige Kriterien

261

abschließenden Regelungen getroffen hat, ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, diese Lücken zu füllen. Entsprechend dem Rang der Regelungsformen ist die Konkretisierung des Verfassungsrechts auf verschiedenen Konkretisierungsstufen zu leisten, wobei dem Parlamentsgesetz erste Priorität zukommt. Ein Indiz für die Geltung des Parlamentsvorbehalts ist somit dann gegeben, wenn eine verfassungsrechtliche Regelung vorhanden, diese aber offen, unvollständig und nicht abschließend ist. 1 1 6

3. Indikatoren für die Delegierbarkeit von Regelungen 3.1 Negativausgrenzung Greift keiner der vorstehend genannten Gesichtspunkte ein, so fehlt es an Indizien für die Geltung des Parlamentsvorbehalts. Sind die Voraussetzungen für die genannten Merkmale nicht gegeben, so spricht dies für die Delegierbarkeit des Gegenstandes und für geringere Anforderungen an die Regelungsdichte. Die negative Beantwortung der genannten Kriterien (zum Beispiel Unwichtigkeit, geringe Grundrechtsrelevanz, politischer Konsens usw.) führt dazu, daß der Gesetzgeber die Entscheidung an den Verordnungsgeber oder einen anderen untergesetzlichen Entscheidungsträger delegieren darf. Dies gilt zum Beispiel für Regelungen, über deren Inhalt breiter Konsens herrscht, die wenig diskussionsbedürftig sind, weil es nicht auf einen umfassenden Interessenausgleich ankommt, oder die für den Wähler mutmaßlich von geringerem Interesse sind. 1 1 7 Eine derartige Negativindikation spricht für die Zulässigkeit der Delegation an den Verordnungsgeber, wobei allerdings sämtliche vorstehend genannten Kriterien sorgfältig zu prüfen sind.

3.2 Eigenständige Kriterien Von einer Negativausgrenzung zu unterscheiden ist die Frage, ob es möglicherweise selbständige Gesichtspunkte gibt, die gegen eine Entscheidung und Regelung durch Parlamentsgesetz und für eine Delegation auf die untergesetzliche Regelungsebene sprechen. Ob man insoweit eine „Unwesentlichkeitstheorie" 118 entwickeln muß und ob es einen den Zugriff des Gesetzgebers begrenzenden Vorbehaltsbereich der Verwaltung gibt, 1 1 9 mag hier dahinstehen. Jedenfalls aber könnte es selbständige funktionell-strukturelle Aspekte geben, die nicht nur das negative Spiegelbild der vorstehend genannten Indi116 Vgl. Häberle, D Ö V 1981, 550 f.: Verfassung als öffentlicher Prozeß; allen an ihm Beteiligten muß überantwortet bleiben, was jeweils „wichtig" ist. 117 Vgl. dazu insbesondere Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (490). 1,8 So Maunz, Die Schule in der Sicht der Rechtsprechung, 1979, 239 ff. (249). 119 Vgl. Loschelder (Fn. 100), 1982, 469; Erichsen, VerwArch 70 (1979), 249 ff.; ähnlich Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981, 32 ff.; Böckenförde (Fn. 63), 1981, 394 ff.

262

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

zien bilden, sondern aus sich heraus für eine Regelung auf untergesetzlicher Ebene und damit gegen die Annahme eines Parlamentsvorbehalts sprechen.

3.2.1 Flexibilität

und Anpassungsfähigkeit

Da das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nicht nur das im Vergleich zum Verordnungsverfahren aufwendigere und gründlichere, sondern zugleich das schwerfälligere und umständlichere Verfahren darstellt, 120 kann das Bedürfnis nach einer flexiblen, leichter anpassungs- und änderungsfähigen Regelung ein Indiz für eine untergesetzliche Regelung sein. 121 Zwar kann man angesichts der heutigen Gesetzgebungspraxis Parlamentsgesetze und untergesetzliche Regelungen nicht mehr ohne weiteres mit dem Begriffspaar „dauerhaft - kurzfristig" charakterisieren; zahlreiche Parlamentsgesetze stellen sich als kurzfristig wirkende Maßnahmegesetze dar, und die Anderungsquote von über 50 Prozent ist beträchtlich. 122 Fraglich erscheint aber, ob man dem Faktischen normative Kraft zusprechen kann, oder ob nicht vielmehr der derzeitige empirische Befund dafür spricht, daß das Parlamentsgesetz entgegen den in der Verfassung angelegten funktionell-strukturellen Gegebenheiten zu häufig oder zu undifferenziert als Regelungsform eingesetzt wird. 1 2 3 Ohne Zweifel gibt es aus der Staatspraxis genug Beispiele für die Möglichkeit des Erlasses oder der Änderung eines Gesetzes sozusagen im Eilverfahren innerhalb kürzester Frist. 1 2 4 Sieht nun aber die Verfassung unterschiedliche Regelungsformen vor, von denen die eine sich als flexibler, anpassungsfähiger und leichter änderbar erweist, während die andere nur innerhalb eines zeitund arbeitsaufwendigen, beteiligungsintensiven und dadurch schwerfälligeren Verfahrens änderbar ist, so muß diesen Bedingungen durch die Zuweisung 120 Vgl. Brunner, Die Überprüfung der Rechtsverordnungen des Bundes auf ihre Verfassungsund Gesetzmäßigkeit, 1953,14; Kamber, Die Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, 1980,67; Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1980,9 ff. (62); Schlußbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. V I 1/5924, 89. 121 Hess. StGH, U. vom 4.4.1984, Ua. S. 21; Falckenberg, BayVBl. 1978, 166; Kopp, D Ö V 1978, 890; Sendler, DVBl. 1982, 381 ff. (382 f.); Pieske, DVBl. 1979, 329 ff.; Nevermann, VerwArch. 71 (1980), 241 ff. (254 ff.); Böckenförde (Fn. 63), 1981, 398; Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (123); Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (492); Ramsauer, Art. 80 Rdn. 55, in: A K - G G , 1984. Die Handlungsformen der Verwaltung sind eher zu der immer wieder erforderlichen Anpassung der staatlichen Regelungen an den neuesten Stand der Technik (beziehungsweise Stand von Wissenschaft und Technik) geeignet als die Handlungsformen des Gesetzgebers; vgl. BVerfGE 49,89 (133, 139); Baumann, JZ 1982,749 ff. (752). Auf diese „ergänzenden Kriterien" stellt auch Evers (Fn. 10), 139, ab, ohne jedoch eindeutig zu sagen, zu welchen kompetenzrechtlichen Konsequenzen „die Erfordernisse einer flexiblen und offenen Gestaltung des auf Aktivität, Dynamik und Personalität angelegten Schulwesens" führen. Vgl. zu dieser Problematik auch Fleiner, Die Delegation als Problem des Verfassungs- und Verwaltungsrechts, 1972, 132 ff. 122

Zu dieser Prozentangabe vgl. Renner, Universitas 34 (1979), 163 ff. (165). Dieser Aspekt wird nicht dadurch entkräftet, daß auch Gesetze unter Umständen rasch geändert werden können; vgl. dazu Maunz (Fn. 117), 1979, 239 ff. (249). 124 Vgl. dazu Schefold, KJ 1982, 423 ff. (424), der auf die Beispiele Absicherungs-, Energiesicherungs- und Kontaktsperregesetz hinaufweist. 123

3.2 Eigenständige Kriterien

263

von Regelungsgegenständen zu der jeweiligen Regelungsform Rechnung getragen werden. Form und Inhalt müssen auch insoweit dem Gebot der Proportionalität 1 2 5 genügen. Allerdings wäre es zu einfach, alle Regelungen, denen man eine gewisse Änderungshäufigkeit prognostizieren kann, ohne weiteres dem Verfahren der Verordnungsgebung zuweisen. Eine wichtige Funktion des aufwendigen, beteiligungsintensiven und formalisierten Verfahrens der Gesetzgebung liegt ja gerade darin, vorschnelle und übereilte Entscheidungen in wichtigen, diskussionsbedürftigen Fragen zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Unter diesem funktionell-rechtlichen Aspekt wird man Entscheidungen nur dann unter dem Gesichtspunkt der Flexibilität der untergesetzlichen Ebene zuweisen dürfen, wenn nicht andere Gesichtspunkte zwingend für die Geltung des Parlamentsvorbehalts sprechen. Dem Gesichtspunkt einer schnelleren Änderbarkeit kommt somit als Zuweisungskriterium zur untergesetzlichen Ebene nur dort Bedeutung zu, wo es sich nicht um eine grundlegende, grundrechtsintensive oder aus sonstigen Gründen dem Parlamentsgesetz vorbehaltene Entscheidung handelt. 1 2 6 Hier wäre zum Beispiel an alle diejenigen Regelungen zu denken, welche in konkreten Zahlen bezifferte finanzielle Leistungen gewähren, und diese Regelungen infolge der Inflation in regelmäßigen Abständen (zum Beispiel jährlich) an die laufende Entwicklung angepaßt werden müssen. Während die grundsätzliche Entscheidung über das Ob einer solchen Leistung dem Parlamentsvorbehalt unterliegt, kann sich die Anpassungsregelung nicht nur als delegationsfähig, sondern sogar als delegationsbedürftig erweisen. Die Rechtsverordnung dient in diesem Fall als flexibles Instrument zur Fortschreibung gesetzlicher Grundentscheidungen. 127 Sind die im Gesetzgebungsverfahren hervorgebrachten Entscheidungen nur unter größerem Verfahrensaufwand änderbar und - entgegen der weit verbreiteten Staatspraxis - von ihrer Funktion her eher für langfristige, grundsätzliche Regelungen geeignet, 1 2 8 während sich die im Verfahren der Verordnungsgebung getroffenen Regelungen durch eine vergleichsweise größere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auszeichnen, 129 so wird eine verfassungsadäquate Lösung dahin zielen müssen, diejenigen Regelungen oder Teile derselben, deren häufige oder regelmäßige Artpassung vorauszusehen ist, im Verfahren der Verordnungsgebung zu treffen, da die Rechtsverordnung insoweit das geschmeidigere, funktionstüchtigere Instrument darstellt. 130 125

Vgl. dazu oben Kap. V I 5. Andernfalls ist ein „Nachfassen des Gesetzgebers" geboten; vgl. dazu BVerfGE 49, 89 (130); Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (492). 127 Vgl. BVerfGE 55, 207 (228). 128 Vgl. BVerfGE 7, 282 (302); Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz, Art. 80 Rdn. 7. .. 1 2 9 Vgl. Hesse (Fn. 6), 1984, § 14 I 3 b; Fleiner (Fn. 121), 1972, 132 ff.; Kamber, Die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, 1980, 68. 130 Vgl. Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (340); BVerfGE 19, 17 (29); 29, 198 (209 ff.); Starck, Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen, 1972, 48. 126

264 VII. Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 3.2.2 Entwicklungsoffene

Sachverhalte

Ähnlich stellt sich die Situation bei entwicklungsoffenen (dynamischen) Sachverhalten dar, wie sie sich besonders häufig in Grenzbereichen von Recht und Technik, aber auch im Verhältnis des Rechts zu anderen Fachwissenschaften vorfinden. 1 3 1 Das Grundproblem im Verhältnis von Recht und Technik resultiert aus der Dynamik der Technik einerseits und der Statik des Rechts andererseits. Während sich zahlreiche technische Gebiete 132 in einer ständigen Vorwärtsentwicklung befinden, ist das Recht dadurch charakterisiert, daß es Verhaltensnormen und technische Standards im eigentlichen Wortsinne „festlegt". Eine Kongruenz zwischen den gesetzlich fixierten technischen Standards und der tatsächlichen technischen Entwicklung würde deshalb allenfalls für kurze Zeit bestehen können, so daß zur Herstellung einer annähernden Kongruenz ständige Gesetzesänderungen notwendig würden, die auf einen „unwürdigen Hase-Igel-Wettstreit" hinauslaufen könnten. 1 3 3 Erst wenn die technische Entwicklung an einem Ruhepunkt oder gar Endpunkt angelangt ist und Fortschritte und Weiterentwicklungen nur noch in kleineren Schritten und größeren Abständen zu erwarten sind, ist die Kodifikationsreife auf der Ebene des Parlamentsgesetzes erreicht. In derartigen Fällen wäre eine detaillierte und konkrete Festschreibung technischer Standards im Gesetz sachwidrig, so daß sowohl die Regelungsebene des Parlamentsgesetzes als auch eine zu weitgehende Regelungsdichte nicht sachadäquat wären. Insbesondere unter dem Aspekt der Dynamisierung des Grundrechtsschutzes, den das BVerfG im Kalkar-Beschluß hervorgehoben hat, 1 3 4 kann sich die Anwendung des Parlamentsvorbehalts verbieten. Im Vergleich zum Parlamentsgesetz erscheint auch hier die Rechtsverordnung als das funktionsgerechtere Regelungsinstrument, womit nicht ausgeschlossen werden soll, daß der Gesetzgeber sich gegebenenfalls für andere Formen der Delegation von Entscheidungs- und Regelungsbefugnissen entscheidet (zum Beispiel durch die Wahl unbestimmter Rechtsbegriffe). 135 Beispiele hierfür finden sich vor allem im Atomrecht und im Umweltrecht. 136 Allerdings entspricht es nicht der von der Verfassung vorgesehenen Funktion der Rechtsverordnung, durch dilatorische Formelkompromisse im Parlamentsgesetz dem Gesetzgeber die 131 Vgl. dazu und zum folgenden Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff.; Baumann, JZ 1982, 749 ff. (752); Breuer, Umweltschutzrecht, 1982, 633 ff. (654 ff.); Degenhart, Kernenergierecht, 1981, 34f., 114 ff. 132 Zum Beispiel in der Sicherheitstechnik, im Immissionsschutz, in der Meßtechnik usw. 133 So Sendler, Umwelt- und Planungsrecht, 1981, 1 ff. (9). 134 BVerfGE 49, 89 (137); vgl. dazu oben Kap. I V 5.1. 135 Vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 Atomgesetz (Stand von Wissenschaft und Technik); § 7a Wasserhaushaltsgesetz (allgemein anerkannte Regeln der Technik); § 5 Nr. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz (Stand der Technik). 136 Die Festlegung von Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser durch allgemeine Verwaltungsvorschriften (§ 7a W H G ) sowie die Festlegung von Immissionsgrenzwerten durch Verwaltungsvorschriften ( T A Luft, T A Lärm; auch die geplante T A Abfall soll als Verwaltungsvorschrift ergehen) genügt den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nicht. Eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Lösung bestünde in einer Regelung durch Rechtsverordnung, womit zugleich die vielfach kritisierte Konstruktion des „antizipierten Sachverständigengutachtens" (vgl. BVerwGE 55, 250, 256 f.) obsolet würde.

3.2 Eigenständige Kriterien

265

Flucht aus der politischen Verantwortung zu ermöglichen. Die „Flucht in die Generalklausel" 137 entspricht nicht Sinn und Funktion einer Delegationsbefugnis des Gesetzgebers bei entwicklungsoffenen Sachverhalten.

3.2.3 Eigengesetzlichkeit

des Regelungsgegenstandes

Entsprechendes gilt für den Bereich der Pädagogik. Soweit pädagogische, didaktische oder lerntheoretische Fragen im Fluß sind und neue wissenschaftliche Forschungsergebnisse in absehbarer Zeit zu erwarten sind, so spricht dies gegen eine Anwendung des Parlaments Vorbehalts, unter Umständen sogar gegen eine rechtliche Regelung überhaupt. Die rasche Umsetzung allgemeiner, sich fortentwickelnder Erkenntnisse der Erziehungswissenschaften und pädagogischer Erfahrungen darf durch gesetzliche Festschreibungen nicht blockiert werden. 138 Sowohl die pädagogische Freiheit des Lehrers als auch die notwendige Flexibilität der Schule stehen einer zu detaillierten und perfektionistischen gesetzlichen Regelung entgegen. 139 Die strukturellen Eigengesetzlichkeiten des Pädagogischen bewegen sich teilweise außerhalb gesetzlich faßbarer oder konstruierbarer Tatbestandlichkeiten. 140 Allerdings darf nicht verkannt werden, daß hier ein SpannungsVerhältnis besteht zwischen diesen Aspekten und der möglichen Funktion des Gesetzes, gerade in bezug auf die pädagogische Freiheit und notwendige Flexibilität Grundrechte zu sichern und Freiräume auszugrenzen. 141 Gesetzliche Regelungen führen keineswegs notwendig zu einer Beschränkung, sondern können - je nach ihrer inhaltlichen Ausgestaltung - durchaus zu einer Sicherung pädagogischer Freiräume und zur Respektierung pädagogischer Eigengesetzlichkeiten beitragen, indem durch konkrete gesetzliche Bestimmungen eine Vielzahl administrativer Detailregelungen und Einzeleingriffe obsolet werden.

3.2.4 Versuche

Ganz ähnlich wie bei entwicklungsoffenen Sachverhalten können sich parlamentsgesetzliche Regelungen zumindest vorläufig verbieten, wenn über die endgültige Einführung einer Neuerung keine Klarheit besteht und daher zunächst Versuche durchgeführt werden sollen. In einer derartigen Experimentiersituation kann die Schwerfälligkeit des Parlamentsgesetzes dafür sprechen, die erforderlichen Regelungen auf der Basis einer gesetzgeberischen Leitentscheidung 142 zunächst auf untergesetzlicher Ebene durch Rechtsver137 138

So schon Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933. Vgl. Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 62. Zur Eigengesetzlichkeit vgl. oben Kap. I V 5.2.

139 Vgl. BVerfGE 58, 257 (270 f.). Richter, A K - G G , 1984, Art. 7 Rdn. 12, spricht unter Hinweis auf Spranger von einer „Autonomie des Pädagogischen". 140 Vgl. Heussner (Fn. 26), 1983, 111 ff. (121). 141 Vgl. BVerfGE 58, 257 (271); konkrete Vorschläge in: DJT-SchulGE, 1981, §§ 66, 73. 142 Vgl. dazu oben 2.4.6 und 2.4.9.

266

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

Ordnung zu treffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn während der zu erwartenden Versuchsdauer die Notwendigkeit weiterer Änderungen der rechtlichen Grundlage nicht auszuschließen ist. In derartigen Fällen bietet sich eine gesetzliche Grundsatzentscheidung für die Durchführung des Versuchs sowie eine Regelung der Versuchsmodalitäten an, gekoppelt mit einer Verordnungsermächtigung betreffend den vorerst unsicheren Teil der Regelung, der erst nach Abschluß der Versuchsphase endgültig kodifiziert werden kann. Sind die zu regelnden Lebenssachverhalte nicht hinreichend überschaubar, so kann vieles dafür sprechen, entweder von einer Regelung überhaupt abzusehen, den Erlaß von „Zeitgesetzen" in Betracht zu ziehen, 143 ein bedingtes Inkrafttreten zu erwägen 144 oder Regelungen im Rahmen des unbedingt Notwendigen und/ oder bis zur Herbeiführung der notwendigen Klärungen auf untergesetzlicher Ebene vorzunehmen. 145 Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 26.5.1981 zur Pflichtplatzquote nach dem Schwerbehindertengesetz auf eben diese Gesichtspunkte abgestellt. 146 Nach dem Schwerbehindertengesetz ist die Möglichkeit einer individuellen Herabsetzung der Pflichtplatzquote und der Ausgleichsabgabe für die Arbeitgeber vorgesehen, die ohne ihr Verschulden die Pflichtquote nicht erfüllen können. Bei der erstmaligen Festsetzung der Pflichtquote schien dem Gesetzgeber geboten, die Erhebung der Ausgleichsabgabe bis zur ersten Arbeitsplatzzählung auszusetzen, um das Risiko einer zu geringen Festsetzung der Pflichtplätze einerseits und eines zu großen Überhangs an Pflichtplätzen mit der Folge einer ungerechten Belastung der Arbeitgeber andererseits zu vermeiden. Wegen der Unsicherheit über die angemessene Höhe der Pflichtplatzquote und aufgrund der Tatsache, daß erst nach einiger Zeit sichere Unterlagen zu erwarten waren, wurde in das Gesetz eine Verordnungsermächtigung aufgenommen und darin die Bundesregierung ermächtigt, den Pflichtsatz nach dem jeweiligen Bedarf auf höchstens 10 Prozent zu erhöhen oder bis auf 4 Prozent herabzusetzen. Die Delegation der Rechtsetzungskompetenz auf den Verordnungsgeber im Sinne einer einstweiligen flexiblen Regelung wurde vom BVerfG ausdrücklich gebilligt.

3.2.5 Entlastungsfunktion

untergesetzlicher

Regelungen

Aufgrund der vergleichenden funktionell-strukturellen Analyse von Gesetz- und Verordnungsverfahren ergab sich, daß der Gesetzgeber unter anderem die wichtigen, besonders grundrechtsrelevanten, politisch umstrittenen 143 Unter Zeitgesetzen versteht man die befristete Inkraftsetzung eines Gesetzes zum Zwecke der Erprobung und Effektivitätssteigerung von Gesetzen; vgl. dazu das Referat von Kindermann, Jürgen-Rödig-Gedächtnissymposion vom 28. bis 30.10.1982 in Salzburg, zitiert im Bericht von Stolzlechner, D Ö V 1983, 25 ff. (26). 144 Das Inkrafttreten kann vom Eintritt eines zukünftigen Ereignisses (zum Beispiel dem Sinken der Schülerzahl unter eine bestimmte Grenze) abhängig gemacht werden; vgl. dazu H. Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdn. 520. 145 Vgl. Kamber (Fn. 129), 1980,68; Fleiner (Fn. 121), 1972, 132 ff. 146 BVerfGE 57, 139 (155).

3.2 Eigenständige Kriterien

267

und komplexen Entscheidungen selbst zu treffen hat. In diesem Zusammenhang kann die Rechtsverordnung die Funktion übernehmen, den Gesetzgeber von den weniger wichtigen, nicht kontroversen und in geringem Umfang grundrechtsrelevanten Entscheidungen zu entlasten. 147 Als vom Gesetz abgeleitete Rechtsquelle kommt der Rechtsverordnung die Funktion zu, das Parlamentsgesetz durch Vollzugsregelungen, Ausführungsbestimmungen und Konkretisierungen von untergeordneten Bestimmungen zu entfrachten. Entscheidungen mit geringem politischen Entscheidungsgehalt können an den Verordnungsgeber delegiert werden. 148 Regelungen, die eine bereits im Gesetz getroffene Grundsatzentscheidung fortführen oder umsetzen, können in der Regel im Verordnungswege getroffen werden. Eine Entlastung des parlamentarischen Gesetzgebers von solchen Regelungen, die bei Zugrundelegung der genannten Kriterien und Indizien nicht dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, kann dem Parlament eine Konzentration auf diejenigen Entscheidungen ermöglichen, die es auch im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt aus verfassungsrechtlichen Gründen treffen muß. Eine Beschränkung auf die unbedingt parlamentsgebotenen Regelungen könnte dazu beitragen, der vielbeklagten Qualitätseinbuße der Gesetze entgegenzusteuern. 149 Allerdings ist zu berücksichtigen, daß sich die Klagen über eine „Gesetzesflut" fast durchweg auf die Bundesgesetzgebung beziehen und nicht ohne weiteres auf die Landesgesetzgebung übertragen werden können. 1 5 0 Darüber hinaus spricht einiges für die Notwendigkeit, bei der Beurteilung der Lage der Gesetzgebung nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch zwischen den einzelnen Rechts- und Politikbereichen zu unterscheiden. Von einer Gesetzesflut kann im Schulrecht nicht die Rede sein. Zwar ist das Schulrecht in der Bundesrepublik aufgrund der Schulhoheit der Länder insgesamt nicht sehr übersichtlich. Gleichwohl ist die Gesetzeslage in den einzelnen Bundesländern relativ gut überschaubar, da die meisten Länder die grundlegenden rechtlichen Bestimmungen in einem einzigen Schulgesetz zusammengefaßt haben und daneben auf Gesetzesebene im wesentlichen nur noch Schulverfassung, Privatschulrecht, Schulverwaltung und -finanzierung geregelt haben. Der Schwerpunkt der schulgesetzlichen Regelungen liegt in den meisten Ländern bei nur etwa zwei bis vier Gesetzen durchschnittlicher Länge. 151 3.2.6 Bundesstaatlicher Koordinierungsbedarf

Gegen parlamentsgesetzliche Regelungen generell ist eingewandt worden, eine konsequente Anwendung des Parlamentsvorbehalts führe zu einem 147 Kirchhof, Rechtsquellen und Grundgesetz, 1976,50 ff. (81 ); zur Entlastung des Parlaments durch Delegation von Rechtsetzungskompetenzen in rechtsvergleichender Sicht (Großbritannien) vgl. Beutler, D Ö V 1975, 85 ff. Vgl. auch Saarl. VerfGH, DVBl. 1984, 325 ff. (328). 148 Vgl. BVerfGE 7, 267 (274); Kirchhof (Fn. 147), 1976, 50 ff., 83; Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (835). 149 150 151

Vgl. dazu Staupe, Leviathan 1982, 273 ff. Vgl. Katz (Fn. 28), 1981,86. Vgl. zu alledem Staupe, Leviathan 1982, 273 ff. (277 ff.).

268

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

„Föderalismus mit Zementfüßen", der einer Selbstkoordinierung über die Exekutiven, beispielsweise durch die Kultusministerkonferenz, kaum mehr fähig sei. 152 I m Strukturbericht der Bundesregierung, der auch als „Mängelbericht" bekannt wurde, wurde dem Vorwurf gegenüber den Ländern, sie hätten ihre föderativen Pflichten gegenüber dem Gesamtstaat im Bildungswesen nicht erfüllt, die Feststellung angefügt, sie könnten dies aus verfassungsrechtlichen Gründen auch gar nicht tun, nachdem sich der Gesetzesvorbehalt im Schulrecht durchgesetzt habe. 153 Träfe dieses Argument zu, so könnte der föderalistische Aspekt als Indiz für die Delegationsbedürftigkeit einer Regelung ins Feld geführt werden. Koordinierungsbedürftige Bestimmungen wären grundsätzlich delegierbar und vom Parlaments vorbehält ausgenommen. Ohne Zweifel ist es politisch einfacher und technisch schneller zu bewerkstelligen, elf Verwaltungsvorschriften oder Rechtsverordnungen einem Beschluß der K M K entsprechend zu ändern als elf Landesgesetze. Trotz aller Gleichschaltung durch parteipolitische Überformung sind Interessenkollisionen zwischen Regierung und Parlament(-smehrheit), wie die Praxis zeigt, keineswegs völlig auszuschließen. Es fragt sich indes, ob die dieser Auffassung unausgesprochen zugrundeliegende Hypothese zutrifft, das Verfassungsrecht gebiete die Möglichkeit einer bequemen Selbstkoordinierung der Länderexekutiven in der Form, wie sie in der Vergangenheit im Rahmen des kooperativen Föderalismus unter weitgehender Ausschaltung und Präjudizierung der Landesparlamente praktiziert wurde. Dies ist entschieden zu bezweifeln. Da sich das Grundgesetz für die Kultur- und damit unter anderem für die Schulhoheit der Länder entschieden hat und diese ein Kernstück der Länderstaatlichkeit darstellt, 154 ist es unter bundesstaatlichen Aspekten nicht zu beanstanden, wenn sich die Länder für eine eigenständige Schulpolitik und überhaupt gegen eine Kooperation mit anderen Bundesländern entscheiden. 155 Ein verfassungsrechtliches Gebot zur Kooperation der Länder läßt sich auch nicht aus dem in diesem Zusammenhang gelegentlich erwähnten Art. 72 Abs. 2 G G (insbesondere: Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse) herleiten, da sich diese Verfassungsbestimmung ausschließlich auf die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und damit nicht auf den Zuständigkeitsbereich der Länder im Schulrecht bezieht. 156 Auch aus den Grundrechten, insbesondere aus dem Gebot der Chancengleichheit der Schüler, läßt sich ein Kooperationsgebot nicht begründen, da die Geltung der Bundesgrundrechte für die Materien, die der Gesetzgebungshoheit des Landes unterliegen, nicht über die 152 So H. Maier, Zur inhaltlichen Gestaltung der Schule aus der Sicht von Politik und Verwaltung, 1977, 11 ff. (23); ähnlich Lerche (Fn. 119), 1981, 41. 153 Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems vom 22.2.1978, BT-Drucks. V I I I / 1 5 5 1 sowie Schlußfolgerungen vom 21.6.1978, BTDrucks. IX/1956. Vgl. dazu auch die Stellungnahme der Länder, Beschluß der 187. K M K vom 20.-21.4.1978, BT-Drucks. VIII/1956, Anlage 3. Vgl. auch DJT-SchulGE, 1981, 18 f. m.w.N. 154 BVerfGE 6, 309 (353 ff.). 155 Ein Kooperationsgebot läßt sich insbesondere nicht aus dem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens (Bundestreue) begründen; vgl. dazu BVerfGE 32, 199 (219 f.); Jülich, Kooperativer Bildungsföderalismus und Gesetzesvorbehalt im Schulrecht, 1983, 755 ff. (763 f.); DJT-SchulGE, 1981, 283 m.w.N. 156 Maunz (Fn. 107), 239 ff. (250).

3.2 Eigenständige Kriterien

269

Landesgrenzen hinausreicht. 157 Ist eine Kooperation der Länder bezüglich der Gegenstände ihrer Gesetzgebungshoheit aber verfassungsrechtlich nicht geboten, 1 5 8 so ist der Hinweis auf eine Erschwerung der freiwillig praktizierten Koordinierung der Länder infolge der Realisierung des - verfassungsrechtlich zweifelsohne gebotenen - Parlamentsvorbehalts ohne unmittelbare verfassungsrechtliche Relevanz. Darüber hinaus stellt sich das Problem eines „Föderalismus mit Zementfüßen" für die Praxis kaum in so nennenswertem Umfang, wie vielfach angenommen, da für eine Kooperation ohnehin nur eine begrenzte Bandbreite von Regelungsgegenständen in Betracht kommt und bei Zugrundelegung der oben entwickelten Kriterien Experementierregelungen, potentiell änderungsbedürftige Normen sowie Regelungen bei entwicklungsoffenen Sachverhalten auch bei grundsätzlicher Befürwortung dés Parlamentsvorbehalts delegierbar bleiben. Die verbleibenden Probleme müssen als Folge der Durchsetzung des Parlaments Vorbehalts akzeptiert werden. Sie sind durch angepaßte Kooperationsformen lösbar. 159

3.2.7 Bedürfnis nach dezentralen Lösungen

Betrachtet man zunächst die Organe, die als Gesetz- und Verordnungsgeber in Betracht kommen, so ist festzustellen, daß als Gesetzgeber in aller Regel 160 nur ein Beschlußorgan, nämlich das Parlament 161 in Betracht kommt. Demgegenüber ist der Kreis der möglichen Verordnungsgeber wesentlich größer, da nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 G G die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen als Erstdelegatare genannt werden und die Landesverfassungen entweder die Landesregierung als primären Ermächtigungsadressaten nennen oder diesen offenlassen. 162 I m Wege der Subdelegation 157 Vgl. BVerfGE 10, 354 (371); 12, 139 (143); 33, 303 (351 ff.); Jülich (Fn. 144), 764; vgl. zu dieser Problematik auch Richter, D Ö V 1979, 185 f.; DJT-SchulGE, 1981, 282. 158 Eine andere Frage ist die nach der gegenseitigen Anerkennung von Schul- und Ausbildungsabschlüssen, da dieser weder gesetzliche Länderregelung noch eine eigenständige Schulpolitik der Länder zwingend im Wege stehen. Es geht vielmehr um die Frage, in welchem Maße das föderative „Anderssein" akzeptiert wird („föderative Toleranz") beziehungsweise aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 G G i.V.m. Art. 3 Abs. 1 G G ) akzeptiert werden muß. Vgl. dazu DJT-SchulGE, 1981, 281 ff.; Jülich (Fn. 155), 1983, 764 ff., 772. 159 Zu denken wäre zum Beispiel an eine Beteiligung der Landesparlamente im Vorfeld der Länderkooperation, die bisher fast ausschließlich als Angelegenheit der Länderexekutiven gehandhabt wurde. Denkbar wären auch länderabgestimmte Mustergesetzentwürfe, die ja in anderen Rechtsbereichen nicht unüblich sind (Verwaltungsverfahrensgesetz, Polizeigesetz, Meldegesetz). Vgl. dazu Jülich (Fn. 155), 1983, 768 ff.; Glotz/Faber, Richtlinien und Grenzen des Grundgesetzes für das Bildungswesen, 1983, 999 ff. (1044 f.) befürchten trotz Durchsetzung des Parlaments vorbehalts eine Fortsetzung des „Marschs auf der Einbahnstraße der Entparlamentarisierung" infolge des kooperativen Föderalismus. 160 Eine Ausnahme stellt die wenig praktische Möglichkeit der unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk dar (vgl. dazu oben Kap. V I 4.1.1 mit Fn. 66). 161 Ein anderes Delegationsproblem zwischen mehreren Parlamenten stellt sich zwischen Bund und Ländern zum Beispiel im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenzen des Bundes nach Art. 75 G G . Hier gilt für den Bundesgesetzgeber ein Delegationsgebot dergestalt, daß er keine abschließende Regelung treffen darf (vgl. BVerfGE 4, 115 ff., 129). 162 So Art. 61 der b.-w. Verf.; Art. 34 der nds. Verf.; Art. 70 der n.-w. Verf.; Art. 110 der rh.-pf. Verf.; Art. 104 der Verf. des Saarlands; Art. 33 der s.-h. Landessatzung.

270

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

können sonstige Exekutivorgane als Verordnungsgeber vorgesehen werden. Insbesondere kommen insoweit Organe auf der Kreisebene (zum Beispiel Regierungspräsidenten) oder auf der Gemeindeebene (zum Beispiel örtliche Schulaufsichtsbehörden) in Betracht. Auch wenn von derartigen dezentralen Möglichkeiten der Verordnungsgebung in der Praxis wenig Gebrauch gemacht wird, so ist doch festzustellen, daß die parlamentarische Gesetzgebung in erster Linie für zentrale Regelungen geeignet ist, während die Verordnungsgebung sowohl zentrale als auch dezentrale Lösungen ermöglicht. Besteht ein Bedürfnis nach zentralen Lösungen, so kommen sowohl das Parlamentsgesetz als auch die Rechtsverordnung in Betracht. Erscheint dagegen aus Gründen der Sach- und Ortsnähe oder um regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen oder um den Einzelschulen eigenständige Entscheidungen zu ermöglichen eine dezentrale Regelung sachgerechter, so ist insoweit aufgrund der Variabilität der Ermächtigungsadressaten insbesondere auf Landesebene das Regelungsinstrument der Rechtsverordnung die geeignetere Regelungsform. 1 6 3 Der Rechtssatzvorbehalt und damit die Delegationsmöglichkeit ist dann indiziert, wenn aus Gründen der Sach- und Ortsnähe und die gewünschte Beteiligung der Betroffenen die Ersetzung zentralstaatlicher legislatorischer Steuerung durch dezentrale Selbststeuerung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Leitlinien sachgerecht erscheint. 164 Besteht kein Bedürfnis nach bundes- beziehungsweise landeseinheitlicher Regelung, so kommt eine Delegation an dezentrale Entscheidungsträger auf untergesetzlicher Ebene in Betracht. So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob das Landesparlament und die Landesregierung (beziehungsweise das Kultusminsterium) als zentrale Entscheidungsträger die geeigneten Organe sind, um etwa die Frage zu entscheiden, ob in der Schule die Sechs-Tage-Woche oder die Fünf-Tage-Woche bei vollem Stundenausgleich praktiziert werden soll. 1 6 5 Da in diesem Fall die genannten Gründe (insbesondere Sach- und Ortsnähe) für eine Delegation sprechen können, wäre unter verfasssungsrechtlichen Aspekten gegen eine Delegation der Regelungsbefugnis (zum Beispiel an ein Schulgremium) nichts einzuwenden. Allerdings wäre im Gesetz zumindest die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Fünf- oder Sechs-Tage-Woche zu regeln. Dabei kann hier offenbleiben, in welcher Form die Delegation zu erfolgen hätte (Verordnungsermächtigung, Satzungsautonomie, unbestimmter Rechtsbegriff oder 163 Vgl. dazu Lohr, ZRP 1982, 53 (Ersetzung zentralstaatlicher legislatorischer Steuerung durch dezentrale Selbststeuerung). 164 Vgl. dazu Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, 1982,542; Lohr, ZRP 1982, 53 f.; Ehlers, DVBl. 1976, 615 ff. (621); Ramsauer, Art. 80 Rdn. 55, in: A K - G G , 1984; entgegen Kurtz, Zur Geschichte der Schulaufsicht im deutschsprachigen Raum, 1982, 297, kommt Art. 7 Abs. 1 G G keineswegs die Funktion zu, pluralistische und auseinanderstrebende Tendenzen im Schulrecht abzuwehren. Die aus dieser Behauptung gezogene Konsequenz, „jegliche Beteiligung Dritter, seien es nun die Eltern oder die Kommunen, am Schulwesen" impliziere die Gefahr einer schrittweisen Rechtszersplitterung und sei im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 G G abzulehnen, verkennt völlig die Bedeutung der Art. 6 Abs. 2 und 28 Abs. 2 GG. 165 Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zur Fünf-Tage-Woche (BVerwGE 47, 201) die Ansicht vertreten, die repräsentative Demokratie verbiete eine Abstimmung der am Schulleben Beteiligten über solche schulorganisatorischen Maßnahmen nicht; es sei vielmehr sachgerecht, wenn die Schule dem Willen dieser Beteiligten Rechnung zu tragen suche.

3.2 Eigenständige Kriterien

271

direkte Kompetenzzuweisung an bestimmte Personen, Organe oder Gremien). Eine Dezentralisierung im Wege der Rechtsetzungsdelegation wird um so eher möglich sein, wenn für die Entscheidung des Delegatars besondere Verfahrensregelungen bestehen oder mit der Delegationsentscheidung getroffen werden (zum Beispiel Regelungen über das Entscheidungsverfahren von Konferenzen). 3.2.8 Rechtsschutzaspekt

Gegen die Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts wird weiter eingewendet, sie führe zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes, da es keinen Rechtsweg gegen Gesetze gebe. Die Ausdehnung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts über die überkommenen Grenzen hinaus werde nicht durch eine entsprechende Ausweitung des Rechtsschutzes, sondern durch dessen Verkürzung begleitet. 166 Wäre es zutreffend, daß der Rechtsschutz gegenüber Regelungen, die dem Parlaments vorbehält unterliegen, im Vergleich zu den dem Rechtssatzvorbehalt unterstehenden Regelungen verkürzt wäre, so könnte der Rechtsschutzaspekt generell, möglicherweise auch für einzelne Regelungsgegenstände gegen eine Geltung des Parlamentsvorbehalts und für die Delegierbarkeit der Entscheidung sprechen. Rechtsschutzgesichtspunkte könnten so auf die kompetenzrechtliche Frage nach dem Parlamentsvorbehalt zurückwirken, wenn man unterstellt, daß Rechtsschutzaspekten eine verfassungsrechtliche Relevanz für die Kompetenzverteilung zwischen Gesetz- und Verordnungsgeber zukommen kann. Käme es infolge der Anwendung des Parlamentsvorbehalts tatsächlich zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes, so würde dies möglicherweise die verfassungsrechtliche Begründung des Parlamentsvorbehalts zumindest in Frage stellen. Wenn der Parlamentsvorbehalt unter anderem mit der größeren Grundrechtsadäquanz des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens im Vergleich zum Verordnungsverfahren begründet wird, die Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts aber gleichzeitig den Rechtsschutz, der im wesentlichen Grundrechtsschutz ist, verkürzen würde, dann würde sich die Frage stellen, ob die Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts nicht zu kontraintentionalen Ergebnissen führt. Entscheidend ist nach alledem, ob der Bürger unter Rechtsschutzaspekten günstiger steht, wenn es - statt einer parlamentsgesetzlichen Regelung entweder an einer rechtlichen Regelung überhaupt fehlt oder diese nur in einer Verwaltungsvorschrift oder Rechtsverordnung besteht. Dabei wird man zwischen zwei Rechtsschutzsituationen zu unterscheiden haben: dem originären Rechtsschutz gegenüber der betreffenden Regelung selbst und dem sekundären Rechtsschutz gegenüber einer aufgrund der Regelung getroffenen Einzelmaßnahme. Was den Rechtsschutz gegenüber abstrakt-generellen Regelungen (Gesetzen, Rechts Verordnungen, Verwaltungsvorschriften) angeht, so gilt folgendes. 166

Roellecke, NJW 1978, 1776 ff. (1778).

272

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

Das verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik ist in erster Linie auf einen Rechtsschutz gegenüber hoheitlichen Akten der vollziehenden Gewalt und nicht auf einen Rechtsschutz gegenüber Rechtsnormen angelegt. Art. 19 Abs. 4 G G wird dementsprechend nach herrschender Meinung eine Rechtsweg- und Rechtsschutzgarantie nur gegenüber hoheitlichen Maßnahmen der Exekutive entnommen, nicht dagegen gegenüber Akten der Rechtsprechung und der Gesetzgebung. 167 Das BVerfG hat bisher nicht entschieden, ob mit „Gesetzgebung" in diesem Sinne lediglich die formelle oder auch die materielle Gesetzgebung gemeint ist, 1 6 8 so daß fraglich ist, ob nur Gesetze oder auch Rechtsverordnungen von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 G G ausgenommen sind. Würde dies zwar für Gesetze, nicht aber für Rechtsverordnungen verneint, so stünde der Bürger in der Tat bei einer Regelung durch Rechtsverordnung unter Rechtsschutzaspekten günstiger als bei einer Regelung durch Gesetz. Für die Ablehnung eines durch Art. 19 Abs. 4 G G garantierten Rechtswegs gegenüber Akten der Gesetzgebung werden im wesentlichen drei Argumente vorgetragen. Zunächst wird daraufhingewiesen, daß in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 100 G G eine abschließende verfassungsrechtliche Regelung der Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit getroffen worden sei. 169 Andernfalls könne jeder Bürger die ordentlichen Gerichte (Art. 19 Abs. 4 Satz 2 G G ) mit der Behauptung einer Grundrechtsverletzung anrufen. Da einer Entscheidung über eine Klage gegen ein Gesetz Allgemeinverbindlichkeit zukommen müßte, würde Art. 19 Abs. 4 G G über seine Funktion des Individualrechtsschutzes hinaus (siehe auch die Stellung im Abschnitt „Die Grundrechte") praktisch zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Popularklage führen, wie sie im deutschen Verfassungsrecht, abgesehen von Art. 98 Satz 4 der bayerischen Verfassung, nirgends vorgesehen ist. Außerdem würde eine Anerkennung einer Rechtsweggarantie gegen Gesetze dazu führen, daß mangels anderweitiger Zuständigkeit die ordentlichen Gerichte über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden hätten (Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG). Diese wären im Hinblick auf Art. 100 Abs. 1 G G lediglich befugt, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu bejahen, während sie die Verfassungswidrigkeit nicht selbst feststellen könnten, sondern die Entscheidung dem BVerfG überlassen müßten. 1 7 0 Schließlich bestehe in aller Regel auch kein Bedürfnis nach einer Überprüfung des Gesetzes selbst, da dessen Verfassungsmäßigkeit inzidenter in dem

167

BVerfGE 24, 33 (51); BVerfG, DVBl. 1971, 740. So BVerfG, DVBl. 1971, 740. 169 BVerfGE 24, 33 (50 f.); Leibholz/Rinck/Hesselberger (Fn. 128), Art. 19 Anm. 7; a.A. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1958, Art. 19 Abs. I V Rdn. 18. 170 BVerfGE 24, 33 (49 ff.); Hesse (Fn. 6), 1984, § 10 I V 2 a (Rdn. 337); Leibholz/Rinck/ Hesselberger (Fn. 128), Art. 19 Anm. 7. 168

3.2 Eigenständige Kriterien

273

gerichtlichen Verfahren zu prüfen sei, in welchem eine aufgrund des Gesetzes ergangene Einzelmaßnahme gerichtlich überprüft wird. 1 7 1 Der erste und der dritte Gesichtspunkt treffen in gleicher Weise auf Rechtsverordnungen wie auf Gesetze zu, da auch Rechtsverordnungen in der Regel als abstrakt-generelle Bestimmungen auf einen Vollzug seitens der Verwaltung angelegt sind und eine Rechtsweggarantie gegenüber Rechtsverordnungen in gleicher Weise über den von Art. 19 Abs. 4 G G intendierten Individualrechtsschutz hinausgehen würde. Lediglich das zweite Argument kann nicht gegen eine Rechtsweggarantie gegenüber Rechtsverordnungen ins Feld geführt werden, da nach herrschender Meinung nur förmliche Gesetze gemäß Art. 100 Abs. 1 G G vorlagefähig sind und daher die Instanzgerichte hinsichtlich Rechtsverordnungen eine Verwerfungskompetenz besitzen. 172 Bei näherem Hinsehen vermögen jedoch alle drei Gesichtspunkte nicht voll zu überzeugen. Das BVerfG erkennt nämlich in Ausnahmefällen die Möglichkeit an, daß gegenüber einem selbstvollziehenden Gesetz, das keinen weiteren Vollzugsakt der Verwaltung erfordert, Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a G G erhoben werden kann, sofern die Rechtsfrage entweder von allgemeiner Bedeutung ist oder dem Beschwerdeführer ansonsten ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde. 173 Wenn somit nach der Rechtsprechung des BVerfG auch nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a G G Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz erhoben werden kann, so enthalten Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 100 Abs. 1 G G offenbar keine abschließende Regelung. Zweitens wird in diesem Fall der Angriff auf ein Gesetz aus Gründen des Individualrechtsschutzes sehr wohl zugelassen. Schließlich wird deutlich, daß Gesetze zwar in der Regel, keineswegs aber immer auf einen Vollzug seitens der Verwaltung hin angelegt sein müssen. Wenn Maßnahmegesetze für verfasssungsrechtlich zulässig gehalten werden und eine materiell-rechtliche Definition des zulässigen Inhalts von Gesetzen nicht möglich ist, dann kann stets nur nach Lage des Einzelfalles entschieden werden, ob ein Rechtsschutz gegenüber Gesetzen zulässig ist oder nicht. Das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes kann im Einzelfall sogar die Zulässigkeit eines Rechtsschutzes gegenüber Gesetzen unabweisbar werden lassen, 174 wenn man nicht eine Verkürzung des Rechtsschutzes durch „Formenmißbrauch" in Kauf nehmen will. 1 7 5 Alle diese Überlegungen müssen aber grundsätzlich in gleicher Weise für den Rechtsschutz gegenüber Rechtsverordnungen gelten. Wenn nach zutreffender Auffassung Akte der Gesetzgebung nicht generell von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 G G ausgenommen sind und es auf eine 171 Vgl. dazu Schenke, in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 19 Abs. 4 Rdn. 254 ff., der dieses Argument ablehnt. 172 BVerfGE 1, 197. 173 BVerfGE 1, 69; 4, 7; 8, 222; 14, 121 ff.; 19, 268 (273); 34, 205 ff.; 41, 231 f. (240). 174 Vgl. hess. StGH, NJW 1982, 1382. 175 Vgl. dazu die Rechtsprechung des BVerfG zur Problematik der Legalenteignung, BVerfGE 45, 297 (333).

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VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

Beurteilung des Einzelfalles ankommt, so sind im Grundsatz die Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber Gesetzen und Rechtsverordnungen unter dem Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes bei Grundrechtsverletzungen nicht unterschiedlich zu beurteilen. Sieht man einmal von der zum Teil gegenständlich, zum Teil auch regional begrenzten 176 Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO ab, so läßt sich insgesamt sagen, daß der originäre Rechtsschutz gegenüber Gesetzen wie auch gegenüber Rechtsverordnungen zwar grundsätzlich möglich, aufgrund der vom BVerfG aufgestellten einschränkenden Voraussetzung jedoch in der Praxis nur sehr begrenzt zum Tragen kommt. Wer eine Verkürzung des Rechtsschutzes unabhängig von der Unterscheidung zwischen Gesetz und Rechtsverordnung bereits in der Durchsetzung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts (Rechtssatzvorbehalt) erblickt, übersieht, daß auch gegenüber Verwaltungsvorschriften grundsätzlich keinerlei originärer Rechtsschutz gegeben ist, 1 7 7 da Verwaltungsvorschriften für die Rechtsprechung als solche nicht bindend sind und ihnen allenfalls über Art. 3 G G (Selbstbindung) Außenwirkung zugesprochen wird. Da die selbstbindende Wirkung aber nicht unmittelbar auf dem Vorhandensein einer Verwaltungsvorschrift, sondern auf dem gleichmäßigen Verwaltungshandeln der Exekutive beruht und unabhängig davon eintritt, ob das Verwaltungshandeln auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften oder ohne eine solche abstraktgenerelle Regelung erfolgt, ist ein unmittelbarer Rechtsschutz gegenüber Verwaltungsvorschriften ausgeschlossen, während dieser gegenüber Gesetzen und Rechts Verordnungen immerhin in Ausnahmefällen möglich ist. Der im Regelfall in Frage stehende sekundäre Rechtsschutz gegenüber den aufgrund einer abstrakt-generellen Regelung getroffenen Einzelmaßnahmen besitzt in allen Fällen gleiche Reichweite, unabhängig davon, ob die zugrundeliegende Regelung in einem Gesetz, einer Rechtsverordnung oder einer Verwaltungsvorschrift besteht. Zwar wird man im Falle einer verfassungsgemäßen Anwendung der Grundsätze des Parlamentsvorbehalts in der Gesetzgebungspraxis nicht mehr erfolgreich mit dem Argument klagen können, es fehle an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. 178 Hierin ist indes kein rechtsstaatlicher Mangel zu sehen, denn man wird wohl kaum ernsthaft von einer „Verkürzung" des Rechtsschutzes sprechen können, wenn jemandem der Klageerfolg deshalb verwehrt wird, weil nunmehr die verfassungsrechtlich gebotene rechtliche Grundlage geschaffen worden ist. Der Behauptung eines 176 § 47 V w G O ist bisher nur in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen für anwendbar erklärt worden. 177 Vgl. Schenke, D Ö V 1979,622 (m.w.N.), der allerdings selbst eine Mindermeinung vertritt; ausführlich zu dieser Problematik Ders., Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979. 178 Der Erfolg solcher Klagen war ohnehin für den einzelnen Kläger in der Regel begrenzt. Selbst wenn er in der Sache Recht bekam und das Fehlen der verfassungsmäßig erforderlichen gesetzlichen Grundlage in der Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, stand der Kläger im Ergebnis meist als faktischer Verlierer da, weil die Gerichte eine „Übergangsfrist" für eine allerdings auf den notwendigen Umfang begrenzte - Weiteranwendung der bisherigen Regelung einräumten. Vgl. aus der Fülle der Rechtsprechung nur BVerfGE 41,251 (267); 58,257, (280 f.); BVerwGE 64, 308 (317); BayVerfGH, BayVBl. 1981,495; Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 85,182.

3.2 Eigenständige Kriterien

275

verkürzten Rechtsschutzes liegt möglicherweise die Vorstellung zugrunde, bei Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts werde zukünftig jede grundrechtsrelevante Maßnahme nur noch durch Gesetz erfolgen dürfen, so daß im Ergebnis grundrechtsrelevante Einzelmaßnahmen nicht mehr durch Verwaltungsakt erfolgen dürfen, sondern stets eine unmittelbare parlamentarische Entscheidung erfordern würden. Demgegenüber haben jedoch das BVerfG und das BVerwG als auch Teile der Literatur zur Klarstellung ausdrücklich daraufhingewiesen, daß der Parlamentsvorbehalt nur im Bereich der „Rechtsetzung" beziehungsweise in „normativen Bereichen" gelte. 179 Die Exekutive darf ihrerseits zweifellos grundrechtsrelevante Maßnahmen treffen. Die Problematik des Parlamentsvorbehalts betrifft allein die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für derartige Maßnahmen. Bei der Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts im Grundrechtsbereich geht es daher ausschließlich darum, für grundrechtsrelevante Maßnahmen eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage zu schaffen, welche - soweit der Parlamentsvorbehalt reicht - im Parlamentsgesetz selbst enthalten sein muß. Keinesfalls sollen alle grundrechtsrelevanten Einzelmaßnahmen in Gesetzesform getroffen werden. Von einer Verkürzung des Rechtsschutzes bei Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts kann somit nicht die Rede sein. Eine Geltung des Parlamentsvorbehalts kann unter Rechtsschutzgesichtspunkten weder generell abgelehnt noch im Einzelfall in der Weise beschränkt werden, daß eine Delegation an den Verordnungsgeber im Hinblick auf den Rechtsschutz geboten wäre. 3.2.9 Beteiligungsrechte

Entsprechendes gilt für eine mögliche Reduzierung von Beteiligungsrechten Betroffener durch die Realisierung des Parlaments V o r b e h a l t s . Selbst wenn es zutreffen sollte, daß beim Erlaß von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen derzeit eine stärkere Beteiligung einzelner Interessengruppen praktiziert wird, wäre ein solcher Befund ohne unmittelbare verfassungsrechtliche Relevanz, da solche Regelungen änderbar sind und zu prüfen wäre, ob entsprechende Beteiligungsformen auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vorgesehen werden könnten. 1 8 0 Da es nicht Sinn und Zweck des Parlamentsvorbehalts ist, Beteiligungsrechte zu verkürzen, sollte zur Vermeidung kontraintentionaler Wirkungen jeweils vom (Landes-)Gesetzgeber geprüft werden, ob durch die Anhebung der Regelungsebene eine Veränderung von Beteiligungsrechten eintreten würde.

179 BVerfGE 49,89 ( 126 f.); BVerwGE 60,162 ( 179,181 f.); Lerche (Fn. 119), 1981,32 ff. Vgl. dazu oben Kap. I V 5.5. 180 Vgl. dazu Heussner, Die Auswirkungen der Hessischen Schulrechtsnovelle vom 17.3.1978 auf die Elternmitbestimmung, 1978, 89 ff.

276

VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 3.2.10 Eilfälle

Ein weiterer Gesichtspunkt für die Delegierbarkeit kann das Vorliegen eines zwingenden Regelungsbedürfnisses in Eilfällen sein. Bei unabweisbarem Normierungsbedarf kann die - unter Umständen übergangsweise - Delegation einer an sich parlamentsrelevanten Materie auf den Verordnungsgeber ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn eine Regelung im Gesetz zu lange Zeit in Anspruch nehmen würde und die Gefahr bestünde, daß die Regelung nicht rechtzeitig getroffen werden könnte. Eine solche Situation kann sich unter Umständen auch im Hinblick auf den parlamentarischen Grundsatz der Diskontinuität ergeben. 181 Dieser Gesichtspunkt wird allerdings nur ausnahmsweise zum Zuge kommen können. Zum einen setzt die Delegation an den Verordnungsgeber das Vorhandensein einer entsprechenden und hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung voraus, die in derartigen Fällen nicht immer vorhanden sein w i r d . 1 8 2 Es müßte also in jedem Fall zunächst eine gesetzliche Regelung erfolgen. Zum anderen dürfen die verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisungen nicht leichtfertig durch Erwägungen der Praktikabilität verschoben werden. Eine Regelung auf dem Verordnungswege darf nicht unter bewußter Umgehung des unbequemeren, zeitaufwendigeren, unter funktionell-strukturellen Aspekten aber auch höherwertigen Gesetzgebungsverfahrens erfolgen. Der Gesichtspunkt der Eilbedürftigkeit wird daher nur in außergewöhnlichen und zwingenden Notsituationen eine Delegation an sich gesetzesbedürftiger Regelungen rechtfertigen können, wobei in aller Regel die Nachholung des an sich erforderlichen Parlamentsgesetzes geboten sein wird.

3.2.11 Fehlender Sachverstand und Leistungskapazität des Parlaments?

Wenn es zutrifft, daß das Verfahren der Gesetzgebung als ein kooperatives, arbeitsteiliges Verfahren zwischen gesetzesvorbereitender Exekutive und gesetzesbeschließender Legislative konzipiert und dadurch zeit- und arbeitsaufwendiger sowie letztlich gründlicher als das Verordnungsverfahren ist, so entkräftigt diese Feststellung ein häufig vorgebrachtes Argument gegen eine parlamentarische Kompetenz zur Befassung mit speziellen Sachfragen. Immer wieder wird behauptet, dem Parlament fehle es an dem nötigen Sachverstand und erforderlichen Leistungskapazität, um derartige spezielle Fachfragen zu bewältigen. 183 Beides fehlt indes im Gesetzgebungsverfahren nicht, denn der notwendige Sachverstand wird bei der Formulierung der Gesetzent181

Vgl. dazu H. Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdn. 134. Müßte die Verordnungsermächtigung erst geschaffen werden, so wäre der aufwendige Weg des Gesetzgebungsverfahrens in jedem Fall zu beschreiten, so daß ein Beschleunigungseffekt nicht einträte. 182

183 Vgl. G. Müller (Fn. 10), 1979, 148 ff.; Eichenberger, Schweizerische Juristenzeitung 61 (1965), 285; Grimm, ZParl 1 (1969/70), 448 ff. (459); Kirchhof (Fn. 147), 1976, 50 ff. (80); Ossenbühl, D Ö V 1982,833 ff., 839); Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene" Normen, 1971, 134. Vgl. auch Saarl. VerfGH DVBl. 1984, 325 ff. (328).

3.2 Eigenständige Kriterien

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würfe - ähnlich wie beim Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften - von der Ministerialbürokratie eingebracht. Wenn das parlamentarische Verfahren, wie dargelegt, nicht als ein eigenständiges, sondern vielmehr als ein kooperatives und kontrollierendes Verfahren gegenüber den Gesetzentwürfen von Regierung/Ministerialverwaltung anzusehen ist, 1 8 4 dann sind Sachkompetenz und Leistungskapazität von Ministerialverwaltung und Regierung einerseits und Parlament andererseits im Gesetzgebungsverfahren keine Gegensätze. Wenn der Schwerpunkt der parlamentarischen Bearbeitung von Gesetzentwürfen in den Ausschüssen liegt, dann dürfte der parlamentarische Sachverstand im allgemeinen völlig ausreichen, um Gesetzentwürfe mit der notwendigen Sachkompetenz zu behandeln. Die Spezialität eines Regelungsgegenstandes ist daher kein Gesichtspunkt, unter dem die Mitwirkung des Parlaments abzulehnen wäre.

3.2.12 Technizität des Regelungsgegenstandes

Auch die Technizität eines Gegenstandes ist - so oft dies auch behauptet w i r d 1 8 5 - kein Indiz gegen die Geltung des Parlaments V o r b e h a l t s . Schon die Unterscheidung zwischen Politik und Technik geht irreführenderweise davon aus, man könne beide Begriffe eindeutig gegeneinander abgrenzen. Beide Bereiche verzahnen sich vielmehr immer stärker. „Technischen" Fragen kommt nicht selten ein hochpolitischer Stellenwert zu. Im Bereich des Umweltschutzes zum Beispiel sind die festgelegten Immissionsgrenzwerte nur im Ergebnis technischer Natur; in ihrer eigentlichen Substanz sind sie das Ergebnis eines politischen Abwägungsprozesses zwischen den Anforderungen von Ökonomie und Ökologie. I m Bereich des Schulwesens prägen die scheinbar technischen Stundentafeln das Profil einzelner Bildungsgänge entscheidend mit. Notenausgleichs- und -Umrechnungstabellen sind nicht so objektiv und unbestechlich, wie das äußere Zahlenbild vorgibt. Auch die Prozentpunkte eines Steuersatzes stellen hochpolitische Entscheidungen dar, weil sie über die Art und Weise der Finanzierung der Staatsausgaben wie auch über die Verteilung der sozialen Lasten entscheiden. Vordergründige begriffliche Differenzierungen zwischen Politik und Technik helfen also nicht weiter; vielmehr muß auch hier jeweils im einzelnen Regelungsfall im Hinblick auf die funktionell-strukturellen Gegebenheiten entschieden werden. Technische Fragen können demnach nicht von vornherein als unwesentlich qualifiziert werden eine Vorstellung, die implizit stets zugrundeliegt, wenn solche Fragen aus dem Geltungsbereich des Parlaments Vorbehalts ausgegrenzt werden. 186 Das gleiche gilt für das Verhältnis der Begriffe Grundsatzfragen - Details. Auch bei dieser Abgrenzung wird stets stillschweigend das Wichtigkeitskriterium mit184

Vgl. oben Kap. V I 4.2.7. Vgl. Kamber (Fn. 129), 1980, 68 m.w.N. 186 So zum Beispiel bei Brunner, Die Überprüfung der Rechtsverordnungen des Bundes auf ihre Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit, 1953,14; ebenso der Schlußbericht der Arbeitsgruppe für die Totalrevision der Schweizer Bundesverfassung, 1973, 586. Wie hier Wolf, KJ 1984, 239 ff. (242 ff.). 185

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VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

gedacht und Details a priori als unwichtig (unwesentlich) betrachtet. 187 Gegen diese formale Zuordnung ist einzuwenden, daß Detailregelungen im einzelnen durchaus „wichtig" sein oder unter anderen Gesichtspunkten unter den Parlamentsvorbehalt fallen können. 1 8 8

4. Delegationspflichten des Gesetzgebers Auch wenn weder der Föderalismus- noch der Rechtsschutzaspekt gegen die Anwendung des Parlamentsvorbehalts sprechen, so verbleiben doch einige Kriterien, die auf der Grundlage des funktionell-strukturellen Ansatzes für eine Regelung auf untergesetzlicher Ebene sprechen (zum Beispiel Flexibilität, Änderungsbedürftigkeit, entwicklungsoffene dynamische Sachverhalte, Versuchssituation, Entlastungsfunktion). Sind einzelne oder mehrere dieser Voraussetzungen gegeben und stehen andere, den Parlaments vorbehält indizierende Kriterien nicht entgegen, so steht fest, daß der Gesetzgeber die fragliche Entscheidung zur Regelung auf die untergesetzliche Ebene (zum Beispiel an den Verordnungsgeber) delegieren darf \ Unter diesen Voraussetzungen stellt sich die weitergehende Frage, ob der Gesetzgeber nicht in derartigen Fällen sogar delegieren muß und sich das zunächst bejahte Delegationsrecht zu einer Delegationspflicht verdichtet.

4.1 Delegation als Legislativermessen Nach herrschender Meinung ist der Gesetzgeber befugt, im normativen Bereich jede Materie an sich zu ziehen und im Rahmen seines Zugriffsrechts auch außerhalb des Vorbehaltsbereichs abschließend zu regeln. 189 Der Gesetzgeber ist danach verfassungsrechtlich nicht gehindert, einen Gegenstandsbereich vollständig durchzunormieren und auf jede Delegation an den Verordnungsgeber zu verzichten. Zu einer Delegation von Rechtsetzungskompetenzen ist die Legislative nach herrschender Meinung unter keinen Umständen rechtlich verpflichtet; ein Delegationszwang kann sich danach allenfalls in einem faktischen Sinn ergeben. 190 I m Bereich der Rechtsetzung gilt danach das Prinzip der Allzuständigkeit. Kompetentielle Schranken der Regelungsbefugnis der Legislative im Verhältnis zur Exekutive werden lediglich im Falle der Geltung des Parlamentsvorbehalts in der Weise anerkannt, daß das Parlament einen Gegenstand selbst regeln muß. Hier wird aus der Kompetenz die Pflicht zur Wahrnehmung 187 G. Schmid, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung, 1971, 237. 188 Vgl. Katz (Fn. 28), 1981,85. 189 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 1003 m.w.N.; Böckenförde (Fn. 63), 1981, 387. 190 Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 G G , 1971,91 ; Hamann, Autonome Satzungen und Verfassungsrecht, 1958,41.

4. Delegationspflichten des Gesetzgebers

279

dieser Kompetenz. 191 Außerhalb dieses Bereichs wird die Frage der Delegation von Rechtsetzungskompetenzen ganz überwiegend als eine Frage des Legislativermessens des Gesetzgebers angesehen.192

4.2 Beschränkung auf „wesentliche" Entscheidungen 4.2.1 Rechtspolitische Forderung

Die Forderung, das Parlament möge sich auf wesentliche Entscheidungen beschränken und sich nicht in unwesentlichen Details verlieren, wird in konsequenter Fortführung der herrschenden Meinung als eine „rechtspolitische" Forderung betrachtet. 193 Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, eine wie immer abzugrenzende Wesentlichkeitstheorie sei - so verlockend dies auch sein möge - nicht zu dem Satz umkehrbar, der Gesetzgeber dürfe nur Wesentliches regeln. 194 4.2.2 Verfassungsrechtliche

Pflicht

In anderen Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur klingt demgegenüber die Auffassung an, bei der Forderung nach einer Beschränkung des Parlaments auf das „Wesentliche" handele es sich nicht nur um eine verfassungspolitische, sondern um eine verfassungsrechtliche Forderung. 195 Häufig bleibt allerdings unklar, auf welcher dieser Ebenen argumentiert wird, oder die Forderung nach einer Beschränkung auf das Wesentliche wird ohne nähere verfassungsrechtliche Begründung in den Raum gestellt. 196 Andere wiederum warnen vor einer einseitigen Ausdehnung des Parlamentsvorbehalts. Ziel der Entwicklung sei die Ermöglichung einer angemessenen Grundrechtssituation. Die Frage könne nur lauten, was sich im Hinblick auf die jeweiligen Regelungsmaterien als die jeweils adäquate rechtliche Handlungsform erweise. 197 191 Vgl. Pestalozza, NJW 1981,2081 ff. (2082). Faber, Art. 20 Abs. 1-3 V Rdn. 7, in: A K - G G , Bd. 1, 1984 (aus einem Kompetenz-Recht werde eine Kompetenz-Pflicht). 192 Vgl. dazu Falckenberg, BayVBl. 1978, 166; Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff. (24 f.). 193 Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (838). 194 Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 63 ff. (79). 195 O V G Münster, NJW 1978,439 (440); Fleiner, Entwurf und Gestaltung von Gesetzesnormen, 1981, 137 ff. (145); Kirchhof (Fn. 147), 1976, 81; Heussner (Fn. 180), 1978, 99; Dietze, DVBl. 1975, 389 ff. (393); Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 83 m.w.N. In ähnlicher Richtung sind wohl auch die von Pestalozza, NJW 1981,2081 ff. (2083 f.), geäußerten Gedanken der Subsidiarität der Gesetzgebung sowie der Erforderlichkeitsprüfung zu verstehen, die aber für „Grundrechtshilfen" und das „Staatsorganisationsrecht" nicht gelten sollen; ablehnend dazu Mengel, ZRP 1984, 153 ff. (155). 196 Geitmann (Fn. 183), 1971,134; Faller, EuGRZ 1981, 611 (624); selbst bei den in Fn. 195 angegebenen Autoren ist die Argumentationsebene nicht immer eindeutig; vgl. schon die diesbezüglichen Unklarheiten auf der Staatsrechtslehrertagung 1964, V V D S t R L 23 (1966), 269 (Frage von Bettermann an Ipsen, ob er rechtspolitisch gesprochen oder eine Verfassungsforderung erhoben habe). 197 Lerche (Fn. 119), 1981,30.

280

VII. Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 4.2.3 Funktionell-struktureller

Ansatz

A u f der Grundlage einer funktionell-strukturellen Verfassungsinterpretation ist davon auszugehen, daß die Verfassung die Entscheidung für oder gegen eine Delegation von Rechtsetzungskompetenzen grundsätzlich in das legislative Ermessen des Gesetzgebers stellt. Dies entspricht sowohl der historischen Entwicklung der parlamentarischen Delegationsbefugnis 198 als auch den positiv-rechtlichen Verfassungsbestimmungen, welche die Frage der gesetzlichen Ermächtigung des Verordnungsgebers regeln. 199 Die Formulierung „können" in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 G G und die entsprechenden Kann-Bestimmungen der Landesverfassungen eröffnen jedoch dem Gesetzgeber kein völlig ungebundenes Ermessen hinsichtlich seiner Delegationsentscheidung. Vielmehr sind über diese Spezialbestimmungen hinaus die übrigen funktionellstrukturellen, auf die Delegationsbefugnis des Gesetzgebers einwirkenden Voraussetzungen zu berücksichtigen. Wenn danach zahlreiche in der Verfassung angelegte Unterschiede zwischen Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung (sowie anderen untergesetzlichen Regelungsformen) festzustellen sind, so ist es konsequent, die Delegationsbefugnis des Gesetzgebers dahingehend einzuschränken, daß sich die vorstehend erörterten Voraussetzungen für die Geltung des Parlamentsvorbehalts zu einem Delegationsverbot verdichten können. Erweist sich das Parlamentsgesetz als die verfassungsadäquate Regelungsform, dann muß der Gesetzgeber diese wählen. Anders ausgedrückt: Im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts werden dem ansonsten freien Delegationsermessen der Legislative verfassungsrechtliche Schranken gesetzt. Entsprechendes muß dann auch im umgekehrten Fall gelten. Erweist sich nach Abwägung aller Gesichtspunkte die Rechtsverordnung als die im Vergleich zum Parlamentsgesetz adäquatere Regelungsform, so kann es dem Gesetzgeber nicht völlig freistehen, die Regelung gleichwohl im Parlamentsgesetz zu treffen. Zuweisungen an das Parlamentsgesetz können nicht zwingend, solche an die Rechtsverordnung dagegen fakultativ sein. Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen der demokratischen Begründung des Parlamentsvorbehalts (Legitimationsaspekt) und der funktionell-strukturellen Begründung: Läßt sich auf der Basis des Demokratieprinzips eine Beschränkung der parlamentarischen Regelungsbefugnis schwerlich begründen, 200 so ergeben sich bei funktionell-struktureller Betrachtungsweise insoweit keine Probleme. Stellt sich zum Beispiel eine Regelung im Verordnungswege als die im Sinne eines optimalen, dynamischen Grundrechtsschutzes geeignetere Regelungsform dar, so wäre es nicht verfassungskonform, dem Gesetzgeber die Wahl der weniger grundrechtsadäquaten Regelungsform anheimzustellen. Besteht zum Beispiel bei entwicklungsoffenen Sachverhalten das Bedürfnis, 198

Vgl. dazu oben Kap. II. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 G G „können" die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden. Dem entsprechen die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Art. 53 Abs. 1 Satz 1 der hamb. Verf. und Art. 118 der hess. Verf. In allen übrigen Landesverfassungen sind die Kann-Bestimmungen mehrdeutig („... kann nur durch Gesetz erteilt werden ... t t ). 199

200

Vgl. dazu oben Kap. V 1.1.

4. Delegationspflichten des Gesetzgebers

281

die gesetzlichen Standards möglichst rasch an die sich verändernden technischen Erkenntnisse und Möglichkeiten anzupassen, so wäre nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber das schwerfälligere und unflexiblere Instrument des Parlamentsgesetzes sollte wählen dürfen. Es muß daher anerkannt werden, daß sich das Legislativermessen des Gesetzgebers auch in einer dem Parlamentsvorbehalt entgegengesetzten Richtung dahingehend verengen kann, daß sich eine Delegation des Regelungsgegenstandes als verfassungsrechtlich geboten erweist. Ein derartiges Delegationsgebot korrespondiert mit dem Delegationsm-fto/ im umgekehrten Fall des Parlamentsvorbehalts. Folgt man dieser These, so kann unter bestimmten Voraussetzungen aus der von der herrschenden Meinung überwiegend als verfassungspolitisch angesehenen Forderung, der Gesetzgeber solle sich auf das Wesentliche beschränken, eine verfassungsrechtliche Forderung werden. 201 Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht auch die Überlegung, daß dem Gesetzgeber dort verfassungsrechtliche Schranken gezogen werden müssen, wo ein Ausufern seiner Gesetzgebungstätigkeit zu einer Übernormierung auf Gesetzesebene führen kann. 2 0 2 Auch entspricht es Funktion und Aufgabe des Verfassungsrechts, den Gesetzgeber mit verfassungsrechtlichen Mitteln zur Konzentration auf die ihm zukommenden Aufgaben zu veranlassen. Abzulehnen ist daher eine generelle „Faustregel" dergestalt, der Gesetzgeber solle im Zweifelsfalle in einer formell-gesetzlichen Regelung „durchnormieren" und von der Erteilung einer Ermächtigung absehen. 203 Eine solche Empfehlung ist jedenfalls dort fehl am Platz, wo ein Delegationsgebot gilt. Sowohl im Falle eines Delegationsverbots als auch bei Annahme einer Delegationspflicht kann man in Analogie zu der verwaltungsrechtlichen Rechtsfigur der Reduzierung des (Verwaltungs-)Ermessens auf Null von einer Reduzierung des legislatorischen Ermessensspielraums auf Null sprechen. Dabei wird einer Delegationspflicht aus mehreren Gründen Ausnahmecharakter zugesprochen werden müssen. Zum einen ist die Funktion der Gesetzgebung nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen nach wie vor in erster Linie dem parlamentarischen Gesetzgeber zugesprochen, so daß die Möglichkeit der Rechtsetzungsdelegation nach geltendem Verfassungsrecht grundsätzlich als lediglich ergänzende Möglichkeit der untergesetzlichen Rechtsetzung konzipiert ist. Zum zweiten ist nach den obigen Erörterungen erkennbar, daß für die Begründung einer Delegationspflicht nur vergleichsweise wenige Gesichtspunkte in Betracht kommen. Ist drittens die Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an den Verordnungsgeber verfassungsrechtlich grundsätzlich als Ermessensentscheidung des Gesetzgebers angelegt, so hat dies seinen guten Grund darin, daß dem Gesetzgeber ermöglicht werden 201 Der Auffassung von Achterberg, DVBl. 1972,841 ff. (844), es widerspreche der geltenden Staatsgrundordnung, die Gesetzgebungstätigkeit des Parlaments auf „wichtige" oder „politische" Fragen zu beschränken und das Parlament von der Rechtsetzung in Bagatellsachen zu entbinden, kann daher in dieser Absolutheit nicht zugestimmt werden. 202 Der Gesetzgeber soll keine die Flexibilität und pädagogische Eigengesetzlichkeit erstickenden perfektionistischen Regelungen treffen und nicht „alles und jedes" regeln; vgl. dazu Evers (Fn. 10), 136 ff.; Heussner (Fn. 26), 1983, 111 ff. (116). 203 So aber Wilke, JZ 1982, 759.

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VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

soll, in seine Entscheidung auch Gesichtspunkte der politischen Opportunität einfließen zu lassen. Diese Intention der Verfassung ist in Rechnung zu stellen, wenn der Gesetzgeber zu einer Delegation seiner Rechtsetzungskompetenzen verpflichtet werden soll. Schließlich ist zu bedenken, daß der Delegationspflicht unter Umständen auch durch eine entsprechend offene („unbestimmte") gesetzliche Regelung genügt werden kann. 2 0 4 I m Ergebnis läßt sich damit festhalten, daß eine Verdichtung der funktionell-strukturellen Gesichtspunkte zu einer ausnahmsweisen Delegationspflicht des Gesetzgebers nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann.

5. Realisierung des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots Während sich die vorstehenden Erörterungen in erster Linie auf die Fragen nach der verfassungsadäquaten Regelungsebene bezogen, stellt sich die weitergehende Frage, wie das aus dem Parlamentsvorbehalt folgende vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot in der Gesetzgebungspraxis realisiert werden kann. Hierzu sollen im folgenden die verfassungsrechtlichen Anforderungen diskutiert und die Möglichkeit ihrer Realisierung aufgezeigt werden.

5.1 Formell-rechtliche Aspekte 5.1.1 Bestimmung des Ermächtigungsadressaten

In formell-rechtlicher Hinsicht ist bei offenen Delegationen der Ermächtigungsadressat eindeutig zu bestimmen. 205 Gelegentlich finden sich im Schulrecht der Länder Verordnungsermächtigungen folgenden oder ähnlichen Wortlauts: „Das Nähere regelt der (für das Schulwesen) zuständige Minister." 2 0 6 Die offene Formulierung hat ihren Grund darin, daß zum Beispiel im Falle von Regierungsumbildungen sich die Bezeichnung des Ministeriums ändern kann und, um in einem solchen Fall eine Gesetzesänderung zu vermeiden, auf die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Regierung verwiesen wird. Soweit sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, welches Ressort zuständig sein soll, ist dies nicht zu beanstanden. Die Verweisung auf den „zuständigen Minister" überläßt es aber der Organisationsgewalt der Regierung, die Zuständigkeit völlig gesetzesunabhängig festzulegen, so daß zum Beispiel statt des ansonsten für das Schulwesen zuständigen Ministers im Einzelfall der Wirtschafts- oder Finanzminister ermächtigt werden könnte. Eine solche dynamische Verweisung erscheint sowohl unter dem rechtsstaatlichen Aspekt

204 Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 83; Lerche (Fn. 119), 1981,38 ff.; Scholz/Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980, 73 ff. (117). 205 Nicht ausreichend sind Formulierungen wie: „Das Nähere wird durch Rechtsverordnung geregelt". 206 Vgl. zum Beispiel § 5 Abs. 5 des Schulgesetzes der Freien und Hansestadt Hamburg.

5. Realisierung des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots

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der Rechtsklarheit als auch unter dem Bestimmtheitsgebot des Parlamentsvorbehalts als bedenklich. Im Gesetz selbst ist daher zumindest das zuständige Ressort zu bezeichnen, da nur so vom Gesetz nicht gewollte Zuständigkeitsabweichungen im Einzelfall verhindert werden können. Entsprechendes gilt für den Fall einer verdeckten Delegation, soweit die Regelung unter den Parlamentsvorbehalt fällt. In diesem Fall hat der Gesetzgeber selbst die Zuständigkeit für die fragliche Maßnahme eindeutig zu bestimmen 2 0 7 und damit die Kompetenzzuweisung für die Gesetzeskonkretisierung zu treffen. 5.1.2 Angabe der Regelungsform

I m Falle einer offenen Delegation ist die jeweilige Regelungsform eindeutig anzugeben. Im Gesetz ist zu bestimmen, ob die Regelung „durch Rechtsverordnung", „durch Richtlinien" usw. zu erfolgen hat. Nicht ausreichend ist die Formulierung „Das Nähere regelt der Kultusminister". Nicht nur die Frage, an wen eine Entscheidung delegiert wird, hat im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts der Gesetzgeber selbst zu beantworten, sondern auch die Frage, in welcher Regelungsform dies geschehen soll. Da zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften Unterschiede bestehen (zum Beispiel hinsichtlich der Veröffentlichung, der Verbindlichkeit für die Gerichte, der Außenwirkung usw.), kann es nicht dem ermächtigten Minister überlassen bleiben, zu entscheiden, auf welcher Regelungsebene er von der erteilten Ermächtigung Gebrauch machen will. Die Abgrenzung des Vorbehalts des Gesetzes im Grenzbereich von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift hat der Gesetzgeber zu treffen. Ermächtigungen, die es dem Adressaten anheim stellen, entweder durch Rechtsverordnung oder durch Verwaltungsvorschrift von der Ermächtigung Gebrauch zu machen, entsprechen daher nicht den Bestimmtheitsgeboten des Parlaments Vorbehalts. Gleichwohl finden sich derartige Ermächtigungen im Bestand des derzeitig geltenden Schulrechts. 208 5.1.3 Verpflichtung

zum Erlaß einer Rechtsverordnung

Es gibt Fälle, in denen der Gesetzgeber zwar ein aktuelles Regelungsbedürfnis sieht, gleichwohl aber aus nicht zu beanstandenden Erwägungen heraus die Entscheidung an den Verordnungsgeber delegiert. Ist der alsbaldige Erlaß der Rechtsverordnung zum Beispiel aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung geboten, 209 so wird siòh der Gesetzgeber nicht darauf beschränken dürfen, zum Erlaß der Rechtsverordnung zu ermächtigen, son207

Vgl. BVerfGE 58, 257 (275). 208 Yg| g Abs. 3 Satz 2 des rh.-pf. Schulgesetzes („durch Rechtsverordnung oder durch Verwaltungsvorschriften"); § 70 Abs. 1 und 2, § 71 Abs. 6 des b.-w. Schulgesetzes („soweit erforderlich durch Rechtsverordnung"). 209 In einem solchen Fall muß der Regelungsgegenstand nicht notwendig dem Parlamentsvorbehalt unterfallen, da Gesichtspunkte, die für eine Delegation sprechen, überwiegen können oder die Delegation aus Gründen eines dynamischen Grundrechtsschutzes sogar geboten sein kann.

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terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

dem er wird den Delegatar zum Erlaß verpflichten müssen. Eine „normale" Verordnungsermächtigung 210 begründet eine derartige Regelungspflicht des Verordnungsgebers in aller Regel nicht. Es ist auch anerkannt, daß der Gesetzgeber eine Verpflichtung des Verordnungsgebers zum Erlaß der Rechtsverordnung aussprechen kann. 2 1 1 Zumindest dann, wenn die fragliche Regelung an sich unter den Parlamentsvorbehalt fallen würde, die für eine Delegation sprechenden Gesichtspunkte jedoch überwiegen, kann der Erlaß der Rechtsverordnung aus Gründen eines dynamischen Grundrechtsschutzes unter Umständen sogar geboten sein. In einem solchen Fall muß der Gesetzgeber selbst entscheiden und dies in der Verordnungsermächtigung zum Ausdruck bringen, ob der Ermächtigungsadressat die Regelung treffen kann oder treffen muß. Sofern diese Entscheidung mit Inkrafttreten des Gesetzes beziehungsweise bei einer Gesetzesänderung noch nicht getroffen werden kann, mag es ausreichen, wenn der Gesetzgeber in der Ermächtigung deutlich macht, unter welchen Voraussetzungen der Erlaß der Rechtsverordnung obligatorisch sein soll. Entsprechendes gilt, wenn Gesetz und Verordnung eine Sinneinheit bilden und das Gesetz ohne die ergänzende Rechtsverordnung in dem fraglichen Punkt keine vollständige, anwendbare Regelung enthält. Bilden Gesetz und ergänzende Rechtsverordnung in dieser Weise eine funktionale Einheit, dann besteht ein legitimes Interesse ebenso wie eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, den Verordnungsgeber zur Regelung zu verpflichten, da ansonsten die gesetzliche Regelung ihr Ziel nicht erreichen könnte. 2 1 2

5.2 Materiell-rechtliche Aspekte 5.2.1 Zieldefinition

und Aufgabenbeschreibung

Hinsichtlich der konkreten materiell-rechtlichen Möglichkeiten, den Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts zu entsprechen, wird man eine ganze Reihe von Einzelpunkten nennen können. Zunächst hat jedes Gesetz, wie es moderne Gesetze aus jüngerer Zeit bereits versucht haben, 213 Ziel und Zweck der gesetzlichen Regelung zu formulieren, und zwar nicht lediglich in der Gesetzesbegründung, sondern unmittelbar im Gesetzestext selbst. Die Aufgaben, welche die gesetzliche Regelung erfüllen soll, sind eingangs des Gesetzes zusammen mit einer Umschreibung der Mittel, die zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele eingesetzt werden dürfen, zu definieren. 2 1 4 Derartige Zieldefinitionen und Aufgabenbeschreibungen stellen keine nutzlosen Leerformeln dar, denn sie können wertvolle Auslegungsrichtlinien 210

„Der ...minister wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ..." Vgl. Württenberger, AöR 105 (1980), 370 ff.; Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (336 ff.). 212 Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (348). 213 Vgl. zum Beispiel § 1 des allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs; ähnlich auch § 2 DJT-SchulGE 1981. 2,4 Fleiner (Fn. 121), 1972,132 ff.; Kamber (Fn. 129), 1980,68; Zippelius (Fn. 4), 1982,233; vgl. auch den Bericht von Stolzlechner zum Jürgen-Rödig-Gedächtnissymposion, D Ö V 1983, 25 ff. (27). 211

5. Realisierung des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots

285

und Orientierungshilfen für die gesetzesanwendende Verwaltung wie auch für die Justiz festlegen. Gesetzliche Zielbestimmungen entfalten darüber hinaus Konkretisierungswirkung im Hinblick auf einzelne, an anderer Stelle im Gesetz enthaltene offene oder verdeckte Ermächtigungen. Im Sinne einer größeren Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen und Ermächtigungen kann sich dies insbesondere deshalb als nützlich erweisen, als das BVerfG zur Feststellung, ob eine gesetzliche Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt ist, nach den allgemeinen Auslegungsregelungen auf den Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Bestimmungen und auf das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, abstellt. 215 Für die Verwaltung können sich derartige Zielbestimmungen bei Einzelfallentscheidungen im Rahmen der Gesetzesanwendung als ermessenskonkretisierende Grundsätze und Leitlinien erweisen, ebenso wie sie für die Gerichte Auslegungs- und Entscheidungshilfen bieten können. Für die Justiz wird die Überprüfung erleichtert, ob sich der Ermächtigungsadressat im Rahmen der an ihn delegierten Rechtsetzungs- und Entscheidungsbefugnis gehalten hat. 2 1 6 Über den verwaltungsbezogenen und justitiellen Aspekt hinaus sind Gesetzgeber und Wissenschaft eher in der Lage, Vollzug, Effizienz und Implementation gesetzlicher Regelungen zu überprüfen, wenn die gesetzlichen Ziele explizit angegeben werden. 5.2.2 M aßStäbe und Entscheidungskriterien

Im Geltungsbereich des Parlaments Vorbehalts hat der Gesetzgeber Maßstäbe, Entscheidungs- und Auswahlkriterien sowie Gesichtspunkte für die Interessenabwägung im Gesetz selbst anzugeben. Er darf es nicht der Verwaltung überlassen, beim Gesetzesvollzug nach selbstgewählten Maßstäben zu entscheiden. 217 Der Gesetzgeber muß „zumindest die Art der anzuwendenden Auswahlkriterien und deren Rangverhältnis untereinander selbst festlegen". 2 1 8 5.2.3 Regelbeispiele

Soweit eine abschließende gesetzliche Regelung nicht sinnvoll erscheint oder sich zum Beispiel aus Gründen eines dynamischen Grundrechtsschutzes verbietet, kann das Gesetz den Bestimmtheitserfordernissen durch Nennung

215

BVerfGE 7, 267 (272 f.); 7, 282 (291); 8, 274 (307); 55, 207 (226 f.). BVerfGE 34, 52. 2,7 BVerfGE 40,196 (232); Urteil des VerfGH N W vom 3.1.1983 zur Privatschulfinanzierung. Ein gutes Beispiel für die Angabe von Entscheidungsmaßstäben und Kriterien im Gesetz ist die Neufassung des § 10 Abs. 3 Güterkraftverkehrsgesetz; vgl. dazu Trossmann, JöR 28 (1979), 1 ff. (21). Vgl. auch DJT-SchulGE, 1981, §§ 33,97,100 Alternative 2 Abs. 1 Satz 2. Vgl. auch saarl. VerfGH, DVBl. 1984, 325 (328), der die Setzung von Richtlinien für den Verordnungsgeber fordert; Formulierungen wie „öffentliches Wohl" werden allein nicht für ausreichend gehalten. 218 BVerfGE 33,303 (345 f.); vgl. auch BVerwGE 64,238 - Kraftdroschkengenehmigung. Vgl. auch O V G N W , DVBl. 1983, 1115; saarl. VerfGH, DVBl. 1984, 325 (328). 216

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von Regelbeispielen („insbesondere") genügen. Dabei kann es die Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten durch Anhaltspunkte vorstrukturieren. 219 5.2.4 Fall- und Sachverhaltsgruppen

Darüber hinaus können im Gesetz Fall- und Sachverhaltsgruppen gebildet werden, an denen sich die Entscheidung der Verwaltung orientieren kann. In jedem Fall hat das Gesetz deutlich zu machen, ob es sich um eine beispielhafte oder abschließende Regelung handelt.

5.2.5 Härte- und Ausnahmeklauseln

Den verstärkten Bestimmtheitsanforderungen kann das Gesetz dadurch genügen, daß es nicht nur eine pauschale Härte- oder Ausnahmeklausel formuliert, sondern die zulässigen Ausnahmefälle sowie die Voraussetzungen von Härtefällen näher umschreibt. 220 Auch wenn sich insoweit eine starre gesetzliche Regelung verbieten kann, weil der Gesetzgeber nicht alle denkbaren Ausnahmen überschauen kann, so lassen sich im Gesetz gleichwohl Leitgedanken hierzu angeben. Soweit eine Ausnahmeregelung zur Konkretisierung verfassungsrechtlich verbürgter Rechte gehört und nicht nur eine darüber hinausgehende Leistung ermöglichen soll, hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen selbst festzulegen und darf sie nicht dem Ermessen der Verwaltung anheim geben. 221

5.2.6 Eingriffs-

und Anspruchsvoraussetzungen

Soweit der Gesetzgeber auf der Grundlage der offenen Verfassung unbestimmte Verfassungsbegriffe konkretisiert, verfassungsrechtliche Regelungsvorbehalte ausführt, Grundrechts vorbehalte durch Eingriffs- oder Leistungsnormen konkretisiert oder, soweit die Verfassung dies zuläßt, den Inhalt eines Grundrechts durch Gesetz bestimmt, 2 2 2 sind bei Grundrechtseingriffen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Eingriffs selbst im Gesetz festzulegen, bei Leistungen die konkreten Anspruchsvoraussetzungen zu bestimmen. Wenn die Verfassung in allgemeiner Form Leistungsansprüche gewährt und diese verfassungsrechtliche Gewährleistung vom Gesetzgeber konkretisiert werden muß, hat das Gesetz den Leistungsumfang ebenso wie ein eventuelles 219 Vgl. § 44 Abs. 4 und Abs. 6 des hess. SchulVerwG; § 30 Abs. 4 des s.-h. SchulG. 220

Vgl. zum Beispiel § 33 Satz 3 DJT-SchulGE, 1981. Vgl. VerfGH N W , N V w Z 1984, 95; gute Regelungsbeispiele finden sich wiederum in DJT-SchulGE, 1981, §§ 77, 103 Abs. 3 Nr. 2. 222 Vgl. zu den verschiedenen grundrechtsbezogenen Normierungsarten Schnapp, JuS 1978, 729 ff.; Pieroth, Rechtsgutachten zum Anspruch von Schulen in freier Trägerschaft auf Förderung, 1982,23 ff.; zur Konkretisierung unbestimmter Verfassungsbegriffe vgl. auch VerfGH N W , N V w Z 1984, 95. 221

5. Realisierung des vorbehaltsrechtlichen B e s t i m m t h e i t s g e b o t s 2 8 7

Berechnungsverfahren festzulegen. 223 Soweit verfassungsrechtliche Grundpflichten reichen (zum Beispiel die landesverfassungsrechtlich begründete Schulpflicht), muß das gleiche wie für die Grundrechtskonkretisierung gelten, da verfassungsrechtliche Grundpflichten - sofern man diesen eigenständige Bedeutung zumißt 2 2 4 - verfassungsdogmatisch in untrennbarem Zusammenhang zu den Grundrechtsschranken stehen.

5.2.7 Konkrete finanzielle und zeitliche Angaben

Bei finanziellen Verpflichtungen und Leistungen sowie bei zeitlichen Angaben sind im Gesetz die konkrete Höhe beziehungsweise die Höchst- oder Mindestdauer anzugeben, soweit derartige Regelungen zum Beispiel im Rahmen der Grundrechtskonkretisierung unter den Parlamentsvorbehalt fallen. 2 2 5 Danach wäre zum Beispiel die Gesamtdauer der Schulferien pro Schuljahr als für Schüler und Eltern grundrechtskonkretisierende Regelung konkret im Gesetz festzulegen, während demgegenüber die zeitliche Verteilung der Ferien delegierbar ist. 2 2 6 Soweit konkrete Zahlenangaben aus Gründen der Flexibilität oder im Hinblick auf abzusehende Änderungsbedürftigkeit nicht im Gesetz selbst niedergelegt werden, kann das Gesetz zumindest Eckdaten, Grenzwerte, Spannbreiten und Größenordnungen angeben, 227 um das Ausmaß der Delegation mit hinreichender Bestimmtheit zu umschreiben. Auch lassen sich diejenigen Gesichtspunkte im Gesetz angeben, nach denen die Exekutive die konkreten Werte festzusetzen hat. 2 2 8

5.2.8 Anweisungen für die inhaltliche Ausgestaltung

Soweit die gesetzliche Regelung ergänzungs- und ausfüllungsbedürftig ist, hat der Gesetzgeber Anweisungen für die inhaltliche Ausgestaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch untergesetzliche Regelungen zu geben.

5.2.9 Organisations - und Verfahrensregelungen

Läßt die getroffene gesetzliche Regelung trotz aller Bemühung um materielle Bestimmtheit zu wünschen übrig und lassen sich diese Mängel durch materiell-rechtliche Regelungen nicht präziser fassen - die Verfassung darf 223 Vgl. zum Beispiel Art. 8 Abs. 4 der N R W Verf. und das dazu ergangene Urteil des VerfGH N W , N V w Z 1984,95; ähnlich Art. 14 Abs. 2 Satz 3 der b.-w. Verf.; vgl. dazu Pieroth (Fn. 222), 1982. 224 Vgl. V V D S t R L 41 (1983). 225 Zum Beispiel Beginn und Dauer der Schulpflicht; dazu näher unter Kap. I X 4. 226 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 51 Abs. 2. 227 BVerfGE 57, 139(155). 228 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 45 Abs. 6; problematisch dagegen § 74 Abs. 7 Satz 2 des Schulgesetzentwurfs.

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VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

nichts Unmögliches fordern - , so bedeutet dies notwendig eine Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf Exekutivorgane. Fragen der Zuständigkeit und der Gestaltung des Entscheidungsverfahrens kommt dann gesteigerte Bedeutung zu. 2 2 9 Neben den materiell-rechtlichen Bestimmungen sind in einem solchen Fall Regelungen der Verwaltungsorganisation sowie des Entscheidungsverfahrens im Gesetz vorzusehen. So können zum Beispiel Entscheidungsgremien errichtet und mit konkreten Zuständigkeiten versehen werden, Anhörungs- und Informationsrechte sowie sonstige Verfahrens- und Entscheidungsmodalitäten festgelegt werden. 230 Dabei ist stets abzuwägen, inwieweit Verfahrensfestlegungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind oder an den Verordnungsgeber delegiert werden dürfen. Maßgeblich ist hierfür, wie konkret bereits die materiell-rechtliche Entscheidung im Gesetz und wie gewichtig die Verfahrensregelung in Hinblick auf die Konkretisierung der Verfassung (insbesondere der Grundrechte) ist. Untergeordnete Verfahrensregelungen dürfen vom Verordnungsgeber getroffen werden. 231

5.2.10 Bestimmtheitsgebot und verdeckte Delegation

Angesichts der verstärkten Bestimmtheitsanforderungen im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts stellt sich die Frage, ob und wenn ja inwieweit hier die Verwendung von unbestimmten Gesetzesbegriffen, Generalklauseln, Ermessenstatbeständen, Kann- und Soll-Vorschriften überhaupt zulässig ist. Wenn diese Formen planmäßiger gesetzlicher Offenheit und Unbestimmtheit kompetenzrechtlich betrachtet Formen der Rechtsetzungs- und Entscheidungsdelegation zugunsten der Exekutive darstellen, dann tritt ihre grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit ganz offenbar in ein Spannungsverhältnis zu den verschärften Bestimmtheitsanforderungen im Bereich des Parlamentsvorbehalts. Leerformelhafte Aussagen wie: Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sofern Klarheit, Bestimmtheit und Justitiabilität gewahrt seien, 232 helfen kaum weiter, das Spannungsverhältnis zwischen Bestimmtheitsanforderungen und unbestimmtem Rechtsbegriff aufzulösen. Zunächst ist davon auszugehen, daß für die kompetenzrechtliche Problematik die in anderem Kontext angestellten Versuche einer terminologischen 229 BVerfGE 33, 303 (341); 41, 251 (265), wonach die Voraussetzungen schulrechtlicher Ordnungsmaßnahmen nicht mit dem gleichen Grad an Bestimmtheit normiert werden können wie Straftatbestände; zur entsprechenden Problematik im Disziplinarrecht vgl. BVerfGE 26,186 (204); vgl. auch BayVerfGH 33, 33, 230 Vgl. zum Beispiel § 28 Abs. 6 Satz 3 und 4 DJT-SchulGE, 1981. 231 Vgl. §§ 49 Nr. 2,65 Abs. 7,108 Abs. 2 DJT-SchulGE, 1981, wobei freilich die Anhörung von Schülern, Eltern, Lehrern und sonstigen Beteiligten im Verfahren bei der Verhängung von Ordnungsmaßnahmen im Hinblick auf die starke Grundrechtsrelevanz von Ordnungsmaßnahmen im Gesetzentwurf selbst hätten geregelt werden müssen. Offengelassen in BayVerfGH 33,33. 232 Stern, Staatsrecht, Bd. 1,1984,807; ähnlich allgemein und formelhaft Bauer, D Ö V 1983,53 (58): Dem Gesetzesvorbehalt werde auch durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe genügt, sofern der Gesetzgeber hierbei den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz beachte.

5. Realisierung des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots

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und dogmatischen Differenzierung zwischen den verschiedenen Formen verdeckter Delegation 233 nicht weiterführen. Die traditionellen Unterscheidungen zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff laufen Gefahr, Grenzen zu behaupten, wo fließende Übergänge sind. 2 3 4 Aber auch zwischen Verordnungsermächtigungen und unbestimmten Rechtsbegriffen lassen sich kaum klare Trennlinien ziehen, da es die verschiedensten Kombinationsformen gibt. So kann zum Beispiel der Verordnungsgeber ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung einen unbestimmten Gesetzesbegriff zu konkretisieren, 2 3 5 oder in der Verordnungsermächtigung wird ein unbestimmter Rechtsbegriff verwendet. 236 Schon im Hinblick auf die nicht eindeutige Unterscheidbarkeit zwischen offenen und verdeckten Ermächtigungen einerseits und den verschiedenen Formen verdeckter Ermächtigungen andererseits verbieten sich in kompetenzrechtlicher Hinsicht künstliche Differenzierungen. Allen Formen planmäßiger gesetzlicher Offenheit und Unbestimmtheit ist vielmehr ihre Verweisungsstruktur im Verhältnis Legislative - Exekutive gemeinsam. In allen Fällen werden Entscheidungen und Verantwortung vom Gesetzgeber auf die Exekutive verlagert, so daß dem Ermächtigungsadressaten die Aufgabe zukommt, die offene gesetzliche Regelung zu konkretisieren. 237 Offene wie auch verdeckte Formen der Delegation eröffnen der Exekutive innerhalb eines mehr oder weniger weit gezogenen Rahmens einen Bereich eigener Rechtsetzung und rechtsschöpferischer Gesetzesergänzung. 238 In aller Regel werden unbestimmte Gesetzesbegriffe, Generalklauseln und Ermessenstatbestände nicht unmittelbar in Einzelentscheidungen umgesetzt, sondern zunächst von der Exekutive zum Zweck einer gleichmäßigen Gesetzesanwendung durch untergesetzliche Rechtsetzungsakte konkretisiert. Stellt man die große Affinität zwischen offenen und verdeckten Delegationsformen in Rechnung, so kann unter kompetenzrechtlichen Aspekten für verdeckte Ermächtigungen grundsätzlich nichts anderes gelten als für offene. Ein prinzipieller Unterschied zwischen gesetzlichen Verordnungsermächtigungen und verdeckten Delegationen ist in kompetenz- und ermächtigungsrechtlicher Hinsicht nicht zu erkennen. Aus dieser Erkenntnis folgt, daß die im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts bestehende Selbstentscheidungspflicht des Gesetzgebers in gleicher Weise besteht, wenn der Gesetzgeber eine Form verdeckter Delegation wählt. Die ihm obliegenden Entscheidungen darf der Gesetzgeber auch in einem solchen Fall nicht durch Verwen233

Vgl. dazu Lambrecht, D Ö V 1981, 700 ff. (insbesondere 701). Vgl. Geitmann (Fn. 183), 1971, 51 ff. (insbesondere 57). 235 So zum Beispiel in §§ 85 Abs. 1 Satz 2,87b b.-w. SchulG, wonach der Kultusminister durch Rechtsverordnung Regelungen zur „gehörigen Ausstattung" des Schulpflichtigen nach § 85 Abs. 1 treffen kann. 236 So zum Beispiel in § 99 Abs. 2 nds. SchulG, wonach der Kultusminister durch Verordnung den Mindestsatz der Kostenerstattung der Landkreise gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden für die Fälle erhöhen kann, in denen ein erheblicher Anteil der Schüler im Kreisgebiet die Schulen des Landkreises besucht. 237 Vgl. Lambrecht, D Ö V 1981, 700 ff. (701). 238 Vgl. Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 105. 234

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VII.

terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

dung unbestimmter Gesetzesbegriffe oder vager Generalklauseln 239 an die Exekutive delegieren. Ansonsten bestünde die Gefahr, daß der Gesetzgeber das im Bereich des Parlamentsvorbehalts geltende Delegationsverbot im Verhältnis zum Verordnungsgeber durch die Verwendung verdeckter Delegationen umgehen könnte, 2 4 0 zumal beide Delegationsformen nicht selten austauschbar sein dürften. Wenn über das Delegationsverbot hinaus im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts ein verstärktes Bestimmtheitsgebot gilt, so muß sich dies auf die Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe und anderer verdeckter Delegationen notwendigerweise restriktiv auswirken. Dabei ist zu berücksichtigen, daß zwischen den Extrempunkten einer konkreten, abschließenden gesetzlichen Regelung und der Verwendung gänzlich unbestimmter Gesetzesbegriffe und völlig vager Generalklauseln fließende Übergänge bestehen. Danach ist es kein Widerspruch, wenn unbestimmte Gesetzesbegriffe im Gesetz selbst näher bestimmt werden. 241 W i l l man aus Gründen der Praktikabilität und Flexibilität die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts nicht völlig verbieten, so ist jedenfalls zu fordern, daß der Gesetzgeber von den vorstehend aufgezeigten Möglichkeiten zur Konkretisierung gesetzlicher Bestimmungen Gebrauch macht und unbestimmten Gesetzesbegriffen, Generalklauseln und Ermessenstatbeständen Abwägungsgebote, Regelbeispiele und ähnliches beifügt und/oder ein bestimmtes Verfahren festlegt, welches bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Exekutive eingehalten werden muß. 2 4 2 Diese Anforderungen gewährleisten, daß der Gesetzgeber selbst über die Kriterien entscheidet, nach denen die Verwaltung die offene gesetzgeberische Entscheidung weiterführt und ausfüllt. Zugleich werden den Gerichten Kontrollmaßstäbe für die Gesetzmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung an die Hand gegeben. 243 Ganz in diesem Sinne wird in der Literatur teilweise gefordert, daß bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gewisse Bestimmtheitsanforderungen einzuhalten sind. So müssen nach Niehues die an die einzelne Norm zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen auch bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zumindest den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G entsprechen, um eine Umgehung dieser Vorschrift zu vermeiden. 244 Die von Niehues vorgeschlagene analoge Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G auf unbestimmte Gesetzesbegriffe und Generalklauseln 2 4 5 verbietet sich indes, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung die verstärkten Bestimmtheitsanforderungen als ein Gebot des allgemeinen Parlamentsvorbehalts ansieht. 239

BVerfGE 6, 32 (42); vgl. auch BVerwGE 2, 114 (116 ff.); 8, 274 (325); 13, 153 (160). Vgl. Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 107 mit Fn. 143. 241 Der von Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, 807, verwendeten Formel (vgl. oben Fn. 232) ist daher im Ansatz durchaus zuzustimmen. 242 Zippelius (Fn. 4), 1982, 233, fordert die Setzung genereller Ermessensgrenzen. 243 Vgl. dazu etwa die Abwägungsgebote in § 1 Abs. 6 des Bundesbaugesetzes. 244 Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 107 mit Fn. 143. 245 Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 73. 240

6. Folgerungen

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Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts die Zulässigkeit verdeckter Delegationen genauso restriktiv zu beurteilen ist wie die Zulässigkeit von Verordnungsermächtigungen. Den vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen muß der Gesetzgeber auch bei Verwendung verdeckter Delegationsformen genügen.

6. Folgerungen 6.1 Materiell-rechtliche Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts Im vorstehenden Abschnitt wurde der Versuch unternommen, die Reichweite des Parlamentsvorbehalts auf der Grundlage einer funktionell-strukturellen Analyse von Gesetz- und Verordnungsgebung durch die Entwicklung materiell-rechtlicher Kriterien und Indizien zu bestimmen. Die aufgeführten materiell-rechtlichen Merkmale sollen angeben, unter welchen Voraussetzungen der Parlamentsvorbehalt zur Anwendung gelangt. Insoweit besteht in methodischer Hinsicht eine Gemeinsamkeit mit der herrschenden Meinung, die mit dem Wesentlichkeitskriterium ebenfalls den Weg einer materiellen Konkretisierung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts gewählt hat. 2 4 6

6.2 Restituierung des materiellen Gesetzesbegriffs? In der Literatur wird in dem Abstellen auf das materielle Kriterium der Wichtigkeit zum Teil eine Restituierung des materiellen Gesetzesbegriffs gesehen. 247 Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Vielmehr ist zwischen begrifflich-rechtstheoretischer und kompetenzrechtlicher Ebene zu trennen. 2 4 8 Die begrifflich-analytische Frage (um die es hier nicht in erster Linie geht), was unter einem „Gesetz" zu verstehen ist, kann ohne weiteres mit Hilfe eines formellen Gesetzesbegriffs beantwortet werden. Gesetze sind danach diejenigen Recht set zungsakte, die vom Parlament in dem verfassungsrechtlich vorgesehenen förmlichen Verfahren beschlossen werden. 249 Ohne Widerspruch zu diesem heute herrschenden formellen Gesetzesbegriff kann die andere (kompetenzrechtliche) Frage, unter welchen Voraussetzungen ein bestimmter Gegenstand im Gesetz selbst zu regeln ist, materiell-rechtlich beantwortet werden. Beide Fragen hängen keineswegs in der Weise zusammen, daß, wer die kompetenzrechtliche Frage materiell-rechtlich zu beantworten sucht, notwendig die begriffliche Frage ebenfalls materiell-rechtlich angehen müßte. Der Versuch, die Reichweite des Parlamentsvorbehalts materiell246 Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 53, begrüßt ausdrücklich die Heranziehung materieller (statt formaler) Kriterien. 247 Vgl. Grimm, ZParl 1 (1969/70), 448 ff. (465); Starck (Fn. 6), 1970,169 ff.; Ellwein/Görlitz, Parlament und Verwaltung, 1967, 151 ff.; Loose (Fn. 56), 1977, 51. 248 Vgl. schon oben Kap. V 2.2 sowie Böckenförde (Fn. 63), 1981, 377 f. 249 Hesse (Fn. 6), 1984, Rdn. 506; Achterberg, D Ö V 1973, 289 ff. (297).

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terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

rechtlich zu bestimmen, führt daher auf der begrifflich-dogmatischen Ebene keineswegs zur Restituierung eines materiellen Gesetzesbegriffs.

6.3 Kriterienkatalog statt Wesentlichkeitsmerkmal Der Hauptunterschied des hier vorgeschlagenen Ansatzes zur herrschenden Meinung dürfte in zwei Punkten zu sehen sein. Der funktionell-strukturelle Ansatz löst sich von der Fixierung auf das Wesentlichkeitsmerkmal, das von der herrschenden Meinung lediglich durch den Hinweis auf die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit näher konkretisiert wird. Während die herrschende Meinung - überspitzt formuliert - anstelle der Verfassungsinterpretation inzwischen eine Interpretation des Wesentlichkeitsbegriffs betreibt und diesen zu einem Quasi-Verfassungsbegriff hochstilisiert hat, wird hier versucht, die eindimensionale Beschränkung auf die Grundrechtswesentlichkeit aufzugeben und aus den funktionell-strukturellen Eigenarten von Gesetzgebung und Verordnungsgebung eine Vielzahl von Kriterien und Indizien (eine Art „Kriterienkatalog") zu entwickeln, um eine funktionsadäquate Kompetenzzuweisung zu gewährleisten. Dabei mag der hier entwickelte umfangreiche Kriterienkatalog durchaus noch erweiterungs- und verfeinerungsfähig sein. 250

6.4 Mögliche Kritik Gleichwohl muß sich auch der hier eingeschlagene Lösungsweg der möglichen Kritik stellen, die entwickelten Kriterien und Indizien für die Geltung des Parlamentsvorbehalts seien immer noch sehr allgemeiner Natur und letztlich zu unbestimmt. Es ist ohne weiteres einzuräumen, daß auch diese ausfüllungs- und auslegungsbedürftig sind. Wer nicht ohne subsumtionsfähiges Schema auszukommen glaubt, dem wird der hier vorgeschlagene Ansatz kaum weiterhelfen. 251 Handgerechte Kochrezepte oder einfache Gebrauchsanweisungen können nicht angeboten werden. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß die verschiedenen Kriterien in ein Spannungsverhältnis zueinander treten und dadurch Zielkonflikte entstehen, so daß manches für, anderes gegen eine Geltung des Parlamentsvorbehalts sprechen kann. Dies dürfte sogar eher der Regelfall als die Ausnahme sein. 252 Abwägungen und Prioritätensetzungen werden dadurch in der jeweiligen Regelungssitua250 Fernziel könnte es sein, eine Art „Checkliste des Parlamentsvorbehalts" zu entwickeln, die als Orientierungshilfe für die Ministerialverwaltungen und Parlamente dienen könnte. Vgl. zu den bisherigen Erfahrungen mit gesetzestechnischen Checklisten in Österreich und in der Schweiz Wyduckel, DVBl. 1982,1175 ff. (1177 f.) An vergleichbaren Bestrebungen in der Bundesrepublik ist zum Beispiel die sogenannte „grüne Checkjiste" in Hessen zu nennen, die dort am 25.3.1980 eingeführt wurde (vgl. dazu Kindermann, D Ö V 1981, 858; Ders., Ministerielle Richtlinien der Gesetzestechnik, 1979). 251 Vgl. dazu Niehues, DVBl. 1980, 465 ff. (466). 252 Vgl. Kamber (Fn. 129), 1980, 67; so können einige Gesichtspunkte für eine Regelung im Parlamentsgesetz, andere für eine solche im Verordnungswege sprechen. Vgl. auch G. Müller (Fn. 10), 121 (Konkurrenz der Kriterien möglich).

6. Folgerungen

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tion unumgänglich. Als Meta-Maßstäbe zur Entscheidung derartiger Zielkonflikte können nur zwei Kontrollfragen angeboten werden: Was verspricht am ehesten eine optimale Grundrechtsverwirklichung? Was entspricht am ehesten den funktionell-strukturellen Eigenarten von Gesetz- und Verordnungsgebung, von legislativer und exekutiver Entscheidung? Als weiterer Unsicherheitsfaktor kommt schließlich hinzu, daß die Anforderungen des Parlamentsvorbehalts bereichsspezifisch unterschiedlich zu beurteilen sind. Die Eigenarten und Sachgesetzlichkeiten des Schulrechts, des Umweltrechts, des Steuerrechts oder des Strafrechts erfordern ebenso wie das Gebot eines dynamischen Grundrechtsschutzes eine flexible Handhabung der Anforderungen des Parlamentsvorbehalts. Daß dabei nicht nur normative, sondern auch empirische Gesichtspunkte sowie solche der Praktikabilität 2 5 3 in die kompetenzrechtliche Entscheidung über die gebotene Regelungsebene und Regelungsdichte einfließen, macht die Abwägung sicherlich sachgerechter, keinesfalls aber einfacher. 254 Trotz dieser Schwierigkeiten dürfte der einzig gangbare methodische Weg einer materiell-rechtlichen Konkretisierung von Parlamentsrelevanz und Delegationsbefugnis darin zu sehen sein, auf der Basis eines Kriterienkatalogs die vielfältigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die der funktionell-strukturelle Ansatz bietet. Der hier entwickelte offene Kriterienkatalog bietet differenzierte Orientierungshilfen für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts an. Zumindest dürfte sich auf dem vorgeschlagenen Weg die Zone der Unsicherheit eingrenzen lassen. 255

6.5 Methodische Grenzen materiell-rechtlicher Kriterien Bedenkt man all dies, so werden die methodischen Grenzen materiell-rechtlicher Kriterien und Indizien zur Konkretisierung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts offenkundig. A n diese Grenzen stößt man unabhängig davon, ob man nach der herrschenden „Wesentlichkeitstheorie" vorgeht oder nach dem hier vorgeschlagenen funktionell-strukturellen Ansatz. Jeder Versuch einer materiell-rechtlichen Definition der Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen der Parlamentsvorbehalt zur Anwendung kommen soll, befindet sich in einer dilemmatischen Situation. A u f der einen Seite soll für jedes künftige Regelungsproblem eine möglichst eindeutige und zweifelsfreie Kompetenzzuweisung getroffen werden. Die Entscheidung, was unter den Parlamentsvorbehalt fällt, soll im Vorhinein durch Aufstellung materieller Kriterien so genau vorprogrammiert sein, daß die Zuordnung aller künftigen Regelungsfälle - auch der heute noch nicht vorhersehbaren - möglichst zuverlässig vorausgesagt werden kann. Dies setzt naturgemäß eine relativ hohe 253 Niehues (Fn. 28), 1983, Rdn. 72. Richter ( A K - G G , 1984, Art. 7 Rdn. 44) spricht sich für eine pragmatische Handhabung der Abgrenzungen aus. 254 So auch Wimmer, Der Einfluß des Bundesverwaltungsgerichts auf die Bildungsreform, 1978, 619 ff. (623) für den Indikator „politisch kontrovers". 255 So auch Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (342) zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

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terien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

Konkretheit und Spezifizierung der Zuweisungskriterien voraus. Gleichzeitig sollen die zu entwickelnden Maßstäbe das unübersehbare Spektrum möglicher Regelungsfälle vollständig abdecken. Um diesen Anforderungen zu genügen, müssen sie als unbestimmte Rechtsbegriffe entsprechend allgemein und weit gefaßt sein. 256 Nur so kann für den unüberschaubaren Kreis höchst unterschiedlicher künftiger Regelungen eine möglichst gleichmäßige Zuweisung von Regelungskompetenzen erreicht werden. Der Zielkonflikt zwischen Allgemeingültigkeit (Anwendbarkeit auf jeden denkbaren Regelungsfall) und Konkretheit (eindeutige Kompetenzzuweisung in jedem Einzelfall) ist nicht vollständig auflösbar. Alle materiell-rechtlichen Kriterien werden Mängel in der einen oder anderen Richtung aufweisen. Wenn die gesuchten materiellen Maßstäbe gleichzeitig präzise und offen, möglichst eindeutig und möglichst flexibel, rechtsstaatlich verläßlich, aber auch praktisch handhabbar sein sollen, so können die gesuchten Kriterien letztlich nur kompromißhaften Charakter tragen. Eine gewisse Unbestimmtheit und Offenheit ist dabei unumgänglich, will man nicht durch Festlegung starrer und formaler Kriterien notwendigerweise im Einzelfall zu sachwidrigen Kompetenzzuweisungen gelangen. Dem Auslegungs- und Abwägungsproblem läßt sich somit nicht entfliehen. Begreift man Auslegungsvorgänge nicht nur als einen Prozeß der Rechtsfindung, sondern auch der Rechtsschöpfung, so liegt auf der Hand, daß materiell-rechtliche und daher auslegungsbedürftige Kriterien zur Bestimmung des parlamentarischen Vorbehaltsbereichs nicht schon selbst über die Kompetenzzuweisung zwingend vorab entscheiden, sondern zunächst nur die spätere Entscheidung (des Gesetzgebers) vorstrukturieren können. Die Beantwortung der Frage, was unter den Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts fällt, ist demnach nicht ausschließlich als ein Ermitteln einer von der Verfassung vorgegebenen Zuständigkeitszuweisung zu verstehen, sondern als eine bei jeder einzelnen Regelung zu treffende Wertung und Abwägung seitens der in den Gesetzgebungsprozeß involvierten Instanzen. Materielle Zuweisungskriterien können hier kaum mehr als einen verfassungsrechtlichen Referenzrahmen abstecken. A u f diesem Hintergrund wird die Verwendung eines materiell-rechtlichen auslegungsbedürftigen Maßstabs zur Kompetenzzuweisung - trotz aller möglichen Konkretisierungshilfen - letztlich nur das Risiko von Fehlbeurteilungen vermindern können. 2 5 7 Ein materieller Maßstab kann kaum mehr als eine gewisse Reduktion des Beurteilungsspielraums durch Aufstellen möglichst konkreter und zugleich variabler Gesichtspunkte für die Parlamentsrelevanz leisten. Hierbei kann es nicht um verabsolutierende Kriterien gehen, sondern nur um komparative, verhältnismäßige Gesichtspunkte. 258 Die Verwendung materieller Kriterien der Kompetenzzuweisung kann nicht zu präzisen Eintei256 Pieske, DVBl. 1977,673 ff. (677 f.), weist zu Recht daraufhin, daß unbestimmte Rechtsbegriffe, gleich welcher Art, immer das Handicap von „Unklarheiten, Undeutlichkeiten, Vieldeutigkeiten, Mißverständnissen und Fehlentscheidungen in sich bergen". 257 G. Müller (Fn. 10), 1979, 112. 258 Vgl. Rödig (Fn. 76), 1976, 5 ff. (43 ff.).

6. Folgerungen

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lungen und starren Grenzziehungen, sondern nur zu Näherungen führen. 2 5 9 Auch wenn die Verfassung selbst die Reichweite des Parlamentsvorbehalts umschriebe, würde sie sich dabei notwendigerweise ebenfalls nur der Verwendung offener und auslegungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe bedienen können. 2 6 0 Für das von der Rechtslehre zu entwickelnde Surrogat, 261 welches diese Verfassungslücke füllen soll, kann nichts anderes gelten. Dies wird nicht zuletzt auch am Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G deutlich. Weder der Verfassungstext selbst noch die Versuche einer Präzisierung der Inhalt-, Zweck- und Ausmaßklausel durch eine Programm-, Selbstentscheidungs- oder Vorhersehbarkeitsformel 262 haben zu einheitlichen Lösungen der Einzelprobleme geführt. 263 Verfassungsanwendung erfolgt ebenso wie die Anwendung aus der Verfassung abgeleiteter materieller Maßstäbe jeweils in bezug auf einen konkreten Regelungsgegenstand. Erst bei der Rechtsanwendung entscheidet sich somit, was der Maßstab im konkreten Fall besagt; Maßstab und Gegenstand stehen dabei zueinander in untrennbarer Beziehung. So bleibt die Antwort auf die Frage, ob eine gesetzliche Regelung beziehungsweise Ermächtigung bestimmt genug ist, notwendigerweise in einem gewissen Rahmen variabel. 264 Selbst wenn man hinsichtlich der gebotenen Regelungsebene zu starren Maßstäben greifen könnte, so wäre dies zumindest hinsichtlich der gebotenen Regelungsdichte so gut wie unmöglich und auch keineswegs sachgerecht. Die Frage, was unter den Parlamentsvorbehalt fällt, läßt sich nach alledem mittels materiell-rechtlicher Kriterien nicht so klar und eindeutig beantworten, wie es an sich wünschenswert wäre. Diese Feststellungen müssen notwendigerweise die hohen Erwartungen seitens der Praxis 265 enttäuschen. Diese richten sich darauf, endlich verläßlich zu erfahren, was denn nun „wesentlich" sei oder - neutraler gesprochen - was unter den Parlamentsvorbehalt falle. Die großen Hoffnungen auf die Entwicklung und möglichst eindeutiger und handhabbarer Maßstäbe zur Zuweisung von Regelungsgegenständen an die Ebene des Parlamentsgesetzes müssen jedoch, wie dargelegt, bereits aus grundsätzlichen Überlegungen gedämpft werden, da jede materiell-rechtliche Definition der Reichweite des Parlamentsvorbehalts auf die dargelegten methodischen Grenzen stößt. 259

G. Müller (Fn. 10), 1979,3. Vgl. G. Müller (Fn. 10), 1979, 129. Pieske, DVBl. 1977, 673 ff. (677). 261 Staff, Schul- und Hochschulrecht, 1983, 323 ff. (325 Fn. 2), ist der Auffassung, die „Wesentlichkeitstheorie" des BVerfG sei die judikative Vorwegnahme beziehungsweise der Ersatz einer bisher nicht zustandegekommenen Verfassungsänderung. Ob es allerdings sinnvoll wäre, die Verfassung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie zu ändern, muß nach dem oben Gesagten fraglich erscheinen. 260

262

Vgl. Hasskarl (Fn. 97), 1969, 81. Vgl. Starck (Fn. 130), 1972, 47. 264 Starck (Fn. 130), 1972,47: Der Maßstab ist je nach dem Gegenstand, zu dem er in Relation zu setzen ist, nuanciert. Vgl. auch Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (342): Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G erfordere in jedem Fall eine wertende Entscheidung, die nur von Fall zu Fall möglich sei (BVerfGE 1, 14, 60). Dies bedeute, daß eine allgemeingültige griffige Antwort, wann dem Konkretisierungspostulat genügt ist, der Natur der Sache nach nicht möglich sei. 26i Mayer-Tasch/Kohler, ZParl 11 (1980), 530 ff., sprechen von der „legislatorischen Front". 263

VIII. Alternativen zu einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts Wenn - wie im Kapitel V I I im einzelnen dargelegt - jeder Versuch einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts an methodische Grenzen stoßen muß, dann stellt sich die Frage nach anderen - alternativen und/oder ergänzend-flankierenden - Möglichkeiten zur Bestimmung dessen, was das Parlament selbst entscheiden und mit verstärkter Bestimmtheit im Gesetz selbst regeln muß. Der Frage, ob es ergänzende oder alternative Wege gibt, um zu einer verläßlichen und praktikablen Entscheidung zu gelangen, was im Parlamentsgesetz zu regeln ist, ist bisher von der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, keine und vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur wenig Beachtung geschenkt worden. 1 Ganz überwiegend setzt sich die Literatur nur mit den Möglichkeiten einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts auseinander. Die zahlreichen skeptischen Äußerungen gegenüber dem Wesentlichkeitsansatz, die im Grunde für jede materiell-rechtliche Umgrenzung des Parlamentsvorbehalts gelten müssen, erschöpfen sich meist in einer kritischen Distanzierung, ohne jedoch andere gangbare Wege aufzuzeigen. I m folgenden sollen deshalb denkbare Alternativen zu einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts vorgestellt und diskutiert werden. Sie werden zum Teil im verfassungs- und vorbehaltsrechtlichen, zum Teil im politik- und verwaltungswissenschaftlichen Schrifttum, insbesondere unter dem Stich wort der „Parlamentsreform", vorgetragen. 2 Stellt man alle diskussionswürdigen Vorschläge zusammen, so kommt man auf sieben verschiedene, sich teils ergänzende, teils aber auch ausschließende Varianten, die die Problematik des Parlamentsvorbehalts auf anderem als auf materiell-rechtlichem Wege zu lösen versuchen.

1. Die politisch-dezisionistische Variante (Legislativermessen) Die Vertreter dieser Variante sind der Auffassung, die Entscheidung, was im Parlamentsgesetz selbst zu regeln sei und was nicht, solle und dürfe vom 1 Angesichts der Fülle an Vorbehaltsliteratur und der unverkennbaren Probleme, die Reichweite des Parlamentsvorbehalts materiell-rechtlich zu bestimmen, muß die Vernachlässigung dieser Frage verwundern. Bei den im folgenden diskutierten Möglichkeiten handelt es sich um vereinzelte Vorschläge, die zudem nicht sämtlich in den Kontext der Vorbehaltsdiskussion gestellt wurden. Eine umfassende Systematisierung der einzelnen Diskussionsbeiträge ist - soweit ersichtlich - bisher nicht versucht worden (Ansätze dazu allerdings bei G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, 121 ff.). 2 Nachzulesen lohnt insbesondere die lebhafte Diskussion (Entlastung des Parlaments durch Reform des Art. 80 GG?), die in ZParl 4 (1973), 435 ff., dokumentiert ist.

1. Die politisch-dezisionistische Variante (Legislativermessen)

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Parlament selbst im Rahmen seines politischen Legislativermessens getroffen werden. 3 Die Begründungen hierfür fallen allerdings unterschiedlich aus. Teilweise wird davon ausgegangen, daß es ohnehin unmöglich sei, materielle Kriterien zu entwickeln, nach denen grundlegende Fragen von weniger wichtigen Materien unterschieden werden können. Daher müsse das Parlament auch in dieser Hinsicht seiner demokratisch-politischen Leitungs- und Lenkungspflicht genügen und eine Entscheidung darüber treffen. 4 Andere sind der Auffassung, die Entscheidung, was wichtig und was weniger wichtig ist, sei selbst eine wichtige Angelegenheit und müsse daher in die Kompetenz des Parlaments fallen. 5 Auch die Rechtsprechung des BVerwG läuft letztlich darauf hinaus, die Delegationsentscheidung in das legislative Ermessen des Gesetzgebers zu stellen, wenn für die „wesentlichen" Entscheidungen lediglich eine normative, nicht aber eine parlamentsgesetzliche Regelung verlangt wird. 6 Scheuner hat die Auffassung vertreten, man solle durch Streichung der Schrankentrias in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G dem Parlament ein unbegrenztes Delegationsrecht einräumen; es sei dann Sache des Parlaments aufzupassen, daß die Delegation nicht zu weit wird. 7 Nach dieser Variante kann der Gesetzgeber selbst nach pragmatisch-politischen Gesichtspunkten darüber entscheiden, was er für gesetzesbedürftig hält. Die „Wichtigkeit", an der er sich nach Auffassung einiger Vertreter dieser Variante zu orientieren hat, ist dabei kein verfassungsrechtlicher, sondern ein verfassungspolitischer Begriff.

3 Hamann, Autonome Satzungen und Verfassungsrecht, 1958, 34 ff.; Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 1958,100; Oswald, ZfSchwR, 1962,1943; Krüger, NJW 1966,619; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, 241, 263 ff., 270 ff.; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, 170,173; Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 G G , 1971, 91; Fuß, D Ö V 1972, 765 ff. (770); Rödig, Studien zur Theorie der Gesetzgebung, 1976, 5 ff. (43); Hömig, DVBl. 1976, 858 ff. (859); Listi, DVBl. 1978,10 ff. (12); Rengeling, NJW 1978, 2217 ff. (2221, 2223); Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (340, 350); Kamber, Die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, 1980, 66; H. Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdn. 26; vgl. auch Burckhardt, Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung vom 29.5.1874, 1931, 666, sowie Beutler, D Ö V 1975, 85 ff., für das britische Recht; aus der Souveränität des Parlaments wird gefolgert, daß dieses prinzipiell rechtlich frei ist, über Formen seiner Entlastung durch Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen zu entscheiden. - Der Begriff „Legislativermessen" wird hier bewußt in Abgrenzung zu der Bezeichnung „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers" gewählt (vgl. dazu Gubelt, Rdn. 19 zu Art. 3, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981). Mit „Gestaltungsfreiheit" wird in erster Linie die materiell-rechtliche Seite angesprochen, nicht aber die - kompetenzrechtliche - Wahl der jeweils in Frage kommenden Regelungsform. Um einer Verwischung materiell-rechtlicher und kompetenzrechtlicher Fragen (wie unter der Bismarck'schen Reichsverfassung von 1871, vgl. oben Kap. I I 2.3) vorzubeugen, sollte zwischen kompetenzrechtlichem Legislativermessen und materiell-rechtlicher Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unterschieden werden. 4

So Fuß, D Ö V 1972, 765 ff. (770); ähnlich Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (690). Kamber (Fn. 3), 1980,66, referiert die in der Schweiz herrschende Auffassung des Bundesgerichts und der Literatur dahin, daß dem Parlament ein breiter Gestaltungsspielraum zukomme bei der Wertung, ob eine Regelung wesentlich oder unwesentlich sei (S. 71). Die Frage nach der Begrenzung der Delegationsbefugnis müsse von Fall zu Fall für jede in Betracht kommende Materie von der Legislative nach pflichtgemäßem Ermessen beantwortet werden (S. 66). 6 Vgl. oben Kap. I V 4.1.1 (2). 7 Scheuner, ZParl 4 (1973), 435 ff. (442). 5

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

2. Die justitiell-kasuistische Variante Einige Kritiker der sogenannten Wesentlichkeitstheorie sind ähnlich wie Vertreter der ersten Variante skeptisch, ob sich die Reichweite des Parlamentsvorbehalts durch allgemeine materielle Kriterien deutlicher konkretisieren lasse als durch „jene vage Formel von der Pflicht des Gesetzgebers zur Regelung des ,Wesentlichen'". 8 Ob es jemals gelingen werde, dem Gesetzesvorbehalt durch allgemeine Kriterien eine festere Gestalt zu verleihen, sei mehr als zweifelhaft. 9 Aus dieser pessimistischen Einschätzung wird gefolgert, daß sich die Reichweite des Gesetzesvorbehalts überhaupt nur auf kasuellem Wege ermitteln lasse.10 Das in sich unscharfe Wesentlichkeitskriterium sei auf Konkretisierung durch Fallrecht angewiesen.11 Es bleibe Aufgabe praktischer Rechtsfortbildung, den Wesentlichkeitsmaßstab fallgruppenweise auf die Regelungsbereiche des Schulwesens und die je anstehenden Ordnungsaufgaben anzuwenden. 12 Nur über eine sachgegenständliche Konkretisierung könne man zu einer weitergehenden Einigkeit und Rationalisierung der Diskussion gelangen. 13 Die Rechtsprechung, bei der ermutigende Ansätze zu sehen seien, müsse nach und nach ein kasuistisches System aufbauen, so daß sich schließlich über die Entscheidung zahlreicher Einzelfälle ein geläuterter, verfeinerter und letztlich „wasserdichterer" Begriff dessen herauskristallisieren werden, was „parlamentswesentlich" ist. 1 4 Eine umfassende Antwort auf die Frage nach der Reichweite des Parlamentsvorbehalts werde sich erst allmählich aus der Summe allgemein anerkannter Normierungsforderungen ergeben können. 15 Die Vertreter der kasuistisch-justitiellen Variante setzen somit - analog zum case-law im anglo-amerikanischen Rechtskreis - auf eine mosaikartige Komplettierung der bereits vorhandenen Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen.16

8 Wagner, RdJB 1976, 257 (259); ähnlich Fleiner-Gerster, Gesetz und Gesetzgebung in der direkten Demokratie, 1981, 61 ff. (67); skeptisch auch Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (550). 9 Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1983, § 6 Rdn. 11. 10 Wagner, RdJB 1976,257 (259); Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (550); Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, 385; ähnlich Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, 1984, 111 ff. (124, 127) mit Hinweis auf die case-law-Kette angelsächsischer Prägung. 11 In diesem Sinne äußern sich: Wagner, RdJB 1976, 257 ff. (259); Evers, JuS 1977, 804 ff. (808); Kisker,NJW 1977,1313ff. (1318); Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (715); Maurer (Fn. 9), 1983, §6 Rdn. 11; Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (692). 12 Evers, JuS 1977, 804 ff. (808). 13 Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (550). 14 Wimmer, JZ 1976, 457 ff. (461); ähnlich Evers, JuS 1977, 804 ff. (808), der von einer „fallgruppenweisen" Anwendung auf die Regelungsbereiche des Schulwesens spricht. Pietzcker, JuS 1979,710 ff. (715), ist der Auffassung, das in sich unscharfe Wesentlichkeitskriterium sei auf Konkretisierung durch Fallrecht angewiesen. 15 Wagner, RdJB 1976, 257 ff. (259); ähnlich Fleiner-Gerster (Fn. 8), 1981, 61 ff. (67), nach dessen Auffassung jeder Fall gesondert behandelt und entschieden werden und die damit verbundene Rechtsunsicherheit im Bereich der Rechtsetzung in Kauf genommen werden muß. 16 Clemens, N V w Z 1984, 65, spricht explizit von einem „Rechtsprechungsmosaik".

4. Die organisatorisch-dezisionistische Variante

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3. Die verfassungsändernde Variante Statt ein bestimmtes Staatsorgan - sei es das Parlament, sei es die Justiz entscheiden zu lassen, was unter den Parlamentsvorbehalt fällt, könnte man auf der obersten Rechtsetzungsstufe, nämlich in der Verfassung selbst allgemein festlegen, was durch den Gesetzgeber geregelt werden muß. Die Abgrenzung der Regelungsbereiche von Gesetz und Verordnung ließe sich theoretisch auch in der Verfassung vornehmen, indem die zu regelnden Materien abschließend auf die beiden Rechtsetzungsformen verteilt werden. 17 Wimmer vertritt die Auffassung, nicht Richterrecht, sondern der Verfassungsgeber solle selbst bestimmen, was der Regelungspflicht und -befugnis durch die Gesetzgeber unterliegt. 18 Auch wenn es bisher weder dem Grundgesetz noch den Länderverfassungen, weder der Wissenschaft noch der Rechtsprechung gelungen sei, den Vorbehalt des Gesetzes gegenüber der Exekutive so zu konkretisieren, daß man ihn in die Verfassungen hineinschreiben könnte, müsse das Ziel gleichwohl darin bestehen, einen Begriff dessen zu entwickeln, was „parlamentswesentlich" ist, und diesen Begriff in die Verfassungen hineinzuschreiben. 19 4. Die organisatorisch-dezisionistische Variante Die Vertreter einer organisatorisch-dezisionistischen Lösung schlagen vor, durch besondere verfahrensrechtliche und organisatorische Vorkehrungen eine Entscheidung über die Wichtigkeit herbeiführen zu lassen. Diese Entscheidung soll nicht das Parlamentsplenum, sondern eine besondere Instanz oder ein besonderes Organ autoritativ und mit verbindlicher Wirkung treffen. Der Versuch einer materiell-rechtlichen Konkretisierung des parlamentarischen Vorbehaltsbereichs wird dabei zum Teil gänzlich aufgegeben, während andere das Organ zwar über die Wesentlichkeit beziehungsweise Wichtigkeit entscheiden lassen wollen - mithin über ein materielles Kriterium - , ihm dabei jedoch ein politisches Ermessen einräumen. Ein solches „dezisionistisches" Ermitteln der Wesentlichkeit wird jedoch nur dann für sinnvoll gehalten, wenn das Organ, das die Entscheidung über die Wichtigkeit trifft, dazu besonders legitimiert ist. A n die Stelle der rationalen Begründung einer Entscheidung trete dann die politische Legitimation des entscheidenden Organs. Ausschlaggebend sei, daß an die Entscheidung des Gremiums eine relativ hohe Akzeptanzerwartung geknüpft werden könne. 20 Über die Frage, wer als ein solches Entscheidungsorgan in Frage kommt, gehen die Vorstellungen auseinander. So haben Ellwein/Görlitz im Rahmen 17

Vgl. G. Müller (Fn. 1), 1979, 109 mit Fn. 8; Klein, D Ö V 1975, 523 ff. (525). Mit dieser Forderung wird gleichsam ein „Verfassungsvorbehalt" postuliert. Mit der Frage, ob es auch Gegenstände gibt, die allein dem Verfassungsgesetzgeber vorbehalten sind, wurde die Diskussion um eine vierte Ebene bereichert (zu den bisher diskutierten drei Ebenen vgl. oben Kap. 13.2.2). Möglicherweise bestehen auch für den Verfassungsgesetzgeber Delegationsverbote. Vgl. dazu Hennecke, Schule zwischen Recht und Politik, 1985, 17. 19 Wimmer, JZ 1976, 457 ff. (461); vgl. dazu G. Müller (Fn. 1), 1979, 125 ff. 20 Vgl. G. Müller (Fn. 1), 1979, 122. 18

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

ihrer Erörterungen zu einer Parlamentsreform vorgeschlagen, einen vorbereitenden Gesetzgebungsausschuß und einen Hauptausschuß einzurichten, in denen nach einem näher beschriebenen Verfahren Wichtiges und Unwichtiges voneinander getrennt werden sollen. Da es keine gültige Formel dafür gebe, was wichtig ist und was nicht, müsse ein Verfahren gefunden werden, welches zu einer verbindlichen Entscheidung darüber führt. 2 1 Demgegenüber schlägt Fleiner, allerdings bezogen auf das Schweizer Verfassungsrecht, vor, von einer unabhängigen richterlichen Instanz die Frage beurteilen zu lassen, ob eine Entscheidung wichtig sei. 22 Georg Müller erörtert ausführlich verschiedene Möglichkeiten der Bestimmung der Wichtigkeit einer Regelung durch besondere Verfahren und denkt dabei an die Schaffung eines „neutralen" Gremiums, an eine Art „Verfassungskommission" oder „Verfassungsrat" in Anlehnung an den französischen „Conseil Constitutionel" sowie - ähnlich wie Ellwein/Görlitz - an eine Spezialkommission des Parlaments in Form eines Parlamentsausschusses. 23 Für ein Spezialgebiet schließlich, nämlich für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, hat Ossenbühl die Einschaltung unabhängiger Sachverständigengremien in den administrativen Entscheidungsprozeß vorgeschlagen. 24 I m Grenzbereich von Recht und Technik frage sich, ob der Gesetzgeber oder auch die Gerichte funktionell die richtige Entscheidungsinstanz seien; möglicherweise müsse das Gewaltenteilungssystem um neue Organe und neue Entscheidungsformen bereichert werden, damit es die sich stellenden technischen Regelungsprobleme in verfassungsgerechter Weise bewältigen könne. Ähnliche, weiter zurückliegende Vorschläge zur Schaffung besonders ermächtigter Ausschüsse sind bisher nicht weiter verfolgt worden. 25

5. Die verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante (Oppositions- und Minderheitenrechte) I m Hinblick auf das „rechtsdogmatische Vakuum", das durch die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG aufgerissen worden sei, hat Kisker flankierende organisationsrechtliche Maßnahmen gefordert. Unter anderem schlägt er vor, zur Vermeidung der Unsicherheit über die vom Parlamentsvorbehalt vorgenommene Kompetenzabschichtung die lege ferenda parlamentarischen Minderheiten die Befugnis einzuräumen, eine zur Regelung durch Rechtsverordnung anstehende Materie durch ihr Votum zu einer wichtigen, das heißt durch den parlamentarischen Gesetzgeber zu entscheidenden zu erklären und so unter den Gesetzesvorbehalt zu ziehen. 26 Dazu soll der 21

Ellwein/Görlitz, Parlament und Verwaltung, 1967, 259. Fleiner, Kantonale Verfassungsprobleme, 1970, 10. 23 G. Müller (Fn. 1), 1979, 121 ff. 24 Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 ff. (551); Ders., DVBl. 1978, 1 ff. (9); von Arnim, D Ö V 1982, 917 ff. (923). 25 Vgl. zum Beispiel Krüger, NJW 1966, 617 ff. (619). 26 Kisker, NJW 1977,1313 ff. (1319 f.); Ders., DVBl. 1982,886 ff. (888); ähnlich schon Ders., Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 82, wo er zu überlegen gibt, ob es den „gesellschaftlich 22

5. Die verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante

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jeweiligen Opposition oder Abgeordnetengruppen von Fraktionsstärke das Recht eingeräumt werden, eine Materie (zum Beispiel „Versetzung in der Schule") unter den Parlamentsvorbehalt zu ziehen und dadurch die Regelung dieser Materie durch die Verwaltung (Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift) zu sperren. A u f diese Weise ließe sich nach Auffassung von Kisker erreichen, was die Vorbehaltslehre letztlich will, daß nämlich Parlament und Öffentlichkeit in Angelegenheiten, die als kontrovers und erörterungsbedürftig gelten, nicht umgangen werden können. Die Opposition, aber auch Gruppierungen innerhalb der Fraktionen könnten so die Offenlegung der anstehenden Streitfragen erzwingen. Die umkämpfte Materie müßte nach der Ausübung eines solchen Minderheitsrechtes wie jede andere unter Gesetzesvorbehalt stehende Materie behandelt werden. Um der parlamentarischen Minderheit das Aufspüren der diskussionsbedürftigen Regelungsvorhaben zu erleichtern, schlägt Kisker eine Publikationspflicht für die anstehenden Verordnungsentwürfe vor. Ein solches Verfahren hätte nach Ansicht Kiskers zum Beispiel in Hessen die Konsequenz gehabt, daß die umstrittenen Rahmenrichtlinien für den Deutsch- und Sozialkundeunterricht von der parlamentarischen Opposition unter den Gesetzesvorbehalt gezogen worden wären, anders als etwa die nicht kontroversen Rahmenrichtlinien für den Latein- und den Chemieunterricht. Nach Auffassung Kiskers würde eine solche verfahrensrechtliche Vorkehrung sogar einen weitgehenden Verzicht auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G rechtfertigen. 27 Georg Müller stellt den gleichen Vorschlag zur Diskussion und gibt alternativ zu überlegen, ob statt eines Vetorechts einer parlamentarischen Minderheit umgekehrt eine qualifizierte Mehrheit gefordert werden sollte, um einer Regelung eine bestimmte Wichtigkeit zuzusprechen. 28 Durch diese Sperre würde das Parlament nur dann im Gesetzgebungsverfahren mit einer Materie befaßt werden, wenn eine qualifizierte Mehrheit im Parlament dies ausdrücklich wünscht. 29 Ein vermittelnder Vorschlag, der diese beiden Varianten kombiniert, wurde bereits 1973 auf einer Veranstaltung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen im Zuge der Diskussion um die Parlamentsreform unterbreitet. 30 Im Anschluß an einen Gedanken von Scheuner 31 wurde diskutiert, ob man eine parlamentarische Minderheit (mit anderen Worten: die Opposition) mit dem Recht ausstatten solle, die Erörterung beziehungsweise Aufhebung einer relevanten Gruppen" nicht möglich gemacht werden sollte, durch ihren Antrag die Diskussion im Parlament zu erzwingen. Weiter heißt es dort: „Mit Hilfe solcher politisch-organisatorischer Verfahren würde erreicht, was durch den Gesetzesvorbehalt erreicht werden soll; daß nämlich Streitfragen nicht unter den Tisch gefegt werden können; daß nicht ohne jede öffentliche Diskussion per Erlaß die unwahrscheinlichsten Dinge plötzlich geregelt sind." - Dem hat sich Novak angeschlossen ( V V D S t R L 40, 1982, 40 ff. (51 f., 62, dort 6. Leitsatz)). Vgl. auch Dyckmans, Rechtsetzung zwischen Parlament und Regierung, 1979, 314 ff. 27 28 29 30 31

Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1320). G. Müller (Fn. 1), 1979, 124 f. G. Müller (Fn. 1), 1979, 125. ZParl 4 (1973), 435 ff. (Diskussion eines Referats von Kewenig). Diskussionsbeitrag, a.a.O., 442.

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

Rechtsverordnung zu beantragen. Die Diskussion ergab entsprechend einem Vorschlag von Schäfer 32 eine deutliche Tendenz dahingehend, den Erörterungsanspruch (Antrag auf Beratungs- und Beschlußfassung) als Minderheitenrecht, das Aufhebungsrecht aber als Mehrheitsrecht zu konzipieren. 33 A u f diese Weise werde dafür gesorgt, daß die Erörterung der Gesetzesbedürftigkeit der jeweiligen Rechtsverordnung auf die Tagesordnung gesetzt werde und die Regierung Rede und Antwort stehen müsse.34 In dieselbe Richtung zielt der Vorschlag von Eiselt, gekoppelt mit einem Vetovorbehalt einer Minderheit in Höhe der Verfassungsänderungssperre 35 das Recht einzuräumen, eine parlamentarische Beratung zu fordern; für das Beratungsergebnis fordert er eine qualifizierte Mehrheit. 3 6 Einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet Wimmer, der Vorkehrungen in der Geschäftsordnung vorschlägt, um das Kassationsverfahren durch ein Minderheitenveto auf die Tagesordnung zu bringen. 37 Rietdorf schlägt im Zwischenbericht der EnquêteKommission für Verfassungsreform für den Fall einer Ausschußgesetzgebung ebenfalls vor, einer Minderheit die Möglichkeit zu geben, das Plenum anzurufen, um eine Debatte über die ihres Erachtens strittigen gravierenden Punkte herbeizuführen. 38 Hans-Peter Schneider schlägt ebenfalls eine Stärkung der Oppositionsrechte vor, um die Kontrolldefizite des Parlaments zu beseitigen. 39 Auch er hält einen Ausbau von Minderheitsrechten unter dem Gesichtspunkt der Funktions- und Entscheidungsfähigkeit der Parlamente für notwendig, ohne allerdings detaillierte Vorschläge im Hinblick auf die Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts zu unterbreiten.

6. Die partizipatorische Variante Dietze empfiehlt, das Abgrenzungsproblem durch Mitbestimmungs- und Initiativrechte der am Schulverhältnis Beteiligten zu lösen, um der Gefahr zu entgehen, daß man sich in eine „Wesentlichkeitsargumentation festbeißt". 40 Zum Zwecke des Grundrechtsschutzes und der Vorhersehbarkeit staatlicher Maßnahmen sei es unter Umständen ausreichend, daß der Gesetzgeber insbesondere auf der Grundlage von (die Regierung bindenden) Bildungsplanungsbeschlüssen oder mit Bildungsplanungsgesetzen wesentliche Aufgaben nur 32

Diskussionsbeitrag, a.a.O., 443. Zustimmend Scheuner, a.a.O., 445; Kewenig, a.a.O., 446. 34 Vgl. Schäfer, a.a.O., 446 f. 35 Gemeint ist wohl: ein Drittel. 36 Eiselt, D Ö V 1978,866 ff. (871); ähnlich Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (257), der Vorkehrungen in der Geschäftsordnung vorschlägt, um das Kassationsverfahren durch ein Minderheitenveto auf die Tagesordnung zu bringen. 37 Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (257). 38 BT-Drucks. VI/3829,81. 39 H.-P. Schneider, AöR 105 (1980), 4 ff. (18, 32 ff.). 40 Dietze, DVBl. 1976, 593 ff. (602). 33

7. Die kompensatorisch-kooperative Variante

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benennt, wobei sicherzustellen wäre, daß die Einflußnahme der Betroffenen im Verfahren gesichert ist. Dietze ist der Ansicht, Entscheidungen von rechtlicher Bedeutung bräuchten nicht nur auf parlamentarischer oder auf Regierungsebene gefällt zu werden, sondern könnten unter gewissen Voraussetzungen (zum Beispiel in den Fällen, wo dies im Interesse der Grundrechtsverwirklichung geboten erscheint) auch selbst von den Schulen im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums mit Satzungsqualität getroffen werden. Wenn die Gestaltungshoheit in wesentlichen Fragen bei der Schulaufsicht verbliebe, müßte für die Betroffenen die Möglichkeit bestehen, auf deren Tätigwerden bei Planung und Entscheidung Einfluß zu nehmen, um bei erheblichen Dissensen einen Letztentscheid des Parlaments herbeizuführen. 41

7. Die kompensatorisch-kooperative Variante Die in der Literatur am ausführlichsten diskutierten Möglichkeiten organisatorisch-verfahrensrechtlicher Vorkehrungen zielen auf die Einführung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte. Die Befürworter dieser Variante gehen davon aus, daß es schwierig, wenn nicht sogar im Einzelfall unmöglich sein könne, die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebote (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie die vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse präzise zu umschreiben und durch parlamentsgesetzliche Regelungen zu erfüllen. 42 Dies gelte insbesondere für bestimmte Bereiche des Schulrechts wie zum Beispiel für Lehrpläne und Curricula; hinreichend bestimmte gesetzliche Leitentscheidungen und Ermächtigungen werden in diesem Sachgebiet für besonders schwierig gehalten. 43 Die dadurch entstehenden Bestimmtheitsdefizite bei gesetzlichen Verordnungsermächtigungen sollen durch eine nachträgliche Parlamentsbeteiligung beim Zustandekommen der Rechtsverordnung kompensiert werden können. 4 4 M i t Rücksicht auf eine solche Mitwirkung des Parlaments dürfen - so die Vertreter dieser Variante - die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen reduziert werden. 45 41 Dietze, DVBl. 1976,593 ff. (603); die Äußerung von Kisker, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 82, könnte in ähnlicher Richtung interpretiert werden (so zum Beispiel Evers, JuS 1977, 804 ff. (807)). 42 Vgl. Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (255 ff.). 43 Vgl. Eiselt, D Ö V 1978, 866 ff. (871); Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (255); Ossenbühl, D Ö V 1982,833 ff. (841); vgl. dazu auch Heussner, Vorbehalt des Gesetzes und „Wesentlichkeitstheorie", 1983, 111 ff. (123). 44 Bryde, D Ö V 1982,661 ff. (670); Ders., Rdn. 17 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983; vgl. auch BVerwGE 57,130 zu Art. 47 Abs. 2 S. 2 der Berliner Verfassung. 45 So Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1319 f.); Ders., Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1980, 9 ff. (39 ff.); Scholz/ Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980,73 ff. (121 ff.); Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (255 ff.); Bryde, D Ö V 1982,661 ff. (670), der seine andere Auffassung (vertreten in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,1. Aufl., 1978, Art. 80 Rdn. 17) ausdrücklich aufgibt (a.a.O., Fn. 148); vgl. jetzt die geänderte Auffassung in der 2. Aufl. von 1983 (a.a.O.); Brohm, V V D S t R L 30 (1972), 245 ff. (269); ähnlich, aber sehr allgemein Novak, V V D S t R L 40 (1982), 40 ff. (52); ablehnend BVerfGE 8,278 (323); 47,46 (82); Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene" Normen, 1971,150 ff.; Wilke, in: von Mangoldt/Klein, Art. 80 Anm. V 8 b; Evers, Die Befugnisse des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979, 142;

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

I m einzelnen werden verschiedene Formen der Parlamentsbeteiligung in Betracht gezogen. 7.1 Vorlagepflicht Die schwächste Form der Kooperation bestünde in einer schlichten Vorlagepflicht, um dem Parlament die jederzeitige Kenntnisnahme zu ermöglichen. 46 Eine solche Informationspflicht gegenüber dem Parlament könnte sich auf die bereits verabschiedeten Rechtsverordnungen oder - in einem näher zu bestimmenden Stadium - auf die Verordnungsentwürfe beziehen. Die praktischen Voraussetzungen einer Kassationsmöglichkeit über den Vorrang des Gesetzes könnten auf diese Weise verbessert werden.

7.2 Anhörung und Stellungnahme (Konsultationspflicht) Eine etwas verstärkte Form der Parlamentsbeteiligung könnte in einer Anhörung des Parlaments (Plenum oder Ausschuß) vor Erlaß einer Rechtsverordnung bestehen, so daß sich eine institutionalisierte Konsultationspflicht ergäbe. 47 Ergänzt durch ein Recht zur Stellungnahme entstünde eine Rückkoppelung des Verordnungsgebers an das Parlament.

7.3 Vetovorbehalt Einen Schritt weiter ginge ein sogenannter Vetovorbehalt. Die beabsichtigte Rechtsverordnung ist dem Parlament zur Kenntnisnahme vorzulegen; dem Parlament stünde dann innerhalb einer bestimmten Frist das Recht zu, den Erlaß der Rechtsverordnung abzulehnen oder eine Abänderung zu verlangen. 48 Über den Veto- beziehungsweise Einspruchsvorbehalt wird, wenn das Parlament nicht innerhalb der festgelegten Frist von seinem Vetorecht Gebrauch macht, die Zustimmung des Parlaments fingiert. 49

Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzes vorbehält, 1981, 47 ff., 52 f. - Diejenigen, die aus sonstigen Gründen eine Parlamentsbeteiligung am Zustandekommen von Rechtsverordnungen oder Erlassen befürworten (zum Beispiel Heckel-Seipp, Schulrechtskunde, 1976, 163), können nicht als Vertreter des Kompensationsgedankens angesehen werden (so aber wohl Bryde, D Ö V 1982, 670 mit Fn. 148), denn die Befürwortung einer Parlamentsbeteiligung beim Erlaß von Rechtsverordnungen bedingt nicht notwendig die Auffassung, dadurch könnten verfassungsrechtliche Bestimmtheitsdefizite kompensiert werden. 46 Vgl. Scholz/Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, 1980, 122. 47 Vgl. Kisker (Fn. 45), 1980, 23. 48 Vgl. Kisker, NJW 1977,1313 ff. (1319); Ders. (Fn. 45), 1980,22; Eiselt, D Ö V 1978,866 ff. (871). Vgl. auch Beschlüsse des 55. D J T 1984, Abteilung Verwaltungsrecht unter I I . 7; der Vorschlag, für Subventionsverordnungen ein befristetes Widerspruchsrecht des zuständigen Gesetzgebers einzuführen, wurde mit 36:34:13 abgelehnt, vgl. NJW 1984, 2683. 49 Kisker (Fn. 45), 1980,22, mit Hinweis auf §51 Abs. 2 Satz 3 EStG: „Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn... der Bundestag nicht binnen vier Wochen nach Eingang der Vorlage der Bundesregierung die Zustimmung verweigert hat."

7. Die kompensatorisch-kooperative Variante

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7.4 Zustimmungsvorbehalt Bei Einführung eines Zustimmungsvorbehalts bedarf die Rechtsverordnung der ausdrücklichen Zustimmung des Parlaments. 50 Diese soll durch einfachen Parlamentsbeschluß erteilt werden. 51 Umstritten ist, ob allein das Parlamentsplenum ein solches Zustimmungsrecht ausüben dürfte, 52 oder ob die Zustimmung auch einem Parlamentsausschuß 53 oder einem korporatistisch verfaßten Gremium 5 4 vorbehalten werden könnte

7.5 Rückhol- und Kassationsvorbehalt Schließlich wird ein Rückhol- oder Kassationsvorbehalt vorgeschlagen. Dieser sieht die Möglichkeit einer nachträglichen Kassation (Aufhebung) der Rechtsverordnung vor. 5 5 Einigkeit besteht darin, daß ein Rückholvorbehalt nur zugunsten des Parlamentsplenums vorgesehen, nicht aber durch Parlamentsausschüsse ausgeübt werden könnte. 56 I m Unterschied zum Veto- und Zustimmungsvorbehalt wirkt das Parlament an der Normsetzung nicht unmittelbar mit. Die Aufhebung soll durch einfachen Parlamentsbeschluß erfolgen, 57 oder das Parlament soll mit bindender Wirkung vom Verordnungsgeber die unverzügliche Aufhebung verlangen dürfen. 58 Ahnlich wie beim Veto50 Kisker, NJW 1977,1313 ff. (1319); Ossenbühl, D Ö V 1982,833 ff. (841); Eiselt, D Ö V 1978, 866 ff. (871); Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (256); Bryde, D Ö V 1982, 661 ff. (670); Dyckmans (Fn. 26), 1979, 326 ff. 51 Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1319); Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (841). 52 So BVerfGE 4,193 (203); ebenso Kisker (Fn. 45), 1980,26 ff.; Bettermann, Legislative ohne Posttarifhoheit, 1967, 5. 53 Kisker (Fn. 45), 1980, 24, 33 ff., hält Zustimmungs-, Veto- und Kassationsvorbehalt zugunsten von Parlamentsausschüssen bei „wesentlichen" Fragen aus allgemeinen parlamentsrechtlichen Gründen für verfassungswidrig. Ablehnend auch Wilke, in: von Mangoldt/Klein, Bd. I I I , 1974, Anm. V 9, Fn. 152 zu Art. 80; Grupp, DVBl. 1974, 177 ff. (181); bejahend: Süsterhenn/Schäfer, Kommentar zur Verfassung von Rheinland-Pfalz, 1950, Ziff. 2 zu Art. 110; F. Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, 1952, 7 ff. (103 f.); Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1978, Art. 80 Rdn. 60; Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1977, 177 ff.; Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (256); Loose, Möglichkeiten der Entlastung des deutschen Bundestages bei der Gesetzgebung, 1977, 97, 101; Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 121 ff., 141; Bryde, Rdn. 17 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983; Stern, Staatsrecht, Bd. I I , 1980, 664 f. 54 Kisker (Fn. 45), 1980,24 ff., 38 f., lehnt einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten korporatistisch verfaßter Gremien ab. 55 Eiselt, D Ö V 1978, 866 ff. (871); Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1319); Schlußbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/5924, 92; Dyckmans (Fn. 26), 1979,287 ff.; Bryde, D Ö V 1982,661 ff. (670); Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980,84,129; H. Schneider, Gesetzgebung, 1982,139; Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (257), spricht zwar auch von einem „befristeten Kassationsrecht des Landtags", meint damit aber keine nachträgliche Aufhebung, sondern die Möglichkeit einer Diskussion des Verordnungsentwurfs v o r Inkrafttreten, was auf das oben dargestellte Vetorecht hinausläuft. 56 Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 129 f.; Kisker (Fn. 45), 1980, 63. 57 Kisker (Fn. 45), 1980,23; ebenso sieht Art. 47 Abs. 1 der Verfassung von Berlin vor, daß die dem Abgeordnetenhaus vorzulegenden Rechtsverordnungen durch Beschluß des Abgeordnetenhauses abgeändert oder aufgehoben werden können (str.). 58 Kisker (Fn. 45), 1980, 23; vgl. dazu auch die Regelung in Art. 109 Abs. 4 Satz 4 G G ; siehe auch Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechts Verordnungen, 1977.

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

vorbehält ist für das Wirksamwerden der Rechtsverordnung keine aktive Mitwirkung des Parlaments erforderlich, wohingegen beim Zustimmungsvorbehalt eine positive Mitwirkung notwendig ist.

8. Stellungnahme Der Versuch, nach Alternativen oder ergänzenden Wegen zu suchen, wenn eine materiell-rechtliche Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts notwendig auf methodische Grenzen stößt, erscheint unabhängig vom Ergebnis auch dann lohnenswert, wenn man grundsätzlich einem materiellrechtlichen Vorgehen den Vorzug gibt. Ist man der Auffassung, daß eine Abgrenzung des legislativen und exekutiven Rechtsetzungsbereichs erforderlich ist, dann kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß dies auf organisatorisch-verfahrensrechtlichem Weg eher gelingen könnte als durch den Versuch materiell-rechtlicher Konkretisierungen. Ob ein solches Unterfangen letztlich erfolgversprechend ist, hängt sowohl von rechtlichen als auch von praktischen Erwägungen ab. Es ist daher zu prüfen, welche Vorzüge und Nachteile die einzelnen Vorschläge bieten und inwieweit sie geeignet erscheinen, zur Lösung der Vorbehalts- und Delegationsproblematik zumindest ergänzende Möglichkeiten aufzuzeigen. Eine Kombination materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Lösungsversuche ist dabei ebenfalls in Betracht zu ziehen. 59 Möglicherweise läßt sich auf diesem Wege die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts „operationalisieren". 60

8.1 Politisch-pragmatische Variante Die politisch-pragmatische Variante ist insofern die radikalste und weitestgehende, als sie die Frage, was das Parlament im Gesetz selbst mit hinreichender Bestimmtheit entscheiden soll, nicht als verfassungsrechtliches Problem begreift, sondern das legislative Delegationsermessen auch im Bereich des Parlamentsvorbehalts uneingeschränkt zur Anwendung kommen läßt. Während sowohl nach herrschender Meinung als auch auf der Basis des funktionell-strukturellen Ansatzes das Legislativermessen im Bereich des Parlamentsvorbehalts - nach der hier vertretenen Auffassung unter Umständen auch in entgegengesetzter Richtung im Sinne eines Delegationsgebots 61 eingeschränkt und im Extremfall auf Null reduziert ist, müssen die Vertreter der politisch-pragmatischen Variante konsequenterweise jede Beschränkung des gesetzgeberischen Delegationsermessens ablehnen. Was im Parlamentsgesetz geregelt werden soll, ist dann allein eine Frage politischer Opportunität und Praktikabilität. Der Vorteil eines solchen Lösungsvorschlags liegt auf der 59 Vgl. Kisker, NJW 1977,1313 ff. (1319), der von „flankierenden" organisationsrechtlichen Maßnahmen spricht. 60 So Rödig (Fn. 3), 1976, 5 ff. (43). 61 Vgl. oben Kap. V I I 4.

8.1 Politisch-pragmatische Variante

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Hand: Die Delegationsproblematik wäre durch eine eindeutige Kompetenzzuweisung an den parlamentarischen Gesetzgeber gelöst und ein non liquet vermieden. Andererseits bestünde eine notwendige Folge darin, daß dem parlamentarischen Gesetzgeber eine Kompetenz-Kompetenz zukäme, über seinen Zugriffs- und Regelungsbereich selbst, und das heißt: ohne kompetentiell-verfassungsrechtliche Bindungen zu entscheiden. Wäre es zutreffend, daß die Entscheidung, was wesentlich und was weniger wesentlich ist, in die Kompetenz des Parlaments fallen muß, weil es selbst eine wesentliche Frage ist, 6 2 dann hätte das Parlament die letztverbindliche Entscheidung über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts zu treffen. Damit wird zugleich eine weitere Dimension der Problematik deutlich: Die Delegationsproblematik stellt keineswegs nur ein Kompetenzproblem zwischen Legislative und Exekutive dar, sondern wirft auch im Verhältnis der Legislative zur Judikative, insbesondere zur Verfassungsgerichtsbarkeit die Frage auf, wer letztendlich entscheidet, was in den Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts fällt. 6 3 Nicht nur die Zuweisung von Entscheidungskompetenzen anhand materieller Kriterien stellt eine Kompetenzfrage dar, sondern auch, wer darüber entscheidet, was unter den Parlamentsvorbehalt fällt und was nicht. Damit geht es letztlich um die Frage der Justitiabilität der parlamentarischen Delegationsentscheidung. Die politisch-pragmatische Variante widerspricht einem Grundaxiom der herrschenden Meinung und des funktionell-strukturellen Ansatzes, daß es sich bei der Delegationsproblematik um eine verfassungsrechtlich determinierte Frage handelt, die dann naturgemäß auch justitiabel sein muß. Andererseits hat der Blick auf die historische Entwicklung des Vorbehaltsprinzips deutlich gemacht, daß die ganz herrschende Auffassung bis zum Erlaß des Grundgesetzes die Delegationsbefugnis des Gesetzgebers keinerlei verfassungsrechtlichen Schranken unterwarf, was letztlich nichts anderes bedeutete, als daß die Delegationsentscheidung im verfassungsrechtlich nicht gebundenen legislativen Ermessen des Gesetzgebers stand. 64 Die politisch-pragmatische Variante kann sich somit durchaus auf die historische Entwicklung der parlamentarischen Delegationsbefugnis stützen. Aber auch unter der Geltung des Grundgesetzes ist die Delegationsentscheidung des Gesetzgebers ganz offenbar als eine von Ermessenselementen geprägte Entscheidung konzipiert. Nach herrschender Meinung steht die Entscheidung, auf eine Delegation von Rechtsetzungskompetenzen zu verzichten und eine abschließende Regelung im Gesetz vorzunehmen, im verfas62 63

So Kamber (Fn. 3), 1980, 66.

Die entscheidenden Fragen lauten: Kann das Parlament selbst letztverbindlich entscheiden, was es im Parlamentsgesetz selbst regeln und was es zur Rechtsetzung an die Exekutive delegieren will? Oder ist diese Entscheidung am verfassungsrechtlichen Maßstab des Parlamentsvorbehalt gerichtlich überprüfbar und gegebenenfalls korrigierbar? Wird mit dem Entschluß des Parlaments, eine Angelegenheit parlamentsgesetzlich regeln oder zur Rechtsetzung an die Exekutive delegieren zu wollen, zugleich die Regelungsebene des Parlamentsgesetzes unangreifbar bejaht beziehungsweise verneint? Vgl. dazu schon Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1971,204, Fn. 10. 64 Vgl. dazu oben Kap. II.

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

sungsrechtlich nicht gebundenen Ermessen des Gesetzgebers. Auch nach der hier vertretenen Auffassung steht eine parlamentsgesetzliche Durchnormierung grundsätzlich im Ermessen des Gesetzgebers, 65 das sich jedoch unter Umständen auf Null reduzieren und damit zu einer Delegationspflicht verdichten kann. 6 6 Die Tatsache, daß weder das Grundgesetz noch die Landesverfassungen der Exekutive eine originäre Rechtsetzungskompetenz eingeräumt und statt dessen eine Delegationsentscheidung des Parlaments zwischengeschaltet haben, spricht ebenfalls dafür, daß der Verfassungsgeber dem parlamentarischen Gesetzgeber Spielraum lassen wollte für politische und pragmatische Erwägungen, die durch eine unmittelbare Verfassungsregelung sehr starr hätten festgeschrieben werden müssen. Auch die Rechtsprechung des BVerwG, das in seinen Entscheidungen zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen für „wesentliche" Entscheidungen überwiegend nur einen Rechtssatzvorbehalt vertritt, 6 7 gibt keine verfassungsrechtlichen Abgrenzungskriterien zur Differenzierung der Regelungsformen (Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung) an, 6 8 so daß - abgesehen von den Bestimmtheitserfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G - die Delegationsentscheidung des Parlaments auf der Basis der Rechtsprechung des BVerwG durchaus als eine Frage legislativen Ermessens angesehen werden könnte. Der durch Art. 19 Abs. 4 G G gewährleistete Rechtsschutz vermag die Justitiabilität der gesetzgeberischen Delegationsentscheidung nicht zwingend zu begründen, da nach herrschender Auffassung die Rechtsweggarantie nicht den Rechtsschutz gegenüber Gesetzen umfaßt 6 9 und darüber hinaus kein subjektives Recht auf kompetenzgemäße Rechtsetzung besteht. 70 Entscheidend sind aber zwei andere Gesichtspunkte. Wenn der Parlamentsvorbehalt nicht nur die Regelungsebene, sondern auch die Regelungsdichte festlegen soll, so ist das Bestimmtheitsgebot integraler Bestandteil des Parlamentsvorbehalts. 71 Da dieses in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen für den Spezialfall der gesetzlichen Verordnungsdelegation eindeutig als verfassungsrechtliche Forderung gilt, muß dies als Indiz dafür angesehen werden, daß auch das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht nur eine politische, sondern eine verfassungsrechtliche Forderung enthält. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man sich den Funktionswandel des Vorbehaltsprinzips seit seinen An65 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. (695 m.w.N.); Lang, RdJB 1983, 161 ff. (163), der darauf hinweist, daß das saarländische Schulmitbestimmungsgesetz die Materie abschließend regelt und auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu seiner Ausführung weitgehend verzichtet werden konnte. 66 Vgl. oben Kap. V I I I 4. 67 Vgl. oben Kap. I V 2. 68 Vgl. Richter, N V w Z 1982, 357 ff. (358). 69 Vgl. BVerfGE 24, 33 (49 ff.); 24, 367 (401); a.A. Hendrichs, Rdn. 42 zu Art. 19, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl., 1981 m.w.N. 70 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1980, Art. 20 V I Rdn. 57, glaubt demgegenüber in der Rechtsprechung des BVerfG Ansätze erkennen zu können, wonach aus Art. 2 Abs. 1 G G ein Grundrecht auf Beachtung des Vorbehalts des Gesetzes durch Gesetzgeber und Verwaltung hergeleitet werden könnte. 71 Vgl. oben Kap. I V 4.2.3.

8.2 Justitiell-kasuistische Variante

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fängen in den Vormärzverfassungen in Erinnerung ruft. 7 2 Umschreibt der Vorbehalt des Gesetzes in der Form des Parlamentsvorbehalts nicht mehr wie früher das rechtliche Dürfen, sondern das rechtliche Müssen, um das Parlament in die Pflicht zu nehmen und es vor einer Selbstentmachtung durch Flucht in die Verordnungsgebung zu schützen, 73 dann ist dieses Ziel allein durch verfassungsrechtliche Bindungen zu erreichen. 74 Die im Konstitutionalismus aufgrund des Antagonismus zwischen Monarch und Volksvertretung bestehenden politischen Steuerungsmechanismen, die eine Selbstentmachtung verhinderten, erweisen sich - wie die Erfahrungen der Weimarer Zeit nur zu deutlich gezeigt haben - unter den Bedingungen der gewaltenvereinigenden parlamentarischen Demokratie als nicht mehr wirksam. Ein zeit- und funktionsgemäßes Verständnis des Vorbehaltsprinzips erfordert daher die Justitiabilität gesetzgeberischer Delegationsentscheidungen. Diese müssen gerichtlich kontrollierbar und notfalls korrigierbar sein, um funktionswidrige Delegationen wirksam unterbinden zu können. I m Hinblick auf die heutige Funktion des Parlamentsvorbehalts verbietet es sich somit, die Delegationsentscheidung in das freie legislative Ermessen des Gesetzgebers zu stellen. 75 Die politisch-pragmatische Variante ist demnach abzulehnen. 76

8.2 Justitiell-kasuistische Variante I m Ansatz ähnlich setzt die justitiell-kasuistische Variante auf eine autoritative und dezisionistische Entscheidungsstrategie, welche die vergleichsweise hohe Konsens- und Akzeptanzerwartung in Rechnung stellt, die an höchstrichterliche Entscheidungen geknüpft wird. Eine solche Vorgehensweise muß nicht grundsätzlich auf Kritik stoßen, denn dort, wo rationaler Diskurs und materiell-rechtliche Argumentation zu nicht voll befriedigenden Lösungen führen, könnten gerichtliche Entscheidungen jedenfalls in einem pragmatischen Sinn durchaus weitere Klärungen herbeiführen und den Prozeß notwendiger Vergesetzlichung vorantreiben. In der Tat wurde in den vergangenen Jahren seit Beginn der neueren Wesentlichkeitsrechtsprechung bei der Novellierung schulrechtlicher Regelungen weithin in ähnlicher Form verfahren. Nach und nach wurden die schulgesetzlichen Bestimmungen entsprechend den Direktiven der Rechtsprechung novelliert und modifiziert. Dies geschah häufig nur so weit, wie es die Gerichte im Einzelfall gerade verlangten. 77 Nicht selten wurden dabei die Leitsätze oder Kernaussagen der Gerichte unmittel72

Vgl. dazu oben Kap. II. Vgl. oben Kap. V I I 3.2.2. 74 Ähnlich Hansen (Fn. 63), 1971, 204 Fn. 10, der betont, daß der demokratisch intendierte Gesetzesvorbehalt eine Bindung des Parlaments bewirken solle. 75 So im Ergebnis auch Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff., 835: „Die Auswahl zwischen beiden Regelungsformen (förmliches Gesetz und Rechtsverordnung; der Verfasser) ist nicht dem freien Belieben des Normsetzers überlassen." 76 In Begründung und Ergebnis ähnlich Hansen (Fn. 63), 1971, 204 Fn. 10; ablehnend gegenüber freiem legislativem Ermessen schon Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, 113. 77 Vgl. Lorentzen, RdJB 1981, 492, für das Land Schleswig-Holstein. 73

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

bar in Gesetzesformulierungen transformiert. 78 Das bisherige legislative Verhalten der Länder gegenüber den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen des Parlamentsvorbehalts muß im großen und ganzen als defensiv bezeichnet werden. Daß eine solche Praxis der Vergesetzlichung justitieller Einzelfallentscheidungen sich auf bruchstückhafte Ergänzungen beschränkt und zu keiner umfassenden und in sich geschlossenen Neukodifizierung des Schulrechts führen kann, liegt auf der Hand. Verstärkt wurde dieser Trend unter anderem durch die großzügige Gewährung von Übergangsfristen durch die Gerichte. 79 Bedenken gegen die justitiell-kasuistische Variante ergeben sich allerdings daraus, daß die praktische Realisierbarkeit einer Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts durch die Rechtsprechung von zahlreichen unwägbaren Faktoren abhängt. Die Rechtsprechung kann nicht wie Legislative und Exekutive aus eigener Initiative tätig werden. Sie ist nach deutschem Prozeßrecht darauf angewiesen, daß sie - im Regelfall von Betroffenen - um eine Entscheidung ersucht wird. Die Rechtsprechung ist daher weitgehend abhängig von der Klagefreudigkeit und -initiative einzelner. Höchstrichterliche Entscheidungen kommen nur zustande, wenn die Betroffenen an einer solchen interessiert sind und über entsprechende Finanzkraft und ein ausreichendes Durchhaltevermögen verfügen. Fehlt es an aktuellen Konfliktfällen, so wird es nicht zu gerichtlichen Entscheidungen kommen, auch wenn ein allgemeines Regelungsbedürfnis besteht. Die Zusammenfügung und Komplettierung des vorbehaltsrechtlichen Mosaiks durch gerichtliche Entscheidungen kann unter Umständen Jahre oder Jahrzehnte dauern, sofern sie überhaupt jemals zu einem vollständigen und abgerundeten Bild führen wird. Eine jahrelange Rechtsunsicherheit wäre die mögliche Folge. Ob diese über einen so langen Zeitraum ohne weiteres in Kauf genommen werden kann, wie Vertreter der justitiellen Variante meinen, 80 erscheint unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sehr fragwürdig. Präjudizien geben nicht immer eine Antwort auf neu auftauchende Probleme. Es muß zweifelhaft erscheinen, ob in solchen Fällen eine Orientierung an meist anders gelagerten Präjudizien zweckmäßiger ist als der Versuch einer generellen materiell-rechtlichen Lösung. Doch selbst wenn man für einzelne Rechtsbereiche wider Erwarten zu einer raschen fallweisen Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts gelangen könnte, würde dies das zugrundeliegende allgemeine verfassungsrechtliche Problem des Parlamentsvorbehalts nur un78 Dies wird ganz deutlich in den nach der Sexualkunde-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 47, 46) in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen der Länder, die im Kern die Aussagen und sogar Formulierungen des BVerfG übernahmen; vgl. Art. 4a bay. E U G von 1980; § 22 beri. SchulG von 1979; § 5 hamb. SchulG von 1977; § 3 hess. SchVG von 1978; § 77 Abs. 4 Satz 2-6 nds. SchulG von 1980; § 15a saarl. SchoG von 1978; § 4 Abs. 2 Satz 4 und 5, Abs. 3 Satz 1 und 2 s.-h. SchulG von 1978. 79 Zur Gewährung von Übergangsfristen vgl. oben Kap. I V 5.6. Wenn die Gerichte inzwischen bereits unter Hinweis auf die zu gewährenden Übergangsfristen auf eine Feststellung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Einzelfall verzichten (vgl. BVerwG, N V w Z 1984, 102 Schulbuchzulassung), so kann auf justitiell-kasuistischem Wege kein Mosaik zusammengefügt werden (zum „Rechtsprechungsmosaik" vgl. oben bei Fn. 16). 80 Fleiner-Gerster (Fn. 8), 1981, 61 ff. (67).

8.2 Justitiell-kasuistische Variante

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zureichend lösen. Da die Anforderungen des Parlaments Vorbehalts bereichsspezifisch unterschiedlich sind, hilft eine noch so vollständige Rechtsprechung zu einem einzelnen Rechtsgebiet nur bedingt weiter, die entsprechenden Regelungsprobleme in anderen Rechtsbereichen zu lösen. Letztendlich wird mit der Verweisung auf eine fallweise Lösung ein Scheitern der herkömmlichen Methoden der Verfassungsinterpretation eingestanden. Hinzu kommt, daß die Gerichte keineswegs rein autoritativ dezisionistisch entscheiden können, sondern ihre oft schwierigen Einzelfallentscheidungen topisch-argumentativ begründen müssen. Auch die Justiz kommt ohne materiell-rechtliche Kriterien nicht aus. Die justitiell-kasuistische Variante würde die Gerichte bei ihrer schwierigen Aufgabe auf sich gestellt lassen; die Verfassungsrechtswissenschaft würde sich um ihre essentiellen Aufgaben herummogeln. Aber nicht nur der Justiz, auch den jeweils zuständigen Referenten an der „legislatorischen Front" würden damit Steine statt Brot gegeben.81 Gegen die justitielle Variante spricht daher, daß ein Abschieben des Vorbehalts- und Delegationsproblems auf die Rechtsprechung die offenen Fragen nicht lösen, sondern lediglich verlagern würde. Vor allem aber ist folgendes zu bedenken: Eine der der Entwicklung des Parlamentsvorbehalts zugrundeliegenden Hauptintentionen bestand darin, zur Herstellung eines ausgewogenen Gleichgewichts zwischen den Gewalten Entscheidungskompetenzen nicht nur von der Exekutive, sondern auch von der Judikative auf die Legislative zu verlagern, um zu einer funktionsgerechten Kompetenz- und Aufgabenverteilung zu gelangen und der schleichenden Entmachtung der Parlamente (insbesondere der Landtage) entgegenzuwirken. Die Rechtsprechung selbst war es, die die Forderung erhob, als wesentlich anzusehende schul- und bildungspolitische Entscheidungen müßten künftig von den Parlamenten getroffen werden. Die offensive Rolle der dritten Gewalt bei der Vergesetzlichung des Schulwesens sollte der beklagten Entwicklung entgegensteuern, daß die Kultusbürokratie in vielen Fällen nach den Direktiven der Rechtsprechung Gesetzes vorlagen formulierte, die dann von den Landesparlamenten ratifizert wurden. 82 Durch eine Rückverweisung an die Rechtsprechung würde eines der Hauptanliegen, das mit der Entwicklung des Parlamentsvorbehalts verbunden ist, nämlich die Rechtsprechung von der funktionsfremden Rolle des Ersatzgesetzgebers zu entlasten, 83 konterkariert. Nach alledem vermag die von Teilen der Literatur vorgeschlagene justitiellkasuistische Variante nicht zu überzeugen.

81 Vgl. Mayer-Tasch/Kohler, ZParl 11 (1980), 530 ff. (534). Das Dilemma wird deutlich in dem Vorschlag von Umbach (Fn. 10), 1984, 111 ff. (127), der Dritten Gewalt die Konkretisierungsaufgabe zu übertragen, dabei Abschied zu nehmen von der Wesentlichkeitstheorie, sachlich aber an der Konzeption des BVerfG festzuhalten. 82 Vgl. dazu Laaser, Die Verrechtlichung des Schulwesens, 1980, 1343 ff. (1357). 83 Die Justiz hat im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie nachträglich-kontrollierende Funktionen wahrzunehmen, denen Entscheidungen der Parlamente vorausgehen müssen.

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

8.3 Verfassungsändernde Variante Die verfassungsändernde Variante ist zweifelsohne verlockend. Die Aufnahme einer praktikablen Formel zur Abgrenzung der Regelungskompetenzen von Legislative und Exekutive in das Grundgesetz beziehungsweise die Landesverfassungen könnte das Problem des Parlamentsvorbehalts und der parlamentarischen Delegationsbefugnis endgültig vom Tisch bringen und dadurch die schwierigen Probleme der Verfassungsinterpretation auf unsicherer verfassungsrechtlicher Grundlage obsolet werden lassen. Der nach wie vor bestehenden Rechtsunsicherheit wäre damit ein Ende gesetzt. Eine eindeutige und abschließende verfassungsrechtliche Normierung wäre zweifellos eine nahezu ideale Lösung. Dieser Vorschlag ist jedoch nur dann praktikabel, wenn sich eine griffige Formel zur Umschreibung des Parlamentsvorbehalts finden ließe. Trotz jahrelanger Bemühungen von Rechtsprechung und Literatur ist es bisher nicht gelungen, eine solche Formel zu entwickeln. 84 Was aber sollte man dann in die Verfassungen hineinschreiben? Umschreibungen wie „das Wesentliche regelt der Gesetzgeber" oder „je wesentlicher eine Angelegenheit, desto bestimmter ist sie zu regeln", haben die Rechtsunsicherheit eher verstärkt als sie zu beseitigen. Einfache, griffige Formeln, die man in die Verfassung aufnehmen könnte, scheint es für die Lösung der höchst komplexen Problematik des Parlamentsvorbehalts nicht zu geben. Das bereits erwähnte Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen der Konkretheit einerseits und der Allgemeingültigkeit andererseits ist kaum aufzulösen. 85 Wie die obigen Überlegungen gezeigt haben, wäre eine eindeutige Kompetenzzuweisung letztlich zu starr, um den differenzierten Regelungsproblemen im einzelnen gerecht werden zu können. A u f der anderen Seite würde ein allgemeiner Begriff wie „wesentlich" kaum mehr Rechtssicherheit bieten. Wenn die hier vertretene Auffassung zutrifft, daß man der Problematik von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis nur mit einem Katalog von Indizien und Kriterien beikommen kann, dann müßte dies notwendig zu einer sehr umfangreichen verfassungsrechtlichen Regelung führen, die leicht lehrbuchartigen Umfang erreichen würde. Gleichwohl könnte, wie dargelegt, der notwendige Abwägungsvorgang zwischen den verschiedenen Indizien von der Verfassung nicht so eindeutig vorprogrammiert werden, daß jedes Regelungsproblem zweifelsfrei zu lösen wäre. Den Wertungs- und Auslegungsproblemen und der Abwägung im einzelnen Regelungsfall wäre auch durch eine verfassungsunmittelbare Bestimmung nicht zu entkommen. Diese Bedenken werden durch die Tatsache erhärtet, daß es im geltenden Verfassungsrecht der Bundesrepublik zahlreiche Grundrechtsvorbehalte und sonstige Spezialvorbehalte gibt, die auf die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage verweisen. Gleichwohl vermögen all diese Verfassungsbestimmungen keine eindeutige Auskunft darüber zu geben, mit welchem Maß an 84 Heller, V V D S t R L 4 (1928), 98 ff. (121, 134) vertrat bereits 1927 die Auffassung, es sei unmöglich, die Kriterien des Gesetzesvorbehalts durch „eine theoretische Formel" zu rationalisieren; er wird durch die hier getroffenen Feststellungen voll bestätigt. 85 Vgl. oben Kap. V I I 6.5; G. Müller (Fn. 1), 1979, 129; Pieske, DVBl. 1977, 673 ff. (677).

8.3 Verfassungsändernde Variante

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Bestimmtheit die jeweilige gesetzliche Regelung zu treffen ist und in welchem Umfang eine Delegation an den Verordnungsgeber zulässig ist. Insbesondere die Bestimmtheitsproblematik mit ihren gleitenden Übergängen 86 läßt sich unmöglich eindeutig verfassungsrechtlich regeln, wie nicht zuletzt die Erfahrungen mit der Inhalt-, Zweck- und Ausmaß-Klausel des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und einer nunmehr über 30jährigen nach wie vor schwankenden Rechtsprechung des BVerfG gezeigt haben. Die skeptische Einschätzung wird zusätzlich untermauert durch die Erfahrungen, die mit der im westeuropäischen Raum einzigen Verfassung gemacht wurden, welche einen solchen Weg beschritten hat. Soweit ersichtlich, hat allein die Verfassung der französischen Republik vom 28.9.1958 versucht, den Regelungsbereich von Gesetz und Verordnung dadurch zu trennen, daß die „legislativen Materien" aufgezählt (Art. 34) und alle übrigen der Exekutive zugewiesen wurden (Art. 37). 87 Die horizontale Abgrenzung nach Sachgebieten, mit der eine Konzentration der Gesetzgebung auf das Wesentliche und eine Entlastung des Parlaments erreicht werden sollte, wird ergänzt und durchkreuzt durch eine vertikale, wonach der Gesetzgeber auch in den „domaines législatives" auf die wichtigen Grundsätze beschränkt bleibt und deren Ausführung Sache der Regierung ist. 8 8 Im Ergebnis hat sich - wie G. Müller feststellt - an der vor 1958 praktizierten Aufteilung der Regelungskompetenzen zwischen Parlament und Regierung nicht allzu viel geändert. In der Praxis wird sie weitgehend nach dem Kriterium der „Wichtigkeit" vorgenommen, das ebenso wie im deutschen Verfassungsrecht in den verschiedenen Sachgebieten differenziert gehandhabt wird. Die Entwicklung in Frankreich hat gezeigt, daß eine umfassende, konsequente Aufteilung der Regelungsbereiche nach Sachgebieten zu schematisch, starr und deshalb kaum praktikabel ist. 8 9 Insbesondere eine Aufteilung nach Sachgebieten führt keinen Schritt weiter, wenn innerhalb dieser unter dem Gesichtspunkt der Wichtigkeit abgestuft werden muß. 9 0 Andererseits ist eine derartige Abstufung unverzichtbar, wenn man nicht eine ausufernde Gesetzgebungstätigkeit in Kauf nehmen will und das Ziel einer Entlastung des Parlaments und einer Konzentration auf das Grundlegende aufgibt. Damit hat sich gezeigt, daß die verfassungsändernde Variante mit allen Problemen fertig werden müßte, welche eine materiell-rechtliche Umschreibung des Parlamentsvorbehalts mit sich bringt. Wenn aber nicht durch einfache Formeln gelöst werden kann, dann besteht wenig Aussicht, im Wege einer Verfassungsänderung das gewünschte Ziel zu erreichen. 91 86

Vgl. oben Kap. I V 3.3.2. Vgl. dazu im einzelnen G. Müller (Fn. 1), 1979, 125 ff. 88 G. Müller (Fn. 1), 1979, 125. 89 Vgl. hierzu und zum folgenden G. Müller (Fn. 1), 1979, 122 ff. 90 Vgl. die oben festgestellten Bedenken gegen eine Begründung des Parlamentsvorbehalts auf der Basis der Art. 73 ff. G G (oben Kap. V 2.4). 91 So im Ergebnis auch Kewenig, ZParl 1973,424 ff. (427), der die Forderung nach einem in der Verfassung ausdrücklich verankerten Gesetzesvorbehalt aus praktischen und theoretischen Gründen für völlig indiskutabel hält, ohne diese Gründe allerdings zu präzisieren. Ellwein (Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung, 1983, 1093 ff., 1100 f.), weist zu Recht darauf hin, es müsse „eher als Ausnahme gelten, daß die Verfassung selbst den Gesetzesvorbehalt anspricht". 87

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

8.4 Organisatorisch-dezisionistische Variante Während die drei bisher erörterten Varianten letztendlich doch nicht ohne eine materiell-rechtliche Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts auskommen, könnte der Vorschlag, einen Parlamentsausschuß, ein neutrales Gremium oder ein Sachverständigengremium mit der Entscheidung über die Anwendbarkeit des Parlaments Vorbehalts zu betrauen, eine echte verfahrensrechtliche Alternative darstellen. Unabhängig von den verschiedenen Versionen dieser Variante wären zwei Konzeptionen zu unterscheiden, die von den Vertretern dieses Lösungsvorschlags nicht immer deutlich herausgearbeitet werden. Entweder könnte einem solchen Gremium oder Ausschuß lediglich Beratungsfunktion für Gesetzgeber und Ministerialbürokratie zukommen, oder es besäße volle Entscheidungskompetenz mit bindender Wirkung für die übrigen Verfassungsorgane. Gegen die Schaffung eines Beratungsorgans ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nichts einzuwenden, da weder Legislative noch Exekutive gehindert sind, sich im Sinne einer Verbesserung ihrer Entscheidungsgrundlagen sachkundig beraten zu lassen. Diese Version würde aber die Vorbehalts- und Delegationsproblematik keinen Schritt nach vorn bringen, da sie die bestehenden Entscheidungsstrukturen völlig unverändert ließe. In unserem Problemzusammenhang könnte daher allein die andere Version einer verbindlichen Entscheidungskompetenz eines solchen Gremiums von Interesse sein. Dabei scheidet die Übertragung der Entscheidung, was im Parlamentsgesetz zu regeln ist und was an die Exekutive delegiert werden darf, an ein unabhängiges Sachverständigengremium von vornherein aus, da ein solches außerhalb des politischen Legitimations- und Verantwortungszusammenhangs stünde und daher der rechtsstaatlich-demokratischen Verfassungsstruktur widerspräche. Ähnliche Bedenken bestünden gegenüber einem neutralen Gremium, welches nicht vollständig von Vertretern der Legislative und Exekutive besetzt wäre. Die Entscheidung einem Parlamentsausschuß zu übertragen, sähe sich dagegen keinen derartigen rechtsstaatlich-demokratischen Bedenken ausgesetzt. Weitgehend unbeantwortet lassen die Vertreter dieser Variante die Frage nach den Konsequenzen einer Entscheidungskompetenz eines besonderen Gremiums oder Ausschusses. Eine Lösung der Vorbehaltsproblematik brächte die organisatorisch-dezisionistische Variante nur dann, wenn die Entscheidung des Gremiums oder Ausschusses Bindungswirkung für die Instanzgerichte und für die Verfassungsgerichte besäße, da anderenfalls die Entscheidung nach wie vor justitiabel bliebe und stets die Unsicherheit im Räume stünde, ob eine Entscheidung des Gremiums im Konfliktfall von den Gerichten gebilligt oder aufgehoben wird. Wäre die Gremienentscheidung aber justizfrei gestellt, so ergäben sich dieselben Bedenken wie gegenüber der politisch-pragmatischen Variante (Legislativermessen). Die Entscheidung über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts würde „entrechtlicht" und nicht mehr als verfassungsrechtliche Frage begriffen, sondern allein nach politisch-pragmatischen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Oppor-

8.4 Organisatorisch-dezisionistische Variante

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tunität beurteilt. Damit liefe diese Variante ebenfalls auf die Einräumung eines nicht gerichtlich kontrollierbaren und korrigierbaren Ermessens hinaus. Aber auch unter organisationsrechtlichen Gesichtspunkten stößt diese Variante auf erhebliche Probleme. Georg Müller, der sich mit dem organisatorisch-dezisionistischen Lösungsvorschlag am ausführlichsten auseinandergesetzt hat, verweist darauf, daß ein unabhängiges Gremium, welches über die Machtverteilung zwischen verschiedenen Staatsorganen zu entscheiden hätte, „neutral" sein müßte, so daß seine Mitglieder von den Entscheidungen nicht selbst betroffen sein dürften. Gleichzeitig müßten die Mitglieder des Gremiums mit einer genauen Sachkenntnis der zu regelnden Materie ausgestattet sein, um eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können. 92 Fraglich erscheint bereits, ob das SpannungsVerhältnis zwischen notwendiger Neutralität und Sachkompetenz überhaupt auflösbar wäre, da die mit dem notwendigen Sachverstand ausgestatteten Parlamentarier und Mitglieder der Ministerialbürokratie nicht in dem von Müller angesprochen Sinne neutral wären, die „neutralen" Personen aber zumeist nicht über die notwendige Sachkompetenz verfügen würden, es sei denn, man beriefe für jede Sachfrage eigens ein spezielles Sachverständigengremium ein. Dies würde eine unüberschaubare Vielzahl von Selektionsverfahren voraussetzen und schon aus praktischen Gesichtspunkten erhebliche Probleme aufwerfen. Eine weitere Schwierigkeit sieht Müller darin, daß das Gremium einerseits relativ klein, andererseits aber repräsentativ sein müßte - ebenfalls ein nicht leicht zu lösender Zielkonflikt. Vor allem aber müßten einem solchen Gremium sämtliche Regelungsvorhaben und -entwürfe in einem so frühen Stadium zugänglich gemacht werden, daß es rechtzeitig und so umfassend prüfen könnte, welche Fragen auf welcher Regelungsebene mit welcher Bestimmtheit zu regeln wären. Schon beim Aufstellen der ersten Vorentwürfe wäre über diese Fragen zu entscheiden. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Organ - gleichgültig ob als „neutrales" Gremium oder Parlamentsausschuß - nicht nur alle Gesetzgebungsvorhaben, sondern auch sämtliche geplanten Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften unter dem Gesichtspunkt des Parlaments Vorbehalts, die Rechts Verordnungen außerdem im Hinblick auf die Frage der parlamentarischen Delegationsbefugnis zu prüfen hätte. Angesichts der Fülle solcher Regelungsvorhaben hätte ein derartiges Gremium ein immenses Arbeitspensum zu erledigen, da es nahezu mit jedem staatlichen Rechtsetzungsakt zu befassen wäre. Müller weist zu Recht darauf hin, daß ein solches Organ praktisch zu einem Parallelorgan in der Rechtsetzung werden müßte, das heißt die Rechtsetzung in allen ihren Formen und Stadien begleiten und immer wieder korrigierend müßte eingreifen können. Häberle spricht von der Gefahr, einen „Supergesetzgeber" zu schaffen. 93 Daß sich hieraus zweifellos Kompetenzkonflikte mit Parlamenten und Ministerialbürokratie, Doppelspurigkeiten, Reibungsverluste und Probleme bei der Abgrenzung von Verantwortung 92

G. Müller (Fn. 1), 1979, 122 ff. Häberle, D Ö V 1981,550, der die Schaffung eines besonderen Organs auch im Hinblick auf die von ihm vertretene Auffassung kritisiert, die Verfassung sei als öffentlicher Prozeß zu begreifen, welcher der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten" überantwortet bleiben müsse (vgl. auch Häberle, JZ 1975, 297 ff.). 93

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

ergeben könnten, darf als sicher gelten. Vor allem aber wäre die Institutionalisierung eines zusätzlichen Gremiums mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden, ganz abgesehen von den notwendigen zusätzlichen personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen. Würde man die Aufgaben einem Parlamentsausschuß übertragen, entstünde eine Art parlamentarischer Gegenbürokratie. Dabei mag hier die Frage dahinstehen, ob ein derartiger Aufwand selbst im Idealfall auch nur annähernd in einem angemessenen Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stünde. Da es sich bei den zu entscheidenden Kompetenzfragen letztlich um juristisch verkleidete Machtfragen handelt, 94 wäre damit zu rechnen, daß auch die Entscheidungen eines „neutralen Gremiums", dessen Neutralität aus den dargelegten Gründen ohnehin Fiktion bleiben dürfte, zu nicht absehbaren politischen und möglicherweise auch rechtlichen Streitigkeiten führen würde. 95 Gegen diese skeptische Einschätzung könnten die Erfahrungen in Österreich sprechen. Dort wurden bereits 1970 Richtlinien zur Gesetzestechnik herausgegeben, die nach mehreren Überarbeitungen und Ergänzungen nunmehr in Gestalt der „legistischen Richtlinien 1979" vorliegen. 96 M i t ihrer Durchführung ist der beim Bundeskanzleramt institutionalisierte Verfassungsdienst betraut. Ihm obliegt es, die von den einzelnen Ressorts erarbeiteten Gesetz- und Verordnungsentwürfe vom Standpunkt der Gesetzgebungstechnik auf ihre inhaltlich und formal korrekte Fassung zu überprüfen. Nach Angaben von Wyduckel hat der Verfassungsdienst inzwischen nicht zuletzt dank seiner gutachtlichen Äußerungen eine enorme fachliche Autorität gewinnen können. Einer Übertragbarkeit der österreichischen Erfahrungen auf die Vorbehaltsproblematik steht aber die Tatsache entgegen, daß es sich in erster Linie um Fragen der Gesetzestechnik handelt, deren Regeln weit einfacher standardisierbar sind und nicht ohne weiteres auf die viel komplexere Vorbehaltsproblematik übertragen werden können. Auch die organisatorisch-dezisionistische Variante erscheint daher wenig geeignet, zur Lösung der Vorbehaltsproblematik entscheidende Fortschritte zu erbringen. 8.5 Partizipatorische Variante Der partizipatorischen Variante geht es darum, die Stellung der einzelnen Schulen zu stärken und ihnen größere Kompetenzen als bisher einzuräumen. Eine Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung besteht insoweit, als je nach den funktionellen und strukturellen Gegebenheiten eine Rechtsetzungsdelegation an nichtlegislative Organe in Betracht kommt und unter Umständen als verfassungsrechtlich geboten anzusehen ist. Es ist keineswegs 94

Vgl. Ossenbühl, Zur Erziehungskompetenz des Staates, 1976, 751. -Man denke nur an einige Folgeprobleme: Wären die Entscheidungen des Gremiums an irgend einer Verfahrensform justitiabel? Wer wäre klagebefugt? Welcher Rechtsweg wäre eröffnet? usw. 96 Zu den Entwicklungen in Österreich vgl. den Bericht von Wyduckel, DVBl. 1982, 1175 ff. (1177 f.). 95

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

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ausgeschlossen, daß sich eine Delegationspflicht auch im Verhältnis Gesetzgeber - Einzelschule ergeben kann, sofern eine sach- und ortsnahe Regelung auf der Ebene der Einzelschule sich als funktionsadäquat darstellt. Dieser Ansatz kann dazu führen, daß die Schulen stärker als bisher über Angelegenheiten zu entscheiden haben, die sich auf die jeweilige Einzelschule beschränken. Demgegenüber schlägt die partizipatorische Variante vor, der Einzelschule durch Mitwirkungsrechte Einfluß auf die zentralen legislativen Regelungen einzuräumen. Damit würde der Einzelschule jedoch ein Einfluß gegeben, der über ihren eigentlichen Wirkungsbereich hinausginge. Ähnlich wie bei der verwaltungsprozessualen Problematik, ob ein einziger Widerspruchsführer über § 80 VwGO einen die gesamte Schule betreffenden Schulorganisationsakt stoppen kann, 9 7 entstünde auch hier eine Inkongruenz zwischen rechtlicher Betroffenheit (konkrete Schule) und rechtlicher Entscheidungsbefugnis (landesweites Schulrecht). Nach Brohm müssen Gestaltungsmaßnahmen, die über den Lebenskreis einer zur eigenständigen Legitimation berufenen Gruppe hinausgehen, durch das Gesamtvolk des Staates (beziehungsweise seine Vertretung), jedenfalls durch die größere Einheit, auf die sie sich auswirken, legitimiert sein. 98 Auch wenn man eine Partizipation an Einzelentscheidungen und/oder eine begrenzte Selbstregelungsbefugnis der Schulen befürwortet, 9 9 fragt sich, ob die Einzelschule durch Einräumung von Verfahrensrechten an der zentralen Rechtsetzung beteiligt werden sollte. Der Kreis der Antragsberechtigten wäre bei Realisierung der partizipatorischen Variante kaum überschaubar (Schule, Konferenzen, einzelne Schüler, Eltern, Lehrer usw.). Der Vorschlag von Kisker, die „gesellschaftlich relevanten Gruppen" für antragsberechtigt zu erklären, 100 zeigt deutlich die Schwierigkeit, den Kreis der Antragsberechtigten exakt einzugrenzen. Wenn die partizipatorische Variante nach alledem auf durchgreifende Bedenken stößt, so sollte eine Lösung zweckmäßigerweise im parlamentarischadministrativen Raum gesucht werden.

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante Dies versuchen sämtliche Versionen der kompensatorisch-kooperativen Variante, welche bei Einführung einer nachträglichen Parlamentsbeteiligung am Erlaß von Rechtsverordnungen eine Reduzierung der Bestimmtheitsanforderungen an die gesetzliche Regelung/Ermächtigung für verfassungsrecht97 Vgl. dazu O V G Münster, NJW 1978,286; ebenso O V G Münster, U. vom 12.8.1977 (nicht veröffentl.); dagegen BVerwG, DVBl. 1978,640; das O V G Münster hat seine Rechtsprechung im Anschluß an die Entscheidung des BVerwG geändert (seit dem Beschluß des O V G Münster vom 18.8.1978, NJW 1979, 829). 98 So Brohm, V V D S t R L 30 (1972), 245 (269 ff., Fn. 68); ähnlich BVerfGE 33, 125 (157 f.). 99 In diesem Sinne Ehlers, DVBl. 1976, 615 ff.; vgl. auch DJT-SchulGE, 1981, §§ 74 ff., insbesondere § 74 Abs. 4 und § 101. 100 Kisker, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 82.

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

lieh zulässig halten. Die verschiedenen Versionen wird man unter drei Gesichtspunkten zu beurteilen haben: a) Sind sie verfassungsrechtlich zulässig? b) Können durch sie Bestimmtheitsdefizite in der gesetzlichen Regelung kompensiert werden? c) Erscheinen sie als Alternativen zu einer materiell-rechtlichen Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts verfahrensrechtlich praktikabel? Zu prüfen wäre zunächst, ob nicht eine oder einige Varianten von vornherein ausgeschieden werden können, weil sie eine dieser Voraussetzungen offensichtlich nicht zu erfüllen vermögen. Dazu bietet sich eine Einteilung in zwei Gruppen an, da die Beteiligung des Parlaments unterschiedlich intensiv ist. Während Veto-, Zustimmungs- und Kassationsvorbehalt dem Parlament ein effektives, durchsetzbares Mitwirkungsrecht einräumen, so daß sich der Verordnungsgeber ohne positive Mitwirkung des Parlaments nicht durchsetzen kann, wirkt das Parlament nach den anderen Versionen (Vorlagepflicht, Anhörung und Recht zur Stellungnahme) zwar mit, kann letztlich aber die vom Verordnungsgeber angestrebte Regelung nicht verhindern. Die zweite Gruppe ermöglicht zwar eine bessere Information des Parlaments und eine Rückkoppelung seines Votums an den Verordnungsgeber; die Mitwirkungsintensität ist aber jedenfalls zu schwach, um eine Kompensation gesetzlicher Bestimmtheitsdefizite herbeiführen zu können. Die effektiven Einflußmöglichkeiten des Parlaments auf den Inhalt einer Rechtsverordnung sind bei vorheriger Determinierung durch eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte Verordnungsermächtigung wesentlich stärker als bei einer bloßen Information mit dem Recht zur Stellungnahme. Eine isolierte Vorlagepflicht beziehungsweise das Recht zur Anhörung und Stellungnahme kommen daher mangels effektiver Kompensationswirkung als Alternativen zu einer materiell-rechtlichen Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts und als Äquivalente zu einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Regelung von vornherein nicht in Betracht. Es verbleiben daher im Rahmen der kompensatorischkooperativen Variante nur drei Vorschläge, die das Prädikat einer echten verfahrensrechtlichen Alternative verdienen könnten: der Veto-, der Zustimmungs-und der Rückhol- beziehungsweise Kassationsvorbehalt.

8.6.1 Verfassungsrechtliche

Zulässigkeit

Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen ist grundsätzlich anerkannt. 1 0 1 Das BVerfG hat in seinem Beschluß zum Preisgesetz 102 die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Zustimmungsverordnungen bejaht. Zwar trügen Ermächti101 Vgl. dazu Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959; Klotz (Fn. 58), 1977; Dyckmans (Fn. 26), 1979, 289 ff.; Geller/Kleinrahm/Dickersbach, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., 1977, Art. 70 Anm. 2; Bryde, Rdn. 17 zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983 (m.w.N.). 102 BVerfGE 8, 274 (320 ff.); anders noch BVerfGE 4, 193 (203).

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

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gungen zum Erlaß von Zustimmungsverordnungen nicht zur klaren Abgrenzung der Verantwortung von Exekutive und Legislative bei, 1 0 3 doch enthielten sie im Vergleich zur vollen Delegation der Rechtsetzung auf die Exekutive ein Minus. Zustimmungsverordnungen sind nach Auffassung des BVerfG jedenfalls für solche Sachbereiche mit dem Grundgesetz vereinbar, für die ein legitimes Interesse der Legislative anerkannt werden muß, zwar einerseits die Rechtsetzung auf die Exekutive zu delegieren, sich aber andererseits - wegen der Bedeutung der zu treffenden Regelungen - entscheidenden Einfluß auf Erlaß und Inhalt der Verordnungen vorzubehalten. 104 Diese allgemeine Formulierung läßt den Schluß zu, daß das BVerfG unter gleichen Voraussetzungen auch gegenüber anderen Formen der Parlamentsbeteiligung am Erlaß von Rechtsverordnungen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken hat. 1 0 5 Das BVerwG geht ebenfalls von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines mit Vorlagepflichten verbundenen Kassationsrechts aus, wie es in Art. 47 Abs. 1 der Berliner Verfassung vorgesehen ist. 1 0 6 Auch die herrschende Meinung in der Literatur hat die Zulässigkeit von Zustimmungs-, Veto- und Kassationsvorbehalten anerkannt, 107 wobei zum Teil die Einschränkung des BVerfG (legitimes Interesse) übernommen, 108 zum Teil aber auch für entbehrlich gehalten wird. 1 0 9 I m Verfassungsrecht der Bundesrepublik finden sich einzelne Bestimmungen, die verfassungsunmittelbar eine Parlamentsmitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen vorsehen. 110 Auch wenn es sich - abgesehen von Art. 47 Abs. 1 der Berliner Verfassung überwiegend um Spezialnormen für einen ganz bestimmten Regelungsbereich handelt, die deutlich Ausnahmecharakter tragen, wird ersichtlich, daß die Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen weder dem Grundgesetz noch den Landesverfassungen fremd ist. I m einfachen Gesetzesrecht finden sich darüber hinaus eine Fülle 103

BVerfGE 8, 274 (321) unter Hinweis auf B. Wolff, AöR 78 (1952/53), 194 (217). BVerfGE 8, 274 (321); vgl. dazu Kisker (Fn. 45), 1980, 31 f. 105 Dies gilt jedenfalls für die Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Parlamentsplenums, die zunächst diskutiert werden sollen, bevor gegebenenfalls auf die problematischeren Mitwirkungsvorbehalte zugunsten von Parlamentsausschüssen einzugehen ist. 106 BVerwGE 57, 130 (139 f.). 107 Brohm, V V D S t R L 30 (1972), 245 ff. (269 f.); Wilke, AöR 98 (1973), 229 ff.; Grupp, DVBl. 1974, 177 ff.; Hömig, DVBl. 1976, 858 ff.; Hüser (Fn. 53), 1977, 121 ff.; Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (255); Eiselt, D Ö V 1978, 866 ff. (871); Kisker (Fn. 45), 1980, 26 ff.; Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 121 ff.; Bryde, D Ö V 1982, 661 ff. (770); a.A. Roewer/Hoischen, DVBl. 1979, 900 ff. (902 f.). 108 Ziller, DVBl. 1963,795 ff. (796); Hüser (Fn. 53), 1977,121 ff.; Lepa, AöR 105(1980), 337 ff. (349); Kisker (Fn. 45), 1980, 26 ff. (32). 109 Wilke, in: von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I I I , 1974, Art. 80 G G , Anm. V 8a; Grupp, DVBl. 1974, 177 ff. (179 f.); offen gelassen bei Hömig, DVBl. 1976, 858 ff. (859). 110 Vgl. Art. 109 Abs. 4 Satz 4 G G (Aufhebungsverlangen des Bundestags gegenüber Rechtsverordnungen der Bundesregierung); Art. 47 Abs. 1 Verfassung von Berlin (Pflicht des Senats, Rechtsverordnungen dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme vorzulegen mit Aufhebungsund Abänderungsbefugnis des Abgeordnetenhauses); Art. 9 Abs. 2 bay. Verf. (Rechtsverordnungen der Staatsregierung mit vorheriger Genehmigung des Landtags). 104

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V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

nachkonstitutioneller Verordnungsermächtigungen, die eine Beteiligung des Parlaments in den verschiedensten Formen - von Vorlage- über Zustimmungs- und Veto- bis hin zu Kassationsvorbehalten - vorsehen, 111 ohne daß hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden. I n der Staatspraxis ist die Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen ein gebräuchliches Instrument, das allerdings relativ selten benutzt 1 1 2 und vorrangig im Bereich des Wirtschaftsrechts angewendet wird. 1 1 3 I m Schulwesen gibt es vereinzelte Beispiele für entsprechende parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse. 114

8.6.2 Kompensationseffekt

M i t der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Mitwirkungsverordnungen ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob eine solche verfahrensmäßige Vorkehrung den behaupteten Kompensationseffekt besitzt.

8.6.3 Möglicher Anwendungsbereich

Die Vertreter des Kompensationsgedankens sehen einen möglichen Anwendungsbereich vor allem in den Fällen, in denen trotz aller Bemühungen eine hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung oder Ermächtigung nicht möglich ist, 1 1 5 diese also im Ergebnis relativ unbestimmt bleibt. Neben den Fällen „objektiver Unmöglichkeit" könnte sich - insbesondere wenn man vom Preisgesetz-Beschluß des BVerfG ausgeht - ein weiterer Anwendungsbereich dort eröffnen, wo eine Regelung zwar eine gewisse Bedeutung besitzt oder aus anderen Gründen parlamentsrelevant ist, gleichwohl aber aus Gründen der Flexibilität oder aus anderen, eine Delegation nahelegenden Gründen nach Abwägung aller Gesichtspunkte delegiert wird („Abwägungsfälle"). 116 Nach Auffassung von Ossenbühl wird in derartigen Fällen durch Mitwirkungsvorbehalte des Parlaments die Schnelligkeit der Verordnungsgebung mit der Legitimation des Parlaments auf sinnvolle und praktikable Weise verbunden und auch das Parlament in die Verantwortung genommen. 117 Gleichzeitig 111 Vgl. dazu im einzelnen Hüser (Fn. 53), 1977; Grupp, DVBl. 1974, 177 ff.; Hömig, DVBl. 1976, 858 ff. 112 Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (348). 113 Brohm, V V D S t R L 30 (1972), 239 ff. (268 ff.). 114 §§26 Abs. 1 Satz 1,26b Abs. 1 Satz 3, nrw. SchulVerwG (Zustimmung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung des Landtags zur allgemeinen Schulordnung sowie zu Ausbildungsund Prüfungsordnungen); siehe dazu Roewer/Hoischen, DVBl. 1979,900 ff. (902), mit Beispielen aus der nordrhein-westfälischen Schulgesetzgebung in Fn. 24. 115 Vgl. Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (255). 116 Dagegen scheiden die von Lepa, AöR 105 (1980), 337 ff. (350), genannten Fälle einer Gemengelage von vornherein aus. Wenn ein Teil einer Regelung parlamentsrelevant ist, ein anderer dagegen delegierbar, eine Trennung aber nicht sinnvoll erscheint, dann darf die einheitliche Gesamtregelung nicht durch Rechtsverordnung, sondern nur durch Gesetz erfolgen (vgl. oben Kap. V I I I 2.4.12). 117 Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (841).

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

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wird auf den Entlastungseffekt hingewiesen, der dadurch eintrete, daß das Parlament von der schwierigen Aufgabe, hinreichend bestimmte Ermächtigungen zu formulieren oder Routineentscheidungen per Parlamentsgesetz treffen zu müssen, entbunden wird. Durch diese Entlastung könne sich das Parlament stärker seinen eigentlichen Funktionen - der Diskussion der politischen Grundsatzentscheidungen - widmen. 1 1 8 Der spezifische Sinn einer solchen nachträglichen Parlamentsbeteiligung soll in einer Reduzierung der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen (Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) liegen. Die gesetzlichen Bestimmtheitsdefizite sollen durch die verfahrensrechtliche Vorkehrung eines Mitwirkungsvorbehalts kompensiert werden. 119 Durch den Zugewinn einer „demokratischen Rückkoppelung" des Verordnungsgebers zum Parlament könnte das rechtliche Defizit an parlamentsgesetzlicher Rechtsetzung ausgeglichen werden. 120 Die entscheidende Fragestellung spitzt sich somit darauf zu, ob einer nachträglichen Mitwirkung des Parlaments die von den Vertretern dieser Auffassung behauptete Kompensationswirkung zukommen kann. Kompensation bedeutet Ausgleich, setzt also im juristischen Sinn etwas Ausgleichbares voraus, und zwar in zweierlei Hinsicht: einmal einen defizitären Rechtszustand (Kompensationsbedürftigkeit), zum anderen eine effektive Kompensationswirkung des eingesetzten Instrumentariums. Geht man davon aus, daß im Rechtssinn zwischen Kompetenz- und Rechtskompensation zu differenzieren ist, 1 2 1 so handelt es sich bei der parlamentarischen Mitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen zur Kompensation von Bestimmtheitsdefiziten ganz offenbar um einen Fall der Kompetenzkompensation. 122 Außer der Feststellung eines rechtlichen Defizits an Kompetenzwahrnehmung und Verantwortungsträgerschaft gilt als Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung einer Kompensationswirkung, daß das Kompensationsinstrumentarium als Äquivalent des Kompetenz- und Verantwortungsdefizits muß anerkannt werden können. Verlust und Zugewinn an Kompetenzen müssen unmittelbar äquivalent sein. 123 8.6.4 Kompensationsbedürfnis

Fraglich ist zunächst, ob in den in Bezug genommenen Anwendungsfällen die erste Voraussetzung gegeben ist und tatsächlich ein Kompensationsbedürfnis besteht. Dieses wird von den Vertretern der Kompensationsidee ohne 118 Vgl. dazu den Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform, BT-Drucks. VI/3829, 79 ff.; Rietdorf, BT-Drucks. VI/3829, 80 f. 119 E. Klein, DVBl. 1981, 661 ff. (662); vgl. im übrigen die Literaturangaben oben Fn. 45. 120 Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (255); E. Klein, DVBl. 1981,661 ff. (662); Brohm, V V D S t R L 30 (1972), 245 ff. (268 ff.), die von einer demokratischen Rückkoppelung sprechen; vgl. auch BVerwGE 57, 130 (139 f.). Man kann die Beteiligung des Parlaments auch als eine Form der „Kontrolle durch Mitwirkung" ansehen; vgl. dazu Bäumlin, ZfSchwR 1966, 165 ff. (241 ff.). 121 Vgl. dazu die ersten Ansätze von E. Klein, DVBl. 1981,661 ff., die bisher kaum dogmatisch aufgearbeiteten Rechtsfiguren der Kompensation zu strukturieren. 122 So auch E. Klein, DVBl. 1981, 661 ff. (663 ff.). 123 E. Klein, DVBl. 1981, 661 ff. (663).

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weiteres im Hinblick auf ein vorgebliches verfassungsrechtliches Regelungsund Bestimmtheitsdefizit unterstellt. Der empirische Nachweis, daß in den sogenannten „Unmöglichkeitsfällen" tatsächlich eine bestimmtere Regelung absolut ausgeschlossen ist, wurde bisher allerdings nicht geführt. 124 Die angebliche Unmöglichkeit erscheint zudem in sich widersprüchlich: Wieso sollte etwas, was im Gesetz nicht bestimmt genug geregelt werden kann, in einer Rechtsverordnung bestimmter geregelt werden können? Einleuchtend wäre allein, in einem wirklichen Fall der Unmöglichkeit auch konkretisierende abstrakt-generelle Regelungen auf untergesetzlicher Ebene für unmöglich und eine Entscheidung der Exekutive unmittelbar aufgrund des Gesetzes für zulässig zu erklären. 125 In den meisten Fällen angeblicher Unmöglichkeit wird es sich in Wahrheit um Fälle verschleierter Delegation auf die Exekutive handeln. 1 2 6 Ein wirkliches Kompensationsbedürfnis erscheint in den „Unmöglichkeitsfällen" sehr zweifelhaft. ( 1) Rechtliches Bestimmtheitsdefizit

Geht man mit der einhelligen Meinung davon aus, daß die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebote bereichsspezifisch unterschiedlich strenge Anforderungen an gesetzliche Regelungen und Ermächtigungen stellen, 127 dann sind die Bestimmtheitsanforderungen flexibel und passen sich den Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Rechts- und Politikbereichs an. Erweist sich in den „Abwägungsfällen" nach Berücksichtigung aller Gesichtspunkte eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen als notwendig oder ist in den „Unmöglichkeitsfällen" eine gewisse Offenheit der gesetzlichen Regelung unumgänglich, dann reduzieren sich in entsprechendem Maße die Bestimmtheitsanforderungen des Parlaments Vorbehalts. Wird dementsprechend eine relative offene Regelung getroffen oder eine (offene oder verdeckte) Delegation an die Exekutive ausgesprochen, so ist dies unter vorbehaltsrechtlichem Aspekt nicht zu beanstanden: die Verfassung darf nichts Unmögliches und auch nichts Funktionswidriges fordern. Wenn die Verfassung aber kein Mehr an parlamentsgesetzlicher Regelung verlangt, dann besteht - gemessen an den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts - kein Regelungs- oder Bestimmtheitsdefizit. 128 Das Verfassungsrecht kann nicht einerseits die Bestimmtheits124 Die von Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (255), genannten Beispiele belegen nur, daß es zu unbestimmte Ermächtigungen gibt. Diese Feststellung ist jedoch nicht neu. Daraus folgt keineswegs, daß die entsprechenden Ermächtigungen nicht auch bestimmter gefaßt werden könnten. Ein anschauliches Beispiel dafür, daß dies häufig möglich ist, stellt § 10 Abs. 3 Güterkraftverkehrsgesetz dar. Im Gefolge von BVerfGE 40,196 (232) wurde die Bestimmung unter Angabe von Entscheidungsmaßstäben und Kriterien im Gesetz wesentlich präziser gefaßt (vgl. Neufassung vom 9.7.1979; dazu Trossmann, JöR 28 (1979) 1 ff. (21)). - Skeptisch gegenüber dem Argument der Unmöglichkeit oder Überforderung des Gesetzgebers auch Bettermann, Legislative ohne Posttarifhoheit, 1967, 59 (mit Beispielen zum Gebührenrecht). 125 Das heißt ohne weitere zwischengeschaltete (da ja ebenfalls unmögliche) abstrakt-generelle Regelungen auf untergesetzlicher Ebene. 126 Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (835 f.). 127 Vgl. oben Kap. I V 5.2 und Kap. V I I 3.2.3. 128 Vgl. Hüser (Fn. 53), 1977, 91, der auf die parlamentarische Diskussion des Außenwirtschaftsgesetzes hinweist, in dem ein Zustimmungsvorbehalt vorgesehen ist, obwohl gegen eine vollständige Delegation verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestanden. Vgl. auch DJTSchulGE, 1981, 51; Heussner(Fn. 43), 1983, 111 ff. (124).

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

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anforderungen entsprechend den Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes reduzieren und andererseits bei Einhaltung dieser Anforderungen zu einem Defizit führen. Dasselbe muß gelten, wenn die Abwägung des Gesetzgebers zwischen den für und gegen eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Regelung sprechenden Gesichtspunkten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Entscheidet sich der Gesetzgeber nach Abwägung aller Gesichtspunkte für eine relativ offene, in vergleichsweise starkem Umfang delegierende gesetzliche Regelung und steht diese im Ergebnis mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts im Einklang, so besteht weder ein Regelungsdefizit noch ein Kompensationsbedürfnis. 129 Nimmt man die einhellige Auffassung wirklich ernst, daß die Bestimmtheitsanforderungen bereichsspezifisch divergieren können, dann indiziert eine weniger bestimmte Regelung keineswegs automatisch das Vorliegen eines verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsdefizits. Ein Bedürfnis nach Kompetenzkompensation besteht daher streng genommen nur in den Fällen, in denen ein faktischer Kompetenzverlust abweichend von den verfassungsrechtlichen Anforderungen ein-< tritt.130 (2) Faktisches Bestimmtheitsdefizit

Nun ließe sich gegen diese Argumentation einwenden, sie bleibe vordergründig-formal, weil bei reduzierten Anforderungen des Parlamentsvorbehalts trotz verfassungsrechtlicher Legitimität der unbestimmten Regelung oder Ermächtigung jedenfalls im Ergebnis nur wenig im Parlamentsgesetz selbst geregelt werde und somit zumindest, wenn kein rechtliches, so doch ein faktisches Bestimmtheitsdefizit bestehe. I n der Tat ist nicht bestreitbar, daß es zu einer unter vorbehaltsrechtlichen Gesichtspunkten zwar nicht zu beanstandenden, faktisch aber doch recht unbestimmten parlamentsgesetzlichen Regelung kommen kann. So kann sich, auch wenn im strengen Sinne ein verfassungsrechtliches Bestimmtheitsdefizit verneint wird, die Frage stellen, ob bei einem faktischen Regelungsdefizit eine nachträgliche Parlamentsbeteiligung kompensierend wirken könnte. 1 3 1 Entscheidende Frage ist nach alledem, ob die nachträgliche Parlamentsbeteiligung als tatsächliches Äquivalent zu einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Regelung beziehungsweise Ermächtigung angesehen werden kann.

8.6.5 Verstärkte

Zugriffsrechte

Dies setzt zunächst voraus, daß das neue Instrumentarium überhaupt ein Mehr an parlamentarischen Zugriffs- und Mitwirkungsrechten vorsieht. Zumindest bei der Version eines KassationsVorbehalts erscheint fraglich, ob dem 129

So im Ergebnis auch Lerche (Fn. 45), 1981, 48, und Richter, RdJB 1981, 429 f. (430). Roters, Rdn. 48 ff. zu Art. 28, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 2, 2. AuH., 1983; Erichsen, Rechtsgutachten, 1978, 49 ff.; zum Kompensationsmodell im Kommunalrecht vgl. Scholz, D Ö V 1976, 441 ff. (444). 131 Nur in diesem faktischen Sinne kann von einer „Kompensation" überhaupt die Rede sein. 130

324

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

Parlament ein über die bisherigen Rechte hinausgehendes Zugriffsrecht eröffnet wird. Nach derzeit geltendem Verfassungsrecht ist das Parlament jederzeit in der Lage, eine Rechts Verordnung nach ihrem Inkrafttreten durch eine entsprechende gesetzliche Regelung ganz oder teilweise aufzuheben oder durch eine inhaltlich widersprechende Regelung über den Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) ganz oder teilweise zu verdrängen, was im Ergebnis einer Aufhebung oder Abänderung gleichkommt. 1 3 2 Eine Kassation von Rechtsverordnungen ist demnach auch mit dem heutigen Instrumentarium ohne weiteres erreichbar. Das vorgeschlagene Kassationsrecht entspricht weitgehend dem ohnehin bestehenden parlamentarischen Recht zur Aufhebung von Rechtsverordnungen durch Parlamentsgesetz. 133 Die Tatsache, daß das vorgeschlagene Kassationsrecht lediglich einen schlichten Parlamentsbeschluß erfordern würde, 1 3 4 während eine Aufhebung oder Abänderung über den Vorrang des Gesetzes nur durch ein förmliches Parlamentsgesetz erfolgen könnte, steht dem nicht entgegen, da die Lockerung der Verfahrenskautelen keineswegs automatisch zu einer stärkeren Einflußnahme führen muß. Eine Verfahrenserleichterung führt nicht ohne weiteres dazu, daß das Parlament von seinem Kassationsrecht eher Gebrauch machen würde.

8.6.6 Art. 47 Abs. 1 Satz 2 Berliner Verfassung

Die Erfahrungen mit der einzigen ein solches Kassationsrecht per Parlamentsbeschluß vorsehenden Vorschrift im deutschen Verfassungsrecht sprechen eine deutliche Sprache: Art. 47 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung von Berlin ist - soweit ersichtlich - in der nunmehr über 30jährigen Praxis des Berliner Abgeordnetenhauses seit Inkrafttreten der Berliner Verfassung nur in einem einzigen Fall zur Anwendung gekommen, als das Abgeordnetenhaus den Senat um Aufhebung einer Rechtsverordnung ersuchte. 135 Zu einer Aufhebung oder Abänderung einer Rechtsverordnung durch Beschluß des Abgeordnetenhauses ist es seit Bestehen der Berliner Verfassung bisher nicht ein einziges Mal gekommen. 1 3 6 Für eine Aufhebung einer Rechtsverordnung durch Gesetz ist nur ein Beispiel bekannt; 1 3 7 diese Möglichkeit besteht aber ganz unabhängig von Art. 47 Abs. 1 VvB. Diese Erfahrungen lassen eine 132

Vgl. Grupp, DVBl. 1974, 177 ff. (178). Vgl. Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 141. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, eine dem Verordnungsgeber überlassene Regelungsbefugnis wieder für sich in Anspruch zu nehmen (BVerfGE 22, 330, 346). 134 So Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (255 ff.); Kisker (Fn. 45), 1980,23; Ossenbühl, D Ö V 1982, 833 ff. (841 ); vgl. auch Art. 47 Abs. 1 Satz 2 Verf. von Berlin („... durch Beschluß des Abgeordnetenhauses ..."). 133

135

Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 1/528 vom 2.10.1951. So Pfennig, in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1978, Art. 47 Rdn. 15. - Freilich ist zu berücksichtigen, daß die Berliner Praxis aufgrund eines internen Gutachtens entgegen dem Wortlaut des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 der Verf. von Berlin von der Unzulässigkeit einer Aufhebung oder Änderung von Rechtsverordnungen durch einfachen Parlamentsbeschluß ausgeht. 137 Vgl. Gesetz zur Aufhebung der Verordnung über Änderung des Einheitstarifs für Kraftfahrtversicherungen vom 28.9.1951, GVB1. Berlin 1951, 1085. 136

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

325

erhebliche Skepsis begründet erscheinen, ob eine im Vergleich zu den derzeitigen Parlamentsrechten vereinfachte Kassationsmöglichkeit in der Praxis zu einer intensivierten Kontrolle oder gar Korrektur von Rechtsverordnungen durch das Parlament führen würde. Abgesehen von diesen Bedenken, die sich allerdings auf die Version eines Kassationsvorbehalts beschränken, 138 steht die generelle Frage weiter im Raum, ob nicht zumindest die anderen nachträglichen Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Parlaments als Kompensationsinstrumente in Betracht kommen könnten. 8.6.7 Eingeschränkte Ermächtigung

Dazu wird zum Teil die Auffassung vertreten, bei einer mit einem Mitwirkungsvorbehalt versehenen Ermächtigung handele es sich um eine „eingeschränkte Ermächtigung", 139 um ein Minus hinsichtlich der Weite der Ermächtigung verglichen mit einer Ermächtigung ohne Mitwirkungsvorbehalt. 1 4 0 Eine mit einem Mitwirkungsvorbehalt versehene Ermächtigung wird einer den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügenden Ermächtigung gleichgestellt. So vertritt Hüser die Auffassung, es mache keinen Unterschied, ob vorher Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt werden oder eine nachträgliche Kontrolle des Parlaments stattfinde. 141 Dabei werden jedoch grundlegende Unterschiede zwischen einer vorherigen und einer nachträglichen Parlamentsbeteiiigung vernachlässigt. Wird anstelle einer inhaltlich bestimmten und begrenzten Ermächtigung lediglich eine nachträgliche Parlamentsmitwirkung vorgesehen, so kann von einer „eingeschränkten Ermächtigung" nicht gesprochen werden. Die Exekutive ist 138 Gegen einen Kassationsvorbehalt sprechen weitere Gesichtspunkte. Wenn schon dem Parlament ein gegenüber dem Weg über das förmliche Gesetzgebungsverfahren vereinfachtes Zugriffsrecht eingeräumt werden soll, dann sollte diese parlamentarische Mitwirkung - wenn überhaupt - vor dem Inkrafttreten der Rechtsverordnung stattfinden. Die ansonsten entstehende Rechtsunsicherheit (auf die schon Triepel hinwies, Verhandlungen des 32. D J T 1922, 11 ff., 28, betreffend das dort diskutierte Aufhebungsrecht des Reichstags gegenüber Gesetzesbeschlüssen von Reichstagsausschüssen), ob das Parlament die Rechtsverordnung aufheben oder abändern wird, kann auch durch eine Befristung des Kassationsrechts nicht völlig ausgeräumt werden. Im Falle einer Befristung käme ein Zeitverlust hinzu, da der Ablauf der Veto- beziehungsweise Kassationsfrist abgewartet werden müßte - ein Aspekt, der die Funktionsfähigkeit der Rechtsverordnung als flexibles, rasch wirkendes Regelungsinstrument in Frage stellen würde. Vor allem aber können mit dem Inkrafttreten der Rechtsverordnung Rechtswirkungen eintreten, die - wie die Erfahrungen in Berlin im Bereich des Baurechts zeigen - später praktisch nicht mehr rückgängig zu machen sind, so daß das Kassationsrecht praktisch leerläuft (das Berliner Abgeordnetenhaus kann von seinem formal bestehenden Recht der Änderung oder Aufhebung von Bebauungsplänen, die als Rechtsverordnung des Senats erlassen werden, praktisch keinen Gebrauch machen, da mit Inkrafttreten der Rechtsverordnung bereits unmittelbare Rechtsfolgen eintreten). Im Schulrecht würde ein Kassationsrecht womöglich dazu führen, daß die Schule trotz Kassation vorerst nach der kassierten Regelung arbeiten müßte, bis eine neue Regelung vorliegt (vgl. Eiselt, D Ö V 1978, 866 ff., 871; ablehnend gegenüber einem Kassationsrecht auch die Enquête-Kommission für Verfassungsreform, Zwischenbericht, BT-Drucks. VI/3829, 80, und Schlußbericht, BT-Drucks. 7/5924, 92). 139 140 141

Grupp, DVBl. 1974, 177 ff. (179). Hüser (Fn. 53), 1977, 126. Hüser (Fn. 53), 1977, 126.

326

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

in einem solchen Fall in ihrer inhaltlichen Entscheidung und Regelung frei. Die Steuerungs- und Programmierungsfunktion einer hinreichend bestimmten Ermächtigung weicht einer rein nachträglichen Kontrollfunktion. 1 4 2 Selbst wenn man die Möglichkeit von Vorwirkungen einer nachträglichen Parlamentsbeteiligung in Rechnung stellt, 1 4 3 ist die Einflußmöglichkeit des Parlaments qualitativ erheblich geringer als eine solche über eine präzise programmierende vorherige Ermächtigung. Zu Recht hat daher die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages die kompensatorische Beteiligung des Parlaments abgelehnt. 144 8.6.8 Vorbehalt des Gesetzes oder Vorbehalt des Parlaments

Nun könnte man einwenden, der Verlust an materieller Steuerungs- und Programmierungsbefugnis werde durch die verfahrensrechtliche Mitwirkung kompensiert. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht nur ein Gewinn, sondern auch erhebliche Verluste eintreten. So soll die nachträgliche Parlamentsbeteiligung durch schlichten Parlamentsbeschluß erfolgen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen Zustimmungs-, Veto- oder Kassationsvorbehalt handelt. Eine vorherige parlamentarische Ermächtigung erfolgt dagegen durch förmliches Parlamentsgesetz. Der Entlastungseffekt, der von den Vertretern des Kompensationsgedankens besonders hervorgehoben wird, 1 4 5 setzte ja gerade eine Lockerung und Reduzierung der verfahrensrechtlichen Vorkehrungen des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens voraus. Entscheidend ist daher die Frage, ob die Parlamentsmitwirkung durch Parlamentsbeschluß als Äquivalent einer Mitwirkung durch Parlamentsgesetz angesehen werden kann. Letztendlich läuft die Frage darauf hinaus, ob der Vorbehalt des Gesetzes durch einen Vorbehalt des Parlaments substituiert werden kann. (1) Kisker

Diese Auffassung wird in der Tat von einigen Autoren vertreten. So versteht Kisker den Vorbehalt des Gesetzes (= Parlamentsvorbehalt) 146 als einen „Vor142

Ossenbühl, Gutachten Β zum 50. D J T 1974, Β 158. Der Verordnungsgeber wird möglicherweise die Mehrheitsmeinung im Parlament (sofern eine solche bereits gebildet und dem Verordnungsgeber bekannt ist) bei der inhaltlichen Fassung der Verordnung berücksichtigen, um ein Einvernehmen mit dem Parlament zu gewährleisten. Denkbar ist auch eine Absicherung bei den Fraktionsvorständen der Regierungsfraktionen, wodurch eine Kontrolle durch das Parlament durch selektive Beteiligung ausgeschlossen würde (vgl. die Diskussionsbeiträge von Schäfer und Gaebler, ZParl 4 (1973), 441 f.). Auf diese Weise ergäbe sich die Gefahr, daß durch vorherige Parlamentsbeteiligung am Zustandekommen von Rechtsverordnungen faktisch das nachträgliche Aufhebungs- beziehungsweise Abänderungsrecht qua Vorrang des Gesetzes unterlaufen würde (faktische Selbstbindung, konkludenter Änderungsverzicht). 144 DJT-SchulGE, 1981, 50; Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 112, 121, 133, 139; Kisker (Fn. 45), 1980, 39 ff.; ebenso Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 74 mit Fn. 164; Richter, Art. 7 Rdn. 44, in: A K - G G , 1984. 143

145

Vgl. die Literaturangaben oben Fn. 45. Kisker (Fn. 45), 1980, 14 (vgl. aber auch dort 46 mit Fn. 127; ebenso Ders., NJW 1977, 1313 ff. mit Fn. 1). 146

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

327

behalt zugunsten des Parlaments". 147 Es sei keineswegs selbstverständlich, daß das Parlament diesem Vorbehalt nur im Wege der Gesetzgebung gerecht werden könne. 1 4 8 Die den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts entsprechende Vorprogrammierung des Verordnungsgebers sei nicht ausschließlich dem Parlament als Gesetzgeber anvertraut. 149 Kisker schließt damit im Bereich des Parlamentsvorbehalts die Möglichkeit nicht aus, daß diesem Vorbehalt durch einen schlichten Parlamentsbeschluß genügt werden könnte. (2) Scholz/Bismark

Ähnlicher Auffassung sind Scholz/Bismark. 150 Sie gehen zwar im Grundsatz davon aus, daß ein schlichter Parlamentsbeschluß den Gesetzesvorbehalt nicht ersetzen oder modifizieren kann; wo die Verfassung das Gesetz als Form parlamentarischer Entscheidung verlange, seien Gesetzesform und Gesetzgebungsverfahren als solche zwingend. Aus der Sicht des demokratischen Parlamentsvorbehalts ergebe sich jedoch, daß das Parlament auch andere Formen eigener Entscheidung oder Entschließung wählen könne. Der Gesetzesvorbehalt bedeute aus kompetenzrechtlicher Sicht Parlamentsvorbehalt. M i t dieser Feststellung sei noch nichts darüber ausgesagt, in welcher Form der Parlamentsvorbehalt ausgeübt werden müsse. 151 Nach diesen Auffassungen ist der Parlamentsvorbehalt nicht mehr zwingend als Vorbehalt des Gesetzes zu verstehen. Der Parlamentsvorbehalt soll nicht mehr auf das förmliche Gesetz als eine bestimmte in der Verfassung vorgesehene Regelungsform verweisen, sondern auf das Parlament als Organ und Entscheidungsträger, in dessen Belieben es gestellt wird, auch in anderen Formen als durch Erlaß eines formellen Gesetzes dem Gesetzesvorbehalt zu entsprechen. Die zunächst unverfänglich erscheinende synonyme Verwendung der Begriffe Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt wird zum Vehikel einer grundlegenden Abkehr von einer bisher völlig unbestrittenen Grundannahme der Vorbehaltslehre. Die seit der Zeit des Konstitutionalismus unbestrittene Auffassung, daß der Gesetzesvorbehalt eine - wie auch immer geartete - formell-gesetzliche Regelung erforderlich macht, wird durch den Begriff Parlamentsvorbehalt und die damit „entdeckte" Verweisung auf das Parlament als Organ nunmehr in Frage gestellt. (3) Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur

Demgegenüber gehen Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend davon aus, daß sowohl der Gesetzes vorbehält als auch der Parlaments vorbehält ein Vorbehalt zugunsten des parlamentarischen Gesetzgebers ist. 1 5 2 147

Kisker, ebd. 14. Kisker, ebd. 14 ff., 46 ff. 149 Kisker, ebd. 46. 150 Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 73 ff. 151 Scholz/Bismark, ebd. 121. 152 Dies gilt auch, soweit der Parlamentsvorbehalt zunächst nur als kompetentielle Verweisung auf das Parlament verstanden wird, denn auch in diesen Fällen wird stets das Parlament in seiner Funktion als Gesetzgeber angesprochen. 148

328

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

BVerfG und BVerwG haben mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes dem Parlament a 1 s L e g i s l a t i v e die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zufalle 153 und das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip des Grundgesetzes dem Parlament a l s L e g i s l a t i v e die verfassungsrechtliche Aufgabe zuweisen, die Tätigkeit der Exekutive inhaltlich zu normieren. 154 Beide Gerichte haben diese Auffassung in jüngeren Entscheidungen bestätigt. 155 In der Sexualkundeentscheidung erörterte das BVerfG die Frage, ob möglicherweise dem Vorbehalt des Gesetzes dadurch Genüge getan sei, daß bei der Erarbeitung der Richtlinien für die Sexualerziehung in Hamburg die bei der Fachbehörde gebildete Deputation, zu der neben dem Senator auch vom Parlament gewählte Bürger gehörten, mitgewirkt und eine Parlamentsdebatte mit zustimmenden Äußerungen der Fraktionen stattgefunden hatte. Ganz ähnlich lag der Fall in der Lateinentscheidung des BVerwG, in der das Gericht über die Frage zu entscheiden hatte, ob dem Gesetzesvorbehalt dadurch genügt worden sei, daß die bei der beklagten Schulbehörde gebildete Deputation für Bildung mehrheitlich beschlossen hatte, daß Englisch die verbindliche erste Fremdsprache in der Orientierungsstufe werden solle, und daß in einer Bürgerschaftssitzung ein entsprechender Antrag angenommen wurde, durch den der Beschluß der Deputation für Bildung begrüßt wurde. 156 Beide Gerichte verneinten die Frage unter Hinweis darauf, daß weder ein einfacher Beschluß der Bürgerschaft noch die Mitwirkung einer Deputation den Gesetzgebungsakt zu ersetzen vermöge. Denn in beiden Fällen sei die Bürgerschaft nicht a l s G e s e t z g e b e r tätig geworden. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes grenze bestimmte Sachbereiche ab, deren Regelung aus Gründen der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung prinzipiell dem Gesetzgeber obliege. Auch in der Literatur besteht - bis auf die genannten Ausnahmen - ganz einhellig die Auffassung, daß sowohl dem Gesetzes- als auch dem Parlamentsvorbehalt nur durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers genügt werden kann. 1 5 7 (4)

Stellungnahme

Sieht man einmal von der problematischen begriffsjuristischen Gleichsetzung von Gesetzes- und Parlaments vorbehält ab, durch die aus dem Vorbehalt des Gesetzes ein Vorbehalt des Parlaments wird, 1 5 8 so vertreten Scholz/ Bismark ihre Auffassung einschränkend nur „aus der Sicht des demokratischen Parlamentsvorbehalts". 159 In der Tat erscheint unter rein demokra153

BVerfGE 34, 52 (59). BVerwGE 47, 194(200). 155 Vgl. zum Beispiel BVerfGE 57, 295 (321, 324) - Saarländisches Rundfunkgesetz - , wo das Gericht den Vorbehalt des Gesetzes ausdrücklich als (Landes-)Parlamentsvorbehalt bezeichnet, der für wesentliche Fragen eine Regelung „des Gesetzgebers" („durch Gesetz") fordere. 156 BVerfGE 47, 46 (82); BVerwG, DVBl. 1982, 414 = D Ö V 1982, 362. 157 Vgl. Häberle, D Ö V 1972, 729 ff. (735); Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, 108; Evers, JuS 1977, 804 ff. (807); Hansen, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 92; Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (96); Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, 228, spricht ausdrücklich von einem „Vorbehalt der Legislative"; ebenso Klein, ZParl 4 (1973), 438. 158 Der Vorwurf begriffsjuristischer Manier, den Kisker gegen die Auffassung erhebt, daß die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts „natürlich" nur durch das Parlament als Gesetzgeber erfüllt werden können (Kisker (Fn. 45), 1980, 46), muß an ihn zurückgegeben werden. Nichts anderes als ein begriffsjuristischer Kunstgriff ist es, wenn allein durch die Wahl der Bezeichnung „Parlamentsvorbehalt" bisher völlig unstreitige Grundannahmen der Vorbehaltslehre in Frage gestellt werden sollen. 159 Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 121; vgl. auch Kisker (Fn. 45), 1980, 47 f., der die möglichen Einwände aus dem Demokratieprinzip zurückweist. 154

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

329

tischen Aspekten die Notwendigkeit eines Parlamentsgesetzes nicht zwingend, denn das demokratisch gewählte Entscheidungsorgan ist bei einem einfachen Parlamentsbeschluß dasselbe. 160 Auch unter rechtsstaatlichem Blickwinkel bestehen nach Auffassung von Kisker im Ergebnis keine Bedenken, eine Mitwirkung per einfachem Parlamentsbeschluß als Äquivalent zum förmlichen Gesetzesbeschluß anzusehen. 161 Selbst wenn man auch dieser Auffassung zustimmen wollte, 1 6 2 so zeigen sich an dieser Stelle die fatalen Konsequenzen einer allein an bestimmten Verfassungsprinzipien orientierten Herangehensweise an die Problematik von Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis. 163 Selbst wenn weder demokratische noch rechtsstaatliche Gesichtspunkte dem Kompensationsgedanken zwingend entgegenstehen, so beweist dies für sich noch keineswegs die Zulässigkeit einer Substitution des Gesetzesbeschlusses durch einen einfachen Parlamentsbeschluß. Die funktionell-strukturellen Bedingtheiten, welche die Geltung des Parlamentsvorbehalts begründen, 164 bleiben bei Scholz/Bismark und Kisker weitgehend außer Betracht. 165 Lediglich im Hinblick auf die Organstruktur 166 besteht kein wesentlicher Unterschied, wenn statt des Gesetzgebungsverfahrens ein schlichter Parlamentsbeschluß gefaßt wird; in allen anderen Punkten dagegen sind gravierende Unterschiede festzustellen. So würde über die Zustimmung, das Veto oder die Kassation durch das Parlament in einem Verfahren entschieden, das wesentlich einfacher wäre als das Gesetzgebungsverfahren. 167 Während im förmlichen Gesetzgebungsverfahren in der Regel zwei oder drei Lesungen vorgesehen sind, findet im einfachen Beschlußverfahren regelmäßig nur eine Beratung statt. 1 6 8 Die im Gesetzgebungsverfahren vorgeschriebene Beteiligung anderer höchster Staatsorgane entfällt. 1 6 9 Die für Ausfertigung und Verkündung zuständigen Organe 1 7 0 werden nicht beteiligt. A u f Bundesebene wird zudem die im Gesetzgebungsverfahren vorgeschriebene Mitwirkung des Bundesrats umgangen. 171 Schon allein aus diesen Gründen kann es dem Parlament nicht freigestellt 160

Kisker (Fn. 45), 1980, 48 ff. Kisker (Fn. 45), 1980, 48 ff. 162 Vgl. unten Fn. 164. 163 Vgl. oben Kap. VI 1.2.2(6). 164 Stichworte: Organstruktur, Verfahrens- und Regelungsstruktur, Funktion des Parlamentsgesetzes. ,6S Die funktionell-strukturellen Eigenarten des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens besitzen zugleich rechtsstaatliche Bedeutung, so daß Kiskers Auffassung, unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips bestünden keine Bedenken, zumindest fragwürdig erscheinen muß. 166 In der Diktion der herrschenden Meinung: unter dem Blickwinkel des Demokratieprinzips. 167 Vgl. BVerfGE 8, 274 (323). 168 Vgl. zum Beispiel § 77 Abs. 1 G O BT. 169 Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, 173; es ist allerdings auf einige Ausnahmen hinzuweisen, vgl. zum Beispiel Art. 80 Abs. 2, 115 a Abs. 1 Satz 1,115 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 G G . Vgl. auch oben Kap. V I 4.2.2. 170 Auf Bundesebene der Bundespräsident, dem ein formelles und materielles Prüfungsrecht zusteht. Vgl. dazu auch oben Kap. V I 4.2.3. 171 Auf Landesebene wird in Bayern die Beteiligung des Senats als „zweiter Kammer" umgangen. 161

330

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

sein, im förmlichen Gesetzgebungsverfahren oder durch schlichten Parlamentsbeschluß zu entscheiden, denn sonst hätte das Parlament es in der Hand, über die Beteiligungsrechte anderer Verfassungsorgane und damit über deren verfassungsrechtlich gewährleistete Zuständigkeiten zu bestimmen 172 und die relativ strengen Verfahrensbestimmungen des Gesetzgebungsverfahrens 173 durch extensiven Gebrauch von Zustimmungsverordnungen zu umgehen. Die Handlungsformen des Parlaments sind nicht austauschbar. 174 Neben den verfahrensrechtlichen Einbußen sind die Unterschiede in der Regelungsstruktur zu berücksichtigen. Ein einfacher Parlamentsbeschluß kann weder nach einem formellen noch nach einem materiellen Gesetzesbegriff 1 7 5 als A k t der Gesetzgebung durch das Parlament angesehen werden, da das Grundgesetz und die Landesverfassungen diese nur in bestimmten Handlungsformen zulassen. 176 Die Funktion der Außensteuerung der rechtsetzenden Exekutive wird durch eine nur nachträgliche Parlamentsbeteiligung nicht wirksam gewährleistet. Ein einfacher Parlamentsbeschluß, der den Verordnungsgeber um Aufhebung oder Änderung der Rechtsverordnung ersucht oder diese Änderung beschließt, vermag entgegenstehende untergesetzliche Regelungen 177 nicht zu verdrängen, da ihm die Wirkungen des Gesetzesvorrangs nicht zukommen. Der einfache Parlamentsbeschluß ist darüber hinaus nicht wie ein Gesetz justitiabel. Auch in funktionell-rechtlicher Hinsicht kann die nachträgliche Parlamentsbeteiligung nicht als Äquivalent angesehen werden. Die Funktion des Parlamentsvorbehalts, die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen zu verstärken und insbesondere die grundrechtsrelevanten Entscheidungen im Bereich der Rechtsetzung durch Parlamentsgesetz zu treffen, wird durch den Kompensationsgedanken nicht nur nicht gewährleistet; vielmehr läuft die Kompensationsidee den Intentionen des Parlamentsvorbehalts diametral entgegen. Die oben erwähnten Vorwirkungen einer nachträglichen Parlamentsbeteiligung könnten auch - statt einer Berücksichtigung des mutmaßlichen Parlamentswillens - dazu führen^ daß die Bestimmtheitsanforderungen im Hinblick auf die nachträgliche Parlamentsbeteiligung in der Praxis immer weniger erfüllt würden. Das Parlament verlöre so immer mehr an Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der delegierten Rechtsetzung. Ein weiterer Bedeutungsschwund des Parlaments wäre die Folge. 178 Die Rechtset-

172

Vgl. Magiera (Fn. 169), 1979, 174. Vgl. für die Bundesgesetzgebung Art. 76 ff. GG. 174 So im Grundsatz auch Scholz/Bismark (Fn. 46), 1980, 121: „... wo die Verfassung das Gesetz als Form parlamentarischer Entscheidung verlangt, dort sind Gesetzesform und Gesetzgebungsverfahren als solche zwingend". 175 Vgl. dazu oben Kap. V 2.2. 176 Diese Überlegung verdeutlicht, daß die vom BVerfG vorgenommene Einschränkung, nur bei einem legitimen Interesse der Legislative Zustimmungsverordnungen für zulässig zu erklären, überaus berechtigt ist. 177 Zum Beispiel an anderer Stelle als in der fraglichen Rechtsverordnung. 178 Vgl. schon Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform, BT-Drucks. VI/3829, 80. 173

8.6 Kompensatorisch-kooperative Variante

331

zungsfunktion würde in ihrer materiellen Substanz noch stärker als bisher funktionswidrig der Exekutive zuwachsen. I m praktischen Ergebnis liefe eine solche Entwicklung auf das vom Grundgesetz und allen Landesverfassungen abgelehnte selbständige Verordnungsrecht der Exekutive hinaus; es würde diesem zumindest sehr nahe kommen. Hinzu treten praktische Bedenken aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit einer Parlamentsbeteiligung beim Erlaß von Rechtsverordnungen. Zwei extreme Möglichkeiten kennzeichnen die Situation. Wird die Parlamentsbeteiligung ernst genommen und befaßt sich das Parlament intensiv mit den ihm vorgelegten Verordnungen, dann wäre dies im Hinblick auf eine Wahrung des Parlamentseinflusses zwar zu begrüßen. Der mit dem Kompensationsgedanken intendierte Entlastungseffekt zugunsten des Parlaments träte indes nicht ein, weil sich das Parlament mit vielen Detailund Vollzugsentscheidungen befassen müßte, die von untergeordneter Bedeutung sind und nicht parlamentsrelevant wären. 1 7 9 Ganz im Gegenteil wäre sogar eine erheblich stärkere Belastung des Parlaments zu erwarten, das sich ja nicht mehr - einmal - mit der jeweiligen Verordnungsermächtigung zu befassen, sondern jede einzelne Rechtsverordnung bei Erlaß sowie bei jeder Änderung zu prüfen hätte. 1 8 0 Angesichts der Fülle der jährlich erlassenen Rechtsverordnungen 181 und der enormen Änderungshäufigkeit müßte die Funktionsfähigkeit des Parlaments fraglich, die Parlamentsmitwirkung letztendlich zur Farce werden. Allerdings wäre eher zu erwarten, daß die Mitwirkung des Parlaments zum Routineakt würde. 1 8 2 Befaßt sich das Parlament aber gar nicht eingehend mit den ihm vorgelegten Verordnungen, dann kann auf diese Weise ein Kompensationseffekt für die unzureichende Ermächtigung nicht eintreten. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Parlamentsmehrheit „ihre" Regierung desavouieren könnte, ist gering. 183 Die geringe Effizienz einer nachträglichen Parlamentsbeteiligung ist in der Berliner Staatspraxis deutlich geworden. Diese läßt auch Aufschlüsse zu, wie eine solche in der Praxis gehandhabt wird. Nach der Geschäftsordnung des Berliner Abgeordnetenhauses werden die Rechtsverordnungen anstelle einer Vorlage an das Parlament ohne Aussprache an den zuständigen Ausschuß überwiesen, welcher eine Empfehlung ausspricht, die Rechts Verordnung aufzuheben, zu ändern oder ihr zuzustimmen. Erhebt der Ausschuß keine Einwendungen, so gilt die Vorlage als vom Abgeordneten179 Vgl. Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform, BT-Drucks. VI/3829, 80 f. 180 Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform, BT-Drucks. VI/3829,

81.

181

Vgl. die statistischen Angaben bei Vogel, JZ 1979, 321 ff. Vgl. Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform, BT-Drucks. VI/3829,81, wo auch auf die Erfahrungen mit der aus dem preußischen Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 übernommenen Vorlagepflicht mit Kassationsbefugnis von polizeilichen und ordnungsbehördlichen Verordnungen verwiesen wird. - Vgl. auch Kisker, NJW 1977,1313 ff. ( 1319) (hier noch sehr skeptisch!). 183 Wimmer, ZfPäd 1978,241 ff. (257); vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Engelhardt und Schäfer in ZParl 4 (1973), 438, 440 f. 182

332

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

haus zur Kenntnis genommen. 184 Das BVerwG ist so weit gegangen, an die Fiktion der Kenntnisnahme die Vermutung inhaltlicher Billigung seitens des Gesetzgebers (das heißt des Parlamentsplenums) zu knüpfen. 1 8 5 Eine solche „Ausschußlösung" bringt schließlich das einzige verbleibende Argument zu Fall, das man der Kompensationslösung zugute halten konnte, nämlich die identische Organstruktur des Parlaments bei einfachem Parlamentsbeschluß und förmlichem Gesetzesbeschluß. Bei der Ausschußlösung wird der Gesetzgeber - und das ist allein das Parlamentsplenum - im Regelfall gar nicht mehr beteiligt. 1 8 6 Auch im Hinblick auf die Organstruktur (hier Plenum, da Ausschuß) kann von einem Äquivalent nicht mehr die Rede sein. Folgt die gegenüber der Verordnungsgebung höhere Legitimation des Parlaments nach richtiger Auffassung nicht aus der unmittelbaren Volkswahl des Parlaments, sondern in erster Linie aus seiner Organstruktur und der Verfahrensstruktur des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, dann entfällt ein wesentlicher Teil dieser Legitimation, wenn weder das gesamte Parlament als Organ tätig wird noch das förmliche Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wird. Gegen den Kompensationsgedanken spricht schließlich noch ein letzter Gesichtspunkt: Die Bestimmtheitsproblematik beschränkt sich ja nicht auf das Verhältnis Gesetzgeber - Verordnungsgeber, sondern tritt auch bei allen Formen verdeckter Delegation auf. Der Bestimmtheitsproblematik bei verdeckten Ermächtigungen wäre aber durch eine nachträgliche Parlamentsmitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen nicht beizukommen, es sei denn, man sähe entsprechende Mitwirkungsvorbehalte auch in bezug auf gesetzeskonkretisierende Verwaltungsvorschriften vor, was jedoch durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde. 1 8 7

8.6.9

Zwischenergebnis

Es ist somit festzuhalten, daß eine nachträgliche Parlamentsbeteiligung beim Erlaß von Rechtsverordnungen - unbeschadet ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit - kein Äquivalent für eine vorherige hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung darstellen kann. 1 8 8 Die verfassungsrecht184 Vgl. Art. 47 Abs. 1 VvB und die dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen des § 32 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses. 185 BVerwGE 57, 130 (139 f.). Meines Erachtens ist diese Konstruktion des BVerwG abzulehnen, da sie die praktische Bedeutung der Parlamentsbeteiligung nach Art. 47 Abs. 1 VvB erheblich überschätzt und die Regelung der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses außer acht läßt, die aber für die Handhabung des Art. 47 Abs. 1 VvB in der Staatspraxis maßgebend ist. 186 Zwar liegt das Schwergewicht der Gesetzesberatungen ebenfalls in den Ausschüssen, doch wird das Parlamentsplenum in allen Fällen zumindest zur Beschlußfassung mit jedem Gesetzentwurf befaßt; bei wichtigen und kontroversen Gesetzesvorhaben dürfte die Aktivität des Parlamentsplenums gewährleistet sein. 187 Der Erlaß von Verwaltungsvorschriften kann nicht, wie der Erlaß von Rechtsverordnungen, funktionell als Legislativfunktion begriffen werden; die Bedenken gegen eine Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Verwaltungsvorschriften unter dem Aspekt des Verbots der „horizontalen Mischverwaltung" sind daher durchgreifend. 188 So auch Richter, Art. 7 Rdn. 44, in A K - G G , 1984. Die Parlamentsbeteiligung durch Mitwirkung von Parlamentsausschüssen (vgl. zum Beispiel §§ 26,26b nrw. SchulverwG) braucht

8.7 Verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante

333

lieh gebotenen substantiellen Entscheidungen und Regelungen im Parlamentsgesetz lassen sich nicht durch eine nachträgliche Parlamentsmitwirkung substituieren. Ein Kompensationseffekt tritt durch eine solche verfahrensrechtliche Regelung weder rechtlich noch faktisch ein. 1 8 9 Der Parlamentsvorbehalt als Vorbehalt des Gesetzes kann nicht im Handstreich zu einem Vorbehalt des Parlaments herabgestuft werden. Eine nachträgliche Parlamentsmitwirkung kann nicht von der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen dispensieren. 190 Das BVerfG hat in begrüßenswerter Klarheit deutlich gemacht, daß auch Ermächtigungen zum Erlaß von Zustimmungsverordnungen den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G 1 9 1 entsprechen müssen und daß die Bestimmtheit der Ermächtigung sich unabhängig von den Voraussetzungen ergeben muß, unter denen die Verordnungen der Zustimmung des Parlaments bedürfen. 192

8.7 Verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante Von allen eingangs vorgestellten alternativen und flankierenden verfahrensrechtlichen Vorschlägen verbleibt schließlich die verfahrensrechtlichgeschäftsordnungsmäßige Variante, welche einer parlamentarischen Minderheit (sprich: Opposition) das Recht einräumen möchte, eine zur Regelung durch Rechtsverordnung anstehende Materie unter den Parlamentsvorbehalt zu ziehen. Zwei unterschiedliche Versionen stehen zur Diskussion: Entweder die Minderheit kann einen für das Parlament bindenden Beschluß fassen, daß der Inhalt eines Verordnungsentwurfs unter den Parlamentsvorbehalt fällt, 1 9 3 oder der Minderheit wird zwar das geschäftsordnungsmäßige Recht eingeräumt, Diskussion und Beschlußfassung über die Frage des Parlamentsvorbehalts zu erzwingen; für die endgültige Entscheidung ist aber eine Parlamentsmehrheit erforderlich. 194 8.7.1 Verfassungsmäßigkeit

Fraglich ist zunächst, ob beide Versionen materiell verfassungsgemäß wären. I m ersten Fall würde einer Abgeordnetenminderheit das Recht eingedaher nicht mehr erörtert zu werden, da die Einwände insoweit ebenfalls gelten, abgesehen von den zusätzlichen Bedenken, die gegen eine verantwortliche und entscheidende Beteiligung von Parlamentsausschüssen bestehen (vgl. dazu Kisker (Fn. 45), 1980,33 ff.; dazu auch Halstenberg, ZParl 4 (1973), 435 ff., der die praktischen Erfahrungen mit einer Ausschußmitwirkung in Nordrhein-Westfalen eher negativ beurteilt. Ähnlich Klein, ZParl 4 (1973), 439. Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Zustimmungskompetenzen von Parlamentsausschüssen Bryde, D Ö V 1982, 661 ff., 670). 189 So im Ergebnis auch E. Klein, DVBl. 1981,661 ff. (665), allerdings mit schwer nachvollziehbarer Begründung. Wie hier auch Geitmann (Fn. 45), 1971,150 f.; Evers (Fn. 45), 1979,142. 190 Vgl. schon BVerfGE 8, 274 (323). 191 Hinzuzufügen wäre: und den Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts. 192 Vgl. BVerfGE 8, 274 (323). 193 So ist wohl Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1319), sowie DVBl. 1982, 886 ff. (888), zu verstehen. 194 So Eiselt, D Ö V 1978,866 ff. (871), und die nahezu einhellige Auffassung in der Diskussion zur Reform des Art. 80 G G , ZParl 4 (1973), 435 ff.; ähnlich Lerche (Fn. 45), 1981, 48.

334

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

räumt, mit verbindlicher Wirkung der Parlamentsgesamtheit als Gesetzgeber ein (nachträgliches) Delegationsverbot aufzulegen und auf diese Weise die sowohl vom Parlamentsvorbehalt als auch von Art. 80 Abs. 1 G G anerkannte grundsätzliche Delegationsbefugnis des Gesetzgebers einzuschränken. Einer Minderheit von Abgeordneten würden dadurch weitreichende Befugnisse mit unmittelbaren Konsequenzen für die verfassungsmäßigen Kompetenzen der Legislative im Verhältnis zum Verordnungsgeber eingeräumt. Eine Gruppe von Abgeordneten würde mit verbindlicher Wirkung für den Gesetzgeber durch einfachen Parlamentsbeschluß, der nicht einmal die im Regelfall erforderliche Abstimmungsmehrheit erforderte, im Einzelfall über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts entscheiden. Derart weitreichende Entscheidungen dürften aber keinesfalls von einer (relativ kleinen) Abgeordnetengruppe getroffen werden: Weder die Struktur der entscheidungsbefugten Gruppierung noch das Entscheidungsverfahren noch die Qualität der Entscheidungsform lassen dies zu. Gegenüber der rein geschäftsordnungsmäßigen Version bestehen derartige verfassungsrechtliche Bedenken nicht, da die Entscheidung der Minderheit lediglich verfahrensrechtlich bindend ist, die Parlamentsmehrheit in der Entscheidung zur Sache jedoch rechtlich nicht präjudiziert wird.

8.7.2 Derzeitige

Instrumente

Bedenken gegen diese Version könnten sich allenfalls daraus ergeben, daß sie im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage keinerlei verfahrensmäßige Rechte einräumt, die nicht ohnehin schon gegeben wären. Dieser Einwand ist insoweit zutreffend, als auch heute bereits politische wie geschäftsordnungsrechtliche Möglichkeiten bestehen, zum Beispiel durch kleine und große Anfragen auch Gegenstände von Verordnungsentwürfen vor das Parlament zu bringen. 1 9 5 Einer Parlamentsminderheit ist es dagegen nicht möglich, die Behandlung eines Verordnungsentwurfs auf die Tagesordnung zu setzen und eine Beschlußfassung des Parlaments zu erzwingen. 196 Ein anderer Weg für die Abgeordnetenminderheit wäre, eine selbständige Gesetzesinitiative zu ergreifen und auf diesem Wege den Gegenstand des Verordnungsentwurfs vor das Parlament zu bringen. Dies würde aber die rechtzeitige Kenntnis aller Verordnungsentwürfe voraussetzen, die derzeit nicht gewährleistet ist. Unter praktischen Gesichtspunkten sinnvoll erscheint daher die Einräumung eines Minderheitenrechts, wenn sie mit einer rechtsverbindlichen Vorlagepflicht von Rechtsverordnungen 197 gegenüber dem Parlament (oder einer allgemeinen Publikationspflicht) vor ihrem Inkrafttreten kombiniert würde, um auf diese Weise die Möglichkeit einer rechtzeitigen Kenntnis- und Einflußnahme der Parlamentsminderheit gewährleisten zu können. Dieses Verfahren sollte 195 196 197

Vgl. Meyer, ZParl 4 (1973), 435 ff. (449). Schäfer, ZParl 4 (1973), 446 f. (449). Möglicherweise auch eine Vorlagepflicht von Verwaltungsvorschriften (!).

8.7 Verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante

335

aus Gründen der Rechtsklarheit durch eine Frist ergänzt werden, in welcher das Minderheitenrecht ausgeübt werden muß. Eine Kompensationswirkung im Hinblick auf nicht hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigungen, wie sie Kisker vorschlägt, kann einem solchen Minderheitenrecht allerdings nicht zugesprochen werden. Insoweit gilt das oben zur kompensatorisch-kooperativen Variante Gesagte entsprechend. 8.7.3

Mögliche Bedenken

Bedenken gegen die E i n f ü h ^ n g eines derartigen Minderheitenrechts könnten sich daraus herleiten, daß einer Parlamentsminderheit die Möglichkeit eingeräumt wird, durch eine extensive Handhabung ihrer Rechte die Parlamentsarbeit zu belasten oder sogar zu lähmen, indem sie, wenn die politischen Widerstandsmöglichkeiten erschöpft sind, zum letzten Mittel einer geschäftsordnungsmäßigen Torpedierung des Regierungsvorhabens zugreift. 198 Eine derart extensive Ausschöpfung der Minderheitsrechte könnte nicht nur die Arbeitsfähigkeit des Parlaments erheblich beeinträchtigen, sondern auch die Funktionsfähigkeit des rasch wirkenden, flexiblen und anpassungsfähigen Instruments der Rechtsverordnung in Frage stellen, weil es zu erheblichen Zeitverlusten käme. In letzter Konsequenz könnten sich Regierung und Parlamentsmehrheit gezwungen sehen, so viel wie irgend möglich im Parlamentsgesetz zu regeln, was dann zu einem sicher nicht erwünschten de-facto-Totalvorbehalt führen könnte. Ob tatsächlich die Gefahr einer grenzenlosen Obstruktion durch die parlamentarische Minderheit gegeben ist, läßt sich im vorhinein schwer prognostizieren. Sicherlich kann nicht ausgeschlossen werden, daß ein derartiges Instrument parteipolitisch umfunktioniert wird. 1 9 9 Andererseits erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, daß die Parlamentsminderheit eine Rechtsverordnung vor das Parlament zerren sollte, wenn sie mit deren Inhalt völlig konform geht. Hemmungslose „Vorbehaltsfetischisten", die aus Prinzip alles vor das Parlament bringen wollen, wird es wohl selbst im Parlament kaum in allzu großer Zahl geben. Und überhaupt: Warum sollte ein Instrument zur Fortsetzung der Oppositionspolitik mit anderen Mitteln von vornherein negativ beurteilt werden? Schließlich ist es die Funktion des Parlaments, die kontroversen Fragen notfalls auch auf Kosten der Schnelligkeit von Entscheidungen zu beraten und zu diskutieren. Entschließt sich die Opposition zu dem hier vorgeschlagenen Verfahren, so liegt darin zugleich materiell-rechtlich ein Indiz für die politische Kontroversität des Regelungsgegenstandes, so daß sich materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Aspekte in wünschenswerter Form ergänzen. Gegen ein Minderheitenrecht wird weiter eingewandt, die Parlamentsmehrheit werde kaum je einmal der eigenen Regierung in den Rücken fallen 198

So Kisker, NJW 1977, 1313 ff. (1320). Ähnliche Bedenken finden sich bei Rietdorf, BT-Drucks. VI/3829, 81 (Zwischenbericht der Enquête-Kommission für Verfassungsreform). 199

336

V I I I . Alternativen zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts

und sie durch Untersagung eines VerordnungsVorhabens desavouieren. 200 Hier werden offenbar zwei Fragen miteinander vermengt. Zum einen geht es um die Frage, ob der Inhalt der fraglichen Rechtsverordnung parlamentsrelevant ist oder, wie die Regierung in einem solchen Fall offenbar annimmt, im Verordnungswege geregelt werden kann. Allein diese verfassungsrechtliche Frage solle die Parlamentsmehrheit auf Antrag der Minderheit zunächst beantworten. Dabei geht es noch nicht unmittelbar um die zweite Frage, ob das Parlament mehrheitlich dem Inhalt der Rechtsverordnung zustimmen will. Von einer Bloßstellung der Regierung kann aber keine Rede sein, wenn die Parlamentsmehrheit auf Initiative einer Abgeordnetengruppe den Inhalt eines Verordnungsentwurfs aus verfassungsrechtlichen Gründen für parlamentsrelevant erklärt. Möglicherweise käme die Version eines Minderheitenrechts sogar den Vorschlägen der organisatorisch-dezisionistischen Variante, zum Beispiel einen Parlamentsausschuß über die Frage der Parlamentsrelevanz entscheiden zu lassen, in vernünftiger und praktikabler Weise nahe, ohne ihre Nachteile zu übernehmen. Durch die Selektivität des Minderheitenrechts, das ja nicht automatisch bei jeder untergesetzlichen Regelung die Frage der Gesetzesbedürftigkeit aufwerfen würde, wäre eine Überlastung des Parlaments sowie das Entstehen einer Gegen- oder Superbürokratie im Parlament nicht zu befürchten. Ein rein potentielles Zugriffsrecht des Parlaments im Einzelfall auf Initiative einer Minderheit stellt ein relativ flexibles Instrumentarium dar, das nicht durch die zahlreichen Nachteile einer automatischen Parlamentsbeteiligung (Routineakt, Überlastung, Automatismus, Desinteresse usw.) belastet ist. Einem Minderheitenantrag wird sich die Parlamentsmehrheit nicht ohne weiteres aus politischen Gründen entziehen können. Wenn anerkannt ist, daß unter anderem die politische Umstrittenheit einer Materie den Parlamentsvorbehalt indiziert, dann wird die Mehrheit diesen Aspekt bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen haben, will sie nicht Gefahr laufen, daß ihre Entscheidung gerichtlich aufgehoben wird. Aus der Sicht der dritten Gewalt bietet das Minderheitenrecht zudem den Vorteil, daß das nicht sehr konturenscharfe Merkmal des „politisch Kontroversen" verfahrensrechtlich operationalisiert wird. Hat die Parlamentsminderheit von ihrem geschäftsordnungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht, so kann dies bei einer eventuellen gerichtlichen Entscheidung als Indiz für die politische Umstrittenheit herangezogen werden. Andere praktische Probleme (zum Beispiel: Minderheit hält Teile der Rechtsverordnung für parlamentsrelevant; muß dann die ganze Rechtsverordnung als Parlamentsgesetz verabschiedet werden?) ließen sich sicher lösen, im genannten Beispielsfall möglicherweise analog zu der Problematik der Änderung von Zustimmungsgesetzen. 201 Das entscheidende Plus eines solchen Minderheitenrechts dürfte darin bestehen, daß es den Intentionen und Funktionen des Parlamentsvorbehalts in 200 201

So zum Beispiel Wimmer, ZfPäd 1978, 241 ff. (257); Schäfer, ZParl 4 (1973), 441. Vgl. BVerfGE 37, 363 (382); Stern, Das Staatsrecht, Bd. I I , 1980, 143 ff.

9. Ergebnis

337

besonders starkem Maße gerecht wird. 2 0 2 Wenn die Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive von der Parlamentsgesamtheit mehr oder weniger auf die Opposition übergegangen ist, dann erscheint es konsequent und notwendig, die parlamentarischen Kontrollbefugnisse der Opposition zu stärken. Selbst wenn man es für fraglich hält, ob die Parlamentsmehrheit in der Sache gegen den Verordnungsgeber votieren würde, so würde das Minderheitenrecht eine wichtige Funktion bereits dadurch erfüllen, daß kontroverse Fragen, die in einer Rechtsverordnung „versteckt" sind, an das Licht der Öffentlichkeit gezogen würden. Der selektive Veröffentlichungseffekt für politisch wichtige, kontroverse, besonders problematische oder aus sonstigen Gründen für die Öffentlichkeit interessante Fragen entspräche weitgehend dem Sinn und Zweck des Parlamentsvorbehalts. A u f diese Weise ließe sich erreichen, was die Vorbehaltslehre letztlich will, daß nämlich Parlament und Öffentlichkeit in Angelegenheiten, die als erörterungsbedürftig gelten, nicht umgangen werden können. 2 0 3

9. Ergebnis Von den verschiedenen Alternativen und flankierenden Vorkehrungen, die zur Ergänzung einer materiell-rechtlichen Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts vorgeschlagen wurden, erscheint die Aufnahme eines Minderheitenrechts in der hier dargestellten Form am ehesten geeignet zu sein. Es wird daher vorgeschlagen, ein derartiges Minderheitenrecht in die Geschäftsordnungen der Parlamente aufzunehmen; nur durch praktische Erfahrungen kann letztlich die Tauglichkeit eines solchen Instruments bestätigt oder widerlegt werden. Eine Kompensation nicht hinreichend bestimmter gesetzlicher Regelungen und Ermächtigungen durch nachträgliche Parlamentsbeteiligung beim Erlaß von Rechtsverordnungen ist jedoch durchweg abzulehnen.

202 Während beispielsweise die Kompensationsidee den Intentionen des Parlamentsvorbehalts diametral zuwiderläuft (zum Beispiel Verstärkung der Bestimmtheit parlamentsgesetzlicher Regelungen). 203 Kisker, DVBl. 1982, 886 ff. (888).

IX. Die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Schulrecht I m folgenden abschließenden Kapitel soll nun versucht werden, die oben entwickelten materiellen Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts 1 exemplarisch auf ein bestimmtes Rechtsgebiet, das Schulrecht, anzuwenden. Dieser Weg einer materiell-rechtlichen Konkretisierung erweist sich als unumgänglich, zumal sich die Suche nach alternativen Lösungen und flankierenden Maßnahmen allein im Hinblick auf ein verfahrensrechtliches Minderheitenrecht als ergiebig erwiesen hat. 2 A u f die aus methodischen sowie praktischen Gründen bestehende Unmöglichkeit, die Reichweite des Parlamentsvorbehalts auf materiell-rechtlichem Wege ein für alle Mal abschließend zu bestimmen, sei vorab noch einmal erinnert. 3 Unter diesem Vorbehalt sollen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die wichtigsten Regelungsgegenstände des Schulrechts unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Besonderheiten auf die Frage hin untersucht werden, ob und inwieweit sie dem Parlamentsvorbehalt unterfallen oder an die Exekutive delegierbar sind. Folgende Gegenstandsbereiche des Schulrechts sollen im einzelnen behandelt werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Schulsystem, Schulorganisation, Schulinhalte, Schul Verhältnis, Schulverfassung, Schulträgerschaft und Schulfinanzierung sowie Privatschulen. 4

Abschließend soll dann kurz auf den Schillgesetzentwurf der Kommission Schulrecht des D J T eingegangen werden.

1. Parlamentsvorbehalt und Schulsystem M i t der Ausgestaltung des Schulsystems werden die grundlegenden bildungs- und schulpolitischen Entscheidungen über den organisatorischen und 1

Vgl. oben Kap. V I I . Vgl. oben Kap. V I I I . 3 Vgl. oben Kap. V I I 6. 4 Zu dieser Systematisierung vgl. oben Kap. I I I 1., wobei daraufhinzuweisen ist, daß eine streng logische Abgrenzung nicht möglich ist und sich naturgemäß hier und da Überschneidungen ergeben. - Auf eine Bestandsaufnahme, inwieweit das derzeitige Landesrecht hinsichtlich der einzelnen Gegenstandsbereiche des Schulrechts den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts entspricht, mußte im Hinblick auf den Umfang einer solchen Untersuchung verzichtet werden; vgl. dazu aber Hage/Staupe, Schulrecht von A-Z, Beck-Rechtsberater im dtv, 1985. 2

. Parlamentsvorbehalt und S c h u l s t e

339

inhaltlichen Rahmen des Schulwesens getroffen. Zugleich werden damit die wesentlichen Vorbedingungen für die schulischen Bildungs- und Sozialisationsprozesse in den öffentlichen Schulen - und mittelbar in den Privatschulen - festgelegt. Die Regelungen des Schulsystems betreffen wie die des Schulrechts überhaupt praktisch jeden Bürger, viele von ihnen sogar mehrmals in unterschiedlichen Rollen und Bezügen. In der Bundesrepublik gibt es zur Zeit rund 10,5 Millionen Schüler in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen.5 Fast die doppelte Zahl an Erwachsenen sind als Eltern von den Regelungen des Schulrechts betroffen, nicht wenige von ihnen mit mehreren schulpflichtigen Kindern. Rund 554.900 Lehrer unterrichten zur Zeit an öffentlichen Schulen. 6 Die öffentlichen Ausgaben je Schüler betragen etwa 4.300 D M , 7 bei 10,5 Millionen Schüler also insgesamt rund 45 Milliarden D M . Bereits diese wenigen statistischen Angaben verdeutlichen, welch großer Adressatenkreis von schulrechtlichen Regelungen betroffen wird und welche große allgemeinpolitische Bedeutung Festlegungen der Strukturen des Schulwesens zukommt. Darüber hinaus erweisen sich die Grundsatzfragen des Schulwesens ebenso wie gelegentlich Detailentscheidungen als politisch höchst kontrovers. Häufig handelt es sich um typische Alternativentscheidungen zwischen zwei oder mehreren Grundpositionen. Kaum eine Landtagswahl ist nicht zumindest auch von schulpolitischen Themen geprägt, die somit häufig eine erhebliche Wählerrelevanz aufweisen. Darüber hinaus sind die Grundentscheidungen über die Strukturen des Schulsystems nicht ohne weiteres in kurzen Zeiträumen revidierbar. Es handelt sich vielmehr um typische Leit- und Grundentscheidungen, mit denen nicht selten langfristige Festlegungen getroffen werden. A l l dieses deutet - vorbehaltlich näherer Prüfung der einzelnen Regelungsgegenstände des Schulsystems - daraufhin, daß der politische Parlamentsvorbehalt für Regelungen des Schulsystems von erheblicher Bedeutung ist und für eine parlamentsgesetzliche Regelung dieses wichtigen Teilbereichs des Schulwesens spricht. Darüber hinaus werden mit den Entscheidungen über die Grundbedingungen schulischen Lernens die Weichen dafür gestellt, wie das Recht auf Bildung der Schüler, 8 das Elternrecht 9 sowie die Rechte der Lehrer 1 0 in der Schulwirklichkeit konkretisiert und miteinander in Einklang gebracht werden. Der Staat steht diesen Rechtspositionen nicht als neutraler Dritter gegenüber, 5 Vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Grund- und Strukturdaten 1984/85, 40 f. mit Angaben für das Jahr 1983. 6 Grund- und Strukturdaten 1984/85, 68 - Angaben für Vollzeitlehrer und in Vollzeitlehrer umgerechnete Teilzeitlehrer an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, ohne Schulen des Gesundheitswesens. 7 Grund- und Strukturdaten 1984/85, 75 (bezogen auf das Jahr 1982). 8 Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG. 9 Art. 6 Abs. 2 G G . 10 Umstritten ist, inwieweit den Lehrern aus Art. 5 Abs. 3 G G ein Grundrecht auf pädagogische Freiheit zusteht; vgl. dazu DJT-SchulGE, 1981,304 mit Fn. 513; dazu ausführlich Laaser, Wissenschaftliche Lehrfreiheit in der Schule, 1981.

340

I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

sondern besitzt aufgrund des staatlichen Bildungsauftrags 11 einen eigenständigen grundgesetzlich festgelegten Aufgaben- und Pflichtenkreis. Diese komplexe Grundrechtssituation indiziert die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts. Eine „intensive Grundrechtsbetroffenheit", nach der Rechtsprechung des BVerfG eine entscheidende Voraussetzung für die Geltung des Parlaments Vorbehalts, wird man für die strukturellen Regelungen des Schulsystems nicht in jedem Fall ohne weiteres bejahen können, auch wenn nicht zu bezweifeln ist, daß durch die Grundentscheidungen über das Schulsystem Rahmenbedingungen gesetzt werden, die nicht ohne Einfluß auf die Grundrechtsausübung bleiben. Hier wird die von der herrschenden Meinung unterschätzte Bedeutung des politischen Parlamentsvorbehalts offenkundig: Nicht die individualrechtliche, sondern die allgemeinpolitische Bedeutung der Regelungen des Schulsystems ist vorrangig für die Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts ausschlaggebend. Für die Regelungsgegenstände des Schulsystems ergeben sich im einzelnen folgende Anforderungen.

1.1 Aufbau und Gliederung des Schulwesens Zu den im vorgenannten Sinne parlamentsrelevanten Regelungen zählen zunächst Aufbau und Gliederung des Schulwesens, insbesondere die Festlegungen der Schulstufen, Schularten und Bildungsgänge. 12 Dazu gehört die Entscheidung, welche Schularten und Bildungsgänge (Schulformen) in dem jeweiligen Bundesland eingeführt werden sollen, zumal das Grundgesetz und die Landesverfassungen hierzu keine beziehungsweise keine abschließende Regelung getroffen haben. 13 Diese Regelungspflicht des Gesetzgebers erstreckt sich nicht nur auf die Schularten des allgemeinbildenden Schulwesens, sondern gleichermaßen auf die berufsbildenden Schulen, die Sonderschulen sowie die Schulen des sogenannten Zweiten Bildungswegs. 14 Auch die Frage, ob ein Stufenaufbau gewählt wird und welchç Konsequenzen hieran geknüpft werden (zum Beispiel für das Angebot an Schularten, die Durchlässigkeit des Schulsystems oder die Lehrerbildung), gehört zu den wichtigen schulpolitischen Strukturvorgaben. 11

Art. 7 Abs. 1 G G . Vgl. Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976,230; DJT-SchulGE, 1981, §§ 15-33 mit Begründung, 181 ff.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rdn. 124; Ders., DVBl. 1980, 465 ff., 467; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 56; Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981, 90 f.; Erichsen, Schule und Parlamentsvorbehalt, 1984, 113 ff. (125 f.); Clemens, N V w Z 1984, 65 ff.; V G Schleswig, NJW 1976, 989; V G Bremen, N J W 1978, 845. Entgegen der Auffassung des Hess. StGH (NVwZ 1984, 788 f.) ist auch die Frage, was ein „Bildungsgang" ist, gesetzlich zu definieren, zumal sonst andere parlamentsrelevante Regelungen zu unbestimmt geraten können (zum Beispiel bei der Schülerbeförderung: Anspruch auf Beförderung zur nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs; ist der Gymnasialzweig einer additiven Gesamtschule derselbe Bildungsgang wie das Gymnasium?). 13 Vgl. BVerfGE 41,88 (107); 45,400 (415). Zur Offenheit selbst des Landesverfassungsrechts, das einzelne Schularten erwähnt, vgl. VerfG N W , U. vom 23.12.1983, D Ö V 1984, 379 (380) verfassungsrechtliche Garantie der Hauptschule. 12

14

Vgl. DJT-SchulGE, 1981, §§ 23-32 mit Begründung, 189 ff.

. Parlamentsvorbehalt und S c h u l s t e

341

1.2 Förderstufe, gymnasiale Oberstufe Das BVerfG hat sich zur Verpflichtung des Gesetzgebers, die Leitentscheidungen des Schulsystems selbst durch Gesetz zu treffen, vor allem im Förderstufenurteil 15 und im Oberstufenbeschluß 16 geäußert. I m Förderstufenurteil unterstellt das BVerfG die Einführung der obligatorischen Förderstufe dem Parlamentsvorbehalt. Der Gesetzgeber muß danach nicht nur über die Einführung der obligatorischen Förderstufe entscheiden, sondern auch die wesentlichen Merkmale dieser Schulform selbst festlegen. 17 Nicht ganz so deutlich, aber in der Tendenz ähnlich, stellt das BVerfG im Oberstufenbeschluß fest, daß die in § 1 Abs. 2 Satz 1 des Hess. Vorschaltgesetzes getroffenen Regelungen der gymnasialen Oberstufe 18 ein rechtsstaatliches Regelungsdefizit nicht erkennen lassen.19 1.3 Schularten (Definition, Status, insbesondere Gesamtschule) Man wird diese Aussagen des BVerfG über Förderstufe und gymnasiale Oberstufe hinaus verallgemeinern dürfen. Der Gesetzgeber hat danach nicht nur zu entscheiden, welche Schularten eingeführt werden, sondern er muß deren charakteristische Merkmale sowie den systematischen Standort der Schulart im Gesamtaufbau des Schulsystems festlegen. 20 In diesem Sinne erforderlich, aber auch ausreichend sind folgende Regelungen: Eine Beschreibung (Definition) der Schulart, wodurch in Abgrenzung zu den anderen Schularten die notwendige Funktionsbestimmung und Verortung im Schulsystem geleistet wird, die Dauer des Bildungsgangs in dieser Schulart sowie die erreichbaren Abschlüsse und gegebenenfalls die damit verbundenen Berechtigungen. 21 Zu den Leitentscheidungen des Gesetzgebers gehört darüber hinaus 15

BVerfGE 34, 165 (192 ff.)· BVerfGE 45, 400 (418 ff.); bestätigt durch BVerfGE 53, 185. 17 BVerfGE 34, 165 (192). 18 Dazu gehören vor allem: Gliederung der gymnasialen Oberstufe in Einführungsphase und folgendes Kurssystem, Auflösung des Klassenverbandes nach Übergangsstufe und Ersetzung durch ein Kurssystem, Erwerb der Hochschulreife beziehungsweise Vorbereitung auf eine berufliche Ausbildung; Leistungsbewertung nach einem Punktsystem statt nach Noten. 19 BVerfGE 45, 400 (419). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Unsicherheit hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Begründung des Parlamentsvorbehalts: Während das BVerfG zunächst sowohl das Rechtsstaatsprinzip als auch das Demokratieprinzip gleichrangig als verfassungsrechtliche Grundlagen des Parlamentsvorbehalts erwähnt, spricht es im folgenden ausschließlich von einem möglichen „rechtsstaatlichen" Defizit, „rechtsstaatlichen" Bedenken oder allgemein vom Rechtsstaatsprinzip, ohne eine mögliche Verletzung des Demokratieprinzips zu erörtern. - Zur gymnasialen Oberstufe vgl. auch Hess. StGH, NJW 1982, 1381, U. vom 30.12.1981. Diese Entscheidung stieß ganz überwiegend auf Ablehnung; vgl. dazu die kritischen Besprechungen von Stein, Demokratie und Recht, 1982,40 ff.; Nevermann, RdJB 1982,184 ff.; Richter, JuS 1982,900 ff.; Mengel, D Ö V 1982,246 ff.; Evers, JZ 1982,459 ff.; Stein, RdJB 1982, 178 ff.; Huber, RdJB 1982,196 ff.; Hoffmann, RdJB 1982,206 ff.; Hennecke, RdJB 1982,213ff.; Dietze, NJW 1982, 1353 ff., und Fingerle/Kell, ZfPäd 1983, 435 ff. 16

20 Vgl. dazu schon BVerfGE 34,165(193): „... Standort der Förderstufe in der Gliederung von Schuleinrichtungen und Bildungsstufen ...". 21 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, §§ 15-33 mit Begründung, 181 ff. Die Berechtigungen können allerdings auch in den gesetzlichen Bestimmungen für die aufnehmenden Institutionen festgelegt

342

I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

die Regelung des Status der jeweiligen Schulart. Dieses Problem stellt sich vor allem im Hinblick auf die Gesamtschule. Die schulpolitisch wichtige und umstrittene Frage, ob die Gesamtschule als Regelschule, 22 als sogenanntes Schulisches Angebot 2 3 oder als Versuchsschule 24 bestehen soll, unterfällt dem Parlamentsvorbehalt. Auch die Frage, ob die Gesamtschule als integrierte oder kooperative (additive) Gesamtschule geführt werden oder ob beide Arten von Gesamtschulen zulässig sein sollen, ist als politisch wichtige Alternativentscheidung vom Gesetzgeber selbst zu regeln. 25 Entsprechend hat der Gesetzgeber die Entscheidung über das Verhältnis von Gesamtschule und dreigliedrigem Schulsystem zu treffen. Dies betrifft die Frage, ob beide Systeme nebeneinander oder aber nur das dreigliedrige System oder nur ein Gesamtschulsystem angeboten werden soll. 2 6 Auch über die Möglichkeit der Errichtung selbständiger Oberstufenschulen muß vom Gesetzgeber selbst entschieden werden. 27 1.4 Auslese versus Breitenforderung/Durchlässigkeit Darüber hinaus sind als politische Leitentscheidungen anzusehen, ob und inwieweit das Schulsystem auf frühzeitige oder erst spätere Auslese der Schüler angelegt ist und ob das Schulsystem auf eine breite Förderung, Durchlässigkeit und möglichst späte endgültige Entscheidung über die Bildungslaufbahn oder auf eine rasche und endgültige Separierung und eine sogenannte Eliteförderung angelegt ist. 2 8 1.5 Behinderte Schüler Entsprechendes gilt für die Frage der Separation oder Integration behinderter Schüler. Dieser Problemkreis scheint angesichts rückläufiger Schülerzahlen, dadurch drohender Schulschließungen und allgemein steigender Bedeutung schulischer Abschlüsse zunehmend kontrovers zu werden. Auch hier werden (zum Beispiel im Hochschulrecht). An die Regelungsdichte hinsichtlich derSchulartdefmition sind angesichts der Konvergenz der Schularten keine strengen Anforderungen zu stellen. 22 Die Gesamtschule ist in Berlin (§ 35 SchulG), Bremen (§ 10 SchulG), Hamburg (§ 12 SchulG), Hessen (§ 11 Abs. 1-3 SchVG), Nordrhein-Westfalen (§ 4 e SchVG) und RheinlandPfalz (§§ 1 la, 1 lb SchulG) Regelschule. 23 So Niedersachsen (vgl. § 4 Abs. 2 und 4 NSchG); im Saarland die integrierte Gesamtschule als „zusätzliches Schulangebot" bezeichnet (§ 3c SchoG). 24 In den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein (vgl. § 122 s.-h. SchulG) sind Gesamtschulen Versuchsschulen. 25 Vgl. VerfGH N W , D Ö V 1984, 379 ff.; Clemens, N V w Z 1984, 65 ff. (66); hinsichtlich der gebotenen Regelungsdichte vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 22. 26 Das BVerfG hat die Möglichkeit eines reinen Gesamtschulsystems verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, sofern eine hinreichende Differenzierung besteht, die dem Wahlrecht der Eltern Rechnung trägt (BVerfGE 34, 165 ff., 185 ff.). Ebenso DJT-SchulGE, 1981, 71, Fn. 9, wonach ein Schulsystem ohne die herkömmlichen Schularten der Sekundarstufe I verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist. Ebenso Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 147 c. 27

Vgl. dazu Hess. StGH, D Ö V 1983, 546. Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 124. Inwieweit derartige Konzeptionen verfassungsrechtlich zulässig sind, ist hier nicht zu erörtern. 28

. Parlamentsvorbehalt und S c h u l s t e

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muß der Gesetzgeber die Grundsatzfrage beantworten, ob und inwieweit behinderte Kinder in integrativen Schulen oder separat unterrichtet werden, zumal hier ein komplexes Grundrechtsproblem zu lösen ist. 2 9 1.6 Ausländische Schüler Zum Teil vergleichbare Probleme bestehen im Hinblick auf die Schulsituation ausländischer Schüler. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, daß diese Situation von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein mag. Jedenfalls in Gebieten mit besonders hoher Ausländerdichte ist eine Grundsatzentscheidung zu treffen, ob prinzipiell von einem Integrations- oder von einem Separationsmodell auszugehen ist. Diese Fragen werden in hohem Maße politisch kontrovers diskutiert und bedürfen daher einer richtungsweisenden Leitentscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers. 30 Auch die Frage eines islamischen Religionsunterrichts ist von erheblicher schulpolitischer sowie im Hinblick auf die Religionsfreiheit der betroffenen Schüler und deren Eltern 3 1 von erheblicher grundrechtlicher Bedeutung.

1.7 Konfessionelle Struktur, Religionsunterricht Zu den grundlegenden Entscheidungen des Schulsystems gehören auch Festlegungen hinsichtlich der konfessionellen Struktur des Schulwesens einschließlich des Religionsunterrichts, da es sich sowohl um grundlegende schulpolitische Entscheidungen in Konkretisierung des insoweit nicht abschließenden Verfassungsrechts (Art. 7 Abs. 2 und 3 G G ) sowie um eine komplexe Grundrechtsregelung im Spannungsfeld von schulischem Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 G G ) und den Grundrechten von Schülern und Eltern (Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG) handelt. 32

1.8 Versuchsschulen, Schulversuche Daß der Status der Schularten vom Gesetzgeber selbst festzulegen ist, wurde bereits festgestellt. 33 Soweit es sich bei eingeführten oder einzuführen29 Ein derzeit laufendes Forschungsvorhaben am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin wird sich unter anderem näher mit der Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Bereich der Bildung behinderter Schüler befassen (Bearbeiter: Hans-Peter Füssel). 30 Anderer Ansicht wohl insoweit Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 127, der für Sonderklassen für ausländische Schüler generalklauselartige Ermächtigungen zur Organisation des Schulwesens durch Verwaltungsvorschriften genügen lassen will. Wie hier: Hage, RdJB 1982, 26. 31 Vgl. Art. 4 Abs. 1 G G , wobei sowohl die positive als auch die negative Religionsfreiheit betroffen ist. 32 Dazu gehören Fragen wie: Gemeinschaftsschule oder Konfessionsschule, Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 2 und 3 GG). Die sehr ausführlichen Regelungen des n.-w. SchOG sind in dieser Detailliertheit vom Parlamentsvorbehalt nicht gefordert. 33 Vgl. oben 1.3.

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I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

den Schularten nicht um Regelschulen oder sogenannte Schulische Angebote handelt, besitzen Schulen den Charakter von Versuchsschulen. Zu den parlamentsrelevanten Regelungen gehört in diesem Zusammenhang die Grundsatzentscheidung, ob Versuchsschulen eingerichtet oder sonstige Schulversuche durchgeführt werden dürfen oder müssen, wer über ihre Einführung entscheidet und ob die Teilnahme an ihnen obligatorisch ist oder nicht. 3 4 Diese Erfordernisse bedeuten nun nicht, daß über jeden einzelnen Schulversuch vom Gesetzgeber selbst zu befinden wäre. 35 Der Gesetzgeber muß aber die Grundentscheidung treffen, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen und rechtlichen Absicherungen für die beteiligten Schüler Schulversuche durchgeführt werden dürfen. Eine parlamentsgesetzliche Entscheidung des Gesetzgebers im Einzelfall ist nur dann erforderlich, wenn die geltenden gesetzlichen Bestimmungen über Schulversuche die geplante Version eines Schulversuchs nicht zulassen, so daß eine Änderung oder Ergänzung des Gesetzes notwendig wird, um die Durchführung des Schulversuchs im Einklang mit dem geltendem Schulrecht zu ermöglichen. 36

1.9 Berufliche Schulen, Zweiter Bildungsweg Zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Bereich der beruflichen Schulen und der Schulen des Zweiten Bildungswegs haben sich die Gerichte bisher kaum zu äußern brauchen. 37 Auch die Literatur hält sich zu diesen Fragen sehr zurück. 38 Festzustellen ist derzeit, daß der Regelungsumfang und die Regelungsdichte in diesen beiden Bereichen geringer ist als im allgemeinbildenden Schulwesen. Verfassungsrechtliche Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. I m Bereich des Zweiten Bildungswegs wird der Wegfall des Elternrechts (Volljährigkeit der Schüler) als Determinante für die Reichweite des Parlamentsvorbehalts kompensiert durch die volle Geltung der Schülergrundrechte. Da das Elternrecht bei den erwachsenen Schülern des Zweiten Bildungswegs nicht mehr zum Tragen kommt, reduziert sich die komplexe Grundrechtsproblematik insofern, als sich die Aufgabe des Gesetzgebers darauf beschränkt, die kollidierenden Grundrechte der Schüler untereinander sowie im Verhältnis zur staatlichen Schulaufsicht in Einklang zu bringen. Konkret bedeutet dies, daß dort, wo sich im allgemeinbildenden Schulwesen die Geltung des Parlamentsvorbehalts aus der Grundrechtsrelevanz in bezug auf das Elternrecht oder aus der Notwendigkeit einer Lösung komplexer Grundrechtssituationen ergibt, die daraus resultierende Begründung für die Geltung des Parlamentsvorbehalts entfallt. Auswirkungen kann dies in der 34 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, §§34-36 mit Begründung, 220ff.;VG Schleswig, NJW 1976,989; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 56; Stober, D Ö V 1976,518 ff.; Richter, JZ 1978, 553 ff.; Clemens, N V w Z 1984, 65 (66 f.); vgl. auch Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 127, 148 a.E. 35 Mißverständlich insoweit Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 56. 36 Vgl. dazu auch Lerche (Fn. 12), 1981, 93; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 58. 37 38

Vgl. aber O V G N W , SPE I D I X , 1 - Blockunterricht. Vgl. aber Richter, JZ 1981, 176 ff. (183 f.); Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 124.

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Weise zeitigen, daß zum Beispiel die Regelung des Sexualkunde- oder des Religionsunterrichts in Schulen des Zweiten Bildungswegs insoweit nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfällt, als dieser im übrigen durch die Geltung dec Elternrechts begründet wird. 3 9 Da zugleich auch die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit, auf die es bei eindimensionalen Grundrechtssituationen entscheidend ankommt, im Sexualkundeunterricht für erwachsene Schüler erheblich geringer einzuschätzen ist, spricht vieles für eine Delegierbarkeit dieses Regelungsgegenstandes an den Verordnungsgeber. Für das berufliche Schulwesen fordert der Parlamentsvorbehalt wie für die allgemeinbildenden Schulen eine Leitentscheidung über Arten, Struktur, Dauer und Abschlüsse der entsprechenden Schulformen. Diese Anforderungen gelten auch für die Regelungen der betrieblichen Ausbildung im dualen System. Die hier bestehenden Globalermächtigungen an den Verordnungsgeber zum Erlaß von Ausbildungsordnungen 40 genügen nicht den vorbehaltsrechtlichen Anforderungen. M i t den Ausbildungsordnungen werden Ausbildungsgang, Dauer, Berufsbild, Rahmenplan sowie die Prüfungsanforderungen festgelegt. Hier ist eine gesetzliche Leitentscheidung über die Grundstruktur der beruflichen Ausbildung erforderlich. Zwar ist eine solche für die Ausbildungsdauer getroffen worden, doch fehlt es an jeglicher gesetzlicher Regelung über die Ausbildungsziele, so daß insoweit keine parlamentarische Leitentscheidung vorliegt. Entsprechendes gilt für die sachliche und zeitliche Strukturierung der Ausbildung. Auch im Bereich des Prüfungssystems besteht ein gesetzliches Regelungsdefizit, selbst wenn man (nur) die äußerst großzügige Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes in verschiedenen Bereichen des Prüfungsrechts berücksichtigt. 41 Andererseits ist das Bedürfnis nach Flexibilität zu berücksichtigen, da die Ausbildungsordnungen den technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernissen und deren Entwicklung entsprechen müssen. Dieser Aspekt wird noch verstärkt durch die nach Berufsfeldern sehr unterschiedlichen Anforderungen an die berufliche Ausbildung sowie die im Vergleich zur schulischen Bildung im Rahmen des dualen Systems erheblich zahlreicheren Ausbildungsgänge. Man wird daher die Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts nicht zu streng ansetzen dürfen und - die genannten gesetzlichen Leitentscheidungen vorausgesetzt - die Delegierbarkeit im übrigen nicht verneinen können.

1.10 Klassenfrequenz Möglicherweise fällt auch die Regelung der Klassenfrequenz (Anzahl der Schüler pro Klasse/Kurs in der jeweiligen Jahrgangsstufe) unter den Parlamentsvorbehalt. Gesetzliche Regelungen der Klassenfrequenz sind bisher 39 Zum Beispiel hinsichtlich Informationspflichten der Schule beziehungsweise Infocmationsrechten der Eltern (BVerfGE 47, 46, 75 f., 83). 40 Vgl. § 25 BBiG, § 25 HandwO; dazu Richter, JZ 1981, 176 ff. (183 f.). 41 Vgl. BVerfGE 62, 203 (212); BVerwG, DVBl. 1982, 894 ff.; DVBl. 1984, 269 ff.; B F H H F R 1983, 336.

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weitgehend unüblich. Möglicherweise liegt hier ein Regelungsdefizit vor. Die Anzahl der in einem Kurs oder in einer Klasse zu unterrichtenden Schüler ist unstreitig von großem Einfluß auf die Effizienz des Unterrichts und die Lernmöglichkeiten der Schüler. Die Klassengröße gehört zu den elementaren Grundvoraussetzungen des Schulunterrichts und berührt die Rechtsstellung eines jeden Schülers (Art. 2 Abs. 1 G G ) sowie das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG). Die Klassenfrequenz ist für die Qualität des Unterrichts sowie für die Möglichkeit einer leistungsgerechten Differenzierung und Förderung von größter Bedeutung. Durch die Festlegung der Klassenfrequenz wird darüber hinaus indirekt über die Zahl der einzusetzenden Lehrer (beziehungsweise über die Höhe ihrer Pflichtstunden 42 ) entschieden - eine angesichts der derzeitigen Lehrerarbeitslosigkeit auch die Lehrer in ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) intensiv berührende Regelung, die sowohl aus bildungs- wie auch aus beschäftigungspolitischen Gründen zu den höchst kontroversen Fragen des Schulsystems gehört. Die Regelung der Klassenfrequenz erscheint somit auch unter dem Aspekt der Verteilung des Mangels (Arbeitsplätze für Lehrer) parlamentsrelevant. Da die Entscheidung über die Klassenfrequenz zugleich erhebliche finanzielle Auswirkungen hat, spricht auch dies für die Geltung des Parlamentsvorbehalts. 43 Da es sich um eine Regelung handelt, die durch Festlegung einer konkreten Klassenfrequenz für die jeweilige Schulart und Klassenstufe notwendig eine Detailentscheidung darstellt, 44 ergibt sich die gebotene Regelungsdichte bereits aus der Eigenart des Regelungsgegenstandes. Für eine Delegierbarkeit an den Verordnungsgeber könnte lediglich der Aspekt notwendiger Flexibilität sprechen, vorausgesetzt, daß in kürzeren Abständen oder gar jährlich mit einer Veränderung der Klassenfrequenz zu rechnen ist. Diesem Erfordernis könnte indes durch einen gesetzlich festgelegten Stufenplan Rechnung getragen werden, so daß eine jährliche Anpassung nicht unbedingt notwendig ist. I m Ergebnis wird man somit die Geltung des Parlamentsvorbehalts für die Festlegung der Klassenfrequenz zu bejahen haben.

2. Parlamentsvorbehalt und Schulorganisation Soweit Maßnahmen der Schulorganisation nicht das Schulsystem insgesamt betreffen, sondern sich als schulische Organisationsakte im wesentlichen auf den Bereich einer einzelnen oder mehrerer einzelner Schulen beschränken, stellt sich die Frage, inwieweit derartige Maßnahmen einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürfen. Schulische Organisationsakte stellen intransitive Zustandsregelungen dar, die als solche ähnlich dem dinglichen Verwaltungsakt und der Allgemeinverfügung adressatlos sind, gleichwohl aber durch ihre 42

Vgl. BVerwG, N V w Z 1984, 107. Anderer Ansicht Lerche (Fn. 12), 1981, 91 f., der allerdings einräumen muß, daß „eine gewisse Grundrechtswirkung nicht zu übersehen ist". 44 Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 71. 43

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mittelbar-personalen Rechtswirkungen - für jeden, den es angeht - einschneidend in die Rechtsstellung der betroffenen Schüler und Eltern einwirken können. 45 Schulische Organisationsakte wie Errichtung, Schließung, Zusammenlegung und Umwandlung von Schulen werden daher nach allgemeiner Auffassung als Verwaltungsakte angesehen, soweit sie sich nicht auf schlichte Regelungen des laufenden Schulbetriebes beschränken. 46 Die Geltung des Parlamentsvorbehalts wurde gelegentlich damit verneint, es handele sich lediglich um eine „schulorganisatorische Maßnahme", die deshalb keine grundlegende Entscheidung darstelle und daher nicht dem Vorbehalt des formellen Gesetzes unterliege. 47 Abgesehen davon, daß die vom BVerwG Vorausgesetze Bezeichnung „schulorganisatorische Maßnahme", in der Entscheidung bezogen auf die FünfTage-Woche, nicht so konturenscharf ist, daß allein aus ihr bereits kompetenzrechtliche Konsequenzen gezogen werden könnten, 48 erscheint es nicht angängig, einen gesamten Regelungsbereich des Schulrechts per definitionem aus dem Geltungsbereich des Parlaments Vorbehalts auszunehmen, ohne im einzelnen die für und gegen eine Parlamentsrelevanz sprechenden Kriterien zu prüfen. 49 Nur eine differenzierende Lösung kann somit den Besonderheiten schulorganisatorischer Maßnahmen gerecht werden.

2.1 Schulorganisationsakte Soweit es sich um Schulorganisationsakte wie Errichtung, Schließung, Zusammenlegung oder Umwandlung von Schulen handelt, können durch diese Maßnahmen die Wahlrechte der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie gegebenenfalls Wahlrechte der Schüler, soweit ihnen das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) im Schulbereich zusteht, 50 berührt 45

Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 96, 164 a. Vgl. BVerwGE 18,40. Das Intensitätsmerkmal wird seit jeher unausgesprochen als Abgrenzungskriterium für das Vorliegen eines Verwaltungsakts herangezogen. 47 BVerwGE 47, 201 (205). 48 Vgl. Bosse, D Ö V 1975,350 ff. (351 ). Es ist keineswegs klar definiert, was „schulorganisatorische Maßnahmen" sind; insbesondere Maßnahmen des Schulsystems (nach der hier getroffenen Unterscheidung) können zum Teil auch als Schulorganisationsmaßnahmen bezeichnet werden. 49 Zutreffend BVerwGE 64, 308 (313), wo der Gesetzesvorbehalt jetzt auch ausdrücklich auf die organisatorische Regelung der Schule erstreckt wird; damit wird zum Ausdruck gebracht, daß nicht von vornherein bestimmte Teile des Schulrechts aus dem Vorbehaltsbereich ausgeklammert werden können. 50 Zur Problematik, ob und inwieweit Art. 12 Abs. 1 G G im Schulbereich anwendbar ist, vgl. BVerfGE 58,257 (273). Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 G G (freie Wahl der Ausbildungsstätte) wird zum Teil auf das gesamte Ausbildungswesen bezogen (vgl. Heckel/Seipp, Schulrechtskunde, 1976, 44 und 301; BVerfGE 41, 251, 260 f.; O V G N W , NJW 1976, 725 f. m.w.N.). Demgegenüber wird bezweifelt, ob Art. 12 Abs. 1 auf sämtliche allgemeinbildenden-Schulen Anwendung findet, weil diese keine berufsspezifische Ausbildung vermitteln und daher keine Ausbildungsstätten im Sinne des Art. 12 Abs. 1 seien (offengelassen in BVerfGE 34,165,195; in BVerfGE 41, 251, 260 f., wird die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 G G ausdrücklich bejaht, allerdings auf schulische Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs beschränkt; offengelassen in BVerwGE 56, 155,158). Das BVerfG hat in E 58,257 (273) Art. 12 Abs. 1 G G nun auch auf das Gymnasium angewandt. Die Frage der Anwendbarkeit auf Schulen der Primarstufe und der 46

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sein, sofern sich die Maßnahme auf das grundrechtlich gestützte Wahlrecht zwischen verschiedenen (vorhandenen) Schularten und Bildungsgängen auswirkt. Mit der Errichtung einer Schule werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, eine bestimmte Schule, gegebenenfalls auch eine bestimmte Schulart 51 in erreichbarer Nähe besuchen zu können. Entsprechendes gilt für die Schließung von Schulen, da hierdurch das Recht der Eltern, über die von ihrem Kind zu besuchende Schulart zu bestimmen, eingeschränkt werden kann. Die Rechtsstellung der Eltern kann durch die Schließung einer Schule ebenso unmittelbar betroffen sein 52 wie die Bildungsrechte der Schüler. 53 In aller Regel stellt sich bei Schulschließungen das Problem eines verlängerten Schulwegs, wodurch insbesondere die Rechte der Schüler erheblich beeinträchtigt werden können. 54 Bei einer Zusammenlegung mehrerer Schulen können sich ähnliche Umstände ergeben, allerdings nur sofern mit dieser Maßnahme zugleich erhebliche räumliche Veränderungen verbunden sind. Wird eine bestehende Schule ohne Veränderung ihres räumlichen Bestandes in eine andere Schulart umgewandelt, zum Beispiel ein Gymnasium in eine schulformbezogene (additive) Gesamtschule und in eine selbständige Oberstufenschule, 55 ein Gymnasium in eine Sekundarstufenschule I , 5 6 ein Gymnasiumjahrgangsweise in eine Gesamtschule, 57 oder werden sämtliche Oberstufen an Gymnasien aufgelöst und durch neu errichtete Oberstufenschulen ersetzt, 58 so können die Wahlrechte der Eltern und Schüler hierdurch ebenso betroffen sein wie durch die Schließung einer Schule. Bei all diesen Entscheidungen handelt es sich um komplexe Grundrechtssituationen, in denen nicht nur die unter Umständen widerstreitenden Rechte und Interessen der betroffenen Schüler und Eltern gegeneinander abzuwägen sind. Vielmehr verpflichtet der staatliche Bildungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) die Schulbehörden, für pädagogisch sinnvolle, möglichst ökonomische und der schulpolitischen Grundkonzeption des Landes entsprechende schulorganisatorische Voraussetzungen zu sorgen. Die hierzu notwendigen normativen Vorgaben hat der Gesetzgeber zu regeln. Bei Schulorganisationsmaßnahmen können darüber hinaus die schulpolitischen Vorstellungen der Landesregierung mit dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden urici Gemeindeverbände (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG) kollidieren. Derartige SchulorganisationsmaßnahSekundarstufe I ist nach wie vor höchstrichterlich nicht entschieden. Der Hess. V G H hat mit U. vom 24.1.1983 ( D Ö V 1983,858) das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte auch für die Wahl zwischen verschiedenen Schularten des Sonderschulwesens anerkannt. 51 Die Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Schulart ist dann betroffen, wenn keine andere Schule der zu errichtenden Schulart in der Nähe vorhanden ist. 52 Vgl. BVerwGE 18,40 (42); BVerwG, NJW 1978,2211; DVBl. 1979,352; O V G Hamburg, B. vom 3.8.1981, Bs I V 1/81. 53 Zum Beispiel Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 G G ) , gegebenenfalls Art. 12 Abs. 1 G G (freie Wahl der Ausbildungsstätte; vgl. dazu oben Fn. 50). 54 BVerwGE 18, 40 (42 f.). 55 Hess. StGH, N V w Z 1984, 90. 56 Hess. StGH, N V w Z 1984, 90. 57 O V G Hamburg, NJW 1980,2146; V G Hamburg, B. vom 17.8.1979, V I I I V G 1606/79, Ua. S. 6 ff.; vgl. auch BVerfG, N V w Z 1984, 89, B. vom 24.10.1980. 58 Hess. V G H , N V w Z 1981, 114.

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men können nicht nur als solche bedeutende Kosten verursachen, sondern insbesondere im Rahmen der Schülerbeförderung 59 erhebliche Folgekosten nach sich ziehen. Jede einzelne Schulorganisationsmaßnahme erfordert eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles. Allein schon aus diesem sachlichen Grund ist es dem Gesetzgeber verwehrt, selbst im Einzelfall diese Maßnahmen anzuordnen. 60 Aus den genannten Gründen obliegt es jedoch dem Gesetzgeber, durch parlamentarische Leitentscheidungen in allgemeiner Form festzulegen, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Schulorganisationsmaßnahmen ergriffen werden dürfen beziehungsweise müssen. Um die notwendige Flexibilität für die Entscheidungen der Schulträger zu gewährleisten, darf die gesetzliche Regelung nicht zu starre Festlegungen treffen. Die Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts sind daher zu reduzieren. Diesen Anforderungen kann der Gesetzgeber dadurch entsprechen, daß er in genereller Form die Voraussetzungen festlegt oder die Gesichtspunkte angibt, die bei den einzelnen Schulorganisationsakten zu berücksichtigen sind. Der Gesetzgeber könnte seiner Regelungspflicht konkret dadurch genügen, daß er zum Beispiel die Entscheidung über Errichtung und Auflösung von Schulen an bestimmte Mindestschülerzahlen, an die Zügigkeit der Schule, an die Klassenzahl oder ähnliche Kriterien knüpft. 6 1 2.2 Ganztagsschulen Eine andere schulorganisatorische Problematik stellt die Einführung von Ganztagsschulen dar. Da durch eine Ausdehnung des zeitlichen Umfangs des täglichen Unterrichts das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie das Recht der Schüler auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen werden und generell der Umfang des staatlichen Erziehungsrechts (Art. 7 Abs. 1 GG) gegenüber der elterlichen Sphäre abzugrenzen ist, bedarf diese komplexe Grundrechtsentscheidung einer parlamentarischen Grundsatzregelung. Entsprechendes kann sich aus dem Gedanken der Einführung einer grundsätzlichen Neuerung ergeben. 62 Auch kann es sich hier unter Umständen um eine schulpolitisch umstrittene Frage handeln, so daß auch unter dem Aspekt des politisch Kontroversen der Parlamentsvorbehalt indiziert sein kann. 6 3 Da es sich um eine typische Alternativentscheidung handelt, genügt im Parlamentsgesetz ein Satz, der den Ganztagsunterricht für bestimmte Schularten ausdrücklich vorsieht. 64 59

Zur Schulfinanzierung und Schülerbeförderung vgl. unten 6. Ebenso V G Hamburg, B. vom 22.6.1979, V I I I V G 1064/79, Ua. S. 19; BVerwG, DVBl. 1979, 352 (354); Lerche (Fn. 12), 1983, 56 f. 61 Vgl. BVerfGE 51,268; BVerwG, Buchholz, 421 Nr. 72; O V G N W , NJW 1977,826; DVBl. 1978, 278. Angesichts sinkender Schülerzahlen könnte sich für die Grundschule die Situation ergeben, daß auf die Mindestgröße der Grundschule, gemessen an der Zahl von Klassen (zum Beispiel mindestens zwei) abgestellt werden muß. 62 Vgl. oben Kap. V I I 2.4.8. 63 Vgl. Kisker, NJW 1977, 1313 ff. 64 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 28 Abs. 4 Satz 2; im Ergebnis wie hier: Clemens, N V w Z 1984, 65 ff. (66); a.A. V G Berlin, SPE I A I V , 15, U. vom 30.9.1976. 60

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2.3 Fünf-Tage-Woche I n einer der ersten Entscheidungen zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen, in dem Urteil des BVerwG zur Fünf-Tage-Woche, wurde im Gegensatz zu dem am gleichen Tag ergangenen Sexualkunde-Vorlagebeschluß 65 die Geltung des Parlamentsvorbehalts verneint. 66 Daß das zentrale Argument, die Einführung der ganzjährigen Fünf-Tage-Woche unterliege nicht dem Parlamentsvorbehalt, weil es sich „im wesentlichen um eine schulorganisatorische Maßnahme" handele, die die Schulpflicht konkretisiere, nicht zu überzeugen vermag, wurde bereits dargelegt. I m Gegensatz zu der allein auf den Charakter der Maßnahme abstellenden Auffassung des BVerwG sprechen verschiedene Gesichtspunkte für die Anwendbarkeit des Parlaments Vorbehalts. Zum einen handelt es sich um eine komplexe Grundrechtsentscheidung, die die unterschiedlichen grundrechtlich geschützten Interessen von Schülern (Art. 2 Abs. 1 GG), Eltern (Art. 6 Abs. 2 G G ) und Lehrern (Art. 2 Abs. 1 G G ) sowie die Verantwortung der staatlichen Schulverwaltung für einen geordneten Unterrichtsbetrieb (Art. 7 Abs. 1 G G ) in Einklang zu bringen hat. 6 7 Die Frage, ob fünf- oder sechstägiger Unterricht stattfinden soll, wird in der Regel wegen der unterschiedlichen Interessenlage der Beteiligten kontrovers beantwortet. Allerdings wird man kaum von einer politisch kontroversen Entscheidung sprechen können. Von größerer Bedeutung ist aber der Aspekt des Minderheitenschutzes, der in diesem Zusammenhang zum Beispiel für die am Sonnabend berufstätigen Eltern eine Rolle spielen kann. 6 8 Andererseits besteht von der Sache her nicht unbedingt eine Notwendigkeit, die Entscheidung über die Fünf-Tage-Woche für alle Schulen im Lande einheitlich zu treffen. 69 Das Votum für oder gegen die Einführung der FünfTage-Woche mag von Schule zu Schule unter Umständen extrem unterschiedlich ausfallen. Dieser Aspekt spricht für die Delegierbarkeit der Entscheidung entweder an einen dezentralen Verordnungsgeber oder an die jeweilige Einzelschule. Gleichwohl ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob grundsätzlich nur die Fünf- oder die Sechs-Tage-Woche bestehen oder ob beide Varianten zulässig sein sollen. Darüberhinaus ist festzulegen, an wen in einem Fall der Abweichung von der Grundsatzregelung die Entscheidung delegiert wird. Zur Aufrechterhaltung der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 G G ) wird der Gesetzgeber gegebenenfalls festlegen müssen, ob und in welchem Umfang ein Stundenausgleich erfolgt und wie der bereits erwähnte Minderheitenschutz durch entsprechende Verfahrensregelungen (zum Beispiel Quorum) sichergestellt werden kann. Ein auf diese wenigen Grundsatzentscheidungen beschränkter Parlamentsvorbehalt ist daher zu bejahen. 70 65

BVerwGE 47, 194. BVerwGE 47, 201; ebenso Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 55. 67 Vgl. dazu BVerwG, DVBl. 1983, 803 - versuchsweise Einführung des unterrichtsfreien Samstags. 68 Wie hier: DJT-SchulGE, 1981, § 50 und S. 264 mit Fn. 434. 69 Vgl. BVerwGE 47, 201 (207 f.). 70 Anderer Ansicht Lerche (Fn. 12), 1983, 92; Clemens, N V w Z 1984, 65 ff. (68), dessen Hinweis, es liege „keine wesentliche Neuerung" vor, als Begründung allerdings nicht ausreichen dürfte. Vgl. auch Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. 66

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2.4 Schulbezirke (Schulsprengel) Der Parlamentsvorbehalt könnte sich auf eine weitere schulorganisatorische Maßnahme, nämlich die Bildung von Schulbezirken (Schulsprengeln) erstrecken. Durch diese schulorganisatorische Maßnahme kann verbindlich bestimmt werden, daß in dem festgelegten Einzugsbereich eine Pflicht zum Besuch einer bestimmten Schule besteht. Damit wird die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Schulen derselben Schulart und desselben Bildungsgangs genommen. Die Kommission Schulrecht des D J T hat die Festlegung von Schulbezirken als parlamentsrelevant angesehen71 und einen entsprechenden Regelungsvorschlag unterbreitet. Das BVerfG hat die Frage nach der Geltung des Parlamentsvorbehalts in einem Beschluß des Vorprüfungsausschusses72 zwar im Ergebnis offen gelassen, jedoch deutlich durchblicken lassen, daß es - wie die Kommission Schulrecht des D J T - eine politische Leitentscheidung für notwendig erachtet, in der der Gesetzgeber selbst „seine bildungspolitischen Vorstellungen ... manifestiert". 73 Der hess. V G H hat demgegenüber entschieden, die Bildung eines Schulbezirks gemäß § 41 hess. SchVerwG habe „durch Rechtssatz" zu erfolgen. 74 Danach erfordert in Hessen die Bildung eines jeden einzelnen Schulbezirks den Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung. 75 Diese Auffassung geht über die Annahme eines Rechtssatzvorbehalts insoweit hinaus, als dieser lediglich eine abstraktgenerelle rechtssatzmäßige Festlegung über die Bildung von Schulbezirken verlangen, diese Rechtsform aber nicht für jeden Einzelakt voraussetzen würde. Gegenüber all diesen Auffassungen muß zweifelhaft erscheinen, ob die Bildung von Schulbezirken überhaupt grundrechtsrelevant ist. Nach ganz herrschender Auffassung gewährleisten die Eltern- und Schülergrundrechte die freie Wahl zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen. Davon nicht erfaßt ist jedoch das Recht, eine bestimmte Schule der gewählten Schulform besuchen zu können. 76 Die Festlegung eines Schulbezirks schränkt aber in der Regel lediglich die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen bestehenden Schulen derselben Schulform (Schulart) ein, 77 während das - allein grundrechtlich geschützte - Wahlrecht zwischen verschiedenen Schularten beziehungsweise Bildungsgängen unberührt bleibt. Die gegenteilige Begrün71

Vgl. DJT-SchulGE, § 44 sowie Begründung, 235, 243 ff. B. vom 6.2.1984, N V w Z 1984, 781. 73 BVerfG, N V w Z 1984, 781; so wird die Entscheidung auch von Kaschner, RdJB 1984, 371, und von Füssel, N V w Z 1984, 775, verstanden. 74 Hess. V G H , U. vom 25.4.1983, N V w Z 1984, 116. 75 Diese Rechtslage ergibt sich nach Auffassung des hess. V G H unter anderem aus der speziellen Bestimmung des § 12 hess. SchVerwG, wonach in für Hauptschulen gebildeten Schulbezirken Förderstufen durch Rechtsverordnung eingerichtet werden. Ähnlich aber auch Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 199: „Schulbezirke werden durch Rechtssatz (Rechtsverordnung) festgelegt 72

76 Vgl. BVerfG, N V w Z 1984, 781; ebenso O V G N W , N V w Z 1984, 804 (805); O V G N W , N V w Z 1984, 806 (807). Daher werden auch sogenannte Stützungszuweisungen als zulässig anerkannt (vgl. Hamb. O V G , B. vom 31.8.1984, Bs. I V 9/84). 77 Vgl. Kaschner, RdJB 1984, 371.

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dung des BVerfG 7 8 vermag angesichts des eigenen Ausgangspunkts des BVerfG nicht zu überzeugen. Auch der Gesichtspunkt der vom Gesetzgeber zu markierenden Grenzen zwischen verschiedenen Grundrechtssphären, also die Lösung von Grundrechtskollisionen, kann unter diesen Umständen nicht greifen. Etwas anderes ergäbe sich nur dann, wenn man den unterstellten gemeinsamen Ausgangspunkt der herrschenden Meinung verließe und ein Grundrecht auf Wahl zwischen bestehenden öffentlichen Schulen derselben Schulart anerkennen würde, 79 oder wenn die Bildung eines Schulbezirks doch die Wahl zwischen Schulen verschiedener Schulart oder mit verschiedenen Bildungsgängen beträfe. 80 Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Geltung des Parlamentsvorbehalts zu bejahen. 2.5 Blockunterricht Zu den wenigen Entscheidungen, in welchen zum Vorbehalt des Gesetzes bei schulorganisatorischen Maßnahmen Stellung genommen wurde, gehört das Urteil des O V G Münster zur Einführung des Blockunterrichts an den Berufsschulen. 81 Durch den Blockunterricht wurde der bis dahin praktizierte Berufsschulunterricht in Teilzeitform durch die Erteilung des Unterrichts in zusammenhängenden dreimonatigen Abschnitten in Vollzeitform ersetzt. Das O V G Münster zog zwar die erheblichen praktischen Auswirkungen dieser Änderung auf das Berufsausbildungsverhältnis in Betracht, maß aber andererseits der Tatsache große Bedeutung zu, daß die Einführung des Blockunterrichts das duale System als solches unberührt ließ. Das Gericht zählte diese schulorganisatorische Maßnahme nicht zu den die Grundlagen des Bildungssystems umgestaltenden Entscheidungen. Es ließ daher ausreichen, daß der Gesetzgeber sich auf die Festlegung der Grundzüge beschränkte. Dieser Entscheidung ist zuzustimmen, da die Grundrechtsrelevanz der Regelung wegen der wenig gravierenden Auswirkungen den Parlamentsvorbehalt nicht zu indizieren vermag.

2.6 Einfache Regelungen des laufenden Schulbetriebs Abschließend sei darauf hingewiesen, daß sämtliche schulorganisatorischen Maßnahmen, die lediglich einfache Regelungen des laufenden Schul78 Unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein grundrechtlicher Anspruch auf die Wahl einer bestimmten Schule bestehe, könne die Auswahl unter bestehenden öffentlichen Schulen die Grundrechte berühren und für ihre Verwirklichung wesentlich sein. - Wie kann aber ein WahlGrundrecht berührt sein, das insoweit gar nicht besteht? 79 Vgl. Kaschner, RdJB 1984, 371. 80 In dem vom BVerfG entschiedenen Fall war ein Schüler durch Bildung eines Schulbezirks einer auf Entwicklung zur integrierten Gesamtschule verpflichteten Stufenschule zugewiesen worden, während die Eltern den Besuch eines Gymnasiums wünschten. Während das BVerfG hierin nur einen Nebenaspekt sieht ( N V w Z 1984, 781: „... zumal..."), handelt es sich doch um verschiedene Schularten, auf die sich das Wahlrecht der Eltern und Schüler - jedenfalls bei Vorhandensein beider Schularten - bezieht. 81 O V G N W , SPE I D I X , 1, U. vom 30.1.1976.

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betriebs umfassen (zum Beispiel Sitzordnung in der Klasse, Einteilung des Tafeldienstes oder Bildung von kleinen Arbeitsgruppen), mangels Grundrechtsrelevanz weder dem Parlamentsvorbehalt noch dem Rechtssatzvorbehalt unterfallen. 82 Die Entwicklung des Parlamentsvorbehalts führt insoweit zu keinerlei weitergehenden Anforderungen als bisher. Lediglich bei Bejahung der Grundrechtsrelevanz ist eine differenzierende Abschichtung zwischen Rechtssatzvorbehalt und Parlamentsvorbehalt verfassungsrechtlich geboten.

3. Parlamentsvorbehalt und Schulinhalte Die grundsätzliche Erstreckung des Parlamentsvorbehalts auf den Bereich schulischer Inhalte kann heute nicht mehr bezweifelt werden, 83 auch wenn hier noch viele Fragen offen sind. 8 4 Die vorwegnehmende Herausnahme einzelner Teilbereiche des Schulrechts aus der Geltung des Parlamentsvorbehalts ist jedenfalls - wie bereits dargelegt - ebenso unzulässig wie eine Totalerfassung bestimmter (Teil-)Gebiete. Die Frage der Anwendbarkeit des Parlamentsvorbehalts bei schulinhaltlichen Fragen bedarf in besonderem Maße differenzierender Antworten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in den letzten Jahren einzelne Markierungen gesetzt, so zum Beispiel das BVerfG in seinem Förderstufenurteil, 85 in seinem Beschluß zur gymnasialen Oberstufe 86 sowie insbesondere im Sexualkundebeschluß. 87 Ohne an dieser Stelle im einzelnen auf diese Entscheidungen eingehen zu wollen, 8 8 läßt sich feststellen, daß das BVerfG die grundsätzliche Geltung des Parlamentsvorbehalts in allen diesen Entscheidungen bejahte, gleichzeitig aber recht moderate Bestimmtheitsanforderungen aufstellte und die Grundzüge regelnde parlamentarische Leitentscheidungen ausreichen ließ. Die Rechtsprechung des BVerwG zur schulischen Sexualerziehung geht im wesentlichen mit der Rechtsprechung des BVerfG konform. 8 9 Demgegenüber bejaht das BVerwG in seiner Lateinentscheidung zur Pflichtfremdsprache in der Bremer Orientierungsstufe zwar die Geltung des Rechtssatzvorbehalts, gelangt jedoch trotz 82 Roewer/Hoischen, DVBl. 1979,900 ff. (901), sind der Auffassung, für einfache Geschäfte des laufenden Schulbetriebs könne der Schulverwaltung eine Regelungsbefugnis durch generalklauselartige Bestimmungen und pauschale Organisationsermächtigungen erteilt werden. Ähnlich O V G N W , NJW 1977, 826. 83 Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 282 ff.; dazu schon Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 55 ff.; Niehues, Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 54 ff.; Richter, ebd. M 26 ff., 154 f.; Beschlüsse des 51. D J T 1976, M 230; DJT-SchulGE, 1981, §§ 1-14, S. 64-71 sowie Begründungen, 26 ff.; Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (253); Evers, Die Befugnisse des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979,141 ; Bryde, Anforderungen an ein rechtsstaatliches Schulbuchgenehmigungsverfahren, 1984, 17. 84 Vgl. Richter, Art. 7 Rdn. 44, in: A K - G G , 1984. 85 BVerfGE 34, 165 (172 ff.). 86 BVerfGE 45, 400 (415 ff.). 87 BVerfGE 47, 46 (79 f.). 88 Vgl. dazu Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 286 ff. 89 Vgl. BVerwGE 47, 194; 57, 360.

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Bejahung intensiver Grundrechtsrelevanz und trotz der Feststellung, es handele sich um eine bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung, nicht zur Anwendung des Parlamentsvorbehalts. 90 Zu erwähnen sind schließlich ältere Entscheidungen zur Mengenlehre, in welchen die Geltung eines Parlamentsvorbehalts noch abgelehnt wurde. 91 Die entscheidende Frage kann auch für die schulischen Inhalte nicht (mehr) die nach der grundsätzlichen Geltung des Parlaments Vorbehalts, sondern vielmehr die nach seiner Reichweite im einzelnen sein. 92

3.1 Bildungs- und Erziehungsziele Was die Festlegung der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele der Schule angeht, so ist zunächst zu berücksichtigen, daß es sich hierbei nicht nur um wichtige schulpolitische Regelungen handelt, durch die der schulische Unterricht ganz wesentlich inhaltlich vorstrukturiert wird. Die Festlegung der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele ist darüber hinaus von großer allgemeinpolitischer Bedeutung und ist in der Vergangenheit nicht selten politisch höchst kontrovers diskutiert worden. 93 Die Bildungs- und Erziehungsziele setzen die verbindlichen Orientierungsnormen für Schulverwaltung, Schule und Lehrer, indem sie sowohl auf die konkretisierenden Ausführungsregelungen als auch unmittelbar auf Einzelmaßnahmen von Schule und Lehrern einwirken. Die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele sind von ihrer Struktur her typische Steuerungsnormen mit richtungsweisendem Charakter von Dauer. Ihre Aufgabe und Funktion besteht darin, langfristige Orientierungen festzulegen. Da die Bildungs- und Erziehungsziele für die Schule notwendigerweise politische, weltanschauliche, religiöse und ethische Implikationen aufweisen, können sie zumindest zum Teil erheblich die Grundrechtssphäre von Schülern und Eltern tangieren. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Landesverfassungen, soweit sie überhaupt Bildungs- und Erziehungsziele formulieren, 94 dies überwiegend auf sehr hohem Abstraktionsniveau tun. Diese Regelungen sind sehr stark vom Problembewußtsein der Zeit um 1950 geprägt und zeichnen sich nicht durch eine systematische und umfassende Regelung aus. 95 Die Verfassungen sind insoweit bruchstückhaft und offen und bedürfen weiterer Konkretisierung. 90

(4).

BVerwGE 64, 308 (310 ff.); vgl. dazu Richter, N V w Z 1982, 357, sowie oben Kap. I V 4.1.1

91

BayVerfGH, D Ö V 1974,672 mit Anm. Hennecke; V G Augsburg, U. vom 24.1.1975, Nr. Au 47 I I I 74; Bay V G H , U. vom 25.6.1979, Nr. 89 V I I 75; O V G Saarland, S P E I A X I , 1; BVerwG, NJW 1981,1056; vgl. auch Hofmeister, BayVBl. 1975, 324; Hufen, JA 1977, 130. 92 Ebenso Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 282. 93

Man denke nur an die Diskussion um die hess. Rahmenrichtlinien. So die LVen von Baden-Württemberg (Art. 11 ff.), Bayern (Art. 128 ff.), Bremen (Art. 26 ff.), Hessen (Art. 56 ff.), Nordrhein-Westfalen (Art. 7 ff.), Rheinland-Pfalz (Art. 27 ff.) und Saarland (Art. 26 ff.). 95 Vgl. dazu Evers, Verfassungsrechtliche Determinanten der inhaltlichen Gestaltung der Schule, 1977, 104 ff.; DJT-SchulGE, 1981, 136 ff.; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 271 ff. 94

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Soweit einige Landesverfassungen 96 wie das Grundgesetz keinerlei Bildungsziele formulieren, besteht um so mehr ein Bedürfnis nach grundlegenden Zielvorgaben für Schule und Unterricht. A l l diese Gesichtspunkte indizieren für die Regelung der Bildungs- und Erziehungsziele die Geltung des Parlamentsvorbehalts. 97 Dies entspricht auch der Auffassung des BVerfG, welches im Sexualkundebeschluß die Festlegung der Erziehungsziele in den Grundzügen („Groblernziele"), das Gebot der Zurückhaltung und Toleranz sowie der Offenheit für die vielfachen im sexuellen Bereich möglichen Wertungen und das Verbot der Indoktrinierung der Schüler als Regelungspunkte genannt hatte, die dem Gesetzgeber obliegen. 98 Der notwendige Bestimmtheitsgrad allgemeiner Bildungsziele ergibt sich aus der Eigenart des Regelungsgegenstandes. I n einem System abgestufter Zielformulierungen, die von den allgemeinen für alle Schulen, Schularten und Jahrgänge bis hin zu fachspezifischen Lernzielen für bestimmte Schularten und Schuljahrgänge reichen, können die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele notwendigerweise nur einen relativ geringen Konkretisierungsgrad aufweisen. Für die Sexualerziehung hat das BVerfG ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei nicht von Verfassungs wegen geboten, alle ihre Modalitäten in einem förmlichen Gesetz zu regeln. Vielmehr gehe es in erster Linie darum, den Erziehungsauftrag der Schule durch eine parlamentarische Leitentscheidung mit hinreichender Bestimmtheit zu umschreiben. Bei der gesetzlichen Fixierung verbindlicher Zielbestimmungen und darauf ausgerichteter Anleitungen zur Durchführung des Unterrichts sei Zurückhaltung am Platze. Festlegungen müßten immer daraufhin überprüft werden, ob sie der pädagogischen Freiheit genügend Raum lassen. Einzelheiten der Lehr- und Lernmethoden könnten daher grundsätzlich nicht der gesetzlichen Regelung vorbehalten sein, zumal solche Einzelheiten kaum normierbar seien und die Unterrichtsgestaltung für situationsbedingte Anpassung offen bleiben müsse. Es sei nicht Aufgabe des Parlaments, Feinlernziele zu bestimmen und die zu Erreichung dieser Ziele zweckmäßigsten Unterrichtsmethoden festzulegen. 99 Bei der Formulierung der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele muß daher ein Mittelweg gefunden werden zwischen hinreichender Steuerungskraft einerseits 100 und pädagogischer Offenheit andererseits. Dabei ist zu bedenken, daß allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele zwar nicht völlig zeitlos sind, sie aber aus Gründen notwendiger Kontinuität und im Hinblick auf ihre steuernde Funktion längerfristigen Bestand haben sollten. Trotz 96

So die LVen von Berlin, Hamburg und Niedersachsen. Angesichts der teilweise vorhandenen Lücken im Verfassungsrecht der Länder sollte einmal der Frage nachgegangen werden, ob es neben dem Gesetzes vorbehält auch so etwas wie einen „Verfassungsvorbehalt" gibt, das heißt Regelungsgegenstände, die nicht dem einfachen Gesetzgeber überlassen werden dürfen, sondern vom Verfassungsgesetzgeber zu regeln sind. Vgl. dazu oben Kap. V I I I 4. Fn. 18. 98 BVerfGE 47, 46 (83). 99 BVerfGE 47,46 (83); unklar insoweit Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1983,87, der ohne Differenzierung „die Bildungsinhalte und Lernziele, die Fächerkataloge* für wesentlich hält, aber offen läßt, ob dafür der Parlamentsvorbehalt oder der Rechtssatzvorbehalt gelten soll. 100 Es handelt sich um typische steuernde, nicht um gesteuerte Normen. 97

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wechselnder parlamentarischer Mehrheiten sollten jedenfalls die grundlegenden Bildungs- und Erziehungsziele des Schulwesens nicht nach jeder Landtagswahl in ihr Gegenteil verkehrt werden. 101 Den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts wird es daher genügen, wenn der Gesetzgeber allgemeine Grundsätze festlegt, die die generelle Richtung, sozusagen das zielorientierte Grundsatzprogramm der staatlichen Veranstaltung „Schule" umreißen. 3.2 Sexualkundeunterricht Für den vom BVerfG entschiedenen Teilaspekt schulinhaltlicher Regelungen, den Sexualkundeunterricht, hat das BVerfG neben den genannten Zielfestlegungen einige weitere Regelungen dem Parlamentsvorbehalt unterstellt. Danach hat der Gesetzgeber die Frage zu regeln, ob Sexualerziehung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip oder als besonderes Unterrichtsfach mit etwaigen Wahl- oder Befreiungsmöglichkeiten durchgeführt werden soll und wie der Informationspflicht gegenüber den Eltern zu genügen ist. 1 0 2 Da dieser Teilbereich schulinhaltlichen Unterrichts in unserem Kulturkreis in besonderem Maße und mehr als andere schulische Inhalte weltanschauliche, moralische und religiöse Einstellungen berührt, ist die Persönlichkeitssphäre von Schülern und Eltern intensiv betroffen. Insofern unterscheidet sich dieser Regelungsbereich in der Tat von der Einführung der Mengenlehre, die im Rahmen des Mathematikunterrichts weltanschaulich wesentlich neutraler ist. 1 0 3 Dem BVerfG ist daher zuzustimmen, daß die Grundentscheidungen über das „Ob" und das „Wie" schulischen Sexualkundeunterrichts dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. 104 3.3 Fächerkatalog Mit der Sexualkundeentscheidung des BVerfG ist allerdings die umstrittene Frage, ob der Fächerkatalog dem Parlamentsvorbehalt unterliegt, nicht abschließend beantwortet. Die Forderung, der Gesetzgeber müsse festlegen, ob Sexualerziehung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip oder als besonderes Unterrichtsfach durchgeführt werden soll, resultiert zum einen aus der Unsicherheit, ob es sich hier überhaupt um ein Fach im herkömmlichen Sinn handelt, zum anderen aus den spezifischen Implikationen dieses Gegenstan101 Mayer, Zur inhaltlichen Gestaltung der Schule aus der Sicht von Politik und Verwaltung, 1977, 11 ff. (23); Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. (255). 102 BVerfGE 47, 46 (83). 103 Vgl. Bay VerfGH, D Ö V 1974,672. Die damalige heftige Umstrittenheit der Einführung der Mengenlehre verbleibt aber gleichwohl als Indiz für die Geltung des Parlamentsvorbehalts. 104 Ebenso schon V G Hamburg, D Ö V 1973, 54; BVerwGE 47, 194; 57, 360; a.A. O V G Hamburg, D Ö V 1973, 574. - Nachdem Rheinland-Pfalz durch das fünfte Landesgesetz zur Änderung des Schulgesetzes vom 8.7.1985 (GVB1. S. 154) nunmehr eine Regelung der Sexualerziehung in der Schule getroffen hat (§ 1 Abs. 3 SchulG), erweist sich die Gesetzeslage nur noch in Nordrhein-Westfalen mangels gesetzlicher Regelung als defizitär; es ist nicht anzunehmen, daß in N R W lediglich „Kenntnisse über biologische und andere Fakten vermittelt" werden, was nach Auffassung des BVerfG allein den Parlamentsvorbehalt suspendieren würde.

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des, der eine Verallgemeinerung nicht ohne weiteres zuläßt. Im Oberstufenbeschluß hatte das BVerfG „ein rechtsstaatliches Regelungsdefizit allenfalls hinsichtlich der Festlegung des Fächerkatalogs" für möglich gehalten, diese Frage aber im Hinblick auf den Übergangscharakter des hessischen Vorschaltgesetzes letztlich offengelassen. 105 Auch in anderen Entscheidungen wurde die Frage der gesetzlichen Regelung des Fächerkatalogs entweder nicht entschieden 106 oder als strittig bezeichnet. 107 3.4 Gegenstandsbereiche des Unterrichts I m Gegensatz zu den Empfehlungen des 51. D J T von 1976, in denen die Regelung des Fächerkatalogs dem „Parlaments- und Gesetzesvorbehalt" unterstellt wurde, 1 0 8 hat die Kommission Schulrecht des D J T in ihrem Musterentwurf für ein Landesschulgesetz vorgeschlagen, von einer gesetzlichen Regelung des Fächerkatalogs abzusehen, statt dessen aber „Gegenstandsbereiche des Unterrichts" für die verschiedenen Schulstufen festzulegen und den Kultusminister zu ermächtigen, unter anderem die Unterrichtsfächer zu bestimmen. Der Fächerkatalog unterliegt danach lediglich einem Rechtssatzvorbehalt. 1 0 9 Von grundrechtlicher Relevanz ist sicher die Frage, welche inhaltlichen Gegenstandsbereiche in der Schule unterrichtet beziehungsweise nicht unterrichtet werden. So kann zum Beispiel der völlige Verzicht auf Musik- oder Kunstunterricht die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) intensiv berühren. Andererseits ist die Frage, ob bestimmte Inhalte in einem oder in mehreren Fächern oder in Fächergruppen unterrichtet werden, in der Regel nicht von herausragender Grundrechtsrelevanz. Aus diesem Grund ist zwar für die Festlegung flexibler Gegenstandsbereiche, nicht aber für einen festen Fächerkatalog der Parlamentsvorbehalt indiziert. Für die Geltung des Parlamentsvorbehalts kann es allerdings sprechen, wenn die organisatorische Form politisch besonders kontrovers ist (zum Beispiel beim Geschichtsunterricht oder politischer Weltkunde) oder Grundrechtsbelange intensiv berührt werden (zum Beispiel beim Sexualkundeunterricht). In derartigen Fällen kann ausnahmsweise eine parlamentsgesetzliche Regelung erforderlich sein. 110 105

BVerfGE 45, 400 (419 ff.). BVerfGE 53, 185; Hess. StGH, NJW 1982, 1381; BVerwGE 64, 308 (311 f.). 107 V G Bremen, NJW 1978, 845; für die Mengenlehre wurde die Geltung des Parlamentsvorbehalts verneint, vgl. BayVerfGH, D Ö V 1974, 672 (dazu oben Fn. 91 und 103). 108 Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 230. Zu dem Terminus „Parlaments- und Gesetzesvorbehalt" vgl. oben Kap. I 3.1.2 (3). 109 DJT-SchulGE, 1981, § 6, S. 67 f.; a.A. Maurer (Fn. 99), 1983, § 6 Rdn. 20 (ohne nähere Begründung). 106

110 Nach Erichsen (Fn. 12), 1984, 113 ff. (125), fällt die Festlegung des Fächerkatalogs unter den Parlamentsvorbehalt. Erichsen stützt sich dabei allerdings zu Unrecht auf die Lateinentscheidung des BVerwG (E 64, 308, 312 ff.); diese verlangt keinen Parlamentsvorbehalt, sondern läßt den Rechtssatzvorbehalt ausreichen. Für die Regelung des Fächerkatalogs im Parlamentsgesetz wohl auch Eberle, D Ö V 1984, 485 ff. (491).

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IX. Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

3.5 Fachspezifische Lernziele Inwieweit fachspezifische Lernziele im Gesetz selbst festzulegen sind, beantwortet sich bei Ablehnung des Parlamentsvorbehalts für den Fächerkatalog von selbst: Braucht das Gesetz selbst keine Fächer zu nennen, so lassen sich nicht ohne offenkundigen Widerspruch dazu gleichzeitig Lernziele für einzelne Fächer dem Parlamentsvorbehalt unterstellen. Darüber hinaus sprechen die Notwendigkeit der Flexibilität, die Detailliertheit solcher Regelungen und die relativ geringe Grundrechtsrelevanz derartiger Detailentscheidungen gegen die Anwendbarkeit des Parlaments Vorbehalts. 111 Die vom BVerfG in Anlehnung an Niehues 112 vorgenommene Differenzierung zwischen „Feinlernzielen" und „Groblernzielen" 113 ist dabei mißverständlich und für die Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts wenig hilfreich. 1 1 4 Unter „Groblernzielen" werden in der Didaktik fachspezifische Lernziele verstanden. 115 Eine so weitgehende gesetzliche Regelung durch den Gesetzgeber war aber vom BVerfG offenbar nicht intendiert. Niehues hat sich in der zweiten Auflage seines „Schul- und Prüfungsrechts" nun auch ausdrücklich von der früheren Unterscheidung distanziert. 116 Einen Parlamentsvorbehalt für fachspezifische Regelungen will er nur noch für besondere Fälle wie zum Beispiel Sexualkundeunterricht oder Ethikunterricht gelten lassen. 117 Fachspezifische Lernziele bedürfen danach grundsätzlich nicht der parlamentsgesetzlichen Regelung. 118

3.6 Sprachenfolge in der Orientierungsstufe Abweichend von der Ablehnung des Parlamentsvorbehalts für den Fächerkatalog könnte dieser möglicherweise für die Festlegung der Sprachenfolge in der Orientierungsstufe gelten. Dazu hat das BVerwG im Gegensatz zu den Vorinstanzen 119 entschieden, die Festlegung der Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe unterliege dem Vorbehalt des Gesetzes und dürfe nicht der Schulbehörde zur Entscheidung durch Verwaltungsvorschrift überlassen werden. 120 Das BVerwG erklärt die Regelung für „wesentlich", weil durch die 111 Vgl. Richter, Sitzungsbericht M vom 51. D J T 1976, M 154 f.; Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff. Abzulehnen allerdings ist die von Lerche (Fn. 12), 1981, 50 f., postulierte „Legitimation durch Praxisnähe"; im Ergebnis aber zutreffend S. 50 ff., 84. 1,2 Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, 57 f. 113 BVerfGE 47, 46 (83). 114 Sie wird gleichwohl immer noch verwendet, vgl. Erichsen (Fn. 12), 1984, 113 ff. (126); kritisch Falckenberg, BayVBl. 1978,371 ff. (373); Eberle, D Ö V 1984,485 ff. (491) mit Fn. 67; vgl. auch Erichsen, VerwArch 69 (1978), 396. 115

Vgl. Hufen, JA 1977, 128 ff. (130). Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 291 mit Fn. 23. 1,7 Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 295-297. 118 Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 291 mit Fn. 23; a.A. Erichsen (Fn. 12), 1984,113 ff. (126), der nach wie vor auf der Basis der überholten Unterscheidung zwischen Grob- und Feinlernzielen argumentiert. 119 V G Bremen, NJW 1978, 845; O V G Bremen, NJW 1979, 1620 (nur Leitsätze). 120 BVerwGE 64, 308. 116

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in der Orientierungsstufe gelehrte Pflichtfremdsprache die Wahl des weiteren Bildungswegs des Kindes entscheidend vorgeprägt werde. Die Markierung der Grenzen zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag und dem Elternrecht sei für die Ausübung des Grundrechts des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 G G von maßgebender Bedeutung. 121 I m Bereich der Grundrechtsausübung müsse der Gesetzgeber die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre auch im Hinblick auf die Schulinhalte selbst abgrenzen, jedenfalls insoweit, als diese in ihren Grundzügen gegenüber dem herkömmlichen staatlichen Bildungsangebot in wesentlichen Punkten geändert werden sollen. Die Bestimmung der Pflichtfremdsprache stecke in einem auch für die Entscheidung der Eltern über den weiteren Bildungsweg wesentlichen Punkt den Rahmen ab, der den elterlichen Erziehungsvorstellungen durch den Staat gesetzt ist. Schließlich handele es sich um eine bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung von allgemeiner Bedeutung, die die Struktur des herkömmlichen Schulsystems organisatorisch und inhaltlich wesentlich verändert habe. 122 Trotz dieser auf einen Parlamentsvorbehalt hinweisenden Gesichtspunkte gelangt das BVerwG lediglich zum Erfordernis einer rechtssatzmäßigen (normativen) Regelung. Dem Vorbehalt des Gesetzes soll nicht nur mit einer Regelung „durch Gesetz", sondern auch durch eine Regelung „aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch Rechts Verordnung" genügt werden können. 1 2 3 Dabei läßt das Gericht ausdrücklich offen, welche Anforderungen im vorliegenden Fall an die inhaltliche Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigung zu stellen wären. 1 2 4 Kriterien dafür, was im Parlamentsgesetz selbst zu regeln und was an den Verordnungsgeber zu delegieren wäre, gibt das Gericht nicht an. Sowohl Regelungsebene als auch Regelungsdichte bleiben hier weitgehend offen. Bereits nach den vom BVerwG selbst angeführten Gesichtspunkten für die Geltung des Rechtssatzvorbehalts müßte der Parlamentsvorbehalt bejaht werden. Des weiteren ist folgendes zu berücksichtigen: Da die zu treffende Regelung die Grenzen zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag und den Grundrechten der Eltern und Schüler absteckt, handelt es sich um eine komplexe Grundrechtssituation, über die der Gesetzgeber selbst entscheiden muß. Darüber hinaus berührt die Regelung zumindest indirekt die Weiterexistenz des herkömmlichen humanistischen Gymnasiums, 125 womit zugleich eine grundlegende bildungspolitische Entscheidung getroffen wird. Da es sich schließlich um eine langfristige Festlegung handelt, die nicht laufenden Änderungen unterworfen wird, ist eine Delegation der Entscheidung an den Ver121

BVerwGE 64, 308 (312 f.). BVerwGE 64, 308 (315). 123 BVerwGE 64, 308 (315 f.). Auch im B. vom 29.5.1981, NJW 1982,250 f. - Beurteilung des Sozialverhaltens - versteht das BVerwG die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts im Sinne eines Rechtssatzvorbehalts. Vgl. dazu auch Jülich, Kooperativer Bildungsföderalismus, 1983, 755 ff. (760). 124 BVerwGE 64, 308(316). 125 Vgl. dazu Hennecke, D Ö V 1982,362. Durch die Entscheidung des BVerwG ist allerdings weder die Möglichkeit der Beibehaltung noch der Abschaffung sogenannter grundständiger Gymnasien mit erster Fremdsprache Latein ab Klasse 5 präjudiziert. 122

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Ordnungsgeber abzulehnen. I m Gegensatz zur Auffassung des BVerwG ist daher die Geltung des Parlamentsvorbehalts für die Festlegung der Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe zu bejahen. 126

3.7 Lehrpläne (Rahmenrichtlinien), Stundentafeln Ungeklärt ist die Reichweite des Parlamentsvorbehalts insbesondere im Hinblick auf die staatlichen Lehrpläne (Rahmenrichtlinien). Der Erlaß von Lehrplänen ist sowohl für die Reichweite des staatlichen Bildungsauftrags (Art. 7 Abs. 1 GG) als auch für die Grundrechte der Schüler (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 G G ) und der Eltern (Art. 6. Abs. 2 G G ) sowie gegebenenfalls für die freie Berufswahl der Schüler (Art. 12 Abs. 1 GG) von Bedeutung, die unter Umständen auch als intensiv bezeichnet werden kann. 1 2 7 M i t dem Erlaß der Lehrpläne wird der inhaltliche Rahmen des Schulunterrichts auf einer relativ detaillierten Konkretionsebene strukturiert. I m Gegensatz zu den allgemeinen Bildungszielen gehen die inhaltlichen Vorgaben bis hinein in die einzelnen Schularten, Jahrgangsstufen und Fächer. In den Lehrplänen wird eine Konkretisierungsform erreicht, die sich von derjenigen der allgemeinen Bildungsziele erheblich unterscheidet und zudem fachspezifische Lernziele festlegt. Diese Konkretionsebene spricht ebenso für die Delegierbarkeit der Regelung wie die nicht auszuschließende Notwendigkeit einer regelmäßigen Fortschreibung und Anpassung der Lehrpläne an die neuere fachliche und fachdidaktische Entwicklung. Die Lehrplaninhalte betreffen deutlich entwicklungsoffene Sachverhalte. Trotz der inhaltlichen Bedeutung der Lehrpläne sprechen somit eine Reihe von Gesichtspunkten für die Delegierbarkeit an den Verordnungsgeber. Die Grundrechtsrelevanz der Lehrplaninhalte verbietet dagegen den Erlaß von Lehrplänen in der herkömmlichen Form als Verwaltungsvorschriften. 128 Einen gangbaren Weg hat die Kommission Schulrecht des DJT aufgezeigt, indem sie den Erlaß von Lehrplänen als Rechts Verordnung vorsieht, dem Verordnungsgeber durch eine parlamentarische Leitentscheidung inhaltliche Vorgaben setzt und darüber hinaus eine gesetzliche Regelung des Verfahrens beim Erlaß von Lehrplänen vorschlägt. 129 Einer solchen den vorbehaltsrechtlichen Erfordernissen Rechnung tragenden pragmatischen Lösung kann nicht entgegengehalten werden, Lehrpläne „seien" keine Rechtssätze; da die 126 Offenbar hat die Entscheidung des BVerwG auch den Bremer Gesetzgeber im Ergebnis nicht uneingeschränkt zu überzeugen vermocht. Dieser entschied sich für eine parlamentsgesetzliche Regelung, obwohl das BVerwG ausdrücklich die Delegation an den Verordnungsgeber für zulässig erklärt hatte. Der Bremer Gesetzgeber machte von der Delegationsmöglichkeit keinen Gebrauch, sondern begab sich durch die Regelung der Sprachenfolge im Parlamentsgesetz selbst auf die sichere Seite (vgl. 2. Gesetz zur Änderung des BremSchulG vom 4.10.1982, § 12 a; siehe auch Bürgerschaftsdrucks. Landtag 10/854 vom 12.7.1982). 127 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, 166; Lerche (Fn. 12), 1981, 73. 128 Vgl. zum derzeitigen Regelungsstand DJT-SchulGE, 1981, 163 f. 129 DJT-SchulGE, 1981, §§ 7-11, S. 68 und 165 ff. Man wird allerdings darüber streiten können, ob eine gesetzliche Regelung des Lehrplanverfahrens in dieser Ausführlichkeit verfassungsrechtlich geboten ist.

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Wesentlichkeitslehre nur im „normativen" Bereich aktuell werde, komme die Geltung des Parlamentsvorbehalts und des Rechtssatzvorbehalts von vornherein nicht in Betracht. 1 3 0 Diese Argumentation erweist sich als zirkelschlüssig, weil die Notwendigkeit zumindest von Rechtsverordnungen nicht damit abgelehnt werden kann, Lehrpläne seien eben (herkömmlich) keine Rechtsverordnungen. Hier werden die Fragen nach der Rechtsnormqualität einer bereits erlassenen Regelung und die kompetenzrechtliche Frage der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsebene für eine zu erlassende Norm unzulässig miteinander vermischt. 131 Entsprechende Überlegungen wie für die Lehrpläne gelten für die Regelung der Stundentafeln. 132 3.8 Schulbuchzulassung Schließlich ist der Frage nachzugehen, inwieweit Regelungen der Schulbuchzulassung dem Parlamentsvorbehalt unterliegen. Durch die Zulassung oder Nichtzulassung bestimmter Schulbücher für den schulischen Gebrauch kann nach herrschender Meinung das Grundrecht der Pressefreiheit der Verleger (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie die Meinungsfreiheit der Autoren (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) berührt werden. 133 Für einen Schulbuchverleger kann die Genehmigung oder Ablehnung eines Schulbuchs von erheblicher finanzieller Bedeutung sein und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie die Gleichbehandlung gegenüber Mitbewerbern (Art. 3 Abs. 1 GG) intensiv berühren, 134 da sich der Markt praktisch auf die schulischen Abnehmer beschränkt. 135 Darüber hinaus wird der Inhalt des Schulunterrichts ganz wesentlich davon mitbestimmt, welche Schulbücher und sonstigen Lehrmittel ausgewählt und verwendet werden. 136 In der Schulbuchauswahl liegt eine wichtige inhaltliche Vorgabe für die Gestaltung des Unterrichts. 137 Schulbücher sind daher als wesentliche flankierende Maßnahmen für die Verfolgung und Erreichung der Bildungs- und Erziehungsziele anzusehen. 138 Ein Schulbuch kann - je nach 130 So Bay VerfGH 24,47 (56); Lerche (Fn. 12), 1981,66,73 ff., 86; vgl. auch V G H BW, DVBl. 1961,523; zur Rechtsnatur der hess. Rahmenrichtlinien vgl. Hess. V G H , B. vom 14.6.1976, SPEI A V I I , 81. 131 Vgl. dazu bereits oben Kap. I V 5.5. Lerche (Fn. 12), 1981, 35, unterliegt hier selbst dem Zirkelschluß, den er an anderer Stelle - zu Recht - in der Beschränkung der Wesentlichkeitslehre auf den Bereich des Normativen feststellt. 132 Vgl. dazu DJT-SchulGE, 1981, § 6 Abs. 3 Nr. 5 und Begründung, 162 f. 133 Vgl. DJT-SchulGE, 1981,177 m.w.N.; Bryde (Fn. 83), 1984,18; Birk, Schulbuchzulassung - Rechtsfragen der Praxis, 1981, 47 ff. (51 f.). 134 Vgl.DJT-SchulGE, 1981,176f.;Oppermann,GutachtenCzum51.DJT 1976,C59;Birk (Fn. 133), 1981, 47 ff. (51 f.); Bryde (Fn. 83), 1984, 16 ff. 135 Allerdings könnte dieser herrschenden Meinung entgegengehalten werden, daß es sich bei der Chance, Schulbücher abzusetzen, lediglich um eine grundrechtlich nicht gesicherte Erwerbsaussicht handelt, die von Art. 14 G G nicht geschützt ist; die Heranziehung des Grundrechts der Pressefreiheit könnte sonst zu einer Absatzgarantie werden. Ablehnend auch Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 59. 136 Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 346 b. 137 DJT-SchulGE, 1981, 177. 138 Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 59.

362

IX. Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

seinem Inhalt - unter Umständen die Persönlichkeitsrechte der Schüler (Art. 2 Abs. 1 GG) oder das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 G G ) intensiv berühren, insbesondere wenn es um die Darstellung politisch, weltanschaulich oder moralisch geprägter Inhalte geht. 1 3 9 I n diesem Spannungsfeld zwischen staatlicher Schulaufsicht einerseits (Art. 7 Abs. 1 G G ) und den verschiedenen berührten Grundrechtspositionen andererseits handelt es sich um eine komplexe Grundrechtsregelung. 140 Für die Geltung des Parlamentsvorbehalts sprechen daher eine Reihe von Indizien. In der Rechtsprechung ist die Frage bisher offengelassen worden, ob eine gesetzliche Regelung der Schulbuchzulassung jedenfalls in den Grundzügen verfassungsrechtlich geboten ist. 1 4 1 Die Literatur votiert demgegenüber stärker für die Geltung des Parlamentsvorbehalts. 142 Da der parlamentarische Gesetzgeber nicht über die Zulassung eines jeden einzelnen Schulbuchs befinden kann und die materiellrechtlichen Bestimmungen über die Schulbuchzulassung nicht über allgemein gehaltene Grundsätze hinausgehen können, erscheint es geboten, aber auch ausreichend, grundlegende gesetzliche Aussagen zur Schulbuchgenehmigungspolitik zu machen und gesetzlich festzulegen, nach welchen Grundsätzen, Maßstäben und Kriterien und unter welchen Voraussetzungen im einzelnen Schulbücher zuzulassen beziehungsweise abzulehnen sind. Darüber hinaus sind die Grundzüge des Schulbuchzulassungsverfahrens gesetzlich zu normieren. 1 4 3 A u f eine solche Verfahrensfestlegung kommt es um so mehr an, je unbestimmter die materiell-rechtlichen Kriterien gefaßt werden, oder genauer: nur gefaßt werden können. 1 4 4

4. Parlamentsvorbehalt und Schulverhältnis Bereits mit dem Strafgefangenenbeschluß des BVerfG 1 4 5 war durch die höchstrichterliche Rechtsprechung das Ende des besonderen Gewaltverhältnisses besiegelt worden. 1 4 6 Auch wenn sich dieser Beschluß zunächst nur auf das Strafgefangenenverhältnis bezog, konnte schon damals kein Zweifel an der Anwendbarkeit der Grundsätze des Strafgefangenenbeschlusses auf die anderen besonderen Gewaltverhältnisse bestehen. 147 Die Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG bestätigte in der Folgezeit die Richtigkeit dieser An139

DJT-SchulGE, 1981, 177. Vgl. auch Birk (Fn. 133), 1981, 47 ff. (51 ff.). 141 Vgl. dazu insbesondere BVerwG, DVBl. 1982, 1004. 142 Vgl. Mahrenholz, RdJB 1980,90ff.; DJT-SchulGE, 1981,§§ 12-14, S. 70 und 175 ff.; Bryde (Fn. 83), 1984, 12 ff. m.w.N.; vgl. jetzt auch Art. 30 Bay. EUG. 143 Birk (Fn. 133), 1981,47 ff. (51 ff., 56). Der derzeitige Regelungsbestand in allen Ländern ist in hohem Maße defizitär; vgl. Bryde (Fn. 83), 1984, 6 f., 10 mit Nachweisen sowie 20 ff. 144 Vgl. schon BVerfGE 41, 251 (265); Bryde (Fn. 83), 1984, 22 f., 66 ff. 145 BVerfGE 33, 1. 146 Vgl. oben Kap. I I I 3. m.w.N. 147 Vgl. dazu Kempf, JuS 1972, 701 ff. Schon der Hess. S t G H hatte durch U. vom 15.7.1970 ( D Ö V 1971, 201), also bereits vor dem Strafgefangenenbeschluß des BVerfG, ausführlich begründet, warum das Schulverhältnis nicht länger als besonderes Gewaltverhältnis angesehen werden könne. 140

. Parlamentsvorbehalt und

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nähme. 1 4 8 M i t der Anerkennung der Grundrechtsgeltung, der Anwendbarkeit des Gesetzesvorbehalts, der Justitiabilität hoheitlicher Maßnahmen sowie der Ablehnung originärer Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive waren die vier traditionellen Pfeiler des besonderen Gewaltverhältnisses zusammengebrochen. 149 Nach inzwischen ganz herrschender Auffassung ist das Schulverhältnis heute ein Rechtsverhältnis wie andere auch. 1 5 0 Maßnahmen im Rahmen des Schulverhältnisses müssen daher uneingeschränkt den Anforderungen des Parlaments Vorbehalts beziehungsweise des Rechtssatzvorbehalts genügen. Dies folgt bereits aus der Anerkennung der Grundrechtsgeltung in den ehemaligen besonderen Gewaltverhältnissen. Wegen der Grundrechtsakzessorietät des Parlamentsvorbehalts 151 muß dieser auch im Schulverhältnis Platz greifen können. Einer originären Regelungskompetenz der Exekutive ist damit ebenso wie deren spezifisch normativer Ausprägung in Gestalt der sogenannten Sonderverordnung der verfassungsrechtliche Boden entzogen. 152 Ebensowenig ist es angängig, durch eine a priori getroffene Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis eine grundrechtsfreie Sphäre zu postulieren und auf diesem Wege partiell die Geltung des Parlamentsvorbehalts zu suspendieren. 153 Die entscheidende Frage lautet auch hier, welche konkreten Anforderungen im einzelnen der Parlamentsvorbehalt im Schulverhältnis stellt. Dabei ist die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Schulverhältnis nach den gleichen verfassungsrechtlichen Regeln und Grundsätzen zu bestimmen wie in allen anderen Rechtsverhältnissen auch. Naheliegend ist, daß für das Schulverhältnis vor allem der grundrechtliche Parlamentsvorbehalt von Bedeutung sein wird, da mit dem Begriff „Schulverhältnis" die unmittelbare schulbezogene Rechtsstellung der Schüler und Eltern umschrieben wird. 1 5 4 Da der materielle Grundrechtsschutz im Schulverhältnis nicht weiter, aber auch nicht enger ist als in anderen Rechtsverhältnissen, kann auch die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Grundsatz weder weiter noch enger sein. Durch den 148 BVerfGE 41, 251 - Speyer-Kolleg; 58, 257 - Versetzung und Schulentlassung; BVerwGE 56, 155 - Versetzung. 149 Vgl. dazu ausführlich oben Kap. I I I 2.6 und 3. 150 Vgl. Heckel/Seipp, Schulrechtskunde, 1976, 284 ff.; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 30-36, 78; O V G Rh.-Pf., NJW 1979, 941; V G Freiburg, N V w Z 1984, 131; Richter, Art. 7 Rdn. 12, in: A K - G G , 1984. Anders noch immer Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fajlbearbeitung, 1983, Rdn. 250 ff., der das besondere Gewaltverhältnis nicht in Frage stellt. Ähnlich O L G Hamburg, NJW 1978, 2520; O V G N W , ZBR 1974, 362. 151 Vgl. oben Kap. I V 3.2.1. 152 Vgl. Bryde, Rdn. 9 a zu Art. 80, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 3,2. Aufl., 1983; V G Schleswig, NJW 1976, 865; Kiepe, D Ö V 1979, 399 ff. (402 f.); insoweit überholt: Böckenförde/ Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 25 V I I I m.w.N. Vgl. auch oben Kap. I I I 2.6.5. 153 Ähnlich schon Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 31 ff.; Sturm, RdJB 1974,1 ff. (3.6); Fuß, D Ö V 1972,765 ff. (770 f.); Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz, 1958, Art. 19 I V Rdn. 25; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 35; Kiepe, D Ö V 1979, 399 ff. (403 m.w.N.); anders immer noch Kisker, N J W 1977,1313 ff. (1318); Ders., DVBl. 1982, 886 ff. (887); Hoffmann, JA 1979, 105 f.; V G Regensburg, RdJB 1981, 66; BayVerfGH, NJW 1982, 1089. 154 Lerche (Fn. 12), 1981, 94 ff.

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I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

in der Eigenart des Regelungsgegenstandes liegenden Vorrang des grundrechtlichen Parlamentsvorbehalts ist die mögliche Anwendbarkeit des politischen Parlamentsvorbehalts indes nicht ausgeschlossen. Dieser gilt insbesondere dort, wo Regelungen des Schulverhältnisses über ihre individualrechtlichen Wirkungen hinausreichen und von grundlegender schulpolitischer Bedeutung sind. I m folgenden ist die Reichweite des Parlamentsvorbehalts für die wichtigsten Regelungsgegenstände des Schulverhältnisses zu bestimmen.

4.1 Begründung des Schulverhältnisses M i t der Aufnahme eines Schülers in eine öffentliche Schule wird ein öffentlich-rechtliches Schulverhältnis begründet. 155 Aufgrund des Schulverhältnisses treffen den Schüler bestimmte Rechte und Pflichten. So ist er berechtigt und verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen, die vorgesehenen Prüfungen abzulegen und an sonstigen Schul Veranstaltungen teilzunehmen. I m Rahmen des Schul Verhältnisses hat der Schüler im Unterricht mitzuarbeiten, die erforderlichen Arbeiten anzufertigen und die Hausaufgaben zu erledigen. 156 Die Regelungen, die das Schul Verhältnis begründen und beenden, seine Dauer sowie die Rechte und Pflichten im einzelnen festlegen („statusbildende Regelungen"), berühren intensiv das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler (Art. 2 Abs. 1 GG) und das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und fallen daher unter den Parlamentsvorbehalt. 157

4.2 Schulpflicht Zum Eintritt in das Schulverhältnis ist der Schüler aufgrund der Schulpflichtbestimmungen verpflichtet. Die Schulpflicht gehört zu den wenigen schulrechtlichen Gegenständen, die bereits im 19. Jahrhundert durch gesetzliche Bestimmungen, zum Teil sogar unmittelbar verfassungsrechtlich geregelt waren. 1 5 8 Während das Grundgesetz keine Schulpflichtbestimmungen enthält, normieren die Verfassungen einiger Länder in Anlehnung an Art. 145 W R V eine allgemeine Schulpflicht 159 beziehungsweise eine Pflicht zum Besuch von Volks- und Berufsschulen. 160 Einige Landesverfassungen überantworten ausdrücklich die nähere Regelung dem Gesetzgeber 161 und begründen 155

Vgl. § 28 Abs. 1 s.-h. SchulG. § 28 Abs. 2 s.-h. SchulG. 157 BVerfGE 33, 125 (163) - Facharzt; BremStGH, NJW 1974, 2223; V G Schleswig, NJW 1976, 989. 158 Art. 21 der Preußischen Verfassung von 1850; Art. 145 W R V ; vgl. dazu auch oben Kap. 112 und 3. 156

159 160 161

Art. 14 Abs. 1 b.-w. LV; Art. 30 brem. LV; Art. 56 Abs. 1 hess. LV; Art. 6 Abs. 1 s.-h. LS. Art. 129 Abs. 1 bay. LV; Art. 8 Abs. 2 n.-w. LV. Art. 30 brem. LV; Art. 56 Abs. 7 hess. LV; Art. 6 s.-h. LS.

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somit verfassungsunmittelbar die Geltung eines Parlamentsvorbehalts. Auch soweit eine entsprechende landesverfassungsrechtliche Regelung nicht vorhanden ist, ist die Geltung des Parlamentsvorbehalts durch die Notwendigkeit einer Konkretisierung des insoweit offenen Verfassungsrechts indiziert. Für die Geltung des Parlamentsvorbehalts hinsichtlich Begründung und Dauer der Schulpflicht sprechen darüber hinaus die grundrechtliche sowie die allgemeinpolitische Wichtigkeit der Schulpflicht. Durch sie wird der Besuch der Schule grundsätzlich für alle Bürger über einen Zeitraum von neun beziehungsweise zehn Jahren obligatorisch gemacht. Aufgrund der Größe des Adressatenkreises sind die Schulpflichtbestimmungen von besonders breiter Wirkung. Sie begründen das Recht des Staates und die grundsätzliche Pflicht eines jeden Bürgers, sich in das staatliche Schulsystem zu integrieren und in ein Schulverhältnis einzutreten. Die Schulpflicht bedeutet einen gravierenden Einschnitt in die Bildungssozialisation sowie in den weiteren Lebensweg überhaupt. Die Schulpflichtbestimmungen stellen sich als typische eindimensionale Grundrechtsregelungen dar, die wegen ihrer intensiven Grundrechtsrelevanz dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. 162 Die Reichweite des Parlamentsvorbehalts erstreckt sich auf alle statusbegründenden und -beendenden Regelungen. 163 Der Gesetzgeber hat daher Voraussetzungen, Dauer und Umfang der Schulpflicht selbst festzulegen. Darüber hinaus bedürfen Regelungen, die die Voraussetzungen einer generellen Befreiung von der Schulpflicht festlegen, eines Parlamentsgesetzes. 164 Demgegenüber erscheinen Regelungen, die die Möglichkeit von Einzelbeurlaubungen für wenige Unterrichtsstunden oder einzelne Schultage einräumen, als nicht so einschneidend, so daß sie an den Verordnungsgeber delegiert werden dürfen. 165 Auch kann das Gesetz selbst ohne Verordnungsermächtigung der Verwaltung eine entsprechende Ermächtigung zur ausnahmsweisen Befreiung von der Schulpflicht im Einzelfall erteilen. 4.3 Recht auf Bildung Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß mit dem Eintritt in das Schulverhältnis nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte begründet werden. Als Kehrseite der Schulpflicht wird den Schülern zum Teil ein aus Art. 2 Abs. 1 G G zu entnehmendes Recht auf Bildung zuerkannt. 166 Diese Auffassung hat 162

Vgl. schon Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 55. V G Schleswig, NJW 1976, 989; Lerche (Fn. 12), 1981, 94; DJT-SchulGE, 1981, 235. 164 Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 172. 165 Lerche (Fn. 12), 1981, 95. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 172, hält hier nicht einmal den Rechtssatzvorbehalt für anwendbar, sondern Verwaltungsvorschriften für ausreichend. Meines Erachtens muß aber der Gesetzgeber die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung erteilen, daß die Verwaltung abstrakt-generelle Ausnahmeregelungen von der gesetzlichen Schulpflicht treffen darf, da ansonsten die den gesetzlichen Schulpflichtbestimmungen widersprechenden Verwaltungsvorschriften wegen des Vorrangs des Gesetzes unwirksam wären. 166 BVerwGE 47, 201 (206); zurückhaltender BVerwGE 56,155 (158), wo das Gericht davon spricht, Art. 2 Abs. 1 G G enthalte „auch Elemente eines Rechts auf Bildung". Vgl. auch von Münch, Rdn. 20 zu Art. 2, in: Ders., GG-Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1981 m.w.N. Ausführlich DJT-SchulGE, 1981, 126 ff. 163

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IX. Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

sich jedoch nicht allgemein durchzusetzen vermocht. Das BVerfG hat unter Verweisung auf die Rechtsprechung des BVerwG ausdrücklich offengelassen, ob aus Art. 2 Abs. 1 G G ein Recht auf Bildung abgeleitet werden könne. 1 6 7 Doch auch soweit ein konsistentes, in einer einzelnen Grundrechtsnorm verankertes Recht auf Bildung nicht anerkannt wird, ist nicht zu bestreiten, daß dem Schüler wie anderen Bürgern auch bestimmte Grundrechte zustehen, denen eine konkrete Bedeutung im Rahmen des Schulverhältnisses zukommen kann. Über das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hinaus (Art. 2 Abs. 1 GG) ist an das allgemeine Recht auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie an das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) zu denken. 1 6 8 Da das Grundgesetz keine weiteren ausdrücklichen schulbezogenen Bestimmungen hierzu enthält, bedarf die insoweit offene Verfassung der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Dieses Konkretisierungsbedürfnis besteht in gleicher Weise hinsichtlich des in mehreren Landesverfassungen ausdrücklich gewährleisteten Rechts auf Bildung. 1 6 9 Den Landesverfassungen ist gemeinsam, daß sie ein Recht auf Bildung nur als Grundsatz oder als allgemein gehaltenen Anspruch formulieren, ohne konkrete, auf bestimmte Maßnahmen gerichtete subjektiv-öffentliche Rechte zu begründen. Auch hier indiziert die Offenheit der Landesverfassungen die Geltung des Parlamentsvorbehalts. Die nähere Regelung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Bildung kann nicht allein der Exekutive oder der Judikative überlassen bleiben, sondern ist dem Gesetzgeber vorbehalten. 170 4.4 Aufnahme, Entlassung, Zuweisung, Überweisung, Zulassungsbeschränkungen Das Konkretisierungsbedürfnis hinsichtlich des Rechts auf Bildung bestätigt zunächst die Parlamentsrelevanz der statusbegründenden und -beendenden Regelungen für das Schulverhältnis. Darüber hinaus obliegt dem parlamentarischen Gesetzgeber die Entscheidung, inwieweit das Recht auf Bildung konkrete Einzelansprüche begründet. Relevant werden kann dies unter anderem im Hinblick auf die Schulpflicht, 171 die Versetzung, 172 die Schulentlassung, 173 die Unterrichtsgeld-, Lehr- und Lernmittelfreiheit 174 oder hinsichtlich 167

BVerfGE 45, 400 (417). Vgl. dazu oben Fn. 50. 169 Baden-Württemberg: Art. 11 Abs. 1; Bayern: Art. 128; Rheinland-Pfalz: Art. 31; Bremen: Art. 27 Satz 1; Nordrhein-Westfalen: Art. 8 Abs. 1; vgl. auch DJT-SchulGE, 1981, 126 ff. 170 Vgl. DJT-SchulGE, 1981,129. Dort wird insbesondere deutlich, daß die Konkretisierung des bundes- oder landesverfassungsrechtlichen Rechts auf Bildung bisher weitgehend der Rechtsprechung überlassen wurde. Auch die wenigen gesetzlichen Regelungen eines Rechts auf Bildung (vgl. § 24 BrefnSchulG; § 24 Hamb. SchulG; § 39 NSchG) bleiben auf hohem Abstraktionsniveau und genügen kaum den Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts. Vorbildlich demgegenüber § 1 des DJT-SchulGE, 1981, dem das Bay. E U G mit seinem Art. 35 Abs. 1 erkennbar gefolgt ist. 171 Vgl. O V G N W , SPE I I A I X , 81, U. vom 9.7.1976. 172 Vgl. BVerfGE 58, 257; BVerwGE 56, 155 (158). 173 Vgl. BVerfGE 58, 257. 174 Vgl. Hess. V G H , SPE I A V I I , 101, U. vom 1.12.1976-Unterrichtsgeldfreiheit; BVerwG, B. vom 19.10.1977, Buchholz, 42.1 Nr. 54 - Kosten des Besuchs eines Blindengymnasiums. 168

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eines Anspruchs auf besondere Förderung behinderter Schüler. 175 Zu den im Hinblick auf das Recht auf Bildung parlamentsrelevanten Regelungen gehören auch Bestimmungen über Aufnahme in und Entlassung aus der Schule sowie über Zuweisung und Überweisung von einer Schulart in eine andere, insbesondere von und zu einer Sonderschule. 176 Wegen der intensiven Grundrechtsrelevanz solcher Regelungen hat der Gesetzgeber selbst zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Verfahren eine Zuweisung zu einer bestimmten Schule oder Schulart erfolgen kann. 1 7 7 Für die Überweisung eines Schülers von einer Schule für Lernbehinderte an eine Schule für Praktisch-Bildbare ohne Zustimmung des Schülers beziehungsweise der Erziehungsberechtigten hat der hessische V G H die Geltung des Parlamentsvorbehalts bejaht. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Voraussetzungen für die Einweisung eines Schülers in eine Schule für Praktisch-Bildbare selbst festzulegen. 178 Auch die Festlegung allgemeiner Zugangsbeschränkungen obliegt dem Gesetzgeber, da hierdurch die Wahlrechte der Schüler (Art. 2 Abs. 1, gegebenenfalls Art. 12 Abs. 1 G G ) und der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG) intensiv berührt werden. Der Parlamentsvorbehalt gilt bei diesen Gegenständen des Schulverhältnisses grundsätzlich für alle Schularten. Die Geltung des Parlamentsvorbehalts für Bestimmungen über Aufnahme in die Schule, Schulwechsel oder Beendigung des Schulverhältnisses hinsichtlich bestimmter Schularten zu suspendieren, besteht kein Anlaß. 1 7 9

4.5 Leistungsbedingte Schulentlassung Zur Beendigung des Schulverhältnisses zählt neben der „normalen" Beendigung durch Zeitablauf auch die vorzeitige zwangsweise leistungsbedingte Schulentlassung, da diese für den weiteren Berufs- und Lebensweg des betroffenen Schülers eine sehr einschneidende Maßnahme darstellt. 180 Sie hat in aller Regel zur Folge, daß der Zugang zu dem erstrebten Beruf abgeschnitten oder zumindest wesentlich erschwert und dadurch die Chance für eine freie Wahl des Berufs erheblich geschmälert wird. Der Gesetzgeber hat daher aufgrund des Parlamentsvorbehalts die Voraussetzungen einer zwangsweisen leistungsbedingten Schulentlassung selbst zu regeln und dabei die Zuständig175 Vgl. BVerwG,DVBl. 1958,512-Kein Anspruch auf Sonderschulerrichtung; V G Freiburg, U. vom 14.12.1973, SPE I I A I I , 101 - Anspruch von Körperbehinderten auf Hausunterricht; O V G N W , U. vom 9.7.1976, SPE I I A I X , 81 - Besuch einer Sonderschule. 176 Vgl. V G Schleswig, N J W 1976,989; O V G N W , U. vom 22.5.1985 - 5 A 2503/83, Ua. S. 7. 177 Zur Zuweisung vgl. BVerfG, B. vom 6.2.1984,1 BvR 1204/83 (nicht veröffentlicht), wo der Dreierausschuß zwar die Frage der Reichweite des Parlamentsvorbehalts offen läßt, mit dem zustimmenden Hinweis auf die §§ 43,44 des DJT-SchulG, 1981, aber eine deutliche Tendenz zur Anerkennung des Parlamentsvorbehalts durchblicken läßt. Zum Aufnahmeanspruch mit Bejahung des Parlamentsvorbehalts Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 175 f. 178 Hess. V G H , D Ö V 1983, 858. 179 So aber Lerche (Fn. 12), 1981,94, für „den Zugang zu Sondertypen (wie z.B. Abendgymnasien)", der diese Ausnahme nicht näher begründet und lediglich auf Evers, V V D S t R L 23 (1966), 147 ff. (161), verweist. 180 BVerfGE 58, 257 (274 f.); V G H B.-W., NJW 1976, 869; O V G N W , D Ö V 1975, 360; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 357 b.

368

I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

keiten für eine solche Maßnahme sowie die Grundsätze des dabei einzuhaltenden Verfahrens festzulegen. 181 Eine gesetzliche Vorschrift, die nur die zu regelnde Materie bezeichnet (zum Beispiel nur die Begriffe „Entlassung/Beendigung des Schulverhältnisses" enthält), wird den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts nicht gerecht. 182

4.6 Disziplinarische Schulentlassung Von der leistungsbedingten zwangsweisen Schulentlassung ist die aus disziplinarischen Gründen erfolgende Schulentlassung als Ordnungsmaßnahme zu unterscheiden. I m Ergebnis gilt für diese wegen der weitgehend identischen Rechtsfolgen das gleiche wie für die leistungsbedingte Schulentlassung. Das BVerfG hat dementsprechend auch den disziplinarischen Schulausschluß dem Parlamentsvorbehalt unterstellt. 183 Für eine so einschneidende Ordnungsmaßnahme wie den Schulausschluß verlangt der Parlamentsvorbehalt eine gesetzliche Regelung von Tatbestand (Voraussetzungen), Dauer, Rechtsfolgen, Zuständigkeit für die jeweilige Maßnahme und die Grundzüge des einzuhaltenden Verfahrens. 184 A n das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot sind dabei strenge Maßstäbe anzulegen. 185

4.7 Weitere Ordnungsmaßnahmen In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob auch alle anderen von der Schule zu verhängenden Ordnungsmaßnahmen dem Parlamentsvorbehalt unterliegen. Sicherlich handelt es sich bei der bereits erörterten Ordnungsmaßnahme des zwangsweisen Schulausschlusses186 um die gravierendste Ordnungsmaßnahme, mit der auf erhebliche Störungen des Schul- und Unterrichtsbetriebs reagiert werden kann. 181

BVerfGE 58, 257 (274 f.); Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 357 b m.w.N. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 357 b. 183 BVerfGE 41, 251 (259 ff.). Zur disziplinarischen Schulentlassung vgl. auch O V G Lüneburg, DVBl. 1973, 280; O V G N W , N J W 1966, 725; BayVerfGH, BayVBl. 1975, 298; O V G Rh.-Pf., NJW 1973,1663; BayVerfGH, NJW 1982,1089 = D Ö V 1982,691 mit Anm. Hennecke; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 59 f. 182

184 Vgl. BVerfGE 41,251 (259 ff.); BayVerfGH, NJW 1982,1089; ähnlich schon BayVerfGH 33, 33 (37); vgl. auch Lerche (Fn. 12), 1981,96; Niehues, DVBl. 1980,468; DJT-SchulGE, 1981, 291 ff. 185 Der BayVerfGH (NJW 1982, 1089) hat aus diesem Grunde die Ermächtigung im Bay. E U G zur „Regelung des Schulbetriebs und der inneren Schulverhältnisse" für zu unbestimmt erklärt (ebenso Lerche, Fn. 12, 99). Soweit über die vom parlamentarischen Gesetzgeber zu regelnden Fragen hinaus eine Ermächtigung an den Verordnungsgeber zur Regelung der vielfältigen Möglichkeiten politischer Betätigung in Betracht komme, müsse hinreichend vorhersehbar sein, welche Einzelregelungen des Verordnungsgebers zulässig sein sollen. 186 Dazu gehört auch die Ordnungsmaßnahme des Ausschlusses von allen Schulen einer bestimmten Schulart, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit allerdings zweifelhaft ist (vgl. DJT-SchulGE 1981,294), da sie als Ordnungsmaßnahme stark diskriminierende Züge aufweist und eher als Strafmaßnahme denn als dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechende Maßnahme mit pädagogisch-ordnungsstiftendem Charakter anzusehen ist.

. Parlamentsvorbehalt und S c h u l e r h l n i 4.7.1 Überweisung in eine Parallelklasse,

befristeter

369

Ausschluß vom Unterricht

Bei den anderen Ordnungsmaßnahmen ist zu differenzieren. Handelt es sich um solche, die nicht die Intensität des Schulausschlusses aufweisen, gleichwohl aber grundrechtsrelevant sind, so ist zumindest die Geltung des Rechtssatzvorbehalts anzunehmen. 187 Dies gilt zum Beispiel für Ordnungsmaßnahmen wie die Überweisung in eine Parallelklasse und den befristeten Ausschluß vom Unterricht oder von sonstigen Schulveranstaltungen, da hierdurch die Rechte des Schülers auf Bildung (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 G G ) und das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) berührt werden.

4.7.2 Arrest, Nachsitzen

Umstritten ist, wie die Ordnungsmaßnahmen des Arrests und des Nachsitzens zu beurteilen sind. Die Kommission Schulrecht des D J T setzt für die Anordnung des Nachsitzens eine hinreichend spezifizierte Regelung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes voraus, da die Maßnahme in den Normbereich der Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 G G (Freiheit der Person) eingreife. 188 Nach der Gegenmeinung genügt für die Anordnung des Nachsitzens eine gesetzliche Generalermächtigung zur Ordnung des Schulbetriebs, da ein Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G geschützte körperliche Bewegungsfreiheit des Schülers nicht vorliege. 189 Vielmehr handele es sich lediglich um eine zu disziplinarischen Zwecken verfügte Erweiterung der Schulbesuchspflicht im Einzelfall. 1 9 0 Da man wohl kaum über die Tatsache hinwegsehen kann, daß die Anordnung des Nachsitzens 191 die Freiheit der Person für einen nicht völlig unerheblichen Zeitraum einschränkt, erscheint die letztere Auffassung etwas konstruiert. Auch wenn ein solcher Eingriff im Vergleich zu anderen möglichen Formen von Freiheitsbeschränkungen relativ moderat erscheint, so liegt doch objektiv eine Freiheitsbeschränkung vor, die über das normale mit der allgemeinen Schulpflicht verbundene Maß hinausgeht. Es ist daher zumindest eine auf hinreichend bestimmter gesetzlicher Ermächtigung beruhende rechtssatzmäßige Regelung durch Rechtsverordnung erforderlich, so daß die generalklauselartige Ermächtigung zur Aufrechterhaltung der schulischen Ordnung nicht ausreicht. 192 Dies muß selbst dann gelten, wenn man mit dem V G H Baden-Württemberg „lediglich" eine Be-

187 Vgl. Bay V G H , BayVBl. 1975,298; Bay V G H , BayVBl. 1961,186; Richter, Art. 7 Rdn. 90, in: A K - G G , 1984, der für die Schulordnung generell Rechtsverordnungen ausreichen lassen will (mit Ausnahme des Schulausschlusses). 188 DJT-SchulGE, 1981, 292 f. 189 Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 257; V G Freiburg, N V w Z 1984,131; V G H BW, N V w Z 1984,

808.

190 V G H BW, N V w Z 1984, 808 (809), mit Hinweis auf BVerfGE 22,21 (26), und*Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Rdn. 50 zu Art. 2 Abs. 2. 191 In dem vom V G Freiburg und vom V G H BW (Fn. 189) entschiedenen Fall: zwei Stunden. 192 Eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 G G ist zu verneinen, so daß die dort aufgeführten weiteren Voraussetzungen nicht vorzuliegen brauchen.

370

I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

schränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Schülers (Art. 2 Abs. 1 G G ) annimmt. Die Grundrechtsrelevanz als Voraussetzung für die Geltung zumindest des Rechtssatzvorbehalts ist auch in diesem Fall gegeben.

4.7.3 Verweis,

Tadel

Demgegenüber wird man bei den schwächsten formellen Ordnungsmaßnahmen wie dem Verweis und dem Tadel eine Grundrechtsrelevanz verneinen müssen, sofern nicht die vorherige mehrmalige Verhängung derartiger Ordnungsmaßnahmen tatbestandliche Voraussetzungen für andere schwerwiegende Ordnungsmaßnahmen (wie zum Beispiel den Schulausschluß) ist. Nur für diese geringfügigen Ordnungsmaßnahmen kann die oben abgelehnte Auffassung (Zulässigkeit einer generalklauselartigen Ermächtigung) Anwendung finden. 4.7.4 Verschiedene Regelungsorte?

Eine derartige Behandlung des Regelungskomplexes Ordnungsmaßnahmen würde allerdings bei konsequenter Differenzierung nach Art und Schwere zu einer Zerplitterung der Regelung führen. Zu berücksichtigen ist weiter, daß nicht allein die verschiedenen Arten von Ordnungsmaßnahmen zu regeln sind, sondern auch grundsätzliche allgemeine Regelungen zur Verhängung von Ordnungsmaßnahmen (zum Beispiel Voraussetzungen, Vorrang anderer pädagogischer Maßnahmen, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit usw.) sowie Bestimmungen zur Zuständigkeit und zum Verfahren zu treffen sind. 1 9 3 Der Gedanke einer Einheit des Regelungsortes indiziert daher unter Zugrundelegung pragmatischer Aspekte für den Gesamtkomplex schulischer Ordnungsmaßnahmen die Geltung des Parlamentsvorbehalts. 194 Der unterschiedlichen Grundrechtsbetroffenheit kann dabei durch eine variable Regelungsdichte bei den verschiedenen Ordnungsmaßnahmen Rechnung getragen werden. Hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsdichte ist allgemein festzustellen, daß eine nur pauschale Ermächtigung zur Regelung der Gegenstände „Schulstrafen" oder „Ordnungsmaßnahmen" den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts hinsichtlich Regelungsebene und Regelungsdichte nicht gerecht wird. Auch der Begriff der „Schulaufsicht" vermag hier nicht als Konkretisierung zu dienen. 195

193 Der BayVerfGH hat in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Anhörung der Eltern zum obligatorischen Bestandteil der gesetzlichen Regelung der Ordnungsmaßnahmen erklärt (BayVerfGH 33, 33 = NJW 1980, 1838). 194 Vgl. die novellierte Fassung des b.-w. SchulG, die jetzt in § 90 eine abschließende Regelung der Ordnungsmaßnahmen trifft und auf die bisherige Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen verzichtet. Lerche (Fn. 12), 1981,97, empfiehlt eine „vorsorgliche" gesetzliche Regelung auch der schwächeren Ordnungsmaßnahmen im Hinblick auf die Abgrenzungsproblematik gegenüber dem „grundrechtsintensiven Bereich". 195 Vgl. BayVerfGH 20, 1 (7).

. Parlamentsvorbehalt und

S c h u l e r h l n i 3 7 1

4.8 Körperliche Züchtigung Der Ausschluß des Züchtigungsrechts bedarf keiner gesetzlichen Regelung, wenn man die körperliche Züchtigung bereits im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 G G als verfassungswidrig ansieht. 196 Doch auch wenn man das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nicht teilt, unterliegt der Ausschluß des Züchtigungsrechts nur insoweit dem Parlamentsvorbehalt, wie man überhaupt ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht anerkennt 197 und gleichzeitig eine Verdrängung von Gewohnheitsrecht nicht durch Rechtsverordnung, sondern nur durch Parlamentsgesetz für möglich erachtet. 198 Da es meines Erachtens bereits an der ersten Voraussetzung fehlt, ist die Geltung des Parlamentsvorbehalts hier abzulehnen. 199 4.9 Versetzung/Nichtversetzung Ein weiterer wichtiger Regelungsgegenstand im Rahmen des Schulverhältnisses ist die Frage der Versetzung/Nichtversetzung. Letztere ist nach wohl einhelliger Auffassung als grundrechtsrelevant anzusehen, da sie zumindest die freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 G G berührt. 2 0 0 Eine besondere Intensität der Nichtversetzung, welche die Geltung des Parlaments Vorbehalts begründen würde, hat das BVerfG jedoch - anders als für die Schulentlassung - verneint. 2 0 1 Das BVerwG ist in seinem Versetzungsurteil zwar der Auffassung, daß die beanstandete Nichtversetzung „erheblich" das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 G G berühre. Gleichwohl sprach sich das BVerwG im Ergebnis nicht für die Geltung des Parlaments Vorbehalts aus. Zwar hielt es die Fassung des Berliner Schulgesetzes, das lediglich den Begriff der Versetzung ohne weitere Präzisierung ent196 So Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 258; vgl. auch Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1958, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 43 ff.; vgl. zu dieser Problematik auch Vormbaum, Zur Züchtigungsbefugnis von Lehrern und Erziehern, JR 1977, 492; Rüping/Hüsch, Abschied vom Züchtigungsrecht des Lehrers, G A 1979, 1. 197 So O L G Zweibrücken, NJW 1974,1772; B G H , NJW 1976,1949; Bay. O L G , NJW 1979, 1371 m.w.N. Dabei wurde die Auffassung vertreten, die gewohnheitsrechtliche Rechtfertigung der körperlichen Züchtigung könne nicht durch untergesetzliche Regelung außer Kraft gesetzt werden, wie zum Beispiel durch ein bereits seit längerem bestehendes Verbot in der Bay. ASchO. Diese Auffassung verkennt, daß Gewohnheitsrecht bereits tatbestandsmäßig eine allgemeine mehrheitliche Rechtsüberzeugung von der Richtigkeit der gewohnheitsrechtlichen Norm voraussetzt, wovon aber spätestens dann keine Rede mehr sein kann, wenn eine Rechtsverordnung eine ausdrückliche anderslautende Bestimmung getroffen hat. Wie hier auch L G Kassel, SPE V I H I , 31, U. vom 5.10.1974; DJT-SchulGE, 1981, 291 f.; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 258. 198 Vgl. dazu oben Kap. V I 4.3.3 und 4.3.4 sowie Kap. V I I 2.4.11. 199 Gleichwohl kann aus Gründen der Klarstellung und im Sinne einer Appellfunktion eine deklaratorische Bestimmung, die das Verbot körperlicher Züchtigung ausdrücklich erwähnt, sinnvoll sein. 200 BVerfGE 58, 257 (273 f.); BVerwGE 56, 155. Das BVerfG weist unter anderem auf die Verlängerung der Ausbildungszeit des Betroffenen in aller Regel um ein Jahr hin (E 58,257,275). Zur Versetzung/Nichtversetzung vgl. auch V G Freiburg, N J W 1976,865; V G Schleswig, SchlHA 1976,77; O V G Lüneburg, SchlHA 1976,58; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 60; Lerche (Fn. 12), 1981, 101; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 356 ff. Vgl. auch oben Kap. I V 3.3.1. 201 BVerfGE 58, 257 (275 ff.). Ebenso Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 356 ff.

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I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

hielt, für nicht ausreichend. Andererseits bemängelte es aber nur, daß es an einer hinreichenden rechtssatzmäßigen (nicht: gesetzlichen) Normierung der Versetzung fehle. Die Versetzungsentscheidung bedürfe „in ihren Grundzügen einer Regelung durch Gesetz oder aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung durch Rechtsverordnung". 202 Daraus folgt, daß das BVerwG die Berliner Regelung unter dem Aspekt des Gesetzesvorbehalts nicht beanstandet hätte, wenn zum Beispiel die pauschale Verwendung des Begriffs „Versetzung" im Schulgesetz durch eine Rechtsverordnung hinreichend konkretisiert worden wäre und rechtssatzmäßig, das heißt mindestens in einer Rechtsverordnung, eine Regelung der Zuständigkeit sowie der Grundsätze für die Feststellung der Eignung für die nächsthöhere Klasse getroffen worden wäre. 2 0 3 Trotz Bejahung einer intensiven Grundrechtsberührung kommt das BVerwG hier im Ergebnis nur zur Annahme eines Rechtssatzvorbehalts. 204 Die vom BVerwG überzeugend begründete Grundrechtsintensität der Nichtversetzung ergibt sich abgesehen von den vom BVerwG selbst genannten Gründen auch aus der Tatsache, daß eine mehrmalige Nichtversetzung im allgemeinen eine tatbestandliche Voraussetzung für die zwangsweise leistungsbedingte Schulverweisung darstellt. Wenn diese - wie oben festgestellt 2 0 5 - dem Parlamentsvorbehalt unterliegt und deshalb ihre tatbestandlichen Voraussetzungen parlamentsgesetzlich zu regeln sind, so muß sich der Parlamentsvorbehalt auch auf die Regelung der Nichtversetzung als tatbestandliche Voraussetzung der zwangsweisen Schulentlassung erstrecken. 206 Für die Geltung des Parlamentsvorbehalts spricht weiter die Gefahr, daß der Schüler bei wiederholter Nichtversetzung ein vorgesehenes Höchstalter überschreiten kann und deswegen die Schule verlassen muß; den angestrebten Schulabschluß erreicht er in diesem Falle nicht. 2 0 7 Für die Nichtversetzung muß demnach entgegen der Auffassung von BVerfG und BVerwG der Parlamentsvorbehalt gelten. 208 I m Gesetz müssen somit neben der Zuständigkeit und dem Verfahren in genereller Form die Voraussetzungen festgelegt werden, unter denen eine Versetzung auszusprechen oder zu verweigern ist und nach welchen Grundsätzen die Eignung des Schülers für eine erfolgreiche 202 BVerwGE 56, 155 (158 ff.). Ebenso Richter, Art. 7 Rdn. 96, in: A K - G G , 1984; unklar Bryde, D Ö V 1981, 193 ff. (196 f.), der einerseits nur von einem Rechtssatzvorbehalt ausgeht („Grundzüge in Gesetz und Verordnung"), andererseits aber „eine gesetzliche Regelung der Grundzüge des Versetzungswesens ohne weiteres (als) praktikabel und machbar" bezeichnet. 203 Die Beanstandung des BVerwG beruhte auf der Tatsache, daß es sich bei der vorhandenen Versetzungsordnung lediglich um eine allgemeine Verwaltungsvorschrift handelte (BVerwGE 56, 155, 162). 204 BVerfG und BVerwG sind sich hier weder in den Voraussetzungen noch in den Rechtsfolgen einig: Während das BVerfG eine intensive Grundrechtsberührung verneint, bejaht sie das BVerwG. Dieses kommt gleichwohl nur zu einem Rechtssatzvorbehalt, während das BVerfG unter gleichen Voraussetzungen („Intensität") zur Annahme des Parlamentsvorbehalts gelangen müßte. 205

Vgl. oben 4.5. Vgl. V G H BW, NJW 1976, 869; ähnlich Bryde, D Ö V 1982, 243 und 661 ff. (672); Evers, RdJB 1982,336 ff. (341 ); wie hier wohl auch Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 60. 207 Vgl. BVerwG, DVBl. 1984, 272 f. 208 Wie hier Evers, RdJB 1982, 336 ff. (341) m.w.N.; Benda, Der soziale Rechtsstaat, 1983, 477 ff. (492). 206

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373

Mitarbeit in der nächsthöheren Klasse festzustellen ist, zum Beispiel welche Leistungen regelmäßig zu erbringen sind. 2 0 9 Ebenso sind eventuelle Ausnahmen von dem allgemeinen Institut der Versetzung (zum Beispiel für die Klassen 1 und 2, 1 bis 4, 5 und 6 oder ähnliches) wegen der allgemeinen schulpolitischen Bedeutung dieser Fragen im Parlamentsgesetz zu regeln.

4.10 Zugang zur gymnasialen Oberstufe Ähnlich gelagert wie die Versetzungsproblematik ist die Frage des erschwerten Zugangs zur gymnasialen Oberstufe durch das Erfordernis eines qualifizierten Notenbildes. Eine entsprechende Regelung kommt im Ergebnis einer Nichtversetzung gleich, da der Übergang von Klassenstufe 10 nach 11 versagt wird. Es werden jedoch nicht nur die Versetzungsvoraussetzungen an dieser Nahtstelle zwischen Sekundarbereich I und I I verschärft, sondern zugleich für den betreffenden Gymnasialschüler die Voraussetzungen für eine zwangsweise leistungsbedingte Schulentlassung festgelegt, da ein weiterer Besuch des Gymnasiums ausgeschlossen sein kann. Damit unterliegt - analog zur Regelung der Versetzung und der leistungsbedingten Schulentlassung die Einführung eines erschwerten Zugangs zur gymnasialen Oberstufe dem Parlamentsvorbehalt und darf nicht durch Rechtsverordnung erfolgen. 210

4.11 Leistungsbewertungen, Prüfungen Da die Frage der Schulentlassung von der Versetzungsentscheidung präjudiziert werden kann, die Versetzung ihrerseits aber wiederum von einzelnen Leistungsbewertungen und den Ergebnissen von Prüfungen abhängt, stellen Leistungsbewertungen und Prüfungen Tatbestandsvoraussetzungen sowohl für die Frage der Versetzung als auch der Schulentlassung dar. Da insoweit nicht wie bei der Beurteilung, ob eine Einzelnote als Verwaltungsakt angesehen werden kann, 2 1 1 ex post differenzierend auf die konkrete Auswirkung der einzelnen Note auf die Versetzung oder auf ihre sonstige rechtliche Relevanz abgestellt werden kann, weil eine solche Auswirkung potentiell durch jede Einzelnote gegeben sein kann, muß das Parlamentsgesetz in genereller Form Grundsätze für Leistungsbeurteilungen und Prüfungen aufstellen. 212 Dazu 209 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 56. Die Bestimmtheitsanforderungen werden von Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 357 f., in Anlehnung an BVerfGE 58,257, zu weit zurückgenommen, wenn die alleinige Verwendung des Begriffs Versetzung in der parlamentsgesetzlichen Regelung für ausreichend gehalten, zugleich aber eingeräumt wird, daß die Nichtversetzung „die Entfaltung der Persönlichkeit des Schülers in beachtlichem Maße und damit sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG" berühre. 210 Laut „Der Spiegel", Nr. 20/1984, S. 110, ist eine entsprechende Regelung durch Rechtsverordnung in N R W vorgesehen. 211 Vgl. dazu von Mutius, Jura 1982, 555 m.w.N.; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 468. 212 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 54; Sitzungsbericht M zum 51. D J T 1976, M 230; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 356 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 57 f.; a.A. BayVerfGH 31, 181 (184).

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I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

gehört etwa die Frage, wer für die Leistungsbeurteilung zuständig ist, welche Verfahrensvorschriften bei der Leistungsbeurteilung einzuhalten sind, welche Leistungen als Grundlage für eine Benotung heranzuziehen sind und unter welchen Voraussetzungen eine Leistung als erbracht anzusehen ist. Entsprechendes muß für die Erteilung von Zeugnissen und die Ablegung von Prüfungen gelten, da diese noch unmittelbarer als die einzelne Note auf die Gestaltung des weiteren schulischen Bildungswegs des Schülers einzuwirken vermögen. Da sich die Festlegung des materiellen Inhalts schulischer Leistungsbeurteilungen und Prüfungen (Prüfungsstoff) 213 aus Gründen der Flexibilität (zum Beispiel Anpassung an aktuelle Entwicklungen), aber auch im Hinblick auf die pädagogische Verantwortlichkeit der Lehrer und Prüfer einer detaillierten parlamentsgesetzlichen Regelung entzieht, wird sich das Schwergewicht gesetzlicher Prüfungsbestimmungen unter rechtsstaatlichen Aspekten vor allem auf die äußeren Bedingungen von Prüfungen zu erstrecken haben (Zuständigkeit, Verfahren, Zustandekommen der Gesamtnote usw.). 2 1 4 Auch die Voraussetzungen des Bestehens einer Prüfung bedürfen einer parlamentsgesetzlichen Regelung, an die allerdings aus den genannten Gründen keine zu strengen Bestimmtheitsanforderungen zu stellen sind. 2 1 5

4.12 Form der Leistungsbeurteilung Dagegen ist die Frage, in welcher Form die Leistungsbeurteilung erfolgen soll (Punkte, Noten, Beurteilung des Sozialverhaltens 216 ) nicht dem Parlamentsvorbehalt zu unterstellen, da diese Fragen weder intensiv grundrechtsrelevant sind noch eine unmittelbare Relevanz für Versetzung oder Abschlüsse und damit für den weiteren Bildungsweg erkennbar ist. 2 1 7 Das BVerwG hat die Geltung des Gesetzesvorbehalts für die Beurteilung des Sozialverhaltens in verbalen Zeugnissen offengelassen, gleichzeitig aber eine gewisse Neigung zur Bejahung dieser Frage durchblicken lassen. 218 Selbst wenn man aber die Grundrechtsrelevanz im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 G G und Art. 2 Abs. 1 G G bejaht, so ist doch eine hohe Grundrechtsintensität und damit die Geltung des 213

Vgl. dazu Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 358 b. Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 358 ff.; V G Freiburg, NJW 1976, 865 ff.; weitergehend Evers, RdJB 1982, 336 ff., der auch die Regelung der Prüfungsgebiete dem Parlamentsvorbehalt unterstellt; enger Bryde, D Ö V 1981,193 ff. (196), der lediglich von der Geltungeines Rechtssatzvorbehalts ausgeht („Grundzüge in Gesetz und Verordnung"). 215 Weniger streng BVerwG, DVBl. 1982, 894 ff. - multiple choice, wo weder gesetzliche Regelungen über Prüfungsstoff, Bestehensvoraussetzungen, Prüfungssystem und die Einzelheiten des Prüfverfahrens verlangt werden. Allerdings unterstellt das BVerwG dem Parlamentsvorbehalt die Regelung der Approbation als Voraussetzung für die Aufnahme der Berufstätigkeit als Apotheker, die Approbationsvoraussetzungen sowie das Bestehen der pharmazeutischen Prüfung. Gleichzeitig seien damit Ziel und Inhalt der Ausbildung festgelegt und die notwendigen gesetzgeberischen Leitentscheidungen getroffen. 216 Vgl. dazu V G Düsseldorf, U. vom 16.2.1979-1 Κ 2275/77; V G Köln, U. vom 29.8.197810 Κ 1167/78; O V G N W , U. vom 25.4.1980 - 5 A 2321/78. Vgl. auch Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, 1980; Erichsen, Rechtsgutachten 1978. 217 Wie hier O V G N W (Fn. 216). 218 BVerwG, NJW 1982, 250. 214

. Parlamentsvorbehalt und S c h u l e r h l n i

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Parlamentsvorbehalts zu verneinen. Das Kriterium der Grenzmarkierung zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag und dem Elternrecht sowie den Persönlichkeitsrechten des Kindes 2 1 9 kommt meines Erachtens entgegen der Auffassung des BVerwG hier nicht zum Tragen, da das Recht der Schule zur Beurteilung des Sozialverhaltens vom staatlichen Erziehungsauftrag ohne weiteres umfaßt ist. 4.13 Notenspiegel Die Erteilung eines Notenspiegels an Eltern und Schüler außerhalb der Zeugnisse unterliegt nicht dem Parlamentsvorbehalt, da es sich weder um eine intensiv grundrechtsrelevante noch um eine aus anderen Gründen parlamentsrelevante Regelung handelt. 2 2 0

4.14 Politische Schülerrechte, Meinungsfreiheit Der letzte hier zu behandelnde Regelungskomplex des Schulverfrältnisses betrifft die sogenannten politischen Schülerrechte. Die Gewährleistung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 G G ) in der Schule bedarf für die Schüler wegen der unmittelbaren und nicht durch die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses eingeschränkten Geltung dieses Grundrechts auch im Schulbereich keiner speziellen schulgesetzlichen Regelung. 221 Eine solche wäre verfassungsrechtlich lediglich insoweit geboten, als sie die Schranken dieses Grundrechts im Schulverhältnis festlegt. Abgesehen von der Frage ihrer materiell-rechtlichen Zulässigkeit ist zu beantworten, ob über den schon wegen des ausdrücklichen Grundrechtsvorbehalts in Art. 5 Abs. 2 G G geforderten Rechtssatzvorbehalt hinaus die Geltung des Parlamentsvorbehalts zu bejahen ist. Insoweit kommt es auch hier zunächst darauf an, ob im Hinblick auf den grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt eine intensive Grundrechtsbetroffenheit der Schüler zu bejahen ist, wenn ihnen gegenüber die Ausübung der Meinungsfreiheit im Bereich der Schule eingeschränkt wird. Bedenkt man, daß die Meinungsfreiheit „in einem gewissen Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt ist", 2 2 2 dann läßt sich eine Einschränkung nur zum Schutze gleichrangiger oder höherrangiger Rechtsgüter rechtfertigen. Diese Folgerung läßt sich nicht länger dadurch relativieren, daß die Einschränkung der Grundrechte von Schülern stets ohne nähere Begründung auf Argumentationsmuster wie das besondere Gewaltverhältnis, die Anstaltsgewalt, die Funktionsfähigkeit der Schule, den Schulfrieden oder das Schulklima gestützt werden könnte. Anderenfalls stünde die innerschulische Meinungsäußerungs219 BVerwG, NJW 1982,250 f. Auch werden verbale Beurteilungen des Sozialverhaltens dem elterlichen Informationsanspruch weit eher gerecht als die herkömmlichen „Kopfnoten" für Führung, Fleiß und Aufmerksamkeit. Wie hier Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 358 c. 220 Vgl. BVerwG, D Ö V 1978, 845; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 358 c. 221 Eine Erwähnung im Schulgesetz hätte lediglich deklaratorische Bedeutung; vgl. DJTSchulGE, 1981, 285 ff. 222 BVerfGE 7, 198 (208).

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freiheit letztlich unter dem Vorbehalt der Definition dieser unbestimmten Rechtsbegriffe durch Schulaufsichtsbehörden und Anstaltsträger. 223 Vielmehr bedarf es einer Leitentscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers, in welcher in allgemeiner Form die Abwägung dieser komplexen Grundrechtssituation vorgenommen wird. Der Gesetzgeber, nicht aber die Gesamtkonferenz, 224 die Schulbehörden oder die Gerichte im Einzelfall haben zu entscheiden, inwieweit die grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit in der Schule reicht und inwieweit sie gegenüber anderen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen zurücktreten muß. Der Gesetzgeber muß daher selbst festlegen, zu welchem Zweck und unter welchen Voraussetzungen die Meinungsfreiheit im Schulverhältnis (nur) eingeschränkt werden darf. Ob das zum Teil angenommene „Recht der Mitschüler, in Ruhe gelassen zu werden", 2 2 5 stark genug sein kann, Einschränkungen des für die Staatsordnung der Bundesrepublik schlechthin konstituierenden Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu rechtfertigen, ist vom Gesetzgeber zu entscheiden. Der Parlamentsvorbehalt ist darüber hinaus dann indiziert, wenn Verstöße gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch Ordnungsmaßnahmen sanktionsbewehrt sind, so daß die das Grundrecht einschränkenden Regelungen zugleich Tatbestandsmerkmale für die in Betracht kommenden Ordnungsmaßnahmen darstellen.

4.15 Politische Werbung, Plaketten Für die Frage, ob und inwieweit zum Beispiel die politische Werbung, das Tragen von Plaketten 226 und ähnliche Äußerungsformen der Meinungsfreiheit in der Schule Einschränkungen unterliegen, kann nichts anderes gelten als für die Meinungsfreiheit. Hinzutreten kann hier der Aspekt des politischen Parlamentsvorbehalts, soweit die Zulässigkeit des Plakettentragens politisch umstritten ist. 2 2 7

223 Vgl. V G Regensburg, BayVBl. 1981,249 ff. = RdJB 1981,66 mit Anm. Ladeur, der davon spricht, der Vorbehalt des allgemeinen Gesetzes in Art. 5 Abs. 2 G G sei längst in einem „Abwägungsvorbehalt" für den Einzelfall verwandelt worden. 224 Vgl. V G H BW, JZ 1976, 477. 225 In diesem Sinne für das Soldatenverhältnis BVerfGE 44, 197 (203 f.), mit abweichender Meinung von Rottmann, 206 f., und Hirsch, 210 f.; ebenso Grämlich, BayVBl. 1980,358 ff. (361). Grundlegend zur Meinungsfreiheit BVerfGE 7,198 (203,208) - Lüth-Urteil. Nach Löffler, NJW 1984,1206 ff. (1208), bedürfen Einschränkungen der Kommunikationsfreiheit auch im „Einordnungsverhältnis" eines förmlichen Gesetzes. 226 Zum Plakettentragen vgl. V G Regensburg, BayVBl. 1981, 249; BayVerfGH, NJW 1982, 1089; Bay V G H , DVBl. 1982,457; V G Berlin, NJW 1979,2629; V G Hamburg, NJW 1979,2164; BAG, N J W 1982,2888; NJW 1984,1142; grundlegend BVerfGE 7,198 (208); Löffler, NJW 1984, 1210; V G H BW, DVBl. 1976,638; Lisken, NJW 1980,1503; Grämlich, DVBl. 1982,745; Suhr, NJW 1982, 1065; Ronellenfitsch, VerwArch 73 (1982), 254. 227 Vgl. Lerche (Fn. 12), 1981, 99; a.A. BayVerfGH, NJW 1982, 1089; widersprüchlich BayVGH, DVBl. 1982, 457 (458) („durch den Gesetzgeber", „durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes").

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4.16 Pressefreiheit, Schiilergruppen Entsprechendes gilt für Einschränkungen der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G ) im Hinblick auf die Herausgabe von Schülerzeitungen. 228 Unter Schülerzeitungen sind periodische Druckschriften zu verstehen, die von Schülern für Schüler einer oder mehrerer Schulen herausgegeben werden. 229 Schülerzeitungen unterstehen dem Schutz der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G ) in gleichem Umfang wie die Presse der Erwachsenen. 230 Soweit in schulrechtlichen Bestimmungen die Pressefreiheit überhaupt beschränkt werden darf, 2 3 1 unterliegen die entsprechenden Regelungen dem grundrechtlichen wie politischen Parlamentsvorbehalt. 232 A u f die Bildung von Schülergruppen, welche durch Art. 9 Abs. 1 und 2 G G geschützt ist, ist das Gesagte entsprechend anzuwenden. 233

5. Parlamentsvorbehalt und Schulverfassung Höchstrichterliche Entscheidungen zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Bereich der Schulverfassung, das heißt der schulischen Mitwirkung und Mitbestimmung von Schülern, Eltern und Lehrern sind - soweit ersichtlich - bisher nicht ergangen. Die wenigen vorhandenen Literaturäußerungen bejahen in der Tendenz die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes auch für die Schulverfassung, ohne jedoch eindeutig Stellung zu beziehen, ob der Parlamentsvorbehalt oder der Rechtssatzvorbehalt zur Anwendung gelangen soll; auch die konkrete Reichweite des Parlaments- oder des Rechtssatzvorbehalts bleibt offen. 2 3 4 Die Frage, ob und wenn ja inwieweit der Parlamentsvorbehalt für die Regelungen der Schulverfassung gilt, ist somit ungeklärt. Ob man den grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt bejahen kann, hängt zunächst davon ab, ob eine wie auch immer geartete schulische Mitwirkung von Schülern, Eltern oder Lehrern zumindest dem Grunde nach grundrechtlich gefordert ist. Bejaht man dies im Hinblick auf das bildungsmäßige Entfaltungsrecht (Art. 2 Abs. 1 G G ) der Schüler, das elterliche Erziehungsrecht 228

Vgl. dazu DJT-SchulGE, 1981, 287; Lerche (Fn. 12), 1981, 99. Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 229 mit zahlreichen Nachweisen. Davon zu unterscheiden sind die sogenannten Schulzeitungen, die unter Mitwirkung der Schüler von der Schule herausgegeben werden. 230 DJT-SchulGE, 1981, 96 und 287 m.w.N.; Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 229 m.w.N.; Löffler, NJW 1984, 1206 ff. (1211). 231 Vgl. Niehues (Fn. 12), 1983, Rdn. 230 ff. 232 So auch Löffler, NJW 1984, 1206 ff. (1208). 233 DJT-SchulGE, 1981,289. 234 Vgl. Sitzungsbericht M zum 51. D J T , M 230, wo die Anwendbarkeit des „Parlaments- und Gesetzesvorbehalts" (zur Kritik an dieser Diktion vgl. oben Kap. I 3.1.2) unter anderem für die Mitbestimmung von Eltern und Schülern und für die Schülerselbstverwaltung gefordert wird. Auch im Vorschlag des DJT-SchulGE, 1981, 334 ff., bleibt offen, ob und inwieweit die vorgeschlagene Regelung der §§ 74-94 vom Parlamentsvorbehalt gefordert ist. Nicht eindeutig auch Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 38 ff., der jedoch die Grundrechtsrelevanz explizit bejaht. 229

378

I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

(Art. 6 Abs. 2 GG) und die Ansätze pädagogischer Freiheit des Lehrers 235 oder bejaht man ein sogenanntes kollektives Elternrecht, 236 so wäre zumindest der Rechtssatzvorbehalt zu bejahen. Da es sich in diesem Fall um eine typische komplexe Grundrechtsentscheidung im Spannungsfeld der Individualgrundrechte von Schülern, Eltern und gegebenenfalls Lehrern einerseits und des staatlichen Erziehungsrechts (Art. 7 Abs. 1 G G ) andererseits handelt, ist der Parlamentsvorbehalt indiziert. In kaum einem anderen Teilbereich des Schulrechts bedarf es in vergleichbarer Weise einer Austarierung aller beteiligten Rechtspositionen im Sinne einer praktischen Konkordanz der beteiligten Grundrechte. I m Hinblick auf den grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt ist darüber hinaus von Bedeutung, daß mehrere Landesverfassungen den Eltern 2 3 7 und teilweise auch den Schülern 238 ein ausdrückliches Recht auf Mitwirkung in der Schule einräumen. Auch wenn man diese Rechte nicht als Grundrechte interpretiert, so spricht jedenfalls die Ausfüllungsbedürftigkeit dieser offenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen für die Geltung des Parlamentsvorbehalts. Darüber hinaus handelt es sich bei den Regelungen der Schulverfassung ganz unabhängig von der grundrechtlichen Verankerung schulischer Mitbestimmung um eine politisch wichtige Regelung, da sie das organisatorische Grundmuster einer partizipatorischen Staatsverfassung auf einen alle Bürger betreffenden Teilbereich - die Schule - überträgt und konkret anwendet. 239 Da sich die freiheitliche und demokratische Grundstruktur der Verfassung auch in der Schule widerspiegeln muß, 2 4 0 bedarf die konkrete Ausprägung einer Mitwirkung und Mitbestimmung von Schülern, Eltern und Lehrern zumindest in den Grundzügen einer gesetzlichen Regelung. Für diese Auffassung spricht schließlich auch, daß kaum ein Regelungsbereich des Schulrechts eine derart große praktische Bedeutung entfaltet wie die Bestimmungen der Schulverfassung. Die Länder haben seit Beginn der siebziger Jahre ausnahmslos gesetzliche Regelungen der Schulverfassung getroffen. Die Schulverfassung ist einer der wenigen Bereiche, in welchen unter dem Gesichtspunkt des Parlamentsvorbehalts ein Regelungsdefizit nicht besteht. Vielmehr fragt sich, ob die derzeit durchweg äußerst detaillierten gesetzlichen Regelungen der Schulverfassung in dieser Ausführlichkeit vom Bestimmtheitsgebot des Parlamentsvorbehalts überhaupt verlangt werden. 241 Allein der Aspekt einer Einheitlichkeit des Regelungsortes mag dagegen sprechen, nur die wirklich parlamentsrelevanten Regelungen im Gesetz selbst zu treffen und die übrigen Regelungsteile an den Verordnungsgeber zu delegieren. Eine derartige Zersplitterung der Regelung würde eine praktikable Handhabung der Schulverfassung insbesondere für 235

So Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 38 ff. Vgl. Hess. StGH, NJW 1980, 2405; DJT-SchulGE, 1981, 334 f. mit Fn. 532. 237 Art. 17 Abs. 4 b.-w. LV; Art. 56 Abs. 6 hess. LV; Art. 10 Abs. 2 n.-w. LV. 238 Art. 21 Abs. 1 b.-w. LV. 239 Vgl. Oppermann, Gutachten C zum 51. D J T 1976, C 39. 240 DJT-SchulGE, 1981, 336. 241 Zweifelnd auch DJT-SchulGE 1981, 321; die Kommission Schulrecht selbst schlägt allerdings keine weniger detaillierte Regelung vor. 236

6. Parlamentsvorbehalt und Schulträgerschaft/Schulfinanzierung

379

die nicht juristisch vorgebildeten Beteiligten (Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitung) erheblich erschweren. Ob solche pragmatischen Aspekte aber den Parlamentsvorbehalt für alle Detailregelungen der Schulverfassung zu begründen vermögen, muß bezweifelt werden. I m Ergebnis läßt sich festhalten, daß zwar die Grundzüge der Schulverfassung (wie Einrichtung der Gremien, Zusammensetzung, Zuständigkeiten und Verfahren) dem Parlamentsvorbehalt unterstehen, 242 daß aber die Detailliertheit der vorhandenen gesetzlichen Regelungen der Schulverfassung vom Parlamentsvorbehalt nicht zwingend geboten ist.

6. Parlamentsvorbehalt und Schulträgerschaft/Schulfinanzierung 6.1 Schulträgerschaft Die Organisation der Schulträgerschaft, verstanden als Zuordnung von auf die Schule bezogenen Verwaltungsfunktionen, 243 ist als Abgrenzungsproblem zwischen staatlicher Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) und kommunalem Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG) im Spannungsverhältnis zweier Verfassungsnormen angesiedelt. Das Grundgesetz garantiert einerseits den Gemeinden einen Kernbestand an Selbstverwaltungsaufgaben, eröffnet aber den Ländern zugleich Einwirkungsmöglichkeiten über die Schulaufsicht, die nach herrschender Meinung in einem umfassenden Sinn als Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens zu verstehen ist. 2 4 4 Vielfach wird die Schulträgerschaft als Kernstück der kommunalen Selbstverwaltung angesehen.245 M i t der Zuordnung der Schulträgerschaft zum Land, zu den Kreisen, zu den Gemeinden oder zu Schulverbänden werden die Bestimmungen der Art. 7 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 G G konkretisiert. Es wird festgelegt, was zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und zum Aufgabenbereich der Gemeindeverbände gehört. Die Regelung, welche Aufgaben und Rechte die Schulträgerschaft umfaßt und wer Träger welcher Schulen (Schularten) ist, setzt somit eine wesentliche Vorbedingung für die Ausübung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch Gemeinden und Kreise, weil sie darüber entscheidet, ob überhaupt und wenn ja in welchem Umfang die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften Schulträgeraufgaben übernehmen dürfen. Wegen ihres engen Bezugs zum grundgesetzlich gewährleisteten Selbstverwaltungsrecht der Kommunen ist diese Entscheidung parlamentsrelevant, auch wenn man Art. 28 Abs. 2 G G nicht die Qualität eines Grundrechts der 242

So auch Lerche (Fn. 12), 1981, 106; ähnlich Maurer (Fn. 99), 1983, 87. Zum Begriff der Schulträgerschaft vgl. Staupe, Strukturen der Schulträgerschaft und Schulfinanzierung, 1980, 867 ff. m.w.N. 244 Grundlegend BVerwGE 6, 104; vgl. dazu DJT-SchulGE, 1981, 359 m.w.N. 245 Vgl. Dittmann, Schulträgerschaft zwischen Kreisen und Gemeinden, 1978, 39 m.w.N.; Blümel, Das verfassungsrechtliche Verhältnis von Gemeinden und Landkreisen, 1979, 7. 243

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I X . Die Reichweite des Parlaments Vorbehalts im Schulrecht

Kommunen zuerkennt. 246 Jedenfalls aber konkretisiert eine solche Regelung das insoweit offene Verfassungsrecht und unterliegt daher dem Parlamentsvorbehalt. Soweit es sich um Alternativentscheidungen handelt (Zuordnung der Schulträgerschaft entweder zum Land, den Kreisen oder Gemeinden), sind diese der Sache nach notwendigerweise Detailentscheidungen, so daß sich hinsichtlich der gebotenen Regelungsdichte keine besonderen Probleme stellen. 247 Soweit den Schulträgern Rahmenbedingungen für die jeweiligen Einzelentscheidungen gesetzt werden (zum Beispiel hinsichtlich Errichtung, Erweiterung, Teilung oder Schließung von Schulen), spricht zwar einerseits für den Parlamentsvorbehalt, daß das kommunale Selbstverwaltungsrecht unmittelbar betroffen ist. Der Kern des Selbstverwaltungsrechts wird aber durch solche Rahmenregelungen nicht berührt, sofern den Gemeinden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ein Beurteilungsspielraum verbleibt. 2 4 8 Der Parlamentsvorbehalt erfordert insoweit lediglich eine gesetzliche Rahmenregelung, in der die Voraussetzungen der einzelnen Organisationsentscheidungen nach allgemeinen Kriterien festgelegt sind. Ob dafür allerdings allein die Verweisung auf ein „öffentliches Bedürfnis" (zum Beispiel für die Errichtung oder Fortführung einer Schule) 249 den Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt, erscheint zweifelhaft. Soweit auch auf bestimmte Mindestschülerzahlen abgestellt wird, bedarf eine solche Regelung einer Anpassung an die jeweilige Entwicklung der Schülerzahlen, so daß insoweit aus Gründen der Flexibilität die Delegierbarkeit einer solchen Bestimmung zu bejahen ist.

6.2 Schulfinanzierung Aus Art. 7 Abs. 1 G G und der darin begriindetèn umfassenden Schulaufsicht folgt, daß die Schulfinanzierung Aufgabe der öffentlichen Körperschaften ist. Die Schulfinanzierung lastet daher so gut wie ausschließlich auf den öffentlichen Haushalten, sieht man einmal von den Besonderheiten einer Eigenbeteiligung von Eltern und Schülern sowie der Privatschulfinanzierung ab. Die Regelungen der Schulfinanzierung sind von erheblicher finanzieller Tragweite. 250 Dies gilt nicht nur für die finanzielle Belastung der staatlichen Haushalte, sondern auch für die Schulträger, denen neben der Organisation und Verwaltung der Schulen grundsätzlich auch die Aufgabe obliegt, die

246 So die herrschende Meinung; vgl. Roters, Rdn. 33 zu Art. 28, in: von Münch, GG-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl., 1983 m.w.N. 247 Vgl. beispielhaft den Regelungsvorschlag des DJT-SchulGE, 1981, §§ 95-97. 248 Hess. StGH, D Ö V 1983,546; Hess. V G H , N V w Z 1984,114(115); vgl. auch BVerwG, D Ö V 1984, 164 - Rastede, sowie dazu Schmidt-Jortzig, D Ö V 1984, 821 ff. 249 Vgl. § 10 Abs. 2 n.-w. SchulVerwG; dazu O V G N W , N V w Z 1984, 806 - Verfahren bei Auflösung einer Schule; O V G N W , N V w Z 1984,804 (805) - Umwandlung eines Gymnasiums in eine Gesamtschule; VerfGH N W , D Ö V 1984, 379 (381) - verfassungsrechtliche Garantie der Hauptschule. 250 Vgl. dazu die Angaben oben bei Fn. 7.

6. Parlamentsvorbehalt und Schulträgerschaft/Schulfinanzierung

381

daraus entstehenden Aufwendungen zu tragen. Da diese Kosten aus Gründen der Finanzstruktur der Gemeinden von ihnen durch eigene Einnahmen nicht aufgebracht werden können, sind sie auf Finanzzuweisungen durch die Länder angewiesen. Wie die Finanzzuweisung der Schulträger auf der Einnahmeseite gestaltet wird und wie die Ausgabenverteilung erfolgt (zum Beispiel hinsichtlich Sach- und Personalkosten, Schulbau, Schülerbeförderung, Lernmittelfreiheit), entscheidet ganz wesentlich mit über die Ausübung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. 251 Was für die Schulträgerschaft gilt, muß auf die Bestimmungen über die Schulfinanzierung in gleicher Weise Anwendung finden. Dem Parlamentsvorbehalt unterstehen daher die grundlegenden Regelungen über die Finanzausstattung der Schulträger (Einnahmeseite) sowie der Kostentragung (Ausgabeseite).

6.3 Lernmittelfreiheit, Schülerbefördening Zu letzterem gehören auch die Grundsatzentscheidungen über die Lernmittelfreiheit 252 und die Schülerbeförderung. Das Bestimmtheitsgebot des Parlamentsvorbehalts fordert ähnlich wie für die Regelung der Schulträgerschaft, die notwendigen Alternativentscheidungen zu treffen. Dazu gehört die Entscheidung, wer die Sach- und wer die Personalkosten trägt, was zu diesen Kostenarten zählt, ob die Finanzausstattung über Zweckzuweisungen oder über den kommunalen Finanzausgleich erfolgt, ob grundsätzlich Lernmittelfreiheit besteht, wie die Schülerbeförderung zu organisieren ist und wer die Kosten der Schülerbeförderung trägt. Bei diesen Grundsatzentscheidungen handelt es sich um schulpolitisch wichtige Entscheidungen, da sie das kommunale Selbstverwaltungsrecht in hohem Maße tangieren, die soziale Komponente des Schulsystems gewichten und die Wahlrechte der Schüler und Eltern zwischen verschiedenen Schulen und Bildungsgängen stärken oder schwächen können. Die näheren Einzelheiten wie zum Beispiel Berechnungsweise, Organisation der Lernmittelfreiheit und Schülerbeförderung im einzelnen sind dagegen für die Ausübung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts von nachrangiger Bedeutung und unterliegen daher nicht dem Parlamentsvorbehalt. Nur soweit derartige Einzelheiten für die Kostenhöhe oder das Ausmaß der Kostenerstattung von unmittelbarer Bedeutung sind, wird man die Geltung des Rechtssatzvorbehalts annehmen müssen, während die erforderlichen Ausführungsbestimmungen im übrigen durch Verwaltungsvorschriften getroffen werden können. 2 5 3

251

Vgl. Staupe (Fn. 243), 1980, 867 ff. (871). Die Lernmittelfreiheit wird in einigen Landesverfassungen ausdrücklich garantiert; BadenWürttemberg: Art. 14 Abs. 2; Bremen: Art. 31 Satz 3; Hessen: Art. 59 Abs. 1 Satz 2; NordrheinWestfalen: Art. 9 Abs. 2. 253 Vgl. DJT-SchulGE, §§ 99 ff. sowie Begründung, 372 ff. Im Ergebnis ähnlich, aber pauschaler Lerche (Fn. 12), 1981,55. 252

382

I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

7. Parlamentsvorbehalt und Privatschulen (Schulen in freier Trägerschaft) Die Geltung des Parlamentsvorbehalts im Privatschulrecht könnte zu verneinen sein, wenn bereits das Verfassungsrecht die erforderlichen Leitentscheidungen getroffen hätte. Eine gesetzliche Regelung, die vom Parlamentsvorbehalt geboten ist, ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn die notwendigen Bestimmungen bereits auf der Ebene des Verfassungsrechts getroffen sind. Das Grundgesetz hat zu keinem anderen Teilbereich des Schulrechts eine so ausführliche Regelung getroffen wie in Art. 7 Abs. 4 und 5 zum Privatschulrecht. Gleichwohl bedürfen diese Verfassungsnormen zumindest teilweise der Ausfüllung und Konkretisierung. 254 Entsprechendes gilt für die landes verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Soweit diese überhaupt Regelungen zum Privatschulrecht getroffen haben, 255 geht ihre Bestimmtheit und Detaillierung kaum über die vom Grundgesetz getroffenen Vorschriften hinaus. Daß auch die Mehrzahl der Landesverfassungen mit privatschulrechtlichen Bestimmungen von der Konkretisierungs- und Ausfüllungsbedürftigkeit dieser Regelungen ausgehen, ergibt sich aus der Tatsache, daß sie überwiegend einen Konkretisierungsvorbehalt enthalten 256 und dadurch das Privatschulrecht insgesamt, zumindest aber Teile desselben unter einen verfassungsunmittelbaren Parlamentsvorbehalt stellen. Es ist somit davon auszugehen, daß die verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht als hinreichende Leitentscheidung für das Privatschulrecht angesehen werden können. 2 5 7 Diese Feststellung begründet bereits das erste Indiz für die Geltung des Parlamentsvorbehalts: Die relative Offenheit des Grundrechts der Privatschulfreiheit und ihrer institutionellen Garantie erfordern eine parlamentsgesetzliche Konkretisierung.

7.1 Genehmigung Diese verlangt zunächst eine die Bestimmungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 G G präzisierende Regelung der Genehmigungsbedingungen. 258 Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Festlegung der Gleichwertigkeitsvoraussetzungen zu. Die Geltung des Parlaments Vorbehalts für die Schulinhalte an 254 DJT-SchulGE, 1981, 390; Avenarius, Gesetzesvorbehalt und Privatschulrecht, 1980, 153 ff. (159 f., 190). Geiger, Vorschlag zu einer Neufassung des Art. 7 G G , 1970, 107, hat die Offenheit des Grundgesetzes für das Schulwesen dahingehend formuliert, Art. 7 G G enthalte neben offenbar Antiquiertem zwar immer noch Wesentliches, aber nicht mehr das Wesentliche. 255 Baden-Württemberg: Art. 14 Abs. 2, Art. 15 Abs. 2; Bayern: Art. 134; Bremen: Art. 29; Hessen: Art. 61; Nordrhein-Westfalen: Art. 8 Abs. 4; Rheinland-Pfalz: Art. 28, 30; Saarland: Art. 28. 256 So die Regelungen in Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. 257 So auch DJT-SchulGE, 1981, 390. 258 Anderer Ansicht wohl Richter, Art. 7 Rdn. 84, in: A K - G G , 1984, der die Genehmigungsbedingungen in Art. 7 Abs. 4 und 5 G G für abschließend erachtet; ebenso BVerwGE 17, 236.

7. Parlaments vor behalt und Privatschulen

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öffentlichen Schulen 259 ist für das notwendige Maß an Bestimmtheit der Gleichwertigkeitsvoraussetzungen nicht ohne Folgen. Die Akzessorietät der Ersatzschulen in bezug auf die öffentlichen Schulen ermöglicht eine Bezugnahme auf die für diese geltenden gesetzlichen Bestimmungen, so daß die Gleichwertigkeit im Privatschulrecht selbst nicht näher konkretisiert werden muß. 2 6 0 Die Vergesetzlichung der Schulinhalte führt somit zu einer Zurücknahme der Bestimmtheitsanforderungen für die Voraussetzungen der Gleichwertigkeit. Die gleichwohl erforderliche Grenzziehung und Abwägung zwischen dem Grundrecht der Privatschulfreiheit und der Bindung an das staatliche Schulsystem 261 erfordert indes eine Grundsatzentscheidung über die Genehmigungsvoraussetzungen, läßt eine solche aber auch ausreichen.

7.2 Anerkennung Entsprechendes gilt für die Regelung der Anerkennung von Ersatzschulen. Auch hier bedarf es lediglich einer Grundsatzentscheidung, die auf die dauernde Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen Bezug nehmen kann. 2 6 2

7.3 Privatschulflnanzierung Ein besonders wichtiger Regelungspunkt des Privatschulrechts ist die Privatschulfinanzierung. Da die meisten Privatschulen nicht in der Lage sind, sich selbst über die von Schülern beziehungsweise Eltern erhobenen Schulgelder zu finanzieren, sind sie auf staatliche Subventionen angewiesen. Das BVerwG ist sogar so weit gegangen, aus dieser faktischen Notwendigkeit einen grundrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Privatschulfinanzierung herzuleiten. 263 Selbst wenn man die Auffassung des BVerwG nicht teilt, dürfte unbestreitbar sein, daß die Voraussetzungen und die Höhe der staatlichen Finanzhilfe für die Privatschulen von existentieller Bedeutung sind. Art und Umfang der Privatschulfinanzierung betreffen im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG „intensiv" das Grundrecht der Privatschulfreiheit. Über diesen individualrechtlichen Aspekt hinaus sind das Ob und das Wie der Privatschulfinanzierung von konstitutiver Bedeutung für die Existenzmöglichkeit alternativer Schulangebote. Der Aspekt des Minderheitenschutzes kommt hier ebenso zum Zuge wie der Gesichtspunkt der finanziellen und (bildungs-)politischen Auswirkungen der Finanzhilferegelungen. Auch der politische Parla259

Vgl. dazu oben Abschnitt 3. Zum Akzessorietätsprinzip vgl. Avenarius (Fn. 254), 1980, 159. 261 Avenarius (Fn. 254), 1980, 190; Nevermann, Gesetzesvorbehalt und Privatschulfreiheit, 1979, 99 ff. (119). 262 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 107. 263 BVerwGE 23,347; 27,360; Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 77 ff.; Petermann, N V w Z 1982, 543 ff.; Kloepfer/Meßerschmidt, DVBl. 1983,193 ff. (197 ff.); ablehnend Martens, V V D S t R L 30 (1972), 27 m.w.N., sowie Richter, Art. 7 Rdn. 26, in: A K - G G , 1984; offengelassen in BayVerfGH, N V w Z 1984, 79 ff. (98); vgl. dazu auch Link, JZ 1973,1 ff. 260

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I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

mentsvorbehalt gelangt hier zur Anwendung. Die Finanzierung der Privatschulen bedarf daher zumindest in den Grundzügen einer parlamentsgesetzlichen Regelung. I n dieser ist zu entscheiden, ob dem Schulträger ein Rechtsanspruch auf Finanzierung eingeräumt werden soll oder nicht, in welcher Höhe und nach welchen Kriterien die staatliche Finanzhilfe erfolgt. Dagegen können nachrangige Fragen wie zum Beispiel die Berechnungsweise der Zuschüsse oder ähnliche Ausführungsbestimmungen an den Verordnungsgeber delegiert werden, 264 soweit diese für das Grundrecht der Privatschulfreiheit und die institutionelle Garantie der Privatschulen nicht konstitutiv sind. Darüber hinaus erforderliche Ausfuhrungsbestimmungen können als Verwaltungsvorschriften erlassen werden.

7.4 Zulassung privater Volksschulen Für die Zulassung von privaten Volksschulen hat das Grundgesetz dagegen in Art. 7 Abs. 5 G G eine hinreichende Leitentscheidung getroffen, die keiner weiteren Konkretisierung bedarf. 265 Eine parlamentsgesetzliche Regelung ist insoweit nicht verfassungsrechtlich geboten.

8. Der Schulgesetzentwurf der Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages M i t dem Entwurf der Kommission Schulrecht des D J T für ein Landesschulgesetz 266 wurde ein konkreter Regelungsvorschlag zur pragmatischen Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Schulwesen unterbreitet. Der Gesetzesvorschlag, als Musterentwurf für die Landesparlamente und die Kultusministerien gedacht, hat ein vielfaltiges Echo gefunden. Während sich Regierungsvertreter der von C D U und CSU beziehungsweise C D U / F D P regierten Länder sowie die K M K in ihrer offiziellen Stellungnahme ablehnend äußerten, 267 fand der Entwurf in Rechtsprechung und Literatur überwiegend ein positives Echo. 2 6 8 Soweit vorstehend nicht alle 264 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, § 108; VerfGH N W , DVBl. 1983, 223; kritisch zu dieser Entscheidung: Kloepfer/Meßerschmidt, DVBl. 1983, 193 ff. (202 f.). 265 Vgl. Hess. V G H , N V w Z 1984, 118. 266 Schule im Rechtsstaat, Bd. 1, 1981 (zitiert: DJT-SchulGE). 267 K M K , B. vom 11 ./12.3.1982. Zum Entwurf eines Landesschulgesetzes durch die Kommission Schulrecht des DJT; mit Sondervotum des Landes Hamburg (abgedruckt in: RdJB 1982, 252 ff.); Stellungnahme des b.-w. Kultusministers Mayer-Vorfelder, Pressemitteilung Nr. 32/ 10.3.1981 des b.-w. Ministeriums für Kultur und Sport Baden-Württemberg; Stellungnahme des nds. Kultusministers Remmers, Pressemitteilung 31/81 vom 20.3.1981 ; Stellungnahme der damaligen rh.-pf. Kultusministerin Laurien, Der Tagesspiegel vom 13.3.1981. 268 Vgl. BVerfGE 58, 257 (270, 275) - Versetzung/Schulentlassung, wo das BVerfG den Kommissionsbericht „als vorläufigen Endpunkt der Bemühungen um die Durchsetzung des Vorbehalts des Gesetzes und gleichzeitig als Orientierungsrahmen für weitere zukünftige Lösungsansätze" bezeichnet; BVerfG, B. vom 6.2.1984, N V w Z 1984, 781 - Schulsprengel; BVerwGE, 64,308 (312) - Latein; BVerwG, B. vom 29.5.1981, N J W 1982,250 - Sozial verhalten;

8. Schulgesetzentwurf des Deutschen Juristentages

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Detailfragen des Schulrechts behandelt wurden, kann hinsichtlich der Reichweite des Parlamentsvorbehalts und der verfassungsadäquaten Regelungsdichte auf den beispielhaften Entwurf für ein Landesschulgesetz verwiesen werden. Den von der Kommission Schulrecht erarbeiteten Vorschlägen stimme ich insbesondere hinsichtlich der Regelungsdichte im wesentlichen zu. Hinzuweisen ist daher lediglich auf diejenigen Passagen des Entwurfs, bei denen die vorgeschlagene Regelungsebene oder Regelungsdichte nicht verfassungsrechtlich geboten erscheint. Der Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung für den Erlaß von Lehrplänen (Rahmenrichtlinien) ist zwar zuzustimmen, ebenso wie dem grundsätzlichen Vorschlag, das Lehrplanverfahren gesetzlich zu regeln. 269 Die Regelungsdichte der Bestimmungen zum Lehrplanverfahren erscheinen jedoch in dieser Ausführlichkeit nicht verfassungsrechtlich geboten. Eine grundlegende Verfahrensregelung verbunden mit einer Ermächtigung an den Verordnungsgeber, das Lehrplanverfahren im übrigen durch Rechtsverordnung zu regeln, hätte den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt. Bei der Regelung der Schulen für Behinderte halte ich die Variante einer parlamentsgesetzlichen Regelung sämtlicher Arten von Sonderschulen 270 für zu weitgehend, da dem Aspekt der notwendigen Flexibilität nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Die Alternative I des ausformulierten Vorschlags 271 erscheint mir dagegen zu knapp, weil für die Festlegung der einzelnen Arten von Schulen für Behinderte sowohl im Hinblick auf den grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt als auch wegen der allgemeinen bildungspolitischen Bedeutung dieser Regelung an sich der Parlamentsvorbehalt indiziert ist. Hierbei ist allerdings einzuräumen, daß gerade in diesem Bereich der Gedanke einer nicht zu starren Festlegung pädagogischer Entwicklungen für eine partielle Delegationsbefugnis angeführt werden kann. Teile der Regelungsvorschläge zur Schulpflicht und zum Schulverhältnis halte ich nicht für parlamentsrelevant. 272 Die Regelung der Schulverfassung 273 entspricht zwar in ihrer Ausführlichkeit weitgehend dem geltenden Schulrecht der Länder, ist aber vom Parlamentsvorbehalt in dieser Ausführlichkeit verfassungsrechtlich nicht geboten. Gleichwohl kann eine derart ausführliche Regelung zweckmäßig sein, weil eine den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G und den landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen genügend präzise VerordnungsermächtiBVerwG, B. vom 16.7.1982, N V w Z 1984,102 (104) - Schulbuchzulassung; Hess. StGH, N V w Z 1984, 788 (789) - Schülerbeförderung; aus der Literatur vgl. die Beiträge in RdJB Sonderheft 3/1981 zum DJT-SchulGE sowie Sendler, DVBl. 1982, 381 ff. 269 Vgl. DJT-SchulGE, 1981, §§ 7 ff. 270 DJT-SchulGE, 1981, 79, Fn. 14. 271 DJT-SchulGE, 1981, 79 oben links. 272 So zum Beispiel § 45 Abs. 2 und 3 (Höchstdauer des Schulbesuchs) und § 54 Abs. 4 und 5 DJT-SchulGE (Notendefinition und Punkte), zumal § 62 Nr. 5 DJT-SchulGE hinsichtlich Prüfungen nur eine Verordnungsermächtigung vorsieht. 273 DJT-SchulGE, 1981, §§ 74-94.

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I X . Die Reichweite des Parlamentsorbehalts im Schulrecht

gung angesichts des sehr umfassenden Regelungskomplexes kaum zu formulieren wäre und dem Aspekt einer Einheitlichkeit des Regelungsortes der Vorzug gegeben werden kann. Die nach der Verordnungsermächtigung des § 97 Nr. 1, 2 und 4 des Entwurfs zu regelnden Mindestanforderungen bedürfen meines Erachtens einer Rechts Verordnung nicht, weil sie als schlichter Organisationsakt weder dem Parlaments vorbehält noch dem Rechtssatzvorbehalt unterliegen. 274 Hierbei handelt es sich um typische in der gesetzesungebundenen Verantwortung der Gemeinden liegende Maßnahmen. Die Frage allerdings, ob überhaupt Gesamtschulen errichtet werden können und ob sie als Regel- oder Versuchsschulen oder Schulische Angebote bestehen sollen, unterliegt dem Parlamentsvorbehalt. 275

274 275

Ähnlich auch Clemens, N V w Z 1984, 65 ff. (68). Vgl. oben 1.3.

X. Thesenartige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse 1. Die verfassungsrechtliche Begründung sowie die Reichweite des Parlamentsvorbehalts sind trotz umfangreicher Rechtsprechung und Literatur nach wie vor weitgehend ungeklärt. 2. Für den Bereich der Rechtsetzung sind drei Kompetenzebenen zu unterscheiden: - originäre, nicht delegierbare Parlamentskompetenzen (Parlamentsvorbehält), - delegierbare Parlamentskompetenzen = derivative Exekutivkompetenzen (Rechtssatzvorbehalt), - originäre, nicht delegationsbedürftige Exekutivkompetenzen (kein Vorbehalt des Gesetzes). Der Parlamentsvorbehalt stellt somit Anforderungen an die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsefte/ze. 3. Der Parlamentsvorbehalt begründet in seinem Geltungsbereich ein partielles Delegationsverbot (= Gebot einer Regelung „durch Gesetz"). Der Parlamentsvorbehalt ist tendenziell delegationsfeindlich. 4. Vom Parlamentsvorbehalt zu unterscheiden ist der Rechtssatzvorbehalt, der - ganz im Sinne des herkömmlichen Vorbehalts des Gesetzes - lediglich eine normative (rechtssatzmäßige) Regelung erfordert. Eine solche kann unmittelbar „durch Gesetz", aber auch „aufgrund eines Gesetzes" durch Rechtsverordnung oder autonome Satzung getroffen werden. Der Rechtssatzvorbehalt ist tendenziell delegations/rewwrfftcA. 5. Parlaments vorbehält und Rechtssatzvorbehalt stehen zueinander in einem Stufenverhältnis. Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Fällen der Parlamentsvorbehalt oder der Rechtssatzvorbehalt zur Anwendung gelangt, besteht in Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit. 6. Das Vorbehaltsprinzip hat mit der Entwicklung des Parlamentsvorbehalts einen grundlegenden Wandel erfahren. Die seit den Vormärzverfassungen anerkannte und über Kaiserreich, Weimarer Zeit und Nationalsozialismus nur von Mindermeinungen in Frage gestellte prinzipiell unbeschränkte Delegationsbefugnis des Gesetzgebers wird erstmals verfassungsrechtlich begrenzt. Hierzu spiegelt sich mit erheblicher zeitlicher Verzögerung der Wandel zur gewaltenmonistischen demokratisch-rechtsstaatlichen Staatsverfassung wider. Der Parlamentsvorbehalt wirkt einer möglichen Selbstentmachtung des Parlaments durch freiwilligen Regelungsverzicht entgegen.

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X. Thesenartige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

7. Das durch den Parlaments vorbehält begründete partielle Delegations verbot gewährleistet für sich allein noch keine substantielle Eigenregelung des parlamentarischen Gesetzgebers. Der Parlamentsvorbehalt umfaßt daher zugleich ein verstärktes Bestimmtheitsgebot im Sinne einer substantiellen Selbstregelungspflicht. Der Parlamentsvorbehalt stellt damit zugleich Anforderungen an die jeweilige RegelungsÄcAte. 8. Neben das rechtsstaatliche (Art. 20 Abs. 3 GG) und das delegationsrechtliche (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G ) tritt ein vorbehaltsrechtliches Bestimmtheitsgebot. Dieses ist als integraler Bestandteil des Parlamentsvorbehalts zu verstehen. 9. Das vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot ist nicht mit den beiden anderen Bestimmtheitsgeboten identisch. Insbesondere sind die Anwendungsbereiche des Parlamentsvorbehalts und des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G weitgehend unterschiedlich. Die Anforderungen des Parlamentsvorbehalts sind zum Teil strenger, zum Teil anders als die des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. 10. Die verstärkten Bestimmtheitsanforderungen des Parlamentsvorbehalts gelten nicht nur für sogenannte offene Delegationen (zum Beispiel Verordnungsermächtigungen), sondern auch für die sogenannten verdeckten Delegationen (zum Beispiel unbestimmte Gesetzesbegriffe, Ermessenstatbestände, Generalklauseln). 11. Nicht ganze Regelungsgebiete (zum Beispiel das Schulrecht) oder einzelne Teilgebiete desselben (zum Beispiel die Schulpflicht) unterliegen dem Parlamentsvorbehalt. Vielmehr ist für jede einzelne Regelungsmaterie zwischen delegierbaren und nicht delegierbaren Regelungspunkten abzuschichten und hinsichtlich der gebotenen Regelungsdichte zu differenzieren. Dies führt in aller Regel dazu, daß ein Regelungsgegenstand keiner abschließenden Regelung im Parlamentsgesetz zugeführt werden muß. Die Anforderungen an Regelungsebene und Regelungsdichte sind bereichsspezifisch variabel. 12. Eine eindeutige Grenze für die Reichweite des Parlamentsvorbehalts läßt sich nicht allgemein festlegen. Grenzen und Übergänge sind notwendig fließend. Die Reichweite des Parlamentsvorbehalts wird letztlich durch das Maß der Regelungsdichte im Sinne einer legislativen Feineinstellung gesteuert. 13. Ein entscheidender Wandel des Vorbehaltsprinzips liegt in der Abkehr von der herkömmlichen Freiheit- und Eigentum-Formel. Von besonderer Bedeutung ist dies für diejenigen Rechtsverhältnisse, in denen Eingriffe und Leistungen untrennbar ineinander übergehen. 14. Die von der herrschenden Meinung zur verfassungsrechtlichen Begründung und zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts herangezogene sogenannte „Wesentlichkeitstheorie" bietet keinen in sich geschlossenen, widerspruchsfreien und zu konsistenten Ergebnissen gelangenden dogmatischen Begründungszusammenhang.

X. Thesenartige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

15. Das Merkmal der Wesentlichkeit als kompetentielles Zuweisungskriterium ist so alt wie der Vorbehalt des Gesetzes selbst; es läßt sich durch alle Verfassungsepochen bis in die ersten Vormärzverfassungen zurückverfolgen. Als Kriterium zur Beschränkung der parlamentarischen Delegationsbefugnis vermochte es sich erst aufgrund der Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG ab 1972 durchzusetzen. 16. BVerfG und BVerwG, die allgemein als Urheber der sogenannten Wesentlichkeitstheorie" apostrophiert werden, sowie die Literatur geben auf die zentralen Fragen hinsichtlich Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Parlamentsvorbehalts unterschiedliche Antworten. Während das BVerfG unter der Voraussetzung intensiver Grundrechtsbetroffenheit zur Annahme des Parlamentsvorbehalts gelangt, nimmt das BVerwG unter gleichen Voraussetzungen lediglich den Rechtssatzvorbehalt an. 17. Die im Rahmen der sogenannten Wesentlichkeitstheorie ganz herrschende Begründung des Parlamentsvorbehalts aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes vermag nicht zu überzeugen. Gleiches gilt für weitere (sekundäre) Begründungsansätze aus dem Sozialstaatsprinzip, dem Grundsatz der Gewaltenteilung, den Kompetenznormen der Art. 73 ff. G G sowie den Grundrechtsvorbehalten. Der Parlamentsvorbehalt läßt sich auch nicht aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G begründen, da dieser allein das „Wie" legislativer Delegation regelt und die Entscheidung über das „Ob" der Delegationsbefugnis logisch voraussetzt. 18. Der Parlamentsvorbehalt läßt sich aber auf der Grundlage eines funktionell-rechtlichen Ansatzes begründen. Aus den verfassungsrechtlich angelegten Unterschieden zwischen Gesetz und Rechtsverordnung hinsichtlich Organ-, Verfahrens- und Regelungsstruktur folgt das Gebot der Proportionalität von Form und Inhalt. Dieses Gebot steht vor allem im Dienste eines effektiven Grundrechtsschutzes. Der Gedanke eines Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren kann nicht auf das behördliche und gerichtliche Verfahren beschränkt bleiben, sondern muß auch für das Verfahren der Gesetzgebung gelten. Das Proportionalitätsgebot begründet neben dem grundrechtlichen auch den politischen Parlamentsvorbehalt. 19. Die in diesem Sinne verfassungsadäquate Regelungsform kann (zum Beispiel im Hinblick auf die Öffentlichkeitsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens, seine Beteiligungsintensität oder die Rangpriorität) das Parlamentsgesetz, im Hinblick auf ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit die Rechtsverordnung sein. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß sich unter bestimmten Voraussetzungen - gleichsam als Spiegelbild des Delegations Verbots - ein Delegationsgebot für den Gesetzgeber ergeben kann. Die Forderung, der Gesetzgeber möge sich auf die Regelung des „Wesentlichen" beschränken, wird in diesem Fall von einer verfassungspolitischen zu einer verfassungsrechtlichen Forderung.

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20. Eines der Hauptdefizite der „Wesentlichkeitstheorie" besteht in ihrer Fixierung auf ein einziges, nur durch wenige Zusatzaspekte (Intensität der Grundrechtsrelevanz) konkretisiertes Zuweisungskriterium (Wesentlichkeit). Dabei besteht kein Konsens über die begrifflichen wie kompetenzrechtlichen Konnotationen dieses als Passepartout verwendeten Wesentlichkeitsbegriffs. Die „Wesentlichkeitstheorie" vermag aufgrund mangelnder Differenziertheit die komplexen Bedingungen gesetzgeberischer Regelungs- und Delegationsbefugnis nicht hinreichend zu erfassen. 21. Unter welchen Voraussetzungen der Parlaments vorbehält oder der Rechtssatzvorbehalt zur Anwendung gelangt, ist vielmehr anhand eines differenzierten, an die verfassungsrechtlichen Begründungselemente des Parlamentsvorbehalts angelehnten Kriterienkatalogs zu bestimmen. Dabei ist im jeweiligen Regelungsfall eine Abwägung zwischen allen in Betracht kommenden Kriterien geboten. 22. Soweit danach der Parlamentsvorbehalt indiziert ist, ist zumindest eine substantielle parlamentsgesetzliche Regelung in den Grundzügen im Sinne einer parlamentsgesetzlichen Leitentscheidung geboten (Regelung „durch Gesetz"). 23. Jeder Versuch einer materiell-rechtlichen Bestimmung der Reichweite des Par laments Vorbehalts stößt notwendigerweise an methodische Grenzen. Das Spannungsverhältnis zwischen gebotener Eindeutigkeit und Flexibilität materieller Zuweisungskriterien läßt sich nicht vollständig auflösen. Die verbreiteten Erwartungen an eine endgültige und eindeutige Klärung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts übersehen diese grundlegende Problematik. 24. Es besteht daher Anlaß, sich nicht auf die Entwicklung materiell-rechtlicher Kriterien zu beschränken, sondern alternative und/oder flankierende Lösungswege in Erwägung zu ziehen. Diese erweisen sich im Ergebnis jedoch überwiegend als nicht überzeugend oder wenig praktikabel. 25. Insbesondere eine nachträgliche Parlamentsbeteiligung beim Erlaß von Rechtsverordnungen vermag Bestimmtheitsdefizite der gesetzlichen Regelung oder Ermächtigung nicht zu kompensieren. 26. Als einzig praktikable flankierende Maßnahme kommt die Einführung eines parlamentarischen Minderheitenrechts in Betracht, durch welches einer qualifizierten Minderheit (Opposition) das Recht eingeräumt wird, einen Regelungsgegenstand unter den Parlamentsvorbehalt zu ziehen. 27. M i t der Durchsetzung des Parlamentsvorbehalts im Schulverhältnis ist im Gefolge der Strafgefangenenentscheidung des BVerfG - auch der letzte Eckpfeiler des besonderen Gewaltverhältnisses zerbrochen. M i t der Anerkennung des Schulverhältnisses als uneingeschränktes Rechtsverhältnis ist die noch bis zum Beginn der siebziger Jahre bestehende par-

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tielle verfassungsrechtliche Exterritorialität endgültig aufgehoben. Die Rechtsfiguren der Sonderverordnung und die Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis sind damit als verfassungsrechtlich relevante Kategorien endgültig obsolet geworden. 28. Die nach mehr als zehnjähriger Wesentlichkeitsrechtsprechung von den Gerichten immer noch gewährten Übergangsfristen für die Schaffung eines den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügenden Regelungszustandes sind nicht mehr verfassungsgemäß. 29. I m Schulrecht fallen - zum Teil entgegen der Auffassung der herrschenden Meinung - unter anderem folgende Regelungen unter den Parlamentsvorbehalt: Recht auf Bildung, Sprachenfolge, Gegenstandsbereiche des Unterrichts, (Nicht-)Versetzung, Lehrplanverfahren, Schulbuchzulassung, Klassenfrequenz, Schulverfassung, Zugang zur gymnasialen Oberstufe. Dabei gelten im einzelnen differenzierte Bestimmtheitsanforderungen. Nicht dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, ebenfalls zum Teil entgegen der herrschenden Meinung: Fächerkatalog, fachspezifische Lernziele, Bildung von Schulbezirken, Beurteilung des Sozialverhaltens, Notenspiegel. 30. Einen in weiten Teilen vorbildlichen Regelungsvorschlag bietet der Gesetzentwurf für ein Landesschulgesetz der Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages.

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- des Parlamentsvorbehalts 136 ff., 139 f., 163 - des Rechtsstaatsprinzips 140 f. Bestimmtheitsgebot 30 f. - Realisierung 282 ff. - und verdeckte Delegation 288 ff. Beteiligungsrechte 275 Bildungs- und Erziehungsziele 72 ff., 90, 354 ff. Blockunterricht 352 Breitenförderung 342 Bundesstaatsprinzip siehe Föderalismus Delegation - allgemein 34 ff. - echte und unechte 35 - offene und verdeckte 37 f., 139,288 ff. - sverbot 30, 133 ff., 163 - sschranken 35 f., 48, 53 ff. Delegationsbefugnis, histor. Entwicklung - Absolutismus 42 ff. - Kaiserreich 53 ff. - Konstitutionalismus 44 ff. - nach 1945 66 ff. - Nationalsozialismus 63 ff. - Weimarer Republik 57 ff. Delegationspflicht/-gebot 278 ff. Delegations vorbehält 28, 31 Delegierbarkeit 261 ff. Demokratieprinzip 24, 46 ff., 57 f., 162 ff. Deutscher Juristentag, Schulgesetzentwurf 41, 384 ff. Dezentrale Lösungen 269 ff. Durchlässigkeit des Schulsystems 342 Dynamischer Grundrechtsschutz 148 ff. Eigengesetzlichkeit 150 f., 265 Eindimensionale Grundrechtsregelungen 239 f.

* Das Stichwortverzeichnis gibt - insbesondere zu fortlaufend verwendeten Begriffen - jeweils nur die Hauptfundstellen an; fehlt eine solche, wurde auf Erfassung verzichtet.

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trtverzeichnis

Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 46 f., 51 f., 77 f. Gewaltenteilung 42 f., 58 f., 64 f., 187 ff. Gewohnheitsrecht 42,230 ff., 259 Gleitende Abstufung der Grundrechtsintensität 123 Gnadenrecht 25 Grundgesetz 66 ff. Grundrechte - als Kompetenzgarantien 213 - als materiell-rechtlicher Maßstab 202 ff. - im besonderen Gewaltverhältnis 75 ff., 81,86, 93, 100 f. - und Wesentlichkeitstheorie 116 ff. - Rangverhältnis 245 Grundrechtsakzessorietät des Parlamentsvorbehalts 114 Grundrechtskollision 243 f. Grundrechtsregelungen - eindimensionale 239 f. Folgenorientiertheit des Intensitätsmerk- - mehrdimensionale 241 mals 124 f. - komplexe 241 ff. Freiheit- und Eigentum-Formel 44 ff., Grundrechtsrelevanz 113 ff., 238 ff. 58 f., 110, 114 ff., 124 - und Grundrechtsverletzung 244 f. Fünf-Tage-Woche 350 Grundrechtsschutz durch Verfahren Funktionell-rechtliche Verfassungsinter203 ff. Grundrechtsvorbehalt(e) 28, 51, 193 ff. pretation 201 ff., 280 ff. - delegationsfeindliche 196 ff. Funktionentrennung 42, 58 f., 187 ff. - delegationsfreundliche 198 Funktionswandel des Vorbehaltsprinzips - kompetentielle Offenheit 199 50, 171 ff. - Rangverhältnis 199 f. Ganztagsschulen 349 - Systematik 194 ff. Gegenstandsbereiche des Unterrichts 357 - Unterschiedlichkeit 193 f. Generalklauseln 37 f., 65, 100 Grund- und Betriebsverhältnis 101 Gesamtschule 341 f. Gymnasiale Oberstufe 341, 373 Gesetzesändernde Verordnungen 64, Historische Entwicklung von Parlaments160 f. vorbehalt und Delegationsbefugnis Gesetzesbegriff 42 ff. - doppelter 31, 50, 291 f. Hochschulrecht 25 - formeller 47 Indikatoren für Geltung des Parlaments- materieller 31, 291 f. vorbehalts 236 ff. - im Absolutismus 43 Intensität der Grundrechtsbetroffenheit - im Konstitutionalismus 44 ff. 120 ff. - im Nationalsozialismus 64 Gesetzesvertretende Verordnungen 62, Juristenausbildung 25 68 f. Justitiabilität siehe Rechtsschutz Gesetzesvorbehalt 28, 32 Eilfälle 276 Einheitlichkeit des Regelungsorts 260 Eingriffsvorbehalt 28, 33 f. Eingriff und Leistung 47, 117 ff. Entlastungsfunktion untergesetzlicher Regelungen 266 f. Entwicklungsoffene Sachverhalte 264 f. Ermessenstatbestände 37 Ermächtigungen siehe Delegation Ermächtigungsadressat 282 f. Ermächtigungsgesetz von 1914 57 Ermächtigungsgesetz von 1933 64, 70 Exekutive, Legitimation 167 ff. Fachspezifische Lernziele 72 ff., 358 Fächerkatalog 74, 358 Finanzielle Auswirkungen 252 Flexibilität 222, 262 f. Föderalismus 88, 267 ff. Förderstufe 341

Stichwortverzeichnis

Justitiell-kasuistische Variante 298, 309 ff.

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Lernmittelfreiheit 90 f., 381 Lernziele 72 ff., 358 Magna Charta Liberatem 42 Medien 227

Kassationsvorbehalt 305 f. Kirchen 72 ff. Klassenfrequenz 345 f. Kommunalrecht 25 Kompensation nicht hinreichend bestimmter Ermächtigungen 303 f., 317 ff. Kompensatorisch-kooperative Variante 303 f., 317 ff. Kompetenznormen der Art. 73 ff. GG 190 ff. Kompetenzordnung 23 Kompetenzvorbehalt 28 Komplexe Grundrechtsregelungen 241 ff. Konferenzen siehe Schulverfassung Konfessionelle Struktur der Schule 343 Konkretisierung offenen Verfassungsrechts 260 f. Konkretisierungsvorbehält 28, 34 Konsultationspflicht 304 Kontroll- und Steuerungsbedürfnis 258 f. Koordinierungsbedarf im Bundesstaat 267 ff. Kreuzberg-Entscheidung 51 Kriegsopferversorgung 25 Kriterien für Geltung des Parlamentsvorbehalts 236 ff.

Mehrdimensionale Grundrechtsregelungen 241 Meinungsfreiheit 375 f. Methodenfragen 24,182 ff., 202, 293 ff. Minderheitenschutz 246 f., 300 ff. Modellschulen 73 Monarchisches Prinzip 46 ff., 49 Nachrichtendienste 25 Nachrüstung 26 Nachsitzen 96, 369 f. Nationalsozialismus 87 ff. Neuerungen 254 ff. Normativbereich und Parlamentsvorbehalt 153 ff. Noten 91, 96, 373 ff. Notenspiegel 375 Notverordnungsrecht 49, 60, 62, 69 Öffentlichkeitsfunktion 224 ff. Opposition 217, 226 f., 300 ff. Ordnungsmaßnahmen 74, 368 ff. Organisatorisch-dizisionistische Variante 299 f., 314 ff. Organstruktur 214 ff. Orientierungsmöglichkeiten für den Wähler 227 f. Orientierungsstufe 358 ff.

Langfristige Festlegungen 252 Laufender Schulbetrieb 352 f. Legislativermessen 278 f., 296 f. Legitimation - der Exekutive 167 ff. - volksbeschlossener Gesetze 174 f. - von Eingriffen 51 Lehrpläne 72 ff., 360 f. Leistungsbeurteilung 74, 373 ff. Leistungsfähigkeit von Gesetz- und Verordnungsgeber 219, 276 f. Leistungsverwaltung siehe Eingriff und Leistung Leitentscheidungen 257 f.

Pädagogische Freiheit 74, 353 ff. Parlament, Organstruktur 214 ff. Parlamentsvorbehalt - Begriff/Terminologie 27, 29 ff., 36 - Beschränkung auf das Normative 153 ff. - grundrechtlicher 113 ff. - historische Entwicklung 42 ff. - Kriterien für Reichweite 236 ff. - politischer 126 ff. - Rechtsfolgen 128 ff. - Reichweite 23 f., 291 ff. - Relativierungen 148 ff. - Schranken aus den Grundrechten 152 f.

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trtverzeichnis

- verfassungsrechtliche Begründung 162 ff., 201 ff. - Voraussetzungen 103 ff. Partizipatorische Variante 302 f., 316 f. Plakettentragen 376 Planungsrecht 25 Politisch-dezisionistische Variante 296 f., 306 ff. Politisch-kontrovers 248 ff. Pressefreiheit 377 Preußischer Budgetkonflikt 50 Preußische Verfassungsurkunde vom 31.1.1850 45,49, 53 Privatschulen 72 ff., 89 ff., 382 ff. Privatschulfinanzierung 383 f. Prognoseentscheidungen 252 f. Proportionalitätsprinzip 233 ff. Prüfungsrecht 25 Publizität 224 ff. Rahmenrichtlinien 360 f. Recht auf Bildung 73 f., 365 f. Rechtsfreier Raum 76 ff. Rechtsetzungskompetenzen 36 f. Rechtssatzvorbehalt 28,31 ff., 37,48,51 Rechtsschutz 271 ff. - im besonderen Gewaltverhältnis 77, 86, 95 ff., 99 ff. Rechtsstaatsprinzip 24,47,162 f., 175 ff. Regelungsdichte 23, 30 f., 136 ff. Regelungsebene 23, 30 f., 129 ff. Regelungsstruktur 228 ff. Regelungsvorbehalt 28, 34 Reichsschulpflichtgesetz von 1938 87,91 Reichstagsbrandverordnung von 1933 64 Reichsverfassung von 1871 53, 56 Religionsunterricht 73, 89, 343 Revolution von 1848 46 Rückholvorbehalt 305 f. Rundfunkrecht 25 Sachverstand des Parlaments 276 f. Schrankenvorbehalt 34 Schülerbeförderung 381 Schülergruppen 377 Schülerrechte, politische 73 f., 375 f.

Schülerzeitungen 91 Schul-arten 74, 341 f. - aufsieht 72 ff., 90 f. - betrieb, laufender 352 f. - bezirke 351 f. - buchzulassung 72, 361 f. - entlassung - disziplinarische 368 - leistungsbedingte 367 f. - Finanzierung 72 ff., 91, 380 f. - geldfreiheit 91 - gesetzentwurf des Deutschen Juristentages 41, 384 ff. - inhalte 353 ff. - organisation 72 ff., 90 f., 346 ff. - organisationsakte 347 ff., 366 f. - pflicht 74 ff., 87, 89 ff., 364 f. - recht 26, 39 f., 72 ff., 81 ff., 87 ff., 338 ff. - sprengel 351 f. - stufen 74 - system 72 ff., 338 ff. - trägerschaft 72 ff., 379 f. - Verfassung 73 f., 90 ff., 377 ff. - Verhältnis 72 ff., 90 f., 362 ff. - versuche 73 f., 91, 343 f. Selbstentmachtung des Gesetzgebers 52, 65 Selbstentscheidungspflicht 134 ff., 162 Sexualkundeunterricht 356 Sonderschulen 91, 342 f. Sonderverordnungen 94 f., 106 Sondervorbehalt 28 Sozialrecht 25 Sozialstaatsprinzip 185 ff. Sozialverhalten, Beurteilung des 374 f. Spezialvorbehalt 28 Sprachenfolge 358 ff. Staatsfunktionen 42 Steuerrecht 25 Strafgefangenenbeschluß des BVerfG 26, 40, 99 ff. Strafvollzug 25 Stufenverhältnis von Rechtssatz- und Parlamentsvorbehalt 31, 133 Stundentafeln 74, 360 f. Subventionsrecht 25 Synonyme für „wesentlich" 110 f.

Stichwortverzeichnis

Technizität eines Regelungsgegenstandes 277 f. Terminologische Vorklärungen 27 f. Thesen 387 ff. Totalvorbehalt 28, 33 f., 119 f. Übergänge 74, 366 f. Übergangsfristen 155 ff. Umweltrecht 25 Unbestimmte Gesetzesbegriffe 37 f. Verfahren, Grundrechtsschutz durch 203 ff. Verfahrensrechtlich-geschäftsordnungsmäßige Variante 300 ff., 333 ff. Verfahrensstruktur 219 ff. Verfassungsändernde Variante 299, 312 f. Verfassungsändernde Verordnungen 62, 68 Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen 221 f. Verordnungen des vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens 62, 68 Verordnungsgeber, Organstruktur 215 ff. Verordnungsrecht der Exekutive 35 ff., 61 Versetzung 74, 96, 371 ff. Versuche 252 f., 265 ff. Versuchsschulen 73, 343 f. Vetovorbehalt 304 Vielgestaltige Sachverhalte 151 f. Volksbegehren 214 f. Volksbeschlossene Gesetze 174 f. Volksschule 384 Volkssouveränität 49 Vorbehalt des Gesetzes 28 ff., 32, 77 ff., 84 ff., 92 f., 99 ff. Vorbehalt des formellen Gesetzes 48, 106, 158 f.

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Vorbehalt des materiellen Gesetzes 48, 158 f. Vorbehalt des Parlaments 326 ff. Vorbehaltslehre 158 ff. Vorbehaltsprinzip, Funktionswandel 50, 171 ff. Vorbehaltsterminologie 28 ff. Vorlagepflicht 304 Vormärzverfassungen 44,47 Vorrang des Gesetzes 77 ff., 228 ff. Vorrang spezifischer Grundrechte 245 Vorschulen 89 Wahl- und Wählerrelevanz 250 f. Wesentlichkeit - Beschränkung auf wesentliche Entscheidungen 279 ff. - Bezugspunkte 112 f. - grundrechtliche 239 ff. - Historie 106 ff. - Kriterienkatalog 292 - politische 247 ff. - Terminologie, schwankende 110 ff. Wesentlichkeitstheorie 24 ff., 101 f., 103 ff. - Kritik an 24 ff., 103 ff., 129 ff., 167 ff., 178 ff., 185 ff. - „Theorie" 24, 132 Wesentlichkeitsvorbehalt 28 f. Weimarer Reichsverfassung 57 ff., 66 ff., 81 ff. Weimarer Schulartikel 82 ff., 88 Werbung, politische 376 Wiener Bundesakte von 1815 45 Zeugnisse 74, 91 Züchtigungsrecht 76, 371 Zustimmungsvorbehalt 305 Zweiter Bildungsweg 344 f.