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German Pages 156 Year 1974
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 237
Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, insbesondere im Verhältnis zur Meinungsfreiheit Von Werner Müller
Duncker & Humblot · Berlin
WERNER MÜLLER
Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, insbesondere i m Verhältnis zur Meinungsfreiheit
Schriften
zum
öffentlichen
Band 237
Recht
Wirkungsbereich u n d Schranken der Versammlungsfreiheit, insbesondere i m Verhältnis zur Meinungsfreiheit
Von Dr. Werner M ü l l e r
D Ü N C K E R
&
H U M B L O T / B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03085 0
Vorwort Die Studentendemonstrationen der Jahre 1968 und 1969 lösten eine kaum übersehbare Zahl von Stellungnahmen und Gerichtsentscheidungen zum Versammlungsrecht aus. Die entscheidende Frage war immer wieder die nach den Schranken dieses Grundrechts. Da niemand recht wußte, wie diese Schranken zu setzen waren, griff man auf allgemeine Prinzipien der Güterabwägung zurück oder löste das Problem durch eine Übernahme der vom Bundesverfassungsgericht zu A r t . 5 GG entwickelten Wechselwirkungslehre. Die Anlehnung an die Meinungsfreiheit lag nahe, da die Demonstranten nicht nur von ihrem Versammlungsrecht, sondern auch von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hatten. Das eigenständige Gewicht der Versammlungsfreiheit blieb unberücksichtigt. Der vorliegenden Schrift geht es darum, die Versammlungsfreiheit aus ihrer Bindung an die Meinungsfreiheit zu lösen und ihre selbständige Bedeutung aufzuzeigen, u m von da aus ihre spezifischen Schranken zu bestimmen. Die Arbeit lag als Dissertation der Juristischen Fakultät der Universität München vor. Sie wurde i m Februar 1972 abgeschlossen. Herrn Prof. Dr. Peter Lerche danke ich für die Anregung zu dem Thema. Werner
Müller
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Überblick über die Problemstellung
11
A. Der Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit, insbesondere der Begriff der Versammlung
15
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit 1. Die Versammlungsfreiheit i n Deutschland vor 1848
15 15
a) Die Versammlungsfreiheit als natürliches Menschenrecht . .
17
b) Die Versammlungsfreiheit als Eigentümlichkeit der konstitutionellen Verfassung
19
c) Gegner der Versammlungsfreiheit
21
d) Die Versammlungsfreiheit i n der Gesetzgebung des V o r märz
22
2. Die Versammlungsfreiheit der Paulskirchenverfassung
23
3. Die Versammlungsfreiheit i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
28
a) Die gesetzlichen Grundlagen
28
b) L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung zum Versammlungsrecht ..
30
4. Das Reichs Vereinsgesetz v o m 8. A p r i l 1908 a) Unvereinbarkeit des m i t dem Gesetz
restriktiven
33
Versammlungsbegriffs
b) Beschränkung des Versammlungsbegriffs r u n g irgendwelcher Angelegenheiten
auf die Erörte-
c) Weite Auslegung des Versammlungsbegriffs
34 35 36
5. Der A u f r u f des Rates der Volksbeauftragten v o m 12. November 1918
37
6. Die Versammlungsfreiheit der Weimarer Verfassung
37
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz 1. Die verschiedenen Meinungen zum Versammlungsbegriff
40 41
8
Inhaltsverzeichnis a) Beschränkung auf die öffentliche Meinungsbildung
42
b) Koppelung an die Meinungsfreiheit
44
c) Umfassender Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit
45
2. Der Schutzzweck der Versammlungsfreiheit
47
3. Der Versammlungsbegriff des A r t . 8 GG
50
a) Allgemeine Begriffsbestimmung
50
b) Beispielhafte Erläuterung
51
c) Begrenzung des entwickelten Versammlungsbegriffs A r t . 8 GG
auf
d) Sonderprobleme des Versammlungsbegriffs
52 53
aa) Erfordernis der Organisation
53
bb) Notwendige Teilnehmerzahl
54
B. Das Verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit
55
I. Das tatsächliche Verhältnis zwischen Meinungs- u n d Versammlungsfreiheit — die Versammlung als M i t t e l der Meinungsfreiheit
57
I I . Rechtliche Einordnung der Konkurrenz von Versammlungs- u n d Meinungsfreiheit
62
1. Keine Idealkonkurrenz
62
2. Versammlungsfreiheit — kein T e i l oder Unterfall der M e i nungsfreiheit
67
3. K e i n einheitliches Demonstrationsrecht
68
4. A r t . 8 GG als Spezialnorm gegenüber A r t . 5 GG
69
5. Konkurrenzlösung durch Tatbestandsabgrenzung
74
C. Die Schranken der Versammlungsfreiheit in ihrer Beziehung zur Meinungsfreiheit I. Ausgangspunkt der Fragestellung
78 78
1. Notwendigkeit einer Schrankensystematik
78
2. Feststellung der schrankenbestimmenden N o r m bei K o n k u r renzen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit
83
a) Keine Relevanz behördlicher Motive
84
Inhaltsverzeichnis b) Bestimmung des Schrankengrundrechts nach einem objektiven Maßstab — A n k n ü p f u n g an das polizeiliche Störerrecht
86
3. Methodik der Rechtsprechung bei der Schrankenbestimmung i m Konkurrenzverhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit
88
a) Entscheidungen ohne ausreichende Tatbestandsabgrenzung und m i t einseitiger Konzentration auf ein Grundrecht . . . .
88
b) N u r wenige Entscheidungen m i t abgrenzung
94
richtiger
Tatbestands-
I I . Versuch einer systematischen Darstellung der Schranken des A r t . 8 GG unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu A r t . 5 GG 1. Sachliche Schranken des A r t . 8 Abs. 1 GG
97 97
a) Begriffsbestimmungen
97
aa) Waffenlosigkeit
97
bb) Friedlichkeit
99
b) Geltung des Versammlungsgesetzes auch für unfriedliche und bewaffnete Versammlungen
102
c) Analoge Anwendung des Versammlungsgesetzes auf private Versammlungen bei Überschreitung der sachlichen Schranken des A r t . 8 Abs. 1 GG
104
b) Polizeiliche Eingriffsbefugnisse sammlungen
gegen unfriedliche
Ver-
aa) Das Problem des polizeilichen Notstands
106 106
bb) Wann ist die Versammlung als solche unfriedlich?
111
cc) Geltung der entwickelten Grundsätze auch f ü r sammlungen unter freiem H i m m e l
114
Ver-
e) Die unfriedliche Versammlung i m Strafrecht — keine Verallgemeinerung bei Ausschreitungen einzelner 2. Schranken des A r t . 8 Abs. 2 GG a) A r t und I n h a l t des Schrankenvorbehalts i n A r t . 8 Abs. 2 GG — insbesondere: Unterschied des speziellen Gesetzesvorbehalts i n A r t . 8 Abs. 2 GG gegenüber dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze i n A r t . 5 Abs. 2 GG
116 118
119
b) A u f welche Gesetze bezieht sich der Vorbehalt i n A r t . 8 Abs. 2 GG?
122
aa) Das Versammlungsgesetz
123
bb) Bannmeilengesetze
124
cc) Feiertagsgesetze
124
dd) Straßen- und Wegerecht
128
ee) Straßenverkehrsrecht
130
10
Inhaltsverzeichnis c) Besondere Stellung der Strafgesetze 3. Insbesondere: Das Problem der Güterabwägung
135 139
a) Privilegierung der politischen Versammlung
142
b) Berücksichtigung des Anliegens der Versammlung
144
c) A r t der Privilegierung
145
Literaturverzeichnis
140
Einleitung Überblick über die Problemstellung I n einem Beschluß vom 14. A p r i l 1969 bestätigte das BayObLG die Verurteilung eines Demonstranten, der sich i m Anschluß an eine Vietnamkundgebung i n München an einem Sitzstreik auf öffentlicher Straße beteiligt hatte 1 . Zunächst hatten sich die Versammlungsteilnehmer zu einem ordnungsgemäß angemeldeten Protestmarsch formiert, der entsprechend einer behördlichen Auflage i n sicherer Entfernung vor dem amerikanischen Generalkonsulat, dem Ziel der Demonstranten, enden sollte. Nachdem Polizeibeamte den Zug zum Stehen gebracht hatten, setzten sich zahlreiche Demonstranten auf die Straße, um den Verkehr aufzuhalten und so ihr Anliegen massiv zur Geltung zu bringen. Das BayObLG verurteilte wegen Landfriedensbruch nach § 125 Abs. 2 StGB a. F. Dabei setzte sich das Gericht m i t der Frage auseinander, ob sich der Angeklagte auf seine Grundrechte aus A r t . 5 GG und Art. 8 GG berufen könne, und ob deswegen eine Bestrafung ausgeschlossen sei2. Art. 5 GG schützte zwar auch Demonstrationen als Mittel der Äußerung und Verbreitung von Meinungen, er gebe jedoch kein Recht darauf, von anderen angehört zu werden 3 . Einen solchen, nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckten Anspruch habe der Angeklagte aber m i t seinem Sitzstreik versucht durchzusetzen. I m Hinblick auf Art. 8 GG ließ das Gericht dahingestellt, ob ein Sitzstreik überhaupt eine Versammlung i m Sinne dieser Bestimmung sei4. A r t . 8 GG schütze nämlich nur friedliche Versammlungen. Davon könne indessen keine Rede mehr sein, wenn es i m Laufe der Versammlung zu rechtswidrigen, gewalttätigen Handlungen gegen Dritte komme. Dazu gehöre das Versperren eines Zu- oder Durchgangs durch das geschlossene Zusammendrängen einer Menschenmenge. 1
BayObLG, N J W 1969, S. 1127. Die Berufung auf die i n A r t . 5 GG u n d A r t . 8 G G niedergelegten G r u n d rechte w a r ein ständiger E i n w a n d der Verteidiger i n den Demonstrations Prozessen der letzten Jahre (vgl. Ott, N J W 1969, S. 454, 457); gegen die F u n k t i o n des Demonstrationsrechts als selbständiger Rechtfertigungsgrund aber z. B. Henneka, Die Welt v. 4.12.1968, S. 17. 3 So auch Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 60. 4 Z u r Frage des Sitzstreiks insbesondere Janknecht, GoltdA 1969, S. 33 ff. 2
12
Einleitung
Dieser Beschluß ist ein Beispiel neben vielen anderen, wie unsystematisch i n der Rechtsprechung Art. 5 GG und Art. 8 GG nebeneinander gestellt werden 5 . Indem das BayObLG die Demonstration als M i t t e l der Meinungsfreiheit erkennt, unterwirft es sie gleichzeitig den Schranken des Art. 5 GG. Daneben w i r d aber auch Art. 8 GG herangezogen, der eine ganz andere Schrankensj^stematik hat. Das Ergebnis dieser Betrachtungsweise ist eine Schrankenkumulierung, wie sie Klein vorschlägt 6 , wie sie aber von der Literatur i m übrigen fast durchwegs abgelehnt wird 7 . Es besteht kein Zweifel, daß i m Rahmen von Versammlungen regelmäßig auch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird. Insbesondere ist das bei der A r t von Demonstrationen der Fall, wie sie unter dem Begriff „Studentenunruhen" bekannt sind und in den vergangenen Jahren immer wieder die Gerichte beschäftigt haben. Wie aber die Schutzbereiche der beiden Grundrechte, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, gegeneinander abzugrenzen sind, diese Frage ist offen 8. Die Rechtsprechung hat das dogmatische Problem des Dualismus zwischen Art. 5 GG und Art. 8 GG bisher kaum erörtert, gschweige denn bewältigt 9 . I n der Rechtslehre gibt es lediglich Ansätze von Deutungsversuchen. Für Enderling ist das Versammlungsrecht „ein Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG)", also ein bloßer Unterfall der Meinungsfreiheit 10 . Hoerni sieht in der Versammlungsfreiheit einen Spezialfall der Meinungsfreiheit n . Dagegen spricht Füßlein von einer „ A r t Idealkonkurrenz" zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wobei er betont, daß beide Grundrechte völlig selbständig nebeneinanderstehen 12 . Hamann/Lenz sehen in der Versammlungsfreiheit 5 Vgl. z.B. B G H , N J W 1969, S. 1770; O L G Stuttgart, N J W 1969, S. 1543; O L G Celle, N J W 1970, S. 206; BVerwG, D R i Z 1969, S. 158. 6 Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 125 f. sowie S. 312 f.; nach der Klein'schen Lehre w i r d ein Grundrecht durch die Schranken eines anderen begrenzt, w e n n von diesem gleichzeitig m i t dem ersten Gebrauch gemacht w i r d . 7 z. B. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 Anm. 31. 8 So schreibt Quilisch (Die demokratische Versammlung, S. 13 F N 4): „Das Verhältnis beider Grundrechte (d. h. A r t . 5 GG und A r t . 8 GG) ist allerdings ungeklärt." 9 Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die Entscheidung des O V G M ü n ster (DÖV 1970, S. 344), die das Problem zumindest erkennt und i m wesentlichen i m Anschluß an Herzog zu lösen versucht. 10 Enderling, VersG, S. 23; dagegen Hoff mann, JuS 1967, S. 393 (397); Quilisch, S.169. 11 Hoerni, Konrad, Versammlungsrecht i n der Schweiz, Aarau 1938, S. 158. 12 Füßlein, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 449, 451; ders., VersG, S. 18; ders., DVB1 1954, S. 553; ebenso Mangoldt/Klein Bd. I, S. 300; ähnlich v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 18.
Überblick über die Problemstellung
13
eine Ergänzung der Meinungsfreiheit nach der kollektiven Seite hin 1 3 . Nach Herzog, der das Problem bisher am ausführlichsten behandelt hat, stellt sich das Verhältnis zwischen A r t . 5 GG und A r t . 8 GG teilweise als Ideal-, teilweise als Gesetzeskonkurrenz dar 14 . Inwieweit diese Qualifizierungen brauchbar sind, w i r d noch zu untersuchen sein. Praktisch relevant w i r d die Problematik dann, wenn es darum geht, die einer Versammlung gesetzten Schranken zu bestimmen. Es geht nicht an, bei der rechtlichen Beurteilung einer Versammlung A r t . 5 GG und Art. 8 GG einfach nebeneinanderzustellen, ohne sich über ihr Verhältnis zueinander Rechenschaft zu geben. Der Vorwurf trifft insbesondere die Rechtsprechung, die oft beide Bestimmungen auf das gesamte Erscheinungsbild der Versammlung bezieht und damit, teilweise vielleicht ungewollt, zu einer Schrankenkumulierung gelangt. Das Dilemma der Gerichte ist freilich nur zu verständlich, denn bei der angedeuteten Meinungsvielfalt i n der Literatur waren wegweisende Richtlinien kaum zu finden. Der eingangs zitierte Beschluß des BayObLG hat ein weiteres Problem aufgeworfen, das entgegen mancher euphemistischer Äußerungen immer noch nicht geklärt ist: Was ist eine Versammlung 15 ? Gehört ein Sitzstreik zur Blockierung des Verkehrs dazu 16 . Eine Prozession? Eine Aktionärsversammlung? Ein Theater- oder Konzertpublikum? Ist ein Klassentreffen eine Versammlung? — Auf der einen Seite steht die Auffassung Füßleins, der als Versammlung i m Sinne von Art. 8 GG nur solche Zusammenkünfte anerkennt, welche auf die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten gerichtet sind 17 . Demgegenüber bezeichnet das Reichsgericht als Versammlung „eine Zusammenkunft zu einem (d. h. irgendeinem) 18 gemeinsamen Zweck . . . , zu dessen Erreichen die Anwesenden sich nicht nur räumlich zusammenfinden, sondern sich auch innerlich untereinander zusammenschließen und von anderen absondern" 1 9 . Nach dieser Auffassung genügt jeder beliebige Zweck als Ver13
Hamann/Lenz, A r t . 8 A n m . A. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 Anm. 35 f., A r t . 8 Anm. 29 f. 15 Das O L G Hamburg (MDR 1965, S. 319) spricht von Einhelligkeit bei der Umschreibung des Versammlungsbegriffs. Klein behauptet, der Begriff stehe seit dem R V G von 1908 i n Rechtslehre, Rechtsprechung u n d Verwaltungspraxis fest (Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 304). 16 Das B a y O b L G (NJW 1969, S. 1127) hat die Frage gestellt, aber nicht beantwortet. 17 Füßlein, VersG, S. 22; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 443 f.; ähnlich Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 304; v. Jan, RVG, S. 58. 18 Einschub des Verfassers. 19 RG, J W 1925, S. 986, 987; ebenso RGSt 21, 71, worauf sich das O L G H a m burg (MDR 1965, S. 319) fälschlicherweise beruft; ähnlich v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 22; Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 43. 14
14
Einleitung
sammlungsziel. Die beiden, hier kurz zitierten Ansichten sind indessen nur die Pole eines weiten, keineswegs einheitlichen Meinungsspektrums. U m den Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit zu bestimmen und gegen den der Meinungsfreiheit abzugrenzen, ist eine Klärung des Versammlungsbegriffs unerläßlich. Dieser Frage ist daher der erste Teil der Untersuchung gewidmet. Der zweite Teil dient der dogmatischen Durchdringung des Verhältnisses zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Erst dann kann — und auf dieses Problem konzentriert sich das abschließende Kapitel der Arbeit — die eigentlich wichtigste Frage nach einer Systematik der Schranken der Versammlungsfreiheit gestellt werden.
Α . Der Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit insbesondere der Begriff der Versammlung I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit Die Entwicklung des Versammlungsbegriffs ist nicht möglich ohne eine Besinnung auf die historischen Grundlagen. Aus der jüngsten Zeit gibt es zwei Untersuchungen, die sich eingehend m i t der Geschichte der Versammlungsfreiheit beschäftigen; zum einen die Abhandlung Klaus Küchenhoffs über „Die geistesgeschichtliche Entwicklung der Vereins- und Versammlungsfreiheit" 1 , zum anderen die Darlegungen Quilischs über die historische Entfaltung der Versammlungsfreiheit 2 . Beide Verfasser behandeln die Geschichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit i m ganzen, wobei Quilisch darüber hinaus eine Einbettung der Geschichte der Versammlungsfreiheit i n die allgemeine Grundrechtsgeschichte unternimmt. Das Ziel der folgenden Erörterungen ist demgegenüber enger. Es soll versucht werden, den Begriff der Versammlung herauszuarbeiten, wie er sich jeweils unter den verschiedenen positiv-rechtlichen Verbürgerungen der Versammlungsfreiheit darstellt. Ein Rückgriff vor die Zeit der grundrechtlichen Entwicklung erscheint unfruchtbar, da die Rechtskontinuität zwischen der heutigen Versammlungsfreiheit und den früheren germanischen und mittelalterlichen Assoziationen fehlt 3 . 1. Die Versammlungsfreiheit in Deutschland vor 1848
Der eigentliche Kampf u m die Grundrechte spielte sich i n Deutschland i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab. Zunächst sind es die drei süddeutschen Staaten Bayern 4 , Baden 5 und Württemberg 6 , in denen 1 Küchenhoff, Die geistesgeschichtliche E n t w i c k l u n g der Vereins- u n d V e r sammlungsfreiheit, 1966. 2 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 29 f. 3 Conrad Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Bd. I I I , Freiburg 1893, S. 163. 4 Bayerische Verfassung v o m 26. M a i 1818; Huber, Dokumente, Bd. I, S. 141 ff. 5 Badische Verfassung v o m 22. August 1818, Huber, Dokumente Bd. I, S.157 ff. 6 Württembergische Verfassung v o m 25. September 1819; Huber, D o k u mente, Bd. I, S. 171 ff.
16 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
1818 bzw. 1819 Verfassungen m i t einem eigenen Katalog von Grundrechten erlassen werden. Keine dieser Konstitutionen gewährleistet indessen die Versammlungsfreiheit, ebensowenig wie die späteren Verfassungen des Kurfürstentums Hessen7 und des Königreichs Sachsens8. Umso eingehender nimmt sich die staatsrechtliche Literatur dieser Zeit des Versammlungsrechts an. Es geht dabei weniger u m die Frage, ob überhaupt Versammlungsfreiheit besteht oder nicht, sondern darum, wie sie zu begründen und welchen Beschränkungen sie unterworfen ist. Die einen erblicken i n der Versammlungsfreiheit einen Ausfluß der den Menschen von Natur anhaftenden Freiheit, die von staatlicher Gewährleistung unabhängig ist. Andere dagegen sehen hier lediglich ein Wesensmerkmal des konstitutionellen, dem Absolutismus entwachsenen Staates, der seinen Bürgern gewisse Repräsentativrechte einräumt 9 . Hierin spiegelt sich i m Grunde ein Gegensatz, der die gesamte Grundrechtsdiskussion durchzieht. Die auf die Gedanken Pufendorfs, John Lockes und Christian Wolffs zurückgehende Naturrechtslehre steht jener positiv-rechtlichen Auffassung gegenüber, welche die Grundrechte i n engem Zusammenhang mit dem konstituionellen Prinzip und der Lehre von der Staatsangehörigkeit sieht 10 . Sowohl die ersten amerikanischen Verfassungen 11 als auch die französische Erklärung der Menschenrechte von 178912 stehen auf dem Boden der Naturrechtslehre und sprechen von allen Menschen angeborenen Rechten. Die erwähnten Verfassungen der drei süddeutschen Staaten gewähren die Grundrechte dagegen lediglich ihren Untertanen. Eine genauere Ausführung der unterschiedlichen Ausgangspunkte würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Lediglich i n Bezug auf das Versammlungsrecht bedarf der Streit einer detaillierten Untersuchung, weil nämlich hier der Ursprung der Differenzen über den Versammlungsbegriff liegt. Die Vertreter der Naturrechtslehre, nach denen das Versammlungsrecht Teil der angeborenen und unveräußerlichen Freiheit des Menschen ist, wissen nichts von einer Beschränkung dieses 7 Hessische Verfassung v o m 5. Januar 1831 ; Huber, Dokumente, Bd. I, S. 201 ff. 8 Sächsische Verfassung v o m 4. September 1831; Huber, Dokumente, Bd. I, S. 223 ff. * Diese unterschiedlichen Ansatzpunkte hat Quilisch (S. 52 ff.) bereits eingehend dargelegt. Sie sollen daher i m folgenden nur insofern aufgeführt werden, als sie f ü r das Verständnis des Versammlungsbegriffs von Bedeut u n g sind. 10 Vgl. Oestreich, Die Grundrechte, Bd. I, 1. Halbband, S. 69 ff., insbesondere S. 74 u n d S. 79. 11 Die Verfassung Virginias v o m 12. J u n i 1776 erklärt, alle Menschen hätten „certain inherent rights". 12 Die E r k l ä r u n g verkündet „les droits naturels, inaliénables et sacrés de l'homme".
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
17
Hechts auf öffentliche Angelegenheiten. Jeder kann sich mit jedem zu jedem Zwecke zusammenschließen. Die Vertreter der anderen Auffassung, wonach die Grundrechte und insbesondere die Versammlungsfreiheit erst auf Grund staatlicher Gewährleistung bestehen, neigen zu einer engeren Betrachtungsweise. Der Staat interessiert sich i. d. R. nur für solche Versammlungen, die sich m i t öffentlichen Dingen beschäftigen. Die staatliche Gewährleistung bezieht sich demnach auch nur auf derartige Zusammenkünfte. a) Die Versammlungsfreiheit
als natürliches
Menschenrecht
Das 18-bändige Staatslexikon von Rotteck und Welcker (1834—1848) enthält vorwiegend Beiträge ausgesprochen liberaler Autoren, die gleichzeitig Anhänger der Menschenrechtsidee waren. Aus der Hand Gustav v. Struves stammt der A r t i k e l „Menschenrechte" 13 . Er behauptet drei ewige und unveräußerliche Menschenrechte, nämlich „das Recht auf Leben, das Recht auf Bildung und das Recht auf freie Entwicklung der uns von der Natur gegebenen und durch die äußeren Verhältnisse herausgebildeten Kräfte". „Als ein notwendiger Ausfluß dieses dritten Menschenrechts erscheint die Preßfreiheit, die Redefreiheit, die Gewissensfreiheit, die Freiheit der Association (Freiheit zur Eingehung von Vereinen jeder Art) 1 4 ." Wenn auch v. Struve ausdrücklich nur das Recht zur Bildung von Vereinen erwähnt, so dürfte der Terminus Associationsfreiheit entsprechend dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch der damaligen Zeit 1 5 doch die Versammlungsfreiheit umfassen. Gerade i n einem Aufsatz, der sich generell m i t den Menschenrechten befaßt, ist eine Zusammenfassung mehrerer Einzelrechte unter einem Begriff ohne nähere Erläuterung verständlich. Umso vielsagender ist die Anmerkung in der Klammer. V. Struve hat es hier für erforderlich gehalten, besonders darauf hinzuweisen, daß Vereine (ergänze: Versammlungen) jeder A r t erlaubt seien. Dabei dürfte es i h m vor allem darum gegangen sein, Assoziationen mit politischer Zielrichtung zu schützen, denn die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni und 5. Juli 1832 13 v. Struve, Staatslexikon, Bd. I X , S. 64 ff.; v. Struve w a r einer der Führer der radikalen Demokraten, welche die Forderung nach uneingeschränkter Versammlungsfreiheit i n das am 10. September 1847 beschlossene „Offenburger Programm" aufnahmen (Text bei Huber, Dokumente, Bd. I, S. 261 f.; vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I I , S. 449). 14 v. Struve, S. 71. 15 So erörtert Welcker i m Staatslexikon unter dem Stichwort „Association" beide Erscheinungen, Verein u n d Versammlung; ebenso Zirkler i n seiner A b handlung über „Das Associationsrecht der Staatsbürger"; vgl. auch Reyscher, Publicistische Versuche, S. 167; Maurenbrecher, Staatsrecht, S. 79 f.; w o h l auch Weiß, Staatsrecht, S. 577; anders dagegen Zoepfl (Staatsrecht 1841, S. 184), der unter Associationsrecht n u r die Vereinsfreiheit versteht, von der er das Recht zu öffentlichen Versammlungen scheidet.
2 Müller
18 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
hatten alle politischen Vereinigungen sowie alle politischen Reden auf Volksversammlungen untersagt 16 . Als Anhänger der Menschenrechtsidee beschränkt v. Struve das Assoziationsrecht jedoch nicht auf politische Zusammenkünfte, sondern erstreckt es auf jede A r t von menschlichen Vereinigungen, m i t h i n auch auf Versammlungen m i t rein privatem Belang. Menschenrechte haben eben zunächst keineswegs politische Zielrichtung, sondern sind an den Bedürfnissen des Individuums orientiert. Der Drang des einzelnen, sich m i t anderen zu vereinigen und zu verbinden, ist nicht auf öffentliche Angelegenheiten beschränkt, sondern ist mindestens ebenso wichtig i m privaten Bereich. Eingehender als v. Struve erörtert der Liberale Carl Theodor Welcher das Problem 17 . Für ihn ist die Vereins- und Versammlungsfreiheit unmittelbarer Ausfluß der „rechtlichen und insbesondere der persönlichen Freiheit", „nicht bloß der staatsbügerlichen und politischen". „Es gibt . . . kein wichtigeres und heiligeres in der (persönlichen) Freiheit enthaltenes Recht als gerade die freie Verbindung des Menschen m i t seinen Mitmenschen für das, was er für gut und recht und heilsam hält, für religiöse und moralische, für wissenschaftliche und künstlerische, für ökonomische und politische Ausbildung und Wirksamkeit" 1 8 . Hier ist es deutlich ausgesprochen, daß das Menschenrecht der Assoziationsfreiheit das Zusammensein und Zusammenwirken von Menschen schützt, ohne daß es dabei auf den Gegenstand oder das Ziel der Assoziation ankäme. Das zeigt sich auch, wenn Welcker die Assoziation als „Vergesellschaftung oder gesellschaftliches Aneinanderschließen aus irgendeinem Trieb oder Bedürfnis oder für irgendeinen Zweck" definiert 19 . Menschenrechte lassen sich nicht politisch einklammern. Welcker erörtert noch einen anderen, nicht minder entscheidenden Aspekt des Problems. Er weist auf die Unmöglichkeit hin, die Grenze zwischen einer Versammlung, die sich mit öffentlichen und einer solchen, die sich m i t privatem Angelegenheiten befaßt, zu bestimmen. Da „ i n der Wirklichkeit die nicht politischen und nicht öffentlichen i n politische und öffentliche Versammlungen (übergehen)", hält Welcker eine juristische Unterscheidung für praktisch undurchführbar 20 . Daß diese Bedenken zu Recht bestehen, braucht kaum näher dargelegt zu werden. Nur noch bedingt i n die Gruppe der Menschenrechtler gehört Robert v. Mohl, einer der bedeutendsten Staatsrechtler des Frühkonstitutio1δ
Huber, Dokumente, Bd. I, S. 119 ff. Welcher, A r t i k e l „Association" i n : Staatslexikon, Bd. I, S. 723 ff.; zur Person Welckers vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 376 f. 18 Welcher, S. 732 f. 19 Welcher, S. 723. 20 Welcher, S.733. 17
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
19
nalismus 21 . Ein ausdrücklicher Hinweis auf vorstaatliche Menschenrechte fehlt bei i h m völlig. Für i h n ist jedoch der Umstand, daß ein Recht nicht ausdrücklich i n der Verfassung garantiert ist, kein Hindernis, aus den vorhandenen Rechten weitere zu entwickeln, wie z. B. das Assoziationsrecht 22 . Merkwürdigerweise beschränkt v. Mohl aber das Assoziationsrecht auf die Vereinsfreiheit, während er die Versammlungsfreiheit aus der allgemeinen Denkfreiheit ableitet 23 . Diese umfasse „das Recht, seine Gedanken über jeden beliebigen Gegenstand mündlich gegen jeden, der freiwillig zuhören will, zu äußern" 24 . Ganz ähnlich wie v. Mohl leitet Heinrich A. Zachariä 25 das Versammlungsrecht ohne jeden Bezug auf natürliche Rechte des Menschen aus dem i n den damaligen Verfassungsurkunden 26 bereits erwähnten Recht der persönlichen Freiheit ab, wobei jede Vereinigung „zur Beförderung geistiger und materieller Interessen" geschützt ist 2 7 . Damit befinden sich v.Mohl und Zachariä in Ubereinstimmung m i t den beiden vorgenannten Autoren, v. Struve und Welcker, welche die Versammlungsfreiheit ebenfalls ohne Beschränkung auf bestimmte Gegenstände anerkennen. b) Die Versammlungsfreiheit Eigentümlichkeit der konstitutionellen
als Verfassung
Der naturrechtlichen Ableitung der Grundrechte i m allgmeinen und der Versammlungsfreiheit i m besonderen steht jene bereits kurz angedeutete Auffassung gegenüber, welche die Grundrechte als Eigentümlichkeit der konstitutionellen Verfasung betrachtet 28 . Schon die Redeund Pressefreiheit w i r d bei Heinrich Zoepfl i m Lichte der konstitutionell-monarchischen Verfassung gesehen. „Da die konstitutionelle Monarchie ihrer ganzen Anlage nach darauf berechnet ist, die Regierung 21
Huber , Verfassungsgeschichte, Bd. I I , S. 400. v. Mohl , Staatsrecht des Königreichs Württemberg, Bd. I, S. 313 f. 23 Dagegen Zirkler , Associationsrecht, S. 59. 24 v. Mohl , S. 352 f. 25 Huber (Verfassungsgeschichte, Bd. I I , S. 604) rechnet i h n ebenfalls zu den Liberalen. 26 So die Bayerische Verfassung v o m 26. M a i 1818 i n Abschnitt I V § 8 Abs. 1; die badische Verfassung v o m 22. August 1818 i n §13; die Verfassung W ü r t tembergs v o m 25. Sept. 1819 i n § 24 (Huber, Dokumente, Bd. I, S. 147, 158, 174). 27 Zachariä, Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, Bd. I, S. 239. 28 Ganz auf dem Boden dieser konstitutionellen Lehre steht der bayerische Appellationsgerichtspräsident Freiherr v. Aretin, der i n einer konstitutionellen Monarchie drei Hauptinteressen unterscheidet, das monarchische, das aristokratische u n d das demokratische. Unter letzterem versteht er die politische u n d die bürgerliche Freiheit, also die Grundrechte. „ I n der weisen Vereinigung u n d gegenseitigen Beschränkung dieser drei Hauptinteressen . . . liegt die Wesenheit der konstitutionellen Monarchie" (Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie, A l t e n b u r g 1824, Bd. I, S. 158). 22
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20 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
volkstümlich zu machen, so muß diese Verfassung . . . ein Recht der freien Äußerung über alle Verhältnisse des Staatslebens . . . gewähren" 2 9 . Damit hat die Meinungsfreiheit i n der konstitutionellen Monarchie einen ausschließlich politischen Bezug. Diese Betrachtungsweise wiederholt sich bei Zoepfls Begründung des Assoziationsrechts. I n der konstitutionellen Monarchie bilden Vereins- und Versammlungsfreiheit ein Recht, „worauf die Untertanen nach dem Geiste der Repräsentativverfassung Anspruch haben, welche ein allgemeines und fortwährendes, lebendiges, politisches Interesse i n dem Volke voraussetzt". Folgerichtig beschränkt Zoepfl die Assoziationsfreiheit auf die „Beratung von gemeinschaftlichen loyalen Petitionen oder Adressen" 30 . Damit ist ein weiterer Unterschied der Konstitutionalisten gegenüber den Anhängern der Menschenrechtsidee offenkundig gemacht. Während v. Struve und Welcker die Versammlungsfreiheit als ein natürliches Recht aller Menschen ansehen, ist sie bei Zoepfl den „Untertanen", d. h. den Staatsbürgern oder genauer den Bürgern des konstitutionellen Staates vorbehalten. Wer ein Recht aus einer bestimmten Staatsverfassung herleitet, w i r d geneigt sein, dieses Recht nur den dieser Staatsverfassung Unterworfenen, eben den Staatsbürgern zuzugestehen. Es wäre sicherlich falsch anzunehmen, Zoepfl halte eine Versammlung, die sich nicht m i t öffentlichen Fragen befaßt, für unzulässig. Das Recht, sich m i t anderen i n privaten Angelegenheiten zu treffen, dürfte vielmehr als selbstverständlich anzusehen sein und auch für Ausländer gelten. Daß Zoepfl hierauf überhaupt nicht eingeht, liegt wohl vor allem daran, daß dieses Recht i n der Zeit des Vormärz gar nicht bestritten war 3 1 . Während Zoepfl ausschließlich konstitutionell bedingte Volksrechte anerkennt, unterscheidet Silvester Jordan menschliche und staatsbürgerliche Rechte 32 . Die ersteren „beziehen sich auf die menschliche Selbstbestimmung" und sind unabhängig von staatlicher Verleihung. Letztere dienen der politischen Wirksamkeit der Staatsbürger und werden daher auch „politische" Rechte genannt. Jordan steht somit auf halbem Wege zwischen der Menschenrechtslehre und dem Konstitutionalismus. Entscheidend ist jedoch, daß er die Versammlungsfreiheit zu den staatsbürgerlichen oder politischen Rechten zählt 3 3 . Damit impliziert er eine Beschränkung des Versammlungsrechts auf öffentliche Angelegenheiten. 29
Zoepfl, Staatsrecht, 1841, S. 181 f. Zoepfl, S. 184. 31 Der Bundesbeschluß v o m 5. J u l i 1832 verbot n u r Vereine u n d Versammlungen m i t politischem Charakter. 32 Jordan, Staatsrecht, S. 83 f. 33 Jordan, S. 92. 30
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
21
Daß staatsbürgerliche Rechte nur den Statsbürgern zustehen, versteht sich dann von selbst. Das Beispiel Jordan zeigt, daß — wie schon bei v. Mohl und Zachariä deutlich geworden ist — das ganze vormärzliche Spektrum von Anschauungen über die Ableitung der Grundrechte nicht als ein zweipoliges Gegenüber gesehen werden kann — hier Menschenrechtler, da Konstitutionalisten. Man findet vielmehr eine weite Meinungsskala m i t allen möglichen Zwischenlösungen, von der rein naturrechtlichen bis zur rein konstitutionalistischen Form 3 4 . Noch weniger eindeutig als die Haltung Jordans ist die August Ludwig Reyschers. Zunächst leitet er das Assoziationsrecht „aus der Natur konstitutioneller Staatseinrichtungen" ab, bezieht es aber i m selben Satz auf die „persönliche Freiheit der Staatsbürger und das Recht freier Gedankenmitteilung" 3 5 . Ferner besteht das Assoziationsrecht „für irgendeinen in den Gesetzen nicht verbotenen Zweck", andererseits soll es nur „öffentliche" Vereinigungen umfassen, die doch i. d. R. nur öffentlichen Angelegenheiten gewidmet sein werden. Damit beweist Reyschner nur von neuem die Tatsache, daß eine klare Scheidung der gegensätzlichen Auffassungen für die Zeit des Vormärz unmöglich ist, daß sie vielmehr teilweise ineinander übergehen. c) Gegner der Versammlungsfreiheit Die bisherige Darstellung könnte zu dem Schluß verleiten, der Vormärz habe nur Befürworter der Versammlungsfreiheit gekannt, die sich lediglich über die dogmatische Begründung und über den Wirkungsbereich dieses Rechts uneins waren. Es gab jedoch unter den Staatsrechtlern der damaligen Zeit durchaus auch Gegner der Versammlungsfreiheit, die sich allerdings i. d. R. nur gegen die Zulässigkeit politischer Versammlungen wandten. A m eingehendsten hat sich J. H. Zirkler m i t dem Assoziationsrecht beschäftigt. Er nennt es einen „offenbaren Fehlschluß", ein uneingeschränktes Assoziationsrecht als unveräußerliches Menschenrecht zu behaupten 36 . Unbeschränkt bestehe die Vereins- und Versammlungsfreiheit nur zu privaten Zwecken und Bedürfnissen; i m privaten Kreis dürfe sogar über politische Dinge gesprochen v/erden 37 . Dagegen unterlägen öffentliche Gesellschaften und Versammlungen einem „prävenierenden Oberaufsichtsrecht des Staates" 38 . Die Frage, wann eine Ver34 35 36 37 38
Vgl. Oestreich, Die Grundrechte, Bd. I, S. 79. Reyscher, Publicistische Versuche, S. 164; vgl. auch S. 167. Zirkler, Associationsrecht, S. 41. Zirkler, S. 18 u n d 108. Zirkler, Vorrede, S. V, sowie S. 56 u n d 97.
22 Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
Sammlung öffentlich ist, beantwortet Zirkler in überaus ungewöhnlicher und komplizierter Weise, so daß hier nicht näher darauf eingegangen werden kann. Klarer noch als Zirkler leugnet Karl Eduard Weiß eine umfassende Versammlungsfreiheit. Er stellt unzweideutig fest: „Ein Recht zu Associationen für allgemeine politische Zwecke gibt es . . . nach deutschem Staatsrecht nicht." 3 9 A m weitesten geht Romeo Maurenbrecher, der ein Recht „zur beliebigen Einigung mit anderen (Associationsrecht)" rundweg ablehnt und die gegenteilige Meinung für unbegreiflich hält 4 0 . Die kurze Zusammenstellung zeigt, daß auch bei den Gegnern der Versammlungsfreiheit keine einheitliche Linie vorhanden ist i n Bezug auf die Frage, i n welchem Umfang ein Versammlungsrecht zu negieren sei, bzw. ob ein Versammlungsrecht überhaupt bestehe und wie sein Wirkungsbereich zu bestimmen sei. Einigkeit besteht nur darin, daß kein Recht auf öffentliche politische Versammlungen besteht. Soweit darüberhinaus eine Versammlungsfreiheit anerkannt w i r d (ζ. B. bei Zirkler), scheint der Begriff der Versammlung i n einem umfassenden Sinn verstanden zu werden. d) Die Versammlungsfreiheit
in der Gesetzgebung des Vormärz
Unter den das Versammlungsrecht betreffenden Gesetzen des Vormärz ist vor allem der zweite Bundesbeschluß „Uber Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe in Deutschland" vom 5. Juli 1832 zu erwähnen 41 . Vereine mit politischem Zweck werden verboten (Art. 2). Volksversammlungen und Volksfeste bedürfen, soweit sie nicht üblich sind, behördlicher Genehmigung. „Auch bei erlaubten Volksversammlungen und Volksfesten (dürfen) öffentliche Reden politischen Inhalts (nicht) gehalten werden"(Art. 3). Das Wort "Volksversammlung" w i r d hier, wie die einheitliche Abhandlung zusammen mit Volksfesten zeigt, wohl nicht politisch verstanden. Das beweist auch die gesonderte Erwähnung politischer Reden anläßlich solcher Veranstaltungen, die überflüssig wäre, wenn das Wort Volksversammlung bereits den politischen Gehalt implizierte. Allerdings wurde der Begriff der Volksversammlung i m 19. Jahrhundert teilweise einschränkend dahin ausgelegt, daß er nur solche Zusammenkünfte umfasse, welche das öffentliche Leben beträfen 42 . Damit w i r d die Volksversammlung i n 39
Weiß, Staatsrecht, S. 577. Maurenbrecher, Staatsrecht, S. 80. 41 T e x t bei Huber, Dokumente, Bd. I, S. 120 f. 42 Vgl. Pözl bei Dollmann, T e i l 2, Bd. I V , S. 441 ; ferner die einschlägigen Beratungen der K a m m e r der Abgeordneten des 2. Bayerischen Landtags i m Jahre 1849, stenographische Berichte, Bd. I I I , S. 153. Demgegenüber versteht 40
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
23
einen Gegensatz zur Versammlung gestellt, womit letztlich nur unterstrichen wäre, daß unter dem allgemeinen Begriff der Versammlung grundsätzlich alle Arten von Zusammenkünften zu verstehen sind. Gleiches gilt für die Württembergische Verordnung vom 12. Juni 183243, welche „die Veranstaltung und Abhaltung öffentlicher Versammlungen zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten, Beratung politischer Handlungen oder Feier politischer Ereignisse" einer vorherigen polizeilichen Erlaubnis unterwirft. Das Wort Versammlung allein besagt durchaus noch nicht, daß die Zusammenkunft m i t öffentlichen A n gelegenheiten befaßt sein muß, denn sonst hätte es der getroffenen Einschränkung auf öffentliche und politische Belange nicht bedurft. Der Grunddafür, daß die Gesetze auf politische Versammlungen, bzw. auf Versammlungen zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten beschränkt sind, liegt darin, daß diese am ehesten als Unruheherd i n Frage kommen. Von Versammlungen mit rein privater Zielrichtung ist in aller Regel keine nachteilige Auswirkung auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erwarten. Eine zusammenfassende Skizzierung der vormärzlichen Auseinandersetzung ergibt folgendes Bild: Die Befürworter der Versammlungsfreiheit teilen sich in solche, die — hauptsächlich auf dem Boden der Menschenrechtslehre stehend — ein umfassendes Recht der menschlichen Assoziation fordern, und jene, welche als ein bloß aus der Natur konstitutioneller Staatseinrichtungen resultierendes Recht die Versammlungsfreiheit auf öffentliche Angelegenheiten beschränken wollen. Die Gegner der Versammlungsfreiheit beschränken sich i m wesentlichen darauf, ein Recht zur Assoziation i m öffentlichen Bereich zu bestreiten, geben aber gleichzeitig zu erkennen, daß darüber hinaus Versammlungen erlaubt sein sollen. Die Gesetzgebung der damaligen Zeit steht auf einem ähnlichen Standpunkt, indem sie politische Versammlungen ungleich schärferen Beschränkungen unterwirft als solche mit privater Zielsetzung. 2. Die Versammlungsfreiheit der Paulskirchenverfassung
Die genaue Darstellung der vormärzlichen Diskussion über den Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit und damit über den Begriff der Versammlung war erforderlich, weil diese Erörterungen das Fundament für die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung von 1849 darstellen, die i n A r t . 161 die VerZoepfl den Begriff Volksversammlung i n einem umfassenden Sinn (Staatsrecht 1856, Bd. I I , S. 664). 43 Abgedruckt bei Reyscher , Publicistische Versuche, S. 168.
Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
sammlungsfreiheit garantiert hat. Diese Bestimmung wurde ihrerseits ohne grundlegende Änderung sowohl i n die Weimarer Verfassung (Art. 123 WV) als auch i n das Grundgesetz (Art. 8 GG) übernommen 44 . Es sei angemerkt, daß schon die belgische Verfassung von 1831 in Art. 19 alle wesentlichen Elemente der deutschen Regelung der Versammlungsfreiheit enthielt 4 5 , womit der große Einfluß dieser Verfassung auf das Paulskirchendokument deutlich wird 4 6 . Das Paulskirchenparlament begann m i t der Beratung der Grundrechte auf der Grundlage eines vom Verfassungsausschuß vorgelegten Entwurfs. Es fällt auf, daß die vom Ausschuß vorgeschlagene Formulierung zur Versammlungsfreiheit wortgetreu vom Plenum in erster und zweiter Lesung angenommen wurde 4 7 und schließlich i n die Verfassung einging. Es wahr wohl den auf Abkürzung der Verhandlung gerichteten Schoder'schen Anträgen 4 8 zuzuschreiben, daß diese Materie i m Plenum überhaupt nicht beraten wurde, sondern daß lediglich einige Änderungsanträge in unmittelbarer Beschlußfassung abgelehnt w u r den 49 . So sind die einzig verfügbaren Materialien die Aufzeichnungen Droysens über die Beratungen des Verfassungsausschusses. Aber auch dort gingen die Auseinandersetzungen eigentlich nicht um den W i r kungsbereich des Versammlungsrechts, sondern nur um dessen Schranken 5 0 . Es darf freilich nicht übersehen werden, daß das Paulskirchenparlament noch wesentlich vom liberalen Gedanken des Vormärz geprägt war. Zwar war nun keine Rede mehr davon angeborenen Menschen44
A r t i k e l 161 der Paulskirchen Verfassung lautet: Abs. 1 : Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich u n d ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis dazu bedarf es nicht. Abs. 2 : Volksversammlungen unter freiem H i m m e l können bei dringender Gefahr f ü r die öffentliche Ordnung u n d Sicherheit verboten werden. 45 A r t . 19 der belgischen Verfassung lautet: Abs. 1 : Die Belgier haben das Recht, sich friedlich u n d ohne Waffen zu versammeln, gemäß den Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts bestimmen können, ohne es i m mindesten einer vorherigen obrigkeitlichen Erlaubnis zu unterwerfen. Abs. 2: Diese Verfügung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche gänzlich den Polizeigesetzen unterworfen bleiben. (Übersetzung nach Fritz Härtung, Die Entwicklung der Menschen- u n d Bürgerrechte, 3. Aufl., Göttingen 1964, S. 69). 46 Vgl.Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. 70 f. 47 Eine Gegenüberstellung der A r t i k e l i n den verschiedenen Stadien der Beratung findet sich bei Α. M. Ottow, Die Grundrechte des deutschen Volkes, F r a n k f u r t / M . 1849 (Zur Versammlungsfreiheit, S. 30 ff.). 48 Dazu Voigt, S. 94, 97 u n d 99. 49 Vgl. Wigard, Stenographische Berichte, Bd. I, S. 683 ff., Bd. I I I , S. 2305 ff., Bd. V I , S. 4172 f. 50 Droysen, Verhandlungen, S. 21 ff.
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
25
rechten wie 1776 i n V i r g i n i a u n d 1789 i n Frankreich. Aber der Blick hatte sich auch nicht so w e i t verengt, daß die Grundrechte n u r als Ausfluß eines konstitutionellen, repräsentativen Staatsaufbaus angesehen wurden 5 1 . Die liberalen Ideen der Nationalversammlung waren vielmehr darauf gerichtet, jedem Bürger einen staatsfreien Raum zu garantieren, i n dem er seine Persönlichkeit ungehindert entfalten konnte 5 2 . Diese Auffassung ordnet die Grundrechte einem status negativus zu; sie haben lediglich die Bedeutung, den Bürger vor staatlichen Eingriffen zu schützen. W i r d ein Grundrecht aber an die M i t w i r k u n g i n öffentlichen Angelegenheiten gebunden, dann rückt es damit i n die Nähe eines status activus, der dem Paulskirchenparlament v ö l l i g fremd war. Quilisch w i l l allerdings die Versammlungsfreiheit schon für die damalige Zeit als demokratisches Grundrecht dem status activus annähern 5 3 . Diese Auffassung mag für die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes eine gewisse Berechtigung haben, für die Grundrechte der Paulskirchenverfassung ist sie jedoch k a u m vertretbar. Es ist mehr als fragwürdig, wenn Quilisch sich zur Stützung seiner These auf einige der erwähnten Autoren des Vormärz beruft. Insbesondere der Hinweis auf Heinrich Zoepfl 54 ist n u r scheinbar berechtigt. W o h l verwies dieser die Versammlungsfreiheit auf öffentliche Angelegenheiten 5 5 , allerdings nur, w e i l er sie als notwendigen Ausfluß einer bestimmten Staatsform, der konstitutionellen repräsentativen Monarchie ansah. Keineswegs w a r Zoepl, wie man auf G r u n d der Darlegungen Quilischs glauben könnte, ein besonders ausgeprägter Demokrat. Vielmehr waren die z. T. radikalen Demokraten gerade auf der anderen Seite zu suchen, wo die Versammlungsfreiheit als allgemeines Recht des Menschen zur Zusammenkunft m i t anderen betrachtet wurde 5 6 . Sie waren sich w o h l i m klaren darüber, daß die Garantie eines bis dahin nicht vorhandenen staatsfreien Raumes vor der Gewährung aktiver Mitwirkungsrechte des Bürgers stehen mußte. Die Garantie einer umfassenden Freiheit gibt die Gewähr, daß diese Freiheit auch zur M i t w i r k u n g i m Staat ausgenutzt werden kann. Demgegenüber beinhaltet die Garantie einer M i t w i r k u n g i n öffentlichen Angelegenheiten n u r eine sehr beschränkte Freiheit. So verwundert es
51 I n der Einleitung zum Grundrechtsteil (§ 130) heißt es schlicht und einfach: Dem deutschen Volk sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. 52 Vgl. Oestreich, Die Grundrechte, Bd. I, 1. Halbband, S. 86. 53 Quilisch , Die demokratische Versammlung, S. 57 ff. 54 Quilisch , S. 58. 55 Vgl. oben A I 1 b. 56 Vor allem der Revolutionär Gustav v. Struve, der m i t Hecker zusammen führend an den badischen Volksauf ständen von 1848 und 1849 beteiligt war (zu seiner Person: Huber , Verfassungsgeschichte, Bd. I I , S. 412 f.).
26 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
nicht, daß gerade Zoepfl später wieder zum Befürworter verschärfter Einschränkungsmöglichkeiten des Versammlungsrechts geworden ist 57 . Ordnet man also die Versammlungsfreiheit der Paulskirchengrundrechte dem status negativus zu, so ist es unerfindlich, warum sie auf solche Zusammenkünfte beschränkt sein sollte, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten befaßten. Der Wortlaut der Verfassungsbestimmung, wonach „die Deutschen das Hecht (haben), sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln", gibt für eine solch einengende Auslegung nichts her. Der Begriff der Versammlung w i r d vorausgesetzt. Wenn man bedenkt, daß i n der Zeit des Vormärz sowohl die Gesetze über das Versammlungswesen als auch die weitaus meisten Äußerungen der staatsrechtlichen Literatur zum Thema der Versammlungsfreiheit von einem umfassenden Begriff der Versammlung ausgegangen sind, so kann eigentlich kein Zweifel bestehen, daß auch die Frankfurter Nationalversammlung dem gefolgt ist. Welcker, v. Mohl, Zachariä, die in ihren Schriften sämtlich den weiten Wirkungsbereich des Assoziationsrechts bejaht hatten 58 , gehörten ihr an. Die beiden ersteren waren darüber hinaus Mitglieder des Verfassungsausschusses, der die Grundrechte konzipierte 59 ; v. Mohl hatte sogar i m dreiköpfigen Vorberatungsausschuß für die Grundrechte mitgewirkt 6 0 . Allerdings: Ein möglicher Einwand ist bisher nicht erwähnt worden. Die Paulskirchenverfassung gewährleistet die Versammlungsfreiheit nur für Deutsche. W i r d die Ausübung eines Grundrechts an die Staatsangehörigkeit geknüpft, so ist man vielleicht geneigt, dem Grundrecht eine primär politische Bedeutung zuzumessen. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, daß eine Privilegierung der Staatsbürger nur dort gerechtfertigt ist, wo es um die M i t w i r k u n g an den Angelegenheiten der staatlichen Gemeinschaft, d. h. an politischen Angelegenheiten geht, denn die Staatsbürger sind es ja, die diese Gemeinschaft bilden. Schon ein Blick i n das Grundgesetz zeigt freilich, daß diese Betrachtungsweise in den Normen der Verfassung keine Grundlage findet. So ist ζ. B. die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) nur für Deutsche gewährleistet, obwohl doch die Ausübung des Berufes in der Regel durchaus keine M i t w i r k u n g an politischen Angelegenheiten beinhaltet. Auch die Paulskirchenverfassung läßt erkennen, daß die Beschränkung eines Grundrechts auf die Staatsbürger keine Beschränkung auf politische Angelegenheiten beinhaltet. 57
Zoepfl, Staatsrecht 1856, Bd. I I , S. 222 und 662 ff. Vgl. oben A l l a . 59 Wigard, Stenographische Berichte, Bd. I, S. 681. 60 Anton Springer, Friedrich Christoph Dahlmann, Leipzig 1872, Bd. I I , S. 299. 58
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
27
Schon die Einleitung des Grundrechtsteils (§ 130) beschränkt die Grundrechte in ihrer Gesamtheit auf das deutsche Volk. Darin unterscheidet sich die Frankfurter Reichsverfassung wiederum entscheidend von den ersten amerikanischen Verfassungen und von der französischen Menschenrechtserklärung, die Grundrechte für alle Menschen statuiert hatten; sie unterscheidet sich aber auch vom Grundgesetz. Leider gibt es, da die Verfassung von 1849 niemals Gesetz geworden ist, keine Kommentierungen, auf die zurückgegriffen werden könnte. Aber es ist deutlich genug, daß die Verfassung i m ganzen sich darauf beschränkt, den Deutschen gewisse Rechte zu garantieren, u m sie auf die gleiche Stufe mit ihren westlichen Nachbarn zu stellen. Vereinfacht ausgedrückt: Deutsche sollten es i n ihrem Land nicht schlechter haben als Franzosen in Frankreich. So gelten nämlich auch das Gleichheitsgebot (§ 137 Abs. 3) und die Religionsfreiheit (§ 144 Abs. 1) der Paulskirchenverfassung nur für Deutsche. Ein Bezug auf öffentliche Angelegenheiten fehlt hier völlig. Es ändert sich daher nichts an dem gewonnenen Ergebnis, daß §161 der Frankfurter Reichsverfassung die Versammlungsfreiheit zu jedem beliebigem Zweck garantieren sollte. Damit ist die Feststellung verknüpft, daß der Wirkungsbereich des Versammlungsrechts auch nicht in anderer Weise beschränkt sein sollte, etwa i n der Weise, daß man die Ausübung der Versammlungsfreiheit an die gleichzeitige Ausübung der Meinungsfreiheit knüpft 6 1 . Diese Bindung ist natürlich dann unumgänglich, wenn die Assoziationsfreiheit auf öffentliche Angelegenheiten beschränkt wird, da es dann immer um ein Mitreden oder M i t w i r k e n geht, was ohne Äußerung einer Meinung unmöglich ist. Gleichfalls notwendig wäre eine solche Bindung in dem Fall, wenn man, wie Robert v. Mohl 62, das Versammlungsrecht nicht der Vereinsfreiheit zuordnet, sondern aus der Denkfreiheit ableitet. Für v. Mohl ist die Versammlung nur ein Medium zur Mitteilung von Gedanken. Die Frankfurter Nationalversammlung scheint indessen, indem sie die Versammlungsfreiheit i n einem geschlossenen A r t i k e l mit der Vereinsfreiheit gewährleistete, der allgemeinen Lehre gefolgt zu sein, die diese beiden Rechte als verwandt erachtete, i. d. R. sogar unter dem einen Oberbegriff der Assoziation zusammenfaßte 63 . Versammlung und Verein haben gemein, daß sie die beiden allgemeinen Manifestationsmöglichkeiten des menschlichen Bedürfnisses sind, sich mit anderen Menschen zur Verfolgung irgendwelcher Ziele zu vereinigen. Die Gedankenmitteilung ist aber nur eines unter vielen möglichen Zielen, wenn auch wohl das wichtigste. 61 62 63
So eine heute sehr starke Meinung, z. B. Hamann/Lenz, A r t . 8 Anm. Β 5. v. Mohl , Staatsrecht des Königreichs Württemberg, Bd. I, S. 352 f. So vor allem Welcker , Staatslexikon, Bd. I, S. 723 ff.
28 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff 3. Die Versammlungsfreiheit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die Zeit nach 1848 ist durch ein allmähliches Verflachen der Grundrechtsideen gekennzeichnet. Zunächst hatte das Hauptwerk der Paulskirche, nämlich die Feststellung der Grundrechte für das deutsche Volk, noch genügend Durchschlagskraft, um die folgende Verfassungs- und Gesetzgebung zu beeinflussen. Spätestens das Bundesvereinsgesetz von 185464 jedoch zeigt die reaktionäre Tendenz, die sich vor allem i n einer repressiven Haltung gegenüber politischen Vereinen und Versammlungen ausdrückt. Auch die Literatur wendet sich völlig von dem i m Vormärz allenthalben festzustellenden Grundrechtselan ab und betrachtet die Grundrechte nur noch anhand der positiven Verbürgerungen. Bereits 1852 erscheint Karl Friedrich Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte", welche einen grundlegenden Wandel i m Verständnis der Grundrechte einleitet. Für Gerber sind die Grundrechte nur noch „objektive, abstrakte Rechtssätze über die Ausübung der Staatsgewalt" 65 . Der Bürger ist Untertan und Objekt des Herrschaftsrechts des Monarchen 66 . Wie anders argumentierten doch die Verfechter angeborener und unveräußerlicher Menschenrechte. Indessen hatten die Wandlung des Grundrechtsverständnisses und der folgende Dogmenstreit 67 über die Bedeutung der Grundrechte keine Auswirkungen auf die Anschauungen über den Begriff der Versammlung. Einschlägige Gesetze über das Vereins- und Versammlungswesen machten grundsätzliche Diskussionen über das Wesen und den Ursprung der Assoziationsfreiheit überflüssig 68 . a) Die gesetzlichen
Grundlagen
Noch ganz unter dem Eindruck der Grundrechtsbewegung des Vormärz und der Paulskirche steht die preußische Verfassung vom 31. 64
Abgedruckt bei Huber, Dokumente, Bd. I I , S. 6 f. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 65. 66 Gerber, S. 63, schreibt: „Die staatsrechtliche Stellung eines Untertanen ist die eines staatlich Beherrschten u n d m i t diesem Begriff vollständig bezeichnet" (Hervorhebung i m Original). Gerechterweise muß allerdings hinzugefügt werden, daß Gerber die Freiheitssphäre des Bürgers durchaus anerkannte, soweit sie eben außerhalb der staatlichen Befugnisse liegt. 67 Dazu Anschütz (Preußische Verfassung, S. 93 ff.) m i t einer Darstellung der gegensätzlichen Auffassungen u n d entsprechenden Nachweisen. 68 Einen Uberblick über die damals geltenden Gesetze zum Vereins- u n d Versammlungsrecht geben Ball/Friedenthal, Das öffentliche Vereins- und V e r sammlungsrecht i n Deutschland, 1907. Eine Aufstellung findet sich auch i n den Drucksachen des Reichstags, 12. Legislaturperiode, 1. Session 1907/1908, Bd. 6, Drucksache Nr. 482, Anlage I b, S. 87 ff. 65
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
29
Januar 185069. 40 A r t i k e l sind allein „den Rechten der Preußen" gewidmet. Art. 29 berechtigt alle Preußen, „sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen i n geschlossenen Räumen zu versammeln"; Versammlungen unter freiem Himmel werden „auch i n Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis der Verfügung des Gesetzes unterworfen". Schon der bloße Wortlaut deutet darauf hin, daß hier ebenso wie i n der Reichsverfassung von 1849 eine umfassende Versammlungsfreiheit garantiert wird, die nicht auf öffentliche A n gelegenheiten beschränkt ist. Diese Auffassung w i r d durch die Stellungnahme jener Kommission der zweiten preußischen Kammer aus dem Jahre 1849 gestützt, die zur Revision der Verfassung eingesetzt war. Der Bericht weist ausdrücklich darauf hin, daß „man sich w o h l Versammlungen ohne allen Zweck denken kann, als den des Beisammenseins" 70 . Die preußische „Verordnung über die Verhütung eines gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts" vom 11. März 185071 statuiert i n § 1 für alle „Versammlungen, i n welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert oder beraten werden sollen" eine Anzeigepflicht. Die Verordnung ist typisch für die damalige Zeit. Man gewährt grundsätzlich eine allgemeine Versammlungsfreiheit, unterwirft jedoch solche Zusammenkünfte, die den Bereich des Politischen berühren, nicht unerheblichen Beschränkungen. Die unpolitische Versammlung w i r d als ungefährlich erachtet, wie das ja schon früher der Fall war. A u f jeden Fall aber zeigt die Beschränkung der Anzeigepflicht auf politische Versammlungen, daß der Schöpfer der Verordnung die begriffliche Möglichkeit anderer, auf unpolitische Zwecke gerichteter Versammlungen voraussetzt. Ähnlich ist die Regelung des bayerischen Gesetzes vom 26. Februar 1850, die Versammlungen und Vereine betreffend 72 . Art. 1 gewährt allen Staatsangehörigen das Recht, sich ohne Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln 73 . Für Zusammenkünfte, i n denen „öffentliche Angelegenheiten erörtert werden sollen", besteht aber nach Art. 2 eine Anzeigepflicht, falls zu der Versammlung öffentliche oder allgemeine 69
T e x t bei Huber , Dokumente, Bd. I, S. 401 ff. Bericht der Kommission für die Revision der Verfassung, i n : Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die allerhöchste Verordnung v o m 30. M a i 1849 einberufenen 2. Kammer, Band I I , S. 631. 71 Diese Verordnung w a r i n W i r k l i c h k e i t ein formelles Gesetz (vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I I I , S. 109, F N 30, sowie Ball/Friedenthal, S. 59; dort auch T e x t der Verordnung; ebenso i n Drucksachen des Reichstags, a.a.O., S. 87 ff.). 72 Text bei Ball/Friedenthal, S. 138 ff.; auch Drucksachen des Reichstags, a.a.O., S. 89 ff. 73 Diese Verbürgung w a r notwendig, w e i l die Bayerische Verfassung von 1818, die weiterhin gültig war, die Versammlungsfreiheit nicht erwähnt hatte. 70
30 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
Einladungen ergangen sind. Bereits i n der Beratung des Gesetzes war zum Ausdruck gekommen, daß Art. 1 alle Arten von Versammlungen schützen sollte. Es war nämlich vorgeschlagen worden, i n der Überschrift des Gesetzes und in der Überschrift des 1. Abschnittes das Wort „Versammlungen" durch „Volksversammlungen" zu ersetzen, w e i l das Gesetz nur von solchen Zusammenkünften handle, welche i n das öffentliche Leben eingreifende Angelegenheiten zu besprechen bestimmt seien. Die Kammer der Abgeordneten lehnte den Änderungsvorschlag jedoch ab 74 . Wenn auch das Gesetz i m wesentlichen politische Versammlungen behandelt, so ist doch i n Art. 1 das Recht, sich zu versammeln, umfassend anerkannt. Das sächsische Gesetz vom 22. November 1850 verfährt genau umgekehrt wie die preußische Verordnung, indem es nämlich Beschränkungen grundsätzlich für alle Versammlungen aufstellt und dann i n § 17 die Versammlungen zum Zweck geselliger Unterhaltung, der Beförderung der Künste und Wissenschaften, für wohltätige und fromme Zwecke, für regelmäßige kirchliche Erbauung und gesetzlich oder behördlich angeordnete Zusammenkünfte davon ausnimmt 75 . Nach all dem kann eigentlich kein Zweifel mehr bestehen, daß der gesetzliche Versammlungsbegriff umfassend ist und alle Zusammenkünfte begreift, ohne Rücksicht auf den verfolgten Zweck. Man beginnt allmählich, sich zu fragen, wie Füßlein dazu kommt, unter Berufung auf die rechtshistorische Entwicklung nur solche Veranstaltungen unter die Garantie der Versammlungsfreiheit zu subsumieren, die auf öffentliche Angelegenheiten gerichtet sind 76 . b) Literatur
und Rechtsprechung
zum
Versammlungsrecht
Entsprechend dieser klaren positivrechtlichen Regelung taucht i n der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst weder i n der Literatur noch i n der Rechtsprechung ein Zweifel darüber auf, daß die Versammlungsfreiheit nicht nur politische Veranstaltungen schützt, sondern daß es den Bürgern freigestellt ist, „für welche Zwecke sie sich der Versammlung als Realisierungsmittel bedienen wollen" 7 7 . Auch das Reichsgericht hält jeden Zweck für „geeignet, das Einigungsband und den inneren Mittelpunkt für eine Versammlung abzugeben, rein gesellige Bestre74 Verhandlungen der K a m m e r der Abgeordneten des 2. Bayer. Landtages i m Jahre 1849, Stenographische Berichte, Bd. I I I , S. 153. 75 Text bei Ball/Friedenthal, S. 150 ff.; Drucksachen des Reichstags, a.a.O., S. 91 ff.
76
Füßlein, VersG, S. 22 f.
77
Pözl, bei Dollmann, T e i l 2, Bd. I V , S. 442.
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
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bungen ebenso wie solche, welche m i t der sogenannten Geselligkeit gar nichts gemein haben" 78 . Die Unterscheidung der neuen Landesgesetze zwischen Versammlungen, „ i n welchen öffentliche Angelegenheiten besprochen werden sollen, und (solchen), die nur Vergnügungen, kirchliche Feiern und dergleichen zum Zwecke haben" 79 , ist offenkundig und läßt keine andere Schlußfolgerung zu 80 . Man kann schließlich nicht daran vorbeigehen, daß der Sprachgebrauch des täglichen Lebens unbedenklich von politischen, geselligen und sonstigen Versammlungen redet, worauf besonders das Reichsgericht (a.a.O.) hinweist. U m so mehr verwundert es, wenn das Kammergericht i n mehreren Entscheidungen aus dem Jahre 1891 den gegenteiligen Standpunkt einnimmt und für eine Versammlung die Erörterung oder Beratung öffentlicher Angelegenheiten verlangt 8 1 . Die Begründung für diese Ansicht gibt das OLG Dresden, indem es die Versammlungsfreiheit auf die Funktion eines politischen Volksrechts beschränkt 82 . Die Einengung der Grundrechte auf die politische M i t w i r k u n g i m Staat ist zwar nichts Neues, w i r k t aber durch Wiederholung nicht überzeugender. Der einzelne Bürger ist doch nicht nur in seinen politischen Aktivitäten schutzwürdig. Das OLG Dresden geht jedoch weiter und setzt für eine Versammlung voraus, „daß durch ihre Abhaltung die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet werden kann und sich die Ergreifung der vom Gesetz angeführten Sicherheitsmaßregeln erforderlich macht". I n der Literatur ist es vertritt 8 3 . Er beschränkt schen Verfassung auf die als ein staatsbürgerliches Versammlung öffentliche
vor allem Caspar, der denselben Standpunkt den Wirkungsbereich des Art. 29 der preußiRegelung des Versammlungsrechts, soweit es Recht i n Frage kommt 8 4 , d. h. soweit in der Angelegenheiten besprochen werden. Für das
78 RGSt 21, 71 (73), Urt. v. 22. 9.1890. Umso unverständlicher ist es, w e n n das O L G Hamburg den Versammlungsbegriff an die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten k n ü p f t u n d sich dabei auf die genannte Entscheidung des Reichsgerichts beruft (MDR 1965, S. 319). 79 Zoepfl, Staatsrecht 1856, Bd. I I , S. 664. 80 v. Heids Ansicht (Staat und Gesellschaft, Bd. I I I , S. 587), die unpolitischen Versammlungen seien „eigentlich n u r der Vollständigkeit wegen oder v i e l leicht n u r deshalb besonders erwähnt, damit diese Gesetze über Versammlungs- und Vereinsfreiheit nicht bloß von Beschränkungen sprechen", steht der obigen Schlußfolgerung nicht entgegen. 81 K G , U r t . v. 13. 4.1891, GoltdA, Bd. 39, S. 380; Urt. v. 14. 8.1891, GoltdA, Bd. 39, S. 206; u n d insbesondere Urt. v. 5.10.1891, Johows Jahrbuch, Bd. 11, S. 235; vgl. ferner K G J 22, C. 110 (Urteil v o m 19. 9.1901). 82 O L G Dresden, Urt. v. 12.1.1891, GoltdA, Bd. 39, S. 206. 83 Caspar, Das preußische Versammlungs- u n d Vereinsrecht 1894; ebenso v. Rönne/Zorn, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. I I , 5. Aufl., Leipzig 1906, S. 276. 84 Caspar, S. 14.
32 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
preußische Vereinsgesetz, d. h. für die Verordnung vom 11. März 1850, legt Caspar einen noch engeren Begriff der Versammlung zugrunde, indem er sich die Ansicht des OLG Dresden zueigen macht und nur eine solche Zusammenkunft als Versammlung i m Sinne der Verordnung betrachtet, die „einen die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauch jenes Staatsbürgerrechts ermöglicht" 85 . Die restriktive Interpretation konnte sich indessen nicht durchsetzen. Gerade das Kammergericht kehrt bald wieder zu der bekannten Auslegung des Reichsgerichts zurück und stellt fest, daß für den Begriff der Versammlung „die Natur des Zweckes an sich gleichgültig" sei 86 . Für die preußische Verfassung begründet das preußische OVG eingehend die Geltung des umfassenden Versammlungsbegriffs 87 . Es stützt seine Auffassung vor allem auf das oben dargelegte Verständnis der vormärzlichen Gesetzgebung 88 sowie auf die Entstehungsgeschichte der preußischen Verfassung 89 . Das Gericht betont allerdings, daß das Vereinsgesetz nicht i n allen Bestimmungen so umfassend auszulegen sei. Fragt man nach den Hintergründen der Differenzen zwischen restriktiver und umfassender Interpretation des Versammlungsbegriffs, so stellt man überrascht fest, daß gerade die Vertreter einer engen Auslegung den Schutz der Freiheitssphäre des Bürgers i m Auge gehabt haben. W i r haben gesehen, daß ζ. B. das preußische Vereinsgesetz für Versammlungen zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten die vorherige Anzeige verlangte (§1). Darüber hinaus unterwarf es öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel einer Genehmigungspflicht (§ 9). Verstöße gegen diese Vorschriften waren strafbewehrt (§§ 12, 15). Zahlreiche Stellungnahmen der Zeit um die Jahrhundertwende machen nun deutlich, daß die Polizei — insbesondere i n Preußen — diese Vorschriften extensiv auslegte, um unliebsame politische Bewegungen zu unterdrücken, vor allem die Sozialdemokraten, aber auch sprachliche und nationale Minderheiten, wie die Dänen und die Polen. Die Verhandlungen i m Reichstag über den Entwurf des Reichsvereinsgesetzes i n den Jahren 1907 und 190890 legen beredtes Zeugnis ab über die damaligen 85
Caspar, S. 16. K G , Urt. v. 6.2.1893, Reger, Bd. 15, S.93; ebenso Urt. v. 8.11.1894, GoltdA, Bd. 43, S. 151; Urt. v. 23.2.1898, GoltdA, Bd. 46, S. 66; Urt. v. 17.11. 1898, GoltdA, Bd. 46, S. 380. 87 PrOVGE 20, 432 (Urt. ν. 1.10.1890); ebenso P r O V G (Entsch. v. 21.1.1902), P r V B l Bd. 24, S. 231. 88 Oben A I 1 d. 89 Oben A I 3 a. 90 Verhandlungen des Reichstags, Stenographische Berichte, 12. Legislaturperiode, 1. Session 1907/1908 — Erste Lesung: 69., 70. u n d 71. Sitzung v o m 9., 10. und 11. Dez. 1907, Bd. 229, S. 2091 ff., 2125 ff., 2160 ff. — Zweite Lesung: 138., 139., 140. u n d 141. Sitzung v o m 2., 3., 4. und 6. Apr. 1908, Bd. 232, 86
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
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Zustände. Aus den zahllosen Klagen sei hier nur die des Abgeordneten Heine (SPD) zitiert: „Was ist eine Versammlung? Das ist ebenso ins Maßlose ausgedehnt worden. Biertischgespräche sind Versammlungen. I n Kachstädt bricht ein Grubenstreik aus. Zufällig ist der Beamte des Bergarbeiterverbandes Pokorny i n der Nähe. Er t r i f f t die Leute i m Gasthaus an und sagt: ,Bitte laßt das mit dem Streik, I h r dürft nicht so blindlings darauf losstreiken, I h r sollt nicht kontraktbrüchig werden.' Das war ein Gespräch von wenigen Minuten i m offenen Schanklokale. Der Mann wurde wegen Veranstaltung einer nicht angemeldeten Versammlung, die eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezweckt, verurteilt." Und weiter: „Der Arbeitersekretär Scholtissek in Oberschlesien, der zum Reichstag kandidierte, passierte bei einer Flugblattverteilung ein Dorf. Da redet ihn einer an, und es stellt sich i m Gespräch heraus, daß er der vielgenannte Scholtissek ist. Da bleiben ein paar Leute stehen und gucken ihn sich an. Schließlich sind es zusammen 15 geworden. Der Mann, der ihn angeredet hat, teilt ihm seine K ü m mernisse m i t und Scholtissek antwortet darauf. Resultat: Veranstaltung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne polizeiliche Erlaubnis und Verurteilung 9 1 ." Diese Beispiele sagen genug. Wenn man das Wesen der Versammlungsfreiheit in ihren Einschränkungen erblickt, dann gebietet der Schutz des einzelnen, den Begriff der Versammlung möglichst eng auszulegen, u m möglichst wenig Eingriffsmöglichkeiten zu geben. Je enger der Versammlungsfbegriff gefaßt ist, desto geringer ist die Gefahr, einer unerwünschten Anmelde- oder Genehmigungspflicht zu unterliegen. Wenn aber die restriktive Interpretation des Versammlungsbegriffs der Abwehr polizeistaatlicher Praktiken einer vergangenen Epoche entspringt, dann kann man doch die Gültigkeit dieser Auslegung für die heutigen, grundlegend gewandelten Verhältnisse nicht einfach m i t einem Hinweis auf die historische Kontinuität begründen. 4. Das Reichsvereinsgesetz vom 8. April 1908
Die vielfach geforderte Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des öffentlichen Vereins- und Versammlungswesens i n Deutschland brachte das Reichsvereinsgesetz vom 8. A p r i l 190892. Es gewährleistete in § 1 allen Reichsangehörigen „das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden und sich zu versammeln." ÖffentS. 4556 ff., 4594 ff., 4635 ff., 4698 ff. — D r i t t e Lesung: 143. Sitzung v o m 8. A p r . 1908, Bd. 232, S. 4789 ff. 91 Verhandlungen des Reichstags, erste Lesung, Bd. 229, S. 2116. 92 RGBl. S. 151 — Nach A r t . 4 Nr. 16 der Reichsverfassung von 1871 hatte das Reich die Gesetzgebungskompetenz für das Vereinswesen, was nach nahezu allgemeiner Auffassung das Versammlungswesen umfaßte. 3 Müller
34 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
liehe Versammlungen zur Erörterung politischer Angelegenheiten waren 24 Stunden vor Beginn der Veranstaltung der Polizeibehörde anzuzeigen, es sei denn, die Versammlung war öffentlich bekannt gemacht (§§ 5, 6). Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge bedurften der polizeilichen Genehmigung (§ 7), landesrechtlich konnte die Genehmigung allerdings durch Anzeige oder öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden (§ 9) 93 . Die am meisten umstrittene Beschränkung der Versammlungsfreiheit brachte § 12, der für Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen den Gebrauch fremder Sprachen verbot, was besonders den Polen i n Schlesien, den Dänen i n Schleswig und den Franzosen i n Elsaß-Lothringen ungeheuerlich erschien 94 . Angesichts all dieser Beschränkungen, die ζ. T. über die bisherigen landesrechtlichen Beschränkungen hinausgingen (ζ. B. das Genehmigungserfordernis in § 7 und die Sprachenregelung i n § 12), von einem für die damalige Zeit besonders freiheitlichen Gesetz zu sprechen 95, erscheint zumindest übertrieben. Gerade der V o r w u r f der mangelnden Liberalität führte i m Reichstag zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Gesetzes. Wenden w i r uns aber nun — nach einem kurzen Überblick über den Inhalt des Gesetzes — wieder der Entwicklung des Versammlungsbegriffes zu.
restriktiven
a) Unvereinbarkeit Versammlungsbegriffs
des mit
dem
Gesetz
Es fällt auf, daß i n den Jahren nach Erlaß des RVG die Ansicht, eine Versammlung müsse sich notwendig m i t öffentlichen Angelegenheiten befassen, praktisch überhaupt nicht mehr vertreten wird. Allein das OLG Dresden erwähnt i n einem Urteil aus dem Jahre 1908 die Erörterung politischer Angelegenheiten als Voraussetzung einer Versammlung i m Sinne des Vereinsgesetzes 96. M i t dem Text des RVG ist diese restriktive Interpretation nur schwer zu vereinbaren. § 1 des Gesetzes gewährleistet die Versammlungsfreiheit „zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen". Wer hätte je davon gehört, daß die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten der einzige Zweck wäre, der den Strafgesetzen nicht zuwiderliefe? Vielmehr kann die Bestimmung doch nur so ausgelegt werden, daß jeder erlaubte Zweck geeignet ist, Gegenstand 93 Damit sollte gewährleistet werden, daß i n den Ländern, die schon vorher n u r eine Anzeige verlangt hatten, m i t dem R V G keine Verschlechterung des Rechtszustandes eintrat. Vgl. Stier-Somlo, RVG, S. 145. 94 Vgl. die oben i n F N 90 zitierten Reichstagsprotokolle. 95 So Füßlein, VersG, S. 3 ff.; Peter Schneider Festschrift für W. E. M ü h l mann, S. 252; einschränkender beurteilt Quilisch (Die demokratische Versammlung, S. 80) den freiheitlichen Charakter des RVG. 96 O L G Dresden, U r t . v. 9.12.1908, Annalen, Bd. 30, S. 55 (57).
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
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einer Versammlung zu sein. Erst § 5 RVG erwähnt die politische Versammlung, aber nicht etwa i n dem Sinne, daß sich die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit nur auf solche Zusammenkünfte beziehe, sondern lediglich dahingehend, daß die das Versammlungsrecht einschränkende Anzeigepflicht nur politische Versammlungen betrifft. Dagegen ist das Erfordernis einer Genehmigung für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge (§ 7) nicht auf politische Veranstaltungen begrenzt 97 . So ist es eigentlich nicht verwunderlich, daß das OLG Dresden seine restriktive Auslegung alsbald aufgegeben und von der Voraussetzung der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten abgesehen hat 9 8 . b) Beschränkung des Versammlungsbegriffs auf die Erörterung irgendwelcher Angelegenheiten Die herrschende Meinung, insbesondere i n der Rechtsprechung der damaligen Zeit, unterwirft den Versammlungsbegriff allerdings einer anderen, wenn auch weniger engen Beschränkung. Immer wieder taucht jetzt die Formel auf, unter einer Versammlung sei „nicht schon jedes öffentliche oder sonstige Zusammensein einer Anzahl von Menschen, sondern nur das Zusammensein zum Zwecke der Erörterung und Beratung von Angelegenheiten" zu verstehen 99 . Teilweise w i r d erläuternd hinzugefügt: „von irgendwelchen Angelegenheiten" und betont, daß die Erörterung politischer oder öffentlicher Angelegenheiten nicht notwendig sei 100 . Der theoretische Ausgangspunkt dieser Auffassung liegt in der Ansicht, der Kern des Versammlungsrechts sei das Recht auf freie Meinungsäußerung 101 . Das OLG Dresden geht von demselben Gedanken aus, wenn es erklärt, das RVG wolle in erster Linie die Freiheit des Wortes schützen 102 . I n Literatur und Rechtsprechung vor Erlaß des RVG war die Koppelung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit nur vereinzelt vertreten worden 1 0 3 , jetzt aber w i r d der Gedanke von der herr97
Stier-Somlo, RVG, S. 103. O L G Dresden, Urt. v. 9. 6.1909, Reger, Bd. 30, S. 156. 99 RGSt. 47, 389 (Urt. v. 21.11.1913); K G , Urt. v. 15.10.1908, Reger, Bd. 29, S. 280; K G Urt. v. 14.5.1914, DJZ, Bd. 19, Sp. 830; PrOVG, Entsch. v. 18.11. 1909, Reger, Bd. 30, S. 412; O L G Dresden, Urt. v. 9.6.1909, Reger, Bd. 30, S. 156; Anschütz, Preußische Verfassung, Bd. I, S. 526; Wolzendorff , VerwArch, Bd. 18, S. 261 (275); ähnlich w o h l auch Heine, RVG, S. 28. 100 Sächsisches OVG, Urt. v. 22. 3.1909, Reger, Bd. 30, S. 160. 101 Wolzendorff, S. 272. 102 O L G Dresden, U r t . v. 9. 6.1909, Reger, Bd. 30, S. 156. 103 Ball/Friedenthal, Das öffentliche Vereins- u n d Versammlungsrecht i n Deutschland, S. 43; E. Loening, Verwaltungsrecht, S. 275 f.; i n Loenings A r t i kel Vereins- u n d Versammlungsrecht (Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1901, Bd. V I I , S. 383, 396) fehlt die Verbindung zwischen Meinungsund Versammlungsfreiheit jedoch. Andeutungsweise findet sich die Koppelung i n PrOVGE 18, 422 (426) — Urt. v. 24. 9.1888, sowie i n K G J , Bd. 22, C. 60. 98
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36 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
sehenden Lehre übernommen. Das Ziel dieser Interpretation ist vor allem, Veranstaltungen zu geselligen Zwecken aus dem Versammlungsbegriff herauszuhalten, aber auch rein belehrende Vorträge, da es dort an dem Merkmal der Erörterung fehlt. Damit ist freilich die grundlegende, bereits mehrfach zitierte Entscheidung des Reichsgerichts in RGSt 21, 71 (73), die jeden Zweck für geeignet ansah, das Einigungsband und den Mittelpunkt für eine Versammlung abzugeben, nicht mehr zu vereinbaren. c) Weite Auslegung
des Versammlungsbegriffs
Gerade auf dieses Urteil beruft sich nun die Gegenmeinung, die für eine weite Auslegung des Versammlungsbegriffs eintritt. I n einer ungemein ausführlichen Entscheidung setzt sich das OLG Karlsruhe m i t den unterschiedlichen Meinungen auseinander und schließt sich dann der weiten Begriffsbestimmung des Reichsgerichts an 104 . Das Gericht betont das Erfordernis der inneren Vereinigung der Versammlungsteilnehmer durch den gemeinsamen Zweck, erkennt aber jeden nur denkbaren Zweck als Bindeglied der Versammlung an. Weder der Menschenauflauf auf der Straße, noch das Theater- oder Konzertpublikum seien als Versammlung anzusehen, w e i l nicht bezweckt werde, „eine gemeinsame Angelegenheit aller Anwesenden durch die Zusammenkunft zu fördern". Dagegen liege eine Versammlung vor, wenn ein geselliger Verein eine Abendunterhaltung veranstalte, weil die Anwesenden „durch das innere Band der auf Förderung der gemeinsamen Geselligkeit gerichteten Absicht geeinigt" seien. Das OLG beruft sich für seine Auslegung auf die Kommentare zum RVG von Stier-Somlo und von Hieber/Bazille 105. Indessen stehen noch einige andere Kommentatoren, die ebenfalls von der Entscheidung des Reichsgerichts in RGSt 21, 71 ausgehen, auf demselben Standpunkt 1 0 6 . I n der Rechtsprechung dieser Zeit steht das OLG Karlsruhe mit seiner Ansicht freilich so gut wie allein; nur das Preußische OVG hat i n einem obiter dictum einmal den weiten Versammlungsbegriff vertreten 1 0 7 . Fragt man sich nach dem Grund des aufgezeigten Meinungszwiespalts, so läßt sich eigentlich kein anderer finden als der, daß die Befürworter der engen Auslegung das gesellige Beisammensein, den Unterhaltungs104 O L G Karlsruhe, Urt. v. 17.3.1910; i n : Badische Rechtspraxis, 12. Jahrgang, S. 186. 105 Stier-Somlo, RVG, S. 53 ff.; Hieber/Bazille, RVG, S. 42. 106 Hans Delius, Deutsches Vereinsrecht u n d Versammlungsrecht, 4. Aufl., B e r l i n 1908, S. 410; Lindenberg, Stengleins Strafrechtliche Nebengesetze, 4. Aufl., 1911, Bd. I, A n m . 15 zu § 1 R V G ; P. Adolph, Vereinsgesetz v o m 19. 4. 1904, Leipzig 1908, § 1 A n m . 5; A. Romen, Das Vereinsgesetz v o m 19.4.1908, 3. Aufl., Berlin 1912, S. 29 ff. io? p r o V G E 61, 238 (240) — Urt. v. 16. 2.1912.
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
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abend, einfach nicht für wert erachten, vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt zu werden. 5. Der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918
A m 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauftragten mit Gesetzeskraft: „Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsdiener 108 ." I n der Folgezeit gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die Tragweite dieser Vorschrift 1 0 9 . W i r wollen uns indessen auf die Bestimmung des dem Aufruf zugrunde liegenden Versammlungsbegriffs konzentrieren. Die bisherigen Beschränkungen des Versammlungsrechts bezogen sich in erster Linie auf politische Zusammenkünfte (§ 5 RVG), aber die Genehmigungspflicht für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge betraf auch andere Zusammenkünfte (§ 7 RVG) 1 1 0 . Wenn der Aufruf nun alle Schranken der Versammlungsfreiheit beseitigen wollte — und nach allgemeiner Meinung bezog er sich auch auf die Genehmigungspflicht nach § 7 R V G 1 1 1 — dann mußte er einen umfassenden Versammlungsbegriff zugrunde legen 112 . Dafür spricht i m übrigen die überaus weit gefaßte Formulierung der Vorschrift. Wenn schon politische Versammlungen nicht mehr beschränkt sein sollten, dann doch erst recht die unpolitischen, die schon immer als ungefährlich angesehen worden waren. 6. Die Versammlungsfreiheit der Weimarer Verfassung
Den ersten für das gesamte deutsche Reich geltenden Grundrechtskatalog brachte die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919113. Die Garantie der Versammlungsfreiheit enthielt A r t . 123. Wie schon i m wesentlichen Art. 161 der Paulskirchenverfassung von 1849, so garantierte Abs. 1 allen Deutschen das Recht, „sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln", während Abs. 2 Einschränkungen für Versammlungen unter freiem Himmel ermöglichte. Unterhalb der Verfassung regelte sich das Versammlungswesen weiterhin nach dem RVG von 1908, soweit dieses nicht durch den Aufruf des Rates der Volksbeauftragten hinfällig geworden war. Ent108
RGBl. S. 1303. 109 Y g i die Auseinandersetzung zwischen Delius und Friedrichs Bd. 40, S. 97, 254, 399; ferner v. Jan, RVG, S. 15 ff. 110
in PrVBl,
Stier-Somlo , RVG, S. 130. v. Jan, S. 101 ; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 567. 112 So Delius, PrVBl., Bd. 40, S. 399; für eine engere Auslegung w o h l Friedrichs, PrVBl. , Bd. 40, S. 254 (255). 113 RGBl., S. 1383. 111
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würfe zur Änderung des Vereinsgesetzes, die die unübersichtlich gewordene Rechtslage klären sollten, wurden dem Reichstag i n den Jahren 1926 und 1929 zugeleitet, aber niemals erledigt 114 . I n der Frage des geltenden Versammlungsbegriffs blieb — m i t Varianten — jene Ansicht führend, die sich nach Erlaß des RVG zur herrschenden Meinung herausgebildet hatte und die eine Zusammenkunft „mehrerer Personen zum Zwecke gemeinsamer Erörterungen oder Kundgebungen" voraussetzte. Diese Formulierung von Anschütz aus seinem 1912 erschienenen Kommentar zur preußischen Verfassung 115 findet sich jetzt fast wörtlich wieder in seinem Kommentar zur Weimarer Verfassung 116 . Bemerkenswert ist indessen das Vordringen einer Variante der herrschenden Meinung, welche die Versammlungsfreiheit nicht m i t der Redefreiheit, sondern m i t der Freiheit der geistigen Betätigung i n Verbindung bringt 1 1 7 . So lehnt Julius Hatschek zwar das Erfordernis der gemeinsamen Beratung, Erörterung oder Kundgebung ab, verlangt aber dafür eine wechselseitige geistige Beinflussung 118 . A u f ein ähnliches Ergebnis scheinen m i r die Äußerungen i n der Literatur hinauszulaufen, die als gemeinsamen Zweck der Versammelten eine „Einwirkung auf die Allgemeinheit" verlangen, wobei wohl eine Einwirkung auf den Kreis der Versammelten für ausreichend erachtet wird 1 1 9 . Allen diesen Varianten der herrschenden Meinung ist gemein, daß sie gesellige Veranstaltungen aus dem Bereich der Versammlungsfreiheit ausklammern. Der umfassende Versammlungsbegriff w i r d demgegenüber nur von einer Mindermeinung vertreten. Unter Berufung auf das oben dargestellte Urteil des OLG Karlsruhe vom 17. März 1910120 spricht sich vor allem Schneidewin dafür aus, gesellige Zusammenkünfte als Versammlungen anzuerkennen 121 . Er verlangt nichts anderes als einen „inner114
Vgl. v. Jan, RVG, S. 14. Anschütz, Preuß. Verfassung, Bd. I, S. 526. 116 Anschütz, Reichsverfassung, S. 566; ebenso Waldecker, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. I I , S. 644; RGSt 63, 136 (Urt. v. 22.4.1929) zum Republikschutzgesetz; Runderlaß des preuß. Ministeriums des Inneren v. 10.10.1923, M B l i V S. 1024 (zitiert nach Enderling, VersG, S. 24 f.). 117 Die Verwandtschaft m i t Robert v. Mohl, der das Versammlungsrecht aus der allgemeinen Denkfreiheit abgeleitet hatte, ist augenfällig. 118 Hatschek, Verwaltungsrecht, S. 186; ähnlich Walter Jellinek, der die „Verfolgung gemeinsamer geistiger Zwecke" voraussetzt (Verwaltungsrecht, 3. Aufl., unveränderter Nachdruck, Offenburg 1948, S. 487). 119 υ. Bitter, A r t i k e l „Versammlungen", Handwörterbuch der preußischen Verwaltung, 1928, Bd. I I , S. 923; Brecht, A r t i k e l „Vereins- u n d Versammlungsrecht", v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. I I , S. 185; O. u n d E. Loening, A r t i k e l „Vereins- und Versammlungsrecht", Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1928, Bd. V I I I , S. 555. 120 O L G Karlsruhe, Badische Rechtspraxis, 12. Jahrgang, S. 186; oben A 14 c. 121 Schneidewin, Stengleins Strafrechtliche Nebengesetze, S. 864. U n k l a r ist die H a l t u n g von Delius, der einerseits feststellt, die Vereins- und Versamm115
I. Historische Grundlagen der Versammlungsfreiheit
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liehen gemeinsamen Zweck" und befindet sich damit in Übereinstimmung m i t zwei Entscheidungen des Reichsgerichts aus dem Jahre 1924, mit denen das Gericht an das immer wieder zitierte Urteil RGSt 21, 71 anknüpft 1 2 2 . Ebenfalls einen weiten Versammlungsbegriff befürwortet das Kammergericht, wobei das Beispiel eines Leichenbegängnisses allerdings nicht erkennen läßt, ob das K G eine Veranstaltung zu Unterhaltungszwecken als Versammlung gelten lassen würde 1 2 3 . Die enge Auffassung, die eine Erörterung öffentlicher Angelegenheiten voraussetzt, findet sich demgegenüber nur i n dem 1931 erschienenen Kommentar zum RVG v. Jans 124 . Für seine Meinung zitiert v. Jan die Begründung zum Entwurf des RVG, wonach das Gesetz seine Einwirkungen auf öffentliche Versammlungen beschränke, in denen öffentliche Angelegenheiten erörtert würden 1 2 5 . Der Kern der Argumentation ist damit folgender: Das Gesetz setzt Schranken i m wesentlichen nur für Versammlungen zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten — also bezieht sich das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nur auf Zusammenkünfte zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten. Dieser Schluß von der Tragweite gesetzlicher Grundrechtsschranken auf den W i r kungsbereich des Grundrechts ist unzulässig, denn es steht dem Verfassungsgeber doch jederzeit frei, ein Grundrecht umfassend zu gewährleisten, Einschränkungen aber nur für einen Teilbereich zuzulassen. Erst die umfassende Garantie gibt ja die Sicherheit gegen übermäßige Einschränkungen. Das Ende der Weimarer Grundrechte kündigte sich an, als die Regierung immer häufiger das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach Art. 48 Abs. 2 W V i n Anspruch nehmen mußte. Einige dieser Verordnungen richteten sich auch gegen die Versammlungsfreiheit 126 . Die wirklich einschneidenden Eingriffe wurden auf öffentliche politische lungsfreiheit wolle die freie Meinungsäußerung gewährleisten (in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. I I , S. 143 f.), andererseits aber seine schon früher vertretene umfassende Definition wiederholt (ebd., S. 144). 122 RG, Urt. v. 25. 9.1924, JW 1925, S. 1122; RG, Urt. v. 17.11.1924, JW 1925, S. 986 f. m i t ablehnender A n m e r k u n g von Mannheim, der abweichende M e i nungen zitiert und vor allem darauf hinweist, daß der Begriff der Versamml u n g i m Vereinsrecht nicht überall die gleiche Bedeutung hat. 123 K G , Urt. v. 10. 6.1921, JW 1921, S. 1092 m i t zustimmender A n m e r k u n g von Giese. 124 v. Jan, RVG, S. 55 ff., S. 59. 125 Drucksachen des Reichstags, 12. Legislaturperiode, 1. Session 1907—1908, Bd. 6, Drucks.-Nr. 482, Begründung S. 29. 126 VO v. 28.3.1931, RGBl. I S.79; VO v. 17.3.1932, RGBl. I S. 133; VO v. 14. 6.1932, RGBl. I S. 297; V O v. 28. 6.1932, RGBl. I S. 339; V O v. 19.12.1932, RGBl. I S. 548; VO v. 4.2.1933, RGBl. I S. 35; einen Überblick über die einschlägigen Verordnungen gibt Karl Schmidt, Das Vereins- u n d Versammlungsrecht nach den Notverordnungen i m Vergleich zur Reichsverfassung u n d zum RVG, Diss. Gießen 1934.
40 Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
Versammlungen sowie Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel beschränkt, während minder schwere Eingriffe, wie ζ. B. das Anwesenheitsrecht der Polizei, alle öffentlichen Versammlungen erfaßte. Selbst hier w i r d also deutlich, daß die Versammlungsfreiheit Zusammenkünfte durchaus unpolitischer A r t umgreift. Die freiheitsfeindliche Entwicklung fand ihren vorläufigen Höhepunkt m i t der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933127, welche die wesentlichen Grundrechte außer K r a f t setzte, u. a. die Versammlungsfreiheit. Damit wurde die Rechtstradition, die seit der Zeit des Vormärz kontinuierlich verlaufen war, abrupt unterbrochen. Erst die Verfassungen der deutschen Länder nach 1945 und das Grundgesetz von 1949 knüpften hier m i t einem neuen Grundrechtskatalog wieder an. II. Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz Unter der Herrschaft des Grundgesetzes haben die Grundrechte eine viel bedeutendere Stellung erlangt als i n der Zeit der Weimarer Republik. Ihre herausragende Bedeutung i m Wertsystem der Verfassung dokumentiert sich offenkundig darin, daß das Grundgesetz — anders als die Reichsverfassung von 1919 — den Grundrechtsanteil an seinen Anfang gestellt hat. Das Bundesverfassungsgericht nennt „die Achtung vor den i m Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten" an erster Stelle unter den grundlegenden Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung 1 2 8 . Nicht zuletzt das Instrument der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) hat dazu beigetragen, die Grundrechte über die Bedeutung bloßer Deklamation hinauszuheben. Merkwürdigerweise ist aber gerade zur Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen 129 . Das mag einmal daran liegen, daß sich das Versammlungswesen seit Erlaß des Grundgesetzes meistens i n ruhigen Bahnen bewegt hat. Nur i n den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik kam es gelegentlich zu Ausschreitungen, insbesondere auf Grund der politischen Konfrontation zur KPD 1 3 0 . Der Verbotsantrag der Bundesregierung vom 22. 11. 1951 gegen die K P D 1 3 1 sowie die mehr und mehr bejahende Hal127
RGBl. I S. 83. BVerfGE 2, 1 (13) — SRP-Urteil; BVerfGE 12, 45 (51) bezeichnet das GG als „eine wertgebundene Ordnung, die den Schutz von Freiheit und M e n schenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt". 129 Vgl. Leibholz/Rinck, A n m . zu A r t . 8 GG. 130 Vgl. U r t e i l des O L G Braunschweig v. 9.1.1953 i n DVB1 1953, S. 252. 131 M i t U r t e i l des B V e r f G v. 17. 8.1956 wurde die K P D dann als verfassungswidrig verboten (BVerfGE 5, 85). 128
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
41
tung der Sozialdemokraten zu den Grundlinien der westdeutschen Polit i k führten jedoch zu einer wesentlichen Beruhigung des politischen Lebens. Erst m i t den Studentendemonstrationen der Jahre 1967 bis 1969 kam es wieder zu lebhaften Versammlungen, aber auch zu Ausschreitungen. Zahlreiche gerichtliche Entscheidungen folgten. Es ist der Amnestie vom 20. Mai 1970132 zuzuschreiben, daß schließlich keine auf Art. 8 GG gestützte Verfassungsbeschwerde eines Demonstrationstäters vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden ist. Das Fehlen verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Versammlungsfreiheit mag ferner darauf zurückzuführen sein, daß Behörden und Polizei heute öffentliche Versammlungen nicht mehr so argwöhnisch und schikanös behandeln wie früher, insbesondere vor Erlaß des RVG von 1908133. Konflikte zwischen Bürger und Obrigkeit — die häufigste Grundlage einschlägiger gerichtlicher Entscheidungen — sind dadurch seltener geworden. Eine an den freiheitlichen Idealen des Grundgesetzes orientierte Literatur, aber auch die Rechtsprechung haben viel dazu beigetragen, dem behördlichen und polizeilichen Einschreiten gegen Versammlungen rechtsstaatliche Schranken zu setzen. Demgegenüber ist die Diskussion über den Begriff der Versammlung in den Hintergrund getreten. Trotzdem gibt es eine Fülle von Äußerungen zu diesem Thema. 1. Die verschiedenen Meinungen zum Versammlungsbegriff
Unter den Stellungnahmen zum Versammlungsbegriff des Grundgesetzes stehen sich i m wesentlichen zwei i n etwa gleich starke, aus der früheren Literatur und Rechtsprechung bereits bekannte Auffassungen gegenüber. Die einen sprechen von einer Versammlung nur dann, wenn Menschen zusammenkommen, um „öffentliche Angelegenheiten gemeinsam zu erörtern oder eine gemeinsame Kundgebung zu veranstalten" 134 . Die anderen lehnen die Beschränkung auf öffentliche Angelegenheiten 132
BGBl. I S. 509. 133 v g l . die Ausführungen des Abgeordneten Heine vor dem Reichstag i n den Beratungen zum R V G (oben A I 3 b). 134 Aus der L i t e r a t u r zum Versammlungsrecht: Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 304; Füßlein, VersG, S. 22; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 443; Dietel/ Gintzel, VersG, § 1 A n m . 1 f.; Potrykus, Erbs/Kohlhaas, Anm. 3 zu § 1 VersG; Geeb, Das deutsche Bundesrecht, Erläuterungen zum VersG, S. 10; Samper, Demonstrations- u n d Versammlungsrecht, S. 18 f.; ders., B a y V B l . 1969, S. 77 (78); Janknecht, GoltdA 1969, S. 33; Leisner, A r t . „Versammlungsfreiheit", Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2372; ferner die gesamte Rechtsprechung: BVerwG, D R i Z 1969, S. 158; O L G Hamburg, M D R 1965, S. 319; BayObLG, N J W 1970, S. 479; A G Esslingen, N J W 1968, S. 799. I n Arbeiten, die sich n u r am Rande m i t der Versammlungsfreiheit befassen, w i r d oft der enge V e r sammlungsbegriff aus Mangoldt/Klein übernommen, so z. B. Berg, K o n k u r renzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 102.
42 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
ab, sehen die Versammlungsfreiheit aber „eingebettet in die Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit" 135 und verlangen daher als K r i t e r i u m „gemeinsame Erörterungen oder Kundgebungen" 136 . Daneben w i r d von einer Minderheit weiterhin die umfassende Auslegung vertreten, die jeden möglichen Zweck als verbindendes Element einer Versammlung anerkennt, nach der die Versammlungsfreiheit also auch gesellige Zusammenkünfte schützt 137 . a) Beschränkung auf die öffentliche
Meinungsbildung
Bei den Befürwortern der ersten, engen Interpretation finden sich i m wesentlichen drei Argumente. Zum einen w i r d die Versammlungsfreiheit nur i n einer „Komplementärfunktion zur Meinungsfreiheit bei der Vorformung des politischen Willens" 1 3 8 gesehen. Zweifellos spielen sowohl Meinungs- als auch Versammlungsfreiheit eine eminent wichtige Rolle bei der Willensbildung des Volkes 139 . Es ist jedoch nicht einzusehen, warum jene Grundrechte auf die politische Funktion beschränkt sein sollen. Für die Meinungsfreiheit lehnt die allgemeine Meinung eine derartige Einengung ab 14 ·. Dann bleibt aber die Frage offen, aus welchem Grund gerade das Versammlungsrecht nur i n seiner politischen Ausrichtung anerkannt werden sollte 141 . 135
Ress, Demonstration u n d Straßenverkehr, S. X X I . Hamann/Lenz, A r t . 8 A n m . Β 5; v. Mangoldt, GG, A r t . 8 Anm. 2; Wernicke, B K A r t . 8 A n m . I I 1 b; Brinkmann, Grundrechtskommentar, A r t . 8 A n m . I 1 d; Feldmann/Geisel, Deutsches Verfassungsrecht, S. 35; Maunz, Staatsrecht, S. 121; Ekkehart Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, Tübingen 1968, S. 137; Trubel/Hainka, VersG, S. 26; Enderling, VersG, S. 24; Ott, VersG, S. 52 f.; ders., Demonstrationsrecht, S. 19; ders., N J W 1969, S. 454; Fuhrmann, Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, A n m . 4 zu § 1 VersG (S. 602); Drews/Wacke, A l l g e meines Polizeirecht, S. 144; Wimmer, M D R 1964, S. 280 (281); Stümper, DÖV 1960, S. 116; Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (396 ff.); ders., i n S t u K V 1967, S.230; Leitenberger, Die Verwaltungspraxis 1969, S. 169 (170); Frowein, N J W 1969, S. 1081; Eberhard, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 84 ff. (88); Bäumen, Sinn u n d Grenzen der Vereins- u n d Versammlungsfreiheit, S. 7; Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 127; w o h l auch L A G Hamm, N J W 1955, S. 1415 f.; vgl. ferner die Lösungsskizze i n B a y V B l 1968, S. 289. 137 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 43; Mallmann, A r t . „Vereinsu n d Versammlungsfreiheit", Staatslexikon, Bd. V I I I , Sp. 108; Vogel, Das Recht auf Demonstration, S. 21; anscheinend ebenso v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 22; Süsterhenn/Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz, Koblenz 1950, A r t . 12 A n m . 3. 138 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 164; Hesse zeigt jedoch bei der Definition der Versammlung keine klare L i n i e gegenüber seinem theoretischen Ausgangspunkt. 139 BVerfGE 20, 56 (97 f.). 140 ζ. B. Hesse, S. 158. 141 I n den anderen westlichen Staaten findet sich nirgends eine entsprechende Einschränkung der von einer Versammlung zu behandelnden Gegenstände (vgl. Buschbeck, Demonstration und Straßenverkehr, S. X X X X V I ) . 136
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
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Eine Variante des geschilderten Arguments findet sich bei Dietel/ Gintzel, welche die Versammlungsfreiheit als aktives Statusrecht bezeichnen, das die „Möglichkeit zur Teilnahme am komplexen Prozeß der politischen Willensbildung eröffnet" 142 . Damit ist sicherlich ein bedeutsamer Aspekt der Versammlungsfreiheit richtig beschrieben, aber es ist noch nicht erklärt, warum dieser Aspekt den ganzen Inhalt des Grundrechts ausmachen sollte. Gewichtiger erscheint demgegenüber der Hinweis auf die historische Entwicklung der Versammlungsfreiheit — genauer: die „Geschichte des gegen den Staat gerichteten Kampfes um die Gewährung dieses Grundrechts" 143 . Darin steckt letztlich allerdings — wie schon bei v. Jan — nichts anderes als der wenig überzeugende Schluß von den Schranken auf den Inhalt eines Grundrechts. Es trifft zu, daß in der Vergangenheit i m wesentlichen politische Zusammenkünfte das Ziel von Eingriffen der Staatsgewalt waren, und daran entzündete sich oftmals der Kampf um die Versammlungsfreiheit. Aber das Bedürfnis des Menschen, sich mit anderen zu versammeln, geht weiter. Es ist dieses weit gespannte Bedürfnis, an dem sich die Auslegung des Grundrechts orientieren muß, nicht die Richtung der häufigsten Einschränkungen 144 . Außerdem trifft es einfach nicht zu, daß i n der Vergangenheit nur politische Versammlungen staatlichen Eingriffen unterworfen waren. Ein Beispiel gibt die Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. 10. 1890145. Das Preußische Vereinsgesetz von 1850 schloß Frauen von der Teilnahme an Versammlungen politischer Vereine aus (§ 8 Abs. 3). Das OVG erklärte diese Vorschrift für einen von einem politischen Verein veranstalteten Leseabend für anwendbar, in dem unter M i t w i r k u n g mehrerer Frauen ein Drama mit verteilten Rollen gelesen werden sollte. Die Veranstaltung wurde verboten. Wohl steht hinter derartigen Eingriffen immer irgendein politischer Gesichtspunkt (hier z. B. die Bekämpfung des veranstaltenden politischen Vereins), aber der Fall beweist, daß auch ganz unpolitische Versammlungen manchmal als potentiell gefährlich erachtet werden. Man denke ferner daran, daß i n Ausnahmesituationen immer wieder Zusammenkünfte, die eine bestimmte Teilnehmerzahl überschreiten, verboten werden 1 4 6 . 142
Dietel!Gintzel, VersG, S. 1. Samper, Demonstrations- u n d Versammlungsrecht, S. 18; ähnlich Füßlein, VersG, S. 22; ders., i n : Die Grundrechte, Bd. I I , S. 443. 144 Auch das BVerfG bezeichnet es als „bedenklich, den Wirkungsbereich des Grundrechts v o m Schrankenvorbehalt her zu bestimmen" (NJW 1971, S. 2299, 2300). 145 p r o V G E 20, 432. 146 His (Geschichte des neueren schweizerischen Staatsrechts, Basel 1920, S. 467) berichtet, daß der Stadthalter von Bern anläßlich des Staatsstreichs v o m 28. Okt. 1801 alle Versammlungen von über 5 Personen verbot. 143
44 Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
Hier fragt kein Mensch nach dem Zweck des Beisammenseins. Gänzlich unberechtigt ist es schließlich, wenn sich Klein zur Begründung seiner engen Auslegung des Versammlungsbegriffs auf „eine seit dem RVG (feststehende) Rechtslehre, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis" beruft 1 4 7 . Wenn der historische Überblick eines bewiesen hat, dann ist es doch der Mangel an Ubereinstimmung in Rechtsprechung und Lehre zum Versammlungsgesetz 148 . Gerade die restriktive Interpretation fand immer nur wenige Befürworter. Erst nach Erlaß des Grundgesetzes hat sie größere Bedeutung erlangt. b) Koppelung
an die Meinungsfreiheit
Die zweite, vermittelnde Auffassung, die für eine Versammlung die Erörterung irgendwelcher Angelegenheiten genügen läßt, unterscheidet sich von der engen Interpretation i m Ergebnis nur dadurch, daß sie auch Gesellschafts- oder Betriebsversammlungen u. ä., keinesfalls aber gesellige Zusammenkünfte unter Art. 8 subsumiert 149 . Sie stützt sich i m Grunde nur auf eine These, i m übrigen beschränkt sie sich darauf, die weite Auslegung Herzogs zu negieren. Nach der einzigen zentralen These ist Zweck des Versammlungsrechts, „das Grundrecht der freien geistigen Wirksamkeit (Art. 5) i m Bereich der Sozietät . . . zu garantieren" 1 5 0 . Damit w i r d die Koppelung der Versammlungsfreiheit an die gleichzeitige Ausübung der Meinungsfreiheit konstatiert, aber nicht begründet. Eine Begründung w i r d sich wohl auch schwer finden lassen, zumal für das deutsche Recht, wo die Versammlungsfreiheit seit den ersten Anfängen einer selbständigen Grundrechtsentwicklung — nicht wie teilweise in Frankreich und vor allem in Amerika 1 5 1 — neben die Meinungsfreiheit gestellt, sondern i m Zusammenhang m i t der Vereinsfreiheit gesehen wurde. Es besteht kein Zweifel, daß Art. 9 GG alle Arten von Vereinen schützt ohne Rücksicht auf die A r t des verfolgten Zwecks, sofern der Zweck nur rechtmäßig ist. Warum sollte für Versammlungen etwas anderes gelten? § 1 RVG sagte das deutlich, indem er sowohl Vereins- als auch Versammlungsfreiheit zu allen Zwecken garantierte, die den Strafgesetzen nicht zuwiderliefen. Daß die Koppelung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit in sich kein schlüssiges Argument ist, zeigen die widersprüchlichen Ausführungen Otts, der für die Versammlung zunächst lediglich „eine (ergänze: 147
Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 304. Vgl. Ott, Demonstrationsrecht, S. 16. 149 Hamann/Lenz A r t . 8 Anm. Β 5. 150 Wernicke , B K , A r t . 8 A n m . I I 1 b. 148
151
Vgl. Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 40 f., 41 ff.
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
45
irgendeine) bestimmte gemeinsam verfolgte Absicht, einen gemeinsamen bewußten Zweck, ein gemeinsames Wollen" voraussetzt, dann aber den Begriff ohne weitere Erklärung auf die Erörterung, Beratung oder Kundgebung bestimmter Angelegenheiten einschränkt 152 . c) Umfassender
Wirkungsbereich
der
Versammlungsfreiheit
So bleibt denn die Mindermeinung, die einen umfassenden Versammlungsbegriff vertritt. Sie ist nur von Herzog eingehender begründet worden 1 5 3 . Er erkennt an, daß die politische, genauer noch, die demokratische Funktion des A r t . 8 GG einen wesentlichen Gesichtspunkt der Versammlungsfreiheit trifft, denn die Kommunikation der Menschen untereinander ist „eine fundamentale Voraussetzung jeder freien Meinungsbildung i m Staatsvolk" 1 5 4 . Herzog stellt A r t . 8 GG ausdrücklich i n eine Reihe m i t den anderen demokratischen Grundrechten des Grundgesetzes — A r t . 5, 9, 16, 17 — betont jedoch, es sei zu eng, „ i h n nur als Grundrecht des einzelnen zum Schutze einer bestimmten Staatsform zu verstehen", vielmehr stehe die Gewährleistung der Persönlichkeitsentfaltung in Gruppenform zumindest gleichberechtigt daneben 155 . Sinn des Versammlungsrechts sei auch der Schutz des Individuums vor der systematischen Isolierung, die dem totalitären Staat heute durchaus möglich und auch zuzutrauen sei 156 . Demgemäß begreift Herzog als Versammlung jedes Beisammensein mehrerer Menschen zu einem rechtmäßigen Zweck 157 . Dieser Ansicht ist der V o r w u r f gemacht worden, sie führe zur Konturlosigkeit des Versammlungsbegriffs 158 . Dem Argument ist bereits das OLG Karlsruhe i m Jahre 1910 entgegengetreten, indem es an die Stelle der Eingrenzung auf bestimmte Zwecke die Notwendigkeit einer „inneren Vereinigung" der Versammelten gesetzt hat 1 5 9 . Herzog verlangt praktisch das gleiche, nämlich eine „innere Verbindung", d. h. daß sich
152
Ott, N J W 1969, S. 454. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 1 ff., 39 ff. 154 Herzog, A r t . 8 A n m . 2. 155 Herzog, A r t . 8 A n m . 3. 156 Herzog, A r t . 8 A n m . 40. 157 Damit k n ü p f t Herzog unmittelbar an A r t . 1 R V G an, der das Recht gab, sich „zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen" zu versammeln. M e r k w ü r d i g ist nur, daß Herzog darauf verzichtet, sich auf die früher so zahlreichen, ebenso weiten Interpretationen zu berufen, allen voran RGSt 21, 71 ff. 158 Ott, Demonstrationsrecht, S. 18. 159 O L G Karlsruhe, Badische Rechtspraxis, 12. Jahrgang, S. 186; vgl. oben A I 4c. 153
46 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
die Versammelten „ihres Beisammenseins bewußt sind und daß sie es auch wollen (bejahen)" 160 . M i t einem neuen Argument hat Frowein seine Ablehnung der weiten Interpretation des Versammlungsbegriffs begründet 161 . Er verweist auf Art. 74 Nr. 3 GG, wonach der Bund die konkurrierende Gesetzgebung für „das Vereins- und Versammlungsrecht" hat. Diese Kompetenzzuweisung umgreife keinesfalls „die Regelung von Kino- und Theaterveranstaltungen, wissenschaftlichen Vorträgen, Familienfesten u. ä.". I n der Auslegung des Art. 74 Nr. 3 GG ist Frowein zuzustimmen; sein Schluß von der Zuständigkeitsvorschrift auf den Wirkungsbereich eines Grundrechts ist aber abzulehnen. Das Problem berührt die äußerst umstrittene Frage nach der materiell-rechtlichen Bedeutung von Kompetenznormen. I n gewissen Grenzen kann diese Bedeutung nicht geleugnet werden. So gab Art. 73 Nr. 1 GG in der Fassung vor Erlaß des 17. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968162 dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die „Wehrpflicht für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an". Damit war materiell klargestellt, daß die Wehrpflicht nicht für Frauen und für Männner unter 18 Jahren eingeführt werden konnte 1 6 3 . Dieser Ansicht dürfte zu folgen sein, wenn auch eine gewisse Systemwidrigkeit darin liegt, solche Ermächtigungsnormen an einer Stelle unterzubringen, an der eigentlich nur Bundesgegen Länderkompetenzen abgegrenzt werden. Deshalb warnt Maunz zu Recht vor einer Ausdehnung der materiellen Deutung von Zuständigkeitsnormen 164 . Wenn Frowein nun die Ansicht vertritt, die Gewährung der Versammlungsfreiheit i n Art. 8 GG könne nicht weit ausgelegt werden, w e i l sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 Nr. 3 GG nur auf ein eng verstandenes Versammlungs-
160 Herzog, A r t . 8 A n m . 41. Frowein, N J W 1969, S. 1081. 162 B G B l I S. 709. 163 Mangoldt/Klein, Bd. I I , S. 1338 ff.; dagegen aber Hamann/Lenz, vor A r t . 1 Anm. 8 (S. 125) m i t Nachw. 164 Maunz, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 73 A n m . 7. Demgegenüber v e r t r i t t ζ. B. Ehmke (VVDStRL 20, S. 53, 86 ff., insbesondere S. 89 u. 91) die Ansicht, den Zuständigkeitsvorschriften komme generell eine materielle Bedeutung bei der Auslegung der Grundrechte zu. Dieser Ansicht k a n n nicht gefolgt werden. Gerade die erwähnte Bestimmung des A r t . 73 Nr. 1 GG, der m i t der Regelung der Wehrpflicht eine materielle W i r k u n g i m Rahmen der Grundrechte entfaltete (vgl. BVerwG, DVB1 1959, 593, 594), w u r d e v o m Verfassungsgeber offensichtlich als „systematisch wenig befriedigend" angesehen (Schmidt-Bleib treu/ Klein, A r t . 12 a A n m . 3), m i t der Folge, daß die entsprechende Ermächtigung aus den Zuständigkeitsbestimmungen des Grundgesetzes heraus i n den Grundrechtsteil als neuer A r t i k e l 12 a übernommen wurde. Damit hat der Verfassungsgeber selbst gezeigt, daß Zuständigkeitsvorschriften grundsätzlich keine materielle Bedeutung für die Bestimmung des Inhalts der Grundrechte zukommen soll. 161
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
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wesen beziehe, so begeht er genau den Fehler, vor dem Maunz gewarnt hat. Ein weiteres muß sich Frowein entgegenhalten lassen. Die Schöpfer des Grundgesetzes haben gerade i m Gesetzgebungskatalog der Art. 73 und 74 GG an geschichtlich gewachsene Begriffe und an den historischen Zusammenhang i n der deutschen Gesetzgebung angeknüpft 165 . Man w i r d daher nicht fehlgehen, wenn man unter A r t . 74 Nr. 3 GG i n etwa den Bereich subsumiert, den schon das RVG von 1908 und frühere Vereinsgesetze deutscher Länder geregelt haben. Gerade das RVG hat indessen klar gezeigt, daß es aus dem weiten Gebiet der Versammlungsfreiheit nur einen Ausschnitt regeln wollte 1 6 6 . Entsprechend gewährt auch das Grundgesetz eine umfassende Versammlungsfreiheit, gibt dem Bund aber nur eine beschränkte Kompetenz über das Versammlungswesen. Der Begriff der Versammlung ist daher in Art. 8 GG weiter als in A r t . 74 Nr. 3 GG zu verstehen, wie ja auch das auf Grund Art. 74 Nr. 3 GG erlassene Versammlungsgesetz von 1953 nur einen Teil der grundrechtlich geschützten Versammlungen Beschränkungen unterwirft 1 6 7 . 2. Der Schutzzweck der Versammlungsfreiheit
Inzwischen ist wohl deutlich geworden, daß dem weiten Versammlungsbegriff der Vorzug zu geben ist. Dennoch bedarf dieses Ergebnis weiterer Begründung, da sich die bisherigen Ausführungen, soweit sie nicht rein historisch-darstellender A r t waren, i m wesentlichen auf die Ablehnung der entgegenstehenden Auffassungen beschränkt haben. Eine selbständige Begründung des Versammlungsbegriffs, die nicht einfach auf früher vertretene Interpretationen Bezug nimmt, kann nur auf einer Erörterung von Sinn und Zweck des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aufbauen. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt klargestellt, daß die Grundrechte i n erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen 168 . Die verschiedenen Grundrechte 165 BVerfGE 3, 407 (414f.); 7, 29 (44). v. Bethmann-Hollweg, vor dem Reichstag: „Gewiß gibt es eine Menge Vereine rein auf geselligem, wissenschaftlichem u n d künstlerischem Gebiet, aber . . . nach dem E n t w u r f des Vereinsgesetzes interessieren uns . . . i m wesentlichen n u r die politischen Vereine und die politischen Versammlungen" (Verhandlungen des Reichstags, 12. Legislaturperiode, 1. Session 1908, Bd. 232 der Stenographischen Berichte, S. 4562). 167 M i t Recht weist Herzog (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 45 ff.) darauf hin, daß das Versammlungsgesetz keineswegs alle durch A r t . 8 GG geschützten Versammlungen betrifft. iss BVerfGE 7, 198 (204 f.); 13, 318 (325 f.). Diese F u n k t i o n der Grundrechte w i r d i m allgemeinen als „status negativus" bezeichnet (Mangoldt/Klein, Bd. I, 166
48 Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
schützen jeweils einen bestimmten Ausschnitt der Freiheitssphäre des einzelnen. Welchen Teil der individuellen Freiheitssphäre deckt nun A r t . 8 GG? Das Verlangen des Menschen nach Gemeinschaft m i t anderen ist ein derart ursprüngliches und eigenständiges Bedürfnis, daß es w o h l wert ist, durch einen besonderen Grundrechtsartikel geschützt zu werden. Es bedarf nicht Orwell'scher Visionen, um zu erkennen, wie wenig gesichert der Mensch i n diesem elementaren Bedürfnis vor staatlichen Eingriffen ist. Ohne einen besonderen Grundrechtsschutz aber wäre das menschliche Streben nach Gemeinschaft m i t anderen nur i m Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung des Art. 2 GG gewährleistet, d. h. nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, es wäre einem nahezu unbeschränkten Gesetzesvorbehalt unterworfen 1 6 9 . Schon der liberale Staatsrechtler des Vormärz, Carl Theodor Welcker hatte die grundlegende Wichtigkeit der freien Assoziation erkannt, indem er sie als „die wesentlichste Grundform menschlicher Bildung" und als das „älteste Menschenrecht" bezeichnete 170 . Das von Welcker angesprochene Assoziationsstreben des Menschen äußert sich in zwei Formen: der Verein, dem ein dauerndes Ziel zugrunde liegt, ist auf einen längeren Zeitraum berechnet; die Versammlung hingegen ist ein einmalig zusammengetretener Augenblicks verb and. So wie Vereine sich m i t jedem nur denkbaren Zweck beschäftigen können — selbst der kleine Schachklub w i r d durch A r t . 9 Abs. 1 GG geschützt 171 —, so sind auch kurzzeitige Zusammenkünfte nicht auf irgendeinen bestimmten Zweck beschränkt. Das Assoziationsstreben umfaßt vielmehr sämtliche Bereiche menschlicher Aktivitäten, ja das Sich-Versammeln ist i m Grunde eine A k t i v i t ä t für sich, die nicht nur i m Hinblick auf den gemeinschaftlich verfolgten Zweck, sondern aus sich selbst heraus schutzwürdig ist.
S. 59; kritisch: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 118). Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, die w o h l auch heute noch von der herrschenden Meinung geteilt w i r d , w i r d i n neuerer Zeit verschiedentlich i n Frage gestellt. Nicht der staatsabwehrende, sondern der gemeinschaftsbezogene Gehalt der Grundrechte w i r d i n den Vordergrund gestellt (Nachweise hierzu bei Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 34 ff., w o die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden A n sichten eingehend diskutiert, aber letztlich doch abgelehnt werden). Speziell zur Versammlungsfreiheit meint Ossenbühl (Der Staat, Bd. 10, S. 53, 55), diese bedeute „ i n ihrem K e r n nicht Freiheit v o m Staat . . . sondern Freiheit zum und durch den Staat". 169 Vgl. BVerfGE 6, 32 (37 ff.) — Elfes-Urteil. 170 Welcker, Staatslexikon, Bd. I, S. 732; vgl. auch oben A l l a . 171 Hamann/Lenz (Art. 9 A n m . Β 2) betonen das Erfordernis einer weiten Auslegung des A r t . 9 Abs. 1 GG.
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
49
Auch Peter Schneider nimmt „die traditionelle Zuordnung von Vereinsfreiheit und Versammlungsfreiheit" als Ausgangspunkt seiner Interpretation 172 . Diese Zuordnung erweise die Versammlungsfreiheit „als ein Recht des status negativus, als die Freiheit vom Staat, sich m i t anderen Menschen zu assoziieren, als ein Stück der Kommunikationsfreiheit". Schneider folgert daraus, wie ehedem Welcker, daß selbst das private Treffen einiger Freunde „zur vergnüglichen Landpartie" geschützt sei. Natürlich ist das für uns eine bare Selbstverständlichkeit, und deswegen weist man die private Kommunikation auch gerne dem unüberschaubaren Wirkungsbereich des Art. 2 GG zu, jenem grundrechtlichen Allgemeinplatz, der zu nichts verpflichtet. Aber sollte das Selbstverständliche einmal nicht mehr selbstverständlich sein — Peter Schneider verweist auf das Beispiel Griechenlands —, dann würde sich Art. 2 GG wohl bald als zu schwach erweisen, um das elementare Assoziationsund Kommunikationsbedürfnis des Menschen zu schützen. Dagegen vertritt Ossenbühl die Ansicht, politisch indifferente Versammlungen bedürften eines grundrechtlichen Schutzes überhaupt nicht 1 7 3 . Dem muß entschieden widersprochen werden. Der Mensch ist doch nicht nur i n seinen politischen Aktivitäten schutzwürdig, sondern i n allen seinen individuellen Äußerungen. Ich vermag durchaus nicht einzusehen, warum gerade das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auf seinen politischen Bezug beschränkt werden soll. Es ist w o h l richtig, daß i n der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1972 private, völlig unpolitische Zusammenkünfte kaum gefährdet sind. Aber i m Rahmen der theoretischen Betrachtung eines Grundrechts sich so ganz und gar auf das hic et nunc zu beschränken, erscheint m i r gefährlich, denn es gibt doch genug Beispiele — auch aus unserer eigenen Geschichte —, daß selbst private Zirkel staatlichen Eingriffen ausgesetzt worden sind und daher des grundrechtlichen Schutzes bedürfen. Es soll nun nicht behauptet werden, der Sinn der Versammlungsfreiheit erschöpfe sich i n dem individual-rechtlichen Bezug. Das menschliche Assoziationsbedürfnis gewinnt vielmehr für den Staat und insbesondere für den demokratischen Staat eine herausragende Bedeutung dann, wenn Bürger miteinander eine Gemeinschaft bilden, um öffentliche oder politische Angelegenheiten zu erörtern oder u m ihre Meinung zu solchen Angelegenheiten kundzugeben. Hier dient die Versammlung der freien Meinungs- oder Willensbildung des Volkes und h i l f t so, dem Demokratiegebot des A r t . 20 Abs. 1 GG Geltung zu verschaffen 174 . Die 172
173 174
Schneider, Festschrift für W. E. Mühlmann, S. 254.
Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (55). Vgl. BVerfGE 20, 56 (98).
4 Müller
50 Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
gesteigerte Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die Demokratie darf aber andererseits nicht dazu verleiten, den Blick auf diesen Teilbereich des menschlichen Gemeinschaftsstrebens zu verengen. 3. Der Versammlungsbegriff des Art. 8 G G
a) Allgemeine
Begriffsbestimmung
Wenn also Art. 8 GG das Bedürfnis des Individuums nach Gemeinschaft m i t anderen schützt, dann gilt die Versammlungsfreiheit für jede Zusammenkunft von Menschen, die durch den Willen vereint sind, beisammen zu sein. Damit w i r d nun allerdings auf ein Moment verzichtet, das allen bisherigen Äußerungen zum Inhalt der Versammlungsfreiheit gemeinsam ist. Selbst die weitesten Interpretationen verlangen nämlich über das bloße Beisammenseinwollen hinaus einen die Versammelten verbindenden Zweck 175 . Sie schützen also nicht das Zusammensein, sondern das auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Zusammenwirken. Das Assoziationsbedürfnis äußert sich jedoch primär i n dem bloßen Wunsch nach Gemeinschaft mit anderen; das Wirken i n Gemeinschaft ergibt sich daraus als zweite Stufe 176 . I m übrigen mag es durchaus Zusammenkünfte geben, deren Zweck sich i m einfachen Beisammensein erschöpft, worauf bereits die preußische Verfassungskommission i m Jahre 1849 hingewiesen hat 1 7 7 . So ist denn als eine Versammlung jedes Beisammensein von Menschen anzusehen, denen es darauf ankommt, beisammen zu sein. I n dem Wunsch beisammen zu sein, erschöpft sich die innere Vereinigung, die das Reichsgericht und i m Anschluß daran das OLG Karlsruhe für eine Versammlung verlangten 1 7 8 bzw. die innere Verbindung, die Herzog voraussetzt 17 ·. 175 So auch das österreichische Recht (vgl. Ress, Demonstration u n d Straßenverkehr, S. 111). Bei Herzog (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 Anm. 42) werden allerdings gewisse Vorbehalte gegenüber dem zusätzlichen Erfordernis eines bestimmten Zwecks sichtbar. 176 I m Unterschied dazu stellt das heute so oft gebrauchte Wort Demonstrat i o n den Zweck der Versammlung i n den Vordergrund, nämlich den, durch das Auftreten der Versammelten (falls nicht ausnahmsweise eine Einzeldemonstration vorliegt) eine Außen Wirkung zu erzielen (vgl. Ress, S. I X ) . 177 Vgl. oben A I 3 a. Nach der Rechtsprechung des italienischen Cassationshofes unterscheidet sich die Versammlung von der bloßen Ansammlung durch das einheitliche Bewußtsein eines gemeinsamen Zwecks oder durch einen psychologischen Zusammenhalt (Bleckmann, Demonstration u n d Straßenverkehr, S. 78) ; der übergeordnete Zweck ist danach kein notwendiges M e r k m a l der Versammlung. 178 RGSt 21, 71 (73); O L G Karlsruhe, Badische Rechtspraxis, 12. Jahrg., S. 186 (187). 179 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 41.
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
b) Beispielhafte
51
Erläuterung
Versuchen w i r nun, den abstrakt formulierten Begriff m i t Beispielen auszufüllen! Eine politische Zusammenkunft, sei es zur Demonstration, sei es zur Erörterung oder Beratung, ist natürlich eine Versammlung, da sie das bewußte und gewollte Zusammensein der Demonstranten bzw. der Beratenden voraussetzt. Keinen Zweifel gibt es für die entsprechende Qualifizierung des Sitzstreiks 180 , da das Anliegen der „Streikenden" nur durch ihren inneren und äußeren Zusammenhalt w i r k t . Auch die politische Veranstaltung, in der nur ein prominenter Redner auftritt, ist eine Versammlung, da hier eigentlich der Demonstrationszweck i m Vordergrund steht, der wiederum nur durch die Anwesenheit der versammelten Zuhörer erfüllt wird. Wenn Hamann/Lenz Gesellschafter- und Betriebsversammlungen unter Art. 8 GG subsumieren 181 , so ist das vom hier vertretenen Standpunkt aus zu bejahen, da nur das Zusammensein die Beratung ermöglicht. Ebenfalls eine Versammlung bilden die Teilnehmer eines wissenschaftlichen Kongresses 182 , denn es geht hier nicht u m das Dozieren vom Katheder herab, das keine Gemeinschaft der Zuhörer verlangt — deshalb sind weder die Schulklasse 183 noch die Vorlesung i n der Universität Versammlungen —, sondern darüber hinaus um das persönliche Kennenlernen und um den gegenseitigen Erfahrungsaustausch. Weiterhin sind Klassentreffen 184 oder Betriebsausflüge von Art. 8 GG geschützt, denn gerade hier ist der Wille, beisammen zu sein, entscheidende Triebkraft für das Zustandekommen der Veranstaltung. Nachdem der Versammlungsbegriff von der Koppelung an die Meinungsfreiheit gelöst ist, ist das Treffen einiger Freunde zum gemeinsamen Musizieren oder Spielen gleichfalls eine Versammlung. Schließlich ist auch der gesellige Abend eines Vereins, das Maitänzchen einer Gesellschaft eine Versammlung, denn was wollen die Leute dort anders als beieinander sein 185 .
180 Das BayObLG (NJW 1969, S. 1127) hat die Frage offengelassen. Der B G H (NJW 1969, S. 1770, 1773) geht ohne weiteres davon aus, daß der Sitzstreik eine Versammlung i m Sinne von A r t . 8 GG ist; f ü r die Wertung als V e r sammlung auch Janknecht, GoltdA 1969, S. 33; dagegen neigt Neuberger (GoltdA 1969, S. 1, 4) zu einer gegenteiligen Auffassung. Vgl. zu der Frage Sandweg, Ist Sitzdemonstration eine Versammlung, DRiZ 1969, S. 73 f. 181 Hamann/Lenz A r t . 8 A n m . Β 5. 182 v g l Vogel, Das Recht auf Demonstration, S. 21. 183
RG, J W 1927, S. 454. 184 v g l . Vogel, Das Recht auf Demonstration, S. 21; v. Münch, Anm. 24.
BK, Art. 8
185 Es sei angemerkt, daß der belgische Staatsrat Tanzveranstaltungen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit stellt (vgl. Holderbaum, Demonstration und Straßenverkehr, S. 10).
4·
52 Α. Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
Keine Versammlung ist hingegen die Menschenansammlung, der der Wille zur Gemeinschaft fehlt, so ζ. B. die an der Bushaltestelle oder i m Bus zusammengedrängten Menschen, oder die aus Neugier, etwa wegen eines Unglückfalls zusammengelaufende Menge. Ein Markt, zu dem die Leute gehen, um einzukaufen oder Geschäfte zu machen, ist keine Versammlung. Art. 8 GG gilt aber i. d. R. auch nicht für Theater oder Konzert 1 8 6 , denn hier ist nicht das Assoziationsbedürfnis der Antrieb für das Zusammensein, sondern der Wunsch nach Teilhabe am kulturellen Leben, das kein Beisammensein voraussetzt. Selbst der Wunsch, andere Leute zu sehen oder von ihnen gesehen zu werden, ist kein Ersatz für das Assoziationsbedürfnis. Gleiches wie für Theater und Konzert gilt für den öffentlichen Vortag; dagegen ist eine geschlossene Gruppe, die sich anläßlich eines Vortrages trifft, durchaus als eine Versammlung anzusehen. Es soll keineswegs behauptet werden, der hier entwickelte Versammlungsbegriff erlaube klarere Abgrenzungen als die bisherigen Definitionen. Schwierigkeiten hat es in Grenzfällen schon immer gegeben und sie sind auch jetzt nicht ausgeschlossen. Entscheidend ist aber, die Zielrichtung des Art. 8 GG zu erkennen, der das Assoziationsbedürfnis der Menschen schützt, nicht etwa nur die gemeinschaftliche Erörterung von Angelegenheiten. c) Begrenzung des Versammlungsbegriffs
entwickelten auf Art. 8 GG
Der nun abstrakt und anhand von konkreten Beispielen entwickelte Versammlungsbegriff kann sinnvoll indessen nur bei der Gewährleistung der Versammlungsfreiheit, d. h. in Art. 8 GG gelten. Soweit Beschränkungen i n Frage stehen, muß wiederum nach deren Bedeutung und Ziel gefragt und danach ihr Anwendungsbereich bestimmt werden. Bereits Art. 8 Abs. 2 GG enthält die Möglichkeit von Beschränkungen für Versammlungen unter freiem Himmel. Es besteht indessen kein A n haltspunkt, daß der Verfassungsgeber hier einen anderen Versammlungsbegriff als den zu A r t . 8 Abs. 1 GG entwickelten zugrunde gelegt hat, vielmehr wollte er es dem Gesetzgeber überlassen, die möglichen Beschränkungen i n vernünftigem Maß zu halten, wie es ja auch dann i m Versammlungsgesetz geschehen ist. Es gilt nämlich i m wesentlichen nur für öffentliche Versammlungen 187 und diese werden sich wohl meistens auch mit öffentlichen Angelegenheiten befassen. 186
Α. M. w o h l Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 43 ; w i e hier aber O L G Karlsruhe, Badische Rechtspraxis, 12. Jahrgang, S. 186. 187 N u r ( j a s Uniformverbot i n § 3 VersG u n d einige Strafbestimmungen gelten auch für nicht-öffentliche Versammlungen (vgl. Füßlein, VersG, S. 14).
I I . Die Versammlungsfreiheit unter dem Grundgesetz
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Eine besondere A r t von Beschränkung enthält Art. 18 GG. Wenn er die Verwirkung der Versammlungsfreiheit für den Fall androht, daß sie zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mißbraucht wird, so kann sich der Verwirkungsanspruch des Bundesverfassungsgerichts eigentlich nur auf den politischen Bereich des Versammlungsrechts beziehen, denn nur i n politischen Versammlungen ist ein Kampf gegen die staatliche Ordnung möglich 188 . Schließlich enthält Art. 8 Abs. 1 GG selbst eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit, indem er sie nur für Deutsche gewährleistet. Diese Beschränkung wurde wohl aus der Besorgnis geschaffen, Ausländer könnten ihre Versammlungsfreiheit gegen die Interessen des Staates mißbrauchen. Man wollte den Ausländern nicht über die Versammlungsfreiheit ein grundrechtlich garantiertes Mitwirkungsrecht in öffentlichen Angelegenheiten geben. Der politische Gehalt der Versammlungsfreiheit ist also entscheidend für ihre Beschränkung auf Deutsche 189 . Dann ist es jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen, Ausländer auch i m privaten Bereich von der Versammlungsfreiheit auszuschließen. Der Deutschenvorbehalt i n Art. 8 GG kann vielmehr sinnvoll nur so ausgelegt werden, daß er Ausländer in politischen Angelegenheiten von der Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes ausnimmt; darüber hinaus w i r d auch für Ausländer das Versammlungsrecht durch Art. 8 GG verfassungskräftig geschützt 190 . Dem Deutschenvorbehalt jede Wirksamkeit abzusprechen, dürfte dagegen nicht zulässig sein 191 . d) Sonderprobleme
des Versammlungsbegriffs
aa) Erfordernis der Organisation Zwei Randprobleme des Versammlungsbegriffs sind bisher noch nicht zur Sprache gekommen. Da ist einmal die Frage, ob für eine Versammlung das Element der Organisation notwendig sei. Dieses Erfordernis ist zwar immer wieder diskutiert, aber i n aller Regel abgelehnt wor188
Dürig, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 18 A n m . 59. So auch die Begründung, die Bethmann-Hollweg vor dem Reichstag für die Begrenzung der Versammlungs- u n d Vereinsfreiheit auf Deutsche i m R V G gab (Reichstag, Verhandlungen 1907/1908, Stenographische Berichte, Bd. 232, S. 4662). Vgl. auch die Rechtslage i n Österreich, wo Ausländer weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter einer Versammlung zur V e r handlung öffentlicher Angelegenheiten auftreten dürfen (§8 VersG v. 1867; nach Ress, Demonstation u n d Straßenverkehr, S. 109). 190 I m Ergebnis übereinstimmend Peter Schneider, Festschrift für W. E. Mühlmann, S. 255 f. A r t . 11 der Europ. Menschenrechtskonvention, der die Versammlungsfreiheit allen Menschen garantiert, hat nach h. M. nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes (vgl. Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 33). 191 So aber Brinkmann, A r t . 8 A n m . I I a . 189
54 Α . Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit u. Versammlungsbegriff
den 192 . I n neuester Zeit ist das Problem vor allem i m Hinblick darauf akut geworden, ob Art. 8 GG Spontanversammlungen schützt, die sich ohne Planung und Leitung bilden. Da aber auch die heute herrschende Meinung 1 9 3 keine Organisation verlangt, werden Spontanversammlungen durchwegs dem Art. 8 GG zugerechnet 194 . A u f dem Boden des hier vertretenen Versammlungsbegriffs wäre es geradezu absurd, das Merkmal der Organisation vorauszusetzen, denn das Assoziationsbedürfnis der Menschen äußert sich so unmittelbar und spontan, daß ein leitendes oder ordnendes Organ i n vielen Fällen erstickend wirken würde. bb) Notwendige Teilnehmerzahl Bis heute kontrovers geblieben ist die weitere Frage nach der notwendigen Zahl der Versammlungsteilnehmer. Das Reichsgericht hatte eine „nicht allzu klein an Zahl bemessene Menschenmenge" verlangt 1 9 5 . Auf diesem Standpunkt blieben Rechtsprechung und Lehre lange Zeit stehen, ohne sich auf eine bestimmte Zahl festzulegen 196 . Erst nach Erlaß des Grundgesetzes beschränkten sich die Anforderungen an die Teilnehmerzahl auf i. d. R. drei 1 9 7 . Dagegen läßt Herzog bereits zwei Teilnehmer genügen 198 , insoweit konsequent seiner Auffassung folgend, die Versammlungsfreiheit beinhalte das Verbot der absoluten Isolierung des einzelnen. Dieser Ansicht ist zu folgen, denn das Assoziationsbedürfnis eines Menschen kann durch das Zusammensein mit nur einem anderen vollauf befriedigt sein. 192 RGSt 21, 71 (73, 74); Anschütz, Preuß. Verfassung, S. 526; RG, J W 1925, S. 1122; anderer Meinung aber z.B. Heine, RVG, S. 28; vgl. zu der entsprechenden Problematik des italienischen Rechts, Bleckmann, Demonstration und Straßenverkehr, S. 70, 79. 193 Ott, N J W 1969, S. 454; Brinkmann, A r t . 8 Anm. I 1 d; Stümper, DÖV 1900, S. 116; O L G Hamburg, M D R 1965, S. 319 (320); Potrykus, Erbs/Kohlhaas, Anm. 3 zu § 1 VersG; a. M. aber Fuhrmann (Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, A n m . 4 zu § 1 VersG, S. 602), der ein „geplantes" Zusammenkommen voraussetzt. Vgl. auch Hamann/Lenz, A r t . 8 Anm. Β 5. 194 ζ. Β. BayObLG, N J W 1970, S. 479 (480); Füßlein (VersG, § 14 A n m . 3) hält dagegen Spontanversammlungen für unzulässig. 195 RGSt 21, 71 (73). 196 RGSt 63, 136 verlangt mehr als drei Personen; w i e viele bleibt u n k l a r ; Anschütz (Reichsverfassung, S. 566) setzt eine „Vielheit von Menschen" voraus, RGSt 46, 31 (34) eine „größere Personenmehrheit". 197 Füßlein, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 444, F N 88; MangoldtjKlein, Bd. I, S. 305; Potrykus, Erbs/Kohlhaas, Anm. 3 zu § 1 VersG; O L G Hamburg, M D R 1965, S. 319; Hoff mann, JuS 67, S. 393 (396 F N 41); dagegen w i l l Frowein (NJW 1969, S. 1081 F N 10) n u r ausnahmsweise 3 bis 5 Teilnehmer genügen lassen, während er sonst einen „größeren Kreis von Personen" verlangt (ähnlich auch Hamann/Lenz, A r t . 8 A n m . Β 5). 198 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 40; ebenso Ott (NJW 1969, S. 454) u n d Dietel/Gintzel (VersG § 1 A n m . 6), w e n n auch m i t anderer Begründung; erstmalig hat w o h l Caspar (Das preußische Versammlungs- und Vereinsrecht, S. 8) die Begrenzung auf zwei Teilnehmer vorgenommen.
Β . Das Verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit Ein wesentliches Merkmal des i m ersten Kapitel entwickelten Versammlungsbegriffs ist, daß die Ausübung der Versammlungsfreiheit entgegen der heute fast allgemeinen Meinung nicht an die gleichzeitige Ausübung der Meinungsfreiheit geknüpft ist. Dieses Ergebnis ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß in zahllosen Fällen i m Rahmen einer Versammlung auch von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird 1 . Ein einheitlicher Lebensvorgang steht somit unter dem Schutz zweier Grundrechte, A r t . 8 GG und A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG. Diese Feststellung führt zu der Frage, ob beide Grundrechtsnormen jeweils den ganzen Sachverhalt erfassen, oder ob jede Norm nur für bestimmte Äußerungsformen innerhalb des einheitlichen Rahmens gilt. Praktisch relevant w i r d das Problem hinsichtlich der Schranken, denen derjenige unterliegt, der gleichzeitig mehrere Grundrechte ausübt. Art. 5 GG hat eine andere Schrankensystematik als Art. 8 GG. W i r d die Freiheit des Versammlungsteilnehmers, der Meinungen äußert und sich informiert, durch Art. 5 oder Art. 8 begrenzt? Eine befriedigende und erschöpfende A n t w o r t auf diese Frage ist bis heute nicht gefunden 2 . Die Problematik der inhaltlichen Konkurrenz von Grundrechten und der daraus folgenden Schrankenkonkurrenz ist eigentlich erst unter der Geltung des Grundgesetzes erkannt und erörtert worden 3 . Speziell für das Verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit geht erstmals Herzogs einschlägige Kommentierung über eine oberflächliche Betrachtung hinaus 4 . Die Rechtsprechung hat lange Zeit Art. 5 und Art. 8 undifferenziert nebeneinander gestellt oder einheitlich abge1 Das W o r t „Meinungsfreiheit" umfaßt hier und i m folgenden alle i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG enthaltenen Varianten, nämlich das Recht, seine Meinung frei zu äußern u n d zu verbreiten, sowie das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Informationsfreiheit). Dagegen faßt das Schrifttum unter Meinungsfreiheit i m allgemeinen n u r Meinungsäußerungs- und -Verbreitungsfreiheit zusammen (Ridder, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 243; Brinkmann, A r t . 5 Anm. I l a ) . Die abweichende Terminologie w i r d n u r der einfacheren Darstellung halber gebraucht; das sachliche Ergebnis w i r d dadurch nicht berührt. 2 Vgl. Herzog, J A 1969, ÖR S. 27. 3 Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 125 ff.; eingehend Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, 1968. 4 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 Anm. 35 ff., A r t . 8 A n m . 29 ff.
56
Β . Verhältnis zwischen Versammlungs- u n d Meinungsfreiheit
handelt. Neuerdings bahnt sich allerdings auch hier eine Änderung an 5 . Ganz anders als bei dem seit über 100 Jahren diskutierten Versammlungsbegriff stößt die Behandlung der angedeuteten Konkurrenzfragen also auf keinerlei festgefügte und etablierte Meinungen. Die Beschränkung der Erörterung auf das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit besagt nicht, daß A r t . 8 GG nicht auch zu anderen Grundrechten in Konkurrenz treten könnte. Z u denken ist etwa an Art. 11 Abs. 1 GG, der die Freizügigkeit garantiert. — Die bekannten Ostermärsche der Atomwaffengegner legen oft erhebliche Entfernungen zurück. Zu denken ist ferner an A r t . 9 Abs. 1 GG, die Vereinsfreiheit. — Bei jeder Vereinsversammlung stellt sich die Frage nach der Konkurrenz von A r t . 8 Abs. 1 GG zu Art. 9 Abs. 1 GG. Genug der Beispiele! 6 Die Beschränkung auf das Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 GG hat einen praktischen Grund. Die Meinungsfreiheit ist nämlich das weitaus am häufigsten gleichzeitig m i t der Versammlungsfreiheit i n A n spruch genommene Grundrecht. Hinzu kommt, daß das Versammlungsrecht gerade i m Zusammenwirken m i t der Meinungsfreiheit ein unentbehrliches Medium für die politische Willensbildung des Volkes ist, wie sie dem Demokratiegebot i n Art. 20 Abs. 1 GG entspricht. Es w a r nahezu ausschließlich dieser „demokratische" Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit, i n dem während der vergangenen Jahre die Grenzen der Versammlungsfreiheit relevant geworden, dabei aber auch ins Wanken geraten sind. Die bereits erwähnten Ostermärsche, die Demonstrationen gegen den Besuch des persischen Kaiserpaares i m Jahre 1967 und gegen die amerikanische Kriegsführung in Vietnam, die Kundgebungen gegen die Notstandsgesetzgebung, die Sitzstreiks vor den Verlagshäusern Springers — all das gab den Rahmen ab für die zahlreichen Urteile zum Versammlungsrecht, wie w i r sie vor allem aus den Jahren 1968 und 1969 kennen. Es bedarf keiner Erklärung, wie eng hier Meinungs- und Versammlungsfreiheit zusammenwirken. Andere Grundrechte treten demgegenüber i n ihrer Bedeutung zurück. Die angeführten Beispiele dürfen nicht zu dem Schluß verleiten, die folgenden Darlegungen beschränkten sich auf den „demokratischen" Wirkungsbereich des Versammlungsrechts. Für die Konkurrenz der beiden Grundrechte ist es ohne Bedeutung, ob die anläßlich einer Versammlung geäußerte Meinung der privaten oder der öffentlichen Sphäre zuzuordnen ist. Hingegen scheiden alle jene Versammlungen, in denen keine Meinungsäußerung stattfindet, für die Erörterung des Verhältnisses zwischen Art. 8 GG und A r t . 5 Abs. 1 GG aus7. Dieser Bereich w i r d 5
Vgl. O V G Münster, D Ö V 1970, S. 344. Herzog (JA 1969, ÖR S. 27) erwähnt darüber hinaus A r t . 2 Abs. 1, 4 Abs. 2, 5 Abs. 3 GG als konkurrierende Grundrechte. 7 Während die herrschende Meinung derartige „Versammlungen" ohne 6
I. Die Versammlung — ein M i t t e l der Meinungsfreiheit
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umso größer, je enger der Begriff der grundrechtlich geschützten „Meinung" gefaßt wird. Die herrschende Lehre geht davon aus, A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG betreffe nur grundsätzliche Stellungnahmen und Wertungen, keinesfalls aber die bloße Mitteilung von Tatsachen8. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gilt danach nicht für Erlebnisberichte oder normale Alltagsgespräche. Dementsprechend wäre z. B. ein Klassentreffen, das m i t Anekdoten, Berichten und banalen Plaudereien der Anwesenden ausgefüllt wird, für das Verhältnis zwischen Art. 5 GG und Art. 8 GG uninteressant, da ja keine „Meinungen" geäußert werden. Nach einer anderen, i n der Literatur vordringenden Auffassung garantiert Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG i n einem umfassenden Sinn das Recht der freien Mitteilung an andere 9 . A n dieser Stelle ist es nicht erforderlich, auf die verschiedenen Anschauungen näher einzugehen 10 , denn für die dogmatische und systematische Klärung des Verhältnisses von Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist es ohne Bedeutung, wie weit der Wirkungskreis der Meinungsfreiheit geht. Lediglich der praktische Anwendungsbereich der erzielten Schlußfolgerungen w i r d weiter oder enger sein, je nachdem, ob der Begriff der Meinung extensiv oder restriktiv ausgelegt wird. I. Das tatsächliche Verhältnis zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit — die Versammlung als Mittel der Meinungsfreiheit U m das Verhältnis zwischen Versammlung- und Meinungsfreiheit in juristische Kategorien fassen zu können, ist es unerläßlich, zunächst die tatsächlichen Beziehungen beider Äußerungsformen menschlichen Verhaltens darzulegen. Daran fehlt es i n den meisten Stellungnahmen zu dieser speziellen Grundrechtskonkurrenz, sei es in Rechtsprechung oder Literatur, und deshalb erscheinen die Ansichten dazu oft w i l l k ü r l i c h und ungenau, so daß konkrete Folgerungen daraus gar nicht gezogen werden können. Was soll es z. B. bedeuten, wenn das L G Hannover Meinungsäußerung gar nicht kennt, fallen sie nach dem oben entwickelten Versammlungsbegriff durchaus unter A r t . 8, z. B. das Treffen zum gemeinsamen Musizieren oder sonstigem Spiel (vgl. oben A I I 3 b). 8 So Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 238 f.; ähnlich Ridder, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 264; Hamann/Lenz, A r t . 5 A n m . Β 1; Maunz, Staatsrecht, S. 118; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 149 f. 9 So Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 55; ebenso Brinkmann, A r t . 5 A n m . 1 a; ähnlich Hoff mann, JuS 1967, S. 393; Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 167. 10 Es sei hier jedoch auf gewisse Bedenken gegen die herrschende Lehre hingewiesen: Der Einfluß eines reinen Tatsachenberichts auf die U m w e l t ist oft durchschlagender als der eines Werturteils. Ferner ist der Unterschied zwischen „grundsätzlichen" und einfachen Stellungnahmen zu diffus, u m verfassungsrechtlich brauchbar zu sein.
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Β . Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
feststellt, Art. 5 GG schütze die Freiheit der Meinungsäußerung, während die Versammlungsfreiheit im Sinne von Art. 8 GG deren äußere Manifestation durch Einwirkungsmöglichkeiten i m sozialen und politischen Bereich garantiere? 11 Jede Meinungsäußerung ist bereits die äußere Manifestation eines inneren Denkvorganges. Die äußere Manifestation einer Äußerung dagegen ist überflüssig und sinnlos. Rechtliche Schlußfolgerungen können i m übrigen erst dann gezogen werden, wenn festgestellt ist, daß eine Grundrechtskonkurrenz überhaupt vorliegt. Das aber setzt die inhaltliche Abgrenzung der beiden Grundrechtsbereiche voraus 18 . I n welchen Formen manifestiert sich nun eine gleichzeitige Inanspruchnahme der Grundrechte aus Art. 5 GG und Art. 8 GG? Als erstes denkt man w o h l an die Meinungsäußerung durch Redner oder Diskussionsteilnehmer in einer Versammlung. Die Versammlung ist das Medium, i n dem der einzelne seine Ansichten vorbringen kann. Mag der einzelne auch Anhänger oder Vertreter einer Gruppe sein, vielleicht auch Repräsentant der Versammelten, die eigentliche Äußerung der Meinung bleibt jedoch auf ihn beschränkt. Das Zusammenspiel der beiden Grundrechte zeigt sich hier als individuelle Meinungsäußerung i n einer Versammlung 13 . Demgegenüber gibt es Versammlungen, die selbst als Ganzes eine Meinung äußern wollen. Z u denken ist hier vor allem an Demonstrationen zur Unterstützung einer bestimmten Forderung — gegen den Krieg i n Vietnam, gegen die Notstandsgesetze, für Legalisierung der Abtreibung etc. Diese A r t von Versammlung w i r k t gerade durch die Menge der Teilnehmer, die sich hinter die vertretene Forderung stellen. Für individuelle Äußerungen ist i m Grunde kein Platz, da sich die Meinungskundgabe i. d. R. i n der bloßen Teilnahme erschöpft 14 . Es handelt sich vielmehr um die kollektive Meinungsäußerung durch eine Versammlung 15 . Natürlich sind die Grenzen fließend. Der Demonstrant, der ein Spruchband trägt, geht über die bloße Teilnahme hinaus. Dennoch werden Plakate, Spruchbänder etc. i m allgemeinen allen Teilnehmern kollektiv zugerechnet, da sie gerade das von der Demonstration unterstützte Anliegen zum Ausdruck bringen. Dagegen überwiegt bei dem 11
L G Hannover, D R i Z 1969, S. 225. Z u Recht meint Berg (Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 49 f.), ein Zusammentreffen verschiedener Grundrechtsbereiche sei i n vielen angeblichen Konkurrenzfällen gar nicht gegeben; man müsse n u r die Grundrechtsbestimmungen inhaltlich genau voneinander abgrenzen. 13 Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 40. 14 Nach Samper (BayVBl 1969, S. 77, 78) „ist der Aufzug dadurch gekennzeichnet, daß m i t der Teilnahme am Aufzug die Zustimmung zum Aufzugszweck bekundet w i r d " . 15 Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 40. 12
I. Die Versammlung — ein M i t t e l der Meinungsfreiheit
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Redner einer Schlußkundgebung wohl eher das individuelle Moment, auch wenn er i m wesentlichen die Forderungen der Demonstration zusammenfaßt. I n einer Rede werden meistens differenziertere Ansichten vorgetragen, die nicht immer von allen Teilnehmern unterstützt werden, während kurze Slogans auf Plakaten (z. B. „Kampf dem Atomtod", „Amis raus aus Vietnam") tatsächlich das Grundanliegen aller ausdrücken. Wenn bisher immer nur von der Meinungsäußerung die Rede war, so gilt doch das Gleiche für die ebenfalls in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Verbreitung der Meinung. Es ist schon zweifelhaft, ob das Merkmal des Verbreitens nicht überhaupt bereits in der Äußerung enthalten ist 18 . Aber selbst wenn man das Verbreiten von Meinungen als etwas Selbständiges, vom bloßen Äußern der Meinung zu Trennendes ansieht, ist doch unzweifelhaft, daß sowohl bei der individuellen Meinungsäußerung i n einer Versammlung als auch bei der kollektiven Meinungsäußerung durch eine Versammlung das Verbreiten, d. h. das Zugänglichmachen an einen größeren Personenkreis 17 m i t dem Äußern der Meinung zeitlich, räumlich und persönlich zusammenfällt. I n einer anderen Form nimmt dagegen derjenige Art. 5 GG und Art. 8 GG gleichzeitig i n Anspruch, der in eine Versammlung geht, u m sich dort zu informieren, sei es, u m einen bestimmten Redner kennenzulernen, sei es, um sich über ein bestimmtes Thema zu unterrichten 18 . Dies gilt aber nur für den Teilnehmer einer Versammlung, nicht dagegen für einen Passanten, der einer Demonstration als Außenstehender zusieht, denn letzterer macht nur von seiner Informationsfreiheit, nicht von seiner Versammlungsfreiheit Gebrauch. I n Frage steht also nicht die Information über eine Versammlung, sondern die Information in einer Versammlung. Ho ff mann meint, Art. 8 GG schütze insoweit „den Vorgang des kollektiven Meinungsempfangs und der kollektiven Meinungsbildung" 1 ·. A n dieser Stelle ist jedoch das A t t r i b u t „kollektiv" verfehlt, denn die Meinung bildet sich in jedem persönlich, mag er sie auch von anderen übernehmen. Der Vorgang der Meinungsbildung ist immer individuell, nie kollektiv 2 ®. Selbstverständlich kann die Versammlungsfreiheit m i t der Informationsfreiheit nur da konkurrieren, wo letztere überhaupt gewährleistet ist, d. h. nur soweit „allgemein zugängliche Quellen" (Art. 5 Abs. 1 S. 1 16
Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 240; Ridder, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 274. Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 240. 18 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 96; Dietel/Gintzel, VersG, § 1 Anm., 41. 19 Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (397). 20 So auch Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 41. 17
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Β. Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
GG) i n Anspruch genommen werden. Darunter versteht die Literatur „öffentliche Informationsquellen" 2 1 oder an die Allgemeinheit gerichtete Äußerungen 22 . Nach beiden Definitionen sind nur öffentliche Versammlungen geschützte Informationsquellen. Der Staat wäre demnach durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG w o h l gehindert, seinen Bürgern den Besuch einer öffentlichen Versammlung zu verbieten, i n der ein unliebsamer Redner auftritt. Dagegen stünde Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einer staatlichen Maßnahme nicht entgegen, welche die zu einer geschlossenen Zusammenkunft Eingeladenen vom Besuch der Veranstaltung abhält, wo derselbe Redner spricht. Dieses Resultat ist unbefriedigend. Für eine gründliche Erörterung ist hier jedoch nicht der Platz, da der Begriff der Allgemeinzugänglichkeit — wie schon der Begriff der Meinung — auf das Ergebnis einer Untersuchung über die Konkurrenzen zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit keinen Einfluß hat. Nur der sachliche Anwendungsbereich des gewonnenen Ergebnisses w i r d betroffen. Die gleichzeitige Inanspruchnahme von Meinungs- und Versammlungsfreiheit äußert sich also in drei Formen: a) Bei der individuellen Meinungsäußerung i n der Versammlung, b) bei der kollektiven Meinungsäußerung durch die Versammlung, und c) bei der persönlichen Information in der Versammlung. I n all diesen Fällen ist die Versammlung das Medium, dessen sich die Meinungsfreiheit zu ihrer Verwirklichung bedient — die Versammlung ist das M i t t e l der Meinungsfreiheit 23 . A m deutlichsten ist das bei der kollektiven Meinungsäußerung durch eine Versammlung (Fall b)), wo das Anliegen der Versammelten durch das bloße Stattfinden der Demonstration bzw., auf den einzelnen bezogen, durch die bloße Teilnahme an der Demonstration ausgedrückt wird 2 4 . Die Versammlung ist also lediglich eines unter vielen möglichen Mitteln — möglicherweise allerdings ein besonders wirkungsvolles —, u m einer bestimmten Meinung Ausdruck zu verleihen. Anders ist es bei der individuellen Meinungsäußerung in der Versammlung (Fall a)), wo der einzelne seine Ansicht i m allgemeinen durch mündliche Äußerungen vorträgt. Nicht die bloße Teilnahme stellt eine Meinungsäußerung dar, sondern erst die 21
90 ff.
Hamann/Lenz,
A r t . 5 A n m . 5; Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m .
22 Lerche, A r t . „Informationsfreiheit", Evang. Staatslexikon, Spalte 786; ähnlich BVerfGE 27, 71 (83 ff.). 23 Ress (Demonstration u n d Straßenverkehr, S. X X I ) bezeichnet das V e r sammlungsrecht als ein„besonders wirkungsvolles M i t t e l " der Meinungsfreiheit. 24 Auch das B a y O b L G (NJW 1969, S. 1127) erkennt, daß „die Teilnahme an Demonstrationen" „zu den grundgesetzlich verbürgten Mitteilungsmitteln" gehört.
I. Die Versammlung — ein M i t t e l der Meinungsfreiheit
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Rede oder der Diskussionsbeitrag. Indessen schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ja nicht allein das Äußern einer Meinung i m Sinne des bloßen Vonsich-Gebens, sondern gerade die geistige Wirkung auf die Umwelt 2 5 . Die Teilnahme an einer Versammlung gibt dem einzelnen die Möglichkeit, besonders intensiv auf seine Umwelt einzuwirken, sei es als Redner, sei es als Diskussionsteilnehmer. Für beide ist die Versammlung also ein M i t t e l der Meinungsfreiheit. Gleiches gilt für die persönliche Information i n der Versammlung (Fall c)), denn auch hier ermöglicht die Teilnahme an der Versammlung dem einzelnen, seine in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG garantierte Informationsfreiheit zu aktualisieren. Daß zwischen Teilnahme an einer Versammlung und Gebrauchmachen von der Meinungsfreiheit eine Mittel-Zweck-Relation besteht, w i r d nicht zuletzt i n den Stellungnahmen zum Versammlungsbegriff deutlich. Bisher wurde nämlich immer ein bestimmter Zweck als das die Versammlung einigende Band gefordert, teilweise wurde dieser Zweck sogar auf die Erörterung und Beratung von (öffentlichen) Angelegenheiten beschränkt, d. h. auf das Gebrauchmachen der Meinungsfreiheit 26 . Wer verlangt, die Versammlung müsse einem bestimmten Zweck dienen, gibt zu erkennen, daß die Versammlung das M i t t e l zur Verfolgung dieses Zwecks ist. Um das tatsächliche Ineinandergreifen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu verdeutlichen, mag eine einfache graphische Darstellung nützlich sein:
25 26
BVerfGE 7, 198 (210). Vgl. oben insbesondere A I I 1 a und b.
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Β. Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
Die unterschiedliche Größe der beiden Kreise erklärt sich daraus, daß der einzelne von seiner Meinungsfreiheit wesentlich häufiger Gebrauch macht als von seiner Versammlungsfreiheit. Für die Meinungsfreiheit ist die Versammlung nur ein Mittel unter vielen, während die Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit meistens irgendwelche Meinungsäußerungen m i t sich bringt. Daher nimmt der überlappende Teil (B) i m Kreis der Versammlungsfreiheit einen verhältnismäßig viel größeren Teil ein als bei der Meinungsfreiheit.
I I . Rechtliche Einordnung der Konkurrenz von Versammlungs- und Meinungsfreiheit Ziel einer grundrechtlichen Konkurrenzlehre ist es, die Schranken zu bestimmen, denen der einzelne unterliegt, wenn er gleichzeitig von mehreren Grundrechten Gebrauch macht. Die bloße Feststellung, daß auf einen einheitlichen Lebensvorgang mehrere Grundrechte anwendbar sind, löst als solche keine Rechtsfolgen aus. Ob eine Handlung nach dem Grundrecht A oder Β erlaubt ist, kann dem Handelnden zunächst gleichgültig sein. Die Frage w i r d aber dann zum Problem, wenn das Grundrecht A anderen Schranken unterworfen ist als das Grundrecht B 2 7 . Aufgabe einer Konkurrenzlehre ist es nun, zu bestimmen, ob und inwieweit die Schranken A neben den Schranken Β zur Anwendung kommen. Oder konkret: Wenn jemand m i t ein und derselben Handlung sowohl von seiner Versammlungs- als auch von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch macht, unterliegt er dann nur den Schranken des Art. 5 GG oder nur denen des Art. 8 GG oder werden die Schranken aus beiden Grundrechten kumuliert? Oder gibt es vielleicht noch eine andere Lösung? Praktische Relevanz hat eine Konkurrenzlehre nur als Schrankenlehre. Unter diesem Gesichtspunkt müssen daher die Lösungsvorschläge, die bisher für das rechtliche Verhältnis zwischen Versammlungs· und Meinungsfreiheit entwickelt worden sind, kritisch betrachtet werden. 1. Keine Idealkonkurrenz
Soweit i n der Literatur überhaupt Versuche gemacht worden sind, das Verhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit i n rechtliche Kategorien zu fassen, taucht noch am häufigsten — von einer herrschenden Lehre kann keine Rede sein — die Ansicht auf, die beiden Grund27 Berg (Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 10) weist darauf hin, daß die grundrechtlichen Konkurrenzen ihre Poblematik allein aus dem System differenzierter Vorbehalte (d. h. Einschränkungsmöglichkeiten) beziehen.
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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rechte stünden i n einer „ A r t Idealkonkurrenz" 2 8 . Der Terminus Idealkonkurrenz w i r d i m allgemeinen nur i m Strafrecht verwendet und bezeichnet den Fall, „daß bei der strafrechtlichen Bewertung einer Tat mehrere Tatbestände zusammentreffen, die erst i n ihrer Gesamtheit den Unrechtsgehalt der Tat nach jeder Richtung erschöpfen" 29 . Überträgt man diese Voraussetzungen auf die Grundrechte, so läge Idealkonkurrenz immer dann vor, wenn mehrere Grundrechte zusammenkommen müssen, u m den Freiheitsgehalt einer Tat i n allen Aspekten zu erfassen. Gegen eine solche Beschreibung des Ineinandergreifens verschiedener Grundrechte w i r d kaum etwas einzuwenden sein3·. Entscheidend für die Brauchbarkeit eines Begriffs ist jedoch, ob aus ihm vertretbare Rechtsfolgen abgeleitet werden können. Für das Straf recht bestimmt § 73 StGB, daß bei Tateinheit (Idealkonkurrenz) nur eine Strafe zu verhängen sei; sie sei dem Gesetz zu entnehmen, das die schwerste Strafe androhe 81 . Man könnte diese Rechtsfolge ganz formalistisch auf die Grundrechte übertragen: Werden mehrere Grundrechte gleichzeitig i n Anspruch genommen (Voraussetzung der Idealkonkurrenz), so bestimmen sich die Grenzen des Handelns nach dem Grundrecht, das am stärksten eingeschränkt werden kann. Ein solches Ergebnis wäre aber durchaus w i l l kürlich und ohne inneren Grund. Die übrigen Grundrechte wären neben demjenigen, das den einschneidendsten Beschränkungen unterliegt, bedeutungslos. Bedenkt man aber, daß jedes Einzelgrundrecht einen spezifischen Teil der Freiheitssphäre des einzelnen schützt, so läßt sich dieses durch eine formalistische Analogie gewonnene Ergebnis kaum halten. „Formalistisch" ist die Analogie deswegen, w e i l die Voraussetzungen dafür eigentlich gar nicht gegeben sind. Nur dann ist die entsprechende Anwendung eines Rechtssatzes gerechtfertigt, wenn vergleichbare Tatbestände gegeben sind, oder genauer „wenn eine Ubereinstimmung gerade i n allen denjenigen Hinsichten besteht, die für eine recht28 Füßlein, VersG, S. 22; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 451; ders., DVB1 1954, S.553; i h m folgend Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 300; Herzog (Maunz/Dürig/ Herzog, A r t . 5 A n m . 3, A r t . 8 A n m . 30) bezeichnet zumindest einen Teil der auftretenden Konkurrenzen als Idealkonkurrenz. 29 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 231; Maurach, Deutsches Strafrecht, Allg. Teil, S. 748 f. 30 Insoweit hält Berg (S. 7 f.) den Terminus Idealkonkurrenz für durchaus brauchbar; gleichzeitig äußert er aber Bedenken, ob der Begriff geeignet ist, die Rechtsfolgen einer Grundrechtskonkurrenz zu bestimmen. 31 So ist jedenfalls die Regelung für die ungleichartige Iedealkonkurrenz i n §73 Abs. 2 StGB; zu dem Begriff vgl. Maurach, S. 757 f. Da bei der gleichartigen Idealkonkurrenz derselbe Tatbestand durch dieselbe Tat mehrmals v e r w i r k l i c h t w i r d , ist für den Vergleich m i t der Konkurrenz veschiedener Grundrechte n u r die ungleichartige Idealkonkurrenz interessant.
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Β. Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
liehe Bewertung maßgebend sind" 5 2 . Die Feststellung, daß sowohl bei der Grundrechtskonkurrenz als auch bei der Idealkonkurrenz des Strafrechts ein einheitlicher Lebensvorgang von mehreren Normen betroffen wird, von denen jede jeweils nur einen Teilaspekt erfaßt, ist zu oberflächlich, um eine Vergleichbarkeit der Tatbestände zu begründen. Hinter der Regelung des § 73 StBG steht das Schuldprinzip des deutschen Straf rechts: Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe (§ 13 Abs. 1 StGB). Ist der Schuldvorwurf mehrfach begründet, so darf die dem schwerwiegendsten Schuldvorwurf entsprechende Strafe nicht unterschritten werden; andernfalls wäre die Strafe nicht mehr schuldangemessen. A u f der anderen Seite erscheint eine Komulierung der Strafen bei der Idealkonkurrenz wegen der Einheitlichkeit der Handlung ungerechtfertigt; wohl aber kann die Verletzung des milderen Gesetzes bei der Strafzumessung schärfend berücksichtigt werden". Diese Gedankenführung ist so speziell auf das Strafrecht ausgerichtet, daß einfach nicht ersichtlich ist, wie eine Analogie für das Verfassungsrecht begründet werden sollte. Vor allem der Gedanke der Schuld ist dem Verfassungsrecht völlig fremd. Schon der Sinn der Grundrechte, den Freiheitsraum des Bürgers zu sichern, steht i n krassem Gegensatz zu der Funktion des Strafrechts als Ausdruck der Sanktionsgewalt des Staates gegenüber dem Rechtsbrecher. Gerade die komplizierte Konkurrenzlehre des Strafrechts 84 , die Realkonkurrenz, Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz unterscheidet, letztere wiederum aufgeteilt i n Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion, ist offensichtlich auf andere Rechtsgebiete nicht zu übertragen 85 . Für die Begriffe der Gesetzeskonkurrzenz mag es noch angehen, sie i n anderen Teilen der Rechtsordnung zu verwenden, da sie sich eigentlich i n formalen Regeln erschöpfen. So besagt ζ. B. der Grundsatz der Spezialität lediglich, daß die speziellere Norm die allgemeine verdrängt 3®. Wann eine Norm i m Verhältnis zu einer anderen speziell ist, muß aber für jede einzelne Bestimmung gesondert geprüft werden. Es ist bezeichnend, daß die Gesetzeskonkurrenz m i t ihren verschiedenen Spielarten nirgends, weder i m Strafrecht noch anderweitig, positiv normiert ist. Dagegen sind die Rechtsformen der Idealkonkurrenz und der Realkonkurrenz i m StGB ausdrücklich verankert (§§ 73, 74 StGB), eben w e i l sie
32
Larenz, Methodenlehre, S. 360. RGSt 49, 401 (402); O L G Köln, M D R 1956, S. 374. 34 Maurach , S. 727 ff.; Welzel, S. 224 ff. 35 Wenn auch Larenz (S. 207 F N 1) die störende Differenz zwischen Z i v i l und Strafrecht beklagt. 36 Das BVerfG bezeichnet diesen Grundsatz als „allgemeines Rechtsprinzip" (BVerfGE 13, 290, 296). 33
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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Rechtsfolgen festlegen, die nur i m Strafrecht Gültigkeit haben können 37 . Wollte man diese Begriffe auf andere Rechtsgebiete übertragen, so müßte man Inhalt und Rechtsfolgen jeweils gesondert bestimmen. Da aber für jeden Juristen Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz m i t dem speziellen Sinngehalt des Strafrechts verknüpft sind, sollte ihr Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt bleiben, und man sollte zweifelhafte Analogieversuche unterlassen. Selbst Füßlein, der den Terminus der Idealkonkurrenz als erster i n die Grundrechtsdogmatik einzuführen versucht hat, kommt schließlich zu Folgerungen, die mit den strafrechtlichen Konsequenzen eigentlich nichts mehr zu tun haben 38 . Wozu also w i r d dann der spezifisch strafrechtliche Begriff überhaupt eingeführt 39 ? Füßlein sieht die Versammlungs- und Meinungsfreiheit „ i n einer A r t Idealkonkurrenz derart, daß eine — zulässige — Beschränkung der letzteren eine Ausübung der ersteren praktisch unmöglich macht" 4 0 . Letztlich ist das nichts anderes als eine Schrankenkumulierung. Primär unterliegen die Versammelten den Schranken des Art. 8 GG; für den Fall, daß sie gleichzeitig von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen, müssen sie zusätzlich die Schranken des Art. 5 GG beachten. Es ist bemerkenswert, daß Füßlein das Ergebnis vor allem i m Hinblick auf das besondere Gewaltverhältnis entwickelt hat 4 1 , ein Gebiet, in dem die Tendenz zu stärkeren Grundrechtsbeschränkungen sehr verbreitet ist 42 . Die Schrankenkumulierung i m Falle der meist vorliegenden Idealkonkurrenz m i t Art. 5 GG enthebt ihn der Notwendigkeit, die stärkere Einschränkbarkeit der Versammlungsfreiheit des Gewaltunterworfenen weiter zu begründen. Friedrich Klein übernimmt von Füßlein den Terminus Idealkonkurrenz, u m das Verhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu beschreiben 43 . Wie dieser befürwortet er ebenfalls eine Schrankenkumulierung, leitet das Ergebnis indessen nicht aus einer fragwürdigen Inter37 Larenz (S. 206 ff.) erwähnt daher zwar die Gesetzeskonkurrenz, aber weder Idealkonkurrenz noch Realkonkurrenz als allgemeine Grundsätze für die Konkurrenz von Rechtsnormen. 38 Vgl. die Zitate i n F N 28. 39 Berg (S. 8) v e r t r i t t die Auffassung, „der von Füßlein herangezogene Begriff der Idealkonkurrenz (könne) auch zur Beschreibung grundrechtlicher Erscheinungen dienstbar gemacht werden". Er hält es aber nicht f ü r angebracht, die von § 73 StGB für das Strafrecht gegebene Lösung ohne weiteres auf Grundrechtskonkurrenzen zu übernehmen. Wenn aber der Begriff der Idealkonkurrenz i m Verfassungsrecht für die Bestimmung der Rechtsfolgen nicht nutzbar gemacht werden kann, dann sollte man besser gleich darauf verzichten, i h n einzuführen. 40 Füßlein, VersG, S. 22. 41 Insbesondere Füßlein, DVB1 1954, S. 553 (556 f.). 42 Vgl. z. B. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 86 ff. 43 Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 300.
5 Müller
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Β . Verhältnis zwischen Versammlungs- u n d Meinungsfreiheit
pretation der Idealkonkurrenz ab, sondern aus allgemeinen Erwägungen zur Konkurrenz von Grundrechten 44 . Nach Friedrich K l e i n bilden die Grundrechte i m Verhältnis zueinander „systematisch sachliche Gewährleistungsschranken", so daß ein Grundrecht immer auch den Schranken des gleichzeitig i n Anspruch genommenen unterliegt. Wie unbrauchbar der Ausdruck Idealkonkurrenz i m Verfassungsrecht ist, zeigt sich bei Herzog, der den Begriff nur für die Fälle der individuellen Meinungsäußerung i n einer Versammlung verwendet, d. h. wenn gegenüber der Tätigkeit des Sich-Versammelns die Meinungsäußerung ein Mehr, etwas Zusätzliches ist 4 5 . Herzog kommt zu völlig anderen Ergebnissen als Klein. Er lehnt eine Schrankenkumulierung ab, weil „sich aus dem Grundgesetz für ein derartiges in dubio contra libertatem nicht der geringste Anhaltspunkt gewinnen" lasse46. U m die jeweiligen Schranken zu ermitteln, stellt Herzog vielmehr auf die Motive ab, von denen sich die Behörde bei ihrem Eingriff i n die Versammlungsfreiheit leiten läßt 47 . Bei spezifisch versammlungspolizeilichen Motiven sei Art. 8 GG einschlägig, solle dagegen eine mißliebige Meinung unterdrückt werden, gelte Art. 5 GG. Ob dieses Ergebnis richtig ist, w i r d noch zu erörtern sein. Festzuhalten bleibt, daß der Begriff der Idealkonkurrenz für das Verfassungsrecht offensichtlich keinerlei verbindliche Aussagekraft hat, so daß auch die Rechtsfolgen, die daraus abgeleitet werden, durchaus w i dersprüchlich sind. Abgesehen davon fehlt jede Vergleichbarkeit m i t den strafrechtlichen Rechtsfolgen der Idealkonkurrenz. Nicht Idealkonkurrenz, sondern Gesetzeskonkurrenz liegt nach Herzog vor, wenn sich die Meinungsäußerung in der Teilnahme an der Versammlung erschöpft — das sind die Fälle der kollektiven Meinungsäußerung durch eine Versammlung 48 . Hier sei Art. 8 GG Spezialvorschrift. Behördliche Eingriffe gegen eine Demonstration, bei der die bloße Teilnahme eine Meinungskundgabe enthält, können aber von ebenso unterschiedlichen Motiven bestimmt sein wie Eingriffe gegen Versammlungen, i n denen nur einzelne Redner oder Diskussionsteilnehmer ihre Meinung vortragen. Warum sollte eine Demonstration, die eine verbotene Meinung unterstützt, nur den Schranken des Art. 8 GG unterliegen, eine Versammlung, in der ein Redner dieselbe Meinung vorträgt, aber den Schranken aus Art. 5 GG? I n beiden Fällen wäre ein 44
Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 125 ff. und S. 312 f. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 35 ff., A r t . 8 A n m . 30. 46 Herzog, A r t . 8 A n m . 31 f. 47 So auch Maul, JR 1970, S. 81 (84). 48 Herzog, Art. 5 A n m . 31 ff. (38), A r t . 8 A n m . 29. Sehr skeptisch allerdings Berg (S. 162): „Der Gedanke der Gesetzeskonkurrenz als solcher ist k a u m auf das Verhältnis der Grundrechte untereinander zu übertragen." 45
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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behördlicher Eingriff durch die mißliebige Meinung motiviert. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die Herzog aus den verschiedenen Erscheinungsformen der Konkurrenz zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit ableitet, erscheinen sachlich nicht gerechtigtfertigt, ja sogar willkürlich, so daß sich Zweifel an der Richtigkeit seiner Lehre aufdrängen. Weder der Begriff der Idealkonkurrenz, noch die Unterscheidung i n Ideal- und Gesetzeskonkurrenz kann somit das rechtliche Verhältnis der beiden Grundrechte befriedigend erklären. 2. Versammlungsfreiheit — kein Teil oder Unterfall der Meinungsfreiheit
Eine zumindest mittelbar auch juristische Qualifizierung liegt den Stellungnahmen zugrunde, welche die Versammlungsfreiheit als „Teil der Meinungsfreiheit" bezeichnen 49 . Diese Ansicht übersieht das eigenständige Gewicht der Versammlungsfreiheit für den Menschen, dessen Assoziationsbedürfnis durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) nicht geschützt wird. Aber auch für den demokratischen Staat hat die Versammlungsfreiheit eine selbständige Bedeutung: Sie ist ein unentbehrliches Moment bei der freien Willensbildung des Volkes 50 ; sie ist damit nicht zuletzt ein Element unmittelbarer Demokratie 51 , das besonders für parlamentarisch unterrepräsentierte Gruppen, die sich angesichts der festgefügten Parteienstruktur in den Institutionen des Staates nur schwer bemerkbar machen können, von großer Wichtigkeit ist. Nun heißt es auch bei Mangoldt/Klein, das Versammlungsrecht sei ein Teil des Rechts der freien Meinungsäußerung; i m gleichen Atemzug w i r d aber abgelehnt, die Versammlungsfreiheit als bloßen Unterfall der Meinungsfreiheit zu betrachten 52 . Indessen müssen beide Ausdrucksweisen zu dem Schluß führen, das Versammlungsrecht sei ein unselbständiges Gebilde, das den Regelungen der Meinungsfreiheit unterliege. Aus demselben Grund erscheint es gefährlich, wenn Maunz die Ver49 Enderling (VersG, § 1 A n m . 1) unter Berufung auf Brecht, v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. I I , S. 185. 50 BVerfGE 20, 56 (98). 51 Vgl. Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (64). 52 Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 300 i m Anschluß an Enderling; gegen die Qualifizierung der Versammlungsfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit auch Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 73; Hoff mann, JuS 1967, S. 393 (397); Füßlein, VersG, S. 18; v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 18. Die Bezeichnung der Versammlungsfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit wäre auf der Grundlage des herrschenden Versammlungsbegriffs i n einem rein formalen Sinn durchaus richtig, denn nach diesem Begriff sind alle Fälle der V e r sammlungsfreiheit auch solche der Meinungsfreiheit, aber nicht alle Fälle der Meinungsfreiheit zugleich Fälle der Versammlungsfreiheit (vgl. Larenz, M e thodenlehre, S. 207 f.).
5*
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Β . Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
sammlungsfreiheit als „kollektive Erscheinungsform der Meinungsfreiheit" bezeichnet 53 . Wohin eine solche Betrachtungsweise führen kann, zeigt sich in fataler Offenheit bei einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Versammlungsrecht 54 . Für einen Ostermarsch war die Verwendung eines Lautsprechers beantragt worden. Das Gericht rechtfertigt die Ablehnung des Antrags m i t § 5 Abs. 1 Nr. 3 StVO (a. F.). Diese Bestimmung sei Bestandteil der allgemeinen Gesetze i m Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG und könne daher die Meinungsfreiheit wirksam beschränken. Dann erörtert das Gericht Art. 8 GG und führt aus: „Es gehört allerdings auch zum Begriff der Versammlung, daß öffentliche Angelegenheiten auf ihr erörtert werden, also Meinungsäußerungen stattfinden 55 . Diese sind aber durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt, so daß sich besondere, über die Probleme des Art. 5 Abs. 1 und 2 GG hinausgehende Rechtsfragen nicht ergeben". Danach macht es keinen Unterschied, ob ein Lautsprecher zur Durchführung einer Versammlung benötigt wird, oder ob sich ein einzelner lautstark bemerkbar machen w i l l . Das Gericht ignoriert also die selbständige Bedeutung des Versammlungsrechts vollkommen und behandelt es einfach als Teil der übergeordneten Meinungsfreiheit. Die Ablehnung des Antrags mag i m Ergebnis richtig gewesen sein, durch die oberflächliche Behandlung der Versammlungsfreiheit bleibt die Entscheidung jedoch unbefriedigend. So hat es durchaus seine Berechtigung, wenn manche Autoren betonen, Meinungs- und Versammlungsfreiheit stünden völlig selbständig nebeneinander 58 . Dem ist zwar entgegenzuhalten, daß das M i t t e l (die Versammlungsfreiheit) nicht gänzlich losgelöst vom Zweck (die Meinungsfreiheit) gesehen werden kann. Die These von der Selbständigkeit der Versammlungsfreiheit verhindert aber zumindest, daß — wie i m Urteil des Bundesverwaltungsgerichts — das eine Grundrecht vom anderen aufgesogen und so seiner eigentümlichen Funktion entkleidet wird. 3. Kein einheitliches Demonstrationsrecht
Unter dem Eindruck sich häufender Demonstrationen, sei es der Studenten, der Arbeiter oder der Polizeibeamten usw., mehren sich neuerdings Stimmen, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu einem einheitlichen Demonstrationsrecht verbinden wollen 5 7 . Diese ver53
Maunz, Staatsrecht, S. 120 f. BVerwG, DRiZ 1969, S. 158. 55 A n dem engen Versammlungsbegriff des Gerichts braucht hier k e i n A n stoß genommen zu werden. 56 Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 73; Füßiein, VersG, S. 18; v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 18; auch Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 300. 57 Tiedemann, JZ 1969, S. 717 (719); Neuberger, GoltdA 1969, S. 1 (3); Ott, N J W 1969, S. 454; Hoffmann, JuS 1967, S.393; Maul (JR 1970, S. 81, 83) zieht 54
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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bindende Betrachtungsweise ist ganz und gar ungeeignet, die Konkurrenzproblematik zwischen Art. 5 GG und A r t . 8 GG zu lösen. Einmal umfaßt der Begriff der Demonstration nur einen Bruchteil aller Versammlungen, nämlich nur Veranstaltungen „welche die eindrucksvolle Kundgabe einer bestimmten Meinung i n öffentlichen Angelegenheiten bezwecken" 58 . Das Demonstrationsrecht ergreift also keineswegs alle Fälle, i n denen Meinungs- und Versammlungsfreiheit konkurrieren. Zum anderen gibt es Demonstrationen, die keine Versammlungen sind, wenn nämlich ein einzelner seine Anschauungen in demonstrativer Weise kundgibt 5 9 , wie z. B. der Kabarettist, der m i t Luftschutzhelm und Gasmaske i n der Innenstadt Hannovers gegen Krieg und Atomrüstung demonstrierte 60 . Das Wort Demonstrationsrecht bezeichnet somit nichts anderes als die Tatsache, daß nach dem Grundgesetz das Recht zu demonstrieren gewährleistet ist 61 , sei es durch Art. 5 GG allein oder durch das Zusammenspiel zwischen Art. 5 GG und Art. 8 GG — möglicherweise in Verbindung mit weiteren Grundrechtsbestimmungen, wie Art. 9 oder Art. 11. Eine Lösung der Schrankenkonkurrenz — das Ziel jeder grundrechtlichen Konkurrenzlehre — bietet oder ermöglicht die vereinheitlichende Betrachtungsweise nicht. 4. Art. 8 G G als Spezialnorm gegenüber Art. 5 G G
So sind also alle bisherigen Versuche, das Zusammenwirken von Meinungs- und Versammlungsfreiheit in rechtliche Kategorien zu fassen, unfruchtbar oder doch unbefriedigend geblieben. U m einen neuen Lösungsversuch zu beginnen, müssen w i r uns zunächst wieder darauf noch A r t . 9 GG heran. A l l e i n die Verwendung des Wortes „Demonstrationsrecht" oder „Demonstrationsfreiheit" i n zahllosen Arbeiten zum Versammlungsrecht zeigt die Tendenz zu einheitlicher Sicht der einschlägigen G r u n d rechte. Ress (Demonstration und Straßenverkehr, S. I X ) meint nicht ganz zu Unrecht, der Ausdruck Demonstration habe „den gleichsam neutralen Ausdruck der Versammlung nahezu verdrängt". Auch die Rechtsprechung geht teilweise von einem einheitlichen Demonstrationsrecht aus, so z. B. A G H a n nover, D R i Z 1969, S. 90; differenzierter O L G Frankfurt, DRiZ 1970, S. 63 (64). 58 BayObLG, B a y V B l 1971, S. 115; Neuberger (GoltdA 1969, S. 1, 3) beschränkt Demonstrationen noch weiter auf Veranstaltungen unter freiem H i m m e l ; Ott (Demonstrationsrecht, S. 14) verzichtet auf die Notwendigkeit des politischen Bezugs; vgl. ferner Merten, M D R 1968, S. 621 (622). 59 BayObLG, B a y V B l 1971, S. 115; Ott, Demonstrationrecht, S. 14. 60 Beispiel nach Ott, a.a.O. 61 Demgegenüber glaubt sich Samper ( B a y V B l 1969, S. 77) zu der „schlichten Feststellung" berechtigt, „ein Demonstrationsrecht m i t Verfassungsrang" gebe es nicht. Dabei übersieht er jedoch, daß ein einheitlicher Lebenssachverhalt, der i n seiner K o m p e l x i t ä t nicht unter den Tatbestand eines einzelnen Grundrechts paßt, sehr w o h l durch das Zusammenspiel verschiedener G r u n d rechte verfassungsrechtlich geschützt sein kann; vgl. Buschbeck, Demonstrat i o n und Straßenverkehr, S. X X X X I f. Zweifel, ob A r t . 8 GG die Demonstrationsfreiheit einschließt, auch bei Forsthoff, Die Welt v. 4.12.1968, S. 17.
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Β . Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
besinnen, daß die Versammlung immer dann, wenn Meinungs- und Versammlungsfreiheit zusammentreffen, das M i t t e l der Meinungsfreiheit ist 62 . Indessen ist bereits durch Art. 5 GG die Wahl der M i t t e l und Formen, durch welche die Meinung kundgetan wird, neben der Äußerung als solcher mit geschützt 63 . Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erwähnt zwar ausdrücklich nur „Wort, Schrift und B i l d " als Ausdrucksformen des Rechts der freien Meinungsäußerung. I n Literatur und Rechtsprechung besteht indessen Einigkeit darüber, daß die Vorschrift „auch Methoden der Meinungsäußerung und -Verbreitung garantiert, die sich selbst bei weitester Interpretation der Begriffe Wort, Schrift und B i l d nicht unter diese subsumieren lassen" 64 . Schon Art. 118 Abs. 1 S. 1 W V garantierte das Recht, seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, B i l d oder in sonstiger Weise frei zu äußern 65 . Daß das Grundgesetz eine entsprechende Generalklausel nicht enthält, bedeutet keineswegs, daß es den nach der Weimarer Verfassung bestehenden Freiheitsraum habe einschränken wollen. Sicherlich ist das Erheben der Hand zur Unterstützung einer Resolution i m Rahmen einer Abstimmung eine Meinungsäußerung. Selbst bei weitester Auslegung ergreifen die Begriffe „Wort, Schrift und B i l d " i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG derartige Gesten jedoch nicht. Andererseits ist gar kein Grund ersichtlich, warum diese A r t von Meinungskundgabe nicht durch Art. 5 GG geschützt sein sollte. Die Ansicht des Verfassungsgebers, der gewählte Dreiklang erfasse bei verständiger Auslegung alle denkbaren Äußerungsformen 66 , kann demnach nicht aufrechterhalten werden. Man w i r d der Formulierung vielmehr nur Beispielscharakter zubilligen können, was angesichts des Bestrebens nach äußerster Konzentration bei der Redaktion des Grundgesetzes i m parlamentarischen Rat sicherlich gerechtfertigt ist 6 7 . Somit müßte eigentlich auch die Versammlung als M i t t e l der Meinungsfreiheit von Art. 5 GG geschützt sein 68 . Das Grundgesetz hat je«2 Vgl. oben Β I. 63 B V e r w G E 7, 125 (131). 64 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 73 ; Ridder, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 273 f.; Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 239 f.; Brinkmann , A r t . 5 A n m . I I a ; Hamann/Lenz, A r t . 5 A n m . Β 2; Hoff mann, JuS 1967, S. 393; BayObLG, N J W 1969, S. 1127; O L G Celle, N J W 1970, S. 206 (207); Wernicke (BK, A r t . 5 A n m . I I 1 b) v e r t r i t t zumindest eine weite Auslegung der Begriffe „Wort, Schrift u n d B i l d " ; a. M. soweit ersichtlich n u r Feldmann/Geisel, Deutsches Verfassungsrecht, S. 29. 65 So auch heute noch z. B. A r t . 110 der Bayerischen Verfassung. 66 v. Mangoldt, Grundgesetz, S. 60. 67 Vgl. Ridder, S. 274. 68 I n diese Richtung geht z. B. Rüfner, Überschneidungen u n d gegenseitige Ergänzungen der Grundrechte, Der Staat, Bd. 7, S. 41 (47) : „So gehört zur Meinungsfreiheit die Freiheit der M i t t e l f ü r die Meinungsäußerung, auch so-
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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doch für die Versammlung einen besonderen A r t i k e l vorgesehen (Art 8 GG). Anscheinend erachtete der Verfassungsgeber die Regelung des A r t . 5 GG nicht für ausreichend, um die für Individuum und Gemeinschaft gleichermaßen bedeutsame Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Wenn damit eines unter vielen möglichen Mitteln der Meinungsfreiheit herausgegriffen und einer besonderen Regelung unterworfen wird, so liegt es nahe, diese Bestimmung (Art. 8 GG) als Spezialnorm gegenüber der allgemeinen Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) anzusehen. Der oben entwickelte Versammlungsbegriff schließt indessen aus, A r t . 8 GG i m strengen Sinn als lex specialis gegenüber Art. 5 GG anzusehen. Das Verhältnis der Spezialität liegt nur dann vor, wenn sich die beiden Regelungen wie ein Kreisausschnitt (lex specialis) zum ganzen Kreis (lex generalis) verhalten 6 9 ; das spezielle Gesetz muß also sämtliche Merkmale der allgemeinen Norm und außerdem noch weitere Merkmale enthalten 70 . Art. 8 GG enthält aber nicht notwendig die Merkmale des Art. 5 GG, denn die Versammlungsfreiheit ist gerade nicht an die gleichzeitige Ausübung der Meinungsfreiheit gekoppelt. Zusammenkünfte m i t dem Element der Meinungsäußerung sind vielleicht die häufigste, aber keineswegs die einzige Erscheinungsform der Versammlungsfreiheit. Die graphische Darstellung des Ineinandergreifens der beiden Grundrechte 71 zeigt klar, daß sich die beiden Regelungen eben nicht wie Kreisausschnitt zu Kreis, sondern wie zwei sich schneidende Kreise verhalten. I n Fällen der Spezialität w i r d i m allgemeinen wie selbstverständlich davon ausgegangen, die spezielle Norm verdränge stets die allgemeine 72 . Larenz hat dargelegt, daß der Schluß in solcher Allgemeinheit nicht stimmt, denn „die für den engeren Tatbestand angeordnete Rechtsfolge kann ebensowohl neben die Rechtsfolge des allgemeineren Tatbestands treten wie an ihre Stelle" 7 3 . Ob Ausschluß oder Ergänzung der allgemeinen Norm richtig ist, kann sich nur aus Sinn und Zweck der jeweiligen Gesetze ergeben. Andererseits können Sinn und Zweck der Regelungen zu dem Schluß führen, daß die eine Norm die andere verdrängt, weit sie i n A r t . 5 GG nicht genannt sind. Daher sind Vereins- und Versammlungsfreiheit insoweit unter dem B l i c k w i n k e l der Meinungsfreiheit auszulegen". 69 Larenz, Allg. T e i l des BGB, München 1967, S. 392; ders., Methodenlehre, S. 207 f. 70 Mezger/Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 324. 71 Oben Β I a. E. 72 So Mezger/Blei, S. 324; die Verdrängung der allgemeinen N o r m ist danach bereits ein Gebot der Logik. Nicht ganz soweit geht das B V e r f G i n E 13, 290 (296); danach „ist es ein allgemeines Rechtsprinzip, daß die generelle N o r m zurücktritt, falls das Gesetz für die Beurteilung des Sachverhalts eine spezielle N o r m zur Verfügung stellt". 73 Larenz, Methodenlehre, S. 208.
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Β. Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
auch wenn erstere kein Unterfall (Kreisausschnitt) der letzteren ist, sondern wenn beide Tatbestände sich überschneiden. Beispielsweise gilt das für die Vorschrift über die Sachmängelhaftung beim Kauf (§§ 459 ff. BGB) i m Verhältnis zur Irrtumsanfechtung nach §119 Abs. 2 BGB 7 4 oder für § 839 BGB i m Verhältnis zu den allgemeinen Deliktsbestimmungen (§§ 823, 826 BGB) 7 5 . Nämliches gilt für das Verhältnis zwischen A r t . 5 GG und Art. 8 GG. Die Funktion der Versammlung erschöpft sich nicht darin, M i t t e l der Meinungsfreiheit zu sein. Die Versammlungsfreiheit schützt vielmehr das spezifische Bedürfnis des Menschen nach Gemeinschaft m i t anderen 76 , und gerade deshalb mußte sie als selbständiges Grundrecht gefaßt werden. Die Verbürgung der Versammlungsfreiheit in einer besonderen Norm würde aber unterlaufen, wollte man das Phänomen der versammelten Menschenmenge außer an A r t . 8 GG noch an Art. 5 GG messen, insbesondere dessen Schranken unterwerfen. Die Versammlung ist auch dann Ausdruck des menschlichen Assoziationsbedürfnisses, wenn sie als M i t t e l der Meinungsfreiheit eingesetzt wird. Daher ist Art. 8 GG i n dem Bereich, in dem sich Meinungs- und Versammlungsfreiheit überschneiden, die ausschließliche Regelung. Art. 8 GG nimmt dem Art. 5 GG einen Teil seines Schutzbereiches weg, indem er ein spezifisches Mittel der Meinungsfreiheit, nämlich die Versammlung, seiner ausschließlichen, von Art. 5 GG abweichenden Regelung unterwirft. Es ist nun eine bloße Frage der Terminologie, ob man dieses Verhältnis der beiden Grundrechte unter den Begriff der Spezialität faßt oder nicht. W i r haben gesehen, daß Art. 8 GG nicht lex specialis i m eigentlichen Sinn sein kann, w e i l er auch Fälle regelt, die außerhalb des Wirkungsbereiches des Art. 5 GG liegen. Aber ähnlich wie § 839 BGB i m Verhältnis zu den allgemeinen Deliktsvorschriften oder wie §§ 459 ff. BGB i m Verhältnis zu § 119 Abs. 2 BGB meistens als Spezialregelungen bezeichnet werden, obwohl sie es nach der strengen Larenz'schen Begriffsbestimmung nicht sind, so drückt der Gedanke der Spezialität auch die Konkurrenz zwischen Meinungs- und Versammlungsfreiheit noch am deutlichsten aus. Einschränkend sollte man es vielleicht so formu74 Beide Tatbestände überschneiden sich; nicht jeder Sachmangel nach § 459 B G B beruht auf dem Fehlen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft i m Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. Die eingehendere Mängelhaftung verdrängt aber die allgemeinere Irrtumsregelung. Vgl. dazu auch Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, S. 61, F N 1; ders., Methodenlehre, S. 208 f. 75 Eine Amtspflichtverletzung i m Sinne von § 839 B G B erfüllt keineswegs i m m e r den Tatbestand des § 823 B G B oder des § 826 BGB. Dennoch schließt § 839 als Sonderregelung für Beamte die Anwendung der übrigen Deliktsbestimmungen aus; vgl. Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, S. 498; ders., Methodenlehre, S. 208. 76 Vgl. oben A I I 2 b.
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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lieren, daß Art. 8 GG i n dem Bereich, i n dem die Versammlung M i t t e l der Meinungsfreiheit ist, lex specialis gegenüber A r t . 5 GG ist 77 . Die bisherigen Ausführungen könnten zu dem Schluß verleiten, Art. 5 GG habe dann, wenn i m Rahmen einer Versammlung gleichzeitig von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird, keinerlei Relevanz. Diese Annahme wäre jedoch verfehlt. Art. 5 GG t r i t t als generelle Norm nur i n dem Umfang zurück, soweit der W i r kungsbereich der speziellen Regelung geht. Art. 8 GG schützt mit der Versammlung nur das M i t t e l der Meinungsfreiheit. Darüber hinaus hat er keine Wirkungskraft. Insbesondere schützt A r t . 8 GG nicht die verlautbarte Meinung als solche. Der Inhalt der Meinungsäußerung ist nicht mehr Ausdruck des menschlichen Assoziationsbedürfnisses 78 . Hier ist Art. 5 GG das einschlägige Grundrecht 79 . Und zwar gilt das nicht nur für die individuelle Meinungsäußerung in einer Versammlung, sondern ebenso für die kollektive Meinungsäußerung durch eine Versammlung (Demonstration). Es ist richtig, daß die Teilnahme an einer Demonstration bereits i n sich das Element der Meinungsäußerung trägt. Verfehlt ist aber die Schlußfolgerung Herzogs, der solche Demonstrationsveranstaltungen — auch bezüglich des Inhalts der zum Ausdruck gebrachten Meinung — ausschließlich unter dem Blickwinkel des A r t . 8 GG betrachten w i l l 8 0 . Damit verkennt Herzog, daß i m Falle der Demonstration wie bei allen anderen Versammlungen zum Zwecke der Meinungsäußerung A r t . 8 GG die Versammlung nur als M i t t e l der Meinungsfreiheit schützt; niemals umfaßt sein Schutzbereich den Inhalt einer Meinungsäußerung. Mag auch die Teilnahme an der Demonstration von dem Inhalt der Aussage tatsächlich nicht zu trennen sein, so hindert doch nichts eine juristische Aufgliederung des einheitlichen Sachverhalts 81 . Als Ergebnis bleibt folgendes festzustellen: Ausschließlich Art. 8 G G schützt die Versammlung als M i t t e l der Meinungsfreiheit. A u f der 77 A. M. Berg (Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 166), der das formale Argument, A r t . 8 GG liege teilweise außerhalb A r t . 5 GG, überbetont. 78 Es ist daher zumindest mißverständlich, w e n n nicht falsch, wenn Ott (Demonstrationsrecht u n d Meinungsfreiheit, D R i Z 1969, S. 66) meint, A r t . 8 GG schütze ebenso w i e A r t . 5 GG „Aussagen jeglicher A r t " . 79 So p r ü f t das BVerfG i m L ü t h - U r t e i l (BVerfGE 7, 198 ff.), w o es u m eine i n öffentlicher Versammlung geäußerte Boykottaufforderung ging, n u r A r t . 5 GG; A r t . 8 GG hat hier nichts zu suchen. 80 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 38, A r t . 8 A n m . 29; ähnlich OVG Münster, DÖV 1970, S. 344 (345). 81 Gerade für die Demonstration findet sich diese Aufgliederung bei Forsthoff (Die Welt v o m 4.12.1968, S. 17): „Die Demonstration ist eine besondere Form der Meinungsbekundung, die i n dem, was sie als Meinung bekundet, die Meinungsfreiheit des A r t . 5 GG genießt, i n den Formen aber, i n denen sie diese Meinung kundgibt, gemäß A r t . 8 Abs. 2 GG an das Gesetz gebunden ist".
Β. Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
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anderen Seite schützt ausschließlich Art. 5 GG die i n der Versammlung geäußerte Meinung ihrem Inhalt nach. Die graphische Darstellung zum rechtlichen Verhältnis der beiden Grundrechte 82 muß danach folgendermaßen aussehen:
Der Bereich B, der ursprünglich von beiden Grundrechten in gleicher Weise abgedeckt wurde, ist nun ausschließlich dem Einfluß der Versammlungsfreiheit zugeordnet. Die gestrichelte Linie ist nichts als eine Hilfslinie, die an das tatsächliche Verhältnis beider Grundrechte erinnert. 5. Konkurrenzlösung durch Tatbestandsabgrenzung
Das gewonnene Resultat, verdeutlicht durch den Vergleich der beiden graphischen Darstellungen, zeigt, daß es rechtlich eigentlich gar keine Überschneidungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit gibt, sondern nur die gleichzeitige Inanspruchnahme beider Freiheitsrechte. Der Wirkungsbereich des Art. 5 GG steht zwar i n enger Verbindung m i t dem des Art. 8 GG, aber doch neben ihm. So löst sich das Konkurrenzproblem mit einer A r t Tatbestandsabgrenzung der einschlägigen Normen. Gerade die Methode der Tatbestandsabgrenzung aber hält Berg zur Lösung der Konkurrenzprobleme bei Grundrechten für verfehlt 8 3 . 82
Vgl. zum tatsächlichen Verhältnis die Darstellung oben Β I a. E. Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 73 ff. Bergs Arbeit ist die bis jetzt einzige umfassende Darstellung zu dem Fragenkomplex der Grundrechtskonkurrenz. Er entnimmt der bisherigen Rechtsprechung und L i t e r a t u r sieben verschiedene Lösungsansätze: 1. Lösung der Konkurrenzprobleme durch Tatbestandsabgrenzung, 83
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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Allerdings betrachtet Berg unter diesem Gesichtspunkt lediglich solche Ansichten, nach denen „stets nur entweder der eine oder aber der andere grundrechtliche Tatbestand erfüllt sein könne" 8 4 . Diese Lehre, die w o h l besser m i t dem Stichwort des Tatbestandsausschlusses als m i t dem der Tatbestandsabgrenzung gekennzeichnet wird, geht von der Voraussetzung aus, daß ein bestimmter Lebenssachverhalt immer nur den Schutzzweck eines einzigen Grundrechts erfüllen könne. So scheint Wehrhahn die Auffassung zu vertreten, daß i n jedem Fall nur die Tatbestandsvoraussetzungen eines Grundrechts gegeben seien; andere Normen müßten demgegenüber zurücktreten 85 . Derartig allgemein kann Wehrhahns These freilich nicht aufrechterhalten werden. Sie w i r d in dieser Form auch nirgend sonst vertreten. Für das Verhältnis bestimmter einzelner Grundrechte mag es u. U. zutreffen, daß ihre Tatbestandsvoraussetzungen sich gegenseitig ausschließen, so daß beide Rechte nicht einmal nebeneinander i n Frage kommen. Nach Voigt z. B. schließen sich Lehrfreiheit und allgemeine Meinungsfreiheit gegenseitig aus; erstere sei durch das Bemühen gekennzeichnet, „aus dem Nachdenken objektive Feststellungen zu treffen" 8 8 ; dagegen sei die Meinungsfreiheit etwas anderes, denn hier werde „geschützt eine nur persönliche Erklärung oder eine Beurteilung beliebiger Dinge, ohne daß Anforderungen an Begründung und eigenes Denken" gestellt seien 87 . Eine Parallelität von Lehr- und Meinungsfreiheit ist damit unmöglich. Ob ein derartiger punktueller Tatbestandsausschluß richtig ist, soll hier dahingestellt bleiben. Dafür, daß Wehrhahns Ansicht, verschiedene Grundrechte könnten i n einem einheitlichen Lebenssachverhalt überhaupt nicht gleichzeitig i n Anspruch genommen werden (allgemeiner Tatbestandsausschluß), falsch ist, gibt es jedenfalls genug Beispiele. Der Professor, dem zu lehren untersagt wird, kann sich auf die Freiheit der Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG) und auf seine Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) stützen. Der Bildhauer, dessen Statue vernichtet werden soll, kann die 2. Vorrang des stärker einschränkbaren Grundrechts, 3. Vorrang des unbeschränkteren Grundrechts, 4. Verstärkung der Schutzgarantien durch die gleichzeitige Inanspruchnahme mehrerer Grundrechte, 5. generelle Übernahme der Schranken des A r t . 2 Abs. 1 HS 2 GG, 6. Lösung der Konkurrenzprobleme durch Güterabwägung, 7. Ausgleich der Schrankendivergenz durch generelle immanente Schranken. Die einzelnen Lösungsmöglichkeiten schließen sich nicht unbedingt gegenseitig aus. Berg gibt schließlich der Auffassung den Vorzug, daß das G r u n d recht m i t den geringeren Eingriffsmöglichkeiten den anderen Grundrechten vorgehe. 84 Berg, S. 74. 85 Wehrhahn, AÖR, Bd. 82, S. 250 (273); weitere Nachweise bei Berg, S. 49 ff. 88 Voigt, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, S. 266. 87 Voigt, S. 262.
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Β . Verhältnis zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit
Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG) und das Recht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) i n Anspruch nehmen. Es ist unmöglich, hier allgemein und von vornherein nur eines der genannten Grundrechte für anwendbar zu erklären, mag auch i m konkreten Fall schließlich nur eine Norm in Frage kommen 88 . Die Fehler eines pauschalierenden Tatbestandsausschlusses werden vermieden, wenn man die Schutzbereiche der verschiedenen Grundrechte voneinander abtrennt und die verschiedenen Aspekte eines einheitlichen Lebenssachverhalts dem passenden Schutzbereich zuordnet (Tatbestandsabgrenzung). Diesen Weg geht Bachhof , wenn er den berufsmäßigen Vertrieb religiöser Schriften teils unter dem Gesichtspunkt der Glaubens- und Gewissensfreiheit, teils unter dem der Berufsfreiheit sieht: „Soweit es sich um den Inhalt der Schrift handelt, greift Art. 4 Abs. 1 GG, soweit es sich u m den Vertrieb als solchen handelt, A r t . 12 Abs. 1 GG ein" 8 9 . Bachof gliedert also einen einheitlichen Vorgang in verschiedene Bereiche, für deren jeden ein anderes Grundrecht relevant ist. Genau das ist aber auch der Weg, der hier für Versammlungen vorgeschlagen wird, bei denen gleichzeitig von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird. Für den Inhalt der Meinung gilt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, für die Versammlung als solche A r t . 8 GG. Soweit Herzog eine grundrechtliche Idealkonkurrenz annimmt, d. h. soweit mehrere Grundrechte nebeneinander anwendbar sind, folgt i m Grunde auch er dieser Methode". Ob das M i t t e l der Tatbestandsabgrenzung geeignet ist, alle Arten von Grundrechtskonkurrenzen befriedigend zu lösen, kann i m Rahmen dieser Untersuchung nicht geklärt werden. Manches spricht dafür. Wenn jedes Grundrecht nur einen spezifischen Bereich der umfassenden Freiheitssphäre des Menschen schützt, dann können die einzelnen Bestimmungen innerhalb eines einheitlichen Lebensvorgangs jeweils nur den Bereich treffen, der zu ihrem Schutzbereich gehört. I m Beispiel des Professors müßte man w o h l so trennen, daß der Inhalt der Lehre durch A r t . 5 Abs. 3 GG, die Lehrtätigkeit als dauernde, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung 9 1 durch Art. 12 P8
M i t Recht lehnt Berg (S. 73 ff., 75) „eine bedingungslose Ausgrenzung (Tatbestandsausschluß)" ab, denn sie „verhindert . . . schon die Erkenntnis echter Überschneidungen u n d führt, da sie häufig undurchführbar ist, zu Verzerrungen der Tatbestandsmerkmale u n d damit zu w i l l k ü r l i c h e n Ergebnissen". 89 Bachof, Die Grundrechte, Bd. I I I , Halbband 1, S. 169 f.; ebenso Hans Marti, Die Handels- u n d Gewerbefreiheit nach den neuen Wirtschaftsartikeln, Bern 1950, S. 39 f. 90 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 35 ff., A r t . 8 A n m . 30 ff.; vgl. dazu oben Β I I 1. 91 So die Definition des Berufs i n B V e r w G E 1, 54.
I I . Versuch einer juristischen Qualifizierung
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Abs. 1 GG geschützt wird. I m Beispiel des Bildhauers t r i f f t Art. 5 Abs. 3 GG den künstlerischen, Art. 14 Abs. 1 GG den materiellen Wert der Statue. Selbst wenn man aber die Methode der Tatbestandsabgrenzung für unzureichend hält, so ist doch unbestreitbar — selbst Berg erkennt das an —, daß „eine klare und saubere Abgrenzung der Tatbestände" erste Voraussetzung, ja geradezu Bedingung für die Lösung grundrechtlicher Konkurrenzen ist 92 . Wenn nun jedoch die Überlegungen i m Rahmen der Tatbestandsabgrenzung zu der Erkenntnis führen, daß Grundrechtsüberschneidungen i m eigentlichen Sinn gar nicht vorliegen, dann ist damit bereits der Weg für die Lösung der Grundrechtskonkurrenz gewiesen. — Die Kernfrage jeder grundrechtlichen Konkurrenzproblematik ist: Welchen Schranken unterliegt der einzelne, wenn er gleichzeitig von mehreren Grundrechten Gebrauch macht? Treffen die Wirkungsbereiche der verschiedenen, nebeneinander anwendbaren Grundrechte, jeweils unterschiedliche Aspekte des einheitlichen Tuns, dann kann eigentlich auch bezüglich der Schranken keines der Grundrechte Vorrang haben. Ebenso verbietet sich eine Kumulierung der Schranken. Vielmehr muß der einheitliche Vorgang wie schon i m Hinblick auf die einschlägige Garantie so auch i m Hinblick auf mögliche Einschränkungen i n seine verschiedenen Aspekte aufgeteilt und der Regelung des passenden Grundrechts unterworfen werden. Wie sich dieser Grundsatz auf die Schranken der Versammlungsfreiheit auswirkt, soll nun i m folgenden Kapitel erörtert werden.
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Berg, S. 75.
C. D i e Schranken der Versammlungsfreiheit i n ihrer Beziehung zur Meinungsfreiheit I. Ausgangspunkt der Fragestellung 1. Notwendigkeit einer Schrankensystematik
I m Grundgesetz, und speziell i m Grundrechtskatalog kommt ein bestimmtes Wertsystem zum Ausdruck, das als verfassungsrechtliche Grundentscheidung auf alle Bereiche des Rechts einwirkt 1 . Die Wertordnung des Grundgesetzes ist die Summe der Entscheidungen des Verfassungsgebers für bestimmte einzelne Grundprinzipien des Gemeinschaftslebens. Eines der Grundprinzipien ist die Freiheitlichkeit 2 , d. h. die Garantie eines Freiheitsraumes für den einzelnen als Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Dieses Prinzip der Freiheitlichkeit manifestiert sich i m wesentlichen i n den Grundrechten, denen, entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit, die der Verfassungsgeber den einzelnen Freiheitsrechten zugemessen hat, eine bestimmte Rangordnung innewohnt 3 . Ausdruck und zugleich Beweis für die Wertgraduierung innerhalb des Grundrechtsteils ist das System abgestufter gesetzlicher Einschränkungsmöglichkeiten 4 . Die einzelnen A r t i k e l des Grundrechtskatalogs erschöpfen sich ja nicht i n der Gewährleistung eines bestimmten Freiheitsbereichs, sondern sie normieren selbst Möglichkeit und Grenzen von Einschränkungen. Die Skala geht dabei von absoluter Schrankenlosigkeit 5 (z. B. die Glaubens- und Gewissensfreiheit 1 BVerfGE 7, 198 (205); 21, 362 (372); BVerfGE 28, 243 (259) erwähnt das „Wertsystem des Grundgesetzes"; vgl. auch Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 93. 2 Hamann/Lenz, Einf. A n m . Β 3. 3 Dürig, N J W 1955, S. 729 (731); BVerfGE 7, 198 (215) spricht von einer „Wertrangordnung". 4 Dürig, ebd., S. 731, besonders F N 25; weitere Zitate bei Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (77 F N 98). 5 Die Frage, ob und inwieweit Grundrechte, die nach ihrem Wortlaut u n beschränkt gewährleistet sind, immanenten Schranken unterliegen, ist nach w i e vor umstritten. Das B V e r w G begründet seine Lehre von immanenten Schranken m i t einer generellen Gemeinwohlklausel (seit B V e r w G E 1, 48, 52 st. Rspr.). Dürig (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 2 A n m . 69 ff.) greift dagegen auf A r t . 2 Abs. 1 GG zurück. Das B V e r f G erkennt immanente Schranken n u r i n sehr engen Grenzen an und zwar nur bei Kollision m i t Grundrechten D r i t t e r oder m i t anderen verfassungsmäßig geschützten Rechtswerten (BVerfGE 28, 243, 261). Hamann/Lenz (Vorb. zu A r t . 1 A n m . 8) schließlich lehnen immanente Schranken v ö l l i g ab.
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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nach A r t . 4 Abs. 1 und 2 GG; die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Forschung i n Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG; die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG e ; die Petitionsfreiheit nach Art. 17 GG) bis zu weitgehender Relativierbarkeit des Grundrechts durch die Gesetzgebung (z. B. Art. 2 Abs. 1 i n der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts 7 ; die Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 und 2 GG; Eigentum und Erbrecht, wo nach A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG sogar „Inhalt und Schranken" durch die Gesetze bestimmt werden). Die Vorstellung von einem differenzierten Schrankensystem ist alles andere als unbestritten. Ehmke bekämpft diese Ansicht, indem er sich zunächst gegen die Annahme eines Grundrechtssystems wendet. Er geht davon aus, daß die Verfassung als eine Einheit, d. h. als ein „ i n sich sinnvoller, auf die Einheit des politischen Gemeinwesens gerichteter Ordnungszusammenhang zu interpretieren" sei8. Von da aus gesehen könne es kein Grundrechts-„System" geben, „sondern nur bestimmte grundrechtlich gesicherte Lebensbereiche" 9 . Ehmke befürchtet, ein selbständiges Grundrechtssystem müsse die Einheit der Verfassung sprengen 10 und er setzt daher an seine Stelle die Einheit der freiheitlichdemokratischen Grundordnung 11 . Freiheit kann es für Ehmke „nur i m Recht geben", und dementsprechend legt er „die Sicherung und Ausgestaltung der Freiheit des Bürgers . . . i n die Hände des Gesetzgebers" 12 . Es ist dann nur konsequent, wenn er auch das „komplizierte System von Vorbehalten, Eingrenzungen, Schrankenziehungen usw." ablehnt 13 . Nachdrücklicher noch als Ehmke wendet sich Häberle gegen ein differenziertes Schrankensystem für die Grundrechte. Er postuliert eine „ganzheitliche Verfassungsauslegung" 14 und ersetzt Ehmkes Grundprinzip der Einheit der Verfassung durch die Formel von der „Einheit des Individuellen und Überindividuellen" 1 5 , was darauf hinausläuft, daß die Freiheit des Bürgers i m Einklang gesehen w i r d m i t der allgemeinen Staatsordnung. Häberle erkennt i n der Grundrechtsgewährleistung die 6 Es sei denn, m a n geht von einem einheitlichen Grundrecht der Berufs freiheit aus, wie etwa BVerfGE 7, 377 (401) — Apothekenurteil. 7 BVerfGE 6, 32 ff. — Elfes-Urteil. 8 Ehmke, V V D S t R L 20, S. 53 (77). 9 Ehmke, S. 85. 10 Ehmke, S. 85. 11 Ehmke, S. 91. 12 Ehmke, S. 85. Damit nähert sich Ehmke der Weimarer Auffassung, w o nach die Grundrechte unter einem generellen Gesetzesvorbehalt stünden. 13 Ehmke, S. 86. 14 Häberle, Wesengehaltsgarantie, S. 5. 15 Häberle, S. 24, i m Anschluß an Erich Kaufmann. Diese Formel hat bei Häberle nicht die grundlegende Bedeutung w i e f ü r Ehmke die Einheit der Verfassung, sie ist aber bezeichnend für die Grundhaltung des Autors.
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
„Verschränkung von öffentlichen und privaten Interessen" 16 . Das führt i h n dazu, die allgemeinen Gesetze als „die wesensmäßigen Grundrechtsgrenzen" zu qualifizieren 17 , während er den in der Verfassung vorgezeichneten Grenzen nur „generalklauselartigen Charakter" beimißt 1 8 . Aufgabe des Gesetzgebers sei es, diese Grenzen i m einzelnen zu konkretisieren 19 . Erst durch die Gesetzgebung also erlange die Verfassung „reale Geltung" und werde die Freiheit als Institut verwirklicht 2 0 . Neben Ehmke und Häberle gibt es noch zahlreiche weitere Stellungnahmen i n Literatur und Rechtsprechung, die eine generelle Einschränkbarkeit der Grundrechte ohne Rücksicht auf die speziellen, den einzelnen Grundrechtsartikeln beigefügten Vorbehaltsklauseln befürworten 21 . Ich habe die beiden genannten Autoren herausgegriffen, um das entscheidende Merkmal dieser Lehre deutlich zu machen. Die Überbetonung des Einheitsgedankens, sei es als „Einheit der Verfassung" (Ehmke) oder als „Einheit des Individuellen und Überindividuellen" (Häberle) verleitet dazu, das zwischen der Freiheit des einzelnen und der staatlichen Ordnung bestehende Spannungsverhältnis beiseite zu schieben22. Wenn aber eine „Koinzidenz der Interessenlage" 23 vorliegt, dann ist es eigentlich unmöglich, daß die in den Gesetzen manifestierte Gemeinschaftsordnung den Freiheitsraum des Bürgers verletzt. Die Grundrechte erhalten durch die Gesetze vielmehr ihre notwendige Ausgestaltung 24 , sie stehen unter dem generellen Vorbehalt der gesetzlichen Regelung. Wozu bedarf es da noch einer auf die einzelnen Freiheitsrechte zugeschnittenen Schrankensystematik? Die Befürworter der hier skizzierten Ansicht haben ein durchaus legitimes Anliegen, nämlich die desintegrierende Wirkung individualistisch verstandener Grundrechte zu begrenzen. Aber das darf nicht dazu verleiten, den Text des Grundgesetzes zu vergewaltigen, indem eine Hälfte des Grundrechtskatalogs — nämlich die gesamte Schrankensystematik — als irrelevantes und überflüssiges Wortspiel abgetan wird. 18
Häberle, S. 21. Häberle, S. 51. 18 Häberle, S. 191. 19 Häberle, S. 191. 20 Häberle, S. 184. 21 Entsprechende Zitate finden sich bei Berg (S. 10 ff.) ; bei i h m auch eine umfassende Auseinandersetzung m i t dieser Anschauung (S. 30 ff.). 22 So k a n n es für Ehmke „Freiheit n u r i m Recht geben" (S. 85); Häberle spricht davon, daß Recht u n d Freiheit „ineinander stehen" (S. 94 u n d 225; vgl. auch S. 19). Dagegen erkennt das BVerfG durchaus die „Spannung I n d i v i d u u m — Gemeinschaft" (BVerfGE 4, 7, 15 f. — Investitionshilfeurteil). 23 Häberle, S. 22. 24 Häberle, S. 180. 17
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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Darüber hinaus vergessen die erwähnten Autoren den entscheidenden Unterschied zwischen den Grundrechten des Grundgesetzes und denen der Weimarer Verfassung. Nach der Reichsverfassung von 1919 standen zahlreiche Grundrechte unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt, waren also „leerlaufend" 2 5 ; ferner konnte sich der Gesetzgeber m i t verfassungsändernder Mehrheit i n jedem Fall über die Freiheitsrechte des Bürgers hinwegsetzen2®. Dagegen binden die heutigen Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG die gesamte Staatsgewalt, auch die Gesetzgebung; „leerlaufende" Grundrechte gibt es nicht mehr 2 7 . Ehmke und Häberle aber sehen die „Grundrechte nur i m Rahmen der Gesetze", während doch umgekehrt die Gesetze sich dem Rahmen der Grundrechte unterordnen müssen 28 . I n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt klar zum Ausdruck, daß das Gericht sehr w o h l von einer Systematik der Grundrechte und deren Schranken ausgeht. Das Gericht geht davon aus, daß die einzelnen Freiheitsrechte jeweils nur einen bestimmten, tatbestandlich abgegrenzten Lebensbereich erfassen. Soweit danach Bereiche menschlichen Handelns ungeschützt bleiben, unterfallen sie der i n Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten „allgemeinen Handlungsfreiheit", die grundsätzlich jedes menschliche Tun und Handeln betrifft 2 9 . Art. 2 Abs. 1 GG ist also das generelle Grundrecht, das immer dann eingreift, wenn keine der Spezialnormen einschlägig ist 3 0 . A u f diesem Wege kommt das Bundesverfassungsgericht zu einem lückenlosen Wertschutzsystem 31 , das seine Schranken aus einem entsprechenden System abgestufter Gesetzesvorbehalte 32 erfährt, die bestimmen, „ i n welchem Umfang i n den jeweiligen Grundrechtsbereich eingegriffen werden kann" 3 3 . 25
Anschütz, Reichsverfassung, S. 518. Sogenannte Verfassungsdurchbrechungen — vgl. Anschütz, S. 401 f.; RG, JW 1927, S. 2198 (2199). 27 BVerfGE 6, 32 (40); 7, 377 (403 f.); vgl. Dürig, N J W 1955, S. 729 (730 F N 17). 28 Formulierung nach Dürig (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 1 A n m . 104) i m Anschluß an Herbert Krüger; vgl. neuerdings Wilfried Schaumann, Freiheitsrechte und Vorbehalt des Gesetzes i m Bonner Grundgesetz, i n : Mélanges Marcel Bridel, Lausanne 1968, S. 491 (493 f.). 29 Grundlegend BVerfGE 6, 32 (37); BVerfGE 23, 50 (55 f.) m i t Nachweisen. 30 Es ist bezeichnend, daß Ehmke seine oben skizzierte Auffassung i n einer Auseinandersetzung m i t der von i h m abgelehnten Rechtsprechung des BVerfG zu A r t . 2 Abs. 1 GG entwickelt hat (Ehmke, S. 77 ff., insbesondere S. 82 ff.). 31 Die Lückenlosigkeit des W e r t - u n d Anspruchssystems des Grundgesetzes betont vor allem Dürig, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 1 A n m . 13, 84 ff.; A r t . 2 Anm. 10. W o h l zu Recht sieht Ehmke (S. 82) i n dem Versuch, einen lückenlosen Grundrechtsschutz zu gewährleisten, den Ursprung jener Lehre, welche die Grundrechte als ein i n sich geschlossenes System betrachtet (vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 127). 32 E i n sehr differenziertes Schrankensystem hat Friedrich Klein entwickelt (vgl. Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 120 ff.); auch Lerche (Übermaß u n d Verfas26
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Gerade an der Annahme eines lückenlosen Wertsystems der Grundrechte entzündet sich jedoch die K r i t i k der Literatur an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es ist i n der Tat nicht zu leugnen, daß dann, wenn man die Grundrechte als ein eigenes, i n sich geschlossenes System versteht, eine die Einheit der Verfassung sprengende Antinomie zwischen den Grundrechten und dem organisatorischen Teil der Verfassung entstehen kann. Diesen Dualismus w i l l eben Ehmke überwinden, wenn er das geschlossene Grundrechtssystem durch die „Einheit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" ersetzt 34 . Dieser K r i t i k gegenüber ist freilich festzuhalten, daß das Bundesverfassungsgericht niemals soweit geht, ein eigenes, i n sich geschlossenes Wertsystem der Grundrechte zu behaupten, sondern lediglich — wesentlich weniger exponiert — ein „grundrechtliches Wertsystem" konstatiert 3 5 . Daß die Grundrechte bestimmte Wertentscheidungen der Verfassung bekunden, ist unbestreitbar. Und daß diese i n den Grundrechten verkörperten Wertentscheidungen ein System bilden, dürfte w o h l weniger i n dem Sinn zu verstehen sein, daß die Grundrechte ein nach außen abgeschlossenes Gebilde darstellen, sondern eher dahingehend, daß sie untereinander in einer bestimmten „Wertordnung, die zugleich eine Wertrangordnung ist" 3 6 , stehen. Ein solches Verständnis vom Wertsystem der Grundrechte impliziert keine Antinomie zum organisatorischen Teil der Verfassung, es weist jedoch daraufhin, daß die Grundrechte nicht alle gleichwertig sind, sondern eine nach der Entscheidung des Verfassungsgebers abgestufte Wertigkeit besitzen, die sich i n den abgestuften Einschränkungsmöglichkeiten ausdrückt 37 . Damit läßt sich die Annahme einer einheitlichen, über allen Grundrechten liegenden Generalschranke nicht vereinbaren. Die Differenzierungen i m Vorbehaltsgebäude des Grundrechtskatalogs sind also keineswegs zufällig, sondern sie entspringen einer Abwägung der Bedeutung des jeweiligen Grundrechts für das Individuum gegenüber den möglichen Auswirkungen der Inanspruchnahme des Grundrechts für die Allgemeinheit. Wegen dieser gewollten Differenzierungen sungsrecht, S. 98 ff.) bekennt sich zu einem abgestuften System grundrechtlicher Begrenzungen und wendet sich gegen die Gefahr einer „Gesamtansicht", wonach sich jedermann m i t den Einschränkungen seiner Freiheit bis zum allgemein Zumutbaren abfinden müsse (S. 157 f.). 33 Vgl. BVerfGE 6, 32 (37). 34 Ehmke, S. 77 u n d 91; vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 125 ff. 35 BVerfGE 7, 198 (205); 21, 342 (372). 36 BVerfGE 7, 198 (215); gegen eine Wertrangordnung der Grundrechte aber Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (79). 37 Für eine Schrankensystematik auch Graf, Die Grenzen der Freiheitsrechte ohne besondere Vorbehaltensschranken, Diss. München 1970, insbes. S. 52 ff. (54).
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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lassen sich die Einschränkungsmöglichkeiten bei den verschiedenen Grundrechten nicht beliebig austauschen, sondern sie sind dem jeweiligen Freiheitsbereich ihres Grundrechts zugeordnet. Die eigentliche Schwierigkeit besteht nun darin, aus den notwendig allgemein und vage formulierten Schrankenvorbehalten konkrete Aussagen über die Berechtigung staatlicher Eingriffe i n grundrechtlich geschützte Lebensbereiche zu gewinnen. Werden gleichzeitig mehrere Grundrechte i n Anspruch genommen, so ist vorab die Frage zu klären, welche der relevanten Grundrechtsbestimmungen die Grundlage für mögliche Einschränkungen abgibt. Erst wenn das geklärt ist, kann auf den Inhalt der Schranken eingegangen werden. 2. Feststellung der schrankenbestimmenden Norm bei Konkurrenzen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit
W i r d i m Rahmen einer Versammlung von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht, so sind Art. 5 GG und Art. 8 GG die einschlägigen Schutznormen. W i r haben indessen gesehen, daß die beiden A r t i k e l für sich allein jeweils nur einen Teilaspekt des gesamten einheitlichen Lebenssachverhalts betreffen. A r t . 8 GG schützt die Versammlung als das gewollte Beisammensein von Menschen, Art. 5 GG dagegen schützt die geäußerte Meinung dem Inhalt nach 38 . Da aber nun die Schranken der einzelnen Grundrechte nicht austauschbar, sondern sachlich auf den Wirkungsbereich ihres Grundrechts beschränkt sind, muß der einheitliche Vorgang auch bezüglich der Eingrenzungsmöglichkeiten i n seine verschiedenen grundrechtlich relevanten Teile aufgelöst werden. Demnach gelten in dem Bereich, den Art. 8 GG schützt, ausschließlich dessen Schranken; i m Schutzbereich des A r t . 5 GG gelten seine Schranken 39 . Dieser Gedanke liegt bereits dem Lösungsversuch Herzogs zugrunde, der — allerdings beschränkt auf die Fälle der Idealkonkurrenz zwischen Art. 5 und A r t . 8 4 0 — danach unterscheidet, von welchen Motiven das Staatsorgan bei einem konkreten Eingriff geleitet war 4 1 . Bei einer spezifisch versammlungspolizeilichen Motivation, z. B. bei einem Versammlungsverbot wegen der handfesten Gefahr eines gewaltsamen Ablaufs der Versammlung, sei A r t . 8 GG die Grundlage der behördlichen 38
Vgl. oben Β I I 4. A u f A r t . 5 GG bezogen sagt auch Hilf (Demonstration und Straßenverkehr, S. 22), daß „hinsichtlich der bei Versammlungen unter freiem H i m m e l bekundeten Meinungen . . . ausschließlich die Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG (gelten)". Eine Vermengung der Schranken aus A r t . 5 und A r t . 8 befürwortet dagegen Wernicke (BK, A r t . 8 Anm. I I 1 d). 40 Vgl. oben Β I I 1. 41 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 32; i h m folgend Maul, JR 1970, S. 81 (84). 39
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Reaktion; unbeachtlich sei, ob auch das konkurrierende Grundrecht die Maßnahme rechtfertige. Gehörten „die Motive der Staatsbehörde aber thematisch zum Schutzbereich des konkurrierenden Grundrechts", solle also z. B. i m Falle der Konkurrenz m i t A r t . 5 GG eine mißliebige Meinung unterdrückt werden, so sei auf den Eingriff eben nicht Art. 8 GG, sondern Art. 5 GG anzuwenden. a) Keine Relevanz behördlicher
Motive
Soweit Herzog den einheitlichen Vorgang i n seine unterschiedlichen Grundrechtsaspekte aufteilt und die Schrankenregelung den jeweils einschlägigen Grundrechten entnimmt, ist i h m zuzustimmen; nicht zu billigen ist aber, wenn er hierbei an die behördlichen Motive anknüpft. Behördliche Eingriffe in Grundrechte sind an den Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts bzw., wenn sie von einem Polizeiorgan (im engeren Sinne) 42 ausgehen, an den Regeln des besonderen Polizeirechts zu messen. I n beiden Fällen gilt aber, daß die Motive der verfügenden Behörde für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen nur in sehr engen Grenzen Bedeutung gewinnen, i m wesentlichen nämlich nur bei willkürlichem Gebrauch des Ermessens 43. Läßt sich der Beamte bei einem Versammlungsverbot, wofür i h m § 15 Abs. 1 VersG einen Ermessensspielraum gibt 4 4 , von unsachlichen schikanösen Motiven leiten, z. B. weil die Versammlung von der ihm unliebsamen X-Partei veranstaltet wird, so ist das Verbot rechtswidrig. Für das besondere Polizeirecht gilt darüber hinaus, daß die Behörde mit ihrer Verfügung nur spezifisch polizeiliche Zwecke verfolgen darf. Eine Maßnahme, „die zur Erreichung anderer, nicht zum objektiven Aufgabenkreis der Polizei gehörender Zwecke, z. B. aus ästhetischen Rücksichten oder zur Verhinderung unerwünschter wirtschaftlicher Konkurrenz" ergeht, ist rechtswidrig 45 . Das ist indessen nur eine folgerichtige Erweiterung gegenüber dem Fall der Ermessenswillkür, denn für die Polizei sind eben alle nichtpolizeilichen Motive bereits unsachlich. Immer dann, aber auch nur dann, wenn sich die Behörde von Motiven leiten läßt, die außerhalb ihres Aufgaben- oder Zuständigkeitsbereichs liegen, ist ihre Verfügung rechtswidrig. Demgegenüber hält Herzog die behördlichen Motive schon dort für entscheidend, wo es i m Rahmen des einheitlichen Aufgabenkreises einer Behörde um verschiedene i n Frage kommende Rechtsgrundlagen für die zu treffende Maßnahme geht. 42 Vgl. zum Polizeibegriff Samper, PAG, § 1 Anm. 1 ff. ; Drews/Wacke, A l l g . Polizeirecht, S. 11 ff. 43 Wolff, Verwaltungsrecht I, S. 189 f.; Drews/Wacke, S. 165 ff., 280 f., 312. 44 Dietel/Gintzel, VersG, § 15 A n m . 1 f. 45 Drews/Wacke, S. 280 f.
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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Die Konsequenzen der Herzog'schen Ansicht sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden: Eine radikale Splittergruppe w i l l gegen die Wahl eines bestimmten Politikers zum Bundeskanzler demonstrieren. Schon früher war es bei Veranstaltungen dieser Gruppe zu Ausschreitungen gegen Menschen und Sachen gekommen, und auch diesmal wurden zahlreiche Spreng- und Schlagwerkzeuge i m Büro der Gruppe gefunden. Die Behörde verbietet den Aufzug m i t der Begründung, daß „ K u n d gebungen gegen die demokratisch legitimierte Wahl des Bundeskanzlers unzulässig" seien. Damit soll also eine mißliebige Meinung unterdrückt werden, was indessen nach Art. 5 GG unzulässig wäre, denn kein „allgemeines Gesetz" (Art. 5 Abs. 2 GG) verbietet eine Demonstration zu dem beschriebenen Zweck. Dagegen wäre ein Verbot durchaus nach Art. 8 Abs. 2 GG i n Verbindung mit § 15 Abs. 1 VersG zu rechtfertigen gewesen46. Nach Herzogs Lehre wäre das Verbot, da es von den Motiven der Behörde, die hier offensichtlich nur eine bestimmte Meinung unterdrücken wollte, nicht getragen wird, rechtswidrig und müßte i m verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgehoben werden. Das Ergebnis ist unbefriedigend und widerspricht zudem den Grundsätzen, die insbesondere das Bundesverwaltungsgericht zum Problem des „Nachschiebens von Gründen" entwickelt hat 4 7 . Danach ist für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes die ursprüngliche Begründung, die ihrerseits auf die Motivation der Behörde schließen läßt, nicht ausschlaggebend, vielmehr kann die Behörde noch später, i m Laufe des gerichtlichen Verfahrens die zutreffende rechtliche Begründung nachschieben; Voraussetzung ist lediglich, daß „die nachträglich vorgebrachten Gründe schon bei Erlaß des streitigen Verwaltungsaktes vorlagen, dieser durch sie nicht i n seinem Wesen geändert und der Kläger nicht i n seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt w i r d " 4 8 . Wenn Herzog nun i n Fällen der Grundrechtskonkurrenz den Eingriff an den Motiven der Behörde messen w i l l , so kann sich das doch nur auf die Motive i m Zeitpunkt des Eingriffs beziehen, wie sie in der ursprünglichen Begründung zum Ausdruck kommen, denn eine nachgeschobene Begründung belegt 46 Der Hinweis auf frühere Ausschreitungen allein würde das Verbot nicht rechtfertigen (vgl. V G Berlin, M D R 1968, S. 701); aber i m Unterschied zu dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sind hier Tatsachen gegeben, „die die Annahme rechtfertigen, daß eine unmittelbar bevorstehende, also eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung besteht" — die Bereitstellung von Spreng- und Schlagwerkzeugen. 47 B V e r w G E 1, 12 ff.; 1,311 (313); BVerwG, D Ö V 1967, S. 62 (63); zustimmend Eyermann/Fröhler, VwGO, § 113, Anm. 15 ff.; Wolff, Verwaltungsrecht I, S. 365 f. Zwar handelt es sich beim Nachschieben von Gründen u m einen prozeßrechtlichen Grundsatz (Ey ermann/Fr öhler, ebd., A n m . 18), der jedoch insofern materielle Bedeutung hat, als er für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes relevant w i r d . 48 BVerwG, DÖV 1967, S. 62 (63).
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
gerade nicht die dem Eingriff zugrundeliegenden Motive, sondern ist Ersatz für eine unzulängliche und fehlgerichtete Motivation. Während nämlich die Begründung als solche austauschbar ist, stehen die Beweggründe der Behörde als eine der Vergangenheit angehörende Tatsache fest. Wenn man sich also m i t Herzog an den dem Eingriff zugrundeliegenden, feststehenden Motiven orientiert, dann muß jede unzulängliche und fehlgerichtete Motivation zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen. Läßt man aber m i t dem Bundesverwaltungsgericht eine nachgeschobene Begründung zu, dann heißt das nichts anderes, als daß man von den behördlichen Motiven absieht und statt dessen andere, von der rechtlichen Beurteilung durch den entscheidenden Beamten unabhängige Kriterien heranzieht. Nicht subjektive, sondern objektive Komponenten entscheiden über die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs. Welches ist nun i m Falle der Grundrechtskonkurrenz dieses objektive Kriterium, an dem man sich orientieren muß, wenn man die ausschlaggebende Schutzund Schrankennorm bestimmen will? b) Bestimmung des Schrankengrundrechts nach einem objektiven Maßstab — Anknüpfung an das polizeiliche Störerrecht Feststeht, daß i n dem jeweiligen Schutzrecht des Art. 5 GG bzw. des Art. 8 GG auch deren spezifische Schranken gelten. Wenn also eine behördliche Maßnahme den Schutzbereich des Art. 8 GG tangiert, d. h. wenn sie sich gegen die Versammlung als solche, nämlich gegen die körperliche Zusammenfassung einer Mehrzahl von Personen richtet, dann ist Art. 8 GG der alleinige Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs; betrifft die Maßnahme dagegen den Schutzbereich des A r t . 5 GG, d. h. richtet sie sich gegen die in der Versammlung geäußerte Meinung, dann ist sie ausschließlich an Art. 5 GG zu messen. Für die Frage, welche Grundrechtsnorm bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Meinungs- und Versammlungsfreiheit zur Bestimmung der Grundrechtsschranken heranzuziehen ist, bzw. für die Frage, an welcher Norm staatliche Eingriffe gegen Versammlungen, bei denen gleichzeitig von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird, zu messen sind, kommt es also entscheidend darauf an, ob die Maßnahme gegen den Schutzbereich des Art. 5 GG oder den des Art. 8 GG gerichtet ist. Das Problem der „Richtung des behördlichen Einschreitens" 49 taucht i n ähnlicher Weise i m allgemeinen Polizeirecht auf, und zwar bei der Bestimmung des Adressaten eines polizeilichen Eingriffs. Nur dann darf eine polizeiliche Maßnahme gegen eine bestimmte Person gerichtet werden, wenn diese Person „Störer" ist, d. h. wenn von dieser Person eine 49
Samper, PAG, A r t . 9 A n m . 1.
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht. Dieser Ausgangspunkt des polizeilichen Störerrechts kann für die Feststellung der schrankenbestimmenden Norm bei gleichzeitiger Inanspruchnahme mehrerer Grundrechte nutzbar gemacht werden. Auszugehen ist von dem Grundsatz, daß die Richtung eines staatlichen Eingriffs durch das Vorliegen einer Störung bestimmt wird. Das bedeutet für die Fälle der gleichzeitigen Inanspruchnahme mehrerer Grundrechte, daß sich ein staatlicher Eingriff nur gegen den Schutzbereich desjenigen Grundrechts richten darf, aus dessen Wirkungsbereich eine Störung kommt, bzw. wenn das dem Wirkungsbereich dieses Grundrechts zugeordnete Verhalten eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Auf das Verhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit angewandt bedeutet das: Immer dann, wenn die Störung oder drohende Gefahr objektiv von der durch Art. 8 GG geschützten versammelten Menschenmenge ausgeht, ist Art. 8 GG die Rechtsgrundlage für staatliche Eingriffe; stört dagegen die dort vorgebrachte Meinung, so gilt Art. 5 GG. Subjektive Motive der eingreifenden Behörde sind irrelevant. Art. 5 GG und Art. 8 GG weisen demnach nicht nur i n ihrer Funktion als Freiheitsgewährleistungen, sondern auch als Eingriffsermächtigungen für den Staat keine Überschneidungen auf. Freilich ist dieser Grundsatz i n der bisherigen Rechtsprechung zum Versamlungswesen nahezu völlig unbeachtet geblieben, obwohl doch gerade die Gerichte laufend m i t der Schrankenproblematik der Grundrechte konfrontiert sind, sei es daß sie als Verwaltungsgerichte die Berechtigung staatlicher Eingriffe in Grundrechte prüfen müssen, sei es daß sie als Strafgerichte Überschreitungen der bestehenden Grundrechtsschranken durch die Grundrechtsträger zu beurteilen haben. Die folgende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung soll die mangelnde Systematik der Rechtsprechung aufzeigen und gleichzeitig den soeben entwickelten Grundsatz, daß i m Falle der Grundrechtskonkurrenz die einschlägige Schrankennorm nach dem störenden Aspekt zu bestimmen ist, beispielhaft verdeutlichen. Dabei kommt es mir jetzt nicht darauf an, ob die Entscheidungen i m Ergebnis richtig oder falsch sind, sondern es soll lediglich geprüft werden, ob die gerichtlichen Lösungen i m Ansatzpunkt mit den bisher entwickelten Grundsätzen zu vereinbaren sind.
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG 3. Methodik der Rechtsprechung bei der Schrankenbestimmung im Konkurrenzverhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit
a) Entscheidungen ohne ausreichende Tatbestandsabgrenzung und mit einseitiger Konzentration auf ein Grundrecht Als erstes Beispiel für die Systemlosigkeit, die i n der Rechtsprechung i n Bezug auf die Schranken der Versammlungsfreiheit herrscht, sei ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 27. 8.1969 genommen 50 . Eine Gruppe jugendlicher Demonstranten war i n eine Vereidigungsfeier der Bundeswehr eingedrungen und hatte m i t Sprechchören gegen die Notstandsgesetze protestiert. Nachdem sie den Platz nicht freiwillig räumten, w u r den die Demonstranten von der Polizei weggetragen. Das OLG hält den Tatbestand des § 360 Abs. 1 Nr. 11 StGB (grober Unfug) für gegeben. Es geht zwar auf die Grundrechtsproblematik ein, erörtert jedoch nur die Bedeutung der Meinungsfreiheit. Entsprechend der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wechselwirkungstheorie 51 kommt das Gericht i m Rahmen einer Güterabwägung dazu, daß „ein schutzwürdiges Interesse der Angeklagten, ihre Meinung in der von ihnen gewählten A r t und Weise zum Ausdrck zu bringen, nicht anerkannt werden (könne)" 52 . Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) erwähnt das Gericht m i t keinem Wort. Indessen lag doch sicherlich eine Versammlung vor, da die Demonstranten i m Verbund vorgehen, d. h. beisammen sein wollten, u m ihrem Anliegen Durchschlagskraft zu verleihen 55 . U m nun den einschlägigen Schutz- und Schrankenbereich zu finden, ist die Frage zu stellen: Welcher Aspekt des Sachverhalts stört? — Ist es die geäußerte Meinung? Ohne Zweifel nicht! Das Gericht betont sogar, es sei das „selbstverständliche Recht der Angeklagten, ihre Meinung über die Notstandsgesetze und die Soldatenvereidigung frei zu äußern". — Ist es die Versammlung als solche, die stört? Ganz offensichtlich bildet die geschlossene Gruppe von ungebetenen Eindringlingen — das ist die Versammlung — ein störendes Element für die Vereidigungsfeier. Somit war das Ubergehen der Frage, ob sich die Angeklagten auf ihre
50
O L G Karlsruhe, N J W 1970, S. 64 f. Grundlegend BVerfGE 7, 198 (208 f.). 52 O L G Karlsruhe, a.a.O., S. 65. 53 Ob ein Sitzstreik, wie er hier vorlag, eine Versammlung ist, ist nicht unbetritten; nach dem vom Verfasser vertretenen Versammlungsbegriff besteht kein Zweifel, daß die Frage positiv zu beantworten ist (vgl. oben A I I 3 b). Gerade die Rechtsprechung der Strafgerichte könnte sich an der E n t scheidung des B G H (NJW 1969, S. 1770, 1773) orientieren, i n der ein Sitzstreik auf Straßenbahngeleisen unter dem Gesichtspunkt des A r t . 8 GG gewürdigt wird. 51
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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Versammlungsfreiheit berufen könnten, oder ob sie die Grenzen der Versammlungsfreiheit überschritten haben, auf jeden Fall ein Fehler. Störend w i r k t e n allerdings auch die Sprechchöre der Gruppe. W i r d dieser Aspekt — d. h. die durch ihre Lautstärke, nicht durch ihren Inhalt störende Äußerung — nun von Art. 5 GG oder ebenfalls von A r t . 8 GG erfaßt? Der i n den Sprechchören artikulierte Protest ist der erklärte Zweck der Versammlung. Nach der bisher allgemeinen Meinung zum Versammlungsbegriff, die das Kennzeichen jeder Versammlung i n der Ausrichtung auf einen bestimmten Zweck sieht 54 , wäre damit die Zuordnung zum Bereich des Art. 8 GG eigentlich selbstverständlich. Wenn schon der Zweck notwendiges Merkmal der Versammlung ist, so muß er w o h l auch von der Versammlungsfreiheit erfaßt werden. Die hier vertretene Meinung, daß Art. 8 GG das Assoziationsbedürfnis ohne Rücksicht auf einen bestimmten Zweck schützt, besagt freilich nicht, daß der Zweck der Versammlung außerhalb des Schutzbereichs des Art. 8 GG liegen müßte. Vielmehr ist dann, wenn sich der Sinn der Versammlung nicht i m bloßen Beisammensein erschöpft, der verbindende Zweck selbstverständlich durch die Versammlungsfreiheit gedeckt; andernfalls hätte dieses Grundrecht gerade in den für die Gemeinschaft relevanten Fällen keinerlei Durchschlagskraft. Das Ziel der Gruppe, ihren Protest durch lautstarke Sprechchöre zu artikulieren, ist also ebenfalls an Art. 8 GG zu messen; das gilt, es sei noch einmal betont, selbstverständlich nicht für den Inhalt des Protests. Das OLG hat insgesamt gerade das falsche Grundrecht herangezogen. Die Entscheidung ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, daß Herzogs Ansatzpunkt, die Motive der eingreifenden Behörde über die Rechtsgrundlage des Eingriffs entscheiden zu lassen 55 , verfehlt ist. Es wäre doch durchaus denkbar, daß es der Polizei, als sie die Demonstranten wegtrug, i n erster Linie, oder zumindest auch, um die Unterdrückung der geäußerten Meinung ging. Gerade bei einer Vereidigungsfeier der Bundeswehr mag sich mancher durch den Protest gegen die Notstandsverfassung, welche nunmehr als Teil des Grundgesetzes vom Eid der Soldaten umfaßt wurde, sehr provoziert gefühlt haben. Die rechtlich fehlerhafte Motivation der Behörde (Unterdrückung einer bestimmten Meinung) müßte nach der Herzog'schen Lehre dazu führen, den Verwaltungsakt als rechtswidrig anzusehen, obwohl er doch möglicherweise objektiv gerechtfertigt war. I m übrigen bleibt das Problem: Wer soll die Motive der Behörde feststellen, wenn sie nicht zufällig in einem schriftlichen Bescheid Ausdruck gefunden haben? 54 55
Vgl. z. B. Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 305, sowie oben A I I 3 a. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 32; vgl. oben C I 2a.
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Anlaß zu zahlreichen Gerichtsentscheidungen bildeten in den Jahren 1968 und 1969 folgende Ereignisse: A m Gründonnerstag 1968 wurde auf den Berliner Studentenführer Rudi Dutschke ein Attentat verübt. Viele Studenten machten dafür den Verleger Axel Springer wegen der den aufbegehrenden Studenten gegenüber negativen Berichterstattung i n seinen Zeitungen 56 mittelbar verantwortlich. A m Karfreitag kam es daher i n verschiedenen Städten zu Demonstrationen vor Springer'schen Verlagshäusern, i n denen die Springer gehörende Bild-Zeitung gedruckt wurde. Die Auslieferung der Samstagsausgabe des Blattes wurde um mehrere Stunden verzögert. Das OLG Celle verurteilte mehrere Teilnehmer einer solchen Blockade wegen Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 StGB a. F.), Nötigung (§ 240 StGB) und Auflauf (§116 StGB a. F.) 57 . Das OLG prüft, ob das Tun der Angeklagten aus grundrechtlichen Erwägungen gerechtfertigt sein könnte. Es geht, ähnlich wie i m vorigen Beispiel das OLG Karlsruhe, ausführlich auf die Problematik des Art. 5 GG ein 58 , obwohl doch gerade hier offensichtlich nicht die geäußerte Meinung stört, sondern die Versammlung i n Gestalt einer Menschenmenge, die durch ihre Zusammenballung eine Ausfahrt sperrt. I m Ergebnis lehnt das Gericht eine Rechtfertigung aus Art. 5 GG ab; zum einen fehle es schon an einer Meinungsäußerung im Sinne dieser Bestimmung, da sich die Demonstranten nicht „auf geistige Argumente gestützt" hätten; i m übrigen seien unter Berücksichtigung der Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts die Grenzen der allgemeinen Gesetze überschritten, hier eben die Grenze des Strafrechts. Anschließend geht das OLG, ohne eine Abgrenzung der grundrechtlichen Wirkungsbereiche auch nur zu versuchen, auf Art. 8 GG ein und bemerkt lediglich, die Versammlung sei wegen der begangenen Gewalttätigkeiten unfriedlich und daher nicht von Art. 8 GG geschützt gewesen. Die beiden, diesem Revisionsurteil vorausgegangenen Entscheidungen der Untergerichte sind ebenfalls veröffentlicht worden. Das A G Hannover hatte nur wegen Nötigung (§ 240 StGB) verurteilt 5 9 . Es geht von einem einheitlichen, zu Art. 5 GG und Art. 8 GG gehörigen Demonstrationsrecht aus, womit natürlich von vornherein eine Tatbestandsabgrenzung und eine an dem einzelnen Grundrecht orientierte Schrankensystematik ausgeschlossen ist. So greift das Gericht schließlich auf 56 Vgl. die Zusammenstellung i n der Zeitschrift „Der Spiegel" v o m 29. 7. 1968, S. 51; vgl. ferner A G Hannover, D R i Z 1969, S. 90; A G Esslingen, JZ 1968, S. 800 ff. 57 O L G Celle, N J W 1970, S. 206. 58 O L G Celle, a.a.O., S. 207. 59 A G Hannover, DRiZ 1969, S. 90.
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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Art. 2 Abs. 1 GG zurück und überträgt die Schranke der Rechte anderer auf das Demonstrationsrecht. Das L G Hannover hatte sogar umfassend freigesprochen 60 . Es versucht zunächst eine A r t Tatbestandsabgrenzung zwischen Art. 5 GG und Art. 8 GG, stellt dann allerdings fest, das Schwergewicht des Demonstrationswesens liege auf der freien Meinungsäußerung, und orientiert sich i m folgenden augenscheinlich an der vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 GG entwickelten Rechtsprechung über die Wechselwirkung zwischen Grundrechten und allgemeinen Gesetzen. I n einem Urteil vom 30. 10. 1968 sprach auch das A G Frankfurt zwei Teilnehmer einer „Springer-Blockade" frei 6 1 . Das Gericht erwähnt fast beiläufig die Bedeutung der Versammlungsfreiheit, um sich dann ganz der Erörterung des Art. 5 GG zu widmen, wiederum m i t ausführlicher Darstellung der Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts aus dem L ü t h - U r t e i l " . Das OLG Stuttgart sah durch die Teilnahme an einer ähnlichen, gegen Springer gerichteten Demonstration die Tatbestände der Nötigung (§ 240 StGB) und des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB a. F.) als verwirklicht an 63 . Eine Rechtfertigung aus Art. 5 GG lehnt das OLG ab, aber nicht etwa, w e i l dann, wenn die Versammlung als solche störe, der Wirkungsbereich des Art. 5 GG gar nicht betroffen sei, sondern weil die gewalttätige Blockade „keine vom Grundgesetz geschützte Argumentationsart" sei. A u f A r t . 8 GG könne sich der Angeklagte nicht berufen, weil die Demonstration unfriedlich gewesen sei. Das A G Göttingen verurteilte einige Studenten, die durch Sperrung des Auditoriengebäudes der Universität Göttingen gegen die Notstandsgesetze demonstriert hatten, wegen Nötigung (§240 StGB) und Beamtennötigung (§114 StGB) 64 . Das Amtsgericht betont, daß das Ziel der Angeklagten, gegen die Notstandsgesetze zu demonstrieren (Inhalt der Meinung), durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sei. Es erkennt auch, daß „das Mittel, mit dem die Angeklagten ihre Ziele verfolgten", störte. Das Gericht subsumiert dieses M i t t e l indessen fälschlich unter Art. 5 GG, obwohl doch eine Versammlung vorliegen dürfte (der veröffentlichte Sachverhalt erlaubt insofern allerdings keine eindeutige Aussage). Art. 8 GG w i r d also völlig unterschlagen. Das Gericht beschreibt vielmehr ebenfalls eingehend die Relevanz der Wechselwirkungslehre. 60 61 62 63 64
L G Hannover, DRiZ 1969, S. 225. A G Frankfurt, JZ 1969, S. 200. BVerfGE 7, 198 (208 f.). O L G Stuttgart, N J W 1969, S. 1543. A G Göttingen, D R i Z 1969, S. 89.
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
I n dem schon eingangs zitierten Beschluß vom 14. 4.1969 rechtfertigte das BayObLG die Verurteilung eines Teilnehmers an einer Vietnamdemonstration wegen Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 2 StGB a. F.) 65 . Der Aufzug war in sicherer Entfernung vor dem amerikanischen Generalkonsulat i n München auf eine Polizeisperre gestoßen. Die Teilnehmer hatten sich daraufhin auf der Fahrbahn zu einem Sitzstreik niedergelassen. Das Gericht prüft zunächst Art. 5 GG und stellt richtig fest, daß „ A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG die Reihe der von ihm garantierten M i t teilungsmittel nicht (erschöpfe)", vielmehr gehöre auch die Teilnahme an Demonstrationen zu den grundgesetzlich verbürgten Mitteilungsmitteln. Das BayObLG verkennt jedoch, daß dieses spezielle M i t t e l der Meinungsfreiheit durch Art. 8 GG geschützt und dem Wirkungsbereich des Art. 5 GG entzogen ist. Es geht wohl noch auf Art. 8 GG ein, aber natürlich ohne die notwendige Tatbestandsabgrenzung 06 ; im Ergebnis w i r d Art. 8 GG abgelehnt, w e i l die Versammlung unfriedlich gewesen sei. Das Amtsgericht Bremen sprach einen Angeklagten frei, der mit anderen gegen eine Fahrpreiserhöhung durch Sperrung der Straßenbahngeleise demonstriert hatte 67 . Das Gericht erkennt, daß das Recht, seine Meinung i n öffentlicher Versammlung zum Ausdruck zu bringen, durch Art. 5 GG und Art. 8 GG gewährleistet ist. Es unterläßt aber eine Tatbestandsabgrenzung und erschöpft sich völlig i n der Erörterung des Art. 5 GG, indem es auch die A r t und Weise der Meinungsäußerung, die doch hier m i t der Durchführung einer Versammlung identisch ist, ausschließlich den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterwirft. Die bisher dargestellten Entscheidungen haben gemeinsam, daß sie jegliche Abgrenzung der Wirkungsbereiche der beiden Grundrechte, Art. 5 GG und Art. 8 GG, vermissen lassen. Gerade die Tatbestandsabgrenzung ist aber unabdingbare Voraussetzung für die befriedigende Lösung grundrechtlicher Konkurrenzen 68 . Darüber hinaus verbindet diese Entscheidungen die einseitige, teilweise sogar ausschließliche Orientierung auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit. Das hat einen einfachen, einleuchtenden Grund. Während zu Art. 8 GG bisher keine Rechtsprechung des Bundesverfasungsgerichts vorliegt 6 9 , während die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes i m allgemeinen und die politischen Demonstrationen i m besonderen für die Gerichte juristisches Neu65
BayObLG, N J W 1969, S. 1127. Daran fehlt es auch i n der A n m e r k u n g zu dem Beschluß von Schwark (NJW 1969, S. 1495 f.). 67 A G Bremen, DRiZ 1969, S. 92. 63 Vgl. Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 75. 69 Vgl. Leibholz/Rinck, A n m . zu A r t . 8 GG. 66
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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land 7 0 darstellen, hat die Meinungsfreiheit die Gerichte schon seit langem beschäftigt; vor allem aber gibt es zu den Problemen des Art. 5 GG eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG); diese müssen aber ihrerseits i m Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit ausgelegt und gegebenenfalls in ihrer beschränkenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (sogenannte Wechselwirkung) 71 . Das Bundesverfassungsgericht hält daher eine Güterabwägung für erforderlich: „Das Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden". Wenn den Gerichten nun — i m Falle des Art. 8 GG — konkrete, klare Maßstäbe für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes fehlen, so ist es nicht verwunderlich, daß sie gerne auf Art. 5 GG zurückgreifen, i n dessen Rahmen sie kraft verfassungsgerichtlicher Ermächtigung ihre subjektiven Wertmaßstäbe an die Stelle gesetzlicher Regelung stellen können. Und daß in den Demonstrationsurteilen sebjektive Wertungen der Richter allgemeine gesetzliche Maßstäbe fast völlig verdrängt haben, zeigen deutlich die kraß unterschiedlichen Ergebnisse. Das andere Extrem, nämlich die einseitige Orientierung an Art. 8 GG zeigt sich i n dem Beschluß des V G K ö l n vom 11. 12. 197072. Der Polizeipräsident hatte eine Versammlung der A k t i o n Widerstand verboten und die sofortige Vollziehung des Verbots (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) angeordnet. Auf Antrag stellte das Gericht mit gewissen Auflagen die aufschiebende Wirkung des gegen das Verbot eingelegten Widerspruchs wieder her (§ 80 Abs. 5 VwGO). I m Rahmen der hierbei erforderlichen Interessenabwägung 73 geht das Gericht auf die Vorgänge ein, die sich bei einer früheren Versammlung der A k t i o n Widerstand i n Würzburg ereignet hatten. Damals war auf Spruchbändern und i n Sprechchören zu Gewalt und Mordtaten, insbesondere gegen Bundeskanzler Brandt, aufgefordert worden („Hängt die Verräter", „ W i l l y Brandt an die Wand") 7 4 . Dazu führt das Gericht nun aus: „Derartige Aufrufe zu verbrecherischen Handlungen sind verboten und fallen schon deshalb nicht unter das von Art. 8 Abs. 1 geschützte Grundrecht, weil eine Versammlung i n einem solchen Fall nicht mehr friedlich und überdies i n höchstem Maße geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung i n erheblichem Maße zu stören 75 ." Der Inhalt bestimmter Äußerungen w i r d 70 71 72 73 74 75
So A G Hannover, DRiZ 1969, S. 90. BVerfGE 7, 198 (208 f.); 12, 113 (124 f.); 20, 162 (176 f.). V G Köln, N J W 1971, S. 210 ff. m. A n m . von Pappermann. Vgl. Eyermann/Fröhler, V w G O , § 80 Anm. 47. Vgl. Süddeutsche Zeitung v o m 2.11.1970, S. 3. V G Köln, N J W 1971, S. 211; zustimmend Pappermann i n der A n m e r k u n g
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
also an Art. 8 GG gemessen, während doch Art. 5 GG das allein relevante Grundrecht ist. Es fehlt auch hier jegliche Vorabprüfung der tatbestandlichen Reichweite des Grundrechts. I m Ergebnis lehnt das Verwaltungsgericht allerdings eine konkrete Wiederholungsgefahr ab — der bloße Hinweis auf frühere Vorkommnisse reicht eben nicht aus 76 —, so daß es auf das einschlägige Grundrecht gar nicht ankäme. Wenn man bedenkt, daß viele Gerichte, indem sie die notwendige Tatbestandsabgrenzung der Grundrechte unterlassen, die detaillierte Grundrechtssystematik mit ihren spezifischen Schranken völlig außer Acht lassen, bzw. immer jenes einzelne Grundrecht zur Lösung heranziehen, das eine möglichst reibungslose Begründung der Entscheidung ermöglicht, so gewinnt man fast den Eindruck, in der Rechtsprechung habe sich Ehmkes Lehre von der „Einheit der Verfassung" i n abgewandelter Form als „Einheit der Grundrechte" durchgesetzt, so daß ein allgemeines Freiheitsrecht wie Art. 2 Abs. 1 GG vollauf genügen würde. b) Nur wenige Entscheidungen mit richtiger Tatbestandsabgrenzung Wenn der obige Vorwurf auch keineswegs auf die Untergerichte beschränkt ist, so sieht es doch so aus, als sei sich der B G H der Notwendigkeit einer Tatbestandsabgrenzung bewußt; insbesondere vermeidet er in der bisher einzigen, von ihm i m Gefolge der Studentendemonstrationen ergangenen Entscheidung die oben kritisierte einseitige Orientierung auf Art. 5 GG 77 . Kölner Studenten hatten mit einem Sitzstreik den Straßenbahnverkehr blockiert, um so gegen eine Preiserhöhung der städtischen Verkehrsbetriebe zu protestieren. Zwei maßgebliche Organisationen waren wegen Aufruhr (§115 StGB a. F.), Landfriedensbruch (§ 125 StGB a. F.), Nötigung (§ 240 StGB) und eines Vergehens nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 VersG angeklagt. Das Landgericht K ö l n hatte freigesprochen 78 ; der B G H hob das Urteil auf, da er eine Verurteilung wegen Nötigung (§ 250 StGB) und nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 VersG für geboten hielt. Eine Rechtfertigung aus Art. 5 GG lehnt der zu dem Beschluß (ebd., S. 211); ders. aber noch a. M. i n JuS 1970, S. 128 (129), wo er den I n h a l t von Meinungsäußerungen von Versammlungsteilnehmern ausschließlich nach A r t . 5 GG beurteilt. 76 Damit bestätigt das V G K ö l n die Rechtsprechung des V G B e r l i n (MDR 1968, S. 701), das die sofortige Vollziehbarkeit des gegen eine Vietnamdemonstration gerichteten Verbots m i t derselben Begründung aufgehoben hatte. 77 BGH, N J W 1969, S. 1770 (1773). Das U r t e i l des B G H v o m 30. 5.1972 (NJW 1972, S. 1366), i n dem einer der „Initiatoren" der Berliner Osterdemonstration von 1968 zum Schadensersatz verurteilt wurde, konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Die Entscheidung enthält jedoch zu den hier diskutierten Problemen keine wesentlich neuen Gesichtspunkte. 78 Das erstinstanzliche U r t e i l des L G K ö l n ist abgedruckt i n JZ 1969, S. 80.
I. Ausgangspunkt der Fragestellung
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B G H kurzerhand m i t der Erwägung ab, „der von der Verfassung gewährte weitere Spielraum für die Auseinandersetzung mit Worten (Art. 5 GG und § 193 StGB) dulde keine Erweiterung auf tätliches Verhalten". Hier scheint die Erkenntnis durchzuschimmern, daß die Demonstration als M i t t e l der Meinungsaäußerung gar nicht von Art. 5 GG erfaßt wird. Der B G H erörtert sodann relativ ausführlich Art. 8 GG, versagt den Angeklagten aber dessen Schutz, weil ihre A k t i o n unfriedlich gewesen sei. Das Ergebnis ist gerade bei dieser Entscheidung unbefriedigend, weil der B G H auf die eigentliche Schrankenproblematik der Versammlungsfreiheit aus A r t . 8 Abs. 2 GG i n Verbindung mit dem Versammlungsgesetz (insbesondere § 15 VersG) nicht eingeht, sondern eine Versammlung bereits dann als unfriedlich qualifiziert, wenn die Teilnehmer nichts anderes tun, als sich auf die Straßenbahngeleise zu setzen79. Indessen weist das Urteil erstmals den systematisch richtigen Weg, daß die von einer Versammlung ausgehende Störung nicht an Art. 5 GG, sondern an A r t . 8 GG zumessen ist. Eine i m wesentlichen zutreffende A r t von Tat'bestandsabgrenzung zwischen Art. 5 und Art. 8 GG liegt dem Urteil des OLG Frankfurt vom 22. 10. 1969 zugrunde, i n dem das Gericht die Verurteilung eines Teilnehmers an der Demonstration, die sich i m Dezember 1968 gegen die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Staatspräsidenten von Senegal, Senghor, gerichtet hatte, aufhob 80 . Das OLG sieht das Demonstrationsrecht primär unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 GG, erwähnt daneben aber verschiedene konkurrierende Grundrechte, u. a. A r t . 5 Abs. 1 GG. Die Ansicht, Senghor habe die Auszeichnung nicht verdient, sei „eine durchaus mögliche politische Auffassung. Sie vertreten zu dürfen, (garantiere) das Recht der freien Meinungsäußerung". „Auch die Form, in der der Protest vorgetragen worden" sei, könne nicht beanstandet werden. „Das (folge) aus dem Recht der Versammlungsfreiheit". Das Gericht trennt also scharf zwischen dem Inhalt der geäußerten Meinung und dem M i t t e l der Meinungsäußerung und weist beides dem jeweils einschlägigen Grundrecht zu. I n seinen Darlegungen zur Tragweite der Versammlungsfreiheit bemüht das OLG zwar auch die Güterabwägungslehre des Bundesverfassungsgerichts, aber es handelt sich hierbei eben nicht um eine Erörterung des Art. 5 GG, sondern um eine Übertragung der zu Art. 5 GG entwickelten Grundsätze auf ein anderes Grundrecht, hier auf Art. 8 79 Vgl. den Bericht über die Demonstration i n der Süddeutschen Zeitung v. 25.10.1966, S. 40. Gegen die Entscheidung des B G H u. a. Klug, Perspektiven deutscher Politik, S.42ff.; Ott, N J W 1969, S. 2023 f. 80 O L G Frankfurt, DRiZ 1970, S. 63 f.; angeklagt w a r der i n Frankreich u n d i n der Bundesrepublik gleichermaßen aktive Daniel Cohn-Bendit. Das erstinstanzliche U r t e i l des A G Frankfurt ist abgedruckt i n DRiZ 1969, S. 87.
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
GG. W i r werden noch sehen, daß dieser Weg i m Prinzip durchaus richtig ist. Ungleich präziser grenzt das OVG Münster die Bereiche der Art. 5 und Art. 8 voneinander ab 81 . Das Urteil — eine der letzten Entscheidungen i m Gefolge der Studentendemonstrationen der späten 60er Jahre — nimmt zu den Ereignissen i m Zusammenhang m i t dem Besuch des Schahs von Persien Ende Mai 1967 Stellung, die ja die eigentliche Demonstrationswelle erst einleiteten. Das OVG bestätigt das gegen einen i n der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Perser ausgesprochene Verbot, während des Schahbesuchs an politischen Demonstrationen teilzunehmen. Es stellt fest, daß sich der Eingriff nicht gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung gerichtet habe, das Verbot habe vielmehr „gerade der Abwehr der besonderen Gefahren, die sich auf Grund einer Menschenansammlung für den Ablauf des Staatsbesuchs ergeben konnten", gedient. „ I n diesem Fall (sei) die Zulässigkeit staatlicher Eingriffe i n den Freiheitsbereich des einzelnen (nicht nach Art. 5 Abs. 1 GG, sondern) nach der spezielleren Vorschrift des A r t . 8 Abs. 1 GG zu beurteilen 82 ." Da der allein anwendbare Art. 8 GG das Versammlungsrecht nur für Deutsche gewährleiste, sei der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert gewesen, i n § 6 Abs. 2 Ausländergesetz die politische Betätigung von Ausländern „einschließlich der Teilnahme an Versammlungen und Demonstrationen" Beschränkungen zu unterwerfen. Das Gericht erkennt also klar die unterschiedlichen Schutz- und Schrankenbereiche der Art. 5 GG und Art. 8 GG, wobei es sich — überraschenderweise als erstes Gericht — ausdrücklich auf die einschlägige Vorarbeit Herzogs stützt. Das OVG kommt zu einem dogmatisch sauber begründeten Ergebnis, unbeschadet der Tatsache, daß es wie Herzog 83 die Spezialität des Art. 8 GG anscheinend nur auf Fälle der kollektiven Meinungsäußerung durch eine Versammlung bezieht. Auch das behördliche Verbot beschränkte sich ja auf solche Fälle (nämlich auf politische Demonstrationen, das Hauptbeispiel der kollektiven Meinungsäußerung durch eine Versammlung überhaupt), so daß für das OVG kein Anlaß bestand, i n seiner Entscheidung auf das Verhältnis zwischen Meinungsund Versammlungsfreiheit i m ganzen einzugehen. Die Erörterung einiger Gerichtsentscheidungen zum Versammlungswesen hat gezeigt, daß eventuelle Störungen meistens von der Versammlung als solcher und nicht von der geäußerten Meinung ausgehen. Die folgende Schrankenlehre w i r d sich daher auf eine Erörterung der 81
OVG Münster, DÖV 1970, S. 344. O V G Münster, a.a.O., S. 345. 83 Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 5 A n m . 32 u n d 38, A r t . 8 A n m . 29; zur Lehre Herzogs vgl. oben Β I I 1. 82
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
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i n Art. 8 GG begründeten Grenzen konzentrieren, welche eben die Versammlung als solche betreffen. Vor allem dieser Bereich ist es ja, in dem bisher weder i n der dogmatischen Begründung noch i m sachlichen Ergebnis auch nur annähernde juristische Klarheit besteht. II. Versuch einer systematischen Darstellung der Schranken des Art. 8 GG unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu Art. 5 GG 1. Sachliche Schranken des Art. 8 Abs. 1 GG
Bereits Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet die Versammlungsfreiheit nur unter Vorbehalten. Zunächst enthält er eine persönliche Schranke, indem er die Versammlungsfreiheit nur für Deutsche garantiert. Daß diese Bestimmung restriktiv auszulegen ist, und daß Ausländer den verfassungsrechtlichen Schutz nur bezüglich ihrer politischen Versammlungsfreiheit entbehren, wurde bereits dargelegt 84 . Jetzt interessiert demgegenüber die Tragweite der sachlichen Schranken des Art. 8 Abs. 1 GG, der nämlich nur friedliche und unbewaffnete Versammlungen schützt. a) Begriffsbestimmungen aa) Waffenlosigkeit Uber die Bedeutung des Merkmals der Waffenlosigkeit besteht in der Literatur weitgehende Einigkeit 8 5 . Die Rechtsprechung zu A r t . 8 GG hat, soweit ersichtlich, noch nicht dazu Stellung genommen. I m allgemeinen w i r d an die bereits unter der Geltung des Reichsvereinsgesetzes von 1908 und der Weimarer Verfassung entwickelte Definition angeknüpft 86 , die sich eng an den Begriff des gefährlichen Werkzeugs in § 223 a StGB anlehnt, ohne jedoch völlig m i t i h m übereinzustimmen 87 . Grundlegend 84
Vgl. oben A I I 3 c. Vgl. Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 308; Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 Anm. 5 I f f . ; Hamann/Lenz, A r t . 8 A n m . Β 2; ν . Münch % B K , A r t . 8 Anm. 30; Füßlein, VersG, S. 33 f.; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 447 f.; Trubel/Hainka, VersG, S. 31; Dietel/Gintzel, VersG, §2 Anm. 13 ff.; Ott, VersG, Einf. Anm. 9; Bäumen, Sinn und Grenzen der Vereins- und Versammlungsfreiheit, S. 93; Eberhard, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 78 f. ; Samper, Demonstrations- und Versammlungsrecht, S. 17; Fuhrmann, Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer, A n m . 11 zu § 2 VersG (S.604); Hoff mann, JuS 1967, S. 393 (397 f.); Model/Müller, Grundgesetz, A r t . 8 A n m . 2. 86 Vgl. Bäumen, S. 93; Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 308. 87 Identität zwischen den Begriffen „Waffe" i n A r t . 8 Abs. 1 GG u n d „gefährliches Werkzeug" i n §223 a StGB befürwortet v. Münch (BK, A r t . 8 Anm. 30); a. M. zu Recht Dietel/Gintzel, VersG, §2 A n m . 13; Füßlein, VersG, 85
7 Müller
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C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
ist die Einteilung des Reichsgerichts, das als Waffe jeden Gegenstand qualifizierte, „der entweder schon bei seiner Anfertigung von vornherein (Waffe i m technischen Sinn) 88 oder nach dem Willen des Trägers i m Einzelfall dazu bestimmt i s t . . . Verletzungen zuzufügen" 89 . Waffen i m technischen Sinn sind Pistolen, Molotow-Cocktails, w o h l auch feststehende Messer 90 und Schlagringe 91 , ferner chemische Kampfmittel wie Tränengas 92 usw. Solche Gegenstände sind eo ipso gefährlich, so daß sich derjenige, der sie i n eine Versammlung mitbringt, ohne weiteres außerhalb des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit stellt, ohne daß es noch darauf ankäme, ob er die Waffe auch einsetzen w i l l . Anders ist es bei Sachen, die nicht schon als solche dazu bestimmt, andererseits aber dazu geeignet sind, körperliche Verletzungen beizubringen, wie z. B. Bierkrüge, Spazierstöcke, Taschenmesser 93, Steine 94 etc. Hier versagt der Schutz des A r t . 8 GG erst dann, wenn der Besitzer die Bereitschaft zeigt, den Gegenstand als Waffe einzusetzen, d. h. um anderen Personen, sei es i m Angriff, sei es i n der Verteidigung 95 , körperliche Verletzungen zuzufügen 96 . Niemals als Waffe zu qualifizieren sind „weiche" Gegenstände, wie z. B. Eier, Mehlbeutel, Tomaten u. ä. 97 , weil sie weder dazu bestimmt noch geeignet sind, Verletzungen beizubringen. S. 33; Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 308. So ist der beschuhte Fuß u . U . w o h l ein gefährliches Werkzeug i. S. des Strafrechts (vgl. B G H bei Daliinger, M D R 1952, S. 273), aber doch k a u m eine Waffe i. S. v. A r t . 8 Abs. 1 GG. 88 Klammerdefinition v o m Verfasser eingefügt. 89 RGSt 44, 140 (141) zu §§ 11, 19 R V G ; vgl. auch RGSt 65, 161; anders noch RGSt5, 114: nur Waffen i m technischen Sinn. 90 So K G , GoltdA 74, 233; a. M. BayObLG, J W 1931, S. 748. 91 Ott, VersG, Einf. A n m . 9. 92 Füßlein (VersG, S. 33 f.) rechnet die chemischen M i t t e l nicht zu den technischen Waffen; ebenso Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 308; Trubel/Hainka (VersG, S. 31) beschränken den Waffenbegriff sogar auf „Gegenstände, m i t denen durch mechanische E i n w i r k u n g auf einen anderen Verletzungen herbeigeführt werden können". 93 Vgl. RGSt 65, 161. 94 Vgl. Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (397 F N 56). 95 Vgl. RGSt 44, 140 (141). 96 Während i m allgemeinen lediglich auf den subjektiven W i l l e n abgestellt w i r d , den Gegenstand als Waffe zu verwenden (z. B. Mangoldt/Klein, Bd. I, S 308; Dietel/Gintzel, VersG, § 2 Anm.13), betont Wernicke (BK A r t . 8 A n m . I I 1 c) das objektive Moment der tatsächlichen Verwendung als Waffe (ebenso Model/Müller, Grundgesetz, A r t . 8 Anm. 2). Die hier verwendete Formulierung versucht einen Mittelweg zwischen beiden Extremen. 97 Vgl. Hoff mann, JuS 1967, S. 393 (397 F N 56); Dietel/Gintzel, VersG, §2 A n m . 1 3 ; Ott, VersG, Einf. A n m . 9. I m Rahmen der Vietnamdemonstration, m i t der sich das BayObLG i n dem eingangs zitierten Beschluß (NJW 1969, S. 1127) auseinandergesetzt hat, hatten die Demonstranten Farbbeutel, Eier, Mehlbeutel und Tintengläser auf die Polizeibeamten geworfen. Z u Recht betont das Gericht, die Schranke der Waffenlosigkeit komme hier nicht i n Betracht. Z w a r sind Tintengläser nicht „weich", aber doch, zumindest aus
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
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bb) Friedlichkeit Keineswegs Einigkeit besteht i n Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung der anderen sachlichen Schranke in Art. 8 Abs. 1 GG, der Friedlichkeit. Anscheinend beeinflußt von älteren Stellungnahmen w i r d die Grenze der von Art. 8 GG nicht geschützten, unfriedlichen Versammlung viel zu weit vorgeschoben. Vielfach w i r d nämlich behauptet, jede Störung des Rechtsfriedens gebe der Versammlung den Stempel des Unfriedens 98 . Damit erhält der Vorbehalt der Friedlichkeit für die Versammlungsfreiheit die nämliche Bedeutung wie sie der verfassungsmäßigen Ordnung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG zukommt, wonach das Grundgesetz nur i m Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung gewährleistet ist 99 , denn jeder Verstoß gegen die Rechtsordnung ist doch eine Störung des Rechtsfriedens. Gleichfalls abzulehnen ist die Auffassung, eine Versammlung sei unfriedlich, wenn sie die Rechte anderer störe 100 , denn damit w i r d ebenfalls eine der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG w i l l k ü r l i c h i n den Begriff der Friedlichkeit i n Art. 8 Abs. 1 GG hineininterpretiert 1 0 1 . Falsch ist schließlich auch die Annahme, „eine gegen die Strafgesetze verstoßende Versammlung (sei) nicht friedlich" 1 0 2 . Alle diese Begriffsbestimmungen bleiben unselbständig, weil sie sich anderweitig bestehenden Schranken unterwerfen, ohne auf die besondere Bedeutung einzugehen, welche der Vorbehalt der Friedlichkeit für die Versammgrößerer Entfernung geworfen, ungeeignet, Verletzungen beizubringen. Die Wurfgeschosse dienten j a nicht der Verletzung, sondern der Beschmutzung. Tiedemann (JZ 1969, S. 717, 722) verweist auf ein gegenteiliges U r t e i l des Amtsgerichts Esslingen. 98 Vgl. Anschütz, Reichsverfassung, S. 570; v. Jan, RVG, S. 44; Wernicke, B K A r t . 8 A n m . I I 1 c; W ü r t t . Bad. V G H E 3 , 154 (155); L G Hamburg, DVB1 1952, 314 (316); Eberhard, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 74; v. Mangoldt, Grundgesetz, S. 79; Samper, Demonstrations- u n d Versammlungsrecht, S. 16; Henneka, Die Welt v. 4.12.1968, S. 17; dagegen m i t Recht Füßlein, VersG, S. 43; ders., Die Grundrechte, Bd. I I S. 446; Ott, VersG, S. 21. Wenn der B G H (DVB1 1951, S. 736) i m Anschluß an das Preuß. O V G (E 88, 224, 227) die Unfriedlichkeit m i t einer „Störung des staatsbürgerlichen Friedens" gleichsetzt (ebenso Hamann/Lenz, A r t . 8 A n m . Β 3), so dürfte der sachliche Unterschied sehr gering sein. 99 BVerfGE 6, 32 (37 f.). 100 So O V G Hamburg, DVB1 1953, S. 250 (252); Heinz Guradze, Demonstrationsfreiheit und Polizeigewalt, ZRP 1969, S. 6. 101 So aber Henneka, Die Welt v. 4.12.1968, S. 17. 102 So Frowein, N J W 1969, S. 1081 (1083); ebenso Brecht, v. Brauchitsch, V e r waltungsgesetze f ü r Preußen, Bd. I I , S. 173; Anschütz, Reichsverfassung, S. 570; v. Jan, RVG, S. 44; Eberhard, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 74; v. Mangoldt, Grundgesetz, S. 79. Dagegen betont das O V G H a m burg (DVB1 1953, S. 250, 251), daß die Begriffe „strafgesetzwidriger Zweck" und „unfriedlich" auf verschiedenen Ebenen liegen. 7·
100 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
lungsfreiheit hat. Beachtenswert ist, daß das Grundgesetz den Ausdruck „friedlich" außer in Art. 8 Abs. 1 nur i n Art. 26 Abs. 1 S. 1 verwendet 103 . Der vorsichtige Gebrauch dieses Wortes zeigt, daß es jeweils einen ganz spezifischen Inhalt hat, der nicht einfach aus anderen Normen übernommen werden kann. Der Gefahr einer zu weiten Auslegung der Unfriedlichkeit wollte der Gesetzgeber entgegenwirken, als er i m Versammlungsgesetz diesen Begriff durch die Formulierung „gewalttätig oder aufrührerisch" ersetzte (§§ 5 Nr. 3, 13 Abs. 1 Nr. 2 VersG). Füßlein spricht deshalb hier von einer Legalinterpretation der Verfassungsabstimmung 104 . Zwar weist Ott mit Recht darauf hin, daß der einfache Gesetzgeber die Verfassung nicht verbindlich auslegen kann 1 0 5 , aber es steht nichts entgegen, die gesetzliche Erläuterung, falls sie sachgerecht und überzeugend ist, als richtig anzuerkennen. Es gibt keine Stimme in der Literatur, welche diese Legalinterpretation sachlich in Frage stellen würde, vielmehr w i r d sie i n den meisten Stellungnahmen jüngeren Datums ausdrücklich übernommen 106 . Sie soll daher auch dieser Untersuchung als Grundlage dienen. „Gewalt"-tätigkeit ist nur als körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen denkbar. Verbale oder psychische Gewalt gibt es nicht 1 0 7 . Ebensowenig kann ein „unfriedlicher Zweck" die Versammlung gewalttätig machen 108 . Auch das Wort aufrührerisch, das von Aufruhr ( = Revolution) herkommt, läßt vor allem an tätliche Auseinanderset103 vgl. v β Münch, B K , A r t . 8 A n m . 29. I n A r t . 26 Abs. 1 S. 1 GG geht es u m das „friedliche Zusammenleben der Völker". 104 Füßlein, VersG, S. 44. Angemerkt sei, daß ursprünglich i n den entsprechenden Beschlüssen des Ausschusses zum Schutze der Verfassung (Bundestagsdrucksachen, 1. Wahlperiode, Bd. 14, Drucks. Nr. 2759) die Möglichkeit eines Versammlungsverbots (§ 3 a Nr. 1) und einer Auflösung (§ 12 Nr. 1) ausdrücklich an den „unfriedlichen Verlauf" der Versammlung geknüpft war. Offensichtlich auf Grund der zahlreichen Änderungsanträge (vgl. die A u f zählung des Berichterstatters Mehs i n der Sitzung des Bundestags am 6. M a i 1953, Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, Bd. 16, S. 12850) ersetzte der Ausschuß das W o r t unfriedlich i n § 3 a Nr. 4 u n d § 12 Abs. 1 Nr. 2 durch die Formulierung gewalttätig oder aufrührerisch (Bundestagsdrucksachen, 1. W a h l periode, Bd. 23, Drucks. Nr. 4291). 1 pappermann, JZ 1970, S. 286 (287). 158 Z u allgemein daher auch v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 29. Differenzierend bereits Herzog (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 58), dessen unterschiedliche Behandlung von gewalttätigen u n d aufrührerischen Versammlungen jedoch nicht überzeugt, da sie den einheitlichen Bereich der durch A r t . 8 Abs. 1 GG verbotenen unfriedlichen Versammlung aufspaltet. 157 Z u den Voraussetzungen der verfassungskonformen Interpretation vgl. BVerfGE 2, 266 (282); 19,1 (5); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 31 ff.; Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Einf. A n m . 4.
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gegen dem Wortlaut als ultima ratio das Verbot der Versammlung in Frage kommt, auch wenn die Störung nicht vom Veranstalter oder seinem Anhang zu erwarten ist. § 13 Abs. 1 Nr. 2 VersG dagegen deckt die hier vertretene Auslegung schon durch seinen Wortlaut, so daß sich eine verfassungskonforme Auslegung erübrigt. bb) Wann ist die Versammlung als solche unfriedlich? Eine entscheidende Frage für das polizeiliche Vorgehen gegen unfriedliche Versammlungen ist, ob sich der Eingriff gegen einzelne Teilnehmer oder gegen die ganze Versammlung richten darf. M i t einer sehr formalen Abgrenzung begnügt sich das L G Hamburg. Zur Unfriedlichkeit der ganzen Versammlung genügt es danach nicht, daß sich einige Störenfriede einschleichen und Ausschreiten begehen. „Erforderlich wäre, daß die Versammlung sich m i t den Störenfrieden solidarisch erklärt. Unfriedlich w i r d die Versammlung erst dann, wenn sie als solche den Rechtsfrieden bricht 1 5 8 ." Damit ist indessen kaum etwas gewonnen. Wenn sich alle Teilnehmer unfriedlich verhalten oder mit den Störenfrieden solidarisch erklären, dann ist sicherlich die ganze Versammlung unfriedlich und kann aufgelöst werden. Wie aber, wenn sich nur ein Teil der Versammelten gegen den Willen der anderen gewalttätig oder aufrührerisch verhält? Gerade dazu sagt die Entscheidung des L G Hamburg nichts. Nicht viel weiter helfen die Erläuterungen Otts, der die Solidarität der „Mehrheit der Teilnehmer" (d. h. doch wohl mehr als 50 °/o) mit dem Gewalttäter voraussetzt, sei es auch nur durch stillschweigende B i l l i gung 159 . Wie soll die Polizei aber feststellen, wer Gewalttaten stillschweigend billigt? Füßlein schließlich differenziert in drei Richtungen 160 : Einmal soll die Versammlung als solche unfriedlich sein, „wenn die anderen Teilnehmer angriffsweise gegen den Störenfried vorgehen". Offen bleibt, wie viele der anderen Teilnehmer zum Angriff übergehen müssen. Alle? Die Mehrheit? Oder reicht einer aus? Die gleiche Frage stellt sich bei der zweiten Alternative, daß sich die anderen Teilnehmer „ m i t dem Gewalt Anwendenden solidarisch erklären". Beide Formulierungen geben der Polizei keine geeigneten Kriterien für die Entscheidung, ob sie nun gegen die Versammlung als ganze vorgehen kann oder ob sie sich mit ihren Eingriffen auf einzelne Teilnehmer beschränken muß. Einen 158 L G Hamburg, DVB1 1952, S. 314 (316); ebenso Hamann/Lenz, Art. 8 Anm. 3. 159 Ott, VersG, Einf. A n m . 8. 160 Füßlein, Die Grundrechte, Bd. I I , S. 446 f.; i h m folgend v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 29; i m Grunde auch Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (397).
112 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
brauchbaren Ansatzpunkt bietet Füßlein indessen m i t seiner letzten Alternative. „Die von einem Teilnehmer ausgehende Störung macht die Versammlung als solche unfriedlich, wenn . . . die Ordnungsgewalt des Leiters sich gegen die Gewalt oder ihre Androhung nicht durchsetzen kann". Wenn auch die Formulierung etwas zu allgemein geraten ist, so kommt darin doch der entscheidende Gedanke zum Ausdruck, daß sich die Polizei bei ihrem Vorgehen gegen die Versammlung als solche vor allem von dem Verhalten des Leiters bestimmen lassen wird. Der Leiter ist als ordnendes und leitendes Organ der Versammlung m i t weitgehenden Machtbefugnissen ausgestattet 161 ; insbesondere gilt das für Versammlungen i n geschlossenen Räumen, und nur um diese geht es ja einstweilen. Der Leiter übt das Hausrecht aus (§ 7 Abs. 4 VersG); er bestimmt den Ablauf der Versammlung und sorgt für Ordnung; er kann die Versammlung jederzeit unterbrechen, wieder fortsetzen und schließen (§ 8 VersG); er kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, ausschließen (§11 Abs. 1 VersG); die Teilnehmer müssen seine Weisungen beachten (§10 VersG). Schließlich ist es der Leiter, dem gegenüber sich Pressevertreter ausweisen und Polizeibeamte sich zu erkennen geben müssen (§§ 6 Abs. 2 HS. 2, 12 S. 1 VersG). Den Rechten des Leiters entspricht die Pflicht, für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu sorgen (§8 S. 2 VersG) 162 . Wie weit diese Pflicht i m einzelnen geht, kann hier dahingestellt bleiben 163 . Jedenfalls kann es keinen Zweifel geben, daß dann, wenn sich Teilnehmer entgegen dem Verfassungsverbot des Art. 8 Abs. 1 GG unfriedlich zeigen, der Leiter verpflichtet ist, dagegen vorzugehen. Aus der Verantwortlichkeit des Leiters für den ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung folgt für die Polizei der Vorrang der Ordnungsgewalt des Leiters. Die Polizei darf erst dann eingreifen, wenn sich die Ordnungsgewalt des Leiters als ungeeignet erweist, den Frieden i n der Versammlung zu gewährleisten 164 . Dieser Gedanke hat i m Ver161 Z u r Rechtsnatur der Ordnungsgewalt des Leiters vgl. Quilisch, Die demokratische Versammlung, insbes. S. 190 ff.; zu den Befugnissen des Leiters vgl. O L G Hamm, N J W 1967, S. 1669 f. 162 Vgl. dazu Dietel/Gintzel, VersG, § 8 A n m . 13 ff. 163 So z. B. die Frage, ob der Leiter jede m i t Strafe bedrohte Handlung unterbinden muß (dafür Trubel/Hainka, VersG, § 8 A n m . 1 ; dagegen w o h l m i t Recht Ott, VersG, § 8 A n m . 2). 164 Gegen den Vorrang der Ordnungsgewalt des Leiters anscheinend Dieteli Gintzel (VersG, §11 A n m . 6 f.). Sie befürworten ein von den Befugnissen des Leiters unabhängiges Ausschlußrecht der Polizei aus § 2 Abs. 2 VersG. Nach dieser Bestimmung hat jedermann Störungen der ordnungsgemäßen Durchführung der Versammlung zu unterlassen. § 2 Abs. 2 ist damit eine objektive Ordnungsnorm, die keine Befugnisse für die Polizei begründet (gegen Dietel/ Gintzel auch Ott, VersG, § 11 A n m . 6). A n anderer Stelle gehen Dietel/Gintzel ebenfalls von der primären Verantwortlichkeit des Leiters aus (VersG, § 8 Anm. 16).
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sammlungsgesetz an zwei Stellen Ausdruck gefunden. Wegen eines Verstoßes gegen die Schranke der Waffenlosigkeit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Polizei erst dann einschreiten, wenn nicht der Leiter der Versammlung für den sofortigen Ausschluß der bewaffneten Teilnehmer sorgt (§13 Abs. 1 Nr. 3 VersG). Entsprechendes gilt, wenn durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze (Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgende Vergehen) verstoßen wird, bzw. wenn zu solchen Straftaten aufgefordert w i r d ; erst wenn der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet, kommt die Polizei zum Zug (§13 Abs. 1 Nr. 4 VersG). Die Verantwortlichkeit für die Ordnung i n der Versammlung kennzeichnet den Leiter nach außen hin als Zentrum der Versammlung, als eine A r t ordnendes Zentralorgan. Daß der Leiter gewissermaßen die ganze Versammlung repräsentiert, kommt i m Versammlungsgesetz vor allem i n § 6 Abs. 2 HS. 2 (Pressevertreter müssen sich dem Leiter gegenüber ausweisen) und in § 12 S. 1 (Polizeibeamte müssen sich dem Leiter zu erkennen geben) zum Ausdruck. Eine Folge der zentralen Stellung des Leiters ist, daß eine Verletzung seiner Ordnungspflicht auf die ganze Versammlung durchschlägt. Wenn der Leiter seiner Aufgabe für einen friedlichen Verlauf der Versamlung zu sorgen, nicht nachkommt, so w i r d die Polizei immer gegen die Versammlung als solche vorgehen müssen, zumal das Versammlungsgesetz weder der Polizei noch den Versammlungsteilnehmern die Möglichkeit gibt, einen anderen Versammlungsleiter zu bestimmen 165 . Selbst der Veranstalter kann den Leiter gegen seinen Willen nicht zwingen, seine Stellung aufzugeben. Die Unangreifbarkeit des Leiters läßt daher keine andere Wahl, als daß die Polizei, wenn der Versammlungsleiter seine Friedenspflicht verletzt, die Versammlung überhaupt auflöst. Abgesehen von dem wohl seltenen Fall, daß der Leiter selbst Gewalttätigkeiten begeht, gilt das vor allem dann, wenn er sich weigert, gegen unfriedliche Teilnehmer vorzugehen. Ist der Leiter nicht willens, gewalttätige Teilnehmer zur Raison zu bringen und letztlich auszuschließen, billigt er also den unfriedlichen Verlauf, dann kann die Polizei nicht damit rechnen, durch Vorgehen gegen einzelne Störer einen ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung zu erreichen, da sie ja das leitende und ordnende Organ der Versammlung gegen sich hat. Sie kann vielmehr ohne weiteres zur Auflösung schreiten 166 . Vom polizeilichen Standpunkt dürfte allerdings nichts dagegen einzuwenden
165 Findet dennoch eine W a h l statt, so ergibt sich die Legitimation des Leiters nicht aus der Wahl, sondern letztlich aus der Einsetzung durch den Veranstalter, der einer W a h l zugestimmt hat (vgl. Füßlein, VersG, S. 48 f.; Dietel/Gintzel, VersG, § 7 A n m . 11). 166 Auch Dietel/Gintzel (VersG, § 8 A n m . 19) weisen darauf hin, daß mangelnde Sorge des Leiters für die Ordnung i n der Versammlung zur A u f lösung führen kann.
8 Müller
114 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
sein, daß sich die friedlichen Teilnehmer nach vollzogener Auflösung zu einer neuen Versammlung mit einem neuen Leiter konstituieren. Anders ist der Fall zu beurteilen, daß der Leiter seine Ordnungsgewalt zwar ausüben w i l l , aber einfach nicht durchsetzen kann. Hier fehlt es an einem Friedensverstoß des Leiters, der der Versammlung als solcher zugerechnet werden könnte. Störer sind lediglich die unfriedlichen Teilnehmer, die es dem Leiter unmöglich machen, seiner Ordnungspflicht zu genügen. Hier ist es Pflicht der Polizei, das gefährdete Versammlungsrecht der anderen zu schützen. Das erreicht sie aber nicht durch ein Vorgehen gegen die Versammlung als solche, sondern nur durch Ausschaltung der unfriedlichen Teilnehmer. Die Polizei muß also versuchen, die Störenfriede zu isolieren und aus der Versammlung auszuschließen. Nur dann, wenn die Kräfte der Polizei nicht ausreichen, die Störer abzusondern, können Maßnahmen auch gegen die friedlichen Versammlungsteilnehmer als Nichtstörer gerichtet werden, wobei insbesondere an eine Unterbrechung und letztlich eben an die Auflösung der ganzen Versammlung zu denken ist. Ausgehend von dem Grundsatz, daß polizeiliche Maßnahmen grundsätzlich nur den Störer treffen dürfen, ist ein Vorgehen gegen die Versammlung als solche auch hier nur nach den oben dargelegten Grundsätzen des polizeilichen Notstands zulässig 167 . cc) Geltung der entwickelten Grundsätze auch für Versammlungen unter freiem Himmel Die bisherigen Darlegungen über das polizeiliche Einschreiten bei unfriedlichen Zusammenkünften gingen von der gesetzlichen Regelung aus, die für Versammlungen i n geschlossenen Räumen gilt. Er erscheint jedoch sachlich gerechtfertigt und geboten, sie auch bei Versammlungen unter freiem Himmel und bei Aufzügen 1 6 8 zur Geltung zu bringen. Was die Grundsätze des polizeilichen Notstands angeht, so läßt schon der Wortlaut des § 15 Abs. 1 und 2 VersG, wo Verbot und Auflösung einer Versammlung unter freiem Himmel geregelt sind, genug Raum für ihre Anwendung. Die generalklauselartige Formulierung („wenn nach den Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist") erinnert an das allgemeine Polizeirecht 169 , wo ja die 167
Vgl. oben C I I 1 d aa. Auch der Aufzug ist eine A r t der Versammlung unter freiem Himmel, n u r m i t der Besonderheit, daß er sich fortbewegt (Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 14). Dieses Kennzeichen macht aber keine gesetzliche Sonderbehandlung erforderlich. Ott (VersG, vor § 1 A n m . 2) bezeichnet die Unterscheidung des Versammlungsgesetzes zwischen Versammlungen unter freiem H i m m e l und Aufzügen (vgl. Uberschrift über Abschnitt I I I ) daher zutreffend als „sachlich nicht gerechtfertigt". 169 Vgl. insbesondere § 14 Abs. 1 des Preuß. P V G ; auch A r t . 2 S. 1 des Bayer. PAG. 168
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Regeln über den polizeilichen Notstand entwickelt worden sind. Schon der Berichterstatter des Ausschusses zum Schutze der Verfassung wies i n seinem Vortrag über das Versammlungsgesetz vor dem Bundestag ausdrücklich darauf hin, daß bei Versammlungen unter freiem Himmel Eingriffe aus dem Gesichtspunkt des polizeilichen Notstands zulässig seien 170 . Auch i n der Literatur zum Versammlungsrecht ist das allgemein anerkannt 171 . Aus der Rechtsprechung ist insbesondere die bereits zitierte Entscheidung des V G K ö l n zu erwähnen, wo die Zulässigkeit polizeilicher Notstandsmaßnahmen gegen jede A r t von Versammlung dem Grundsatz nach bejaht wird 1 7 2 . „Da § 15 VersG die Befugnisse der Polizei i m Vergleich zu Versammlungen in geschlossenen Räumen erweitern w i l l " 1 7 3 , ist es geradezu selbstverständlich, daß ein Vorgehen, das dort zulässig ist, auch für Versammlungen unter freiem Himmel erlaubt ist. Andererseits muß betont werden, daß der Eingriff nach den Grundsätzen des polizeilichen Notstands immer nur die ultima ratio ist, wenn anders die Friedlichkeit der Versammlung nicht gewährleistet werden kann. Die Frage, wann die Polizei Gewalttätigkeiten einzelner Teilnehmer zum Anlaß nehmen darf, gegen die Versammlung als solche einzuschreiten, haben w i r bei Versammlungen in geschlossenen Räumen von der zentralen Ordnungsfunktion des Leiters her gelöst. Nun hat der Leiter einer Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs nicht ganz so umfassende Machtbefugnisse, insbesondere steht ihm kein Ausschlußrecht zu. § 18 Abs. 3 VersG bzw. § 19 Abs. 4 VersG sehen eine entsprechende Zuständigkeit nur für die Polizei vor; zudem fehlt in § 18 Abs. 1 VersG die Verweisung auf § 11 Abs. 1 VersG, wo zur Ausschließung störender Teilnehmer ermächtigt wird. Diese Einschränkung seiner Befugnisse ändert freilich nichts an dem Prinzip, daß der Leiter auch bei der Versammlung unter freiem Himmel leitendes und ordnendes Zentralorgan ist. Für den Aufzug kommt das i n § 19 Abs. 1 S. 1 VersG zum Ausdruck, wonach der Leiter für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen hat. Für die stehende Versammlung unter freiem Himmel verweist §18 Abs. 1 VersG auf § 8 VersG, wonach der Leiter den Ablauf der Versammlung bestimmt, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen hat und die Versammlung jederzeit unterbrechen und schließen kann.
170 Becker, i n : Bundestag, Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, Bd. 12, S.9735. 171 Ott, VersG, §15 A n m . 8; Dietel/Gintzel, VersG, §15 A n m . 14; Füßlein, VersG, S. 68 f.; Potrykus, Erbs/Kohlhaas, A n m . 3 zu §15 VersG; Geeb, Das Deutsche Bundesrecht, A n m . zu § 15 VersG (S. 26); Trubel!Hainka, VersG, § 15 Anm. 7. 172 V G Köln, N J W 1971, S. 210 ff. 173 Geeb, Das Deutsche Bundesrecht, A n m . zu § 15 VersG (S. 26).
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116 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Es bleibt daher dabei, daß das friedenstörende Verhalten des Leiters auch bei Veranstaltungen unter freiem Himmel auf die Versammlung als solche durchschlägt, und daß die Polizei die Zusammenkunft auflösen kann, wenn sich der Leiter weigert, seiner Ordnungspflicht gegen unfriedliche Teilnehmer nachzukommen und sie zu einem friedlichen Verhalten zu veranlassen. Fehlt es dem Leiter lediglich an der Macht, seine Ordnungsmaßnahmen durchzusetzen, selbst m i t Hilfe seiner Ordner, so muß i h m die Polizei zu Hilfe kommen, insbesondere unfriedliche Teilnehmer ausschließen 174 . Führt auch das polizeiliche Vorgehen gegen die Störenfriede nicht zum Erfolg, so muß die Versammlung aufgelöst werden. § 19 Abs. 3 VersG verpflichtet in diesem Fall den Leiter eines Aufzuges, selbst die Veranstaltung für beendet zu erklären. Unterläßt der Leiter die Beendigungserklärung, so kommt der Polizei — und das gilt für alle Versammlungen unter freiem Himmel — ein Auflösungsrecht zu 175 . e) Die unfriedliche Versammlung im Strafrecht — keine Verallgemeinerung bei Ausschreitungen einzelner Die Überschreitung der Schranken des A r t . 8 Abs. 1 GG w i r f t indessen nicht nur polizeirechtliche Probleme auf, sondern w i r d oftmals auch i m Strafrecht relevant. Wiederholt haben Gerichte das Vorbringen von Demonstranten, die sich auf ihre Versammlungsfreiheit beriefen, m i t der einfachen Begründung verworfen, die Versammlung sei unfriedlich und folglich nicht durch Art. 8 GG geschützt gewesen 176 . I n einigen Fällen ist es schon zweifelhaft, ob überhaupt unfriedliche Handlungen i m Sinne des A r t . 8 Abs. 1 GG vorgekommen sind 177 . Darauf kommt es jedoch hier nicht an; es soll vielmehr davon ausgegangen werden, daß es tatsächlich zu Gewalttätigkeiten gekommen ist. Die Gerichte versagen unter solchen Umständen den Grundrechtsschutz, ohne zu fragen, ob der Angeklagte selbst Gewalttätigkeiten begangen hat oder an ihrer Begehung beteiligt war. Die Gerichte fragen nicht einmal, wie viele Teilnehmer sich unfriedlich verhalten haben. Sie begnügen sich m i t der bloßen Feststellung, daß aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen worden sind 178 . Das BayObLG hält eine Versammlung 174 Die Polizei verletzt ihre Amtspflichten, w e n n sie die Unterstützung verweigert (Dietel/Gintzel, VersG, § 19 Anm. 14). 175 Dietel/Gintzel, VersG, § 19 Anm. 15. 176 BGH, N J W 1969, S. 1770 (1773); BayObLG, N J W 1969, S. 63 (64) m. Nachw.; BayObLG, N J W 1969, S. 1127; O L G Stuttgart N J W 1969, S. 1543; O L G Celle, N J W 1970, S. 206 (207). 177 So besonders bei dem U r t e i l des BGH, a.a.O.; vgl. oben C H I a b b . 178 So O L G Celle, a.a.O.; demgegenüber verneint das A G Berlin-Tiergarten die Unfriedlichkeit einer Versammlung, w e n n nur einzelne Teilnehmer Ausschreitungen begehen (nach Tiedemann, JZ 1969, S. 717, 722).
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für unfriedlich, wenn es i n ihrem Verlauf „zu rechtswidrigen gewalttätigen Handlungen gegen Dritte k o m m t " 1 7 9 oder wenn die Versammlung einen „gewalttätigen Verlauf anstrebt" 180 . Alle diese Entscheidungen haben gemeinsam, daß sie nicht das individuelle Verhalten des A n geklagten beurteilen, sondern die Handlungen anderer Teilnehmer zum K r i t e r i u m für den Umfang des Grundrechtsschutzes nehmen. Jede aus einer Versammlung heraus begangene Gewalttätigkeit qualifiziert die Versammlung als solche zur unfriedlichen, was dann auf jeden einzelnen Teinehmer zurückschlägt, selbst wenn er sich ganz friedlich verhalten hat. Die pauschalierende Betrachtungsweise der Gerichte ist freilich ohne weiteres erklärlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die strafrechtliche Judikatur seit Jahrzehneten gewohnt war, die bloße Teilnahme an Versammlungen, aus denen heraus Gewalttätigkeiten begangen w u r den, als Aufruhr (§ 115 StGB a. F.) oder Landfriedensbruch (§ 125 StGB a. F.) zu bestrafen 181 . Diese Bestimmungen brachten jeden Bürger, der legal demonstrieren wollte, in die Gefahr, strafrechtlich verfolgt zu werden, „wenn sich einige seiner Mitdemonstranten — oder gar Rabauken — unfriedlich aufführten" 1 8 2 . Es ist daher kein Wunder, daß die Existenzberechtigung der Vorschriften über Aufruhr und Landfriedensbruch vielfach angezweifelt wurde. Besonders schwer wog dabei der Vorwurf, eine Bestrafung, die sich am Verhalten Dritter orientiere, verletze das Schuldprinzip 183 . Den Forderungen, die §§ 115 und 125 StGB abzuschaffen 184, kam der Gesetzgeber schließlich weitgehend nach. I m dritten Gesetz zur Reform des Straf rechts vom 20. 5.1970 183 (Demonstrationsnovelle) wurden § 115 gestrichen und § 125 so modifiziert, daß i n Zukunft nur noch diejenigen Versammlungsteilnehmer bestraft werden, 179
BayObLG, N J W 1969, S. 1127. BayObLG, N J W 1969, S. 63 (64); ähnlich B G H , a.a.O. 181 Vgl. BGH, GoltdA 1963, S. 19; RGSt 54, 299 (300 f.); 55, 248. Die gesetzliche Einschränkung, daß die Gewalttätigkeiten „ m i t vereinten Kräften" begangen werden müßten, besagte so gut wie nichts, da schon das Zusammenw i r k e n von zwei Personen genügte. Sogar Ausschreitungen eines einzelnen reichten aus, w e n n sie von der Zustimmung der Menge (von w i e vielen?) getragen waren (vgl. Schönke/Schröder, StGB, § 115 Anm. 6). 182 So der Vorsitzende des Sonderausschusses des Bundestags für die Strafrechtsform Müller-Emmert, Die Reform der Vorschriften über den Gemeinschaftsfrieden, ZRP 1970, S. 1 (2). 183 Baumann/Frosch, JZ 1970, S. 113 (121); Tiedemann, JZ 1968, S. 761 (768); allgemein zum Schuldprinzip i m Strafrecht vgl. Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Anm. 5 ff. 184 Klug, nach Kühnert, ZRP 1969, S. 18; Baumann, Der Schutz des Gemeinschaftsfriedens, ZRP 1969, S. 85 (90); Tiedemann (JZ 1968, S. 769) forderte zumindest die Einschränkung der Bestrafung auf die a k t i v Beteiligten. 185 B G B l I S. 505. 180
118 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
die sich persönlich an unfriedlichen Handlungen beteiligen oder aktiv die Bereitschaft der Menge zu Ausschreitungen fördern. Das Bestreben, nur das persönliche Verhalten des einzelnen Demonstranten als Grundlage der Strafbarkeit anzuerkennen, darf aber nicht bei der Formulierung der einzelnen Tatbestände stehen bleiben, sondern muß sich auch auf die Auslegung anderer strafrechtlich relevanter Normen erstrecken. Immer wieder berufen sich Angeklagte auf ihre Grundrechte und interpretieren die Bestimmungen des Strafrechts i m Lichte des freiheitlichen Gehalts der Verfassung. Das ist selbstverständlich nur soweit möglich, wie der Schutzbereich der Grundrechte geht. Wenn daher die Gerichte eine Versammlung als unfriedlich qualifizieren, so entheben sie sich der Aufgabe, dem Einfluß der Versammlungsfreiheit auf das Strafrecht weiter nachzugehen. Da nun nach der obergerichtlichen Rechtsprechung jede Versammlung unfriedlich sein soll, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, so w i r d damit auch jenen Teilnehmern die Berufung auf die Versammlungsfreiheit abgeschnitten, welche die begangenen Ausschreitungen abgelehnt haben. Die Grundrechte also freiheitsfeindlicher als das Strafrecht? Gerade die Grundrechte dienen doch dem Schutz des Individuums. Schon von daher, also auch ohne Rückgriff auf die neuere Entwicklung des Strafrechts, wäre es unverständlich, wenn der einzelne den Schutz der Versammlungsfreiheit verspielen sollte, nur w e i l andere deren Grenzen überschreiten. Auch der Wortlaut des A r t . 8 Abs. 1 GG spricht gegen die Betrachtungsweise der Obergerichte, denn dort w i r d das Recht gewährleistet, „sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln", und nicht etwa ein Recht auf friedliche Versammlung. Die Formulierung der Verfassung zeigt, daß nicht das Gesamtgebilde der Versammlung, sondern die Tätigkeit der sich versammelnden Teilnehmer geschützt ist. Für den Richter gibt es daher keine unfriedliche Versammlung, sondern nur unfriedliches Verhalten einzelner Teilnehmer. 2. Schranken des Art. 8 Abs. 2 GG
Während es die Verfassung für Zusammenkünfte i n geschlossenen Räumen bei den erörterten Schranken der Friedlichkeit und Waffenlosigkeit beläßt (Art. 8 Abs. 1 GG) können Versammlungen unter freiem Himmel „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden" (Art. 8 Abs. 2 GG). Dieser Vorbehalt, der sich ja schon i n der Paulskirchenverfassung von 1849 und i n der Belgischen Verfassung von 1831 findet, entstand w o h l ursprünglich aus der Furcht der staatlichen Gew a l t vor der größeren Ausstrahlungskraft der i m Freien stattfindenden Veranstaltungen. Kundgebungen wie das Wartburgfest 1817 oder das Hambacher Fest 1832 hatten die Obrigkeit argwöhnisch gemacht.
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119
Der mißglückte Frankfurter Aufstand von 1848 veranlaßte dann auch die liberale Nationalversammlung, den i m Verfassungsausschuß durchaus umstrittenen Abs. 2 des Art. 161 ohne weiteres zu akzeptieren 186 . Heute hat Art. 8 Abs. 2 GG wohl weniger die Unterdrückung revolutionärer Bestrebungen i m Auge als vielmehr die Verkehrsbehinderungen, die auf der Straße stattfindende Aufzüge mit sich bringen. „Demonstrationsrecht und Straßenverkehr" 187 müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Freilich darf nicht übersehen werden, daß sich gerade politisch oppositionelle Gruppen besonders häufig der Straßendemonstrationen bedienen. Die tatsächlichen Auswirkungen der i n Art. 8 Abs. 2 GG vorgesehenen Schranken richten sich deshalb nach wie vor i n erster Linie gegen die politischen Außenseiter, für welche die Straße vielfach das einzige Forum ist, von dem aus sie die Öffentlichkeit erreichen können. Nach wie vor ist es allerdings auch so, daß Kundgebungen dieser politischen Außenseiter verhältnismäßig oft zu Ausschreitungen führen und dann Polizei und Gerichte beschäftigen. Für die Praxis ist es daher von überragender Wichtigkeit, sich darüber klar zu werden, welchen Beschränkungen Versammlungen unter freiem H i m mel unterliegen, und das heißt i n erster Linie, Klarheit darüber zu gewinnen, welche Rechtsfolgen sich aus Art. 8 Abs. 2 GG ergeben. Daß bislang alles andere als Klarheit besteht, hat der Überblick über die Rechtsprechung der vergangenen Jahre gezeigt 188 . a) Art und Inhalt des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG — insbesondere: Unterschied des speziellen Gesetzesvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG gegenüber dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze in Art. 5 Abs. 2 GG Art. 8 Abs. 2 GG enthält einen Vorbehalt für den Gesetzgeber, das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, einzuschränken. Fast alle Grundrechte sind durch mehr oder weniger ähnliche Bestimmungen zu einem gewissen Grade der Disposition des Gesetzgebers unterworfen. Dabei sind zwei Arten des Gesetzesvorbehalts zu unterscheiden 189 . Zum einen gibt es den Regelungsvorbehalt — auch als allgemeiner Gesetzes186
Vgl. oben A I 2. So der T i t e l einer Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, i n der rechtsvergleichend untersucht w i r d , welchen Beschränkungen Demonstrationen i m Interesse des Straßenverkehrs unterworfen sind. 188 Oben C I 3; vgl. auch Tiedemann, JZ 1969, S. 717 ff. 189 Dazu allgemein Maunz, Staatsrecht, S. 109 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, vor A r t . 1 A n m . 18 ff.; Hamann/Lenz, A r t . 19 A n m . Β 2. 187
120 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
vorbehält bezeichnet 190 —, der den Gesetzgeber nicht zur Einschränkung eines feststehenden Grundrechtsbereichs ermächtigt, sondern ihm gestattet, das Grundrecht von innen her auszuformen und inhaltlich zu konkretisieren. Beispiele eines solchen Regelungsvorbehaltes sind Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG 1 9 1 , wonach der Inhalt des Eigentumsrechts durch das Gesetz bestimmt wird, sowie Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG 1 9 2 , der eine gesetzliche Regelung der Berufsausübung vorsieht. Demgegenüber enthält der spezielle Gesetzesvorbehalt 193 die verfassungsgesetzliche Ermächtigung, in den feststehenden Wirkungsbereich eines Grundrechts von außen her zielgerichtet hineinzuschneiden 194 . Das Grundgesetz kennzeichnet diese A r t des Vorbehalts i m allgemeinen durch die Verwendung der Worte „einschränken" oder „beschränken" 195 , beispielsweise in Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG (Brief- und Postgeheimnis), Art. 11 Abs. 2 GG (Freizügigkeit), Art. 13 Abs. 3 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung), nicht zuletzt aber auch in Art. 8 Abs. 2 GG für die Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel. Die Unterscheidung zwischen Regelungsvorbehalt und (speziellem) Gesetzesvorbehalt w i r d relevant bei der Frage, ob das auf Grund eines solchen Vorbehalts ergehende Gesetz den Sicherungsklauseln des Art. 19 Abs. 1 GG unterworfen ist oder nicht. Nach h. M. und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dienen das Verbot grundrechtseinschränkender Individualgesetze und insbesondere das Zitiergebot nur „der Sicherung derjenigen Grundrechte, die auf Grund eines speziellen (Gesetzesvorbehalts) . . . eingeschränkt werden können" 1 9 6 . Diejenigen Gesetze hingegen, die sich auf einen Regelungsvorbehalt stützen, werden von Art. 19 Abs. 1 GG nicht betroffen. 190 Gegen diese Bezeichnung Maunz, S. 109 f.; Hamann/Lenz sprechen hier von Verfassungsvorbehalt (Art. 19 Anm. Β 2 b). 191 Vgl. BVerfGE 21, 92 (93); 24, 367 (396). 192 Vgl. BVerfGE 13, 97 (122); ähnlich schon BVerfGE 7, 377 (403 f.) — A p o theken-Urteil. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts u m schließt der Regelungsvorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 S. 2 GG das ganze G r u n d recht der Berufsfreiheit. 193 Das ist der eigentliche Gesetzesvorbehalt (vgl Maunz, S. 109f.); die Beifügung des Wortes „speziell" ist n u r eine Klarstellung (vgl. BVerfGE 24, 367, 396). Hamann/Lenz (Art. 19 A n m . Β 2 a) sprechen hier n u r von Gesetzesvorbehalt und trennen erst dann zwischen speziellem und generellem Vorbehalt. 194 Formulierung nach Lerche, Ubermaß u n d Verfassungsrecht, S. 106. 195 Vgl. BVerfGE 7, 377 (404). 196 BVerfGE 24, 367 (396); vgl. auch BVerfGE 21, 92 (93); 28, 36 (46); 28, 55 (62); 28, 282 (289); BVerfGE 5, 153 (160); BVerwG, N J W 1970, S. 908 (910); B G H Z 26, 42 (51); Röhl, AöR, Bd. 81 (1956), S. 195 (200 ff.); Hamann/Lenz, A r t . 19 Anm. Β 5 ; Maunz, Staatsrecht, S. 135. BVerfGE 13,97 (122) beschränkt auch A r t . 19 Abs. 2 GG auf den speziellen Gesetzesvorbehalt; ob das richtig ist,erscheint zweifelhaft (a. Μ . ζ. B. Hamann/Lenz, A r t . 19 A n m . Β 6).
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Art. 8 Abs. 2 GG enthält einen speziellen Gesetzesvorbehalt. Darüber besteht i n der Literatur volle Einigkeit 1 9 7 . A r t . 8 Abs. 2 GG gestattet echte Grundrechtseinschränkungen durch Gesetze, die zielgerichtet in den Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit hineinschneiden. Und diese Gesetze müssen das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 S. 2 GG beachten. Damit unterscheidet sich A r t . 8 Abs. 2 GG grundlegend von dem Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG, der die Meinungsfreiheit den allgemeinen Gesetzen unterwirft. Art. 5 Abs. 2 GG ermöglicht gerade nicht zielgerichtete Einschränkungen der Meinungsfreiheit, sondern er verweist auf „externe Normengefüge..., die durch den Gesetzgeber ohne Blickrichtung auf das jeweilige Grundrecht aufgebaut wurden" 1 9 8 . Art. 5 Abs. 2 GG erlaubt also „mittelbare Grundrechtsprägungen" 199 , welche die Meinungsfreiheit inhaltlich ausformen und ihre Grenzen von innen her bestimmen. Damit aber enthält Art. 5 Abs. 2 GG nichts anderes als einen Regelungsvorbehalt i m oben dargelegten Sinn. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einigen jüngeren Entscheidungen indirekt dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es die Anwendbarkeit des Zitiergebots in Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG auf allgemeine Gesetze i m Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG verneinte 200 , eben w e i l dieses Gebot nur bei Gesetzen auf Grund eines speziellen Gesetzesvorbehalts, aber nicht bei Gesetzen i m Rahmen eines Regelungsvorbehalts gilt. Hält man sich den prinzipiellen Unterschied der Vorbehaltsregelung i n Art. 5 Abs. 2 GG und Art. 8 Abs. 2 GG vor Augen, so erscheint es kaum verständlich, daß neuerdings in der Literatur die Ansicht vertreten wird, die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG seien auf die Versammlungsfreiheit auszudehnen. Berg geht einfach davon aus, der Vorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG entspreche inhaltlich der Schranke der allgemeinen Gesetze201. Auch Ossenbühl bezweifelt eine Divergenz der Schranken in Art. 5 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 202 . Lerche, der den Unter197 Vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 121; Schmidt-Bleibtreu/Klein, vor A r t . 1 A n m . 20; Hamann/Lenz, A r t . 19 A n m . Β 2 a (mit abweichender Terminologie); Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 106; Röhl, S. 203. 198 Lerche, S. 112; vgl. zum Begriff der allgemeinen Gesetze BVerfGE 7, 198 (209) — L ü t h - U r t e i l . 199 Lerche, S. 112. 200 BVerfGE 28, 36 (46); 28, 55 (62); 28, 282 (289); i n BVerfGE 15, 288 (293) wurde die Frage noch offengelassen. Gegen das Zitiergebot bei „allgemeinen Gesetzen" auch Röhl, S. 207 f.; Brinkmann, Grundrechtskommentar, A r t . 19 Anm. I I a ; BVerwG, N J W 1970, S. 908 (910); a. M. anscheinend Hamann/Lenz, A r t . 19 A n m . Β 2 a i. V. m. A n m . Β 5. Wenn einfache Gesetze verschiedentlich A r t . 5 Abs. 1 GG zitieren (Nachweise bei Röhl, S. 200), so ist diese Praxis durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts überholt. 201 Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte, S. 9 und S.104. 202 Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (61); auch Merten (MDR 1968, S. 621, 623) u n t e r w i r f t die Versammlungsfreiheit den Schranken der Meinungsfreiheit.
122 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
schied zwischen dem speziellen Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 und dem Regelungsvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 so plastisch dargestellt hatte 2 0 3 , dehnt nun die Schrankenordnung des Art. 5 Abs. 2, da die Meinungsfreiheit das „Zentrum der Kommunikationsgrundrechte bildet", auf die anderen „Freiheiten kommunikativer Natur" aus, namentlich auf die allgemeine Vereinigungsfreiheit i n Art. 9 Abs. 1 GG, auf die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie eben auf die Versammlungsfreiheit 2 0 4 . Alle diese Auffassungen gehen an der Schrankenordnung des Grundrechtskatalogs vorbei. Namentlich Berg und Ossenbühl übersehen den in der Verfassung verankerten Unterschied zwischen Regelungsvorbehalt und speziellem Gesetzesvorbehalt. Das ganze Bemühen um ein theoretisches Durchdringen der verschiedenen Schrankenbestimmungen w i r d ad absurdum geführt, wenn letzten Endes doch die den einzelnen Grundrechten zugeordneten Vorbehalte vermengt werden, ohne Rücksicht auf den jeweiligen Gehalt der verfassungsgesetzlichen Ermächtigung. Da das Grundgesetz jedem Grundrecht einen spezifischen W i r kungsbereich m i t einer spezifischen Schrankenordnung zuweist, erfolgt die Schrankenmischung contra legem, bzw. contra constitutionem. Die oben skizzierten Meinungen sind daher abzulehnen, zumal keine sachliche Notwendigkeit besteht, für die Bestimmung der Grenzen der Versammlungsfreiheit über die Regelung des Art. 8 GG hinauszugehen. b) Auf welche Gesetze bezieht sich der Vorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG? W i r haben gesehen, daß nach Art. 8 Abs. 2 GG Gesetze ergehen können, die unter Beachtung des Zitiergebots (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) zielgerichtet in den Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit hineinschneiden. Die Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel steht also gerade nicht unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze wie die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 2 GG) oder der allgemeinen Rechtsordnung wie die Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Zu fragen ist vielmehr, welche besonderen Gesetze durch Art. 8 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden. Zwei Kriterien sind dafür entscheidend: Einmal muß das Gesetz zielgerichtet die Versammlungsfreiheit betreffen. Das ist nicht so zu verstehen, daß Sinn und Zweck des Gesetzes ausschließlich eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit sein muß; aber die Bezogenheit 203
Vgl. die Zitate i n F N 194, 198 u. 199. Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes — Z u m hessischen Aussperrungsverbot, Bad Homburg 1968, S. 35 f.; ders. schon i n Z Z P Bd. 78 (1965), S. 1 (14 F N 25); i h m folgend Lorenz, AöR Bd. 95 (1970), S. 174 (177). 204
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123
auf das Versammlungsrecht muß zumindest neben anderen Zielrichtungen erkennbar sein. Nur diese Deutung macht die Rechtsfigur des speziellen Gesetzesvorbehalts i m Unterschied zu dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze sinnvoll. Man muß sich vor Augen halten, daß der Schutz des Art. 8 GG nur die Betätigung des menschlichen Assoziatonsbedürfnisses erfaßt. Die diesem Bedürfnis spezifischen menschlichen Handlungsweisen sollen nicht durch jedwedes Gesetz, das die Regelung ganz anderer Materien bezweckt, eingeschränkt werden, sondern nur durch solche Gesetze, die im Hinblick auf das Versammlungsrecht unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des menschlichen Assoziationsbedürfnisses ergangen sind. Nur von diesemStandpunkt aus w i r d das zweite K r i t e r i u m verständlich, an dem nach dem Grundgesetz Gesetze zu messen sind, welche die Versammlungsfreiheit begrenzen, nämlich das Zitiergebot. Die Bestimmung des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG soll ausschließen, daß der Gesetzgeber i n solche Grundrechte, die durch einen speziellen Gesetzesvorbehalt gesichert sind, unbewußt eingreift 2 0 5 . W i r d gegen das Zitiergebot verstoßen, ist das Gesetz nichtig 2 0 6 . aa) Das Versammlungsgesetz Das wichtigste die Versammlungsfreiheit beschränkende Gesetz ist das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. J u l i 1953207. I n Abschnitt I (Allgemeines) und Abschnitt I I (Öffentliche Versammlungen i n geschlossenen Räumen) w i l l das Gesetz die Versammlungsfreiheit nicht einschränken, was ja für Versammlungen i n geschlossenen Räumen auch nicht möglich ist, sondern es w i l l lediglich die sich unmitelbar aus der Verfassung ergebenden immanenten Schranken des Grundrechts aufzeigen 208 . I n Abschnitt I I I (öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge) enthält das Gesetz jedoch zielgerichtete Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, wie z. B. die Anmeldepflicht i n § 14, die Verbots- und Auflösungsbefugnis in § 15, das Bannmeilen verbot i n § 16, die Genehmigungspflicht für Ordner in § 18 Abs. 2 209 . Dem Zitiergebot ist in § 20 Genüge getan. Die 205 V 206
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Wernicke , B K , A r t . 19 A n m . I I 1 e.
So BVerfGE 5, 13 (15 f.) und m i t i h m die h. L., Hamann/Lenz, A r t . 19 Anm. Β 5; Wernicke, a.a.O.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, A r t . 19 A n m . 6; Röhl, AöR Bd. 81 (1956), S. 195, 213 f. u n d die Praxis der Gerichte, vgl. ζ. B. BVerwG, N J W 1970, S. 908 (909 f.); B G H Z 26, 42 (51 f.); a. M. aber Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 547; Brinckmann, Grundrechtskommentar, A r t . 19 Anm. I 3 a. 207 B G B l I S. 684. 208 Vgl. Füßlein, VersG, S. 52.Es spricht indessen vieles dafür, daß auch Abschnitt I I zum Teil echte Einschränkungen enthält; zu denken ist vor allem an das aus § 12 VersG folgende Anwesenheitsrecht der Polizei i n öffentlichen Versammlungen i n geschlossenen Räumen. 209 Dazu Potrykus, Erbs/Kohlhaas, A n m . 3 zu § 20 VersG; Geeb, Das Deutsche Bundesrecht, A n m . zu § 20 VersG.
124 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Strafvorschriften des Abschnitts I V dienen entweder dem Schutz der Versammlungsfreiheit (so z. B. § 21) oder pönalisieren Überschreitungen der in den vorigen Abschnitten aufgezeigten Grenzen der Grundrechtsbetätigung. Selbständige Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind darin nicht enthalten. I m ganzen entspricht das Versammlungsgesetz also den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 GG. bb) Bannmeilengesetze Gegen die Betätigung der Versammlungsfreiheit gerichtet sind auch die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder 2 1 0 . Da diese Gesetze nur der Ausführung des bereits in § 16 VersG enthaltenen Verbots dienen, ist es gerechtfertigt, daß i n ihnen Art. 8 GG nicht mehr zitiert w i r d 2 1 1 ; die Erwähnung i n § 20 VersG gilt über § 16 VersG vielmehr auch für sie. Soweit die Bannmeilengesetze jedoch vor dem Versammlungsgesetz erlassen wurden, mußte das Zitierverbot beachtet werden, wie es in Bayern und Schleswig-Holstein geschehen ist 2 1 2 . Sämtliche Bannmeilengesetze schränken somit die Versammlungsfreiheit wirksam ein. cc) Feiertagsgesetze Die Feiertagsgesetze der Länder 2 1 3 statuieren andere Beschränkungen der Versammlungsfreiheit. So verbietet das bayerische Gesetz i n § 6 210 Bannmeilengesetze sind erlassen worden für den B u n d am 6. 8.1955 (BGBl I S. 504), Baden-Württemberg am 12.11.1963 (GBl S. 175), Bayern am 7. 3.1952 (GVB1 S. 99), B e r l i n am 30.10.1952 (GVB1 S. 993 u n d 1064), H a m b u r g am 4.11.1968 (GVB1 S. 241), Hessen am 10. 6.1970 (GVB1 I S. 359), Niedersachsen am 12. 6.1962 (GVB1 S. 55), Nordrhein-Westfalen am 25. 2.1969 (GVNW S. 142), Rheinland-Pfalz am 23. 2.1966 (GVB1 S. 60), Saarland am 13. 7.1955 ( A B l S. 1147), Schleswig-Holstein am 30. 5.1950 (GVB1 S. 197). Bremen hat kein Bannmeilengesetz. Die Texte der i n der BRD geltenden Bannmeilengesetze finden sich i n dem 1969 i m Goldmann-Verlag erschienenen Taschenbuch „Demonstrationsrecht". 211 Vgl. Röhl, AöR Bd. 81 (1956), S. 195 (200 f.). 212 Ebenso die früheren Bannmeilengesetze i n H a m b u r g vom 15.2.1952 (GVB1 S. 15) u n d Nordrhein-Westfalen v o m 23.12.1949 (GVB1 1950 S. 13); vgl. Röhl, a.a.O., Das Berliner Bannmeilengesetz ist zwar gleichfalls vor dem Versammlungsgesetz erlassen worden, erwähnt A r t . 8 GG aber dennoch nicht, w e i l nämlich das Zitiergebot für den Berliner Gesetzgeber nicht gilt (BVerwG, DöV 1955, S. 636; zustimmend Model/Müller, Grundgesetz, A r t . 19 Anm. I 2). 213 Folgende Feiertagsgesetze bestehen i n den Ländern: Baden-Württemberg: Ges. v. 28.11.1970 (GBl 1971, S. 1), Bayern: Ges. v. 15.12.1949 i. d. F. v o m 14. 8.1970 (GVB1 S. 421),
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Abs. 1 Nr. 2 „während der ortsüblichen Zeit des Hauptgottesdienstes . . . öffentliche Versammlungen, Auf- und Umzüge". Entsprechende Verbote finden sich m i t unbedeutenden Abweichungen i n den Feiertagsgesetzen aller anderen Bundesländer. Wenn diese Gesetze auch i n erster Linie dem Schutz der Religion dienen und die Interessen der Religionsgemeinschaften fördern sollen 214 , so ändert das doch nichts daran, daß das Versammlungsverbot eine speziell gegen das Grundrecht des Art. 8 GG zielende, die Versammlungsfreiheit unmittelbar einschränkende Maßnahme des Gesetzgebers ist. Demgegenüber sehen Dietel/Gintzel i n den Regelungen der Feiertagsgesetze eine nur mittelbare Einschränkung des Versammlungsrechts 215 . Die Versammlung als solche dürfe nicht verboten werden; zulässig sei, „Störungen des Gottesdienstes durch Versammlungen (wie durch jede andere Personenansammlung) zu verbieten". Sieht man einmal von den Bestimmungen der Feiertagsgesetze ab, so ist es wohl klar, daß die Störung eines Gottesdienstes auch eine Störung der öffentlichen Ordnung ist 2 1 6 . Gegen solche Störungen kann aber schon nach § 15 VersG durch Verbot oder Auflösung eingeschritten werden, wenn nur eine unmittelbare Gefahr besteht. I n der Auslegung von Dietel/Gintzel konkretisieren die Feiertagsgesetze nur das Versammlungsgesetz in bezug auf die Sicherung des Sonntagsfriedens; sie enthalten also gar keine selbständige Beschränkung der Versammlungsfreiheit. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn die Feiertagsgesetze gehen weiter als das Versammlungsgesetz, indem sie jede öffentliche Versammlung einschließlich der Aufzüge verbieten, ohne Rücksicht darauf, ob von der Veranstaltung eine konkrete Störung zu erwarten ist. Der Gesetzgeber knüpft vielmehr an die potentielle Gefahr an, die öffentliche Versammlungen für den Sonntagsfrieden darstellen, und statuiert daher ein generelles, abstraktes Verbot 2 1 7 . Gegen bloße Berlin: Ges. v. 28.10.1954 (GVB1. S. 615) i. V. m. der VO v. 29.11.1954 (GVB1 S. 643 und 784), Bremen: Ges. v. 12.11.1954 (GBl S. 115), Hamburg: Ges. v. 17. 9.1952 (GVB1 S. 145), Niedersachsen: Ges. i. d. F. v o m 29. 4.1969 (GVB1 S. 113), Nordrhein-Westfalen: Ges. v. 16.10.1951 i. d. F. v o m 9. 5.1961 (GVNW S. 209), Rheinland-Pfalz: Ges. v. 15. 7.1970 (GVB1 S. 225), Saarland: Ges. v. 21.11.1960 (ABl. S. 935) i. V. m. der VO v. 21.11. 1960 i. d. F. vom 23. 5.1962 ( A B l S. 373), Schleswig-Holstein: Ges. v. 30. 6.1969 (GVOB1 S. 112). 214 Vgl. BayVfGH, VerwRspr. Bd. 19 (1968), S. 664 (Leitsatz 1, zu A r t . 147 BV). 215 Dietel/Gintzel , VersG, § 5 A n m . 31. 216 Z u m Begriff „öffentliche Ordnung" vgl. Drews/Wacke, Allg. Polizeirecht, S. 73; O V G Münster, OVGE 11, 250 (252). 217 So auch Dirksen, Das Feiertagsrecht, S. 115. Wenn allerdings, w i e i n § 7 Abs. 1 lit. b des Hessischen Feiertagsgesetzes eine unmittelbare Störung des
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Ansammlungen richtet sich das Verbot gerade nicht, so daß sehr wohl ein unmittelbarer, zielgerichteter Eingriff in die Versammlungsfreiheit vorliegt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum A r t . 8 Abs. 2 GG ein gesetzliches Versammlungsverbot, das abstrakt von der potentiellen Gefährlichkeit öffentlicher Versammlungen ausgeht, nicht rechtfertigen sollte. Die Ermächtigung des A r t . 8 Abs. 2 GG ist nicht etwa i n der Weise begrenzt, daß Eingriffe des Gesetzgebers in das Versammlungsrecht nur aus bestimmten Gründen erfolgen dürften. Wenn demgegenüber Ott die A n sicht vertritt, Art. 8 Abs. 2 GG gestatte Beschränkungen nur „aus sicherheits- und ordnungspolitischen Gründen" 2 1 8 , so bleibt er dafür die Begründung schuldig. Sein Hinweis auf die „Bestimmung der Versammlungsfreiheit als politisches Grundrecht" ist jedenfalls nicht geeignet, die Schlußfolgerung zu erklären. Wenn Ott weiter die meisten Feiertagsgesetze 219 für ungültig hält, weil sie nicht auf sicherheits- und ordnungspolizeilichen Gründen beruhten 220 , so ist dem entgegenzuhalten, daß der Schutz des Sonntagsfriedens durchaus eine ordnungspolizeiliche Aufgabe ist 2 2 1 . Art. 8 Abs. 2 GG gestattet Einschränkungen nur für Versammlungen unter freiem Himmel. Die Feiertagsgesetze erstrecken das Versammlungsverbot hingegen auf öffentliche Versammlungen i n geschlossenen Räumen. Da es sich dabei um eine echte Beschränkung des Grundrechts handelt, verstoßen die Gesetze insofern gegen das Grundgesetz. Dirksen rechtfertigt dies damit, daß auch Versammlungen an A r t . 2 Abs. I HS 2 GG gebunden seien und daher nicht die Rechte anderer, d. h. hier das Recht zur ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. I I I GG), beeinträchtigen dürften 2 2 2 . Dirksen greift also auch zu der schon wiederholt kritisierten Schrankenvermengung und zeigt so die Fragwürdigkeit Gottesdienstes vorausgesetzt w i r d , dann liegt i n der Tat n u r eine K o n k r e t i sierung des Versammlungsgesetzes vor. 218 Ott, VersG, Einf. A n m . 7; ders., Demonstrationsrecht, S. 39; gegen i h n Merten (MDR 1968, S. 621, 623), der zutreffend darauf hinweist, daß die E r mächtigung des A r t . 8 Abs. 2 GG lediglich an die „Schranken wie Wesensgehaltsgarantie, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Gleichheitsprinzip etc." gebunden ist. 219 M i t Ausnahme des Hessischen Feiertagsgesetzes, w e i l dort eine u n m i t t e l bare Störung des Gottesdienstes vorausgesetzt w i r d (vgl. F N 217). 220 Ott, VersG, Einf. Anm. 12. 221 Ott (a.a.O.) v e r t r i t t ferner die Ansicht, die Feiertagsgesetze seien u n gültig, soweit sie als Rechtsverordnungen erlassen seien, da A r t . 8 Abs. I I GG ein förmliches Gesetz verlange (so die h. L., vergi. Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 82; zweifelnd Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 75 F N 3). Ott übersieht indes, daß den Verordnungen i n jedem F a l l ein förmliches Gesetz zugrunde liegt. 222 Dirksen, Das Feiertagsrecht, S. 116.
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dieser Methode, da bald dieses, bald jenes Grundrecht zur Schrankenübertragung herangezogen wird. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Versammlung i n geschlossenen Räumen unbedingt, so daß ein Verbot auch aus Gründen des Feiertagsschutzes unzulässig ist 2 2 3 . Die Feiertagsgesetze sind also verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß das dort vorgesehene Versammlungsverbot nur für Zusammenkünfte unter freiem Himmel gilt. Da die Feiertagsgesetze, geschützt auf den speziellen Gesetzesvorbehalt inArt. 8 Abs. 2 GG, einen Eingriff gegen die Versammlungsfreiheit beinhalten, hätte eigentlich das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG beachtet werden müssen. Das ist jedoch keineswegs überall geschehen. Die Feiertagsgesetze der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und des Saarlands unterlassen das Zitat 2 2 4 . Nach h. M. führt ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zur Nichtigkeit des Gesetzes225. Indessen betrifft das Zitiergebot nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weder vorkonstitutionelle Gesetze, noch ist es auf solche Gesetze anwendbar, die zwar nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassen worden sind, die aber „lediglich bereits geltende Grundrechtsbeschränkungen unverändert oder m i t geringen Abweichungen wiederholen" 2 2 6 . Die Regelungen der Feiertagsgesetze sind nicht neu, sondern stimmen inhaltlich weitgehend m i t früheren Gesetzen überein 227 . Der Frage kann an dieser Stelle nicht i m einzelnen nachgegangen werden. Es spricht jedenfalls einiges dafür, daß die Nichtbeachtung des Zitiergebots i n verschiedenen Feiertagsgesetzen vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet werden würde. Dennoch wäre es sicherlich besser, wenn, um mögliche Zweifelsfragen gar nicht aufkommen zu lassen, alle Feiertagsgesetze den Art. 8 GG erwähnten, wie es ja schon in den meisten Ländern der Fall ist.
223
So auch Ott, VersG, A n m . 12. Die anderen Länder dagegen haben das Zitiergebot erfüllt: Bremen i n § 5, H a m b u r g i n § 2 Abs. 2, Niedersachsen i n § 5 Abs. 1 lit. a, RheinlandPfalz i n § 11, Schleswig-Holstein i n § 7 Abs. 1 lit. a; selbst i m Berliner Gesetz w i r d A r t . 8 GG zitiert (§ 4), obwohl es gerade hier überflüssig wäre (vgl. oben F N 212). 225 Vgl. oben F N 206. Dieses Ergebnis v e r t r i t t Ott, VersG, Einf. Anm. 12; Dirksen (Das Feiertagsrecht, S. 116) geht dagegen i m Anschluß an Mangoldt/ Klein davon aus, A r t . 19 Abs. I S. 2 GG sei n u r eine Sollvorschrift, und rechtfertigt so das Unterlassen i n den Feiertagsgesetzen. 226 BVerfGE 5, 13 (16); 16, 194 (199 f.). Unter Berufung darauf meinen Dietell Gintzel (VersG, § 20 A n m . 2), sogar das Versammlungsgesetz hätte auf die Zitierung des A r t . 8 GG verzichten können. 227 Vgl. z. B. die Bayer. VO v. 21. 5.1897 (GVB1 S. 197); abgedruckt bei Karl Weber, Gesetzessammlung f ü r das Königreich Bayern, Bd. 24, S. 565. 224
128 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
dd) Straßen- und Wegerecht öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel finden i n aller Regel auf öffentlichen Straßen statt. Nun gestatten die Straßen- und Wegegesetze des Bundes und der Länder den Gebrauch der Straße nur „ i m Rahmen der Widmung und der verkehrsbehördlichen Vorschriften zum Verkehr" 228 (Gemeingebrauch). Die Benutzung über den Gemeingebrauch hinaus ist Sondernutzung, die i m allgemeinen einer besonderen Erlaubnis bedarf 229 . Weder Versammlungen noch Aufzüge sind aber „Verkehr", da ihnen ein ganz anderes Ziel als das der Ortsveränderung zugrundeliegt 230 . Dennoch besteht Einigkeit, daß es m i t A r t . 8 GG unvereinbar wäre, die Abhaltung einer Versammlung als Sondernutzung der Erlaubnispflicht nach Straßen- und Wegerecht zu unterwerfen 2 3 1 . Bei der Begründung dafür gehen die Ansichten jedoch auseinander. Kaum vertretbar erscheint es mir, Kundgebungen und Demonstrationen als Gemeingebrauch zu qualifizieren 232 , denn das Gesetz bestimmt diesen Begriff ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsnutzung, und Versammlungen, insbesondere stehende Kundgebungen, können unmöglich als Verkehr betrachtet werden. Hoffmann erkennt zwar das Vorliegen einer Sondernutzung, meint aber, die Beeinträchtigung halte sich — „wie zwingend aus Art. 8 GG folgt — i m Rahmen der Gemeinverträglichkeit", so daß keine Erlaubnis notwendig sei 233 . Auch dieser Weg h i l f t nicht weiter, da dann nach § 8 Abs. 10 BFernStrG die bürgerlich-rechtliche Zustimmung des Straßeneigentümers erforderlich wäre. Samper geht davon aus, daß „die Rechtsverhältnisse der Versammlung und des Aufzugs i m Versammlungsgesetz abschließend geregelt (sind)"; eine Erlaubnispflicht aus anderen Vorschriften komme somit nicht i n Frage 234 . Wimmer schließlich hält die Regelung der Straßen- und Wegegesetze für verfassungswidrig und fordert Abhilfe durch den Gesetzgeber 235 . 228 So §7 Abs. 1 S. 1 BFernStrG v. 6.8.1961 (BGBl I S. 1741); die entsprechenden Bestimmungen der Ländergesetze sind fast identisch. Hinweise auf die verschiedenen Straßen- u n d Weggesetze bei Wimmer, M D R 1964, S. 280 F N 5. 229 § 8 Abs. I BFernStrG. 230 Z u m Begriff des Verkehrs vgl. OVG Lüneburg, DVB1 1970, S. 588 (589). 231 Vgl. Wimmer, M D R 1964, S. 280 ff.; ν . Münch, B K , A r t . 8 A n m . 38; Hoffmann, S t u K V 1967, S. 230 (234); Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 181; Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (69); Samper, B a y V B l 1969, S. 77 (79); möglicherweise a. M. Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 21 u. 75. 232 So v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 38; Quilisch, S. 181; Ott, VersG, Einf. Anm. 20, §15 A n m . 9; ders., N J W 1969, S. 454 (457); Zeidler, Das Recht auf Demonstration, S. 7. 233 Hoffmann, S t u K V 1967, S. 230 (234). 234 Samper, B a y V B l 1969, S. 77 (79). 235 Wimmer, M D R 1964, S. 280 (282); verfassungsrechtliche Bedenken auch bei Potrykus, Erbs/Kohlhaas, A n m . 1 zu § 1 VersG.
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So überzeugend das Ergebnis ist, Versammlungen auf öffentlichen Straßen von der wegerechtlichen Erlaubnispflicht auszunehmen, so wenig können die verschiedenen Begründungen dogmatisch befriedigen. Ausgangspunkt muß meines Erachtens der spezielle Gesetzesvorbehalt i n A r t . 8 Abs. 2 GG sein, der nur solche Gesetze rechtfertigt, die zielgerichtet i n das Grundrecht hineinscheiden, die also auch Bedeutung und Gewicht der Versammlungsfreiheit für das Individuum und für den demokratischen Staat in Rechnung stellen. Das ist ja gerade der Sinn des durch das Zitiergebot i n A r t . 19 Abs. 1 S. 2 GG gesicherten speziellen Gesetzesvorbehalts, das Grundrecht vor Eingriffen durch andere Gesetze zu schützen, die allgemein gelten und daher keine Rücksicht auf ein einzelnes Grundrecht nehmen. Die Straßen- und Wegegesetze sind allgemeine Gesetze, welche die besondere Konfliktslage gegenüber der Versammlungsfreiheit nicht i n Rechnung stellen. Sie sind von vornherein weder dazu bestimmt noch rechtlich geeignet, das Versammlungsrecht einzuschränken, da sie den Anforderungen des speziellen Gesetzesvorbehalts i n Art. 8 Abs. 2 GG nicht entsprechen. Deshalb ist eine Erwähnung des Art. 8 GG gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 zu Recht nicht erfolgt 236 . Das heißt nun aber nicht, daß die Regelungen des Wegerechts über die Widmung der öffentlichen Straßen für Versammlungen keine Bedeutung hätten. Wiederum besteht Einigkeit in der Literatur, daß z. B. auf Autobahnen keine Demonstrationen stattfinden dürfen 237 . Wiederum fehlt jedoch eine dogmatisch befriedigende Erklärung, warum das Straßen- und Wegerecht mit seinen Bestimmungen über die Sondernutzung nicht gelten soll, wohl aber m i t den Vorschriften über die Widmung bestimmter (keineswegs aller) Straßen. Versammlungen unter freiem Himmel können nach § 15 VersG bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verboten, aufgelöst und durch Auflagen beschränkt werden. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß Umzüge auf der Autobahn die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich beeinträchtigen und ein Verbot nach § 15 VersG rechtfertigen. Die Generalklausel w i r d so durch Anlehnung an das öffentliche Wegerecht konkretisiert und sie gestattet durch ihre allgemein gehaltene Formulierung eine differenzierte Beurteilung einzelner Fälle. Warum darf eine Demonstration auf der Fahrbahn normaler Straßen stattfinden, obwohl diese ebensowenig wie die Autobahn für Aufzüge gewidmet sind? Die A n t w o r t gibt nicht das Straßen- und Wegerecht, sondern allein § 15 VersG: w e i l eine Gefährdung der öffentlichen 236
Die verfassungsrechtlichen Bedenken Wimmers und Potrykus'
(vgl.
F N 235) sind also unbegründet. 237 Vgl. Zeidler, Das Recht auf Demonstration, S. 7; Ott, VersG, Einf. Anm. 20. 9 Müller
130 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Sicherheit und Ordnung bei normalen Straßen verhindert werden kann, bei Autobahnen jedoch nicht. ee) Straßenverkehrsrecht Während das Wegerecht „die Rechtsverhältnisse an den öffentlichen Straßen und ihre Benutzung für den Verkehr durch Widmung" betrifft, regelt das Straßenverkehrsrecht, niedergelegt vor allem i n der Straßenverkehrsordnung (StVO) 238 , „den Verkehr nach dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Leichtigkeit, also nach ordnungsrechtlichen Belangen" 2 3 9 . Vielfach w i r d nun die Ansicht vertreten, verkehrsrechtliche Vorschriften seien von den Versammlungsteilnehmern schlechthin zu beachten 240 . Freilich finden sich überall gewisse Vorbehalte, weil es offensichtlich ist, daß eine Massendemonstration nicht i n gleicher Weise an die Verkehrsregeln gebunden sein kann wie ein einzelner Fußgänger. Allgemein anerkannt ist, daß „gewisse Erschwerungen oder vorübergehende Störungen des Verkehrs in Kauf genommen werden (müssen)" 241 . Neuerdings w i r d verschiedentlich differenziert: Ordnungsvorschriften, die lediglich der Leichtigkeit des Verkehrsflusses dienen, treten hinter der Versammlungsfreiheit zurück 2 4 2 ; sollen die Normen dagegen die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs gewährleisten, so sind sie der Versammlungsfreiheit zumindest gleichwertig 243 , wenn nicht vorrangig 2 4 4 . Wie aber ist diese Ausnahmestellung der Versammlungen gegenüber dem Straßenverkehrsrecht dogmatisch zu rechtfertigen? Wie das Wegerecht, so sind auch die Normen des Straßenverkehrsrechts allgemeine Gesetze, welche die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht berücksichtigen, und folgerichtig das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG übergehen. Sie sind also keine dem speziellen Gesetzesvorbehalt des A r t . 8 Abs. 2 GG entsprechenden Gesetze,
238 Die StVO v o m 16.11.1970 (BGBl I S. 1565) hat die alte StVO vom 13.11. 1937 abgelöst. 239 BVerwG, DVB1 1970, S. 586 (587). 240 Füßlein, VersG, S. 67; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 453; Trubel/ Hainka, VersG, §15 A n m . 4; Enderling, VersG, §15 A n m . 5; Potrykus, Erbs/ Kohlhaas, A n m . 1 zu §15 VersG; v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 38; Ott, VersG, § 15 A n m . 9. 241 Ott, VersG, § 15 Anm. 9; v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 38. 242 v gL Peter Schneider, Festschrift für E. W. Mühlmann, S. 269 ff. Gegen die prinzipielle Vernachlässigung der Normen, die der Leichtigkeit des Verkehrs dienen, aber Enderling, VersG, § 15 A n m . 5. 243 So w o h l Neuberg er (GoltdA 1969, S. 1, 7), der eine Abwägung der kollidierenden Rechte verlangt; vgl. auch Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 178; Ott, VersG, § 15 Anm. 9. 244 So w o h l Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (69).
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die geeignet wären, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Oft w i r d es freilich so sein, daß Versammlungen auch bei voller Beachtung der Verkehrsregeln i n der Verfolgung ihrer Ziele gar nicht beschränkt werden. Das gilt namentlich für Versammlungen mit geringer Teilnehmerzahl (etwa 10 bis 20 Personen), die ohne Schwierigkeiten die für alle Fußgänger geltenden Bestimmungen des § 25 StVO einhalten können. Probleme tauchen aber dann auf, wenn die Ausdrucksmöglichkeiten einer Versammlung durch die Beachtung der Verkehrsregeln beschnitten würden. Man denke an eine Massendemonstration m i t Hunderten oder Tausenden von Teilnehmern. Hier muß die Fahrbahn i n Anspruch genommen werden; nicht die Fußgänger haben den Fahrzeugverkehr, sondern die Autos den Fußgängerverkehr (Demonstration) zu beachten (entgegen § 25 Abs. I und I I I StVO). Wollte man die Demonstranten an die Verkehrsregeln binden, so müßte man sie in Grüppchen aufteilen, womit der ganze Demonstrationszweck vereitelt wäre. Andererseits besteht Einigkeit darüber, daß auch die Versammlung die Erfordernisse des Straßenverkehrs berücksichtigen muß, daß z. B. eine Demonstration die zur Hauptverkehrszeit sowieso überlasteten Knotenpunkte nicht vollends verstopfen darf. Wiederum, wie i m Wegerecht, ist § 15 VersG das Einfallstor für straßenverkehrsrechtliche Gesichtspunkte i n das Versammlungsrecht. Demnach dürfen Verkehrsregeln die Versammlungsfreiheit nur dann einschränken, wenn die Nichtbeachtung dieser Regeln eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung herbeiführen würde 2 4 5 . Der Konflikt zwischen Versammlungsfreiheit und Verkehrsrecht kann nur durch eine Abwägung der jeweiligen Rechtsgüter i m konkreten Fall gelöst werden 2 4 6 , aber auch dafür bietet die Generalklausel des § 15 VersG Raum, während die unmittelbare Anwendung der zwingenden Verkehrs vor Schriften keine Abwägung ermöglichte. Fraglich erscheint, ob i m Rahmen des § 15 VersG generell unterschieden werden kann zwischen Normen, welche die Leichtigkeit, und solchen, welche die Sicherheit des Verkehrs schützen 247 , denn erstens stellt sich heute jede Beeinträchtigung der Leichtigkeit des Verkehrs als Gefährdung seiner Sicherheit dar 2 4 8 und zweitens kann auch eine Störung der Leichtigkeit des Verkehrs eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bedeuten 249 , und gerade darauf stellt § 15 VersG ab. 245
So i m Ergebnis w o h l auch Enderling, VersG, § 15 Anm. 5. So Quilisch, S. 178; vgl. auch L G Köln, JZ 1969, S. 80 (82). 247 So Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (69); Neuberger, GoltdA 1969, S. 1 (7); Schneider, S. 269 ff. 248 O V G Münster, OVGE 9, 180 (Leitsatz Nr. 2). 249 Vgl. Enderling, VersG, §15 A. 5; Drews/Wacke, Allg. Polizeirecht, S. 97; Merten, M D R 1968, S. 621 (625). 246
ö*
132 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Die Filterwirkung des § 15 VersG gibt schließlich die Möglichkeit, solche Bestimmungen des Verkehrsrechts von der Anwendung auf Versammlungen völlig auszuschließen, die dem Wesen der Versammlungsfreiheit oder der Regelung des Versammlungsgesetzes selbst widersprechen. Hier ist vor allem an § 29 StVO zu denken, der für Veranstaltungen, welche die Straße mehr als verkehrsüblich in Anspruch nehmen, eine besondere Erlaubnis verlangt. Wie das L G Hamburg schon 1952 zu der entsprechenden Bestimmung der alten Straßenverkehrsordnung von 1937 (§ 5) festgestellt hat, widerspricht eine solche Genehmigungspflicht dem Wesensgehalt des Grundrechts 250 . Die Verwaltungsvorschriften zu § 29 StVO 2 5 1 bestimmen demgemäß i n Nr. I I I zu Abs. 2, daß öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge keiner Erlaubnis bedürfen. Die Literatur war sich in dieser Frage seit jeher einig 252 . Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Vorschriften sowohl des Straßen- und Wegerechts als auch des Straßenverkehrsrechts die Versammlungsfreiheit nicht unmittelbar einschränken können. Als Normen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können sie jedoch über § 15 VersG auch i m Verhältnis zur Versammlungsfreiheit zur Geltung gebracht werden. ff) Polizeigesetze I m Unterschied zu den gesetzlichen Bestimmungen des Straßen- und des Verkehrsrechts scheint z. B. das Bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) vom 3. 4. 1963253 Eingriffe i n die Versammlungsfreiheit unmittelbar zu rechtfertigen, denn es erwähnt i n Art. 66 unter anderem Art. 8 Abs. 2 GG als „auf Grund dieses Gesetzes" einschränkbares Grundrecht. Während die Polizeigesetze der übrigen Länder das Zitiergebot i m Hinblick auf A r t . 8 GG übergehen, entspricht § 1 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 21. 3. 1951254 insofern dem BayPAG. 250 251
S. 269.
L G Hamburg, DVB1 1952, S. 314 (315). Abgedruckt bei Heinrich Jagusch, Straßenverkehrsrecht, München 1971,
252 Füßlein, VersG, §15 A n m . 4; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 453; Trubel/Hainka, VersG, §15 A n m . 5; Dietel/Gintzel, VersG, §15 Anm. 4; v. Münch, B K , A r t . 8 Anm. 38; a. M. möglicherweise Herzog, Maunz/Dürig/ Herzog, A r t . 8 A n m . 75. Die Ansicht Otts (VersG, Einf. A n m . 11), die StVO könne das Versammlungsrecht deswegen nicht einschränken, w e i l A r t . 8 Abs. 2 GG ein förmliches Gesetz verlange, geht fehl, da die StVO durch § 6 StVG getragen w i r d . 253 GVB1, S. 95. Die einschlägigen Polizeigesetze der Länder sind abgedruckt i n dem 1969 i m Goldmann-Verlag erschienenen Taschenbuch „Demonstrationsrecht". 254
GVB1. S. 79.
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Der Anspruch des bayerischen und des niedersächsischen Polizeirechts, die Versammlungsfreiheit einzuschränken, muß schon deswegen verwundern, weil nach nahezu einhelliger Meinung das allgemeine Polizeirecht bei der Frage polizeilicher Befugnisse gegenüber Versammlungen durch die Spezialregelung des Versammlungsgesetzes verdrängt wird 2 5 5 . Darüber hinaus erscheint es fraglich, ob das BayPAG, um bei diesem Gesetz als Beispiel zu bleiben, überhaupt ein dem speziellen Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG entsprechendes Gesetz ist, denn es bezweckt allgemein den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und scheint das besondere Gewicht der Versammlungsfreiheit gar nicht zu berücksichtigen. So w i r d denn Art. 16 PAG, der den polizeilichen Platzverweis regelt, und auf den sich das Zitat des Art. 8 Abs. 2 GG i n Art. 66 PAG w o h l bezieht 256 , auch gar nicht als Eingriff in die Versammlungsfreiheit interpretiert 2 5 7 . Die gegen die Teilnehmer einer Versammlung gerichtete Platzverweisung ist erst nach rechtmäßiger Auflösung der Versammlung möglich, also erst dann, wenn eine grundrechtlich geschützte Versammlung gar nicht mehr da ist 2 5 8 . Art. 16 PAG schneidet nicht i n den Wirkungsbereich der Versammlungsfreiheit hinein, sondern er setzt vielmehr das Uberschreiten der Grundrechtsgrenzen voraus. Die Erwähnung der Versammlungsfreiheit i n Art. 66 PAG ist daher überflüssig. Neben dem allgemeinen Polizeirecht kann die Durchführung einer Versammlung möglicherweise auf Grund spezieller Polizeigesetze verhindert werden, so vor allem nach bau-, feuer- oder gesundheitspolizeilichen Vorschriften. Die Zulässigkeit solcher Maßnahmen ist allgemein anerkannt 259 , die dogmatische Begründung dafür ist jedoch umstritten. 255
Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 314; v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 33 u. 37; Ott, VersG, Einf. Anm. 10 u. 16; ders., Demonstrationsrecht, S. 92 f.; ders., N J W 1969, S. 454 (455); Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 48 u n d 69, §15 Anm. 3; Viel Rasch, Allg. Polizei- u n d Ordnungsrecht, § 14 A n m . 26 und 40; Drews/Wacke, Allg. Polizeirecht, S. 144; Wolff, Verwaltungsrecht I I I , S. 57; vgl. auch die Äußerung des Bundesministers des Inneren, Lehr, vor dem Bundestag bei der Beratung des Versammlungsgesetzes (zitiert i n F N 125); a. Μ . i m wesentlichen nur Dürig (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 2 Abs. 1 A n m . 79 ff.), der aber alle Grundrechte unter den Vorbehalt des allgemeinen Polizeirechts stellt. 256 Vgl. Samper, PAG, A r t . 66 A n m . 2. 257 Vgl. Samper, PAG, A r t . 16 A n m . 1. 258 v g l Samper, PAG, A r t . 16 A n m . 17; ders., Demonstrations- und V e r sammlungsrecht, S. 63 f.; Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 81, § 13 A n m . 39; Ott, VersG, Einf. A n m . 16; ders., Demonstrationsrecht, S. 103. 259
Quilisch (Die demokratische Versammlung, S. 175) gibt zu bedenken, daß früher oftmals politisch unliebsame Versammlungen m i t dem Vorwand, das Versammlungsgebäude sei baufällig, verboten wurden. Dann aber waren die Maßnahmen objektiv nicht durch baupolizeiliche Vorschriften gerechtfertigt. Somit läßt sich aus Quilischs Bedenken kein E i n w a n d gegen die prinzipielle Richtigkeit des Ergebnisses herleiten. Sie sind aber Anlaß, die F u n k t i o n der Verwaltungsgerichte hervorzuheben, die den Mißbrauch staatlicher Befugnisse verhindern sollen.
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Oft w i r d das Ergebnis ohne Begründung hingenommen 260 . Teilweise w i r d versucht, hier einen Ausschnitt aus dem die Versammlungsfreiheit betreffenden Schrankenkomplex zu sehen 261 . Die h. M. stellt jedoch darauf ab, daß es sich i m Grunde gar nicht um eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit handelt 2 6 2 . Dieser Ansicht ist zu folgen. Zum ersten ist das eigentliche Ziel der Maßnahme nicht die Unterdrückung der Versammlung, sondern gerade der Schutz der Teilnehmer, wenn die Polizei die Durchführung einer Veranstaltung in einem baufälligen Haus oder in einer seuchengefährdeten Gegend untersagt. Aber selbst wenn man den tatsächlich repressiven Effekt — die Durchführung einer Versammlung w i r d verhindert — i n den Vordergrund stellt, so bleibt doch festzuhalten, daß sich die Maßnahme nicht gegen die Betätigung des Assoziationsbedürfnisses richtet. Die Versammlung ist gekennzeichnet durch die innere Verbundenheit der Teilnehmer 263 , während hier die polizeiliche Verfügung nur jene Gefahr i m Auge hat, welche von der äußeren Verbindung der Menge ausgeht. Deshalb kann die Versammlung m i t denselben Teilnehmern ohne weiteres an einen anderen Ort verlegt werden. Folgerichtig spricht z. B. § 43 des Bundesseuchengesetzes vom 18. 7.1961 264 nicht von Versammlungen, sondern von Maßnahmen gegen „Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen". Und nur weil das BSeuchenG keinen wirklichen Eingriff i n die Versammlungsfreiheit rechtfertigt, ist § 43 überhaupt gültig, da das Gesetz das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG übergeht 265 . Es bleibt festzuhalten, daß weder das allgemeine Polizeirecht noch spezielle Polizeigesetze geeignet sind, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Die erörterten Gesetze konnten i m Grunde nichts anderes sein als Beispiele, welche die Bedeutung des speziellen Gesetzesvorbehalts für die Grenzen des Versammlungsrechts verdeutlichen sollten. Daß es unmöglich ist, alle Gesetze zu behandeln, die irgendwie einmal m i t dem Grundrecht des Art. 8 GG i n Verbindung gebracht werden können, ist 260 Hoffmann, JuS 1967, S. 393 (398); Herzog, Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 84 f.; v. Münch, B K , A r t . 8 A n m . 33; schon Delius, Nipperdey, G r u n d rechte und Grundpflichten, S. 147. 261 Mangoldt/Klein, Bd. I, S. 312. 262 Füßlein, VersG, S. 18 u n d 59; ders., Die Grundrechte, Bd. I I , S. 449 f.; ders., DVB1 1954, S. 553 (555); Trubel/Hainka, VersG, §5 A n m . 2; Enderling, VersG, §5 A n m . 2; Dietel/Gintzel, VersG, §5 A n m . 29, §26 A n m . 4; Ott, VersG, Einf. A n m . 12; Wolff, Verwaltungsrecht I I I , S. 87; i m Grunde ebenso Drews/Wacke, A l l g . Polizeirecht, S. 136; Ule/Rasch, A l l g . Polizei- und Ordnungsrecht, § 14 A n m . 40. 263 Vgl. oben A I I 3 a. 264 B G B l I S. 1012. 265 Es ist falsch, w e n n Herzog (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 8 A n m . 75) meint, i n § 43 BSeuchenG sei von der Ermächtigung des A r t . 8 Abs. 2 GG Gebrauch gemacht, denn dann müßte das Gesetz j a das Zitiergebot beachten.
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klar. Ein Komplex aber, der wie kein anderer die Schranken individueller Freiheit verdeutlicht, darf nicht übergangen werden — das Strafrecht. c) Besondere Stellung der Strafgesetze Bevor w i r das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Strafrecht betrachten, sei ein Blick auf die Stellung des Strafrechts gegenüber der Meinungsfreiheit geworfen. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung strafrechtliche Normen als „allgemeine Gesetze" i m Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG behandelt 266 , welche die Grenzen der Meinungsfreiheit von inner her ausformen. U m das Grundrecht aber nicht der völligen Relativierung durch einfache Gesetze preiszugeben, hat das Bundesverfassungsgericht seine bekannte Wechselwirkungslehre entwickelt, wonach „die allgemeinen Gesetze stets aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung gerade dieses Grundrechts für den freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt werden (müssen)", was zu einer Güterabwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem durch das allgemeine Gesetz gewährleisteten Rechtsgut führt 2 6 7 . Die Güterabwägung ist deswegen erforderlich, weil das dem Regelungsvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG entsprechende allgemeine Gesetz die besondere Wertigkeit des Grundrechts nicht berücksichtigt. Demgegenüber darf die Versammlungsfreiheit nach dem speziellen Gesetzesvorbehalt i n Art. 8 Abs. I I GG nur durch solche Gesetze eingeschränkt werden, welche die Wichtigkeit des Grundrechts für den einzelnen und für die Gemeinschaft i n Rechnung stellen. Das aber tun die Strafgesetze gerade nicht; sie dürfen also die Versammlungsfreiheit nicht aus sich heraus beschneiden, sondern sie dürfen lediglich Uberschreitungen des Versammlungsrechts, das durch die Verfassung und durch die den Erfordernissen des A r t . 8 Abs. 2 GG entsprechenden Gesetze ausgeprägt ist, pönalisieren. Darüber hinaus ist es dem Strafgesetzgeber nicht gestattet — um m i t Frowein zu sprechen — , „durch eine speziell gegen die Versammlungsfreiheit gerichtete Strafnorm Art. 8 Abs. 1 GG zu untergraben" 2 6 8 . Die Normen des Strafrechts müssen also so ausgelegt werden, daß sie keine selbständigen Schranken der Versammlungsfreiheit enthalten, die über das Maß der bisher dargestellten Grenzen hinausgehen. Dabei ist es von entscheidender Wichtigkeit, daß Art. 8 GG nur die Betätigung des menschlichen Assoziationsbedürfnisses garantiert, daß also nur das Beisammensein selbst so26
« Vgl. zuletzt BVerfGE 28, 191 (200). 267 BVerfGE 28, 191 (201 f.) m i t Nachw.; erstmals i n BVerfGE 7, 198 (208 f.) — Lüth-Urteil. 268
Frowein,
N J W 1969, S. 1081 (1083).
136 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
wie die notwendigen Ausdrucksformen der Versammlung vor eigenständigen Eingriffen des Strafrechts geschützt sind. Bei Aktionen der Versammlungsteilnehmer, die nichts mit dem Schutzbereich des Art. 8 GG zu tun haben, also kein notwendiger Ausfluß der Betätigung des Assoziationsbedürfnisses sind, kommen die strafrechtlichen Sanktionen selbstverständlich zum Tragen. Das alles mag vorerst noch etwas abstrakt erscheinen; es soll daher im folgenden näher erläutert werden. Zunächst scheidet Art. 8 Abs. 1 GG bereits unfriedliche Aktionen und bewaffnetes Erscheinen aus dem Bereich des Grundrechts aus. Aggressive, zerstörerische Gewalt 2 6 9 ist niemals durch die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt, so daß das Einwerfen von Fenstern, Steinwürfe auf Polizisten oder das Anzünden von Autos jederzeit strafbar sind 2 7 0 , ohne daß noch zu fragen wäre, ob hier überhaupt der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit betroffen ist. Ebenso wenig w i r f t die Bestimmung des § 27 VersG, wo Verstöße gegen das Gebot der Waffenlosigkeit mit Strafe bedroht werden, eine grundrechtliche Problematik auf. Strafrechtliche Sanktionen sind ferner zulässig, wenn die Grenzen der Versammlungsfreiheit überschritten werden, wie sie i n einfachen Gesetzen enthalten sind, die gemäß Art. 8 Abs. 2 GG das Grundrecht wirksam beschränken, insbesondere also i m Versammlungsgesetz sowie in den Bannmeilen- und Feiertagsgesetzen. Die dort enthaltenen Strafvorschriften begründen keine selbständige Einschränkung der Versammlungsfreiheit, sondern pönalisieren lediglich Überschreitungen bestehender Schranken. Wirklich problematisch w i r d das Verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Strafrecht erst dort, wo i n einer Versammlung oder aus einer Versammlung heraus Straftaten begangen werden, die weder unmittelbar durch Art. 8 Abs. 1 GG noch durch Gesetze i m Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG verboten sind. Hier gilt zunächst die Regel, daß solche Handlungen, die nichts mit dem Schutzbereich des Versammlungsrechts zu t u n haben, voll strafbar sind. So ist es z. B. völlig irrelevant, ob ein Geheimnisverrat in einer Versammlung oder außerhalb begangen wird. Den Tatbeständen der §§ 93 ff. StGB (Staatsgeheimnis) oder des § 300 StGB (Berufsgeheimnis) fehlt jede Beziehung zur Versammlungsfreiheit. Daneben gibt es jedoch Tatbestände, die nicht eigentlich gegen die Betätigung des Versammlungsrechts gerichtet sind, aber im Einzelfall solche Wirkung haben können. Als Beispiele seien hier die Bestimmun269
Z u m Begriff der Unfriedlichkeit oben C I I 1 a bb. Auch Simon (Freiheitliche Verfassung u n d Demonstrationsrecht, S. 12), der insgesamt äußerst liberale Gedanken äußert, sieht das als selbstverständlich an. Die Gegenansicht Hannovers ( K r i t J 1968, S. 51, 57 f.) ist unhaltbar u n d w i r d allgemein abgelehnt. 270
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
137
gen des § 240 StGB (Nötigung) und des § 360 Abs. 1 Nr. 11 StGB (ruhestörender Lärm und grober Unfug) herausgegriffen. Bei beiden Vorschriften denkt man zunächst einmal an einzelne Täter (natürlich auch Mittäter) ohne Bezug auf Versammlungen. So ist der Autofahrer, der seinen Motor nachts unnötig laufen läßt, nach § 360 Abs. 1 Nr. 11 StGB strafbar 271 . Wer die Einfahrt i n eine Parklücke erzwingt, begeht eine Nötigung 2 7 2 . Nehmen w i r aber einmal folgenden — nicht konstruierten— Fall: Der Studentenvertreter w i r d aus der Fakultätssitzung ausgeschlossen, weil er wenige Tage vorher an einem sit-in in der Universität teilgenommen hat. Etwa 200 Studenten versammeln sich spontan vor dem Fakultätsgebäude — inzwischen ist es 23 Uhr — und protestieren gegen den Ausschluß. Lautsprecher und Sprechchöre stören die Nachbarn. Die Bestrafung der Demonstranten nach § 360 Abs. 1 Nr. 11 StGB trifft sie in ihrem Versammlungsrecht, da sich die Versammlung nur durch lautstarken Protest wirksam artikulieren kann 2 7 3 . Oder denken w i r an die Sitzstreiks auf Straßenbahnschienen, mit denen gegen die Erhöhung der Verkehrstarife protestiert wurde. Der B G H hat wegen Nötigung verurteilt 2 7 4 , obwohl die Demonstranten nur durch diese A r t des Vorgehens ihr Anliegen wirksam zur Geltung bringen zu können glaubten. I n beiden Fällen steht die Versammlungsfreiheit der Demonstranten anderen, im Strafrecht geschützten Rechtsgütern gegenüber. Das allgemeine Strafrecht berücksichtigt aber nicht die besondere Wertigkeit der Versammlungsfreiheit, es gibt daher auch keine Antwort auf den Konflikt. Der richtige AVeg führt vielmehr wiederum über das Versammlungsgesetz, speziell über § 15 VersG, wonach Versammlungen nur bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verboten oder aufgelöst werden können. Hier ist der Punkt, wo über die Rechtmäßigkeit einer Versammlung entschieden wird. Solange eine friedliche und unbewaffnete Versammlung nicht zulässigerweise verboten oder aufgelöst ist, genießt sie den Schutz des Grundrechts. Erst mit dem Ausspruch des Verbots oder der Auflösungsverfügung entfällt dieser Schutz. Es ist also zunächst Aufgabe der Polizei zu prüfen, ob von der Demonstration eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu erwarten ist. Ist das der Fall, so kann die Versammlung verboten werden. Findet sie entgegen dem rechtmäßigen Verbot statt, so schützt die Versammlungsfreiheit nicht vor einer Ver271
Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 360 A n m . 39. BayObLG, N J W 1961, S. 2074 f. 273 F ü r den Vorrang der Strafbestimmung über die Ruhestörung gegenüber dem Versammlungsrecht t r i t t Merten ein (Der Staat Bd. 9, S. 274, 275); a. M. Dietel/Gintzel, VersG, § 1 A n m . 71. 274 BGH, N J W 1969, S. 1770 ff. 272
138 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
urteilung. War die Versammlung aber nicht verboten, so ist sie geschützt bis zur rechtmäßigen Auflösung. Sobald also die Strafgesetze der Versammlungsfreiheit selbständige Schranken setzen wollen, müssen sie, wie alle „allgemeinen Gesetze", durch den Filter der speziell das Versammlungsrecht berücksichtigenden Gesetze gesehen werden 275 . Das w i r k t sich — wie dargelegt — zunächst so aus, daß die Teilnehmer wegen ihrer Demonstrationstätigkeit nur dann strafbar sind, wenn die Versammlung rechtmäßig verboten oder aufgelöst war. Die Versammlung hat damit gegenüber einzelnen einen formalen Schutzvorsprung, der durch den Eingriff der Polizei überwunden werden kann. Überaus fraglich erscheint jedoch, ob Versammlungen auch einen materiellen Schutzvorsprung, d. h. ob sie mehr Rechte als einzelne haben. Die Strafverteidiger der Demonstranten haben immer wieder darauf gepocht, daß die Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit unter Umständen sogar Gewaltanwendung rechtfertige 276 ; dabei w i r d wohl impliziert, daß das gleiche Verhalten außerhalb einer Versammlung rechtswidrig wäre. Demgegenüber steht die h. L. auf dem Standpunkt, daß der Demonstrant i m Vergleich zum einzelnen keine Vorrechte besitzt 277 . Unsere Überlegungen zu dieser Frage müssen davon ausgehen, daß Verbot bzw. Auflösung einer Versammlung, und somit auch die Bestrafung der Teilnehmer eine unmittelbare Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraussetzen. Das Versammlungsrecht selbst ist aber ein i n dem Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung enthaltenes Schutzgut. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann daher nur dann gegeben sein, wenn durch die Betätigung der Versammlungsfreiheit ein höherwertiges Rechtsgut beeinträchtigt wird. Der Richter muß somit abwägen, ob im konkreten Fall die Versammlungsfreiheit oder das durch die Demonstranten in Mitleidenschaft gezogene Rechtsgut mehr wert ist 2 7 8 . Eine solche Güterabwägung ist entbehrlich, wenn ein einzelner außerhalb einer Versammlung das gleiche tut. Dogmatisch wäre es also durchaus zu erklären, daß den Versammlungsteilnehmern mehr Rechte zugestanden werden als einzelnen. Das Problem ist freilich so komplex, daß w i r 273 Wenn der B G H (NJW 1S69, S. 1770, 1773) demgegenüber feststellt, auch der Versammlungsteilnehmer müsse die allgemeinen Gesetze beachten, so übersieht er, daß die Versammlungsfreiheit gerade nicht unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze steht. 276 So z. B. Ott, N J W 1969, S. 454 (457). 277 So BGH, N J W 1969, S. 1770 (1773); vgl. auch Tiedemann, JZ 1969, S. 717 (719). 278 Ähnlich Peter Schneider (Festschrift für W. E. Mühlmann, S. 270) speziell zum Problem der strafrechtlichen Nötigung.
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
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ihm unter dem Stichwort der Güterabwägung einen gesonderten Abschnitt widmen wollen. 3. Insbesondere: Das Problem der Güterabwägung
Es war das für die Problematik der Meinungsfreiheit grundlegende Lüth-Urteil, i n dem das Bundesverfassungsgericht erstmals ausdrücklich den Grundsatz der Güterabwägung entwickelt hat, um den Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit und den das Grundrecht begrenzenden allgemeinen Gesetzen zu lösen. Das Prinzip der Güterabwägung muß i m Zusammenhang m i t der Wechselwirkungstheorie gesehen werden, die das Bundesverfassungsgericht ebenfalls i m Lüth-Urteil begründet hat. Da die allgemeinen Gesetze den besonderen Wertgehalt des Grundrechts nicht berücksichtigen, können sie nicht einseitig die Schranken des Grundrechts bestimmen, vielmehr müssen sie „ihrerseits i m Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt (des Grundrechts) . . . auf jeden Fall gewahrt bleibt" 2 7 9 . Das Bundesverfassungsgericht gelangte so zu dem Ergebnis, daß „das Recht zur Meinungsäußerung zurücktreten (müsse), wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden" 2 8 0 . Das Bundesverfassungsgericht bestimmt somit die der Meinungsfreiheit durch die allgemeinen Gesetze gezogenen Schranken in der Weise, daß es das durch die allgemeinen Gesetze geschützte Rechtsgut gegenüber dem Wertgehalt des Grundrechts abwägt und dem schutzwürdigeren Interesse den Vorzug gibt. Die Güterabwägungslehre des Bundesverfassungsgerichts hat scharfe K r i t i k erfahren. Das Prinzip der Güterabwägung laufe auf einen Zirkelschluß hinaus, es sei eine inhaltlose Leerformel, „deren Gehaltlosigkeit geradezu Voraussetzung für ihre generelle Geltung" sei 281 . Die Anwendung des Prinzips führe zum „Dezisionismus i n seiner reinsten Form" 2 8 2 . 279
BVerfGE 7, 198 (208). 280 BVerfGE 7, 198 (210).
281 Christian v. Pestalozza, Kritische Bemerkungen zu Methoden u n d P r i n zipien der Grundrechtsauslegung i n der BRD, Der Staat, Bd. 2 (1963), S. 425 (448); K r i t i k auch bei Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 150. 282 Roman Schnur, Pressefreiheit, in: V V D S t R L , Heft 22, S. 101 (128, F N 67). Merten (MDR 1968, S. 621, 625 f. — m i t Nachw. i n F N 56 und 57) lehnt das Prinzip der Güterabwägung ab u n d ersetzt es durch das der Verhältnismäßigkeit. Es bleibt freilich unerfindlich, welchen Vorteil er sich davon verspricht, denn auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt eine Abwägung sich widerstreitender Interessen voraus (vgl. BVerfGE 23, 127, 133 m i t Nachw.; speziell „zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen" Gentz, N J W 1968, S. 1600 ff.). I n N J W 1970, S. 1625 (1626 f.) w a r n t Merten allerdings vor der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i m Demonstrationsrecht.
140 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
Ungeachtet der K r i t i k , die sicherlich ernste Schwächen der abwägenden Methode aufgezeigt, aber keinen anderen Weg gewiesen hat 2 8 3 , hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung an der i m LüthUrteil begründeten Güterabwägungslehre festgehalten 284 . Dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu folgen, denn die wertende Abwägung sich widerstreitender Rechtsgüter erscheint nach wie vor als die einzige Möglichkeit, den Grundrechtsgehalt zu erfassen und die Schranken der Grundrechte zu bestimmen, insbesondere im Konflikt m i t den „allgemeinen Gesetzen" 285 . Es ist nicht zu verkennen, daß die bei Art. 8 GG auftauchende Abwägungsproblematik gewichtige Ähnlichkeiten mit der vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 GG entwickelten Güterabwägung hat. I n beiden Fällen soll der Konflikt zwischen der Betätigung des Grundrechts und den allgemeinen Gesetzen gelöst werden. Allerdings steht die Meinungsfreiheit ganz generell unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze, so daß sich die Güterabwägung hier als durchgängiges Auslegungsprinzip erweist 286 . Das Grundrecht des Art. 8 GG w i r d demgegenüber nur durch speziell gegen die Versammlungsfreiheit gerichtete Gesetze unmittelbar eingeschränkt. Hier wäre eine über das Gesetz hinausgehende Güterabwägung verfehlt, da das einschränkende Gesetz den Wertgehalt des Grundrechts bereits selbst berücksichtigt. W i r haben jedoch gesehen, daß auch die allgemeinen Gesetze die Versammlungsfreiheit einschränken können, obgleich nur mittelbar durch den Filter der speziellen Schrankengesetze. Da nun diese „allgemeinen Gesetze" den besonderen Wertgehalt der Versammlungsfreiheit ebenso wenig bedenken wie den der Meinungsfreiheit, ist es nunmehr Aufgabe des Gesetzesanwenders, das Grundrecht dem durch das allgemeine Gesetz geschützten Rechtsgut gegenüberzustellen und abzuwägen, wobei der Filter der speziellen Schrankengesetze, insbesondere in § 15 VersG, eine positive Grundlage und Richtschnur bietet. Damit ist die Güterabwägung bei der Versammlungsfreiheit kein durch283 Wenn Gentz ähnlich wie Merten (vgl. die vorhergehende FN) die Güterabwägung i m Rahmen des A r t . 5 GG durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ersetzt u n d dann doch zu demselben Ergebnis k o m m t w i e das Bundesverfassungsgericht, so zeigt er damit nur die Unausweichlichkeit der Abwägung (NJW 1968, S. 1600, 1605; vgl. auch Neuberger, GoltdA 1969, S. 1,5 F N 19). Gegen die wertende Methode als solche Heinze, Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit, Rechtsmacht des Staates oder der Gewalt der Straße über Presseunternehmen als Ergebnis von Wertungen? DVB1 1970, S. 716 (717). 284 BVerfGE 12, 113 (125); 15, 288 (294 ff.); 25, 68 (77); 27, 71 (80); 27, 104 (109); 28, 175 (185 ff.); 28, 191 (202). 285 Vgl. Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (75). Auch Lerche S. 212, 213) hält die Güterabwägung für „stets unerläßlich". 286 BVerfGE 28, 191 (202).
(DÖV 1965,
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
141
gängiger Auslegungsgrundsatz wie bei der Meinungsfreiheit 287 , sondern sie w i r d relevant nur bei jenen Gesetzen, die i m allgemeinen keinen Bezug zu den Besonderheiten der Versammlungstätigkeit haben, i m Einzelfall sich aber als Schranken des Versammlungsrechts erweisen. Bei der Güterabwägung i. R. des Art. 5 GG setzt das Bundesverfassungsgericht das Gewicht der Meinungsfreiheit um so höher an, je mehr es „darum geht, daß sich i n einer für das Gemeinwohl wichtigen Frage eine öffentliche Meinung bildet", d. h. wenn „von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzungen Gebrauch gemacht wird, der Redende vielmehr i n erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen w i l l " 2 8 8 . Diese Höherbewertung der „öffentlichen Meinungsfreiheit" liegt nicht in A r t . 5 GG selbst begründet 289 , denn dort ist nur eine umfassende Meinungsfreiheit ohne Trennung des privaten und öffentlichen Bereichs gewährleistet. Indem das Bundesverfassungsgericht aber immer wieder darauf hinweist, daß das Recht der freien Meinungsäußerung „für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend" ist 2 9 0 , macht es deutlich, daß letztlich die Grundrechte des A r t . 20 GG Meinungsäußerungen zu öffentlichen Angelegenheiten ihren besonderen Rang verleihen. Vor allem ist es wohl das Demokratiegebot (Art. 20 Abs. 1 GG), verbunden mit dem Prinzip der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG), welches die Einflußnahme des Bürgers i n Fragen der Gemeinschaft privilegiert. Zwar garantiert Art. 5 GG auch die freie Bildung der öffentlichen Meinung 2 9 1 , aber die Sonderstellung der öffentlichen Meinungsfreiheit ergibt sich erst aus der Sicht des Grundrechts im Lichte der in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG niedergelegten demokratischen Grundsätze. Daher muß eine Güterabwägung bei politischen Äußerungen nicht nur den Wertgehalt des Grundrechts der Meinungsfreiheit, sondern auch die Bedeutung der Äußerung für die Willensbildung des Volkes und damit letztlich auch des Staates 292 berücksichtigen. 287 Wenn die Gerichte verschiedentlich den Grundsatz der Güterabwägung auf A r t . 8 GG ebenso umfassend anwenden wie auf A r t . 5 GG, so beruht das darauf, daß sie die Tatbestandsabgrenzung zwischen beiden Grundrechten unterlassen und die Schranken der Meinungsfreiheit auf die Versammlungsfreiheit übertragen (vgl. z.B. L G Bremen, DRiZ 1969, S. 86 f.; A G Frankfurt, JZ 1969, S. 200, 204). 288 BVerfGE 7, 198 (212 und 219); vgl. auch BVerfGE 12, 113 (127); 25, 256 (264); ähnlich B G H S t 12, 287 (293 f.); B G H Z 31, 308 (312 f.). 2S9 Nach Ridder (Die Grundrechte, Bd. I I , S. 255 ff., 288) folgt „die Scheidung der politischen öffentlichen Meinungsfreiheit von der klassischen individuellen Freiheit der Meinungsäußerung" zwangsläufig aus A r t . 21 GG. Diese A b l e i tung ist bei Ridder damit zu erklären, daß er A r t . 21 GG nicht n u r auf politische Parteien, sondern auf alle u m politische Einflußnahme bemühten gesellschaftlichen Gruppen anwendet. 290 BVerfGE 5, 85 (134 f., 205); 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (971). 291
BVerfGE 8, 104 (112).
142 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
a) Privilegierung
der politischen
Versammlung
Ähnlich ist es nun bei der Güterabwägung i m Widerstreit zwischen der Versammlungsfreiheit und den allgemeinen Gesetzen. A r t . 8 GG unterscheidet nicht zwischen Versammlungen in privaten und solchen in öffentlichen Angelegenheiten. Dennoch erscheint es wohl ohne weiteres einsichtig, daß eine Versammlung als M i t t e l der Meinungsfreiheit i n einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage schutzwürdiger ist als eine Zusammenkunft mit nur privatem Belang. Niemand käme auf die Idee, den Teilnehmern eines Klassentreffens, die sich einen seltsamen Jux erlauben wollen, die Straße als Ort ihrer Zusammenkünft zur Verfügung zu stellen. Anders würde man wahrscheinlich urteilen, wenn dieselben Personen einen Demonstrationszug veranstalten wollen, um gegen die Notstandsgesetze oder — aktueller — gegen die Ratifizierung der Ostverträge zu protestieren. Wiederum liegt der Grund für die Privilegierung der politischen Versammlung in ihrer Einflußnahme auf die politische Willensbildung des Volkes, d. h. i n ihrer Bedeutung für die Verwirklichung einer aktiven Demokratie 293 . Art. 8 GG gewährt aus sich heraus über die bloße Tätigkeit des SichVersammelns hinaus keine weitergehenden Befugnisse 294 . Beurteilt man daher die aus einer Versammlung heraus begangenen Handlungen ausschließlich nach dem Schutzgehalt des A r t . 8 GG, so müßte man dem Bundesgerichtshof beipflichten, der den Demonstranten i m Vergleich zum einzelnen jegliche Vorrechte abspricht 295 . Damit aber w i r d der Einfluß des Demokratiegebots in Art. 20 GG für den besonderen Schutz politischer Versammlungen verkannt 2 9 6 . Nur für Versammlungen mit rein privatem Belang gilt die Ansicht des B G H uneingeschränkt, da sie gegenüber einzelnen keine Sonderrechte genießen, da hier der eigent292 BVerfGE 20, 56 (981). 293 F ü r eine Privilegierung der politischen Versammlung insbesondere DiederichsenJMarburger, Die Haftung für Demonstrationsschäden, N J W 1970, S. 777 (781); vgl. auch Ott, N J W 1969, S. 454 (457); Dietel/Gintzel, VersG, §17 A n m . 18; Leitenberger, Verwaltungspraxis 1969, S. 169 (175). Das A G Bremen (DRiZ 1969, S. 92, 93) überträgt die Sonderstellung der politischen Meinungsäußerung ohne weiteres auf die politische Versammlung. Daß die bisherige polizeiliche Praxis politische Versammlungen keineswegs privilegiert, bemerkt das A G Frankfurt (JZ 1969, S. 200, 204). Bei großen Sportveranstaltungen, Volksfesten, Karnevalsumzügen etc. werden starke Verkehrsbehinderungen für selbstverständlich gehalten, während politische Versammlungen oft auf Widerstand stoßen (vgl. auch Peter Schneider, Festschrift für W. E. M ü h l mann, S. 261 f.). 294
Insoweit ist Merten, Der Staat, Bd. 9, S. 274 (275) zuzustimmen. BGH, N J W 1969, S. 1770 (1773). Gegen ein Haftungsprivileg f ü r Demonstrationstäter auch Merten, N J W 1970, S. 1625 ff. 296 Dieser V o r w u r f t r i f f t insbesondere auch Merten, der, da er allein auf A r t . 8 GG abstellt, die Privilegierung der politischen Versammlung leugnet (Der Staat, Bd. 9, S. 274, 275). 295
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
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liehe Grund für die Privilegierung, nämlich der Bezug zum demokratischen Prinzip, fehlt. Dagegen haben jene Versammlungen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten befassen, i m Vergleich zum einzelnen tatsächlich einen materiellen Schutzvorsprung, da ihr Versammlungsrecht durch das Demokratiegebot gestärkt wird. Grundrecht und allgemeines staatliches Ordnungsprinzip wirken hier zusammen und schaffen einen besonderen Schutzraum, der bei der Güterabwägung zwischen Versammlungsfreiheit und allgemeinen Gesetzen zu berücksichtigen ist. Schon am Anfang dieser Untersuchung wurde darauf hingewiesen, daß es unmöglich ist, eine scharfe Grenze zwischen politischen und unpolitischen Versammlungen zu ziehen, da öffentliche und private Angelegenheiten nicht exakt zu trennen sind 297 . Dementsprechend wäre es verfehlt, wollte man die Vorrechte politischer Versammlungen abstrakt und generell bestimmen. Wie bei Art. 5 GG so muß die Güterabwägung vielmehr auch i m Bereich des Art. 8 GG vom konkreten Fall ausgehen 298 und den jeweiligen Bezug zu öffentlichen Angelegenheiten messen. Es w i r d also keine scharfe Grenze gezogen: hier unpolitische (unprivilegierte) Versammlung, da politische Veranstaltung mit einem feststehenden Katalog von Vorrechten. Vielmehr steigt der Grad der Privilegierung mit der Intensität des politischen Bezugs. Je stärker das Anliegen der Versammlung auf öffentliche Angelegenheiten bezogen ist, desto fester ist der Schutz der Versammlung. Das sei an einigen Beispielen kurz verdeutlicht: Das Klassentreffen erschöpft sich voll und ganz in dem Bezug auf die Teilnehmer der Zusammenkunft, ohne daß die Allgemeinheit irgendwie davon betroffen wäre. Hier gibt es keine Sonderrechte. Die Kundgebung des Beamtenbundes, der eine bessere Besoldung für seine Mitglieder fordert, ist zwar ebenfalls noch, und zwar i n erster Linie, gruppenbezogen, ist aber doch schon i n gewissem Ausmaß von Bedeutung für die Allgemeinheit, der an einem leistungsfähigen Beamtentum gelegen ist, und die i m übrigen für die Besoldung der Beamten mit ihren Steuergeldern aufkommt. Die Gemeinschaft muß sich daher von einer solchen Kundgebung stärkere Einwirkungen auf ihre Belange gefallen lassen als von der bloß privaten Versammlung. A m weitesten aber geht der Schutz, wenn das Anliegen der Versammlung völlig losgelöst ist von irgendwelchen Gruppeninteressen und ganz auf die Belange der Allgemeinheit hin orientiert ist. Man denke etwa an Demonstrationen, welche den Protest gegen die Notstandsgesetze artikulieren, oder welche die Bundesregierung zum Einschreiten gegen die fortschreitende Pressekonzen297 Vgl. oben A I 1 a (zu Carl Theodor Welcker). 298 v g l > BVerfGE 7, 198 (210 f.); 28, 191 (202); dahingestellt i n BVerfGE 28, 175 (186), aber m i t deutlicher Präferenz für die Abwägung i m konkreten Fall.
144 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
tration auffordern usw. Hier mögen sich vielleicht verschiedene Gruppen in einer bestimmten Richtung besonders aktiv zeigen (wie z. B. die Gewerkschaften gegen die Notstandsgesetze), aber sie vertreten hier kein spezielles Gruppeninteresse, sondern sie wollen lediglich ihren Einfluß bei der Gestaltung des Gemeinwesens geltend machen. b) Berücksichtigung
des Anliegens der Versammlung
Damit steht fest, daß der Richter das Anliegen der Versammlung in seiner Bedeutung für die Allgemeinheit werten muß und daß diese Wertung das Ergebnis der Abwägung zwischen Versammlungsfreiheit und anderen Rechtsgütern beeinflussen kann. W i r müssen allerdings feststellen, daß fast durchwegs die Ansicht vertreten wird, eine „Bewertung von Demonstrationen nach deren politischen Zielen (sei) unzulässig" 299 . Andererseits setzen sich manche Autoren für ein stärkeres Eingehen auf die Hintergründe der Versammlung ein 3 9 0 ; und gerade die Untergerichte haben sich oft sehr eingehend mit der politischen Zielsetzung der Demonstranten auseinandergesetzt 301 . Jene Auffassung, die eine Wertung des Versammlungszwecks durch den Richter ablehnt, kann sich m i t guten Gründen auf das auch vom Bundesverfassungsgericht 302 wiederholt betonte, für den Staat verbindliche Gebot weltanschaulicher Neutralität berufen, das seinen Grund letztlich wohl i n Art. 3 Abs. I I I GG hat 3 0 3 . Dieser Grundsatz besagt indessen nur, daß die staatlichen Organe nicht zwischen widerstreitenden politischen Richtungen differenzieren dürfen, d. h. daß sie der einen Gruppe nicht mehr Rechte zugestehen dürfen als der anderen. Das Neutralitätsgebot verbietet es aber nicht, danach zu differenzieren, ob ein bestimmtes Anliegen für die Allgemeinheit bedeutungsvoll ist oder nicht. Nur i n diesem engen Rahmen ist Platz für die eigene Wertung des Richters. U m es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Der Richter verstößt gegen seine Neutralitäts299 Ossenbühl, Der Staat, Bd. 10, S. 53 (62); ähnlich Merten, M D R 1968, S. 621 (626); Neuberger GoltdA 1969, S. 1 (8); Janknecht, GoltdA 1969, S. 33 (37); Baumann/Frosch, JZ 1970, S. 113 (114); besonders ausführlich hierzu O L G Celle, N J W 1970, S. 206 (207). 300 Simon, Freiheitliche Verfassung und Demonstrationsrecht, S. 25 f.; vgl. auch Klug, Perspektiven deutscher Politik, S. 49. I n nahezu allen Demonstrationsprozessen forderten die Verteidiger, das Gericht müsse die Ziele der Demonstranten berücksichtigen; vgl. Tiedemann, JZ 1969, S. 717 (721); O L G Celle, N J W 1970, S. 206 (207). 301 Vgl. A G Bremen, DRiZ 1969, S. 92 f.; A G Frankfurt, JZ 1969, S. 200 (204); A G Esslingen, JZ 1968, S. 800 (801); L G Köln, JZ 1969, S. 80 (82); K r i t i k an diesen Entscheidungen bei Baumann/Frosch, JZ 1970, S. 113 (114). 302 BVerfGE 19, 206 (216); 24, 236 (246); BVerfG, N J W 1965, S. 1427 (1428). 303 v g l Hamann/Lenz, A r t . 3 A n m . 6; das BVerfG (a.a.O.) stützt sich ebenfalls auf A r t . 3 GG, obwohl es n u r die religiöse Neutralität des Staates erörtert, die auch aus anderen Vorschriften der Verfassung abzuleiten ist.
I I . Versuch einer Schrankensystematik für A r t . 8 GG
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pflicht, wenn er den Befürwortern der Notstandsgesetze oder der Ostverträge mehr Recht einräumt als den Gegnern. Er ist aber sehr wohl befugt, solchen politischen Demonstrationen einen größeren Spielraum zuzugestehen als einem Umzug von Schülern, die sich von ihrem Direktor ungerecht behandelt fühlen. Daher ist dem OLG Celle einerseits zuzustimmen, wenn es sich dagegen wehrt, die Ziele der Demonstranten als richtig oder falsch zu bewerten 304 , denn damit würde es unmittelbar i n den Streit der politischen Meinungen eingreifen; andererseits geht das Gericht zu weit, wenn es jede Wertung des Anliegens nach Bedeutung und Gewicht ablehnt, denn damit übergeht es die Privilegierung der politischen Versammlung. Es wäre freilich Augenwischerei, wollte man leugnen, daß selbst innerhalb des aufgezeigten, engen Abwägungsspielraums inhaltliche, d. h. politische Wertungen unumgänglich sind. Aber das Grundgesetz, das dem Staat weltanschauliche Neutralität auferlegt, ist ja selbst kein inhaltloses Gebilde, kein bloßer „Komplex formaler Spielregeln für den politischen Prozeß", sondern es statuiert sehr wohl sachliche Grundprinzipien 3 0 5 . Und man muß einfach den Mut haben zuzugeben, daß der Richter politische Entscheidungen fällt, wobei man jedoch gut daran tut, dieser politischen Kompetenz, die schon durch die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 I I I GG) beschränkt ist, auch darüber hinaus enge Grenzen zu setzen. Wenn aber das Bundesverfassungsgericht i m Rahmen des Art. 5 GG den Bezug der Meinungsäußerung zu öffentlichen Angelegenheiten würdigt, und so eine politische Entscheidung fällt, so ist nicht einzusehen, warum dasselbe nicht ebenso i m Rahmen des A r t . 8 GG gelten sollte. Der Richter entscheidet, ob und inwieweit ein bestimmtes Anliegen überhaupt für die Gemeinschaft von Belang ist. I n den politischen Streit darüber, welcher Weg denn nun einzuschlagen sei, darf er nicht eingreifen 306 . c) Art der Privilegierung Anerkennt man nun die Privilegierung der politischen Versammlung als Prinzip, so bleibt doch offen, i n welcher Form sich diese Privilegierung denn äußert. Zum Grundrecht der Meinungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß es nur „den geistigen Kampf 304
O L G Celle, N J W 1970, S. 206 (207). Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 66. Daher erscheint m i r die K r i t i k bei Baumann/Frosch (JZ 1970, S. 113, 114) an den Urteilen des A G Bremen (DRiZ 1969, S. 92), des A G F r a n k f u r t (JZ 1969, S. 200) u n d des L G K ö l n (JZ 1969, S. 80) ungerechtfertigt, denn dort w i r d jeweils n u r betont, daß die Demonstration eine Angelegenheit von allgemein öffentlichem Interesse betrifft. Bedenklich erscheint n u r die Entscheidung des A G Esslingen (JZ 1968, S. 800), w o das Gericht sich ziemlich u n v e r h ü l l t m i t der Zielsetzung der Demonstranten identifiziert. 305
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der Meinungen gewährleisten" solle 307 . Art. 5 GG schütze mögliche Kampf maßnahmen daher auch nur insoweit, als sie „auf geistige Argumente gestützt (seien), sich also auf die Überzeugungskraft von Darlegungen, Erklärungen und Erwägungen beschränkten". Die Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 5 GG w i r d nirgends bestritten 308 , ja sie w i r d neuerdings sogar auf Art. 8 GG ausgedehnt. So geht es nach Neuberger bei der Versammlungsfreiheit i n erster Linie darum, „die geistige Kommunikation . . . zu ermöglichen" ; das Versammlungsrecht umfaßt danach „nicht solche Verhaltensweisen, die nicht durch die Willenskundgebung, sondern durch das Bereiten eines physischen Hindernisses Wirkung erzielen wollen" 3 9 9 . Verschiedene ober gerichtliche Urteile zum Demonstrationsrecht, die, wie w i r gesehen haben, A r t . 5 GG und Art. 8 GG oft ohne ausreichende Tatbestandsabgrenzung nebeneinanderstellen 3 1 0 , beziehen die Beschränkung der Meinungsfreiheit auf geistige Argumente unmittelbar auf das Verhalten der Versammlungsteilnehmer und begründen so die Ablehnung der Sitzstreikblockade 311 . Diese Übertragung der vom Bundesverfassungsgericht zu A r t . 5 GG entwickelten Lehre auf die Versammlungsfreiheit erscheint äußerst fragwürdig. Zuzugeben ist, daß Art. 5 GG als „Fundamentalnorm der geistigen Auseinandersetzung" 312 tatsächlich nur die Auseinandersetzung m i t geistigen Argumenten schützt. Hätte A r t . 8 GG dieselbe Bedeutung, so wäre es überflüssig, i n i h m eine besondere Garantie der Versammlung als Mittel der Meinungsfreiheit zu erblicken, da er ja i n dieser
307 BVerfGE 25, 256 (265) — Blinkfüer-Entscheidung; Hervorhebung i m Original. 308 Ridder (Die Grundrechte, Bd. I I , S. 282 u n d 283) spricht von der „rein geistigen W i r k u n g " der Meinungsäußerung. Lerche (Zur verfassungsrechtlichen Deutung der Meinungsfreiheit, insbesondere i m Bereiche des Boykotts, i n : Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970, S. 197 ff.) kritisiert allerdings die Rechtsprechung des B V e r f G zum I n h a l t der Meinungsfreiheit, w o bei er sich insbesondere m i t der i n der Blinkfüer-Entscheidung aufgeworfenen Frage auseinandersetzt, ob die Boykott-Aufforderung unter den Tatbestand des A r t . 5 GG fällt. Lerche faßt den Schutzbereich der Meinungsfreiheit noch enger als das BVerfG und v e r t r i t t die Ansicht, daß der B o y k o t t - A u f r u f jedenfalls i m Verhältnis zum Gegner keine Meinungsäußerung darstelle, sondern bereits eine aktive Durchsetzung bestimmter Meinungsinhalte sei. „Befehle (sind) keine Meinungsäußerungen", apostrophiert Lerche seine A u f fassung (S. 209). D a m i t w i r d der Ausgangspunkt des BVerfG, die Meinungsfreiheit schütze den Austausch geistiger Argumente, w o h l nicht i n Frage gestellt, sondern i m Grunde bestätigt und weiter präzisiert. 309 Neuberger, GoltdA 1969, S. 1 (5). 310 Vgl. oben C I 3. 311 Insbesondere O L G Celle, N J W 1970, S. 206 (207): O L G Stuttgart, N J W 1969, S. 1543; deutlich auch i n BGH, N J W 1969, S. 1770 (1773). 312 Roman Herzog, Der demokratische Verfassungsstaat i n Deutschland — Entwicklung u n d Ausblick, i n : JuS 1969, S. 397 (399).
I I . Versuch einer Schrankensystematik f ü r A r t . 8 GG
147
Interpretation doch nichts anderes aussagt, als schon dem grundlegenden Art. 5 GG zu entnehmen ist. Aber die Funktion des A r t . 8 GG liegt gerade darin, daß er die Versammlung nicht als ein lediglich geistig wirkendes M i t t e l der Meinungsfreiheit schützt, sondern die Versammlung als Tatsache der körperlich greifbaren Umwelt, die nicht allein, und meist auch i n erster Linie nicht durch geistige Argumente, sondern durch das körperliche Beisammensein einer Vielzahl von Personen w i r k t . Gerade die Tatbestandsabgrenzung zwischen A r t . 5 GG und Art. 8 GG hat gezeigt, daß Art. 8 GG nicht das geistige Phänomen der i n der Versammlung geäußerten Meinung, sondern das physische Phänomen der versammelten Menschenmenge schützt. Auch der i m Rahmen des Art. 8 GG festgestellte Schutzvorsprung der politischen Versammlung bezieht sich auf dieses körperlich greifbare Phänomen, während die zum Ausdruck gebrachte Meinung nach A r t . 5 GG zu beurteilen ist. Daß der Schutzvorsprung der politischen Versammlung i m Rahmen des Art. 8 GG allein körperlich und nicht geistig zu begreifen ist, zeigt das Beispiel der Straßenbenutzung. Wenn man den auf öffentliche A n gelegenheiten bezogenen Versammlungen, anders als den lediglich privat relevanten Zusammenkünften, die Benutzung der Straße entgegen den Vorschriften über den Gemeingebrauch gestattet, so kann diese Privilegierung unmöglich als Tatsache des geistigen Lebens gesehen werden, sondern sie ist eine Auswirkung i m körperlich greifbaren Bereich 313 . Nun wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Schutzvorsprung der politischen Versammlung nicht nach einer exakten Grenze m i t einem feststehenden Inhalt absolut bestimmt werden kann. Vielmehr ist der Schutzvorsprung desto größer, je intensiver der Bezug zu öffentlichen Angelegenheiten ist. Die Privilegierung der politischen Versammlung erschöpft sich daher nicht i n dem Recht auf die Benutzung der Straße, sondern sie kann durchaus weiter gehen, wobei die Grenze jeweils an Hand des konkreten Falles zu bestimmen ist. Die absolute Schranke bildet das Gebot der Friedlichkeit in A r t . 8 Abs. 1 GG, wonach Gewalttätigkeiten i n dem oben dargestellten Sinn 3 1 4 immer ausgeschlossen sind. Da jedoch der bloß passive Sitzstreik kein „unfriedliches" Verhalten darstellt, wäre es vom Standpunkt des Verfassungsrechts her durchaus denkbar, daß die Sitzstreikblockade i m Rahmen
313 Ä h n l i c h Stöcker (JZ 1969, S. 396, 397, A n m . zu einem Urt. des BayObLG), der sich gegen die Beschränkung auf „psychische Beeinflussung" wendet u n d physischen Druck durch Versammlungen für zulässig hält. A u f dieser L i n i e liegt auch Tiedemann, der die Ansicht vertritt, die Versammlungsfreiheit rechtfertige „gewisse Eingriffe i n die Fortbewegungsfreiheit D r i t t e r " (Apok a l y p t i s c h e Meinungsfreiheit, J Z 1970, S. 319, 320). 314 Vgl. oben C I I 1 a bb.
10*
148 C. Schranken des A r t . 8 GG, insbesondere i m Vergleich zu A r t . 5 GG
der geschützten Versammlungsfreiheit liegt 3 1 5 . Die Crux der Rechtsprechung besteht nun darin, daß sie sich an Hand der verschiedenen Fälle, die niemals von der Literatur ganz vorgedacht werden können, die Grenzen der Versammlungsfreiheit i m einzelnen erarbeiten muß. Daß eine die Privilegierung der politischen Versammlung berücksichtigende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hier als Wegweiser von großem Nutzen wäre, bedarf keiner Begründung 316 .
315 Die vorsichtig abwägende Beurteilung des L G K ö l n (JZ 1969, S. 80, 82) ist daher i m Prinzip der die Rechtsmäßigkeit des Sitzstreiks absolut negierenden Auffassung des B G H (NJW 1969, S. 1770, 1773) vorzuziehen. 316 Leider hat das Bundesverfassungsgericht die Amnestie von 1970 (Gesetz v o m 20. 5. 1970, B G B l I S. 509) zum Anlaß genommen, der Entscheidung über anhängige, einschlägige Verfassungsbeschwerden auszuweichen.
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