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German Pages 443 [466] Year 2018
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 394 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Carsten Kern
Schiedsgericht und Generalklausel Zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment in der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
Mohr Siebeck
Carsten Kern, Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg, Berlin und Ferrara; Erste Juristische Staatsprüfung in Heidelberg; Zweite Juristische Staatsprüfung in Berlin; Magister Artium in Politikwissenschaft; Master of Laws am King’s College London; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ausländisches und internationales Privatund Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg; Consultant bei UNIDROIT, Rom; Visiting Fellow am Lauterpacht Centre for International Law, Universität Cambridge; Promotion in Heidelberg.
ISBN 978-3-16-155218-2 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2016 von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer. Die Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl war eine lehrreiche und schöne Zeit. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Herbert Kronke für die Übernahme des Zweitgutachtens. Dem Direktorium des Max-Planck-Instituts Hamburg danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe. Herrn Professor James Crawford verdanke ich die Einladung zu einem gewinnbringenden Forschungsaufenthalt am Lauterpacht Centre for International Law sowie einige wertvolle Erfahrungen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Herrn Professor Neil H. Andrews verdanke ich wertvolle Erfahrungen als Lehrbeauftragter an der Universität Cambridge sowie kollegiale Unterstützung während dieser Zeit. Herr Professor Dr. Dr. h.c. mult. Erik Jayme hat mich seit meinen Studientagen gefördert und mir manchen guten Rat mit auf den Weg gegeben; dafür sei ihm gedankt. Meinen Freunden und Kollegen, allen voran Frau Ass. iur. Iris Müller, danke ich für die mir zuteil gewordene Unterstützung. Das Manuskript zu dieser Arbeit wurde Anfang 2014 abgeschlossen. Wien/Berlin, im Mai 2017
Carsten Kern
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. IX Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. XIX §1
Einleitung ................................................................................................. 1
Teil I: Entwicklung und Grundlagen des internationalen Investititionsschutzrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit §2
Die Rechtsquellen des internationalen Investitionsrechts und die Struktur internationaler Investitionsschutzabkommen ........................... 11
§3
Investor-Staat-Streitbeilegung ............................................................... 41
§4
Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit................................ 66
§5
Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen ................................. 88
Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment: Entwicklung, konzeptionelle Grundlagen, Fallgruppen, Kontext und Abgrenzung §6
Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment .............................................................................................. 119
§7
Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment im Überblick ........................................................................................ 142
VIII
Inhaltsübersicht
Das Gebot des fair and equitable treatment im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts – Wechselwirkung mit und Abgrenzung gegenüber anderen Schutzstandards ......................... 154
§8
Teil III: Ansätze zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment: Rechtsprechungsanalyse – Institutionelle Reformansätze – Methodik §9
Rechtsprechungsanalyse – Die Rechtsprechung zu den Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment .................... 168
§ 10
Konsistente Rechtsprechung – Möglichkeit und Nutzen institutioneller Reformen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit .......................................................................... 229
§ 11
Generalklauselkonkretisierung und internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit: Methodische Überlegungen zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ............. 296
§ 12
Schlussbetrachtung .............................................................................. 391
Literaturverzeichnis ......................................................................................... 403 Verzeichnis der Investitionsschiedssprüche .................................................... 437 Sachregister ..................................................................................................... 441
Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................................. V Inhaltsübersicht ............................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. XIX §1
Einleitung ................................................................................................. 1 I. Einführung in das Thema ................................................................ 1 II. Entfaltung der Problematik .............................................................. 3 1. Problemstellung ......................................................................... 3 2. Zentrale Fragestellungen ............................................................ 4 III. Gang der Untersuchung ................................................................... 7 1. Vorfragen ................................................................................... 7 2. Gang der Darstellung ................................................................. 8
Teil I: Entwicklung und Grundlagen des internationalen Investitionsschutzrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit §2
Die Rechtsquellen des internationalen Investitionsrechts und die Struktur internationaler Investitionsschutzabkommen ........................... 11 I. Einführung ..................................................................................... 11 II. Rechtsquellen ................................................................................ 12 1. Völkervertraglicher Investitionsschutz: Das System der Investitionsschutzabkommen ................................................... 13 a) Bilateraler Investitionsschutz ............................................. 13 b) Regionaler und sektoraler Investitionsschutz ..................... 16 c) Multilaterale Ansätze ......................................................... 18 2. Völkergewohnheitsrechtsrechtlicher Investitionsschutz ............ 21 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze ................................................... 25 4. Nationales Recht ...................................................................... 26 5. Verträge zwischen Gaststaat und Investor (Investitionsverträge) ............................................................... 27
X
Inhaltsverzeichnis
a) Anwendbares Recht............................................................ 29 b) Stabilisierungs- und Internationalisierungsklauseln ........... 30 c) Praktische Relevanz ........................................................... 33 6. Weitere Quellen ......................................................................... 35 a) Europäischer Investitionsschutz ......................................... 35 b) Soft Law ............................................................................. 35 III. Struktur und Inhalt bilateraler Investitionsschutzabkommen ........ 37 IV. Zusammenfassung ......................................................................... 40 §3
Investor-Staat-Streitbeilegung ............................................................... 41 I. Klassische Streitbeilegungsmechanismen für internationale Investitionsstreitigkeiten ................................................................ 42 1. Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten ................................... 42 2. Diplomatischer Schutz ............................................................. 43 a) Staatsangehörigkeit ............................................................ 44 b) Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges ................. 46 c) Rechtsfolge im Ermessen des Heimatstaates...................... 47 3. Zwischenergebnis .................................................................... 49 II. Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Investor-StaatSchiedsverfahren (Investitionsschiedsverfahren) .......................... 51 1. Entwicklung der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (Investitionsschiedsgerichtsbarkeit) ......................................... 52 2. Das System der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit ........................ 55 a) Entstehungsgeschichte und institutioneller Rahmen .......... 55 b) Schiedsverfahren nach der ICSID-Konvention .................. 57 3. Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID.................. 65 III. Zusammenfassung ......................................................................... 66
§4
Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ............................... 66 I. Die Zuordnungskriterien im Überblick ......................................... 68 II. Schiedsvereinbarung...................................................................... 69 1. Zustandekommen der Schiedsvereinbarung: Zustimmung zur Schiedsklausel (consent) .................................................... 69 2. Rechtsnatur und anwendbares Recht der Schiedsvereinbarung ................................................................ 71 a) Rechtsnatur ......................................................................... 71 b) Schiedsvereinbarungsstatut ................................................ 73 III. Anbindung des Schiedsverfahrens an ein nationales Recht ........... 76 1. Einleitung ................................................................................. 76 2. ICSID-Schiedsverfahren .......................................................... 78 3. Schiedsverfahren außerhalb des ICSID ................................... 79 IV. Anwendbares Recht ....................................................................... 80 1. Verfahrensrecht ........................................................................ 80
Inhaltsverzeichnis
V. §5
XI
a) ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit ............................................ 80 b) Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID ............ 80 2. Anwendbares materielles Recht ................................................ 81 a) ICSID-Schiedsverfahren .................................................... 81 b) Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID ............ 85 Fazit ............................................................................................... 86
Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen ................................... 88 I. Der Begriff der Auslegung ............................................................ 89 II. Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge .................................... 90 1. Gegenstand der Auslegung ...................................................... 91 2. Die Rechtsnormen der Vertragsauslegung im Völkerrecht: Auslegung nach der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) .................................................................................. 93 a) Wortlaut, Art. 31 Abs. 1, 1. Alt. WVRK ............................ 95 b) Systematik, Art. 31 Abs. 1, 2. Alt. WVRK ........................ 96 c) Sinn und Zweck, Art. 31 Abs. 1, 3.Alt. WVRK ................. 98 d) Weitere Auslegungsmittel, Art. 32 WVRK ...................... 100 e) Sonstige Auslegungs- und Vermutungsregeln ................. 101 III. Vertragsauslegung in der Praxis der Investitionsschiedsgerichte ........................................................................................ 102 1. Teleologische Auslegung ....................................................... 103 2. Ergänzende Auslegungsmittel ............................................... 104 3. Restriktive Auslegungsansätze .............................................. 105 a) Souveränitätsschonende Auslegung (in dubio mitius)...... 105 b) Ergebnisorientierung ........................................................ 106 4. Auslegungserklärungen ......................................................... 106 5. Bedeutung von Modellabkommen ......................................... 107 IV. Kritik der Auslegungspraxis .......................................................... 107 1. Einseitige Orientierung an Investoreninteressen .................... 108 2. Mangelnde Bestimmtheit des klassischen Auslegungskanons? ............................................................... 112
XII
Inhaltsverzeichnis
Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment: Entwicklung, konzeptionelle Grundlagen, Fallgruppen, Kontext und Abgrenzung §6
Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment .............................................................................................. 119 I. Geschichtliche Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment ............................................................... 119 II. Das Gebot des fair and equitable treatment und das Völkergewohnheitsrecht .............................................................. 123 1. Verhältnis zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard ..................................................................... 124 a) Der fremdenrechtliche Mindeststandard und sein Verhältnis zum internationalen Investitionsschutzrecht ... 124 b) Verhältnis des Mindeststandards zum Gebot des fair and equitable treatment .................................................... 126 2. Entstehung von Völkergewohnheitsrecht durch völkervertragliches Investitionsrecht ? .................................. 134 3. Fazit: Das Gebot des fair and equitable treatment als eigenständiger Schutzstandard ............................................... 137 III. Abgrenzung gegenüber einer Entscheidungsfindung ex aequo et bono ......................................................................................... 139 1. Abgrenzung............................................................................ 139 2. Parteivereinbarung ................................................................. 141 3. Zusammenfassung ................................................................. 141
§7
Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment im Überblick ........................................................................................ 142 I. Berechtigte Erwartungen (legitimate expectations) ..................... 142 II. Transparenz, Konsistenz, Stabilität und Berechenbarkeit (transparency, stability and predictability) ................................. 145 III. Abwesenheit von Willkür und Diskriminierung (lack of arbitrariness and discrimination) ................................................ 147 IV. Verfahrensrechte (due process, fair trial, fair procedure, absence of denial of justice) ........................................................ 149 V. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality)........................ 152 VI. Kritische Würdigung ................................................................... 152
§8
Das Gebot des fair and equitable treatment im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts – Wechselwirkung mit und Abgrenzung gegenüber anderen Schutzstandards ........................ 154 I. Verbot entschädigungsloser Enteignung ..................................... 154
Inhaltsverzeichnis
XIII
II. Voller Schutz und Sicherheit (full protection and security) ........ 158 III. Verbot willkürlicher und/oder diskriminierender Maßnahmen (duty to refrain from arbitrary and/or discriminatory measures)..................................................................................... 162 IV. Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung (national treatment, most-favoured-nation treatment) ................................ 163 V. Schirmklauseln (umbrella clauses).............................................. 164
Teil III: Ansätze zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment: Rechtsprechungsanalyse – Institutionelle Reformansätze – Methodik §9
Rechtsprechungsanalyse – Die Rechtsprechung zu den Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment ................... 168 I. Bedeutung der Fallgruppenmethode ............................................ 168 II. Der Schutz berechtigter (Investoren-)Erwartungen (legitimate expectations) ................................................................................ 172 1. Berechtigte Erwartungen und Vertrauensschutz: Rechtsvergleichender Überblick ............................................ 173 2. Berechtigte Erwartungen in der Praxis der internationalen Investitionsschiedsgerichte: Investitionsbegriff, indirekte Enteignung und Entschädigungsberechnung ......................... 180 a) Investitionsbegriff, Entschädigung- und Schadensersatzberechnung ............................................... 181 b) Indirekte Enteignungen .................................................... 181 3. Der Schutz legitimer Investorenerwartungen (legitimate expectations) als Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment ................................................................ 183 a) Vertrauen auf die Beständigkeit des allgemeinen Rechtsrahmens der Investition (insbesondere der Rechtsordnung des Gaststaates) ....................................... 184 b) Durch ausdrückliches oder konkludentes, formelles oder informelles Verhalten des Gaststaates gewecktes Vertrauen des Investors .................................................... 188 c) Durch vertragliche Zusicherungen gewecktes Vertrauen des Investors .................................................... 191 aa) Investor-Staat-Vertrag ............................................. 191 bb) Stabilisierungsklauseln ............................................ 197 d) Berechtigte Erwartungen und tatsächliche Rahmenbedingungen im Gaststaat ................................... 197 4. Zusammenfassung ................................................................. 199
XIV
Inhaltsverzeichnis
III. Verfahrensrechte.......................................................................... 201 1. Begriff des fairen Verfahrens ................................................. 203 2. Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte .................... 204 3. Rechtswegerschöpfung (exhaustion of local remedies) ......... 209 4. Zusammenfassung ................................................................. 211 IV. Transparenzgebot ........................................................................ 212 1. Begriff .................................................................................... 212 2. Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte .................... 214 3. Zusammenfassung ................................................................. 217 V. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality)........................ 217 1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Rechtsvergleichender Überblick und methodische Implikationen ............................ 218 a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in verschiedenen Rechtsordnungen .............................................................. 218 b) Methodische Implikationen: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Abwägung ............... 221 2. Rechtsprechung ...................................................................... 222 3. Zusammenfassung ................................................................. 224 VI. Fazit ............................................................................................. 226 § 10
Konsistente Rechtsprechung – Möglichkeit und Nutzen institutioneller Reformen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit .......................................................................... 229 I. Das Problem mangelnder Konsistenz und Kohärenz in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte ......................... 229 1. Einleitung ............................................................................... 229 2. Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung ............................ 233 3. Gründe ................................................................................... 237 II. Bestehende Überprüfungsmechanismen ...................................... 240 1. ICSID-Schiedssprüche ........................................................... 240 2. Außerhalb der ICSID-Konvention ergangene Schiedssprüche....................................................................... 242 3. Zwischenergebnis ................................................................. 244 III. Eine Berufungsinstanz für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ............................................... 244 1. Der Vorschlag für eine ICSID-Berufungsinstanz .................. 244 2. Kritische Würdigung.............................................................. 247 a) Allgemeine Anforderungen an die Ausgestaltung einer Berufungsinstanz .............................................................. 247 b) Zeit- und Kostenerwägungen ........................................... 249 c) Finalität ............................................................................ 250 d) Akzeptanz der erstinstanzlichen Entscheidung ................ 251 e) Inhaltliche Richtigkeit ...................................................... 251
Inhaltsverzeichnis
XV
3. Zwischenergebnis .................................................................... 252 IV. Alternativer Vorschlag: ICSID-Vorabentscheidungsverfahren ... 254 1. Vorbild: Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV .................................................................................... 254 2. Übertragung auf die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit ............... 255 3. Vorabentscheidungsverfahren und das Gebot des fair and equitable treatment – europarechtliche Erfahrungen mit der Generalklauselkonkretisierung im Vorabentscheidungsverfahren ................................................................................ 257 4. Zwischenergebnis .................................................................. 260 V. Präjudizienbindung in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ..... 261 1. Präjudizien und Präjudizienbindung ...................................... 262 a) Begriff .............................................................................. 262 b) Nationales Recht – Präjudizien im Civil Law und im Common Law ................................................................... 264 aa) Präjudizien im Rechtskreis des Civil Law – am Beispiel des deutschen Rechts ........................... 264 bb) Präjudizien im Rechtskreis des Common Law – am Beispiel des englischen Rechts .......................... 267 cc) Zwischenergebnis .................................................... 270 c) Präjudizien: Europarecht und Völkerrecht ....................... 272 aa) Europarecht .............................................................. 272 bb) Völkerrecht .............................................................. 273 d) Zwischenergebnis ............................................................. 274 2. Präjudiz und (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit ............. 275 a) Zulässigkeit ...................................................................... 275 aa) Zulässigkeit der Rechtsfortbildung durch Schiedsgerichte ....................................................... 275 bb) Zulässigkeit der Fortbildung fremden Rechts ......... 276 b) Präjudiz und Befolgung .................................................... 279 c) Präjudiz und Vertraulichkeit ............................................ 279 3. Bedeutung von Präjudizien in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte .................................................... 281 a) Rechtsprechung der Investitionsschiedsschiedsgerichte ................................... 282 b) Zwischenergebnis ............................................................. 288 4. Notwendigkeit eines Systems bindender Präjudizien?........... 289 VI. Zusammenfassung ....................................................................... 294 § 11
Generalklauselkonkretisierung und internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit: Methodische Überlegungen zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ............. 296 I. Generalklausel: Begriff und Funktionen...................................... 300
XVI
Inhaltsverzeichnis
1. Begriffsannäherung ................................................................ 300 a) Wesensimmanente Unbestimmtheit von Sprache ............ 302 b) Begriff und Bedeutung ..................................................... 305 c) Zwischenergebnis ............................................................. 307 2. Generalklauseln: Merkmale und Funktionen ......................... 307 a) Bestimmende Merkmale .................................................. 308 aa) Besonders qualifizierte Unbestimmtheit .................. 308 bb) Besondere (Wert-)Ausfüllungsbedürftigkeit ............ 311 cc) Nichtsubsumierbarkeit ............................................. 313 dd) Normstruktur und Gesetzgebungstechnik ................ 314 b) Funktionen ....................................................................... 316 aa) Verweisung und Rezeption ...................................... 316 bb) Flexibilität und Anpassung ...................................... 319 cc) Delegation und Ermächtigung ................................. 320 c) Zusammenfassung und kritische Würdigung ................... 322 3. Generalklauseltheorie und Investitionsrecht: Übertragung der Ergebnisse auf das internationale Investitionsrecht ......... 327 a) Generalklauselbegriff ....................................................... 327 b) Funktionseinteilung .......................................................... 330 II. Generalklauselkonkretisierung: Begriff und Methode................. 335 1. Begriff .................................................................................... 335 2. Einzelne Konkretisierungsmodelle ........................................ 339 a) Präjudizienbindung und Fallgruppenbildung ................... 339 aa) Methodischer Ansatz ............................................... 339 bb) Kritische Würdigung................................................ 341 b) Delegierte Rechtsetzung ................................................... 345 c) Inhaltliche Ansätze ........................................................... 349 aa) Verfassungsrechtliche Werteordnung – Frage der Konstitutionalisierung des Investitionsrechts .......... 350 bb) Rechtsprinzipien ...................................................... 355 cc) Exkurs: Systemische Integration.............................. 358 dd) Zusammenfassung ................................................... 361 3. Zwischenergebnis .................................................................. 361 a) Konkretisierungsansätze ................................................... 361 b) Konkretisierungsmaßstäbe ............................................... 364 c) Konkretisierung und Auslegung ....................................... 367 III. Prinzipienorientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ...................................................................... 374 1. Prinzipien und internationales Investitionsrecht – Übertragung der Prinzipientheorie auf das internationale Investitionsrecht ..................................................................... 375 a) Prinzipiengewinnung ........................................................ 375 b) Investitionsrechtliche Prinzipien ...................................... 376
Inhaltsverzeichnis
XVII
c) Abgrenzung gegenüber den Fallgruppen .......................... 379 2. Abwägung .............................................................................. 380 a) Der Abwägungsvorgang ................................................... 380 b) Kritik ................................................................................ 382 c) Stellungnahme .................................................................. 383 d) Anwendung ...................................................................... 386 3. Zwischenergebnis .................................................................. 387 IV. Fazit ............................................................................................. 388 § 12
Schlussbetrachtung .............................................................................. 391 I. Schlusswort ................................................................................. 391 II. Zentrale Thesen ........................................................................... 393
Literaturverzeichnis ......................................................................................... 403 Verzeichnis der Investitionsschiedssprüche .................................................... 437 ICSID-Schiedssprüche ......................................................................... 437 Sonstige Schiedssprüche ...................................................................... 440 Sachregister ..................................................................................................... 441
Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AC AcP a.E. a.F. AEUV AJIL All ER Am.J.Comp.L. Am. Rev. Int. Arb. Anm. AöR ArchVR ARSP ASA Bull. Aufl. Art., Artt.
andere(r) Ansicht Absatz Appeals Cases Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union American Journal of International Law All England Law Reports merican Journal of Comparative Law American Review of International Arbitration Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Völkerrechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie ASA Bulletin Auflage Artikel
BayVBl. BB Bd. Beil. BGB BGBl. BGH BIT BVerfG BVerfGG BVerfGE BYIL bzw.
Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater Band Beilage Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bilateral Investment Treaty Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsgesetz Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law beziehungsweise
C.A. Chi. J. Int‟ L. CJQ CLJ Cornell Int‟l L.J.
Court of Appeal Chicago Journal of International Law Civil Justice Quarterly Cambridge Law Journal Cornell International Law Journal
XX
Abkürzungsverzeichnis
d.h. ders. dies. DIS DVBl
das heißt derselbe dieselbe(n) Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit Deutsches Verwaltungsblatt
ECT EGBGB EGV EMRK
Energy Charter Treaty Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Konvention zum Schutze des Menschenrecht und Grundfreiheiten Entscheidung Encyclopedia of Public International Law et cetera Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht European Journal of International Law England and Wales Court of Appeal (Civil Division) England and Wales High Court
Entsch. EPIL etc. EuGH EuGRZ EuR EuZW EJIL EWCA Civ EWHC FCN-Verträge f./ff. Fn.
Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträge (Treaties of Friendship, Commerce and Navigation) folgende Fußnote
Geo. Wash. Int‟l L. Rev.
George Washington International Law Review
Harv. Int‟l L. J. Hrsg.
Harvard International Law Journal Herausgeber
ibid. ICC ICJ ICLQ ICSID ICSID Review - FILJ IDI i.e. i.e.S. IGH ILA ILC ILM IPRax IPRG
ibidem, ebenda International Chamber of Commerce International Court of Justice International & Comparative Law Quarterly International Centre for Settlement of Investment Disputes ICSID Review - Foreign Investment Law Journal Institut de Droit international dies ist (id est) im engeren Sinn Internationaler Gerichtshof International Law Association International Law Commission International Legal Materials Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Schweizerisches Bundesgesetz über das internationale Privatrecht Internationales Steuerrecht
IStR
Abkürzungsverzeichnis
XXI
i.S.d. i.S.v. i.V.m. i.w.S.
im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne
JA Jura JuS JZ
Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
Kap. KSzW
Kapitel Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht
La. L. Rev. Landgericht lit.
Louisiana Law Review LG littera
Mich. J. Int‟l L. Minn. L. Rev. MPEPIL MünchKomm m.w.N.
Michigan Journal of International Law Minnesota Law Review Max Planck Encyclopedia of Public International Law Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen
NAFTA NILR NJW NYÜ
North American Free Trade Agreement Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen
OECD OLG OR
Organisation for Economic Co-operation and Development Oberlandesgericht Schweizerisches Obligationenrecht
PCIJ
Permanent Court of International Justice
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours Revista Jurídica Universidad de Puerto Rico Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer(n)
RDC Rev. Jur. U. P. R. RIW Rn. SchiedsVZ StIGH SCC Slg. sog.
Zeitschrift für Schiedsverfahren Ständiger Internationaler Gerichtshof Stockholm Chamber of Commerce Amtliche Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichtshofs sogenannte, sogenannter
XXII
Abkürzungsverzeichnis
TDM
Transnational Dispute Management
u.a. UNCTAD U.Pa.J.Int‟lEcon.L.
unter anderem United Nations Conference on Trade and Development University of Pennsylvania Journal of International Law
vgl. VVDStRL
vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WLR WVRK WTO
Weekly Law Reports Wiener Vertragsrechtskonvention World Trade Organisation
YCA
Yearbook Commercial Arbitration
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
z.B. ZEuP ZGR zit. ZNR ZPO ZRP ZVglRWiss ZZP
§ 1 Einleitung I. Einführung in das Thema Mit der Vertiefung der transnationalen Wirtschaftsbeziehungen im Zeitalter der Globalisierung nehmen die grenzüberschreitenden Rechtsbeziehungen der hieran beteiligten Akteure ständig zu. 1 Kommt es hierbei zwischen Parteien zu Rechtsstreitigkeiten, so stellt die internationale Schiedsgerichtsbarkeit das von den (privaten wie staatlichen) Parteien bevorzugte Streiterledigungssystem dar.2 Die Gründe für die Attraktivität der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit als Instrument zur Beilegung internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten sind vielfältig. 3 Die beiden wichtigsten Gründe sind die nahezu weltweit gesicherte Vollstreckbarkeit der Schiedssprüche sowie die Neutralität des Schiedsgerichts.4 Der letztgenannte Grund erklärt sich daraus, dass sich die Parteien ungern der nationalen Gerichtsbarkeit der gegnerischen Partei, mithin einem „fremden“ Rechtssystem, unterwerfen. 5 Zudem mag die Unparteilichkeit der Gerichte des Staates, dem eine der Parteien angehört, aus Sicht der gegnerischen Partei nicht immer zweifelsfrei gegeben sein. Ist eine der beiden Parteien der Forumstaat selbst oder ein staatliches Unternehmen desselben, so dürften die Vorbehalte der nichtstaatlichen Partei gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit dieses Staates noch gesteigert sein.6 Umgekehrt wird eine 1
Tietje, Die Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten, 47 (49); Pagel, Die Aufhebung von Schiedssprüchen in der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, 1. 2 Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.01, 1.19, 1.124, 1.190; Tietje, Die Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten, 47 (49); Pagel, Die Aufhebung von Schiedssprüchen in der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, 1; Hoffmann, SchiedsVZ 2010, 96. 3 Vgl. etwa Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.89 ff. 4 Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.89. 5 Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.90, 1.122; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 6. 6 Vgl. Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.123; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 214; Böckstiegel, SchiedsVZ 2012, 113 (115); Pagel, Die Aufhebung von Schiedssprüchen in der ICSID-
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§ 1 Einleitung
staatliche Partei regelmäßig nicht bereit sein, sich der staatlichen Gerichtsbarkeit eines anderen Staates zu unterwerfen. 7 In dieser Situation bietet die internationale Schiedsgerichtsbarkeit die Möglichkeit, eine Streitigkeit vor einer neutralen Streitentscheidungsinstanz zu erledigen. 8 Eine in jüngerer Zeit besonders erfolgreiche Form der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, auf welche die skizzierte Interessenlage in besonderem Maße zutrifft, ist die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Dort stehen sich als Parteien des Rechtsstreits regelmäßig ein ausländischer privater Investor als Schiedskläger und ein Staat als Schiedsbeklagter gegenüber. Inhaltlich geht es bei diesen Verfahren um die von dem Schiedskläger behauptete Verletzung materiellrechtlicher Schutzstandards, welche der beklagte Staat ausländischen Investoren gewährt.9 Diese vergleichsweise neue Form der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hat im vergangenen Jahrzehnt erheblich an Bedeutung gewonnen. 10 Das belegt die Zahl von 450 aktuell bekannten Investitionsschiedsverfahren, an denen bislang 89 Staaten beteiligt waren. 11 Die Zuständigkeit dieser Investitionsschiedsgerichte beruht in nahezu allen Fällen auf internationalen Investitionsschutzabkommen, welche die Förderung und den Schutz internationaler Investitionen zum Gegenstand haben und für den Fall der Verletzung regelmäßig die Möglichkeit eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens vor einem internationalen Schiedsgericht vorsehen.12 Durch die weite Verbreitung dieser Abkommen hat sich mittlerweile ein weltweites Netzwerk von über 2800 vorwiegend bilateralen Investitionsschutzabkommen herausgebildet. 13
Schiedsgerichtsbarkeit, 2; Füracker, SchiedsVZ 2006, 236 (238); Wegen/Raible, SchiedsVZ 2006, 225 (231); Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 6. 7 Vgl. Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.89, 1.123; Böckstiegel, SchiedsVZ 2012, 113 (115); Pagel, Die Aufhebung von Schiedssprüchen in der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, 2. 8 Vgl. Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.89, 1.91, 1.124; Böckstiegel, SchiedsVZ 2012, 113 (115). 9 Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 2 10 So hat die Zahl der Investitionsschiedssprüche ab dem Jahr 2000 erheblich zugenommen, vgl. UNCTAD, IIA Issue 2012, 1 (3). Griebel, KSzW 2011, 99, spricht in diesem Zusammenhang von einer „Erfolgsgeschichte“. 11 Vgl. UNCTAD, IIA Issue 2012, 1 u. 3. Allein im Jahr 2011 wurden 46 neue Verfahren eingeleitet. Da die Zahl von 450 Verfahren nur die aktuell bekannten Verfahren betrifft, dürfte die tatsächliche Anzahl an Investitionsschiedsverfahren darüber liegen. 12 Vgl. UNCTAD, World Investment Report 2011, 2. 13 Vgl. UNCTAD, World Investment Report 2012, 84.
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II. Entfaltung der Problematik 1. Problemstellung Im Gegensatz zur stetigen Entwicklung des internationalen Investitionsrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als dem bevorzugten Streitbeilegungsmechanismus in diesem Bereich steht die Rechtsunsicherheit über den genauen Bedeutungsgehalt einiger materieller Behandlungsstandards, welche regelmäßig den Hauptgegenstand der Begründetheitsprüfung dieser Investitionsschiedsverfahren ausmachen. Das Gebot des fair and equitable treatment stellt dabei den zentralen und praktisch relevantesten materiellrechtlichen Schutzstandard dar.14 Diese Bestimmung verpflichtet Staaten, Investoren und/oder deren Investitionen „fair and equitable“, d.h. fair und gerecht bzw. angemessen zu behandeln. Die überwiegende Mehrzahl an Investitionsschutzabkommen enthält diese Verpflichtung, welche eine zentrale Rolle in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte spielt und Gegenstand beinahe jeder von Investoren gegenüber Gastgeberstaaten angestrengten Schiedsklage ist.15 Während ursprünglich der Enteignungsschutz den wichtigsten Schutzstandard darstellte, ist nunmehr das Gebot des fair and equitable treatment in das Zentrum der Entscheidungstätigkeit der Investitionsschiedsgerichte gerückt.16 Die aus dem offenen Wortlaut resultierende Flexibilität hat dazu beigetragen, dass sich Investoren zunehmend auf diese Norm gestützt haben, wodurch sich das Gebot des fair and equitable treatment in der Praxis der internationalen Investitionsschiedsgerichte im Laufe der Zeit als zentrales und zugleich wirksamstes Instrument des internationalen Investitionsschutzrechts etabliert hat. Gleichzeitig führt die generalklauselartige Weite des Wortlauts dazu, dass trotz der hohen praktischen Relevanz eine erhebliche Rechtsunsicherheit über den materiellen Bedeutungsgehalt dieser Vorschrift besteht. So ist bei weitem noch nicht geklärt, was die Verpflichtung zu „fair and equitable treatment“ im Einzelfall bedeuten soll. Zudem haben die verschiedenen Schiedsgerichte nicht immer eine einheitliche Linie vertreten, wodurch die Bedeutungsklärung zusätzlich erschwert wird. Während die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einerseits expandiert und an Bedeutung gewinnt, kommt die Konkretisierung der materiellen Schutzstandards, insbesondere die des Gebots des fair and equitable treatment, nur 14
Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 50. 15 Yannaca-Small, Fair and equitable treatment Standard: Recent Developments, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 111. 16 Schreuer, Fair and equitable treatment in Arbitral Practice, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357; Yannaca-Small, Fair and equitable treatment Standard: Recent Developments, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 111.
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langsam voran. Dies führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit unter den Beteiligten, die im Widerspruch zur zentralen Bedeutung der Norm steht. Die damit einhergehende Unberechenbarkeit trifft ausländische Investoren und Gaststaaten gleichermaßen. Für die Vertragsstaaten ist diese Lage besonders misslich, da sie an den Behandlungsstandard gebunden sind und für etwaige Verstöße haften. Soweit jedoch die Normerwartung unklar ist, fällt es den Gaststaaten schwer, ihr Verhalten entsprechend auszurichten. Diese Rechtsunsicherheit hat zu vermehrter Kritik an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geführt und ist einer der Gründe für den immer wieder diskutierten und zum Teil auch durchgeführten Rückzug mancher Vertragsstaaten aus diesem Streitbeilegungsmechanismus. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die inhaltliche Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment zu untersuchen und einen Beitrag zu dessen Konkretisierung zu leisten. 2. Zentrale Fragestellungen Die nähere Bestimmung der Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment betrifft die Klärung mehrerer hiermit zusammenhängender Aspekte und Fragestellungen. Ausgangspunkt für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ist zunächst die Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte. Dieser kommt aufgrund des vagen Wortlauts der Vorschrift eine besonders wichtige Aufgabe bei der Konkretisierung des Gebots zu. In der bisherigen Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte haben sich zu vergleichbaren Fallgestaltungen gewisse Gemeinsamkeiten herausgebildet, welche nach und nach zu Fallgruppen zusammengefasst wurden und oftmals den Ausgangspunkt der Rechtsanwendung im Einzelfall bilden. Hierzu gehören etwa der Schutz legitimer Investorenerwartungen oder die Gewährung eines fairen Verfahrens. Allerdings weisen diese Fallgruppen ihrerseits einen relativ abstrakten, konkretisierungsbedürftigen Inhalt auf. So sind die näheren Anwendungsvoraussetzungen dieser Fallgruppen noch weitgehend ungeklärt. Dort, wo bereits Rechtsprechung zu einzelnen Voraussetzungen einer Fallgruppe existiert, ist diese nicht immer einheitlich. Dies betrifft beispielsweise die Fallgruppe des Schutzes legitimer Investorenerwartungen (legitimate expectations), welche in der Schiedspraxis von Investoren oftmals ins Feld geführt wird. Diese auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes basierende Fallgruppe stellt den praktisch wichtigsten Anwendungsfall des Gebots des fair and equitable treatment dar. Wann der Investor jedoch über berechtigte Erwartungen verfügt und wann diese verletzt sind, ist nach wie vor unklar bzw. wird von der Rechtsprechung nicht immer einheitlich beurteilt.
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Daher besteht ein Ansatz, zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment beizutragen, darin, durch Analyse, Vergleich und Systematisierung der ergangenen Rechtsprechung weitere übereinstimmende Kriterien und Anwendungsvoraussetzungen zu gewinnen. Eine Voraussetzung für eine derartige, an der Rechtsprechung der Schiedsgerichte orientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment besteht in einem möglichst widerspruchsfreien und kohärenten Fallrecht. Diese Forderung ist für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit jedoch nur mit Einschränkungen erfüllt, da eine zum Teil widersprüchliche Rechtsprechung der Schiedsgerichte zu vergleichbaren Sachfragen eine Bedeutungsklärung erschwert. So stellt sich mit dem Erfolg der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und der ansteigenden Zahl an Verfahren das grundsätzliche Problem einer zum Teil divergierenden Rechtsprechung. Hiervon sind sämtliche materiellen und prozessualen Schutzstandards betroffen. So haben die Schiedsgerichte nicht immer zu einer einheitlichen Linie gefunden und in der Sache unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Auffassungen vertreten. Für das Gebot des fair and equitable treatment betrifft dies unter anderem Fragen der Rechtsnatur, der Fallgruppenbildung sowie der Anwendungsvoraussetzungen der einzelnen Fallgruppen. Dies hat zur Folge, dass sich ein allgemeiner Konsens über die Bedeutung der Norm nur langsam herausbildet und eine an Präjudizien und Fallgruppen orientierte Konkretisierung, wie sie allgemein in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und insbesondere zum Gebot des fair and equitable treatment praktiziert wird, nur schleppend voranschreitet. Ein wichtiger Grund für die mangelnde Homogenität der Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte liegt neben der geringen Entscheidungsdeterminierung aufgrund der Verwendung generalklauselartiger Rechtssätze in dem überwiegend einer bilateralen Logik folgenden institutionellen Aufbau der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Diese besteht aus einer Vielzahl unabhängiger Schiedsgerichte, die ihre Zuständigkeit in der Regel aus dem jeweils anwendbaren Investitionsschutzabkommen herleiten, ohne dass eine einheitliche übergeordnete Kontrollinstanz existiert. So wird in diesem Zusammengang oftmals das Fehlen externer Kontrollmechanismen, etwa in Form einer einheitlichen Berufungsinstanz für Investitionsschiedssprüche, bemängelt. In institutioneller Hinsicht ist daher zu untersuchen, ob und inwiefern Änderungen am institutionellen Gefüge der internationalen Investitionsschied sgerichtsbarkeit, etwa durch Einführung hierarchisch gegliederter Überprüfungsstrukturen (einheitliche Berufungsinstanz, Vorabentscheidungsverfahren) oder eines Systems bindender Präjudizien, die gewünschte Vereinheitlichung der Rechtsprechung herbeiführen und somit einen Beitrag zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment (wie auch der anderen investitionsrechtlichen Schutzstandards) leisten könnten. Schließlich stellt sich die Problematik der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment auch aus methodischer Sicht.
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Aufgrund der generalklauselartigen Weite des Wortlauts kommt der Konkretisierungsarbeit der Investitionsschiedsgerichte besondere Bedeutung zu. Dabei stehen die Schiedsgerichte vor einem Dilemma: Auf der einen Seite sind sie verpflichtet, eine möglichst rationale Rechtsentscheidung für den konkreten Fall unter methodisch akzeptabler Rückführung auf die Norm zu fällen. Auf der anderen Seite erlaubt der vage Wortlaut keine unmittelbare Subsumtion und liefert nur wenige Kriterien, welche dem Schiedsrichter als Maßstab für seine Entscheidung dienen könnten. Hier stellt sich daher die grundlegende Frage, an welchen Konkretisierungsmethoden und -kriterien sich die inhaltliche Präzisierung des Gebots des fair and equitable treatment zu orientieren hat, um trotz der generalklauselartigen Weite des Wortlauts eine rationalen Entscheidungsfindung im Einzelfall zu gewährleisten. Dies schließt auch die Frage mit ein, wie, d.h. in welchem methodischen Rahmen, private und staatliche Interessen berücksichtigt und zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden können. Derartige methodische Fragen standen bislang nicht im Zentrum der investitionsrechtlichen Debatte. Die Schiedspraxis behilft sich, indem sie sich an früheren Entscheidungen orientiert. Gelangt man jedoch in einen Bereich, für den keine oder widersprüchliche Rechtsprechung vorliegt, so stellt sich erneut die Frage, wie und nach welchen Maßstäben die Konkretisierung investitionsrechtlicher Generalklauseln zu erfolgen hat. Will man die Entscheidung nicht alleine dem subjektiven Rechtsempfinden des jeweiligen Schiedsgerichts überlassen, so bedarf es rechtlicher Methoden und Maßstäbe, welche die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment anzuleiten vermögen. Dies ist kein leichtes Unterfangen. So hat die investitionsrechtliche Debatte diese methodischen Fragen bislang weitgehend ausgeblendet und folglich auch keine rechtsmethodische Grundlage entwickelt, an der sich die Konkretisierung investitionsrechtlicher Generalklauseln orientieren könnte. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Konkretisierung unbestimmter Rechtssätze und die damit verbundenen Schwierigkeiten keine qualitative Besonderheit des internationalen Investitionsrechts bzw. der internationalen Investitionschiedsgerichtsbarkeit darstellt. Durch die konzentrierte Verwendung generalklauselartiger Schutzstandards im internationalen Investitionsrecht tritt diese Problematik lediglich wesentlich deutlicher zutage, als dies in anderen Rechtsgebieten der Fall ist. Demnach bestünde ein Beitrag zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment darin, unter Rückgriff auf verallgemeinerungsfähige methodische Erkenntnisse der Generalklauselkonkretisierung und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Rechtsgebiets einen methodischen Rahmen für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment zu entwerfen, welcher dazu beiträgt, die Konkretisierungsentscheidungen der Investitionsschiedsgerichte rational begründbar, nachvollziehbar und kontrol-
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lierbar zu machen, und welcher zudem sicherstellt, dass die berechtigten Interessen von Staat und Investor angemessen berücksichtigt werden. III. Gang der Untersuchung 1. Vorfragen Bevor auf die Untersuchung der vorgenannten Themenkomplexe näher eingegangen werden kann, sind zunächst einige Vorfragen zu klären. So setzt die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ein grundlegendes Verständnis der relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen des internationalen Investitionsrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit voraus. Hierfür sind zunächst die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsquellen des internationalen Investitionsrechts sowie Inhalt und Struktur internationaler Investitionsschutzabkommen zu klären. Des Weiteren ist der prozessuale Rahmen, innerhalb dessen sich die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment in der Schiedspraxis vollzieht, zu untersuchen. Die Investitionsschiedsgerichte sind dabei nicht nur ein prägendes Wesensmerkmal des internationalen Investitionsrechts, sie sind auch die führenden Akteure bei der Konkretisierung investitionsrechtlicher Schutzstandards. Trotz der rasanten Entwicklung und der besonderen praktischen Bedeutung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit sind einige grundlegende Fragen, wie etwa jene der Rechtsnatur oder des anwendbaren Rechts, nach wie vor ungeklärt. Zum Rechtsrahmen, innerhalb dessen sich die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vollzieht, gehören schließlich auch die Regeln und die Mittel, welche von den Investitionsschiedsgerichten bei der Auslegung der in den Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards angewandt werden. Dabei ist im Rahmen der Untersuchung auch auf die Frage der – zum Teil bestrittenen – Eignung dieser allgemeinen Auslegungsgrundlagen für die Konkretisierung generalklauselartiger Schutzstandards wie des Gebots des fair and equitable treatment einzugehen. Die Bestimmung der Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment setzt weiterhin Gewissheit über die rechtlichen Grundlagen der Norm voraus. So betrifft eine in Wissenschaft und Schiedspraxis kontrovers diskutierte Frage das Verhältnis des völkervertraglichen Gebots des fair and equitable treatment zum Völkergewohnheitsrecht. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Frage, ob das Gebot des fair and equitable treatment lediglich den fremdenrechtlichen Mindeststandard verkörpert oder ob es sich hierbei um einen eigenständigen, vom Völkergewohnheitsrecht unabhängigen Schutzstandard handelt.
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Gleichfalls klärungsbedüftig ist das Verhältnis des Gebots des fair and equitable treatment gegenüber der schiedsrichterlichen Billigkeitsentscheidung (ex aequo et bono). Zu untersuchen ist schließlich auch der systematische Kontext der Norm. So steht das Gebot des fair and equitable treatment nicht isoliert, sondern ist Teil einer ganzen Reihe von Investorenrechten, die typischerweise in Investitionsschutzabkommen enthalten sind. Daher ist zu klären, ob und inwiefern sich die Konturen des Gebots des fair and equitable treatment aus dem systematischen Kontext der Investitionsschutzabkommen, insbesondere in Abgrenzung gegenüber und im Verhältnis zu den typischerweise in Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards, näher herausarbeiten und bestimmen lassen. 2. Gang der Darstellung Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil der Arbeit widmet sich den maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen des internationalen Investitionsrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Nach einem Überblick über die Rechtsquellen, aus denen sich das internationale Investitionsrecht speist, werden Struktur und Inhalt der die fair and equitable treatment-Klausel enthaltenden Investitionsschutzabkommen analysiert (§ 2). Dem folgt eine Untersuchung der Streitbeilegungsmechanismen der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit. Dabei ist, ausgehend von den klassischen Formen und Foren der internationalen Streitbeilegung im Investitionsbereich, auf die rechtlichen Eigenheiten des Investor-Staat-Schiedsverfahrens, des sog. Investitionsschiedsverfahrens, genauer einzugehen (§ 3). Dies betrifft auch die nach wie vor offene Frage der Rechtsnatur der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit sowie Fragen des anwendbaren Rechts (§ 4). Zu den maßgeblichen rechtlichen Grundlagen gehören schließlich auch die Auslegungsmethoden, derer sich die Investitionsschiedsgerichte bedienen (§ 5). Hierzu werden die völkervertraglichen Auslegungsmethoden, deren Anwendung in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte sowie deren Eignung für die Konkretisierung investitionsrechtlicher Generalklauseln untersucht. Im zweiten Teil der Arbeit stehen die Grundlagen des Gebots des fair and equitable treatment im System des internationalen Investitionsrechts im Mittelpunkt der Untersuchung. Hierfür werden zunächst Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment beleuchtet, bevor in einem weiteren Schritt das Verhältnis des völkervertraglichen Gebots des fair and equitable treatment zum Völkergewohnheitsrecht zu untersuchen ist (§ 6). Zudem ist das Verhältnis des Gebots des fair and equitable treatment gegenüber einer schiedsgerichtli-
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chen Entscheidungsfindung nach Billigkeit (ex aequo et bono) zu untersuchen. Nach einem Überblick über die zum Gebot des fair and equitable treatment ergangenen Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte und einer ersten Aufteilung in verschiedene Fallgruppen (§ 7), ist der systematische Kontext des Gebots des fair and equitable treatment zu klären, indem das Verhältnis des Gebots gegenüber den anderen Schutzstandards, wie sie üblicherweise in Investitionsschutzabkommen enthalten sind, analysiert wird (§ 8). Der dritte und letzte Teil der Arbeit bildet den Schwerpunkt der Untersuchung. Unter Berücksichtigung der bis dahin gewonnenen Ergebnisse, ausgehend vom bisherigen Defizit bei der Erfassung der Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment und den hiermit verbundenen methodischen Problemen, wendet sich dieser Teil der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment und den damit verbundenen, zentralen Fragestellungen zu. So soll die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment näher analysiert und strukturiert werden, um auf diesem Weg eine Präzisierung des Bedeutungsinhalts und der Anwendungsvorausetzungen des Gebots des fair and equitable treatment und seiner Fallgruppen zu erreichen (§ 9). In einem weiteren Schritt ist zu untersuchen, inwiefern Änderungen am institutionellen Gefüge der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit dazu beitragen können, mangelnde Konsistenz und Kohärenz in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zu vermeiden oder zu verringern (§ 10). Schließlich soll die Konkretisierung investitionsrechtlicher Generalklauseln wie des Gebots des fair and equitable treatment aus methodischer Sicht beleuchtet werden (§ 11). Dabei ist zu untersuchen, inwiefern die Möglichkeit besteht, in Anlehnung an rechtstheoretische Erkenntnisse etablierter Methodenlehren und unter Beachtung der Besonderheiten des internationalen Investitionsrechts, einen methodischen Rahmen zu entwickeln, welcher – nicht zuletzt in Fallgestaltungen, in denen keine einschlägigen Vergleichsfälle vorliegen – dazu beiträgt, eine rational begründbare Entscheidung der Investitionsschiedsgerichte zum Gebot des fair and equitable treatment im Einzelfall zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung (§ 12).
Teil I
Entwicklung und Grundlagen des internationalen Investitionsschutzrechts und der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Im ersten Teil der Arbeit soll der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen sich die Konkretisierung der Generalklausel des fair and equitable treatment in der Schiedspraxis vollzieht, entfaltet werden. Hierzu werden zunächst Entwicklung und Grundlagen des internationalen Investitionsrechts (§ 2) sowie der Investor-Staat-Streitbeilegung (§ 3) analysiert, bevor in den beiden nachfolgenden Kapiteln die Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit (§ 4) sowie die Auslegungsmethoden der Investitionsschiedsgerichte (§ 5) untersucht werden.
§ 2 Die Rechtsquellen des internationalen Investitionsrechts und die Struktur internationaler Investitionsschutzabkommen
§ 2 Rechtsquellen und Struktur In diesem Kapitel sind nach einer kurzen Einführung (I.) die Rechtsquellen des internationalen Investitionsrechts (II.) sowie Struktur und Inhalt internationaler Investitionsschutzabkommen (III.) Gegenstand der Untersuchung. I. Einführung Der Anstieg von Auslandsinvestitionen hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges, das Erscheinungsbild der Globalisierung mitgeprägt. 1 Hierdurch hat die Frage des rechtlichen Schutzes derartiger Investitionen vor Benachteiligungen unterschiedlichster 1
Vgl. Dolzer/Bloch, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 1. Diese sind vom Jahre 1973 bis zum Jahre 2006 von 25 Mrd. USD auf 1306 Mrd. USD angestiegen. Der Höhepunkt an ausländischen Direktinvestitionen wurde im Jahr 2000 erreicht, vgl. UNCTAD, World Investment Report 2001, 9. Nach einem Rückgang in den Jahren 2001 bis 2003 hat der Wert der jährlichen Direktinvestitionen seither wieder stark zugenommen, vgl. UNCTAD, World Investment Report 2007, 3 f.; Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 36 f.; Tietje, Die Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten, 47 (49).
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
Art zunehmend an Bedeutung gewonnen.2 Der Bedeutungszuwachs, den das internationale Investitionsrecht in jüngerer Zeit erlangt hat, liegt zudem an der zunehmenden Zahl von Investitionsschutzabkommen3 sowie der Schaffung des ICSID im Jahre 1965. Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts kam es jedoch zu einem sprunghaften Anstieg der Tätigkeit der Investitionsschiedsgerichte,4 die ausländischen privaten Investoren und Gastgeberstaaten ein Verfahren zur Beilegung ihrer Investitionsstreitigkeiten bietet. Gründe für diesen Aufschwung dürften neben dem bereits erwähnten starken Zuwachs an weltweiten Auslandsinvestitionen 5 die spezifischen Vorteile der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gegenüber den anderen Formen der Streitbeilegung sein.6 II. Rechtsquellen Das internationale Investitionsrecht liegt an der Schnittstelle unterschiedlicher Rechtsordnungen, insbesondere des Wirtschaftsvölkerrechts und der nationalen Rechtsordnungen. 7 Dies gilt sowohl in materieller wie auch in prozessualer Hinsicht. Der folgende Abschnitt soll einen Überblick über die verschiedenen im Investitionsrecht zusammenwirkenden Rechtsquellen geben.
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Die Frage des rechtlichen Schutzes privater Auslandsinvestitionen spielte schon in den späten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts insbesondere für Industriestaaten eine wichtige Rolle. So enthielt beispielsweise Art. 12 der Havana-Charter for an International Trade Organization (1948) die Empfehlung, internationale Abkommen zum Schutz ausländischer Investitionen abzuschließen, vgl. hierzu Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 52. 3 Das erste bilaterale Investitionsschutzabkommen wurde im Jahre 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan geschlossen: Vertrag zur Förderung und zum Schutz von Kapitalanlagen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan vom 25.11.1959, BGBl. 1961 II, 793. 4 Zur statistischen Entwicklung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, vgl. Ahee/Walck, Investment Arbitration Update, Transnational Dispute Management, Januar 2009; UNCTAD, Investor-State Disputes Arising from Investment Treaties: A Review, 2005, 3 ff.; dies., IIA Issue Note No.1, 2012, 1 (3). 5 Vgl. UNCTAD, World Investment Report 2007, 3 f. 6 Vgl. hierzu unten § 3. 7 Griebel, Internationales Investitionsrecht, 1. Ebenso Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 3, die zudem darauf verweisen, dass eine eindeutige Zuweisung der Materie zum öffentlichen oder privaten Recht nicht möglich ist. Zu den prozessualen Aspekten vgl. unten § 3.
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1. Völkervertraglicher Investitionsschutz: Das System der Investitionsschutzabkommen Eine hervorgehobene Bedeutung kommt dem völkervertraglichen Investitionsrecht zu. Dieses lässt sich in bilateralen, regionalen und multilateralen Investitionsschutz einteilen. a) Bilateraler Investitionsschutz Der bilaterale Investitionsschutz bildet den Kern des heutigen internationalen Investitionsschutzrechts. 8 Er basiert auf vertraglichen Übereinkünften zwischen dem Heimatstaat des Investors und dem Gastgeberstaat. Gegenstand dieser Abkommen ist die Förderung und der gegenseitige Schutz privater Investitionen. 9 Dem Aufkommen bilateraler Investitionsschutzabkommen seit dem Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts ging eine Reihe anderer Formen bilateraler Abkommen voraus, die in erster Linie auf den Handel fokussiert waren, aber bereits Teilaspekte des heutigen bilateralen Investitionsschutzes enthielten. 10 Als erste Vorläufer der modernen bilateralen Investitionsschutzverträge gelten die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von den Vereinigten Staaten zunächst mit einigen europäischen Mächten geschlossenen bilateralen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsabkommen (Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, im Folgenden: FCN-Verträge), die erstmals ausdrückliche Bestimmungen zu den Rechtspositionen der jeweiligen Staatsangehörigen im Gastgeberstaat enthielten, auch wenn diese (noch) nicht speziell auf Investitionen zugeschnitten waren. 11 Der erste FCN-Vertrag 8
Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 6. 9 Daher ist die Bezeichnung „Investitionsschutzabkommen“ dahingehend zu verstehen, dass diese den Schutz und die Förderung ausländischer Investitionen zum Gegenstand haben. So werden derartige Abkommen teilweise auch als Investitionsförderungsabkommen oder als Investitionsförderungs- und -schutzabkommen bezeichnet, ohne dass hiermit ein anderer Gegenstand bezeichnet ist. 10 Zu den völkergewohnheitsrechtlichen Vorläufern heutiger, in Investitionsschutzabkommen enthaltener Schutzstandards Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 46 ff. 11 Dazu Wilson, United States Commercial Treaties and International Law, 2; Vandevelde, U.S. Bilateral Investment Treaties: The Second Wave, 14 Mich. J. Int‟l L. 1993, 621 (624); Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 41 f.; Blumenwitz, Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 953 ff.; Porterfield, International Expropriation Rules and Federalism, 23 Stanford Environmental Law Journal 2004, 3 (35 f.); Frick, Bilateraler Investitionsschutz, 77 ff.; Nougayrède, Binding States: A Commentary on State Contracts and Investment Treaties, 6 Business Law International 2005, 372 (383); Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 17; Paulus, Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff.; Sornarajah, International Law on Foreign
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
wurde zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich im Jahre 1778 geschlossen. Nach diesem Modell wurden insbesondere von den USA im Verlauf des 19. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zahlreiche bilaterale Abkommen geschlossen. 12 Zu der letzten größeren Welle an FCNVerträgen kam es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Vereinigten Staaten zwischen 1945 und 1966 eine neue Serie von 21 FCN-Verträgen abschlossen.13 Auch wenn diese Verträge vornehmlich Handelsfragen regelten, sahen sie in der Regel den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung sowie Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung vor, was auch Investitionen betraf.14 Insbesondere die letzte Generation von FCN-Verträgen rückte den Investitionsschutz stärker in den Mittelpunkt der Abkommen. 15 Die FCN-Verträge wurden in der Folgezeit von spezifischeren bilateralen und multilateralen Investitionsschutzabkommen sowie von Freihandelsabkommen abgelöst. Dennoch haben sie auch im heutigen investitionsrechtlichen Kontext insofern eine gewisse Bedeutung, als sie zum Verständnis des historischen Hintergrunds der Investor-Staat-Streitbeilegung und der materiellen Schutzstandards beitragen. 16
Investment, 210: „To the extent that the early FCN treaty was not specific to investment, the FCN treaty may not be the precursor of the modern bilateral investment treaty, but its investment provisions contain many features which are now found in a more refined way in bilateral investment treaties.“ 12 Vgl. hierzu Paulus, Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 2 f.; Vandevelde, U.S. Bilateral Investment Treaties: The Second Wave, 14 Mich. J. Int‟l L. 1993, 621 (624 f.); Walker, Modern Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, 42 Minn. L. Rev. 1958, 805 ff.; ders., Treaties for the Encouragement and Protection of Foreign Investment: Present United States Practice, 5 Am.J.Comp.L. 1956, 229 ff. 13 Vgl. Vandevelde, U.S. Bilateral Investment Treaties: The Second Wave, 14 Mich. J. Int‟l L. 1993, 621 (624 f.); ders., The Bilateral Investment Program of the United States, 21 Cornell Int‟l L.J. 1998, 201 (207 f.). 14 Dugan/Wallace/Rubens/Sabahi, Investor-State Arbitration, 37; Paulus, Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 10 ff. 15 Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 17. Nichtsdestotrotz handelte es sich in erster Linie um internationale Handelsabkommen, die eine Reihe von Materien umfassten, von denen der Schutz ausländischen Vermögens nur einen Teilaspekt ausmachte, vgl. Walker, Treaties for the Encouragement and Protection of Foreign Investment: Present United States Practice, 5 Am.J.Comp.L. 1956, 229 (231); Frick, Bilateraler Investitionsschutz, 77; Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 547. 16 Vgl. Mann, British Treaties for the Promotion and Protection of Investments,52 BYIL 1981, 241 (249); Dugan/Wallace/Rubens/Sabahi, Investor-State Arbitration, 37. Vereinzelt können FCN-Verträge auch heute noch praktische Bedeutung haben, wenn zwischen den Parteien (ausnahmsweise/noch) kein bilateraler Investitionsschutzvertrag existiert, wie dies beispielsweise im ELSI-Fall zwischen den Vereinigten Staaten und Italien, der auf der Basis des amerikanisch-italienischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages
§ 2 Rechtsquellen und Struktur
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In der Mitte des 20. Jahrhunderts traten in zunehmendem Maße insbesondere bilaterale Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Auslandsinvestitionen an die Stelle der traditionellen FCN-Verträge, u.a. um dem wachsenden Bedürfnis nach differenzierten Investitionsschutzregeln Rechnung zu tragen.17 Sie stellen seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die mit Abstand wichtigste Rechtsquelle des internationalen Investitionsrechts dar. Mit dem deutsch-pakistanischen Investitionsschutzvertrag aus dem Jahr 195918 begann eine stetige Entwicklung, die zu einem weltweiten Netz von heute über 2800 bilateralen Investitionsschutzverträgen geführt hat. 19 Mittlerweile sind mindestens 176 Staaten Vertragspartei eines bilateralen Investitionsschutzabkommens (Bilateral Investment Treaty, BIT), wodurch Staaten aus allen Erdteilen an Abkommen dieser Art beteiligt sind. 20 Somit existiert heute ein dichtes Netzwerk aus bilateralen Investitionsschutzabkommen.21 Dieses Netz umfasst nicht nur Abkommen, die zwischen Industriestaaten und Entwicklungs- bzw. Schwellenländern geschlossen wurden, sondern zunehmend auch BITs, die zwischen den letztgenannten Ländern vereinbart werden. 22 Zwischen 1959 und 1969 betrug die Anzahl der geschlossenen BITs 75, zwischen 1970 bis 1979 kamen weitere 92 hinzu und schließlich wurden zwischen 1980 und 1989 zusätzliche 219 BITs geschlossen.23 Die Zahl der BITs stieg nach dem Ende des Ost-West-Konflikts von 358 im Jahr 1989 auf 2265 im Jahr 2003, was u.a. damit zusammenhängt, dass auch die Staaten in Mittel- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch des Ostblocks begannen, Investitionsschutzabkommen abzuschließen. 24 Hin-
entschieden wurde, der Fall war, vgl. IGH, Case Concerning the Elettronica Sicula S.p.A, Judgment, 10.7.1989, ICJ Reports 1989, 15. 17 Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 549. 18 Vertrag zur Förderung und zum Schutz von Kapitalanlagen zwischen der Bundesr epublik Deutschland und Pakistan vom 25.11.1959, BGBl. 1961 II, 793. 19 UNCTAD, World Investment Report 2012, 84. Davon hatte die Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2009 147 bilaterale Investitionsschutzverträge geschlossen, vgl. hierzu z.B. . 20 UNCTAD, World Investment Report 2003, 89. 21 Vgl. etwa die Sammlung der UNCTAD, abrufbar unter . 22 Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 56. So sind an 27 Prozent der gegenwärtigen Investitionsschutzabkommen keine Industriestaaten beteiligt, vgl. UNCTAD, World Investment Report 2007, 17. Zwischen den Industriestaaten bestehen dagegen kaum BITs. Ein Grund dürfte sein, dass dort angesichts stabiler und nichtdiskriminierender Rechtssysteme ein geringeres Bedürfnis zum Abschluss derartiger Abkommen besteht, vgl. Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 56 f. 23 UNCTAD, Bilateral Investment Treaties in the Mid-1990s, 1998, 9. 24 Vgl. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 550; Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 56; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties,
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
zu kommt, dass die lateinamerikanischen Länder, welche aufgrund der CalvoDoktrin dem Abschluss von Investitionsschutzabkommen längere Zeit zurückhaltend gegenüber standen, 25 seit Anfang der 90er Jahre verstärkt solche Abkommen geschlossen haben. 26 Für die Bundesrepublik Deutschland sind zurzeit 119 bilaterale Investitionsabkommen in Kraft und weitere 19 sind bereits unterzeichnet. 27 Der Inhalt dieser Abkommen ist weitgehend standardisiert.28 b) Regionaler und sektoraler Investitionsschutz Neben die bilateralen Investitionsschutzabkommen treten Investitionskapitel in regionalen Abkommen, durch welche die Vertragsparteien eines regionalen Integrationsabkommens Investoren aus den jeweils anderen Vertragsstaaten bestimmte Schutzrechte einräumen, die den in einem Investitionsschutzabkommen enthaltenen Investorenrechten ähneln. 29 In diesen Abkommen finden sich die Regeln über den Investitionsschutz meist in den Vorschriften über die Wirtschaft und den Freihandel integriert.30 An derartigen multilateralen Verträgen mit investitionsrechtlichen Bezügen sind an erster Stelle Chapter 11 des North American Free Trade Agreement (NAFTA) von 1992 sowie der Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, ECT) aus dem Jahr 1994 zu nennen.31 47 f., welche die zunehmende wirtschaftliche Liberalisierung und die Abhängigkeit von Entwicklungsländern von ausländischen Direktinvestitionen als Gründe anführen. 25 Zur Calvo-Doktrin vgl. unten § 3 II und § 6 II. 26 Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 56. 27 Stand: Juli 2012, vgl. . 28 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 9. Siehe hierzu unten II. 29 Vgl. hierzu unten III. 30 Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 57 f. 31 Daneben existieren weitere regionale Abkommen, die auch Investitionsschutzregeln enthalten. So findet sich ein dem NAFTA vergleichbarer Investitionsschutz in Chapter 10 des zentralamerikanischen Freihandelsabkommen CAFTA (Central American Free Trade Agreement) von 2004. Das Zusatzprotokoll von 1994 zum südamerikanischen Integrationsabkommen MERCOSUR (Mercado Común del Sur) enthält ebenfalls Investitionsschutzrechte. Das ASEAN (Association of South East Asian Nations) Rahmenabkommen über Investitionen von 1998 enthält die Verpflichtung zur Gewährung von Inländergleic hbehandlung und Meistbegünstigung. Demgegenüber enthielt der EG-Vertrag (und nunmehr der AEUV) keine spezifischen Bestimmungen zum Investitionsschutz. Das Binnenmarktkonzept und drei der primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten schützen jedoch Investoren aus anderen Mitgliedstaaten. Vgl. hierzu sowie zur neuen EU-Kompetenz für ausländische Direktinvestitionen unten 7. Ebenfalls zu nennen ist die EMRK. Der darin festgelegte Grundrechtsschutz gilt heute in 44 europäischen Staaten. In Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK ist das investitionsrechtlich relevante Eigentumsrecht verankert, dessen
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Zu den Vertragsparteien des NAFTA gehören die USA, Mexiko und Kanada. Die investitionsspezifischen Regelungen des NAFTA in Chapter 11 betreffen sowohl den Zugang als auch den Schutz zugelassener Investitionen; das Investitionsschutzregime des NAFTA geht dabei von einem weiten Investitionsbegriff aus. 32 Materiell schreibt das NAFTA einen Mindeststandard für die Behandlung von Auslandsinvestitionen vor. 33 Hinzu kommt das Verbot entschädigungsloser Enteignung. 34 Darüber hinaus gelten die Diskriminierungsverbote der Inländergleichbehandlung 35 und der Meistbegünstigung 36 gegenüber Investoren und Investitionen aus anderen NAFTA-Mitgliedstaaten. Zudem existiert ein Recht auf freien Zahlungstransfer, insbesondere Gewinntransfer.37 Das NAFTA-Abkommen enthält daneben Vorschriften zur Investor-Staat-Streitbeilegung, die u.a. auf die ICSID-Konvention verweisen. 38 Ein regional-sektorales Abkommen für den Energiesektor mit einem Schutzregime für Investitionsvorhaben findet sich auch im EnergiechartaVertrag von 1994.39 Der Energiecharta-Vertrag soll einen Ordnungsrahmen für Investitionen und Handel auf dem Energiesektor bieten und dadurch den Staaten Westeuropas helfen, ihre Energieversorgung längerfristig zu sichern, vor allem mit Blick auf die russischen und asiatischen Öl- und Gasvorräte, während die ehemaligen Ostblockstaaten darin unterstützt werden sollen, Kapital anzuziehen. 40 Auch im Rahmen des Energiecharta-Vertrages gilt ein Auslegung durch den EGMR über die Vertragsstaaten hinaus auch die Investitionsschiedspraxis beeinflusst, vgl. hierzu etwa die Entscheidung im Fall Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003, Rn. 122. Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK enthält eine generelle Garantie des Eigentums, die Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der Eigentumsentziehung sowie der Anerkennung der Befugnis der Staaten, die Nutzung des Eigentums im öffentlichen Interesse zu regeln. 32 Vgl. zur Definition der Investition Chapter 11, Section C. 33 Art. 1105. 34 Art. 1110. Die Anforderungen an die zu leistenden Entschädigungszahlungen werden dahingehend präzisiert, dass ein vollrealisierbarer fairer Marktpreis ohne Verzögerung zu zahlen ist („fair market value“). Dies entspricht zwar nicht dem Wortlaut, wohl aber in der Sache der Hull-Formel. Danach muss betroffenen Eigentümern eine „sofortige, angemessene und effektive“ („prompt, adequate and effective“) Entschädigung gezahlt werden. 35 Art. 1102. 36 Art. 1103. 37 Art. 1109. 38 Vgl. hierzu unten § 3 II. 39 Der Energiechartavertrag wurde im Dezember 1994 verabschiedet und ist im April 1998 in Kraft getreten. Er wurde bislang von 51 Staaten der Europäischen Union unterzeichnet. Die investitionsrechtlich relevanten Vorschriften sind in den Teilen III bis V enthalten. 40 Vgl. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 556; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 12; Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren unter Art. 26 Energiechartavertrag. 115 f. Vertragspartei-
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weiter Investitionsbegriff, der alle Arten von Vermögenswerten erfasst, die einem Investor gehören oder von ihm direkt oder indirekt kontrolliert werden.41 Nichtdiskriminierung beim Marktzugang wird angestrebt und soll in einem separaten Vertrag konkretisiert werden. 42 Für bestehende Investitionen aus anderen Mitgliedstaaten des Vertrages gelten die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Meistbegünstigung. 43 Zudem regelt der Energiecharta-Vertrag die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für eine Enteignung entsprechend dem völkergewohnheitsrechtlichen Standard. 44 Schließlich enthält auch der Energiecharta-Vertrag Bestimmungen über die Investor-Staat-Streitbeilegung.45 c) Multilaterale Ansätze Bemühungen um einen globalen multilateralen Investitionsschutz gibt es bereits seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 46 So finden sich einzelne Elemente des Investitionsschutzes im Recht der WTO 47 sowie in OECDen sind nahezu alle Staaten Europas, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Japan. Die EU (vormals die EG) ist neben ihren Mitgliedstaaten eigenständige Vertragspartei. Weitere Staaten, wie z.B. die USA, Kanada und China, sind Beobachter. Die Ratifikation des Energiecharta-Vertrages durch einige Unterzeichnerstaaten des Vertrags, u.a. durch Russland, steht noch aus. 41 Vgl. Art. 1 Abs. 6. 42 Art. 10 Abs. 2 und 4. 43 Art. 10 Abs. 7. 44 Art. 13. Das in Art. 13 Abs 1 lit. d geregelte Entschädigungsniveau entspricht der Hull-Formel. 45 Art. 26. Vgl. hierzu Wälde, Investment Arbitration under the Energy Charter Treaty, Arbitration International 1996, 429 ff.; Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren unter Art. 26 Energiechartavertrag, 115 ff. und passim. 46 Vgl. Schill, Multilateralization, 23 ff., 31 ff.; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 18 ff.; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 87 ff., 269 ff.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 10 ff. Zu den bescheidenen multilateralen Ansätzen in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg vgl. Schill, Multilateralization, 30 f. 47 Was den Investitionsschutz im Rahmen der WTO anbelangt, so existiert spezifisches Investitionsschutzrecht bisher nicht. Es finden sich lediglich vereinzelt investitionsbezogene Regelungen. Hierzu gehört das General Agreement on Trade in Services (GATS). Das GATS definiert die Einrichtung einer „Commercial Presence“ in einem anderen WTOMitgliedstaat als eine geschützte Form der Dienstleistungserbringung (Art. 1 Abs. 2 (c) GATS). Darunter fallen auch Auslandsinvestitionen zur Dienstleistungserbringung. Zu beachten ist dabei jedoch die begrenzte Reichweite des GATS. Die Vorschriften über Marktzugang und Inländergleichbehandlung gelten nur in den Sektoren und in dem U mfang, wie ein WTO-Mitglied in sog. „Schedules“ dazu spezifische Verpflichtungen übernommen hat (Art. XVI und XVII GATS). Auch der Anwendungsbereich der Meistbegünstigungsklausel, die unabhängig von den spezifischen Verpflichtungen gilt, kann eingeschränkt werden (Art. II GATS). Regelungen zur Enteignung enthält das GATS nicht.
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Kodizes, wobei letztere jedoch keine völkerrechtlichen Abkommen darstellen.48 Die beiden Abkommen zur Errichtung des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) und zur Errichtung der Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA) stellen zwei weitere multilaterale Konventionen auf dem Gebiet des Investitionsschutzes dar, die jedoch keine materiellrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Investitionen enthalten.49 Insofern waren die im vorigen Abschnitt behandelten Versuche zum Abschluss regionaler, zum Teil sektorspezifischer völkerrechtlicher Verträge (NAFTA, ECT) mit ausdrücklichen Investitionsschutzbestimmungen erfolgreicher. Trotz dieser im Wirtschaftsvölkerrecht zu beobachtenden Tendenz hin zu einer „Multilateralisierung“ völkerrechtlicher Vertragsbeziehungen 50 existiert bis heute jedoch kein multilaterales Investitionsschutzabkommen. 51 Die Bemühungen um ein derartiges Investitionsschutzabkommen, welches die für kapitalimportierende Länder zu beachtenden Standards bei der Behandlung ausländischer Investitionen festlegen sollte, wurden auf Betreiben der westlichen Industrieländer insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeno mmen.52 Die beiden wichtigsten multilateralen Ansätze zur Festschreibung von Investorenrechten stellen die Havanna-Charta (1948) sowie die OECD Draft Convention on the Protection of Foreign Property dar (1967). Die Havanna-Charta zur Errichtung einer Welthandelsorganisation aus dem Jahr 194853 erkannte zwar die Notwendigkeit von Investitionen für die Investitionsbezogene Regelungen finden sich neben dem GATS im Agreement on TradeRelated Investment Measures (TRIMs), welches die Verpflichtungen des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) bezüglich investitionsbezogener Handelsmaßnahmen konkretisiert. Vgl. hierzu Neufeld, Trade and Investment, in: Bethlehem et al. (Hrsg.), Oxford Handbook of International Trade Law, 631 ff. 48 Vgl. hierzu unten 6. 49 Schill, Multilateralization, 23, 44 ff. 50 Vgl. z.B. die Entwicklung der Welthandelsbeziehungen im Rahmen der WTO. Zur Multilateralisierung ausführlich Schill, Multilateralization, passim. 51 Vgl. Tschofen, Multilateral Approaches to the Treatment of Foreign Investment, 7 ICSID Review - FILJ 1992, 384 ff.; Karl, Das Multilaterale Investitionsabkommen, RIW 1998, 432 ff.; ders., Internationaler Investitionsschutz – Quo vadis?, ZVglRWiss 2000, 143 ff.; Schill, Multilateralization, 31 ff. 52 Vgl. hierzu Tschofen, Multilateral Approaches to the Treatment of Foreign Investment, 7 ICSID Review - FILJ 1992, 384 ff.; Schill, The Multilateralization of International Investment Law, 31 ff. 53 Text abgedruckt bei UNCTAD, International Investment Instruments: A Compendium, Vol. I – Multilateral Instruments, 1996, 3; Koulen, in: Nieuwnhuys/Brus (Hrsg.), Multilateral Regulation of Investment, 183; Dattu, A Journey from Havana to Paris, 24 Fordham International Law Journal 2000, 275 ff.; Kurtz, A General Agreement in the WTO?, 23 U.Pa.J.Int‟lEcon.L. 2002, 713 (718); Dugan/Wallace/Rubens/Sabahi, InvestorState Arbitration, 48.
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wirtschaftliche Entwicklung an, enthielt jedoch selbst keine materiellrechtlichen Schutzstandards zum Schutz ausländischer Investitionen. Die Position der Vereinigten Staaten betreffend den Schutz ausländischer Investitionen fand aufgrund des Widerstandes von Seiten der Entwicklungsländer keinen Konsens. 54 Die Charta wurde von 54 Staaten unterzeichnet, scheiterte jedoch letztlich am Widerstand des amerikanischen Kongresses, der seine Zustimmung verweigerte. 55 In den 1960er Jahren wurde mit der OECD Draft Convention on the Protection of Foreign Property von 1967 ein weiterer Versuch unternommen, den Investitionsschutz auf eine multilaterale Grundlage zu stellen, die auch NichtOECD-Staaten offenstehen sollte.56 Der Entwurf scheiterte an den Gegensätzen zwischen kapitalimportierenden und kapitalexportierenden Ländern, insbesondere an der Auffassung der Entwicklungsländer, der Entwurf berücksichtige einseitig die Interessen der entwickelten Länder.57 Trotz ihres Scheiterns hatten die OECD Draft Convention und ihre Vorgänger Einfluss auf die zur selben Zeit einsetzende Entwicklung bilateraler Investitionsschutzverträge, welche ab den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwischen Mitgliedern der OECD verhandelt und abge-
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Spero/Hart, The Politics of International Economic Relations, 156; Schill, Multilateralization, 33. 55 Häde, ArchVR 35 (1995), 181 (202); Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 187; Lowenfeld, International Economic Law, 482 f. Die Gründe hierfür lagen vornehmlich in der nationalen US-Politik und dem Heraufziehen des Kalten Krieges. In der Folgezeit ebenfalls gescheitert sind das „Economic Agreement of Bogota“ von 1948 sowie die „Abs-Shawcross Convention on Investments Abroad“ von 1959, abgedruckt in RIW 1959, 150 f. Für eine Diskussion des Abs-Shawcross Draft vgl. die verschiedenen Beiträge in 9 Journal of Public Law 1960, 115 ff. sowie Schwarzenberger, Foreign Investments and International Law, 109 ff. Der Abs-Shawcross-Draft spiegelte bereits den Inhalt moderner BITs wider, darunter Vorschriften zu fair and equitable treatment, most constant protection and security, zum Schutz gegen direkte und indirekte Enteignung sowie zur Investor-Staat-Streitbeilegung. Ebenfalls nicht weiterverfolgt wurde die von der Harvard Law School entworfene Draft Convention on the International Responsibility of Sta tes for Injuries to Aliens aus dem Jahr 1961. 56 OECD Draft Convention on Protection of Property, abgedruckt in 7 ILM 117 (1967); van Hecke, Le Projet de convention de OCDE sur la protection des biens étrangers‟, 68 Revue génerale de droit international public 1964, 641; Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 3; Schill, Multilateralization, 35 ff. Ebenso wie der Abs-Shawcross Draft ähnelt der OECD Draft inhaltlich modernen bilateralen Investitionsschutzabkommen, indem er die Schutzstandards des fair and equitable treatment, most constant protection and security, den Schutz vor direkter und indirekter Enteignung sowie eine Investor-Staat Streitbeilegung vorsah. 57 Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations, 212 f.; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 19; Dugan/Wallace/Rubens/Sabahi, Investor-State Arbitration, 49; Schill, Multilateralization, 36 f.
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schlossen wurden. 58 Zuletzt wurde in den 90er Jahren im Rahmen der OECD der Versuch eines umfassenden multilateralen Vertragswerks unternommen. Doch auch diese Verhandlungen über ein Multilaterales Abkommen über Investitionen (Multilateral Agreement on Investment, MAI) 59 sind letztlich gescheitert.60 Der Versuch einer umfassenden multilateralen Regelung ist somit bis heute unverwirklicht geblieben. 61 Insgesamt zeigt sich somit die zentrale Bedeutung völkerrechtlicher, vorwiegend bilateraler Verträge auf dem Gebiet des internationalen Investitionsschutzrechts. Diese gehen in der Regel als speziellere (lex specialis) und spätere (lex posterior) Regeln einschlägigem Gewohnheitsrecht 62 oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen 63 vor.64 2. Völkergewohnheitsrechtsrechtlicher Investitionsschutz Der internationale Wirtschaftsverkehr und insbesondere der Schutz ausländ ischer Investoren unterlagen über einen langen Zeitraum in erster Linie den Grundsätzen des völkerrechtlichen Fremdenrechts.65 Insbesondere der Schutz ausländischer Investoren vor Enteignungen hat dort seinen Ursprung. 66 Erst als der fremdenrechtliche Schutz ausländischer Investitionen als nicht mehr
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Schill, Multilateralization, 39. Der letzte Entwurf des MAI datiert vom 22.4.1998: OECD, The Multilateral Agreement on Investment, Draft Consolidated Text, DAFFE/MAI(98)7/REV1, 22 April 1998. Vgl. hierzu Karl, Das multilaterale Investitionsabkommen (MAI), RIW 1998, 432 ff.; Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 83 ff. 60 Vgl. Sack, Aus für das MAI, EuZW 1998, 706; Henderson, The MAI Affair: A Story and its Lessons, passim; Salacuse, Towards a Global Treaty on Foreign Investment: The Search for a Grand Bargain, in: Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 51 ff. 61 Frick, Bilateraler Investitionsschutz, 72; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 211. 62 Vgl. hierzu unten 2. 63 Vgl. hierzu unten 3. 64 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 17. 65 Vgl. hierzu Roth, The Minimum Standard of International Law Applied to Aliens, passim; Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes: Deutsches Recht und Rechtsvergleichung, passim; ders., Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, passim; Lillich, Duties of States regarding the Civil Rights of Aliens, 161 RdC 1978, 329 ff.; ders., The Human Rights of Aliens; Vagts, Minimum Standards, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, 408 ff.; Hailbronner (Hrsg.), Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, passim; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 104 ff.; Hailbronner/Gogolin, Aliens, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009. 66 Schäfer, RIW 1998, 199 (200); Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 46 ff.; Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 137 ff. 59
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ausreichend erachtet wurde, bildeten sich die zuvor beschriebenen völkervertraglichen Investitionsschutzbestimmungen heraus. 67 Das völkerrechtliche Fremdenrecht enthält diejenigen Vorschriften, welche die Stellung von Personen in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, regeln.68 Das völkerrechtliche Fremdenrecht gewährt nach der Theorie vom Mindeststandard ausländischen Personen einen gewissen Mindestschutz gegenüber ihrem Gastgeberstaat. 69 Zum fremdenrechtlichen Mindeststandard gehören im Wesentlichen das Recht auf Rechtsfähigkeit, das Recht, nicht willkürlich in Haft genommen zu werden, das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Schutz der Person, das Recht auf rechtliches Gehör und ein geordnetes Verfahren, das Recht, nicht in besonderer Weise diskriminiert zu werden, sowie das Recht, nicht ohne Beachtung bestimmter Voraussetzungen enteignet zu werden. 70 Finden sich somit die für den Investitionsschutz relevanten Vorschriften des allgemeinen Völkerrechts in den Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, so ist dennoch zu beachten, dass das Fremdenrecht Ausländer allgemein schützt, wodurch die Rechtsgüter ausländischer Investoren lediglich mitumfasst werden. 71 Insbesondere der für den Investitionsschutz besonders wichtige Schutz ausländischen Eigentums war lange Zeit nicht ausreichend geklärt.72 Das internationale Enteignungsrecht erkennt an, dass jeder Staat befugt ist, auf seinem Gebiet belegenes ausländisches Vermögen zu enteignen. Umstritten waren die Voraussetzungen und die Höhe der Entschädigung. Während insbesondere die Anhänger der nach dem argentinischen Rechtsleh-
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5 ff.
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Hierzu ausführlich Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties,
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 105 f.; Hailbronner/Kau, in: Vitzthum, Völkerrecht, III, Rn. 277. Ausführlich zum Begriff des Fremdenrechts Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 23 ff. 69 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 117; Hailbronner/Gogolin, Aliens, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 26 ff. Zum fremdenrechtlichen Mindeststandard und dessen Verhältnis zum Gebot des fair and equitable treatment, siehe unten § 6 II. Die Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts stammen aus einer Zeit, zu der menschenrechtliche Schutzstandards im Völkerrecht nur sehr begrenzt anerkannt waren. Heute werden die Gewährleistungen des Fremdenrechts teilweise vom menschenrechtlichen Schutz überlagert, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 116 f. 70 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 114 ff.; Hailbronner/Kau, in: Vitzthum, Völkerrecht, III, Rn. 286; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 80 ff. Vgl. hierzu unten § 6 II 1. 71 Griebel, Internationales Investitionsrecht, 14. Insofern ist es missverständlich, wenn hin und wieder vom „Investitionsschutz des allgemeinen Völkerrechts“ die Rede ist. 72 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/2, 125. Zur Geschichte des völkerrechtlichen Eigentumsschutzes, vgl. Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 13 ff.
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rer Carlos Calvo benannten Calvo-Doktrin73 die Meinung vertraten, dass Ausländern derselbe Schutz wie Inländern zuteil werden solle, was im Ergebnis oftmals keinen Schutz für ausländisches Eigentum vor Enteignungen bedeutete, gingen insbesondere die westlichen Industrienationen davon aus, dass das Völkergewohnheitsrecht die Enteignung von Ausländern gewissen Voraussetzungen im Sinne eines Mindeststandards unterwerfe. Hierzu gehöre, dass eine Enteignung nur dann zulässig sei, wenn sie einem öffentlichen Zweck diene, keinen diskriminierenden Charakter habe und mit einer Entschädigung verbunden sei. 74 Die Entschädigung hatte nach dieser Auffassung, welche der nach dem amerikanischen Außenminister Cordell Hull benannten Hull-Formel („prompt, adequate and effective“) folgte, unverzüglich, dem Wert angemessen und effektiv, d.h. in konvertibler Währung, zu erfolgen. 75 Trotz gewisser Annäherungen in den vertraglichen Beziehungen der Staaten in Richtung auf die Hull-Formel konnte die Diskussion um die Höhe des Entschädigungsstandards für den Bereich des Völkergewohnheitsrechts nie vollständig beigelegt werden. 76 Hinzu kam, dass die Diskussion um den Schutz ausländischen Eigentums im Zuge der Entkolonialisierung und des Erstarkens des Ostblocks nach dem Zweiten Weltkrieg, verbunden mit der Forderung nach entschädigungsloser Enteignung, wieder stärker auflebte und zu einer Erosion von gewohnheitsrechtlichen Fremdenrechten führte, da un73
Nach der sog. Calvo-Doktrin sollten Ausländer allenfalls eine Gleichbehandlung mit Inländern erfahren, nicht jedoch eine auf völkerrechtliche Behandlungsstandards gestützte Besserstellung im Vergleich zu Inländern. Es bestand die Auffassung, dass sich die Rechtsstellung des Ausländers nach der Rechtsordnung des Gastgeberstaates richten sollte. Die Existenz eines fremdenrechtlichen Mindeststandards im Enteignungsrecht, demzufolge dem Fremden unabhängig von der Rechtsordnung des Gastgeberstaates ein Mindestmaß an Rechten zuzubilligen ist, wurde daher bestritten. Vgl. hierzu Lipstein, The Place of the Calvo Doctrine in International Law, 22 BYIL 1945, 130 ff.; Freeman, Recent Aspects of the Calvo Doctrine and the Challenge to International Law, 40 AJIL 1946, 121 ff.; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 85 ff.; Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, I/2, 115 f. Die Calvo-Doktrin konnte sich jedoch nicht durchsetzen und wird heute nur noch vereinzelt vertreten, vgl. Juillard, Calvo Doctrine/Calvo Clause, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn 13. Zum Fremdenrecht zwischen Calvo-Doktrin und Mindeststandard vgl. unten § 6 II. Zu den prozessualen Aspekten der Calvo-Doktrin vgl. unten § 3 I. 74 Dolzer, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, VI, Rn. 43 f. Diese Auffassung entspricht dem heutigen Stand des Völkergewohnheitsrechts, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 4; Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 110. 75 Sacerdoti, 169 RdC 1997, 251 (288); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 10; Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 43 ff.; Lowenfeld, International Economic Law, 475 ff. 76 Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 110. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 18, geht demgegenüber davon aus, dass sich die Hull-Formel auch im völkerrechtlichen Fremdenrecht durchgesetzt hat.
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klar war, ob die zur Verbindlichkeit dieser Normen erforderliche opinio iuris noch gegeben war. 77 Völkergewohnheitsrechtlich war somit der Schutz ausländischer Investitionen defizitär, weshalb Versuche – zunächst ohne Erfolg auf multilateraler und später umso erfolgreicher auf bilateraler Ebene – unternommen wurden, Schutzstandards für Auslandsinvestitionen auf völkervertraglicher Ebene festzuschreiben. 78 Des Weiteren existiert keine Regel des Völkergewohnheitsrechts, wonach es Gaststaaten (auch Gastgeberstaaten (host states) oder Investitionsstaaten genannt) verwehrt wäre, Regelungen zum Nachteil eines ausländischen Investors im Vergleich zu inländischen oder anderen ausländischen Investoren vorzunehmen.79 Die verschiedenen vertraglichen Gewährleistungen bilateraler Investitionsschutzabkommen 80 mit Vorschriften u.a. zur Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung gehen daher entscheidend über die völkergewohnheitsrechtlichen Schutzstandards hinaus. 81 Die Nachteile des klassischen Fremdenrechts (überwiegend vage und als unzureichend empfundene Schutzstandards, insbesondere im Bereich des internationalen Eigentumsschutzes, sowie eine unsichere, im Wesentlichen vom politischen Willen des Heimatstaates abhängige Rechtsdurchsetzung im Wege des diplomatischen Schutzes, 82 insbesondere im Hinblick auf den Schutz ausländischer Investoren und deren Investitionen) haben somit entscheidend zur Herausbildung internationaler Investitionsschutzabkommen mit festgeschriebenen Schutzstandards und besonderen Streitbeilegungsmechanismen für Investor-Staat-Streitigkeiten beigetragen. 83 77
Sacerdoti, 269 RdC 1997, 251 (279); Markert, Streitschlichtungsklauseln, 43. Hierzu oben 1. 79 Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 107. Inwiefern die Inländergleichbehandlung vom Fremdenrecht umfasst wird, ist umstritten. Für einen gewohnheitsrechtlichen Standard Häde, Der völkerrechtliche Schutz von Direktinvestitionen im Ausland, ArchVR 35 (1997), 187. Dass dies nicht uneingeschränkt der Fall sein kann, zeigt der Bereich wirtschaftlicher Diskriminierungen, in dem es Staaten mangels entgegenstehender ausdrücklicher völkervertraglicher Verpflic htungen (z.B. GATT) unbenommen ist, eigenen Staatsangehörigen gegenüber ausländischen Konkurrenten Vergünstigungen zukommen zu lassen. Insofern ist ein völkergewohnheit srechtliches Diskriminierungsverbot nur für den nichtwirtschaftlichen Bereich denkbar, vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 15. 80 Vgl. hierzu im Überblick unten II. 81 Zum Verhältnis von fremdenrechtlichem Mindeststandard zum vertraglichem Investitionsschutzrecht, insbesondere zur vertraglichen Verpflichtung zu fair and equitable treatment vgl. unten § 6 II. 82 Hierzu unten § 3 I. 83 Vgl. Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 33: „Dabei zeigt sich, dass das Entstehen des bilateralen Investitionsschutzvertrages im Wesentlichen offensichtlich eine Reaktion auf die prozeduralen Unwägbarkeiten des völkergewohnheitsrechtlichen, dipl omatischen Schutzes wie auch auf die Unsicherheiten seiner materiellen Standards war.“ 78
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Trotz des heute dominierenden völkervertraglichen Investitionsschutzrechts sind die fremdenrechtlichen Behandlungsstandards jedoch noch immer dort relevant, wo das völkervertragliche Investitionsschutzrecht keine abschließende Regelung trifft. Völkergewohnheitsrecht ist auch heute noch zum Teil Gegenstand der Erwägungen mancher Investitionsschiedsgerichte, wenn es etwa darum geht, das Verhältnis von vertraglichem und gewohnheitsrechtlichem Investitionsschutz zu untersuchen. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis des vertraglichen Gebots des fair and equitable treatment zum fremdenrechtlichen Mindeststandard. 84 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze Ebenfalls von Bedeutung als Rechtsquelle des internationalen Investitionsschutzrechts sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut.85 Hierunter versteht man überwiegend die Prinzipien, die den Rechtsordnungen der meisten Staaten bekannt sind; bei der Gewinnung der allgemeinen Rechtsgrundsätze spielt die rechtsvergleichende Methode eine entscheidende Rolle.86 Dadurch erhält indirekt nationales Recht an Bedeutung, da die meisten allgemeinen Rechtsgrundsätze auf den Vergleich der großen Privatrechtsordnungen zurückzuführen sind. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören etwa das Prinzip der Haftung für Rechtsverletzungen mit der Pflicht zum Ausgleich des entstandenen Schadens, das Prinzip der Erstattung ungerechtfertigter Bereicherung, die Rechtsinstitute der Verwirkung und der Geschäftsführung ohne Auftrag, das Prinzip der Billigkeit 84 Vgl. hierzu unten § 6 II. Speziell stellt sich hierbei die Frage, ob die (hohen) Behandlungsstandards in BITs als Indiz für eine entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Norm herangezogen werden können oder ob die vertragliche Regelung nicht vielmehr ein Beleg für das Vorliegen gegenteiliger, d.h. geringerer Behandlungsstandards im Völkergewohnheitsrecht ist. Darüber hinaus enthalten einige BITs ausdrückliche oder zum Teil als solche interpretierte Hinweise auf völkergewohnheitsrechtliche Standards, wodurch Völkergewohnheitsrecht auch im vertraglichen Bereich von Bedeutung ist, vgl. hierzu etwa die Debatte um Art. 1105 NAFTA (hierzu unten § 6 II). 85 Vgl. Gazzini, General principles of law in the field of foreign investment, Journal of World Investment and Trade 2009, 103 (109 ff.); Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 93 ff. 86 Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 161: „Unter völkerrechtlichen „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ sind solche Wert- und Systementscheidungen zu verstehen, die in den nationalen Rechtssystemen von grundlegender Bedeutung sind und aufgrund ihres Regelungsbereiches auf die zwischenstaatlichen Beziehungen übertragen werden können. Es handelt sich also nicht um ‚allgemeine Grundsätze des Völkerrechts„ (die vielmehr dem Völkergewohnheitsrecht zugehören), sondern um im Wege der Rechtsvergleichung zu ermittelnde Prinzipien, die in den verschiedenen Rechtsordnungen (z.B. dem angloamerikanischen Rechtskreis, dem kontinental-europäischen Rechtskreis) ihren Ursprung haben. Sie können im Unterschied zum Gewohnheitsrecht auch ohne zwischenstaatliche Übung angewendet werden […].“
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
(equity) sowie Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben. 87 Bedeutsam sind allgemeine Rechtsgrundsätze insbesondere für die Schließung von Rechtslücken, mithin für die Ergänzung vertraglicher Regelungen und gewohnheitsrechtlicher Normen. 88 4. Nationales Recht Das Recht des Gastgeberstaates der Investition ist ebenfalls von Bedeutung und stellt für ausländische Investoren (insbesondere bei Tätigung der Investition) das primär anwendbare Recht dar. 89 Nicht selten werden die investitionsrechtlich relevanten Vorschriften in einem eigenen Investitionsgesetz zusammengefasst. 90 Diese Investitionsgesetze stellen neben den Investitionsverträgen die Grundlage für die Durchführung der Investition im Gaststaat dar.91 Im Gegensatz zu Investitionsschutzabkommen enthalten Investitionsgesetze oftmals detaillierte und sektorspezifische Vorschriften. 92 Diese Regelungen können, wie in manchen kapitalimportierenden Staaten der Fall, als Investitionsanreiz über das völkerrechtlich Gebotene hinausgehen. 93 Soweit die Verfassung und sonstigen Gesetze der Gaststaaten keinen ausreichenden Schutz gewähren, kann dies durch spezifische Vorschriften in nationalen 87
Vgl. Mosler, General Principles of Law, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 511 ff.; Herdegen, Völkerrecht, 144. 88 Herdegen, Völkerrecht, 145; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 19; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 166. 89 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 23; Hölken, Conflicts between International Investment Law and Domestic Law, in: Hofmann/Tams (Hrsg.) International Investment Law and Its Others, 213 (215 ff.). 90 Vgl. hierzu Burgstaller/Waibel, Investment Codes, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2011, 1 ff. Daneben können auch allgemeine verfassungsrechtliche Garantien, etwa zum Eigentumsschutz, von Bedeutung sein. So ist etwa im deutschen Recht Ausgangspunkt des verfassungsrechtlichen Schutzes ausländischer Direktinvestitionen das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG, vgl. Dolzer/Bloch, Der rechtliche Schutz ausländischer Investitionen, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 5. Zwar erstreckt Art. 19 Abs. 3 GG die Grundrechtsträgerschaft nur auf inländische juristische Personen, weshalb eine generelle Ausweitung des Anwendungsbereichs des Eigentumsrechts auf ausländische juristische Personen noch überwiegend verneint wird, vgl. Doehring, VVDStRL 32 (1974), 7 (29); Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 19 Rn. 85; Sachs, Grundgesetz, Art. 19 Rn. 51. Dennoch folgt aus der Nichtanwendung des Art. 19 Abs. 3 GG auf ausländische juristische Personen nicht, dass diesen der einfachgesetzliche Eigentumsschutz versagt bliebe. 91 Markert, Streitschlichtungsklauseln, 36. 92 Für einen Überblick der in Investitionsgesetzen enthaltenen Regelungen vgl. Parra, 7 ICSID Review - FILJ 1 1992, 428 (429 ff.). 93 Parra, 7 ICSID Review - FILJ 1992, 428; Markert, Streitschlichtungsklauseln, 37. Zur Verschärfung des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes vgl. Tietje, Beschränkungen ausländischer Unternehmensbeteiligungen, 1 ff.
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Investitionsgesetzen ergänzt werden.94 Demgegenüber konzentrieren sich Investitionsgesetze kapitalexportierender Staaten anders als etwa die Ausrichtung internationaler Investitionsschutzabkommen primär auf die Interessen des Gaststaates und enthalten oftmals Investitionsbeschränkungen. 95 Die nationalen Gesetzesvorschriften des Gaststaates zum Investitionsschutz bieten jedoch nur einen unvollkommenen Schutz für ausländische Investoren, da sie grundsätzlich durch den Gaststaat einseitig abänderbar sind.96 Dabei ist zu beachten, dass in der Praxis nicht selten ein Spannungsfeld zwischen den nationalen Rechtsordnungen und den Investorenschutzbestimmungen im System der Investitionsschutzabkommen besteht. 97 So kann es vorkommen, dass die Vorschriften aus Investitionsschutzabkommen die Regulierungstätigkeit von Staaten beschränken. Was nach nationalem Recht erlaubt ist, kann dennoch einen Verstoß gegen das Investitionsschutzabkommen darstellen. Daneben ist es aber nicht nur die staatliche (hoheitliche) Regulierungstätigkeit, die im Investitionsrecht eine Rolle spielt. Im Zentrum investitionsrechtlicher Streitigkeiten stehen oftmals privatrechtliche Normen, etwa vertragsrechtlichen oder sachenrechtlichen Charakters, die u.a. über das Vorliegen und den Umfang einer geschützten „Investition“ im Sinne des jeweiligen Investitionsschutzabkommens Aufschluss geben. 98 5. Verträge zwischen Gaststaat und Investor (Investitionsverträge) Grundlage einer Investition sind oftmals direkte vertragliche Vereinbarungen zwischen dem privaten Investor und dem Investitionsstaat bzw. mit von diesem kontrollierten privat- oder öffentlichrechtlichen Institutionen (sog. Inves-
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Markert, Streitschlichtungsklauseln, 37. Markert, Streitschlichtungsklauseln, 37. Die Regelung der Zulassung ausländischer Investitionen ergibt sich aus der Souveränität des Gaststaates und unterliegt nach Völkergewohnheitsrecht keinen Einschränkungen, vgl. Sacerdoti, 269 RdC 1997, 251 (321). Zur Verschärfung des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes vgl. Tietje, Beschränkungen ausländischer Unternehmensbeteiligungen, 2007, 1 ff. Rechtsvergleichend hierzu Tietje/Kluttig, Beschränkungen ausländischer Unternehmensbeteiligungen, und -übernahmen, 7 ff. 96 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 23; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 6; Häde, ArchVR 35 (1997), 181 (187); Markert, Streitschlichtungsklauseln, 37. Daher stellen Investitionsgesetze keine echte Alternative zu Investitionsschutzabkommen dar. 97 Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 81 ff. 98 Vgl. hierzu Douglas, The Hybrid Foundations of Investment Treaty Arbitration, 47 BYIL 2003, 152 (197 ff.); Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 45, der auf die große praktische Bedeutung von Investitionsverträgen zwischen Investor und Gaststaat hinweist. 95
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tor-Staat-Verträge, Investitionsverträge, state contracts).99 Diese dienen der konkreten Ausgestaltung des Investitionsvorhabens. 100 Somit können das nationale und das völkerrechtliche Investitionsschutzrecht durch eine weitere, vertragliche Komponente ergänzt werden.
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Vgl. hierzu Mann, The Law Governing State Contracts, 21 BYIL 1944, 11 ff.; Jennings, State Contracts in International Law, 37 BYIL 1961, 156 ff.; Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, passim; Delaume, State Contracts and Transnational Arbitration, 75 AJIL 1981, 784 ff.; Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 45 ff.; Greenwood, State Contracts in International Law – The Libyan Oil Arbitrations, 52 BYIL 1982, 27 ff.; Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor, passim; J.-F. Lalive, Contrats entre états ou enterprises étatiques et personnes privées: Développements récents, 181 RdC 1983, 9 ff.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 23 ff.; Kischel, State Contracts, passim; Kortenkamp, Abschluss privatrechtlicher Verträge durch ausländische Staaten, passim; Häde, ArchVR 35 (1997), 181 (196); Maniruzzaman, State Contracts in Contemporary International Law: Monist versus Dualist Controversies, 12 EJIL 2001, 309 ff.; Leben, La théorie du contrat d‟Etat et l‟evolution du droit international des investissements, 302 RdC 2004, 197 ff.; Sinclair, The Origins of the Umbrella Clause in the International Law of Investment Protection, Arbitration International 2004, 411 ff.; Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 22; Markert, Streitschlichtungsklauseln, 33 ff. 100 Zu den verschiedenen Arten von Investitionsverträgen, vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 72 f.; Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 45 f. Derartige Verträge werden häufig im Rohstoffsektor oder bei der Errichtung bedeutender Infrastrukturprojekte abgeschlossen. Gegenstände dieser Vereinbarungen zwischen Staat und Investor sind so meist die Errichtung eines Gemeinschaftsunternehmens im Investitionsstaat, der Bau einer fertigen Großanlage oder eines Infrastrukturprojekts. Vgl. hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 251 f.; Herdegen, Rechtsprobleme des internationalen Konzessionswesens, in: Baur/Hobe (Hrsg.), Rechtsprobleme mit Auslandsinvestitionen, Konzession, Vergabeverfahren, Vertragsanpassung, 13 ff.; Karl, Probleme des Investitions- und Enteignungsschutzes am Beispiel des internationalen Konzessionsvertrages, in: Baur/Hobe (Hrsg.), Rechtsprobleme mit Auslandsinvestitionen, Konzession, Vergabeverfahren, Vertragsanpassung, 35 ff.; Ohler, Concessions, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009. Eine typische Fallgestaltung ist die Errichtung und der zeitlich begrenzte Betrieb einer solchen Anlage durch den ausländischen Investor, wobei er die Anlage nach Ablauf der Betriebszeit an den Staat zu übereignen hat (sog. BOT-Verträge), vgl. hierzu Goedel, Vertragsgestaltung bei BOT-Projekten, BB 1991, Beil. 20, 19 ff.; Jayme, BOTProjekte: Probleme der Rechtswahl, in: Nicklisch (Hrsg.), Rechtsfragen privatfinanzierter Projekte, 65 ff.; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 22; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 73. Eines der bekanntesten BOT-Projekte ist der Bau des Kanaltunnels zwischen Frankreich und England, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 21 Rn. 11.
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a) Anwendbares Recht Umstritten ist die Frage, welchem Recht Investor-Staat-Verträge unterliegen. Während zwischenstaatliche Investitionsschutzabkommen originär dem Völkerrecht zuzuordnen sind, steht bei Investitionsverträgen der Gaststaat als Völkerrechtssubjekt einem privaten Vertragspartner gegenüber, was die rechtliche Einordnung erschwert. Rechnete man diese Verträge dem Völkerrecht zu, so würde eine Vertragsverletzung durch den Gaststaat zugleich eine Völkerrechtsverletzung darstellen. Hiergegen spricht jedoch, dass private Investoren grundsätzlich keine Völkerrechtssubjekte sind und folglich auch nicht an der Schaffung von Völkerrecht beteiligt sein können. 101 Sowohl der StIGH als auch der IGH haben eine Zurechnung derartiger Verträge zum Völkerrecht abgelehnt. 102 Dem folgt die überwiegende Auffassung in der Literatur, wonach derartige Verträge grundsätzlich dem nationalen Recht (in der Regel des Gaststaats) zuzurechnen sind. 103 Dies hat den bereits erwähnten Nachteil, dass der Gaststaat, 101
Vgl. etwa Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 537. Im Anglo-Iranian Oil Company-Fall stellte der IGH fest, dass ein Konzessionsvertrag zwischen der britischen Anglo-Iranian Oil Company und der iranischen Regierung keine Quelle des Völkerrechts sei, vgl. IGH, Anglo-Iranian Oil Co. Case (Preliminary Objection), Judgement, 22.7.1952, ICJ Reports 1951, 93. Vgl. dagegen den libyschen Erdölstreit, in dem zumindest eines der befassten Schiedsgerichte den Streit von vornherein dem Völkerrecht zugeordnet hat. 103 Vgl. Pfeiffer, Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, 108 f.; Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und Investor, 23; Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 2; Metje, Investitionsschutz im Anlagenbau, 73; Häde, ArchVR 35 (1997), 181 (191). Vgl. hierzu auch die Resolution of the Institut de Droit International, Session of Athens 1979, 58-II Ann IDI 193, wonach die vertragliche Abrede zwischen Staat und ausländischer Privatperson nach dem Recht des Staates zu beurteilen ist, welches die engste Verbindung aufweist. In vielen Fällen führt diese Grundregel zum Recht des Gastgeberstaates. In Teilen der Schiedspraxis und der Lehre wird dagegen die Auffassung vertreten, dass Investor-Staat-Verträge als beschränkt völkerrechtliche Verträge angesehen werden können, vgl. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner, 187 ff. Dies gelte vor allem dann, wenn der Vertrag eine Stabilisierungs- oder eine Internationalisierungsklausel enthalte. Demnach wolle sich der Staat völkerrechtlich binden und dem privaten Vertragspartner Völkerrechtssubjektivität verleihen. Diese Ansicht liefe jedoch wieder auf eine partielle Völkerrechtsfähigkeit des privaten Investors hinaus. Die Lehre vom beschränkt völkerrechtlichen Vertrag war, insbesondere im Hinblick auf die gegenteilige Aussage des StIGH im Serbian Loans-Fall, seit jeher umstritten, vgl. Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 16 Rn. 98. Gegen einen Willen der Staaten, Investitionsverträgen völkerrechtlichen Status zuzuerkennen, spricht auch der Abschluss von Investitionsschutzabkommen unter Einschluss von Abschirmklauseln (umbrella clauses), durch die gerade erst bewirkt werden soll, privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Staat und Investor dem völkerrechtlichen Schutzregime des Investitionsschutzabkommens zu unterstellen, vgl. Markert, Streitschlichtungsklauseln, 35. 102
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dessen innerstaatliches Recht oftmals als das materiell anwendbare Recht vereinbart wird, 104 nachträglich die Rechtslage einseitig zum Nachteil des Investors abändern kann.105 b) Stabilisierungs- und Internationalisierungsklauseln Die Rechtsposition des Investors ist somit grundsätzlich dadurch gefährdet, dass während der – sich oftmals über mehrere Jahre erstreckenden – Dauer des Projekts die getroffenen Absprachen der Rechtsordnung des Gastgeberstaates unterliegen und die Gefahr einer einseitigen nachträglichen Abänderung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch den Gastgeberstaat besteht. Für den ausländischen Investor spielt jedoch gerade die Frage der langfristigen Sicherung der getroffenen Absprachen und des Schutzes seiner Investition vor nachträglichen hoheitlichen – insbesondere legislativen – Eingriffen durch den Gastgeberstaat eine bedeutende Rolle. Um die im Interesse des ausländischen Investors liegende Stabilität und Kontinuität von Investitionsverträgen zu sichern, hat die Praxis daher sogenannte Stabilisierungs- und Internationalisierungsklauseln entwickelt. Dabei sind die rechtliche Wirkung und Einordnung derartiger Stabilisierungs- und Internationalisierungsklauseln seit jeher Gegenstand kontroverser Diskussionen. 106 Stabilisierungsklauseln werden mit dem Ziel verwendet, die Rechtsordnung des Investitionsstaates zugunsten des Investors „einzufrieren“ und diesen dadurch vor etwaigen negativen Folgen für seine Rechtsposition durch Ein weiterer Vorschlag möchte diese Verträge dem „transnationalen Recht“ unterstellen. Die Anerkennung dieser Rechtsordnung sowie ihr Regelungsgehalt ist jedoch uns icher. Darüber hinaus bindet ein zwischen nationalem Recht und Völkerrecht schwebender Vertrag die Entscheidungsfreiheit des Gaststaates nicht, und dessen Verletzung durch den Gaststaat stellt zudem kein völkerrechtliches Delikt dar. Der Gaststaat könnte somit nicht effektiv daran gehindert werden, sich seinen Pflichten zu entziehen, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrechts, § 21 Rn. 2; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 16 Rn. 89. 104 Böckstiegel, SchiedsVZ 2012, 113 (119). 105 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 252; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 29; Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 2. 106 Vgl. hierzu u.a. Greenwood, State Contracts in International Law – The Libyan Oil Arbitrations, 52 BYIL 1982, 27 ff.; Tschanz, The Contributions of the Aminoil Award to the Law of State Contracts, 18 IntLaw 1984, 245 ff.; Lowenfeld, International Economic Law, 496 ff.; Paasivirta, Internationalization and Stabilization of Contracts versus State Sovereignty, 60 BYIL 1989, 315 ff.; Merkt, Investitionsschutz durch Stabilisierungsklauseln, passim; Delaume, The Proper Law of State Contracts Revisited, 12 ICSID Review - FILJ 1997, 1 ff.; von Walter, Arbitration on Oil Concession Disputes, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 24 ff., 42 ff.; Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 14 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 21 Rn. 3.
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nachträgliche Änderungen der Rechtssituation zu schützen. 107 Dennoch ist allgemein anerkannt, dass sich ein Staat durch privatrechtliche Vereinbarung mit einem privaten Investor nicht seiner Rechtssetzungsbefugnisse entledigt,108 weshalb derartige Klauseln oftmals letztlich als Entschädigungsklauseln für den Fall der nachteiligen nachträglichen Änderung angesehen werden.109 Internationalisierungsklauseln, welche den Investitionsvertrag zusätzlich zum nationalen Recht dem Völkerrecht unterstellen, sollen demgegenüber eine Internationalisierung des Rechtsverhältnisses bewirken. 110 Die vertretenen Auffassungen über die rechtlichen Auswirkungen von Internationalisierungsklauseln gehen indes weit auseinander. 111 So wird die Anwendbarkeit von Völkerrecht auf privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Staat und Investor teilweise verneint,112 während nach ande107
Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 12; Brownlie, Principles, 550; Ohler, Concessions, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 27; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 27; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 29 f.; generell Merkt, Investitionsschutz durch Stabilisierungsklauseln, passim. Vgl. hierzu auch § 9 II 2. 108 Zumal derartige Klauseln wiederum selbst dem nationalen Recht (in der Regel des Gaststaats) unterliegen und insofern nicht mehr wert sind als die prinzipielle Vertragstreue des staatlichen Vertragspartners, Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 16 Rn. 90. Aus diesem Grund wird von Investorenseite oftmals eine gleichzeitige Internationalisierung des Vertrages angestrebt, vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 31; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 16 Rn. 90; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 21 Rn. 2. 109 Vgl. hierzu Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 12; Ohler, Concessions, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 27; von Walter, Arbitration on Oil Concession Disputes, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 42; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 75. Vgl. hierzu auch den Schiedsspruch im Aminoil-Fall, Award in the Matter of an Arbitration between Kuwait and the American Independent Oil Co (Aminoil), (Arbitration Tribunal), 24 March 1982, 21 ILM 1982, 976. 110 Vgl. Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 14; Ohler, Concessions, in: Wolfrum (Hrsg.); MPEPIL, Rn. 26; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 31. 111 Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 14. 112 Rengeling, Privatvölkerrechtliche Verträge, 192; Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor, 104; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 344; Dolzer, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, VI, Rn. 490; Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 2. Vgl. auch StIGH, Case concerning the Payment of Various Serbian Loans issued in France, PCIJ, Series A, No. 14, 41: „Any contract which is not a contract between States in their capacity of subjects of international law is based on the municipal law of some country.“ Hierzu Wälde, The Serbian Loans Case: A Precedent for Investment
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rer Auffassung die Vertragsbeziehungen der Vertragsparteien dem Völkerrecht zu unterstellen sind. 113 Eine vermittelnde Auffassung ist die des beschränkt völkerrechtlichen Vertrags, 114 derzufolge die Qualifizierung einer Vereinbarung zwischen einem Staat und einem ausländischen Investor als völkerrechtlich von dem Vorliegen weiterer Umstände abhängt, wie etwa dem Tätigwerden einer zum völkerrechtlichen Vertragsschluss befugten staatlichen Stelle, sowie der Einbeziehung spezifischer staatlicher Rechte und Pflichten in den Vertrag. 115 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so soll dem Investor nach dieser Auffassung eine von der Völkerrechtspersönlichkeit des staatlichen Vertragspartners abgeleitete, funktional aber auf das konkrete Vertragsverhältnis beschränkte Völkerrechtssubjektivität zustehen, 116 wodurch auch die vertraglichen Verpflichtungen völkerrechtlichen Charakter erhalten sollen.117 Dem wird jedoch zu Recht entgegengehalten, dass der Grundsatz der Privatautonomie beziehungsweise der Vertragsfreiheit den Vertragsparteien zwar die Möglichkeit einräumt, je nach Bedürfnis verschiedenartige Klauseln, wie z.B. Internationalisierungsklauseln, in ihren Vertrag aufzunehmen. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass sich dadurch die Rechtsnatur des Vertrages ändert oder der private Vertragspartner dadurch zum Völkerrechtssubjekt aufgewertet wird.118 Vereinbarungen zwischen Staat und Investor sind daher als privatrechtliche Verträge anzusehen, welche dem Recht des Staates unterliegen, zu dem die engste Verbindung besteht. 119 Dies wird oftmals das natio-
Treaty Protection for Foreign Debt?, in: Weiler (Hrsg.), International Investment Law and Arbitration, 2005, 383 ff. 113 Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 45; Borchers, Verträge von Staaten mit ausländischen Privatpersonen, 144. 114 Vgl. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 177 ff.; ders., in: Sandrock (Hrsg.), Festschrift Beitzke, 443 (456); Stoll, Rechtsnatur und Bestandsschutz von Vereinbarungen zwischen Staaten und ausländischen privaten Invest oren, RIW 1981, 808 ff.; Fischer, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, 1992, Bd. 1, 715 (720); Ebenroth/Grashoff, RIW 1993, Beil. 3, 1 (4); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2,252: „funktionelle Internationalisierung“. 115 Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 177 ff., 310; Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor, 51 f.; Häde, Der völkerrechtliche Schutz von Direktinvestitionen im Ausland, ArchVR 35 (1995), 181 (189). 116 Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor, 52. 117 Luthra, Rechtsschutz von Direktinvestitionen, 139 f. 118 Delaume, The Proper Law of State Contracts and the Lex Mercatoria: A Reappraisal, 3 ICSID Review - FILJ 1988, 79 (88); Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 15. 119 Vgl. hierzu die Resolution of the Institut de Droit International, Session of Athens 1979, 58-II Ann IDI 193, wonach die vertragliche Abrede zwischen Staat und ausländi-
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nale Recht des Gastgeberstaates sein. Die alleinige Wahl internationalen Rechts oder allgemeiner Rechtsgrundsätze als anwendbares Recht kann darüber hinaus das Problem mit sich bringen, dass die Regelungsdichte etwa im Vergleich zum nationalen Recht zu gering ist und die Regeln nicht spezifisch genug sind, um die komplexen Rechtsfragen, die mit einer Auslandsinvestition einhergehen, befriedigend lösen zu können. 120 c) Praktische Relevanz Gegenwärtig gehen Verwendung und praktische Bedeutung von Stabilisierungs- und Internationalisierungsklauseln zurück, 121 während die Parteien dazu übergehen, ausschließlich nationales Recht als anwendbares Recht zu vereinbaren.122 Demgegenüber gewinnt jedoch die Frage an Relevanz, wie die Verletzung eines Investitionsvertrages im Lichte der Investorenschutzbestimmungen eines Investitionsschutzabkommens zu bewerten ist. In der Praxis der Investitionsschiedsgerichte spielen daher Investitionsverträge, deren Verletzung oftmals den Ausgangspunkt einer Investor-Staat-Streitigkeit bildet, eine wichtige Rolle. Daran schließt sich oftmals die schwierige und im Investitionsrecht besonders umstrittene Frage an, ob und unter welchen Voraussetzungen Ansprüche aufgrund der Verletzung eines nach nationalem Recht zu beurteilenden Investitionsvertrages (sog. „contract claims“) auch scher Privatperson nach dem Recht des Staates zu beurteilen ist, welches die engste Verbindung aufweist. In vielen Fällen führt diese Grundregel zum Recht des Gastgeberstaates. 120 Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 18; Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 3.140; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 31. Insofern empfiehlt es sich, das internationale Recht als anwendbares Recht mit einer nationalen Rechtsordnung zu komb inieren und dem internationalen Recht die Funktion des Korrektivs zukommen zu lassen, vgl. Griebel, ibid.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 21 Rn. 2. Zur Gegenansicht vgl. etwa Pfeiffer, Kontrolle von Organen der Staatengemeinschaft: Internationale Organisationen und ihre Rechtsgeschäfte mit Privaten, 112 (7. These), demzufolge das Völkerrecht mit dem „law of state contracts“ und der ergänzenden Heranziehung allgemeiner Vertragsrechtsprinzipien hierfür ausreichende und geeignete Rechtssätze enthält. 121 Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass in der Praxis diese Form der direkten Übereinkunft zwischen Gastgeberstaaten und ausländischen Investoren seltener wird. Ein Grund hierfür ist, dass wirtschaftliche Großprojekte in der Regel durch von zu diesem Zweck im Gastgeberstaat gegründeten einheimischen Unternehmen durchgeführt werden, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 251. Hinzu kommt, dass selbst bei Aufnahme einer solchen Vertragsklausel die Verletzung der investitionsvertraglichen Zusicherungen oftmals auch eine Verletzung eines völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens darstellt, wobei die prozessuale Durchsetzung vor einem Investitionsschiedsgericht im Zweifel höhere Aussicht auf Erfolg verspricht als ein Vorgehen vor den Gerichten des Gaststaates, vgl. Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 28. Vgl. hierzu unten § 3. 122 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 16 Rn. 94.
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eine Verletzung (und somit einen Anspruch auf der Basis) des Investitionsschutzabkommens auslösen können (sog. „treaty claims“).123 Zwar handelt es sich bei Investitionsschutzabkommen und Investitionsverträgen um getrennte Rechtsinstrumente, die unterschiedlichen Rechtsebenen zugewiesen sind. Diese Trennung kann jedoch dadurch überbrückt werden, dass das betreffende Investitionsschutzabkommen eine sog. „umbrella clause“ (auch Schirmoder pacta sunt servanda-Klausel) als materiellen Schutzstandard umfasst, 124 wodurch der Investitionsvertrag in den Schutzbereich des Abkommens einbezogen wird, mit der Folge, dass die Verletzung der privatrechtlichen Vorschriften des nationalen Rechts letztlich die Verletzung des völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens nach sich ziehen kann. 125
123
Generell zum Verhältnis von (parallelen) Ansprüchen aus Vertrag und Ansprüchen aus Abkommen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Schwebel, On Whether the Beach by a State of a Contract with an Alien is a Breach of International Law, in: International Law at the Time of its Codification, Essays in Honour of Roberto Ago, III, 1987, 401 ff.; Alexandrov, Breaches of Contract and Breaches of Treaty, The Jurisdiction of Treaty-based Arbitration Tribunals to Decide Breach of Contract Claims in SGS v. Pakistan and SGS v. Philippines, 5 Journal of World Investment and Trade 2004, 555 ff.; Cremades/Cairns, Contract and Treaty Claims and Choice of Forum in Foreign Investment Disputes, in: Horn/Kröll (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes – Procedural and Substantive Legal Aspects, 325 ff.; Shany, Contract Claims v. Treaty Claims: Mapping Conflicts between ICSID Decisions on Multisourced Investment Claims, 99 AJIL 2005, 835 ff.; Lemaire, Treaty Claims et Contract Claims: la compétence du CIRDI à l‟epreuve de la dualité de l‟Etat, Revue de l‟arbitrage, 2006, 353 ff.; Crawford, Treaty and Contract in Investment Arbitration, Arbitration International 2008, 351 ff.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 98 ff. 124 Vgl. hierzu etwa Griebel, Internationales Investitionsrecht, 84 ff.; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 153 ff.; Schramke, Umbrella Clauses in Bilateralen Investitionsschutzabkommen, SchiedsVZ 2006, 249 ff.; Wälde, The „Umbrella“ Clause in Investment Arbitration, 8 Journal of World Investment and Trade 2005, 183 ff.; hierzu auch unten II. 125 Dieselbe Wirkung können auch in Investitionsschutzabkommen enthaltene weite Streitbeilegungsklauseln haben, durch die alle Streitigkeiten zwischen Gaststaat und Investor im Zusammenhang mit einer Investition im Gaststaat erfasst werden, vgl. hierzu Griebel, Internationales Investitionsrecht, 83 f., 89 ff. Ein weitere Möglichkeit, die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen des Staates gegenüber dem Investor dem Schutz des Invest itionsschutzabkommens zu unterstellen, besteht darin, die vertraglichen Verpflichtungen über den Schutz legitimer Investorenerwartungen als Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment zu behandeln, vgl. hierzu unten § 9 II 2 b cc.
§ 2 Rechtsquellen und Struktur
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6. Weitere Quellen a) Europäischer Investitionsschutz Der EG-Vertrag und nunmehr der AEUV enthielt bzw. enthält keine spezifischen Bestimmungen zum Investitionsschutz. 126 Das Binnenmarktkonzept und drei der primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten (Niederlassungs -, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit) schützen jedoch Investoren aus anderen Mitgliedstaaten. Die darin enthaltenen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote betreffen sowohl den Marktzugang als auch den Bestandsschutz abgeschlossener Investitionen. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde zudem die Kompetenz für den Bereich der ausländischen Direktinvestitionen von den Mitgliedstaaten auf die EU übertragen.127 Im Bereich der Investitionspolitik mit Drittstaaten verleiht der Lissabonner Vertrag der EU nunmehr explizit eigene Kompetenzen. Mit diesen neuen Kompetenzen in Art. 207 AEUV, welche auch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf dem Gebiet ausländischer Direktinvestitionen umfassen, erfährt die Europäische Union eine Erweiterung ihrer Gemeinsamen Handelspolitik; die EU ist hierdurch insbesondere in der Lage, mit Drittstaaten Investitionsschutz- und Wirtschaftsabkommen zu schließen, wodurch sie künftig zu einem weiteren Akteur auf diesem Gebiet wird.128 Auch wenn der europäische Investitionsschutz sich somit noch in den Anfängen befindet, ist zu erwarten, dass künftig die Bedeutung der EU und des Europarechts im Bereich des internationalen Investitionsrechts tendenziell zunehmen wird. b) Soft Law Für rechtliche Instrumente in der Grauzone zwischen unverbindlicher Proklamation und rechtsverbindlicher Festlegung, wie etwa Verlautbarungen von Konferenzen und Organisationen, ist der Begriff „soft law“ geprägt wor126
Zum sonstigen europarechtlichen Investitionsschutz durch Eigentumsschutz vgl. Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 39 ff. 127 Zu den vielfältigen Konsequenzen vgl. z.B. Bungenberg/Hindelang/Griebel (Hrsg.), Internationaler Investitionsschutz und Europarecht, passim; Dimopoulos, 11 Journal of World Investment and Trade 2010, 5 ff.; Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 1 ff. 128 Inwiefern diese Abkommen als gemischte Abkommen oder alleine durch die EU abgeschlossen werden können, ist Gegenstand einer lebhaften Debatte. Vgl. hierzu Bungenberg/Hindelang/Griebel (Hrsg.), Internationaler Investitionsschutz und Europarecht, insb. 81 ff. und 99 ff.; hierzu im Überblick Kern, EuR 2012, 256 ff. Zu klären ist dabei der Umgang mit den über 1500 BITs, welche die Mitgliedstaaten untereinander oder mit Drittstaaten abgeschlossen haben – immerhin mehr als 50 Prozent aller weltweit abgeschlossenen Verträge in diesem Bereich.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
den.129 In diesem weiteren Sinne zu den völkervertraglichen Elementen des Investitionsschutzes zu zählen und für letzteren von Bedeutung sind einige von internationalen Organisationen wie der UNO, der Weltbank sowie der OECD verabschiedete Verhaltenskodizes, die neben den Pflichten des Gastgeberstaates auch insbesondere Verhaltenspflichten von multinationalen Unternehmen bzw. von Investoren regeln. 130 Hierbei handelt es sich allesamt um rechtlich unverbindliche Empfehlungen; 131 völkerrechtlich verbindliche Investorenpflichten existieren bislang nicht. 132
129 Vgl. hierzu z.B. Seidl-Hohenfeldern, International Economic Law, 42 ff.; ders., International Economic „Soft Law“, 163 RdC 1979, 165 ff.; Herdegen, Völkerrecht, 152; Nowrot, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 77 ff.; Thürer, EPIL IV, 452 ff.; Hilgenberg, A Fresh Look at Soft Law, 10 EJIL 1999, 499 ff.; kritisch hierzu Weil, Vers une normativité relative en droit international, 86 RGDIP 1982, 5 ff.; kritisch Klabbers, The Undesirability of Soft Law, 67 NordJIL 1998, 38 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 420: „Dieser Begriff [soft law] ist unglücklich, weil er den Eindruck erweckt, als ob Völkerrechtsnormen unterschiedliche Grade von Verbindlichkeit aufweisen können. ‚Soft Law„ ist aber gerade kein VR i.S. der herkömmlichen Quellenlehre.“ „Soft Law“ bezeichnet demnach Rechtserscheinungen, welche auf eine moralische Verpflichtung abzielen und rechtlich unverbindlich und daher „weichen“ Charakters sind, vgl. auch Shaw, International Law, 117: „„Soft Law„ is not law.“ Bedeutung haben diese Verlautbarungen vor allem in den Bereichen der internationalen Menschenrechte, des internationalen Umweltschutzes und des internationalen Wirtschaftsrechts. Der Begriff wird in erster Linie zur Bezeichnung von Verhaltensstandards (sog. codes of conduct) herangezogen, die nach der Vorstellung internationaler Organisationen oder Staatenkonf erenzen einer guten Übung entsprechen, wie etwa Empfehlungen der UN-Generalversammlung nach Art. 10 UN-Charta oder andere unverbindliche Erklärungen internationaler Organisationen. 130 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 19; Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 582 ff.; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 233; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 33 f.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 22; generell Reinisch/Bjorklund (Hrsg.), International Investment Law and Soft Law, passim. Hierzu gehören die Richtlinien der Weltbank über die Behandlung von ausländischen Direktinvestitionen aus dem Jahr 1992 und die im Jahr 2000 überarbeiteten OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen von 1976, vgl. Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 275 ff. Weiter von Bedeutung sind zwei Kodizes der OECD über die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungshandels (Code of Liberalisation of Current Invisible Operations) und über die Liberalisierung des Kapitalverkehrs (Code of Liberalisation of Capital Movements). Diese Kodizes sind zwar kein Völkervertragsrecht, sondern lediglich Beschlüsse des OECD-Ministerrates, befassen sich aber im Kern mit dem Abbau von Handels- und Kapitaltransferbeschränkungen, vgl. Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 19. 131 Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 583; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 229, 233. 132 Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 583.
§ 2 Rechtsquellen und Struktur
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III. Struktur und Inhalt bilateraler Investitionsschutzabkommen Trotz der großen Zahl an Investitionsschutzverträgen sind diese ähnlich strukturiert und enthalten vergleichbare Standards zum Schutz ausländischer Investoren und deren Investitionen, wobei die jeweiligen Formulierungen in der Regel nur leicht voneinander abweichen. 133 Ein Grund mag sein, dass die meisten Abkommen auf der Grundlage von Modellabkommen bzw. Musterverträgen, die sich ihrerseits in Struktur und Inhalt ähneln, ausgehandelt werden.134 Der Aufbau von Investitionsschutzverträgen lässt sich grob in Präambel, Bestimmung des Anwendungsbereichs, materielle Schutzbestimmungen und Streitbeilegungsklauseln unterteilen.135 Der sachliche und persönliche Anwendungsbereich bilateraler Investitionsschutzverträge setzt regelmäßig die „Investition“ eines „Investors“ voraus. 136 Bilaterale Investitionsschutzverträge schützen Investoren aus einem der bei133
Vgl. hierzu Schill, Multilateralization, 364, 372: „BITs establish a largely uniform regime for the protection of foreign investment that is based on identical principles independent from the specific bilateral treaty relationship in question. […] Instead of understanding [BITs] as contract-like quid pro quo bargains, they should be viewed as instruments establishing uniform principles for the protection of foreign investment“; ders., 15 Cardozo Journal of International and Comparative Law 2007, 73 (84); Dugan/Wallace/ Rubens/Sabahi, Investor-State Arbitration, 52; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 61; Muchlinski, Policy Issues, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 3 (19 ff.); Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 65; Commission, 24 Journal of International Arbitration 2007, 129 (141); McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 2.05: „BITs tend to resemble each other in their form and content“; Salacuse, Towards a Global Treaty, in: Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 51 (61); Lowenfeld, International Economic Law, 555 („remarkably similar“); Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 217: „The structure of different bilateral investment treaties has a basic similarity.“ 134 Vgl. etwa den deutschen Model BIT (2008), den US Model BIT (2004), den französischen Model BIT (2006) und den UK Model BIT (2005). Abgedruckt bei McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Appendix, sowie online zu finden in der BIT-Sammlung von UNCTAD unter . 135 Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 8 ff.; Markert, Streitschlichtungsklauseln, 63 f.; Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 19 ff.; Lowenfeld, International Economic Law, 555 ff.; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 217 ff. 136 Sog. Jurisdiktion ratione materiae bzw. ratione personae. Zur Jurisdiktion ratione temporis gehören dagegen Regelungen zum Inkrafttreten und zur Dauer des Vertrages sowie dessen Anwendbarkeit auf Investitionen, die vor Inkrafttreten getätigt wurden. Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 44 ff., Markert, Streitschlichtungsklauseln in Investitionsschutzabkommen, 64; generell Gallus, The Temporal Scope of Investment Protection Treaties, passim.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
den Vertragsstaaten, dem Heimatstaat, die in dem jeweils anderen Vertragsstaat, dem Gast(geber)staat, eine Investition tätigen. Neuere Verträge erfassen als Investition alle Arten von Vermögenswerten und zählen nur beispielhaft einzelne Investitionsformen auf. 137 Zentraler Bestandteil internationaler Investitionsschutzabkommen sind die materiellen Investorenschutzbestimmungen. 138 Zentral ist das Gebot des fair and equitable treatment, welches die Gaststaaten verpflichtet, ausländische Investoren und/oder deren Investitionen fair und gerecht („fair and equitable“) zu behandeln. 139 Eine weitere oft anzutreffende Verpflichtung ist jene, der Investition vollen Schutz und Sicherheit („full protection and security“) zu gewähren. Ebenfalls von besonderer Bedeutung ist das Verbot entschädigungsloser Enteignung. 140 Danach ist es verboten, ausländische Investitionen zu enteignen oder Maßnahmen mit enteignungsgleicher Wirkung zu unterwerfen, ohne unverzüglich eine angemessene und effektive Entschädigung zu zahlen. Der internationale Investitionsschutz erfasst sowohl direkte wie auch indirekte Formen der Enteignung. Die meisten Investitionsschutzabkommen enthalten auch Diskriminierungsverbote in Form von Klauseln zur Meistbegünstigung und zur Inländer-
137
Vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 des deutschen Model BIT (2008). Üblich ist eine weite Definition des Investitionsbegriffs, gefolgt von einer nicht abschließenden Liste von Regelbeispielen („[…] every kind of asset which is directly invested by investors of one Contracting State in the territory of the other Contracting State: These investments include in particular: […]“). Vgl. zum Investitionsbegriff z.B. Rubins, The Notion of Investment in International Investment Arbitration, in: Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004, 283 ff. Der weite Anwendungsbereich, der vielen, darunter auch den deutschen BITs zugrundeliegt, umfasst nicht nur das klassische Eigentumsrecht und andere dingliche Rechte sowie Anteile und Beteiligungen an Gesellschaften, sondern auch schul drechtliche Ansprüche, Rechte des geistigen Eigentums oder auch öffentlich-rechtliche Konzessionen. Aufgrund der weiten Formulierung wurden auch schon Verträge zum Bau von Infrastruktureinrichtungen, wie z.B. Autobahnen und Häfen, als Investitionen angesehen, vgl. hierzu Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Morocco, ICSID Case No. ARB/00/4, Decision on Jurisdiction, 23.7.2001; Autopista Concessionada de Venezuela CA v. Republic of Venezuela, ICSID Case No. ARB/00/5, Decision on Jurisdiction, 27.9.2001. 138 Vgl. hierzu etwa Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 49 ff.; Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, passim; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 89 ff. 139 Vgl. Art. 2 deutscher Model BIT (2008). Vgl. auch Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 58 ff. 140 Vgl. Art. 4 deutscher Model BIT (2008). Vgl. auch Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 89 ff.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 8; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 76 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 21 f.; Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 97 ff.
§ 2 Rechtsquellen und Struktur
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gleichbehandlung. 141 Zudem enthalten sie regelmäßig Garantien des freien Kapitaltransfers.142 Eine große Zahl von Investitionsschutzabkommen enthält eine Klausel, die den Staat verpflichtet, auch „sonstige Verpflichtungen“ gegenüber den Investoren zu beachten (sog. Schirmklausel, pacta sunt servanda-Klausel bzw. „umbrella clause“).143 Demnach besteht eine völkerrechtliche Pflicht des Gaststaates, privatrechtliche Verpflichtungen, die er gegenüber dem Investor eingegangen ist, einzuhalten. 144 Ein weiteres zentrales Charakteristikum sind die in den Investitionsschutzabkommen enthaltenen prozessualen Schutzbestimmungen in Form von Streitbeilegungsklauseln. 145 Hierfür sind in der Regel zwei Arten von Schiedsverfahren vorgesehen. In der ersten Variante geht es um die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den beiden staatlichen Parteien des Ab-
141
Vgl. Art. 3 deutscher Model BIT (2008). Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 178 ff., 186 ff.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 79 ff.; Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 61 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 18 f.; Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, Rn. 627 ff. Ein viel diskutiertes Problem betrifft dabei den Umfang von Meistbegünstigungsklauseln (MFN-Klauseln). Mit diesen Klauseln soll die Gleichbehandlung ausländischer Investoren mit anderen ausländischen Investoren sichergestellt werden. Eine MFN-Klausel gibt es einem Staat im Kern auf, einem ausländischen Investor auf seinem Staatsgebiet dieselben Begünstigungen zukommen zu lassen, die ein Investor aus einem Drittstaat genießt. Hierdurch soll eine rechtliche Gleichstellung ausländischer Investoren untereinander erreicht werden. Die zentrale Frage betrifft daher die Reichweite der jeweiligen Klauseln, d.h. die Frage, ob und inwieweit über diese Klauseln zugunsten eines Investors auf (günstigere) Rechtspositionen, die andere ausländische Investoren gegenüber demselben Gaststaat genießen, zurückgegriffen werden kann. Da sich die BITs inhaltlich oftmals gleichen, betrifft dies vor allem die Frage, ob durch diese Klauseln neben der Einbeziehung materieller Schutzstandards auch die Einbeziehung prozessualer Rechte möglich ist. Die Rechtsprechung hierzu ist bis heute umstritten. Vgl. hierzu etwa Griebel, Internationales Investitionsrecht, 79. Zu den prozessualen Aspekten der Meistbegünstigung vgl. Schmidt, Prozessuale Meistbegünstigung im völkerrechtlichen Investitionsschutz, passim. 142 Vgl. Art. 5 deutscher Model BIT (2008). Vgl. auch Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 85 ff. 143 Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 153 ff.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 83 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 13; Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 81 ff. 144 Die Verletzung eines zwischen Staat und Investor geschlossenen (Investitions -)Vertrages stellt somit auch eine Verletzung des Investitionsschutzabkommens dar. Zum Investitionsvertrag bzw. Investor-Staat-Vertrag vgl. oben II 5. 145 Vgl. Art. 10 und 11 deutscher Model BIT (2008). Vgl. auch Dolzer/Schreuer, International Investment Law 211 ff.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 92 ff.; Markert, Streitschlichtungsklauseln in Investitionsschutzabkommen, 65; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 23 f.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
kommens, 146 die jedoch in der Praxis eine untergeordnete Rolle spielen. Von weitaus größerer praktischer Bedeutung sind die Bestimmungen zum Investor-Staat-Schiedsverfahren, welche vorsehen, dass die Investoren den Gastgeberstaat wegen der Verletzung der im BIT enthaltenen Schutzbestimmungen vor einem Schiedsgericht verklagen können.147 IV. Zusammenfassung Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das internationale Investitionsrecht als heterogene Materie aus verschiedenen Rechtsquellen besteht, zu denen nationale wie internationale Quellen zählen. Hierzu gehört zunächst der privatrechtlich zu beurteilende Investitionsvertrag, welcher der Investition oftmals zugrunde liegt; dieser richtet sich in der Regel nach dem Recht des Gaststaates. Die Quellen ergeben sich darüber hinaus zu einem wichtigen Teil aus dem internationalen Recht, insbesondere aus bilateralen und regional begrenzten, multilateralen Investitionsschutzabkommen. Die weitaus wichtigste Rechtsquelle, insbesondere was die Festlegung von Investorenschutzstandards betrifft, stellen die internationalen Investitionsschutzabkommen dar. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das weltweite Netz von bilateralen Investitionsschutzabkommen. Deren Zahl ist seit dem Ende des Kalten Krieges auf inzwischen über 2800 stark angewachsen. Zum gegenwärtigen Stand stellt sich der Investitionsschutz daher primär als Geflecht bilateraler Abkommen dar. Daneben existieren regionale und sektorspezifische Abkommen wie etwa das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) oder der Europäische Energiecharta-Vertrag (ECT). Umfassende multilaterale Regelungsversuche wie etwa das ICSID-Übereinkommen, welches prozessuale Fragen der Rechtsdurchsetzung betrifft, sind im Bereich des materiellen Investitionsschutzrechts hingegen wiederholt gescheitert. Auch wenn das Investitionsschutzrecht somit in formeller Hinsicht zersplittert ist, da es sich in einer Vielzahl von Investitionsschutzverträgen wiederfindet, besteht in inhaltlicher Hinsicht dennoch oftmals Übereinstimmung: So sind die Investitionsschutzabkommen auffallend ähnlich strukturiert, und die jeweiligen Formulierungen weichen in der Regel nur leicht voneinander ab. Die Investitionsschutzabkommen verpflichten die Vertragsstaaten, Investoren des jeweils anderen Vertragsstaates und/oder deren Investitionen auf eine 146
Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 122. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 129 f. Da die ersten BITs noch keine Investor-Staat Streitbeilegungsklauseln enthielten, bedurfte es einer zweiten Generation von BITs, welche dem Investor einen direkten Zugang zu einem Streitbeilegungsmechanismus ermöglichte, vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 19. Zur InvestorStaat-Schiedsgerichtsbarkeit vgl. unten § 3 II. 147
§ 3 Investor-Staat-Streitbeilegung
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bestimmte Art und Weise zu behandeln. Inhaltlich ähneln sich moderne Investitionsschutzabkommen sehr, indem sie meist dieselbe Art materieller Schutzstandards und Streitbeilegungsklauseln vorsehen. Hierzu gehören neben der Verpflichtung zu einer fairen und gerechten Behandlung das Verbot der entschädigungslosen Enteignung sowie enteignungsgleicher Maßnahmen, die Pflicht zur Gleichbehandlung mit Inländern und anderen Ausländern (Nichtdiskriminierung und Meistbegünstigung) sowie das Recht, Gewinne zurück in das jeweilige Heimatland des Investors zu transferieren. Die Investoren werden durch derartige zwischenstaatliche Investitionsschutzverträge in der Regel unmittelbar im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter begünstigt.148 Historisch betrachtet stammen einige Grundprinzipien des Investitionsrechts aus dem Fremdenrecht. Dieses regelt als Teil des Völkergewohnheitsrechts die Verhaltenspflichten von Staaten gegenüber Ausländern, wie etwa Fragen des Aufenthaltsrechts, des Eigentumsschutzes sowie des generellen Rechtsschutzes von Ausländern. Während das allgemeine Völkerrecht in Form des Fremdenrechts jedoch nur einen begrenzten Schutz ausländischer Investoren bewirkt, werden durch internationale Investitionsschutzabkommen die Rechtspositionen des Investors erheblich erweitert. Durch die Festschreibung materiellrechtlicher Schutzstandards in Investitionsschutzabkommen wird somit den Defiziten beim Schutz ausländischer Investitionen im völkerrechtlichen Fremdenrecht begegnet. Die zentrale vertragliche Schutzvorschrift ist das Gebot des fair and equitable treatment des Investors und/oder seiner Investition.
§ 3 Investor-Staat-Streitbeilegung
§ 3 Investor-Staat-Streitbeilegung Das folgende Kapitel widmet sich dem prozessualen Rahmen, innerhalb dessen sich in der Praxis die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vollzieht. In diesem Kapitel sollen daher die verschiedenen Formen der InvestorStaat-Streitbeilegung, welche für Investitionsstreitigkeiten in Betracht ko mmen, beleuchtet werden. Ausgehend von den klassischen Streitbeilegungsmechanismen (staatliche Gerichte, diplomatischer Schutz) (I.) werden die Gründe für die Entwicklung und die rechtliche Ausgestaltung des in der Praxis dominierenden Investor-Staat-Schiedsverfahrens (II.), der sog. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, genauer untersucht.
148 Happ, IStR 2006, 649 (650); Court of Appeals (UK), Occidental v. Ecuador, [2005] EWCA Civ 1116, Rn. 18 ff.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
I. Klassische Streitbeilegungsmechanismen für internationale Investitionsstreitigkeiten Ohne die Möglichkeit ihrer Durchsetzung sind die Schutzpositionen des Investors nur von begrenztem Wert. Aus Sicht des Investors sind daher die prozessualen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung.149 Während Investitionsschutzabkommen in der Regel die Möglichkeit der schiedsgerichtlichen Beilegung von Investitionsstreitigkeiten vorsehen, kennt das Völkergewohnheitsrecht keine Möglichkeit für den Investor, den Gastgeberstaat vor einem internationalen (Schieds-)Gericht zu verklagen. In Betracht kommen daher als klassische Streitbeilegungsmechanismen im Bereich des internationalen Investitionsrechts ein Vorgehen des Investors gegen den Gaststaat vor dessen nationalen Gerichten (1.) sowie die Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat des Investors (2.). 1. Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten Der traditionelle Weg zur Lösung von Investitionsstreitigkeiten ist der Gang des ausländischen Investors vor die Gerichte des Gastgeberstaates. 150 Die Nachteile dieses Vorgehens für den Investor liegen indes auf der Hand: Er muss sich in ein für ihn fremdes Forum begeben, 151 dessen Neutralität aus der Sicht manches Investors nicht überall zweifelsfrei gegeben sein mag, zumal Beklagter des Verfahrens der Forumstaat selbst ist. 152 Hinzu kommt die Skepsis mancher Investoren gegenüber der Effizienz des Rechtsschutzes in manchen Gaststaaten. 153 Auch aus diesen Gründen sehen viele Investitionsschutz-
149 Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 109. 150 Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 109; Dugan/Wallace/Rubins/Sabahi, Investor-State Arbitration, 11 ff.; Reinisch/ Malintoppi, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 694. Auch die Geltendmachung diplomatischen Schutzes als einer weiteren, traditionellen Form der Streitbeilegung in internationalen Investitionsstreitigkeiten setzt zunächst die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges voraus (sog. exhaustion of local remedies) und führt somit vor die Gerichte des Gastgeberstaates. Hierzu unten 2. 151 Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 6. 152 Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 214; Füracker, SchiedsVZ 2006, 236 (238); Wegen/Raible, SchiedsVZ 2006, 225 (231); Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 6. 153 Vgl. Wegen/Raible, SchiedsVZ 2006, 225 (231); Sacerdoti, 269 RdC 1997, 251 (290). Zu beachten ist aber auch eine gewisse Skepsis von Staaten, sich einem Streitbeil egungsmechanismus zu unterwerfen, vgl. Paulus, Dispute Resolution, 351 (371).
§ 3 Investor-Staat-Streitbeilegung
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abkommen die Möglichkeit des direkten Zugangs zu internationalen Schiedsgerichten vor.154 Darüber hinaus stehen die staatlichen Gerichte außerhalb des Gaststaates oftmals nicht oder nur bedingt als Forum für internationale Investitionsstreitigkeiten zur Verfügung. Dies kann an verschiedenen Gründen liegen, wie etwa an der fehlenden internationalen Zuständigkeit, der Immunität der Gastgeberstaaten, der act of state-Doktrin oder dem zum Teil mangelnden politischen Willen von Drittstaaten, fremde Hoheitsakte zu beanstanden.155 2. Diplomatischer Schutz Der klassische Streitbeilegungsmechanismus zur Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten ist die Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat des Investors gegenüber dem Gastgeberstaat.156 Mit diplomatischem Schutz bezeichnet man das Recht eines Heimatstaates, zugunsten eigener Staatsangehöriger (natürliche und juristische Personen) auf deren Ersuchen Ansprüche gegenüber dem Aufenthaltsstaat geltend zu machen, die sich aus der Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen über die Behandlung von Ausländern ergeben. 157 Diplomatischer Schutz setzt somit ein völkerrechtswidriges Verhalten des Gaststaates gegenüber einem Angehörigen des schutzgewährenden Staates voraus. 158 Das völkerrechtswidrige Verhalten kann in einer Missachtung des Völkergewohnheitsrechts (z.B. des gewohnheitsrechtlichen Mindeststandards für die Behandlung von Fremden) 154
Reinisch/Malintoppi, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 696 f.; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 3. Hierzu unten II. 155 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 4. Vgl. hierzu den Chile-Kupfer-Streit, LG Hamburg v. 22.1.1973, ILM 12 (1973) 251. 156 Reinisch/Malintoppi, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 712. Allgemein hierzu Ress/Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht: Aktuelle Probleme und Entwicklungstendenzen, passim; Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010; Geck, Diplomatic Protection, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 1045 ff.; ders., Die Ausweitung von Individualrechten durch völkerrechtliche Verträge und der Diplomatische Schutz, Fes tschrift Carstens, Band 1, 1984, 339 ff.; Amerasinghe, Diplomatic Protection, passim; Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, passim. Das Recht zur Gewährung diplomatischen Schutzes ist ein Teil des Völkergewohnheitsrechts, welches der StIGH bereits im Mavrommatis-Fall (StIGH, Mavrommatis Palestine Concessions (Greece v. United Kingdom), PCIJ Reports Series A, No. 2, 12, als grundlegendes Prinzip („elementary principle of international law“) des Völkerrechts beschrieben hat. 157 Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht § 24 Rn. 36; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 561; Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 111. 158 Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 111; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 561.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
liegen159, aber auch in der Nichterfüllung oder Verletzung vertraglicher Verpflichtungen (z.B. aus einem Investitionsschutzabkommen). 160 Die Geltendmachung diplomatischen Schutzes kann durch die Mittel des Protestes, der Retorsion oder durch eine verhältnismäßige Gegenmaßnahme in Form der Repression erfolgen.161 Nach herkömmlicher Auffassung ist der diplomatische Schutz kein Recht des Individuums, sondern ein Recht des Heimatstaates gegenüber dem Aufenthaltsstaat. Der Staat macht demzufolge ein eigenes Recht auf völkerrechtsmäßige Behandlung seines Staatsangehörigen geltend, wenn und soweit er in der Person des Staatsangehörigen verletzt ist. 162 Die Ausübung diplomatischen Schutzes ist indes an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. a) Staatsangehörigkeit Eine Voraussetzung für die Ausübung des diplomatischen Schutzrechts ist die seit der Verletzungshandlung bestehende Staatsangehörigkeit des Heimatstaates (Kontinuitätsprinzip oder continuous nationality rule bzw. continuity of claims rule).163 Zusätzlich muss eine faktische Verbindung bzw. eine „effektive Staatsangehörigkeit“ zum Heimatstaat bestehen (genuine link).164
159 Zum fremdenrechtlichen Mindeststandard vgl. auch oben § 2 II 2 sowie unten § 6 II. Über das klassische Fremdenrecht hinaus gehört heute auch ein Kern grundlegender Me nschenrechte zu denjenigen Rechten, deren Verletzung im Wege des diplomatischen Schutzes geltend gemacht werden können, vgl. Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 204. 160 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 561; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 206. 161 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 23; Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 111. Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahmen war nicht immer Teil des Völkergewohnheitsrechts, wodurch die Gegenmaßnahmen des Staates in der Vergangenheit auch mit militärischen Mitteln durchgesetzt wurden, vgl. Lillich, The Human Rights of Aliens, 10: „To put the matter more bluntly, any injury inflicted upon an alien carried with it the inherent risk that the gunboats of the alien‟s host State might come sailing to avenge him.“ 162 Vgl. hierzu unten c). 163 Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 19 ff.; Duchesne, The Continuous-Nationality-of-Claims Principle: Its Historical Development and Current Relevance to Investor-State Investment Disputes, 36 Geo. Wash. Int'l L. Rev. 2004, 783 ff.; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 210. 164 Vgl. hierzu grundlegend die Entscheidung des IGH im Nottebohm-Fall: IGH, Nottebohm (Liechtenstein v. Guatemala) ICJ Reports 1955, 4 ff. An einer effektiven Staatsangehörigkeit (genuine link) kann es z.B. fehlen, wenn sich die betreffende Person nach ihrer Einbürgerung praktisch nicht im Heimatstaat aufhält und auch sonst keine Anknüpfungspunkte für ein solches Näheverhältnis zwischen der Person und dem Heimatstaat bestehen.
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Bei juristischen Personen kommt es auf deren Staatszugehörigkeit an. 165 Schutzberechtigter Staat ist der Heimatstaat der Gesellschaft. Die Bestimmung der Staatszugehörigkeit wirtschaftlich weit verzweigter transnationaler Unternehmen 166, die oftmals als Investoren auftreten, kann sich schwierig gestalten.167 Hinzu kommt, dass nicht nur der Staat, nach dessen Rechtsvorschriften die Gesellschaft gegründet wurde (sog. Gründungstheorie), Wiedergutmachung verlangen kann, sondern auch der Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. 168 Die Staatszugehörigkeit bestimmt sich demnach nach dem Sitz oder der Inkorporation der Gesellschaft, nicht jedoch nach der Kontrolle durch Anteilseigner (sog. Kontrolltheorie). 169 165
Vgl. hierzu Seidl-Hohenveldern, Der diplomatische Schutz für juristische Personen und Aktionäre, in: Ress/Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völkerrecht, 115 ff.; Muchlinski, The Diplomatic Protection of Foreign Investors in: Binder et al. (Hrsg.), Essays in Honour of Christoph Schreuer, 342 (348 ff.). 166 Zum Begriff vgl. Fischer, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV, 921 ff. 167 Dahm/Delbrück/Wolfrum,Völkerrecht, Bd. I/2, 101 ff.; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 6; Staker, 61 BYIL 1990, 155 ff. 168 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 217; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 571; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 23. 169 Auf die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter oder Anteilseigner kommt es daher grundsätzlich nicht an, weil ansonsten die Staatszugehörigkeit der Gesellschaft sich mit jedem Gesellschafterwechsel ändern könnte und eine Zuordnung erheblich erschweren würde. Daher ist die Kontrolltheorie nicht allgemein anerkannt. Vgl. IGH, Barcelona Traction, ICJ Reports 1970, 3 (42): „The traditional rule attributes the right of diplomatic protection of a corporate entity to the State under the laws of which it is incorporated and in whose territory it has its registered office. These two criteria have been confirmed by long practice and by numerous international agreements.“ Vgl. hierzu auch Stern, La protection diplomatique des investissements internationaux: de Barcelona Traction à Elettronica Sicula ou les glissements progressifs de l‟analyse, 117 Journal du Droit International (Clunet) (1990), 897 ff.; Schreuer, Shareholder Protection in International Investment Law, in: Dupuy et al. (Hrsg.), Festschrift Tomuschat, 601 ff.; Wittich, Barcelona Traction, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff.; Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 31 ff. Dies gilt selbst dann, wenn diese die Gesellschaft aufgrund einer Anteilsmehrheit kontrollieren können. Als Heimatstaat der Gesellschaft gilt somit nicht der Heimatstaat der Aktionäre oder sonstiger Anteilseigner; dieser kann folglich grundsätzlich nicht diplomatischen Schutz ausüben. Eine Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat der beherrschenden Anteilseigner kommt nur dann in Betracht, wenn die Gesellschaft in Auflösung begriffen ist oder sonst jede Handlungsfähigkeit verloren hat oder der Heimatstaat nicht zu diplomatischem Schutz in der Lage ist, vgl. IGH, Barcelona Traction, ICJ Reports 1970, 3 (38). Nach einer jüngeren Entscheidung des IGH im Fall Diallo kann der Heimatstaat der Gesellschafter auch dann diplomatischen Schutz ausüben, wenn der Gaststaat unmittelbar gegen die ausländischen Anteilseigner einer inländischen Gesellschaft vorgeht, etwa indem er in Dividendenansprüche oder Mitwirkungsrechte der Gesellschafter eingreift, vgl. IGH, Case concerning Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of Congo) (Preliminary objections), ILM 46 (2007), 712, Rn. 21. Ein weitergehender Schutz von Anteilseignern
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b) Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges Diplomatischer Schutz setzt weiterhin die vorherige Erschöpfung bestehender Rechtsbehelfe im Gaststaat durch den Einzelnen, hier durch den ausländischen Investor, voraus (sog. „local remedies rule“).170 Damit wird dem Gastgeberstaat die Möglichkeit gegeben, die Völkerrechtsverletzung im Rahmen seines eigenen innerstaatlichen Rechtsschutzsystems zu beheben. 171 Dies gilt jedoch nur, soweit die innerstaatlichen Rechtsbehelfe effektiv und erfolgversprechend sind.172 kommt nur dann in Betracht, wenn deren Rechtsposition aufgrund besonderer vertraglicher Regelung, wie etwa in einem Freundschafts- oder Investitionsschutzvertrag, eigenen Schutz genießt. Zur Ausweitung des Schutzes auf einen amerikanischen Alleinaktionär einer italienischen Aktiengesellschaft gegen angebliche Enteignungsmaßnahmen auf der Grundlage eines FCN-Vertrages zwischen den Vereinigten Staaten und Italien aus dem Jahr 1948 vgl. die Entscheidung des IGH im ELSI-Fall, IGH, Case concerning Elettronica Sicula S.p.A. (ELSI), ICJ Reports 1989, 15 ff. In Investitionsschutzverträgen wird den Anteilseignern über die materiellrechtliche Schutzposition hinaus in der Regel ein eigenes direktes Klagerecht eingeräumt, vgl. oben § 2 II sowie unten III. Mittlerweile hat die International Law Commission im Jahr 2006 einen Entwurf zum Diplomatischen Schutz vorgelegt, vgl. UN-Doc. A/61/10, Report on the work of its fifty-eighth session [1 May to 9 June and 3 July to 11 August 2006], 16 ff.; vgl. hierzu etwa Zieck, Codification of the Law of Diplomatic Protection: the First Eight Draft Articles, 14 Leiden Journal of International Law 2001, 209 ff. Der ILC-Entwurf verweist zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit auf den Gründungsstaat und knüpft nur ausnahmsweise an die Beherrschungsverhältnisse, den Verwaltungssitz und die finanzielle Kontrolle an. Vgl. Art. 9 ILC-Entwurf: „For the purposes of the diplomatic protection of a corporation, the State of nationality means the State under whose law the corporation was incorporated. However, when the corporation is controlled by nationals of another State or States and has no substantial business activities in the State of incorporation, and the seat of management and the financial control of the corporation are both located in another State, that State shall be regarded as the State of nationality.“ 170 Vgl. Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 53 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 941 ff.; Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 111; Herdegen, Diplomatischer Schutz und die Erschöpfung von Rechtsbehelfen, in: Ress/Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völkerrecht, 63 ff.; generell zur Rechtswegerschöpfung Amerasinghe, Local Remedies in International Law, passim. 171 Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn. 39 ff. m.w.N. Vgl. hierzu IGH, Interhandel Case, ICJ Reports 1959, 6 (27): „The rule that local remedies must be exhausted before international proceedings may be instituted is a well-established rule of customary international law […]. Before resort may be had to an international court in such a situation, it has been considered necessary that the State where the violation occurred should have an opportunity to redress it by its own means, within the framework of its own domestic legal system.“ 172 Vgl. Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 68. Vgl. auch die Entscheidung im Fall Ambietelos Arbitration (Greece v United Kingdom), ILR 23 [1956], 306: „[T]he existence of remedies which are obviously ineffective is held
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c) Rechtsfolge im Ermessen des Heimatstaates Die Ausübung diplomatischen Schutzes liegt im Ermessen des Heimatstaates,173 ein völkerrechtlicher Anspruch des Staatsangehörigen gegen seinen Heimatstaat auf Ausübung diplomatischen Schutzes besteht demnach regelmäßig nicht.174 Dies bedeutet, dass der Heimatstaat selbst bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen von der Ausübung diplomatischen Schutzes Abstand nehmen kann, wenn dem politische Erwägungen entgegenstehen, etwa weil die Ausübung des diplomatischen Schutzes als Belastung der zwischenstaatlichen Beziehungen angesehen wird. 175 Insgesamt lässt sich beobachten, dass die Bereitschaft von Staaten, diplomatischen Schutz durch Gerichtsverfahren zu gewähren, kontinuierlich abgenommen hat. 176 Umstritten ist, ob ein Staat mit dem diplomatischen Schutz ausschließlich einen eigenen Anspruch oder zumindest auch einen Anspruch seines Staatsangehörigen (im Wege der Prozessstandschaft) geltend macht. Die wohl herrschende Meinung geht von dem alleinigen Anspruch des Heimatstaates aus.177 Hieraus folgt die Auffassung, wonach der Einzelne nicht auf diplomanot be sufficient justify the application of the rule. Remedies which could not rectify the situation cannot be relied upon by the defendant State as precluding an international action.“ Bei Aussichtslosigkeit der innerstaatlichen Rechtsbehelfe ergeben sich somit Einschränkungen des vorgenannten Grundsatzes. Entscheidend ist somit der Gedanke der Zumutbarkeit innerstaatlicher Rechtsbehelfe. 173 IGH, Barcelona Traction, ICJ Reports 1970, 3 (44): „The State must be viewed as the sole judge to decide whether its protection will be granted, and when it will cease. It retains in this respect a discretionary power the exercise of which may be determined by considerations of a political or other nature, unrelated to the particular case.“ 174 IGH, Barcelona Traction, ICJ Reports 1970, 3 (44). Vgl. auch Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, 11 ff.; Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 13, 68; Reinisch/Malintoppi, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 713; Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 113; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 211; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 20. 175 Vgl. Klein, Anspruch auf diplomatischen Schutz?, in: Ress/Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völkerrecht, 125 ff. 176 Griebel, Internationales Investitionsrecht, 23. 177 Vgl. Hailbronner/Gogolin, Aliens, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 25; Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rn. 114; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 10; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 211; Amerasinghe, Local Remedies in International Law, 45; Douglas, 47 BYIL 2003, 152 (164 ff., 167); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 563; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 5; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 21. Zuvor schon Vattel, Le droit des gens, 309; Borchard, The Diplomatic Protection of Citizens Abroad, 354. Diese Sichtweise stützt sich insbesondere auf die bisherige Rechtsprechung und Staatenpraxis. Vgl. hierzu StIGH, Mavrommatis, Urteil v. 30.8.1924, PCIJ Ser. A, Nr. 2, 12: „It is an elementary principle of international law that a
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tischen Schutz verzichten kann, da der Staat Rechtsinhaber ist und dem Einzelnen somit die Verfügungsberechtigung fehlt. 178 Sollte der Heimatstaat im Rahmen seines Ermessens die Ausübung diplomatischen Schutzes in Betracht ziehen, so kann dies u.a. durch internationale (schieds)gerichtliche Geltendmachung erfolgen. Dies setzt jedoch als weitere Hürde die Zuständigkeit des jeweiligen internationalen (Schieds-)Gerichts voraus. Hier zeigt die Erfahrung, dass die Zuständigkeit des IGH oftmals deshalb nicht gegeben ist, weil es an einer entsprechenden Unterwerfung unter seine Gerichtsbarkeit i.S.v. Art. 36 IGH-Statut fehlt. So hat der IGH in
State is entitled to protect its subjects, when injured by acts contrary to international law committed by another State, from whom they have been unable to obtain satisfaction through the ordinary channels. By taking up the case of one of its subjects and by resorting to diplomatic action or international judicial proceedings on his behalf, a State is in reality asserting its own rights – its right to ensure, in the person of its subjects, respect for the rules of international law.“ Ähnliche Feststellungen finden sich in den Entscheidungen zu den Fällen Panevezys-Saldutiskis, (PCIJ Ser. A/B No. 75 (1939), 56), Nottebohm (ICJ Reports 1955, 4) und Barcelona Traction (ICJ Reports 1970, 3, 45). 178 Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, III, Rn. 115; Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn. 113; Stein/ von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 563 f.; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 208. Generell zur Rechtsträgerschaft des Individuums bereits Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 20: „Der Einzelne ist vom Standpunkte einer die Staaten als solche verbindenden Rechtsgemeinschaft unfähig, Träger eigener, von der Rechtsordnung dieser Gemeinschaft ausgehenden Rechte und Pflichten zu sein.“ In dieser dualistischen Auffassung betrifft das Völkerrecht das Verhältnis von Staaten untereinander, während das internationale Privatrecht die Beziehungen zwischen den Individuen regelt, vgl. Jayme, Internationales Privatrecht und Völkerrecht, 3; ders., Völkerrecht und Internationales Privatrecht – eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, 23 (33). Die Gegenauffassung zum diplomatischen Schutz verweist demgegenüber darauf, dass die Tatsache, dass der Staatsangehörige auf den Bestand und den Umfang seines Anspruchs einwirken könne, dafür spreche, dass dem diplomatischen Schutz jedenfalls auch ein Anspruch des einzelnen Staatsangehörigen stehe, vgl. Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 14 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 564; Hobe, Völkerrecht, 169; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 25; Doehring, Völkerrecht, Rn. 870. Die International Law Commission hat jedoch in ihrem Entwurf über die Grundsätze des diplomatischen Schutzes an der hergebrachten Auffassung zur Mediatisierung des Individuums durch seinen Staat festgehalten. Dessen Art. 1 lautet: „Diplomatic Protection consists of resort to diplomatic action or other means of peaceful settlement by a State adopting in its own right the cause of its national in r espect of an injury to that national arising from an internationally wrongful act of another State.“ Zur Diskussion dieser Frage im Rahmen der Erstellung der Draft Articles on Diplomatic Protection durch die International Law Commission vgl. Kettemann, Investitionsschutzrecht als Inspirationsquelle: Ein Beitrag zur Debatte um die Stellung des Individuums im Völkerrecht, in: Knahr/Reinisch (Hrsg.), Aktuelle Probleme und Entwicklungen im internationalen Investitionsschutzrecht, 105 (119 ff.).
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den investitionsrechtlich relevanten Fällen Nottebohm179, Anglo-Iranian Oil Co.180 und Barcelona Traction181 seine Zuständigkeit verneint. 182 3. Zwischenergebnis Das völkerrechtliche Fremdenrecht enthält keine Möglichkeit für den ausländischen Investor, bei Rechtsverletzungen durch den Gaststaat im Wege eines internationalen Streitentscheidungsmechanismus direkt gegen den Gaststaat vorzugehen. 183 Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten ist für ausländische Investoren, was deren Skepsis hinsichtlich der Neutralität der Gerichte des Gaststaates sowie die Möglichkeit des Zugangs zu drittstaatlichen Gerichten betrifft, mit pote ntiellen Nachteilen behaftet. Somit ist der Investor auf diplomatischen Schutz seines Heimatstaates angewiesen. Dieses Rechtsinstitut des Völkergewohnheitsrechts ist jedoch an hohe Voraussetzungen, darunter die vorherige Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs des Gaststaates, geknüpft, wodurch eine Rechtsdurchsetzung für den Investor langwierig und unsicher erscheint. Zudem liegt die Ausübung diplomatischen Schutzes selbst bei Vorliegen aller Voraussetzungen im (politischen) Ermessen des Heimatstaates des Investors. Ein eigenes, vom Heimatstaat unabhängiges Klagerecht steht dem Investor somit nicht zu. Im Hinblick auf eine mögliche, in der Regel unerwünschte Politisierung des Rechtsstreits bei Eingreifen des Heimatstaates, ist es nicht fernliegend, dass Staaten von der Möglichkeit der Gewährung diplomatischen Schutzes keinen Gebrauch machen. 184 Eine effektive Durchsetzung von Investorenansprüchen 179
IGH, Nottebohm, ICJ Reports 1995, 4 ff. IGH, Anglo-Iranian Oil Co, ICJ Reports 1952, 93 ff. 181 IGH, Barcelona Traction, ICJ Reports 1970, 4 ff. 182 Streitigkeiten mit investitionsrechtlichem Gegenstand, die dagegen den Weg zur Sachentscheidung durch den IGH bzw. StIGH gefunden haben, sind die Fälle ELSI (IGH, Case Concerning Elettronica Sicula S.p.A.(ELSI), ICJ Reports 1989, 15 ff.), Oscar Chinn (StIGH, Oscar Chinn, Urteil v. 12.12.1934, Serie A/B, Nr. 63) und Mavrommatis (StIGH, Mavrommatis, Urteil v. 30.8.1924, Serie A, Nr. 2). 183 Vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 19: „[A]ußerhalb bestehender Vertragswerke [steht] kein internationaler Streitbeilegungsmechanismus zur Verfügung […], über den der Investor im eigenen Namen unmittelbar die Verletzung des Fremdenrechts gegenüber dem Gastgeberstaat geltend machen könnte. […] Dies ist das große Defizit des Völkerrechts […].“ Eine Möglichkeit, dies zu kompensieren, ist die Einräumung eines eigenen Klagerechts etwa durch Investitionsschutzabkommen, hierzu unten II. 184 Schreuer, Investment Protection and International Relations, 345 f.; Newcombe/ Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 6. In der Geschichte wurde der diplomatische Schutz, insbesondere durch Großmächte, nicht selten mit militärischen Zwangsmitteln versucht durchzusetzen („Kanonenboot-Diplomatie“), was auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte, vgl. Oschmann, Calvo-Doktrin, 134 ff.; Newcombe/ 180
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ist auf diesem Weg nur bedingt möglich. 185 Der Verweis auf die Möglichkeit diplomatischen Schutzes ist daher für Investoren, die Investitionen im Ausland getätigt haben, nicht befriedigend.186
Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 8 ff.; Lillich, The Human Rights of Aliens, 10 f. Insofern konnte der diplomatische Schutz auch als Vorwand dienen, mit militärischen Mitteln anderweitige Ziele durchzusetzen. Als Antwort auf diese aggressive Praxis der Großmächte entwickelte sich die Calvo-Doktrin, unter deren Einfluss viele kleinere, vor allem lateinamerikanische Länder dem Rechtsinstitut des diplomatischen Schutzes ablehnend gegenüberstanden, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 24. Ausgehend vom Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, forderte die Calvo-Doktrin, dass ein fremder Staat nicht zugunsten seiner Staatsangehörigen bei einem anderen Staat intervenieren darf, um eine Besserstellung seines Staatsangehörigen gegenüber denjenigen des Gaststaates zu erreichen, vgl. Oschmann, Calvo-Doktrin, 27 f. Betrachtet man die Elemente der Calvo-Doktrin einzeln, so lässt sich diese in drei Hauptaussagen aufteilen: Es gilt das Prinzip der Inländergleichbehandlung, wonach Ausländer nicht besser als Inländer zu stellen sind; die Rechtsstellung von Ausländern folgt allein aus nationalem Recht; für Streitigkeiten mit Ausländern sind die Gerichte des Gaststaates ausschließlich zuständig, vgl. Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 13. Die Aussagen der Calvo-Doktrin umfassen daher sowohl materiellrechtliche wie auch prozessuale Elemente. Während die materiellrechtliche Komponente einen fremdenrechtlichen Mindeststandard zugunsten der Inländergleichbehandlung fordert (hierzu unten § 6 II), lehnt die prozessuale Komponente eine Durchsetzung des Mindeststandards im Wege des diplomatischen Schutzes ab und verweist anstelle dessen auf den nationalen Rechtsweg des Gaststaates. Die Calvo-Doktrin fand zwar insbesondere in Lateinamerika rasch Anklang, konnte sich jedoch in der Staatengemeinschaft nicht durchsetzen, vgl. Oschmann, Calvo-Doktrin, 149 ff., 215 ff., 364; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 25. 185 Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 211 f.; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 7; Schreuer, Investment Protection and International Relations, 345; Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 83: “The main obstacle in the way of diplomatic protection as an effective means for the pr otection of both the person and the property of an alien is the discretionary right of the State to exercise such protection“. 186 Tietje, Grundstrukturen, 5 (8); Griebel, Internationales Investitionsrecht, 24 f.: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das allgemeine Völkerrecht keinen wirklich effektiven Schutz für Investoren bereithält. […] Das völkerrechtliche Fremdenrecht mag zwar Rechtspositionen gewähren, verfügt jedoch über keine Mechanismen der Rechtsdurchsetzung“; Böckstiegel, SchiedsVZ 2012, 113 (115): „Die typische Interessengestaltung hinsichtlich der Streiterledigung führt dabei fast zwangsläufig zur Schiedsgerichtsbarkeit: Die staatliche Partei wird normalerweise nicht bereit sein, sich der Rechtsprechung staatlicher Gerichte in einem anderen Staat zu unterwerfen. Umgekehrt wird die private Partei überwiegend nicht bereit sein, sich der Rechtsprechung der staatlichen Gerichte in dem als Vertragspartner oder Investitionsland auftretenden Staat zu unterwerfen, da man selbst bei Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte doch Interessenkonflikte befürc htet, wenn diese Gerichte über die Interessen des eigenen Staates im Konflikt gegen ausländische Privatunternehmen zu entscheiden haben. Hier bietet die internationale Schiedsge-
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Aufgrund dieser Defizite bedurfte es eines neutralen Streitbeilegungsverfahrens außerhalb des klassischen diplomatischen Schutzes, zu dem der Investor (im Sinne es eigenen, vom Heimatstaat unabhängigen Klagerechts) direkten Zugang hat und in dem sich Investor und Gastgeberstaat als gleichberechtigte Streitparteien gegenüberstehen. Des Weiteren musste es sich um ein Verfahren handeln, welches unabhängig von der nationalen Rechtsordnung des Gastgeberstaates durchgeführt werden konnte. Um einer Politisierung des Rechtstreits vorzubeugen, empfahl es sich weiterhin, eine Einbeziehung des Heimatstaates des Investors in die Streitigkeit zu vermeiden. Um dem zu entsprechen, sehen moderne Investitionsschutzabkommen Klauseln zur schiedsgerichtlichen Streitbeilegung vor, wodurch der Investor bei Verletzung der im Abkommen enthaltenen Schutzstandards direkt und ohne Involvierung seines Heimatstaates den Gaststaat in einem gemischten Investor-Staat-Schiedsverfahren in Anspruch nehmen kann. 187 II. Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Investor-Staat-Schiedsverfahren (Investitionsschiedsverfahren) Die wichtigste Form der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ist die der sogenannten direkten oder gemischten Schiedsgerichtsbarkeit 188 zwischen Staaten und Investoren. Sie hat in der Praxis die vorgenannten klassischen Formen der Streitbeilegung von Investitionsstreitigkeiten weitgehend ersetzt.189 Neben multilateralen Verträgen wie dem Energiecharta-Vertrag oder NAFTA sehen vor allem die meisten der weltweit über 2800 bilateralen Investitionsschutzverträge die Möglichkeit der Investor-Staat-Streitbeilegung, in der Regel durch Schiedsverfahren, vor. Die Investor-Staat-Schiedsgerichtsrichtsbarkeit ein für beide Seiten neutrales Streiterledigungssystem, wobei dann auch normalerweise der Ort des Schiedsgerichts in einen neutralen Staat gelegt wird.“ 187 Vgl. hierzu gleich unten II. Vgl. auch Dugard, Diplomatic Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 82: „Today foreign investment is largely regulated and protected by BITs – numbering over 2000 – and the multilateral Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of other States, which provide for the direct settlement of the investment dispute between the investor and the host State, before either an ad hoc tribunal or an tribunal established by the International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID). These dispute settlement procedures are more advantageous to the foreign investor than diplomatic protection as they give the investor direct access to international arbitration, avoid the uncertainty inherent in the discretionary nature of diplomatic protection, and dispense with the conditions for the exercise of diplomatic protection. This has led the ICJ to declare in Diallo that the role of diplomatic protection has „somewhat faded‟ in respect of the rights of companies and the rights of their shar eholders.“ 188 Zum Begriff vgl. z.B. Collier/Lowe, The Settlement of Disputes in International Law, 59. 189 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 14.
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barkeit soll als Alternative zu den zwischenstaatlichen Formen der Streitbeilegung (diplomatischer Schutz, zwischenstaatliche Gerichts- und Schiedsverfahren) zu einer Entpolitisierung der Streitigkeiten im Wege einer direkten rechtsförmigen Auseinandersetzung zwischen den unmittelbar beteiligten Parteien (Staat und Investor) beitragen.190 1. Entwicklung der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (Investitionsschiedsgerichtsbarkeit) Die Entwicklung der Rechtsdurchsetzung in internationalen Investitionsstreitigkeiten ist mit dem Aufkommen moderner Investitionsschutzabkommen und somit mit dem Aufkommen materieller Schutzstandards eng verbunden. 191 Die Beilegung internationaler Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit geht freilich weiter zurück. 192 Mit dem Jay Treaty von 1794,193 einem FCN-Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Vereinigten Königreich, durch den eine gemischte Schiedskommission eingesetzt wurde, wurde erstmals ein Schiedsverfahren zur Beilegung internationaler Streitigkeiten etabliert. 194 Der Erfolg dieses Streitbeilegungsverfahrens bewirkte, dass im 19. Jahrhundert weitere ähnliche Verträge geschlossen wurden, welche in Anlehnung an den Jay Treaty Schiedsklauseln enthielten. 195 Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als solche fand ihren Durchbruch als anerkannter Streitbeilegungsmechanismus im internationalen System mit
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Shihata, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 1; Dugan/Wallace/Rubens/Sabahi, InvestorState Arbitration. 45; Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 33. 191 Vgl. Markert, Streitschlichtungsklauseln, 52; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 3 ff. Zur Entwicklung materieller Schutzstandards vgl. oben § 2 II 1 u. 2. 192 Zu den verschiedenen Etappen in dieser Entwicklung vgl. Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 12, 13 ff. 193 Treaty of Amity, Commerce and Navigation vom 19.11.1794, 8 Stat 116 (1794). Vgl. hierzu Ziegler, Jay Treaty (1794), in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Rn. 1 ff. 194 Vgl. Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 7; Tietje, Grundstrukturen, 5; ders., Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 9; Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn 13. Aufgrund dieses Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages wurde eine Schiedskommission eingesetzt, die sich neben der Beilegung von Grenzstreitigkeiten u.a. auch mit Schadensersatzansprüchen von Bürgern befasste, vgl. Ziegler, Jay Treaty (1794), in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Rn. 7 ff. Zwar waren die handelnden Parteien noch immer die Staaten, jedoch ist bemerkenswert, dass das Verfahren bereits zu diesem Zeitpunkt unter Einbeziehung privater Ersatzansprüche geschah, vgl. Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn 17. Das Verfahren war auch das erste unter Verwendung einer gemischten Schiedskommission (mixed claims commission), vgl. Dolzer, Mixed Claims Commissions, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2006, Rn. 6; Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 37. 195 Vgl. Tietje, Grundstrukturen, 5.
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der sog. Alabama-Entscheidung von 1872.196 Ein weiterer Markstein waren die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907, 197 die in einem multilateralen Vertrag zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle mündeten, der heute noch in der durch die 2. Haager Friedenskonferenz von 1907 revidierten Fassung in Kraft ist und als Ausgangspunkt einer rechtlich geor dneten internationalen Streitbeilegung dient. 198 FCN-Verträge enthielten in der Folge oftmals zwischenstaatliche Streitbeilegungsklauseln zugunsten des IGH betreffend die Auslegung und Anwendung des Vertrages, sowie in manchen Fällen Streitbeilegungsklauseln, durch die dem ausländischen Investor Zugang zu einem Streitbeilegungsmechanismus ermöglicht wurde. 199 Dabei fällt jedoch auf, dass die internationale Streitbeilegung trotz der bereits im Jay Treaty angelegten Einbeziehung privater Schadensersatzansprüche zunächst noch an der Differenzierung zwischen privater und zwischenstaatlicher Streitbeilegung festhielt. 200 Folglich sahen die FCN-Verträge noch keine Möglichkeit des Investors vor, bei Rechtsverletzungen unmittelbar gegen den Gaststaat vorzugehen. Erst nach den beiden Weltkriegen fanden gemischte Schiedsverfahren verstärkt Aufmerksamkeit.201 Der Abs/Shawcross-Abkommensentwurf von 1959 und der OECD-Abkommensentwurf von 1967 sahen als rein investitionsrechtliche Instrumente erstmals das Recht des ausländischen Investors vor, gegen den Gaststaat ein Schiedsverfahren einzuleiten, 202 auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Verfahrensrechte noch unter dem Niveau moderner Investitionsschutzabkommen lag. 203 Die ersten bilateralen Investitionsschutzabkommen, beginnend mit dem Deutschland-Pakistan BIT von 1959, sahen indes noch keine Klauseln Investor-Staat-Schiedsverfahren, sondern lediglich zwischenstaatliche Schiedsverfahren bei Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten 196
Vgl. hierzu Bingham, Alabama Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff.; Moore, History and Digest of the International Arbitrations, Vol. I, 653 ff.; Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn 19 ff. 197 Vgl. hierzu Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 24 ff. 198 Tietje, Grundstrukturen, 5. 199 Paulus, Treaties of Friendship, Commerce and Navigation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 3, 6, 17 f. Zu FCN-Verträgen vgl. oben § 2 II 1. 200 Vgl. Tietje, Grundstrukturen, 5; Caron, ZaöRV 46 (1986), 465 (472). 201 Zum Aufkommen gemischter Schiedsverfahren, vgl. Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 37 ff. Diese betrafen häufig internationale Investitionsstreitigkeiten, in denen es um Entschädigungsforderungen im Bereich von Konzess ions- und Erdölstreitigkeiten ging, vgl. Brower, Arbitration, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 38. 202 Vgl. Art. 7 Abs. 2 Abs/Shawross-Abkommensentwurf und Art. 7 OECDAbkommensentwurf. 203 Hierzu Markert, Streitschlichtungsklauseln in Investitionsschutzabkommen, 55 ff. Zu diesen Beschränkungen gehören u.a. individuelle Zustimmungserfordernisse des Gaststaats bzw. das Erfordernis der vorherigen Erschöpfung des nationalen Rechtswegs.
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vor. Investor-Staat Schiedsklauseln in BITs fanden sich hingegen erstmals gegen Ende der 1960er Jahre, 204 während eine weite Verbreitung dieser Klauseln erst ab Mitte der 1980er Jahre stattfand. 205 Im Rahmen dieser Abkommen fand somit eine unmittelbare Verbindung von vertraglichen Schutzstandards und deren prozessualer Rechtsdurchsetzung in Form der Investor-StaatGerichtsbarkeit statt. Durch diese Investor-Staat-Schiedsverfahren wurde der diplomatische Schutz als klassische Methode zur Beilegung von Streitigkeiten im internationalen Investitionsrecht abgelöst. Die mit dem diplomatischen Schutz verbundenen Hürden und Unsicherheiten, welche die Rechtsdurchsetzung des Investors erschwert haben, entfallen mit der Rechtsdurchsetzung im Wege des Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit.206 Die unmittelbare Klagemöglichkeit des Investors bewirkt zudem eine Entpolitisierung des Verfahrens, da die Rechtsdurchsetzung unabhängig von politischen Erwägungen des Heimatstaates des Investors erfolgen kann. 207 Inhaltlich ähneln sich moderne Investitionsschutzabkommen, indem sie neben identischen oder vergleichbaren materiellen Schutzstandards oftmals auch keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Streitbeilegungsklauseln aufweisen. 208 Diese Schiedsklauseln enthalten zumeist Verweise auf die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit und/oder die Möglich204 Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 130; Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 64 ff.; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 44 f. 205 Parra, 12 ICSID Review - FILJ 1997, 287 (322); Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 68 ff. 206 Zu beachten ist allerdings, dass sich einzelne Voraussetzungen, welche den diplomatischen Schutz gekennzeichnet haben, z.B. die Erschöpfung des innerstaatlichen Recht sweges (local remedies-Klausel) oder zumindest die Beschreitung desselben für eine bestimmte Mindestzeitspanne (zeitlich befristete local remedies-Klausel), vereinzelt auch in Investor-Staat-Schiedsklauseln wiederfinden, vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 216. Zudem finden sich sog. Gabelungsklauseln (fork in the road clauses), wonach sich der Investor nach seiner Wahl bindend auf einen Rechtsbehelf – Schiedsverfahren oder innerstaatliches Gerichtsverfahren – festlegen muss. Dies hat zur Folge, dass ein Schiedsverfahren unzulässig sein soll, wenn schon ein innerstaatliches Verfahren über denselben Streitgegenstand durchgeführt wurde, vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 216 f.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 96. Andere Voraussetzungen, welche in manchen Schiedsklauseln enthalten sind, betreffen zum Zwecke der Schlichtung vorgeschaltete, in der Regel mit einer Frist versehene Verhandlungsklauseln (sog. „waiting clauses“ bzw. „cooling off periods“), welche vor Einleitung des Schiedsverfahrens zu beachten sind. 207 Schreuer, Investment Protection and International Relations, 345 (346); Braun, Globalisierung und internationales Investitionsrecht, in: Ehlers et al. (Hrsg.), Rechtsfragen internationaler Investitionen, 155 (158 f.). 208 Vgl. z.B. Art. 10 deutscher Model BIT (2008); Art. 24 US Model BIT (2004); Art. 8 UK Model BIT (2005); Art. 1116 NAFTA; Art. 26 ECT.
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keit, ein Schiedsverfahren außerhalb des ICSID einzuleiten.209 Diese beiden Verfahrensvarianten, welche das Verfahren der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit prägen,210 werden in den nachfolgenden Abschnitten (2. und 3.) untersucht. 2. Das System der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit a) Entstehungsgeschichte und institutioneller Rahmen Das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (I nternational Centre for Settlement of Investment Disputes, kurz: ICSID) ist eine im Jahr 1965 im Rahmen der Weltbank geschaffene internationale Organisation mit eigener Völkerrechtspersönlichkeit. 211 Es hat gegenwärtig 147 Mitgliedstaaten, was den globalen Charakter unterstreicht. Rechtsgrundlage ist die ICSID-Konvention. 212 Die Konvention sieht ein Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten aus Investitionen zwischen Staaten und ausländischen Investoren vor, wodurch erstmals ein spezieller Streitbeilegungsmechanismus für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten zwischen privaten ausländischen 209
Erhebungen zufolge finden knapp zwei Drittel aller Investitionsstreitigkeiten als ICSID-Schiedsverfahren statt, wohingegen etwas über einem Drittel aller Verfahren als Schiedsverfahren außerhalb des ICSID durchgeführt werden, vgl. hierzu UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Settlement, IIA Monitor 2008 No. 1, 1 (2), Figure 2. 210 Bis zum Ende des Jahres 2007 wurden 62 Prozent aller Investitionsschiedsverfahren im Rahmen und 38 Prozent außerhalb des ICSID durchgeführt, vgl. UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Dispute Settlement, 2008, 1 f. 211 Pirrung, Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten, 3 ff.; Schwarzenberger, Der Schutz von Auslandsinvestitionen, 69 ff.; Lörcher, Neue Verfahren der Internationalen Streitbeilegung, 160. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Broches, Development of International Law by the International Bank for Reconstruction and Development, ASIL Proc. (1965), 33 (35 ff.); ders., The Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States, 136 RdC 1972-II, 342 ff.; Pirrung, Die Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten, 21 ff.; Ott, Möglichkeiten und Grenzen der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten durch ein Schiedsgericht, 1983, 8 ff.; Schreuer/ Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Preamble, Rn. 2 ff.; Reed/Paulsson/ Blackaby, Guide to ICSID Arbitration, 1 ff.; Shihata, Towards a Greater Depoliticization of Investment Disputes: The Roles of ICSID and MIGA, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 1 (3 ff.); Tietje, Die Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten, 47 (51 f.). 211 In Kraft seit dem 14.10.1966. Der offizielle Titel des Abkommens lautet Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of other States . Der Text der Konvention in englischer Sprache ist zugänglich unter . In deutscher Sprache: Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten, BGBl. 1969 II, 369. 212 Stand: August 2012. Vgl. hierzu die Liste der Mitgliedstaaten auf der Internetseite des ICSID: < http://icsid.worldbank.org/ICSID/Index.jsp>.
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Investoren und Staaten geschaffen wurde, welcher der zunehmenden Bedeutung von Auslandsinvestitionen und der damit einhergehenden Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes Rechnung trägt. 213 Durch das mit eigener Völkerrechtspersönlichkeit ausgestattete International Centre for Settlement of Investment Disputes wurde somit erstmals ein institutioneller Rahmen für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und privaten Investoren geschaffen. Hauptregelungsgegenstand der ICSID-Konvention ist die Bereitstellung eines verfahrensrechtlichen Rahmens für Investitionsstreitigkeiten. Materiellrechtliche Vorschriften zum Schutz von Auslandsinvestitionen enthält das Abkommen hingegen nicht. Die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit stellt somit keinen Spruchkörper dar, sondern bietet als ständige Einrichtung einen besonderen institutionellen Rahmen für die Administrierung und Unterstützung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staat und Investor. 214 213
Dem dient die Schaffung eines Streitbeilegungsmechanismus, da dieser die Rechtssicherheit von Investoren verbessert. Eine effektive und vor allem unparteiische Streitbeilegung ist neben wirtschaftlichen und politischen Faktoren ein besonders wichtiges El ement bei der Tätigung von Auslandsinvestitionen und des Investitionsschutzes, vgl. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 853; ders., ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 3. In diesem Bereich gab es bis zur Schaffung des ICSID erhebliche Lücken, vgl. oben I. Das positivere Investitionsklima kommt durch einen verstärkten Fluss ausländischer Privatinvestitionen indirekt auch den Entwicklungsländern zugute, vgl. Schöbener/Markert, ZVglRWiss 2006, 65. Ein weiterer Aspekt ist die Entpolitisierung von Investitionsstreitigkeiten, indem die Angelegenheit von einer zwischenstaatlich-politischen Ebene auf eine rein rechtliche Ebene verlagert wird, vgl. Shihata, Towards a Greater Depoliticalization of Investment Disputes: The Roles of ICSID and MIGA, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 1 (8). Hierzu trägt bei, dass der Heimatstaat des Investors an dem Streitverfahren nicht beteiligt ist und darüber hinaus die Ausübung diplomatischen Schutzes für die Dauer des Verfahrens ausgeschlossen ist, wovon auch der Gaststaat der Investition profitiert, vgl. Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 8. 214 Vgl. Pirrung, Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten, 3 ff.; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 26; Schwarzenberger, Der Schutz von Auslandsinvestitionen, 69 ff.; Lörcher, Neue Verfahren der Internationalen Streitbeilegung, 160; Paasivirta, 60 BYIL 1989, 315; Escher, RIW 2001, 20. Das ICSID handelt durch seine beiden Organe, den Verwaltungsrat (Art. 4-8), der als Leitungsgremium fungiert, und das Sekretariat (Art. 9-11). Das ICSID ist somit selbst kein Schiedsgericht, sondern eine eigenständige internationale Organisation, die wie eine Schiedsinstitution neben einem eigenen Schiedsverfahrensrecht adminis trativ-institutionelle Unterstützung bei Schiedsverfahren anbietet, Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 18 Rn. 26. Der Verwaltungsrat, der sich aus je einem Vertreter der Vertragsstaaten zusammensetzt (vgl. Art. 4 ICSID-Konvention), überwacht die Tätigkeit des Sekretariats und erlässt die Verfahrensordnungen für die verschi edenen Streitbeilegungsmechanismen innerhalb des ICSID. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates ist ex officio der Präsident der Weltbank, der allerdings im Verwaltungsrat kein
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b) Schiedsverfahren nach der ICSID-Konvention Die ICSID-Konvention selbst enthält Verfahrensvorschriften über das Schiedsverfahren nur in seinen wesentlichen Grundzügen. Ergänzt werden diese Verfahrensvorschriften, welche vornehmlich im zweiten und vierten Kapitel der ICSID-Konvention enthalten sind, durch zusätzliche Verfahrensvorschriften, welche vom Verwaltungsrat erlassen werden. 215 Das zweite Kapitel der ICSID-Konvention (Art. 25-27) betrifft die Zuständigkeit des ICSID. Nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 ICSID-Konvention216 ist Voraussetzung für die Zuständigkeit des ICSID bzw. eines ICSID-Schiedsgerichts217, dass eine unmittelbar218 mit einer Investition219 zusammenhängende Rechtsstreitigkeit 220 zwischen einem Vertragsstaat 221 und einem Ange-
Stimmrecht hat, vgl. Art. 5 ICSID-Konvention. Zu den Aufgaben des Sekretariats, die in erster Linie durch den Generalsekretär wahrgenommen werden, gehören neben der Führung eines Verzeichnisses von Konziliatoren und Schiedsrichtern sowie der summarischen Vorprüfung der Anträge auf Verfahrenseinleitung (vgl. Art. 36 Abs. 3 ICSID-Konvention) und der Registrierung von Klagen auch die administrative Unterstützung der Schiedsgerichte und der Parteien während der Verfahren (vgl. Regulation 27 Administrative and Financial Regulations). 215 Den sogenannten „Rules of Procedure for the Institution of Conciliation and Arbitration Proceedings“ und den „Administrative and Financial Regulations“. Die Kompetenz des Verwaltungsrates ergibt sich aus Art. 6 ICSID-Konvention, vgl. hierzu u.a. Lörcher, SchiedsVZ 2005, 11 (12). Die Änderung und Aktualisierung dieser Regulations liegen in der Hand des Verwaltungsrats, der mit einfacher Mehrheit entscheidet. Demgegenüber bedarf eine Änderung der ICSID-Konvention nach deren Art. 66 der Ratifizierung durch alle Vertragsstaaten. Neben den Regeln zum Schiedsverfahren enthält die ICSID-Konvention auch Vorschriften über ein Vergleichsverfahren, dessen praktische Bedeutung jedoch gering ist, vgl. hierzu Nurick/Schnably, The First ICSID Conciliation: Tesoro Petroleum Corporation v. Trinidad and Tobago, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 340 ff.; Reif, Conciliation as a Mechanism for the Resolution of International Economic and Business Disputes, 14 Fordham International Law Journal 1991, 578 (634 ff.); Ziadé, ICSID Conciliation, News from ICSID, Vol. 13/2, 1996, 3 ff. 216 Art. 25 Abs. 1 S. 1 ICSID-Konvention lautet: „The jurisdiction of the Centre shall extend to any legal dispute arising out of an investment, between a Contracting State (or any constitutent subdivision or agency of a Contracting State designated to the Centre by that State) and a national of another Contracting State, to which the parties to the dispute consent in writing to submit to the Centre.“ 217 Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 14 ff. 218 Zum Unmittelbarkeitserfordernis vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 83 ff. 219 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 113 ff. 220 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 41 ff.
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hörigen eines anderen Vertragsstaats 222 vorliegt und die Parteien schriftlich die Zuständigkeit des ICSID vereinbart223 haben.224 Die Zuständigkeit des ICSID ist somit sowohl in sachlicher Hinsicht (ratione materiae – Vorliegen einer Investition) 225 als auch persönlicher Hinsicht (ratione personae – Inves221 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 211 ff. 222 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 268 ff. Ein Schiedsverfahren kann daher nur dann unter der Ägide der ICSIDKonvention durchgeführt werden, wenn sowohl der Gaststaat der Investition wie auch der Heimatstaat des Investors Mitgliedstaaten des ICSID sind. 223 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 374 ff. 224 Vgl. allgemein zur Zuständigkeit des ICSID Niggemann, Zuständigkeitsprobleme der Weltbankschiedsgerichtsbarkeit im Licht der bisherigen Schiedsverfahren, IPRax 1985, 185 ff.; Lamm, Jurisdiction of the International Centre for Settlement of Investment Disputes, 6 ICSID Review - FILJ 1991, 462 ff.; Hirsch, The Arbitration Mechanism of the International Center for the Settlement of Investment Disputes, 1993, 41 ff.; Schreuer/ Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 1 ff.; Escher, WeltbankSchiedszentrum: Zuständigkeit für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, RIW 2001, 20 ff. 225 Hinsichtlich der Zuständigkeit ratione materiae fällt insbesondere auf, dass der Investitionsbegriff trotz der zentralen Rolle, die ihm im Rahmen der ICSID-Konvention zukommt, bei der Erarbeitung der ICSID-Konvention nicht legaldefiniert wurde, vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 113, 121. Es wird jedoch vertreten, dass aus der Entstehungsgeschichte des ICSID ein allgemeines entwicklungsgeschichtliches Konzept einer Investition abgeleitet werden kann, vgl. Escher, Investitionsschiedsverfahren: Grundstrukturen und aktuelle Herausforderungen, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 35 (39). In Wissenschaft und Schiedspraxis wurde ein Investitionsbegriff mit mehreren prägenden Elementen herausgearbeitet, wonach sich das Vorliegen einer Investition im Rahmen des Art. 25 Abs. 1 der ICSID-Konvention bestimmen soll. Demnach erfordert eine Investition einen nicht unerheblichen Kapitaleinsatz, eine für eine gewisse Zeit eingegangene Risikoübernahme, eine physische Anwesenheit im Zielland sowie einen nicht unerheblichen Beitrag zu dessen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, vgl. Schlemmer-Schulte, The World Bank Guidelines on the Treatment of Foreign Direct Investment, in Bradlow/Escher (Hrsg.), Legal Aspects of Foreign Direct Investment, 87. Der Investitionsbegriff wird in der Rechtsprechung der Schiedsgerichte weit ausgelegt und umfasst neben den mit klassischen Direktinvestitionen in Zusammenhang stehenden Transaktionen wie Konzessions- und Joint Venture-Vereinbarungen auch Anlagenbau-, Lizenz-, Know-how-, und Kreditverträge. Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 148 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung. Zum Investitionsbegriff Rubins, The Notion of “Investment” in International Investment Arbitration, in: Horn/Kröll (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 283 ff.; Dolzer, The Notion of Investment in Recent Practice, in: Law in the Service of Human Dignity, Essays in Honour of Florentino Feliciano, 261 ff.; Legum, Defining Investment and Investor: Who is entitled to Claim?, 22 Arbitration International, 2006, 521 ff.; Ben Hamida, Two Nebulous ICSID Features: The Notion of Investment and the Scope of An-
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toreneigenschaft) beschränkt. Hinsichtlich der personellen Zuständigkeit (ratione personae) ist zu beachten, dass die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit nur für Streitigkeiten zur Verfügung steht, bei denen die eine Partei ein Staat (der Gaststaat) und die andere Partei eine natürliche oder juristische Person eines anderen Staates (des Heimatstaates) ist. 226 Die Bestimmungen der ICSIDKonvention können dabei nur dann Anwendung finden, wenn sowohl der Gaststaat als auch der Heimatstaat Mitglieder der ICSID-Konvention sind. 227 Zusätzlich bedarf es einer schriftlichen Zustimmung (consent) beider Streitparteien, wonach die Streitigkeit der Zuständigkeit des ICSID unterfallen soll.228 Ein entsprechendes Schiedsangebot des Staates (standing offer) ist regelmäßig in der Schiedsklausel des jeweiligen Investitionsschutzabko mmens enthalten, welches der Investor in der Regel durch Schiedsantrag oder Erhebung der Schiedsklage annehmen kann. 229 Ein derartiges Schiedsangebot kann auch in einem nationalen Investitionsgesetz an ausländische Investoren enthalten sein. 230 Eine Schiedsvereinbarung kann auch dem klassischen Monulment Control, 24 Journal of International Arbitration 2007, 287 ff.; Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 113 ff.; Knahr, Investments “in Accordance with Host State Law“, in: Reinisch/Knahr, International Investment Law in Context, 2008, 27 ff.; Krishan, A Notion of ICSID Investment, in: Weiler (Hrsg.), Investment Treaty Arbitration and International Law, 61 ff. 226 Art. 25 ICSID-Konvention. 227 Vgl. Pirrung, Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen, 65 f. Die Staatsangehörigkeit natürlicher und juristischer Personen bestimmt sich primär nach nati onalem Recht. Bei juristischen Personen richtet sich die Staatszugehörigkeit meist nach der Gründung (Inkorporationstheorie) oder nach dem Gesellschaftssitz (Sitztheorie). Oftmals sehen BITs detaillierte Regelungen zur Bestimmung der Staatsangehörigkeit vor. Da die meisten BITs Anteile an Gesellschaften als „Investition“ definieren, stehen nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechungspraxis der Schiedsgerichte ausländischen Anteilseignern von in Gastgeberstaaten inkorporierten Gesellschaften eigenständige Klagerechte zu, vgl. Dolzer/Schreuer, 56, 59. Für Streitigkeiten, bei denen entweder der staatliche Vertragspartner oder der Staat, dem der private Investor angehört, nicht Mitglied der ICSIDKonvention ist, steht seit 1978 die ICSID Additional Facility zur Verfügung. 228 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 374 ff.; Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 28; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 11, 52, 70. Die Ratifikation der Konvention durch Heimat- und Gastgeberstaat alleine reicht hierfür nicht aus. 229 Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 11, 52, 70; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 44. Dieser Form der Annahme und somit des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung zwischen Staat und Investor durch Einleitung eines Schiedsverfahrens kommt in der Praxis die mit Abstand größte Bedeutung zu. Dies führt zu einer Verdopplung der Zulässigkeitsprüfung, da einerseits die Voraussetzungen des BIT und andererseits die des Art. 25 ICSID-Konvention erfüllt sein müssen, vgl. Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 54. 230 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 378, 392 ff.; Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 29; Tietje,
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dell folgend in einem Investitionsvertrag zwischen Investor und Gastgeberstaat enthalten sein. 231 Die beiden letztgenannten Varianten sind in der Praxis jedoch selten anzutreffen. Die bisherigen Investitionsschiedsverfahren basierten weitestgehend auf in bi- und multilateralen Investitionsschutzverträgen enthaltenen Schiedsangeboten der unterzeichnenden Staaten zugunsten von Investoren, die diese durch Einleitung des Schiedsverfahrens konkludent annehmen. 232 Die Entscheidung darüber, ob die Zuständigkeitsvoraussetzungen des Art. 25 ICSID-Konvention erfüllt sind, liegt beim Schiedsgericht selbst, 233 es sei denn, dass sich aus dem Antrag auf Verfahrenseinleitung ergibt, dass die Streitigkeit nicht in die Zuständigkeit des Zentrums fällt. In diesem Fall lehnt der Generalsekretär des ICSID bereits die Registrierung des Antrags ab. 234 Die Zuständigkeit des ICSID ist nach Art. 26 S. 1 ICSID-Konvention ausschließlich. Die Zustimmung der Streitparteien zur ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit gilt als Verzicht auf jeden anderen Rechtsbehelf. 235 Sie schließt andeInternationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 11. Zu nationalen Investitionsgesetzen vgl. oben § 2 II 4 sowie Burgstaller/Waibel, Investment Codes, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2011, 33 ff. 231 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 378, 382 ff.; Broches, 18 YCA 1993, 643 f.; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 11. Zu Investitionsverträgen (Investor-Staat-Verträgen) vgl. oben § 2 II. 5. 232 Vgl. etwa Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 54. Zur Rechtsnatur der Zustimmung vgl. unten § 4. Die Zustimmung erfolgt somit für die meisten Schiedsverfahren auf indirektem Weg. Vgl. zu diesem Phänomen Paulsson, Arbitration Without Privity, 10 ICSID Review - FILJ 1995, 232 ff. Die Zustimmung zur Zuständigkeit des ICSID beinhaltet die Unterwerfung unter alle Vorschriften der ICSID-Konvention der weiteren ICSID-Regelwerke (sog. ICSID rules and regulations), vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 378 ff. 233 Art. 41 Abs. 1 ICSID-Konvention. Vgl. hierzu Sheppard, The Jurisdictional Threshhold of a Prima-Facie Case, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 932 ff. 234 Vgl. Art. 36 Abs. 3 ICSID-Konvention, sog. „screening power“ des Generalsekretärs, Hierzu Parra, The Screening Power of the ICSID Secretary General, News from ICSID, Vol. 2/2 1985, 10; Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 36 Rn. 44 ff. 235 Zur Exklusivität des Verfahrens nach der ICSID-Konvention vgl. Shihata, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 5. Die Exklusivität des ICSID-Verfahrens äußert sich weiterhin dadurch, dass gemäß Art. 52 Abs. 2 ICSID-Konvention ein ICSID-Schiedsspruch, anders als Schiedssprüche in der sonstigen internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, nicht durch staatliche Gerichte überprüft werden und eine Aufhebung nur innerhalb des ICSID-Systems erfolgen kann. Die Exklusivität äußert sich schließlich durch die in Art. 54 auferlegte Pflicht zur Vollstreckung eines ICSID-Schiedsspruchs, der – ohne die sonst in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit mögliche Überprüfung des Schiedsspruchs durch die nationalen Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts – als so bindend anzuerkennen ist, als handle es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines innerstaatlichen Gerichts
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re Streitbeilegungsmethoden, wie den Zugang zu nationalen Gerichten oder die Ausübung des diplomatischen Schutzrechts durch den Heimatstaat, aus. 236 Gemäß Art. 53 ICSID-Konvention unterliegen ICSID-Schiedssprüche keiner Berufung und keinem anderen Rechtsmittel außer jenen, welche im Übereinkommen vorgesehen sind, wodurch der abschließende Charakter des ICSID-Überprüfungssystems verdeutlicht wird. 237 Die Bestimmung der ICSID-Konvention über die Aufhebung von Schiedssprüchen in Art. 52 ist die einzige Möglichkeit, gegen einen Schiedsspruch vorzugehen.238 Eine
eines Vertragsstaates. Einschränkungen der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs können sich dabei allenfalls aus dem Prinzip der staatlichen Vollstreckungsimmunität ergeben, welches durch die ICSID-Konvention nicht berührt wird (vgl. Art. 55). Hierfür kommt es auf die Rechtslage in dem jeweiligen Vollstreckungsstaat an, ob und inwiefern sich ein staatlicher Schuldner auf die Vollstreckungsimmunität berufen kann, vgl. etwa Broches, 18 YCA 1993, 704. So hat sich beispielsweise Liberia im Fall Letco v. Liberia erfolgreich gegen die Pfändung seiner Botschaftskonten in den USA gewehrt. Vgl. hierzu Broches, 18 YCA 1993, 705 f. 236 Letzteres lebt erst dann wieder auf, wenn der Gastgeberstaat einen ICSID-Schiedsspruch nicht befolgt, vgl. Art. 27 ICSID-Konvention. 237 Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 53 Rn. 31; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 28. Die Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch sind in Art. 51 f. geregelt. Es sind dies die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens (Art. 51) sowie auf Aufhebung (Annullierung) des Schiedsspruchs (Art. 52). Wiederaufnahme ist für den Fall vorgesehen, dass neue Tatsachen, welche geeignet sind, den Schiedsspruch entscheidend zu beeinflussen, nach Erlass desselben bekannt werden. Diese Tatsachen müssen dem Schiedsgericht und der beantragenden Partei bei Erlass des Schiedsspruchs unbekannt gewesen sein. Das Nichtwissen der beantragenden Partei darf nicht auf Fahrlässigkeit beruht haben. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Bekanntwerden der Tatsachen, mindestens aber innerhalb von drei Jahren ab Erlass des Schiedsspruchs, zu stellen. Der Antrag ist wie im Falle des Auslegungsantrags dem ursprünglichen Schiedsgericht, welches den Schiedsspruch erlassen hat, vorzulegen. Falls dies nicht mehr möglich ist, muss hierfür ein neues Schiedsgericht zum Zwecke der Auslegung gebildet werden. Zur Frage der Einführung einer Berufungsinstanz siehe unten § 10 III. 238 Beim Bekanntwerden neuer Tatsachen kann auch eine Wiederaufnahme nach Art. 51 in Betracht kommen. Zur Aufhebung von ICSID-Schiedssprüchen vgl. Schlechtriem, Zur Überprüfbarkeit von ICSID-Schiedssprüchen – Die Aufhebungsentscheidung im Fall Klöckner/Kamerun, IPRax 1986, 69 ff.; Seidl-Hohenveldern, Die Aufhebung von ICSIDSchiedssprüchen, Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit 1989, 100 ff.; Niggemann, Die dritte Annullierung eines ICSID-Schiedsspruches, IPRax 1991, 77 ff.; Broches, Die dritte Annullierung eines ICSID-Schiedsspruches – Eine Entgegnung auf F. Niggemann, IPRax 1991, 293 ff.; Williams, International Commercial Arbitration and Globalization, Review and Recourse against Awards Rendered under Investment Treaties, 4 Journal of World Investment 2003, 251 ff.; Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, passim; Bjorklund, The Continuing Appeal of Annulment: Lessons from Amco Asia and CME, in: Weiler (Hrsg.), International Investment Law and Arbitration, 471 ff.;
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
Nichtigerklärung gleich welcher Art durch staatliche Gerichte ist nicht mö glich, was den delokalisierten Charakter der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit unterstreicht. 239 Art. 52 ICSID-Konvention selbst sieht lediglich eine eingeschränkte Überprüfung von ICSID-Schiedssprüchen vor.240 Über die Aufhebung entscheiden spezielle ad hoc-Ausschüsse in einem besonderen internen Aufhebungsverfahren. Die Aufhebung ist nur aus einem der in der Konvention aufgezählten Gründe möglich. 241 Diese Aufhebungsgründe stellen keine Grundlage für eine Bishop, The Case for an Appellate Panel and its Scope of Review, in: Ortino/Sheppard/ Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law Current Issues Vol. 1, 15 ff. 239 Douglas, The Hybrid Foundations of Investment Treaty Arbitration, 47 BYIL 2003, 152 (225) bezeichnet dies als die „sui generis nature of arbitrations conducted under the ICSID Convention and the ICSID Arbitration Rules“. Zur Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vgl. unten § 4. 240 Vgl. hierzu unten § 10 II. 241 Aufhebungsgründe sind (1) die nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Schiedsgerichts, Art. 52 (1) lit. (a) ICSID-Konvention („that the Tribunal was not properly constituted“). Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 118 ff.; (2) eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts, Art. 52 (1) lit. (b) ICSID-Konvention („that the Tribunal has manifestly exceeded its powers“). Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 130 ff. Der Aufhebungsgrund der offensichtlichen Überschreitung der Befugnisse des Schiedsgerichts beruht auf der Tatsache, dass die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in der Parteivereinbarung ihren Grund hat. Ebenfalls hierunter fällt eine Entscheidung, die trotz Fehlens einer der in Art. 25 ICSID-Konvention enthaltenen Zuständigkeitsvoraussetzungen ergangen ist, vgl. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 975. Der umgekehrte Fall, in dem ein Schiedsgericht seine bestehende Zuständigkeit verneint, stellt ebenfalls einen Aufhebungsgrund dar; (3) Bestechung eines Mitglieds des Schiedsgerichts, Art. 52 (1) lit. (c) ICSIDKonvention („that there was corruption on the part of a member of the Tribunal“). Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 271 ff.; (4) eine schwerwiegende Abweichung von grundlegenden Verfahrensvorschriften, Art. 52 (1) lit. (d) ICSID-Konvention („serious departure from a fundamental rule of procedure“). Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 278 ff. Der Aufhebungsgrund einer schwerwiegenden Abweichung von einer grundlegenden Verfahrensvorschrift soll die Fairness und Integrität des Verfahrens sichern. Er greift beispielsweise bei Verletzung des rechtlichen Gehörs, vgl. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 977. Der Aufhebungsgrund wurde oftmals ins Feld geführt, jedoch nur selten als einschlägig erachtet, vgl. z.B. Klöckner v. Cameroon, ICSID Case No. ARB/81/2, Decision on Annulment, 3.5. 1985; Amco v. Indonesia, ICSID Case No. ARB/81/1, Decision on Annulment, 16.5.1986; sowie (5) die fehlende Begründung des Schiedsspruchs, Art. 52 (1) lit. (e) („that the award has failed to state reasons“). Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID
§ 3 Investor-Staat-Streitbeilegung
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berufungsartige Überprüfung des Schiedsspruchs dar. 242 Vielmehr soll das Aufhebungsverfahren durch eine begrenzte Überprüfungsmöglichkeit lediglich die Integrität des ICSID-Schiedsverfahrens sicherstellen.243 Art. 52 gilt nicht für Schiedssprüche der Additional Facility. 244 ICSID-Schiedssprüche sind nach Art. 53 f. bindend und können in den Vertragsstaaten wie ein rechtskräftiges innerstaatliches Urteil vollstreckt werden.245 Die Streitparteien sind gemäß Art. 53 zur Vollstreckung verpflichtet. Einer besonderen Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung des ICSIDSchiedsspruchs durch nationale Gerichte bedarf es nicht. Eine Überprüfung, auch nicht eine eingeschränkte Prüfung durch staatliche Gerichte im Rahmen der Vollstreckung, wie dies etwa für im Rahmen der New York Convention Convention, Art. 52 Rn. 338 ff. Das Fehlen einer Begründung stellt ebenfalls einen Aufhebungsgrund dar, wobei das Vorliegen dieses Grundes nicht immer leicht zu beurteilen ist. So ist es nur schwer vorstellbar, dass keinerlei Begründung gegeben wird. Die ICSIDSchiedsgerichte haben jedoch auch unvollständige, unverständliche und widersprüchliche Begründungen dem Fehlen einer Begründung gleichgestellt, vgl. Klöckner v. Cameroon, ICSID Case No. ARB/81/2, Decision on Annulment, 3.5.1985, 2 ICSID Reports 137 ff.; Amco v. Indonesia, ICSID Case No. ARB/81/1, Decision on Annulment, 16.5.1986, 1 ICSID Reports 536; MINE v. Guinea, ICSID Case No. ARB/84/4, Decision on Annulment, 22.12.1989, 4 ICSID Reports 88. Das Begründungserfordernis ist ausdrücklich in Art. 48 Abs. 3 ICSID-Konvention niedergelegt, ein Verstoß gegen die Verpflichtung führt zu dem vorgenannten Aufhebungsgrund, vgl. Klöckner v. Cameroon, Decision on Annulment, 3.5.1985, 2 ICSID Reports 137; Amco v. Indonesia, Decision on Annulment, 16.5.1986, 1 ICSID Reports 517 f.; MINE v. Guinea, ICSID Case No. ARB/84/4, Decision on Annulment, 22.12.1989, 4 ICSID Reports 82 (87 ff., 96, 104 ff.). Die Aufhebungsgründe der nicht ordnungsgemäßen Bildung des Schiedsgerichts sowie des Bestechung eines Mitglieds des Schiedsgerichts haben bisher keine praktische Rolle gespielt. 242 Zur Abgrenzung sowie zum Vorschlag der Einführung einer ICSID-Berufungsinstanz vgl. unten § 10. 243 Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 279; Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 57; ders., 10 The Law and Practice of International Courts and Tribunals 2011, 211 (212). 244 Diese unterliegen daher wie Schiedssprüche der „normalen“ internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit der Überprüfung durch staatliche Gerichte, vgl. Dolzer/ Schreuer, International Investment Law, 278. 245 Zur Vollstreckung von ICSID-Schiedssprüchen vgl. Broches, Awards rendered pursuant to the ICSID Convention: Binding Force, Finality, Recognition, Enforcement, Execution, 2 ICSID Review - FILJ 1987, 287 ff.; van den Berg, Recent Enforcement Problems under the New York and ICSID Conventions, 5 Arbitration International, 1989, 2 ff; Escher, Investitionsschiedsverfahren: Grundstrukturen und aktuelle Herausforderungen, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 2008, 35 (44 ff.); Alexandroff/Laird, Compliance and Enforcement, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1171 ff.; Alexandrov, Enforcement of ICSID Awards: Articles 53 and 54 of the ICSID Convention, TDM, 1/2009; Bottini, Recognition and Enforcement of ICSID Awards, TDM 1/2009.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
von 1958 zu vollstreckende Schiedssprüche vorgesehen ist, findet nicht statt bzw. ist unzulässig. 246 Sofern eine Partei der Verpflichtung zur Vollstreckung des Schiedsspruchs nicht nachkommen sollte, steht der anderen Partei die Möglichkeit offen, das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung nach Art. 54 anzustrengen. Im Übrigen löst die Nichtbefolgung des Schiedsspruchs das Wiederaufleben des Rechts des Heimatstaates zur Ausübung diplomatischen Schutzes aus. 247 Wie erwähnt, können ICSID-Schiedssprüche vor nationalen Gerichten nicht im Rahmen eines Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahrens angegriffen werden. 248 Allerdings dürfen die Vertragsstaaten gemäß Art. 55 der ICSID-Konvention in der Zwangsvollstreckung ihre Grundsätze der Staatenimmunität anwenden. 249 Betrachtet man die Vorzüge der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, so fällt neben den generellen Vorzügen der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber staatlichen Gerichten und dem diplomatischen Schutz in puncto Effektivität, Neutralität und Entpolitisierung zunächst die in besonderem Maße gesicherte Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen auf. Diese sind der Überprüfung durch nationale Gerichte entzogen (Art. 54). Zur insgesamt guten Befolgung(swilligkeit) von Schiedssprüchen durch Gaststaaten mag auch die Nähe des ICSID zur Weltbank beitragen. 250 Hervorzuheben ist auch der Ausschluss sonstiger Rechtsbehelfe einschließlich des diplomatischen Schutzes (Art. 26 und Art. 27), wodurch sich u.a. eine Politisierung des 246
Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 53 Rn. 18 ff. Einzige Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs ist die Vorlage einer vom ICSID-Generalsekretär beglaubigten Abschrift bei den zuständigen nationalen Gerichten oder der von jedem Staat dafür benannten staatlichen Stelle. Der Schiedsspruch ist wie ein rechtskräftiges innerstaatliches Urteil zu behandeln. Auf die Durchführung der Vollstreckung ist das jeweilige staatliche Vollstreckungsrecht anzuwenden, vgl. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 995. Dies gilt allerdings nicht für im Rahmen der Additional Facility ergangene Schiedssprüche, für welche – wie bereits erwähnt – die ICSID-Konvention nicht gilt. 247 Art. 27 Abs. 1. 248 Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 53 Rn. 22. 249 Art. 55 ist insofern nur deklaratorischer Natur, als sich der Umfang der Immunität nach dem allgemeinen Völkerrecht und den jeweils einschlägigen staatlichen Bestimmungen richtet, vgl. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/ Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 996. Für die Frage der Immunität entscheidend ist in der Praxis letztlich das jeweilige Vollstreckungsobjekt. So ist die Vollstreckung in das Wirtschaftsvermögen des Staates regelmäßig gesta ttet, während die Vollstreckung in hoheitlichen Zwecken dienendes staatliches Vermögen in der Regel nicht gestattet ist. Die Schwierigkeit hierbei liegt oftmals bei der im Einzelfall vorzunehmenden praktischen Abgrenzung zwischen beiden Kategorien. 250 Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 66 f.
§ 3 Investor-Staat-Streitbeilegung
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Rechtsstreits sowie widersprüchliche Entscheidungen zum selben Streitgegenstand besser vermeiden lassen. Weitere Punkte betreffen die spezialisierte administrativ-institutionelle Unterstützung des Schiedsverfahrens sowie die erhöhte Transparenz durch die regelmäßige Veröffentlichung der Entscheidungen. Aufgrund ihres delokalisierten Charakters ist die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit zudem von nationalen Verfahrensrechten und Interferenzen nationaler Gerichte weitestgehend unabhängig, was neben Vorteilen indes auch Nachteile bergen kann.251 3. Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID Zwar richten sich Investitionsschiedsverfahren, wie gesehen, heute in der Mehrzahl nach den ICSID-Verfahrensregeln. 252 Daneben darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein gewichtiger Anteil von Investor-Staat-Schiedsverfahren weiterhin als institutionelle oder ad hoc-Schiedsverfahren außerhalb des ICSID auf derselben prozessualen Basis wie sonstige internationale private Schiedsstreitigkeiten durchgeführt werden.253 Die Tatsache, dass sich ein Staat und ein privater Investor als Schiedsparteien gegenüberstehen, stellt hierfür kein Hindernis dar. 254 Viele der wegweisenden Entscheidungen von Investitionsschiedsgerichten sind auf der Basis eines solchen Schiedsverfahrens ergangen. Der häufigste Grund hierfür ist, dass das zwischen den Parteien einschlägige Investitionsschutzabkommen kein Schiedsangebot zugunsten der ICSID-Konvention, sondern lediglich zugunsten eines ad hoc- oder institutionellen Schiedsverfahrens außerhalb des ICSID enthält. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich hierbei um ad hoc-Schiedsverfahren nach den UNCITRAL-Schiedsregeln.255 Daneben finden sich Bezugnahmen auf Schiedsverfahren nach den Regeln der Internationalen Handelskammer (ICC Arbitration Rules), der Stockholmer Handelskammer (SCC Arbitration Rules) sowie des London Court of International Arbitration (LCIA Arbitration Rules). 256
251
Zur Unterstützungsfunktion staatlicher Gerichte im Schiedsverfahren vgl. Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 7.07 ff. 252 Bis zum Ende des Jahres 2008 wurden knapp zwei Drittel (63 %) aller öffentlich bekannten Investitionsschiedsverfahren nach den ICSID-Verfahrensregeln geführt, vgl. UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Settlement, IIA Monitor 2009 No. 1, 2. 253 Vgl. hierzu UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Settlement, IIA Monitor 2008 No. 1, 1 (2), Figure 2, wonach 38 % der Investitionsschiedsverfahren ausserhalb der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit stattfinden. 254 Reinisch/Malintoppi, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 707. 255 Vgl. hierzu UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Settlement, IIA Monitor 2008 No. 1, 1 (2), Figure 2. 256 Vgl. UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Settlement, IIA Monitor 2009 No. 1, 2.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
Obwohl diese Regeln ebenso wie die ICSID-Verfahrensregeln für Investitionsschiedsverfahren herangezogen werden, haben sie insofern eine andere Rechtnatur, als sie nicht auf einer völkerrechtlichen Basis beruhen. Sie bewirken, anders als die ICSID-Schiedsregeln, keine Abkoppelung von nationalen Schiedsgesetzen, sondern werden auf deren Basis vereinbart. 257 Staatlichen Gerichten kommt damit die Aufgabe der Unterstützung und derKontrolle des Schiedsverfahrens zu. Anerkennung und Vollstreckung solcher Schiedssprüche richtet sich in der Regel nach dem New Yorker (UN-)Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958. III. Zusammenfassung Investitionsschutzabkommen sind nicht nur in materiellrechtlicher Hinsicht die wichtigste Rechtsquelle des Investitionsrechts, sie stellen auch die effektivsten Instrumente des Investitionsschutzes im Bereich der Rechtsdurchsetzung dar. Moderne Investitionsschutzabkommen sehen regelmäßig die Zustimmung zu Investor-Staat-Schiedsverfahren vor, wodurch dem Investor gegenüber staatlichen Gerichtsverfahren und dem Verfahren des diplomatischen Schutzes eine vergleichsweise effektive Rechtsdurchsetzung ermöglicht wird. Um die Defizite des diplomatischen Schutzes auszugleichen, sehen die meisten Investitionsschutzabkommen die Möglichkeit eines Investor-StaatSchiedsverfahrens vor, bei dem der Investor ohne Einschaltung seines Heimatstaates direkt gegen den Gaststaat als Schiedsbeklagten wegen der Verletzung investitionsrechtlicher Pflichten vorgehen kann. Auch wenn das ICSID-Übereinkommen heute das wichtigste Instrument zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten darstellt, darf nicht übersehen werden, dass weitere Formen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit existieren, die sich an die Mechanismen der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit anlehnen bzw. diese übernehmen. Welche Konsequenzen dieses Nebeneinander verschiedener prozessualer Grundlagen für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hat, ist eine der Fragen, die im folgenden Kapitel (§ 4) untersucht werden.
§ 4 Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
§ 4 Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Der prozessuale Rahmen, innerhalb dessen sich die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vollzieht, lässt sich nicht einfach zuordnen, da die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit auf besondere Weise Aspekte 257
Vgl. hierzu unten § 4 III.
§ 4 Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
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internationaler privater sowie völkerrechtlicher Streitentscheidung kombiniert, wodurch eine eindeutige Zuordnung zu einer dieser beiden klassischen Disziplinen schwer fällt. In der Regel wird die Einteilung in völkerrechtliche und internationale private Schiedsgerichtsbarkeit258 anhand der beteiligten Schiedsparteien vorgenommen,259 wobei Schiedsstreitigkeiten zwischen Staaten der völkerrechtlichen, Streitigkeiten zwischen Privatrechtssubjekten hingegen der internationalen privaten Streitbeilegung zugeordnet werden.260 In dem „gemischten“ Verfahren der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hingegen stehen sich privater Investor und Gaststaat gegenüber, weshalb die hergebrachte, an den Verfahrensbeteiligten orientierte Unterteilung zu keiner eindeutigen Zuordnung führt. Die zur Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vertretenen Auffassungen sind vielfältig. So wird die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zum Teil der internationalen privaten,261 zum Teil der völkerrechtlichen 258
In der neueren Zeit hat sich der Begriff der internationalen Handelsschiedsgerichtbarkeit durchgesetzt, vgl. von Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 51, auch wenn dieser Begriff nicht ganz dem international gebräuchlichen Begriff „international commercial arbitration“ entspricht, vgl. hierzu Redfern/Hunter/Blackaby/ Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.32 ff.; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 45. Für die in diesem Kapitel herauszuarbeitenden Besonderheiten der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zwischen der rein völkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit auf der einen Seite und der unter Beteiligung von Privaten stattfindenden internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit auf der anderen Seite kommt es auf diese Unterscheidungen innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit nicht an. 259 von Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 53; Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böc kstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (24). 260 Vgl. Schlochauer, Arbitration, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, 215; Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böc kstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (24); hinsichtlich zwischenstaatlicher Schiedsverfahren Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.190. 261 Vgl. von Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 55 f.; Pirrung, Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen, 183 m.w.N.; Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren nach Art. 26 Energiechartavertrag, 190, 202 ff.: Integration der internationalen privaten Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit in den völkerrechtlichen Ordnungsrahmen. Vgl. auch Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn.10 ff., demzufolge die Strukturmerkmale der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit (z.B. Erfordernis einer Schiedsvereinbarung, Parteiautonomie) in weiten Teilen denen der privaten (Handels-)Schiedsgerichtsbarkeit entsprechen. Wenn zum Teil von einer „Privatisierung“ der investitionsrechtlichen Streitbeilegung die Rede ist, so betrifft diese Festellung in der Regel bestimmte Merkmale der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, wie etwa die Übertragung der Streitentscheidung auf nicht-staatliche Akteure, ohne dass hiermit notwendigerweise eine grundlegende Aussage über die Rechtsnatur der Investitionsschiedsge-
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
Schiedsgerichtsbarkeit 262 oder aber einer Mischform aus beiden 263 zugerechnet. Weitere Auffassungen sehen in ihr eine Form international-verwaltungsrechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit.264 Schießlich wird vertreten, es handle sich um eine Form der Schiedsgerichtsbarkeit sui generis.265 Um die Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit näher zu bestimmen, werden zunächst einige Abgrenzungskriterien eingeführt (I.), anhand derer einige Merkmale der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit untersucht werden sollen (II. – IV.). I. Die Zuordnungskriterien im Überblick Nimmt man eine Zuordnung auf der Grundlage der am Verfahren beteiligten Rechtssubjekte vor, so ist, wie eben dargelegt, für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als Form der gemischten Schiedsgerichtsbarkeit eine eindeutige richtsbarkeit getroffen wäre, vgl. hierzu etwa van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 5, 58, 70 und passim; Braun, Investitionsschutz durch internationale Schiedsgerichte, 1 (15 ff.). 262 Pirrung, Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen, 183 m.w.N. 263 Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 222: „Whilst it is true that the main characteristics of commercial disputes are reflected in investor-state arbitration, it is also true that the rules governing the conduct of the state in international law require that certain elements attached to it need to be taken into account in the rules of investor -state arbitration“; van Houtte, Article 52 of the Washington Convention – A Brief Introduction, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 11 (14): „[H]alf-private nature of ICSID arbitration“. 264 Vgl. Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 6; Van Harten/Loughlin, Investment Treaty Arbitration as a Species of Global Administrative Law, 17 EJIL 2006, 121 ff.; Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 58 f., 152: „Investment treaty arbitration as regulatory adjudication“, „A unique public law system of adjudication at international level“; Kingsbury/Schill, Investor-State Arbitration as Governance, New York University School of Law, Public Law & Legal Theory Research Paper Series, No. 6, 2009, 1 ff.; Schill, in: Weiler/Baetens (Hrsg), New Directions in International Economic Law, 23 (25 ff.); Wälde, The Specific Nature of Investment Arbitration, 43 (112), der jedoch gleichzeitig konzediert, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vom Denken und den Konzepten der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit beherrscht wird, ibid., 54; Rogers/Alford (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 223: Investment arbitration is more associated with public function and public concern. 265 Vgl. Kahn, The Law Applicable to Foreign Investments: The Contribution of the World Bank Convention on the Settlement of Investment Disputes, 44 IndianaLJ 1968, 1 (15); Paulsson, Arbitration without Privity, 10 ICSID Review - FILJ 1995, 232 (256): „[T]his is not a sub-genre of an existing discipline. It is dramatically different from anything previously known in the international sphere“; Douglas, The International Law of Investment Claims, 6: „[…] arbitration of investment disputes […] cannot be adequately rationalised either as a form of public international or private international dispute resolution.“
§ 4 Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
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Zuordnung nicht möglich. Eine andere Sichtweise käme allenfalls in Betracht, wenn man der These von der partiellen Völkerrechtssubjektivität des privaten Investors folgte,266 wodurch eine Zuordnung zur völkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit denkbar wäre. Eine Zuordnung wäre weiterhin aufgrund der Rechtsnatur der zuständigkeitsbegründenden Schiedsvereinbarung möglich (hierzu II.). Je nachdem, ob diese als völkerrechtliche oder privatrechtliche Vereinbarung eingestuft wird, könnten hieraus Rückschlüsse auf die Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gezogen werden. Ein weiteres Kriterium betrifft die Art und Weise der Anbindung des Schiedsverfahrens an ein nationales Recht (hierzu III.). Eine Abgrenzung ist schließlich auch aufgrund des anwendbaren Rechts möglich, wobei eine Unterscheidung sowohl in verfahrensmäßiger wie auch in materiellrechtlicher Hinsicht vorgenommen werden kann (hierzu IV.). II. Schiedsvereinbarung Die Schiedsvereinbarung ist die Grundlage des Schiedsverfahrens. 267 Insofern gilt für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nichts anderes als für sonstige Schiedsverfahren unter Beteiligung privater Parteien in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit auch. 1. Zustandekommen der Schiedsvereinbarung: Zustimmung zur Schiedsklausel (consent) Eine schiedsrechtliche Besonderheit von Investitionsschiedsverfahren besteht jedoch darin, dass die Schiedsvereinbarung zwischen Gaststaat und Investor in der Regel durch Annahme eines in einem Investitionsschutzabkommen enthaltenen, an den ausländischen Investor gerichteten Schiedsangebots zustande kommt.268 In der großen Mehrzahl der Fälle kommt die Schiedsvereinbarung daher nicht unmittelbar an Ort und Stelle durch Angebot und Annahme des die Schiedsklausel enthaltenden Vertrages oder der vom Vertrag getrennten Schiedsabrede zustande. 269 Vielmehr erklärt der Gaststaat durch die 266 Vgl. hierzu etwa Schreuer, Paradigmenwechsel im internationalen Investitionsrecht, in: Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 237; Braun, Globalisierung und internationales Investitionsrecht, in: Ehlers (Hrsg.), Rechtsfragen internationaler Investitionen, 155 (160 f.); ders., Ausprägungen der Globalisierung, 282 ff. 267 Vgl. z.B. Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 190 ff.; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 90 ff., 149 f.; Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 301. 268 Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 54. 269 Vgl. oben § 3 II. Zur Unterscheidung zwischen Schiedsklausel und Schiedsabrede, Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 191.
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im Investitionsschutzabkommen enthaltene unvollkommene Streitbeilegungsklausel im Voraus lediglich seine Bereitschaft bzw. sein Angebot zur Durchführung eines Schiedsverfahrens, welches der Investor, gegebenenfalls auch einige Zeit später, annehmen kann. 270 Die in einem Investitionsschutzabkommen enthaltene Klausel ist daher als Angebot im Sinne einer einseitigen Willenserklärung zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung aufzufassen.271 Ein weiterer Unterschied gegenüber der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit besteht darin, dass sich die Schiedsklausel nicht an die am Vertrag bzw. in diesem Fall an dem Abkommen beteiligte Partei, den jeweils anderen Vertragsstaat, richtet, sondern an Investoren, d.h. an private
270 Zur Zustimmung zum Schiedsverfahren in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vgl. Schreuer, Denunciation of the ICSID Convention and Consent to Arbitration, in: Waibel et al. (Hrsg.), The Backlash against Investment Arbitration: Perceptions and Reality, 353 (356 ff.); Dugan/Wallace/Rubins/Sabahi, Investor-State Arbitration, 219 ff.; Schreuer, Consent to Arbitration, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 830 ff. Daneben besteht die Möglichkeit der Zustimmung durch Annahme eines in manchen staatlichen Investitionsgesetzen enthaltenen Angebots zur Durchführung eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens; des Weiteren besteht die Möglichkeit einer individuellen Vereinbarung zwischen Staat und Investor, vgl. ibid., 832 ff. Die beiden letztgenannten Varianten haben jedoch kaum praktische Bedeutung, vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, ICSID Convention, Art. 25 Rn. 378. 271 Vgl. hierzu etwa Art. 10 Abs. 2 German Model BIT (2008): „(2) If the dispute cannot be settled within six months of the date on which it was raised by one of the parties to the dispute, it shall, at the request of the investor of the other Contracting State, be submitted to arbitration. The two Contracting States hereby declare that they unreservedly and bindingly consent to the dispute being submitted to one of the following dispute settlement mechanisms of the investor‟s choosing: 1. arbitration under the auspices of the International Centre for Settlement of Inves tment Disputes pursuant to the Convention on the Settlement of Investment Disputes b etween States and Nationals of Other States of 18 March 1965 (ICSID), provided both Contracting States are members of this Convention, or 2. arbitration under the auspices of the International Centre for Settlement of Inves tment Disputes pursuant to the Convention on the Settlement of Investment Disputes b etween States and Nationals of Other States of 18 March 1965 (ICSID) in accordance with the Rules on the Additional Facility for the Administration of Proceedings by the Secreta riat of the Centre, where the personal or factual preconditions for proceedings pursuant to figure 1 do not apply, but at least one Contracting State is a member of the Convention referred to therein, or 3. an individual arbitrator or an ad-hoc arbitral tribunal which is established in accordance with the rules of the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) as in force at the commencement of the proceedings, or 4. an arbitral tribunal which is established pursuant to the Dispute Resolution Rules of the International Chamber of Commerce (ICC), the London Court of International Arbitr ation (LCIA) or the Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce, or 5. any other form of dispute settlement agreed by the parties to the dispute.“
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Dritte, welche die besonderen Voraussetzungen des das Schiedsangebot enthaltenden Investitionsschutzabkommens erfüllen. 272 2. Rechtsnatur und anwendbares Recht der Schiedsvereinbarung a) Rechtsnatur Die Schiedsvereinbarung wird in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit überwiegend als privatrechtlicher Vertrag angesehen. 273 In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gibt es dagegen Anhaltspunkte sowohl für eine privatrechtliche wie auch für eine völkerrechtliche Einordnung. Einerseits entstammt die das Schiedsangebot enthaltende Streitbeilegungsklausel regelmäßig einem völkerrechtlichen Vertrag, dem jeweils einschlägigen Investitionsschutzabkommen. Für eine völkerrechtliche Einordnung spricht zudem die Ansicht, dass es sich bei diesem Schiedsangebot um eine völkerrechtliche Unterwerfungserklärung des Gaststaates handle, die keiner Zustimmung des Investors bedürfe.274 Dagegen spricht die weit überwiegend für erforderlich gehaltene Zustimmung des privaten Investors zum Abschluss der Schiedsvereinbarung für eine private Einordnung der Schiedsvereinbarung. Die Ansicht, wonach die in den Investitionsschutzabkommen enthaltenen Vorschriften zur Streitbeilegung lediglich einseitige völkerrechtliche Unterwerfungserklärungen der Vertragsstaaten gegenüber potentiellen Investoren im Sinne eines Vertrages zugunsten privater Dritter darstellen, welche keinerlei Annahme seitens des Investors bedürfen, vermag indes nicht zu überzeugen. Dieser Auffassung steht bereits der Wortlaut der einschlägigen Abkommen275 und Verfahrensregeln 276 entgegen, welche die Zustimmung (consent) 272
Markert, Streitschlichtungsklauseln, 120. Die Bezeichnung Schiedsklausel ist hier daher untechnisch zu verstehen: Die in Investitionsschutzabkommen enthaltene InvestorStaat-Schiedsklausel ist zwar wie andere Schiedsklauseln auch Teil eines Vertragswerkes, sie enthält jedoch lediglich das Angebot an Dritte zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung und unterscheidet sich insofern von dem, was gemeinhin unter dem Begriff Schiedsklausel verstanden wird. Man könnte sie daher als „imperfekte“ oder „offene“ Schiedsklauseln bezeichnen. 273 Im deutschen Recht wird die Schiedsvereinbarung überwiegend als materiellrechtlicher Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen angesehen. Daneben wird auch vertreten, dass es sich um einen materiellrechtlichen bzw. um einen Prozessvertrag handelt, vgl. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Rn. 107; Lachmann, Schiedspraxis, Rn. 193 m.w.N. Die für das deutsche Recht vertretene h.M. ist vorzugswürdig, da die Willenserklärungen zwischen den Parteien und nicht gegenüber dem Gericht abgegeben werden (daher kein Prozessvertrag) und die Zuständigkeit des Schiedsgerichts begründet wird (daher kein rein materiellrechtlicher Vertrag), vgl. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Rn. 107. 274 Markert, Streitschlichtungsklauseln, 47 m.w.N. 275 Vgl. z.B. Art. 1121, 1122 NAFTA.
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beider Schiedsparteien zum Verfahren, mithin Angebot und Annahme, vorraussetzen.277 Es ist daher davon auszugehen, dass eine Schiedsvereinbarung zwischen Staat und Investor notwendige Voraussetzung eines Investitionsschiedsverfahrens ist. 278 Insofern ist die von Paulsson für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit eingeführte Bezeichnung als „arbitration without privity“ missverständlich. 279 Diese Bezeichnung bezieht sich nämlich nicht auf die Schiedsvereinbarung zwischen Staat und Investor, bei der es sich – wie eben dargelegt – um eine vertragliche Rechtsbeziehung handelt, sondern auf die Tatsache, dass zwischen Gaststaat und Investor keine (im Sinne einer privity of contract280) vertragliche Rechtsbeziehung im Zusammenhang mit der im Gaststaat getätigten Investition bestehen muss, auch wenn in der Praxis ein Investitionsvertrag zwischen Gaststaat und Investor in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle die rechtliche Grundlage einer solchen Investition darstellt. 281
276
Vgl. z.B. Art. 25 Abs. 1 ICSID-Konvention. So auch Markert, Streitschlichtungsklauseln, 122, der von einer Doppelnatur der Schiedsklausel, die „schieds- und völkerrechtliche Elemente“ vereine, ausgeht. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Schiedsgerichtsbarkeit als eine Form der Streitbeilegung zunächst neutral ist. Erst durch Hinzutreten weiterer Merkmale (Parteien, anwendbares Recht etc.) besteht die Möglichkeit, diese als (international) private oder öffentliche Schiedsgerichtsbarkeit einzuordnen. Aus diesem Grund ergibt die Gegenüberstellung ei ner „schiedsrechtlichen“ und einer „völkerrechtlichen“ Einordnung der Schiedsklausel kein Gegensatzpaar im Sinne von „international-privat“ und „völkerrechtlich“. 278 Zum Investor-Staat-Vertrag vgl. oben § 2 II 5. Insofern geht auch die Auffassung Van Hartens fehl, wonach private Schiedsverfahren ihre Grundlage in der Schiedsvereinbarung zwischen Privaten und mithin in der Privatautonomie habe, wohingegen Investitionsschiedsverfahren ihre Grundlage in der staatlichen Autorität fänden, vgl. Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 58 f. Abgesehen davon, dass auch die private Schiedsgerichtsbarkeit nicht in einem rechtlichen Vakuum existieren kann und auf die Anerkennung durch den staatlichen Gesetzgeber angewiesen ist, zeigen die obigen Ausführungen, dass auch ein Investitionsschiedsverfahren stets eine individuelle Vereinbarung zwischen Staat und Investor voraussetzt. 279 Paulsson, 10 ICSID Review - FILJ 1995, 232 ff. 280 Vgl. hierzu etwa Chen-Wishart, Contract Law, 619 ff. 281 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25 Rn. 378. Die mit der Bezeichnung „arbitration without privity“ angesprochene Frage betrifft daher die insbesondere für Juristen des Common Law interessante Frage, ob eine Schiedsvereinbarung zwischen Staat und Investor auch ohne zusätzliche (vertragliche) Rechtsbeziehung, etwa in Form eines Investor-Staat-Vertrages, überhaupt Bindungswirkung entfaltet, was heute jedoch allgemein anerkannt ist, vgl. Markert, Streitschlichtungsklauseln, 126 f. m.w.N. Zum Investor-Staat-Vertrag siehe oben § 2 II 5. 277
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b) Schiedsvereinbarungsstatut Bei der Bestimmung des auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts ist zunächst fraglich, ob und inwiefern deren Qualifikation als materiell- bzw. prozessrechtlicher Vertrag von Bedeutung ist. 282 Würde man für die Bestimmung des anwendbaren Rechts das für die staatlichen Gerichte geltende klassische Kollisionsrecht anwenden, hätte die vorgenannte Unterscheidung Auswirkungen auf das anwendbare Recht. So wäre bei prozessualer Qualifikation das Recht der lex fori anzuwenden, wohingegen bei materiellrechtlicher Qualifikation die nach den Kollisionsregeln für (materiellrechtliche) Verträge zu bestimmende lex causae über Zustandekommen und Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung entscheiden würde. In der modernen Schiedsgerichtsbarkeit folgt die lex arbitri jedoch in der Regel ihren eigenen Kollisionsregeln für die Schiedsvereinbarung und für das in der Hauptsache anwendbare Recht.283 Für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist die Frage der Rechtsnatur im Sinne einer materiellen oder prozessualen Qualifikation der Schiedsvereinbarung für die Frage des anwendbaren Rechts daher nicht entscheidend. 284 Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts kommt zunächst das von den Parteien ausdrücklich oder konkludent gewählte Recht der Schiedsvereinbarung in Betracht.285 Eine Rechtswahl kommt in der Praxis jedoch selten vor.286 Teilweise wird vertreten, das für den Hauptvertrag gewählte Recht sei im Hinblick auf die Schiedsvereinbarung Ausdruck eines stillschweigenden Parteiwillens und somit Ausdruck einer konkludenten Rechtswahl. 287 Diese
282
Zur Diskussion im deutschen Recht Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Rn. 107. 283 Vgl. Girsberger/Gabriel, Die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung im schweizerischen Recht, Festschrift Tercier, 819 (827). In der Schweiz richtet sich beispielsweise das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht nach Art. 178 IPRG, das in der Hauptsache anwendbare Recht hingegen nach Art. 187 IPRG. 284 Ibid. Müsste man sich entscheiden, so wäre der materiellrechtlichen Qualifikation (ggfs. mit prozessualen Wirkungen) zu folgen, da die Willenserklärungen zwischen den Parteien untereinander und nicht gegenüber dem Gericht abgegeben werden, was der materiellrechtlichen Qualifikation entspricht, vgl. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Rn. 107. 285 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3786; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 195; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rn. 3388. 286 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3788; van den Berg, New York Convention, 291 f.; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 195; Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2.93. 287 Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 196; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 37.
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Auffassung übersieht jedoch, dass die Schiedsvereinbarung vom Hauptvertrag unabhängig ist und anderen Zwecken dient als der Hauptvertrag.288 Weit überwiegend wird daher in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit auf das Sitzrecht als Wirkungsstatut verwiesen. 289 In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist ein Abstellen auf den Hauptvertrag auch deshalb problematisch, weil vertragliche Beziehungen (außerhalb der Schiedsklausel) zwischen Staat und Investor keine Voraussetzung für die Einleitung eines solchen Verfahrens sind. Fraglich ist, ob und inwiefern sich diese Anknüpfungsregeln auf die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit übertragen lassen. Die Frage des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts wurde bisher in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit soweit ersichtlich weder in der Theorie noch in der Schiedspraxis näher thematisiert. Lediglich zum Recht, nach welchem sich die Auslegung der Schiedsvereinbarung richten soll, haben sich einige wenige ICSID-Schiedsgerichte teils widersprüchlich und ohne eingehende Befassung geäußert. 290 So wurde vertreten, die Schiedsvereinbarung müsse nach nationalem Recht, nach Völkerrecht bzw. nach beidem ausgelegt werden. 291 Abgesehen davon, dass das Auslegungsstatut zwar oftmals, aber nicht immer, mit dem Wirksamkeitsstatut übereinstimmt,292 sind die bisherigen Äußerungen der Schiedsgerichte kaum aufschlussreich. Sofern eine Rechtswahl zwischen Staat und Investor bezüglich der Schiedsvereinbarung, wie meistens der Fall, nicht vorliegt, ist objektiv anzuknüpfen. 293 Das Abstellen auf das Sitzrecht ist im Rahmen von Investitions288
Vgl. van den Berg, New York Convention, 293; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 170; Kronke/Nacimiento/Otto/Port (Hrsg.), Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, 54; Poudret/Besson, Comparative Law on International Arbitration, Rn. 297; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3788 f. 289 Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2.87, 2.93; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3789; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 196. So geht Art. V 1 (a) New York Convention davon aus, dass das zur Beurteilung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung einschlägige Recht entweder das von den Parteien gewählte oder das am Sitz des Schiedsverfahrens geltende Recht ist, vgl. auch Kronke/Nacimiento/ Otto/Port, Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, 55 f., 225. Eine ähnliche Bestimmung ist in Art. 34 (2) (a) UNCITRAL Modellgesetz enthalten. 290 Vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25, Rn. 578 ff. 291 Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 25, Rn. 585. 292 Vgl. etwa Art. 178 Abs. 2 schweizer. IPRG. Dennoch wird überwiegend das Recht der Schiedsvereinbarung auch deren Auslegung bestimmen, vgl. Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, Rn. 304. Zur Reichweite des Statuts der Schiedsvereinbarung Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3791. 293 Bevor man zur objektiven Anknüpfung übergeht, ist ggfs. durch Auslegung zu ermitteln, ob das von den Parteien gewählte Recht des Hauptvertrages auch die Schiedsverein-
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schiedsverfahren, welche außerhalb des ICSID stattfinden, unproblematisch, da sich die Verfahren in dieser Hinsicht nicht von gewöhnlichen internationalen privaten Schiedsverfahren unterscheiden. Im Rahmen der delokalisierten bzw. anationalen ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit hingegen führt dieses Kriterium nicht weiter, da per Definition keine Anbindung an ein nationales Sitzrecht existiert.294 Das Verfahrensrecht wird direkt der (völkerrechtlichen) ICSID-Schiedsordnung entnommen. 295 Es wäre jedoch verfehlt, hieraus den Schluss zu ziehen, Völkerrecht sei das Sitzrecht. Das Kriterium des Sitzrechts ist der Ausdruck der Vermutung einer (geographisch) engsten Verbindung zum jeweiligen Rechtsverhältnis. Bei einem delokalisierten Schiedsverfahren führt dieses Kriterium nicht weiter. 296 Da somit die allgemein übliche objektive Anknüpfung an den Schiedsort bzw. an den Sitz des Verfahrens bei anationalen Schiedsverfahren ausscheidet, ist nach alternativen Anknüpfungsmöglichkeiten zu suchen. Das Recht des Hauptvertrages stellt, insbesondere als alleinige Anknüpfungsmöglichkeit, nur eine bedingt tragfähige Alternative dar. Neben den grundsätzlichen Bedenken gegen die Anwendung des Rechts des Hauptvertrages auf die Schiedsklausel stellt sich weiterhin das Problem, dass die „Schiedsklausel“ (genauer: das Angebot des Gaststaates zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung zur Durchführung eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens) in der Regel nicht in einem schuldrechtlichen Investitionsvertrag (sog. Investor-Staat-Vertrag)297, sondern in einem völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommen enthalten ist. Das Investitionsschutzabkommen eignet sich als „Hauptvertrag“ schon deshalb nicht, weil dieses Abkommen keine vertragliche Abrede der beiden am Schiedsverfahren beteiligten Parteien darstellt. Am sachgerechtesten erscheint vielmehr eine alternative Anknüpfung an das Heimatrecht des Investors sowie an das Recht des Gaststaates im Sinne barung umfassen sollte. Hieran ist vor allem dann zu denken, wenn die Parteien die Mö glichkeit einer separaten Rechtswahl hinsichtlich der Schiedsvereinbarung nicht in Betracht gezogen haben. 294 Vgl. Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 2840: „ICSID arbitration is an example of delocalised arbitration proceedings governed solely by international rules and not submitted to the rules of any arbitration law.“ 295 So ausdrücklich Art. 44 ICSID-Konvention: „Any arbitration proceeding shall be conducted in accordance with the provisions of this Section and, except as the parties otherwise agree, in accordance with the Arbitration Rules in effect on the date on which the parties consented to arbitration. If any question of procedure arises which is not covered by this Section or the Arbitration Rules or any rules agreed by the parties, the Trib unal shall decide the question.“ 296 Des Weiteren wäre zu fragen, inwiefern das Völkerrecht geeignete Rechtsregeln zur Durchführung eines Verfahrens bereitstellt. 297 Hierzu oben § 2 II 5.
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des Günstigkeitsprinzips (in favorem validitatis).298 Dies erscheint sachgerecht, da im Rahmen einer Schiedsvereinbarung kein Schwerpunkt bestimmbar ist, weil anders als bei vertragscharakteristischen Leistungen im Rahmen von Schuldverträgen gleichartige Leistungen geschuldet sind. Da die Parteien das Schiedsgericht anstelle des staatlichen Gerichts berufen wollten, ist es gerechtfertigt, das Günstigkeitsprinzip für eine möglichst wirksame Schiedsvereinbarung gelten zu lassen. Eine Anknüpfung an das Völkerrecht ist trotz des anationalen Charakters der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit abzulehnen. Zum einen ist die Schiedsvereinbarung ein Vertrag zwischen Staat und Investor und damit wie jeder Vertrag zwischen Staat und Privaten nach nationalem Recht zu beurteilen. Zum anderen ist die Schiedsvereinbarung dem Schiedsverfahren logisch vorgelagert und nimmt daher selbst nicht teil am anationalen Charakter des Verfahrens. Was das Schiedsvereinbarungsstatut anbelangt, so ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber den eingangs skizzierten Anknüpfungsregeln der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit. Auch der Umstand, dass das Schiedsangebot des Gaststaates an den Investor regelmäßig in einem völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommen enthalten ist, ändert hieran nichts. Knüpft man somit an die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung an und bestimmt diese nach den daran beteiligten Parteien, Investor und Gaststaat, so gelangt man zu einer privatrechtlichen Einordnung. Etwas anderes gilt dann, wenn man den Investor als partielles Völkerrechtssubjekt einstuft. Stellt man auf das Schiedsvereinbarungsstatut ab, so ergibt sich sowohl innerhalb wie außerhalb der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit eine privatrechtliche Einordnung. III. Anbindung des Schiedsverfahrens an ein nationales Recht 1. Einleitung Während zwischenstaatliche Verfahren in der Regel delokalisierte (auch: anationale, denationale, schwebende) Verfahren sind, ist bei der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit die Anbindung an ein nationales (Sitz-) Recht der Regelfall.299 298
Zum Günstigkeitsprinzip vgl. z.B. Staudinger-Sturm/Sturm, EGBGB, 2003, Einleitung, Rn. 148 ff. 299 Vgl. hierzu etwa Mann, „Lex Facit Arbitrum”, in: Sanders (Hrsg.), International Arbitration, Liber Amicorum for Martin Domke (1967), 157 ff.; ders., State Contracts in International Arbitration, 42 BYIL 1967, 1 (4 ff.); Park, The Lex Loci Arbitri and International Commercial Arbitration, 32 ICLQ 1983, 21 ff.; Goode, The Role of the Lex Loci Arbitri in International Commercial Arbitration, 17 Arbitration International 2001, 19 ff.; Mustill/Boyd, Commercial Arbitration, 66 f.; Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2-08: „The concept that an arbitration is governed by the law of the place
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In seinem allgemeinsten Sinn bezeichnet der Begriff der Delokalisierung (oder Denationalisierung) das Bestreben, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit von der notwendigen Anbindung an und Anwendung von einer bestimmten nationalen Rechtsordnung, insbesondere der des Schiedsortes, zu befreien. 300 Nationales Schiedsverfahrensrecht ist auf anationale Schiedsverfahren nicht anwendbar. 301 Die doppelte gerichtliche Kontrolle durch die Gerichte am Sitz des Verfahrens (vor und während des Verfahrens sowie im Rahmen eines möglichen Aufhebungsverfahrens) und am Vollstreckungsort wird reduziert auf eine einzige gerichtliche Überprüfungsinstanz am Vollstreckungsort. 302 Die Frage der Delokalisierung betrifft u.a. die Aspekte der Bestimmung des in der Sache anwendbaren Rechts,303 des Statuts des Schiedsvertrages, 304 des maßgeblichen Schiedsverfahrensrechts und der Aufhebungskompetenz. 305 Die Delokalisierungsbetrebungen stellen somit in erster Linie Gegenströmungen zur herrschenden Auffassung dar, wonach das Schiedsverfahren notwendigerweise dem Schiedsverfahrensrecht und den staatlichen Gerichten des Schiedsortes unterworfen ist. 306 Gegen diese Anbindung an den Schiedsort wird vorgebracht, dass die Beziehungen zum Schiedsort oder zumindest die Anwendung des dortigen Verfahrensrechts oftmals zufälliger Natur seien.307 Der Schiedsort werde allein aus Praktikabilitäts- oder Neutralitätserwä-
in which it is held and that this is the „seat‟ or „forum‟ or „locus arbitri‟ of the arbitration, is well-established in both the theory and practice of international arbitration.“ Zur Gegenansicht vgl. etwa Lalive, Les règles de lois appliquées au fond du litige par l‟arbitre international siegant en Suisse, Revue del‟arbitrage 1976, 155 ff.; Gentinetta, Die Lex Fori Internationaler Handelsschiedsgerichte, 141 ff.; Paulsson, Arbitration Unbound: Award Detached from the Law of its Country of Origin, 30 ICLQ 1981, 358 ff.; Gaillard, Aspects philosophiques du droit de l'arbitrage international, 329 RdC 2007, 49 ff. Für einen Überblick zu den verschiedenen Theorien vgl. etwa Petrochilos, Procedural Law in International Arbitration, Rn. 2-04 ff. 300 Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, 279; Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 31. 301 Pfeiffer, Kontrolle von Organen der Staatengemeinschaft: Internationale Organisationen und ihre Rechtsgeschäfte mit Privaten, 93 (112), 4. These. 302 Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2-26. 303 Beispielsweise indem das Schiedsgericht nicht gehalten ist, das anwendbare Recht nach den Kollisionsnormen des Schiedsortes bzw. des dort geltenden Schiedsverfahrensrechts zu bestimmen. 304 Hierzu oben II. 305 Diese wird in der Regel an den Schiedsort angeknüpft und obliegt den staatlichen Gerichten an diesem Ort. 306 Zur Sitztheorie vgl. Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2-14 und 2-29; Poudret/Besson, Comparative Law on International Arbitration, Rn. 134 ff. 307 Vgl. Paulsson, 32 ICLQ 1983, 53 (54); Böckstiegel, Zu den Thesen von einer „delokalisierten“ internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Festschrift Oppenhoff, 1985, 1 (2).
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gungen heraus gewählt, nicht jedoch im Hinblick auf das dort geltende Verfahrensrecht. Weiterhin steht der Wunsch im Vordergrund, das Schiedsverfahren von unterschiedlichen nationalen Verfahrensrechten, die voneinander abweichende oder für die internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit möglicherweise ungeeignete Normen enthalten könnten, unabhängig zu machen.308 Folgt man dieser Auffassung, so folgt daraus die Entkoppelung des Schiedsverfahrens nicht nur vom Sitzrecht, sondern von jeder nationalen Rechtsordnung. 309 2. ICSID-Schiedsverfahren Die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit sieht ein delokalisiertes Verfahren vor. 310 Die Zuständigkeit des ICSID nach Art. 26 S. 1 ICSID-Konvention ist ausschließlich. So ist gemäß Art. 26 und 27 ICSID-Konvention jeder andere nationale oder internationale Rechtsbehelf ausgeschlossen 311 und die Zustimmung der Streitparteien zur ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit gilt als Verzicht auf jeden anderen Rechtsbehelf. 312 Andere Streitbeilegungsmethoden, wie der Zugang zu nationalen Gerichten oder die Ausübung des diplomati-
308
Vgl. Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 27; Redfern, 55 BYIL 1984, 77 f. Hieraus folgt jedoch auch, dass das Bedürfnis nach Delokalisierung in dem Maße abnimmt, in dem die nationalen Schiedsrechte vereinheitlicht und liberalisiert werden, etwa durch die weite Akzeptanz und Übernahme des UNCITRAL Modellgesetzes. 309 Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, 281. 310 Hierzu bereits oben II. sowie § 3 II 2. 311 Vgl. Muchlinski, Multinational Entreprises and the Law, 547 ff. 312 Zur Exklusivität des Verfahrens nach der ICSID-Konvention vgl. Shihata, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 5. Die Exklusivität des ICSID-Verfahrens äußert sich weiterhin dadurch, dass gemäß Art. 52 Abs. 2 ICSID-Konvention ein ICSID-Schiedsspruch, anders als Schiedssprüche in der sonstigen internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, nicht durch staatliche Gerichte überprüft werden und eine Aufhebung nur innerhalb des ICSID-Systems erfolgen kann. Die Exklusivität äußert sich schließlich durch die in Art. 54 auferlegte Pflicht zur Vollstreckung eines ICSID-Schiedsspruchs, der – ohne die sonst in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit mögliche Überprüfung des Schiedsspruchs durch die nationalen Gerichte am Vollstreckungsort – als bindend anzuerkennen ist, als handle es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines innerstaatlichen Gerichts dieses Vertragsstaates. Einschränkungen der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs können sich dabei allenfalls aus dem Prinzip der staatlichen Vollstreckungsimmunität ergeben, welches durch die ICSID-Konvention nicht berührt wird (vgl. Art. 55). Hierfür kommt es auf die Rechtslage in dem jeweiligen Vollstreckungsstaat an, ob und inwiefern sich ein staatlicher Schuldner auf die Vollstreckungsimmunität berufen kann, vgl. etwa Broches, 18 Yearbook Commercial Arbitration 1993, 627 (704). So hat sich beispielsweise Liberia im Fall Letco v. Liberia erfolgreich gegen die Pfändung seiner Botschaftskonten in den USA gewehrt. Vgl. hierzu Broches, ibid., 705 f.
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schen Schutzrechts durch den Heimatstaat, sind ausgeschlossen. 313 Gemäß Art. 53 ICSID-Konvention unterliegen ICSID-Schiedssprüche keiner Berufung und keinem anderen Rechtsmittel als denen, die im Übereinkommen vorgesehen sind, wodurch der abschließende Charakter des ICSIDÜberprüfungssystems unterstrichen wird. 314 3. Schiedsverfahren außerhalb des ICSID Die Mehrzahl der Investitionsschiedsverfahren wird nach den Regeln des ICSID durchgeführt. 315 Angesichts der Tatsache, dass rund ein Drittel aller Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID stattfinden, wäre es dennoch verfehlt, die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit mit der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit gleichzusetzen. 316 Die in Schiedsverfahren außerhalb des ICSID gebräuchlichen Schiedsregeln variieren je nach Investitionsschutzabkommen. In der Regel bezieht sich das Angebot des Staates auf die bekannten institutionellen Schiedsregeln der ICC, SCC, LCIA oder auf die UNCITRALSchiedsregeln. 317 Was die Frage der Delokalisierung bzw. der Anbindung an ein nationales Schiedsverfahrensrecht anbelangt, so fällt auf, dass entsprechende Bestimmungen für Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID fehlen. Bei diesen Verfahren handelt es sich folglich nicht um delokalisierte Verfahren, welche insofern den üblichen Regeln der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit folgen. Es gelten daher die allgemeinen Grundsätze der Anbindung an ein nationales (Sitz-)Recht sowie zur Rolle staatlicher Gerichte im Schiedsverfahren. 318
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Letzteres lebt erst dann wieder auf, wenn der Gastgeberstaat einen ICSIDSchiedsspruch nicht befolgt, vgl. Art. 27 ICSID-Konvention. 314 Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 53 Rn. 31. 315 Bis zum Ende des Jahres 2008 wurden knapp zwei Drittel (63 %) aller öffentlich bekannten Investitionsschiedsverfahren nach den ICSID-Verfahrensregeln geführt, vgl. UNCTAD, Latest Developments in Investor-State Settlement, IIA Monitor 2009 No. 1, 2. 316 Vgl. Escher, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 35 (47 ff.). 317 So sieht beispielsweise Art. 10 (3) und (4) des deutschen Model BIT (2008) die Möglichkeit eines ad hoc-Schiedsverfahrens nach den UNCITRAL-Schiedsregeln sowie die Möglichkeit institutioneller Schiedsverfahren nach den Regeln der ICC oder der LCIA vor. 318 Zur Rolle staatlicher Gerichte im Schiedsverfahren vgl. etwa Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 7.01 ff.; Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 15-01 ff.; Sonnauer, Die Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, 5 ff.; Harbst, Die Rolle staatlicher Gerichte im Schiedsverfahren, passim. Zur Diskussion, welche Verfahrensform, ICSID oder außerhalb des ICSID, vorzugswürdig ist, insbesondere im Hinblick auf die Überprüfungsmechanis-
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Auch wenn Investitionsschiedsverfahren innerhalb und außerhalb des ICSID im Hinblick auf die Parteien des Rechtsstreits – Staat und Investor – dasselbe charakteristische Merkmal teilen, so unterscheiden sich beide Verfahren doch erheblich bei der Frage der Anbindung an ein nationales Recht. Eine eindeutige Abgrenzung der (gesamten) Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aufgrund dieses Merkmals gegenüber der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit ist daher nicht möglich. IV. Anwendbares Recht Eine Abgrenzung kann weiterhin aufgrund des anwendbaren Schiedsverfahrensrechts (1.) sowie aufgrund des anwendbaren materiellen Rechts (2.) vorgenommen werden. Dabei ist zwischen der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit außerhalb des ICSID zu unterscheiden. 1. Verfahrensrecht a) ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit Das in sich geschlossene ICSID-Verfahren unterliegt dem Völkerrecht, genauer genommen der ICSID-Konvention und den vom ICSID-Verwaltungsrat erlassenen Verfahrensordnungen. 319 Ein großer Teil der ICSID-Verfahrensordnung für das Schiedsverfahren ist dispositiv und kann von den Parteien abbedungen und durch andere Regeln der Parteien ersetzt werden, auch wenn dies in der Praxis selten vorkommt. 320 b) Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID Auch außerhalb der ICSID-Konvention und zum Teil schon vor deren Verabschiedung wurde in der Schiedsrechtsprechung der fünfziger und sechziger Jahre die Frage erörtert, inwiefern ein Schiedsverfahren zwischen Privaten
men für Schiedssprüche, vgl. Burgstaller/Rosenberg, Challenging International Arbitral Awards: To ICSID or Not to ICSID?, Arbitration International 2011, 91 ff. 319 Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 872, 921; Arnold, Praxis des Weltbankübereinkommens, 33 f.; Reed/Paulsson/Blackaby, Guide to ICSID Arbitration, 8; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 13 f., 44 f.; Dugan/Wallace/ Rubins/Sabahi, Investor-State Arbitration, 91, 95; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 119, 139; Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2-28. Vgl. hierzu auch oben § 3. 320 Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 921. Zu den Grenzen der Rechtswahl Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 44 Rn. 20 ff.
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und Staaten vom Völkerrecht beherrscht sein kann.321 Während in einem Fall das Schiedsgericht von der Anwendbarkeit des Völkerrechts als Verfahrensstatut ausging, nahmen zwei andere Schiedsgerichte eine Verankerung des Schiedsverfahrens im nationalen Recht an. 322 Mittlerweile ist überwiegend anerkannt, dass gemischte Verfahren in verfahrensrechtlicher Hinsicht wie internationale private Schiedsverfahren zwischen Privaten behandelt werden und ihren Sitz im nationalen Recht haben. 323 Völkerrecht als Verfahrensrecht kann demnach in einem gemischten Schiedsverfahren grundsätzlich nur aufgrund Gestattung durch die nationale lex arbitri (und innerhalb deren Grenzen) zur Anwendung gelangen. 324 2. Anwendbares materielles Recht a) ICSID-Schiedsverfahren Art. 42 der ICSID-Konvention enthält eine Vorschrift zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts. 325 Danach326 hat eine Rechtswahl der Parteien Vorrang. Mangels Rechtswahl hat das Schiedsgericht das Recht des Gaststaates sowie die „einschlägigen Regeln des Völkerrechts anzuwenden“. 321 Vgl. von Walter, Arbitration on Oil Concession Disputes, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff. m.w.N. Siehe hierzu oben § 2 II 5. 322 Vgl. Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 15 f. m.w.N.; von Walter, Arbitration on Oil Concession Disputes, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff. m.w.N. Siehe hierzu oben § 2 II 5. 323 Vgl. etwa Mann, State Contracts and International Arbitration, 42 BYIL 1967, 1 (6 ff.); Luzzato, International Commercial Arbitration and the Municipal Law of States, 157 RdC 1977, 9 (87); Douglas, The Hybrid Foundations of Investment Treaty Arbitration, 47 BYIL 2003, 152 (177). Vgl. hierzu auch die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 10.5.2012 – 26 SchH 11/10, Rn. 76: Über die Wirksamkeit der Schiedsklausel in einem ad hoc-Investitionsschiedsverfahren entscheidet das nationale Verfahrensrecht am Sitz des Schiedsverfahrens (lex arbitri). 324 Inwiefern sich das Völkerrecht eignet, durch praktikable Regeln zur Durchführung gemischter Schiedsverfahren beizutragen, mag dahingestellt bleiben. 325 Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, ICSID Convention, Art. 42 Rn. 13: „A municipal court having to decide which system of law is applicable to a dispute is guided by the rules of private international law of the lex fori. The lex fori containing conflict of laws rules in the case of ICSID arbitration is Art. 42.“ 326 Art. 42 ICSID-Konvention lautet: „ (1) The Tribunal shall decide a dispute in accordance with such rules of law as may be agreed by the parties. In the absence of such agreement, the Tribunal shall apply the law of the Contracting State party to the dispute (including its rules on the conflict of laws) and such rules of international law as may be applicable. (2) The Tribunal may not bring in a finding of non liquet on the ground of silence or obscurity of the law. (3) The provisions of paragraphs (1) and (2) shall not prejudice the power of the Tribunal to decide a dispute ex aequo et bono if the parties so agree.“
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Demzufolge haben die Parteien zunächst die Möglichkeit, eine Vereinbarung über die anwendbaren Rechtsvorschriften (rules of law) zu treffen. 327 Dabei wird der Gaststaat in der Regel auf der Vereinbarung seiner eigenen Rechtsordnung bestehen, wohingegen die Wahl der Rechtsordnung, des Heimatstaates des Investors oder eines Drittstaates nur selten in Betracht ko mmen wird.328 Wie der Wortlaut der Vorschrift zeigt, sind die Parteien in ihrer Rechtswahl nicht auf die Wahl einer staatlichen Rechtsordnung beschränkt. 329 Die Parteien können auch kumulativ auf mehrere (Teil-)Rechtsordnungen verweisen. Die direkte Wahl von Völkerrecht als anwendbarem Recht ist ebenfalls möglich und wird aufgrund seiner stabilisierenden Wirkung etwa gegenüber der staatlichen Rechtsordnung des Gaststaates zum Teil auch empfohlen. 330 Da das Völkerrecht alleine oft nicht über das notwendige Detail zur Regelung komplexer wirtschaftsrechtlicher Sachverhalte verfügt,331 wird eine kombinierte Anwendung von Völkerrecht und staatlichem Recht, etwa dem Recht des Gaststaates, oftmals sinnvoll sein. 332 Ein besonderes Problem ist das Verhältnis der Rechtswahl nach Art. 42 Abs. 1 ICSID-Konvention zu den in manchen Investitionsschutzabkommen enthaltenen Bestimmungen über das anwendbare Recht.333 So enthalten manche Investitionsschutzabkommen nicht nur das Angebot zur Durchführung eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens, sondern auch Bestimmungen über 327 Vgl. Parra, Applicable Law in Investor-State Arbitration, Transnational Dispute Management 2007, 1 (4); Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, ICSID Convention, Art. 42 Rn. 21: „Art. 42(1) proceeds from the basic freedom of the parties to choose the law they consider most appropriate for their relationship.“ 328 Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 949. 329 Parra, Applicable Law in Investor-State Arbitration, Transnational Dispute Management 2007, 1 (4); Shihata/Parra, Applicable Substantive Law in Disputes Between States and Private Foreign Parties, ICSID Review - FILJ 1994, 183 (188 f.); Arnold, Praxis des Weltbankübereinkommens, 38. 330 Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 951. 331 Vgl. Marboe/Reinisch, Contracts between States and Foreign Private Law Persons, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 18; Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, Rn. 2-47; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 31. Insofern empfiehlt es sich, das internationale Recht als anwendbares Recht mit einer nationalen Rechtsordnung zu kombinieren und dem internationalen Recht die Funktion des Korrektivs zukommen zu lassen, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 21 Rn. 2; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 31. Zur Gegenposition vgl. Pfeiffer, Kontrolle von Organen der Staatengemeinschaft: Internationale Organisationen und ihre Rechtsgeschäfte mit Privaten, 93 (112), 7. These. Vgl. hierzu auch oben § 2 II 5 b. 332 Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 951. 333 Vgl. Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 79 ff.
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das anwendbare Recht, worin oftmals eine Kombination verschiedener Rechtsordnungen (Recht des Gastgeberstaates, das Investitionsschutzabko mmen, allgemeines Völkerrecht, Vereinbarungen zwischen den Parteien etc.) vorgesehen ist. 334 Fraglich ist hierbei, in welchem Verhältnis diese Bestimmungen zu Art. 42 Abs. 1 ICSID-Konvention stehen. So wird vertreten, dass durch die Annahme des Angebotes, sich der Zuständigkeit des ICSID zu unterwerfen, gleichzeitig auch eine Vereinbarung über das anwendbare Recht i.S.v. Art. 42 Abs. 1 ICSID-Konvention zustande kommt.335 Dadurch würde die Abkommensbestimmung über das anwendbare Recht zu einem Teil der Rechtswahlvereinbarung zwischen Staat und Investor. Vorteil dieser Auffassung ist, dass mögliche Widersprüche zwischen der Abkommensbestimmung und einer möglichen Rechtswahl nach der ICSIDKonvention vermieden werden. Problematisch ist jedoch die Begründung 334
Vgl. z.B. Art. 30 („Governing Law“) des US Model BIT (2004): „1. Subject to paragraph 3, when a claim is submitted under Article 24(1)(a)(i)(A) or Article 24(1)(b)(i)(A), the tribunal shall decide the issues in dispute in accordance with this Treaty and applicable rules of international law. 2. Subject to paragraph 3 and the other terms of this Section, when a claim is submitted under Article 24(1)(a)(i)(B) or (C), or Article 24(1)(b)(i)(B) or (C), the tribunal shall apply: (a) the rules of law specified in the pertinent investment authorization or investment agreement, or as the disputing parties may otherwise agree; or (b) if the rules of law have not been specified or otherwise agreed: (i) the law of the respondent, including its rules on the conflict of laws; and (ii) such rules of international law as may be applicable. 3. A joint decision of the Parties, each acting through its representative designated for purposes of this Article, declaring their interpretation of a provision of this Treaty shall be binding on a tribunal, and any decision or award issued by a tribunal must be consistent with that joint decision.“ Art. 26 Abs. 6 des Energiecharta-Vertrages sieht dagegen lediglich die Anwendung völkerrechtlicher Standards, d.h. des Investitionsschutzabkommens und sonstigen anwendbaren Völkerrechts, vor: „A tribunal established under paragraph (4) shall decide the issues in dispute in accordance with this Treaty and applicable rules and principles of international law.“ Ähnlich formuliert ist auch Art. 1131 Abs. 1 NAFTA: „A Tribunal established under this Section shall decide the issues in dispute in accordance with this Agreement and applicable rules of international law.“ 335 Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 953; ders., ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 54; Gaillard, in: ders./Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, The Extent of Review of the Applicable Law in Investment Treaty Arbitration, 223 (227): „When the treaty itself provides for the law applicable to the substance of the investment dispute, the investor‟s acceptance – expressed in the submission of the request for arbitration – of the general offer made by the State in the treaty constitutes the agreement between the disputing parties set forth in the first sentence of Article 42(1).“
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dieser Auffassung, da die in Investitionsschutzabkommen enthaltenen Vorschriften – mit Ausnahme der Vorschriften zur Investor-Staat-Streitbeilegung – gerade nicht als Angebot an den Investor formuliert sind. Es ist somit nicht ohne weiteres ersichtlich, wie eine solche Klausel, die zunächst lediglich Teil einer völkerrechtlichen Vereinbarung zweier Staaten ist, ohne weiteres Zutun zum Inhalt einer Rechtswahlvereinbarung zwischen Staat und Investor werden kann. Vorzugswürdig erscheint eine Einzelfallbetrachtung unter Auslegung der jeweiligen Willenserklärungen. So kann etwa das Angebot des Gaststaates zur Investor-Staat-Streitbeilegung dahin ausgelegt werden, dass dieses Angebot nur unter der Bedingung einer gleichzeitigen Einigung über das anwendbare Recht (mit dem Inhalt der im Abkommen enthaltenen Klausel zum anwendbaren Recht) gelten soll. Fehlt es an einer Rechtswahl, so hat das Schiedsgericht nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 ICSID-Konvention das Recht des Gaststaates samt seiner IPRRegeln sowie die einschlägigen Regeln des Völkerrechts anzuwenden. Die einschlägigen Regeln des Völkerrechts finden sich in sämtlichen Quellen des Völkerrechts (Völkervertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze). Unter den anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen dominieren die Investitionsschutzabkommen. Daneben haben die ICSIDSchiedsgerichte Völkergewohnheitsrecht sowie allgemeine Rechtsgrundsätze angewandt.336 Das Verhältnis des Völkerrechts zum staatlichen Recht im Rahmen von Art. 42 Abs. 1 S. 2 ICSID-Konvention war stets Anlass für Diskussionen, was seinen Grund vor allem darin hat, dass beide Rechtsmaterien durch ein schlichtes „und“ miteinander verbunden sind, ohne dass das (Rang-)Verhältnis genauer erläutert wird. 337 Im Laufe der Zeit hat sich unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte der Konvention die Auffassung durchgesetzt, wonach dem Völkerrecht eine Korrektur- und Ergänzungsfunktion zukommt.338 Danach ist zunächst das staatliche Recht, in der Regel das des 336
Hierzu gehören etwa der Grundsatz der wohlerworbenen Rechte, die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Enteignung ausländischen Vermögens und der Grundsatz der Entschädigung bei Enteignungen, vgl. Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 958 ff. 337 Vgl. hierzu Gaillard/Banifatemi, The meaning of “and” in Article 42(1), second sentence, of the Washington Convention: the role of international law in the ICSID choice of law process, 18 ICSID Review - FILJ 2003, 375 ff.; Gaillard, in: ders./Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, The Extent of Review of the Applicable Law in Investment Treaty Arbitration, 223 (228 ff.); Dugan/Wallace/Rubins/Sabahi, Investor-State Arbitration, 109 ff. 338 Broches, 136 RdC 1972-II, 331 (392); Reisman, 15 ICSID Review - FILJ 2000, 362 ff.; Schreuer, Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 963 m.w.N.; Schreuer, 7
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Gaststaates, Ausgangspunkt der Betrachtung. Im Falle eines Widerspruchs zwischen nationalem Recht und Völkerrecht soll letzteres vorgehen. 339 Sofern das staatliche Recht keine einschlägige Regelung enthält, gelangt das Völkerrecht, insbesondere durch rechtsvergleichend gewonnene allgemeine Rechtsgrundsätze, ergänzend zur Anwendung. 340 Nach Art. 42 Abs. 3 ICSID-Konvention ist eine Entscheidung, welche keine Rechtsentscheidung ist und auf Billigkeitserwägungen beruht, nur aufgrund einer Vereinbarung der Schiedsparteien zulässig. 341 b) Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID Wie schon im Rahmen des ICSID, so liegt es auch bei außerhalb des ICSID durchgeführten Verfahren zunächst an den Parteien, das anwendbare materielle Recht zu wählen. 342 Die meisten staatlichen Schiedsverfahrensrechte gestatten die Wahl nichtstaatlichen Rechts und darüber hinaus auch die Wahl mehrerer Teilrechtsordnungen. 343 Parteien können somit auch hier das Völkerrecht wählen, allerdings, entsprechend der Logik der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit mit ihrer Anbindung an den Schiedsort, nur innerhalb der zwingenden Grenzen Austrian Review of International and European Law 2002, 147 (156): „Relying on Inter national law to serve a supplemental and corrective function in relation to domestic law has […] found wide acceptance.“ Vgl. dagegen die Auffassung von Gaillard/Banifatemi, 18 ICSID Review - FILJ 2003, 375 ff.; Gaillard, in: ders./Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 223 (232 ff.), wonach das Wort „und“ nicht lediglich für eine Korrekturfunktion des Völkerrechts, sondern vielmehr für eine direkte, parallele Anwendung desselben spricht. 339 Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 26; ders., Streitbeilegung im Rahmen des ICSID, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O, Rn. 963 m.w.N. 340 Ibid. 341 Hierzu unten § 6 IV. 342 Als Ausdruck der Privatautonomie ist allgemein anerkannt, dass die Parteien – innerhalb der zwingenden Grenzen der lex arbitri – das anwendbare materielle Recht bestimmen können, vgl. etwa Poudret/Besson, Comparative Law on International Arbitration, Rn. 679, 683; Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn.17-08. Für die bei Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID oftmals vereinbarten UNCITRAL-Schiedsregeln bzw. für die ebenfalls relativ häufig vereinbarte ICCSchiedsordnung ergibt sich dies aus Art. 33 Abs.1 UNCITRAL-Schiedsregeln bzw. Art. 17 Abs. 1 ICC-Schiedsordnung (1998)/Art. 21 Abs. 1 ICC-Schiedsordnung (2012). 343 Dies wird deutlich, indem die verschiedenen Schiedsverfahrensrechte auf „Rechtsvorschriften“, „rules of law“ oder „règles de droit“ Bezug nehmen. Vgl. hierzu etwa Art. 1496 Abs. 1 des französischen NCPC (règles de droit); § 1051 ZPO („Rechtsvorschriften“); Art. 28 (1) UNCITRAL-Modellgesetz („rules of law“). Für einen rechtsvergleichenden Überblick vgl. Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, Rn. 684; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 374 f.
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der lex arbitri. Folgt man dem, so würde das zwingende nationale Recht dem Völkerrecht vorgehen. 344 Auch würde Völkerrecht nur aufgrund des Rechtsanwendungsbefehls des nationalen Schiedsverfahrensrechts zur Anwendung gelangen. Gleichsam stellt sich auch hier die Frage, wie eine Bestimmung des BIT zum anwendbaren Recht Teil der Parteivereinbarung zwischen Gaststaat und Investor wird. 345 Auch hier wird man eine Rechtswahl annehmen können, wobei – anders als im Rahmen der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit – die zwingenden Grenzen der lex arbitri zu beachten sind. Ohne Rechtswahl der Parteien kann das Völkerrecht nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die maßgeblichen Rechtsanwendungsregeln dies zulassen.346 Dies ist zunächst dann der Fall, wenn die prozessualen Kollisionsregeln des einschlägigen nationalen Schiedsverfahrensrechts, der lex arbitri, dies gestatten. 347 Des Weiteren können die Parteien eine (in der Regel institutionelle) Schiedsordnung wählen, nach deren Kollisionsnorm die Möglichkeit zur Wahl nichtstaatlichen Rechts und mithin des Völkerrechts besteht.348 Auch hier gilt, dass Völkerrecht zwar wählbar ist, dies jedoch nur aufgrund der Gestattung und innerhalb der zwingenden Grenzen der lex arbitri. V. Fazit Die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit lässt sich nicht eindeutig in die klassischen Kategorien der internationalen privaten beziehungsweise der völkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit einordnen. Je nach Wahl des Blickwinkels ändert sich die Zuordnung zu einer der beiden Kategorien. 344 So könnte sich etwa die Frage von Eingriffsnormen bzw. des (materiellrechtlichen) ordre public stellen. Vgl. generell hierzu etwa Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 19 ff., 48 ff. und passim. 345 Vgl. etwa Art. 8 Abs. 6 des tschechisch-niederländischen Investitionsschutzabkommens: „The arbitral tribunal shall decide on the basis of the law, taking into account in particular though not exclusively: - the law in force of the Contracting Party concerned; - the provisions of this Agreement, and other relevant Agreements between the Contracting Parties; - the provisions of special agreements relating to the investment; - the general principles of international law.“ 346 Pfeiffer, Kontrolle von Organen der Staatengemeinschaft: Internationale Organisationen und ihre Rechtsgeschäfte mit Privaten, 93 (113), 11. These. 347 Ibid. 348 Vgl. z.B. Art. 17 Abs. 1 ICC-Schiedsordnung (1998) /Art. 21 Abs. 1 ICC-Schiedsordnung (2012). Hierzu Reiner/Jahnel, in: Schütze (Hrsg.), Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 2, Art. 17 ICC-Schiedsordnung, Rn. 2. Für einen rechtsvergleichenden Überblick vgl. Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, Rn. 685 ff.
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Nimmt man eine Zuordnung anhand der am Verfahren beteiligten Schiedsparteien vor, so ist für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als Form der gemischten Schiedsgerichtsbarkeit eine eindeutige Zuordnung nicht möglich. Eine andere Sichtweise wäre allenfalls dann möglich, wenn man der umstrittenen These von der partiellen Völkerrechtssubjektivität des privaten Investors folgte. Nimmt man hingegen eine Zuordnung anhand der Rechtsnatur der zuständigkeitsbegründenden Schiedsvereinbarung vor, so ergibt sich auch hier kein eindeutiges Bild. Bestimmt man die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung nach den daran beteiligten Parteien, so ist zu differenzieren: Stellt man isoliert auf die in den Investitionsschutzabkommen enthaltenen Investor-StaatStreitbeilegungsklauseln ab, so würde dies für eine völkerrechtliche Einordnung sprechen. Stellt man dagegen darauf ab, dass es sich bei diesen Klauseln lediglich um ein Angebot an qualifizierte Investoren handelt und zur Begründung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts eine Vereinbarung der Schied sparteien erforderlich ist, welche die Zustimmung des privaten Investors erfordert, so spricht dies für eine privatrechtliche Einordnung, es sei denn, man bejaht die Völkerrechtssubjektivität des Investors. Zieht man hingegen als entscheidendes Zuordnungskriterium die Art und Weise der Anbindung des Schiedsverfahrens an ein nationales Recht heran, so unterscheiden sich das delokalisierte ICSID-Schiedsverfahren und die sonstigen „konventionellen“ Investitionsschiedsverfahren erheblich. Eine Abgrenzung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit insgesamt, etwa gegenüber der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, erscheint daher anhand dieses Kriteriums nicht möglich. Nimmt man schließlich eine Zuordnung aufgrund des anwendbaren materiellen Rechts sowie des Verfahrensrechts vor, so können jeweils Argumente für und gegen eine Zugehörigkeit zur internationalen privaten bzw. zur völkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit angeführt werden. Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit entzieht sich somit einer eindeutigen Einordnung innerhalb des klassischen Schemas. Dies ist nur folgerichtig, da die Kombination internationaler privater sowie völkerrechtlicher Elemente in der Konzeption der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit angelegt ist. Eine eindeutige Zuordnung würde der Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit somit nicht gerecht. So verwundert es nicht, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit teilweise der internationalen privaten, teilweise aber auch der völkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit zugerechnet wird. Dabei beschreiben diese Charakterisierungen jedoch nur Teilaspekte der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, ohne das Phänomen in seiner Gänze zu erfassen. Dies gilt auch für neuere Auffassungen, welche die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit der international-verwaltungsrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit zuordnen, der eine „public function“ im Rahmen eines sich herausbildenden „global administrative law“
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zukomme. Auch dies ist jedoch nur ein möglicher Teilaspekt, der die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nicht in ihrer Gesamtheit zu erfassen vermag und im Übrigen den Bezug zu den normativen Grundlagen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, insbesondere jener außerhalb des ICSID, vermissen lässt.349 Das System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist wesentlich differenzierter und komplexer als es die vorgenannten (eindimensionalen) Zuordnungsversuche suggerieren. Beschreibungen als Schiedsgerichtsbarkeit sui generis350 oder halb-privat351 (und folglich halb-völkerrechtlich) scheinen dem Phänomen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit noch am ehesten gerecht zu werden.
§ 5 Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen
§ 5 Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen Zum Rechtsrahmen, innerhalb dessen sich die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment in der Schiedspraxis vollzieht, gehören auch die Regeln und die Mittel, welche von den Investitionsschiedsgerichten zur Auslegung investitionsrechtlicher Schutzstandards angewandt werden. Im Folgenden werden hierzu der Begriff der Auslegung (I.), die Auslegung völkerrechtlicher Verträge im Allgemeinen (II.) und die Auslegung von Investitionsschutzabkommen im Besonderen (III.) untersucht. Im letzten Abschnitt wird die Kritik an der Auslegungspraxis der Investitionsschiedsgerichte analysiert und die Eignung dieser Auslegungsgrundlagen für die Auslegung von Generalklauseln wie des Gebots des fair and equitable treatment hinterfragt (IV).
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Insofern ist bei Forderungen, etwa nach einer transparenten Gestaltung von Investitionsschiedsverfahren (z.B. durch Veröffentlichung von Schiedssprüchen, Zugang der Öffentlichkeit und Dritten zu Verfahren und Schriftsätzen), zu berücksichtigen, dass es sich hier, anders als etwa im WTO-Streitbeilegungsverfahren oder in einem Verfahren vor dem IGH, um kein rein völkerrechtliches Verfahren handelt. Die Involvierung privater Parteien und Interessen als grundlegendes Merkmal der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gebieten eine Berücksichtigung privater Interessen (z.B. Vertraulichkeit des Verfahrens) und deren Abwägung gegenüber den zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen, etwa jene nach größerer Transparenz der Verfahren. 350 Kahn, The Law Applicable to Foreign Investments: The Contribution of the World Bank Convention on the Settlement of Investment Disputes, 44 Indiana Law Journal 1968, 1 (15). 351 van Houtte, Article 52 of the Washington Convention – A Brief Introduction, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 11 (14).
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I. Der Begriff der Auslegung Der Umfang der Rechte und Pflichten der an einem Vertrag beteiligten Parteien ergibt sich aus dem Inhalt eines Vertrages. 352 Um den Inhalt des Vertrages zu erschließen, müssen dessen Bestimmungen ausgelegt werden. Eine Rechtsnorm zu verstehen bedeutet, ihren Inhalt zu erfassen bzw. festzustellen.353 Die Auslegung von Rechtstexten stellt somit lediglich einen Teil des allgemeinen Problems des Verstehens von Texten dar. 354 Dies gilt ohne Einschränkung auch für den Bereich des Völkerrechts: Auch hier ist Auslegung das Feststellen des Gehalts von Rechtsnormen. Die Auslegung im Bereich des Völkerrechts unterscheidet sich insofern nicht von der juristischen Auslegung in anderen Bereichen. 355 So geht es für alle Rechtsordnungen bei der juristischen Auslegung um das Verstehen sprachlicher Ausdrücke, da Recht nur in Sprache gefasst und durch Sprache vermittelt werden kann. 356 In allen Rechtsordnungen lebt und wirkt Recht durch Sprache.357 Das Recht besteht aus Rechtsnormen, welche durch Sprache in Form von Rechtssätzen vermittelt werden.358 Der Rechtssatz ist somit der Träger der Rechtsnorm, der diese nach außen hin sichtbar macht. 359 352
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 634. Vgl. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 261; Larenz, Methodenlehre, 204. Für den Bereich des Völkerrechts, Bernhardt, Auslegung, 1; Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 22: Auslegung als Schlüssel zum Verständnis des Vertrags. 354 Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 261, 264; Karl, in: Schreuer (Hrsg.), Autorität und internationale Ordnung, 9 (11); Buchwald, ARSP 1993, 16 (17); Schollendorf, Auslegung, 47; Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 57, 68. 355 Vgl. Rest, Interpretation, 6; Schollendorf, Auslegung, 27; Shaw, International Law, 932. Daher verwundert es nicht, dass die Auslegung im Völkerrecht ebenso wie im nationalen Recht auch im Völkerrecht zu den „schwierigen“ bzw. „gefürchtetsten“ Rechtsmaterien gezählt wird, vgl. McNair, The Law of Treaties, 364: „There is no part of the law of treaties which the textwriter approaches with more trepidation than the question of interpretation.“ 356 Rüthers, Rechtstheorie, 61, 106; Zippelius, Methodenlehre, 19; Kirchhof, Recht wirkt durch Sprache, in: Festschrift Jayme, Band 2, 1165 (1168); Larenz/Canaris, Methodenlehre, 134; Jayme, Langue et Droit, in: Jayme (Hrsg.), Langue et Droit, 11 ff. Als sprachliche Ausdrücke und damit als Objekt der Auslegung im Bereich des Rechts kommen sämtliche Rechtsnormen, darunter auch völkerrechtliche Verträge, in Betracht, Kelsen, Reine Rechtslehre, 346. 357 Kirchhof, Recht wirkt durch Sprache, in: Festschrift Jayme, Band 2, 1165 (1165); Bix, Law, Language and Legal Determinacy, 1: „Language is the medium through which law acts.“ 358 Kirchhof, Recht wirkt durch Sprache, in: Festschrift Jayme, Band 2, 1165 (1168); Rüthers, Rechtstheorie, 61, 106; Zippelius, Methodenlehre, 19; Jayme, Langue et Droit, in: Jayme (Hrsg.), Langue et Droit, 11 ff. 359 Rüthers, Rechtstheorie, 61, 107; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 19; Zippelius, Methodenlehre, 19; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 71, 134. 353
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Erst durch die Einkleidung in Worte erhalten rechtliche Vorstellungen eine feste Gestalt und werden mitteilbar. 360 Rechtssätze und Rechtsnormen sind daher nicht identisch, 361 der Normtext als solcher enthält keine Normativität.362 Die Verwendung von Sprache führt dabei stets zur Auslegungsbedürftigkeit des Rechtstextes, da die verwendeten Begriffe in ihrer Bedeutung nicht eindeutig, sondern mehrdeutig, ungenau und wandelbar sind und sich mit verschiedenen Bedeutungsinhalten verbinden lassen.363 Daraus folgt, dass die Urheber mittels Sprache vermittelter Rechtsnormen ihre Vorstellungen nie exakt auszudrücken vermögen. 364 Die Auslegung 365 ist ein Mittel, diese Divergenz zwischen Auszudrückendem und Ausdruck, zwischen Normtext und Norm zu überbrücken. 366 II. Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge Auch die Auslegung auf dem Gebiet des Völkerrechts 367 befasst sich mit rechtlich relevanten Texten, wobei im Mittelpunkt des Interesses vor allem 360
Zippelius, Methodenlehre, 19. Rüthers, Rechtstheorie, 61; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 253; Müller, Strukturierende Rechtslehre, 147. 362 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 172. 363 Karl, in: Schreuer (Hrsg.), Autorität und international Ordnung, 9 (11); Bernhardt, Auslegung, 16; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 171, 252; Rüthers, Rechtstheorie, 108, 119 ff.; Koller, Theorie des Rechts, 205; Zippelius, Methodenlehre, 20. Vgl. hierzu ausführlich unten § 11 I. 364 Diese Tendenz wird im Völkerrecht dadurch verstärkt, dass bei Verträgen politischer Natur oftmals auf unbestimmte Begriffe zurückgegriffen wird, um eine Einigung überhaupt zu ermöglichen. Zur häufigen Verwendung vager Begriffe in völkerrechtlichen Instrumenten, vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 481 f. 365 „Auslegung“ meint im Folgenden nur die judizielle Auslegung. Zur Unterscheidung zwischen authentischer, individueller und judizieller Auslegung vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 490. 366 Schneider, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), 1 (5). Vgl. hierzu auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 31, 279 f.; Zippelius, Methodenlehre, 21. Dabei haben internationale Streitbeilegungsorgane, deren Existenz vom Konsens der Staaten abhängt, ein besonderes Interesse daran, dass ihre Entscheidungen auf Akzeptanz stoßen. Hierzu zählt das Bemühen um eine rationale, nachvollziehbare Begründung, gerade auch dort, wo – wie häufig in internationalen Verträgen – Generalklauseln und vage Rechtsbegriffe eine direkte Herleitung erschweren. 367 Die Frage der Auslegung im Völkerrecht ist nach wie vor aktuell und Gegenstand einer lebendigen akademischen Diskussion. Zum Ganzen in jüngerer Zeit Kolb, Interprétation et Création du Droit International. Esquisse d‟une herméneutique juridique moderne pour le droit international public, 2006; Fernandez de Casadevante Romani, Sovereignty and Interpretation of International Norms, 2007; Gardiner, Treaty Interpretation, 2008; Linderfalk, On the Interpretation of Treaties. The Modern International Law as Expressed in the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, 2007; Orakhelashvili, The Interpre361
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schriftlich abgefasste völkerrechtliche Verträge stehen. 368 Diese stellen im internationalen Investitionsrecht die vorrangige Rechtsquelle dar. 369 1. Gegenstand der Auslegung Betrachtet man die historische Entwicklung der völkerrechtlichen Auslegungsregeln,370 so besteht ein zentrales Problem seit jeher in der Frage, was Gegenstand der Auslegung sein soll – der Wille der Parteien oder der Text des Vertrages.371 Diese unterschiedlichen Grundpositionen entsprechen der tation of Acts and Rules in Public International Law, 2008; Van Damme, Treaty Interpretation by the WTO Appellate Body, 2009; Villiger, Commentary on the Vienna Convention on the Law of Treaties (1968), 2009; Zarbiev, Le discours interprétatif en droit international: une approche critique et généalogique, Diss. 2010; Letsas, A Theory of Interpretation of the European Convention of Human Rights, 2007; Fitzmaurice/Elias/Merkouris (Hrsg.), Treaty Interpretation and the Vienna Convention on the Law of Treaties, 2010; EJIL Symposium: The Interpretation of Treaties – A Re-examination, mit Beiträgen von Weiler, Letsas, Grover, Lixinski, Van Damme, Pavoni, und Crema, in: 21 EJIL 2010; Roberts, Power and Persuasion in Investment Treaty Arbitration, 104 AJIL 2010, 179 ff.; Waibel, International Investment Law and Treaty Interpretation, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 29 ff.; Cannizzaro (Hrsg.), The Law of Treaties Beyond the Vienna Convention, 2011; Corten/Klein (Hrsg.), The Vienna Conventions on the Law of Treaties: A Commentary, 2011; Dörr/Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of Treaties, 2011. Vgl. hierzu auch den Überblick von Waibel, Demystifying the Art of Interpretation, 22 EJIL 2011, 571 ff. 368 Bernhard, in: ders. (Hrsg.), EPIL II, 1416 (1417). Die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge [BGBl. 1985 II, 926]) bezieht sich gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a nur auf schriftlich abgeschlossene Verträge. Dies stellt jedoch lediglich eine besondere Anwendungsvoraussetzung der WVRK dar, was nicht bedeutet, dass Verträge, die dieser Definition nicht entsprechen, keine völkerrechtlichen Verträge sind, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 514; Gardiner, Interpretation, 20 f., 144 f. Völkerrechtliche Verträge sind zwischen mindestens zwei vertragsfähigen Völkerrechtssubjekten geschlossene, rechtlich verbindliche Vereinbarungen, die dem Völkerrecht unterstehen und aus der sich für mindestens eine Partei Rechte und Pflichten ergeben, vgl. Bernhard, EPIL IV, 926 (927); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 337; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 514. Völkerrechtliche Verträge können formfrei geschlossen werden, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 513 f., wobei jedoch Schriftform üblich ist, Bernhard, in: ders. (Hrsg.), EPIL IV, 926 (927). 369 Vgl. oben § 2 II 1. Dies gilt insbesondere auch für das Gebot des fair and equitable treatment, vgl. hierzu unten § 6 II. 370 Eine Hinwendung zu Auslegungsfragen und zur Aufstellung bestimmter Auslegungsregeln beginnt im 17. und 18. Jahrhundert und ist mit den Namen von Grotius und Vattel verbunden, vgl. etwa Gardiner, Treaty Interpretation, 55 f. 371 Bernhardt, Auslegung, 9, 15; Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 606 ff.; Schreuer, 45 BYIL 1971, 255 (272 ff.); Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 26 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 634, 637. Grotius widmete in seinem Werk „De iure belli ac pacis“ ein Kapitel der Vertragsauslegung, in
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aus den nationalen Rechtsordnungen bekannten Unterscheidung zwischen der subjektiven, auf die Ermittlung des historischen Willens des Gesetzgebers gerichteten, und der objektiven, auf den Sinn bzw. den „Willen“ des Gesetzes fokussierten Auslegung. 372 Während lange Zeit der subjektive Auslegungsansatz in der Völkerrechtswissenschaft vorherrschend war, 373 hat sich dies im Laufe der Zeit zugunsten dem er eine Reihe von Auslegungsregeln aufstellte, vgl. Grotius, De iure belli ac pacis, Buch 2. Buch. 16 I 2: „Rectae interpretationis mensura est collectio mentis ex signis maxime probabilibus. Ea signa sunt duum generum, verba & conjecturae aliae: quae aut secorsim considerantur, aut conjunctim“. Zentral ist dabei das Gewicht, welches Grotius (und die ihm folgende Lehre des 17. und 18. Jahrhunderts) den Intentionen des Textautors bzw. denen des Gesetzgebers beimaß, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 634, 637; Bernhardt, Auslegung, 6; Gardiner, Treaty Interpretation, 55. Demgegenüber forderte Vattel eine stärkere Hinwendung zum Text. Danach ist der Willen der Verfasser (= der Vertragsparteien) nur hilfsweise bei unklarem Wortlaut heranzuziehen, vgl. Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, Livre II, § 263: „La prémière maxime générale sur l‟interprétation est, qu‟il n‟est pas permis d‟interpréter ce qui n‟a pa s besoin d„interpretation. Quand un Acte est concû en termes clairs et précis, et quand sens en est manifest et ne conduit à rien d‟absurde; on n‟a aucune raison de se refuser au sens que cet Acte présente naturellement.“ Ebenso § 270: „[…] dès qu‟on y rencontre quelqu‟obscurité, il faut chercher quelle a été vraisemblablement la pensée de ceux qui l‟ont dressé, et l‟interpréter en conséquence. C‟est la Règle générale de toute interprétation.“ 372 Für die subjektive Auslegungslehre bieten die verschiedenen Auslegungsmittel Anhaltspunkte, um den Parteiwillen nachzuweisen, vgl. Karl, in: Schreuer (Hrsg.), Autorität und internationale Ordnung, 9 (12 f.); Lauterpacht, 26 BYIL 1949, 48 (75). Der Wortlaut ist dabei lediglich der Ausgangspunkt. Weitere Indizien sind insbesondere die travaux préperatoires, vgl. Jacobs, 18 ICLQ 1969, 318 (319). Die objektive Theorie konzentriert sich dagegen auf die Ermittlung der Bedeutung des Vertragstextes. Während die eine Theorie darauf abstellt, was die Parteien wollten, stellt die andere Theorie darauf ab, was die Parteien gesagt haben. Somit muss nicht nur bei der Auslegung nationaler Gesetze, sondern auch bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge darüber entschieden werden, ob der Wille der Vertragsparteien bzw. der Autoren des Normtextes oder die Bedeutung des Vertragstextes im Mittelpunkt stehen und Gegenstand der Auslegung sein soll. Der textorientierten Auslegung ist entgegengehalten worden, dass die Entscheidung, ob ein Text klar und unmissverständlich ist, ihrerseits erst das Ergebnis einer Auslegung sein könne, vgl. Oppenheim/Jennings/Watts, International Law, Vol. I, 1267; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 82; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 637; Bernhardt, Auslegung, 17. Im Übrigen stellt dies streng genommen kein Argument gegen die objektive Auslegungsvariante dar, sondern allenfalls gegen die auf Vattel zurückgehende Maxime, wonach ein klarer Text keiner Auslegung zugänglich sei (in claris non fit interpretatio). Andererseits wird gegen eine auf den Parteiwillen abstellende Auslegung vorgebracht, dass Hinweise auf einen einheitlichen Parteiwillen in der Regel selten oder gar nicht vorhanden sind, Oppenheim/Jennings/Watts, International Law, Vol. I, 1267; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 637. 373 Vgl. etwa Lauterpacht, Les travaux préperatoires, 48 RdC 1934, 713 ff.; McNair, Law of Treaties, 365 ff. Vgl. hierzu auch Fitzmaurice, BYIL 28 (1951), 1 (3); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 637 f. m.w.N.
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des objektiven Ansatzes geändert. 374 Für bilaterale Verträge wurde der subjektive Ansatz lange Zeit als sachgerecht angesehen, da ein einheitlicher Wille vorhanden war und vergleichsweise einfach nachgewiesen werden konnte. Mit dem Aufkommen multilateraler Verträge wurde dieser Ansatz zunehmend in Frage gestellt. 375 Insbesondere seit der Kodifizierung von Auslegungsregeln im Rahmen der Wiener Vertragsrechtskonvention, welche nach überwiegender Auffassung einer gemäßigt-objektiven Theorie folgt, 376 finden sich in der Völkerrechtswissenschaft nur noch wenige Stimmen, welche den subjektiven Ansatz befürworten. 377 2. Die Rechtsnormen der Vertragsauslegung im Völkerrecht: Auslegung nach der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) Die völkerrechtlichen Auslegungsmethoden haben sich über längere Zeit entwickelt.378 Dabei weist die Auslegung völkerrechtlicher Verträge Übereinstimmungen mit der Auslegung anderer Rechtstexte und -normen, insbesondere mit jener privatrechtlicher Verträge sowie staatlicher Gesetze, auf: 379 Auch im Völkerrecht sind die aus den nationalen Rechtsordnungen bekannten Auslegungsmethoden (Wortlaut, Sinn und Zweck, Systematik) von zentraler Bedeutung.380 374
Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 639; Oppenheim/Jennings/ Watts, International Law, Vol. I, 1271 ff.; Bernhardt, Auslegung, 175; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 491 ff.; Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 606 ff.; Brownlie, Principles, 602; de Visscher, Problèmes d‟interprétation judiciaire en droit international public, 17 f. 375 Schollendorf, Auslegung, 43; zur tendentiell größeren Bedeutung des Parteiwillens bei nicht hinreichend klarem Vertragstext Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 639, 648 f. 376 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 639; Brownlie, Principles, 602. Vgl. hierzu auch unten IV. 377 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 639. Dies mag auch mit der Gesamtentwicklung des Völkerrechts in Zusammenhang stehen, in deren Rahmen die Vorstellung von einer objektiven, vom Willen der Staaten unabhängigen Rechtsordnung gegenüber voluntaristischen Theorien zunehmend an Bedeutung gewinnt, vgl. Karl, in: Schreuer (Hrsg.), Autorität und international Ordnung, 9 (12 f.); Schollendorf, Auslegung, 43. 378 Zur Entwicklung der völkerrechtlichen Auslegungsmethoden und -grundsätze, beginnend mit Grotius und Vattel und weiterentwickelt vor allem durch die völkerrechtliche Rechtsprechung, insbesondere des Ständigen Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Gerichtshofs, sowie einer Vielzahl von Schiedsgerichten, vgl. u.a. Bernhardt, Auslegung, 58 ff.; Thirlway, 62 BYIL 1991, 1 (16 ff.); Oppenheim/Jennings/Watts, International Law, Vol. I, 1269 ff.; McNair, Treaties, 364 ff.; Gardiner, Treaty Interpretation, 51 ff. 379 Oppenheim/Jennings/Watts, International Law, Vol. I, 1269 f.; Schollendorf, Auslegung, 46. 380 Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 89.
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Ausgangspunkt der Auslegung ist der in den Artikeln 31 381 und 32382 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) niedergelegte Auslegungskanon zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 383 auf den in der Praxis, insbesondere jener der Investitionsschiedsgerichte, zurückgegriffen wird. 384 Dabei beschränken sich die Artikel 31 und 32 WVRK auf einige Grundregeln bzw. Prinzipien der Vertragsauslegung. 385 Art. 31 WVRK enthält eine „Allgemeine Auslegungsregel“, während Art. 32 WVRK „Ergänzende Auslegungsmittel“ betrifft. Art. 33 WVRK behandelt das gesonderte Problem der Auslegung mehrsprachiger Verträge. Nach Art. 31 Abs. 1 WVRK ist ein Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem 381
Artikel 31 WVRK („Allgemeine Auslegungsregel“) lautet: „(1) Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. (2) Für die Auslegung eines Vertrags bedeutet der Zusammenhang ausser dem Vertragswortlaut samt Präambel und Anlagen a) jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde; b) jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde. (3) Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen; b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht; c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz. (4) Eine besondere Bedeutung ist einem Ausdruck beizulegen, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben.“ 382 Artikel 32 WVRK („Ergänzende Auslegungsmittel“) lautet: „Ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die U mstände des Vertragsabschlusses, können herangezogen werden, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu besti mmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31 a) die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder b) zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt.“ 383 Es ist anerkannt, dass die Auslegungsregeln des Völkergewohnheitsrechts in den Artikeln 31 und 32 WVRK kodifiziert sind, so dass insofern Übereinstimmung herrscht, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 639 f.; Shaw, International Law, 933; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 11; Oppenheim/Jennings/Watts, International Law, Vol. I, 1271; Gardiner, Treaty Interpretation, 12; Bernhard, EPIL II (1995), 1416 (1419). 384 Vgl. hierzu unten III. 385 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 639.
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Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.“ Obwohl Art. 31 Abs. 1 WVRK als eine einheitliche Regelung formuliert ist, 386 enthält er einige unterschiedliche Auslegungsregeln, die in keiner festen Rangordnung zueinander stehen. 387 Die Auslegung soll demnach die Bedeutung des Vertragstextes in seinem Kontext unter Berücksichtigung teleologischer Elemente ermitteln. 388 a) Wortlaut, Art. 31 Abs. 1, 1. Alt. WVRK Auch bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge bildet der Wortlaut den Ausgangspunkt der Auslegung. 389 Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Vertragsparteien einer allgemein üblichen und verständlichen Sprache bedient haben.390 Daher soll bei der Suche nach der Wortbedeutung zunächst danach gefragt werden, welche Bedeutung die verwendeten Worte im allge-
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International Law Commission, Yrbk. ILC (1966), ii. 219 f.; Brownlie, Principles, 603; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 640; Gardiner, Treaty Interpretation, 202. 387 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 640. 388 Dieser Vorgang steht unter dem Gebot von Treu und Glauben und der Billigkeit. Das allgemeine Prinzip der bona fides soll den Bereich zulässiger Rechtsausübung begrenzen, indem es den Rechtsmissbrauch untersagt und damit eine dem vertraglichen Treueverhältnis und seinem Sinn widersprechende Auslegung verbietet, auch wenn sie dem Wortlaut nach möglich erschiene, vgl. Bernhardt, Auslegung, 23 ff. (unter Verweis auf die naturrechtlichen Wurzeln der bona fides); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 281. 389 Vgl. Bernhard, EPIL II (1995), 1416 (1420); Gardiner, Treaty Interpretation, 141, 161 ff.; Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 419 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 27, Rn. 83; Herdegen, Völkerrecht, 122; Aust, Modern Treaty Law, 235. Dies entspricht dem objektiven Auslegungsansatz, wonach nicht der Willen der Parteien, sondern der Vertragstext den Ausgangspunkt der Auslegung darstellt, vgl. Bernhard, EPIL II (1995), 1416 (1419 f.); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 491; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 640; Brownlie, Principles, 602. Bei mehrsprachigen Verträgen bestimmt Art. 33 Abs. 1 WVRK, dass jede Sprachfassung in gleicher Weise maßgeblich sein soll, sofern die Parteien nichts anderes festgelegt haben. Dabei kann der Vergleich mehrerer Sprachfassungen erst Zweifel aufwerfen, die bei Auslegung einer Sprachfassung nicht bestanden haben, vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 354. Zur Praxis der Sprachenwahl bei Abkommen vgl. Aust, Modern Treaty Law and Practice, 250 ff. Zu den Gründen für die Sprachwahl für Abkommen vgl. Gamble/Ku, Choice of Language in Bilateral Treaties: Fifty Years of Changing State Practice, Indiana International and Comparative Law Review 1992-93, 233 ff. Im Investitionsrecht und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit dominiert die englische Sprachfassung, so dass sprachliche Divergenzen bisher keine Rolle gespielt haben. Zur Arbeit der ILC zu Art. 33 WVRK vgl. Germer, Interpretation of Plurilingual Treaties: A Study of Article 33 of the Vienna Convention on the Law of Treaties, 11 Harvard International Law Journal 1970, 400 ff. 390 Brownlie, Principles, 631.
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meinen Sprachgebrauch haben, da dies der gewöhnlichen Bedeutung bzw. der „ordinary meaning“ entspreche. 391 In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist die Frage, ob bei einem Wandel des Sprachgebrauchs die Wortbedeutung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (historische Wortbedeutung) oder zum Zeitpunkt der Auslegung maßgeblich ist. 392 Nach überwiegender Auffassung ist grundsätzlich auf die gewöhnliche Wortbedeutung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen.393 Vor dem Hintergrund des möglichen Bedeutungswandels vieler Begriffe entspricht es jedoch allgemeiner Auffassung, dass insbesondere bei auf längere Geltungsdauer angelegten Verträgen die Auslegung des Wortlauts „dynamisch“ bzw. „evolutiv“ erfolgen kann. 394 b) Systematik, Art. 31 Abs. 1, 2. Alt. WVRK Der Kontext einer Rechtsnorm, in dem diese ihre Wirkung entfaltet, ist ebenfalls Kriterium der Auslegung. 395 Im Wege der systematischen Auslegung wird der Zusammenhang, in dem die auszulegenden Begriffe stehen, untersucht. Dabei ist zwischen einem engeren und einem weiteren Zusammenhang zu unterscheiden. Der engere Zusammenhang betrifft die sachliche und räumliche Nachbarschaft zu anderen umliegenden Vorschriften. 396 Der weitere Zusammenhang betrifft den Vertrag in seiner Gesamtheit, die Interdependenz 391 Aust, Modern Treaty Law, 235. Zur Frage, aus wessen Sicht/für wen es sich um eine „gewöhnliche“ Bedeutung handeln müsse, Gardiner, Treaty Interpretation, 173 f. Nach der Vattel‟schen Maxime „in claris non fit interpretatio“ bedarf ein klarer Wortlaut keiner Auslegung. Demnach bedürfen eindeutige vertragliche Bestimmungen keiner Auslegung. Dem ist jedoch zu Recht entgegengehalten worden, dass stets Auslegung erforderlich ist, da selbst die Erkenntnis, dass ein klarer Wortlaut vorliegt, das Ergebnis eines Auslegungsvorgangs ist, vgl. Oppenheim/Jennings/Watts, International Law, Vol. I, 1267; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 82; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 637; Sinclair, Vienna Convention, 72. Auch der IGH weisst darauf hin, dass selbst ein scheinbar klarer Wortlaut, insbesondere wenn isoliert betrachtet, oftmals nur unzureichend bestimmt sein kann, vgl. IGH, Case Concerning Legality of Use of Force, ICJ Reports 2004, 720 (738 ff.). 392 Bernhardt, Auslegung, 74; Fitzmaurice, 33 BYIL 1957, 203 (225). 393 Bernhardt, ZaöRV 27 (1967), 497; McNair, Treaties, 467; Yasseen, 151 RdC 1976III, 35; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 83. Für die subjektive Theorie ergibt sich dies aus dem Bestreben, den Willen des Normgebers zu ermitteln. 394 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 83. Diese Sichtweise entspricht daher im Ergebnis dem objektiven Ansatz. Grenze dieser am gewandelten Begriffsverständnis orientierten Auslegung soll sein, inwiefern diese noch mit dem ursprünglichen Parteiwillen bei Vertragsabschluss in Einklang zu bringen wäre, vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 83. 395 Zur Theorie und Typologie des Kontexts im Rahmen der Auslegung Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 456 ff. 396 Bernhardt, Auslegung, 69 ff. m.w.N., insbesondere aus der Rechtsprechung internationaler Gerichte.
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aller seiner Einzelbestimmungen und die sich daraus ergebenden Grundgedanken.397 Die systematische Auslegung i.e.S. scheint annähernd universell anerkannt zu sein398 und beruht auf dem einem Regelwerk immanenten Strukturprinzip.399 Diese auf den Regelungszusammenhang abstellende Auslegung wird in Art. 31 Abs. 2 und 3 WVRK präzisiert. Nach Art. 31 Abs. 2 (a) WVRK gehören neben dem Vertragswortlaut inklusive Präambel und Anlagen auch weitere Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien anlässlich des Vertragsschlusses zum Regelungszusammenhang. Ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen sind nach Art. 31 Abs. 2 (b) WVRK andere Urkunden, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst worden sind und von den anderen Parteien als sich auf den Vertrag beziehende Urkunden angenommen wurden. 400 Des Weiteren sind nach Art. 31 Abs. 3 WVRK im Rahmen der Auslegung spätere Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung des Vertrages (lit. a),401 jede spätere Übung der Vertragsparteien als Ausdruck der Übereinstimmung betreffend die Auslegung des Vertrages (lit. b) 402 sowie jeder in den Beziehungen der Vertragsparteien einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen (lit. c)403. Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK kodifiziert das Prinzip der systemischen Integration. 404 Dieser Auslegungsmaxime liegt die Annahme zugrunde, dass alle völkerrechtlichen Abkommen Teil eines völkerrechtlichen Rechts397
Bernhardt, Auslegung, 69. Vgl. Bernhard, EPIL II, 1416 (1420). Zu dem, was im Einzelnen Gegenstand des Kontexts sein kann, vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 177 ff. 399 Demgegenüber bezieht die systematische Auslegung i.w.S. auch außerhalb des Vertragstexts liegende Umstände und Texte mit ein, vgl. Bernhard, EPIL II, 1416 (1420). 400 Vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 209 ff. 401 Vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 216 ff. 402 Vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 225 ff. 403 Vgl. hierzu McLachlan, The Principle of Systemic Integration and Article 31(3)(c) of the Vienna Convention, ICLQ 2005, Vol. 54, 279 ff.; Gardiner, Treaty Interpretation, 250 ff., 260 ff. 404 Die englische Version von Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK lautet: „3. There shall be taken into account, together with the context: […] (c) any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties.“ Zur Anwendung dieses Auslegungsgrundsatzes vgl. IGH, Oil Platforms Case, ICJ Reports 2003, 161 (181). Vgl. auch Gardiner, Treaty Interpretation, 250 ff.; McLachlan, The Principle of Systemic Integration and Article 31(3)(c) of the Vienna Convention, 54 ICLQ 2005, 279 ff.; ILC, Fragmentation of international law, Conclusions, UN Doc A/CN/L.702 (2006), Rn. 17 ff. Speziell im Hinblick auf das internationale Investitionsrecht Sabanogullari, KSzW 2011, 176 ff.; McLachlan/Shore/Weiniger, Investment Treaty Arbitration, Rn. 1.38 ff.; Kläger, Fair and equitable treatment, 101 ff.; van Aaken, 17 Finnish Yearbook of International Law 2008, 91 ff. 398
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systems sind und vor diesem Hintergrund ausgelegt werden müssen. 405 Ein Hauptziel dieses Auslegungsmittels ist es, Normkonflikte und Wertungswidersprüche zu vermeiden und einen Beitrag zur Harmonisierung und gegen eine Fragmentierung des Völkerrechts zu leisten.406 Dabei ist jedoch für den Bereich des Investitionsrechts zu berücksichtigen, dass das Aufkommen der Investitionsschutzabkommen vor dem Hintergrund der Schwächen des allgemeinen Völkerrechts – insbesondere des Fremdenrechts – beim Schutz ausländischer Investitionen erfolgte, wodurch fraglich ist, ob und inwiefern diese Materien im Rahmen der Auslegung vertraglichen Investitionsrechts zu berücksichtigen sind.407 c) Sinn und Zweck, Art. 31 Abs. 1, 3.Alt. WVRK Die teleologische Auslegung stellt neben Wortlaut und Kontext das dritte wesentliche Element der Auslegung dar.408 Ziel und Zweck (object and pur-
405 Vgl. McLachlan, The Principle of Systemic Integration and Article 31(3)(c) of the Vienna Convention, 54 ICLQ 2005, 279 (286); McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 1.38, 7.69; Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 24; Sands, 10 Yale Human Rights and Development Law Journal 1998, 3 (8); ILC, Fragmentation of international law: Difficulties arising from the diversification and expansion of international law. Report of the study group of the International Law Commission (Koskenniemi), UN Doc. A/CN.4/L.682 (2006), Rn. 33; ILC, Fragmentation of international law, Conclusions, UN Doc A/CN/L.702 (2006), Rn. 1 f., 17. 406 Vgl. etwa van Aaken, 17 Finnish Yearbook of International Law 2008, 91 ff.; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, 253 ff. und passim; ders., Fragmentation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, online edition, Rn. 29 f.; de Wet, Normenhierarchie versus systemische Integration, 100 f.; Kammerhofer, 19 Finnish Yearbook of International Law 2008, 157 (158); Hirsch, Interactions between Investment and Non-Investment Obligations in International Investment Law, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 154 ff.; Sabanogullari, KSzW 2011, 176, 180; d’Aspremont, in: Nollkaemper/Fauchald (Hrsg.), The Practice of International and National Courts and the (De-)Fragmentation of International Law, 2012, 141 (147): „[A] legal order is deemed consistent if it is an order that can be made consistent not only by actually devising rules which are in tune with one another but also by interpreting them in a systemic way.“ 407 McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.69. Zur Frage der Eignung der systemischen Integration als Mittel der Normkonkretisierung, insb esondere im Hinblick auf das Gebot des fair and equitable treatment, vgl. unten § 11 II 3 c. 408 Vgl. Klabbers, Some Problems regarding the Object and Purpose of Treaties, 8 Finnish Yearbook of International Law 1997, 138 ff.; ders., Treaties, Object and Purpose, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010; Gardiner, Treaty Interpretation, 189 ff. Vgl. hierzu auch IGH, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Advisory Opinion), 1951, ICJ Reports 15, Rn. 22; IGH, Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, 1986, ICJ Reports 14, Rn. 275.
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pose)409 der betreffenden Regelung bzw. des Vertrages im Ganzen stehen dabei im Vordergrund.410 Wenn die Aufgabe der Vertragsauslegung darin besteht, die Tragweite und den rechtlichen Gehalt der Vertragsbestimmungen zu erkennen, so muss den Zielen, die diesen Vertragsbestimmungen einzeln und in ihrer Gesamtheit zugrunde liegen, eine besondere Bedeutung zuko mmen.411 Die teleologische Auslegung versucht aus Sinn und Zweck des einzelnen Rechtsbegriffs wie des Vertrages Rückschlüsse auf dessen Bedeutung zu ziehen. 412 Demnach sind die im Vertragstext erkennbar niedergelegten Ziele der Vertragsparteien bei der Auslegung von Vertragsvorschriften zu beachten.413 Je nach Art und Umfang des Vertrages kann dieser ein oder mehrere Ziele verfolgen. 414 Im Zusammenhang mit der teleologischen Auslegung steht der Effektivitätsgrundsatz (effet utile), demzufolge eine Auslegung zu wählen ist, welche Ziele und Zwecke eines Vertrages am besten zum Tragen bringt bzw. welche den Vertrag weder in Teilen noch im Ganzen unwirksam macht. 415 Dabei ist jedoch stets auf eine Balance zwischen den den Vertragsparteien zumutbaren Beschränkungen ihrer Souveränität und der Wirksamkeit des Vertrages zu achten.416 Das bedeutet, dass auch bei der Zweckerreichung letztlich der Vertragstext mit seinen Grundgedanken und nicht ein allgemeines Zweck- und Effektivitätsdenken, das sich generell eine möglichst sachgerechte und wirksame Regelung wünscht, Maßstab ist. 417 Die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes darf somit nicht jenseits des Wortlauts zu einer quasilegislator ischen Revision Vertrages führen. Es besteht daher Einigkeit darüber, dass der Vertragszweck im Vertragstext irgendwie Niederschlag gefunden haben muss, sei es in der Präambel, in den Grundsatzartikeln, im Wortlaut der auszulegenden Einzelbestimmung oder auch nur im Gesamtzusammenhang des Vertrages.418 409
Zur Problematik der in der englischen Sprache nur schwer möglichen Unterscheidung zwischen „object“ und „purpose“ vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 191. 410 Vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 189 ff., 199 f. 411 Bernhardt, Auslegung, 89. 412 Bernhardt, Auslegung, 88 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung internationaler Gerichte. 413 Bernhardt, Auslegung, 93. 414 Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 569 f. 415 Vgl. Bernhardt, Auslegung, 96; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 49; Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 583 ff.; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 114; Orakhelashvili, The Interpretation of Acts and Rules in Public International Law, 393 ff. 416 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 645. 417 Bernhardt, Auslegung, 96. Zum Verhältnis von Wortlaut und Sinn und Zweck vgl. auch Gardiner, Treaty Interpretation, 197 f. 418 Bernhardt, Auslegung, 89, 93; Köck, Vertragsinterpretation, 88; Yasseen, 151 RdC 1976 III, 57.
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
d) Weitere Auslegungsmittel, Art. 32 WVRK Auch bei Anwendung der vorgenannten Auslegungsmittel (Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck) kann es vorkommen, dass die auszulegende Vertragsbestimmung keiner klaren Deutung zugeführt werden kann. Art. 32 WVRK sieht für diesen Fall die subsidiäre Heranziehung ergänzender Auslegungsmittel vor, wozu insbesondere die vorbereitenden Arbeiten (travaux préparatoires)419 gehören.420 Gegenüber den objektiven Kriterien der Vertragsauslegung stellt das in Art. 32 WVRK enthaltene subjektive Kriterium des (historischen) Parteiwillens ein nachrangiges Auslegungsmittel dar. 421 Diese Form der Auslegung entfernt sich am weitesten vom Wortlaut des Vertrages.422 Oftmals ermöglichen die Materialien jedoch keinen direkten Schluss auf den Parteiwillen, sondern bieten allenfalls Indizien für einen möglichen Parteiwillen. 423 Neben den Vorarbeiten sieht Art. 32 WVRK auch die Einbeziehung der Umstände des Vertragsschlusses (tatsächliche Verhältnisse, Bedürfnisse und Interessen, welche zur Zeit des Vertragsschlusses bestanden und welche die Vertragsparteien geleitet haben) als subsidiäres Hilfsmittel für die Auslegung
419
Hierzu gehören Verhandlungsprotokolle, offizielle Erklärungen der beteiligten Vertragsstaaten und mit begrenzter Wirksamkeit versehene, vertragsbezogene innerstaatliche Erklärungen der Vertragsstaaten, vgl. Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 635 ff. 420 Vgl. hierzu Briggs, The Travaux Préparatoires of the Vienna Convention on the Law of Treaties, AJIL 1971, Vol. 65, 705 ff.; Villiger, Vienna Convention, Art. 32 Rn. 3; French, Treaty Interpretation and the Incorporation of Extraneous Legal Rules, ICLQ 2006, Vol. 55, 281 ff. Zur Kritik insbesondere des Vertreters der US-Delegation, Professor McDougal, an der Trennung von „general rule“ und „supplementary means“ vgl. etwa Gardiner, Treaty Interpretation, 303 ff. Vgl. auch Villiger, Vienna Convention, Art. 32 Rn. 7, demzufolge in Anlehnung an die französische Sprachfassung („complementaire“) nicht von einer subsidiären, sondern von einer ergänzenden Auslegung gesprochen werden sollte. Allerdings erscheint fraglich, inwiefern dies zu Unterschieden in der praktischen Rechtsanwendung führt. 421 Herdegen, Völkerrecht, 122; Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 32 ff.; Gardiner, Treaty Interpretation, 24, 74 ff. Dem gegenüber steht der nicht seltene Gebrauch der Materialien in der Praxis, vgl. McNair, The Law of Treaties, 412: „It would hardly be an exaggeration to say that in almost every case involving the interpretation of a treaty one or both of the parties seeks to invoke the preparatory work“. Zusa mmenfassend Gardiner, Treaty Interpretation, 304: „The Vienna rules have generally been taken as allowing liberal reference to preparatory work, even if a decisive role in determining an interpretation is more limited.“ Für den Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist jedoch festzustellen, dass ein Rückgriff auf die Materialien selten erfolgt, vgl. unten III 2. 422 Brownlie, Principles, 606: „[…] its use may detract from the textual approach […].“ 423 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 4.
§ 5 Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen
101
vor.424 Die Nachrangigkeit dieses Auslegungsmittels wird dadurch unterstrichen, dass die Begleitumstände des Vertragsschlusses gerade kein Bestandteil des Vertrages geworden sind und folglich auch keine maßgebliche Rechtsquelle (i.S.v. Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut) darstellen.425 e) Sonstige Auslegungs- und Vermutungsregeln Neben diesen anerkannten Auslegungsregeln kennt die Praxis der Vertragsauslegung einige technisch-formale Auslegungs- und Vermutungsregeln,426 wie etwa verschiedene Formen des Umkehrschlusses 427 oder den Grundsatz der souveränitätsschonenden (bzw. restriktiven) Auslegung (in dubio mitius).428 424
Vgl. hierzu Gardiner, Treaty Interpretation, 343 ff. Vgl. Damrosch, International Law, 510. 426 Vgl. Bernhardt, Auslegung, 175. Diese werden teilweise als spezielle Ausprägungen der vorgenannten Auslegungsgrundsätze angesehen, vgl. Herdegen, Völkerrecht, 123. 427 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, 648; Bernhardt, in: ders. (Hrsg.), EPIL II, 1416 (1421); ders., Auslegung, 181. Dabei wird jedoch bezweifelt, dass der Umkehrschluss tatsächlich zu den anerkannten völkerrechtlichen Auslegungsregeln gehört, vgl. ibid. 428 Nach dem Grundsatz der souveränitätsschonenden (bzw. restriktiven) Auslegung (in dubio mitius) sind Verpflichtungen von Staaten so auszulegen, dass hierdurch die Handlungsfreiheit und damit die staatliche Souveränität möglichst wenig beeinträchtigt wird, vgl. hierzu Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 493; Kolb, Interprétation et Création du Droit International, 687 ff. Kritisch hierzu Lauterpacht, 26 BYIL 1949, 48 (67 ff.); Bernhardt, Auslegung, 176 ff., 178: „Das Begriffspaar extensive/restriktive Auslegung kennzeichnet […] keine eigenständigen Auslegungsregeln“; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 116: „[T]he better view is that there is no such principle of restrictive interpretation of treaties.“ Die Vermutung der souveränitätsschonenden Auslegung soll allerdings nur bei Verträgen gelten, die im Austauschverhältnis stehende Lei stungspflichten vorsehen, vgl. Herdegen, Völkerrecht, 123. Danach ist im Zweifel so auszulegen, dass Vertragsvorschriften, welche Beschränkungen der Parteien vorsehen, restriktiv auszulegen sind, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, 648; Doehring, Völkerrecht, Rn. 393. Grund hierfür ist die Annahme, dass sich Staaten nicht weiter als notwendig binden wollten, weshalb diejenige Auslegungsvariante zu wählen sei, welche zu einer geringeren Beschränkung führe. Dieser Grundsatz gerät jedoch in Konflikt mit der ziel- und zweckorientierten bzw. effektiven Auslegung, wonach die Auslegung im Lichte des gemeinsamen Vertragszieles zu erfolgen hat, vgl. Herdegen, Völkerrecht, 124; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, 648: „Denn vorrangig ist zu vermuten, daß die Parteien beabsichtigen, einen effektiven Vertrag zu schließen.“ Diesem Ziel wird in der Regel durch eine intensivere Einbindung der Vertragsstaaten besser gedient sein, wodurch der grundlegende Gegensatz zum restriktiven Ansatz offenbar wird, vgl. Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, 64. Nach überwiegender Auffassung stellt die restriktive (ebenso wie die extensive) Auslegung keine eigenständige Auslegungsregel dar, Bernhardt, Auslegung, 178; Brownlie, Principles, 606. Das Gebot der Auslegung contra proferentem wird auch im Völkerrecht vorgebracht, wonach unklare Formulierungen zu 425
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
Inwiefern solche Auslegungs- und Vermutungsregeln gegenüber den allgemein anerkannten Auslegungsregeln eine eigenständige Berechtigung haben, ist zweifelhaft.429 Zudem erschwert es deren formal-technische Eigenart, auf die Besonderheit des individuellen Vertrags angemessen Rücksicht zu nehmen.430 Diese Regeln sind weder Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, noch wurden sie in die Artikel 31 – 33 WVRK aufgenommen. 431 Sie haben überdies keine allgemeine Gültigkeit erlangt, weshalb sie auch nicht in die Wiener Vertragsrechtskonventionen aufgenommen wurden. 432 Es bleibt daher festzustellen, dass diese Maximen nur in geringem Maße völkerrechtlich anerkannt und – im Hinblick auf die traditionellen Auslegungsregeln – weitgehend entbehrlich sind. 433 Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass sich die Auslegung im Wesentlichen auf den bekannten klassischen Auslegungskanon (Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck) stützt, wohingegen anderen Auslegungsmitteln allenfalls geringe Bedeutung zukommt. III. Vertragsauslegung in der Praxis der Investitionsschiedsgerichte In der Rechtsprechungspraxis der Investitionsschiedsgerichte finden sich vielfältige Bezugnahmen auf die WVRK. Die große Mehrzahl der Schiedsgerichte beruft sich bei der Auslegung von Abkommen auf Art. 31 WVRK.434 Dabei Lasten jenes Teils, der sie vorgeschlagen hat, auszulegen sind, vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 493; Bernhardt, Auslegung, 184 f., der diese Regel für überflüssig hält; Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 19; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 648. Auch bei dieser Regel ist fraglich, ob es hierfür einer allgemeinen Auslegungsregel bedarf, oder ob nicht der traditionelle Methodenkanon ebenfalls zu befriedigenden Ergebnissen führt, vgl. hierzu Bernhardt, Auslegung, 185. 429 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 496. 430 Vgl. hierzu Bernhardt, Auslegung, 175 f.: „Technisch-formale Auslegungsregeln […], die weder auf die Eigenheiten des einzelnen Vertrages noch auf die Besonderheiten der internationalen Ordnung Rücksicht nehmen, sondern dem völkerrechtlichen Vertrag aufgrund eines bestimmten Begriffsschemas aufoktroyiert werden, sind in der Praxis des modernen Völkerrechts allenfalls mit großen Vorbehalten anerkannt und ihm kaum angemessen […].“ 431 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 647; Bernhardt, Auslegung, 175. 432 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 495; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 647. 433 Vgl. Bernhardt, Auslegung, 175 ff., 187. Nach Bernhardt (ibid., 175) sind diese Interpretationsmaximen „wohl nicht zuletzt für das Chaos verantwortlich […], das die völkerrechtliche Auslegungslehre mit ihren Widersprüchen dem Blick des Betrachters regelmäßig bietet.“ 434 Vgl. z.B. Asian Agricultural Products Ltd. v. Sri Lanka, ICSID Case No. ARB/87/3, Final Award, 27.6.1990, Rn. 38 ff.; MTD Equity Sdn. Bhd. & MTD Chile S.A. v. Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Award, 25.5.2004, Rn. 112; Enron Corporation and Pondero-
§ 5 Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen
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wird zum Teil auf den völkergewohnheitsrechtlichen Charakter dieser Regeln verwiesen. 435 1. Teleologische Auslegung Von dem in Art. 31 WVRK enthaltenen klassischen Auslegungskanon ist in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte neben der Wortlautauslegung436 besonders die teleologische Auslegung verbreitet.437 Bei Auslegung der Vorschriften von Investitionsschutzabkommen greifen Schiedsgerichte im Rahmen der teleologischen Auslegung häufig auf die Bestimmungen der Präambel, in welcher oftmals die allgemeinen Ziele des Abkommens be-
sa Assets, L.P. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Decision on Jurisdiction, 2.8.2004, Rn. 32; Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Jordan, Decision on Jurisdiction, ICSID Case No. ARB/02/13, 29.11.2004; Rn. 75; Plama Consortium Limited v. Bulgaria, ICSID Case No. ARB/03/24, Decision on Jurisidiction, 8.2.2005, Rn. 117; Sempra Energy International v. The Argentine Republic ICSID Case No. ARB/02/16, Decision on Jurisdiction, 11.5.2005, Rn. 141; Camuzzi International S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/2, Decisions on Objection to Jurisdiction, 11.5.2005, Rn. 133; Methanex v. United States, Final Award, 3.8.2005, II. B. Rn. 15; Eureko B.V. v. Republic of Poland, Partial Award, 19.8.2005, Rn. 247; Aguas del Tunari S.A. v. Republic of Bolivia, ICSID Case No. ARB/02/3, Decision on Jurisdiction, 21.10.2005, Rn. 88 ff.; Saluka v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 296 ff.; Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Decision on Jurisdiction, 3.8.2004, Rn. 80. 435 Das Schiedsgericht im Fall Tokios Tokelés v. Ukraine (ICSID Case No. ARB/02/18, Decision on Jurisdiction, 29.4.2004, Rn. 27) stellte hierzu fest: „As have other tribunals, we interpret the ICSID Convention and the Treaty between the Contracting Parties accor ding to the rules set forth in the Vienna Convention on the Law of Treaties, much of which reflects customary international law. Article 31 of the Vienna Convention provides that “[a] treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in light of its object and purpose.“ 436 Hierzu unten IV 2. 437 Vgl. u.a. Lauder v. Czech Republic, UNCITRAL, Award, 3.9.2001, Rn. 292; MTD Equity Sdn. Bhd. & MTD Chile S.A. v. Chile, ICSID Case No. ARB/01/7. Award, 25.5.2004, Rn. 104; CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 274; Aguas del Tunari S.A. v. Republic of Bolivia, ICSID Case No. ARB/02/3, Decision on Respondent‟s Objections to Jurisdiction, 21.10.2005, Rn. 240 f. Kritisch gegenüber einer zu starken Hervorhebung der teleologischen Auslegung Plama Consortium Limited v. Bulgaria, ICSID Case No. ARB/03/24, Decision on Jurisdiction, 8.2.2005, Rn. 193. Hierzu unten IV 1.
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schrieben werden, zurück. 438 Dies hat in der Praxis der Investitionsschiedsgerichte nicht selten eine investorenfreundliche Auslegung zur Folge. 439 2. Ergänzende Auslegungsmittel Vergleichsweise selten wird dagegen auf die ergänzenden Auslegungsmittel des Art. 32 WVRK zurückgegriffen. 440 Ein Grund für die geringe Verwendung der Materialien (travaux préparatoires), d.h. von Vertragsentwürfen und etwaigen Kommentierungen, in der Schiedspraxis dürfte neben der durch Art. 32 WVRK zugewiesenen subsidiären Bedeutung die seltene Verfügbarkeit derartiger Dokumente zurückzuführen sein. 441 Während beispielsweise die Entstehungsgeschichte der ICSID-Konvention gut aufgearbeitet vorliegt und entsprechend oft zitiert wird, 442 ist die Verhandlungshistorie bilateraler Investitionsschutzabkommen oftmals nicht dokumentiert, weshalb entsprechend selten auf sie Bezug genommen wird. 443
438
Fauchald, 19 EJIL 2008, 301 (323); Markert, Streitschlichtungsklauseln, 74; Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 138; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 113 f.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 15. 439 Vgl. Schreuer, Diversity and Harmonisation of Treaty Interpretation in Investment Arbitration, Transnational Dispute Management 2006, 1 (3). Zur Kritik hierzu vgl. unten IV 1. 440 Vgl. Noble Ventures, Inc. v. Romania, ICSID Case No. ARB/01/11, Award, 12.10.2005, Rn. 50: „[…] reference has to be made to Arts. 31 et seq. of the Vienna Convention on the Law of Treaties which reflect the customary international law concerning treaty interpretation. Accordingly, treaties have to be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of the object and purpose of the Treaty, while recourse may be had to suppl ementary means of interpretation, including the preparatory work and the circumstances of its conclusion, only in order to confirm the meaning resulting from the application of the aforementioned methods of interpretation. Reference should also be made to the principle of effectiveness (effet utile), which, too, plays an important role in interpreting treaties.“ Vgl. auch Hrvatska Elektroprivreda d.d. v. Slovenia, ICSID Case No. ARB/05/24, Individual Opinion of Jan Paulsson, 8.6.2009, Rn. 23. 441 Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 33; Schreuer, Diversity and Harmonisation of Treaty Interpretation in Investment Arbitration, Transnational Dispute Management 2006, 1 (9). 442 Ibid. 443 Ibid. Zudem wird es oftmals als unfair empfunden, wenn der Staat einseitig auf diese Materialien zugreifen kann. Dies war ein Grund dafür, dass die NAFTA Free Trade Commission im Jahr 2004 entschied, die Materialien zu NAFTA Chapter Eleven offenzulegen, vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 33 f. Trotz dieser Zugangsmöglichkeit ist auf den begrenzten Nutzen dieser Auslegungsmethoden hingewiesen worden, vgl. Bjorklund, in: Brown (Hrsg.), Commentaries on Selected Model Investment Treaties, 520: „In practice […] the iterations of negotiating text have not proved particularly helpful in
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105
3. Restriktive Auslegungsansätze a) Souveränitätsschonende Auslegung (in dubio mitius) Parallel zur Diskussion um eine restriktive, souveränitätsschonende Auslegung im allgemeinen Völkerrecht findet sich im Hinblick auf die Auslegung von Investitionsschutzabkommen eine entsprechende Diskussion in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte. 444 Nach der in dubio mitiusRegel müssten die Abkommensbestimmungen, insbesondere die Schutzstandards, souveränitätsschonend und damit einschränkend ausgelegt werden. 445 446
elucidating the intentions of the NAFTA negotiators. Rarely is change accompanied by any explanation for the alteration.“ 444 SGS v. Pakistan, Decision on Jurisdiction, 6.8.2003, Rn. 171; Noble Ventures v Romania, Award, 12.10.2005, Rn. 55. 445 So stellte das Schiedsgericht im Fall SGS v. Pakistan (Decision on Jurisdiction, 6.8.2003, Rn. 171) fest: „The appropriate interpretative approach [to the umbrella clause] is the prudential one summed up in the literature as in dubio pars mitior est sequenda, or more tersely, in dubio mitius.“ Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählte das Schiedsgericht im Fall Noble Ventures v. Romania, Award, 12.10.2005, Rn. 55: „Thus an umbrella clause, when included in a bilateral investment treaty, introduces an exception to the general separation of States obligations under municipal and under international law. In consequence, as with any other exception to established general rules of law, the identification of a provision as an „umbrella clause‟ can as a consequence proceed only from a strict, if not indeed restrictive, interpretation of its terms and, more generally, in accordance with the well known customary rules codified under Article 31 of the Vienna Convention of the Law of Treaties (1969).“ Gegen eine solche souveränitätsschonende Auslegung vgl. etwa Mondev v. United States of America, Award, 11.10.2002, Rn. 43; Aguas del Tunari S.A. v. Republic of Bolivia, ICSID Case No. ARB/02/3, Decision on Respondent's Objections to Jurisdiction, 21.10.2005, Rn. 91. 446 Als Gegenpol zum restriktiven Auslegungsansatz wird zum Teil eine „effektive“ Auslegung vertreten, welche die Investorenschutzverpflichtungen von Staaten besonders weit auslegen will und ist tendenziell dazu geeignet ist, die Rechtsposition von Investoren zu stützen. Dies folgt daraus, dass Investitionsschutzabkommen in erster Linie materiellrechtliche Vorschriften zum Schutz von Investitionen enthalten, wodurch „restriktive“ Auslegungsansätze die staatlichen Schutzpflichten tendenziell eingrenzen, wohingegen „effektive“ Auslegungsansätze, die eine solche Beschränkung nicht vornehmen, dem Investorenschutz größeren Raum geben, vgl. Schreuer, Comments, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 72. Vgl. hierzu etwa die Entscheidung im Fall SGS v. Philippines, Decision on Jurisdiction, 29.1.2004, Rn. 116: „The object and purpose of the BIT supports an effective interpretation of Article X(2). The BIT is a treaty for the promotion and reciprocal protection of investments. According to the preamble it is intended „to create and maintain favourable conditions for investments by investors of one Contracting Party in the territory of the other‟. It is legitimate to r esolve uncertainties in its interpretation so as to favour the protection of covered inves tments.“ Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählte auch das Schiedsgericht im Fall Eureko v. Poland (Partial Award, 19.8.2005, Rn. 248).
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In Schiedspraxis und Literatur wird, ebenso wie sonst auch im Völkerrecht447, überwiegend die Auffassung vertreten, dass diese Auslegungsansätze abzulehnen sind und eine ausgewogene Herangehensweise vorzugswürdig ist.448 b) Ergebnisorientierung Eine weiterer Ansatz, welcher im Ergebnis auf eine Begrenzung staatlicher Verpflichtungen aus Investitionsschutzabkommen hinausläuft, besteht darin, durch ergebnisorientierte Auslegung zu bestimmen, was die Staaten bzw. die Parteien „(nicht) gewollt haben können“. 449 Dieser letztlich subjektive Auslegungsansatz steht jedoch im Widerspruch zu dem in der Kodifizierung der völkergewohnheitsrechtlichen Auslegungsregeln der Art. 31 und 32 WVRK zum Ausdruck kommenden objektiven Auslegungsansatz. 450 4. Auslegungserklärungen Gelegentlich kommt es vor, dass die Unterzeichnerstaaten eines Investitionsschutzabkommens zu deren Auslegung (in der Regel einseitige) Erklärungen zur Auslegung desselben abgeben. Diese Auslegungserklärungen sind für das Schiedsgericht jedoch nicht bindend. Auslegungserklärungen eines bereits an einem Verfahren beteiligten Staates sind in der Regel von geringerer Bedeutung, da zumindest die Vermutung naheliegt, dass hierdurch die Entscheidung zugunsten des erklärenden Staates beeinflusst werden soll.451
447
Vgl. oben II 2 e. Schill, Multilateralization 316 f. m.w.N. Vgl. hierzu auch die Entscheidung des Schiedsgerichts im Fall Mondev v. United States of America, Award, 11.10.2002, Rn. 43: „In the Tribunal‟s view, there is no principle either of extensive or restrictive interpretation of jurisdictional provisions in treaties. In the end the question is what the relevant provisions mean, interpreted in accordance with applicable rules of interpretation of treaties. These are set out in Articles 31-33 of the Vienna Convention on the Law of Treaties, which for this purpose can be taken to reflect the position under customary international law.“ 449 Markert, Streitschlichtungsklauseln, 77. Diese Auslegungsvariante findet sich oftmals im Zusammenhang mit Entscheidungen zum Anwendungsbereich von „umbrella clauses“ oder Meistbegünstigungsklauseln, Markert, ibid. 450 Markert, Streitschlichtungsklauseln, 78. 451 Kritisch zum Nutzen derartiger Auslegungserklärungen auch Schreuer, Comments, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 73; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 34: „Unilateral assertions of the disputing state party on the meaning of a treaty provision […] are of limited value. Such statements are likely to be perceived as self-serving […].“ 448
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5. Bedeutung von Modellabkommen Investitionsschutzabkommen beruhen oftmals auf Modellabkommen, auf die in der Auslegungspraxis gelegentlich Bezug genommen wird. 452 Ob und inwiefern der betreffende BIT letztlich diesem Modell entspricht, ist eine Frage der jeweiligen Vertragsverhandlung. Im Fall Siemens v. Argentina argumentierte der Gastgeberstaat, der einschlägige deutsch-argentinische BIT weiche in einem speziellen Punkt vom deutschen Modellabkommen ab, weshalb der abweichenden Regelung gesteigerte Bedeutung zukomme. Das Schiedsgericht schloss sich dieser Auffassung nicht an und stellte fest, dass Klauseln, welche aus einem Modellabkommen stammen, keine größere aber auch keine geringere rechtliche Bedeutung zukomme als anderen Klauseln. 453 Zusammenfassend ist nach diesem Überblick über die Auslegungspraxis der Investitionsschiedsgerichte festzustellen, dass sich die Auslegung im Kern auf den klassischen Auslegungskanon (Grammatik, Systematik, Teleologie) beschränkt. Weitere Auslegungsmittel haben allenfalls untergeordnete Bedeutung. IV. Kritik der Auslegungspraxis Die Auslegungspraxis der Investitionsschiedsgerichte hat in verschiedentlicher Hinsicht zu Kritik geführt. Neben einer inkonsequenten Umsetzung der Auslegungsregeln durch die Schiedsgerichte 454 wurde eine einseitige Orientierung an Investoreninteressen bemängelt (1.). Des Weiteren wurde bezweifelt, ob die klassischen Auslegungsgrundsätze geeignet sind, die Konkretisierung der unbestimmten, generalklauselartigen Schutzstandards des Investitionsrechts und insbesondere des Gebot des fair and equitable treatment anzuleiten (2.).
452
Vgl. Schill, Multilateralization, 312 ff. m.w.N. Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Award, 6.2.2007, Rn. 106. 454 So wurde kritisiert, dass sich die Schiedsgerichte zwar in der Regel zur Anwendung von Art. 31 WVRK bekannt haben, diesem Bekenntnis jedoch nicht immer konsequent gefolgt seien. So folge dem Bekenntnis zu den Auslegungsgrundsätzen keine ei ngehende Erörterung grammatikalischer, systematischer und teleologischer Argumente entlang der Auslegungsregeln des Art. 31 WVRK. Vgl. hierzu Waibel, International Investment Law and Treaty Interpretation, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 29: „Investment tribunals often profess fidelity to the rules on treaty interpretation contained in the Vienna Convention on the Law of Treaties (VCLT). At first sight, they mention Article 31 and 32 VCLT with reassuring regularity. But first Impressions may lead astray. […] These declarations of fidelity to the foundational princ iples of treaty interpretation, however, lack practical substance if tribunals soon thereafter pour cold water on their stated intentions. I contend that careful application of the principles of treaty interpretation to the facts is often wanting in investment arbitration.“ 453
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Teil I: Entwicklung und Grundlagen des int. Investitionsschutzrechts
1. Einseitige Orientierung an Investoreninteressen Gegenstand dieser nicht selten von Gaststaaten vorgebrachten Kritik ist, dass manche Schiedsgerichte, oftmals unter Bemühung „effektiver“ bzw. teleologischer Auslegungsargumente, 455 eine einseitige, an Investoreninteressen orientierte Auslegung verfolgt hätten, welche im Zweifel zu einer investorenfreundlichen Auslegung führe.456 Eine derart einseitige Auslegung, wie sie von einigen wenigen Schiedsgerichten verfolgt wurde, 457 ist in der Tat kritikwürdig. Es kann nicht vermutet werden, dass Staaten ihre Souveränität soweit einschränken wollten, dass Auslegungszweifel zu ihren Lasten bzw. zu Gunsten des Investors gehen sollten.458 Eine solche investorenfreundliche Vermutungsregel findet – ebenso wenig wie eine staatsfreundliche, souveränitätsschonende Auslegung – keine Stütze in Art. 31 WVRK.459 Sie kann auch nicht auf teleologische (oder damit verwandte, sog. „effektive“) Auslegungsargumente gestützt werden. Sinn und Zweck von Investitionsschutzabkommen ist zunächst der Schutz ausländischer Investitionen und hierdurch die Schaffung einer gewissen Rechtssicherheit für Investoren und deren Investitionen. Dies deckt sich mit dem dahinter liegenden Ziel der Schaffung eines günstigen Investitionsklimas, wodurch ein Anreiz für die Tätigung ausländischer Investitionen und für den vermehrten Zufluss an ausländischem Kapital zum Wohle der wirtschaft455
Vgl. zur teleologischen bzw. zur „effektiven“ Auslegung oben II 2 c. Vgl. Schreuer, Diversity and Harmonisation of Treaty Interpretation in Investment Arbitration, Transnational Dispute Management 2006, 1 (3); ders., Why still ICSID?, TDM 3/2012, 1; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 32; Waibel, International Investment Law and Treaty Interpretation, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 29 (39); Markert, Streitschlichtungsklauseln, 74; Sornarajah, A Coming Crisis: Expansionary Trends in Investment Treaty Arbitration, in: Sauvant (Hrsg.), Appeals Mechanism in International Investment Disputes, 39 ff.; Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 138. 457 SGS v. Philippines, Decision on Jurisdiction, 29.1.2004, Rn. 116; Eureko v. Poland, Partial Award, 19.8.2005, Rn. 248. 458 Schill, Multilateralization, 317. 459 Vgl. hierzu etwa die Entscheidung des Schiedsgerichts im Fall Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Decision on Jurisdiction, 3.8.2004, Rn. 81: „The Tribunal considers that the Treaty has to be interpreted neither liberally nor restrictively, as neither of these adverbs is part of Article 31(1) of the Vienna Convention. The Tribunal shall be guided by the purpose of the Treaty as expressed in its title and preamble. It is a treaty to protect and to promote investments. The preamble provides that the parties have agreed to the provisions of the Treaty for the purpose of creating favorable conditions for the investments of nationals or companies of one of the two States in the territory of the other State. Both parties recognize that the promotion and protection of these investments by a treaty may stimulate private economic initiative and increase the well-being of the people of both countries. The intention of the parties is clear. It is to create favorable conditions for investments and to stimulate private initiative.“ 456
§ 5 Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen
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lichen Entwicklung des Gaststaates gesetzt werden soll. 460 Investitionsschutz ist daher letztlich ein Mittel zum Zweck der Förderung von Investitionen und zur Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsstaaten. 461 Allerdings werden Gaststaaten trotz der erhofften positiven wirtschaftlichen Effekte nur bereit sein, Investitionen zu schützen, wenn dadurch nicht unverhältnismäßig in ihre souveräne Regulierungshoheit eingegriffen wird, so dass der Gaststaat auch weiterhin angemessen auf nationale und internationale Herausforderungen reagieren kann. 462 Eine übermäßige Betonung des Schutzes von Investoren und deren Investitionen kann daher mittel- und langfristig den gleichberechtigten Zielen des Schutzes und der Förderung von Investitionen zur Schaffung eines günstigen Investitionsklimas mehr schaden als nützen: Wird dem Investitionsschutz ein zu starkes Gewicht eingeräumt und wird dadurch in die nationalen Regulierungsspielräume unverhältnismäßig stark eingegriffen, sinkt die Bereitschaft der Gaststaaten, Investitionen zuzulassen und diese über Investitionsschutzabkommen besonders zu schützen. 463 460
Vgl. Schreuer, Comments, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 72; ders, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 4 f.; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 115; McLachlan, 57 ICLQ 2008, 361 (371); Markert, Streitschlichtungsklauseln, 75; Schreuer/Kriebaum, From Individual to Community Interest in International Investment Law, in: From Bilateralism to Community Interest in: Fastenrath/Geiger/Khan/Paulus/Schorlemer/Vedder (Hrsg.), Essays in Honour of Judge Bruno Simma 1079 (1081 ff.). 461 McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.67; van Aaken, Opportunities for and Limits to an Economic Analysis of International Law, 1 (22); Schreuer, Comments, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), International Investment Law and General International Law, 72. 462 Markert, Streitschlichtungsklauseln, 75. Dies umso mehr, als ein Zusammenhang zwischen Investitionsschutz und einem Anstieg ausländischer Investitionen zwar immer wieder behauptet wird, aber empirisch nicht zweifelsfrei belegt ist. Zur Frage, inwiefern BITs tatsächlich zu einem erhöhten Investitionsaufkommen geführt haben, vgl. UNCTAD (Hrsg.), The Role of International Investment Agreements in Attracting Foreign Direct Investment to Developing Countries, Executive Summary, xiii; Rose-Ackerman/Tobin, Do BITs Benefit Developing Countries?, in: Rogers/Alford (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 131 ff.; Sauvant/Sachs (Hrsg.), The Effect of Treaties on Foreign Direct Investment, passim. 463 Schill, Multilateralization, 317 f.; Markert, Streitschlichtungsklauseln, 75; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 116; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 2: „At the same time it is important to protect the host State‟s interests. […] The guarantees afforded to foreign investors must not jeopardize the States‟ right to legitimate regulation.“ Vgl. auch Renta 4 S.V.S.A, Ahorro Corporación Emergentes F.I., Ahorro Corporación Eurofondo F.I., Rovime Inversiones SICAV S.A., Quasar de Valors SICAV S.A., Orgor de Valores SICAV S.A., GBI 9000 SICAV S.A. v. The Russian Federation, SCC No. 24/2007, Award on Preliminary Objections, 20.5.2009, Rn. 55.
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Die vermehrte Skepsis einiger Gaststaaten, die in der jüngeren Vergangenheit auch zur Einschränkung von Investorenrechten in manchen Abkommen bis hin zur Kündigung von Investitionsschutzabkommen geführt hat, kann als Reaktion auf eine stark an Investoreninteressen orientierte Auslegung mancher Schiedsgerichte gedeutet werden. 464 Daher lässt sich mit teleologischen Argumenten keine einseitig investorenfreundliche Auslegung rechtfertigen. Am ehesten entspricht dem Sinn und Zweck der Abkommen ein ausgewogener Ansatz, der die Interessen von Investoren und Gaststaaten gleichermaßen berücksichtigt und in einem vernünftigen Gleichgewicht hält. Das Schiedsgericht im Fall Saluka v. Czech Republic465 hat dies zutreffend auf den folgenden Nenner gebracht: „The protection of foreign investments is not the sole aim of the Treaty, but rather a necessary element alongside the overall aim of encouraging foreign investment and extending and intensifying the parties‟ economic relations. That in turn calls for a balanced approach to the interpretation of the Treaty‟s substantive provisions for the protection of inves tments, since an interpretation which exaggerates the protection to be accorded to foreign investments may serve to dissuade host States from admitting foreign investments and so undermine the overall aim of extending and intensifying the parties‟ mutual economic relations.“466
Zudem ist zu beachten, dass sich die Staaten durch die Festschreibung von Schutzstandards zwar zu einem Schutz, keinesfalls aber zu einem unbegrenzten Schutz des Investors und seiner Investition bereiterklärt haben. So sagt der grundsätzlich intendierte Schutz zunächst nichts über dessen Maß aus.467 Die Frage eines angemessenen Schutzniveaus ist vielmehr einzelfallbezogen unter Beachtung der beiden Pole der Souveränität und der Schutzgewährung zu beantworten. Somit ließe sich selbst dann, wenn der Investitionsschutz einziges Ziel der Abkommen wäre (was, wie gesehen, nicht der Fall ist), hieraus keine einseitige, ausschließlich schutzerweiternde Auslegung begründen. Selbst bei einseitiger Zwecksetzung müsste sich das im Einzelfall ge464
Markert, Streitschlichtungsklauseln, 75 f. Saluka v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006. 466 Ibid., Rn. 300. 467 Die Tatsache, dass eine Norm Schutz gewährt, erlaubt für sich genommen noch keinen Schluss auf den Umfang und die Intensität des intendierten Schutzes. So wie es verfehlt wäre, Verbots- und Strafnormen mit der Begründung, dass diese zum Zwecke des Verbots oder der Strafe geschaffen wurden, stets erweiternd zu Lasten des Regelverletzers auszulegen, ist es unzulässig, aus der Existenz einer Gebots- bzw. Schutznorm auf deren erweiternde Auslegung im Sinne eines tendenziell unbegrenzten Gebots bzw. Schutzes zu Lasten der verpflichteten Partei zu schließen. Ein derartiger Auslegungsansatz zugunsten des begünstigten Investors käme mithin einer – im Abkommen nicht angelegten – „Verdoppelung“ des Investitionsschutzes gleich: Der Investor verfügt bereits über eine Schutzposition, welche durch eine einseitige Abwägung über die Intentionen der Vertragsstaaten hinaus noch unbillig verstärkt würde. 465
§ 5 Die Auslegung von Investitionsschutzabkommen
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währte Schutzmaß stets als fair und angemessen darstellen, was eine zuvorige Abwägung staatlicher und privater Interessen impliziert. Wenn es demnach zu Unklarheiten bei der Auslegung der Schutzbestimmungen kommen sollte, so sind diese Unklarheiten unter angemessener Berücksichtigung der beiden Grundpositionen des Investorenschutzes sowie des staatlichen Regulierungsinteresses zu lösen. 468 Im Ergebnis ist daher ein Auslegungsansatz vorzugswürdig, der sowohl den Schutz ausländischer Investoren als auch staatliche Regulierungsinteressen berücksichtigt und im Sinne praktischer Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich bringt. 469 Eine einseitige Orientierung der Auslegung an Investoreninteressen (oder an staatlichen Regulierungsinteressen) ist dagegen abzulehnen.470
468
In diesem Sinne auch Rigo Sureda, Investment Treaty Arbitration: Judging under Uncertainty, 26 f.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 1 f.: „The international protection of investments is concerned with the safeguarding of foreign investments against interference by the host State. […] At the same time it is important to protect the host State‟s interests. There is no doubt that foreign investments are subject to the law and administrative control of host States. The guarantees afforded must not jeopardize the States‟ right to legitimate regulation.“ Zur Abwägung der Grundpositionen des Investitionsschutzes und der staatlichen Regulierungsfreiheit vgl. auch unten § 11 III 2. 469 Dabei kommt der Präambel von Investitionsschutzabkommen, auf die oftmals eine einseitige Auslegung gestützt wird, zwar eine wesentliche, aber keinesfalls allein maßgebliche Bedeutung bei der Gewinnung teleologischer Argumente zu. Im Übrigen sind die Präambeln von Investitionsschutzabkommen nicht monothematisch dem Schutz ausländischer Investoren gewidmet. So findet sich neben dem Schutz von Investitionen in einigen Abkommen auch die Vertiefung der gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen wieder. Darüber hinaus wird die ökonomische Entwicklung des Gaststaates in einigen – wenn auch nicht allen – Präambeln ausdrücklich erwähnt. Vgl. hierzu Saluka v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 300. In diesem Sinne auch Markert, Streitschlichtungsklauseln, 74 ff., der jedoch zu Unrecht einen Vorrang des Wortlauts und der Systematik gegenüber dem Zweck im Rahmen der Auslegung annimmt und den Zweck, wie er u.a. in der Präambel zum Ausdruck kommt, nur ergänzend heranziehen will. Zur Abwägung staatlicher und privater Belange im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vgl. unten § 11 III. 470 Vgl. hierzu Noble Ventures, Inc. v. Romania, ICSID Case No. ARB/01/11, Award, 12.10.2005, Rn. 52: „[I]t is not permissible, as it is too often done regarding BITs, to interpret clauses exclusively in favour of investors“; Mondev v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2, Award, 11.10.2002, Rn. 43: „In the Tribunal‟s view, there is no principle either of extensive or restrictive interpretation of jurisdictional provisions in treaties. In the end the question is what the relevant provisions mean, interpreted in accordance with the applicable rules of interpretation of treaties.“
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2. Mangelnde Bestimmtheit des klassischen Auslegungskanons? Als Vertragsnorm unterliegt das Gebot des fair and equitable treatment den dargestellten Auslegungsgrundsätzen. 471 Hierdurch wird auch der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die Bandbreite an Argumenten zur Begründung einer (Auslegungs-)Entscheidung, hier insbesondere zum Gebot des fair and equitable treatment, bewegt.472 Zum Teil wird jedoch bezweifelt, ob diese klassischen Auslegungsgrundsätze ausreichend bzw. geeignet sind, um zu einer Klärung der Bedeutung der generalklauselartigen Schutzstandards des Investitionsrechts beizutragen. So wird von manchen Autoren die Eignung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze für die Konkretisierung einer Generalklausel wie des Gebots des fair and equitable treatment bezweifelt.473 Was die grammatische Auslegung anbelangt, so bildet der Wortlaut des Gebots des fair and equitable treatment in der Regel den Ausgangspunkt der Betrachtung der Schiedsgerichte. Dabei ist die Bedeutung des Begriffspaares „fair and equitable“ – ähnlich wie im nationalen Recht unbestimmte Rechtsbegriffe „billig“, „angemessen“ und „gerecht“ oder die Generalklausel „Treu und Glauben“ – unbestimmt und vage, was die Aufgabe erschwert, im Wege der grammatischen Auslegung zu einer Bedeutungsklärung zu gelangen. 474 471
Vgl. oben II und III. Kudlich/Christensen, JA 2004, 74 (75); Buchwald, ARSP 1993, 16 (22); Canaris, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, 263 (304); Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 301; Röthel, Normkonkretisierung, 132. 473 Vgl. Schill, in: International Law Association (German Branch) (Hrsg.), General Public International Law and International Investment Law, 14 ff.; ders., Multilateralization, 264 ff.; McLachlan, 57 ICLQ 2008, 361 (371); Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 111; Brower, in: Rogers/Alford (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 339 (355 f.): „[I]nvestment treaties express many commitments at such a high level of indeterminacy, and the rules of treaty interpretation provide so little guidance that they leave unresolved the […] task of specifiying obligations“; Kläger, Fair and equitable treatment, 40: „Due to the vagueness of fair and equitable treatment it is questionable whether an interpretative operation along the coarse lines of the general principles of interpretation is sufficient for already yielding a concept that is readily applicable in an investment dispute“; McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 3.72: „[T]he principles in the VCLT are not wholly useful in resolving difficult questions of BIT interpretation. The guidance they provide is insufficient concrete.“ 474 Vgl. zu unbestimmten Rechtsbegriffen bzw. Generalklauseln und deren Konkretisierung unten § 11 I u. II. Dabei wird man, ähnlich wie bei dem Begriffspaar „Treu und Glauben“ im nationalen Recht, annehmen können, dass es sich um einen einheitlichen Schutzstandard handelt, der verlangt, dass der Investor fair und gerecht behandelt wird, ohne dass man die Norm in einzelne Bestandteile spalten könnte. Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 277 f. Vgl. hierzu auch Vasciannie, 70 BYIL 1999, 99 (111); UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 14 f. 472
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Nicht selten greifen Investitionsschiedsgerichte hierfür auf Wörterbücher zurück.475 Dabei werden jedoch oftmals nur Synonyme hervorgebracht, d.h. die Begriffe „fair“ und „equitable“ werden mit Begriffen wie „just“, „reasonable“ oder „legitimate“ verglichen oder ersetzt. 476 So wird ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen ersetzt, ohne dass die Norm konkreter und die damit verbundene Entscheidungsfindung im Einzelfall wesentlich vorangebracht würde. 477 Bei Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment wird daher generell bezweifelt, ob eine Fokussierung auf die textorientierte Auslegung, d.h. die Suche nach der „ordinary meaning“ i.S.v. Art. 31 Abs. 1 WVRK, der Rechtsanwendung im Einzelfall weiterhelfen kann. 478 Ein Defizit der bisherigen Auslegungspraxis der Schiedsgerichte zum Gebot des fair and equitable treatment erscheint in der Tat in einer relativ starken Wortlautorien475 Vgl. z.B. MTD Equity Sdn. Bhd. & MTD Chile S.A. v. Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Award, 25.5.2004, Rn. 113. Zu demselben Phänomen im Bereich der WTOStreitbeilegung, vgl. Van Damme, On „Good Faith Use of Dictionary in the Search of Ordinary Meaning under the WTO Dispute Settlement Understanding‟ – A Reply to Professor Chang-Fa Lo, Journal of International Dispute Settlement (JIDS) 2011, 231 ff. Generell zu diesem Phänomen im Bereich des Common Law Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 71. 476 McLachlan, 57 ICLQ 2008, 361 (371); Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 111; Kläger, Fair and equitable treatment, 41; Schreuer, Fair and equitable treatment, in: Hoffmann (Hrsg.), Protection of Foreign Investments through Modern Treaty Arbitration – Diversity and Harmonisation, 125 (126). Vgl. hierzu die Entscheidung im Fall S.D. Myers, Inc. v. Canada, UNCITRAL (NAFTA), Partial Award, 13.11.2000, Rn. 263: „[A] breach […] occurs only when it is shown that an investor has been treated in such an unjust and arbitrary manner that the treatment rises to the level that is unacceptable from the international perspective.“ 477 McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.66: „Although the starting point of any analysis of the investor treatment provisions of an inves tment treaty must be the ordinary meaning of the terms, it is unlikely that this part of the process will take the interpreter very far. It may simply result in an exchange of synonyms.“ 478 Vgl. etwa McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.66. Generell zur grammatischen Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 135 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; Röthel, Normkonkretisierung, 134: „Es liegt in der Natur der konkretisierungsbedürftigen Unb estimmtheit, dass sie sich einer grammatischen Auslegung weit gehend entzieht.“ Zum Nutzen der grammatikalischen Auslegung bei der Auslegung von Generalklauseln des nationalen Rechts (am Beispiel des § 242 BGB), vgl. MünchKomm/Roth, § 242 BGB, Rn. 16: „Für § 242 im Besonderen bleibt festzuhalten, dass diese Wortinterpretation für die Erkenntnis und Handhabung des gegenwärtigen Rechts des § 242 nahezu ohne jeden Wert ist: Die tatbestandliche Beschreibung des Anwendungsbereichs ist schlicht unmaßgeblich; der Wortsinn von Treu und Glauben vermag allenfalls tendenzielle Hinweise zu geben […].“
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tierung zu bestehen, die im Fall von generalklauselartigen Schutzstandards wie dem Gebot des fair and equitable treatment an gewisse Grenzen stößt und die betreffenden Schiedsgerichte in ihrer Entscheidungsfindung nicht entscheidend weitergebracht hat. 479 Wie eben gesehen hat die Verwendung dieses Auslegungsmittels in der Schiedspraxis nicht selten nur ebenso vage Begriffe hervorgebracht, wodurch in der Regel kein entscheidender Fortschritt auf dem Weg vom Allgemeinen zum Konkreten bewirkt wurde.480 Ob und inwiefern die grammatische Auslegung somit, wie zum Teil vorgebracht wird, generell ungeeignet ist, zu einer Bedeutungsklärung beizutragen, oder ob diese lediglich im Verhältnis zu anderen Auslegungsmethoden von geringerer Bedeutung ist, bedarf indes weiterer Untersuchung.481 Hinsichtlich der teleologischen Auslegung wird vorgebracht, diese helfe nicht oder nur bedingt weiter. Zum einen weise das Gebot des fair and equitable treatment wie auch die Investitionsschutzabkommen insgesamt eine doppelte Zielsetzung – Investitionsschutz und Investitionsanreiz – auf, von der nicht klar sei, wie sich diese auf die Auslegung der Norm auswirke. 482 Zwar könne man den Schutzaspekt durch eine investorenfreundliche Auslegung verwirklichen, doch sei unklar, wie der gleichsam zu beachtende Entwicklungsaspekt hiermit zu vereinbaren sei. Dieser könne sowohl durch eine ebenfalls investorenfreundliche als auch durch einen begrenzten Schutz des Investors, der auch Regulierungsinteressen des Staates berücksichtige, verwirklicht werden. 483 Was die angestrebten Vorteile für den Gaststaat betreffe, 479
In diesem Sinne Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 111; McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.66. 480 Ein Grund für die relativ starke Betonung von Wortlautargumenten in der Praxis der Schiedsgerichte trotz eines äußerst unbestimmten Wortlauts des Gebots des fair and equitable treatment mag neben der rechtlichen Vorgabe des Art. 31 Abs. 1 WVRK auch am Einfluss bzw. dem Überwiegen von Common Law-Juristen im Bereich der internationalen Schiedspraxis zu sehen sein. Während systematisch-teleologische Überlegungen in den von Zivilgesetzbüchern geprägten Rechtsordnungen des Civil Law verbreitet sind, orientieren sich die Rechtsordnungen des Common Law tendenziell stärker am Wortlaut der Norm. Diese in nationalen Rechtsordnungen und Juristenausbildungssystemen existierenden kulturellen und methodischen Unterschiede und Tendenzen setzen sich in gewisser Form auch in der internationalen Schiedspraxis fort, vgl. hierzu Griebel, Internationales Investitionsrecht, 48; Wälde, The Specific Nature of Investment Arbitration, 43 (106); Vogenauer, Auslegung, 5 f. m.w.N.; Ohly, Generalklausel und Richterrecht, 163 f., 167 ff.; Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 71; Kern, Internationale Schiedsverfahren zwischen Civil Law und Common Law, ZVglRWiss 2010, 78 (91). Vgl. auch Ohly, Generalklausel und Richterrecht, 175, der darauf verweist, dass ein Grund für die Probleme, welche die Handhabung unbestimmter Gesetzesbegriffe in der englischen Gerichtspraxis bereitet, im Vorrang der grammatischen Auslegung besteht. 481 Vgl. unten § 11 II u. III. 482 Kläger, Fair and equitable treatment, 45. 483 Ibid.
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sei somit nicht eindeutig, ob diese durch einen besonders weitgehenden, die staatliche Regulierungsfreiheit einschränkenden Investorenschutz oder durch einen begrenzten, den Regulierungsinteressen des Staates Rechnung tragenden Investitionsschutz verwirklicht werden solle. 484 Aufgrund der Tatsache, dass sich Sinn und Zweck der Norm theoretisch somit auf unterschiedlichen, sich jedoch gegenseitig ausschließenden Wegen verwirklichen lasse, trage die teleologische Auslegung nur wenig zur Bedeutungsklärung des Gebots des fair and equitable treatment bei.485 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verwirklichung von Sinn und Zweck der Norm sich nur unter Beachtung der unterschiedlichen Grundpositionen von Staat und Investor vollziehen kann. Eine einseitig investorenfreundliche Perspektive, wie sie die vorgenannte Auffassung als eine der Möglichkeiten zur Verwirklichung von Sinn und Zweck in Betracht zieht, ist daher abzulehnen. Im Ergebnis wird man der Auffassung den Vorzug geben müssen, wonach ein völkerrechtlicher Investitionsschutz, der nicht in einem vernünftigen Abwägungsverhältnis zu staatlichen Regulierungsinteressen steht, die Förderbereitschaft der Staaten mittel- und langfristig eher verringern als verstärken würde.486 Will man vorbeugen, dass Staaten das System des Investitionsschutzes abschwächen oder sich gänzlich davon abwenden, ist
484
Vgl. Kläger, Fair and equitable treatment, 45; von Walter, in: Bungenberg/Griebel/ Hindelang (Hrsg.), Internationaler Investitionsschutz und Europarecht, 240; Muchlinski, Policy Issues, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 3 (10 ff.). Erschwert wird dies dadurch, dass sich die entwicklungsfördernde Wirkung von Investitionsschutzabkommen nicht eindeutig belegen lässt. Zumindest konnten bisher keine eindeutigen empirischen Daten vorgelegt werden, die belegen wü rden, dass BITs tatsächlich zu einem erhöhten Investitionsaufkommen geführt haben. 485 Kläger, Fair and equitable treatment, 45: „At the most, the purpose of fair and equitable treatment indicates two possible ways of constructing the norm pointing in opposite directions [...] In conclusion, it appears that the interpretative tools provided by Article 31 of the VCLT are of little value for the identification of the concrete meaning of fair and equitable treatment.“ 486 Vgl. Saluka v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 300. Vgl. auch McLachlan, 57 ICLQ 2008, 361 (371); Douglas, 74 BYIL 2003, 152 ff.; Muchlinski, Policy Issues, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 3 (14); Schreuer, The Future of Investment Arbitration, 787 (793 f., 803). So können die Kündigungserklärungen und -ankündigungen mehrerer südamerikanischer Mitgliedsländer auch als eine Reaktion auf eine als zu einseitig an Investoreninteressen orientierte Auslegungspraxis der Investitionsschiedsgerichte interpretiert werden, vgl. hierzu Markert, Streitschlichtungsklauseln, 62. Zur Kündigung der ICSID-Mitgliedschaft vgl. Tietje/Nowrot/Wackernagel, Denunciation of ICSID, 5; Schreuer, Denunciation of the ICSID Convention and Consent to Arbitration, in: Waibel et al. (Hrsg.),The Backlash against Investment Arbitration: Perceptions and Reality, 353 ff. Hierzu oben 1.
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es erforderlich, einen Ausgleich von Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen bei der Auslegung zu beachten. 487 Dies hat unter anderem das Schiedsgericht im Fall Renta v. The Russian Federation488 unterstrichen: “Article 31 must be considered with caution and discipline […]. It does not for example compel the result that all textual doubts should be resolved in favour of the investor. The long-term promotion of investment is likely to be better ensured by a well-balanced regime rather than by one which goes so far that it provokes a swing of the pendulum in the other direction.”489
Insofern verkörpert das Gebot des fair and equitable treatment (wie auch regelmäßig der BIT selbst) die Teleologie des Investitionsschutzrechts mit zwei widerstreitenden und in Ausgleich zu bringenden Grundpositionen und kann daher nicht auf die einfache und einseitige Formel des Investorenschutzes verkürzt werden. 490 Hierfür spricht auch der Wortlaut der Norm, der eine faire bzw. angemessene, nicht jedoch eine einseitig begünstigende Behandlung verlangt. Immerhin ist dies ein Hinweis darauf, dass bei der Auslegung des Gebots des fair and equitable treatment verschiedene dem Investitionsrecht zugrunde liegende Zwecke zu berücksichtigen und abzuwägen sind. 491 Zu berücksichtigen ist auch die systematische Auslegung des Gebots des fair and equitable treatment. Durch den systematischen Zusammenhang der Norm in engerer Sicht, d.h. durch die Stellung der Norm im Kontext des Vertrages, können mittels Abgrenzung gegenüber den anderen in Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards die Konturen des Gebots des fair and equitable treatment deutlicher herausgearbeitet werden, was für eine Bedeutungsklärung hilfreich sein kann.492 Dies setzt jedoch zunächst
487 Markert, Die Kernfrage zukünftiger Abkommen, in: Bungenberg/Griebel/Hindelang (Hrsg.), Internationaler Investitionsschutz und Europarecht, 243 (245). Der Zweck könnte daher als Schutz und Förderung ausländischer Investitionen unter Beachtung legitimer staatlicher Regulierungsinteressen lauten. 488 Renta 4 S.V.S.A, Ahorro Corporación Emergentes F.I., Ahorro Corporación Eurofondo F.I., Rovime Inversiones SICAV S.A., Quasar de Valors SICAV S.A., Orgor de Valores SICAV S.A., GBI 9000 SICAV S.A. v. The Russian Federation, SCC No. 24/2007, Award on Preliminary Objections, 20.5.2009. 489 Ibid., Rn. 55. 490 Demgegenüber wurde von manchen Schiedsgerichten ein auf die Präambel gestützter, einseitig an Investoreninteressen orientierter Auslegungsansatz vertreten, der eine Abwägung mit staatlichen Regulierungsinteressen vermissen lässt. Kritisch hierzu Markert, Streitschlichtungsklauseln, 74 ff. m.w.N. 491 Hierzu unten § 11 III. 492 Vgl. hierzu unten § 8. Der systematische Zusammenhang (i.w.S.), wie er z.B. durch Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK gewährleistet wird, wird dagegen zum Teil als Grundlage ges e-
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voraus, dass die Bedeutung der Norm bereits auf anderem Wege einer gewissen Klärung zugeführt wurde. Zieht man schließlich das subsidiäre Auslegungsmittel der genetischhistorischen Auslegung durch Rückgriff auf die vorbereitenden Arbeitenden (travaux preperatoires) in Betracht, so ist in der Regel davon auszugehen, dass diese, falls überhaupt vorhanden, keinen konkreten Aufschluss über den näheren Bedeutungsinhalt des Gebots des fair and equitable treatment geben werden.493 Betrachtet man die vorgebrachten Bedenken zur Eignung der Auslegung als Methode zur Konkretisierung investitionsrechtlicher Schutzstandards (und insbesondere des Gebots des fair and equitable treatment), so handelt es sich hierbei letztlich um einzelne Aspekte des grundlegenden Problems der Konkretisierung besonders unbestimmter Rechtssätze, wie es in ähnlicher Weise auch in anderen Rechtsbereichen, etwa im nationalen Recht, des Öfteren auftritt. Hier wie dort stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Kanones der Auslegung, hier insbesondere Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck, hinreichende Kriterien für die Konkretisierung generalklauselartiger Normen darstellen, oder ob vielmehr andere bzw. zusätzliche Maßstäbe und Methoden erforderlich sind, um eine rational begründbare Konkretisierung der Generalklausel im Einzelfall zu gewährleisten. Dem wird im weiteren Verlauf der Untersuchung nachzugehen sein. 494
hen, um in andere Bereiche des Völkerrechts auszugreifen, um ggfs. weitere Argumente in den Auslegungsvorgang einzuführen, vgl. Kläger, Fair and equitable treatment, 43. 493 So auch Kläger, Fair and equitable treatment, 46. 494 Vgl. hierzu insbesondere § 11.
Teil II
Das Gebot des fair and equitable treatment: Entwicklung, konzeptionelle Grundlagen, Fallgruppen, Kontext und Abgrenzung Nachdem im ersten Teil der Arbeit mit den Grundlagen des internationalen Investitionsrechts und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit der rechtliche Rahmen der Untersuchung bereitet wurde, soll nun im zweiten Teil das Gebot des fair and equitable treatment im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Dafür sind zunächst Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment sowie dessen Verhältnis zum fremdenrechtlichen Mindestandard zu klären (§ 6). Im Anschluss hieran soll die Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zum Gebot des fair and equitable treatment in einem ersten Überblick nach Fallgruppen geordnet dargestellt werden (§ 7). Schließlich sollen durch eine Abgrenzung gegenüber den anderen, neben dem Gebot des fair and equitable treatment regelmäßig in Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards die Konturen des Gebots des fair and equitable treatment näher bestimmt werden (§ 8).
§ 6 Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment
§ 6 Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment In diesem Kapitel werden zunächst die Quellen und die Entwicklung des Gebots des fair and equitable treatment untersucht (I.), bevor in einem weiteren Schritt das Verhältnis des Gebots zum Völkergewohnheitsrecht (II.) genauer beleuchtet wird. Schließlich soll im letzten Abschnitt eine Abgrenzung zur Entscheidungsfindung ex aequo et bono vorgenommen werden (III.). I. Geschichtliche Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment Das Gebot des fair and equitable treatment ist keine Erscheinung des vergangenen Jahrzehnts, auch wenn die praktische Bedeutung der Vorschrift durch die Entscheidungstätigkeit der Investitionsschiedsgerichte in diesem Zeitraum stark zugenommen hat. Schon zuvor war die Verpflichtung zu fair and equitable treatment in verschiedenen (völker)rechtlich relevanten Texten enthal-
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ten.1 Einige dieser Instrumente sind Entwürfe geblieben, andere waren von vornherein als unverbindliche Texte angelegt, wiederum andere sind als biund multilaterale völkerrechtliche Abkommen in Kraft getreten. 2 Letztere enthalten in der Mehrzahl der Fälle Streitbeilegungsklauseln und bilden somit die Grundlage für die steigende Zahl von Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte, in denen die Verpflichtung zu fair and equitable treatment eine zentrale Rolle spielte. 3 Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg war die fair and equitable treatmentKlausel Gegenstand von Bemühungen, ein multilaterales investitionsrechtliches Vertragswerk zum Schutz ausländischer Investitionen zu schaffen. 4 So enthielt die Havana Charter for an International Trade Organization 5 aus dem Jahr 1948 zur Errichtung einer Internationalen Handelsorganisation in Art. 11 Abs. 2 bereits eine Bestimmung, wonach die künftige Internationale Handelsorganisation sicherstellen sollte, dass ausländischen Investoren aus den Mitgliedstaaten „just and equitable treatment“ zu Teil werden sollte.6 Auch wenn die Havana Charter nie in Kraft trat, so diente das darin enthaltene Gebot des „just and equitable treatment“ dennoch als Inspiration und Ausgangspunkt für spätere Bemühungen zur vertraglichen Festlegung von Behandlungsstandards im internationalen Investitionsschutzrecht. Das Economic Agreement of Bogotá von 1948 bezog sich auf „equitable treatment“ als Behandlungsstandard für ausländisches Kapital. Die Abs-Shawcross Draft Convention on Investments Abroad 7 aus dem Jahre 1959, und ebenso die OECD
1 Zur Geschichte des Gebots des fair and equitable treatment vgl. u.a. Vasciannie, The Fair and equitable treatment Standard in International Investment Law and Practice, 70 BYIL 1999, 99 (100 ff.); UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 3 f., 7 ff. 25 ff.; Yannaca-Small, Fair and equitable treatment Standard, 3 ff.; Schreuer, Fair and equitable treatment in Arbitral Practise, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 f.; Choudhury, Evolution or Devolution? – Defining Fair and Equitable in International Investment Law, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 297 ff.; Tudor, Fair and equitable treatment, 15 ff.; UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 5 ff. 2 Zum völkervertraglichen Investitionsschutz vgl. oben § 2 II 1. 3 Zur Investor-Staat-Streitbeilegung vgl. oben § 3. 4 Vgl. hierzu UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 5 f. Zu den Bemühungen um ein multilaterales Investitionsschutzabkommen vgl. oben § 2 II 1 c. 5 Vgl. hierzu Tietje, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 48. 6 Die relevante Passage in Art. 11 (2) lautet: „(i) to assure just and equitable treatment for the enterprise, skills, capital, arts and technology brought from one Member country to another […]“. Vgl. hierzu UNCTAD, International Investment Instruments (1996), Vol. I, 4. 7 Vgl. hierzu oben § 2 II 1 c. Art. I des Entwurfs lautet: „Each Party shall at all times ensure fair and equitable treatment to the property of the nationals of the other Parties. Such property shall be accorded the most constant protection and security within the terr itories of the other Parties and the management, use, and enjoyment thereof shall not in any
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Draft Convention on the Protection of Foreign Property 8 aus dem Jahre 1967, welche sich inhaltlich wiederum eng an den Abs-Shawcross Entwurf anlehnte, enthielten ebenfalls ein fair and equitable treatment-Gebot zum Schutz ausländischer Investoren. 9 In Bemühungen zur Formulierung eines Code of Conduct on Transnational Corporations (UNCTC) im Rahmen der Vereinten Nationen kommt das Gebot des „fair and equitable treatment“ in den Bestimmungen zur Investitionsförderung und zum Investitionsschutz ebenfalls vor.10 Die von der Weltbank entwickelten Guidelines on the Treatment of Foreign Investment aus dem Jahr 1992 verbinden das Gebot des fair and equitable treatment mit anderen in den Guidelines empfohlenen Behandlungsstandards. 11 Schließlich enthielt auch der im Rahmen der OECD entwickelte Entwurf eines Multilateral Agreement on Investment (MAI) 12 aus dem Jahre 1998 die fair and equitable treatment-Generalklausel. 13 Wie bereits erwähnt ist keines der vorgenannten multilateralen Vertragswerke in Kraft getreten.14
way be impaired by unreasonable or discriminatory measures.“ Vgl. UNCTAD, International Investment Instruments (2000), Vol. V, 395. 8 Vgl. hierzu bereits oben § 2 II 1 c. 9 Art. 1 dieses Entwurfs enthält unter der Überschrift „Treatment of Foreign Property“ folgende Bestimmung: „(a) Each Party shall at all times ensure fair and equitable treatment to the property of the nationals of the other Parties. It shall accord within its territory the most constant protection and security to such property and shall not in any way impair the management, maintenance, use, enjoyment or disposal thereof by unreasonable or discriminatory measures.“ Vgl. OECD Draft Convention on the Protection of Foreign Property, 1967, 7 I.L.M. 117, 1968, 119. Im Gegensatz zum Abs-Shawcross Draft enthält der OECD Draft Erläuterungen, die hinsichtlich Art. 1 in Rn. 4 (a) a. E. feststellt, dass es sich bei dem von Art. 1 intendierten Eigentumsschutz um den fremdenrechtlichen Mindeststandard handeln soll: „The standard required conforms in effect to the ‚minimum standard„ which forms part of customary international law.“ 10 In der Fassung von 1983 lautet der relevante Absatz: „48. Transnational corporations should receive [fair and] equitable [and non-discriminatory] treatment [under] [in accordance with] the laws, regulations and administrative practices of countries in which they operate [as well as intergouvernmental obligations to which the Governments of these countries have freely subscribe] [consistent with their international obligations] [consistent with international law].“ Vgl. UNCTAD, International Investment Instruments (1996), Vol. I, 172. 11 In „Section III“ heist es unter der Überschrift „Treatment“: „2. Each State will extend to investments in its territory by nationals of any other State fair and equitable treatment according to the standards recommended in these Guidelines.“ Vgl. Guidelines on the Treatment of Foreign Direct Investment, 7 ICSID Review - FILJ 1992, 297 (300). 12 Vgl. hierzu oben § 2 II 1 c. 13 Art. 1.1 des Entwurfs lautet: „Each Contracting Party shall accord to investments in its territory of investors of another Contractong Party fair and equitable treatment and full and constant protection and security. In no case shall a Contracting Party accord treatment
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Demgegenüber existieren jedoch mehrere in Kraft befindliche regionale und sektorspezifische Abkommen, 15 welche eine fair and equitable treatment-Klausel enthalten. Im Rahmen von regionalen Wirtschaftsintegrationsabkommen wie dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) von 1992 ist ebenfalls das Gebot des fair and equitable treatment in Art. 1105 Abs. 1 enthalten, 16 mit der sich NAFTA-Schiedsgerichte wiederholt auseinandergesetzt haben. 17 Der Energiecharta-Vertrag (ECT) von 1994 enthält in Art. 10 Abs. 1 eine ausführliche Bestimmung zu fair and equitable treatment, welche den Behandlungsstandard in den Zusammenhang mit Transparenz und Stabilität stellt. 18 Die weitaus wichtigste Grundlage der Verpflichtung zu fair and equitable treatment stellt jedoch das weltweite Netz von bilateralen Investitionsschutzabkommen dar.19 Zunächst hatte das Gebot des fair and equitable treatment in den 1950er Jahren Eingang in einige FCN-Verträge, insbesondere der Vereinigten Staaten, gefunden, welche die Verpflichtung zu equitable treatment bzw. fair and equitable treatment enthielten.20 Seit dem Aufkommen der ersten bilateralen Investitionsschutzverträge in den 1960er Jahren ist diese Klausel mit wenigen Ausnahmen regelmäßiger Bestandteil von Investitionsschutzabkommen.21 Auch wenn zu Anfang manche Abkommen keine explizite fair and equitable treatment-Klausel enthielten, so änderte sich dies jedoch bis zum Anfang der 1970er Jahre. Heute enthält die große Mehrzahl von Investitionsschutzabkommen eine ausdrückliche fair and equitable treatment-Klausel, 22 wobei der Wortlaut im Einzelfall less favourable than that required by international law.“ Vgl. UNCTAD, International Investment Instruments (2000), Vol. IV, 148. 14 Vgl. hierzu oben § 2 II 1 c. 15 Vgl. hierzu oben § 2 II 1 b. 16 Art. 1105 Abs. 1 lautet: „1. Each Party shall accord to investments of investors of another Party treatment in accordance with international law, including fair and equitable treatment and full protection and security.“ 17 Vgl. hierzu II. 18 Art. 10 Abs. 1 lautet: „(1) Each Contracting Party shall, in accordance with the provisions of this Treaty, encourage and create stable, equitable, favourable and transparent conditions for Investors of other Contracting Parties to make Investments in its Area. Such conditions shall include a commitment to accord at all times to Investments of Investors of other Contracting Parties fair and equitable treatment.“ 19 Vgl. hierzu oben § 2 II 1 a. 20 Vasciannie, Fair and equitable treatment, 70 BYIL 1999, 99 (109 ff.); YannacaSmall, Fair and equitable treatment, 4; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (359). Zu den FCN-Verträgen vgl. oben § 2 II 1 a. 21 Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 58 ff. 22 Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 58 ff.; UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 8 f., 22; Vasciannie, Fair and equitable treatment, 70 BYIL 1999, 99
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variieren kann, 23 auch wenn bezweifelt wird, dass sich dies auf den Inhalt des Behandlungsstandards auswirkt. 24 Nachdem durch die zweite Generation von Investitionsschutzverträgen seit den 1980er Jahren vermehrt Investor-Staat-Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen Einzug gehalten haben und dadurch den Aufschwung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit seit den 1990er Jahren ausgelöst hat, hat sich dieser vage und generalklauselartige Schutzstandard zu einem zentralen und effektiven Instrument des internationalen Investitionsschutzrechts entwickelt.25 II. Das Gebot des fair and equitable treatment und das Völkergewohnheitsrecht Eine in Wissenschaft und Schiedspraxis kontrovers diskutierte Frage betrifft das Verhältnis des völkervertraglichen Gebots des fair and equitable treatment zum Völkergewohnheitsrecht. Dieses Spannungsverhältnis betrifft nicht nur die Verpflichtung zu fair and equitable treatment; es durchzieht vielmehr das gesamte internationale Investitionsrecht. 26 In einem allgemeineren Sinne (109 ff.); Yannaca-Small, Fair and equitable treatment, 5; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (359). 23 Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 58 ff.; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (359). Vgl. hierzu auch den Wortlaut verschiedener Model BITs. Art. 2 Abs. 2 des deutschen Model BIT (2008) lautet: „Each Contracting State shall in its territory in any case accord investments by investors of the other Contracting State fair and equitable treatment as well as full protection under this Treaty.“ Art. 2 Abs. 2 S. 1 des UK Model BIT (2005) lautet: „Investments of nationals or companies of each Contracting Party shall at all times be accorded fair and equitable treatment and shall enjoy full protection and security in the territory of the other Contrac ting Party.“ Art. 3 Abs. 1 des chinesischen Model BIT (2003) lautet: „Investments of investors of each Contracting Party shall all the time be accorded fair and equitable treatment in the territory of the other Contracting Party.“ Art. 5 Abs. 1 des US-amerikanischen Model BIT (2004) lautet: „Each Party shall accord to covered investments treatment in accordance with international law, including fair and equitable treatment and full protection and security.“ 24 Vgl. oben § 2 III. Auch wenn die in BITs enthaltene Sprache nicht einheitlich ist, erscheint es zumindest im Hinblick auf die Schiedspraxis zweifelhaft, ob sich die sprachlichen Unterschiede in der Praxis der Schiedsgerichte tatsächlich niederschlagen. Zur Schiedspraxis vgl. unten § 7. 25 Vgl. Schreuer, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (2); Reinisch, Enteignung und Fair and equitable treatment, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 119 (131 f.). 26 Zum Verhältnis des internationalen Investitionsrechts zum allgemeinen Völkerrecht vgl. etwa Hofmann/Tams, (Hrsg.), International Investment Law and General International Law: From Clinical Isolation to Systemic Integration?, passim; ILA (German Branch) (Hrsg.), General Public International Law and International Investment Law, passim.
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geht es hier um das Verhältnis von völkervertraglichem und völkergewohnheitsrechtlichem Investitionsschutz. 27 Dabei werden in Theorie und Praxis oftmals verschiedene Aspekte dieses Themenkreises miteinander vermengt, die dogmatisch getrennt behandelt werden sollten. Dies betrifft zunächst das grundsätzliche Verhältnis der völkervertraglichen fair and equitable treatment-Verpflichtung zum fremdenrechtlichen Mindeststandard (1.). Ein zweiter, zwar verwandter aber hiervon getrennt zu untersuchender Aspekt betrifft die Frage, inwiefern die weitverbreitete völkervertragliche Verpflichtung zu fair and equitable treatment selbst Teil des Völkergewohnheitsrechts geworden ist (2.) 1. Verhältnis zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard Bei diesem Themenkomplex geht es um die in Literatur und Schiedspraxis zum Teil immer noch umstrittene Frage, ob und inwiefern die Verpflichtung zu fair and equitable treatment identisch ist mit dem fremdenrechtlichen Mindeststandard der Behandlung von Ausländern, oder ob es sich um einen vom Völkergewohnheitsrecht unabhängigen, autonomen Schutzstandard handelt, der über den völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard hinausgeht.28 Um das Verhältnis von Fremdenrecht und völkervertraglichem Investitionsschutzrecht genauer zu betrachten, werden im Folgenden zunächt die Entwicklung des Fremdenrechts sowie dessen Bezüge zum Investitionsrecht beleuchtet (a)), bevor das Verhältnis der Verpflichtung zu fair and equitable treatment zu dem fremdenrechtlichen Mindeststandard erörtert wird (b)). a) Der fremdenrechtliche Mindeststandard und sein Verhältnis zum internationalen Investitionsschutzrecht Das völkerrechtliche Fremdenrecht regelt die Rechtsstellung fremder Staatsangehöriger. Letztere unterliegen der Territorialhoheit des Gaststaates, während sie weiterhin ihrem Heimatstaat, der weiterhin die Personalhoheit besitzt, verbunden bleiben. Dabei ging zu Beginn der Neuzeit mit dem Aufkommen von Nationalstaaten die Entwicklung des völkerrechtlichen Fremdenrechts einher mit der Entwicklung des diplomatischen Schutzrechts der Heimatstaaten, welches bei völkerrechtswidrigem Verhalten der Gaststaaten gegenüber Staatsangehörigen anderer Staaten eingriff. 29 Umstritten war lange 27
Vgl. hierzu oben § 2 II 2. Vgl. für einen Überblick zur Diskussion UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 12 f.; Vasciannie, Fair and Equitable Treatment, 70 BYIL 1999, 99 ff.; YannacaSmall, Fair and equitable treatment, 8 ff.; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (359 f.); UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 6 f., 44 ff. Zum Mindeststandard vgl. oben § 2 II 2. 29 Vgl. hierzu oben § 3 I 2. 28
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Zeit jedoch, welchen Inhalt das Fremdenrecht haben sollte, wobei die Diskussion hierüber im Wesentlichen von der Dichotomie zwischen Calvo-Doktrin und der Theorie des internationalen Mindeststandards geprägt wurde, welche sich als Grundpositionen lange Zeit bis Ende der 1970er Jahre gegenüberstanden.30 Die Calvo-Doktrin enthält drei Kernaussagen, wonach Ausländern keine bessere Behandlung als Inländern zuteil werden soll, die Rechtsstellung von Ausländern sich nach dem nationalen Recht des Gaststaates richtet und für Streitigkeiten zwischen Ausländern und dem Gaststaat die Gerichte des Gaststaates ausschließlich zuständig sind. 31 Während sich der letzte Teil gegen die Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat des Ausländers richtet, enthalten die ersten beiden Aussagen einen Gegenentwurf zum internationalen Mindeststandard, welcher stets von der westlichen Völkerrechtsdoktrin vertreten wurde. Danach ist der Gaststaat völkerrechtlich verpflichtet, dem Fremden ein vom nationalen Recht unabhängiges Minimum an Rechten zu gewähren. Dies kann im Einzelfall zu einer Besserstellung (und somit zur Ungleichbehandlung) des Einzelnen gegenüber den Staatsangehörigen des Gaststaates führen. Dem liegt die Ansicht zugrunde, dass die Behandlung des Ausländers ein gewisses Minimum nicht unterschreiten darf (was aber bei einer Gleichbehandlung zwischen In- und Ausländern der Fall sein könnte), zumal sich der Ausländer gegenüber Inländern in einer strukturell schwächeren Position befindet.32 In der Rechtsprechung wurde relativ früh und eindeutig die Existenz eines völkerrechtlichen Mindeststandards anerkannt, 33 wobei dessen Inhalt nicht klar gefasst war. 34 Trotz zum Teil unterschiedlicher Aufzählungen zur Frage, welche Rechte des Fremden gegenüber dem Gaststaat den Mindeststandard im Einzelnen ausmachen, haben sich dennoch im Laufe der Zeit einige Rechtspositionen herausgebildet. Hierzu gehören im Wesentlichen das Recht auf Rechtsfähigkeit, das Recht, nicht 30
Vgl. hierzu oben § 2 II 2. Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 13. 32 Vgl. Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 89 ff.; Lillich, The Human Rights of Aliens in Contemporary International Law, 17. 33 Vgl. hierzu etwa StIGH, Case concerning German Interests in Polish Upper Silesia (Germany v. Poland), Judgment, 25.5.1926, P.C.I.J., Ser. A, No. 7; US-Mexico Claims Commission, Harry Roberts (U.S.A.) v. United Mexican States, UN RIAA, Vol. IV, 77 ff, Rn. 8. 34 Ein bekanntes Diktum, welches den Mindeststandard zu definieren versuchte und welches heute im Rahmen von Investitionsschiedsverfahren oftmals von beklagten Gaststaaten ins Feld geführt wird, ist der Schiedsspruch im Fall US-Mexico Claims Commission, L.F.H. Neer and Pauline Neer (U.S.A.) v. United Mexican States, 25.10.1926, UN RIAA, Vol. 4, 60 ff., Rn. 4, in welchem der Mindeststandard wie folgt umschrieben wurde: „[T]he treatment of an alien, in order to constitute an international delinquency, should amount to an outrage, to bad faith, to wilful neglect of duty, or to an insufficiency of go vernmental action so far short of international standards that every reasonable and impartial man would readily recognize its insufficiency.“ 31
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willkürlich in Haft genommen zu werden, das Recht auf Leben, der Schutz gegen Angriffe auf Leben, Freiheit und Würde, körperliche Unversehrtheit und Schutz der Person, Zugang zum innerstaatlichen Rechtsweg, das Recht auf rechtliches Gehör und geordnetes Verfahren sowie das Recht, nicht ohne Beachtung bestimmter Voraussetzungen enteignet zu werden. 35 Dass es einen internationalen Mindeststandard zum Schutz von Ausländern gibt, ist heute trotz der ursprünglichen Dichotomie zwischen Mindeststandard und Calvo-Doktrin unbestritten. Die Schwachpunkte des Mindeststandards – sein vager, auf komplexe internationale Wirtschaftszusammenhänge nur bedingt anwendbarer Inhalt sowie eine Durchsetzung nur im Wege des diplomatischen Schutzes 36 – haben indes entscheidend zum Aufkommen moderner Investitionsschutzabkommen beigetragen. b) Verhältnis des Mindeststandards zum Gebot des fair and equitable treatment In der Schiedspraxis der Investitionsschiedsgerichte wird das Verhältnis des fremdenrechtlichen Mindeststandards zum Gebot des fair and equitable treatment dadurch relevant, dass nach einer Auffassung beide Schutzstandards inhaltlich gleichsetzen sind. Da nach dieser Ansicht die Vertragsnorm des fair and equitable treatment inhaltlich mit dem Mindeststandard übereinstimmt, wird folglich der Inhalt des Gebots durch den Inhalt des Mindeststandards bestimmt.37 Zur näheren Bestimmung des normativen Inhalts des Gebots des fair and equitable treatment ist demnach auf den Mindeststandard abzustellen. Diese Ansicht, welche sich auf die Gleichsetzung des Gebots des fair and equitable treatment mit dem Mindeststandards stützt, tut dies in der Regel mit einem Rückgriff auf die Definition im Neer-Fall,38 offenbar mit der Absicht, neben einer vermeintlich einfachen Bedeutungsklärung der Generalklausel von fair and equitbable treatment auch einen möglichst geringen Verpflichtungsumfang des Gaststaates gegenüber dem ausländischen Investors zu begründen. Die Gegenansicht sieht das völkervertragliche Gebot des fair and equitable treatment hingegen als vom Völkergewohnheitsrecht unabhängig an und
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Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 118 ff. Vgl. hierzu oben § 3 II. 37 Vgl. zum Meinungsstand Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69; Dolzer/ Schreuer, International Investment Law, 124; Vasciannie, 70 BYIL 1999, 99 (104 f., 139 ff.); Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 268 f.; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 332 f.; UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 44 ff. 38 Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 268 f. m.w.N. 36
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bestimmt dessen Inhalt ohne Rückgriff auf den fremdenrechtlichen Mindeststandard.39 Diese Debatte um das Verhältnis des Gebots des fair and equitable treatment zum Mindeststandard wurde besonders intensiv im Hinblick auf die Konkretisierung von Art. 1105 Abs. 1 NAFTA geführt, welcher die Verpflichtung zu fair and equitable treatment enthält.40 Dies liegt einerseits daran, dass der Ansatz, der auf eine Gleichsetzung zwischen investitionsrechtlichem Schutzstandard und völkergewohnheitsrechtlichem Mindeststandard abzielt, ausnahmsweise eine gewisse Stütze im Wortlaut dieser Vorschrift findet.41 Dennoch sah ein Teil der frühen Schiedspraxis die in Art. 1105 Abs. 1 NAFTA enthaltene Verpflichtung als vom eine vom Mindeststandard unabhängige an. 42 Demgegenüber stellte die NAFTA Free Trade Commission mit Entscheidung vom 31.7.2001 fest, dass die Verpflichtung des Gastgeberstaates zur Gewährung von fair and equitable treatment als gleichbedeutend mit dem gewohnheitsrechtlichen Mindeststandard zur Behandlung von Ausländern anzusehen sei. 43 Dem sind trotz einer anfänglich geäußerten abwei-
39 Vgl. z.B. Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 The Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (360); Dolzer, Fair and equitable treatment, 39 The International Lawyer 2005, 87 (93); Vasciannie, 70 BYIL 1999, 99 (103, 105); Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 264 ff. 40 Vgl. hierzu Dunberry, The Quest to Define “Fair and equitable treatment” for Investors under International Law – The Case of the NAFTA Chapter 11 Pope & Talbot Awards, 3 Journal of World Investment 2002, 657 ff.; Foy/Deane, Foreign Investment Protection under Investment Treaties: Recent Developments under Chapter 11 of the North American Free Trade Agreement, 16 ICSID Review - FILJ 2001, 299 ff.; Thomas, Reflections on Article 1105 of NAFTA: History, State Practice and the Influence of Comment ators, 17 ICSID Review - FILJ 2002, 21 ff.; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 333 ff.; UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 23 ff. 41 Art. 1105 Abs. 1 NAFTA lautet: „Each Party shall accord to investments of investors of another Party treatment in accordance with international law, including fair and equitable treatment and full protection and security.“ (Hervorhebung d. Verf.) Die Überschrift zu Art. 1105 NAFTA lautet „Minimum Standard of Treatment“, wodurch der Bezug auf den fremdenrechtlichen Mindeststandard verdeutlicht wird. Bezüge zum Völkergewohnheitsrecht enthalten z.B. auch Art. 5 Abs. 1 US Model BIT (2004) sowie Art. 5 Abs. 2 des kanadischen Modellinvestitionsschutzabkommens von 2004. 42 Pope & Talbot Inc. v. The Government of Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award on the Merits of Phase 2, 10.4.2001, Rn. 111. In einem anderen frühen Entscheidung kam das Schiedsgericht zur entgegengesetzten Auffassung und setzte fair and equitable treatment mit dem Mindeststandard gleich, vgl. S.D. Myers, Inc. v. Canada, UNCITRAL (NAFTA), First Partial Award, 13.11.2000, Rn. 263. 43 NAFTA Free Trade Commission Clarifications Related to NAFTA Chapter 11, Entscheidung v. 31.7.2001, abrufbar unter .
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chenden Meinung des Schiedsgerichts im Fall Pope & Talbot v. Canada 44 die nachfolgenden NAFTA-Schiedsgerichte in ihren Entscheidungen gefolgt. 45 Diese Rechtsprechung ist jedoch nur begrenzt verallgemeinerungsfähig, da einerseits Art. 1105 NAFTA sich im Gegensatz zu anderen Bestimmungen auf den „Minimum Standard of Treatment“ bezieht und zudem Gegenstand einer bindenden Auslegungsentscheidung der NAFTA Free Trade Commission war.46 Eine weitere mit der Debatte um die Gleichstellung der investitionsrechtlichen Verpflichtung zu fair and equitable treatment mit dem Mindeststandard verbundene, teils unausgesprochene Hoffnung gründet in der praktischen Erwägung, dass auf diesem Weg die bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich des Bedeutungsinhalts der fair and equitable treatment-Klausel vermieden werden können. Dahinter steht die Überlegung, dass der minimum standard in seiner vergleichsweise langen Geschichte im Gegensatz zum Gebot des fair and equitable treatment eine (vermeintlich) stärkere Bedeutungsklärung erfahren habe, weshalb ein Rückgriff auf den minimum standard die praktische Anwendung des Gebots des fair and equitable treatment erleichtern und bestehende Unsicherheiten verringern bzw. vermeiden könne.47 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Bedeutung des Mindeststandards nach wie vor äußerst vage und klärungsbedürftig ist. 48 Diese Unsicherheit hinsichtlich des Inhalts der materiellen Schutzstandards war gerade einer 44
Pope & Talbot Inc. v. The Government of Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award on Damages, 31.5.2002, Rn. 25-47. 45 Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2002, Rn. 122; United Parcel Service v. Canada, UNCITRAL (NAFTA). Award on Jurisdiction, 22.11.2002, Rn. 97; ADF Group Inc. v. United States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/1 (NAFTA), Award, 9.1.2003, Rn. 199; Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003, Rn. 124-128; Glamis Gold Ltd v. United States, UNCITRAL (NAFTA), Award, 8.6.2009, Rn. 600 ff.; Cargill, Incorporated v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/05/2 (NAFTA), Award, 18.9.2009. 46 So auch Schreuer, Selected Standards of Treatment available under the Energy Charter Treaty, Part I – Fair and equitable treatment (FET): Interactions with other Standards, in: Hobér (Hrsg.), Investment Protection and the Energy Charter Treaty, 63 (83). 47 UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 12. Allerdings wird auch eingeräumt, dass hinsichtlich des Inhalts des fremdenrechtlichen Minimumstandards gewisse Vorbeha lte, insbesondere unter Entwicklungsländern, bestehen ibid., 13. Vgl. hierzu auch oben § 2 II 2. 48 Vgl Schill, in: ders. (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 153; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 148: „The content of the international minimum standard is difficult to indentify“; ibid., 329: „The content of the international minimum standard, when it comes to investment protection, will always be problematic. One knows that there is such a standard but what the standard contains and what its modern limits are, are unclear.“
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der Gründe, welche das Aufkommen bilateraler Investitionsschutzabkommen begünstigt hat.49 Daher brächte ein Verweis auf den Mindeststandard – wäre er denn einschlägig – keinen entscheidenden Fortschritt für die Konkretisierung des Gebots; er wäre somit kaum geeignet, diese Generalklausel mit konkretem Inhalt zu füllen. 50 Dies belegt auch die Erfahrung mit Art. 1105 Abs. 1 NAFTA, dessen Konkretisierung sich in der Praxis trotz einer Anbindung an den Mindeststandard nicht wesentlich anders oder weniger mühsam vollzogen hat als die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment außerhalb des NAFTA. Vielmehr fällt auf, dass NAFTA-Schiedsgerichte Entscheidungen von BIT-Schiedsgerichten zitieren (und umgekehrt) und sich die im Rahmen von Art. 1105 Abs. 1 NAFTA verwendeten Fallgruppen nicht wesentlich von jenen anderer BIT-Schiedsgerichte unterscheiden.51 52 Bemerkenswert ist dieser Umstand insofern, als dem fremdenrechtlichen Mindeststandard von den Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment lediglich der denial of justice zugerechnet wird.53 Andererseits verwundert dieser Umstand insofern nicht, als die Entscheidung, ob das Gebot des fair and equitable treatment im Einzelfall verletzt ist oder nicht ist, sich nicht durch einen Querverweis auf den Mindeststandard im Voraus abstrakt festlegen lässt; dies setzt vielmehr eine Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment in Anbetracht des jeweiligen Sachverhalts vo-
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Vgl. Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 33: „Dabei zeigt sich, dass das Entstehen des bilateralen Investitionsschutzvertrages im Wesentlichen […] eine Reaktion auf die prozeduralen Unwägbarkeiten des völkergewohnheitsrechtlichen, diplomatischen Schutzes wie auch auf die Unsicherheiten seiner materiellen Standards war.“ 50 Zur Konkretisierung von Generalklauseln vgl. unten § 11 II. 51 Vgl. Schill, in: ders. (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 153: „The customary international law minimum standard itself lacks precise content and is in need of interpretation by arbitral tribunals. In order to concretize such a standard, arbitral tribunals generally recur to the decisions of other arbitral tribunals without distinguishing whether those decisions were based on the customary variant or an autonomous treaty standard.“ Zudem fällt auf, dass der Kreis an Schiedsrichtern, der für NAFTASchiedsverfahren ernannt wird, sich nicht von dem der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit auf der Basis bilateraler Investitionsschutzabkommen unterscheidet, vgl. hierzu Commission, Journal of International Arbitration 2007, 129 (138 ff.). 52 Bemerkenswert ist dieser Umstand insofern, als dem fremdenrechtlichen Mindeststandard von den Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment lediglich der denial of justice zugerechnet wird. 53 So auch Haeri, Arbitration International 2011, 27 (36 f.), der darauf verweist, dass etwa die Fallgruppe des Transparenzgebots (vgl. hierzu unten § 9 IV) nicht gleichermaßen Teil des Völkergewohnheitsrechts ist. Zudem ist äußerst fraglich, ob die wichtigste Fallgruppe, der Schutz legitimer Investorenerwartungen (vgl. hierzu unten § 9 II), vom völkerrechtlichen Fremdenrecht erfasst wird.
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raus.54 Die (Wert-)Entscheidung, ob eine Verletzung des Gebots vorliegt, mag durch die Bindung an den Mindeststandard – wenn überhaupt – allenfalls dadurch leicht beeinflusst werden, dass mit dem minimum standard ein insgesamt strengerer Maßstab verbunden wird; der Vorgang der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, z.B. über die Bildung von Fallgruppen, wird – wie die Praxis des NAFTA gezeigt hat – dadurch im Einzelfall jedoch weder vereinfacht noch entscheidend beeinflusst. 55 Zudem ist der fremdenrechtliche Mindeststandard nur sehr bedingt auf die wirtschaftsrechtlichen Zusammenhänge des heutigen internationalen Investitionsrechts übertragbar. So dürfte der fremdenrechtliche Neer-Standard nicht geeignet sein, komplexe wirtschaftsvölkerrechtliche Zusammenhänge des internationalen Investitionsrechts zu erfassen. 56 Einzig die Fallgruppen des „due process“ bzw. des „denial of justice“ dürften auch in heutigen investitionsrechtlichen Zusammenhängen von Bedeutung sein. 57 Gegen die Gleichstellung des Gebots des fair and equitable treatment mit dem Mindeststandard sprechen zudem grammatische Argumente. Der Wortlaut der meisten bi- und multilateralen Vertragsbestimmungen außerhalb des NAFTA, welche die fair and equitable treatment-Klausel enthalten, weist in der Regel keinen Bezug zum Völker(gewohnheits)recht auf. Wenn es die Intention der Vertragsparteien gewesen wäre, einen Bezug zum gewohnheitsrechtlichen Mindeststandard herzustellen oder gar eine Gleichstellung mit diesem zu bewirken, so hätte es für die Vertragsstaaten nahegelegen, dies 54
Vgl. Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2002, Rn. 118: „A judgment of what is fair and equitable cannot be reached in the abstract; it must depend on the facts of the particular case.“ 55 So zeigt sich, dass die Konkretisierung in Form der Fallgruppenbildung kaum andere Ergebnisse hervorgebracht hat als die Rechtsprechung außerhalb des NAFTA. Dabei erscheint letztlich entscheidend, was das Schiedsgericht im Einzelfall unter Ansehung der relevanten Tatsachen als fair und angemessen bzw. gerecht hält, was Ansehung eines jeden Einzelfalls neu bestimmt werden muss. Die (Vor-)Festlegung auf den Mindeststandard scheint das Ergebnis dieser Beurteilung in der Praxis nicht wesentlich beeinflusst zu haben. Dies spricht dafür, dass sich der Bedeutungsinhalt einer Generalklausel nicht abtrakt im Voraus, d.h. ohne Ansehung des relevanten Sachverhalts, nur sehr bedingt determinieren lässt, und eine Festlegung im Sinne eines „hohen“ oder „niedrigen“ Schutzniveaus nur wenig zur Konkretisierung des Gebots beizutragen vermag. 56 Vgl. Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 331. Zum Neer-Standard siehe oben Fn. 34. Zu „denial of justice“ und „due process“ als Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment vgl. unten § 7 und § 9 III. 57 Ob und inwiefern sich der Mindeststandard seit der Neer-Entscheidung im Sinne eines höheren Schutzniveaus für ausländische Investoren geändert hat, ist ungeklärt, Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Teil J, Rn.109. Zu den Fallgruppen des fair and equitable treatment in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte, vgl. unten § 7 und § 9.
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sprachlich zum Ausdruck zu bringen, anstelle mit fair and equitable treatment eine Begrifflichkeit zu wählen, die weder grammatisch noch aufgrund ihrer historischen Entwicklung einen Bezug zum völkerrechtlichen Mindeststandard aufweist. 58 Es überzeugt daher wenig, wenn angenommen wird, dass die Vertragsstaaten den bekannten völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststand vereinbaren bzw. auf diesen verweisen wollten, hierfür jedoch anstelle des eingeführten Begriffs des „minimum standard“ die Generalklausel des „fair and equitable treatment“ geschaffen und in der Folgezeit gewählt haben.59 Abgesehen davon wäre, insbesondere aus Sicht des Investors, der praktische Nutzen einer vertraglichen Festschreibung eines Behandlungsstandards, der bereits Teil des Völkergewohnheitsrechts ist, gering.60 Vielmehr bestand ein Hauptgrund für die Einführung von Behandlungsstandards in Investitionsschutzabkommen gerade darin, die Defizite des klassischen Völkerrechts (Fremdenrecht und diplomatischer Schutz) beim Schutz ausländischer Investoren und deren Investitionen, zu überwinden. 61 Es ist daher überzeugender, wenn davon ausgegangen wird, dass es sich bei der vertraglichen Verpflichtung zu fair and equitable treatment um eine eigenständige, vom völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard unabhängige Verpflichtung handelt. 62 Diese Auffassung eines vom Fremdenrecht 58
UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 13; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (360); ders., Fair and equitable treatment, in: Hoffmann (Hrsg.), Protection of Foreign Investments through Modern Treaty Arbitration – Diversity and Harmonisation, 125 (129); Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 60; Tams, in: Ehlers u.a. (Hrsg.), Rechtsfragen internationaler Investitionen, 81 (86). 59 Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 60; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (360); UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 13. 60 Dagegen zeigt nach einer Ansicht die ausdrückliche Festschreibung oder Bezugna hme auf Teile des völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandards, wie etwa die regelmäßige Bezugnahme auf die dem Völkergewohnheitsrecht entlehnten Enteignungs- bzw. Entschädigungsstandards, dass das im BIT enthaltene Gebot des fair and equitable treatment nach Ansicht der Vertragsparteien gerade nicht den Mindeststandard umfasst, vgl. Grierson-Weiler/Laird, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 259 (266). Einschränkend wird man jedoch anmerken müssen, dass dem Völkergewohnheitsrecht nach wie vor eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich des genauen Entschädigungsstandards anhaftet, weshalb dessen Festschreibung in den Invest itionsschutzabkommen eine gewisse Klarstellungsfunktion erfüllt, vgl. hierzu oben § 2 II 2. 61 Hierzu oben § 3. 62 Dasselbe gilt für eine weitere, in der Schiedspraxis hin und wieder anzutreffende Variante der Auffassung, welche das Gebot des fair and equitable treatment mit dem Mindeststandard gleichsetzen will. Nach dieser Variante soll sich das Gebot des fair and equitable treatment auf einen „entwickelten Mindeststandard“ („evolved minimum standard“) beziehen, vgl. z.B. Mondev International Ltd. v. United States of America, Award, 11.10.2002, Rn. 123; ADF Group Inc. v. United States, ICSID Case, Award, 9.1.2003,
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unabhängigen Konzepts von fair and equitable treatment wurde schon Anfang der 1980er Jahre von F.A. Mann vertreten63 und in der Folgezeit in Rechtsprechung und Lehre weiter entwickelt. 64 Rn. 179; CMS Gas Transmission Company v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/8, Rn. 284: „While the choice between requiring a higher treaty standard and that of equating it with the international minimum standard might have relevance in the context of some disputes, the Tribunal is not persuaded that it is relevant in this case. In fact, the Treaty standard of fair and equitable treatment and its connection with the required stability and predictability of the business environment, founded on solemn legal and contractual commitments, is not different from the international law minimum standard and its evolution under customary law.“ (Hervorhebung d. Verf.) Auch hier sprechen insbesondere grammatikalische und teleologische Argumente gegen eine solche Annahme. Des Weiteren ist gegenüber dem klassischen Mindeststandard, der zwar seinerseits vage ist, aber zumindest in groben Zügen definiert wurde, unklar, welchen Inhalt dieser angeblich entwickelte Mindeststandard haben soll. So bleiben die Anhänger dieses dynamischen Verständnisses des Mindeststandards den konkreten Nachweis von dessen Entwicklung und Inhalt, etwa durch genaue Analyse der Staatenpraxis und der entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten, regelmäßig schuldig. Auf die Notwendigkeit, diesen überwiegend tatsächlichen Beweis zum Beleg von Völkergewohnheitsrecht zu erbringen, hat das Schiedsgericht im Fall Cargill, Incorporated v. United Mexican States, Award, 18.9.2009, Rn. 271, hingewiesen. 63 Mann, British Treaties for the Promotion and Protection of Investments, 52 BYIL 1981, 241 (244): „The terms „fair and equitable treatment‟ envisage conduct which goes far beyond the minimum standard and afford protection to a greater extent and according to a much more objective standard than any previously employed form of words. A tribunal would not be concerned with a minimum, maximum or average standard. It will have to decide whether in all circumstances the conduct in issue is fair and equitable or unfair and inequitable. No standard defined by other words is likely to be material. The terms are to be understood and applied independently and autonomously.“ 64 Vgl. z.B. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 60: „It is submitted here that the fact that the parties to BITs have considered it necessary to stipulate this standard as an express obligation rather than relied on a reference to international law and thereby i nvoked a relatively vague concept such as the minimum standard, is probably evidence of a self-contained standard. Further, some treaties refer to international law in addition to the fair and equitable treatment, thus appearing to reaffirm that international law standards are consistent with, but complementary to, the provisions of the BIT“; Vasciannie, 70 BYIL 1999, 99 (105): „[B]earing in mind that the international minimum standard has itself been an issue of controversy between developed and developing States for a considerable period, it is unlikely that a majority of States would have accepted the idea that this standard is fully reflected in the fair and equitable standard without clear discussion. These considerations point ultimately towards the conclusion that the two standards in question are not identical“; Muchlinski, Multinational Entreprises and the Law, 626: „It has been suggested that fair and equitable treatment represents a classical international law standard which embodies international minimum standards of treatment [...] According to Laviec, a reference to fair and equitable treatment should not be read as a reference to international mi nimum standards. If the intention is to assimilate the two concepts, this should be made explicit in the text. Otherwise, the fair and equitable treatment standard should stand on its
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Fasst man all diese Erwägungen zusammen, so wird man ohne ausdrückliche Hinweise im Wortlaut der Vertragsbestimmung nicht annehmen können, dass die völkervertragliche Verpflichtung zu fair and equitable treatment mit dem fremdenrechtlichen Mindeststandard gleichzusetzen ist. 65 Es handelt sich own“; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 270: „[O]n the whole, IIA jurisprudence supports the view that fair and equitable treatment is an independent treaty standard.“ 65 Vgl. auch UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 13, 40; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005 357 (364). Eine in diesem Zusammenhang noch ungeklärte Frage betrifft die Bedeutung von Erklärungen seitens der Gaststaaten im Rahmen von Investitionsschiedsverfahren. So verteidigen sich Gaststaaten zur Frage der Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment im Pr ozess oftmals routinemäßig mit dem Verweis auf den Mindeststandard. Dem dürfte indes weniger eine Rechtsüberzeugung des Gaststaats als die Hoffnung auf einen aus Sicht des Gaststaates günstigeren Haftungsmaßstab zugrunde liegen. Zudem sind Staaten durchaus an einem hohen Schutzstandard interessiert, sofern nicht sie selbst, sondern einheimische Investoren an einem solchen Verfahren beteiligt sind. Darüber hinaus dürfte der Rechtsbeistand des Gaststaates bereits etwa aus haftungs- und berufsrechtlichen Gründen angehalten, eine möglichst günstige Rechtsansicht zu vertreten. Ob aus einem solchen prozessualen Vorbringen eine Rechtsüberzeugung oder gar eine Staatenpraxis abgeleitet werden kann, erscheint daher zweifelhaft. Eine derartige Annahme würde auch dem Prinzip der prozessualen Waffengleichheit widersprechen, da der Investor einer vergleichbaren B eschränkung nicht unterliegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Investitionsschiedsverfa hren der Rechtsnatur nach als halb-private Schiedsverfahren sind und nicht zwischen Staaten sondern zwischen einem Staat und einer Privatperson ausgetragen werden (vgl. hierz u oben § 4). Das Vorbringen von Staaten zum Zwecke der Verteidigung in einem halbprivaten Verfahren sollte außerhalb des Verfahrens keine Rechtswirkung außerhalb des Prozesses zeitigen; wäre dies der Fall, so wäre die prozessuale Waffengleichheit zwischen Staat und privatem Investor erheblich gestört. Zur prozessualen Waffengleichheit in Investitionsschiedsverfahren Wälde, Equality of Arms in Investment Arbitration: Procedural Challenges, in: Yannaca-Small (Hrsg.), Arbitration Under International Investment Agreements, 161 ff. Zur Staatenpaxis Shaw, International Law, 81 (83): „Claims and conventions of states in various contexts have been adduced as evidence of state practice and it is logical that this should be so, though the weight to be attached to such claims, may, of course, vary according to the circumstances.“ Das Vorbringen eines Gaststaates in einem halb-privaten Schiedsverfahren stellt einen solchen Umstand dar, der zumindest bei der Gewichtung des staatlichen Vorbringens zu berücksichtigen ist. Vgl. auch ILA, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, Final Report of Committee (2000), 14 f., wonach Einlassungen vor internationalen Gerichten („pleadings before international tribunals“) als Staatenpraxis in Betracht kommt. Zudem muss es sich um eine öffentliche Verlautbarung („Acts do not count as practice if they are not made public“) handeln, vgl. ILA, ibid.: „For a verbal act to count as State practice, it must be public – not in the sense that it need necessarily be communicated to all of the world, but that, if it is not publicized generally (e.g. by legislation, press statements, etc.), it must be communicated to at least one other State.“ Ob diese Voraussetzungen im teilweise vertraulichen, gemischt staatlich-privaten Investitionsschiedsverfahren stets vorliegen, ist zumindest fraglich.
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bei dem Gebot des fair and equitable treatment vielmehr um einen hiervon verschiedenen, unabhängigen Schutzstandard.66 2. Entstehung von Völkergewohnheitsrecht durch völkervertragliches Investitionsrecht? Eine weitere Auffassung, welche die vertragliche Verpflichtung zu fair and equitable treatment mit dem Völkergewohnheitsrecht in Verbindung bringt bzw. mit diesem gleichsetzen will, geht davon aus, dass das Gebot des fair and equitable treatment aufgrund seiner Verankerung im weltweiten Netz von über 2800 bilateralen Investitionsschutzverträgen mittlerweile selbst Teil des Völkergewohnheitsrechts geworden ist und somit völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen kann.67 Diese Auffassung, welche von manchen Investitionsschiedsgerichten im Rahmen der Konkretisierung der fair and equitable treatment-Generalklausel geäußert wurde, 68 bezieht sich demnach nicht auf den völkerrechtlichen Mindeststandard, sondern auf eine neue, aus dem Völkervertragsrecht hervorgegangene Norm des Völkergewohnheitsrechts und betrifft letzten Endes die allgemein-völkerrechtliche Frage des Verhältnisses von Vertrags- und Gewohnheitsrecht. 69 Im Unterschied zu der zuvor genannten These, wonach die Vertragsnorm des fair and equitable 66
Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 60; UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 13, 40; Vasciannie, The Fair and equitable treatment Standard in International Investment Law and Practice, 70 BYIL 1999, 99 (104 f , 139 ff.); Griebel, Internationales Investitionsrecht, 70; Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (364); ders., Fair and equitable treatment, in: Hoffmann (Hrsg.), Protection of Foreign Investments through Modern Treaty Arbitration – Diversity and Harmonisation, 125 (135). 67 Vgl. Pope & Talbot Inc. v. The Government of Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award on Damages, 31.5.2002, Rn. 62; Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2002, Rn. 125; Hindelang, Bilateral Investment Treaties, Custom and a Healthy Investment Climate – The Question of whether BITs Influence Customary International Law Revisited, 5 Journal of World Investment and Trade 2005, 789 ff.; Wälde, The Specific Narure of Investment Arbitration, 46 (96 ff.); Lowenfeld, International Economic Law, 584; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 270 ff. m.w.N. 68 Pope & Talbot Inc. v. The Government of Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award on Damages, 31.5.2002, Rn. 62; Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2002, Rn. 125. 69 Vgl. hierzu generell Doehring, Gewohnheitsrecht aus Verträgen, ZaöRV 36 (1976), 77 ff.; Baxter, Treaties and Custom, 129 RdC 1970-I, 25 ff.; Thirlway, International Customary Law and Codification, passim; Villiger, Customary International Law and Treaties, passim; ILA, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, Final Report of Committee (2000), 46 ff. Hierzu auch IGH, North Sea Continental Shelf Cases [Federal Republic of Germany v. Denmark & The Netherlands] , ICJ Reports, 1969, 3.
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treatment dem Mindeststandard entspreche und somit der Inhalt der ersteren durch den Inhalt der letzteren bestimmt werde, geht diese Ansicht vom Inhalt der Vertragsnorm aus, welche Inhalt einer entsprechenden Norm des Völkergewohnheitsrechts geworden sei. Insofern ist diese These für die vorliegende Untersuchung von geringerer Relevanz, da sie im Gegensatz zur ersten These die Unabhängigkeit des vertraglichen Gebots des fair and equitable treatment letztlich nicht bestreitet.70 Ihr Ausgangspunkt – wie auch jener der vorliegenden Untersuchung – ist vielmehr die Konkretisierung der vertraglichen Verpflichtung. Dennoch soll kurz auf die Belastbarkeit auch dieser zweiten These eingegangen werden. 71 Für die Annahme einer Norm des Völkergewohnheitsrechts, welche aus dem Völkervertragsrecht entstanden sein soll, müssten die Voraussetzungen zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht, consuetudo (Übung) und opinio iuris sive necessitatis (Rechtsüberzeugung), vorliegen. 72 Dies erscheint hier zweifelhaft. So fehlt es zum einen bereits an Hinweisen darauf, dass Staaten außerhalb vertraglicher Verpflichtungen den fair and equitable treatment-Behandlungsstandard tatsächlich gewährleisten. Die Befürworter dieses Ansatzes bleiben regelmäßig die erforderlichen Belege einer entsprechenden Übung schuldig. Eine solche Übung, würde sie bestehen, wäre im Übrigen auch kaum von opinio iuris getragen. So lassen Staaten keinen eindeutigen Willen erkennen, die Verpflichtung zu fair and equitable treatment in das Völkergewohnheits-
70 Vgl. hierzu auch Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 271 f., welche die praktische Relevanz dieser Debatte aufgrund der in der Regel vorliegenden fair and equitable-Vertragsnorm (gegebenenfalls in Verbindung mit einer MFN-Klausel) als gering einstufen: „On a practical level, the question of whether fair and equitable treatment has become customary international law is unlikely to be determinative in the majority of IIA cases. Most IIAs already provide fair and equitable treatment as a treaty-based standard in some form. If an IIA has a different treatment standard that the respondent state argues is less onerous than fair and equitable treatment, fair and equitable treatment will likely apply in any event as a result of an MFN clause. Therefore, in practice, the question does not arise.“ 71 Die praktische Relevanz der Unterscheidung zwischen Gewohnheits- und Vertragsrecht selbst bei identischen Norminhalts zeigt sich etwa bei Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten eines BIT, da die Staat-Staat-Streitbeilegungsklausel in Investitionsschutzabkommen regelmäßig auf Sachverhalte beschränkt ist, welche die Auslegung oder Anwendung einer Norm des Vertrages zum Gegenstand haben.Vgl. z.B. Art. 9 Abs. 1 des deutschen Model BIT (2008): „Disputes between the Contracting States concerning the interpretation or application of this Treaty should as far as possible be settled by the Governments of the two Contracting States.“ (Hervorh. d. Verf.) 72 Vgl. z.B. Treves, Customary International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2006, Rn. 8; Doehring, Völkerrecht, Rn. 287; Villiger, Custormary International Law and Treaties, Rn. 16 ff., 65 ff.
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recht aufzunehmen, und es ist auch nicht ohne weiteres anzunehmen, dass die Staaten bereits von dessen gewohnheitsmäßiger Geltung ausgehen. 73 Aufgrund der Staatenpraxis zur Aushandlung und zum Abschluss von Investitionsschutzverträgen ist es vielmehr plausibler anzunehmen, dass die Vertragsstaaten nach wie vor von dem Erfordernis einer individuellen völkervertraglichen Verankerung des Gebots des fair and equitable treatment ausgehen, da letzteres gerade nicht Teil des allgemeinen Völkerrechts ist. Wäre das Gebot des fair and equitable treatment bereits Teil des Völkergewohnheitsrechts, so wäre die Aushandlung und der Abschluss von Investitionsschutzabkommen – abgesehen von einer möglichen Klarstellungsfunktion – in diesem Punkt überflüssig. Eine der Grundannahmen des völkervertraglichen Investitionsrechts, nämlich durch vom Fremdenrecht abweichende, umfangreichere und investitionsspezifische Schutzstandards zugunsten bestimmter ausländischer Investoren diesen eine verbesserte und verlässlichere Rechtsposition zu bieten und somit einen besonderen Anreiz für die Tätigung von Investitionen im Gaststaat zu geben, wäre grundlegend in Frage gestellt.74 Die Ausgangsmotivation für den Abschluss von Investitionsschutzab-
73
Vgl. UNCTAD, Fair and equitable treatment (1999), 17; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 270 f.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 110 f., der darauf verweist, dass das Scheitern multilateraler Ansätze ein Anzeichen für eine (noch) nicht bestehende einheitliche Rechtsüberzeugung ist. Die Gegenansicht geht davon aus, dass die Staatenpraxis durch das Aushandeln (und ggfs. das Befolgen) von BITs gleichzeitig ein Ausdruck von opinio iuris sei bzw. dass opinio iuris in manchen Bereichen keine Voraussetzung für die Bildung von Gewohnheitsrecht darstelle, vgl. Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 270. Kritisch gegenüber dem Befolgen von Vertragsnormen als Beleg für die Existenz einer Norm des Gewohnheitsrechts dagegen ILA, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, Final Report of Committee (2000), 46: „It is, however, important to note that in principle, and subject to what will be said in C and D below, what States do in pursuance of their treaty obligations is prima facie referable only to the treaty, and therefore does not count towards the formation of a customary rule.“ 74 Vgl. auch Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, 206: „These treaties are best seen as creating lex specialis between the parties rather than as creating customary principles of international law“; ibid., 318 f.: „The second is the argument […] that the incorporation of the standards in investment treaties is evidence of customary internal law. Again, this is not a tenable argument, as investment treaties are premised on different objectives, and the internal balance that is achieved between sovereign control over investments and the competing of the international standards from which there can be no deviation differ from treaty to treaty“; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 270 f.: „However, even if general and consistent state practice is proven, there is little evidence that states provide treatment beyond the minimum standard of treatment out of a sense of legal customary obligation. Rather, economic interests motivate states to enter into IIAs.“
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kommen ist ökonomischer Natur. 75 Grund für die vertragliche Gewährleistung besonderer, über das Gewohnheitsrecht hinausgehender Schutzstandards für bestimmte ausländische Investoren ist nicht etwa die Akzeptanz bzw. Reflektion einer Pflicht des allgemeinen Völkerrechts durch die beteiligten Staaten, sondern die Erwartung der im Gegenzug durch die ausländischen Investoren im Gastgeberstaat getätigten Investitionen. Die Annahme einer aus dem Völkervertragsrecht entstandenen völkergewohnheitsrechtlichen Norm ist zudem mit dem Problem behaftet, dass der Inhalt des Gebots des fair and equitable treatment weiterhin der Klärung bedarf. So trägt es kaum zur Bedeutungsklärung des Gebots bei, wenn zur Konkretisierung der Vertragsnorm des fair and equitable treatment auf eine hieraus (angeblich) entstandene Norm des Gewohnheitsrechts verwiesen wird. Dabei wird lediglich von einer unbestimmten Norm auf eine ebenso klärungsbedürftige Norm verwiesen, ohne dass hierdurch ein Beitrag zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment geleistet würde. Der Inhalt des Gebots wird dadurch nicht erhellt, es wird lediglich eine unbestimmte Vertragsnorm gegen eine ebenso unklare Norm des Gewohnheitsrechts „eingetauscht“. Überdies fehlen Belege, wie sich allgemein bindendes Gewohnheitsrecht im Hinblick auf eine Vertragsnorm bilden konnte, deren Bedeutungsinhalt noch unter vielen Aspekten klärungsbedürftig ist und weiterer Erforschung bedarf. So sollte etwa für die Annahme von opinio iuris darüber, worauf sich die Verpflichtung der Staaten bezieht, hinreichende Klarheit bestehen. Aus der Erkenntnis, dass es sich bei dem Gebot des fair and equitable treatment um einen autonomen Schutzstandard handelt, folgt, dass sich dessen Bedeutungsgehalt nicht aus dem Verweis auf Völkergewohnheitsrecht ableiten lässt. Der bloße Wechsel der Perspektive von einer zu konkretisierenden Völkervertragsnorm hin zu einer angeblich entstandenen identischen Norm des Völkergewohnheitsrechts führt daher nicht weiter. Der Bedeutungsinhalt ist aus der Vertragsnorm selbst abzuleiten, idealerweise im Wege eines nachvollziehbaren und rational begründbaren Konkretisierungsprozesses.76 3. Fazit: Das Gebot des fair and equitable treatment als eigenständiger Schutzstandard Sowohl der Vergleich mit dem fremdenrechtlichen Mindeststandard, wie auch der Verweis auf völkervertraglich inspiriertes Völkergewohnheitsrecht
75 Vgl. Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 271; Guzman, 38 Virginia Journal of International Law 1998, 639 (666 f.). Vgl. hierzu auch oben § 5 IV. 76 Hierzu unten § 11 II u. III.
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überzeugt nicht und führt überdies bei der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treament nicht weiter. Hinsichtlich des völkerrechtlichen Mindeststandards spricht schon der Wortlaut für einen vom Mindeststandard unabhängigen Schutzstandard. Ausgehend von dem Begriff des „fair and equitable treatment“ ist nicht einleuchtend, weshalb ein Abkommen gerade diesen Begriff wählen sollte, um ein allgemein bekanntes und seit langem eingeführtes Rechtsinstitut wie den gewohnheitsrechtlichen Mindeststandard (minimum standard) zu beschreiben. Wenn die Vertragsparteien auf Völkergewohnheitsrecht verweisen wollen, so kann davon ausgegangen werden, dass sie dies im Wortlaut entsprechend kenntlich machen, anstelle einen anderen Begriff, der keinen Bezug zum Völkergewohnheitsrecht aufweist, zu verwenden. Überdies ist der fremdenrechtliche Mindeststandard seinerseits vage und konkretisierungsbedürftig. Er dürfte auch nur bedingt geeignet sein, investitionsrechtliche Fallgestaltungen befriedigend zu erfassen. Die in internationalen Investitionsschutzabkommen enthaltene Verpflichtung zu fair and equitable treatment des Investors und/oder seiner Investition stellt somit ein autonomes investitionsvertragsrechtliches Konzept dar. 77 Zur Annahme einer aus der investitionsvertragsrechtlichen Bestimmung des fair and equitable treatment hervorgegangenen (inhaltsgleichen) Norm des Völkergewohnheitsrechts fehlen die Belege, wonach Staaten auch außerhalb vertraglicher Verpflichtungen bereit wären bzw. sich verpflichtet fühlen, ausländischen Investoren den fair and equitable treatment-Schutzstandard zukommen zu lassen. Letztlich darf bei alledem nicht übersehen werden, dass es oftmals rein praktische Erwägungen und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Konkretisierung der Generalklausel des fair and equitable treatment sind, welche Schiedsgerichte zum Teil veranlasst haben, eine vermeintliche Lösung bzw. Umgehung des Konkretisierungsproblems durch die Gleichstellung des Gebots des fair and equitable treatment mit Völkergewohnheitsrecht zu suchen. Aber selbst aus praktischen Erwägungen würde dieser Ausweg nicht weiterführen. So hilft die Annahme eines völkergewohnheitsrechtlichen fair and equitable treatment-Gebots bei der Konkretisierung nicht weiter und führt lediglich zu einem Zirkelschluss: Um den unbekannten Vertragsstandard zu konkretisieren wird auf inhaltsgleiches Völkergewohnheitsrecht verwiesen, 77
Vgl. hierzu etwa die Entscheidung im Fall CME v. Czech Republic, Partial Award, 14.3.2003, Rn. 156: „The broad concept of fair and equitable treatment imposes obligations beyond customary international requirements of good faith treatment.“ Eine Ausnahme hiervon gilt lediglich für den in Art. 1105 (1) NAFTA enthaltenen fair and equitable treatment-standard, welcher sich anders als die BIT-Klauseln ausdrücklich auf den gewohnheitsrechtlichen Mindeststandard („international minimum standard“) bezieht.
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dessen Inhalt jedoch konsequenterweise ebenso vage und konkretisierungsbedürftig ist wie jener der identischen Vertragsnorm. Damit verlagert sich das Problem konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit vom Vertragsrecht in das Völkergewohnheitsrecht, ohne dass hierdurch ein Erkenntnisgewinn über den Bedeutungsinhalt des Gebots erzielt würde. Für die Konkretisierung des Gebeots des fair and equitable treatment bedeutet dies, dass die Konkretisierungsbemühungen direkt an der Vertragsbestimmung anzusetzen haben. Verweise in das Völkergewohnheitsrecht tragen weder zu einer Klärung des Bedeutungsinhalts der Vertragsnorm bei, noch sind sie durch den – nach wie vor ungeklärten – Stand des Völkergewohnheitsrechts in diesem Bereich gerechtfertigt. Mit der grundlegenden Erkenntnis, dass es sich bei der Verpflichtung zu fair and equitable treatment um einen eigenständigen, vom Völkergewohnheitsrecht unabhängigen Schutzstandard handelt, ist indes noch keine Aussage über den Inhalt des Schutzstandards getroffen außer jener, wonach sich der Bedeutungsinhalt des Gebots von der jeweiligen Vertragsnorm abzuleiten hat.78 III. Abgrenzung gegenüber einer Entscheidungsfindung ex aequo et bono 1. Abgrenzung Bei dem Gebot des fair and equitable treatment handelt es sich, ähnlich etwa den Treu und Glauben-Generalklauseln des nationalen Rechts, um eine äußerst unbestimmte, ausfüllungsbedürftige Norm. 79 Dennoch handelt es sich in beiden Fällen um einen rechtlichen Standard, der von einer Ermächtigung des Schiedsgerichts, eine Billigkeitsentscheidung nach außerrechtlichen Maßstäben ex aequo et bono bzw. als amiable compositeur80 zu treffen, abzugrenzen ist.81 78
Dem wird in den beiden folgenden Kapiteln u.a. durch einen Überblick und eine Systematisierung der zum Gebot des fair and equitable ergangenen Rechtsprechung (§ 7) sowie durch Abgrenzung gegenüber anderen investitionsvertraglichen Schutzstandards (§ 8) Rechnung getragen. 79 Hierzu unten § 11 I. 80 Die beiden Begriffe werden in austauschbarer Weise gebraucht, vgl. Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 748. So verwendet Art. 28 Abs. 3 UNCITRAL-Modellgesetz beide Begriffe nebeneinander. Zur Herkunft beider Begriffe Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 1889 f. 81 Vgl. Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (365); ders., Fair and equitable treatment, in: Hoffmann (Hrsg.), Protection of Foreign Investments through Modern Treaty Arbitration – Diversity and Harmonisation, 125; Yannaca-Small, Fair and equitable treatment, 3 ff.; UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 61.
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Bei gesetzlich zugelassenen Billigkeitsentscheidungen kann der (Schieds-) Richter zwar Billigkeitserwägungen anstellen und sich auf diese stützen, jedoch nur im Rahmen der sie gestattenden gesetzlichen Grundlage. Bei einer Entscheidung ex aequo et bono ist der Richter von diesen Beschränkungen fast vollständig befreit und kann sich darauf konzentrieren, eine am Einzelfall orientierte Billigkeitsentscheidung zu treffen. 82 Die theoretisch klar zu treffende Unterscheidung zwischen Recht und Billigkeit mag in der Praxis schwerer vorzunehmen sein, insbesondere wenn es sich um einen unbestimmten Rechtssatz wie das Gebot des fair and equitable treatment handelt, zu dessen Konkretisierung im Einzelfall auch Billigkeitserwägungen anzustellen sind, zumal dies im Wortlaut der Norm angelegt ist. Dies geschieht jedoch stets im Hinblick auf die zu konkretisierende Norm, nicht aufgrund einer nicht an Rechtssätze gebundenen allgemeinen Billigkeitsentscheidung. 83
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Berger, Lex mercatoria, 55; Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 18-90: „A judgment made ex aequo et bono is based on considerations of fairness, not of existing law.“ Vgl. auch Kotzur, Ex Aequo et Bono, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 11: „Even though recent writings argue against the ‚overly artificial divide‟ between equitable and ex aequo et bono findings, the clear distinction between equity as an intrinsic element of international law and the ex aequo et bono principle as a rule of decision departing from and consequently being outside the law, is still upheld in public international law.“ 83 Allerdings wird vertreten, dass Normen, die zum Kernbereich eines inländischen oder internationalen ordre public gehören, auch im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu beachten seien, vgl. Schlosser, Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 750; Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 3.199 („even an arbitral tribunal that decides „in equity“ must act in accordance with some generally accepted legal principle“); Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 18-88 („limited by relevant mandatory procedural and substantive rules“); Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Rn. 183 (gute Sitten und öffentliche Ordnung als Grenze der Billigkeitsrechtsprechung); Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 371; Kotzur, Ex Aequo et Bono, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 17 („The baseline principles of public international law, the international public order and for sure ius cogens will prevail in any case“). Des Weiteren sind die Bestimmungen des Vertrages zu beachten, vgl. Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 18-93; Schlosser, Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 752. Eine weitere, hier nicht zu vertiefende Frage, ist die, ob und inwiefern eine Entscheidung nach billigem Ermessen eigenen, vom nationalen Recht unabhängigen Normen, etwa die einer sog. lex mercatoria, unterliegen. Zu der Entscheidung ex aequo et bono als möglicher Quelle einer lex mercatoria vgl. Berger, Lex mercatoria, 55 f.
§ 6 Entwicklung und Quellen des Gebots des fair and equitable treatment
141
2. Parteivereinbarung Eine Entscheidung ex aequo et bono ist regelmäßig nur dann zulässig, wenn die Parteien das Schiedsgericht hierzu ausdrücklich ermächtigt haben. 84 So kann beispielsweise der Internationale Gerichtshof nach außerrechtlichen, in freier Interessenabwägung geschöpften Billigkeitsmaßstäben (i.e. ex aequo et bono) entscheiden, wenn ihn die Streitparteien hierzu ermächtigen. 85 Art. 42 Abs. 3 ICSID-Konvention stellt dies für die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit klar.86 Ein ohne Ermächtigung der Parteien nach allgemeinen Billigkeitsregeln ergangener Schiedsspruch kann einen Verfahrensverstoß darstellen, der die Aufhebung des Schiedsspruchs zur Folge haben kann. 87 3. Zusammenfassung Trotz der Vagheit, welche das Gebot des fair and equitable treatment aufweist, handelt es sich bei einer auf diese Norm gestützten Entscheidung nicht um eine außerrechtliche Billigkeitsentscheidung, sondern um eine Rechtsentscheidung. 88 Die Vertragsstaaten wollten mit dem Gebot des fair and equitable treatment keine Befreiung des Schiedsgerichts von der Bindung an das Recht bewirken. Es handelt sich vielmehr um eine Rechtsentscheidung des Schiedsgerichts, wenn auch auf der Basis besonders unbestimmter Rechtsbe-
84
Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 18-87. Vgl. z.B. die folgenden Bestimmungen: Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut („This provision shall not prejudice the power of the Court to decide a case ex aequo et bono, if the parties agree thereto“); Art. 42 Abs. 3 ICSID-Konvention („The provisions of paragraphs (1) and (2) shall not prejudice the power of the Tribunal to decide a dispute ex aequo et bono if the parties so agree“); Art. 28 Abs. 3 UNCITRAL-Modellgesetz („The arbitral tribunal shall decide ex aequo et bono or as amiable compositeur only if the parties have expressly authorized it to do so“); Art. 17 Abs. 3 ICC-Schiedsordnung (1998)/Art. 21 Abs. 3 ICCSchiedsgerichtsordnung (2012); § 1051 Abs. 3 ZPO; Art. 187 Abs. 2 Schweizer IPRG. 85 Vgl. Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut. 86 Hierzu generell Schreuer, Decisions Ex Aequo et Bono Under the ICSID Convention, 11 ICSID Review - FILJ 1996, 37 ff.; Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 42 Rn. 249 ff. 87 Vgl. z.B. BGH NJW 1986, 1438. Hierbei ist zu beachten, dass die fehlerhafte Anwendung des anwendbaren materiellen Rechts keinen Verfahrensverstoß darstellt. Ein solcher ist erst dann gegeben, wenn eine Entscheidung nicht auf dem anwendbaren Recht basiert. Für den Bereich der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/ Sinclair, The ICSID Convention, Art. 42 Rn. 261: Billigkeitsentscheidung ohne Ermächtigung hierzu erfüllt den Aufhebungsgrund der „excess of powers“. 88 Vgl. z.B. ADF Group Inc. v. United States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/1 (NAFTA), Award, 9.1.2003, Rn. 184; Mondev v. USA, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2, Award, 11.10.2002, Rn. 119.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
griffe.89 Diese Rechtsentscheidung im Wege einer fallbezogenen Konkretisierung des vertragsrechtlichen fair and equitable treatment-Gebots sollte daher nicht mir einer Entscheidungsfindung ex aequo et bono verwechselt werden. 90
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment im Überblick
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment Im Folgenden soll ein Überblick über die Rechtsprechung der Investitionschiedsgerichte zum Gebot des fair and equitable treatment verschafft werden. Hierzu werden die zum Gebot des fair and equitable treatment ergangenen Entscheidungen nach kennzeichnenden Merkmalen geordnet und zu Fallgruppen zusammengefasst.91 I. Berechtigte Erwartungen (legitimate expectations) Einen zentralen Aspekt in der Entscheidungspraxis der Investitionsschiedsgerichte bei der Auslegung und Anwendung der Verpflichtung zu fair and equitable treatment bildet der Schutz berechtigter bzw. legitimer Investorenerwartungen („legitimate expectations”, teilweise auch „reasonable expectations“). So scheint es in der Rechtsprechung der Schiedsgerichte eine grundsätzliche Übereinstimmung darüber zu geben, dass das Gebot des fair and equitable treatment die Verpflichtung mit einschließt, die berechtigten Erwartungen des Investors zu beachten.92 In der Praxis haben sich nicht wenige Schiedsgerichte auf das Rechtsinstitut der berechtigten Erwartungen gestützt, um zu beurteilen, ob seitens des Gastgeberstaates gegen das Gebot des fair and equitable treatment verstoßen wurde.93 Dies überrascht nicht, denn bei der Tätigung 89
Hierzu unten § 11 I. Vgl. Schreuer, Fair and equitable treatment, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (365); ders., Fair and equitable treatment, in: Hoffmann (Hrsg.), Protection of Foreign Investments through Modern Treaty Arbitration – Diversity and Harmonisation, 125. Insgesamt sollte die praktische Bedeutung der Entscheidungsfindung ex aequo et bono nicht überschätzt werden. Im Rahmen der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit existieren bisher erst zwei berichtete Fälle, in denen die Parteien das Schiedsgericht zu einer Billi gkeitsentscheidung ermächtigt haben, vgl. Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 42 Rn. 276. 91 Zur Fallgruppenmethode vgl. unten § 9 I und § 11 II. 92 Vgl. z.B. die Entscheidung Saluka v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 302, in der die legitimen Investorenerwartungen als „dominant element“ des Gebots des fair and equitable treatment bezeichnet wurden. 93 Vgl. z.B. Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1, Award, 30.8.2000, Rn. 92; CME v. Czech Republic, UNCITRAL, Partial Award, 13.9.2001, Rn. 575, 611; Ronald S. Lauder v. Czech Republic, UNCITRAL, Final Award, 3.9.2001, Rn. 297 ff.; Tecmed v. Mexico, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003, Rn. 152-157; 90
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment
143
von Auslandsinvestitionen spielen die (Gewinn-)Erwartungen des Investors eine, wenn nicht die zentrale Rolle: Sie sind letztlich die Grundlage einer jeden Investitionsentscheidung. 94 Das Schiedsgericht im Fall Tecmed95 fasste die Beachtung legitimer Investorenerwartungen als Teil des Gebots des fair and equitable treatment auf, wonach die Gaststaaten dazu verpflichtet seien, die Investition so zu behandeln, dass die grundlegenden Erwartungen, welche den ausländischen Investor zu seiner Investitionsentscheidung bewogen haben, nicht beeinträchtigt werden.96 Im Verfahren Saluka v. Czech Republic97 hatte sich das Schiedsgericht ebenfalls mit dem Rechtsinstitut der legitimen Investorenerwartungen auseinandergesetzt98 und das Konzept der legitimen Erwartungen als das zentrale Element des Gebots des fair and equitable treatment bezeichnet.99 Die Frage, ob eine Verletzung des Gebots vorliege, ergebe sich dann als Ergebnis einer
Occidental v. Ecuador, UNCITRAL, Final Award, 1.7.2004, Rn. 184-192; CMS v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 273-281; International Thunderbird v. Mexico, UNCITRAL, Award, 26.1.2006, Rn. 145-148; Saluka v. Czech Republic, (UNCITRAL), Partial Award, 17. 3.2006, Rn. 296-306; Azurix v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/12, Award, 14.7.2006, Rn. 366-372; LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006, Rn. 127-131; PSEG v. Turkey, ICSID Case No. ARB/02/5, Award, 19.1.2007, Rn. 238-241, 246-247; Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Award, 6.2.2007, Rn. 294-300; MTD v. Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Decision on Annulment, 21.3.2007, Rn. 63-71; Enron v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/3, Award, 22.5.2007, Rn. 256-263; Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 330-333; Biwater Gauff v. Tanzania, ICSID Case No. ARB/05/22, Award, 24.7.2008, Rn. 588-603; Rumeli v. Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008, Rn. 609-611; Walter Bau v. Kingdom of Thailand, UNCITRAL, Award, 1.7.2009, Rn. 12.1; Suez v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/17, Decision on Liability, 30.7.2010, Rn. 205; AES Summit Generation Ltd. And AES-Tisza Erömü Kft v. Hungary, ICSID Case No. ARB/07/22, Award, 23.9.2010, Rn. 9.3.6 ff.; Total S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/01, Decision on Liability, 27.10.2010, Rn. 99 ff., 113 ff.; Impregilo v. Argentina, ICSID Case No. ARB/07/17, Award, 21.6.2011, Rn. 292 ff.; Railroad Development Corp. v. Guatemala, ICSID Case No. ARB/07/23, 29.6.2012, Award, Rn. 219; Toto Costruzioni Generali S.p.A. v. Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB/07/12, Award, 7.6.2012, Rn. 159 ff. 94 von Walter, The Investor‟s Expectations in International Investment Arbitration, 173. 95 Tecmed v. Mexico, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003. 96 Ibid., Rn.154: „[…] to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment.“ 97 Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006. 98 Ibid., Rn. 301-303. 99 Ibid., Rn. 302.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
Abwägung zwischen den legitimen und vernünftigen Erwartungen des Investors und den Regulierungsinteressen des Staates. 100 Im Fall CME v. Czech Republic 101 wandte sich der Investor gegen Eingriffe in seine vertraglich gewährten Rechte durch eine staatliche Regulierungsbehörde. Das Schiedsgericht nahm eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment an, insbesondere aufgrund der Aushöhlung der vertraglichen Vereinbarungen, auf welche sich der Investor verlassen habe und aufgrund derer er investiert habe. 102 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte das Schiedsgericht im Fall LG&E v. Argentina103, welches nach einer Auseinandersetzung mit der vorausgegangen Rechtsprechung im Rahmen seiner Erwägungen zum Gebot des fair and equitable treatment feststellte, dass der Investor berechtigterweise Erwartungen auf einen stabilen Rechtsrahmen der Investition setzen könne. 104 Im Fall PSEG v. Turkey wurde dagegen eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment abgelehnt, da der Investor nach Ansicht des Schiedsgerichts keine berechtigten Erwartungen gehabt habe. Der Projektvertrag, aus dem sich die berechtigten Erwartungen des Investors hätten ableiten können, enthalte gerade keine Verpflichtung der Verwaltung im Hinblick auf die weiteren, vom Investor nachträglich zu Genehmigung vorgelegten Punkte, 100
Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 305 f.: „305. No investor may reasonably expect that the circumstances prevailing at the time the investment is made remain totally unchanged. In order to determine whether frustration of the foreign investor‟s expectations was justified and reasonable, the host State‟s legitimate right subsequently to regulate domestic matters in the public interest must be taken into consideration as well. As the S.D. Myers tribunal has stated, the determination of a breach of the obligation of „fair and equitable treatment‟ by the host State „must be made in the light of the high measure of deference that international law generally extends to the right of domestic authorities to regulate matters within their own borders.‟ 306. The determination of a breach of Article 3.1 by the Czech Republic therefore requires a weighing of the Claimant‟s legitimate and reasonable expectations on the one hand and the Respondent‟s legitimate regulatory interests on the other.“ (Hervorh. d. Verf.) 101 CME Czech Republic B.V. v. Czech Republic, UNCITRAL, Partial Award, 13.9.2001. 102 Ibid., Rn. 611: „The Media Council‟s intentional undermining of the Claimant‟s investment in ÈNTS equally is a breach of the obligation of fair and equitable treatment. The Respondent‟s position that the Media Council also required other broadcasters in the same way to revise the structure of the 1993 split legal arrangements between licence-holder and service provider is irrelevant. [...]. The Media Council breached its obligation of fair and equitable treatment by evisceration of the arrangements in reliance upon which the foreign investor was induced to invest.“102 (Hervorh. d. Verf.) 103 LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006. 104 Ibid., Rn. 131: „[T]he fair and equitable standard consists of the host State‟s consistent and transparent behaviour, free of ambiguity that involves the obligation to grant and maintain a stable and predictable legal framework necessary to fulfil the justified expectations of the foreign investor.“ (Hervorh. d. Verf.)
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment
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weshalb die Ablehnung des Genehmigungsantrages keine Verletzung berechtigter Investorenerwartungen darstelle. 105 II. Transparenz, Konsistenz, Stabilität und Berechenbarkeit (transparency, stability and predictability) Ein weiteres wiederkehrendes Argumentationsmuster, welches in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte bei der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment auftaucht, ist das Erfordernis eines transparenten und widerspruchsfreien staatlichen Handelns sowie der Stabilität und Berechenbarkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen der Investition. 106 Diese Fallgruppe ist inhaltlich eng verwoben mit dem Schutz legitimer Investorenerwartungen und wird zum Teil auch zu einer einheitlichen Fallgruppe zusammengefasst. 107 Im Metalclad-Fall108 spielte der Aspekt der Transparenz eine entscheidende Rolle. In diesem Fall ging es um die Verweigerung einer Baugenehmigung für eine Abfallbeseitigungsanlage, obwohl dem Investor von Bundes- und Landesbehörden zuvor versichert worden war, dass die im Vorfeld eingeholten Genehmigungen für Bau und Betrieb der Anlage ausreichten. 109 Dennoch versagte die zuständige Stadtverwaltung dem Investor die erforderliche Bau-
105 PSEG v. Turkey, Award, 19.1.2007, Rn. 240 f.: „240. Recent awards have applied this standard to the assessment of rights affected by inconsistent State action, arbitrary modification of the regulatory framework or endless normative changes to the detriment of the investor‟s business and the need to secure a predictable and stable legal environment. This includes most significantly the issue of legitimate expectations which, as the Tribunal in Tecmed concluded, requires a treatment that does not „detract from the basic expectations on the basis of which the foreign investor decided to make the investment.‟ 241. Although the Claimants, as noted above, provide a long list of legitimate expectations that in their view have not been met, the Tribunal is not persuaded that all such complaints relate to legitimate expectations. Legitimate expectations by definition require a promise of the administration on which the Claimants rely to assert a right that needs to be observed.“ (Hervorh. d. Verf.) 106 Vgl. z.B. Metalclad Corporation v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA), Award, 30.8.2000, Rn. 76; Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, Award, 29.5.2003, Rn. 154; Maffezini v. Spain, ICSID Case No. ARB/97/7, Award, 13.11.2000, Rn. 83; Champion Trading Company, Ameritrade International, Inc., James T. Wahba, John B. Wahba, Timothy T. Wahba v. Egypt, ICSID Case No. ARB/02/9, Award, 27.10.2006, 157 ff.; CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 276 f.; Occidental v. Ecuador, Final Award, 1.7.2004, Rn. 183 f. 107 Vgl. z.B. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 133. 108 Metalclad Corporation v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA), Award, 30.8.2000. 109 Ibid., Rn. 74 ff.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
genehmigung.110 Das Schiedsgericht befand, der Investor habe sich auf die Zusicherungen der Regierung verlassen können. 111 Bei der Auslegung von Art. 1105 Abs. 1 NAFTA stellt das Schiedsgericht fest, dass Transparenz und Vorhersehbarkeit der Rahmenbedingungen der Investition ein wichtiges Element des fair and equitable treatment-Gebots darstellten, 112 wogegen die Behörden des Gastgeberstaates verstoßen hätten.113 Paradigmatisch für einen hohen Schutzstandard ist der ICSID-Schiedsspruch in der Sache Tecmed114. Hierin nahm das Schiedsgericht zunächst auf die Fallgruppe der berechtigten Investorenerwartungen Bezug, indem es die Auffassung vertrat, dass der Gastgeberstaat verpflichtet sei, Investitionen eine Behandlung zu gewähren, die den grundlegenden Erwartungen des Investors bei der Vornahme seiner Investition nicht widerspreche. Der ausländische Investor könne zudem erwarten, dass der Staat konsistent, wiederspruchsfrei und transparent handele, so dass der Investor von vornherein wisse, welche Gesetze und Regeln zur Anwendung gelangen und welche Ziele die Behörden verfolgen.115 110
Ibid., Rn. 87 ff. Ibid., Rn. 89. 112 Ibid., Rn 76: „Prominent in the statement of principles and rules that introduces the Agreement is the reference to ‟transparency‟ (NAFTA Article 102(1)). The Tribunal understands this to include the idea that all relevant legal requirements for the purpose of initiating, completing and successfully operating investments made, or intended to be made, under the Agreement should be capable of being readily known to all affected investors of another Party. There should be no room for doubt or uncertainty on such ma tters. Once the authorities of the central government of any Party (whose international responsibility in such matters has been identified in the preceding section) become aware of any scope for misunderstanding or confusion in this connection, it is their duty to ensure that the correct position is promptly determined and clearly stated so that investors can proceed with all appropriate expedition in the confident belief that they are acting in accordance with all relevant laws.“ 113 Ibid., Rn. 99: „Mexico failed to ensure a transparent and predictable framework for Metalclad‟s business and investment. The totality of these circumstances demonstrates a lack of orderly process and timely disposition in relation to an investor of a Party acting in the expectation that it would be treated fairly and justly in accordance with the NAFTA.“ 114 Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, Award, 29.5.2003, Rn. 154. 115 Ibid., Rn. 154: „The Arbitral Tribunal considers that this provision of the Agreement, in light of the good faith principle established by international law, requires the Contracting Parties to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment. The foreign investor expects the host State to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative practices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations.“ (Hervorh. d. Verf.) 111
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment
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Ein weiteres Beispiel für eine Entscheidung, welche sämtliche Aspekte dieser Fallgruppe mit jener der legitimen Erwartungen verbindet, ist der Schiedsspruch im bereits erwähnten Verfahren LG&E v. Argentina116. Nach einer Analyse vorangegangener Entscheidungen gelangte das Schiedsgericht zu der Feststellung, dass die Verpflichtung zu fair and equitable treatment den Gastgeberstaat zu einem transparenten Verhalten und zur Bereitstellung eines stabilen und vorhersehbaren rechtlichen Rahmens, welcher für die B eachtung legitimer Investoreninteressen erforderlich sei, verpflichte.117 Im Fall Maffezzini118 hielt das Schiedsgericht hielt das intransparente Vorgehen der Regierungsbehörden im Zusammenhang mit der Kredittransaktion für unvereinbar mit dem Gebot des fair and equitable treatment.119 Das Schiedsgericht im Fall CMS v. Argentina stellte fest, dass die Verpflichtung des fair and equitable treatment sicherstellen solle, dass der Investor ein stabiles und vorhersehbares Umfeld für seine Investition vorfinde. 120 Dem Schiedsgericht im Fall MTD v. Chile 121 zufolge verlangt das Gebot des fair and equitable treatment widerspruchsfreies, konsistentes Verwaltungshandeln des Gaststaates. Daher habe der Gaststaat gegen das Gebot des fair and equitable treatment verstoßen, indem dieser sich widersprüchlich gegenüber dem Investor verhalten habe. 122 III. Abwesenheit von Willkür und Diskriminierung (lack of arbitrariness and discrimination) Eine weitere Fallgruppe, welche sich in der Entscheidungspraxis der Investitionsschiedsgerichte als Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment herausgebildet hat, ist der Schutz vor staatlicher Willkür und Diskriminierung
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LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006. Ibid., Rn. 131: „Thus, this Tribunal, having considered, as previously stated, the sources of international law, understands that the fair and equitable standard consists of the host State‟s consistent and transparent behavior, free of ambiguity that involves the obligation to grant and maintain a stable and predictable legal framework necessary to fulfill the justified expectations of the foreign investor.“ 118 Maffezini v. Spain, ICSID Case No. ARB/97/7, Award, 13.11.2000. 119 Ibid., Rn. 83: „[T]he lack of transparency with which this loan transaction was conducted is incompatible with Spain‟s commitment to ensure the investor a fair and equitable treatment in accordance with Article 4(1) of the same treaty. Accordingly, the Tribunal finds that, with regard to this contention, the Claimant has substantiated his claim and is entitled to compensation [...].“ 120 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 276 f. 121 MTD v. Republic of Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Award, 25.5.2004. 122 Ibid., Rn. 163, 165 f. 117
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
(arbitrariness and discrimination).123 Dabei können sich inhaltliche Überschneidungen und Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, wenn das betreffende Investitionsschutzabkommen neben dem Gebot des fair and equitable treatment auch eine separate Klausel zum Schutz vor Willkür und Diskriminierung enthält. 124 Im Fall S.D. Myers125 ging es um ein Exportverbot der kanadischen Behörden für den Transport bestimmter chemischer Stoffe in die Vereinigten Staaten. Nach Auffassung des Klägers handelte es sich bei der Auferlegung des Exportverbots nicht um berechtigte Belange des Umweltschutzes, sondern vielmehr um eine willkürliche und diskriminierende Maßnahme. Das Schiedsgericht nahm einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment an. Ein solcher Verstoß liege vor bei einem inakzeptablen ungerechten und willkürlichen Verhalten (unjust and arbitrary manner) des Gaststaates gegenüber dem Investor. 126 Im Fall Saluka127 legte das Schiedsgericht einige Verhaltensweisen dar, welche der Gaststaat innerhalb der Verpflichtung zu fair and equitable treatment zu unterlassen habe, darunter auch diskriminierendes und unangemessenes Verhalten gegenüber dem Investor. 128 Im Fall Eureko v. Poland nahm das Schiedsgericht aufgrund willkürlichen und diskriminierenden Verhaltens einen Verstoß gegen das Gebot des fair
123
Vgl. z.B. CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 275, 290; Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 307; S.D. Myers, Inc. v. Canada, UNCITRAL (NAFTA), Partial Award, 13.11.2000, Rn. 263; Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 329 ff.; Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004; Ronald S. Lauder v. Czech Republic, UNCITRAL, Final Award, 3.9.2001, Rn. 237. 124 Hierzu unten § 8 III. 125 S.D. Myers, Inc. v. Canada, UNCITRAL (NAFTA), Partial Award, 13.11.2000. 126 Ibid., Rn. 263: „The Tribunal considers that a breach of Article 1105 occurs only when it is shown that an investor has been treated in such an unjust and arbitrary manner that the treatment rises to the level that is unacceptable from the international perspective. That determination must be made in the light of the high measure of defence that inter national law generally extends to the right of domestic authorities to regulate matters within their own borders. The determination must also take into account any specific r ules of international law that are applicable to the case.“ 126 (Hervorh. d. Verf.) 127 Saluka Investmets B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006. 128 Ibid., Rn. 309: „A foreign investor whose interests are protected under the Treaty is entitled to expect that the Czech Republic will not act in a way that is manifestly inconsistent, non-transparent, unreasonable (i.e. unrelated to some rational policy), or discriminatory (i.e. based on unjustifiable distinctions). In applying this standard, the Tribunal will have due regard to all relevant circumstances.“
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149
and equitable treatment an,129 während das Schiedsgericht im Fall Waste Management130 feststellte, dass ein Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment unter anderem dann vorliege, wenn das Handeln des Gaststaates gegenüber dem Investor diskriminierend und voreingenommen sei.131 IV. Verfahrensrechte (due process, fair trial, fair procedure, absence of denial of justice) Neben den materiellrechtlichen Gewährleistungen enthält das Gebot des fair and equitable treatment nach der Rechtsprechung einiger Investitionsschiedsgerichte auch die Verbürgung eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens. 132 Dabei existiert in den Entscheidungen einiger Investitionsschiedsgerichte offenbar eine vom fremdenrechtlichen Mindeststandard inspirierte Auffassung, welche das Gebot des fair and equitable treatment bei Rechtsverweigerung (denial of justice)133 oder ähnlich gravierender Verletzungen 129
Eureko B.V. v. Poland, Partial Award, 19.8.2005, Rn. 233: „[…] purely arbitrary reasons linked to the interplay of Polish politics and nationalistic reasons of a discriminat ory character.“ 130 Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004. 131 Ibid., Rn. 98: „[…] arbitrary, grossly unfair, unjust or idiosyncratic, is discriminatory and exposes the claimant to sectional or racial prejudice, or involves a lack of due process leading to an outcome which offends judicial propriety – as might be the case with a manifest failure of natural justice in judicial proceedings or a complete lack of transparency and candour in an administrative process.“ 132 Vgl. z.B. Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004, Rn. 102; Azinian v. Mexico, Award, ICSID Case No. ARB(AF)/97/2, Award, 1.11.1999, Rn. 102 f.; Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2000, Rn. 126 f.; Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003, Rn. 129, 153; Petrobart v. The Kyrgyz Republic, Award, 29.5.2005; International Thunderbird Gaming Corp. v. Mexico, 26.1.2006, Rn. 197 ff.; Jan de Nul N.V. and Dredging International N.V. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008, Rn. 187 f., 195 ff.; Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomunikasyon Hizmetleri A.S. v, Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008, Rn. 609 ff.; Waguih Elie George Siag and Clorinda Vecchi v. The Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/05/15, Award, 1.6.2009, Rn. 451 ff.; Decision on Jurisdiction, 11.9.2009, Rn. 139 ff.; GEA Group v. Ukraine, ICSID Case No. ARB/08/16, Award, 31.3.2011, Rn. 311 f.; Toto v. Lebanon, Decision on Jurisdiction, ICSID Case No. ARB/07/12, 11.9.2009, Rn. 163 f.; International Thunderbird Gaming Corp. v. Mexico, Rn. 197 ff.; White Industries v. India, UNCITRAL, Final Award, 30.11.2011, Rn. 4.8.10 ff. 133 Vgl. hierzu Azinian v. Mexico, Award, 1.11.1999, Rn. 102 f.: „A denial of justice could be pleaded if the relevant courts refuse to entertain a suit, if they subject it to undue delay, or if they administer justice in a seriously inadequate way. […] There is a fourth
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
rechtsstaatlicher (Verfahrens-)Garantien als verletzt ansieht. 134 Dabei richtet sich der Schutzstandard grundsätzlich gegen Verletzungshandlungen durch alle drei staatlichen Gewalten. 135 Die meisten Fälle betrafen jedoch Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör in Verwaltungsverfahren und Gerichtsverfahren. So nahm z.B. das Schiedsgericht im Fall Metalclad v. Mexico136 eine Verletzung der in Art. 1105 NAFTA enthaltenen Verpflichtung zu fair and equitable treatment an, welche es u.a. auf die Nichtanhörung des Investors durch die städtischen Behörden vor Erlass des Ablehnungsbescheides stützte. 137 Im bereits erwähnten Fall Waste Management v. Mexico 138 stützte sich das Schiedsgericht auf eine Definition des Gebots des fair and equitable treatment, welche zu einem erheblichen Teil auf den Aspekt des „due process“ abhob.139 Im Fall Genin140,141 unterstrich das Schiedsgericht im Rahmen seiner Erwägungen zum Gebot des fair and equitable treatment, dass das Verwaltungsverfahren dem Erfordernis des “due process” entsprechen müsse.142 Im Fall Thunderbird143 ging es um den Entzug einer Lizenz zum Betrieb von type of denial of justice, namely the clear and malicious misapplication of the law. This type of wrong doubtless overlaps with the notion of „pretence of form‟ to mask a violation of international law.“ 134 Vgl. hierzu den US-amerikanischen Model BIT (2004), der in Art. 5 Abs. 2 lit. a die „obligation not to deny justice“ und „due process“ explizit als Elemente des Gebots des fair and equitable treatment nennt. 135 Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 142. 136 Metalclad Corporation v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA). 137 Metalclad Corporation v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA), Award, 30.8.2000, Rn. 91: „Moreover, the permit was denied at a meeting of the Municipal Town Council of which Metalclad received no notice, to which it received no invi tation, and at which it was given no opportunity to appear.“ 138 Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004. 139 Ibid., Rn. 98: „[…] the minimum standard of treatment of fair and equitable treatment is infringed by conduct attributable to the State and harmful to the claimant if the conduct […] involves a lack of due process leading to an outcome which offends judicial propriety – as might be the case with a manifest failure of natural justice in judicial proceedings or a complete lack of transparency and candour in an administrative process.“ 140 Genin v. Estonia, ICSID Case No. ARB/99/2, Award, 25.6.2001. 141 Ibid., Rn. 43-61. 142 Ibid., Rn. 357: „It is quite obvious that the Banking Supervision Department had good reason to be critical of various aspects of EIB‟s business and operations. It was perfectly justified to request the information which it sought. The question the Tribunal must answer, however, is whether the central bank afforded Claimants due process in the proc edure leading to the revocation of EIB‟s license. Not without some hesitation, we conclude that the actions of the Bank of Estonia did not amount to a denial of justice.“ 143 International Thunderbird Gaming Corporation v. Mexico, UNCITRAL (NAFTA), Arbitral Award, 26.1.2006.
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment
151
Spielautomaten, welche dem amerikanischen Investor durch die mexikanischen Behörden entzogen wurde. Das Gericht sah keine Rechtsverweigerung und mithin keinen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment, da der Partei die Möglichkeit rechtlichen Gehörs gewährt worden sei. Die ausreichende Begründung der Verwaltungsanordnung sowie die Abwägung der vom Kläger vorgebrachten Argumente sprächen ebenfalls gegen einen 144 „lack of due process“. 145 Der Fall Mondev betraf angebliches Fehlverhalten der Justizbehörden des US-Bundesstaats Massachusetts und der Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit einem städtischen Sanierungsprojekt in Boston. Bei der Auslegung von Art. 1105 Abs. 1 NAFTA wählte das Schiedsgericht die ELSIEntscheidung des IGH als Ausgangspunkt seiner Erwägungen und stellte den Gedanken des „due process of law“ in den Mittelpunkt seiner Konkretisierungsbemühungen bezüglich des Gebots des fair and equitable treatment. Eine Verletzung des Standards liege vor, wenn die angegriffene Entscheidung „clearly improper and discreditable“ sei. 146
144 Ibid., Rn. 197 f.: „As to the alleged failure to provide due process (constituting an administrative denial of justice) and the alleged manifest arbitrariness in administration (constituting proof of an abuse of right) in the SEGOB proceedings, the Tribunal cannot find sufficient evidence on the record establishing that the SEGOB proceedings were arbitrary or unfair, let alone so manifestly arbitrary or unfair as to violate the minimum standard of treatment. In particular, the Tribunal notes that Thunderbird was given a full opportunity to be heard and to present evidence at the Administrative Hearing, and that it made use of this opportunity. The Tribunal does not find anything reproachable about the Administrative Order. The 31-page document appears, in the Tribunal‟s view, to be adequately detailed and reasoned; it reviews the evidence presented by Thunderbird at the hearing; and discusses at length the legal grounds on which SEGOB based its determination that the EDM machines were prohibited gambling equipment (see Exh. R-93).“ 145 Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2000. 146 Ibid., Rn. 127: „In the ELSI case, a Chamber of the Court described as arbitrary conduct that which displays „a willful disregard of due process of law, … which shocks, or at least surprises, a sense of judicial propriety‟ […] The Tribunal would stress that the word „surprises‟ does not occur in isolation. The test is not whether a particular result is surprising, but whether the shock or surprise occasioned to an impartial tribunal leads, on reflection, to justified concerns as to the judicial propriety of the outcome […]. In the end the question is whether, at an international level and having regard to generally accepted standards of the administration of justice, a tribunal can conclude in the light of all available facts that the impugned decision was clearly improper and discreditable, with the result that the investment has been subjected to unfair and inequitable treatment. This is admi ttedly a somewhat open-ended standard, but it may be that in practice no more precise formula can be offered to cover the range of possibilities.“
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
Das Schiedsgericht im Fall Loewen147, welcher die Ordnungsmäßigkeit eines Prozesses gegen einen kanadischen Unternehmer vor den State Courts des US-Bundesstaates Mississippi betraf, 148 schloss sich diesem Kriterium an. 149 Bei der Beurteilung, wann ein gerichtliches Urteil gegen das Gebot des fair and equitable treatment verstoße, komme es (aus völkerrechtlicher Sicht) auch darauf an, ob das angegriffene Gerichtsurteil eine Diskriminierung des ausländischen Klägers darstelle. 150 V. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality) Manche Schiedsgerichte beziehen sich im Rahmen ihrer Ausführungen zum Gebot des fair and equitable treatment zum Teil auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder nehmen eine an die Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit (proportionality) und Angemessenheit (reasonableness) angelehnte Prüfung vor.151 VI. Kritische Würdigung Der vorangegangene Überblick über die in der Rechtsprechung gebräuchlichen Argumentationsmuster zum Gebot des fair and equitable treatment zeigt, dass das insgesamt noch junge Fallrecht vergleichsweise rudimentär ist. Die zum Gebot des fair and equitable treatment in der Schiedspraxis gebräuchlichen Argumentationsmuster werden nicht immer einheitlich, sondern in verschiedenen Kombinationen verwendet, was eine Systematisierung des Fallrechts erschwert. So fehlt es dem Fallrecht insgesamt noch an Konsistenz und Kohärenz. Dennoch ist eine erste Einteilung in die vorgenannten Fallgruppen möglich. 152 147
Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003. 148 Ibid., Rn. 3-8. 149 Ibid., Rn. 133: „A decision which is in breach of municipal law and is discriminatory against the foreign litigant amounts to manifest injustice according to international law. […] the whole trial and its resultant verdict were clearly improper and discreditable and cannot be squared with minimum standards of international law and fair and equitable treatment.“ 150 Ibid., Rn. 135: „A decision which is in breach of municipal law and is discriminatory against the foreign litigant amounts to manifest injustice according to international law.“ 151 Vgl. z.B. Saluka Investments B.V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 304 ff., 460; MTD Chile v. Chile, Award, 25.5.2004, Rn. 109: “As defined by Judge Schwebel, „fair and equitable treatment‟ is „a broad and widely-accepted standard encompassing such fundamental standards as good faith, due process, nondiscrimination, and proportionality‟.“ 152 So stellt Reinisch, Enteignung und Fair and equitable treatment, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 119 (137), zu Recht fest, dass man
§ 7 Die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment
153
Allerdings kann eine Untersuchung des Bedeutungsinhalts des Gebots des fair and equitable treatment nicht bei einer Auflistung der Fälle und einer Darstellung möglicher Fallgruppen stehen bleiben. So ist die für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment notwendige Verringerung der Unbestimmtheit durch eine Reduzierung der Abstraktionshöhe im Wege der Fallgruppenbildung nur dann erfolgreich, wenn die gefundenen Fallgruppen einen konkreteren Inhalt als die Ausgangsnorm, das Gebot des fair and equitable treatment, aufweisen. Solange die in den Entscheidungsbegründungen zum Gebot des fair and equitable treatment verwendeten Argumentationsmuster lediglich einen unbestimmten Rechtsbegriff durch einen anderen, ebenso unbestimmten Rechtsbegriff ersetzen, ist im Hinblick auf die Konkretisierung der Generalklausel des fair and equitable treatment nichts gewonnen. Insofern sollte zunächst die Bedeutung der in der Rechtsprechung sich herausbildenden Fallgruppen näher erforscht werden. So kann beispielsweise durch eine eingehende Analyse und Systematisierung der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte, gegebenenfalls ergänzt durch rechtsvergleichende Überlegungen, versucht werden, hieraus eine möglichst differenzierte und hinreichend bestimmte Vergleichsbasis für die Rechtsanwendung der Schiedsgerichte zu erhalten.153 Des Weiteren kann eine Abgrenzung gegenüber den anderen Schutzstandards im System der Investitionsschutzabko mmen dazu beitragen, die Konturen des Gebots des fair and equitable treatment deutlicher herauszuarbeiten. 154 Für eine an früheren Entscheidungen orientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ist weiterhin von Bedeutung, dass das Fallrecht in sich weitgehend widerspruchsfrei und kohärent ist. Insofern ist zu untersuchen, ob und inwiefern institutionelle Änderungen der Struktur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit möglich und sinnvoll sind, um eine konsistente Jurisdiktion der Investitionsschiedsgerichte zu ermöglichen oder zu einer solchen beizutragen.155 Schließlich ist „Fallrecht“ und die daraus hervorgegangenen Fallgruppen nur so viel Wert wie die Summe der einzelnen Entscheidungen, auf denen es beruht. Daher beruht dessen Qualität und Legitimität letztlich auf einer nachvollziehbaren Ableitung der Einzelfallentscheidung aus der Norm, dem Gebot des fair and equitable treatment. Dies führt zu dem grundlegenden methodischen Problem der Konkretisierung von Generalklauseln. Hier ist, anküpfend an die bereits aufgeworfenen Fragen zur Auslegung des Gebots des fair and trotz der sich abzeichnenden Fallgruppen von einer Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment noch weit entfernt ist. 153 Vgl. § 9. 154 Vgl. § 8. 155 Vgl. § 10.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
equitable treatment,156 zu untersuchen, ob und inwiefern die inhaltliche Präzisierung des Gebots des fair and equitable treatment aufgrund seiner besonderen Unbestimmtheit nach besonderen Maßstäben und Zurechnungs- bzw. Entscheidungstechniken verlangt, die es ermöglichen oder zumindest dazu beitragen, auch hier zu einer rationalen Entscheidungsfindung zu gelangen. 157
§ 8 Das Gebot des fair and equitable treatment im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts – Wechselwirkung mit und Abgrenzung gegenüber anderen Schutzstandards
§ 8 Das Gebot im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts Das Gebot des fair and equitable treatment steht nicht isoliert, sondern ist regelmäßig Teil einer ganzen Reihe von Schutzstandards, die typischerweise in Investitionsschutzabkommen enthalten sind. 158 Die Konturen des Gebots des fair and equitable treatment lassen sich daher auch aus dessen systematischen Kontext innerhalb der Investitionsschutzabkommen, insbesondere in Abgrenzung gegenüber und im Verhältnis zu den typischerweise in Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards, herausarbeiten und näher bestimmen. Inhalt und Reichweite der anderen Schutzstandards können somit Rückschlüsse auf den Inhalt und die Reichweite des Gebots des fair and equitable treatment geben. Zudem kann ein solcher Vergleich auch Aufschluss über die Gründe geben, welche maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich das Gebot des fair and equitable treatment vor allen anderen Schutzstandards zur zentralen Anspruchsgrundlage in der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit entwickelt hat. I. Verbot entschädigungsloser Enteignung Traditionell war das Verbot, ausländische Investitionen zu enteignen oder Maßnahmen mit enteignungsgleicher Wirkung zu unterwerfen, ohne angemessene und effektive Entschädigung zu leisten, der wichtigste Schutzstandard des Investitionsrechts. 159 Die Beschränkung möglicher Enteignungen 156
Vgl. oben § 5 IV. Vgl. § 11. 158 Hierzu auch Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions with other Standards, 63 (66): „[T]here is evidence that the FET standard does not operate in isolation. It is also in interaction with other standards of protection.“ Zum aufkeimenden System des (vertraglichen) internationalen Investitionsschutzrechts Schill, Multilateralization, 357 ff. Für einen Überblick über Struktur und Inhalt von Investitionsschutzabkommen, vgl. oben § 2 III. 159 Vgl. Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1: „In fact, there was a time, when investor protection was virtually syn157
§ 8 Das Gebot im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts
155
sowie die Regelung der Entschädigung gehören daher zum Kern eines Investitionsschutzabkommens. 160 Durch die relativ einheitlichen vertraglichen Vorschriften zur Rechtmäßigkeit von Enteignungen werden verbleibende Unsicherheiten auf dem Gebiet des völkerrechtlichen Fremdenrechts, insbesondere was den Entschädigungsstandard betrifft, weitestgehend beseitigt. 161 Eine rechtmäßige Enteignung setzt demnach ein nicht diskriminierendes Handeln im öffentlichen Interesse in einem korrekten Verfahren für einen öffentlichen Zweck, begleitet von einer umgehenden Zahlung einer sofortigen, adäquaten und effektiven Entschädigung, voraus.162 Die klassische Form der Enteignung entzieht dem Investor seinen Eigentumstitel und überträgt diesen auf den Staat. Investitionsschutzverträge erfassen jedoch nicht nur formelle Enteignungen, sondern in der Regel auch alle Formen indirekter Enteignung, ohne diese jedoch näher zu definieren. 163 Für onymous with protection against uncompensated expropriation.“ Hieraus ergibt sich, dass der Zugriff des Staates auf das in seinem Territorium belegene Vermögen im Rahmen von Investitionsschutzabkommen wie auch völkergewohnheitsrechtlich nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist; der Schutz des Investors beschränkt sich vielmehr auf einen Anspruch auf Einhaltung gewisser Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere der Leistung von Entschädigung, welche der Staat zu beachten hat, vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 76; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 89. Generell zum Schutz ausländischer Investitionen vor Enteignung, vgl. Dolzer, New Foundations of the Law of Expropriation of Alien Property, 75 AJIL 1981, 533 ff.; ders., Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985, 13 ff.; Higgins, The Taking of Foreign Property by the State, 176 RdC 1982-III, 259 ff.; Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 97 ff.; Häde, Der völkerrechtliche Schutz von Direktinvestitionen im Ausland. Vom Fremdenrecht zum multilateralen Investitionsabkommen, ArchVR 35 (1997), 181 ff.; Sacerdoti, Bilateral Treaties and Multilateral Instruments on Investment Protection, 269 RdC 1997, 251 (379 ff.); Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 344 ff.; Bishop/Crawford/Reisman, Foreign Investment Disputes, 837 ff.; Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht, passim; Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 127 ff. 160 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 21. 161 Zum völkerrechtlichen Mindeststandard, vgl. oben § 2 II 2 und § 6 II. 162 Griebel, Internationales Investitionsrecht, 18, 76 f.; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 369, 383. Eine Besonderheit stellt in dieser Hinsicht der US Model BIT (2004) dar, der gemäß Art. 6 (1) (d) i.V.m. Art. 5 (1) eine direkte Verbindung zwischen dem Gebot des fair and equitable tretament und dem Enteignungsstandard herstellt, indem er u.a. die Beachtung des Gebots des fair and equitable treatment zur Voraussetzung einer rechtmäßigen Enteignung macht. 163 Reinisch, Enteignung und Fair and equitable treatment, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 119 (121); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 5. Eine Ausnahme stellen jüngere BITs der USA und Kanadas dar, welche eine genauere Definition der „indirekten Enteignung“ vornehmen. Typischerweise sehen die Bestimmungen in Investitionsschutzabkommen vor, dass „indirekte Enteignungen“ („indirect expropriations“), „Maßnahmen, die einer Enteignung gleichkommen“ („measures tantamount to nationalization or expropriation“; vgl. z.B. Art. 1110 NAFTA)
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
eine enteignungsgleiche Maßnahme bzw. indirekte Enteignung soll eine dauerhafte faktische Entziehung des wirtschaftlichen Werts des Eigentums ausreichen, ohne dass der Eigentumstitel entzogen wird. 164 Eine zentrale Frage des Enteignungsschutzes in der gegenwärtigen Investitionsrechtspraxis betrifft die der Feststellung des Vorliegens einer Enteignung, sofern kein formeller Entzug der Eigentümerposition vorliegt, und betrifft somit das Problem, wann eine indirekte Enteignung angenommen werden kann. 165 In den vergangenen Jahren ist die Bedeutung dieses Schutzstandards im Rahmen von Investitionsstreitigkeiten zugunsten des Gebots des fair and equitable treatoder „Maßnahmen mit (enteignungs-)gleicher Wirkung“ („measures having equivalent effect“; vgl. z.B. Art. 5 UK Model BIT) unzulässig sind. Darüber hinaus wird diese Form der Enteignung auch als faktische Enteignung („de facto expropriation“), schleichende Enteignung („creeping expropriation“) bezeichent. Im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch ist der bereits erwähnte Begriff der indirekten Enteignung („indirect expropriation“) vorherrschend, vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 5. 164 Zum Schutz vor indirekter Enteignung vgl. Christie, What Constitutes a Taking of Property under International Law?, 58 BYIL 1962, 305 ff.; Dolzer, Indirect Expropriation of Alien Property, 1 ICSID Review - FILJ 1986, 41 ff.; Dolzer, Indirect Expropriations: New Developments?, NYU Environmental Law Journal, Vol. 11 (2002), 64 ff.; Fortier/Drymer, Indirect Expropriation in the Law of International Investment: I know it when I See It, or Caveat Investor, 19 ICSID Review - FILJ 2004, 293 ff.; Reisman/Sloane, Indirect Expropriation and its Valuation in the BIT Generation, 74 BYIL 2003, 115 ff.; Yannaca-Small, “Indirect Expropriation“ and the “Right to Regulate“ in International Investment Law, Working Papers on International Investment, Number 2004/4, OECD 2004; Paulsson/Douglas, Indirect Expropriation in Investment Treaty Arbitration, in: Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004, 283 ff.; Kunoy, Developments in Indirect Expropriation Case Law in ICSID Transnational Arbitration, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 467 ff.; Newcombe, The Boundaries of Regulatory Expropriation in International Law, 20 ICSID Review - FILJ 2005, 1 ff.; Paulsson, Indirect Expropriation: Is the Right to Regulate at Risk?, TDM 3/2006; Heiskanen, Doctrine of Indirect Expropriation in Light of the Practice of the Iran-United States Claims Tribunals, 8 Journal of World Investment and Trade 2007, 215 ff.; McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration. Rn. 8.71 ff.; Hobér, Investment Arbitration in Eastern Europe: In Search of a Definition of Expropriation, 215 ff.; Griebel, Internationales Investitionschutzrecht, 77 f.; Perkams, Internationale Investitionsschutzabkommen, 193 ff. 165 Reinisch, Enteignung und Fair and equitable treatment, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 119 (121). Eine wesentliche Frage des Entei gnungsstandards (und des Investitionsrechts im Allgemeinen) ist dabei die, ob und unter welchen Voraussetzungen sog. regulatorisches Handeln des Staates, also z.B. Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, der Verbraucher oder der Gesundheit, eine entschädigungspflic htige (indirekte) Enteignung darstellen. Die Rechtsprechung hierzu ist noch im Fluss. Nach einer Auffassung sollen nicht-diskriminierende, allgemein wirkende Gesetze keine Enteignung darstellen können, während nach einer anderen, wohl überwiegenden Auffassung regulatorische Maßnahmen dann als enteignungsgleiche Maßnahmen bzw. indirekte Enteignungen zu werten sind, wenn sie den wirtschaftlichen Wert der Investition vernichten, wohingegen eine bloße Belastung des Investors noch keine Enteignung darstellt.
§ 8 Das Gebot im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts
157
ment zunehmend in den Hintergrund getreten. 166 Dies hat mehrere Gründe: Zum einen sind direkte Enteignungen selten, zum anderen sind die Voraussetzungen für die Annahme einer indirekten 167 Enteignung relativ hoch. 168 So muss für das Vorliegen einer indirekten Enteignung ein vollständiger oder substantieller Entzug des wirtschaftlichen Wertes der Investition vorliegen (entire or substantial deprivation of economic value). Sofern, wie in den meisten Fällen, auch nur ein Restwert verbleibt, ist es in der Praxis schwer, eine indirekte Enteignung erfolgreich zu begründen. Das Vorliegen einer (indirekten) Enteignung ist nicht immer leicht zu begründen, insbesondere wenn die geschützte Investition als solche unberührt bleibt und nur deren Rentabilität betroffen ist. In derartigen Fällen erscheint eine Berufung auf das Gebot des fair and equitable treatment erfolgversprechender.169 Darüber hinaus haben einige Schiedsgerichte die Auffassung vertreten, dass staatliche
166 Vgl. Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions with other Standards, 63 (96); ders., Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (2): „The pivotal position, once occupied by protection from expropriation, has been taken over by fair and equitable treatment (FET) […] It is clear that FET is currently the most promising standard of protection from the investor‟s perspective“; ders., Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (2); ders., Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 50: „Fair and equitable treatment („FET‟) has become the most important standard in investment disputes“; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69: „Bei diesem Gebot handelt es sich um den wohl wichtigsten und wohl auch am häufigsten geltend gemachten Schutzstandard im Investitionsbereich.“ Vgl. hierzu auch den Schiedsspruch im Fall PSEG v. Turkey, ICSID Case No. ARB/02/5, Award, 19.1.2007, Rn. 238: „The standard of fair and equitable treatment has acquired prominence in investment arbitration as a consequence of the fact that other standards traditionally provided by international law might not in the circumstances of each case be entirely appropriate. This is particularly the case when the facts of the dispute do not clearly support the claim for direct expropriation, but when there are notwithstanding events that need to be assessed under a different standard to provide redress in the event that the rights of the investor have been breached.“ So wurde beispielsweise zwischen Anfang 2006 und Anfang 2008 in 15 Investitionsschiedsverfahren eine Enteignung behauptet, wohingegen in lediglich drei Fällen das Schiedsgericht eine Enteignung annahm, darunter eine direkte und zwei indirekte Enteignungen, vgl. Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1. 167 Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Award, 6.2.2007; Compania de Aguas del Aconquija, S.A. & Vivendi Universal v. Argentina, ICSID Case No. ARB/97/3, Award, 20.8.2007. 168 Vgl. Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions with other Standards, 63 (95 f.): „In an investment dispute the burden of proof for an investor to demonstrate a violation of FET is usually lighter than to establish an expropriation.“ 169 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 22.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
Regulierung im öffentlichen Interesse und unter Befolgung rechtsstaatlicher Verfahrensweisen keine Enteignung darstellen könne. 170 Die Flexibilität des Gebots des fair and equitable treatment gegenüber dem (indirekten) Enteignungsstandard mit seinen vergleichsweise hohen Voraussetzungen hat zusätzlich dazu beigetragen, dass sich Investoren zunehmend auf diesen Standard gestützt haben. 171 Trotz der besonderen Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment sollte jedoch der Enteignungsstandard auch heutzutage nicht völlig vernachlässigt werden. So enthalten manche Investitionsschutzabkommen Streitbeilegungsklauseln lediglich für Enteignungsstreitigkeiten (oftmals nur die Höhe der Entschädigung betreffend), nicht jedoch für Verletzungen der Verpflichtung zu fair and equitable treatment.172 II. Voller Schutz und Sicherheit (full protection and security) Die Verpflichtung zu „vollem Schutz und Sicherheit“ (full protection and security, FPS) ist in den meisten Investitionsschutzabkommen enthalten. 173 170
Methanex v. United States, UNCITRAL (NAFTA). Final Award, 3.8.2005, Part IV, D, Rn. 7, 15; Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 255. 171 Vgl. Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (2): „It is clear that FET is currently the most promising standard of protection from the investor‟s perspective. In an investment dispute the burden of proof for an investor to demonstrate a violation of FET is lighter than to establish an expropriation. Not to invoke FET where it is available under an applicable treaty would probably have to be considered as amounting to malpractice.“ So konnten im Vergleichszeitraum von 2006 bis 2008 13 Schiedssprüche ausgemacht werden, welche eine Verletzung der fair and equitable treatment-Klausel zum Gegenstand hatten, wovon acht erfolgreich waren. Betrachtet man die Investitionsschiedssprüche der vergangenen Jahre, so fällt auf, dass diese häufig eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment bejaht haben, während gleichzeitig das Vorliegen einer Enteignung verneint wurde, vgl. hierzu Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (2). 172 Darüber hinaus decken Versicherungen für Auslandsinvestitionen in der Regel nur den Enteignungsschutz, nicht jedoch Verletzungen des Gebots des fair and equitable treatment ab. Ein weiterer Unterschied betrifft die Berechnung der Entschädigung bzw. des Schadensersatzes, vgl. hierzu Ripinsky/Williams, Damages in International Investment Law, 13 f. 173 Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 60 f.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 52 ff.; ders., Full Protection and Security, Journal of International Dispute Settlement 2010, 1 ff.; Zeitler, The Guarantee of „Full Protection and Security‟ in Investment Treaties Regarding Harm Caused by Private Actors, Stockholm International Arbitration Review 2005, 3 ff. Dabei variieren die Formulierungen von „full protection and security“ zu „full security and protection“, „adequate protection and security“ oder einfach „protection“.
§ 8 Das Gebot im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts
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Der Schutzstandard hat seinen Ursprung in der Abkommenspraxis der Vereinigten Staaten, insbesondere in deren FCN-Verträgen.174 Ähnlich wie die Verpflichtung zu fair and equitable treatment wurde die full protection and security-Klausel mit dem völkerrechtlichen Mindeststandard in Verbindung gebracht.175 Manche Schiedsgerichte haben die Nähe der Verpflichtung zu full protection and security zu jener des fair and equitable-treatment betont,176 wohingegen andere die dogmatischen Unterschiede hervorgehoben und beide Schutzstandards voneinander abgegrenzt haben.177 Traditionell werden Sinn und Zweck der Verpflichtung zu full protection and security darin gesehen, den ausländischen Investor und seine Investition gegenüber physischer Gewalt zu schützen. 178 Ein neueres Verständnis des Schutzstandards in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte geht demgegenüber davon aus, dass dieser Schutzstandard nicht nur gegen Fälle physischer Gewalt, sondern auch gegen die Verletzung von Investorenrechten durch staatliche Regulierungs- und Gesetzgebungsmaßnahmen, d.h. gegen Verletzungen der „rechtlichen Sicherheit“, schützen soll. 179 174 Vgl. Wilson, The International Law Standard in Treaties of the United States, 92 f. Zu den FCN-Verträgen vgl. oben § 2 II. 175 Vgl. hierzu oben § 6 III. 176 Wena Hotels Ltd. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/98/4, Award, 8.12.2000; Rn. 84 ff.; Occidental v. Ecuador, Final Award, 1.7.2004, Rn. 187; PSEG v. Turkey, ICSID Case No. ARB/02/5, Award, 19.1.2007, Rn. 257 ff. 177 Azurix v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/12, Award, 14.7.2006, Rn. 407. 178 Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 149; McLachlan/Shore/Weiniger, Investment Arbitration, Rn. 7.190; Sornarajah, International Law on Foreign Investment, 342. Vgl. auch Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 483 f.: „[Full protection and security is concerned] essentially when the foreign investment has been affected by civil strife and physical violence […] Accordingly, the standard obliges the host State to adopt all reasonable measures to protect assets and property from threats or attacks which may target particularly foreigners or certain groups of foreigners. The practice of arbitral tribunals seems to indicate, however, that the „full security and protection‟ clause is not meant to cover just any kind of impairment of an investor‟s investment, but to protect more specifically the physical integrity of an inves tment against interference by use of force.“ 179 Vgl. z.B. Azurix v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/12, Award, 14.7.2006, Rn. 406: „The cases referred to above show that full protection and security was understood to go beyond protection and security ensured by the police. It is not only a matter of physical security; the stability afforded by a secure investment environment is as important from an investor's point of view [...] However, when the terms 'protection and security' are qualified by 'full' and no other adjective or explanation, they extend, in their ordinary meaning, the content of this standard beyond physical security.“ Vgl. auch die Entscheidung Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Award, 6.2.2007: „As a
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
Geht man vom Wortlaut der Verpflichtung zu full protection and security aus, so spricht dieser für eine Beschränkung des Schutzstandards auf Fälle physischer Bedrohung oder Gefahr. Eine Erweiterung des Schutzstandards dahingehend, dass über physische Bedrohungslagen hinaus auch die Verletzung von Investorenrechten erfasst sein soll, würde zudem im Ergebnis eine Gleichsetzung mit dem Gebot des fair and equitable treatment bedeuten. Dies würde der Verpflichtung zu full protection and security jedoch jegliche eigenständige Bedeutung nehmen. 180 Dem steht die Erwägung entgegen, wonach es der Verhandlung und Festschreibung eines solchen Schutzstandards nicht bedürfte, wenn dessen Inhalt identisch mit dem des Gebots des fair and 181 equitable treatment wäre. Der Hauptgegenstand der Verpflichtung zu full protection and security besteht somit nach vorzugswürdiger Ansicht in der Gewährleistung eines angemessenen Niveaus an physischem Schutz und Sicherheit für den Investor und seine Investition. So meinte etwa das Schiedsgericht im Fall Saluka v. Czech Republic, der Schutzstandard sei einschlägig „essentially when the foreign investment has been affected by civil 182 strife and physical violence”. Auf ähnliche Weise befand das bereits erwähnte Schiedsgericht im Fall BG Group Plc. v. Argentina 183. Das Schiedsgegeneral matter and based on the definition of investment, which includes tangible and intangible assets, the Tribunal considers that the obligation to provide full protection and security is wider than „physical‟ protection and security. It is difficult to understand how the physical security of an intangible asset would be achieved.“ 180 Zur Ansicht, dass Vorschriften in Abkommen möglichst so ausgelegt werden sollten, dass ihnen auch eine (eigenständige) Bedeutung zukommt, vgl. etwa Oppenheim/Jennings/ Watts, International Law, Vol. I, 1279 f. 181 Vgl. hierzu die Entscheidung im Fall Jan de Nul v. Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008, Rn. 269: „The notion of continuous protection and security is to be distinguished here from the fair and equitable standard since they are placed in two different provisions of the BIT, even if the two guarantees can overlap.“ In diesem Sinne auch Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions with other Standards, 63 (68): „The view that the two standards, FET and protection and security, are to be seen as different obligations is clearly the better one. As a matter of interpretation, it appears unconvincing to assume that two standards, listed separately in the same document, have the same meaning. An interpretation that deprives a treaty provision of its independent meaning is implausible to say the least.“ 182 Saluka Investments B.V. v. the Czech Republic, UNCITRAL Arbitration, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 483. 183 BG Group Plc. v. Argentina, UNCITRAL, Final Award, 24.12.2007, Rn. 324: „The Tribunal observes that notions of „protection and constant security‟ or „full protection and security‟ in international law have traditionally been associated with situations where the physical security of the investor or its investment is compromised. Indeed, the authorities relied upon by BG confirm this“; ibid., Rn. 326: „The Tribunal is mindful that other tribunals have found that the standard of „protection and constant security‟ encompasses stabi lity of the legal framework applicable to the investment. By relating the standard of „protection and constant security‟ and „fair and equitable treatment‟ such tribunals have found that
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richt stellte fest, dass die Verpflichtung zu full protection and security traditionell nur in bestimmten Situationen, welche die physische Sicherheit des Investors oder der Investitionen betroffen habe, angewendet worden sei. 184 Auch das Schiedsgericht im Fall PSEG v. Turkey nahm an, dass die full protection and security-Klausel eine Verpflichtung beinhalte, die physische Sicherheit von Personal und technischem Gerät des Investors sicherzustellen. 185 Diese Ansicht wurde auch von dem Schiedsgericht im Eurotunnel-Fall vertreten.186 Die Mehrheit der Fälle, in denen die Verpflichtung zu full protection and security tatsächlich eine Rolle spielte, bestätigt diese Auslegung. Dabei ging es um die Zerstörung von Privateigentum unter den Augen staatlicher Behör187 188 den, gewaltsamen Besitzentzug, die Beschlagnahme von Eigentum 189 durch staatliche Sicherheitskräfte bzw. die Gewährleistung von persönlichem Schutz für Angestellte und die Zugangsmöglichkeit zur Investition (z.B. einer Baustelle oder einer Anlage) angesichts von Demonstrationen im 190 Umfeld der Investition. Die Verpflichtung zu full protection and security betrifft somit nach vorzugswürdiger Ansicht Sachverhalte, in denen der Gastgeberstaat es versäumt hat, der Investition sowie den mit ihrer Herstellung oder ihrem bestimmungsthe host State is under an obligation to provide a „secure investment environment‟. However, in light of the decisions quoted above, the Tribunal finds it inappropriate to depart from the originally understood standard of „protection and constant security‟.“ 184 Ibid. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.189 f.: „The guarantee of full protection and security is concerned with the substantive protection afforded to the investor‟s property within the host State from damage caused to it either by host State officials, or any others acting within the host State‟s jurisdiction. It does not operate as an indemnity for any damage caused to the investor‟s property within the host State, or create a test of strict liability. Rather the enquiry is as to whether the State utilized its police powers with due diligence. It will be particularly applicable in cases of civil strife or acts of violence.“ 185 PSEG v. Republic of Turkey, Award, 19.1.2007, ICSID Case No. ARB/02/05, Rn. 258. 186 The Channel Tunnel Group Limited and France-Manche S.A. v Secretary of State for Transport of the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and Le Ministre de l’Equipement, des Transports, de l’Aménagement du Territoire, du Tourisme et de la Mer du Gouvernment de la République Française (Eurotunnel Arbitration) Partial Award, 30.1,2007, 132 ILR 3, 100 – 103, Rn. 305, 310, 314. 187 American Manufacturing & Trading, Inc v. Republic of Zaire, ICSID Case No. ARB/93/1, Award, 21.2.1997. 188 Wena Hotels Limited v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/98/4, Award, 8.12.2000. 189 Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Democratic Socialist Republic of Sri Lanka, ICSID Case No. ARB/87/3, Award, 27.6.1990. 190 Técnicas Medioambientales, Tecmed SA v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB/00/2, Award, 29.5.2003.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
gemäßen Gebrauch vertrauten Personen physischen Schutz zukommen zu lassen.191 Eine darüber hinaus gehende Auslegung ginge am Wortlaut vorbei und würde die Grenzen zum Gebot des fair and equitable treatment unnötig verwischen. Aufgrund des vergleichsweise umfassenden Gebots des fair and equitable treatment wird es jedoch im Regelfall so sein, dass mit der Verletzung der Verpflichtung zu full protection and security auch eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment einhergeht. Umgekehrt ist dies hingegen nicht immer der Fall, insbesondere wenn man wie hier der Ansicht folgt, dass lediglich Vorkommnisse physischer Gewalt (und nicht jegliche Verletzung rechtlicher Sicherheitsinteressen des Investors) von der Verpflichtung zu full protection and security erfasst werden. III. Verbot willkürlicher und/oder diskriminierender Maßnahmen (duty to refrain from arbitrary and/or discriminatory measures) Eine ebenfalls oftmals in Investitionsschutzabkommen enthaltene Vorschrift ist das Verbot willkürlichen und diskriminierenden Verhaltens. 192 Was das Verhältnis zum Gebot des fair and equitable treatment betrifft, so liegt hier, auch wenn es sich um voneinander getrennte Vorschriften handelt,193 eine gewisse inhaltliche Überschneidung vor, als nach der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte das Gebot des fair and equitable treatment auch die Aspekte des willkürlichen und diskriminierenden Verhaltens mitumfasst 194 und sich folglich mit dem Verbot willkürlichen und diskrimi-
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Die Tatsache, dass unter den Begriff der Investition auch Rechtspositionen fallen, die keinem physischen Schutz zugänglich sind, steht dem nicht entgegen. In diesen Fällen ist die full protection and security-Klausel nicht einschlägig und folglich nicht anwendbar. 192 Vgl. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 62; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 57 ff.; ders., Fair and equitable treatment: Interrelations with other Standards, 63 (69). Die Formulierungen können leicht voneinander abweichen. Hin und wieder taucht auch die Formulierung „unreasonable or discriminatory measures“ auf, wobei letztlich unklar ist, ob hiermit auch eine Bedeutungsänderung gegenüber „arbitrary and discriminatory measures“ einhergeht bzw. einhergehen sollte. In einer weiteren Variante werden die beiden Bestandteile nicht kumulativ („und“) sondern alternativ („oder“) miteinander verbunden, wodurch sich freilich die vorgenannte Frage nach dem Inhalt der Abgrenzung der Bedeutung beider Bestandteile stellt. Vgl. auch die Formulierung in Art. 2 Abs. 3 deutscher Model BIT (2008): „Neither Contracting State shall in its territory impair by arbitrary or discriminatory measures the activity of investors of the other Contracting State with regard to investments, such as in particular the management, maintenance, use, enjoyment or disposal of such investments. […].“ 193 Schreuer, Fair and equitable treatment: Interrelations with other Standards, 63 (74). 194 Vgl. hierzu oben § 7 III m.w.N. aus der Rechtsprechung.
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nierenden Verhaltens überschneidet.195 Es wird daher in der Regel davon auszugehen sein, dass ein Schiedsgericht bei der Beurteilung willkürlichen und diskriminierenden Verhaltens und bei der Frage eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zu fair and equitable treatment zu übereinstimmenden Beurteilungen gelangt.196 IV. Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung (national treatment, most-favoured-nation treatment) Bestimmungen zur Meistbegünstigung und zur Inländergleichbehandlung sind in den meisten Investitionsschutzabkommen enthalten und dienen ebenfalls dem Ziel der Nichtdiskriminierung. 197 Im Falle der Inländergleichbehandlung existieren mögliche Überschneidungspunkte mit dem Gebot des fair and equitable treatment.198 So ist davon auszugehen, dass ein Schiedsgericht die Diskriminierung eines Investors aufgrund von Nationalität in der Regel als Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment ansehen würde,199 da in derartigen Fällen willkürliches Verhalten anzunehmen sein wird,200 was durch die Rechtsprechung als eine Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment angesehen wird.201 Darüberhinaus greift das Gebot des fair and equitable treatment aber auch dann ein, wenn ein nichtdiskriminierendes Verhalten dem Erfordernis einer fairen und gerechten Behandlung nicht gerecht wird.
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Vgl. Vasciannie, Fair and equitable treatment, 70 BYIL 1999, 99 (133): „[I]f there is discrimination on arbitrary grounds, or if the investment has been subject to arbitrary or capricious treatment by the host State, then the fair and equitable treatment standard has been violated. This follows from the idea that fair and equitable inherently precludes arb itrary and capricious actions against investors.“ 196 Vgl. hierzu die Entscheidung im Fall CMS v. Argentina, ICSID, Award, 12.5.2005, Rn. 290: „Any measure that might involve arbitrariness or discrimination is in itself contrary to fair and equitable treatment.“ Vgl. auch die Entscheidung im Fall Saluka Investments BV v. The Czech Republic. Partial Award, 17.3.2006, Rn. 461: „Insofar as the standard of conduct is concerned, a violation of the non-impairment requirement does not therefore differ substantially from a violation of the „fair and equitable treatment‟ standard.“ 197 Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (6). 198 Zur Inländergleichbehandlung vgl. z.B. Bjorklung, National Treatment, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 29 ff.; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 67 ff. 199 Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (6). 200 Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (6). 201 Vgl. hierzu oben § 7 III.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
Bei der Meistbegünstigung handelt es sich um ein Verbot, Investoren aus einem Vertragsstaat schlechter zu behandeln als andere ausländische Investoren.202 Eine Meistbegünstigungsklausel erlaubt es dem Investor, sich auf die Vorschriften von Investitionsschutzverträgen zu berufen, die der Gastgeberstaat mit dritten Staaten geschlossen hat. 203 Im Hinblick auf das Gebot des fair and equitable treatment bedeutet dies, dass sich ein Investor gegenüber dem Gastgeberstaat möglicherweise über die Meistbegünstigungsklausel auf die Verpflichtung zu fair and equitable treatment berufen kann, auch wenn diese Vorschrift im betreffenden Investitionsschutzabkommen zwischen dem Heimatstaat des Investors und dem Gastgeberstaat nicht enthalten ist. Es geht im Fall der Meistbegünstigungsklausel mithin nicht um um Fragen inhaltlicher Überschneidung und Abgrenzung gegenüber der Verpflichtung zu fair and equitable treatment, sondern vielmehr um die Möglichkeit, letztere in das jeweils anwendbare Investitionsschutzabkommen zu „importieren“ bzw. inkorporieren.204 V. Schirmklauseln (umbrella clauses) Investitionsschutzabkommen enthalten oftmals Klauseln, die den Gastgeberstaat verpflichten, auch „sonstige Verpflichtungen“ gegenüber dem Investor zu beachten.205 Inhalt und Wirkung dieser sog. Schirmklauseln (sog. „umbrella clauses“ oder pact sunt servanda-Klausel)206 sind umstritten.207 202
Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 71. Generell hierzu Schmidt, Prozessuale Meistbegünstigung im völkerrechtlichen Investitionsschutz, passim; OECD, Most-Favoured-Nation Treatment in International Investment Law (2004); Newmark/Poulton, Siemens v. Argentina: Most favoured nation clause (re)visited, SchiedsVZ 2005, 30 ff.; Banifatemi, The Emerging Jurisprudence on the Most-Favoured-Nation Treatment in Investment Arbitration, in: Bjorklund/Laird/Ripinsky (Hrsg.), Investment Treaty Law: Current Issues III, 2009, 241 ff. 203 Hierdurch soll eine rechtliche Gleichstellung ausländischer Investoren untereinander erreicht werden, vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 79. Ob der Investor sich auf sämtliche oder nur bestimmte Vorschriften des in Bezug genommenen Vertrages berufen kann, ist noch nicht abschließend geklärt. Dabei ist insbesondere umstritten, ob sich die Meistbegünstigungsklauseln nur auf materiellrechtliche oder auch auf prozessuale Bestimmungen (Streitbeilegungsklauseln) beziehen. Zur Problematik vgl. z. B. Markert, Streitschlichtungsklauseln, 270 ff. 204 Vgl. Schreuer, Interrelation of Standards, in: Reinisch (Hrsg.), Standards of Investment Protection, 1 (6). Eine weitere Unterscheidung zwischen FET einerseits und MFN/NT andererseits, ist die, wonach FET ein unabhängiger („independent“) Schutzstandard sei, wohingegen die beiden anderen Standards relative („relative“, „contingent“) Schutzstandards seien, deren Inhalt je nach in Bezug genommener Schutzvorschrift in anderen Abkommen variieren könne, was bei FET nicht der Fall sei, vgl. etwa Schreuer, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 357 (367). 205 Die Formulierung hierzu kann von Investitionsschutzabkommen zu Investitionsschutzabkommen variieren. Vgl. etwa Art. 7 Abs. 2 des deutschen Model BIT (2008): Each
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Als Stand der Rechtsprechung kann jedoch gelten, dass die Verletzung eines zwischen Gastgeberstaat und Investor geschlossenen Investitionsvertrages208 auch eine Verletzung der Schirmklausel des Investitionsschutzabko mmens darstellt. Problematisch kann dabei sein, dass die (privat)vertragliche Verpflichtung des Gastgeberstaats oftmals gegenüber einem im Gastgeberstaat inkorporierten „Investitionsvehikel“ abgegeben wurde, nicht jedoch gegenüber dem aus dem Investitionsschutzabkommen berechtigten Investor.209 210 Ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Gebot des fair and equitable treatment und der Schirmklausel kommt dadurch zustande, dass eine zentrale Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment, der Schutz berechtigter Erwartungen (legitimate expectations), bei weiter Auslegung ähnliche Wirkungen wie eine Schirmklausel haben kann. 211 Die Verbindung zwischen der Verletzung des Investitionsvertrages und des Investitionsschutzabkommens kommt demnach zustande, indem die vertragliche Abrede durch Niederlegung von gegenseitigen Rechten und Pflichten im Investitionsvertrag als deutliche Form der Festlegung gegenseitiger Verhaltenserwartungen aufgefasst wird, welche über das Konzept der legitimen Erwartungen vom Gebots des fair and equitable treatment erfasst und geschützt wird. Eine Vertragsverletzung hätte somit stets eine Verletzung des Investitionsschutzabkommens zur Folge. Würde man dieser Auffassung folgen, so käme dem Schutz legitimer Erwartungen die Funktion eines Bindeglieds zwischen den privatrechtlichen Grundlagen der Investition und dem Investitionsschutzabkommen bzw. dem Gebot des fair and equitable treatment zu. Dem Gebot des fair and equi-
„Contracting State shall fulfil any other obligations it may have entered into with regard to investments in its territory by investors of the other Contracting State.“ 206 Vgl. hierzu Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 80: „Contracts and other obligations are put under the treaty‟s protective umbrella.“ 207 Vgl. hierzu oben § 2 III. 208 Vgl. hierzu oben § 2 V. 209 Zur Problematik vgl. den Fall CMS v. Argentina, Award, 12.5.2005, insbesondere Rn. 303. 210 Eine Möglichkeit, dieses Problem der fehlenden Gegenseitigkeit zu umgehen, könnte darin bestehen, die Verpflichtung des Gaststaates zur Gewährung von fair and equitable treatment weit zu auszulegen und die unmittelbar mit der eigentlichen Investition i.S.d. Investitionsschutzabkommens (z.B. des Anteils eines ausländischen Investors an einer inländischen Gesellschaft) verbundenen Einheit, wie das im Gastgeberstaat inkorporierte Investitionsvehikel, zu erstrecken. Eine andere Möglichkeit könnte darin bestehen, den Investitionsvertrag zwischen dem Gastgeberstaat und dem vor Ort inkorporierten Investitionsvehikel als drittschützend zugunsten des Investors zu betrachten, wobei dieser drit tschützende Teil auch von der (völkerrechtlichen) Schirmklausel erfasst würde. 211 Hierzu unten § 9 II 2 b cc.
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Teil II: Das Gebot des fair and equitable treatment
table treatment würde praktisch eine pacta sunt servanda-Verpflichtung untergeschoben und das Gebot hätte die Funktion einer weiten Schirmklausel. In der Schiedspraxis wird die Frage, ob und inwiefern die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung auch eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment darstellt, unterschiedlich beurteilt.212 Während dies von einem Teil der Rechtsprechung bejaht wird, geht der wohl überwiegende Teil der Rechtsprechung davon aus, dass ein gewöhnlicher Vertragsverstoß nicht automatisch eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment nach sich zieht. Nach herrschender Auffassung muss ein Vertragsverstoß daher besonders qualifiziert sein, um gleichzeitig gegen das Gebot des fair and equitable treatment zu verstoßen.213 Eine mögliche Gleichstellung des Gebots des fair and equitable treatment mit der Verpflichtung pacta sunt servanda kommt daher nicht in Betracht. 214
212
Hierzu unten § 9 II 2 b. Hierzu unten § 9 II 2 b. 214 Hierzu unten § 9 II 2 b. 213
Teil III
Ansätze zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment: Rechtsprechungsanalyse – Institutionelle Reformansätze – Methodik Im Anschluss an die in den Teilen I und II erarbeiteten Grundlagen des internationalen Investitionsrechts und des Gebots des fair and equitable treatment, soll nun im dritten und letzten Teil der Arbeit die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment im Mittelpunkt stehen. Trotz der zentralen Bedeutung, welche dem Gebot des fair and equitable treatment in der Praxis der Investitionsschiedsgerichte zukommt, ist sein Bedeutungsinhalt noch überwiegend vage geblieben. Dem soll in dreifacher Hinsicht Rechnung getragen werden: So soll zunächst die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment näher analysiert und strukturiert werden, um auf diesem Weg eine Präzisierung des Bedeutungsinhalts der Gebots des fair and equitable treatment zu erreichen (§ 9). Für eine an früheren Entscheidungen orientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ist weiterhin von zentraler Bedeutung, dass die Rechtsprechung in sich weitgehend widerspruchsfrei und kohärent ist. Dies ist in der bisherigen Investitionsrechtsprechung nicht immer der Fall. Daher soll in einem weiteren Schritt untersucht werden, ob und inwiefern institutionelle Änderungen an der Struktur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit möglich und sinnvoll sind, um zu einer möglichst konsistenten Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zu gelangen (§ 10). Schließlich soll die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment aus methodischer Sicht untersucht werden. Da Generalklauseln wie das Gebot des fair and equitable treatment auf einen stärker konturierten Tatbestand verzichten, nimmt im selben Maße, in dem die Entscheidungsdeterminierung durch das positive Recht abnimmt, die Bedeutung der Konkretisierungsarbeit der Schiedsgerichte zu. Dabei stehen die Schiedsgerichte vor dem Problem, dass der vage Wortlaut nur wenige Kriterien liefert, welche dem Schiedsrichter als Maßstäbe für seine Entscheidung dienen könnten, der Schiedsrichter jedoch andererseits verpflichtet ist, eine möglichst rationale Rechtsentscheidung für den konkreten Fall unter methodisch akzeptabler Rückführung auf die Norm zu fällen. Hier ist, anküpfend an die bereits aufgeworfenen Fragen zur Auslegung des Gebots des fair and equitable treat-
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
ment, zu untersuchen, an welchen (gegebenenfalls besonderen) Konkretisierungsmethoden und -kriterien sich die inhaltliche Präzisierung des Gebots des fair and equitable treatment auszurichten hat, um trotz der Weite des Wortlauts zu einer rationalen Entscheidungsfindung im Einzelfall zu gelangen (§ 11).
§ 9 Rechtsprechungsanalyse – Die Rechtsprechung zu den Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment
§ 9 Rechtsprechungsanalyse I. Bedeutung der Fallgruppenmethode
Die Fallgruppenbildung stellt eine in der Praxis häufig gewählte Vorgehensweise zur Konkretisierung von Generalklauseln dar. 1 Auch in der investitionsrechtlichen Schiedspraxis stellt der Weg über die Bildung von Fallgruppen die dominierende Methode zur Konkretisierung der verschiedenen Schutzstandards und insbesondere des Gebots des fair and equitable treatment dar. Es liegt in der Natur unbestimmter Rechtsnormen, dass sie sich einer einfachen Subsumtion entziehen; 2 hierzu hat sich die Fallgruppenmethode entwickelt, um über entschiedene Einzelfälle zu möglichst konkreten, anwendungsfähigen „Rechtsregeln“ zu gelangen. Dabei wird die zur Generalklausel ergangene Rechtsprechung systematisch aufbereitet und zu Fallgruppen geordnet. Auf letztere kann dann im Zuge der Rechtsanwendung anstelle des Normtextes der Generalklausel (hier anstelle der Verpflichtung zu „fair and equitable treatment“) zurückgegriffen werden. Die Fallgruppenmethode geht dabei induktiv von den entschiedenen Sachverhalten aus und abstrahiert die kennzeichnenden Merkmale; mehrere vergleichbare Entscheidungen werden wiederum zu Fallgruppen zusammengefasst.3 So entsteht „unterhalb“ der Generalklausel ein „Geflecht von Entscheidungsmustern“4, in das neu zu beurteilende Fälle eingeordnet werden können, wodurch die Generalklausel zunehmend an inhaltlicher Präzisierung
1
Zur Generalklauselkonkretisierung einschließlich der Fallgruppenmethode vgl. unten § 11 II. 2 Vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2); ders., Richterrecht und Generalklausel, 108; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 98; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 29; Pfeiffer, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (29); ders., Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 55. Zur Subsumtionsproblematik bei Generalklauseln vgl. unten § 11 I. 3 Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (527 f.); Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2); Vogel, Juristische Methodik, 145 ff. 4 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 113.
§ 9 Rechtsprechungsanalyse
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gewinnt.5 Mit der Zeit können die Fallgruppen neben der Vereinfachung des Fallvergleichs die Funktion von (Ersatz-)Tatbestandsmerkmalen übernehmen.6 Dies führt zum Teil dazu, dass in der Rechtsprechung gefundene Fallgruppen vom Gesetzgeber in Rechtsnormen überführt werden.7 Aus den einzelnen Fallentscheidungen werden somit (Ersatz-)Rechtssätze mittlerer Abstraktionshöhe, die Fallgruppen, gewonnen, die im Idealfall einen konkreteren materiellen Gehalt als die Generalklausel aufweisen, gleichzeitig aber abstrakt genug sind, um auf verschiedene Sachverhalte angewandt werden zu können. 8 Ein Problem dieser Fallgruppenmethode im Hinblick auf das Gebot des fair and equitable treatment betrifft eben diese Abstraktionshöhe bzw. die Unbestimmtheit der durch die Rechtsprechung gefundenen Fallgruppen. Eine Voraussetzung für das Funktionieren dieser Methode ist jedoch, dass die gefundenen Fallgruppen tatsächlich konkreter und bestimmter sind als die zu 5
Vgl. Larenz, Methodenlehre, 292; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 113; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (44): Untermauerung einer Norm durch eine Kette von Präjudizien. 6 Vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 152; Wank, Rechtsfortbildung, 147; Weber, AcP 192 (1992), 516 (531): Fallgruppen als Ersatztatbestandsmerkmale der Generalklauseln; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583: Präjudizienrecht führt zur Herausbildung ausreichend bestimmter Rechtsregeln. Durch die dichteren und detaillierteren Fallgruppen nähert man sich dem positivistischen Ideal der Entscheidungsfindung per Subsumtion, vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (529). Erreicht wird dies durch die Herausbildung von Fallgruppen als „Untergeneralklauseln“, „Unternormen“ bzw. „Ersatztatbestandsmerkmalen“, mit deren Hilfe die Rechtsanwendung im Rahmen der Generalklausel allmählich dem Subsumtionsmodell angenähert werden soll, vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 152; Weber, AcP 192 (1992), 516 (527 f.); Schapp, Methodenlehre und System des Rechts, 133 f. Dabei macht diese Technik nicht bei der Ausbildung von Fallgruppen halt; mit zunehmender Rechtsprechungsdichte kann auch unterhalb der jeweiligen Fallgruppe im Sinne eines Stufenbaus der Richterrechtssätze eine weitergehende Konkret isierung von der relativ abstrakten Fallgruppennorm hin zu noch konkreteren Norm stattfinden. Dieser Stufenbau ermögliche ein hohes Maß an Rechtssicherheit bei gleichzeitiger Erhaltung von Flexibilität und Einzelfallgerechtigkeit, vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (44). Zur Methodik der Generalklauselkonkretisierung vgl. unten § 11 II. 7 Vgl. etwa den US-amerikanischen Model BIT (2004), der in Art. 5 Abs. 2 lit. a mit den Bestimmungen zu „obligation not to deny justice“ und „due process“ zwei tragende Aspekte der in der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppe der Verfahrensgerechtigkeit im Rahmen des Gebots des fair and equitable treatment normiert. 8 Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 9 („kleine Generalklausel“), 315; Schapp, Methodenlehre und System des Rechts, 134: Da der Schluss von dem sehr allgemeinen Tatbestand der Generalklausel auf den zu entscheidenden Fall zu groß ist, bemüht sich die Rechtsprechung um eine mittlere Abstraktionsebene. Zur Mittlerfunktion der Präjudizien ausführlich Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, passim. Zu diesen unterschiedlichen Konkretisierungsstufen des Fallrechts von der abstrakten Fallgruppe hin zu zunehmend konkreteren Unterfallgruppen, vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (17): „Stufenbau des Richterrechts“.
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
konkretisierende Generalklausel. Andernfalls besteht die Gefahr, dass lediglich ein unbestimmter Rechtssatz (fair and equitable treatment) durch einen anderen, die jeweilige Fallgruppe (z.B. legitimate expectations, due process), ersetzt wird. Hierdurch käme der Prozess der Konkretisierung nicht voran und das Ausgangsproblem, d.h. die Anwendung einer besonders unbestimmten Norm auf den zu entscheidenden Sachverhalt, würde sich erneut stellen. Da die in der Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment gefundenen Fallgruppen ein durchweg hohes Abstraktionsniveau aufweisen, 9 ist dieses Problem durchaus gegeben. In diesem Kapitel sollen die von der Rechtsprechung verwendeten, jedoch in ihren inhaltlichen Voraussetzungen und dogmatischen Grundlagen in der Regel nicht näher erläuterten Fallgruppen untersucht werden. Im Sinne der Fallgruppenmethodik soll versucht werden, das Netz unterhalb der Generalklausel zu verdichten, indem innerhalb der jeweiligen Fallgruppe durch Analyse und Systematisierung der hierzu ergangenen Rechtsprechung weitere Kriterien und Voraussetzungen gewonnen werden, welche die praktische Rechtsanwendung des Gebots des fair and equitable treatment nach Möglichkeit erleichtern sollen. Zudem scheinen manche Fallgruppen – im Gegensatz zum Gebot des fair and equitable treatment – etablierten Rechtsordnungen (oftmals dem nationalen Recht), wo sie in einer vergleichbaren Ausgangslage bereits eine gewisse Konkretisierung erfahren haben, entlehnt oder zumindest verwandt. 10 Daher soll neben der Untersuchung der Schiedspraxis der Investitionsschiedsgerichte zu den jeweiligen Fallgruppen auch jeweils ein rechtsvergleichender Blick auf diejenigen Rechtsordnungen geworfen werden, in denen diese Fallgruppen als eigenständige Rechtsinstitute bereits eine nähere Ausdifferenzierung 9
Vgl. oben § 7. Vgl. Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, 341, der darauf verweist, dass es sich bei den wichtigsten Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment, „denial of justice“ und „legitimate expectations“, um Rechtsinstitute handelt, welche dem nationalen Recht entlehnt wurden. Vgl. hierzu auch Schill, in: ders. (Hrsg.) International Investment Law and Comparative Public Law, 1 ff., 23 ff.; ders., Virginia Journal of International Law 2011, 57 (60): „It relies on the observation that the problems dealt with in investor state arbitration are not novel as such. Instead, the same problems concerning the relation of private economic actors and governmental power arising in investment treaty arbitration today, including questions of nondiscrimination, the respect for due process, and the protection of property and economic interests against expropriation and other undue government interferences, have already played a role in domestic administrative and constitutional litigation – and partly also in regional regimes and their dispute settlement institutions, such as the European Court of Justice (ECJ) or the European Court of Human Rights (ECHR) – ever since the rise of the modern regulatory state. With the emergence of a truly global economy, the same problems of public law now surface at the international level. Accordingly, these problems should be viewed in the context of the rich experience of such other, often more advanced, public law systems.“ 10
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erfahren haben. 11 Dieser rechtsvergleichende Ansatz soll daher dazu beitragen, einerseits das Verständnis der jeweiligen Fallgruppe zu verbessern und andererseits (im Sinne Zitelmanns) den Vorrat an möglichen Lösungen zu erweitern und damit den Rechtsanwender zu unterstützen, zu einer angemessenen bzw. relativ „besten“ Lösung zu gelangen. 12 Im Folgenden soll daher, ausgehend von einzelnen Fallgruppen, die in der Schiedspraxis zum Gebot des fair and equitable treatment ergangene Rechtsprechung geordnet und analysiert werden, um nach Möglichkeit zu brauchbaren Maßstäben für die Rechtsanwendung zu gelangen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die zu untersuchenden Fallgruppen der berechtigten 11
Vgl. auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 10: Rechtsvergleichung dient als „Steinbruch“, der „nützliche Bausteine“ liefert. Zu der besonderen Bedeutung und dem Nutzen der rechtsvergleichenden Methode für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit sowie das internationale Investitionsrecht Schill, Virginia Journal of International Law 2011, 57 (60): „This method [comparative public law] can serve as a framework to guide the interpretation of investment treaties, to understand the role and powers of investment treaty tribunals, and to develop suggestions for legal reform. The core idea is to tackle problems arising under international investment treaties by means of a comparative public law method, which takes inspiration from the more advanced systems of public law at both the domestic and international level. […] Comparative public law thus can serve as a critical tool in analyzing and further developing international investment law and investor-state dispute resolution in ways that are tested and accepted in other public law contexts. This can not only be of practical use in investor-state arbitrations, but ultimately may also help to strengthen the often contested legitimacy of investor-state dispute resolution without requiring a fundamental redesign of the system.“ Zur rechtsvergleichenden Auslegung Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 16 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 625; Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 42 ff.; Mastronardi, Juristisches Denken, 174; zur Rechtsvergleichung als „fünfte“ Auslegungsmethode Häberle, JZ 1989, 913 ff. Für eine rechtsvergleichende Auslegung im Bereich des internationalen Investitionsrechts Schill, in: ders. (Hrsg.) International Investment Law and Comparative Public Law, 1 (24). 12 Es geht hier demnach nicht darum, bindendes Recht im Sinne von allgemeinen Rechtsgrundsätzen i.S.d. Art. 38 (1) c IGH-Statut, welche in den Rechten mehr oder weniger aller Nationen übereinstimmend anerkannt sind, zu finden bzw. nachzuweisen, sondern dem Rechtsanwender bei der Konkretisierung der Fallgruppen weitere Argumente zu liefern. Entscheidend ist nicht die formaljuristische Bindungswirkung, sondern die inhaltliche Überzeugungskraft der rechtsvergleichend gewonnenen Ergebnisse. Vgl. hierzu Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, 8 (unter Bezugnahme auf Zitelmann); Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 14; Dannemann, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 383 (401 ff.); Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 461 ff.; Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 27: Rechtsvergleich führt zu Ideen, Einsichten und Argumenten, zu denen man aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bei alleiniger Betrachtung des eigenen Rechts gelangt wäre. Für den Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Schill, in: ders. (Hrsg.) International Investment Law and Comparative Public Law, 1 (24): Rechtsvergleich ermöglicht es, zu für Staaten und Investoren akzeptablen Lösungen zu gelangen.
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(Investoren-)Erwartungen (legitimate expectations) (II.), des fairen Verfahrens (III.), des Transparenzgebots (IV.) sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (V). II. Der Schutz berechtigter (Investoren-)Erwartungen (legitimate expectations) Die praktisch wichtigste Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment betrifft den Schutz berechtigter Investorenerwartungen (legitimate expectations).13 So ist mittlerweile akzeptiert, dass das Gebot des fair and equitable treatment die Verpflichtung mit einschließt, die berechtigten Erwartungen des Investors zu berücksichtigen bzw. diese Erwartungen nicht zunichte zu machen.14 Hinsichtlich der zentralen Frage, wann der Investor über berechtigte 13 Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1, Award, 30.8.2000, Rn. 92; CME v. Czech Republic, UNCITRAL Arbitration, Partial Award, 13.9.2001, Rn. 575, 611; Tecmed v. Mexico, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003, Rn. 152-157; Occidental v. Ecuador, UNCITRAL Arbitration, Final Award, 1.7.2004, Rn. 184-192; CMS v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 273-281; International Thunderbird v. Mexico, UNCITRAL Arbitration, Award, 26.1.2006, Rn. 145-148; Saluka v. Czech Republic, UNCITRAL Arbitration, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 296306; Azurix v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/12, Award, 14.7.2006, Rn. 366-372; LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006, Rn. 127-131; PSEG v. Turkey, ICSID Case No. ARB/02/5, Award, 19.1.2007, Rn 238-241, 246-247; Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Award, 6.2.2007, Rn. 294300; MTD v. Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Decision on Annulment of 21.3.2007, Rn. 63-71; Enron v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/3, Award, 22.5.2007, Rn. 256263; Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 330 ff.; Biwater Gauff v. Tanzania, ICSID Case No. ARB/05/22, Award, 24.7.2008, Rn. 588 ff.; Rumeli v. Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008, Rn. 609-611; Glamis Gold Ltd. v. United States of America, UNCITRAL (NAFTA), Final Award, 8.6.2009, Rn. 22, 627; Walter Bau v. Kingdom of Thailand, UNCITRAL, Award, 1.7.2009, Rn. 12.1; Suez v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/17, Decision on Liability, 30.7.2010, Rn. 205; AES Summit Generation Ltd. And AES-Tisza Erömü Kft v. Hungary, ICSID Case No. ARB/07/22, Award, 23.9.2010, Rn. 9.3.6 ff.; Total S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/01, Decision on Liability, 27.10.2010, Rn. 99 ff., 113 ff.; Impregilo v. Argentina, ICSID Case No. ARB/07/17, Award, 21.6.2011, Rn. 290 ff.; Railroad Development Corp. v. Guatemala, ICSID Case No. ARB/07/23, 29.6.2012, Award, Rn. 219; Toto Costruzioni Generali S.p.A. v. Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB/07/12, Award, 7.6.2012, Rn. 159 ff. 14 Vgl. nur Saluka v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Partial Award, Rn. 302, wo die legitimen Investorenerwartungen als „dominant element“ des „fair and equitable treatment“-Standards bezeichnet wurden. Vgl. für eine Rechtsprechungsübersicht oben § 7. Vgl. auch Schreuer/Kriebaum, At What Time Must Legitimate Expectations Exist?, in: A Liber Amicorum: Thomas Wälde, 265: „The protection of legitimate expectations is by now firmly rooted in arbitral practice“; Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions
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Erwartungen verfügt bzw. wann diese verletzt sind, besteht jedoch nach wie vor Klärungsbedarf. Im Folgenden soll in einem rechtsvergleichenden Überblick zunächst den verschiedenen Ausprägungen und Voraussetzungen des Schutzes legitimer Erwartungen bzw. des Vertrauensschutzgedankens im nationalen, europäischen und internationalen Recht nachgegangen werden (1.), bevor auf die Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte näher einzugehen ist. Dabei wird zunächst die auf Bedeutung des Schutzes berechtigter Erwartungen auch in anderen investitionsrechtlichen Kontexten, wie etwa bei der Bestimmung des Investitonsbegriffs oder beim Enteignungsstandard, eingegangen (2.), bevor schließlich der Schutz legitimer Erwartungen im Rahmen des Gebots des fair and equitable treatment eingehend untersucht wird (3.). Dabei soll der Versuch unternommen werden, durch Systematisierung und Analyse der bisherigen Rechtsprechung die Voraussetzungen für das Vorliegen berechtigter Erwartungen möglichst konkret zu bestimmen. Schließlich ist auf den Zusammenhang zwischen den berechtigten Erwartungen des Investors und der tatsächlichen ökonomisch-politischen Situation im Gaststaat einzugehen, bevor ein Fazit den Abschnitt beschließt (4.). 1. Berechtigte Erwartungen und Vertrauensschutz: Rechtsvergleichender Überblick Der Schutz legitimer Erwartungen findet sich in verschiedenen Rechtssystemen, wenn auch oftmals mit unterschiedlichem Anwendungsbereich undIhalt.15 Der Schwerpunkt liegt im nationalen öffentlichen Recht, 16 insbesonde-
with other Standards, 63 (89): „It is widely accepted that the most important function of the FET standard is the protection of the investor‟s legitimate expectation through the creation of a transparent and stable legal framework.“ 15 Craig/de Burca, EU Law, 533; Schwarze, European Administrative Law, 874 ff.; Snodgrass, 21 ICSID Review - FILJ 2006, 1 (53); Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 609 ff.; 644 ff.; Schonberg, Legitimate Expectations in Administrative Decision-Making, passim; Craig, EU Administrative Law, 549 ff.; Mairal, Legitimate Expec-tations and Informal Administrative Representations, in: Schill (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 415 (417). Vgl. auch den Separate Opinion des Schiedsrichters Wälde, im Fall Thunderbird v. Mexico, Award, 26.1.2006, insb. Rn. 27 ff. 16 Vgl. Barak-Erez, The Doctrine of Legitimate Expectations, European Public Law 2005, 583 (584): „As is well-known, the protection of legitimate expectations has become a central principle of administrative law, first in Europe and then in England“; Forsyth, The Provenance and Protection of Legitimate Expectations, CLJ 1988, 238 (241 ff.); Orrego Vicuna, Regulatory Authority and Legitimate Expectations, International Law Forum Du Droit International 2003, 193 f.; Fietta, The Legitimate Expectations Principle, 7 Journal of World Investment and Trade 2006, 423 f.
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re im nationalen Verwaltungs- und Verfassungsrecht. 17 So findet sich beispielsweise im deutschen Recht der aus dem Rechtsstaatsprinzip, den Grundrechten sowie dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes. 18 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes findet seinen Ausdruck im Bereich von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. 19 Der Rechtsgrundsatz wird allgemein immer dann relevant, wenn jemand von seiner Entscheidung oder Verhaltensweise, auf deren (Fort-)Bestand andere (vernünftigerweise) vertraut haben, abweichen will. 20 Wegen der einseitigen Rechtssetzungsbefugnis des Staates sowie seiner allgemeinen Dominanz in vielen Lebensbereichen betrifft dies vor allem das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. 21 Dem liegt in der Regel ein vom Staat geschaffener oder gebilligter Vertrauenstatbestand, ein daran anknüpfendes (schutzwürdiges) Vertrauen des Bürgers und ein dieses Vertrauen enttäuschendes, abweichendes Verhalten des Staates zugrunde.22 Gegen das abweichende Verhalten wendet sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Allerdings wird das staatliche Verhalten in der Regel durch öffentliche Interessen motiviert sein, wodurch sich in den meisten Fällen das Vertrauensinteresse des Bürgers und das Änderungsinteresse des Staates gegenüberstehen und in Ausgleich zu bringen sind.23 Eine konkrete Ausprägung des Vertrauensgrundsatzes ist etwa das Rückwirkungsverbot von Gesetzen, wonach der Bürger sich bei seinen Dispositionen auf die bestehende Rechtslage verlassen darf und bei Gesetzesänderun-
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Vgl. z.B. Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 609 ff., 644 ff.; Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 12 ff., 148 ff.; Götz, Legitimate Expectations, in: Riedel (Hrsg.), German Report on Public Law, 133 ff., 142 ff.; Thomas, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 41 ff.; Schonberg, Legitimate Expectations in Administrative Decision-Making, passim; Barak-Erez, ibid., 583; Frenz, Grundrechtlicher Vertrauensschutz, EuR 2008, 468 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, passim. Die Nähe des Schutzes berechtigter Investorenerwartungen zu Konzepten des nationalen Verwaltungsrechts unterstreicht Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, 341: „Another instance of a domestic administrative law principle being used relates to references that are found to legitimate expectations. Such ideas are clearly borrowed from domestic administrative law.“ 18 Vgl. Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 13 ff. 19 Vgl. Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, Rn. 10 ff.; 65 ff.; 100 ff. 20 Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, Rn. 7. 21 Ibid. 22 Ibid. 23 Zur Abwägung staatlicher Interessen mit privaten Investoreninteressen im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, vgl. unten § 11 III.
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gen keine für ihn nachteilige Rückwirkung befürchten muss. 24 Im Verwaltungsrecht wird der Vertrauensschutz u.a. in den Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten konkretisiert. 25 Darüber hinaus tritt der Vertrauensschutz nicht nur im Staats- und Verwaltungsrecht, sondern auch in den meisten anderen Rechtsbereichen, insbesondere im Zivilsowie im Prozessrecht auf. 26 Im englischen Common Law wird der Gedanke des Vertrauensschutzes unter anderem durch das dem venire contra factum proprium ähnliche Rechtsinstitut des „estoppel“ verwirklicht. 27 Daneben existiert ein eigenständiges (verwaltungsrechtliches) Institut der legitimate expectations,28 welches seine Grundlage in dem Gedanken der Rechtssicherheit und des Schutzes des öffentlichen Vertrauens in die Verwaltung hat. 29 Als Ausgangspunkt für legitime Erwartungen des Bürgers gegenüber dem Staat wurden in der Rechtsprechung ausdrückliche sowie konkludente Erklärungen (express/implied representations),30 Verwaltungsbestimmungen (administrative policies),31 parlamentarische Verlautbarungen 32 sowie Äußerungen von Politikern33 dis24 Götz, Legitimate Expectations, 136 ff.; Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, Rn. 10 ff.; Eingehend Stötzel, Vertrauensschutz und Gesetzesrückwirkung, passim. Rechtsvergleichend Schwarze, European Administrative Law, 898 ff., 1120. 25 Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 171 ff.; Götz, Legitimate Expectations, 143 f.; Schwarze, European Administrative Law, 887 ff.; Forsythe, CLJ 1988, 238 (242 ff.). Daneben findet der Vertrauensschutzgrundsatz auch im Zivilrecht seinen Ausdruck, etwa in dem Grundsatz des venire contra factum proprium oder den Bestimmungen zum Schutz des gutgläubigen Erwerbers. 26 Vgl. Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, Rn. 6 m.w.N. 27 Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 609; Schwarze, European Administrative Law, 903 f. m.w.N. 28 Vgl. Craig, Substantive Legitimate Expectations in Domestic and Community Law, CLJ 1996, 289 ff.; Forsyth, The Provenance and Protection of Legitimate Expectations, CLJ 1988, 238 ff.; Thomas, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 25 ff.; Elliott, Legitimate Expectations, Consistency and Abuse of Power, JR 2005, 281 ff.; Reynolds, The Role of Trust in the Doctrine of Legitimate Expectations, Public Law 2011, 330 ff.; Wade/Forsyth, Administrative Law, 446 ff.; Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 609: „The protection of legitimate expectations is at the root of the constitutional principle of the rule of law, which requires regularity, predictability, a nd certainty in government‟s dealings with the public.“ 29 Forsyth, The Provenance and Protection of Legitimate Expectations, CLJ 1988, 238 (239). 30 R v. North and East Devon Health Authority, ex parte Coughlan [2001] QB 213; CCSU [1985] AC 374. 31 R (Nullen) v. Home Secretary [2005] 1 AC 1, [60], per Lord Steyn. 32 R (on the application of Wheeler) v. Office of the Prime Minister [2008] EWHC 1408 (Admin). 33 R. v. Department of Education and Employment, ex parte Bergbie [2000] 1 WLR 1115, 1126 per Schiemann LJ .
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kutiert.34 Es reicht nicht, dass Erwartungen gehegt wurden; diese müssen zudem legitim bzw. berechtigt sein. 35 Zur Legitimität der Erwartungen wird vertreten, sie müssten objektiv vernünftig sein. 36 Verneint wurde die Legitimität derartiger Erwartungen in Fällen, in denen ein überwiegendes öffentliches Interesse angenommen wurde. 37 Im europäischen Unionsrecht sind die berechtigten Erwartungen und der Vertrauensschutz des Bürgers (oftmals in Verbindung mit dem Aspekt der Rechtssicherheit) gegenüber staatlichem Verhalten als allgemeine Rechtsgrundsätze mittlerweile fest etabliert. 38 Darüber hinaus wird vertreten, dass der Grundsatz der legitimen Erwartungen auch im europäischen Privatrecht existiere, wo er einen Interessenausgleich zwischen Verbraucher und Händler bzw. Hersteller herbeiführen solle, 39 indem sich die Art und Weise der Erfüllung des Vertrages nach dem zu richten habe, was der Verbraucher legitimerweise erwarten könne. 40 Auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz des Vertrauensschutzes,41 der dort im zwischenstaatlichen Bereich in verschiedentlichen Ausprägungen seinen Niederschlag gefunden hat. 34
Zu den verschiedenen Grundlagen legitimer Erwartungen vgl. auch Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 615 ff. 35 In re Findlay [1985] AC 318, 338 per Lord Scarman. Vgl. hierzu auch Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 621 ff. 36 R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Hargreaves [1997] 1 WLR 906, 921; R v. Newham LBC [2001] EWCA Civ 607; [2002] 1 WLR 237, [20]-[21] per Peter Gibson L.J. 37 In re Findlay [1985] AC 318, 338 per Lord Scarman.Vgl. auch Craig, Legitimate Expectations: A Conceptual Analysis (1992) 108 Law Quarterly Review, 79, 81: „[The legitimate expectations] will depend on a normative view of the expectations which an individual can be said to derive from the original policy, combined with an interpretative judgment as to whether the legislative framework will, in some way, be jeopardised by holding the administration to the original policy, even on relation to those already affected by it.“ 38 Vgl. etwa Craig/de Burca, EU Law, 533 ff.; Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 445 ff.; Schwarze, European Administrative Law, 936 ff.; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 218 f.; Craig, Substantive Legitimate Expectations in Domestic and Community Law, CLJ 1996, 289 (304 ff.); Woolf/Jowell/ Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 609; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, EuGRZ 1988, 309 ff.; Hatje, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz – Wechselseitige Einwirkungen zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungs- und Verwaltungsrecht, 223 ff. 39 Micklitz, ZEuP 1998, 253 (264). 40 Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, 123. 41 Generell Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, passim; Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 264: „So […] gibt es formelle Gerechtigkeitsprinzipien wie die Rechtssicherheit und das hieraus fließende Vertrauensschutzprinzip, die auch im Völkerrecht hi nreichend evident sind.“ Dabei handelt es sich jedoch in der Regel um die klassische zwischenstaatliche Konstellation, die sich nicht ohne weiteres auf die Investor-Staat-
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Eine Grundlage, welche für die Verankerung der berechtigten Erwartungen in Betracht kommt, ist der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (good faith).42 So hat beispielsweise das Schiedsgericht im bereits erwähnten Fall Tecmed v. Mexico die Erwartungen des Investors mit dem völkerrechtlichen Vertrauensprinzip in Verbindung gebracht, 43 und über die rein zwischenstaatliche Ebene hinausgehend auf das Verhältnis zwischen Staat und Investor übertragen. Auf ähnliche Weise verband das Schiedsgericht im Fall Thunderbird v. Mexico das Rechtsinstitut der berechtigten Erwartungen mit dem völkergewohnheitsrechtlichen Prinzip von Treu und Glauben. 44 Eine weitere Grundlage, welche für die rechtliche Verankerung legitimer Erwartungen in Betracht kommt, ist der allgemeine Rechtsgrundsatz der Billigkeit (equity).45 Die Billigkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz 46 spielt eine Beziehung übertragen lässt. Weiter zum Vertrauensschutz bzw. „good faith“; O’Connor, Good Faith in International Law, passim; Mössner, Vertrauen als Prinzip der Völkerrechtsordnung, Politik und Kultur 1979, 56 ff.; ders., Vertrauen in der internationalen Politik: Völkerrechtliche Aspekte, in: Simma/Blenk-Knocke (Hrsg.), Zwischen Intervention und Zusammenarbeit, 245 ff.; Zoller, La bonne foi en droit international public, passim. 42 Vgl. hierzu Zoller, La bonne foi en droit international public, passim; D’Amato, Good Faith, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II, 599 ff.; Kolb, La bonne foi en droit international public, 31 RBDI 1998, 661 ff. Vgl. auch IGH, Border and Transborder Armed Actions Case (Nicaragua v Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Judgment, 20.12.1998, ICJ Reports 1988, 69 (105): „The principle of good faith is, as the Court has observed, „one of the basic principles governing the creation and performance of legal obligations‟; it is not in itself a source of obligation where none would otherwise exist.“ 43 Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, Award, 29.5.2003, Rn. 154: „The Arbitral Tribunal considers that this provision of the Agreement, in light of the good faith principle established by international law, requires the Contracting Parties to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment.[...].“ 44 International Thunderbird v. Mexico, UNCITRAL, Award, 26.1.2006, Rn. 147: „Having considered recent investment case law and the good faith principle of international customary law, the concept of “legitimate expectations“ relates, within the context of the NAFTA framework, to a situation where a Contracting Party‟s conduct creates reasonable and justifiable expectations on the part of an investor (or investment) to act in reliance on said conduct, such that a failure by the NAFTA Party to honour those expectations could cause the investor (or investment) to suffer damages.“ 45 Vgl. hierzu Akehurst Equity and General Principles of Law, 25 ICLQ 1976, 801 ff.; Jennings, Equity and Equitable Principles, 42 Annuaire Suisse 1986, 27 ff.; Francioni, Equity in International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff.; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, 422 f. 46 Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz der Billigkeit ist abzugrenzen von der außerrechtlichen Billigkeit, bei der nach freien, in nachvollziehbarer Interessenabwägung geschöpften Billigkeitsmaßstäben (ex aequo et bono) entschieden wird. Siehe hierzu oben § 6 III. Sofern die Parteien keine andere Abrede getroffen haben, muss das Schiedsgericht eine Rechtsentscheidung fällen und die Rechtsnorm „fair and equitable treatment“ auslegen und
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besondere Rolle bei der Anwendung konkretisierungsbedürftiger Normen und zielt auf einen gerechten Interessenausgleich. 47 In Betracht zu ziehen ist auch der völkerrechtlich anerkannte Grundsatz pacta sunt servanda.48 Allerdings bezieht sich dieser (völkerrechtliche) Rechtsgrundsatz zunächst nur auf die zwischenstaatliche Ebene, wohingegen Investor-Staat-Verträge dem nationalen Recht zuzuordnen sind.49 Des Weiteren gilt dieser Grundsatz dem Wortlaut entsprechend nur dort, wo ein Vertrag geschlossen wurde, wodurch nur ein Teilbereich des Problemfeldes legitimer Investorenerwartungen erfasst würde, da diese auch Fallgestaltungen umfasst, in denen sich die Erwartungen des Investors auf außervertragliche Vertrauenstatbestände beziehen. 50
anwenden. Vgl. Kotzur, Ex Aequo et Bono, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 11: „[…] the clear distinction between equity as an intrinsic element of international law and the ex aequo et bono principle, as a rule of decision departing from and consequently being outside the law, is still upheld in public international law.“ Vgl. auch Art. 42 Abs. 3 ICSID: „The provisions of paragraphs (1) and (2) shall not prejudice the power of the Trib unal to decide a dispute ex aequo et bono if the parties so agree.“ Hierzu eingehend Schreuer, Decisions Ex Aequo et Bono under the ICSID Convention, 11 ICSID Review - FILJ 1996, 37 ff.; Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 42, Rn. 254 ff. 47 Der Hauptanwendungsbereich als Konkretisierungsmaßstab liegt bei der Anwendung vertrags- und gewohnheitsrechtlicher Regeln des internationalen Seerechts (z.B. bei der Abgrenzung von Gebietsansprüchen und Nutzungsrechten), vgl. Herdegen, Völkerrecht, 147; UNCLOS Art 74 Abs. 1 und 83 Abs. 1 verweist bei der Abgrenzung von Hoheits- und Nutzungszonen auf eine „equitable solution“. Vgl. auch IGH, North Sea Continental Shelf, Judgment, 20.2.1969, ICJ Reports 1969, 2; IGH, Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Main Area Case [Canada v. USA], ICJ Reports 1984, 246. Vgl. auch Schneider, The Gulf of Maine Case: The Nature of an Equitable Result, 79 AJIL 1985, 539 ff. In diesem Zusammenhang hat der IGH auch die Möglichkeit der Einbeziehung von Billigkeitserwägungen im Rahmen des anwendbaren Rechts, mithin einer Billigkeit intra legem (gegenüber der Billigkeit extra legem im Falle einer Entscheidung ex aequo et bono), diskutiert vgl. IGH, North Sea Continental Shelf, Judgment, 20.2.1969, ICJ Reports 1969, 2 (47): „[I]n short, it is not a question of applying equity simply as a matter of abstract justice, but of applying a rule of law which itself requires the application of equitable principles […].“ 48 Vgl. Aust, Pacta sunt servanda, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2007, Rn. 1: „The pacta sunt servanda rule embodies an elementary and universally agreed principle fundamental to all legal systems. Although its good faith (bona fide) element runs through many aspects of international law – and the legal effect of certain unilateral statements rests on good faith – it is of prime importance for the stability of treaty relations.“ Vgl. auch Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano et al. (Hrsg.), Frieden in Freiheit, Festschrift für Michael Bothe, 1047 ff.; Wehberg, 53 AJIL 1959, 775 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 365. 49 Vgl. oben § 2 V. 50 Vgl. unten 2 b.
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Ebenfalls in Erwägung zu ziehen ist der Grundsatz des estoppel, der neben einer prozessualen auch eine materiellrechtliche Komponente enthält, und insbesondere bei ausdrücklichen oder konkludenten Zusicherungen und Erklärungen des Staates eine Grundlage für den Vertrauensschutz der Gegenseite bilden kann.51 Somit gibt es im Völkerrecht verschiedene Ausprägungen des Vertrauensschutzes, welche zur rechtlichen Verankerung des Schutzes legitimer Erwartungen in Frage kommen, wobei jedoch einschränkend zu berücksichtigen ist, dass die vorgenannten Rechtsgrundsätze – abgesehen von der insofern weitergehenden Rechtsprechung der Schiedsgerichte in den Fällen Tecmed und Thunderbird betreffend den Gutglaubensgrundsatz – zunächst nur den zwischenstaatlichen Bereich betreffen.52 Betrachtet man das internationale Investitionsrecht und insbesondere den Bereich des Enteignungsrechts, so könnte man eine eigentumsrechtliche Verankerung legitimer Erwartungen in Erwägung ziehen, etwa indem man deren Rechtsnatur akzessorisch zum entzogenen Eigentumsrecht bestimmt.53 Berücksichtigt man hingegen den investitionsrechtlichen Hauptanwendungsbereich des Schutzes legitimer Erwartungen, das Gebot des fair and equitable treatment, so ergeben sich jedoch Zweifel, ob dogmatisch eine (ausschließlich) eigentumsrechtliche Verortung der Investorenerwartungen angenommen werden kann. Zwar kommt das Gebot des fair and equitable treatment in der Schiedspraxis in erster Linie in wirtschaftsrechtlichen Zusammenhängen zum Tragen; dennoch würde es zu weit gehen, das Gebot des fair and equitable treatment ausschließlich auf den Schutz des Eigentums ausländischer Investoren zu reduzieren. Dies ergibt sich zunächst aus der Tatsache, dass eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment nicht automatisch eine Enteignung zur Folge hat (und umgekehrt). 54 Des Weiteren kommen durch das Gebot des fair and equitable treatment neben wirtschaftlichen Erwägungen auch ethische Aspekte zum Tragen, welche die Gastgeberstaaten bei der Behandlung von fremden Staatsbürgern auf ihrem Territorium zu
51
Zur Geltung des estoppel-Grundsatzes im Völkerrecht vgl. etwa MacGibbon, Estoppel in International Law, ICLQ 1958, 468 ff. Vgl. auch PCIJ, East Greeland Case, Series A/B, No. 53, 71; ITLOS, The „ARA Libertad“ Case (Argentina v. Ghana), Order of 15 December 2012, Separate opinion of Judges Wolfrum and Cot, Rn. 60 ff. m.w.N. Zum Verhältnis der Grundsätze des estoppel und der legitimate expectations im englischen Recht vgl. Cartland, Legitimate Expectations and Estoppel, EJCL 10/2006, 1 (6 f.). 52 Vgl. hinsichtlich des estoppel-Grundsatzes Sornarajah, The Law of Foreign Investment, 113/Fn. 45: „Though estoppel applies in inter-state relations […], there is little authority that it applies in relations between a state and a provate entity with no international personality.“ 53 Vgl. hierzu unten 2. 54 Vgl. oben § 8 I.
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beachten haben und denen eine ausschließlich eigentumsrechtliche Verankerung der Investorenerwartungen nicht gerecht würde.55 Der vorangegangene Überblick zeigt, dass in verschiedenen Rechtsordnungen Rechtsinstitute existieren, welche das Vertrauen in die Kohärenz und Beständigkeit staatlichen Handelns rechtliche Bedeutung beimessen und dieses unter bestimmten Voraussetzungen als schützenswert anerkennen. Zwar variieren dabei die in verschiedenen Rechtsordnungen verwendeten Konzepte und deren Voraussetzungen; dennoch bieten diese unterschiedlichen Ausprägungen des Vertrauensgrundsatzes den Investitionsschiedsgerichten zumindest die Möglichkeit, bei der Konkretisierung des Begriffs der legitimen Erwartungen auch diese rechtsvergleichenden Erkenntnisse und das vergleichsweise detaillierte Fallrecht in manchen Rechtsordnungen, etwa zu Fragen der Gesetzesrückwirkung oder im Bereich der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten, als Anregung in Betracht zu ziehen. 2. Berechtigte Erwartungen in der Praxis der internationalen Investitionsschiedsgerichte: Investitionsbegriff, indirekte Enteignung und Entschädigungsberechnung Richtet man nun den Blick auf die praktische Bedeutung legitimer Erwartungen im Bereich des internationalen Investitionsrechts, so fällt auf, dass die internationalen Investitionsschiedsgerichte nicht nur im Zusammenhang mit der Verpflichtung zu fair and equitable treatment,56 sondern auch bei Fragen des Investitionsbegriffs, der indirekten Enteignung sowie beim Entschädi-
55
Schließlich bestünde auch eine Möglichkeit der Verankerung legitimer Erwartungen im Völkerrecht angesichts der Verwurzelung des Prinzips in nationalrechtlichen Konzepten darin, darzulegen, dass letzteres einer Mehrheit von nationalen Rechtsordnungen gemein ist und somit einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 Abs. 1 (c) IGHStatut darstellt (zur Rolle allgemeiner Rechtsgrundsätze im Investitionsrecht vgl. oben § 2 II. Ein Vergleich des öffentlichen Rechts verschiedener nationaler Rechtssysteme zeigt, dass der Schutz legitimer Interessen in den meisten nationalen Rechtssystemen existiert und daher prinzipiell als allgemeiner Rechtsgrundsatz im völkerrechtlichen Investitionsrecht anwendbar sein kann. Zu beachten ist jedoch auch, dass hierbei durchaus gewisse Unterschiede zwischen den Rechtssystemen bestehen. So existieren im Einzelfall Unterschiede hinsichtlich des Anwendungsbereichs und einzelner Voraussetzungen. Der Schutz legitimer Erwartungen ist im französischen Recht beispielsweise enger gefasst als im deutschen oder schweizerischen Recht, vgl. von Walter, The Investor‟s Expectations in International Investment Arbitration, 173 (198); Mairal, Legitimate expectations and informal administrative representations, in: Schill (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 415 (417). 56 Vgl. hierzu unten b.
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gungsstandard in ihren Erwägungen auf die berechtigten Erwartungen des Investors Bezug genommen haben. 57 a) Investitionsbegriff, Entschädigung- und Schadensersatzberechnung Bereits bei der Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich eines Investitionsschutzabkommens eröffnet ist, können berechtigte Erwartungen von Bedeutung sein. Voraussetzung für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs ist regelmäßig das Vorliegen einer Investition. 58 Bei der Frage, welche Rechte vom Investitionsbegriff umfasst werden (z.B. Anwartschaftsrechte, Gewinnerwartungen 59) können die Erwartungen des Investors bereits rechtliche Bedeutung erlangen. Somit bestehen geschützte Investitionen nicht nur aus investiertem beweglichem und unbeweglichem Vermögen, sondern auch aus dem ideellen Firmenwert (goodwill) und Gewinnerwartungen (return expectations).60 Die berechtigten Erwartungen des Investors spielen auch eine wichtige Rolle bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung bei Enteignung oder des Schadensersatzes bei der Verletzung anderer Tatbestände. 61 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn entgangener Gewinn (lost profits) in die Berechnung miteinfließt. b) Indirekte Enteignungen Investitionsschiedsgerichte haben sich auch bei der Beurteilung der Frage des Vorliegens einer indirekten Enteignung (indirect expropriation) auf die legitimen Erwartungen des Investors gestützt. Im Gegensatz zur direkten Enteignung verbleibt bei der indirekten Enteignung die formale Rechtsposition und der Geschäftsbetrieb (management of the business) beim Eigentümer.62 Das Aufkommen der Rechtsfigur der indi57
Zur (indirekten) Enteignung als materiellrechtlichen Schutzstandard in Investitionsschutzabkommen vgl. oben § 8 I. 58 Hierzu oben § 2 III. 59 Vgl. Dolzer, The Notion of Investment in Recent Practice, in: Charnovitz/Steger/van den Bossche (Hrsg.), Essays in Honor of Florentino Feliciano, 261 (263). 60 von Walter, The Investor‟s Expectations in International Investment Arbitration, 173 (177). Vgl. auch EnCana v. Ecuador, Partial Dissenting Opinion by H. Grigeria Naón, 30.12.2005, Rn. 17: „The foreign investor‟s legitimate return expectations are inextricably linked to the foreign investor‟s entitlement under the Treaty to its investment and returns and are an indivisible part of such entitlement. This is particularly true in respect of the foreign investor‟s differentiated entitlement under the Treaty to investment returns.“ 61 Generell hierzu Ripinsky/Williams, Damages in International Investment Law, passim. 62 von Walter, The Investor‟s Expectations in International Investment Arbitration, 173 (179). Vgl. hierzu auch oben § 8 I.
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rekten Enteignung in der Entscheidungspraxis der internationalen Investitionsschiedsgerichte brachte daher den Bedarf an neuen Unterscheidungskriterien mit sich, die es ermöglichen, das Vorliegen einer solchen indirekten Enteignung von der normalen regulierenden Tätigkeit des Gastgeberstaates abzugrenzen.63 Ein Konzept, auf welches sich die Schiedsgerichte in diesem Zusammenhang wiederholt gestützt haben, ist das der Vereitelung (frustration) der legitimen Erwartungen des Investors. 64 Zudem hat die Berücksichtigung legitimer Erwartungen bei indirekten Enteignungen in Investitionsschutzverträgen ihren Niederschlag gefunden.65
63
Generell hierzu Dolzer, Indirect Expropriations: New Developments?, 11 NYU Environmental Law Journal 2002, 64 ff.; Fortier/Drymer, Indirect Expropriation in the Law of International Investment: I know it when I See It, or Caveat Investor, 19 ICSID Review FILJ 2004, 293 ff.; Reisman/Sloane, Indirect Expropriation and its Valuation in the BIT Generation, 74 BYIL 2003, 115 ff.; Yannaca-Small, “Indirect Expropriation” and the “Right to Regulate in International Investment Law, Working Papers on International Investment, Number 2004/4, OECD 2004; Kunoy, Developments in Indirect Expropriation Case Law in ICSID Transnational Arbitration, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 467 ff.; Newcombe, The Boundaries of Regulatory Expropriation in International Law, 20 ICSID Review - FILJ 2005, 1 ff.; Paulsson, Indirect Expropriation: Is the Right to Regulate at Risk?, Transnational Dispute Management 2/2006; Heiskanen, The Doctrine of Indirect Expropriation in Light of the Practice of the Iran-United States Claims Tribunals, 8 Journal of World Investment and Trade 2007, 215 ff.; McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 8.71 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 6 ff. Hobér, Investment Arbitration in Eastern Europe, 215 ff. 64 von Walter, The Investor‟s Expectations in International Investment Arbitration, 173 (179); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 22 Rn. 22; kritisch zur Einbeziehung legitimer Erwartungen dagegen Nikièma, IISD Best Practices Indirect Expropriation (March 2012), 12, 20. Vgl. auch die Entscheidungen in den Fällen Metalclad v. Mexico, Award, 30.8.2000, Rn. 103 ff.; Goetz v. Burundi, Award, 10.2.1999, Rn. 124; Tecmed v. Mexico, Award, 29.5.2003, Rn. 122; RFCC v. Morocco, Award, 22.12.2003, Rn. 69; Eureko v. Poland, Partial Award, 19.8.2005, Rn. 242; Azurix v. Argentina, Award, 14.7.2006, 316 ff.; LG&E v Argentina, Decision on Liability, 3.10.2006, Rn. 190. Im letztgenannten Fall entschied das Schiedsgericht, dass es im Rahmen indirekter Enteignungen auf den Grad der Beeinträchtigung des Eigentumsrechts des Investors ankomme. Um das Ausmaß der Beeinträchtigung zu bestimmen, müssten die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Dauer der staatlichen Maßnahme analysiert werden, wobei sich die Folgenanalyse an der Beeinträchtigung der berechtigten Erwartungen des Investors zu orientieren habe. 65 So lautet Annex B 4 (a) des US-amerikanischen Model BIT (2004): „The determination of whether an action or series of actions by a Party, in a specific fact situation, const itutes an indirect expropriation, requires a case-by-case, fact-based inquiry that considers, among other factors: […] (ii) the extent to which the government action interferes with distinct, reasonable investment-backed expectations.“
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3. Der Schutz legitimer Investorenerwartungen (legitimate expectations) als Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment Schwerpunkt der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zum Schutz legitimer Erwartungen ist das Gebot des fair and equitable treatment. Im Verfahren Saluka v. Czech Republic66 hat sich Schiedsgericht mit dem Konzept der legitimen Erwartungen auseinandergesetzt und dieses als das „zentrale Element“ der Verpflichtung zu fair and equitable treatment bezeichnet.67 Die Bezugspunkte sowie die Gründe und Ursachen von Erwartungen ausländischer Investoren sind unterschiedlich. In ihrer allgemeinsten Form betreffen Erwartungen die Stabilität des rechtlichen Umfeldes der Investition, d.h. den die Investition betreffenden Rechtsrahmen der Investition im Gaststaat. Des Weiteren können Investorenerwartungen durch ein bestimmtes Verhalten des Gaststaates und seiner Verwaltung gegenüber dem Investor, in der Regel durch Äußerungen und Verlautbarungen, erzeugt werden. Am konkretesten sind die Erwartungen im Rahmen von Verträgen, welche der Gast-
66
Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award,17.3.2006. Ibid., Rn. 301-303: „301.[...], the „fair and equitable treatment‟ standard prescribed in the Treaty should therefore be understood to be treatment which, if not proactively stimulating the inflow of foreign investment capital, does at least not deter foreign capital by providing disincentives to foreign investors. An investor‟s decision to make an investment is based on an assessment of the state of the law and the totality of the business environment at the time of the investment as well as on the investor‟s expectation that the conduct of the host State subsequent to the investment will be fair and equitable. 302. The standard of ‘fair and equitable treatment’ is therefore closely tied to the notion of legitimate expectations which is the dominant element of that standard. By virtue of the „fair and equitable treatment‟ standard included in Article 3.1 the Czech Republic must therefore be regarded as having assumed an obligation to treat foreign investors so as to avoid the frustration of investors‟ legitimate and reasonable expectations. As the tribunal in Tecmed stated, the obligation to provide „fair and equitable treatment‟ means: „to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment.‟Also, in CME, the tribunal concluded that the Czech authority „breached its obligation of fair and equitable treatment by evisceration of the arrangements in reliance upon which the foreign investor was induced to invest.‟ The tribunal in Waste Management equally stated that: „In applying [the „fair and equitable treatment‟] standard it is relevant that the treatment is in breach of representations made by the host State which were reasonably relied on by the claimant.‟ 303. The expectations of foreign investors certainly include the observation by the host State of such well-established fundamental standards as good faith, due process, and nondiscrimination. And the tribunal in OEPC went even as far as stating that [t]he stability of the legal and business framework is thus an essential element of fair and equitable treatment.“ (Hervorh. d. Verf.) 67
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staat mit dem Investor abgeschlossen hat (sog. Investitionsverträge bzw. Investor-Staat-Verträge).68 a) Vertrauen auf die Beständigkeit des allgemeinen Rechtsrahmens der Investition (insbesondere der Rechtsordnung des Gaststaates) In ihrer allgemeinsten Form können sich Erwartungen auf die Stabilität der Gesetze bzw. des allgemeinen Rechtsrahmens der Investition im Gaststaat beziehen. Dabei bereitet vor allem die rechtliche Beurteilung von Fallgestaltungen Schwierigkeiten, in denen der Investor auf die Stabilität des Rechtsrahmens der Investition vertraut hat, ohne dass dieses Vertrauen auf ein b estimmtes Verhalten des Gaststaates, etwa auf Zusicherungen oder sonstiges konkludentes Verhalten, gestützt werden kann. Im Fall Occidental v. Ecuador69 ging es unter anderem um die nachträgliche Änderung von Mehrwertsteuergesetzen und die damit verbundene Gewährung und spätere Aufhebung von Steuererstattungsbescheiden, was sich nachteilig auf Steuererstattungsansprüche des Investors auswirkte. Unter Bezugnahme auf die Präambel des einschlägigen Investitionsschutzabkommens, welche die in BITs nicht seltene Formel enthielt‚ wonach das Abkommen u.a. in dem Bestreben geschlossen werde, für einen stabilen Rahmen für die Investition („maintain a stable framework for the investment“) zu sorgen, gelangte das Schiedsgericht zu der Auffassung, dass die Stabilität der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ein wichtiges Element des Gebots des fair and equitable treatment darstelle.70 Das Schiedsgericht befand, dass der Rahmen, innerhalb dessen die Investition getätigt wurde, aufgrund nachträglicher und für den Investor nachteiliger Änderungen des Mehrwertsteuerrechts durch den Gaststaat wesentlich verändert und damit das Gebot des fair and equitable treatment verletzt wurde. 71 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte das Schiedsgericht im Fall LG&E v. Argentina72. In diesem Fall investierten die Schiedskläger (LG&E), drei USamerikanische Unternehmen, in Gesellschaftsanteile in der argentinischen Gastransportindustrie zur Zeit der Privatisierung des Energiesektors durch die argentinische Regierung Anfang der 1990er Jahre. Unter den damaligen Privatisierungsgesetzen waren die Transporttarife in US-Dollar, ausgedrückt in 68
Vgl. hierzu oben § 2 II 5 und § 8 V. Occidental v. Ecuador, UNCITRAL, Final Award, 1.7.2004. 70 Ibid., Rn. 183: „The stability of the of the legal and business framework is thus an essential element of fair and equitable treatment.“ 71 Ibid., Rn. 184: „The Tribunal must note in this context that the framework under which the investment was made and operates has been changed in an important manner“; ibid., Rn. 187: „The Tribunal accordingly holds that the Respondent has breached its obligations to accord fair and equitable treatment […].“ 72 LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006. 69
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Pesos, zu berechnen zu dem im Zeitpunkt der Rechnungsstellung gültigen Umtauschkurs. Die Tarife sollten zudem periodisch an den „US Producer Price Index“ (PPI) angepasst werden. Die Streitigkeit entstand in der Folge einer Reihe von Maßnahmen, welche Argentinien als Reaktion auf seine Wirtschaftskrise in den Jahren 2000 bis 2002 ergriffen hatte. Hierzu gehörten unter anderem gesetzliche Maßnahmen, welche die Aufhebung der gesetzlich festgelegten PPI-Bindung, das Einfrieren von Tarifen sowie die Bezahlung in Pesos zu einem künstlichen Umtauschkurs zum Gegenstand hatten. Als Konsequenz dieser Maßnahmen verringerte sich der Gewinn der Unternehmen, an denen LG&E Anteile hielt, erheblich.73 Das Schiedsgericht sprach diesbezüglich in seiner Entscheidung von einer „völligen Demontage des für ausländische Investoren geschaffenen Rechtsrahmens“. 74 Es nahm eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment an und stellte nach einer Auseinandersetzung mit der vorangegangenen Rechtsprechung 75 fest, dass der Investor berechtigterweise Erwartungen auf einen stabilen Rechtsrahmen der Investition setzen könne. Diese für die meisten Argentinien-Fälle typische Fallgestaltung lag auch anderen Schiedsverfahren zugrunde. So stellte das Schiedsgericht im Fall CMS v. Argentina fest, dass die Verpflichtung zu fair and equitable treatment sicherstellen solle, dass der Investor ein stabiles und vorhersehbares Umfeld für seine Investition vorfinde.76 Das Schiedsgericht erkannte aber auch an, dass die Stabilität des rechtlichen Umfeldes der Investition nicht gleichzusetzen sei mit einer Versteinerung der Gesetzeslage. 77 Auch wenn das Schiedsgericht somit eine Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen prinzipiell für möglich hielt, nahm es im konkreten Fall dennoch einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment an, da die nachfolgende Notstandsgesetzgebung in direktem Widerspruch zu den zuvor per Gesetz verabschiedeten und an ausländische Investoren gerichteten Garantien stehe.78 Einen auf den ersten Blick entgegengesetzten Standpunkt nahm dagegen das Schiedsgericht im Fall Parkerings v. Lithuania79 ein, demzufolge das 73
Zum Sachverhalt ibid., Rn. 133. Ibid., Rn. 139: „[T]he Tribunal is of the opinion that Argentina went too far by completely dismantling the very legal framework constructed to attract investors.“ 75 Ibid., Rn. 127-130. 76 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Award, 12.5.2005, Rn. 274 f. 77 Ibid., Rn. 277. 78 Ibid., Rn. 275, 280. 79 Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 332 f.: „332. It is each State‟s undeniable right and privilege to exercise its sovereign legislative power. A State has the right to enact, modify or cancel a law at its own discretion. 74
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Risiko der Rechtsänderung grundsätzlich in jedem Staat existiere und daher auch von jedem Investor von vornherein zu berücksichtigen sei. Lägen keine ausdrücklichen Zusagen des Gastgeberstaates vor, so führe das Vertrauen des Investors nicht so weit, dass dem Gastgeberstaat nachträgliche, den Investor belastende Änderungen der Rechtslage verwehrt seien.80 Als einzige Einschränkung für die Regulierungsfreiheit des Gaststaates nannte das Schiedsgericht, dass sich das legislative Vorgehen des Gaststaates nicht als unfair und unvernünftig darstellen dürfe.81 Hintergrund der Entscheidung war ein Vertrag zwischen dem klagenden norwegischen Investor und der Stadt Vilnius über den Bau und den Betrieb eines großen Parkhauses. Durch nachträgliche Rechtsänderungen wurden Teile des Vertrags, welche das System zur Erhebung und Eintreibung von Parkgebühren durch den Investor und damit die wirtschaftliche Basis der Investition betrafen, rechtswidrig, woraufhin die Stadtverwaltung den Vertrag kündigte. Der Investor erhob daraufhin Schiedsklage vor einem ICSIDSchiedsgericht und trug u.a. vor, er habe auf den Fortbestand und die Stabilität der Rechtslage vertrauen dürfen. Das Schiedsgericht entschied jedoch, dass der Investor Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen mit einkalkulieren müsse und dass das Vertrauen des Investors nicht so weit gehe, dass dem Staat für den Investor nachteilige Rechtsänderungen verwehrt seien.82 Zuvor hatte das Schiedsgericht sich mit der Frage auseinandergesetzt, wann die Erwartungen des Investors als „legitim“ und somit als rechtlich schützenswert einzustufen sind. Dabei hob das Schiedsgericht vor allem darauf ab, ob dem Investor seitens des Gaststaates explizit oder implizit Versprechungen gemacht wurden, welche der Investor bei Tätigung seiner Investition berücksichtigt hat. Fehle es an solche Zusicherungen, so komme es zur Beurteilung der Legitimität der Erwartungen auf das Verhalten des Gaststaates im Zusammenhang mit der Investition, die politische Situation im Gast-
Save for the existence of an agreement, in the form of a stabilisation clause or otherwise, there is nothing objectionable about the amendment brought to the regulatory framework existing at the time an investor made its investment. As a matter of fact, any businessman or investor knows that laws will evolve over time. What is prohibited however is for a State to act unfairly, unreasonably or inequitably in the exercise of its legislative power. 333. In principle, an investor has a right to a certain stability and predictability of the legal environment of the investment The investor will have a right of protection of its legitimate expectations provided it exercised due diligence and that its legitimate expectations were reasonable in light of the circumstances. Consequently, an investor must anticipate that the circumstances could change, and thus structure its investment in order to adapt it to the potential changes of legal environment.“ 80 Ibid. 81 Ibid., Rn. 332 a.E. 82 Ibid.
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staat sowie die gebührende Sorgfalt (due diligence) des Investors an.83 Im konkreten Fall konnte das Schiedsgericht keine derartigen Versprechungen, wonach sich der Rechtsrahmen nicht ändern werde, feststellen. 84 Vielmehr habe der Investor ein Risiko auf sich genommen, als er trotz der prinzipiell möglichen Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen in Litauen investiert habe.85 Die Streitigkeit im Fall PSEG v. Turkey86 entstand aus einem Projekt zur Errichtung eines Kohlekraftwerkes, welches das US-amerikanische Unternehmen PSEG Global Inc und seine türkischen Partner in der türkischen Region Konya durchführen wollten. Nach einer anfänglich erteilten Genehmigung zu den Projektverträgen stellte sich heraus, dass die Kosten des Projekts erheblich höher sein würden als ursprünglich vom Investor angenommen. Daher reichte PSEG bei den staatlichen Behörden einen weiteren Plan zu Genehmigung ein, der unter anderem eine erhöhte Kapazität zur Stromerzeugung sowie erhöhte Stromtarife vorsah, was die staatliche Seite jedoch ablehnte. In der Entscheidung fand das Schiedsgericht, dass keine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment vorliege, da eine Verletzung berechtigter Investorenerwartungen nicht in Betracht komme. Der Projektvertrag, aus dem sich die berechtigten Erwartungen des Investors hätten ableiten können, enthalte gerade keine Verpflichtung der Verwaltung im Hinblick auf die weiteren, vom Investor nachträglich zur Genehmigung vorgelegten Punkte, weshalb die Ablehnung des Genehmigungsantrages keine Verletzung berechtigter Investorenerwartungen darstelle. 87
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Ibid., Rn. 331: „The expectation is legitimate if the investor received an explicit promise or guaranty from the host-State, or if implicitly, the host-State made assurances or representations that the investor took into account in making the investment. Finally, in the situation where the host-State made no assurance or representation, the circumstances surrounding the conclusion of the agreement are decisive to determine if the expectation of the investor was legitimate. In order to determine the legitimate expectation of an investor, it is also necessary to analyse the conduct of the State at the time of the investment.“ 84 Ibid., Rn. 334. 85 Ibid., Rn. 335. 86 PSEG v. Turkey, ICSID Case No. ARB/02/5, Award, 19.1.2007. 87 Ibid., Rn. 240 f.: „240. Recent awards have applied this standard to the assessment of rights affected by inconsistent State action, arbitrary modification of the regulatory framework or endless normative changes to the detriment of the investor‟s business and the need to secure a predictable and stable legal environment. This includes most significantly the issue of legitimate expectations which, as the Tribunal in Tecmed concluded, requires a treatment that does not „detract from the basic expectations on the basis of which the foreign investor decided to make the investment.‟ 241. Although the Claimants, as noted above, provide a long list of legitimate expectations that in their view have not been met, the Tribunal is not persuaded that all such complaints relate to legitimate expectations. Legitimate expectations by definition require a
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Das Schiedsgericht nahm zudem an anderer Stelle zur Frage der Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen der Investition Stellung. Demnach könne von einer solchen Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch deren Anwendung und Auslegung durch die staatlichen Behörden mehrfachen geändert werde, 88 was jedoch im zu entscheidenden Fall nicht angenommen wurde. Berücksichtigt man, dass in den Argentinien-Fällen spezifische gesetzliche, auf ausländische Investoren zugeschnittene Garantien vorgelegen hatten, so ist nachvollziehbar, dass in dieser Fallkonstellation auch ohne weitere Faktoren ein schutzwürdiges Vertrauen des Investors auf den Bestand des Gesetzeslage angenommen wurde. 89 Da ein solches vertrauensbegründendes Element in den üblichen Fallgestalltungen, wie etwa den beiden letztgenannten Fällen, gerade nicht vorlag, besteht im Ergebnis kein Widerspruch zwischen den beiden skizzierten Rechtsprechungslinien. Bloßes (subjektives) Vertrauen in eine stabile Gesetzeslage, ohne dass besondere vertrauensbegründende Umstände vorliegen, wird daher in der Regel nicht zu einem rechtlich schützenswerten Vertrauen unter dem Aspekt legitimer Erwartungen führen. b) Durch ausdrückliches oder konkludentes, formelles oder informelles Verhalten des Gaststaates gewecktes Vertrauen des Investors In den nachfolgenden Fällen gründete sich das Vertrauen des Investors darauf, dass der rechtliche Rahmen der Investition unverändert bleiben werde, auf ein vorangegangenes Verhalten der Behörden des Gaststaates. 90 Im Fall Metalclad v. Mexico91 stützten sich Erwartungen des Investors auf Äußerungen der Verwaltung des Gaststaates im Zusammenhang mit der Genehmigungserteilung für eine Mülldeponie.92 Obwohl dem Investor zuvor promise of the administration on which the Claimants rely to assert a right that needs to be observed. […].“ 88 Ibid., Rn. 254: „Stability cannot exist in a situation where the law kept changing continuously and endlessly, as did its interpretation and implementation.“ 89 Vertrauensbegründende Elemente für eine gleichbleibende Gesetzeslage können sich auch aus dem Vorliegen spezifischer Zusagen des Gaststaates oder aus Stabilisierungsklauseln in Investor-Staat-Verträgen ergeben. Da sich in diesen Fällen das Vertrauen auf die Beständigkeit des gaststaatlichen Rechtsrahmens nicht mehr auf rein subjektive Erwägungen des Investors, sondern auf ausdrückliche einseitige oder vertragliche Zusagen des Gaststaates stützt, handelt es sich hierbei um getrennt zu behandelnde Fallkonstellationen, vgl. hierzu unten b und c. 90 Vgl. zu dieser Unterfallgruppe auch Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 282 f. m.w.N. 91 Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1, Award, 30.8.2000. 92 Für eine kurze Sachverhaltsdarstellung ibid., Rn. 85 ff.
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seitens der Bundes- und Landesbehörden versichert worden war, dass die im Vorfeld eingeholten Genehmigungen für Bau und Betrieb der Anlage ausreichten,93 versagte ihm in der Folge die zuständige Stadtverwaltung die erforderliche Baugenehmigung. 94 Das Schiedsgericht befand, der Investor habe sich auf die staatlichen Zusicherungen verlassen können. 95 Nach Ansicht des Schiedsgerichts war die Verweigerung der Genehmigung durch die Stadtverwaltung unangemessen (improper) und führte zusammen mit weiteren prozessualen und materiellrechtlichen Mängeln der Genehmigungsverweigerung dazu, dass der Gaststaat seine aus dem Gebot des fair and equitable treatment entspringende Verpflichtung, dem Investor einen transparenten und stabilen Rahmen für seine Investition zu bieten, verletzt habe. 96 Der Fall Tecmed v. Mexiko97 betraf die Nichtverlängerung einer Betriebsgenehmigung eines ausländischen Investors für den Betrieb einer Müllentsorgungsanlage.98 Das Schiedsgericht kam zu dem Schluss, dass die Nichtverlängerung vor allem politischen Erwägungen geschuldet war, insbesondere da sich eine Bürgerbewegung gegen die Verlängerung der Genehmigung stark gemacht hatte. Das Schiedsgericht äußerte sich auch zu den Erwartungen des Investors und legte einen vergleichsweise strengen Maßstab an das Verhalten des Gaststaates.99 Dessen Verhalten müsse so beschaffen sein, dass die inves93
Ibid., Rn. 74 ff., insb. Rn. 85: „Metalclad was led to believe, and did believe, that the federal and state permits allowed for the construction and operation of the landfill.“ 94 Ibid., Rn. 87 ff. 95 Ibid., Rn. 89. 96 Ibid., Rn. 99: „Mexico failed to ensure a transparent and predictable framework for Metalclad‟s business planning and investment. The totality of these circumstances demonstrates a lack of orderly process and timely disposition in relation to an investor of a Party acting in the expectation that it would be treated fairly and justly in accordance with the NAFTA.“ 97 Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003. 98 Zum Sachverhalt, ibid., Rn. 35 ff. 99 Ibid., Rn. 154: „The Arbitral Tribunal considers that this provision of the Agreement, in light of the good faith principle established by international law, requires the Contracting Parties to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment. The foreign investor expects the host State to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any and all rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative practices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations. Any and all State actions conforming to such criteria should relate not only to the guidelines, directives or requirements issued, or the resolutions approved thereunder, but also to the goals underlying such regulations. The foreign investor also expects the host State to act consistently, i.e. without arbitrarily r evoking any preexisting decisions or permits issued by the State that were relied upon by the investor to assume its commitments as well as to plan and launch its commercial and
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titionsbezogenen Erwartungen des Investors nicht beeinträchtigt würden („treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment”100). Die Nichtverlängerung entspreche nicht diesem Standard, weshalb die legitimen Erwartungen des Investors nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, was eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment zur Folge habe.101 Obgleich diese Auffassung, insbesondere wegen der hohen Anforderungen an das Verhalten des Gastgeberstaates, in Wissenschaft und Praxis auf Kritik gestoßen ist,102 haben sich dem manche Schiedsgerichte angeschlossen. So stellte das Schiedsgericht im Fall MTD v. Chile103 fest, dass das Gebot des fair and equitable treatment ein widerspruchsfreies und konsistentes Verwaltungshandeln des Gaststaates erfordere. Im vorgenannten Fall wurde der ausländische Investor ermutigt, in die Errichtung einer Wohnsiedlung zu investieren. Das Investitionsprojekt und der Baustandort waren von der Kommission für ausländische Investitionen des Gaststaates genehmigt worden. Später stellte sich heraus, dass das Projekt gegen einen Flächennutzungsplan verstieß und aus diesem Grund nicht verwirklicht werden konnte. Nach Ansicht des Schiedsgerichts habe der Gaststaat gegen das Gebot des fair and equitable treatment verstoßen, indem dieser sich widersprüchlich gegenüber dem Investor verhalten habe. 104
business activities. The investor also expects the State to use the legal instruments that govern the actions of the investor or the investment in conformity with the function usually assigned to such instruments, and not to deprive the investor of its investment without the required compensation. In fact, failure by the host State to comply with such pattern of conduct with respect to the foreign investor or its investments affects the investor‟s ability to measure the treatment and protection awarded by the host State and to determine whether the actions of the host State conform to the fair and equitable treatment principle […].“ 100 Ibid., Rn. 154. 101 Ibid., Rn. 172, 174. 102 Vgl. etwa Douglas, Arbitration International 2006, 21 (22); Vgl. auch die Kritik des Schiedsgerichts im Fall MTD v. Republic of Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Decision on Annulment, 21 3.2007, Rn. 67: „[…] the TECMED Tribunal‟s apparent reliance on the foreign investor‟s expectations as the source of the host State‟s obligations (such as the obligation to compensate for expropriation) is questionable. The obligations of the host State towards foreign investors derive from the terms of the applicable investment treaty and not from any set of expectations investors may have or claim to have. A tribunal which sought to generate from such expectations a set of rights different from those contained in or enforceable under the BIL might well exceed its powers, and if the difference were material might do so manifestly.“ 103 MTD v. Republic of Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Award, 25.5.2004. 104 Ibid., Rn. 163, 165 f.
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Im Fall Thunderbird105, welcher eine Lizenz zum Betrieb von Spielautomaten betraf, die dem Investor durch die mexikanischen Behörden entzogen wurde, machte das Schiedsgericht generelle Ausführungen zu den Voraussetzungen legitimer Investorenerwartungen. Legitime Erwartungen lägen allgemein dann vor, wenn das vorherige Verhalten des Gaststaates auf Seiten des Investors vernünftige und vertretbare Erwartungen (reasonable and justifiable expectations) geweckt habe.106 Erklärungen des Gaststaates gegenüber dem Investor sind somit grundsätzlich geeignet, schützenswerte Erwartungen beim Investor entstehen zu lassen. Als Faustregel gilt: Je spezifischer und konkreter die staatliche Zusicherung ist, desto eher wird sich der Investor auf den Schutz seiner Erwartungen berufen können. 107 c) Durch vertragliche Zusicherungen gewecktes Vertrauen des Investors aa) Investor-Staat-Vertrag Eine besondere Fallkonstellation von auf staatlichem Verhalten gegründetem Vertrauen betrifft Fälle, in denen zwischen Staat und Investor eine vertragliche Vereinbarung, in der Regel in Form eines Investitionsvertrages (Investor Staat-Vertrag), existiert.108 In einem solchen Vertrag werden die gegenseiti105
International Thunderbird Gaming Corporation v. Mexico, UNCITRAL (NAFTA), Award, 26.1.2006. 106 Ibid., Rn. 147: „Having considered recent investment case law and the good faith principle of international customary law, the concept of „legitimate expectations‟ relates, within the context of the NAFTA framework, to a situation where a Contracting Party‟s conduct creates reasonable and justifiable expectations on the part of an investor (or i nvestment) to act in reliance on said conduct, such that a failure by the NAFTA Party to honour those expectations could cause the investor (or investment) to suffer damages.“ Das Schiedsgericht nahm mehrheitlich keine Verletzung des Schutzstandards an, da der Investor keine vollständigen Angaben in seinem Antrag auf Lizenzgewährung gemacht habe und darüber hinaus aufgrund der Rechtswidrigkeit des Glücksspiels nach mexikanischem Recht mit einem Lizenzentzug rechnen musste, ibid., Rn. 152 ff. Demgegenüber nahm Schiedsrichter Wälde in seiner dissenting opinion an, dass mögliche Ungenauigkeiten oder Zweideutigkeiten in Verlautbarungen des Gaststaates zu dessen Lasten gingen und letzterer eine Pflicht habe, derartige selbstverschuldete Missverständnisse gegenüber dem Investor aufzuklären, vgl. Wälde, Separate Opinion, Thunderbird v. Mexico, Award, 26.1.2006, Rn. 95 ff. Allerdings bedeute dies nicht, dass die Erwartungen des Investors sich auf eine versteinerte Gesetzeslage beziehen könnten. Der Staat könne durchaus den Rechtsrahmen ändern, sofern eine vernünftige Abwägung zwischen den Interessen des Investors und den Regulierungsinteressen des Staates erfolge, ibid., Rn. 102. 107 Vgl. hierzu etwa die Entscheidung im Fall Total S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/01, Decision on Liability, 27.10.2010, Rn. 121: „[T]he more specific the declaration to the addressee(s), the more credible the claim that such an addressee (the foreign investor concerned) was entitled to rely on it for the future […].“ 108 Zum Investor-Staat-Vertrag vgl. oben § 2 II 5.
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gen Erwartungen der Parteien in Form gegenseitiger Rechte und Pflichten niedergelegt. Es liegt daher der Gedanke nahe, diese vertraglichen Zusicherungen über die Fallgruppe der legitimen Erwartungen dem Gebot des fair and equitable treatment und somit dem investitionsrechtlichen Schutzregime zu unterstellen. 109 Ob und unter welchen Umständen dies der Fall ist, wird in der Schiedspraxis unterschiedlich beurteilt. Im Fall Eureko v. Poland ging es um einen Aktienkaufvertrag zwischen dem Investor und dem Finanzministerium des Gaststaates, worin dem niederländischen Investor u.a. ein Vorkaufsrecht auf zusätzliche Aktien bis zur Erreichung des Mehrheitsanteils eingeräumt wurde. Aufgrund von Änderungen in der nationalen Privatisierungspolitik wurde der im Kaufvertrag festgelegte Zeitplan zum Erwerb weiterer Aktienanteile erheblich verzögert und der Verkauf fand letztlich überhaupt nicht statt. 110 Das Schiedsgericht nahm einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment an, weil der Gaststaat gegen seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem Aktienkaufvertrag verstoßen habe. Hierdurch habe der Gaststaat die grundlegenden Erwartungen (basic expectations) des Investors, wie sie in den Bestimmungen des Kaufvertrages zum Ausdruck kämen, enttäuscht. 111 Im Fall CME v. Czech Republic 112 klagte der Investor wegen Eingriffen einer staatlichen Regulierungsbehörde in seine vertraglich gewährten Rechte. Das Schiedsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass der Gastgeberstaat hierdurch seine Verpflichtung zu fair and equitable treatment verletzt habe, insbesondere durch Aushöhlung der vertraglichen Vereinbarungen, auf welche sich der Investor verlassen und aufgrund derer er investiert habe.113 Das Schiedsgericht im Fall Mondev114 stellte fest, dass es mit dem Gebot des fair and equitable treatment nicht vereinbar sei, ein staatliches Vorrecht 109
Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 140; Tams, in: Ehlers et al. (Hrsg.), Rechtsfragen Internationaler Investitionen, 81 (90). 110 Zum Sachverhalt vgl. Eureko B.V. v. Poland, Partial Award, 19.8.2005, Rn. 34 ff. 111 Eureko B.V. v. Poland, Partial Award, 19.8.2005, Rn. 232. Das Schiedsgericht stellte dabei alleine auf das vertragliche Recht des Investors unter dem Kaufvertrag ab, nicht jedoch auf die Behandlung des bereits im Eigentum des Investors befindlichen Aktiena nteils. 112 CME Czech Republic B.V. v. Czech Republic, UNCITRAL, Partial Award, 13.9.2001. 113 Ibid., Rn. 611: „The Media Council‟s intentional undermining of the Claimant‟s investment in ÈNTS equally is a breach of the obligation of fair and equitable treatment. The Respondent‟s position that the Media Council also required other broadcasters in the same way to revise the structure of the 1993 split legal arrangements between licence-holder and service provider is irrelevant. [...]. The Media Council breached its obligation of fair and equitable treatment by evisceration of the arrangements in reliance upon which the foreign investor was induced to invest.“ (Hervorh. d. Verf.) 114 Mondev v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2000.
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anzunehmen, welches es dem Gaststaat gestatte, gegen Investitionsverträge zu verstoßen.115 116 Demgegenüber haben andere Schiedsgerichte einen zurückhaltenderen Standpunkt zum Verhältnis zwischen einer Vertragsverletzung und der Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment eingenommen. So nahm das Schiedsgericht im Fall Waste Management117 trotz festgestellter Nichterfüllung des Konzessionsvertrages seitens der Stadt Acapulco keinen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment an.118 Die Stadt, deren finanzielle Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach Ansicht des Schiedsgerichts durch die mexikanische Finanzkrise erheblich beeinträchtigt gewesen seien, habe sich zumindest bemüht, ihre vertraglichen Zahlungsverpflichtungen einzuhalten und diese nicht mutwillig unterlassen. 119 Nach dieser Auffassung besteht, anders als dies etwa das Schiedsgericht im zuvor erwähnten Fall Eureko v. Poland angenommen hatte, keine über die legitimen Investorenerwartungen hergestellte unmittelbare Verknüpfung zwischen einem Verstoß gegen den Investor-Staat-Vertrag und dem Gebot des fair and equitable treatment unter dem Investitionsschutzabkommen dergestalt, dass eine Vertragsverletzung zwangsläufig zu einer Verletzung des Abkommens führen muss. Das Schiedsgericht verwies zudem auf den Unterschied zwischen privatrechtlichen und völkerrechtlichen Ansprüchen bzw. Anspruchsgrundlagen indem es betonte, es sei nicht die Aufgabe von Investitionsschiedsgerichten, über privatvertragliche Streitigkeiten zu entscheiden. 120 115
Ibid., Rn. 134: „[A] governmental prerogative to violate investment contracts would appear to be inconsistent with the principles embodied in Article 1105 and with contemp orary standards of national and international law concerning governmental liability for contractual performance.“ 116 Für einen ähnlichen Standpunkt vgl. auch die Entscheidungen in den folgenden Fällen: Noble Ventures v. Romania, ICSID Case No. ARB/01/11, Final Award, 12.10.2005, Rn. 182; SGS v. Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Decision on Jurisdiction, 29.1.2004, Rn. 162. 117 Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004. 118 Ibid., Rn. 108 ff. 119 Ibid., Rn. 111. 120 Ibid., Rn. 114: „The Tribunal does not suggest that financial stringency or public resistance are, as such, excuses for breaches of contractual commitments on the part of a municipality. But NAFTA Chapter 11 is not a forum for the resolution of contractual disputes, and as investment tribunals have repeatedly said, “Investment Treaties are not insurance policies against bad business judgments“. The question is whether, having regard to the conduct of the parties concerned and the general circumstances, losses were caused to Waste Management by the City in circumstances amounting to a breach of the minimum standard of treatment embodied in Article 1105, a standard which the Tribunal has summarised in paragraph 98 above.“ Ähnlich die Auffassung des Schiedsgerichts im Fall Parkerings v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 344: „[N]ot every
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Das Schiedsgericht im Fall Glamis Gold v. United States schloss sich dieser etwas strengeren Linie an, indem es feststellte, dass die Nichterfüllung vertraglich begründeter Erwartungen nicht ausreiche, um eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment zu begründen.121 In der Schiedspraxis ist somit noch nicht abschließend geklärt, ob eine Vertragsverletzung stets oder nur in besonders qualifizierten Fällen eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment darstellt.122 Insgesamt scheint die Auffassung, wonach nicht jeder Vertragsverstoß automatisch eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment zur Folge hat, sondern besondere Umstände hinzutreten müssen, sich im Vordringen zu befinden.123 Zur Frage jedoch, worin dieses qualifizierende Element, welches die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot des fair and equitable treatment rechtfertigt, bestehen soll, werden in der Schiedspraxis unterschiedliche Auffassungen vertreten. Eine Auffassung stellt darauf ab, ob die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. 124 Eine weitere Ansicht sieht einen qualifizierten Verstoß dann als gegeben an, wenn der Staat in Ausübung seiner hoheitlichen Befugnisse (acta iure imperii, souvereign capacity, puissance publique) gegen den Vertrag verstoßen habe. 125 Zudem wurde vertreten, nur eine Verletzung des Vertrages in Kombination mit einer Rechtsverweigerung oder einer Diskriminierung rechtfertige die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot des fair and equitable treat-
hope amounts to an expectation under international law […] contracts involve intrinsic expectations from each party that do not amount to expectations as understood in international law.“ 121 Glamis Gold Ltd. v. United States of America, UNCITRAL (NAFTA), Final Award, 8.6.2009, Rn. 620: „The Tribunal notes Respondent‟s argument that even those expectations that manifest in a contract are insufficient to provide a basis for a breach of the mi nimum standard of treatment. The Tribunal agrees that mere contract breach, without something further such as denial of justice or discrimination, normally will not suffice to esta blish a breach of Article 1105. Merely not living up to expectations cannot be sufficient to find a breach of Article 1105 of the NAFTA.“ 122 Vgl. zum Streitstand auch Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 141 f. m.w.N. 123 In diesem Sinne auch Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions with other Standards, 63 (93): „It is unlikely that a view will prevail that sees each and every violation of a contract as a breach of the FET standard.“ 124 Vgl. etwa Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 315 f.; Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004, Rn. 115. 125 RFCC v. Morocco, Award, 22.12.2003, Rn. 33 f. („souvereign capacity“); Impregilo v. Pakistan, ICSID Case No. ARB/03/3, Decision on Jurisdiction, 22.4.2005, Rn. 266 ff. („puissance publique“).
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ment.126 Weiterhin wurde vorgebracht, ein hinreichend schwerer Verstoß liege bei einer offenen und ungerechtfertigten Erfüllungsverweigerung oder einseitigen Kündigung des Vertrages vor (outright and unjustified repudiation of the transaction).127 Insgesamt zeigt somit die Rechtsprechung der Schiedsgerichte zur Frage des Verhältnisses von Vertragsverletzung und legitimen Investorenerwartungen kein einheitliches Bild. Im Ergebnis ist der Auffassung, wonach eine Vertragsverletzung zwar einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment darstellen kann, dies aber nicht zwangsläufig der Fall sein muss, der Vorzug gegenüber anderen Auffassungen zu geben. Für diese restriktivere Haltung lassen sich zunächst systematisch-teleologische Argumente anführen. So spricht die Tatsache, dass die Vertragsstaaten neben dem Gebot des fair and equitable treatment in das Abkommen eine umbrella clause aufgenommen haben, 128 gegen eine Auslegung, welche der umbrella clause ihre eigenständige Bedeutung nehmen und diese letztlich überflüssig machen würde. 129 Gewichtiger erscheinen indes grammatische Argumente, die in Literatur und Schiedspraxis bislang nur unzureichend berücksichtigt wurden: Ein Rechtssatz, welcher die Verpflichtung zum Inhalt hat, einen Investor „fair und angemessen“ bzw. „fair and equitable“ zu behandeln, ist nicht deckungsgleich mit einer Verpflichtung des Inhalts „pacta sunt servanda“. Es handelt sich somit bereits um zwei unterschiedliche Obersätze, deren Bedeutung trotz möglicher Schnittmengen nicht identisch ist: Die Verpflichtung, einen Vertrag zu erfüllen, ist nicht deckungsgleich mit der Verpflichtung, einen Investor fair und angemessen zu behandeln. Zwar mag es nicht wenige Fälle geben, in denen die Nichterfüllung vertraglicher Pflichten sich gleichzeitig als unfaire bzw. unangemessene Behandlung des Vertragspartners darstellt. Dies 126
Glamis Gold Ltd. v. United States of America, UNCITRAL (NAFTA), Final Award, 8.6.2009, Rn. 620. 127 Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004, Rn. 115: „For present purposes it is sufficient to say that even the persistent non-payment of debts by a municipality is not to be equated with a violation of Article 1105, provided that it does not amount to an outright and unjustified repudiation of the transaction and provided that some remedy is open to the creditor to address the problem.“ 128 Zur umbrella clause vgl. oben § 2 III und § 8 V. 129 In diesem Sinne Tams, in: Ehlers et al. (Hrsg.), Rechtsfragen Internationaler Investitionen, 81 (90), der zudem das Argument der möglichen Überlastung der Schiedsgerichte aufgrund der Befassung mit jeder noch so kleinen Vertragsstreitigkeit anführt. Vgl. auch Schreuer, Fair and equitable treatment: Interactions with other Standards, 63 (90): „[A]n interpretation that gives the FET standard the meaning of an umbrella clause is inherently implausible. It cannot be assumed that the umbrella adds nothing to the FET standard.“ Zum Verhältnis des Gebots des fair and equitable treatment zur umbrella clause vgl. oben § 8 V.
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ist jedoch eine Frage des Einzelfalls und kann nicht generell angenommen werden. So sind Fallgestaltungen denkbar, in denen der Investitionsvertrag nicht erfüllt wurde, diese Nichterfüllung sich bei wertender Gesamtbetrachtung jedoch weder als „unfair“ noch als „ungerecht“ bzw. „unangemessen“ darstellt. Ein Beispiel hierfür bildet der bereits erwähnte Fall Waste Management130: In diesem Fall nahm das Schiedsgericht trotz Nichterfüllung des Konzessionsvertrages im Umfeld einer staatlichen Finanzkrise keine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment an. Die staatliche Finanzkrise, d.h. die allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche zur Nichterfüllung des Konzessionsvertrages geführt hatte, dürfte in den wenigsten Privatrechtsordnungen für die Annahme eines Rücktritts- bzw. Leistungsbefreiungsgrundes131 genügen, weshalb regelmäßig von einer Verletzung des Vertrages und somit des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ auszugehen ist. Betrachtet man dagegen denselben Sachverhalt unter der Norm „(un)fair and (in)equitable“, so führt derselbe Sachverhalt (Finanzkrise, Zahlungsbemühungen des staatlichen Schuldners) bei wertender Gesamtbetrachtung zu dem zumindest vertretbaren Ergebnis, dass zwar eine Vertragsverletzung vorliegt, diese sich unter den Umständen des Einzelfalls aber nicht notwendigerweise als unfaire Behandlung des privaten Gläubigers darstellt. Die Entscheidung, ob eine Vertragsverletzung sich als „unfair and inequitable“ darstellt, erfordert somit eine Wertentscheidung, der eine abwägende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls, in die auch die Gründe und Umstände der Vertragsverletzung mit einfließen, zugrunde zu legen ist. Insofern sind die von der Rechtsprechung entwickelten unterschiedlichen Kriterien zur Bestimmung einer qualifizierten Vertragsverletzung lediglich als mögliche Indizien bzw. als Argumente zu verstehen, welche im Rahmen dieser Gesamtabwägung von Belang sein können. Bedenken bestehen hierbei allerdings gegen das in Teilen der Rechtsprechung entwickelte Kriterium des hoheitlichen Handelns (in Abgrenzung zu acta iure gestionis), da nicht ersichtlich ist, weshalb lediglich Vertragsverletzungen eines hoheitlich handelnden Staates sich als „unfair and inequitable“ darstellen können. 132 Für eine diesbezügliche Wertentscheidung erscheint dieses Kriterium mithin als untauglich. Zum Kriterium des diskriminierenden Verhaltens des Gaststaates als qualifizierenden Umstand im Rahmen einer Vertragsverletzung ist anzumerken, 130
Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004. 131 Vgl. hierzu rechtsvergleichend Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 516 ff. 132 Ein anderer, hiervon zu trennender Aspekt betrifft die Frage der Zurechnung. Generell hierzu etwa Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 195 ff.
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dass diskriminierendes Verhalten bereits für sich genommen einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment darstellt,133 ohne dass es hierfür des Umwegs über die Fallgruppe der berechtigten Investorenerwartungen auf der Basis eines Investitionsvertrages bedarf. bb) Stabilisierungsklauseln Einen Sonderfall vertraglicher Zusicherungen des Gaststaates gegenüber dem Investor im Rahmen von Investor-Staat-Verträgen betrifft die Vereinbarung von Stabilisierungsklauseln, durch welche die Rechtslage des Gaststaates zugunsten des Investors „eingefroren“ werden soll, um letzteren vor nachträglichen Rechtsänderungen zu schützen. 134 Für derartige Fälle, in denen das Vertrauen des Investors auf die Fortgeltung des Rechtsrahmens der Investition nicht lediglich im subjektiven Bereich existiert, 135 sondern sich auf spezifische Zusicherungen des Gaststaates stützen kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Erwartungen des Investors geschützt sind. 136 d) Berechtigte Erwartungen und tatsächliche Rahmenbedingungen im Gaststaat Eine besondere Problematik im Zusammenhang mit dem Schutz legitimer Investorenerwartungen betrifft die Frage, ob und inwiefern die tatsächlichen Verhältnisse im Gaststaat bei der Beurteilung legitimer Investorenerwartungen zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen neben den rechtlichen auch die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Gaststaat. So erscheint die von den tatsächlichen Gegebenheiten im jeweiligen Gaststaat losgelöste, abstrakte Formulierung von Erwartungen, welche der Investor legitimerweise gegenüber dem Gaststaat hegen darf und wie sie etwa durch das Schiedsgericht im zuvor erwähnten Fall Tecmed formuliert wur-
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Vgl. oben § 8 III. Vgl. oben § 2 II 5 b. 135 Vgl. zu dieser Fallkonstellation oben aa. 136 Vgl. Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007, Rn. 334; EDF v. Romania, Award, ICSID Case No. ARB/05/13, Award, 8.10.2009, Rn. 218; Glamis Gold Ltd. v. United States of America, UNCITRAL (NAFTA), Final Award, 8.6.2009, Rn. 766 f.; Impregilo S.p.A. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/07/17 , Award, 21.6.2011, Rn. 290; Total S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/01, Decision on Liability, 27.10.2010, Rn. 117: „The expectation of the investor is undoubtedly „legitimate‟, and hence subject to protection under the fair and equitable treatment clause, if the host State has explicitly assumed a specific legal obligation for the future, such as by contracts, concessions or stabilisation clauses on which the investor is therefore entitled to rely as a matter of law.“ 134
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den137, problematisch. Durch derartige Ansprüche an die öffentliche Verwaltung des Gaststaates ohne Berücksichtigung der konkreten Situation im Gaststaat bei Tätigung der Investition könnten manche Gaststaaten in unverhältnismäßiger Weise überfordert und die Lasten und Risiken einseitig zuungunsten des Gaststaates verschoben werden, wohingegen der Investor von seinen Investitionsrisiken entlastet würde. Würde man den Schutz legitimer Erwartungen völlig von den tatsächlichen Gegebenheiten abkoppeln, so käme der hierdurch vermittelte Schutz einer Investitionsgarantie gleich, ohne dabei die Risikoposition des Investors angemessen zu berücksichtigen. Daher sollte die Lage vor Ort, welche dem Investor bei Tätigung der Investition bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, bei der Berufung auf den Schutz legitimer Investorenerwartungen nicht gänzlich ignoriert werden.138 Andererseits wird man bei der Frage, welche Faktoren bei der Bildung legitimer Erwartungen des Investors von Relevanz sind, nicht ausschließlich auf die politisch-rechtliche Realität im Gastgeberstaat abstellen können. Ansonsten würden die zugunsten des Investors eingegangenen völkerrechtlichen Bindungen in Teilen entwertet. So sollte es dem Gastgeberstaat beispielsweise verwehrt bleiben, durch den bloßen Verweis auf herrschende Mißstände, etwa in Form schlechter Verwaltung, mangelnder Rechtsstaatlichkeit oder gar (völker)rechtswidriger Handlungen und Zustände, die Berufung des Investors auf seine legitimen Erwartungen zu unterlaufen.139 Vorzugswürdig ist daher eine abwägende Betrachtung, die – wie allgemein bei der Beurteilung legitimer Erwartungen – unter anderem darauf abstellt, wie konkret das vertrauensbegründende Verhalten des Gaststaates war: Je konkreter die Zusagen des Gaststaates, destoweniger sollten die tatsächlichen 137
Tecmed v. United Mexican States, Award, 29.5.2003, Rn. 154: „[T]he foreign investor expects the host State to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative practices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations.“ 138 Letztlich ist der berechnete oder erwartete Gewinn oftmals u.a. auch die Folge einer Risikokalkulation bzw. des Risikos, welches der Investor einzugehen bereit ist. Je höher das Risiko, desto höher der Gewinn. Zwar betrifft dies nicht allein das politisch-rechtliche Risiko, sondern vor allem auch wirtschaftliche Gesichtspunkte. Dennoch wird ein Investor nicht ohne weiteres behaupten können, er habe in vollem Vertrauen auf die Stabilität der gaststaatlichen Gesetze investiert, wenn die politisch-rechtliche Realität im Gaststaat bei Tätigung der Investition anders aussah. Wenn dem Investor dagegen Zusagen des Gaststaates vorlagen, so rückt die politisch-rechtliche Situation zunehmend in den Hintergrund. 139 Zur Frage der rechtlichen Behandlung der Korruption in internationalen Investitionsfällen vgl. etwa Raeschke-Kessler, Corruption in Foreign Investment – Contracts and Dispute Settlement between Investors, States, and Agents, 9 Journal of World Investment and Trade 2008, 5 ff.
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Gegebenheiten im Gaststaat bei der Beurteilung des schützenswerten Vertrauens des Investors ins Gewicht fallen.140 3. Zusammenfassung Der Schutz legitimer Investorenerwartungen stellt – trotz einer Reihe verbleibender Fragen und Widersprüchlichkeiten in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte – die vergleichsweise am stärksten ausdifferenzierte Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment dar. Was im Einzelfall legitim ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die sinnvollerweise in eine wertende Gesamtabwägung zwischen den Grundpositionen des Vertrauensschutzes des Investors und des Regulierungsinteresses des Gaststaates eingestellt werden.141 Ein besonders wichtiges Kriterium stellt die Existenz (möglichst konkreter) Zusagen des Gaststaates dar. 142 Dabei gilt 140 Vgl. hierzu die Entscheidung National Grid v. Argentina, UNCITRAL, Award, 3.11.2008, Rn. 180, in welcher das Schiedsgericht eine differenzierte Auffassung zum Einfluss der wirtschaftlicher Gegebenheiten auf das vom Gebot des fair and equitable treatment geforderte Schutzniveau vertritt: „What is fair and equitable is not an absolute parameter. What would be unfair and inequitable in normal circumstances may not be so in a situation of an economic and social crisis.“ Vgl. auch die Entscheidung im Fall Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 304, worin das Schiedsgericht zu dem Schluss gelangt, dass ein Schutz der Investorenerwartungen zunächst voraussetze, dass letztere sich unter den konkreten Umständen als legitim und vernünftig darstellten: „This Tribunal would observe, however, that while it subscribes to the general thrust of these and similar statements, it may be that, if their terms were to be taken too literally, they would impose upon host States obligations which would be inappropriate and unrealistic. Moreover, the scope of the Treaty‟s protection of foreign inves tment against unfair and inequitable treatment cannot exclusively be determined by foreign investors‟ subjective motivations and considerations. Their expectations, in order for them to be protected, must rise to the level of legitimacy and reasonableness in light of the circumstances.“ 141 In diesem Sinne auch die Entscheidung im Fall Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 305: „The determination of a breach of [the fair and equitable treatment standard] therefore requires a weighing of the Claimant‟s legi timate and reasonable expectations on the one hand and the Respondent‟s legitimate regulatory interests on the other.“ 142 Als weiteres Kriterium neben dem Bestehen und der Form einer staatlichen Zusicherung wird in der jüngeren Rechtsprechung auch die Zielsetzung der staatlichen Regulierung, durch welche die staatliche Rechtslage nachträglich abgeändert wird, diskutiert, vgl. etwa Merrill&Ring Forestry v. Canada, Award, 31.3.2010, Rn. 233. Das Kriterium kann einerseits dazu dienen, den Investor, der über keine Zusicherungen verfügt, vor völlig unverhältnismäßigen Abänderungen der Rechtslage, mit denen er nicht rechnen musste, zu schützen. Umgekehrt könnte das Kriteriun möglicherweise aber auch herangezogen werden, um eine Abweichung zu rechtfertigen. Dasselbe Ergebnis ließe sich indes auch über eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung erzielen, in deren Rahmen die Frage des Regelungszweckes der staatlichen Regelung berücksichtigt werden kann.
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grundsätzlich: Je spezifischer die Weckung von Erwartungen des Investors an stabile Rahmenbedingungen durch den Gastgeberstaat ist, sei dies durch allgemeine Investitionsgesetze oder im Wege konkreter, gegebenenfalls vertraglicher Zusagen, umso schützenswerter sind die Erwartungen des Investors und desto schwieriger wird es für den Gaststaat sein, die Rahmenbedingungen der Investition nachträglich einseitig zu ändern. 143 Die Legitimität der Erwartungen ausländischer Investoren wird somit in erheblichem Maß durch das Bestehen und die Art staatlicher Zusagen mitbestimmt. So wird es für den regulierenden Gastgeberstaat einfacher sein, von Erwartungen des Investors abzuweichen, wenn diese sich lediglich im subjektiven Bereich des Investors bewegen, etwa wenn der Investor sich auf seine eigene Einschätzung der künftigen Investitionspolitik des Gastgeberstaates verlässt. Hingegen dürften bei konkreten Zusagen des Gastgeberstaates gegenüber dem Investor, die Erwartungen des Investors, keinen nachträglichen Änderungen des rechtlichen Investitionsrahmens ausgesetzt zu werden, stärker ins Gewicht fallen.144 Verletzungen eines Investor-Staat-Vertrages durch den Gaststaat können die legitimen Erwartungen des Investors beeinträchtigen und somit einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment darstellen. Dies ist aber nicht zwangsläufig der Fall. Die Entscheidung, ob eine Vertragsverletzung sich als „unfair and inequitable“ darstellt, erfordert eine Wertentscheidung, die – wie allgemein bei der Prüfung legitimer Erwartungen – eine abwägende Gesamtbetrachtung erfordert, in deren Rahmen die besonderen Aspekte des Einzelfalls, insbesondere die Gründe und die Begleitumstände der Vertragsverletzung, Berücksichtigung finden sollten. Dabei können im Einzelfall auch rechtsvergleichende Erkenntnisse zum Schutz legitimer Erwartungen in unterschiedlichen Rechtsordnungen hilfrei143 Vgl. Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 119 (136 f.). 144 Schwierig bleibt unter anderem die Beurteilung von Fallgestaltungen, die sich zwischen den zwei Polen der expliziten Zusicherung durch den Gaststaat einerseits und der rein subjektiven Vorstellung des Investors andererseits bewegen. So wird der private Investor nicht selten eine Investition vornehmen, deren Rentabilitätseinschätzung auf der Basis der rechtlichen Rahmenbedingungen im Zeitpunkt der Tätigung der Investition vorgenommen wurde. Auch wenn in einem solchen Fall keine expliziten Zusagen seitens des Gastgeberstaates getätigt wurden, so wird der Investor dennoch auf eine Beibehaltung der Rahmenbedingen vertrauen, wenn auch für den Gastgeberstaat objektiv erkennbar war, dass die Investition, welche dem Gastgeberstaat zugute kommt, nur unter den gegebenen Bedingungen erfolgreich sein konnte und auch nur unter der Voraussetzung stabiler Ra hmenbedingungen getätigt werden sollte. Wann eine solche objektive Erkennbarkeit – die an die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage im nationalen Recht erinnert – im Einzelfall vorliegt, ist jedoch abstrakt schwer zu bestimmen und hängt stark von den Umstä nden des Einzelfalls ab.
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che Hinweise liefern, wie (und mit welcher Begründung) diese Abwägung für verschiedene Sachverhaltskonstellationen bereits entschieden wurde. Schließlich sollte bei aller Bemühung um Typisierung und Kategorisierung nicht übersehen werden, dass es sich bei den einzelnen, in diesem Abschnitt behandelten Unterfallgruppen des Schutzes legitimer Erwartungen lediglich um Arbeitshilfen für die Praxis zur leichteren Handhabung der Generalklausel des fair and equitable tretament handelt. Ob im Einzelfall ein berechtigtes Investoreninteresse vorliegt oder nicht, kann letztlich nur im Wege einer einzelfallbezogenen Betrachtung unter Abwägung der schützenswerten Belange des Investors sowie des Gaststaates entschieden werden. 145 III. Verfahrensrechte Neben materiellrechtlichen Gewährleistungen umfasst das Gebot des fair and equitable treatment nach Ansicht einiger Schiedsgerichte auch die Gewährung prozessualer Rechte.146 So betrifft eine weitere Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment den Anspruch des Investors auf Beachtung von Verfahrensrechten durch den Gaststaat. Dieser Anspruch des Investors umfasst die Gewährleistung eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens, vor allem in nationalen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, welche im Zusammenhang mit der Investition stehen. 147 Diese Fallgruppe wird zum Teil positiv als Gebot des fairen Verfahrens (fair procedure bzw. due process) umschrieben, zum Teil negativ als Verbot der Rechtsverweigerung (denial of justice) bezeichnet.148 Dabei existiert in 145
Zur Abwägung unter Berücksichtigung dieser Grundpositionen vgl. unten § 11 III. Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004, Rn. 102; Azinian v Mexico, Award, 1.11.1999, Rn. 102 f.; Mondev v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2000, Rn. 126 f.; Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003, Rn. 129, 153; Petrobart v. The Kyrgyz Republic, Award, 29.5.2005; International Thunderbird Gaming Corp. v. Mexico, 26.1.2006, Rn. 197 ff.; Jan de Nul N.V. and Dredging International N.V. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008, Rn. 187 f., 195 ff.; Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomunikasyon Hizmetleri A.S. v, Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008, Rn. 609 ff.; Waguih Elie George Siag and Clorinda Vecchi v. The Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/05/15, Award, 1.6.2009, Rn. 451 ff.; Toto Costruzioni Generali S.p.A. v. The Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB/07/12, Decision on Jurisdiction, 11.9.2009, Rn. 139 ff.; GEA Group v. Ukraine, ICSID Case No. ARB/08/16, Award, 31.3.2011, Rn. 311 f.; White Industries v. India, Final Award, 30.11.2011, Rn. 10.4.8 ff. 147 Vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 142: „Fair procedure is an elementary requirement of the rule of law and a vital element of FET. […] This duty may be violated not only by the courts but also through legislative or executive action.“ 148 UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 80 f.; Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, 340 ff. Vgl. auch Newcombe/Paradell, Law and Practice of 146
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
den Entscheidungen einiger Investitionsschiedsgerichte offenbar eine vom fremdenrechtlichen Mindeststandard inspirierte Auffassung, welche das Gebot des fair and equitable treatment als Fehlen von Rechtsverweigerung (denial of justice)149 oder ähnlich gravierender Verletzungen rechtsstaatlicher (Verfahrens-)Garantien begreift. Hierbei richtet sich der Schutzstandard grundsätzlich gegen Verletzungshandlungen durch alle drei staatlichen Gewalten. 150 Die meisten Fälle betreffen jedoch Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. 151 Weitere Aspekte innerhalb dieser Fallgruppe, welche in der Rechtsprechung wiederholt aufgegriffen wurden, betrafen die Gewährung eines fairen (Verwaltungs- oder Gerichts-)Verfahrens (fair trial), die Rechtsweggewährung (refusal of access to justice and refusal of courts to decide), die VerweiInvestment Treaties, 240, die den Mangel an „fair procedure“ und „due process“ als Unterfälle des bzw. Gründe für einen „denial of justice“ ansehen: „Denial of justice can therefore arise from procedural irregularities in judicial proceedings, such as undue delays, lack of due process, failure to provide a fair hearing or the non-execution of a judgment. This is sometimes referred to as procedural denial of justice.“ Teilweise wird „denial of justice“ allein auf die Judikative bezogen, wohingegen das Erfordernis des „fair procedure“ auf alle drei Gewalten bezogen wird, vgl. Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 142. Zum Teil wird auch auf die großen inhaltlichen Gemeinsamkeiten von Konzepten wie „denial of justice“ und „due process“ hingewiesen und auf eine genauere Abgrenzung der Konzepte verzichtet, vgl. Waguih Elie George Siag and Clorinda Vecchi v. The Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/05/15, Award, 1.6.2009, Rn. 452: „The concepts of „due process‟ and „denial of justice‟ are closely linked. A failure to allow a party due process will often result in a denial of justice.“ 149 Vgl. Focarelli, Denial of Justice in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 2. Für einen Definitionsversuch im Rahmen eines Investitionsschiedsverfahren vgl. etwa Azinian v Mexico, Award, 1.11.1999, Rn. 102 f.: „A denial of justice could be pleaded if the relevant courts refuse to entertain a suit, if they subject it to undue delay, or if they administer justice in a seriously inadequate way. […] There is a fourth type of denial of justice, namely the clear and malicious misapplication of the law.“ Zur historischen Entwicklung des denial of justice sowie des Inhalt im Völkergewohnheitsrecht vgl. Paulsson, Denial of Justice, 10 ff.; Focarelli, Denial of Justice in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 4 ff. 150 Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 142. Eine Unterscheidung dahingehend, dass denial of justice nur Verfehlungen im nationalen Gerichtssystem, due process oder fair procedure hingegen auch andere Bereiche wie etwa das Verwaltungsverfahren umfasst, hat sich in der Praxis des Investitionsrechts nicht etabliert. Zwar mag denial of justice traditionell dem Gerichtsverfahren zugerechnet worden sein; nichtsdestotrotz wenden die Investitionsschiedsgerichte die verfahrensrechtlichen Garantien des Gebots des fair and equitable treatment auch auf das Verwaltungshandeln des Gaststaates an, weshalb die vorgenannte Abgrenzung für das Investitionsrecht von untergeordneter Bedeutung ist. Vgl. hierzu auch Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomunikasyon Hizmetleri A.S. v. Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008, Rn. 623: „Courts are not the only State organs the conduct of which can amount to a denial of justice. Administrative organs can also engage the State‟s international responsibility by denying justice.“ 151 Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 143 f.
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gerung der Vollstreckung von ergangenen Schiedssprüchen und Urteilen (failure to execute final judgments and arbitral awards) sowie Korruption (corruption) sowie die Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren (courts’ subservience to executive interference). Im Folgenden wird nach einem kurzen rechtsvergleichenden Überblick zum Begriff des fairen Verfahrens (1.) die hierzu ergangene Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte näher analysiert (2.). Ein besonderes Augenmerk soll auf die Erschöpfung des innerstaatlichen staatlichen Rechtsweges als Voraussetzung für die Annahme einer Rechtsverweigerung gelegt werden (3.), bevor eine Zusammenfassung diesen Abschnitt beschließt (4.). 1. Begriff des fairen Verfahrens Der Rechtsgrundsatz des fairen Verfahrens ist in verschiedenen Rechtsordnungen des Common Law und des Civil Law verankert. Im deutschen Recht etwa ist dieser Rechtsgrundsatz als allgemeines Prozessgrundrecht anerkannt und wird aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet.152 Im Common Law ist der Grundsatz des fairen Verfahrens ebenso seit längerer Zeit fest verwurzelt. 153 Der Grundsatz ist ebenso im europäischen Unionsrecht verankert.154 Darüber hinaus findet die Garantie des fairen Verfahrens in Art. 6 EMRK als wesentliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips Ausdruck.155 Mit dem negativen Begriff der Rechtsverweigerung bzw. des denial of justice wird im Kern die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs bzw. von Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte angesehen, oftmals verursacht durch ein
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BVerfG NJW 2003, 2225. Vgl. hierzu auch Zuck, Die Konkurrenz von Verfahrensgrundrechten, in: Blaurock et al. (Hrsg.), Festschrift Krämer, 84 ff. Zur Verfahrensgerechtigkeit aus rechtsphilosophischer Sicht Zippelius, Rechtsphilosophie, 206 f., 243 ff. 153 Vgl. Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 317 ff.; Zuckerman, Civil Procedure, 51 ff.; Galligan, Due Process and Fair Procedures, 165: „Notions of due process and procedural fairness have a long and interesting history in the English common law. Some are able to trace an unbroken line through the passages of English history to Magna Carta itself […] it is not long after Magna Carta that the expression due process of law begins to appear in statutes and judicial decisions and, from then on, the notions of both substantive and procedural due process are constant themes in the development of the common law.“ Zum Verhältnis von „fair procedures“ und „fair treatment“ vgl. Galligan, ibid., 330 ff. Für den Bereich des US-amerikanischen Rechts vgl. Wassermann, Procedural Due Process, passim. 154 Ausführlich hierzu Schwarze, European Administrative Law, Kap. 7. 155 Vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, Rn. 2. Dem Art. 6 EMRK vergleichbare Garantien finden sich im Recht der Europäischen Union sowie in den Verfassung der Mitgliedstaaten, Grabenwarter, ibid., Rn. 3.
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
nicht funktionierendes oder nicht existierendes rechtsstaatliches Justizsystem.156 Die Verpflichtung des Gaststaates, einem Ausländer ausreichenden Rechtsschutz zu gewähren, war bereits Gegenstand des fremdenrechtlichen Mindeststandards.157 Explizit erwähnt wird diese Unterfallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment etwa in Art. 5 Abs. 2 (a) des US Model BIT (2004).158 2. Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte Im Fall Petrobart Limited v. The Kyrgyz Republic159 hatte der Schiedskläger vor einem Gericht des Gaststaates ein Zahlungsurteil gegen seinen Vertragspartner, die staatliche Ölfördergesellschaft KGM, erwirkt. Beim Versuch, das Urteil zu vollstrecken, intervenierte die Regierung des Gaststaates, woraufhin das zuständige kyrgysische Gericht die Vollstreckung für drei Monate unterbrach. Während dieser Zeitspanne wurde KGM aufgrund eines Regierungsbeschlusses umstrukturiert, wobei ein Großteil des Vermögens auf andere staatliche Unternehmen transferiert wurde. Als Konsequenz musste KGM Insolvenz anmelden. Die Vollstreckungsbemühungen durch den Schiedskläger blieben erfolglos. Aufgrund der Einflussnahme der Exekutive in das Vollstreckungsverfahren, welche den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprochen habe, nahm das Schiedsgericht eine Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment an.160 Eine ähnliche Konstellation betraf den Fall Siag161. In diesem Fall weigerte sich der Gaststaat, gegen ihn ergangene Urteile der gaststaatlichen Gerichte zu erfüllen. Das Schiedsgericht nahm auch hier einen Verstoß gegen die verfahrensrechtliche Komponente des Gebots des fair and equitable treatment an. 156 Vgl. Focarelli, Denial of Justice, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 1: „Denial of justice is traditionally defined as any gross miscarriage of justice by domestic courts resulting from the ill-functioning of the State‟s judicial system. It may thus arise, broadly speaking, out of acts of the judiciary as well as of acts of the executive and the legislature affecting the administration of justice.“ Zur historischen Entwicklung des denial of justice sowie zu dessen Inhalt im Völkergewohnheitsrecht vgl. Paulsson, Denial of Justice, 10 ff.; Focarelli, Denial of Justice in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 4 ff. 157 Hierzu oben § 6 II. 158 Art. 5 Abs. 2(a) US Model BIT (2004) lautet: „ (a) „fair and equitable treatment‟ includes the obligation not to deny justice in criminal, civil, or administrative adjudicatory proceedings in accordance with the principle of due process embodied in the principal legal systems of the world.“ 159 Petrobart v. The Kyrgyz Republic, Award, 29.5.2005. 160 Ibid., Rn. 76 f. 161 Waguih Elie George Siag and Clorinda Vecchi v. The Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/05/15, Award, 1.6.2009, Rn. 451 ff.
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Im Fall Metalclad162 führte ebenfalls eine Verletzung prozessualer Rechte zu einer Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment. So nahm das Schiedsgericht wegen der Nichtanhörung des Investors durch die Behörden des Gaststaates vor Erlass eines Ablehnungsbescheides eine Verletzung der in Art. 1105 Abs. 1 NAFTA enthaltenen Verpflichtung zu fair and equitable treatment an.163 Die Frage des rechtlichen Gehörs spielte auch im Fall Rumeli164 im Rahmen der Erörterungen zum Gebot des fair and equitable treatment eine wichtige Rolle. Der Kläger trug hierzu vor, er sei zu einem Gerichtstermin nicht ordnungsgemäß geladen worden. Dem Schiedsgericht lagen jedoch nach eigener Einschätzung nicht genügend Beweise vor, so dass es in diesem Punkt keine Verletzung des Schiedsklägers annahm. 165 Im Fall Thunderbird166 zog das Schiedsgericht „the standards of due process and procedural fairness applicable to administrative officials“ 167 als Kriterien zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment heran. Die Umstände des Falls, wonach dem Kläger die Möglichkeit rechtlichen Gehörs gewährt worden sei und dieser hiervon Gebrauch gemacht habe, die ausreichende Begründung der Verwaltungsanordnung sowie die Abwägung der vom Kläger vorgebrachten Argumente sprachen nach Ansicht des Schiedsgerichts dafür, dass kein „lack of due process“ und somit keine Ver168 letzung des Gebots des fair and equitable treatment vorgelegen habe. 162
Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA), Award, 30.8.2000. Ibid., Rn. 91: „Moreover, the permit was denied at a meeting of the Municipal Town Council of which Metalclad received no notice, to which it received no invitation, and at which it was given no opportunity to appear.“ 164 Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomunikasyon Hizmetleri A.S. v, Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008. 165 Ibid., 657. 166 International Thunderbird Gaming Corporation v. Mexico, UNCITRAL (NAFTA), Arbitral Award, 26.1.2006. 167 Ibid., Rn. 200. Vgl. auch die Entscheidung des Schiedsgerichts im Fall S.D. Myers v. Canada, Partial Award, 13.11.2000, Rn. 134, wonach das Gebot des fair and equitable treatment „the international law requirements of due process“ mitumfasst. 168 Ibid., Rn. 197 f.: „As to the alleged failure to provide due process (constituting an administrative denial of justice) and the alleged manifest arbitrariness in administration (constituting proof of an abuse of right) in the SEGOB proceedings, the Tribunal cannot find sufficient evidence on the record establishing that the SEGOB proceedings were arbitrary or unfair, let alone so manifestly arbitrary or unfair as to violate the minimum standard of treatment. In particular, the Tribunal notes that Thunderbird was given a full opportunity to be heard and to present evidence at the Administrative Hearing, and that it made use of this opportunity. The Tribunal does not find anything reproachable about the Administrative Order. The 31-page document appears, in the Tribunal‟s view, to be adequately detailed and reasoned; it reviews the evidence presented by Thunderbird at the hearing; and dis163
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
Der Fall Genin169 betraf den Entzug einer Banklizenz. 170 Das Schiedsgericht unterstrich, dass das der Verwaltungsentscheidung vorangegangene Verfahren dem Erfordernis des “due process” entsprechen müsse. 171 Das Schiedsgericht bejahte dies im vorliegenden Fall und konnte somit keine Rechtsverweigerung feststellen, weshalb es einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment verneinte. Auch im Fall Waste Management v. Mexico172 nahm das Schiedsgericht eine Definition des Gebots des fair and equitable treatment vor, die sich zu einem erheblichen Teil auf den Aspekt des due process stützte.173 Im Fall Jan de Nul174 beschäftige sich das Schiedsgericht im Rahmen der Prüfung des Gebots des fair and equitable treatment u.a. mit der Frage der Rechtsverweigerung (procedural denial of justice) aufgrund der Dauer eines staatlichen Gerichtsverfahrens. 175 Zwar bemängelte das Schiedsgericht die Verfahrensdauer von zehn Jahren, nahm jedoch aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Streitsache sowie angesichts der aktiven Mitwirkung der staatlichen Streitpartei am Verfahren keine Rechtsverweigerung an. 176
cusses at length the legal grounds on which SEGOB based its determination that the EDM machines were prohibited gambling equipment (see Exh. R-93).“ 169 Genin v. Estonia, ICSID Case No. ARB/99/2, Award, 25.6.2001. 170 Ibid., Rn. 43-61. 171 Ibid., Rn. 357: „It is quite obvious that the Banking Supervision Department had good reason to be critical of various aspects of EIB‟s business and operations. It was perfectly justified to request the information which it sought. The question the Tribunal must answer, however, is whether the central bank afforded Claimants due process in the proc edure leading to the revocation of EIB‟s license. Not without some hesitation, we conclude that the actions of the Bank of Estonia did not amount to a denial of justice.“ 172 Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Award, 30.4.2004. 173 Ibid., Rn. 98: „[T]he minimum standard of treatment of fair and equitable treatment is infringed by conduct attributable to the State and harmful to the claimant if the conduct […] involves a lack of due process leading to an outcome which offends judicial propriety – as might be the case with a manifest failure of natural justice in judicial proceedings or a complete lack of transparency and candour in an administrative process.“ 174 Jan de Nul N.V. and Dredging International N.V. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008. 175 Ibid., Rn. 202 ff. 176 Ibid., Rn. 204: „[T]here is no doubt that ten years to obtain a first instance judgment is a long period of time. However, the Tribunal is mindful that the issues were complex and highly technical, that two cases were involved, that the parties were especially productive in terms of submissions and filed extensive expert reports. For these reasons, it concludes that, while the duration of the proceedings leading to the Ismaïlia Judgment is certainly unsatisfactory in terms of efficient administration of justice, it does not rise to the level of a denial of justice.“
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Im Fall Toto Costruzioni177 war ebenfalls die Verfahrensdauer Gegenstand der Prüfung einer möglichen Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment. Als relevante Prüfungsmaßstäbe zog das Schiedsgericht die Komplexität des Falles, dessen Eilbedürftigkeit sowie die angewandte Sorgfalt des Klägers bei der Klageverfolgung heran.178 Zudem berücksichtigte das Schiedsgericht die gesellschaftlich-politische Situation im Gaststaat während des Verfahrens.179 Einen ähnlichen Prüfungsmaßstab legte das Schiedsgericht im Fall White Industries180 an, indem es zur Beurteilung einer Verfahrenszögerung unter dem Gesichtspunkt des denial of justice auf die Komplexität des Verfahrens, das Verhalten des Streitparteien und des Gerichts sowie auf die Bedeutung des Streitsache abstellte.181 Im Ergebnis lehnte das Schiedsgericht einen Verstoß ab. Neben dieser verfahrensrechtlichen Dimension haben sich manche Schiedsgerichte unter dem Aspekt der materiellrechtlichen Rechtsverweigerung (“substantive denial of justice”) mit der inhaltlichen Dimension von in Gaststaaten ergangenen Entscheidungen befasst. So forderte das Schiedsgericht für die Annahme eines derartigen Verstoßes, dass es sich um einen Fall offensichtlicher und böswilliger bzw. vorsätzlicher Fehlanwendung des nationalen Rechts handeln müsse („clear and malicious misapplication of the law“). 182 Der Fall Mondev183 betraf angebliches Fehlverhalten der Justizbehörden des US-Bundesstaats Massachusetts und der Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit einem städtischen Sanierungsprojekt in Boston. Bei der Auslegung von Art. 1105 Abs. 1 NAFTA wählte das Schiedsgericht die ELSI-Entscheidung des IGH als Ausgangspunkt seiner Erwägungen und stellte den Gedanken des „due process of law“ in den Mittelpunkt seiner Konkretisie177
Toto Costruzioni Generali S.p.A. v. The Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB/07/12, Decision on Jurisdiction, 11.9.2009. 178 Ibid., Rn. 163: „In fact, whether justice is rendered within a reasonable delay depends on the circumstances and the context of the case. Each lawsuit must be analyzed individually with regard to: the complexity of the matter; the need for celerity of decision; the diligence of claimant in prosecuting its case.“ 179 Ibid., Rn. 165. 180 White Industries v. India, Final Award, 30.11.2011. 181 Ibid., Rn. 10.4.10: „International tribunals have identified various factors which are relevant to the determination of whether delays in judicial proceedings amount to a denial of justice. These include the complexity of the proceedings, the need for swiftness, the behaviour of the litigants involved, the significance of the interest at stake and the behaviour of the courts themselves.“ 182 Azinian v Mexico, Award, 1.11.1999, Rn. 103: „There is a fourth type of denial of justice, namely the clear and malicious misapplication of the law.“ 183 Mondev v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2000.
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
rungsbemühungen hinsichtlich des Gebots des fair and equitable treatment. Eine Verletzung dieses Schutzstandards liege vor, wenn die angegriffene Entscheidung „clearly improper and discreditable“ sei. 184 Der Loewen-Fall185 betraf die Ordnungsgemäßheit eines Prozesses gegen einen kanadischen Unternehmer vor den State Courts des US-Bundesstaates Mississippi.186 Das Schiedsgericht bezog sich bei seinen Erwägungen zu Art. 1105 Abs. 1 NAFTA auf die vorangegangene Entscheidung im Fall Mondev und das darin aufgestellte Kriterium, wonach die angegriffene Entscheidung für die Annahme einer Verletzung „clearly improper and discreditable“ sein müsse. Bei der Beurteilung, wann ein gerichtliches Urteil gegen das Gebot des fair and equitable treatment verstoße, komme es zudem darauf an, ob das angegriffene Gerichtsurteil eine Diskriminierung des ausländischen Klägers darstelle,187 was das Schiedsgericht im zu entscheidenden Fall sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch hinsichtlich des Urteils als gegeben ansah.188 Das Schiedsgericht im Fall Jan de Nul übernahm ebenfalls das im Fall Mondev aufgestellte Kriterium, wonach für einen materiellrechtlichen denial of justice die betreffende Entscheidung „clearly improper and discredible“ sein müsse.189 Im Fall Rumeli befand das Schiedsgericht, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch inhaltliche Fehler einer Entscheidung zu einer (materiellrechtlichen) Rechtsversagung führen können: “[T]he substance of a decision 184
Ibid., Rn. 127: „In the ELSI case, a Chamber of the Court described as arbitrary conduct that which displays „a willful disregard of due process of law,…which shocks, or at least surprises, a sense of judicial propriety‟ […] The Tribunal would stress that the word „surprises‟ does not occur in isolation. The test is not whether a particular result is surprising, but whether the shock or surprise occasioned to an impartial tribunal leads, on reflection, to justified concerns as to the judicial propriety of the outcome…In the end the question is whether, at an international level and having regard to generally accepted standards of the administration of justice, a tribunal can conclude in the light of all available facts that the impugned decision was clearly improper and discreditable, with the result that the investment has been subjected to unfair and inequitable treatment. This is admittedly a somewhat open-ended standard, but it may be that in practice no more precise formula can be offered to cover the range of possibilities.“ 185 Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003. 186 Ibid., Rn. 3-8. 187 Ibid., Rn. 135: „A decision which is in breach of municipal law and is discriminatory against the foreign litigant amounts to manifest injustice according to international law.“ 188 Ibid., Rn. 137: „[…] the whole trial and its resultant verdict were clearly improper and discreditable and cannot be squared with minimum standards of international law and fair and equitable treatment.“ 189 Jan de Nul N.V. and Dredging International N.V. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008, Rn. 207.
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may be relevant in the sense that a breach of the standard can also be found when the decision is so patently arbitrary, unjust or idiosyncratic that it d emonstrates bad faith.”190 Insgesamt haben die vorgenannten Schiedsgerichte bei der Annahme einer materiellrechtlichen Rechtsverweigerung Zurückhaltung an den Tag gelegt. So hat mit Ausnahme der Entscheidung im Fall Loewen bislang kein Schiedsgericht einen solchen Verstoß angenommen. 3. Rechtswegerschöpfung (exhaustion of local remedies) Die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges stellt, anders als etwa im Fremdenrecht,191 grundsätzlich keine Voraussetzung für die Einleitung eines Investitionsschiedsverfahrens dar.192 Dennoch wurde in der Investitionsrechtsprechung zum Teil vertreten, die Annahme einer Rechtsweigerung setze zunächst die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges voraus. So meinte das Schiedsgericht im Fall Loewen: „No instance has been drawn to our attention in which an international tribunal has held a State responsible for a breach of international law constituted by a lower court decision when there was available an effective and adequate appeal within the State‟s legal system.” 193 Die Entscheidung im Fall Loewen wurde kontrovers diskutiert und insbesondere dafür kritisiert, dass das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung, welches im internationalen Investitionsrecht – von manchen Ausnahmen abgesehen – gerade keine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Investor-Staat-Schiedsklage darstellt, gleichsam durch die Hintertür als Tatbestandsvoraussetzung eines denial of justice und somit als Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment wieder eingeführt werde.194 Des Weiteren wird kritisiert, dass nach der im Fall Loewen vertretenen Auffas-
190
Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomunikasyon Hizmetleri A.S. v, Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008, Rn. 653. 191 Vgl. Focarelli, Denial of Justice, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 29 f.; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 241. Vgl. hierzu § 3 und § 6. 192 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 26 S. 1 ICSID-Konvention sowie Art. 1121 NAFTA. Zur hiermit verbundenen „waiver“-Problematik Paulsson, Denial of Justice, 103 ff. Zur Notwendigkeit der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges im Rahmen des diplomatischen Schutzes vgl. oben § 3 I 2 b. 193 Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003, Rn. 154. 194 Vgl. Paulsson, Denial of Justice, 108; Wallace, Fair and equitable treatment and Denial of Justice: Loewen v. US and Chattin v. Mexico, in: Weiler (Hrsg.), International Investment Law and Arbitration, 669 (671 ff.).
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
sung lediglich letztinstanzliche Entscheidungen ein völkerrechtliches Delikt darstellen könnten. 195 Unabhängig davon, ob man der Entscheidung im Fall Loewen folgt oder nicht, erscheint es grundsätzlich vorzugswürdig, zwischen der Rechtswegerschöpfung als Zulässigkeitsvoraussetzung und der Rechtswegerschöpfung als Tatbestandsvoraussetzung einer Rechtsverweigerung konzeptionell zu unterscheiden. So wird – je nach Formulierung der Streitbeilegungsklausel im jeweils einschlägigen Investitionsschutzabkommen – in der Mehrzahl der Fälle eine Rechtswegerschöpfung anders als im Fremdenrecht keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Investor-Staat-Schiedsklage darstellen. Demgegenüber kann die Rechtswegerschöpfung als Tatbestandsvoraussetzung einer behaupteten Rechtsverweigerung Rahmen der Prüfung der Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment von Bedeutung sein.196 Dies widerspricht auch nicht der Intention des internationalen Investitionsrechts, fremdenrechtliche Defizite zu überwinden, da es sich bei der Rechtsverweigerung um eine Frage der Begründetheit handelt, die von den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Investor-Staat-Schiedsklage zu trennen ist.197
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Vgl. hierz Paulsson, Denial of Justice, 108, der als mögliche Rechtfertigung für diese Auffassung anführt, dass jeder Staat über einen weiten Ermessensspielraum darüber verfüge, wie er sein Rechtssystem ausgestalte. Sehe der Staat ein hierarchisches Berufungssystem vor, so könne man daher (eher) in Kauf nehmen, dass es in der ersten Instanz auch einmal zu Fehlentscheidungen komme, die jedoch in der höheren Ebene korrigiert würden, ohne dass die erstinstanzliche Entscheidung bereits als eine Form der Rechtsverweigerung (denial of justice) zu werten sei. 196 Dabei gilt jedoch, dass ein aussichtsloser Rechtsweg nicht beschritten werden muss, vgl. etwa Focarelli, Denial of Justice, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 29. Nach Paulsson ist dies dann der Fall, wenn keine vernünftige Aussicht auf einen effektiven Rechtsweg („no reasonable possibility of an effective remedy“) besteht, Paulsson, Denial of Justice, 100, 118. Vgl. hierzu auch Pantechniki v. The Republic of Albania, ICSID Case No. ARB/07/21, Award, 30.7.2009, Rn. 96: „Denial of justice does not arise until a reasonable opportunity to correct aberrant judicial conduct has been given to the system as a whole. This does not mean that remedies must be pursued beyond a point of reasonableness.“ 197 In diesem Sinne auch Paulsson, Denial of Justice, 107 f. („Exhaustion as a substantive requirement of denial of justice“). Vgl. ebenso die Entscheidungen Jan de Nul N.V. and Dredging International N.V. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008, Rn. 255 ff.; Toto Costruzioni Generali S.p.A. v. The Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB/07/12, Decision on Jurisdiction, 11.9.2009, Rn. 164: „[A] state can only be held liable for denial of justice when it has not remedied this denial domestically.“ Zu den Defiziten der klassischen Formen der Streitbeilegung vgl. oben § 3 I.
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4. Zusammenfassung Das Gebot des fair and equitable treatment verleiht dem ausländischen Investor auch Verfahrensrechte. Der Investor hat einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren unabhängig von der Art des Verfahrens als Zivil-, Strafoder Verwaltungs(gerichts)verfahren. Dabei kann die staatliche Verpflichtung gegenüber dem Investor je nach Verfahrensart differieren, auch wenn sich in der Rechtsprechung hierzu noch keine genaueren Voraussetzungen herausgebildet haben. Verletzungshandlungen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden sind dem Gaststaat nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit zuzurechnen. 198 Die bei weitem größte Zahl an Entscheidungen zu dieser Fallgruppe betraf Verletzungen des rechtlichen Gehörs in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Hierzu gehört auch das Recht des Investors, über wesentliche Aspekte des Verfahrens unterrichtet zu werden. Entscheidungen sind zudem zu begründen. In seltenen Fällen sind die Schiedsgerichte über den verfahrensrechtlichen Rahmen dieses Schutzstandards (procedural denial of justice) hinausgegangen und haben eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt einer materiellrechtlichen Rechtsverweigerung (substantive denial of justice) vorgenommen.199 Obwohl die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges regelmäßig keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Einleitung eines Investitionsschiedsverfahrens darstellt, halten manche Schiedsgerichte die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs für die Annahme einer Rechtsweigerung im Rahmen der Begründetheit für erforderlich. Den Anspruch des Investors auf Verfahrensgerechtigkeit umfassend und abschließend zu beschreiben ist kaum möglich. Dies hängt zum einen mit der inhaltlichen Weite und Unbestimmtheit dieses Anspruchs zusammen. Zum anderen ist trotz aller Bemühungen die Dichte an Entscheidungen in dieser noch jungen Rechtsprechung zu gering, um von einer Bedeutungsklärung für die Praxis zu sprechen. Genauere Kriterien, wann ein das Gebot des fair and equitable treatment verletzender Verfahrensverstoß anzunehmen ist, hat die bisherige Rechtsprechung noch nicht hervorgebracht. Generell scheinen die Schiedsgerichte jedoch eine relativ hohe Hürde für die Verletzung dieses Anspruchs auf Verfahrensgerechtigkeit anzunehmen. Nicht jeder Verfahrensverstoß führt daher zu einer Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment; einen solchen haben die Schiedsgerichte in der Regel nur bei ver198
Paulsson, Denial of Justice, 91. Kritisch hierzu Paulsson, Denial of Justice, 81 ff., 200, der die Kategorie der materiellrechtlichen Rechtsverweigerung für überflüssig hält, da es sich hierbei um eine Form des „procedural denial of justice“ handle, da der Gaststaat in derartigen Fällen kein den Anforderungen genügendes Gerichtssystem zur Verfügung gestellt habe („violation of the state‟s duty to establish and maintain a decent system of justice“). 199
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hältnismäßig schweren Verstößen angenommen. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Annahme einer materiellrechtlichen Rechtsverweigerung. Dies überrascht nicht, da die Investitionsschiedsgerichte es verständlicherweise vermeiden, die Rolle einer Superrevisionsinstanz für sämtliche in nationalen Verfahren ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen einzunehmen. IV. Transparenzgebot Im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment haben manche Schiedsgerichte auf den Gesichtspunkt der Transparenz Bezug genommen.200 Dabei wurde das Transparenzgebot auch im Zusammenhang bzw. als Teilaspekt anderer Fallgruppen, insbesondere des Schutzes legitimer Erwartungen und der Verfahrensgerechtigkeit, erörtert.201 1. Begriff Das Erfordernis der Transparenz taucht in zunehmendem Maße an verschiedenen Stellen in nationalen, europäischen und internationalrechtlichen Zusammenhängen auf, ohne dass dessen Inhalt einfach auf einen einheitlichen Nenner zu bringen wäre. 202 200
Tecmed v. Mexico, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003, Rn. 154; Occidental v. Ecuador, UNCITRAL, Final Award, 1.7.2004, Rn. 183 ff.; Champion Trading v. Egypt, ICSID Case No. ARB/02/9, Award, 27.10.2006, 157 ff.; Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1, Award, 30.8.2000, Rn. 99 f.; Paushok, Golden East, Vostokneftegaz v. Mongolia, UNCITRAL, Award, 28.4.2011, Rn. 304. Vgl. auch Schill, Fair and equitable treatment, the Rule of Law and Comparative Public Law, in: ders. (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 151 (168 f.); Kotera, Regulatory Transparency, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook on International Investment Law, 617 (628 ff.). 201 Vgl. z.B. den Schiedsspruch im Fall Tecmed, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003, Rn. 154, in dem das Gebot der Transparenz im Zusammenhang mit dem Schutz legitimer Erwartungen erörtert wurde: „The Arbitral Tribunal considers that this provision of the Agreement, in light of the good faith principle established by international law, requires the Contracting Parties to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment. The foreign investor expects the host State to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any and all rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative practices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations.“ Eine Erörterung des Transparenzgebots als Teilsaspekt der Fallgruppen des fairen Verfahrens oder des Schutzes legitimer Erwartungen wäre daher gleichmaßen vertretbar. 202 Vgl. Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, 2 ff.; Gröschner, 63 VVDStRL 2004, 344 ff.; Masing, 63 VVDStRL 2004, 377 ff.; Hilpold, EuR 1999, 597 ff.; Tomkins, Transparency and the Emergence of a European Administrative Law, Yearbook of Euro-
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Im europäischen Primär- und Sekundärrecht spielen Transparenzgebote zunehmend eine Rolle. 203 Auch das Wirtschaftsvölkerrecht enthält an verschiedenen Stellen Bezüge zum Transparenzerfordernis. 204 Dies gilt auch für einige wenige Investitionsschutzabkommen, in denen explizit auf das Transparenzgebot Bezug genommen wird.205 Transparenz ist zunächst als Anforderung an das Rechtssystem des Gaststaates zu verstehen, die Vorhersehbarkeit und Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen sicherzustellen. 206 Dabei ergeben sich Berührungen mit den Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung. 207 So trägt es zur Orientierungsgewissheit und somit zur Rechtssicherheit bei, wenn nicht nur die einzelnen Normen möglichst verständlich formuliert sind, sondern auch die gesamte Rechtsordnung übersichtlich und somit transparent gestaltet ist.208 Hierzu gehört etwa, dass die rechtlichen Grundlagen staatlichen Handelns sowie die zugehörigen Verfahrensweisen verständlich, zugänglich und nachvollziehbar sind.209 pean Law 1999, 217 ff.; Craig, EU Administrative Law, 356 ff.; Broberg, Access to documents: A general principle of Community law? European Law Review 2002, 194 ff.; Weiler, 42 Columbia Journal of Transnational Law 2003, 35 ff.; Nowak, Informations- und Dokumentenzugangsfreiheit in der EU – Neuere Entwicklungen und Perspektiven, DVBl 2004, 272 ff.; UNCTAD, Transparency (2004), 18 ff.; Kotera, Regulatory Transparency, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook on International Investment Law, 617 ff.; Zoellner, Das Transparenzprinzip im internationalen Wirtschaftsrecht, passim. 203 Vgl. Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, 319 ff. m.w.N. 204 Zoellner, Das Transparenzprinzip im internationalen Wirtschaftsrecht, passim; Göttsche, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 7 Rn. 49 ff.; Hilpold, EuR 1999, 597 ff.; Kotera, Regulatory Transparency, 619 ff. m.w.N. 205 Vgl. hierzu m.w.N. UNCTAD, Transparency (2004), 12 ff.; Kotera, Regulatory Transparency, 625 ff. In diesen Bestimmungen wird der Gaststaat in der Regel aufgefordert, investitionsrelevante Gesetzestexte und Verfahrensweisen offenzulegen. Vgl. z.B. im US Model BIT (2004) die Artikel 10 („Publication of Laws and Decisions Respecting Investment“) und 11 („Transparency“). 206 Bezogen auf das Verhältnis zwischen Staat und Investor soll durch das Transparenzgebot die Investitionsbeziehung gestützt und ein Anreiz für Investitionen geboten werden, vgl. UNCTAD, Transparency (2004), 7. 207 Vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, 169 f. 208 Zippelius, Rechtsphilosophie, 169. Zum Problem mangelnder Orientierungsgewissheit aufgrund widersprüchlicher Rechtsprechung im Bereich des internationalen Investitionsrechts, vgl. unten § 10 I 1. 209 Vgl. Dolzer, in Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, VI, Rn. 38: „Transparenz [bezieht sich] auf die Überschaubarkeit des Handelns und der rechtlichen Gebote.“ Transparenz wird daher auch als ein Aspekt von ‚good governance„ verstanden. Zum Verhältnis von Transparenz und „good governance“ vgl. etwa Weiss/Steiner, 30 Fordham International Law Journal 2006, 1545 ff. Zur (Notwendig der) Übertragung des Transparenzgedankens aus dem nationalen Recht auf das Völkerrecht und insbesondere auf die internationale
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2. Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte In der Entscheidung zum Metalclad-Fall210 stellte das Schiedsgericht im Rahmen seiner Erwägungen zum Gebot des fair and equitable treatment u.a. auf das Erfordernis der Transparenz staatlichen Handelns ab. Hierbei ging es um die Verweigerung einer Baugenehmigung für eine Abfallbeseitigungsanlage, obwohl dem Investor von Bundes- und Landesbehörden zuvor versichert worden war, dass die im Vorfeld eingeholten Genehmigungen für Bau und Betrieb der Anlage ausreichten. 211 Dennoch versagte die zuständige Stadtverwaltung dem Investor die erforderliche Baugenehmigung. 212 Das Schiedsgericht befand, der Investor habe sich auf die Zusicherungen der Regierung verlassen können. 213 Bei der Auslegung von Art. 1105 Abs. 1 NAFTA stellte das Schiedsgericht fest, dass Transparenz und Vorhersehbarkeit der Rahmenbedingungen der Investition wichtige Elemente des Gebots des fair and equitable treatment seien,214 wogegen die Behörden des Gastgeberstaates verstoßen hätten.215 Im Fall Tecmed forderte das Schiedsgericht im Rahmen seiner Erörterungen zum Gebot des fair and equitable treatment, der Gaststaat müsse konsistent und kohärent handeln. Der ausländische Investor könne zudem erwarten, dass der Staat konsistent, widerspruchsfrei und transparent handele, so dass
Streitbeilegung, vgl. Peters, Are we moving towards Constitutionalization of the World Community?, in: Cassese (Hrsg.) Realizing Utopia, (118) 123 f., 133 f. 210 Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA), Award, 30.8.2000. 211 Ibid., Rn. 74 ff. 212 Ibid., Rn. 87 ff. 213 Ibid., Rn. 89. 214 Ibid., Rn 76: „Prominent in the statement of principles and rules that introduces the Agreement is the reference to ‟transparency‟ (NAFTA Article 102(1)). The Tribunal understands this to include the idea that all relevant legal requirements for the purpose of initiating, completing and successfully operating investments made, or intended to be made, under the Agreement should be capable of being readily known to all affected investors of another Party. There should be no room for doubt or uncertainty on such matters. Once the authorities of the central government of any Party (whose international responsibility in such matters has been identified in the preceding section) become aware of any scope for misunderstanding or confusion in this connection, it is their duty to ensure that the correct position is promptly determined and clearly stated so that investors can proceed with all appropriate expedition in the confident belief that they are acting in accordance with all relevant laws.“ 215 Ibid., Rn 99: „Mexico failed to ensure a transparent and predictable framework for Metalclad‟s business and investment. The totality of these circumstances demonstrates a lack of orderly process and timely disposition in relation to an investor of a Party acting in the expectation that it would be treated fairly and justly in accordance with the NAFTA.“
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der Investor von vornherein wisse, welche Gesetze und Regeln zur Anwendung gelangen und welche Ziele die Behörden verfolge.216 In der Entscheidung Maffezini v. Spain217 ging es unter anderem um einen Kredit, der durch eine der spanischen Regierung zurechenbare Handlung ohne Zustimmung des ausländischen Investors von dessen Privatkonto transferiert wurde. Das Schiedsgericht befand, dass ein Geldtransfer vom Konto des Investors durch die Behörden des Gaststaates ohne vorherige Anhörung und Information des Investors dem Transparenzerfordernis widerspreche, wodurch des Gaststaat seine Verpflichtung zu fair and equitable treatment verletzt habe.218 Im Fall Champion Trading v. Egypt machte der Investor einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment geltend,219 da der Gaststaat bei der (Nicht-)Vergabe von Subventionen an den Investor intransparent gehandelt habe. Dabei stützte sich der Schiedskläger u.a. auf die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung zu transparentem Verhalten. Das Schiedsgericht nahm zur Frage der Existenz einer solchen Verpflichtung nicht explizit Stellung; im Ergebnis lehnte es jedoch einen diesbezüglichen Verstoß aus Beweisgründen ab, da der Schiedskläger ein intransparentes Vorgehen des Gaststaates nicht habe belegen können. 220 Inwiefern hieraus geschlossen werden kann, dass das Schiedsgericht von einer Transparenzpflicht wie vom Schiedskläger behauptet zumindest implizit ausgegangen ist, oder ob es eine Entscheidung hierüber aus Beweisgründen hat dahinstehen 216
Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, Award, 29.5.2003, Rn. 154: „The Arbitral Tribunal considers that this provision of the Agreement, in light of the good faith principle established by international law, requires the Contracting Parties to provide to international investments treatment that does not affect the basic expectations that were taken into account by the foreign investor to make the investment. The foreign investor expects the host State to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative practices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations.“ (Hervorh. d. Verf.) 217 Maffezini v. Spain, ICSID Case No. ARB/97/7, Award, 13.11.2000. 218 Ibid., Rn. 83: „[…] the lack of transparency with which this loan transaction was conducted is incompatible with Spain‟s commitment to ensure the investor a fair and equitable treatment in accordance with Article 4(1) of the same treaty. Accordingly, the Tribunal finds that, with regard to this contention, the Claimant has substantiated his claim and is entitled to compensation [...].“ 219 Champion Trading Company v. Egypt, ICSID Case No. ARB/02/9, Award, 27.10.2006. Der Schiedskläger änderte später seine Begründung, indem er seine Ausfü hrungen zur Verletzung des Transparenzgrundsatzes nicht mehr dem Gebot des fair and equitable treatment zuordnete, sondern unter einer eigenständigen Verpflichtung zu Transparenz geltend machte. 220 Ibid., Rn. 164.
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lassen, lässt sich den Ausführungen des Schiedsgerichts nicht eindeutig entnehmen. Eine weitere Entscheidung, welche das Transparenzerfordernis mit dem Schutz legitimer Erwartungen verband, ist der Schiedsspruch im zuvor erwähnten Verfahren LG&E v. Argentina221. Nach einer Analyse vorangegangener Entscheidungen gelangte das Schiedsgericht zu der Feststellung, dass die Verpflichtung zu fair and equitable treatment den Gastgeberstaat zu einem transparenten Verhalten und zur Bereitstellung eines stabilen und vorhersehbaren rechtlichen Rahmens, welcher für die Beachtung legitimer Investoreninteressen erforderlich sei, verpflichte.222 Im Fall Siemens v. Argentina untersuchte das Schiedsgericht einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment auch unter dem Aspekt des verfahrensrechtlichen Transparenzgebots.223 Das Schiedsgericht bejahte einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment u.a. deshalb, weil der Gaststaat dem Investor zur Vorbereitung seines Widerspruchs gegen Verwaltungsentscheidungen keinen Zugang zu relevanten Verwaltungsunterlagen gewährt habe.224 Im Fall Parkerings v. Lithuania behauptete der Investor ebenfalls einen Verstoß gegen das Transparenzgebot als Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment.225 Der Schiedskläger stützte sein diesbezügliches Vorbringen darauf, dass der Gaststaat dem Investor vor Abschluss des Investitionsprojektvertrages Informationen vorenthalten habe, welche für die Beurteilung der (rechtlichen) Durchführbarkeit des Projektes von Bedeutung gewesen seien. 226 Das Schiedsgericht lehnte die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot des fair and equitable treatment durch die Verletzung einer solchen (vorvertraglichen) Informationspflicht jedoch ab, da der Investor nicht habe belegen können, dass die dem Investor vom Gaststaat angeblich vorenthaltenen Informationen nicht bereits auf anderem Wege zugänglich gewesen seien.227
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LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006. Ibid., Rn. 131: „Thus, this Tribunal, having considered, as previously stated, the sources of international law, understands that the fair and equitable standard consists of the host State‟s consistent and transparent behavior, free of ambiguity that involves the obligation to grant and maintain a stable and predictable legal framework necessary to fulfill the justified expectations of the foreign investor.“ 223 Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Award, 6.2.2007. 224 Ibid., Rn. 114, 308. 225 Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007. 226 Ibid., Rn. 295. 227 Ibid., Rn. 307. 222
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3. Zusammenfassung Der Überblick über die einschlägige Rechtsprechung zeigt, dass die Schiedsgerichte in ihren Entscheidungen zum Gebot des fair and equitable treatment wiederholt auf das Transparenzerfordernis Bezug genommen haben. Dabei bezogen die Schiedsgerichte das Erfordernis der Transparenz in erster Linie auf die Ausgestaltung des Verwaltungshandelns gegenüber dem Investor, zum Teil auch auf den gesamten Rechtsrahmen der Investition im Gaststaat. Eine einheitliche und kohärente Vorstellung vom Inhalt dieser Verpflichtung zeichnet sich indes noch nicht ab. In den meisten Entscheidungen wurde das Transparenzgebot nicht als eigenständige Fallgruppe behandelt, sondern aufgrund inhaltlicher Überschneidungen als Teilaspekt etablierter Fallgruppen (insbesondere Schutz berechtigter Erwartungen, Gebot eines fairen Verfahrens) berücksichtigt.228 So kann die Transparenz staatlichen Handelns einerseits aufgrund verbesserter Vorhersehbarkeit die Bildung berechtigter (wie auch die Vermeidung unberechtigter) Erwartungen des Investors fördern, und andererseits aufgrund besserer Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns die verfahrensrechtliche Überprüfung durch den Investor erleichtern. 229 Ein weiteres, mögliches Anwendungsfeld des Transparenzgebots könnte die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten durch den Gaststaat betreffen. Dieser Aspekt gewinnt an eigenständiger Bedeutung, je nachdem, ob man die in Investitionsschutzabkommen regelmäßig enthaltene umbrella clause auf vorvertragliche Haftungstatbestände, insbesondere auf die verschiedenen Formen der culpa in contrahendo, erstreckt oder nicht. Inwiefern sich das Transparenzerfordernis zu einer eigenständigen Fallgruppe entwickeln oder von anderen Fallgruppen (berechtigte Investorenerwartungen, Verfahrensrechte) absorbiert werden wird, bleibt indes abzuwarten. V. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality) In ihren Begründungen zum Gebot des fair and equitable treatment nahmen einige Investitionsschiedsgerichte auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bezug,230 ohne dabei näher auf dessen Status im Investitionsrecht oder dessen einzelne Voraussetzungen einzugehen.
228
So fassen etwa Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 133, Transparenz, Stabilität und den Schutz berechtigter Erwartungen („Transparency, Stability, and the Protection of the Investor‟s Legitimate Expectations“) zu einer Fallgruppe zusammen. 229 Zur Vorhersehbarkeit und Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns als Teilaspekten des Transparenzgebots vgl. Bernhardt, Ex ante-Transparenz, 26 f. 230 Vgl. oben § 7 V.
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Im Folgenden soll nach einem kurzen rechtsvergleichenden Überblick (1.a.) auf die methodischen Implikationen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Mittel rationalen Abwägens und Entscheidens eingegangen werden (1.b.). Im Anschluss soll anhand einer Analyse der hierzu ergangenen Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte ergründet werden, welchen Anforderungen der Gaststaat genügen muss, um dem Gebot des fair and equitable treatment zu entsprechen (2.). Eine kritische Würdigung (3.) beschließt diesen Abschnitt. 1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Rechtsvergleichender Überblick und methodische Implikationen a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in verschiedenen Rechtsordnungen Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ebenso wie das damit verbundene Konzept der Abwägung von Prinzipien, Werten und Interessen seit längerer Zeit in verschiedenen Rechtstraditionen verankert.231 Im deutschen Recht wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet und gilt als Leitregel allen staatlichen Handelns.232 Der Grundsatz besagt im Grunde, dass belastendes staatliches Handeln nicht nur einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, sondern nur dann rechtmäßig ist, wenn der Eingriff in die Rechtspositionen des Bürgers im Verhältnis zu dem angestrebten öffentlichen Ziel steht.233 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge umfasst der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S. die Grundsätze der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i.e.S.234 Bei der Verhältnismäßigkeit i.e.S. (auch Angemessenheit, Proportionalität oder Zumutbarkeit) 235 geht es darum, dass der angestrebte Gemeinwohlzweck und die eingesetzten Mittel, die den einzelnen in seinen Rechten beschränken, nicht in einem unangemessenen Verhältnis
231
Vranes, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ArchVR 47 (2009), 1 (3, 9 f.). Vgl. auch Klatt/Meister, Verhältnismäßigkeit als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, 159 (160). 232 BVerfGE 20, 45 (49 f.). So gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darüber hinaus auch im Privatrecht, wonach der Rechtsinhaber angehalten ist, auf eine Ausübung seiner Rechte zu verzichten, welche der anderen Seite unverhältnismäßige Nachteile zufügt, vorausgesetzt die Rechtsverfolgung kann auch durch mildere Mittel erfolgen (Überma ßverbot), vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 656. 233 Die begriffliche Festlegung des Begriffs erfolgt nicht immer einheitlich, wobei i nhaltlich weitgehend Übereinstimmung besteht. So wird teilweise auch vom Übermaßverbot oder vom Gebot des geringstmöglichen Eingriffs gesprochen, vgl. z.B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 17; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 278. 234 Vgl. BVerfGE 30, 292 (316); 77, 84 (107 ff.). 235 Vgl. etwa Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 289.
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stehen dürfen. 236 Im Rahmen dieser Gesamtabwägung sind alle konkret betroffenen Rechtsgüter einzustellen, wobei die Intensität des Eingriffs, das Gewicht der Gemeinwohlinteressen sowie die (grundrechtlich garantierten) Individualinteressen zu berücksichtigen sind. 237 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde in vielen Rechtsordnungen rezipiert,238 wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und mit zum Teil unterschiedlichen Prüfungsschritten. 239 So wurde beispielsweise dieser aus dem deutschen Recht stammende Grundsatz 240 im englischen Recht über die Rechtsprechung des EuGH und des EuGMR eingeführt. 241 Allerdings wird 236
BVerfGE, 44, 353 (373 f.). Vgl. BVerfGE 17, 306 (313 f.). Zum Teil wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz über diese legitimitätsfördernde prozedurale Komponente hinaus auch ein materieller Aspekt beigemessen, durch den die Konkretisierung der Gerechtigkeit im Einzelfall als Bestandteil des materiellen Rechtsstaatsbegriffs verwirklicht werden soll. Überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kein materielles Rechtsprinzip bildet, sondern eine allgemeine (prozedurale) Methode der Beurteilung von Zweck-Mittel-Beziehungen darstellt, vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 283, 655. 238 Rechtsvergleichend hierzu Schwarze, European Administrative Law, 680 ff.; Stone Sweet/Mathews, Proportionality Balancing and Global Constitutionalism, 47 Columbia Journal of Transnational Law 2008, 73 (112 ff.); Sullivan/Frase, Proportionality Principles in American Law, 26 ff.; Harbo, The Function of the Proportionality Principle in EU Law, European Law Journal 2010, 158 (171 ff.); Saurer; Die Globalisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, Der Staat 2012, 3 ff.; Kingsbury/Schill, in: Schill (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 75 (79 ff.). Vgl. auch Klatt/ Meister, Verhältnismäßigkeit als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, 159 (160): „Insbesondere für die letzten zwanzig Jahre wird eine geradezu dramatische Verbreitung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in vielen Rechtsordnungen auf der ganzen Welt diagnostiziert. Die Verhältnismäßigkeit sei in liberalen Demokratien weltweit ein zentraler Prüfungsmaßstab der Grundrechtskontrolle. Sie wird als ‚universelles Kriterium der Verfassungsmäßigkeit„ bezeichnet und als ‚Grundlage eines globalen Konstituti onalismus„ gesehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt im Völkerrecht, im Unionsrecht, im internationalen Menschenrechtsschutz und im nationalen Verfassungsrecht nicht nur europäischer Länder […].“ Zu den Funktionen, welche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in verschiedenen Rechtsordnungen zugeschrieben werden Andenas/Zleptnig, Texas International Law Journal 2007, 370 (383 ff.). 239 Vgl. etwa Andenas/Zleptnig, Texas International Law Journal 2007, 370 (382): „The principle of proportionality has many different facets. It is regularly invoked but its function, constituent elements, and scope of application often remain elusive. Proportionality is not a standardized legal concept and to a large extent depends on the legal regime within which it is used.“ Zu den Funktionen, welche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in verschiedenen Rechtsordnungen zugeschrieben werden Andenas/Zleptnig, ibid., 383 ff. 240 Zur Verbreitungsgeschichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. etwa Barak, Proportionality, 178 ff. 241 Lord Hoffmann, The Influence of the European Principle of Proportionality upon UK Law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 107; Thomas, Legitimate Expectations and Proportionality in Administrative Law, 78 ff. Für 237
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dabei die Abwägung widerstreitender Rechtspositionen nicht in erster Linie unter dem anerkannten Rechtsinstitut der „proportionality“, sondern vornehmlich unter dem der „(un)reasonableness“ bzw. dem der „(ir)rationality“ vorgenommen.242 Im europäischen Gemeinschaftsrecht ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip ebenfalls verankert.243 In verschiedenen Ausprägungen hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch im Völkerrecht Einzug gehalten.244 So wird der Grundsatz teilweise als einen rechtsvergleichenden Überblick zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in den Rechtsordnungen einiger EU-Mitgliedstaaten vgl. Craig, EU Administrative Law, 616 ff.; Schwarze, European Administrative Law, 680 ff. Für den historischen Ursprung im preußischen Polizeirecht und die Verbreitung in weiteren Rechtsordnungen, auch außerhalb Europas, vgl. etwa Cohen-Eliya/Porat, Proportionality and the Culture of Justification, 59 AJIL 2011, 463 ff. 242 Lord Hoffmann, The Influence of the European Principle of Proportionality upon UK Law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 108. Zum Verhältnis von „proportionality“ und „irrationality“ bzw. „unreasonabless“ im englischen Recht, vgl. Craig, Unreasonableness and Proportionality in UK Law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 85 ff.; Feldman, Proportionality and the Human Rights Act 1998, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 117 (127 ff.); Beatson/Matthews/Elliott’s, Administrative Law, 243 ff. (reasonableness), 252 ff. (proportionality); Wade/Forsythe, Adminstrative Law, 305 ff.; vgl. auch Barak, Proportionality, 371 ff. Zum Verhältnis von unreasonableness und proportionality Woolf/Jowell/Le Sueur, De Smith‟s Judicial Review, 546. 243 Vgl. Craig, EU Administrative Law, 590 ff.; Schwarze, European Administrative Law, 708 ff.; Jacobs, Recent Developments in the Principle of Proportionality in European Community Law, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 1 ff.; Harbo, The Function of the Proportionality Principle in EU Law, European Law Journal 2010, 158 ff.; Emiliou, The Principle of Proportionality in European Law: A Comparative Study, passim. Zur Verankerung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der EMRK Schwarze, European Administrative Law, 704 ff.; McBride, Proportionality and the European Convention on Human Rights, in: Ellis (Hrsg.), The Principle of Proportionality in the Laws of Europe, 23 ff. 244 Crawford, Proportionality, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2012, Rn. 1 ff.; Delbrück, Proportionality, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III, 1140 ff.; Schwarze, European Administrative Law, 703 ff.; Andenas/Zleptnig, Texas International Law Journal 2007, 370 (396 ff.); Vranes, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 47 (2009), 1 ff.; Nolte, Thin or Thick? The Principle of Proportionality and International Humanitarian Law, 4 Law and Ethics of Human Rights 2010, 244 ff.; Franck, Proportionality in International Law, 4 Law and Ethics of Human Rights 2010, 230 ff.; ders., On Proportionality of Countermeasures in International Law, 102 AJIL 2008, 715 ff.; Kleinlein, Judicial Lawmaking by Judicial Restraint? The Potential of Balancing in International Economic Law, German Law Journal 2011, 1141 (1147 ff.); Stone Sweet/Mathews, Proportionality Balancing and Global Constitutionalism, 47 Columbia Journal of Transnational Law 2008, 73 ff. Kritisch Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, passim. Zum Welthandelsrecht vgl. Desmedt, Proportionality in WTO Law, Journal of International
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allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts, als Teil des Repressalienrechts, des Seerechts (vor allem im Rahmen von Abgrenzungsstreitigkeiten), des humanitären Völkerrechts sowie des Völkervertragsrechts angesehen. 245 Des Weiteren finden sich in einigen internationalen Abkommen Rechtsbegriffe (wie z.B. „notwendig“, „erforderlich“, „proportionate“, „reasonable“, „appropriate“), welche sich inhaltlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überschneiden.246 Zudem hat der IGH in manchen seiner Entscheidungen auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit explizit Bezug genommen. 247 b) Methodische Implikationen: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Abwägung Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt auf eine Zweck-Mittel-Relation ab, aus der sich die verschiedenen Teilgebote (Eignung, Erforderlichkeit, Angemessenheit) des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergeben: 248 Durch die Anwendung des gewählten Mittels werden für den Adressaten Nachteile bzw. Einbußen verursacht, welche nur dann gerechtfertigt sind, wenn dieses Mittel geeignet ist, den angestrebten legitimen Zweck zu erreichen und dabei das relativ mildeste Mittel darstellt. Selbst das mildeste Mittel kann jedoch einen Economic Law 2001, 441 ff.; Andenas/Zleptnig, Proportionality: WTO Law in Comparative Perspective, Texas International Law Journal 2007, 370 (405 ff.); Göttsche, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 7 Rn. 56; Kleinlein, German Law Journal 2011, 1141 (1150 ff.); Hilf/Puth, The Principle of Proportionality in WTO/GATT Law, in: von Bogdandy/Mavroidis/Mény (Hrsg.), Festschrift Ehlermann, 199 ff. Kritische Auffassungen gab es hinsichtlich der Übertragbarkeit des Grundsatzes auf die internationale Ebene. So wurde beispielsweise bezweifelt, ob sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Form tatsächlich über das Europarecht in das internationale Recht vorgearbeitet hat. Vertreten wird, das Verhältnismäßigkeitsprinzip könne nur in Subordinationsrechtsordnungen, nicht hingegen in Koordinationsrechtsordnungen wie dem Völkerrecht oder dem Privatrecht existieren, vgl. hierzu Vranes, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ArchVR 47 (2009), 1 f., 6 m.w.N. Betrachtet man das Investitionsrecht, so stellt sich etwa die Frage, wie weit die Verpflichtung des Gaststaates zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehen kann. Dabei ist u.a. zu bedenken, dass der Gaststaat dem privaten Investor immer seltener in hoheitsrechtlicher und zunehmend in priva trechtlicher Form, etwa als Vertragspartner, gegenüber tritt, weshalb möglicherweise zu bedenken wäre, ob und inwiefern auch der privatrechtlich agierende staatliche Vertragspartner – etwa im Vergleich zu seinen privaten Mitbewerbern – durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschränkt werden kann und darf. 245 Crawford, Proportionality, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2012, Rn. 1, 18 ff.; Vranes, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ArchVR 47 (2009), 1 (4, 10 ff.) m.w.N. 246 Ibid. 247 Crawford, Proportionality, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2012, Rn. 9 ff. m.w.N. 248 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 655 f.; Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 8 ff. Zu den Teilgeboten Vranes, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ArchVR 47 (2009), 1 (20 ff.); Kleinlein, German Law Journal 2011, 1141 (1149); Barak, Proportionality, 243 ff.
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unverhältnismäßigen Eingriff darstellen, wenn hierdurch andere schützenswerte Belange über Gebühr beeinträchtigt werden. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der Abwägung der konkret betroffenen Belange. 249 Trotz der verschiedenen Ausprägungen, welche der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in unterschiedlichen Rechtsordnungen erfahren hat, besteht weitgehende Übereinstimmung, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (i.e.S.) einen Abwägungsvorgang beinhaltet. 250 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit enthält somit eine wichtige Methode zur Vorbereitung von rationalen Abwägungentscheidungen, die grundsätzlich in allen Rechtsgebieten von Belang ist.251 2. Rechtsprechung Die Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte hat den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im vergangenen Jahrzehnt vergleichsweise spät für sich entdeckt.252 Im Fall Tecmed v. Mexico253 stellte das Schiedsgericht – aller249
Zur Abwägung als die der Verhältnismäßigkeit i.e.S. inhärente Methode, vgl. Alexy, ARSP 2009, 151 (164 f.). Vgl. auch Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 3: Verhältnismäßigkeitsprüfung lediglich Spezialfall der Abwägung. An diesem Punkt zeigt sich die Nähe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Prinzipientheorie, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 75 f.; ders., Rechtstheorie 2000, Beiheft 13, 101 (106). Hierzu auch unten § 11 III. Die Verhältnismäßigkeit i.e.S. zielt, ebenso wie es bei gegenläufigen Prinzipien der Fall ist, auf eine Optimierung relativ zu den rechtlichen Möglichkeiten, wofür jeweils die Abwägung die einschlägige Methode darstellt, vgl. Alexy, ARSP 2009, 151 (164 f.). Da die rechtlichen Möglichkeiten jedoch in erster Linie durch gegenläufige Prinzipien definiert werden, deren Anwendungsform die Abwägung ist, handelt es sich bei der Prinzipientheorie auch um eine Abwägungstheorie, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 100 ff. Das dafür maßgebliche Abwägungsgesetz besagt, dass die Wichtigkeit der Erfüllung des einen Prinzips umso höher sein muss, je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des anderen Prinzips ist, Alexy, Theorie der Grundrechte, 146. Zur Prinzipienabwägung unten § 11 III. 250 Vgl. Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 1: „In various jurisdictions worldwide and across different areas of the law there is a firm consensus that proportionality plays an indispensable role in constitutional rights reasoning. It is often assigned the central task of reconciling conflicting rights, interests and values. […] The most essential step of the proportionality test – balancing – is ubiquitious in law […].“ Die Methode kommt insbesondere dort zum Einsatz, wo die grammatikalische Auslegung die Notwendigkeit einer Abwägungsentscheidung nahelegt, Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 655. Zur Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 45 ff.; Barak, Proportionality, 340 ff. 251 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 655; Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 8. 252 Stone Sweet/Grisel, Transnational Investment Arbitration: From Delegation to Constitutionalization?, in: Dupuy/Francioni/Petersmann (Hrsg.), Human Rights in International Investment Law and Arbitration, 118 (131): „No tribunal referred to proportionality, even implicitly, before 2000.“
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dings im Rahmen der Erwägungen zum Entschädigungsstandard – recht weitreichende Überlegungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an. 254 Nach Ansicht des Schiedsgerichts ist die Frage der Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs zentral für die Beurteilung der Frage, ob eine Verletzung des Enteignungsstandards angenommen werden kann oder nicht.255 In diesem Zusammenhang nahm das Schiedsgericht auch Bezug auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGMR. 256 Dabei wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit einen Abwägungsvorgang beinhalte.257 Einige Schiedsgerichte bezogen sich im Rahmen ihrer Ausführungen zum Gebot des fair and equitable treatment auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder nahmen eine an den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit (proportionality) und Angemessenheit (reasonableness) orientierte Prüfung vor.258 So stellte beispielsweise das Schiedsgericht im Fall Saluka v. Czech Republic259 seine Erwägungen unter den Begriff der Angemessenheit (reasonableness). Nach Ansicht des Schiedsgerichts setzt ein vernünftiges bzw. angemessenes Verhalten des Gaststaates voraus, dass der Staat darlegt, dass das Verhalten gegenüber dem Investor in einem angemessenen Verhältnis zu einer vernünftigen Strategie (policy) des Gaststaates stehe.260 Das Schiedsgericht untersuchte an diesem Maßstab die vom Investor bemängelte unter253
Tecmed v. United Mexican States, Award, 29.5.2003. Ibid., Rn. 122 ff. 255 Ibid., Rn. 122: „After establishing that regulatory actions and measures will not be initially excluded from the definition of expropriatory acts, in addition to the negative financial impact of such actions or measures, the Arbitral Tribunal will consider, in order to determine if they are to be characterized as expropriatory, whether such actions or measures are proportional to the public interest presumably protected thereby and to the protection legally granted to investments, taking into account that the significance of such impact has a key role upon deciding the proportionality […]. There must be a reasonable relationship of proportionality between the charge or weight imposed to the foreign investor and the aim sought to be realized by any expropriatory measure.“ 256 Ibid., Rn. 122. Vgl. hierzu auch den Schiedsspruch im Fall Azurix v. Argentina, ICSID Case No. ARB/01/12, Award, 14.7.2006, Rn. 311. 257 Ibid., Rn. 122. 258 Vgl. z.B. Saluka Investments B.V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 304 ff., 460; MTD Chile v. Chile, Award, 25.5.2004, Rn. 109. 259 Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006. 260 Ibid., Rn. 460: „[…] The standard of „reasonableness‟ therefore requires, in this context as well, a showing that the State‟s conduct bears a reasonable relationship to some rational policy, whereas the standard of „non-discrimination‟ requires a rational justification of any differential treatment of a foreign.“ Demgegenüber wird ein unangemessenes („unreasonable“) Verhalten als „unrelated to some rational policy“ bezeichnet, ibid., Rn. 309. 254
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schiedliche staatliche Behandlung seiner Investition in eine Bank gegenüber der Behandlung anderer, einheimischer Kreditinstitute im Rahmen der Gewährung staatlicher Hilfen an diesem Maßstab.261 Es gelangte zu dem Ergebnis, dass der Gaststaat für die unterschiedliche Behandlung keine vernünftige Begründung geboten habe.262 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war auch im Fall EDF v. Romania263 von Bedeutung. Ähnlich wie im Fall Saluka forderte das Schiedsgericht, dass das staatliche Verhalten in einem angemessenen Verhältnis zu einer vernünftigen Strategie (policy) des Gaststaates stehen müsse.264 Nach Ansicht des Schiedsgerichts fehle es an einem verhältnismäßigen Handeln des Gaststaates, wenn dem Investor „individuelle und übermäßige Lasten“ aufgebürdet würden. 265 Eine derart übermäßige Belastung nahm das Schiedsgericht jedoch nicht an, da von der Maßnahme – ausweislich des Schadenspostens der Schiedsklägerin – nur ein Teil der Investition betroffen gewesen sei.266 3. Zusammenfassung Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zum Gebot des fair and equitable treatment zunehmend Berücksichtigung findet. Unverhältnismäßiges Verhalten gegenüber dem ausländischen Investor und seiner Investition kann demnach ein Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment bedeuten. Dabei ergibt die noch junge Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte ein recht heterogenes und unvollständiges Bild. Eine kohärente Rechtsprechung, die auf ein einheitliches Verständnis der Funktion und der Vorausset261
Ibid., Rn. 327 ff. Ibid., Rn. 347: „The Tribunal therefore finds that the Respondent has not offered a reasonable justification for IPB‟s differential treatment.“ 263 EDF (Services) Limited v. Romania, ICSID Case No. ARB/05/13, Award, 8.10.2009. Der Fall betraf die Rücknahme von Genehmigungen zum Vertrieb zollfreier Waren auf rumänischen Flughäfen. Zum Sachverhalt ibid., Rn. 45 ff. 264 Ibid., Rn. 293: „As held by other tribunals, in addition to a legitimate aim in the public interest there must be „a reasonable relationship of proportionality between the means employed and the aim sought to be realized‟; that proportionality would be lacking if the person involved „bears an individual and excessive burden‟ […].“ 265 Ibid. 266 Ibid.: „[…] to combat corruption was certainly legitimate and in the public interest. In addition, the proportionality requirement was met as shown by the fact that the adverse effect of this measure regarding Claimant was limited to the latter‟s duty-free operation at Constanta Airport. The compensation claimed by Claimant in that regard amounts to USD 400,000.00 which is not an excessive burden in itself and in the context of Claimant‟s overall claim for compensation of USD132.576.000,00.“ 262
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zungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des Gebots des fair and equitable treatment schließen ließe, lässt sich (noch) nicht ausmachen. So wurden in den bisherigen Entscheidungen allenfalls einzelne Aspekte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes betont; eine umfassende Prüfung aller Teilgebote, wonach die die Investition beeinträchtigende Maßnahme des Gaststaates geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, wird in der Regel nicht vorgenommen. Rechtsvergleichende Erkenntnisse bestätigen die grundlegende Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in vielen Rechtsordnungen und können den Schiedsgerichten Aufschluss über die verschiedenen Kontexte und Voraussetzungen seiner Anwendung geben. Allerdings ist zu beachten, dass der Grundsatz trotz (oder aufgrund) seiner weiten Verbreitung unterschiedliche Ausprägungen mit jeweils variierenden Voraussetzungen erfahren hat, weshalb Gemeinsamkeiten nur auf vergleichsweise hohem Abstraktionsniveau zu finden sind. Immerhin besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Abwägung widerstreitender Interessen und Prinzipien beinhaltet. Trotz der wiederholten Bezugnahme auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Schiedspraxis erscheint indes fraglich, ob dieser als Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment bezeichnet werden kann. Gegen ein solches Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (insbesondere in engerer Sicht) spricht, dass dieser nicht die Funktion eines (Ersatz-)Tatbestandsmerkmals erfüllt, unter das zu subsumieren wäre. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bietet vielmehr einen prozeduralen Rahmen, innerhalb dessen sich ein Abwägungsvorgang unter Berücksichtigung der regulatorischen Belange des Gaststaates einerseits und der Schutzinteressen des ausländischen Investors anderseits vollziehen kann. 267 In diesem Sinne stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach vorzugswürdiger Ansicht keinen Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment dar. Die Erwähnung des Grundsatzes in einigen Schiedssprüchen sollte vielmehr als methodischer Hinweis darauf verstanden werden, dass im Rahmen der Anwendung und Auslegung des Gebots des fair and equitable treatment eine (möglichst strukturierte) Abwägung zwischen dem Schutzanspruch des Investors und den gegebenenfalls widerstrebenden öffentlichen Interessen des Gaststaates zu erfolgen hat.268 Dieses Erfordernis ergibt sich jedoch be267
Vgl. hierzu Kingsbury/Schill, Investor-State Arbitration as Governance, 21 ff.; dies., Public Law Concepts to Balance Investors‟ Rights with State Regulatory Action – the Concept of Proportionality, in: Schill (Hrsg.), International Investment Law and Compar ative Public Law, 75 ff. 268 In diesem Sinne auch Kingsbury/Schill, Public Law Concepts to Balance Investors‟ Rights with State Regulatory Actions in the Public Interest – The Concept of Proportionality, in: Schill (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 74
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reits aus der unbestimmten, wertungsoffenen Natur des Gebots des fair and equitable treatment, welche u.a. eine Abwägung widerstreitender Interessen bzw. Prinzipien, welche dem internationalen Investitionsschutz zugrunde liegen, ermöglicht und erfordert.269 Dies kann im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen. Zwingend ist dies jedoch nicht. 270 Der Bildung einer eigenen Fallgruppe der Verhältnismäßigkeit als Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment bedarf es hierfür nicht. VI. Fazit In der Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment haben sich mehrere Fallgruppen herausgebildet, die der Schiedspraxis gewisse Anhaltspunkte bei der Anwendung dieser Generalklausel bieten. Bei allen Verdiensten der Fallgruppenmethode für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ist nach eingehender Untersuchung der Schiedspraxis jedoch auch festzustellen, dass „wir heute noch weit davon entfernt sind, von einer Konkretisierung des ‚Fair and Equitable Treatment„Standards sprechen zu können.“ 271 So bleiben die in der Schiedspraxis gefundenen Fallgruppen nach wie vor vergleichsweise abstrakt und in ihren Anwendungsvoraussetzungen kaum definiert und vage, so dass mit einer Zuweisung zu einer Fallgruppe nicht zwangsläufig eine vereinfachte Fallentscheidung verbunden ist. Dabei ist zu beachten, dass das internationale Investitionsrecht zwar eine expandierende, aber dennoch eine vergleichsweise junge Rechtsmaterie ist. Entscheidungen zum Gebot des fair and equitable treatment existieren in nennenswerter Zahl erst seit etwa einem Jahrzehnt. Anders als bei Generalklauseln des nationalen Rechts – man denke für den Bereich des deutschen Rechts etwa an § 242 BGB – ist es daher nicht möglich, auf eine systematisierte, gefestigte und weitgehend widerspruchsfreie Rechtsprechung zu dieser Generalklausel zurückzugreifen. Vieles ist noch in der Entwicklung begriffen. 272 (96 ff.), die eine Abwägungsoperation im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment vorschlagen. 269 Hierzu unten § 11 III. 270 Hier zeigt sich wiederum die Nähe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Prinzipientheorie, vgl. oben 1 b sowie unten § 11 III. Sowohl der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.e.S. wie auch das Inausgleichbringen widerstreitender Prinzipien laufen auf einen einzelfallbezogenen Abwägungsvorgang hinaus. Vgl. hierzu unten § 11 II u. III. 271 Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), International Investment Protection and Arbitration, 119 (137). 272 In diesem Sinne Griebel, Internationales Investitionsrecht, 58: „Die Antwort auf den Ausgang eines Verfahrens wird nicht selten […] von […] früheren Entscheidungen beei nflusst. Allerdings ist […] die Rechtsprechung zu vielen zentralen Fragen des Investitions s-
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Immerhin sind manche von der Rechtsprechung identifizierte Fallgruppen (wie z.B. Verfahrensgerechtigkeit, Transparenzgebot, Vertrauensschutz) in verschiedenen nationalen und internationalen Rechtsordnungen als Rechtsinstitute bekannt und haben dort in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zum Teil vergleichbaren Fallkonstellationen eine gewisse Ausdifferenzierung erfahren. Für die Schiedspraxis bietet sich daher an, diese rechtsvergleichenden Erkenntnisse zumindest als nicht bindende Inspirationsquelle für mögliche Lösungswege zu berücksichtigen. So hat etwa der Grundsatz des Vertrauensschutzes und insbesondere dessen Konkretisierung im Rückwirkungsverbot oder in Fällen der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten in manchen nationalen Rechtsordnungen eine Ausdifferenzierung erfahren, welche die der bisherigen Investitionsschiedspraxis bei weitem übertrifft. Ein rechtsvergleichender Blick in nationale Rechtsordnungen kann daher hilfreich sein, wenn es darum geht, für die Konkretisierung und Weiterentwicklung der Fallgruppe des Schutzes der berechtigten Investorenerwartungen weitere Anhaltspunkte und Kriterien zu entwickeln. Dabei ist jedoch auch einschränkend festzustellen, dass die Rechtsinstitute, welche sich zum Teil in den Fallgruppen wiederspiegeln, in verschiedenen Rechtsordnungen oftmals unterschiedliche Ausprägungen erfahren haben, weshalb rechtsvergleichend aufzufindende Gemeinsamkeiten in der Regel ein vergleichsweise hohes Anstraktionsniveau aufweisen, wodurch deren Nutzen für den Konkretisierungsprozess geringer ausfällt, als es die semantische Übereinstimmung der Fallgruppen mit manchem Rechtsinstitut des nationalen Rechts zunächst vermuten lassen würde. Insgesamt kommt dem Fallvergleich die verdienstvolle Aufgabe zu, dass er – wie im Fall des Gebots des fair and equitable treatment – eine Systematisierung des Stoffes und eine Reduzierung der Komplexität bewirkt, wodurch der praktische Umgang mit der Generalklausel in der Praxis erleichtert wird. Nicht beheben, sondern lediglich feststellen, kann der Fallvergleich hingegen die Tatsache, dass die Rechtsprechung der Schiedsgerichte zum Teil widersprüchlich und inkohärent ist, was eine an früheren Entscheidungen orientierte Konkretisierung erschwert. Letztere ist auf ein möglichst kohärentes Fallrecht angewiesen. Ohne einheitliche Aussagen zum jeweiligen Schutzstandard lassen sich keine Maßstäbe für die Rechtsanwendung bilden. Dabei stellt sich die Frage, ob dieser Umstand als systemimmanent hinzunehmen ist, oder ob möglicherweise Änderungen an der Struktur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu einer erhöhten Kohärenz des Fallrechts beitragen könnten.273
rechts widersprüchlich. Die Rechtsprechung hat ihre ‚experimentelle Phase„ noch nicht verlassen und so ist […] äußerste Sorgfalt geboten.“ 273 Vgl. hierzu unten § 10.
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Zudem ist zu beachten, dass es sich beim Vorgehen im Wege des Fallvergleichs und der Typisierung in Fallgruppen lediglich um ein Hilfsmittel zur Konkretisierung handelt, durch welches in erster Linie Vergleichsfälle (soweit vorhanden) aufbereitet werden. Dabei liefern frühere Entscheidungen kein umfassendes Abbild des Bedeutungsgehalts einer Norm. Es handelt sich lediglich um einzelne „Schlaglichter“ auf Teilaspekte der Norm, die im Laufe der Zeit systematisiert und zu Fallgruppen geordnet werden, um somit Teilansichten des Gesamtbildes zu erhellen. Doch auch wenn sich diese Teilansichten im Laufe der Zeit immer mehr zu einem größeren Bild zusammenfügen mögen, so wird selbst eine vergleichsweise ausdifferenzierte Rechtsprechung stets mit neuen, atypischen Fallgestaltungen konfrontiert werden, für die keine Präjudizien vorliegen. 274 Ein auf vergangenem Fallrecht basierendem Vorgehen ist daher nur bedingt in der Lage, unbekannte Problemfelder sowie neue Entwicklungen tatsächlicher und rechtlicher Art zu erfassen und diesen gerecht zu werden. Die Bildung von Fallgruppen mag daher ein wichtiges Hilfsmittel zur Konkretisierung von Generalklauseln wie des Gebots des fair and equitable treatment darstellen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eines von mehreren möglichen Konkretisierungsmodellen, welche im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln wie des Gebots des fair and equitable treatment zu berücksichtigen sind. 275
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Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 114; Weber, AcP 192 (1992), 516 (539). Zu derartigen „schwierigen Fällen“ bzw. „hard cases“ vgl. auch Dworkin, Taking Rights Seriously, 81 ff. Zur Unterscheidung in „normal and hard cases“ auch Koskenniemi, From Apology to Utopia, 41. 275 Zu den Methoden der Generalklauselkonkretisierung und der Methodik des Fallvergleichs und der Fallgruppenbildung in diesem Zusammenhang vgl. unten § 11 II.
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§ 10 Konsistente Rechtsprechung – Möglichkeit und Nutzen institutioneller Reformen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
§ 10 Möglichkeit und Nutzen institutioneller Reformen I. Das Problem mangelnder Konsistenz und Kohärenz in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte 1. Einleitung Eine wesentliche Voraussetzung einer an früheren Entscheidungen orientierten Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment besteht in einem möglichst widerspruchsfreien und kohärenten Fallrecht. Wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat, ist diese Voraussetzung in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nur bedingt gegeben, da eine zum Teil widersprüchliche und inkohärente Rechtsprechung der Schiedsgerichte zu vergleichbaren Sachfragen die Klärung der Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment erschwert. So stellt sich mit dem Erfolg der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und der in den vergangenen zehn Jahren angestiegenen Zahl der Investitionsschiedssprüche auch das Problem einer zum Teil inkonsistenten und inkohärenten Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte untereinander.276 Diese Problematik betrifft neben dem Gebot des fair and equitable treatment sämtliche materiellen und prozessualen Schutzstandards.
276 Vgl. etwa Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 37; Newcombe/Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, 105 ff.; Wälde, Alternatives for Obtaining Greater Consistency in Investment Arbitration: An Appellate Institution after the WTO, Authoritative Treaty Arbitration or Mandatory Consolidation?, Transnational Dispute Management 2/2005, 71 ff.; Gill, Inconsistent Decisions, An Issue to be addressed or a Fact of Life?, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 ff.; Werner, Making Investment Arbitration More Certain – A Modest Proposal, Journal of World Investment 2003, 767 ff.; Griebel/Kim, SchiedsVZ 2007, 187 (188 ff.); Franck, The Legitimacy Crisis in Investment Treaty Arbitration: Privatizing Public International Law Through Inconsistent Decisions, 73 Fordham Law Review 2005, 1521 ff. Vgl. auch Schill, Virginia Journal of International Law 2011, 57 (66 f.): „Concerns in relation to the current system of international investment protection therefore involve several factors: first, the vagueness, or even ambiguity, of investment treaties, which, on the basis of broadly formulated principles of investment protection, restrict state sovereignty without giving arbitral tribunals clear guidance as to the scope of obligations assumed under the treaties; second, the increasing number of conflicting and inconsistent interpretations by arbitral tribunals of standard principles of investment protection, not only under different treaties, but also with regard to virtually identical cases brought under the same treaty; third, the fragmentation of international investment law into a cacophony of arbitral decisions and consequently the lack of stability and predictability of the decision-making of arbitral tribunals for both investors and states […].“
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So haben die Schiedsgerichte in zentralen Auslegungsfragen nicht immer zu einer einheitlichen Linie gefunden und unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Auffassungen vertreten. 277 Dies betrifft u.a. Fragen der Rechtsnatur,278 der Fallgruppenbildung sowie der Anwendungsvoraussetzungen der einzelnen Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment.279 Dies führt, neben offensichtlichen Nachteilen für die konkrete Rechtsanwendung, dazu, dass sich ein allgemeiner Konsens über die Bedeutung der Norm nur bedingt entwickeln kann und eine an Präjudizien und Fallgruppen orientierte Konkretisierung, wie sie insbesondere für das Gebot des fair and equitable treatment praktiziert wird, nur langsam voranschreitet. 280 Ein weiteres Problem betrifft (unterhalb der Schwelle des offenen Widerspruchs) die unkoordinierte und in ihren Ausprägungen und Verästelungen nur schwer zu systematisierende Rechtsprechung der Investitionsschiedsge-
277
Vgl. Böckstiegel, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 17 (23): „[I]nvestment arbitration may have a greater need for consistency of decisions, b ecause the typical issues tend to be much more similar than in commercial arbitration cases.“ Dem mag man entgegenhalten, dass zwei Fälle niemals völlig identisch sind, da ansonsten die Identität des Streitgegenstands bereits der Zulässigkeit der Klage entgegenst ehen würde, vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 336. Dabei ist jedoch zu beachten, dass, abgesehen von der ohnehin problematischen Frage der lis pendens in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, entweder dieselben abstrakten Rechtsfragen in verschiedenen Verfahren gleichermaßen auftreten (z.B. die Frage der Rechtsnatur des Gebots des fair and equitable treatment), oder dass in verschiedenen Verfahren zumindest wertungsmäßig keine erheblichen Unterschiede bestehen. 278 Zu den gegensätzlichen Auffassungen mancher Schiedsgerichte zur Einordnung des Gebots des fair and equitable treatment als autonomer Vertragsnorm bzw. als Ausdruck des völkerrechtlichen Mindeststandards vgl. oben § 6. Beispielhaft anzuführen für die divergierende Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte sind etwa die Entscheidungen in den Fällen S.D.Myers v. Canada (First Partial Award, 13.11.2000), Metalclad v. Mexico (Award, 30.8.2000) und Pope & Talbot v. Canada (Award on the Merits of Phase 2, 10.4.2001), welche unter Auslegung derselben Norm, dem Gebot des fair and equitable treatment in Art. 1105 NAFTA, ergangen sind. Die Schiedsgerichte gelangten bei der Frage, ob es sich hierbei um eine autonome, über den fremdenrechtlichen Mindeststandard hinausgehende Verpflichtung handelt, zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen: Wä hrend die erstgenannte Entscheidung vom Mindeststandard ausging, sahen die beiden anderen Entscheidungen in dem Gebot des fair and equitable treatment einen vom Mindeststandard unabhängigen Schutzstandard. Vgl. hierzu auch UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 59: „The differences in existing approaches make it hard to arrive at a settled view of the relationship between FET and the MST.“ 279 Vgl. hierzu oben § 9 II bis V. 280 Vgl. hierzu auch Schill, Multilateralization, 281: „Incoherence and inconsistencies are not only problematic with respect to the ability of the law to regulate human behavior and stabilize mutual expectations. Inconsistencies and incoherence in the judicial decisionmaking process are also counter-productive for understanding the legal norms […].“
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richte,281 wodurch eine Konkretisierung der Norm im Wege der Systematisierung der Rechtsprechung, etwa in Form einer (möglichst einheitlichen) Fallgruppenbildung, erschwert wird. 282 Neben den Folgen für die praktische Rechtsanwendung wirkt sich das Phänomen inhomogener Rechtsprechung auch insgesamt auf die Bestimmtheit und die Vorhersehbarkeit des Rechts bzw. der Rechtsprechung aus, wodurch neben der Rechtsanwendungsgleichheit insbesondere die Rechtssicherheit beeinträchtigt ist. So ist konsistente Rechtsprechung ein wichtiger Bestandteil eines Streitbeilegungssystems. 283 Die Forderung, dass einander 281 So ist eine widerspruchsfreie (konsistente) Rechtsprechung eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung einer kohärenten Rechtsprechung, in der die einzelnen Entscheidungen nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern aufeinander Bezug nehmen. Vgl. hierzu auch MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, 152: „[R]equirement of ‚coherence„ in law in the sense that the multitudinous rules of a legal system „make sense‟ when taken together“; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 323: widerspruchsvolle Rechtsordnung verletzt das Postulat der Gerechtigkeit nach Anwendung eines einheitlichen Maßstabes auf alle; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 16 ff.: wertungsmäßige Folgerichtigkeit und innere Einheit als Ausfluss und Postulat der Rechtsidee; ähnlich Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 57: Widerspruchsfreiheit bzw. Folgerichtigkeit als zentrales rechtstheoretisches Postulat. Zum Verhältnis von Konsistenz und Kohärenz vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 258: Kohärenz ist mehr als bloße Konsistenz (Widerspruchsfreiheit); Peczenik, in: Alexy (Hrsg.), Integratives Verstehen, 52: Logische Konsistenz ist notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Kohärenz; Rähme, Wahrheit, Begründbarkeit und Fallibilität, 205: Konsistenz ist notwendige Bedingung von Kohärenz. Inhaltliche Überschneidung mit dem Kohärenzgebot besteht in Dworkins Konzept von „Law as Integrity“, worin u.a. der notwendige Bezug der Einzelentscheidung zum organischen Ganzen betont wird, vgl. Dworkin, Law‟s Empire, 245: „Law as integrity, then, requires a judge to test his interpretation of any part of the great network of political structures and decisions of his community by asking whether it would form part of a coherent theory justifying the network as a whole.“ Dworkin hat hierzu die Metapher des Fortsetzungsromans (chain novel) geprägt, wonach verschiedene Autoren aufeinander aufbauend dieselbe Geschichte weiterspinnen, vgl. Dworkin, Law‟s Empire, 229: „Each novelist aims to make a single novel of the material he has been given, what he adds to it, and (so far as he can control this) what his successors will want or be able to add. He must try to make this the best novel it can be construed as the work of a single author rather than, as is the fact, the product of many different hands.“ Zur Bedeutung der Kohärenz als wesentliches Element der Rationalität Alexy/Peczenik, The Concept of Coherence and its Significance for Discursive Rationality, Ratio Juris 1990, 130 ff.; vgl. auch Günther, Ein normativer Begriff der Kohärenz für eine Theorie der rationalen juristischen Argumentation, Rechtstheorie 1989, 163 ff. Generell zum Kohärenzbegriff in der Rechtswissenschaft Bracker, Kohärenz und juristische Interpretation, 166 ff. und passim. Zum Verhältnis von Kohärenz und „rule of law“ Peczenik, in: Alexy (Hrsg.), Integratives Verstehen, 51. 282 Vgl. hierzu oben § 9. 283 Vgl. Doehring, Paper submitted to the Seminar on „International Dispute Settlement“, Max Planck Institute Heidelberg, November 3, 2010, 1 (2), Rn. 3: „What is the true
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
widersprechende Urteile vermieden werden sollten, ergibt sich aus dem Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit und insbesondere aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, wodurch auch die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen mitumfasst wird.284 core of the rule of law? It is the calculability of norms producing certainty of law this way. The parties to a litigation before a court must be sure that the dispute will be solved on the basis of existing norms and generally known by members of the legal community“; Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 264: „So […] gibt es formelle Gerechtigkeitsprinzipien wie die Rechtssicherheit und das hieraus fließende Vertrauensschutzprinzip, die im Völkerrecht hinreichend evident sind“; Schreuer, Diversity and Harmonisation of Treaty Interpretation in Investment Arbitration, 1(10): „The need for a coherent case law is evident. It strengthens the predictability of decisions and enhances their authority“ ; ILC, Fragmentation of the International Law, UN Doc. A/CN.4/L.682 (2006), Rn. 491: „Coherence is valued positively owing to the connection it has with predictability and legal sec urity. Moreover, only a coherent legal system treats legal subjects equally“; Matz-Lück, Koordinierung, 1: „Jede Rechtsordnung hat ein fundamentales Interesse an Widerspruchsfreiheit der ihr zugrunde liegenden Normen. […] Nur eine kohärente Völkerrechtsordnung führt auch zur widerspruchsfreien Umsetzung, Durchführung und Einhaltung des Regelungsgehaltes der ihr zu Grunde liegenden Normen.“ Zum „obersten Wert“ der Rechtssicherheit in einem (jeden) Rechtssystem sowie zu den verschiedenen Ausprägungen der Rechtssicherheit (Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit des Rechts, Stabilität und Kontinuität der Rechtssetzung und Rechtsprechung, Praktikabilität der Rechtsanwendung) Canaris, Systemdenken und Systembildung, 17 f., 74 ff.; Mastronardi, Juristisches Denken, 179: Verpflichtung des Gerichts zu höchstmöglicher Transparenz und Konsistenz; Zippelius, Rechtsphilosophie, 169 ff.: Orientierungsgewissheit (durch das Recht als auch durch die Rechtsprechung) trägt zur Rechtssicherheit bei; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 57: Widerspruchsfreiheit als zentrales rechtstheoretisches Postulat. Zur Bedeutung von Präjudizien für die Vorhersehbarkeit und Kohärenz eines Streitbeilegungssystems Reinisch, The Role of Precedents, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495: „Coherence and predictability of dispute settlement decisions is a crucially important aspect of any judicial or arbitration mechanism. In the long run, only predictable outcomes of any type of dispute settlement will be accepted by its users. Ult imately, predictability and coherence lead to confidence in the system and enhance its perception of being legitimate and just.“ Ebenso das berühmte „Practice Statement“ des House of Lords aus dem Jahre 1966 ([1966] 1 W.L.R. 1234), in dem zwar die Bindung an eigene Präjudizien aufgehoben wurde, jedoch zunächst u.a. deren generelle Bedeutung für die Rechtssicherheit unterstrichen wurde: „Their Lordships regard the use of precedent as an indispensable foundation upon which to decide what is the law and its application to individual cases. It provides at least some degree of certainty upon which individuals can rely in the conduct of their affairs […].“ Zum Spannungsverhältnis von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit (insbesondere im Hinblick auf die Konkretisierung von Generalklauseln) Pfeiffer, in: Baldus/MüllerGraff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (28 f.). 284 Vgl. Tams, An Appealing Option, 18: „The underlying rationale may be explained as an issue of equality/fairness (i.e. similar cases should be treated similarly) or as one of predictability/reliability (parties should be in a position plausibly to evaluate their chances in arbitration).“ Generell zu den Erfordernissen der Konsistenz und Kohärenz des Rechts
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Da die Normerwartung für die Normadressaten, vor allem die Gastgeberstaaten, zum Teil unklar ist, fällt es diesen schwer, ihr Verhalten an den Anforderungen der Investitionsschutzabkommen und insbesondere am Gebot des fair and equitable treatment auszurichten. 285 Dieser Zustand hat Teile der Literatur zur Annahme einer „Legitimitätskrise“ des Investitionsrechts veranlasst.286 2. Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung Das Problem der divergierenden Rechtsprechung bei (annähernd) identischen Schutzstandards und vergleichbaren Sachverhalten tritt als grundsätzliches Problem der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit 287 auch außerhalb der Rechtsowie der Rechtsprechung vgl. etwa MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, 152 ff., 195 ff.; Peczenik, Why Shall Legal Reasoning be Coherent?, in: Koch/Neumann (Hrsg.), Praktische Vernunft und Rechtsanwendung, ARSP Beiheft 53, 1994, 179 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 562, Zippelius, Rechtsphilosophie, 169 f.; Rüthers, Rechtstheorie, 404; Canaris, Systemdenken, 17, 26; Fuller, The Morality of Law, 65 ff.; Alexy/Peczenik, The Concept of Coherence and its Significance for Discursive Rationality, Ratio Juris 1990, 130 ff. Je nach Ausprägung des jeweiligen Rechtssystems kann auch die Einheit der Rechtsordnung als Grund angeführt werden, vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 562; Canaris, Systemdenken und Systembildung, 17 f. Vgl. zu dem Aspekt der Vorhersehbarkeit von Entscheidungen auch Suez v. Argentina, ICSID Case No. ARB 03/17, Decision on Liability, 30.7.2010, Separate Opinion Nikken, Rn. 24: „[L]ike cases should be resolved in the same manner […] there is indeed a moral obligation to follow decided cases in order to promote a predictable legal environment.“ 285 Zum Verhältnis von Rechtssicherheit und Orientierungssicherheit (durch das Recht als auch durch die Rechtsprechung), vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, 169 ff.; Auer, Materialisierung, 51. 286 Vgl. Franck, The Legitimacy Crisis in Investment Arbitration, 73 Fordham Law Review, 2005, 1521 ff.; Brower et al., The Coming Crisis in the Global Adjudication System, 19 Arbitration International 2003, 415 ff.; Burke-White, The Argentine Financial Crisis: State Liability under BITs and the Legitimacy of the ICSID System, Asian Journal of WTO & International Health Law and Policy 2008, 199 ff. Vgl. auch Schill, Virginia Journal of International Law 2011, 57 (66): „Host states are particularly concerned about a shrinking of domestic policy space occasioned by vague standards of investment protection, which are interpreted, partly in inconsistent ways, by international arbitrators who exercise significant interpretative powers over the content of investment treaty obligations […]“; Kaufmann-Kohler, Annulment of ICSID Awards in Contract and Treaty Arbitrations: Are there Differences?, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 189 (219): „[O]ne cannot rule out that different panels may reach different results, although they refer to the same BIT and the same state measure. Such inconsistencies run counter to the uniform development of the law. There is a risk that inconsistent decisions discredit the system. As a result, states, investors, and the public may lose confidence in the dispute resolution mechanism.“ 287 Dies ist freilich kein exklusives Problem der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Allerdings tritt es hier deutlicher zutage und ist wesentlich dringlicher als in der internationa-
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sprechung zum Gebot des fair and equitable treatment auf. Dies führt in manchen Fällen dazu, dass sich in zentralen Streit- und Auslegungsfragen zwei divergierende Grundauffassungen in den Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte gegenüberstehen, denen sich spätere Schiedsgerichte, je nach eigener Präferenz (und teilweise unter Anfügung weiterer Ansichten), anschließen können. So gelangten Schiedsgerichte in zentralen Fragestellungen des vertraglichen Investitionsrechts zu entgegengesetzten Auffassungen: Neben der bereits erörterten Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment beispielhaft anzuführen für die divergierende Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte ist etwa die Rechtsprechung zum Umfang von Meistbegünstigungsklauseln (MFN-Klauseln).288 Eine weitere aktuelle Problematik len Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Dies liegt zum einen daran, dass die Schiedssprüche der Investitionsschiedsgerichte – anders als etwa auf dem Gebiet der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit – in der Regel veröffentlicht werden, wodurch die Wahrnehmung von (inkonsistenten) Entscheidungen (für Schiedsgerichte wie auch für die Öffentlichkeit) erst ermöglicht wird, vgl. Gill, Inconsistent Decisions, An Issue to be addressed or a Fact of Life?, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 (25). Zum anderen ist die Ähnlichkeit der zu entscheidenden Rechtsfragen im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aufgrund der weitgehend standardisierten Investitionsschutzabkommen als zentraler rechtlicher Grundlage sowie der Sachverhalte wesentlich höher als im Bereich der internationalen Handelschiedsgerichtsbarkeit, wo in der Regel unterschiedliche Verträge und eine Vielzahl nationaler Rechte die Entscheidungsgrundlage für eine Vielzahl unterschiedlicher Streitgegenstände darstellen, Böckstiegel, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 17 (23). 288 Während ein Teil der Rechtsprechung die Wirkung der Meistbegünstigung auf in Investitionsschutzabkommen enthaltene materiellrechtliche Schutzstandards begrenzen will, fordern andere Schiedsgerichte eine Ausweitung auf sämtliche im Abkommen enthaltene Schutzstandards, wovon auch prozessuale Gewährleistungen erfasst wären. Von der Kl ärung dieser Frage hängt oftmals ab, ob ein Investor überhaupt erfolgreich klagen kann. Eine Antwort auf diese Frage erhält der Investor aber in der Regel erst, nachdem er den aufwendigen Klageweg beschritten hat und eine Entscheidung des Schiedsgerichts vorliegt. Die MFN-Klausel gibt es einem Staat im Kern auf, einem ausländischen Investor auf seinem Staatsgebiet dieselben Begünstigungen zukommen zu lassen, die ein Investor aus einem Drittstaat genießt, Vgl. hierzu Dolzer, Meistbegünstigungsklauseln in Investitionsschutzverträgen, in: Bröhmer/Bieber/Calliess/Langenfeld/Weber/Wolf (Hrsg.), Festschrift Ress, 2005, 47 ff.; OECD, Most-Favoured-Nation Treatment in International Investment Law, 2004; Newmark/Poulton, Siemens v. Argentina: Most favoured nation clause (re)visited, SchiedsVZ 2005, 30 ff.; Schmidt, Prozessuale Meistbegünstigung im völkerrechtlichen Investitionsschutz, passim; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 79 ff.; Banifatemi, The Emerging Jurisprudence on the Most-Favoured-Nation Treatment in Investment Arbitration, in: Bjorklund/Laird/Ripinsky (Hrsg.), Investment Treaty Law: Current Issues III, 241 ff. Hierdurch soll eine rechtliche Gleichstellung ausländischer Investoren untereinander erreicht werden. Die zentrale Frage betrifft daher die Reichweite der jeweiligen Klauseln, d.h. die Frage, ob zugunsten eines ausländischen Investors über diese Klauseln günstigere Rechtspositionen hergestellt werden, die ein anderer ausländi-
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betrifft schließlich die Reichweite sogenannter „umbrella clauses“ in Investitionsschutzabkommen. 289 Auch hierzu gehen die Auffassungen der Schiedsgerichte weit auseinander, ohne dass eine einheitliche Linie in der Rechtsprechung in Sicht wäre. 290 Weitere Divergenzen betreffen die Auslegung von scher Investor aufgrund des für ihn geltenden BITs genießt. Da sich die BITs inhaltlich oftmals gleichen, betrifft dies vor allem die Frage, ob diese Klauseln neben materiellen Schutzstandards auch prozessuale Rechte umfassen. Die Rechtsprechung hierzu ist bis heute umstritten, vgl. z.B. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 79 ff. m.w.N. 289 Schließt ein ausländischer Investor mit einem Staat oder einer staatlichen Einric htung einen Vertrag, etwa über ein Infrastrukturprojekt, so stehen dem Investor im Falle von Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Vertragserfüllung vornehmlich die nationalen Gerichte zur Verfügung, sofern das Handeln oder Unterlassen des Gaststaates keine direkte Verletzung der (sonstigen) Bestimmungen des BIT darstellt. Will der Investor dennoch unter Berufung auf den BIT, den sein Heimatstaat („home state“) mit dem Gaststaat geschlossen hat, von der darin enthaltenen Schiedsklausel Gebrauch machen, so muss er entweder darlegen, dass auch vertragliche Ansprüche von letzterer umfasst werden oder dass seine vertraglichen Ansprüche mittels einer sog. „umbrella clauses“ in den Schutzb ereich des BIT einbezogen wurden. Als „umbrella clause“ werden Bestimmungen in BITs bezeichnet, in denen sich die beteiligten Staaten gegenseitig versprechen, Verpflichtungen einzuhalten, die sie in Bezug auf Kapitalanlagen von Investoren des jeweils anderen Staates übernommen haben. Vgl. hierzu z.B. Schreuer, 5 Journal of World Investment and Trade 2004, 231 ff.; Wälde, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 183 ff.; OECD, Interpretation of the Umbrella Clause in Investment Agreements, Working Papers on International Investment, Number 2006/3, October 2006. Zur Abgrenzung der „umbrella clause“ gegenüber der Verpflichtung zu „fair and equitable treatment“ vgl. oben § 8 V. 290 In der Praxis der Investitionsschiedsgerichte hat sich bisher keine einheitliche Linie in der Behandlung der „umbrella clause“ herausgebildet. Grob gesprochen stehen sich zwei Auffassungen, eine enge und eine weite, relativ unversöhnlich gegenüber. Den Ausgangspunkt einer engen bzw. restriktiven Betrachtungsweise stellt die Entscheidung des Schiedsgerichts in SGS v. Pakistan (SGS Société Générale de Surveillance S.A. v. Pakistan, Decision of the Tribunal on Objections to Jurisdiction, 29.1.2004, ICSID Case No. ARB/02/6) dar. Nach dieser Entscheidung stellen Vertragsverletzungen nur dann auch Verletzungen des BIT dar, wenn sich nachweisen lässt, dass die Staaten, die das bilaterale Abkommen geschlossen haben, der Klausel tatsächlich eine so weitreichende Bedeutung beimessen wollten. Eine weitere Bestätigung erfuhr diese Linie im Fall Joy Mining v. Egypt (Joy Mining Machinery Limited, Award on Jurisdiction, 6.8.2004, ICSID Case No. ARB/02/16), in dem das Schiedsgericht den Standpunkt vertrat, dass es durchaus Fälle gebe, in denen Verletzungen eines Investitionsvertrages Verletzungen des BIT da rstellen. Dabei stellte das Schiedsgericht auf die Schwere des Vertragsbruchs ab. Ebenfalls auf dieser restriktiven Linie liegt die Entscheidung in Salini v. Jordan (Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. The Hashemite Kingdom of Jordan, ICSID Case No. ARB/02/13, Decision on Jurisdiction, 29.11.2004). Diese Entscheidung betraf den italienisch-jordanischen BIT, der keine echte „umbrella clause“ enthält. Allerdings deuten die Ausführungen des Schiedsgerichts darauf hin, dass das Schiedsgericht in der bloßen Verletzung vertraglicher Pflichten auch eine des BIT gesehen hätte, wenn der BIT eine entsprechende „umbrella clauses“ enthalten hätte. Das Schiedsgericht in El Paso v. Argentina (El Paso Energy International Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No.
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ARB/03/15, Decision on Jurisdiction, 27.4.2006) schloss sich in seinen Ausführungen der Auffassung des Schiedsgerichts im Fall SGS v. Pakistan an. Demgegenüber wurde in einer Reihe von Schiedssprüchen eine weite Auslegung der „umbrella clauses“ bevorzugt. Ausgangspunkt war das Verfahren SGS v. Philippines (SGS v. Philippines, ICSID Case No. Arb/02/6, Decision on Objections to Jurisdiction, 29.1.2004), welches auf dem Philippines-Switzerland BIT beruhte. Das Schiedsgericht vertrat in diesem Fall den Standpunkt, dass Streitigkeiten aus einem Investitionsvertrag über die „umbrella clauses“ auch Gegenstand von Investitionsstreitigkeiten auf der Grundlage eines BIT sein könnten. Im Fall Sempra v. Argentina (Sempra Energy International v. The Argentine Republic, Decision on Objections to Jurisdiction, 11.5.2005 ICSID Case No. ARB/02/16) vertrat das Schiedsgericht die Auffassung, dass vertragliche Ansprüche mi ttels einer „umbrella clauses“ zu BIT-Ansprüchen würden. Das Schiedsgericht in Eureko v. Poland (Eureko B.V. v. Republic of Poland, Award, 19.8.2005) nahm ebenfalls einen weitreichenden Schutz durch „umbrella clauses“ an. Abgesehen davon, dass das Schiedsgericht annahm, dass die Verletzung einer Vertragspflicht durch die „umbrella clauses“ dem Anwendungsbereich des BIT unterfalle, vertrat es zudem die Auffassung, dass es auch über die behauptete Verletzung des Investitionsvertrages entscheiden könne. Diese Kompetenz sah das Schiedsgericht unabhängig davon, ob in dem Vertrag bereits ein Forum für die Entscheidung der vertraglichen Streitigkeiten gewählt wurde, als gegeben. Die Entscheidung im Fall Noble Ventures, Inc. v. Romania (Noble Ventures Inc. v. Romania, ICSID Case No. Arb/01/11, Award, 21.9.2005) bestätigte die in Eureko v. Poland eingeschlagene Linie. Im Fall von LG&E v. Argentina (LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1) bestätigte das Schiedsgericht die weite Auslegung der „umbrella clauses“. Das Schiedsgericht in Waste Management v. United Mexican States (Waste Management, Inc. v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/98/2, NAFTA, Award on Jurisdiction, 2.6.2000), obwohl nicht mit einer „umbrella clauses“ konfrontiert, brachte die Auffassung zum Ausdruck, wonach die „umbrella clauses“ auch vertragliche Ansprüche umfasse. Selbiges gilt für die Entscheidung in Consorzio Groupement L.E.S.I-DIPENTA v. Republic of Algeria (Consorzio Groupement L.E.S.I. – Dipenta v. People’s Democratic Republic of Algeria, Award, 10.1.2005, ICSID Case No. ARB/03/08), worin das Schiedsgericht zwar nicht über eine „umbrella clause“ zu entscheiden hatte, sich jedoch für eine weite Interpretation aussprach. In Anbetracht der in jüngerer Zeit ergangenen Entscheidungen mag sich zwar eine gewisse Tendenz zu einer weiten Auslegung der „umbrella clause“, welche vertragliche Ansprüche in den Schutzbereich des BIT miteinbezieht, abzeichnen. Dennoch kann weder von einer einheitlichen Praxis noch von einer abschließenden Klärung der Reichweite von „umbrella clauses“ die Rede sein. So hat die jüngere Entscheidung im Fall El Paso v. Argentina gezeigt, dass eine allgemeine Festlegung auf eine investorenfreundliche Auslegung der Schiedsklausel verfrüht wäre. Vgl. hierzu etwa Schreuer, 5 Journal of World Investment and Trade 2004, 231 ff.; Wälde, 6 Journal of World Investment and Trade 2005, 183 ff.; von Walter, Die Reichweite von Schirmklauseln in Investitionsschutzabkommen, RIW 2006, 815 ff.; OECD, Interpretation of the Umbrella Clause in Investment Agreements, Working Papers on International Investment, Number 2006/3, October 2006; Griebel, SchiedsVZ 2006, 306 ff.
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Streitbeilegungsklauseln 291, darin enthaltene Warteperioden 292 (sog. „waiting periods“ bzw. „cooling off periods“) sowie den Einwand des völkerrechtlichen Notstands im Rahmen von Investitionsstreitigkeiten. 293 Durch den teilweise unklaren Inhalt der Schutzstandards ist die Steuerungsfähigkeit des Rechts vermindert, wodurch es für die Parteien bzw. die Rechtsunterworfenen schwer ist, ihr Verhalten an den Normen des jeweiligen Investitionsschutzabkommens auszurichten. 294 Hierunter leidet, wie schon bemerkt, neben der Rechtssicherheit auch die Rechtsanwendungsgleichheit, indem Investoren und Staaten in verschiedenen Entscheidungen zum selben Schutzstandard in vergleichbaren Fällen unterschiedlich behandelt werden. 295 Dies beeinträchtigt nach Ansicht einiger Autoren die Legitimität der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit insgesamt. 296 3. Gründe Ein Hauptgrund für die Inkohärenz und Inkonsistenz der Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte besteht in der überwiegend einer bilateralen Logik folgenden institutionellen Struktur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, welche aus einer Vielzahl unabhängiger bzw. paralleler, hierarchisch gleichgeordneter und für jeden Fall (auch personell) neu konstituierter Schiedsgerichte besteht, die ihre Zuständigkeit aus dem jeweiligen, in der Regel bilate291 Vgl. Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1197) m.w.N. Hierzu auch Markert, Streitbeilegungsklauseln, 139 ff., 189 ff. 292 Vgl. Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1197) m.w.N. Hierzu auch Markert, Streitbeilegungsklauseln, 158 ff. 293 Vgl. Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1198) m.w.N.; Schill, SchiedsVZ 2007, 178 ff.; Waibel, Two Worlds of Necessity in ICSID Arbitration, Leiden Journal of International Law 2007, 637 ff.; Pfeiffer, Zahlungskrisen ausländischer Staaten im deutschen und internationalen Rechtsverkehr, ZVglRWiss 2003, 141 ff.; ders./Kopp, Der Immunitätsverzicht in Staatsanleihen und seine Reichweite, ZVglRWiss 2003, 563 ff. Zur Frage des völkerrechtlichen Notstandseinwands vor nationalen Gerichten vgl. Pfeiffer, Die Berücksichtigung des völkerrechtlichen Notstandseinwands im deutschen Zivilprozess, in: Varga/Kiss (Hrsg.), Festschrift János, 687 ff. 294 Vgl. Gill, Inconsistent Decisions, An Issue to be addressed or a Fact of Life?, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 (25); Schill, Multilateralization, 282: „While legal systems will not be able to achieve full consistency and perfect coherence, their ability to stabilize expectations and social relations is rendered non-existent if the degree of inconsistencies is too great.“ 295 Vgl. hierzu Franck, 73 Fordham Law Review 2005, 1521 ff.; Tams, An Appealing Option, 18. Zum Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit vgl. etwa Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 604. 296 Vgl. oben 1.
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ralen Investitionsschutzabkommen herleiten. 297 Weiterhin wird auf das Fehlen eines externen Kontrollmechanismus in Form einer einheitlichen Berufungsinstanz für Investitionsschiedssprüche verwiesen. 298 Als zusätzlicher Grund 297
Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 164; Pauwelyn, Fragmentation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 5; Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 19: „Consistency in the interpretation of investment treaties is made difficult by the fact that investment tribunals are established ad hoc and vary in their composition“; Sacerdoti, in: Sauvant (Hrsg.), Appeals Mechanism, 127 (129): „The possibility of such conflicts due to parallel or multiple proceedings is inherent in a world with different sovereignties, uncoordinated politically, or, even less, judicially“; Schill, Multilateralization, 293: „[T]he design of investor-State dispute settlement based on case-by-case arbitration by party-appointed arbitrators contributes to the potential for inconsistencies.“ Zur Ausgestaltung der Investor-StaatSchiedsgerichtsbarkeit vgl. oben § 3 II und § 4. 298 Vgl. Stern, Trois arbitrages, un même problème, trois solutions, Revue de l'Arbitrage 1981, 1 ff.; Schlechtriem, Zur Überprüfbarkeit von ICSID-Schiedssprüchen: Die Aufhebung im Falle Klöckner/Kamerun, IPRax 1986, 69 ff.; Redfern, ICSID – Losing Its Appeal?, Arbitration International 1987, 98 ff.; Reisman, The Breakdown of the Control Mechanism in ICSID Arbitration, Duke Law Journal 1989, 739 ff.; Schwartz, Finality at What Cost?, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 43 ff.; Schwebel, The Creation and Operation of an International Court of Arbitral Awards, in: Hunter et al. (Hrsg.) The Internationalisation of International Arbitration: The LCIA Centenary Conference, London 1995, 115 ff.; Gaillard/Banifatemi, (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 2004; Schreuer, Three Generations of ICSID Annulment Proceedings, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 17 ff.; Kaufmann-Kohler, Annulment of ICSID Awards in Contract and Treaty Arbitrations: Are there Differences?, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 189 ff.; dies., Is Consistency a Myth?, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 137 ff.; Rubins, Judicial Review of Investment Arbitration Awards, in: Weiler (Hrsg.), NAFTA Investment Law and Arbitration: Past Issues, Current Practice, Future Prospects, 359 ff.; Tawil, An International Appellate System: Progress or Pitfall?, Transnational Dispute Management 2/2005, 69 ff.; Veeder, The Necessary Safeguards of an Appellate System, Transnational Dispute Management 2/2005, 6 f.; Wälde, Transnational Dispute Management 2/2005, 71 ff.; Legum, Visualizing an Appellate System, Transnational Dispute Management 2/2005, 64 ff.; Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 164; Gill, Inconsistent Decisions, An Issue to be addressed or a Fact of Life?, in: Ortino/Sheppard/ Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 ff.; Franck, Fordham Law Review 73 (2005), 1521 ff.; Crivellaro, Consolidation of Arbitral and Court Proceedings in Investment Disputes, 4 The Law and Practice of International Courts and Tribunals (2005), 371 ff.; Bishop, The Case for an Appellate Panel and Its Scope of Review, Transnational Dispute Management 2/2005, 8 ff.; Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 ff.; ders., An Appealing Option, 1 ff.; Walsh, Substantive Review of ICSID Awards: Is the Desire for Accuracy Sufficient to Compromise Finality?, 24 Berkeley Journal of International Law 2006, 444 ff., Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte: Zwischen Homogenität und Heterogenität (Die Debatte über die Schaffung einer ICSID-Berufungsinstanz), passim; Dolzer/Schreuer, International Invest-
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wird das Fehlen eines Systems bindender Präjudizien angeführt. 299 Durch die zunehmende Zahl an Investitionsschiedsverfahren wächst zudem die Wahrscheinlichkeit, dass in parallelen Verfahren widersprüchliche Entscheidungen ergehen, ohne dass sich die Schiedsgerichte dessen bewusst sind. 300 Zur Erklärung des Phänomens der Widersprüchlichkeit der Rechtsprechung wird zum Teil auch auf die von Fall zu Fall unterschiedlichen materiellrechtlichen Entscheidungsgrundlagen in Gestalt unterschiedlicher Investitionsschutzabkommen verwiesen. 301 Aufgrund der Standardisierung des Inhaltes von Investitionsschutzabkommen wird man diesem Gesichtspunkt jedoch allenfalls eine untergeordnete Rolle beimessen können. 302 In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern sich institutionelle Änderungen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als geeignet erweisen könnten, um zu einer konsistenteren und kohärenteren Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte, nicht zuletzt im Hinblick auf das Gebot des fair and equitable treatment, zu gelangen. Dies betrifft zunächst den Vorschlag zur Schaffung hierarchischer Strukturen durch die Einführung einer einheitlichen Berufungsinstanz für Investitionsschiedssprüche. Weitere Vorschläge, die es zu untersuchen gilt, betreffen die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens für Investitionsschiedssprüche sowie die Einführung eines Systems bindender Präjudizien auf diesem Gebiet.303 ment Law, 37; McRae, The WTO Appellate Body: A Model for an ICSID Appeals Facility?, Journal of Int. Disp. Settlement 2010, 371 ff.; Schreuer, From ICSID Annulment to Appeal Half Way Down the Slippery Slope, 10 The Law and Practice of International Courts and Tribunals 2011, 211 ff. 299 Vgl. hierzu Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, passim; Gill, Inconsistent Decisions, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 ff.; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 ff.; Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.113; Schill, Multilateralization, 284: „[W]ithin the field of international investment law, there is abundant potential for inconsistent decisions. This potential stems from the embryonic institutionalization of investor-State dispute settlement and the lack of a rule of stare decisis. Investment treaty arbitration therefore lacks internal as well as external control mechanisms that can ensure the uniformity in the outcomes of the tribunals‟ decision making.“ Zur Präjudizienbindung vgl. unten V. 300 Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1198). 301 Vgl. Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (236 f.): Fragmentation of substantive investment law. 302 Vgl. hierzu oben § 2 III. 303 Dabei wird teilweise zwischen „externen“ (z.B. Berufungsinstanz) und „internen“ (z.B. Präjudizienbindung) Kontrollmechanismen zur Sicherung von Konsistenz und Kohärenz unterschieden, vgl. Schill, Multilateralization, 282.
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Im Folgenden sollen daher, ausgehend vom momentanen System zur Überprüfung von Investitionsschiedssprüchen, die einzelnen Vorschläge untersucht und auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Hierfür ist zunächst das bestehende System der Überprüfung von Investitionsschiedssprüchen innerhalb wie außerhalb der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit zu untersuchen (II.), bevor der Vorschlag zur Einführung einer Berufungsinstanz für Investitionsschiedssprüche dargestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen wird (III.). Daran anschließend werden zwei weitere Reformvorschläge, die Einführung eines investitionsrechtlichen Vorabentscheidungsverfahrens (IV.) bzw. die Einführung eines Systems bindender Präjudizien für Investitionsschiedssprüche (V.) auf ihre Tauglichkeit untersucht. Eine Zusammenfassung beschließt das Kapitel (VI.). II. Bestehende Überprüfungsmechanismen Im folgenden Abschnitt sollen die bestehenden Möglichkeiten zur Überprüfung von Investitionsschiedssprüchen dahingehend untersucht werden, ob und inwiefern diese Überprüfungsmechanismen geeignet sind, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen. Der folgende Überblick unterscheidet zwischen Schiedssprüchen, welche nach der ICSID-Konvention ergangen sind (1.), und solchen, welche außerhalb des ICSID-Systems erlassen wurden (2.). 1. ICSID-Schiedssprüche Gemäß Art. 53 ICSID-Konvention sind ICSID-Schiedssprüche verbindlich und unterliegen keiner Berufung und auch sonst keinen anderen Rechtsmitteln als den im Übereinkommen vorgesehenen.304 Die Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch sind in Art. 51 und 52 ICSIDKonvention geregelt. Es sind dies die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens (Art. 51 ICSID-Konvention) und auf Aufhebung (Annullierung, annulment) des Schiedsspruchs (Art. 52 ICSID-Konvention). Die Bestimmung der ICSID-Konvention über die Aufhebung von Schiedssprüchen in Art. 52 ICSID-Konvention enthält somit die einzige Möglichkeit, gegen einen Schiedsspruch vorzugehen. Entsprechend dem abschließenden, delokalisierten Charakter der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit ist eine Kontrolle und ggfs. Aufhebung durch nationale Gerichte, etwa am Sitz des Verfahrens, ausgeschlossen. 305 Art. 52 ICSID-Konvention sieht indes nur eine eingeschränkte 304
Vgl. hierzu oben § 3 II 2. Zum delokalisierten Charakter der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit oben § 3 II 2 sowie § 4 III 2. Zum abschließenden Charakter der internen Überprüfungsmechanismen vgl. auch Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 53 Rn. 31; Tietje, Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 28; Schreuer, Three Generations of ICSID 305
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Überprüfung von ICSID-Schiedssprüchen durch spezielle ad hoc-Ausschüsse vor. Die Aufhebung nach Art. 52 ICSID-Konvention ist nur aus einem der in der Konvention aufgezählten Gründe möglich. Hierzu gehören die nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Schiedsgerichts, eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts, die Bestechung eines Mitglieds des Schiedsgerichts, eine schwerwiegende Abweichung von grundlegenden Verfahrensvorschriften sowie die fehlende Begründung des Schiedsspruchs.306 Diese Aufhebungsgründe stellen keine Grundlage für eine berufungsartige Überprüfung des Schiedsspruchs dar, 307 sondern betreffen in erster Linie die Integrität des Verfahrens. 308 Eine materiellrechtliche Überprüfung des Schiedsspruchs ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. 309 Inhaltliche Richtigkeitskontrolle sowie die Sicherstellung einer einheitlichen RechtAnnulment Proceedings, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 17 m.w.N. aus der Rechtsprechung. Vgl. hierzu auch oben § 3 II 2. Für einen Vergleich der Überprüfungsmöglichkeiten im Rahmen anderer internationaler Streitentscheidungsinsta nzen (IGH, EGMR, EuGH, ICSID, NAFTA, WTO sowie nationale Gerichte) vgl. Bishop, The Case for an Appellate Panel and its Scope of Review, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues, Volume I, 15 (19). 306 Zu den einzelnen Aufhebungsgründen vgl. oben § 3 II 2. Dabei sind vor allem die Gründe der offensichtlichen Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts, der schwerwiegenden Abweichung von grundlegenden Verfahrensvorschriften sowie die fehlende Begründung des Schiedsspruchs Gegenstand fast jedes Aufhebungsverfahrens, vgl. Schreuer, 10 The Law and Practice of International Courts and Tribunals 2011, 211 (214). 307 Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 57: „Annulment is different from appeal. Annulment is concerned only with the legitimacy of the process of decision but not with substantive correctness. Annulment merely removes the original decision without replacing it.“ 308 Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 59: „[A]nnulment under the ICSID Convention offers a review process that is limited to a few fundamental standards of a mostly procedural nature“; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 279; Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 57; Bishop, The Case for an Appellate Panel and its Scope of Review, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 15 (19); Schreuer, Three Generations of ICSID Annulment Proceedings, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 17, 42: „[A]n unusual remedy for unusual situations.“ Zur Unterscheidung zwischen „annulment“ und „appeal“ vgl. auch Caron, Reputation and Reality in the ICSID Annulment Process; Understanding the Distinction between Annulment and Appeal, 7 ICSID Review FILJ 1992, 21 ff. 309 Vgl. hierzu auch oben § 3 II 1. Eine Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts kann in der Anwendung eines nicht anwendbaren Rechts liegen, nicht jedoch in der fehlerhaften Anwendung des anwendbaren Rechts, vgl. Schreuer, 10 The Law and Practice of International Courts and Tribunals 2011, 211 (216 f.). Dennoch haben manche ad hocAusschüsse ihr Mandat weit ausgelegt und auf vermeintliche Rechtsfehler der Ausgangsentscheidung hingewiesen. Kritisch hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 210 ff.; Schreuer, 10 The Law and Practice of International Courts and Tribunals 2011, 211 (222 ff.).
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sprechung gehören somit nicht zu den Aufgaben eines ad hoc-Ausschusses. 310 Letzterer besteht aus drei Mitgliedern, die vom Vorsitzenden des ICSIDVerwaltungsrats aus dem Schiedsrichterverzeichnis ernannt werden. 311 Ist der Aufhebungsantrag erfolgreich, so beseitigt die Aufhebungsentscheidung den Schiedsspruch ganz oder teilweise, ersetzt diesen jedoch nicht durch eine neue Sachentscheidung. 312 Hinsichtlich des aufgehobenen Teils kann nach Art. 52 Abs. 6 ICSID ein neues Schiedsverfahren eingeleitet werden. 2. Außerhalb der ICSID-Konvention ergangene Schiedssprüche Auf Schiedssprüche, welche außerhalb der ICSID-Konvention ergangen sind, sind die Art. 53 f. ICSID-Konvention nicht anwendbar. Sie unterliegen daher der Kontrolle durch die staatlichen Gerichte und sind nicht automatisch vollstreckbar.313 Die Aufhebung eines Schiedsspruchs richtet sich demzufolge nach dem jeweiligen nationalen Schiedsverfahrensrecht. Hierdurch kann der Überprüfungsmaßstab je nach lex arbitri divergieren. Die Unterschiede sind jedoch in der Regel gering, da sich die meisten Schiedsverfahrensrechte ähneln.314 Ein Grund hierfür ist das UNCITRAL-Modellgesetz, welches in einigen Ländern übernommen wurde. Dieses enthält mit Art. 34 Abs. 2 eine Vorschrift zur Aufhebung des Schiedsspruchs. Danach kann das Gericht überprüfen, ob dem Schiedsspruch eine (wirksame) Schiedsvereinbarung zu Grunde lag, im Schiedsverfahren rechtliches Gehör gewährt wurde, das Schiedsgericht in den durch die Schiedsvereinbarung gesetzten Grenzen entschieden hat, das Verfahren frei von erheblichen Verfahrensverstößen war, der Streit310
Indirekt können auch Rechtsfehler relevant sein, sofern diese sich auf die Zuständigkeit des Schiedsgerichts auswirken, wie dies etwa bei Rechtsfragen betreffend Meistbegünstigungsklauseln oder sog. „umbrella clauses“ der Fall sein kann, vgl. Schreuer, System of Review, 3. Da das Schiedsgericht rechtlich nicht verpflichtet ist, der früheren Rechtsprechung zu folgen – hierzu unten V. – , kann dies auch nicht Gegenstand eines Aufhebungsantrages, etwa wegen Kompetenzüberschreitung, sein. 311 Für die Ernennung gelten gemäß Art. 52 Abs. 3 ICSID-Konvention bestimmte Kriterien, durch welche die Objektivität des ad hoc-Ausschusses sichergestellt werden soll. 312 Hier zeigt sich ein Unterschied gegenüber einem Berufungsverfahren. Vgl. hierzu Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 10: „As to the first, the result of a successful application for an annulment is the invalidation of the original decision. The result of a successful appeal is its modification. A decision-maker exercising the power to annul has only the choice between leaving the original decision intact or declaring it void. It can destroy a res judicata but cannot create a new one.“ 313 Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention, Art. 52 Rn. 5. Zu den einzelnen Facetten der Überprüfung schiedsgerichtlicher Entscheidungen durch staatliche Gerichte am Beispiel des deutschen Schiedsverfahrensrechts vgl. Schütze, Die gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen des Schiedsgerichts, SchiedsVZ 2009, 241 ff. 314 Für einen rechtsvergleichenden Überblick vgl. Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 25-31 ff.
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gegenstand objektiv schiedsfähig war, kein Verstoß gegen den ordre public vorliegt und kein Restitutionsgrund vorliegt. Eine Überprüfung des sachlichen Ergebnisses (révision au fond) ist hingegen ausgeschlossen. 315 Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche richtet sich in der Regel nach dem New Yorker Übereinkommen (NYÜ) von 1958. 316 Danach wird ein ausländischer Schiedsspruch nur anerkannt und für vollstreckbar erklärt, wenn keiner der Vollstreckungsversagungsgründe des Art. V des NYÜ eingreift. 317 Letztere ähneln den eben genannten, in Art. 34 Abs. 2 UNCITRAL-Modellgesetz vorgesehenen Aufhebungsgründen, da Art. 34 Abs. 2 UNCITRAL-Modellgesetz inhaltlich an Art. V NYÜ angelehnt wurde.318 Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass eine materiellrechtliche Überprüfung des Schiedsspruchs grundsätzlich nicht stattfindet. Ausnahmen mag es dort geben, wo nationale Schiedsverfahrensgesetze ausnahmsweise einen „appeal on points of law“ vorsehen. 319 Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, über den ordre public-Vorbehalt im Aufhebungs- oder Vollstreckungsverfahren zu einer inhaltlichen Überprüfung des Schiedsspruchs zu gelangen, wobei die Bejahung eines ordre public-Verstoßes, insbesondere in internationalen Fällen, nur unter hohen Voraussetzungen angenommen wird. 320 Insgesamt bleibt es jedoch bei der grundlegenden Tendenz in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, wonach eine inhaltliche Überprüfung nicht oder nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen stattfindet. 315
Vgl. Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 2531 ff. In manchen nationalen, insbesondere dem Common Law zugehörigen Schiedsrechten existiert trotz dieses Grundsatzes unter bestimmten Voraussetzungen eine Überprüfungskompetenz der staatlichen Gerichte hinsichtlich der Sachentscheidung, vgl. Lew/ Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 25-46. 316 Vgl. van den Berg, The New York Arbitration Convention, passim; Kronke/Nacimiento/Otto/Port (Hrsg.), Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards: A Global Commentary on the New York Convention, 205 ff. und passim. Zur Debatte um eine mögliche Reform des NYÜ vgl. Kröll, 50 Jahre UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – Standortbestimmung und Zukunftsperspektive, SchiedsVZ 2009, 40 ff. 317 Vgl. z.B. Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 26-65 ff. 318 Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 25-31. Zum Einfluss des New Yorker Übereinkommens auf das UNCITRAL-Modellgesetz vgl. Sorieul, The Influence on the New York Convention on the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, 2 Dispute Resolution International 2008, 27 ff. 319 Vgl. etwa sec. 69 English Arbitration Act 1996. Vgl. hierzu etwa Dedezade, International Arbitration Law Review 2006, 56 ff. 320 Vgl. generell zum ordre public-Vorbehalt als Versagungsgrund Alvarez de Pfeifle, Der Ordre Public-Vorbehalt als Versagungsgrund der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung internationaler Schiedssprüche, passim.
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3. Zwischenergebnis Im bestehenden System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit existieren verschiedene Möglichkeiten zur Überprüfung von Investitionsschiedssprüchen. Dies gilt sowohl für das interne Aufhebungsverfahren der ICSIDKonvention als auch für die nach dem jeweiligen nationalen Recht bestehenden Kontrollmöglichkeiten im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens bzw. eines Verfahrens zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Weder innerhalb noch außerhalb der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit existiert jedoch eine voll ausgebildete Berufungsinstanz für Investitionsschiedssprüche. Materiellrechtliche Fragen stehen grundsätzlich nicht zur Überprüfung an. Die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist nicht Gegenstand und Ziel der bestehenden Überprüfungsmechanismen. In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit existieren somit keine institutionellen Vorkehrungen, welche die Sicherung einer widerspruchsfreien und kohärenten Entscheidungspraxis zum Ziel hätten. 321 Inwiefern institutionelle Änderungen am bestehenden System der Kontrolle von Investitionsschiedssprüchen zur Erreichung dieses Ziels beitragen könnten, wird im folgenden Abschnitt untersucht. III. Eine Berufungsinstanz für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Um die Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zu verbessern, existiert seit längerem der Vorschlag, eine vollwertige Berufungsinstanz für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einzuführen.322 1. Der Vorschlag für eine ICSID-Berufungsinstanz In einem Diskussionspapier aus dem Jahre 2004 hatte das ICSID-Sekretariat mögliche Reformen des ICSID-Systems skizziert. 323 Zur Förderung der Kon321
Vgl. Schill, Multilateralization, 288: „Investment treaty awards are not subject to appeal or any other form of external control by a hierarchally superior body that could ensure consistency in the decision-making process. Investment arbitration therefore lacks an institutionalized infrastructure that is able to preclude inconsistent decision-making.“ 322 Vgl. anstelle vieler Van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, 164: „Another concern with the present system […] is that it lacks coherence. […] The difficulty in investment treaty arbitration arises from the system‟s fragmented and individualized structure […] and, specifically, from the absence of an appellate institution with jurisdiction to review awards issued by the disparate tribunals under the many different treaties and to correct errors of law made in the first instance.“ 323 ICSID Secretariat, Possible Improvements of the Framework for ICSID Arbitration, Discussion Paper, 22.10.2004 (im Folgenden: ICSID Secretariat, Discussion Paper).
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sistenz und Kohärenz des ICSID-Fallrechtes sah das Diskussionspapier u.a. die Schaffung eines institutionalisierten Berufungsmechanismus („ICSID Appeals Facility“) vor.324 Der auf den ersten Blick naheliegendste Weg zur Einführung einer Berufungsinstanz durch Reform der ICSID-Konvention wurde darin nicht vorgeschlagen. Dies vor dem Hintergrund, dass Art. 53 ICSID-Konvention eine Berufung („Appeal“) ausschließt und eine Änderung der Konvention gemäß Art. 66 ICSID-Konvention der Ratifizierung, Annahme oder Genehmigung aller momentan 147 ICSID-Mitgliedstaaten bedarf.325 Dabei wird allgemein bezweifelt, dass selbst mittelfristig die erforderliche Einstimmigkeit erreicht werden könnte.326 Um dieses Problem zu umgehen, enthielt das Diskussionspapier lediglich den Vorschlag zur Einrichtung einer außerhalb der ICSID-Konvention verankerten „ICSID Appeals Facility“, welche der ICSID-Verwaltungsrat (ähnlich den Additional Facility Rules) ohne Änderung der Konvention und der hierfür erforderlichen Zustimmung der Mitgliedstaaten verabschieden könne. 327 Die Vorlage von Schiedssprüchen an das Berufungsgremium („Appeals Panel“) erfordere jedoch zweierlei: Zunächst müsste das jeweilige Investitionsschutzabkommen auf die „Appeals Facility Rules“ verweisen. 328 Des Weite324
ICSID Secretariat, Discussion Paper, Rn. 21: „[T]he appeal mechanism would be intended to foster coherence and consistency in the case law emerging under investment treaties.“ Zwar wurde in der Folge die Diskussion um die Errichtung einer ICSIDBerufungsinstanz in dem Arbeitspapier des ICSID-Sekretariats von 2005 nicht weiter fortgesetzt, weil der Versuch, ein solches Gremium im Rahmen des ICSID-Systems zu gründen, als verfrüht angesehen wurde. Dennoch ist die Debatte auf der Grundlage dieses Vorschlags bis heute in Gang geblieben, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Problematik der inkonsistenten Rechtsprechung bis heute unvermindert fortbesteht. 325 Vgl. ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 2; Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention: A Commentary, Art. 53 Rn. 29. 326 Vgl. Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (229 f.). 327 ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 1. 328 ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 1 f. Dieser Verweis könne zwischen Vertragsstaaten des jeweiligen Investitionsschutzabkommens eine inter-seModifikation der ICSID-Konvention i.S.v. Art. 41 WVRK darstellen, ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 2. Kritisch zur Möglichkeit der inter-se-Modifikation dagegen Schreuer, System of Review, 2, da diese im Hinblick auf Art. 53 ICSID-Konvention als mit Ziel und Zweck der ICSID-Konvention i.S.v. Art. 41 Abs. 1 b) ii) WVRK unvereinbar angesehen werden könne. Art. 41 WVRK lautet: „(1) Zwei oder mehr Vertragsparteien eines mehrseitigen Vertrags können eine Übereinkunft schließen, um den Vertrag ausschließlich im Verhältnis zueinander zu modifizieren, a) wenn die Möglichkeit einer solchen Modifikation in dem Vertrag vorgesehen ist oder b) wenn die betreffende Modifikation durch den Vertrag nicht verboten ist und
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ren sollte der Zugang zu diesem Berufungsmechanismus nach Vorstellung des ICSID-Sekretariats von der individuellen Zustimmung der Schiedsparteien abhängen, wobei es letzteren freistehen würde, den Zugang zum Berufungsmechanismus von der Schiedsvereinbarung auszunehmen. 329 Das für jeden Fall neu zu konstituierende Berufungsgremium sollte dem Vorschlag zufolge aus jeweils drei vom ICSID-Generalsekretär für jedes Verfahren neu zu ernennenden Mitgliedern bestehen. Um dennoch für einen gewissen Grad an personeller Kontinuität zu sorgen, sollten sich die Berufungsschiedsrichter dem Vorschlag zufolge aus einem fünfzehnköpfigen ständigen Gremium rekrutieren. 330 Der Prüfungsumfang dieser Berufungsinstanz sollte nicht nur auf die bereits in Art. 52 ICSID-Konvention enthaltenen Anfechtungsgründe beschränkt sein, sondern zudem materiellrechtliche Fragen sowie schwerwiegende fehlerhafte Tatsachenfeststellungen umfassen.331 Darüber hinaus sollte dieses „Appeals Panel“ befugt sein, den angefochtenen Schiedsspruch nicht nur (wie im Rahmen des Aufhebungsverfahrens) aufzuheben oder zu bestätigen, sondern diesen darüber hinaus auch zu modifizieren oder an das ursprüngliche ICSID-Schiedsgericht zurückzuverweisen. 332 Dieser Vorschlag stellt indes nicht die einzige Möglichkeit zur Einführung eines Berufungsmechanismus für Investitionsschiedssprüche dar. So bestünde eine weitere Möglichkeit in der Schaffung von einzelnen, auf das jeweilige Investitionsschutzabkommen beschränkten Berufungsinstanzen, wie sie in einigen wenigen Investitionsschutzabkommen bereits vorgesehen sind. 333
i) die anderen Vertragsparteien in dem Genuss ihrer Rechte auf Grund des Vertrags oder in der Erfüllung ihrer Pflichten nicht beeinträchtigt und ii) sich nicht auf eine Bestimmung bezieht, von der abzuweichen mit der vollen Verwirklichung von Ziel und Zweck des gesamten Vertrags unvereinbar ist. (2) Sofern der Vertrag in einem Fall des Absatzes 1 Buchstabe a nichts anderes vorsieht, haben die betreffenden Vertragsparteien den anderen Vertragsparteien ihre Absicht, eine Übereinkunft zu schließen, sowie die darin vorgesehene Modifikation zu notifizieren.“ 329 ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 3. 330 ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 5 f. 331 ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 7. 332 ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 9. 333 Vgl. z.B. Annex D US Model BIT (2004) („Possibility of a Bilateral Appellate Mechanism“): „Within three years after the date of entry into force of this Treaty, the Parties shall consider whether to establish a bilateral appellate body or similar mechanism to review awards rendered under Article 34 in arbitrations commenced after they establish the appellate body or similar mechanism.“ Vgl. auch Annex 10-H US-Chile Free Trade Agreement. Hierzu Legum, The Introduction of an Appellate Mechanism, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 289 ff.
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Hierfür bedarf es lediglich einer Vereinbarung durch die Parteien des jeweiligen Abkommens. 334 2. Kritische Würdigung a) Allgemeine Anforderungen an die Ausgestaltung einer Berufungsinstanz Eine Berufungsinstanz müsste sich neben der materiellrechtlichen Kontrolle der Schiedssprüche auch um eine insgesamt einheitliche Rechtsprechung bemühen. 335 Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eines möglichst umfassenden Berufungssystems in dem Sinne, dass von einer einzigen Berufungsinstanz möglichst alle Investitionsschiedsverfahren erfasst werden.336 Hierfür wäre eine Verankerung in der ICSID-Konvention vorteilhaft, wodurch immerhin knapp zwei Drittel aller Investitionsschiedssprüche erfasst würden. 337 Aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses sind die Aussichten auf Verwirklichung dieses Vorhabens jedoch als gering einzustufen. Rechtlich und vor allem politisch leichter zu realisieren ist die Verankerung eines individuellen Berufungsmechanismus im jeweiligen Investitionsschutzabkommen. Der Geltungsanspruch einer derartigen Berufungsinstanz wäre jedoch begrenzt auf das jeweilige Investitionsschutzabkommen und die hierzu ergehenden Schiedssprüche. Dies wird dem Anspruch eines möglichst umfassenden Berufungssystems jedoch nicht gerecht und kann somit auch keine vereinheitlichende Wirkung entfalten, zumal nicht einmal sichergestellt wäre, dass die einzelnen Berufungsmechanismen denselben Regeln und Kriterien folgen würden. Es stünde vielmehr zu befürchten, dass die bisher schon beklagte Vielstimmigkeit der Rechtsprechung, nunmehr ergänzt durch eine Vielzahl einzelner Berufungsentscheidungen, weiter bestehen bliebe. Eine
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Zwar steht auch ein derartiger bilateraler Berufungsmechanismus, sofern er ICSIDSchiedssprüche erfasst, in Widerzuspruch zu Art. 53 ICSID-Konvention, wäre jedoch als inter-se-Modifikation i.S.v. Art. 41 WVRK (wohl) zulässig, vgl. etwa Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (230). 335 Vgl. Schreuer, System of Review, 2. Allgemein zur kohärenzfördernden Wirkung der Berufung vgl. Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I, Rn. 15.06. 336 Tams, An Appealing Option, 14, 24; ders., Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (237 f.); Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte, 215; Bishop, The Case for an Appellate Panel and its Scope of Review, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues, Volume I, 15 (17, 19): „Single appellate body“. 337 Vgl. hierzu oben § 3 II 3 und § 4.
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derartige Vielzahl paralleler Berufungsmechanismen würde daher im Zweifel mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen. 338 Einen Mittelweg zwischen möglichst umfassender Geltung und politischer Machbarkeit scheint der Vorschlag zur Schaffung einer „ICSID Appeals Facility“ zu verfolgen, die zwar eine individuelle Verankerung bzw. eine Verweisung in jedem einzelnen Investitionsschutzabkommen erfordert, dabei jedoch für eine potentielle Vielzahl von Abkommen und darauf basierenden Streitigkeiten als einheitliche Berufungsinstanz zur Verfügung stehen soll. Allerdings wäre die Reichweite einer möglichen „ICSID Appeals Facility“ von vornherein eingeschränkt: Zunächst müsste, wie erwähnt, eine Bezugnahme auf die „ICSID Appeals Facility“ in jedes einzelne Investitionsschutzabkommen, in der Regel nachträglich, durch die Vertragsparteien aufgeno mmen werden. Es erscheint fraglich, ob auf diesem Weg eine ausreichend große Zahl an ergänzten oder neuen Abkommen zustande kommen würde, um eine möglichst umfassende Berufungsinstanz zu schaffen. 339 Die Reichweite des Berufungsmechanismus wäre weiterhin dadurch eingeschränkt, dass der Zugang zur „Appeals Facility“ von der Zustimmung der Parteien abhängen soll. Und selbst wenn man diese beiden vorgenannten Hürden außer Betracht ließe, so wäre die Reichweite der „Appeals Facility“ schon deshalb nicht allumfassend, weil ein Drittel aller Schiedssprüche außerhalb der ICSIDSchiedsgerichtsbarkeit ergehen, 340 so dass von vornherein ein nicht unerheblicher Teil der ergehenden Investitionsschiedssprüche hiervon unberührt bliebe.341 Ein weiterer Aspekt, der für die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch einen hierarchischen Kontrollmechanismus relevant ist, betrifft dessen personelle Ausgestaltung. Um zu einer homogenen Rechtsprechung zu gelangen, müsste das Berufungsgremium in personeller Hinsicht
338 Vgl. Tams, An Appealing Option, 25; ICSID Secretariat, Discussion Paper, 15 f.: „It would in this context seem to run counter the objectives of coherence and consistency for different appeal mechanisms to be set up under each treaty concerned. Efficiency and economy, as well as coherence and consistency, might be best served by ICSID offering a single appeal mechanism as an alternative to multiple mechanisms.“ 339 Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte, 215; Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement on Investment Disputes, 223 (230): „[P]iecemeal appeal“. 340 Hierzu oben § 3 II 3. 341 In dem Diskussionspapier ist, ohne näher auf die Umsetzung einzugehen, die Rede davon, dass die „Appeals Facility“ auch für ad hoc-Schiedsverfahren, etwa auf der Basis der UNCITRAL-Schiedsregeln, offenstehen sollte, vgl. ICSID Secretariat, Discussion Paper, Annex, Rn. 1, 3.
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Kontinuität aufweisen.342 Daher wäre eine für jeden Fall personell neu zusammengesetzte Berufungsinstanz, wie sie dem ICSID-Diskussionsvorschlag von 2004 zugrunde lag, trotz eines auf fünfzehn Personen begrenzten Gremiums an möglichen Schiedsrichtern, aus welchem der Generalsekretär ad hoc jeweils drei Berufungsschiedsrichter pro Fall ernennen würde, nur bedingt geeignet und in der Lage, ein homogenes Fallrecht zu gewährleisten. 343 So hat die Rechtsprechung der ICSID-Aufhebungskomitees gezeigt, dass die persönliche Diskontinuität der Aufhebungskomitees, wie sie sich an der zum Teil divergierenden Auslegung der Rechtsbegriffe des Art. 52 ICSIDKonvention (und somit der Arbeitsgrundlage der Aufhebungskomitees) gezeigt hat, der Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht dienlich war.344 b) Zeit- und Kostenerwägungen Die zusätzliche Kontrolle schiedsgerichtlicher Entscheidungen ist notwendigerweise zeit- und kostenintensiv. 345 Die oftmals als zu hoch beanstandeten Verfahrenskosten sowie die Dauer der Verfahren auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit würden dadurch weiter gesteigert, denn es ist davon auszugehen, dass die unterlegene Partei – insbesondere im Hinblick auf die in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit üblichen hohen Streitsummen – jede sich bietende Möglichkeit nutzen würde, gegen einen für sie nachteiligen Schiedsspruch vorzugehen. Dies umso mehr, als der unterlegenen Partei neben den bereits existierenden prozessualen Gründen nunmehr weite342
Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte, 214; Tams, An Appealing Option, 25. Vgl. auch Schreuer, System of Review, 4 („Courts with a permament composition are more likely to produce a consistent case law“). 343 Vgl. Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent ?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1203): „An appeal before three arbitrators selected from a panel of 15 would not have guaranteed any uniformity of decisions. The different composition of appeals tribunals would not offer a guarantee against inconsistency.“ 344 Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (239); Schreuer, System of Review, 2; Pagel, Die Aufhebung von ICSID-Schiedssprüchen, 204 ff.; Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte, 214; Wälde, Transnational Dispute Management 2/2005, 71 (76). 345 Vgl. Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (228); van Houtte, Article 52 of the Washington Convention – A Brief Introduction, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 11 (14): „Correctness may require reconsideration and control by another instance. On the other hand, an ICSID award should be efficient and thus final. After all, ICSID is expected to settle disputes in an expeditious and economical manner.“
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re, materiellrechtliche Berufungsgründe zur Verfügung stünden. 346 Hierdurch wird deutlich, dass die Ausgestaltung des Kontrollmechanismus für Schiedssprüche mehrere zum Teil entgegengesetzte, legitimitätsrelevante Interessen zum Ausgleich bringen muss: Während eine beschränkte Kontrollmöglichkeit in puncto Zeit- und Kostenersparnis grundsätzlich legitimitätsfördernd ist, bewirken inkonsistente Entscheidungen, u.a. aufgrund des Fehlens eines umfassenden, einheitlichen Überprüfungsmechanismus, eher das Gegenteil. In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit besteht die grundlegende Tendenz, diesen Grundwiderspruch dahingehend aufzulösen, die Kontrollmöglichkeiten relativ gering zu halten und dafür verhältnismäßig schnell zu einer „finalen“ Entscheidung zu gelangen. 347 Eine Berufungsinstanz muss jedoch nicht automatisch zu einer Verfahrensverlängerung führen. Dies hängt vielmehr von deren Ausgestaltung ab. So wäre mit einer Berufungsinstanz eine Beschleunigung von Verfahren gegenüber dem status quo möglich, wenn die Berufungsinstanz nicht nur wie bisher eine Aufhebungsentscheidung, sondern stets auch die Letztentscheidung in der Sache treffen würde. Im momentanen System der ICSID-Aufhebungsverfahren kommt es immer wieder zu jahrelangen Verzögerungen, wenn nach der Aufhebungsentscheidung in derselben Sache erneut geklagt wird, verbunden mit der Möglichkeit eines weiteren Aufhebungsverfahrens.348 c) Finalität Ein Argument, welches regelmäßig gegen die Einführung einer Berufungsinstanz angeführt wird, ist das der Finalität des Schiedsspruchs, welche durch eine Berufungsinstanz beeinträchtigt werde.349 Dabei handelt es sich jedoch 346
Allerdings ist zu beobachten, dass es auch unter dem bishergen Aufhebungsregime schon beinahe zur Routine geworden ist, eine Aufhebung des Schiedsspruchs zu beantragen. Vgl. hierzu Schreuer, 10 The Law and Practice of International Courts and Tribunals 2011, 211 (213): „It has become a routine step for losing parties in ICSID arbitrations to try to overturn awards in annulment proceedings.“ 347 Dies gilt in erster Linie für die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, wohingegen in Schiedsverfahren mit völkerrechtlichen Elementen die Finalität eine tendenziell noch stärkere Betonung erfährt, vgl. van Houtte, Article 52 of the Washington Convention – A Brief Introduction, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 11 (14): „The possibility of the annulment of an ICSID award is already a concession to the half-private nature of ICSID arbitration. This possibility should be used with utmost restraint. The ad hoc committee has to find the delicate balance between correctness and finality of the award.“ 348 Ein Beispiel hierfür ist das Verfahren Vivendi v. Argentina, welches letztlich aus je zwei Ausgangs- und Aufhebungsverfahren bestand. 349 Walsh, 24 Berkeley Journal of International Law 2006, 444 ff.; Schreuer, System of Review, 2.
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streng genommen nicht um eine Frage der Finalität, sondern einerseits um eine Frage der Verfahrensdauer und andererseits um die Frage, welche Instanz für die finale Entscheidung zuständig sein soll. Denn die Tatsache, dass der erfolgreich klagende Investor früher oder später eine finale Entscheidung in Händen hält, ist unbestritten. Diese wird im Falle der Existenz einer Ber ufungsinstanz und der Einleitung eines Berufungsverfahrens jedoch nicht mehr von der Ausgangsinstanz erlassen. d) Akzeptanz der erstinstanzlichen Entscheidung Die Einführung einer Berufungsinstanz könnte dazu führen, dass, insbesondere in der Wahrnehmung der Parteien, die erstinstanzliche Entscheidung entwertet würde.350 Diese wäre in vielen Fällen lediglich eine Durchgangsstation auf dem Weg zu einem endgültigen Schiedsspruch. Ob dies durch ein im Laufe der Zeit erworbenes höheres Prestige einer (nicht einmal ständigen) Berufungsinstanz aufgewogen werden könnte, ist fraglich. 351 e) Inhaltliche Richtigkeit Mit einer Berufungsinstanz verbindet sich traditionell die Vermutung erhöhter inhaltlicher Richtigkeit. 352 Entscheidend hierfür ist jedoch die fachlichkompetente sowie die personell-kontinuierliche Zusammensetzung des Gremiums. So hat die bisherige individuelle ad hoc-Zusammensetzung der Aufhebungskomitees nicht notwendigerweise eine höhere Kompetenz gegenüber den ebenso individuell zusammengesetzten Schiedsgerichten der Ausgangsverfahren garantiert.353 Dies zeigt sich auch in der Praxis der Investitions-
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Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (229): „If first-level decisions were regularly appealed, they might very well end up de-valued.“ 351 Dieses Problem stellt sich bereits im aktuellen Aufhebungssystem für ICSIDSchiedssprüche, vgl. hierzu unten e. 352 So geht es bei Rechtsmitteln wie der Berufung neben dem Ausscheiden unvertretbarer und fehlerhafter Entscheidungen stets auch um Meinungsverschiedenheiten um das richtige Recht, vgl. Saliger, in: Alexy (Hrsg.), Juristische Grundlagenforschung, 138 (143). Dabei ist unter „richtiger“ Entscheidung jedoch nicht die einzig richtige, sondern eine rational begründbare Entscheidung zu verstehen. 353 Vgl. hierzu Mayer, To What Extent Can an Ad Hoc Committee Review the Factual Findings of an Arbitral Tribunal?, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 243 (248): „[T]he members of an ad hoc committee are in no way superior to the members of the arbitral tribunal whose award is examined by them. All of them are chosen by the parties or by the institution among the arbitrators having the highest international reputation. And there is no hierarchy between them, such as the one that exists for instance in England between the members of the Court of Appeal and those of the High Court of Justice. Indeed, an arbitral tribunal and an ad hoc committee are apparently on such equal
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
schiedsgerichtsbarkeit, in der den Entscheidungen der Aufhebungskomitees keine größere Bedeutung beigemessen wird als der Rechtsprechung der Ausgangsschiedsgerichte. Die personelle Zusammensetzung der Aufhebungskomitees ist weder fallübergreifend-kontinuierlich noch lässt die individuelle Auswahl der Schiedsrichter den Schluss auf eine gegenüber dem Ausgangsverfahren erhöhte Sachkunde zu. 354 Insofern ließe sich mit einem gewissen Recht die besondere Autorität der Aufhebungsentscheidung gegenüber der Ausgangsentscheidung in Frage stellen.355 Andererseits ist zu konzedieren, dass der erneute Blick auf einen bereits geklärten Sachverhalt unter Heranziehung des Ausgangsschiedsspruchs möglicherweise eine höhere Richtigkeitsgewähr für sich in Anspruch nehmen kann als die Ausgangsentscheidung. 356 Den vorgenannten Bedenken könnte durch eine personell-kontinuierlich und nach klaren fachlichen Kriterien besetzte Berufungsinstanz begegnet werden. Dies sieht der Vorschlag jedoch nicht vor, so dass auch künftig nicht davon auszugehen wäre, dass die Berufungsentscheidung den Nimbus besonderer inhaltlicher Richtigkeit gegenüber der Ausgangsentscheidung für sich in Anspruch nehmen könnte. 357 3. Zwischenergebnis Soll die vorgeschlagene Berufungsinstanz zu einer möglichst widerspruchsfreien und kohärenten Investitionsrechtsprechung beitragen, so müsste diese einen möglichst weiten Geltungsbereich haben. Nur eine Berufungsinstanz, welche über alle oder zumindest die weit überwiegende Mehrzahl von Investitionsschiedssprüchen entscheidet, kann den gewünschten Beitrag zur Anterms that one may wonder what makes the findings of the latter more credible than those of the former.“ 354 Dies gilt umso mehr, als die meisten an Aufhebungsverfahren beteiligten Schiedsrichter in der Regel auch als Schiedsrichter an anderen Investitionsschiedsverfahren beteiligt sind, so dass bei der Ernennung von Schiedsrichtern keine Trennung nach Ausgangsund Aufhebungsverfahren vorgenommen wird. 355 Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass im aktuellen Aufhebungssystem keine Kongruenz im Prüfungsumfang beider Instanzen besteht, da der Aufhebungsinstanz eine materiellrechtliche Prüfung dem Grunde nach versagt ist, weshalb eine Vergleichbarkeit beider Instanzen nur bedingt gegeben ist. 356 Vgl. Lalive, Concluding Remarks, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 297 (311); Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (240). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die beschränkten Aufhebungsgründe des Art. 52 ICSID-Konvention das Aufhebungskomitee gegenüber dem Ausgangsschiedsgericht zu einer etwas anderen Perspektive auf den Sachverhalt zwingen, wodurch gegebenenfalls das Tor für andere, neue Fehlerquellen eröffnet ist. 357 Schreuer, System of Review, 2.
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gleichung des Fallrechts leisten. Der Befolgungsdruck, den eine Berufungsinstanz zu erzeugen im Stande ist, entsteht nur dann, wenn das Ausgangsschiedsgericht befürchten muss, dass seine Entscheidung wegen inhaltlicher Abweichung von der Rechtsprechungslinie der Berufungsinstanz aufgehoben oder abgeändert wird. Dies setzt ein umfassendes Berufungssystem voraus, dem möglichst viele Schiedsgerichte und deren Schiedssprüche unterfallen. Des Weiteren müsste es sich um einen nach fachlichen Gesichtspunkten mit demselben Personal kontinuierlich besetzten Spruchkörper handeln. Im Hinblick auf die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment könnte eine derart ideal konzipierte Berufungsinstanz dazu beitragen, Widersprüche in der Rechtsprechung, etwa hinsichtlich der Rechtsnatur des Gebots des fair and equitable treatment oder der Anwendungsvoraussetzungen der einzelnen Fallgruppen, zu verringern und somit zu einem kohärenteren Fallrecht beizutragen. So würde diese Berufungsrechtsprechung auf längere Sicht möglicherweise zu einer kohärenten Fallgruppenbildung führen, welche die Handhabung der Generalklausel erleichtern könnte. Auf diesem Weg könnten gegebenenfalls Widersprüche eliminiert werden, welche die Weiterentwicklung der Fallgruppen behindern. Da jedoch ein umfassendes Berufungssystem derzeit politisch nicht durchsetzbar ist und abweichende bzw. abgemilderte Vorschläge, wie etwa die zur Schaffung einer „appeals facility“ oder zur verstärkten Einführung abkommensspezifischer Berufungsinstanzen, die genannten Probleme eher verstärken denn beheben würden, scheint eine derart suboptimale Berufungsinstanz kein geeignetes Mittel, Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zu fördern und damit zumindest indirekt zu einer Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment beizutragen.358 Nachdem sich die Einführung einer ideal konzipierten, umfassenden Berufungsinstanz als nicht durchsetzbar und die alternativen Vorschläge als nur bedingt tragfähige Lösungsvorschlag erwiesen haben, sollen im Folgenden weitere Vorschläge, welche die Förderung der Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zum Ziel haben, erörtert und auf ihre Tauglichkeit hin untersucht werden. Dabei handelt es sich zum einen um den Vorschlag zur Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens für die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit (IV.). Des Weiteren ist zu untersuchen, ob und inwiefern ein System bindender
358 Vgl. hierzu auch Schreuer, Investments, International Protection, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 20: „One perceived method to increase the consistency of case law is the creation of an appeals mechanism that would open the possibility to review decisions […] The usefulness of such a system for the achievement of more coherence remains in doubt.“
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Präjudizien im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit der Problematik der Inkonsistenz und Inkohärenz der Rechtsprechung abhelfen könnte (V.).359 IV. Alternativer Vorschlag: ICSID-Vorabentscheidungsverfahren Zu den institutionellen Änderungsvorschlägen, die vorgebracht wurden, um zu einer einheitlicheren Rechtsprechung der einzelnen Investitionsschiedsgerichte zu gelangen, gehört die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach europarechtlichem Vorbild.360 1. Vorbild: Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV Auf europäischer Ebene dient das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV u.a. dazu, die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die Gerichte der Mitgliedstaaten sicherzustellen. 361 Der mitglied359
Weitere Vorschläge, auf die hier nicht eingegangen werden kann, betreffen u.a. die Einführung von ICSID-Generalanwälten, eine Ausweitung des ICSID-Aufhebungsverfahrens oder die Verbindung verschiedener Schiedsverfahren, vgl. Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte, 211 ff.; Tams, ICSID Appellate Structure, 36 f.; Wälde, Transnational Dispute Management 2/2005, 71 ff.; ders. Alternatives for Obtaining Greater Consistency in Investment Arbitration, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 135 (142 f.) („mandatory consolidation“). 360 Vgl. hierzu Kaufmann-Kohler, Annulment of ICSID Awards in Contract and Treaty Arbitrations: Are there Differences?, in: Gaillard/Banifatemi (Hrsg.), Annulment of ICSID Awards, 189 (221 ff.); Schreuer, Diversity and Harmonisation of Treaty Interpretation in Investment Arbitration, Transnational Dispute Management 3/2006, 23; ders./Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1203 ff.); Tams, ICSID Appellate Structure, 40 f.; Tsatsos, Die Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte, 211 ff. Zur Möglichkeit einer Vorlage zum IGH vgl. Tams, ICSID Appellate Structure, 38 ff. Eine solche Vorlagemöglichkeit wurde bereits in der Entstehungsphase der ICSID-Konvention diskutiert, vgl. Schreuer, System of Review, 6. 361 Grabitz/Hilf/Nettesheim-Karpenstein, Art. 267 AEUV, Rn. 2; Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 6. Weitere Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens sind neben der vorgenannten Sicherung der gemeinschaftsweit einheitlichen Auslegung des Gemei nschaftsrechts die Sicherung des individuellen Rechtsschutzes sowie die Rechtsfortbildung in der EU, Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 8 f.; Chalmers/Davies/Monti, European Union Law, 157 f. Gemäß Art. 267 AEUV kann jedes nationale Gericht Fragen der Auslegung zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn diese Frage entscheidungserheblich ist. Letztinstanzliche Gerichte sind zur Vorlage verpflichtet. Vgl. hierzu generell Schmid, Die Grenzen der Auslegungskompetenz des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG, 2005, passim; Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2004, passim; Groh, Die Auslegungsbefugnis des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, 2005, passim; Hess, Aktuelle Probleme des Vorabentscheidungsverfahrens, RabelsZ 66 (2002), 471 ff.; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, 1995, passim.
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staatliche Richter entscheidet dabei einen Rechtsstreit auf der Basis einer verbindlichen Antwort des EuGH. 362 Hierfür können bzw. müssen die mitgliedstaatlichen Gerichte das Verfahren aussetzen und eine darin aufgeworfene Frage über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts dem EuGH vorlegen. Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens sind gemäß Art. 267 AEUV u.a. Fragen, welche die Gültigkeit und die Auslegung von sekundärem EU-Recht, beispielsweise von Richtlinien, betreffen. 363 Hierfür besitzt der EuGH das Auslegungsmonopol.364 Der EuGH hat jedoch keine Kompetenz zur Auslegung nationalen Rechts. 365 Ebensowenig prüft er die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit EU-Recht.366 Der EuGH befasst sich ebenfalls nicht mit der Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall. 367 Berufen ist der EuGH lediglich zur Beantwortung abstrakter Rechtsfragen, während es Sache des nationalen Gerichts ist, die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen und daraus die Schlussfolgerungen für die von ihm zu erlassende Entscheidung zu ziehen. 368 Daher stellt der EuGH gerade keine Berufungsinstanz dar. 2. Übertragung auf die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit Es liegt auf der Hand, dass diese Konzeption nicht unverändert auf die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit übertragen werden kann. Zur Vorlage berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet wären nicht nationale Gerichte, sondern in-
362
Streinz, Europarecht, Rn. 641. Unter den Begriff „Handlungen der Organe“ fallen alle Rechtsakte, die einem Gemeinschaftsorgan zuzurechnen sind und geeignet sind, Rechtswirkungen zu erzeugen. Hierzu gehört das gesamte sekundäre Gemeinschaftsrecht, Streinz/Ehricke, Art. 234 EGV, Rn. 17; Calliess/Ruffert-Wegener, Art. 234 EGV Rn. 6. 364 Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 68. Zur Frage der Bindungswirkung über das Ausgangsverfahren hinaus vgl. unten V 1 c aa. 365 Grabitz/Hilf/Nettesheim-Karpenstein, Art. 267 AEUV, Rn. 23; von der Groeben/ Schwarze-Gaitanides, Art. 234 EGV, Rn. 27. 366 St. Rspr.; EuGH Slg. 1964, 1251 (1268) – Costa/E.N.E.L.; Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 14; Grabitz/Hilf/Nettesheim-Karpenstein, Art. 267 AEUV, Rn. 23; von der Groeben/Schwarze-Gaitanides, Art. 234 EGV Rn. 31. 367 EuGH Slg. 1987, 3589 (3607) – Coenen; Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 14; Grabitz/Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 EGV, Rn. 24; Franzen, Privatrechtsangleichung, 271; Röthel, Die Konkretisierung von Generalklauseln, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12 Rn. 22. 368 EuGH Slg. 1982, 1331 (1346) – Pabst & Richarz. In der Regel weist der EuGH unzulässige Vorlagefragen nicht ab, sondern deutet diese um, indem er diejenigen Elemente des Gemeinschaftsrechts herausarbeitet, die im vorgelegten Fall einer Auslegung bedürfen, vgl. Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 15; von der Groeben/Schwarze-Gaitanides, Art. 234 EGV, Rn. 28. 363
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ternationale Schiedsgerichte. 369 Weiterhin müsste über die Reichweite der Vorabentscheidungskompetenz entschieden werden. So müsste im Hinblick auf die Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geklärt werden, ob und inwiefern ICSID-Schiedsgerichte an eine derartige Vorabentscheidung gebunden wären. 370 Des Weiteren müsste entschieden werden, welche Art von Fragen überhaupt zur Entscheidung durch eine Vorabentscheidungsinstanz vorgelegt werden dürften. 371 Ein Vorteil dieses Vorschlags läge darin, dass er im Gegensatz zur Einführung einer Berufungsinstanz wohl nicht in Konflikt mit Art. 53 ICSIDKonvention geriete, 372 weshalb eine Einführung durch eine vom Verwaltungsrat zu beschließende Ergänzung der ICSID Rules nicht denselben Bedenken ausgesetzt wäre wie etwa die auf selbem Wege zu bewerrkstelligende Einführung einer Berufungsinstanz.373 Auch hier sollte eine möglichst umfassend wirkende Regelung angestrebt werden. Gegenüber einer Berufungsinstanz hätte ein Vorabentscheidungsverfahren als „präventives“ Verfahren den weiteren Vorzug, dass es weniger zeit- und kostenintensiv wäre und dennoch das Potential zur Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung für sich hätte. 374
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Zur Frage der Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens vgl. (ablehnend) Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 33; Schütze, Die Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten an den EuGH, SchiedsVZ 2007, 121 ff. 370 Vgl. Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 69: Bindungswirkung erga omnes einziges Mittel, um Einheitlichkeit der Rechtsprechung herbeizuführen. 371 Tams, An Appealing Option, 40; Schreuer, System of Review, 6 f., der vorschlägt, Rechtsfragen vorzulegen, wenn das Schiedsgericht von einer gefestigten ICSID-Rechtsprechung abweichen will oder wenn eine Rechtsfrage zur Entscheidung ansteht, die von einem anderen ICSID-Schiedsgericht bereits auf andere Art und Weise entschieden wurde. 372 Schreuer, System of Review, 4; ders./Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1205): „Preliminary rulings would leave Article 53 of the ICSID Convention untouched“; Tams, An Appealing Option, 41. 373 Zur Verabschiedung durch den Verwaltungsrat vgl. etwa Tams, Is there a Need for an ICSID Appellate Structure?, in: Hofmann/Tams (Hrsg.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes, 223 (249). Im Unterschied zur Einführung eines Berufungsverfahrens wäre in diesem Fall die Aufnahme in die ICSID Rules konstitutiv, wohingegen im Falle der Berufungsverfahrens eine derartige Wirkung erst aufgrund der Verankerung im jeweiligen Investitionsschutzabkommen im Sinne einer inter-seModifikation der Konvention herbeigeführt würde. 374 Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1204): „Rather than try and fix the damage after the fact through an appeal, it is more economical and effective to address it preventively before it even occurs […] This method promises to be successful at warding off inconsistency and fragmentation.“
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3. Vorabentscheidungsverfahren und das Gebot des fair and equitable treatment – europarechtliche Erfahrungen mit der Generalklauselkonkretisierung im Vorabentscheidungsverfahren Zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment im Wege eines möglichen ICSID-Vorabentscheidungsverfahrens erscheint es sinnvoll, einen Blick auf die Erfahrungen und Erkenntnisse mit der Konkretisierung gemeinschaftsrechtlicher Generalklauseln im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zu werfen. Wie erwähnt verfügt der EuGH lediglich über eine beschränkte Konkretisierungszuständigkeit im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens. Er entscheidet nur über die Auslegung, nicht jedoch über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts. So gehört neben der Auslegung der nationalen Gesetze vor allem die für die Fallgruppenbildung wichtige Anwendung der Norm auf den konkreten Sachverhalts nicht zum Aufgabenbereich des EuGH. Hierüber entscheiden die nationalen Gerichte, 375 in deren ausschließlicher Kompetenz es liegt, den konkreten Rechtsstreit zu entscheiden. 376 Im Grundsatz gilt dabei, dass die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH nicht so konkret sein darf, dass damit die Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall vorweggenommen wird. 377 Die Aufgabe des EuGH erschöpft sich demnach darin, abstrakte und generelle Hinweise zum Verständnis des Unionsrechts zu geben.378 Hierbei hat sich gezeigt, dass ein auf die Auslegung (im Gegensatz zur Anwendung) von Rechtsfragen beschränktes Vorabentscheidungsverfahren nur beschränkt geeignet ist, die autonome Konkretisierung unionsprivatrechtlicher Generalklauseln 379 voranzubringen.380 So hat sich in der Praxis erwie375
Obwohl diesbezüglich Einigkeit besteht, wird die Entscheidungskompetenz des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, insbesondere was die Subsumtion am konkreten Fall anbelangt, unterschiedlich beurteilt, vgl. Coester-Waltjen, Jura 1997, 272 (275). 376 Franzen, Privatrechtsangleichung, 271 m.w.N. 377 Grabitz/Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 EGV, Rn. 26 ff. Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 1.4. 2004 – Rs. C-237/02 (Freiburger Kommunalbauten), Rn. 21 f. Insofern wird eine Auslegung des Begriffs von Treu und Glauben durch den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, sofern diese überhaupt gewährleistet ist, möglicherweise nicht ausreichen, um übereinstimmende Ergebnisse der Inhaltskontrolle in allen Mitgliedstaaten herbeizuführen. Darüber hinaus könnte es notwendig sein, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte ihre Gerichtsentscheidungen gegenseitig beachten und gegebenenfalls einander anpassen, vgl. hierzu Wolf/Lindacher/Pfeiffer-Wolf, AGB-Recht, Kommentar, Art. 3 RL, Rn. 13 a.E. 378 Franzen, Privatrechtsangleichung, 271. 379 Wie z.B. „Treu und Glauben“ in Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie (93/13/EWG). Für eine Auswahl weiterer Generalklauseln des europäischen Privatrechts vgl. etwa Schmidt, Konkretisierung, 123 ff. 380 Allgemein zur Frage der Generalklausel(konkretisierung) im Europäischen Privatrecht Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht;
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sen, dass die Auslegung von EU-Recht, insbesondere von unionsrechtlichen Generalklauseln, nicht ohne einen Bezug zum konkreten Sachverhalt auskommt; insofern gelingt es in der Praxis nicht immer, zwischen der Auslegung von EU-Recht einerseits und der Beurteilung eines konkreten Sachverhalts zu trennen. 381 Dies gilt umso mehr für die Konkretisierung besonders unbestimmter Rechtssätze und führt zur Problematik, welche die Konkretisierung unions(privat)rechtlicher Generalklauseln aufwirft: Der offene Tatbestand einer Generalklausel erfordert eine Konkretisierung am konkreten Sachverhalt,382 wohingegen die Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens vom Prinzip her nur auf die Entscheidung abstrakter Rechtsfragen durch den EuGH angelegt ist. Ohne die Arbeit am konkreten Sachverhalt kann jedoch die Konkretisierung einer Generalklausel nur schwer gelingen.383 Schmidt, Konkretisierung, passim; Röthel, Die Konkretisierung von Generalklauseln, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12. 381 Grabitz/Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 EGV, Rn. 27; von der Groeben/SchwarzeGaitanides, Art. 234 EGV, Rn. 32. 382 Vgl. Vogel, Juristische Methodik, 98: „[…] bei Generalkaluseln und unbestimmten Rechtsbegriffen […] bedarf es vielmehr einer Konkretisierung, bei welcher der jeweils in Rede stehende Fall eine maßgebende Rolle spielt.“ Der juristischen Hermeneutik zufolge sind Auslegung und Anwendung, Rechtssatz (Sollensanordnung) und Sachverhalt (deskriptives Sein) in einem einheitlichen Vorgang wechselseitiger Annäherung verklammert, vgl. Hassemer, ARSP 1986, 195 (201): „Norm und Fall [...] müssen im Akt der Rechtsfindung schrittweise zueinander in Beziehung gebracht werden.“ Vgl. auch Engisch, Logische Studien, 15: Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt; Larenz, Methodenlehre, 207: Prozess des Voraus- und Zurückblickens; Zippelius, Methodenlehre, 98: „Es vollzieht sich eine ‚Konkretisierung„ der Rechtsnorm mit Bezug auf die vorhandene Lebenswirklichkeit: in einem ‚Hin-und Herwandern des Blickes„ zwischen der Norm und dem von der Norm betroffenen Sachverhalt.“ Vgl. hierzu unten § 11 II 3 c. 383 Aufgrund dieser Problemstellung wurde vertreten, auch solche Vorlagefragen als zulässig zu erachten, welche die Rechtsanwendung zum Gegenstand einer Vorabentscheidung machen, um so dem EuGH eine autonome Konkretisierung unionsprivatrechtlicher Generalklauseln zu ermöglichen. Dem wird jedoch entgegengehalten, dass diese Auffassung wohl keine Stütze in Art. 267 AEUV („Auslegung“) findet und dass das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH keine Superrevision darstellt, vgl. Canaris, EuZW 1994, 417; Roth, in: Basedow/Hopt/Kötz (Hrsg.), Festschrift Drobnig, 1998, 135 (145 ff.). Die Vorlagefrage, ob eine Klausel entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten verursacht, ist nach dieser Auffassung unzulässig, vgl. Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2196); a.A. Nasall, WM 1994, 1645 (1652). Auf dieser eher restriktiven Linie scheint sich auch eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2004 zu bewegen, vgl. Entscheidung des EuGH, Urteil vom 1.4.2004 – Rs. C-237/02 (Freiburger Kommunalbauten). In dieser Entscheidung hatte der EuGH auf Ersuchen des BGH darüber zu entscheiden, ob eine Vertragsklausel als missbräuchlich i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL einzustufen sei, welche die Fälligkeit einer Stellplatzgebühr im Rahmen eines Bauträgervertrages unabhängig vom Baufortschritt bzw. der Abnahme des Bauwerkes und damit abweichend vom gesetzlichen Leitbild des § 641 BGB regelt. Der EuGH entschied, dass es Sache des nationalen Rechts sei, festzustellen, ob die streitige Vertragsklausel die Kriterien erfülle, um als missbräuc h-
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Gibt der EuGH nur allgemein gehaltene Auskünfte zur Norm, so kann das vorlegende Gericht nur wenig damit anfangen; da dies letztlich für alle betroffenen mitgliedstaatlichen Gerichte gilt, welche die vom EuGH auszulegende Norm anwenden müssen, beeinträchtigt dies auch die vereinheitlichende Wirkung der Vorabentscheidung. Hält sich der EuGH dagegen zu eng an den vorgelegten Sachverhalt, so greift er in die streitentscheidende Prärogative des Prozessrichters ein und würde selbst zur streitentscheidenden Instanz werden. Der für die einzelnen Fallentscheidungen (und einer hieraus entstehenden Fallgruppenbildung) erforderliche Bezug zum konkreten Sachverhalt ist daher grundsätzlich nicht gegeben. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich die Frage, inwieweit der EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens überhaupt die Kompetenz und die Möglichkeit hat, zur Konkretisierung einer Generalklausel beizutragen. 384 lich qualifiziert zu werden. Im Grunde hat sich der EuGH damit der Auffassung angeschlossen, wonach die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer AGB-Klausel entgegen den Geboten von Treu und Glauben eine Frage der Rechtsanwendung und nicht der Rechtsauslegung ist, mit der weiteren Konsequenz, dass die nationalen Gerichte und nicht der EuGH zuständig sind. Demgegenüber wurde in der Literatur vertreten, der EuGH habe seine gegebene Auslegungszuständigkeit im konkreten Fall lediglich nicht wahrgenommen, weil er aufgrund der Vielfalt der nationalen Rechtsgrundlagen nicht in der Lage gewesen sei, einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu bilden, vgl. Markwardt, Inhaltskontrolle von AGB-Klauseln durch den EuGH, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2005, 152 (155). Das Unionsrecht verfüge indes über genügend Wertungsgrundlagen in Form rechtsvergleichend zu erschließender allgemeiner Rechtsgrundsätze, wie sie etwa in den PECL oder den UNIDROIT-Principles niedergelegt seien, um derartige Generalklauseln auszufüllen, vgl. Markwardt, Inhaltskontrolle von AGB-Klauseln durch den EuGH, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2005, 152 (155). Es mag durchaus sein, dass der EuGH zur Konkretisierung des Maßstabes von Treu und Glauben neben dem Unionsrecht auch auf andere Rechtsquellen zurückgreifen könnte. Die Problematik dieser Auffassung besteht jedoch darin, dass sich die Frage des durch den EuGH i.R.v. Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL anzulegenden Maßstabes methodisch erst dann stellt, wenn der EuGH zu einer Entscheidung im konkreten Fall überhaupt berufen ist. Genau diese Auslegungszuständigkeit hat der EuGH jedoch aus nachvollziehbaren Grü nden verneint. Auch wenn die vorgenannte Entscheidung eine gewisse Klarheit hinsichtlich der Auslegungszuständigkeit des EuGH bei Generalklauseln gebracht hat, so bleibt die Frage der autonomen Konkretisierung von unionsrechtlichen Generalklauseln und insbesondere des Prinzips von Treu und Glauben aufgrund der Beschränkung des EuGH auf diesem Gebiet einstweilen ungelöst. Ohne die Rechtsprechung des EuGH in diesem Bereich dürfte es kaum möglich sein, einen eigenständigen unionsrechtlichen Begriff von Treu und Glauben zu entwickeln. 384 Letztlich geht es dabei um die Frage, ob es sich bei der Konkretisierung der Generalklausel um Rechtsauslegung oder um Rechtsanwendung handelt, wobei die Trennlinie nur schwer zu ziehen ist. Die Entscheidung der Frage hat wiederum Konsequenzen für die
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Die vorgenannte Problematik beträfe potentiell auch die Konkretisierung der generalklauselartigen Schutzstandards des Investitionsrechts durch eine am europarechtlichen Vorbild orientierten, auf die Entscheidung von Rechtsfragen fokussierten ICSID-Vorabentscheidungsinstanz. 385 Es bestehen daher insbesondere im Hinblick auf die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment gewisse Zweifel, ob die Einführung eines dem europäischen Vorbild nachempfundenen Vorabentscheidungsverfahrens geeignet und in der Lage wäre, die Bedeutung der Norm zu erhellen und überdies zu einer konsistenteren und kohärenteren Rechtsprechung der Schiedsgerichte beizutragen. 4. Zwischenergebnis Grundsätzlich ist ein (umfassendes) Vorabentscheidungsverfahren ein geeignetes Mittel, eine konsistente und kohärente Rechtsprechungspraxis zu fördern. Im Gegensatz zur Schaffung einer neuen Berufungsinstanz stünde die Einführung eines ICSID-Vorabentscheidungsverfahrens nicht in offenem Widerspruch zu Art. 53 ICSID-Konvention. Zudem hätte eine ex ante-Kontrolle im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gegenüber der üblichen ex post-Kontrolle von Schiedssprüchen den Vorteil der Zeit- und Kostenersparnis. Allerdings sollten bei einer möglichen Umsetzung Erfahrungen des europäischen (Privat-)Rechts berücksichtigen werden. Zieht man diese ErkenntZuständigkeit des EuGH. So wurde in Teilen der Literatur eine weite Prüfungskompetenz des EuGH in Bezug auf die Klausel-RL vertreten, vgl. Coester, in: Heldrich (Hrsg.), Festschrift Heinrichs, 1998, 99 (101). Nach dieser Ansicht dürften dem EuGH auch einzelne Vertragsklauseln vorgelegt werden, damit er prüfen kann, ob ein gegen Treu und Glauben verstoßendes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten i.S.d. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie gegeben ist, vgl. Staudinger-Coester, BGB (13. A.), § 9 AGBG, Rn. 55, nennt als Beispiel für eine zulässige Vorlagefrage die Frage, ob die in einem Verbrauchervertrag enthaltene Klausel, derzufolge die Erstlaufzeit eines Vertrages über die Nutzung eines Sportstudios ein Jahr betragen soll, ein gegen Treu und Glauben verstoßendes Missverhäl tnis der vertraglichen Rechte und Pflichten i.S.d. Art. 3 Abs. 1 der Klausel-RL begründet. Dem wurde entgegengehalten, dass die Konkretisierung der Generalklausel nicht Rechtsauslegung, sondern von den mitgliedstaatlichen Gerichten vorzunehmende Rechtsanwendung sei, vgl. Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2196). Vorlagefragen der genannten Art würden stets eine Subsumtion im konkreten Fall erforderlich machen und seien demnach nicht vorlagefähig, vgl. Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2196); Roth, JZ 1999, 529 (536). Im Übrigen erfolge die Subsumtion nicht anhand der Richtlinie, sondern anhand des nationalen Rechts, vgl. Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2196 f.) Diese Grenze sei eindeutig überschritten, würden Vorlagefragen im dargestellten Sinn als zulässig erachtet. 385 Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1204): „Adapted to investment arbitration, this method could provide for an interim procedure whenever a tribunal is faced with a fundamental issue of investment treaty application.“
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nisse aus dem europäischen (Privat-)Recht mit der Konkretisierung von Generalklauseln im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens in Betracht, so wäre bei einer direkten Übernahme des europäischen Modells eine gewisse Skepsis angebracht, was die Möglichkeiten betrifft, durch ein Vorabentscheidungsverfahren maßgeblich zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment – und in der Folge zu einer erhöhten Konsistenz und Kohärenz des Fallrechts – beizutragen. Die Konkretisierung von Generalklauseln benötigt den Bezug zum konkreten Sachverhalt, der jedoch bei einem Vorabentscheidungsverfahren nach gemeinschaftsrechtlichem Vorbild, welches sich auf Auslegungsfragen konzentriert, dem Grunde nach ausgeblendet bleibt. Andererseits bestünde die Möglichkeit, in diesem Punkt vom europäischen Vorbild abzuweichen und im Rahmen einer möglichen ICSID-Vorabentscheidung die Hinzuziehung des Sachverhalts zu gestatten, zumal die vom EuGH verfolgte Trennung von Auslegung und Anwendung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrenist nicht ohne Kritik geblieben ist. Allerdings müsste sich eine solche Vorabentscheidungsinstanz, welche den Fall – soweit die Vorlagefrage reicht – anstelle des vorlegenden Schiedsgerichts, gegebenenfalls bindend, entscheiden würde, wiederum an der ICSIDKonvention messen lassen. So wäre eine Kollision der Vorabentscheidungsinstanz mit Art. 53 ICSID-Konvention ausgeschlossen, wenn man die Überprüfung einer bereits ergangenen Entscheidung als ein wesentliches Merkmal einer Berufungsinstanz ansieht. Andererseits könnte sich die Frage stellen, inwiefern die ICSID-Konvention das (Ausgangs-)Schiedsgericht als die primäre Streitentscheidungsinstanz ansieht, welcher die (gesamte) Erstentscheidung obliegen soll. V. Präjudizienbindung in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Ein Grund, der nicht selten für die inkonsistente Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte angeführt wird, betrifft die fehlende Bindung der Investitionsschiedsgerichte an vorangegangene Entscheidungen. 386 Ein Vorschlag zur Verbesserung der Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte besteht folglich darin, in der Investitionsschiedsge-
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Vgl. hierzu Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, passim; Gill, Inconsistent Decisions, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 ff.; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 ff.; Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.113 f.; Schill, Multilateralization, 284, 293; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 ff.
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richtsbarkeit von einem System bindender Präjudizien auszugehen bzw. ein solches einzuführen. 387 Um diesen Vorschlag auf seine Tauglichkeit zu untersuchen, sollen im Folgenden zunächst der Begriff des Präjudizes sowie die unterschiedlichen Formen der Präjudizienbindung in verschiedenen Rechtsordnungen untersucht werden (1.). Danach ist der Frage nachzugehen, ob und inwiefern sich die gefundenen Erkenntnisse auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit übertragen lassen und sich die Schiedsgerichtsbarkeit für eine Präjudizienbindung eignet (2.). Hieran anschließend wieder der aktuelle status quo der Präjudizienbindung in der Praxis der Investitionsschiedsgerichte geklärt wird (3.), bevor schließlich zu beantworten ist, ob ein System bindender Präjudizien ein sinnvolles Mittel sein könnte, Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte, nicht zuletzt in Bezug auf das Gebot des fair and equitable treatment, zu fördern (4.). 1. Präjudizien und Präjudizienbindung Bevor die Frage der Präjudizien(bindung) in der (Investitions)Schiedsgerichtsbarkeit genauer untersucht wird, soll zunächst der Begriff des Präjudizes näher untersucht werden (a)). Im Anschluss sollen Stellung und Funktion von Präjudizien im nationalen Recht beleuchtet werden, wobei insbesondere auf grundlegende Unterschiede zwischen den Rechtskreisen des Civil Law und des Common Law einzugehen sein wird (b)). a) Begriff Ein Präjudiz ist die gerichtliche Entscheidung einer Rechtsfrage, die in einem anderen Rechtsstreit erneut zur Entscheidung ansteht. 388 Ein Präjudiz kann sowohl die Auslegung einer Norm als auch eine richterliche Rechtsfortbildung betreffen. Praktische Bedeutung erlangen Präjudizien dadurch, dass nicht nur die Instanzgerichte, sondern auch die obersten Gerichte nur selten von einem Präjudiz abweichen. 389 387
Vgl. etwa Rodgers, Bilateral Investment Treaties and Arbitration: An Argument and a Proposal for the ICSID‟s Implementation of a System of Binding Precedent, Transnational Dispute Management 3/2008. 388 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 253: „Präjudizien sind Entscheidungen, in denen dieselbe Rechtsfrage, über die neuerlich zu entscheiden ist, von einem Gericht in einem anderen Fall bereits einmal entschieden worden ist.“; Fikentscher, Methoden des Rechts II, 81: „Unter Präzedenzfall oder, englisch, precedent, versteht man den entschiedenen Fall, der für die Entscheidung weiterer, künftiger Fälle maßgeblich sein soll.“ Vgl. auch Legum, The Definitions of „Precedent“ in International Arbitration, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 5 ff. 389 Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, 73; Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (170).
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Dabei kann die Präjudizienbindung, insbesondere in ihrer strikten Form, eine vereinheitlichende Wirkung auf die Rechtsprechung haben. 390 So ist es eine wichtige Funktion der Orientierung an Präjudizien, dass hierdurch die Einheitlichkeit und Kontinuität der Rechtsprechung und somit letztlich die Rechtssicherheit gefördert wird.391 Dabei existieren verschiedene Formen der Bindungswirkung, weshalb mit dem Begriff Präjudiz in verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtskreisen teilweise unterschiedliche Bedeutungsinhalte verbunden werden. 392 Hierzu soll exemplarisch die Rechtslage in den 390
Vgl. zu den Gründen für ein System bindender Präjuzien bzw. der stare decisis Atiyah/Summers, Form and Substance in Anglo-American Law, 116, die als ersten Grund anführen, dass „the practice secures equality before the law at least in the sense that like cases are treated alike.“ Vgl. hierzu auch das berühmte „Practice Statement“ des House of Lords aus dem Jahre 1966 ([1966] 1 W.L.R. 1234, per Lord Gardiner, in dem zwar die Bindung an eigene Präjudizien aufgehoben wurde, jedoch zunächst u.a. deren generelle Bedeutung für die Rechtssicherheit unterstrichen wurde: „Their Lordships regard the use of precedent as an indispensable foundation upon which to decide what is the law and its application to individual cases. It provides at least some degree of certainty upon which individuals can rely in the conduct of their affairs […].“ Vgl. auch Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 4: Konsistenz der Jurisdiktion wird in anglo-amerikanischer Methode über rechtliche Bindungskraft der Präjudizien erreicht. 391 Vgl. Schreuer, Diversity and Harmonisation of Treaty Interpretation in Investment Arbitration, Transnational Dispute Management 2006, 1 (10). Zum Zusammenhang von Präjudizienbindung und Rechtssicherheit Bydlinski, JZ 1985, 149 (152 f.); Larenz, Methodenlehre, 429. Vgl. hierzu Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2): „Sicher ist, dass die Berücksichtigung einschlägiger Präjudizien die Rechtssicherheit erhöht. Je dichter das Netz von Vorentscheidungen geknüpft ist, desto feiner wird die Abstimmung, die sich durch Fallvergleiche erzielen lässt.“ Vgl. Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495: „Coherence and predictability of dispute settlement decisions is a crucially important aspect of any judicial or arbitration mechanism. […] Judicial systems normally guarantee such predictability through reliance on precedent, whether in the form of formal binding precedent (stare decisis), as in many common law jurisdictions, or through a de facto case-law, as practiced in many so-called civil law traditions“; Acquaviva/Pocar, Stare decisis, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 1: „The doctrine is one of the means by which a legal system ensures its own internal uniformity, coherence, and predictability in the application of the law“; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (54): „[A] doctrine of stare decisis or jurisprudence promotes the value of uniformity. This doctrine enhances security, predictability, and governance“; Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1189): „Under common law systems, a doctrine of precedent exists to provide guidance, predictability, efficiency, uniformity and impersonality.“ Vgl. hierzu auch die Ansicht Dworkins, wonach die richterliche Urteilstätigkeit mit der Arbeit an einem Fortsetzungsroman („chain novel“) vergleichbar ist, Dworkin, Law‟s Empire, 228 ff. 392 So dürfte sich für die im Bereich der internationalen (Investitions-)Schiedsgerichtsbarkeit tätigen Juristen mit dem Begriff des Präjudizes bzw. der Präjudizienbindung ver-
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Rechtskreisen des Civil Law und des Common Law dargestellt und verglichen werden. b) Nationales Recht – Präjudizien im Civil Law und im Common Law Die Fragen nach der Legitimität und den Grenzen von Fallrecht zählen nach wie vor zu den offenen Fragen der Methodenlehre. 393 Die unterschiedliche Bedeutung von Gerichtsentscheidungen für ein Rechtssystem sowie die verschiedenen Formen der Präjudizienbindung lassen sich am besten untersuchen, indem man das Kodifikationssystem des Civil Law und das Fallrechtssystem des Common Law als Idealtypen gegenüberstellt. 394 Hierzu wird stellvertretend auf die Rechtslage im deutschen bzw. im englischen Recht abgestellt. aa) Präjudizien im Rechtskreis des Civil Law – am Beispiel des deutschen Rechts Richterrecht ist im deutschen Recht für die Entscheidung künftiger Fälle zweifellos von Bedeutung. 395 Die Frage der Bindungswirkung von Präjudizien gehört dabei zu den Dauerthemen der deutschen Methodenliteratur. 396 schiedene Bedeutungsinhalte verbinden, weshalb mit der Forderung nach Präjudizienbi ndung in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit je nach Vorverständnis mit unterschiedliche Vorstellungen verbunden sein kann. Zu dieser rechtskulturellen Dimension der internationalen Streitbeilegung vgl. etwa Kern, Internationale Schiedsverfahren zwischen Civil Law und Common Law, ZVglRWiss 2010, 78 ff. 393 Vgl. Frowein, Randbemerkungen zu den Grenzen des Richterrechts in rechtsvergleichender Betrachtung, in: Festschrift Heidelberg, 555 (557); Röthel, Normkonkretisierung, 92. 394 Zur Unterteilung dieser beiden Rechtskreise und den dabei unvermeidbaren Vereinfachungen Kern, ZVglRWiss 2010, 78 (79 f.). 395 Vgl. Langenbucher, Richterrecht, 36 ff.; Larenz, Methodenlehre, 429; Larenz/ Canaris, Methodenlehre, 253; Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 47 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 502. 396 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 92; Larenz, Über die Bindungswirkung von Präjudizien, in: Fasching/Kralik (Hrsg.), Festchrift Schima, 1969, 247 ff.; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2); Brehm, Festschrift Schumann, 57 ff.; Weller, Die Bedeutung der Präjudizien im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft, passim; Fikentscher, Die Bedeutung von Präjudizien im heutigen deutschen Privatrecht, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, 11 ff.; Picker, JZ 1984, 153 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 253; Bydlinski, Hauptpositionen zum Richterrecht, JZ 1985, 149 ff.; Langenbucher, Richterrrecht, passim; Alexy/Dreier, Precedent in the Federal Republic of Germany, in: MacCormick/Summers (Hrsg.), Interpreting Precedents: a comparative study, 17 ff.; Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 425 ff.; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2 ff., 19 ff.); Baade, Stare Decisis in Civil Law Systems, in: Nafziger/Symeonides (Hrsg.), Law and Justice in a Multistate World, Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, 2002, 155 ff.
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Eine explizite gesetzliche Regelung der Verbindlichkeit von Vorentscheidungen erga omnes, d.h. über den konkreten Einzelfall hinaus, findet sich in § 31 BVerfGG.397 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt im Gegensatz dazu sonstigen höchstrichterlichen Entscheidungen keine dem Gesetz vergleichbare Rechtsbindungswirkung zu. 398 Der Richter ist demnach nicht an das Präjudiz, sondern vielmehr an die darin ausgelegte bzw. konkretisierte Norm gebunden.399 Der Geltungsanspruch von Präjudizien über den konkreten Einzelfall hinaus beruht demnach allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie auf der Autorität und Kompetenz des Gerichts.400 In der Literatur gehen die Meinungen zur Bindungswirkung von Präjudizien auseinander. Von der Verneinung einer Bindungswirkung bis hin zu deren Bejahung werden unterschiedliche Ansichten vertreten. 401 Die überwiegende Meinung lehnt die rechtliche Verbindlichkeit von Vorentscheidungen ab. Aus der faktischen Bindung von Präjudizien in der Rechtspraxis kann demnach nicht auf deren normative Verbindlichkeit geschlossen werden. Nach Ansicht der traditionellen Methodenlehre stellen Präjudizien und das hieraus hervorgehende „Richterrecht“ keine Rechtsquelle, sondern lediglich 397 Vgl. Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 25 ff. Eine normative Bindungswirkung wird zudem auch in §§ 11 UKlaG, 138 Abs. 1 GVG, 16 RSprEinhG angeordnet. Vgl. hierzu auch Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 425 ff.; Badura, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, 49 ff. 398 Vgl. BVerfGE 78, 123 (126); 84, 212 (227); 87, 273 (278). 399 Bydlinski, JZ 1985, 449 (450); Larenz, Methodenlehre, 430; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 254; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 334; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 321 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 539 f.; Berger, The International Arbitrators„ Application of Precedent, 9 Journal of International Arbitration 1992, 5 (7): „While under Anglo-American law, the precedent is proof of the existence of a particular rule of law and has authority „because it is a correct statement of the law‟, the precedent in civil law merely provides an authoritative example for the „right‟ interpretation of the statute.“ Aufgrund der fehlenden normativen Geltung werden Präjudizien nach h.M. auch nicht als Rechtsquelle angesehen, vgl. Larenz, Methodenlehre, 429 ff.; Esser, in: Festschrift von Hippel, 1967, 95 (113). Hieraus folgt auch die faktische Geltung des deutschen bzw. kontinentaleuropäischen Richterrechts verglichen mit der normativen Geltung eines Gesetzes erheblich schwächer ist. 400 BVerfGE, 84, 212 ff. = JZ 1992, 48 ff. Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 519; Picker, JZ 1984, 153 (158), demzufolge der Geltungsgrund von Präjudizien nicht formaler, sondern lediglich materialer Natur ist. 401 Zum Meinungsstand im Schrifttum vgl. Fikentscher, Die Bedeutung von Präjudizien im heutigen deutschen Privatrecht, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, 11 ff.; Bydlinski, Hauptpositionen zum Richterrecht, JZ 1985, 149 ff.; Alexy/Dreier, Precedent in the Federal Republic of Germany, in: MacCormick/Summers (Hrsg.), Interpreting Precedents, 17 ff.; Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 425 ff.; Auer, Materialisierung, 91 ff.; Brehm, Festschrift Schumann, 58 ff.; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (19 ff.); Diedrich, Präjudizien im Zivilrecht, 206 ff.
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eine Rechtserkenntnisquelle dar. 402 Gegen eine Präjudizienbindung angeführt werden das Gewaltenteilungsprinzip, die richterliche Unabhängigkeit und der Gesetzesvorbehalt.403 Die Befürworter einer Präjudizienbindung verweisen dagegen auf den Gleichheitssatz sowie die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Gedanken des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. 404 Letztlich sprechen die besseren Argumente gegen eine strikte Präjudizienbindung, da weder der Gleichheitssatz, noch die aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Grundsätze des Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Bindung an nachgewiesen fehlerhafte Entscheidungen rechtfertigen oder gar erfordern.405 In der Methodenlehre wird zunehmend eine eingeschränkte Präjudizienbindung im Sinne einer Präjudizienvermutung vertreten. 406 So wird überwie402 Larenz, Methodenlehre, 429 ff., 432; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 253 ff. (die jedoch trotz grundsätzlicher Ablehnung der Verbindlichkeit der Präjudizien in Ahnlehnung an Bydlinski von einer „subsidiären“ Rechtsquelle sprechen, vgl. ibid., 257); Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 186; ders., Festschrift von Hippel, 95 (113 f.); Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 334; Müller, Richterrecht – rechtstheoretisch formuliert, in: Festschrift Heidelberg, 65 (80); Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 170; Picker, JZ 1984, 153 (155). Es gibt daher in den kontinentaleuropäischen Systemen auch kein „Richterrecht“ im normativen Sinn, Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2). Nach der Fallnormtheorie Fikentschers hingegen entfaltet nicht das Gesetz, sondern einzig die aus dem Gesetz im Wege der „Konkretion“ gewonnene konkrete „Fallnorm“ Bindungswirkung, vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts IV, 202 ff., 336 ff., 374 f.; ders., Die Bedeutung von Präjudizien im heutigen deutschen Privatrecht, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, 11 (18 f.). 403 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (33 ff.) m.w.N. 404 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (18); Brehm, Festschrift Schumann, 63; Jacob, Precedents: Lawmaking Through International Adjudication, German Law Journal 2011, 1005 (1017): „[E]ven in legal systems dominated by a codification culture there are various reasons militating against a court reaching a different result on a similar manner. Among these are equality, fairness, unity, stability, continuity, legal certainty, and the protection of legitimate expectations.“ Andererseits besteht kein Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht, weshalb der Gleichheitssatz keine Bindung an eine als fehlerhaft betrachtete Vorentscheidung bewirkt. Eine Abweichung von ist unter Beachtung des Gleichheitssatzes auch dann gerechtfertigt, wenn lediglich bessere Gründe für eine abweichende Entscheidung sprechen ohne dass es sich um eine fehlerhafte Vorentscheidung handeln muss, vgl. BVerfGE 50, 142 (166); Langenbucher, Richterrecht, 109. 405 Vgl. Langenbucher, Richterrecht, 121 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 604. 406 Vgl. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 243 ff.: Richtigkeitsvermutung und präsumptive Verbindlichkeit; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 299 ff., 305, 336: Umkehrung der Beweis- bzw. Argumentationslast; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 506 f., 510: Sekundäre Rechtsquelle; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 441 ff.: Bindung mittels Überzeugungskraft; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 257 f.: Präjudizienvermutung; Fikentscher, Die Bedeutung von Präjudizien im heutigen deutschen Privatrecht, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, 11 (19): Pflicht zur Aufstellung einer konkreten Fallnorm; Langenbucher, Richterrecht, 121 ff.: Eingeschränkte Verbindlichkeit richterrechtlicher Normen aus dem Prinzip
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gend angenommen, dass Präjudizien eine argumentative Bindungswirkung im Sinne einer widerlegbaren Vermutung der Richtigkeit (sog. präsumtive Verbindlichkeit) zukommt. 407 Hieraus folgt, dass derjenige, der vom Präjudiz abweichen will, die Argumentationslast trägt und hinreichende Gründe dafür darlegen muss. 408 Zur Begründung wird wiederum auf das Postulat der Rechtssicherheit und das Gebot der rechtlichen Gleichbehandlung verwiesen.409 In diesem Sinne haben gerichtliche Entscheidungen auch jenseits einer formellen Bindung, welche ihnen nicht zukommt, eine für die Entwicklung des Rechtssystems wichtige Bedeutung, da sie im Rahmen künftiger Entscheidungen zumindest argumentativ Berücksichtigung finden. 410 bb) Präjudizien im Rechtskreis des Common Law – am Beispiel des englischen Rechts Dem steht das Präjudizienrecht des Common Law gegenüber. 411 Ein Unterschied gegenüber dem kontinentaleuropäischen Civil Law betrifft dabei die des Vertrauensschutzes (welches jedoch das Interesse an verbesserter Rechtserkenntnis abgewogen werden muss); Ohly, AcP 201 (2001), 1 (20 ff.): Vermittelnde Ansicht im Sinne einer Präjudizienvermutung; weitergehend Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 129 ff., die eine Bindung an die ratio decidendi annimmt. Kritisch gegenüber der Annahme einer präsumptiven Verbindlichkeit von Präjudizien dagegen Weber, AcP 192 (1992), 516 (547 f.). 407 Vgl. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 249 ff., 259 ff. Dem ist die Literatur in weiten Teilen gefolgt, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 93 m.w.N. 408 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 336; Zippelius, Methodenlehre, § 13 II; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 256; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 171; Langenbucher, Richterrecht, 131 f. Die verfassungsrechtlichen Einwände, die gegen eine strenge Präjudizienbindung sprechen, greifen hier nicht durch; der Gleichheitsgrundsatz und der Grundsatz der Rechtssicherheit stehen einer Argumentationslast nicht entgegen, können ggfs. sogar dazu führen, dass eine mögliche Abweichung von Präzedenzfällen einer Legitimation durch Begründung bedarf. 409 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 334 ff., 338; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 562; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (30); Tams, An Appealing Option, 18. 410 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 187 ff.; Langenbucher, Richterrecht, 36 ff. 411 Generell zur Unterscheidung von Civil Law und Common Law vgl. Rheinstein, Common Law and Civil Law: An Elementary Comparison, 22 Rev. Jur. Univ. Puerto Rico, 1952/53, 90 ff.; ders., Einführung in die Rechtsvergleichung, 33 f.; Rabel, Civil Law and Common Law, 10 La. L. Rev. 1949/50, 431 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 250 ff. Zur Unterscheidung Präjudizienrecht von Gesetzesrecht, vgl. MacCormick/Summers, in: dies. (Hrsg.), Interpreting Precedents, 5; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 567 ff., 577. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 253 ff.; zum englischen Präjudizienrecht Cross, Precedent in English Law, passim; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 253 ff.; Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 71 ff.; Plötzgen, Präjudizienrecht im angelsächsischen Rechtskreis, 1979, passim; Pilny, Präjudizienrecht im anglo-amerikanischen und im deutschen Recht, 1993,
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Doktrin der stare decisis.412 Danach ist ein Gericht an Entscheidungen höherer Gerichte gebunden (sog. vertikale Bindungswirkung). 413 Hinzu kommt, dass die Gerichte (mit Ausnahme des House of Lords, nunmehr Supreme Court) an ihre eigenen früheren Entscheidungen gebunden sind (horizontale Bindungswirkung). 414 Dieses soll dem Bedürfnis nach einer konsistenten Rechtsprechung dienen und einem grundlegenden Gerechtigkeitsgrundsatz entsprechen,415 wonach gleichgelagerte Fälle gleich zu behandeln sind. 416 Hierdurch sollen Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit, Effizienz, Gleichheit und die Begrenzung der Rechtsschöpfungsmacht des Richters im Verhältnis zum Gesetzgeber gefördert werden. 417 passim; Lundmark, Juristische Technik und Methodik des Common Law, 1998, passim; Atiyah/Summers, Form and Substance in Anglo-American Law, 115 ff. Zur historischen Entwicklung Vogenauer, ZNR 2006, 48 ff.; Hager, Rechtsmethoden in Europa, 86 ff. Zum (englischen) Präjudizienrecht als Rechtsquelle Cross, Precedent in English Law, 153 ff. 412 Vgl. hierzu Cross, Precedent in English Law, 103 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts II, 83 ff.; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (47): „Stare decisis is defined as the doctrine of precedent under which it is necessary for a court to follow earlier judicial decisions when the same points arise again in litigation“; Fikentscher, Methoden des Rechts II, 83: „Der Grundsatz, dass man Präzedenzfälle zu befolgen hat, soweit ihre jeweilige ratio decidendi reicht, heisst stare decisis, ‚bei den Entscheidungen stehenbleiben„.“ Im engeren Sinn, um den es hier vorwiegend geht, ist die doctrine of precedent mit der doctrine of stare decisis identisch. In einem weiteren, allgemeineren Sinne beschreibt die doctrine of precedent das Erfordernis, eine juristische Argumentation auf frühere Entscheidungen aufzubauen, vgl. Birks (Hrsg.), English Private Law, Vol. I, 2000, 29; Cross, Precedent in English Law, 105 f. 413 Vgl. McLeod, Legal Method, 148 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts II, 103 ff. Hierzu gibt es drei Ausnahmen: im Falle sich widersprechender Entscheidungen, einer zwischenzeitlich vom Supreme Court aufgehobenen (overruled) Entscheidung oder einer per incuriam ergangener Entscheidung. Bei letzterer handelt es sich um eine Entscheidung, die ihrerseits eine Gesetzesvorschrift oder ein Präjudiz übersehen hat, vgl. McLeod, Legal Method, 142; Cross, Precedent in English Law, 143 f. Dies gilt allerdings nicht im Verhältnis zum übergeordneten Gericht. 414 Vgl. Smith/Bailey/Gunn, Modern English Legal System, 486 ff.; Atiyah/Summers, Form and Substance in Anglo-American Law, 118. 415 Vgl. auch Smith/Bailey/Gunn, Modern English Legal System, 477: „One of the hallmarks of any good decision-making process is consistency: like cases should be treated alike. […] A court‟s decision is expected to consistent with decisions in previous cases and to provide certainty for the future so that the parties and others may arrange their affairs in reliance on the court‟s opinion. These considerations are reflected in the English system of judicial precedent.“ 416 Cross, Precedent in English Law, 4. 417 Lundmark, Festschrift Krawietz, 577 (578); ders., Methodik des Common Law, 162; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 562; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (58); Atiyah/Summers, Form and Substance in Anglo-American
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Eine gewisse Flexibilität sichert dabei die Einschränkung, dass Bindungswirkung stets nur den tragenden Entscheidungsgründen des Präzedenzfalles (rationes decidendi) zukommen kann. 418 Auch wenn keine völlige Einigkeit darüber besteht, was genau die ratio decidendi ausmacht und wie diese zu gewinnen ist, 419 lässt sich die ratio decidendi als aus der rechtlichen Begründung folgende und auf den entscheidungserheblichen Fakten beruhende richterliche Entscheidungsregel beschreiben. 420 Eine weitere Einschränkung der materiellen Bindungskraft kann im Einzelfall durch die Auseinandersetzung mit früheren Entscheidungen im Wege des distinguishing, d.h. des VergleiLaw, 116. So wird in beiden Rechtskreisen die Einheit des Rechtssystems sowie die Erwartungssicherheit hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidung von Einzelfällen gewährleistet: Während dies im Kodifikationssystem des Civil Law dem Grundsatz nach durch die Gesetzesbindung erreicht wird, übernimmt diese Aufgabe im Fallrechtssystem die (strenge) Bindung an Präjudizien. Hier zeigt sich bereits ein Ansatzpunkt für eine Konvergenz beider Systeme: Je weniger der Gesetzgeber, etwa aufgrund der Alterung der Kodizes, den bestehenden Regelungsbedarf abdeckt, desto mehr gewinnt die Rechtsprechung auch im Kodifikationssystem an Gewicht. 418 Vgl. Smith/Bailey/Gunn, Modern English Legal System, 480; Manchester/Salter/ Moore, Exploring the Law: The Dynamics of Precedent and Statutory Interpretation, 4; Zander, The Law-Making Process, 268; Atiyah/Summers, Form and Substance in AngloAmerican Law, 121; Fikentscher, Methoden des Rechts II, 86 ff.; Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 83 ff.; Blumenwitz, Einführung, 33 ff.; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 317; Jayme, Festschrift Max Planck Institut für Privatrecht, 2001, 447 (452); Hager, Rechtsmethoden in Europa, 93. Man kann folglich in stare decisis die formelle Reichweite der Bindungswirkung von Präjudizien sehen, wohingegen in mit ratio decidendi deren materielle Reichweite bezeichnet, vgl. Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, 237, 241. Den begrifflichen Gegensatz zu ratio dedidendi stellt das obiter dictum dar, welches eine richterliche Aussage darstellt, die die Entscheidung nicht trägt und nur eine unwesentliche Beigabe zum juristischen Gedankengang zu verstehen ist, Fikentscher, Methoden des Rechts II, 91. 419 Smith/Bailey/Gunn, Modern English Legal System, 481; Cross, Precedent in English Law, 38 ff.; Manchester/Salter/Moore, Exploring the Law: The Dynamics of Precedent and Statutory Interpretation, 4; MacCormick, Why Cases Have Rationes and What They Are, in: Goldstein (Hrsg.), Precedent in Law, 155 ff.; Atiyah/Summers, Form and Substance in Anglo-American Law, 121. 420 Vgl. z.B. Cross, Precedent in English Law, 76: „The ratio decidendi of a case is any rule of law expressly or impliedly treated by the judge as a necessary step in reaching his conclusion, having regard to the line of reasoning adopted by him, or a necessary part of his direction to the jury“; Zander, The Law-Making Process, 263: „[A] proposition of law, which decides the case, in the light or in the context of the material facts“; MacCormick, Why Cases have Rationes and What These Are, in: Goldstein (Hrsg.), Precedent in Law, 170: „A ratio decidendi is a ruling expressly or impliedly given by a judge which is sufficient to settle a point of law put in issue by the parties‟ arguments in a case, being a point on which a ruling was necessary to his justification (or one of his alternative justifications) of the decision in the case.“ Bei Kollegialgerichten ist die ratio decidendi so etwa aus den einzelnen Voten der Urteilsbegründung herauszulesen.
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chens von Sachverhalten und Tatsachen, bewirken. 421 Durch das distinguishing soll sichergestellt werden, dass eine Bindung an das Präjudiz nur dann besteht, wenn dessen rechtserhebliche Tatsachen (material facts) denen des zu entscheidenden Falles entsprechen.422 Eine Form der Beachtung formal nicht bindender Präjudizien stellen die sog. „persuasive precedents“ dar. 423 Diese betreffen etwa Gerichtsentscheidungen anderer Common Law-Länder oder unterinstanzlicher Gerichte, die zwar nicht als „binding precedent“, wohl aber aufgrund ihrer Überzeugungskraft Berücksichtigung finden können. cc) Zwischenergebnis Sowohl im Civil Law als auch im Common Law kommt Präzedenzfällen eine erhebliche praktische Bedeutung zu. 424 Der entscheidende Aspekt betrifft 421 Vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts II, 95 ff.; Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 94 ff.; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 317. 422 Vgl. Birks (Hrsg.), English Private Law, Vol. I, 2000, 35; MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, 219 ff.; Hart, The Concept of Law, 135; Fikentscher, Methoden des Rechts, II, 95 („Aufzeigen rechtserheblicher Unterschiede zwischen den Fä llen“). Zur Bedeutung des distinguishing Fikentscher, Methoden des Rechts, II, 63: „Zwischen precedent und distinction verläuft also die gesamte methodische Entwicklung des Fallrechts.“ Dabei ist zu beachten, dass sich die ratio decidendi im Ausgangspunkt zunächst nur auf den konkret entschiedenen Sachverhalt bezieht, vgl. Zander, The LawMaking Process, 269. Durch diese Einschränkung der Bindungswirkung (sowie die Tats ache, dass im Civil Law Präjudizien de facto gefolgt wird) stellt sich der Unterschied zwischen den Rechtskreisen des Civil Law und des Common Law in der Praxis geringer als auf den ersten Blick zu vermuten, zumal auch im Civil Law eine de facto Bindung an Präjudizien existiert, vgl. Jacob, German Law Journal 2011, 1005 (1016): „That English judges constantly follow pertinent precedents slavishly is as inaccurate as the cliché that the German judge always makes up his mind afresh in every new case.“ 423 Vgl. Bronaugh, Persuasive Precedent, 217 ff.; Atiyah/Summers, Form and Substance in Anglo-American Law, 115; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (47): „[A] decision that a court may either follow or reject, but that is entitled to respect and careful consideration.“ Als persuasive authorities kommen beispielsweise ausländische Urteile und obiter dicta in Betracht, Ohly, AcP 201 (2001), 1 (25). Für „persuasive authorities“ im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit siehe unten d. 424 Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 34. Insofern sollten diese Unterschiede nicht überbewertet oder verabsolutiert werden, vgl. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 245. Es wäre daher verfehlt, die idealtypische Gegenüberstellung des Kodifikationssystems des Civil Law und des Fallrechtssystems dazu Common Law dahingehend zu verstehen, dass Gerichtsentscheidungen nur im Fallrechtssystem aber nicht im Kodifikat ionssystem eine besondere Bedeutung für die Rechtsfindung zukommt. So zeigen sich, wie gesehen, in der Praxis Konvergenzen durchaus zwischen beiden idealtypisch unterschiedenen Systemen, vgl. Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 317; Zweigert/Kötz, Einführung
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dabei die Frage der Bindungswirkung vorangegangener Entscheidungen, die im Übrigen zu den wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen zwischen Civil Law und Common Law gehört.425 Im Civil Law wird eine normative Bindungswirkung von Präjudizien trotz einer unbestrittenen faktischen Bindungswirkung nach wie vor abgelehnt. In der kontinentalen Rechtstradition steht es dem Gericht daher innerhalb der Willkürgrenzen dem Grunde nach frei, von vorangegangenen Entscheidungen abzuweichen. Vertreten wird jedoch eine eingeschränkte bzw. indirekte Präjudizienbindung im Sinne einer Begründungslast für denjenigen, der von einer Vorentscheidung abweichen will. Präjudizien sind demnach „persuasive authorities“, nicht jedoch „binding authorities“. 426 Ein Hauptunterschied zwischen Civil Law und Common Law markiert daher nach wie vor die in der anglo-amerikanischen Rechtsfamilie übliche Lehre der Bindung an Präjudizien (doctrine of stare decisis), wonach ein Gericht an jede Entscheidung eines im Instanzenzug höheren Gerichts oder zumindest an die des letztinstanzlichen Gerichts gebunden ist. 427 Eine Annäherung ist neben der unbestrittenen praktischen Bedeutung von Präjudizien in beiden Rechtskreisen auch insofern auszumachen, als durch die Alterung der Kodizes nach kontinentaleuropäischem Vorbild das Richterrecht in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen an Bedeutung gewinnt,
in die Rechtsvergleichung, 253: „So gewiss es ist, dass sich die Stile juristischen Denkens in den Ländern des Common Law und auf dem Kontinent voneinander unterscheiden, so verfehlt wäre es doch, daraus einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen einer Methode systematischen Begriffsdenkens andererseits zu konstruieren. Eine solche Antithese b ezeichnet zweifellos Neigungen und Tendenzen, die im Common Law und Civil Law vorherrschen mögen; sie geht aber, absolut genommen, an der Wirklichkeit des Rechtsfindungsprozesses, wie wir ihn heute in den beiden großen Rechtsfamilien beobachten kö nnen, in zunehmendem Maße vorbei.“ 425 Fikentscher, Methoden des Rechts II, 144. 426 Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 268. 427 Diese unterschiedlichen Grundansätze haben zu Folge, dass die Lösung des Falles und allgemein die juristische Methodik im Bereich des Common Law stärker induktiv durch Vergleich mehrerer ähnlich gelagerter Fälle geprägt ist, wohingegen sich der Jurist des Civil Law stärker deduktiv an gesetzlichen Regelungen orientiert. In diesem unterschiedlichen methodischen Vorgehen liegt der eigentliche Unterschied zwischen Civil Law und Common Law, vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 258; Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 35; Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 103; Cross, Precedent in English Law, 177 ff.; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (47); Acquaviva/Pocar, Stare decisis, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 4: „While in civil law countries precedent does play an important role in guiding adjudication and, therefore, in providing consistency within the legal order, the difference is that no formal legal norm requires judges to follow previous cases.“
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während im Rechtskreis des Common Law die Bedeutung von Gesetzesrecht zunimmt. 428 c) Präjudizien: Europarecht und Völkerrecht Im Folgenden soll nun der Status von Präjudizien auf supranationaler (aa)) und völkerrechtlicher Ebene (bb)) näher untersucht werden. aa) Europarecht In der Entscheidungspraxis des EuGH nehmen frühere Entscheidungen eine wichtige Rolle ein. 429 Dennoch hat der EuGH die Existenz eine Regel bindender Präjudizien im Sinne einer stare decisis niemals anerkannt. 430 Inwiefern den Urteilen des EuGH normative Bindungswirkung und somit Rechtsquellencharakter zukommt, ist umstritten. Mangels ausdrücklicher Regelung ist insbesondere die Bindungswirkung von Vorabentscheidungsurteilen des EuGH ebenfalls umstritten. 431 Nach herrschender Meinung sind jedenfalls das vorlegende (mitgliedstaatliche) Gericht sowie alle mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichte an das Urteil gebunden. 432 Inwiefern darüber hinaus von der Bindung anderer mitgliedstaatlicher Gerichte ausgegangen werden kann, ist dagegen umstritten. 433 Die überwiegende Auffassung geht aufgrund der Gefahr der Rechtszersplitterung bei einer möglichen Abweichung seitens einzelner nationaler Gerichte von einer Bindungswirkung über den konkreten Einzelfall hinaus aus; diese soll jedoch nicht einer strikten Bindungswirkung im Sinne einer stare decisis entsprechen und somit auch keine Rechtsquelle 428
Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 258; Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 35. Während ausgehend vom Gleichbehandlungsgrundsatz (und insbesondere dort, wo der Gesetzgeber den gesellschaftlichen Regelungsbedarf nicht befriedigt) die präsumptive Verbindlichkeit von Präjudizien in Kodifikationssystemen wie dem deutschen Einzug hält, ist in der Praxis des Fallrechtssystems des Common Law ein Abweichen von der strikten Präjudizienbindung bei entsprechender Begründung möglich. Daher sollte die idealtypische Gegenüberstellung beider Rechtskreise nicht dazu verleiten, den Gerichtsentscheidungen nur im Fallrechtssystem aber nicht im Kodifikationssystem eine besondere Bedeutung für die Rechtsfindung zuzuschreiben. So zeigen sich in der Praxis Konvergenzen zwischen den idealtypisch unterschiedenen Systemen. 429 Stotz, Rechtsprechung des EuGH, 426; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 568. 430 Stotz, Rechtsprechung des EuGH, 427; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 12 Rn. 53. 431 Vgl. hierzu Barcelo, Precedent in European Community Law, in: MacCormick/ Summers (Hrsg.), Interpreting Precedents, 407 (415 ff.). 432 Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim-Karpenstein, Art. 267 AEUV Rn. 99; Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 68; Schwarze, Art. 234 EG, Rn. 63; Lenz/Borchardt, Art. 234 EG Rn. 55; Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 234 EG, Rn. 31; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 12 Rn. 50. Vgl. auch BVerfGE 73, 339 (370). 433 Vgl. Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 69.
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darstellen.434 Eine strikte Bindungswirkung berge die Gefahr einer Versteinerung des Rechts und widerspreche dem Kooperationsverhältnis zwischen europäischer und nationaler Gerichtsbarkeit. 435 Eine präjudizielle Wirkung liegt aber zumindest dann vor, wenn eine Rechtsfrage durch gefestigte Rechtsprechung des EuGH gelöst ist. Der Umfang der Bindungskraft bezieht sich dabei nicht nur auf die Urteilsformel, sondern auch auf die tragenden Entscheidungsgründe. Falls mitgliedstaatliche Gerichte von der Rechtsprechung des EuGH abweichen wollen, besteht eine Vorlageverpflichtung, wodurch eine mittelbare Bindungswirkung erzeugt wird.436 Hinsichtlich unterinstanzlicher Gerichte ist dies aufgrund der fehlenden Vorlageverpflichtung zwar umstritten, aus prozessökonomischen Gründen jedoch zu befürworten.437 Das Europarecht folgt damit der kontinentaleuropäischen Tradition, wonach Präjudizien nicht den Rang einer Rechtsquelle haben. 438 Der EuGH ist an eigene Urteile nicht gebunden, auch wenn er sich in der Praxis durchaus an früheren Urteilen orientiert. bb) Völkerrecht In der völkerrechtlichen Streitbeilegung und insbesondere vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) 439 wird ein formelles System bindender Präjudizien grundsätzlich abgelehnt. 440 So kann der IGH prinzipiell jederzeit von seinen 434
Vgl. Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 69: Gelockerte stare decisis Doktrin; Grabitz/Hilf/Nettesheim-Karpenstein, Art. 267 AEUV, Rn. 101: Eingeschränkte erga omnes Wirkung; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 12 Rn. 54: Tatsächliche Bindungswirkung; Schwarze, Art. 234 EG Rn. 66; Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, 179. Sonst würde der EuGH zum Ersatzgesetzgeber, obwohl ihm diese Kompetenz nicht zusteht, Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 69. 435 Ehricke, Bindungswirkung, 47. 436 Schwarze, Art. 234 EG, Rn. 66. 437 Vgl. Streinz/Ehricke, Art. 267 AEUV, Rn. 72. 438 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 567; Müller-Graff, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 140. 439 Vgl. hierzu Shahabuddeen, Precedent in the World Court, 238: „Stare decisis does not apply“; Acquaviva/Pocar, Stare decisis, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 2; Doehring, Die Rechtsprechung als Rechtsquelle des Völkerrechts, in: Festschrift Heidelberg, 541 (552 ff.). 440 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, 54: „There is agreement on all hands that stare decisis is not applicable is not applicable to the Court. Also, the prevailing view within the Advisory Committee of Jurists was that judicial decisions would enable the Court to find the existing law, and not create new law.“ Vgl. hierzu Art. 59 IGH-Statut: “The decision of the Court has no binding force except between the parties and in respect of that particular case.“ Art. 59 StIGH-Statut hatte denselben Wortlaut. Vgl. auch den ähnlichen Wortlaut von Art. 33 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Seegerichtshofes sowie Art. 1136 Abs. 1 NAFTA. Vgl. auch Trendex Corp. v. Central Bank of Nigeria,
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früheren Entscheidungen abweichen. Ein weiteres Argument gegen eine normative Bindungswirkung ist die Vorschrift des Art. 38 Abs. 1 lit. d IGHStatut, demzufolge richterliche Entscheidungen als Hilfsmittel (subsidiary means) zur Feststellung von Rechtsnormen, mithin als Rechtserkenntnisquellen heranzuziehen sind.441 In der Praxis zeigt sich jedoch ein de facto-System der Präjudizienbindung, in dem eine starke Tendenz zur Befolgung früherer Entscheidungen erkennbar ist.442 So ist der IGH dafür bekannt, dass er sich fast ausschließlich auf eigene Entscheidungen beruft und von diesen nur selten abweicht. 443 d) Zwischenergebnis In allen hier untersuchten Rechtsordnungen nehmen frühere Entscheidungen eine wichtige Stellung ein. Zwar existiert mit Ausnahme des Rechtskreises des Common Law weder im nationalen Recht noch im Europa- und Völkerrecht ein System rechtlich bindender Präjudizien im Sinne einer stare decisis. [1977] 2 W.L.R. 356 (365) per Lord Denning: „[I]nternational law knows no rule of stare decisis.“ Die Anerkennung eines Systems bindender Präjudizien würde auch der Staatswillenstheorie widersprechen, wonach die normative Geltun des Völkerrechts auf einen Wi llensakt der Staaten zurückzuführen ist, vgl. hierzu Jennings/Watts, Oppenheim‟s International Law I/1, § 5. Zur Rechtsnatur von Gerichtsentscheidungen im Völkerrecht siehe auch Doehring, Die Rechtsprechung als Quelle des Völkerrechts, zur Auslegung des Art. 38 Abs. 1 Ziff. d des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, in: Festschrift der Juristische Fakultät Heidelberg, 541 ff.; Weil, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedents in International Arbitration, 95 ff.; Guillaume, Can Arbitral Awards Constitute a Source of International Law under Article 38 of the Statute of the International Court of Justice, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedents in International Arbitration, 105 ff. 441 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 321 f.; Acquaviva/Pocar, Stare decisis, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, (online edition), 2010, Rn. 10: „Art. 38 ICJ Statute clearly does not require that previous holdings be adopted in deciding pending cases.“ Vgl. auch Doehring, Die Rechtsprechung als Rechtsquelle des Völkerrechts, in: Festschrift Heidelberg, 541 (552 ff.): Rechtsprechung ist keine Rechtsquelle, es sei denn sie erstarkt zu Völkergewohnheitsrecht. Dies entspricht der im Rechtskreis des Civil Law vorherrschenden Auffassung, vgl. z.B. Berger, 9 Journal of International Arbitration 1992, 5 (9). 442 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, 238; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (497 f.). Vgl. hierzu auch die Anmerkung von IGH-Richter Jessup in Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, Judgment of 5 February 1970, Separate Opinion of Judge Jessup, ICJ Reports 1970, 163, Rn. 9: „[T]he influence of the Court‟s decisions is wider than their binding force.“ 443 Vgl. Shahabuddeen, Precedent in the World Court, 238; Jennings, The Judiciary, International and National, and the Development of International Law, 45 ICLQ 1996, 9. Im Bereich des Welthandelsrechts haben die WTO Panels und der WTO Appellate Body über die vergangenen fünfzehn Jahre hinweg ebenfalls ein relativ konsistentes Fallrecht entwickelt. So kann auch hier von zumindest „persuasive precedent“ gesprochen werden. Vgl. hierzu Bhala, The Precedent Setters: De facto stare decisis in WTO Adjudication, 9 Journal of Transnational Law & Policy 1999, 1 ff.
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Dennoch finden gerichtliche Entscheidungen auch jenseits einer formellen, normativen Bindungswirkung im Rahmen künftiger Entscheidungen (argumentativ) Berücksichtigung und beeinflussen so die spätere Rechtsprechung in nicht unerheblichem Maße. Für die Diskussion zur Einführung einer formellen Präjudizienbindung im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit 444 folgt hieraus unter anderem, dass eine gewisse Kohärenz des Fallrechts grundsätzlich auch ohne eine strikte Bindungswirkung früherer Entscheidungen erreicht werden kann. 2. Präjudiz und (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit Die vorangegangene rechtsvergleichende Untersuchung orientierte sich in erster Linie an der rechtlichen Stellung gerichtlicher Präjudizien. Es stellt sich somit die Frage, ob und inwiefern sich die gewonnenen Erkenntnisse auf die (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit übertragen lassen. a) Zulässigkeit Dies betrifft zunächst die Frage der Zulässigkeit schiedsgerichtlicher Präjudizienbildung. Zweifel an der generellen Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung im Sinne einer schiedsgerichtlichen Präjudizienbildung könnten sich aus verfassungs- und kollisionsrechtlichen Erwägungen ergeben. Bedenken könnten sich daraus ergeben, dass über Präjudizien die Rechtsfortbildung beeinflusst wird, weshalb sich die Frage stellt, ob und inwiefern auf Parteivereinbarung beruhende Schiedsgerichte berufen sind, durch Präjudizienbildung zumindest indirekt an der Fortbildung des Rechts mitzuwirken (aa)). Hieran schließt sich die Frage an, ob und inwiefern sich eine mögliche Berechtigung auch auf die Fortbildung fremden Rechts erstrecken könnte (bb)). aa) Zulässigkeit der Rechtsfortbildung durch Schiedsgerichte Zunächst stellt sich die Frage der generellen Zulässigkeit Rechtsfortbildung im Sinne einer schiedsgerichtlichen Präjudizienbildung. 445 Dies wäre vor 444
Vgl. hierzu unten 3 und 4. Zunächst wird unter richterlicher Rechtsfortbildung als Fortsetzung und Abgrenzung gegenüber der Auslegung die Ausbildung neuer Rechtssätze im Lückenbereich verstanden, vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 187 ff.; Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel (Hrsg.), Rechtsfor tbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (25 ff.); rechtsvergleichend Frowein, Die Grenzen des Richterrechts in rechtsvergleichender Betrachtung, in: Festschrift Heidelberg, 567 ff. Darüber hinaus trägt jedoch auch die Schaffung von Präjudizien zur Fortentwicklung des Rechts bei, Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (171); Weber, AcP 192 (1992), 516 (541). Nach Brehm, Festschrift Schumann, 57, kann man unter Rechtsfortbildung „eine Weiterentwicklung der allgemeinen für Gerichte und Bürger verbindl i445
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allem dann relevant, wenn die Rechtsfortbildung allein den (staatlichen) Gerichten des Forums vorbehalten wäre. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Vorgaben des Sitzrechts dies vorsähen.446 Im deutschen Recht beispielsweise existiert eine solche Norm nicht.447 Schiedsgerichte sind somit an dieselben einschlägigen (verfassungs)rechtlichen Normen gebunden wie staatliche Gerichte auch. Sie sind aber innerhalb der jeweiligen, insbesondere verfassungsmäßigen Schranken des Sitzstaates zur Rechtsfortbildung des Sitzrechts berechtigt. 448 Dies ist folgerichtig, wenn man berücksichtigt, dass die Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber den staatlichen Gerichten zunehmend als im Prinzip gleichwertige Form der Streitbeilegung anerkannt wird. 449 Auch die Tatsache, dass Schiedsgerichte auf Parteivereinbarung beruhen, ändert hieran nichts, denn auch diese auf Vereinbarung beruhende Streitbeilegung schwebt nicht frei, sondern setzt zunächst die staatliche Gestattung und Anerkennung durch das Sitzrecht voraus.450 Es ist somit davon auszugehen, dass die Rechtsfortbildung durch Schiedsgerichte innerhalb der gesetzlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Schranken des Sitzrechts dem Grunde nach gestattet ist. bb) Zulässigkeit der Fortbildung fremden Rechts Eine sich hieran anschließende Frage ist jedoch, ob diese Erkenntnis auch für die Fortbildung fremden Rechts gilt. 451
chen Normen verstehen oder nur die Konkretisierung des Rechts im Einzelfall“. Zum Verhältnis von Präjudiz und Rechtsfortbildung vgl. auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 572; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 255. In dem letztgenannten, die Schaffung von Präjudizien einschließenden Sinne soll der Begriff der Rechtsfortbildung hier verstanden werden. 446 Vgl. Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (30 ff.). 447 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird auf einen umfassenden Rechtsvergleich verzichtet. Allerdings ist zu unterstellen, dass die Frage in den meisten Rechtsor dnungen ähnlich beantwortet wird. 448 Im seltenen Fall der delokalisierten Schiedsgerichtsbarkeit, wie etwa im Fall der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, besteht dagegen keine Anbindung an ein Sitzrecht, so dass eine derartige Kollision mit Sitzrecht ausgeschlossen ist. 449 Raeschke-Kessler/Berger, Recht und Praxis des Schiedsverfahrens, Rn. 1. 450 Zur Anbindung des Schiedsverfahrens an ein nationales Recht vgl. oben § 4 III. 451 Diese Frage ist insbesondere für die nicht-delokalisierte Investitionsschiedsgerichtsbarkeit außerhalb des ICSID relevant, denn aus Sicht des jeweiligen Sitzrechts stellen die Bestimmungen des jeweils einschlägigen völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens regelmäßig fremdes Recht dar. Folglich betrifft die schiedsrichterliche Fortbildung von Normen wie des Gebots des fair and equitable treatment auch Fragen der Fortbildung fremden Rechts.
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Im internationalen Privatrecht, wo sich ähnliche Fragen zur Anwendung und gegebenenfalls Fortbildung ausländischen Sachrechts durch inländische Gerichte stellen, ist die Problematik bisher kaum beleuchtet worden. 452 Die wenigen hierzu vertretenen Meinungen gehen auseinander und variieren von grundsätzlicher Zustimmung bis hin zu grundsätzlicher Ablehnung. 453 Eine vermittelnde Auffassung bejaht eine Fortbildung fremden Rechts, begrenzt deren Wirkungen jedoch auf das Inland. 454 Besonders problematisch erscheint dabei die Fortbildung fremden Rechts in den Fällen, in denen die fremde Rechtsordnung richterliche Kompetenzen voraussetzt (und auch gewährt), über welche die (Schieds-)Gerichte des Forums grundsätzlich nicht verfügen. Entnimmt man daher die vom Gericht des Forums anzuwendende Methode der lex causae, so kann das Problem entstehen, dass diese „ausländische“ Methode gegebenfalls richterliche Kompetenzen voraussetzt, die zu den (verfassungs)rechtlichen Grundsätzen, insbesondere zur Stellung der Rechtsprechung, des Forums möglicherweise in Widerspruch stehen.455 Zwar kann man in der (einfachgesetzlichen) IPR-Gesetzgebung oder dem Verweisungsbefehl eine entsprechende Ermächtigung der (Schieds-)Gerichte des Forums sehen, allerdings ist fraglich, ob dies eine ausreichende Legitimationsgrundlage darstellt, um von verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie etwa Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 GG des deutschen Rechts, abgewichen werden kann. 456 452
Vgl. Jayme, Richterliche Rechtsfortbildung im Internationalen Privatrecht, in: Festschrift Heidelberg, 567 ff.; ders., Der deutsche Richter und das Common Law, in: Basedow et al. (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 447 ff. 453 Vgl. Jayme, Richterliche Rechtsfortbildung im Internationalen Privatrecht, in: Festschrift Heidelberg, 567 (570): Verweisungsbefehl umfasst Ermächtigung zur Rechtfortbi ldung. Ebenso von Hoffmann, „Lex mercatoria“ vor internationalen Schiedsgerichten, IPRax 1984, 106 (107 f.). Vgl. auch AG Charlottenburg, IPRax 1983, 128: Fortbildung türkischen (Unterhalts-)Rechts durch deutsche Gerichte; Jansen/Michaels, Die Auslegung und Fortbildung ausländischen Rechts, ZZP 116 (2003), 3 ff.: Rechtsfortbildung ausländischen Rechts (nur) mit Wirkung für das Inland. Grundsätzlich ablehnend zur Fortbildung ausländischen Rechts dagegen Neumayer, RabelsZ 23 (1958), 573 (592 f.). Differenzierend zur angrenzenden Frage der Auslegung(smethode) bei ausländischem (englischem) Vertragstext und anwendbarem deutschen Sachrecht, Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 ff. 454 Vgl. Jansen/Michaels, Die Auslegung und Fortbildung ausländischen Rechts, ZZP 116 (2003), 3 ff. 455 So könnte beispielsweise fraglich sein, ob etwa ein Gericht mit Sitz in einem Land des Civil Law, z.B. in Deutschland, bei der Anwendung des berufenen englischen Rechts auch entsprechende richterliche Kompetenzen nach Art des Common Law für sich bea nspruchen könnte. Eine andere Frage ist, inwiefern ein Gericht aus dem Bereich des Common Law an die dortigen Methoden gebunden wäre. 456 Vertreten wird eine Rechtsfortbildung mit Wirkung für das Inland. Bei einer nicht delokalisierten Schiedsgerichtsbarkeit, d.h. bei (Investitions-)Schiedsverfahren außerhalb des ICSID (vgl. oben § 4 III), ist somit fraglich, ob eine Präjudizienbindung und Rechts-
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Da für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit die (verfassungs)rechtlichen Bindungen des Sitzrechts maßgeblich sind, begegnet auch dort die Annahme einer entsprechenden Kompetenz zur Fortbildung fremden Rechts den vorgenannten Bedenken. So ist zu beachten, dass die verfassungsrechtlichen (und die daran anknüpfenden rechtsmethodischen) Grundsätze gleichermaßen für Schiedsgerichte gelten und selbst ein internationales Schiedsgericht sich daher nur innerhalb der (verfassungs)rechtlichen Grenzen des Sitzrechts bewegen kann. 457 Zwar lassen die von den Schiedsparteien vereinbarten oder mangels Vereinbarung geltenden Regeln der lex arbitri in der Regel einen erheblichen Spielraum;458 doch auch diese der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit inhärente Flexibilität hat gewisse Grenzen, insbesondere dann, wenn das fremde Recht der Judikative eine Stellung bemisst, welche nach der Verfassung des Sitzstaates nicht vorgesehen ist. So wird man der einfachgesetzlichen Verweisung auf fremdes Recht keine Erweiterung der verfassungsrechtlich festgelegten Rechtsprechungsfunktion entnehmen können. Diese Problematik wird für den Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit jedoch insofern entschärft, als allgemein und rechtskreisübergreifend für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit angenommen wird, dass Schiedsgerichte keiner rechtlichen Bindung an vorangegangene Entscheidungen anderer Schiedsgerichte unterliegen. 459 Insofern ist die Wirkung derartisetzungsfunktion mit der Verfassung vereinbar wäre. Da sowohl in der internationalen Handels- wie auch Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, hierzu unten c, eine formelle Präjudizienbindung verneint wird, stellt sich dieses Problem – zumindest aus Sicht des Civil Law – nicht. Eine andere Frage ist, inwiefern ein Schiedsgericht mit Sitzstaat im Bereich des Common Law an die dortigen Methoden gebunden halten könnte. Vgl. hierzu auch Ehrenzweigs Datum-Theorie, derzufolge das Forum über moral data entscheidet, hierzu Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel (Hrsg.), Gedächtnisschrift Ehrenzweig, 35 (39 ff.). Bei einer wertungsoffenen Norm, wie etwa dem Gebot des fair and equitable treatment, würde demnach nicht die lex causae, sondern das forum bzw. der Sitz über moral data entscheiden. 457 Vgl. Schiffer, IPRax 1991, 84 (85); Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 748; Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (33). 458 Hierdurch können die Unterschiede zwischen verschiedenen Prozessrechtssystemen unterschiedlicher Rechtskreise wie dem Civil Law und dem Common Law zwar nicht aufgelöst, aber doch im Wege eines für Anhänger beider Rechtskreise annehmbaren Kompromisses verringert werden, vgl. Kern, ZVglRWiss 2010, 78 (92 f.). 459 Kaufmann-Kohler, Arbitral Precedent: Dream, Necessity or Excuse?, Arbitration International 2007, 357: „[I]t is a common knowledge that international arbitration lacks a doctrine of precedent, at least as it is formulated in the common-law system“; Böckstiegel, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 19: „While State courts may indeed be bound by what other and specifically higher courts of the same jurisdiction have decided on an issue, neither in civil law jurisdictions nor in common law jurisdictions it is
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ger Präjudizien von vornherein begrenzt und es liegt letztlich an der Überzeugungskraft der Entscheidungen, inwiefern diese künftig aufgegriffen werden und hierdurch ein informeller Beitrag zur Fortbildung des jeweiligen Rechts(gebiets) geleistet wird. Diese allenfalls informelle rechtsfortbildende Funktion aufgrund innewohnender Überzeugungskraft dürfte jedoch unterhalb der Schwelle des verfassungsmäßig zu Beanstandenden liegen. b) Präjudiz und Befolgung Ein wichtiger Unterschied zwischen der faktischen Bindungswirkung eines Schiedsspruchs und der eines Urteils besteht darin, dass die Bindungswirkung eines staatlichen Urteils mit dem hierarchisch gegliederten, zentral zulaufenden Instanzenzug der Gerichtsbarkeit zusammenfällt. Hierdurch muss ein Untergericht im Falle der Abweichung befürchten, durch ein höheres Gericht aufgehoben zu werden, wodurch zwar kein Befolgungszwang, aber doch ein gewisser Befolgungsdruck besteht. 460 Dieser Befolgungsdruck ist in der Schiedsgerichtsbarkeit mangels einer hierarchischen Überprüfungsstruktur vergleichsweise gering, wodurch die faktische Bindungswirkung von Schiedssprüchen weniger stark ist als die staatlicher Urteile.461 Die staatliche Überprüfung von Schiedssprüchen ist weder dazu konzipiert noch geeignet, Rechtsprechungslinien durchzusetzen, sondern sie ist im Wesentlichen dafür da, das jeweilige Verfahren auf Verfahrensfehler hin zu überprüfen. 462 c) Präjudiz und Vertraulichkeit Neben grundsätzlichen Zulässigkeitsfragen stellt sich in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zudem das praktische Problem der Verfügbarkeit von Präjudizien, denn diese setzt notwendigerweise die Veröffentlichung schieds-
suggested that an arbitral tribunal in an earlier case“; Commission, Precedent in Investment Treaty Arbitration, Journal of International Arbitration 2007, 129 (135): „As in international law […], there is similarly no doctrine of binding precedent or stare decisis in international commercial arbitration.“ 460 Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (171); Berger, 9 Journal of International Arbitration 1992, 5 (10). 461 Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (171). Hierauf verweist auch Crawford, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 97 (102): „The doctrine of precedent in the English legal system is a doctrine of centralization of authority.“ Vgl. auch Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495: „In almost all (domestic) legal systems the practice of following earlier decisions is reinforced by the idea of appellate control which equally ensures the coherent and uniform application of the law.“ 462 Vgl. hierzu oben II.
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richterlicher Entscheidungen voraus. 463 Die Frage einer möglichen Präjudizienbindung in der Schiedsgerichtsbarkeit ist somit eng mit dem Aspekt der Vertraulichkeit als einem der Merkmale des Schiedsverfahrens verbunden.464 So hat die Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit als bevorzugtem Streitbeilegungsmechanismus, unter anderem zur Folge, dass in manchen Bereichen, in denen zur Streitbeilegung überwiegend auf Schiedsgerichte zurückgegriffen wird, wie etwa im internationalen Wirtschaftsrecht, nur relativ wenige Präjudizien vorzufinden sind. 465 Werden Schiedssprüche dagegen veröffentlicht, können 463
Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (28); Berger, 9 Journal of International Arbitration 1992, 5 (19 ff.); Schütze, Ausgewählte Probleme des deutschen und internationalen Schiedsverfahrensrechts, 99 f.; Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 1.113; Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (66). 464 Zur Vertraulichkeit der Schiedsgerichtsbarkeit vgl. etwa Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, Rn. 24-99 ff.; Redfern and Hunter on International Arbitration, Rn. 2.145 ff.; Prütting, Vertraulichkeit in der Schiedsgerichtsbarkeit und in der Mediation, in: Briner/Fortier/Berger/Bredow (Hrsg.), Liber Amicorum Karl -Heinz Böckstiegel, 629 ff.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rn. 8; Lionnet/ Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 77; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, Rn. 113 ff.; Buys, The Tensions between Confidentiality and Transparency in International Arbitration, 14 American Review of International Arbitration 2003, 121 ff.; Bagner, Confidentiality: A Fundamental Principle in International Commercial Arbitration?, 18 Journal of International Arbitration 2001, 243 ff.; Neill, Confidentiality in Arbitration, 12 Arbitration International 1996, 287 ff.; Collins, Privacy and Confidentiality in Arbitration Proceedings, 11 Arbitration International 1995, 321 ff.; Paulsson/Rawding, The Trouble with Confidentiality, 11 Arbitration International 1995, 303 ff. 465 Zu dieser Problematik vgl. Böckstiegel, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 17 f.; Gill, Inconsistent Decisions, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 23 (25); Sandrock, Die Fortbildung materiellen Rechts durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21 (28); Mourre, Precedent and Confidentiality in International Commercial Arbitration: The Case for the Publication of Arbitral Awards, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 39 ff.; Aden, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 5 f.; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 748; Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 13; Lew, The case for the publication of arbitration awards, Schultsz/van den Berg (Hrsg.), Liber Amicorum Pieter Sanders, 223 ff.; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (495 f.). Vertraulichkeit des Verfahrens ist zum Teil in Verfahrensordnungen vorgesehen oder wird von den Parteien vereinbart. Zwar werden zu einem geringen Teil, z.B. auf Gebiet der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit, Schiedssprüche mittlerweile gesammelt und in anonymisierter Form veröffentlicht. Allerdings ist die Zahl und damit einhergehende Dichte der Rechtsprechung noch zu gering, als dass dies eine Basis für ein System von Präjudizien darstellen könnte, vgl. Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (172); Sandrock, in: Böckstiegel (Hrsg.) Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 21
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sie zumindest als persuasive authority einen gewissen Befolgungsdruck erzeugen. 466 Allerdings weicht die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in diesem Punkt von der Praxis der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit insofern ab, als Schiedssprüche in der Regel veröffentlicht werden, 467 wodurch sich auf diesem Gebiet das Problem der mangelnden Verfügbarkeit von Entscheidungen nicht oder nur in geringerem Maße stellt. 3. Bedeutung von Präjudizien in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte Im System der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit fehlt ein expliziter Ausschluss eines Systems bindender Präjudizien, wie dies etwa in anderen Verfahrensregeln der Fall ist. 468 Allerdings enthält Art. 53 Abs. 1 ICSID-Konvention eine ausdrückliche Begrenzung der Bindungswirkung auf den zu entscheidenden Fall.469 Die Vorschrift wird allgemein dahingehend ausgelegt, dass sie ein System formaler Präjudizienbindung für den Bereich der Investitionsschieds-
(46 f.). Ein hiermit in Zusammenhang stehendes Problem betrifft die Bezugnahme auf unveröffentlichte Schiedssprüche, vgl. Berger, 9 Journal of International Arbitration 1992, 5 (19). Der Grund für die Vertraulichkeit von Schiedssprüchen liegt letztlich in der die Schiedsgerichtsbarkeit beherrschenden Privatautonomie. So wird vertreten, dass Rechtsfortbildung nicht zum Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit passe und das Interesse an Vertraulichkeit das Interesse an Rechtsfortbildung und wohl auch an Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung überwiege. Demgegenüber ließe sich anführen, dass der Streitbeil egung im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit als rechtsstaatliche Einrichtung durchaus auch eine öffentliche Funktion zukommt, die über den Einzelfall und die damit verbundenden Parteiinteressen hinausgeht. Vermittelnde Vorschläge, welche neben den privaten auch öffentliche Belange berücksichtigen wollen, umfassen z.B. Einsichtsrechte für Schiedsric hter, die Einführung einer Rechtsmittelinstanz sowie ein Veröffentlichungsrecht von Schiedsinstitutionen in anonymisierter Form, vgl. Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (173 ff.). Die Tatsache, dass der Aspekt der Vertraulichkeit auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, zumindest was Verfahren unter der Ägide des ICSID betrifft, einen geringeren Stellenwert einnimmt, lässt sich wohl auch mit der besonderen Rechtsnatur erklären, die die u.a. durch die Involvierung eines Gaststaates als Partei gekennzeichnet ist, vgl. hierzu oben § 4. 466 Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 (171); Schroeder, Lex mercatoria arbitralis, 12. 467 Vgl. Böckstiegel, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 17 (22): „In commercial arbitration, confidentiality still seems to be the rule both as priority of the parties and in the practical conduct of procedures […]. In investment arbitration, however, confidentiality seems to have become almost the exception in practice.“ 468 Vgl. etwa Art. 59 IGH-Statut, Art. 33 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Seegerichtshofes oder Art. 1136 Abs. 1 NAFTA. 469 Art. 53 Abs. 1 ICSID-Konvention lautet: „The award shall be binding on the parties […].“
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gerichtsbarkeit ausschließt. 470 Zudem wird weit überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte keine rechtlich verbindlichen Präjudizien darstellen und nur den Kreis der am Verfahren beteiligten Parteien binden. 471 Im Folgenden soll anhand eines Überblicks über die einschlägige Rechtsprechung die praktische wie auch rechtliche Bedeutung von Präjudizien in der Praxis der Investitionsschiedsgerichte näher untersucht werden. a) Rechtsprechung der Investitionsschiedsschiedsgerichte ICSID-Schiedsgerichte haben wiederholt betont, dass sie nicht an Präjudizien gebunden sind. Dies hat das Aufhebungskomitee im Fall AES v. Hungary472 unterstrichen: “[T]he mere fact that a Tribunal does not follow the prevailing jurisprudence on a given issue isnot an error of law per se. There is no system of binding precedent in ICSID jurisprudence. If one were to follow AES‟s theory, ICSID jurisprudence would be condemned to remain static and immutable, without the possibility of any evolution or innovative.”
Bereits in den ICSID-Schiedssprüchen der ersten Generation finden sich Stellungnahmen zur Frage der Präjudizienbindung.473 In einem der ersten Aufhe-
470
Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1190); Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (499 f.); Schreuer/Malintoppi/Reinisch/Sinclair, The ICSID Convention: A Commentary, Art. 53 Rn. 16: „The first part of Art. 53 (1) may also be read as excluding the applicability of the principle of binding precedent to successive ICSID cases. Nothing in the Convention‟s travaux preparatoires suggests that a doctrine of stare decisis should be applied to ICSID arbitration“; Crawford, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 97 f.: „There is no express statement [in investment arbitration] to the effect of Article 59 of the Statute of the International Court of Justice. But it is inherent in the situation“; deutlicher Schill, Multilateralization, 291: „This provision […] excludes any binding effect of an ICSID award as binding precedent for other disputes.“ 471 Vgl. Kaufmann-Kohler, Arbitral Precedent: Dream, Necessity, or Excuse, Arbitration International 2007, 357; Dolzer/Schreuer, International Investment Law, 36; Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent ?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1190); Schreuer, ICSID, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2009, Rn. 65; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (499 f.); Griebel, Internationales Investitionsrecht, 58; Cheng, Precedent and Control in Investment Treaty Arbitration, 30 Fordham International Law Journal 2007, 1014; Schill, Multilateralization, 292; Böckstiegel, Aktuelle Probleme der Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit aus Sicht eines Schiedsrichters, SchiedsVZ 2012, 113 (117). Wenn somit von investitionsrechtlichem “Fallrecht“ die Rede ist, so bezeichnet dies keine Rechtsquelle, sondern bezieht sich (lediglich) auf die Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte. 472 AES v. Hungary, ICSID Case No. ARB/07/22, Decision of the ad hoc commitee on the application for annulment, 29.6.2012, Rn. 99.
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bungsverfahren entschied das ad hoc-Komitee im Fall Amco v. Indonesia, dass weder die Entscheidungen des IGH noch Entscheidungen aus anderen ICSID-Aufhebungsverfahren bindend seien. 474 Gleichzeitig wies das ad hocKomitee jedoch darauf hin, dass das Fehlen eines Systems der stare decisis im Bereich der ICSID Schiedsgerichtsbarkeit das Schiedsgericht nicht daran hindere, die Auslegung, welche ein früheres ad hoc-Komitee in einem anderen Fall vertreten hatte, zu teilen.475 Das ICSID-Schiedsgericht im Fall LETCO v. Liberia fand ebenfalls, dass es zwar nicht durch die vorangegangene Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte gebunden sei. Dennoch sei es aufschlussreich, diese in Betracht zu ziehen. 476 Erst mit dem Ansteigen der Fallzahlen auf dem Gebiet der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in den letzten zehn Jahren wurde die Frage der Präj udizien eine wirklich bedeutsame. So haben empirische Studien belegt, dass mit der Zunahme an Investitionsschiedsverfahren auch die Gewohnheit der Investitionsschiedsgerichte, in der Entscheidungsbegründung auch auf frühere Schiedssprüche Bezug zu nehmen, erheblich zugenommen hat. 477 Gerade wenn von einer zuvor in der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit entschiedenen Rechtsfrage abgewichen werden soll, führt dies oftmals zu erhöhtem Begründungsaufwand des nachfolgenden Schiedsgerichts, nicht selten verbunden mit einer Stellungnahme zur Frage der Präjudizienbindung. Ein Beispiel hierfür ist die Zuständigkeitsentscheidung im Fall SGS v. Philippines478, welche in Kontrast zu der zuvor ergangenen Zuständigkeitsentscheidung im Fall SGS v. Pakistan479 stand.480 Dabei unterstrich das Schieds473 Vgl. Commission, Precedent in Investment Treaty Arbitration, Journal of International Arbitration 2007, 129 (144 ff.). 474 Amco v. Indonesia, Decision on Annulment, 16.5.1986, Rn. 44: „Neither the decisions of the International Court of Justice in the case of the Award of the King of Spain nor the Decision of the Klöckner ad hoc Committee are binding on the ad hoc Committee.“ 475 Ibid., Rn. 44: „[T]he absence […] of a rule of stare decisis in the ICSID arbitration system does not prevent the ad hoc Committee from sharing the interpretation given to Article 52 (1)(e) by the Klöckner ad hoc Committee.“ 476 LETCO v. Liberia, Award, 31.3.1986, 2 ICSID Reports 1994, 346 (352). 477 Vgl. Commission, Precedent in Investment Treaty Arbitration, Journal of International Arbitration 2007, 129 (147 ff.). 478 SGS v. Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Decision on Jurisdiction, 29.1.2004. 479 SGS v. Pakistan, ICSID Case No. ARB/01/13, Decision on Jurisdiction, 6.8.2003. 480 Dabei ging es um die Rechtsfolgen einer sogenannten Abschirmungsklausel (sog. umbrella clause). Während das Schiedsgericht im Fall SGS v. Pakistan die Auffassung vertrat, dass vertragliche Ansprüche durch die umbrella clause nicht automatisch auf die völkerrechtliche Ebene gehoben würden (vgl. SGS v. Pakistan, Decision on Jurisdiction, Rn. 172) , wohingegen das Schiedsgericht im Fall SGS v. Philippines die klassische Auffasung vertrat, wonach eine Vertragsverletzung durch die umbrella clause zu einer Verletzung des Investitionsschutzabkommen führt (vgl. SGS v. Philippines, Decision on Jurisdiction, Rn. 128).
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gericht im Fall SGS v. Philippines, dass die ICSID-Schiedsgerichte zwar möglichst konsistent agieren sollten. Dennoch müsse jedes Schiedsgericht den zu entscheidenden Fall in Einklang mit dem anwendbaren Recht entscheiden, welches sich zwangsläufig mit jedem Investitionsschutzabkommen ändere.481 Abgesehen davon gebe es weder ein System bindender Präjudizien im Völkerrecht, noch existiere eine Hierarchie unter den internationalen Schiedsgerichten, weshalb es zunächst den Kontrollmechanismen der ICSIDKonvention bzw. der Investitionsschutzabkommen und langfristig der Entwicklung einer jurisprudence constante obliege, für die anstehenden Rechtsfragen eine Lösung zu finden. Es gebe auch keinen Grund, weshalb das zeitlich erste Schiedsgericht die Kompetenz haben solle, Rechtsfragen für alle nachfolgenden Schiedsgerichte zu entscheiden. Das Schiedsgericht in SGS v. Philippines befand, dass sich die Aufgabe des Schiedsgerichts, nach dem anwendbaren Recht zu entscheiden, mit jedem Gaststaat und jedem BIT wandle.482 Das Schiedsgericht im Fall Enron v. Argentina stellte fest, dass Schiedssprüche keine binding precedents darstellten und jeder Fall im Lichte der jeweiligen Umstände zu entscheiden sei. 483 Dem schloss sich die dissenting opinion im Fall Fraport v. Philippines an. Die im Fall zu entscheidende Frage – es ging um die Vereinbarkeit der Investition mit dem Recht des Gaststaates – betreffe alleine die Auslegung des Investitionsschutzabkommens und sei nicht etwa eine Frage von Analogie oder Präjudizienbindung.484 Das Schiedsgericht im Fall AES v. Argentina 481
SGS Société Générale de Surveillance S.A. v. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Decision on Jurisdiction, 29.1.2004, Rn. 97: „The ICSID Convention provides only that awards rendered under it are “binding on the parties“ (Article 53(1)), a provision which might be regarded as directed to the res judicata effect of awards rather than their impact as precedents in later cases. In the Tribunal‟s view, although different tribunals constituted under the ICSID system should in general seek to act consistently with each other, in the end it must be for each tribunal to exercise its competence in accordanc with the applicable law, which will by definition be different for each BIT and each Respondent State, Moreover there is no doctrine of precedent in international law, if by precedent is meant a rule of binding effect of a single decision. There is no hierarchy of international tribunals, and even if there were, there is no good reason for allowing the first tribunal in time to resolve issues for all later tribunals. It must be initially for he control mechanisms provided for under the BIT and the ICSID Convention, and in the longer term for the development of a common legal opinion or jurisprudence constant, to resolve the difficult legal questions discussed by the SGS v. Pakistan Tribunal and also in the present decision.“ 482 Ibid., Rn. 97. 483 Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Decision on Jurisdiction (Ancilliary Claim), 2.8.2004, Rn. 25. 484 Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide v. Republic of the Philippines, ICSID Case No.ARB/03/25, Award, 16.8.2007,(dissenting opinion Cremades), Rn. 7: „[T]he meaning of [the „in accordance with the laws of the host State‟] requirement is a
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äußerte sich ausführlich zur Stellung von Präjudizien und unterstrich dabei, dass weder im allgemeinen Völkerrecht noch im System der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit bisher eine Regel existiere, wonach Präjudizien bindend seien.485 Gleichwohl hob das Schiedsgericht die Bedeutung der bestehenden de facto-Bindungswirkung früherer Präjudizien hervor.486 Des Weiteren betonte question of treaty interpretation, and not of precedent or analogy. The meaning must be determined in the light of the terms, context, object and purpose of each bilateral inves tment treaty. The integrity of this interpretative process must not be compromised by the pronouncements of other arbitral tribunals in their interpretation of different treaties in wholly unrelated factual and legal contexts. Other awards or decisions are no more than illustrative of the implications of a standard form of treaty wording.“ 485 AES Corporation v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/17, Decision on Jurisdiction, 26.4.2005, Rn. 23: „There is so far no rule of precedent in general international law, nor is there any within the specific ICSID system for the settlement of disputes between one State party to the Convention and the National of another State Party.“ 486 AES Corporation v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/17, Decision on Jurisdiction, 26.4.2005, Rn. 27-33: „27. Under the benefit of the foregoing observations, the Tribunal would nevertheless reject the excessive assertion which would consist in pretending that, due to the specificity of each case and the identity of each case and the identity of each decision on jurisdiction or award, absolutely no consideration might be given to other decisions on jurisdiction or awards delivered by other tribunals. 28. In particular, if the basis of jurisdiction for these other tribunals and/or the underl ying legal dispute in analysis present either a high level of similarity or, even more, an identity with those met in the present case, this Tribunal does not consider that it is barred, as a matter of principle, from considering the position taken or the opinion expressed by these other tribunals. 29. In that respect, it should be noted that the US-Argentina BIT, in conjunction with the ICSID Convention, provides the very same basis for the jurisdiction in this case and in some previous ones, as, in particular, those in which Argentina faced or is still facing a dispute with ENRON Corp., CMS, AZURIX Corp, or LG&E and others; in each and every of these cases the tribunals respectively constituted have already delivered their decision on jurisdiction. 30. An identity of the basis of jurisdiction of these tribunals, even when it meets with very similar if not identical facts at the origin of the disputes, does not suffice to apply systematically to the present case positions or solutions already adopted in these cases. Each tribunals remains sovereign and may retain, as it is confirmed by ICSID practice, a different solution for resolving the same problem; but decisions on jurisdiction dealing the same or very similar issues may at least indicate some lines of reasoning of real interest; the Tribunal may consider them in order to compare its own position with those already adopted by its predecessors and, if it shares the views already expressed by one or more of these tribunals on a specific point of law, it is free to adopt the same solution. 31. One may even find situations in which, although seized on the basis of another BIT as combined with the pertinent provisions of the ICSID Convention, a tribunal has set a point of law which, in essence, is or will be met in other cases whatever the specifities of each dispute may be. Such precedents may also be rightly considered, at least as a matter of comparison and, if so considered by the Tribunal, of inspiration.
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das Schiedsgericht – ähnlich dem Schiedsgericht im Fall SGS v. Philippines – die Bedeutung der Kontrollmechanismen für die Herausbildung einer jurisprudence constante.487 Für ein „de facto case law“, durch welches die eigene Entscheidung einer späteren Überprüfung unterzogen werde, sprach sich das Schiedsgericht im Fall Gas Natural v. Argentina aus.488 Das Schiedsgericht im Fall Suez v. Argentina bezeichnete das in Investitionsschiedsverfahren entstandene Fallrecht als „a growing jurisprudence of arbitral decisions interpretating treaty provisions.“489 Die separate opinion im selben Fall unterstrich trotz fehlender Bindungswirkung die Notwendigkeit der Berücksichtigung früherer Entscheidung für eine vorhersehbare Rechtsanwendung. 490 Dabei wurde jedoch auch die notwendige Vorsicht bei der Annahme eines gleichartigen Falles, d.h. beim Vorgang des distinguishing, insbesondere im Hinblick auf die faktenreichen Fallgestaltungen zum Gebot des fair and equitable treatment, angemahnt. 491 Der Gedanke der „persuasive authority“ wurde im Fall ADC v.
32. The same may be said for the interpretation given by a precedent decision or award to some relevant facts which are basically at the origin of two or several different disputes, keeping carefully in mind the actual specificities still featuring each case. If the present Tribunal concurs with the analysis and interpretation of these facts as they generated certain special consequences for the parties to this case as well as for those of another case, it may consider this earlier interpretation as relevant. 33. From a more general point of view, one can hardly deny that the institutional dimension of the control mechanisms provided for under the ICSID Convention might well be a factor, in the longer term, for contributing to the development of a common legal opinion or jurisprudence constant, to resolve some difficult legal issues discussed in many cases, inasmuch as these issues share the same substantial features.“ 487 Vgl. AES Corporation v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/17, Decision on Jurisdiction, 26.4.2005, Rn. 33 a. E. 488 Gas Natural SDG, S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/10, Decision on Jurisdiction, 17.6.2005, Rn. 36: „[…] that it has rendered its decision independently, without considering itself bound by any other judgments or arbitral awards. Having reached its conclusions, however, the Tribunal thought it useful to compare its conclusion with the conclusions reached in other recent arbitrations conducted pursuant to the ICSID Arbitration Rules and arising out of claims under contemporary bilateral investment treaties. We summarize a few of these decisions here, and confirm that we have not found or been referred to any decisions or awards reaching a contrary conclusion.“ 489 Suez v. Argentina, ICSID Case No. ARB 03/17, Decision on Jurisdiction, 16.5.2006, Rn. 50. 490 Ibid., Decision on Liability, 30.7.2010, Separate Opinion Nikken, Rn. 24: „[A]lthough there is no legal obligation to follow decided cases there is indeed a moral obligation to follow decided cases in order to promote a predictable legal environment.“ 491 Ibid.: „However, great caution is needed when identifying cases as alike, especially when dealing with factual issues like fair and equitable treatment and when, moreover, the BITs often contain significant differences despite their similarity.“
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Hungary aufgegriffen. 492 Vergleichsweise weit ging das Schiedsgericht im Fall Saipem v. Bangladesh, indem es in seiner Entscheidung von einer grundlegenden Pflicht zur Beachtung von vorangegangenen Entscheidungen ausging.493 Das Schiedsgericht im Fall Chevron unterstrich zwar, dass keine Präjudizienbindung existiere, wies jedoch darauf hin, dass dies ein Schiedsgericht nicht davon abhalte, im Streben nach konsistenter Rechtsprechung andere Schiedssprüche in Betracht zu ziehen. 494 Ähnlich urteilte auch das Schiedsgericht im Fall Vivendi.495 Schließlich stellte das Schiedsgericht im Fall Brandes noch einmal klar, dass die Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte keine Rechtsquelle darstellen. 496 492 ADC Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v. Republic of Hungary, ICSID Case No. ARB/03/16, Award, 2.10.2006, Rn. 293: „The Parties to the present case have also debated the relevance of international case law relating to expropriation. It is true that arbitral awards do not constitute binding precedent. It is also true that a number of cases are fact-driven and that the findings in those cases cannot be transposed in and of themselves to other cases. It is further true that a number of cases are based on treaties that differ from the present BIT in certain respects. However, cautiuos reliance on certain principles developed in a number of those cases, as persuasive authority, may advance the body of law, which in turn may serve predictability in the interest of both investors and the host States.“ 493 Saipem S.p.A. v. The People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No. ARB/05/07, Decision on Jurisdiction, 21.3.2007, Rn. 67: „The Tribunal considers that it is not bound by previous decisions. At the same time, it is of the opinion that it must pay due consideration to earlier decisions of international tribunals. It believes that, subject to compelling contrary grounds, it has a duty to adopt solutions established in a series of consistent cases. It also believes that, subject to the specifics of a given treaty and of the circumstances in the actual case, it has a duty to seek to contribute to the harmonious development of i nvestment law and thereby to meet legitimate expectations of the community of States and investors towards legal certainty of the rule of law.“ 494 Chevron v. Ecuador, Partial Award on the Merits, 30.3.2010, Rn. 163 f.: „It is in any event clear that the decisions of other tribunals are not binding on this Tribunal. The many references by the Parties to certain arbitral decisions in their pleadings do not contradict this conclusion. However, this does not preclude the Tribunal from considering arbitral decisions and the arguments of the Parties based upon them, to the extent that it may find that they shed any useful light on the issues that arise for decision in this case.“ 495 Companía de Aguas del Aconquija, S.A. and Compagnie Générale des Eaux v. Argentina, Decision on the Argentine Republic's Request for a Continued Stay of Enforc ement of the Award, 4.11.2008, Rn. 37: „The manner in which pervious ad hoc committees have dealt with the issues under consideration in more or less similar circumstances, particularly during the last few years, taking into account, however, that previous rulings do not constitute binding precedents, but may be considered indicative of certain tendencies that could lead to contradictory results due to the differences existing in the circumstances prevailing with regard to each particular case.“ 496 Brandes v. Venezuela, ICSID Case No. ARB/08/3, Award, 2.8.2011, Rn. 31: „The Tribunal does not consider that the decisions of other arbitral tribunals are decisive in
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b) Zwischenergebnis Präjudizien spielen in der Entscheidungspraxis der Investitionsschiedsgerichte eine wichtige Rolle. So ist es ein prägendes Merkmal der Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte, dass die vorangegangene Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte in den Entscheidungen späterer Schiedsgerichte Berücksichtigung findet. Zwar ist in Literatur und Schiedspraxis anerkannt, dass die Entscheidungen der ICSID-Schiedsgerichte keine rechtlich verbindlichen Präjudizien darstellen und keine Bindungswirkung über den Kreis der am Verfahren Beteiligten hinaus besitzen. Ein System der stare decisis existiert somit nicht; Präzedenzfallentscheidungen im Investitionsrecht sind somit keine Rechtsquelle. Nachfolgenden Schiedsgerichten steht es daher frei, in vergleichbaren Konstellationen anders zu entscheiden. Gleichwohl kommt den früheren Entscheidungen in der Praxis Bedeutung zu: Indem spätere Entscheidungen in der Regel auf frühere Entscheidungen Bezug nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen, fließen diese Präjudizien in den meisten Fällen zumindest argumentativ in künftige Entscheidungen ein und können diese somit beeinflussen. So wird allgemein von einer faktischen Bindungswirkung vorangegangener Entscheidungen (de facto doctrine of precedent) ausgegangen, welche auch als „ongoing conversation between arbitrators“497, „conversation across cases“498 oder „inspirational practice“499 bezeichnet wird.500 Inhaltlich ähnelt diese Form dem persuasive precedent. Entscheidend für den Grad der Beachtung früherer Entscheidungen durch künftige Schiedsgerichte ist somit nicht eine formale Bindung, sondern vielmehr die argumentative Überzeugungskraft der jeweiligen Entscheidungsbegründung. Auffällig ist, dass es für die Berücksichtigung früherer Entscheidungen für die Schiedsgerichte in der Regel keine Rolle spielt, ob das Präjudiz auf demselben oder einem anderen Investitionsschutzabkommen beruht. Ein weiteres resolving this matter. Furthermore, it is evident that those decisions are not binding on this Tribunal. However, this does not preclude this Tribunal from considering the substance of decisions rendered by other arbitral tribunals, and the arguments of the Parties based on those decisions, to the extent that those decisions may shed light on the issue to be decided at this stage of the proceeding.“ 497 McLachlan/Shore/Weiniger, Investment Treaty Arbitratiom, Rn. 1.50. 498 Vgl. Schreuer/Weiniger, Conversations Across Cases – Is there a Doctrine of Precedent in Investment Arbitration?, Transnational Dispute Management 3/2008. 499 Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (54). 500 Kritisch hierzu Böckstiegel, SchiedsVZ 2012, 113 (117), demzufolge manche Schiedsgerichte angesichts der Aufgabe, (nur) den vorliegenden Fall zu entscheiden, in ihren Entscheidungen zu weit gingen, indem sie für die Fallentscheidung unnötige Ausfü hrungen zur Rechtsfortbildung machten.
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Charakteristikum betrifft die Tatsache, dass zwar regelmäßig eine rechtliche Bindungswirkung verneint wird, gleichzeitig jedoch von einigen Schiedsgerichten die für ein System bindender Präjudizien typische Form des distinguishing praktiziert wird.501 So verweisen Schiedsgerichte bei der Abgrenzung gegenüber früheren Entscheidungen gerne darauf, dass ihre Entscheidung „fact-specific“ sei. Ebenso besteht eine gewisse Tendenz, die eingehende argumentative Auseinandersetzung mit früheren zu vermeiden, entweder indem die „Leitsätze“ früherer Entscheidungen ohne größere Diskussion übernommen werden, oder indem, wie erwähnt, die Übernahme früherer Entscheidungen mit dem (teils pauschalen) Verweis auf die Besonderheiten des zu entscheidenden Sachverhalts abgelehnt wird.502 4. Notwendigkeit eines Systems bindender Präjudizien? Ausgangspunkt der Betrachtung war die zum Teil widersprüchliche Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte und die damit verbundene Forderung nach Einführung eines Systems bindender Präjudizien. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat verdeutlicht, dass Präjudizien – unabhängig von ihrem jeweiligen rechtlichen Status – in allen Rechtsordnungen eine wichtige Bedeutung zukommt. Die Präjudizienbindung kann in verschiedenen Rechtskreisen (in feinerer Abstufung auch zwischen einzelnen Rechtsordnungen) unterschiedliche Formen annehmen. So besteht außerhalb des Common Law-Rechtskreises zwar keine strenge Bindung an Präjudizien. Allerdings wird dafür in anderen Rechtsordnungen oftmals von einer argumentativen bzw. faktischen Verbindlichkeit von Präjudizien im Sinne einer Präjudizienvermutung ausgegangen, die den persuasive authorities des Common Law ähnelt. Somit existieren auch unterhalb der Schwelle rechtlicher Verbindlichkeit Formen der Präjudizienbindung, welche zur Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung in nicht unerheblichem Maße beitragen. In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit existiert keine rechtliche Bindung an frühere Entscheidungen im Sinne einer stare decisis. Gegen den Vorschlag
501 Vgl. auch Schill, Multilateralization, 340; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (507 f.). Inwiefern hierin ein besonderes Bemühen der Schiedsgerichte zum Ausdruck kommt, Kohärenz zu fördern und offenen Widerspruch zu vermeiden, oder ob hierdurch die Common Law-Prägung einiger Schiedsrichter (oder möglicherweise beides) zum Ausdruck kommt, mag dahingestellt bleiben. Zum Umstand, dass die Art und Weise der Verfahrensdurchführung tendenziell stärker an das Common Law angelehnt ist, vgl. Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1189 (1190). Zur Beeinflussung der Verfahrensgestaltung durch die Herkunft der am Schiedsverfahren Beteiligten Kern, ZVglRWiss 2010, 78 ff. Zur Technik und Funktion des distinguishing vgl. oben 1 a bb. 502 Schill, Multilateralization, 328; Kläger, Fair and equitable treatment, 35.
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zur Einführung einer solchen sprechen, abgesehen von grundsätzlichen rechtsquellentheoretischen Gründen503, verschiedene Erwägungen: So könnte ein System bindender Präjudizien in einem System institutionell unverbundener Schiedsgerichte ohne hierarchische Überprüfungsstrukturen nicht die konsistenzfördernde Wirkung erzielen, die ihm beispielsweise im Common Law zukommt. 504 Eine Einführung würde zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem bereits eine verschiedentliche, zum Teil widersprüchliche Rechtsprechung gleichrangiger Schiedsgerichte existiert, ohne dass eine wie auch immer konzipierte Letztentscheidungsinstanz vorhanden ist, welche die Rechtsprechungslinie bestimmen könnte, letztlich nur die bestehende Vielstimmigkeit verfestigen, ohne einen wesentlichen Beitrag zu einer konsistenten Jurisdiktion der Investitionsschiedsgerichte zu leisten. So würden die bestehenden Entscheidungen zu bindenden Präjudizien aufgewertet, ohne dass die existierenden Widersprüche beseitigt würden. Grundlegende Änderungen am Vorgehen der Schiedspraxis wären nicht zu erwarten, da in einem derartigen System bindender Präjudizien sich den Schiedsgerichten bei entsprechender Begründung nach wie vor die Gelegenheit böte, sich der einen oder anderen Rechtsprechungslinie anzuschließen, wodurch die bestehenden Divergenzen in der Rechtsprechung weiter bestehen blieben. Zudem erscheint es überzogen, aufgrund bestehender Widersprüche in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte eine „Legitimitätskrise“ anzunehmen. Zwar gibt es Fälle, in denen Schiedsgerichte früheren Entscheidungen nicht gefolgt sind und andere Auffassungen vertreten haben. Dies 503 So stellt die Rechtsprechung außerhalb des Common Law gerade keine Rechtsquelle dar, auch nicht im Bereich des Völkerrechts. Zudem entstünde das Problem, dass Staaten durch eine Rechtsprechung gebunden wären, die ihre Zuständigkeit auf Abkommen stützt, an denen die meisten hierdurch betroffenen Staaten nicht mitgewirkt haben, vgl. Legum, Visualizing an Appellate System, in: Ortino/Sheppard/Warner (Hrsg.), Investment Treaty Law, Current Issues Volume I, 121 (128): „[A] rigid system of stare decisis may not be desirable for the reasons alluded to earlier: there are many, many investment treaties in existence today, and one government will not necessarily be willing to be bound by an interpretation of a similar phrase in a different investment treaty between other governments.“ 504 Hierauf verweist auch Kaufmann-Kohler, Is Consistency a Myth?, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 137 (147): „Reasonable minds may differ on whether such a doctrine of precedent may work in a decentralized mode of regulation with ad hoc tribunals and no supervising institution binding them together.“ Ebenso Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (63): “[I]t is quite clear, for anybody who is interested in the development of a principle of precedential value for decisions, that this would require some kind of hierarchy between the courts or bodies called upon to resolve cases. There must be one authority (whatever its name may be) that s charged, as a last resort, with the pronouncement of what law is and whose decisions are binding upon „lower‟ courts or panels. Investment law is no different in this matter.“
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geschah in einigen Fällen nach Diskussion und Abgrenzung von der vorherigen Rechtsprechung, in manchen Fällen jedoch auch ohne eingehende Auseinandersetzung mit der früheren Rechtsprechung. Insgesamt kann jedoch festgestellt werden, dass frühere Entscheidungen in der Regel berücksichtigt und zum Teil auch argumentativ verarbeitet werden, sei es, um sich diesen anzuschließen, sei es, um sich hiervon abzugrenzen und eine abweichende Auffassung zu begründen. Es kommt auch vor, dass vorangegangene Entscheidungen wie in einem System bindender Präjudizien einfach übernommen werden. Gemessen an dem Potential für inkohärente Entscheidungen, welches der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als ein unverbundenes Nebeneinander einzelner, jeweils auf eigener zuständigkeitsrechtlicher Grundlage konstituierter und entscheidender Schiedsgerichte strukturell anhaftet, sind die Widersprüche in der Rechtsprechung verhältnismäßig gering. 505 Dies liegt daran, dass die große Mehrzahl der Schiedsgerichte auch ohne rechtliche Verpflichtung vorangegangene Entscheidungen in seine Erwägungen miteinbezieht. 506 Es erscheint daher unangemessen, wenn der Zustand der schiedsrichterlichen Rechtsprechung in Teilen der Literatur zum Anlass genommen wird, eine „Legitimitätskrise“ der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu konstatieren.507 Es erscheint daher verfehlt, den Mangel an (vollständiger) Einheitlichkeit in der Investitionsrechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte alleine mit dem Fehlen bindender Präjudizien zu begründen. Zum einen sorgt auch ein System präsumptiver Verbindlichkeit für ein gewisses Maß an Konsistenz und Kohärenz, zum anderen bietet die Methode des distinguishing auch innerhalb eines Systems bindender Präjudizien die Möglichkeit, unter Hinweis auf die Besonderheiten des Sachverhalts die Anwendung früherer Entscheidungen zu vermeiden.508 Schießlich ist zu berücksichtigen, dass konsistente Rechtsprechung nicht alleine eine Folge von (mehr oder minder bindendem) Präjudizienrecht oder anderweiten institutionellen Reformen ist; so kann auch die Orientierung der
505 Schill, Multilateralization, 341; Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (508): „Statistically […] such inconsistent arbitral decisions have been rare exceptions to the general rule that tribunals seek to follow previous decisions.“ 506 So auch Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495 (507 f.); Schreuer/Weiniger, A Doctrine of Precedent?, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), Oxford Handbook of International Investment Law, 1188 (1198): „[T]he problem of consistency is not pervasive. Most tribunals carefully examine decisions and accept these as authority most of the time“; Juillard, in: Sauvant (Hrsg.), Appeals Mechanism, (81) 93: „Arbitral tribunals usually attempt to reach coherent outcomes.“ 507 Vgl. oben I. 508 Vgl. etwa Hart, The Concept of Law, 135.
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Einzelfallentscheidung an übergreifenden und einheitlichen Maßstäben bzw. Prinzipien für ein einheitliches, kohärentes Fallrecht sorgen. 509 Weiterhin ist zu bedenken, dass es sich bei der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit trotz der beträchtlichen Zunahme an Verfahren und Schiedssprüchen noch um ein vergleichsweise junges Phänomen handelt,510 so dass die Aussicht besteht, dass es im Laufe der Zeit zu einer gewissen Konsolidierung des Fallrechts kommen wird. Entscheidend ist dabei für den Grad der Beachtung früherer Entscheidungen die tatsächliche Überzeugungskraft der jeweiligen Entscheidungsbegründung. So besteht die Möglichkeit, dass sich im Laufe der Zeit die relativ „besten“ Auffassungen am „Markt der Begründungen“ mittels ihrer Überzeugungskraft durchsetzen werden und es so zu einer gewissen – wenn auch nicht vollständigen – Bereinigung der teils widersprüchlichen Rechtsprechung kommen wird. 511 Trotz der grundlegenden Bedeutung einer konsistenten Jurisdiktion für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment auf der Grundlage früherer Entscheidungen ist schließlich zu berücksichtigen, dass eine vollständige Rationalisierung des Rechtsfindungsvorgangs auch bei vergleichsweise homogenem Fallrecht nicht möglich wäre. 512 So erfordert die Anwendung von Präjudizien im Rahmen des Fallvergleichs – der sowohl im 509
Vgl. MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, 152 ff.; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 57; Müller-Graff, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 139 f.; Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze, 105. Speziell zum Investitionsrecht Schill, Multilateralization, 280. Vgl. auch Alexy, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 113 (116): Kohärenz durch Prozeduren, d.h. durch Begründung. Vgl. zum Ganzen unten § 11 II und III. 510 Vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, 58: „Die Rechtsprechung [der Investitionsschiedsgerichte] hat ihre ‚experimentelle Phase„ noch nicht verlassen […]“; Kaufmann-Kohler, Is Consistency a Myth?, in: Banifatemi (Hrsg.), Precedent in International Arbitration, 137 (145): „Obviously, investment law is in its early stages of development and thus requires consistency.“ 511 In diesem Sinne auch Braun, in: Ehlers et al. (Hrsg.), Rechtsfragen internationaler Investitionen, 155 (166); Cogan, Competition and Control in International Arbitration, 48 Virginia Journal of International Law 2008, 411 (448): „[C]ompetition and coherence are not necessarily in tension. It is entirely possible that, after an initial period of competition in a particular substantive area, coherent rules will emerge, and, indeed, this has been the case in some areas of law“; Paulsson, International Arbitration and the Generation of Legal Norms: Treaty Arbitration and International Law, Transnational Dispute Management 5/2006, 4 f.: „What is [...] pertinent is to understand that the influence of international awards and judgments – even those emanating from the same court – is highly variable. This is quite unlike the traditional concept of common law systems, where the precedent of the highest court is binding, no matter how unpersuasive it may seem to lower-court judges [...] And much in the same way, while hierarchically undistinguishable, there are awards and awards, some destined to become ever brighter beacons, others to flicker and die near instant deaths.“ 512 Vgl. Auer, Materialisierung, 93.
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Rahmen der Frage der Übertragbarkeit der ratio decidendi bzw. des distinguishing513, aber auch unterhalb der Schwelle strikter Präjudizienbindung von zentraler Bedeutung ist – stets auch eine Eigenwertung des Rechtsanwenders und lässt somit einen gewissen Spielraum für die Rechtsanwendung.514 Hierfür bedarf es jedoch inhaltlicher Maßstäbe, welche die formale Struktur des Fallvergleichs aus sich heraus nicht liefern kann, weshalb auf „externe“ Kriterien und Argumentformen zur Begründung der jeweiligen Entscheidung zurückzugreifen ist.515 Die rein formalen Kriterien von Konsistenz und Kohärenz können diese inhaltlichen Maßstäbe nicht ersetzen. Letztlich ist auch zu bedenken, dass Präjudizienbindung egal welcher Art nur dort weiterhilft, wo bereits vergleichbare Fälle entschieden wurden. In schwierigen Fällen (deren Abgrenzung von einfachen bzw. unzweifelhaften Fällen ihrerseits einer Begründung bedarf), in denen der Richter keine einschlägigen oder nicht genügende Maßstäbe in Form von Fällen oder Regeln vorfindet, läuft die Präjudizienbindung dagegen ins Leere.516 Auch in diesen Fällen muss jedoch der Richter aufgrund rechtlicher Maßstäbe entscheiden und eine rationale juristische Begründung geben können, weshalb ein ausschließlich auf der Verwertung von Präjudizien basierendes System nicht in der Lage ist, stets die erforderlichen inhaltlichen Maßstäbe für die Konkretisierung der Norm, hier für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, vorzugeben. Dies führt zu der bereits an anderer Stelle getroffenen Feststellung, dass eine Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment nicht allein präjudizienorientiert erfolgen kann. 517
513 Dabei ist das distinguishing mit Fikentscher „nur eine logische Kehrseite der Festellung der ratio decidendi eines entschiedenen Falles“, Fikentscher, Methoden des Rechts II, 95. 514 Auer, Materialisierung, 93; ähnlich Ohly, AcP 201 (2001), 1 (42): Übertragung der ratio decidendi als kreativer Schritt. Zur Notwendigkeit einer Wertung im Rahmen des Fallvergleichs vgl. Vogel, Juristische Methodik, 165 f. Vgl. auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 336, mit der Feststellung, dass niemals zwei völlige gleiche Fälle vorkämen, weshalb sich stets ein Unterschied finden lasse. Damit verlagere sich das Problem auf die Feststellung der Relevanz von Unterschieden; ähnlich Zippelius, Rechtsphilosophie, 280: „Die Methode des typisierenden Fallvergleichs stellt also einerseits die gemeinsamen, andererseits die unterscheidenden Merkmale von Falltypen heraus und prüft, ob diese auf Grund der Gemeinsamkeiten gleich zu behandeln sind oder ob die Merkmalsunterschiede zu einer unterschiedlichen Behandlung führen müssen. Sie […] prüft die Unterschiede auf ihre Erheblichkeit.“ Abstrakter betrachtet wird der Fallvergleich letztlich als Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung durcheführt, die stets in eine Wertung mündet, vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, 276. 515 Vgl. unten § 11 II 3. 516 Hierzu bereits oben § 9 VI sowie unten § 11 II 2. 517 Vgl. oben § 9 VI.
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VI. Zusammenfassung Konsistente Rechtsprechung ist ein wichtiger Bestandteil eines Streitbeilegungssystems. Die Forderung, dass einander widersprechende Urteile vermieden werden sollten, trägt insbesondere zur Vorhersehbarkeit von Entscheidungen und somit zur Rechtssicherheit bei. Sie ist auch eine Voraussetzung dafür, dass die Rechtsprechung zur Klärung des Bedeutungsinhalts von Normen, hier des Gebots des fair and equitable treatment, beitragen kann. Das System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, welches im Wesentlichen auf institutionell miteinander nicht verbundenen, auf der Basis bilateraler Abkommen konstitutierten Schiedsgerichten beruht, ist strukturell anfällig für inkonsistentes Fallrecht. Dabei existieren keine zentralen, hierarchisch übergeordneten Kontrollinstanzen, welche die Sicherung eines einheitlichen Fallrechts zum Ziel hätten. Durch die zum Teil inkonsistente und inkohärente Rechtsprechung der Schiedsgerichte untereinander wird die präjudizienorientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, etwa durch die Herausarbeitung einer kohärenten Fallgruppenstruktur mit möglichst einheitlichen Anwendungsvoraussetzungen, erschwert. Bei offenen Widersprüchen, wie etwa bei Fragen der Rechtsnatur des Gebots, steht eine abschließende Klärung der betroffenen Rechtsfragen nach wie vor aus. Die Einführung einer für alle Investitionsschiedssprüche zuständigen und personell kontinuierlich besetzten Berufungsinstanz würde die Möglichkeit erhöhen, durch die materiellrechtliche Überprüfung von Schiedssprüchen und der Erzeugung eines entsprechenden Befolgungsdrucks, Widersprüche in der Rechtsprechung zu vermeiden und insgesamt zu einer kohärenteren Rechtsprechung zu gelangen. Angesichts der Tatsache, dass ICSID-Schiedssprüche jedoch nur knapp zwei Drittel aller Investitionsschiedssprüche ausmachen, könnte selbst eine ideal konzipierte ICSID-Berufungsinstanz nur begrenzt wirken. Da Änderungen der ICSID-Konvention zur Einführung eines Berufungsmechanismus mangels Konsenses der Mitgliedstaaten als unwahrscheinlich gelten, wurde die Einführung einer „ICSID Appeals Facility“ sowie abkommensspezifische Berufungsmechanismen vorgeschlagen. Diese Kontrollmechanismen verfügen jedoch bereits konzeptionell nicht über die erfo rderliche Reichweite und personelle Kontinuität, um zu einem homogenen Fallrecht beizutragen. Der Vorschlag der Einführung einer am europarechtlichen Vorbild ausgerichteten Vorabentscheidungsinstanz, welche personell kontinuierlich besetzt ist und deren Entscheidungen im Idealfall umfassende Bindungswirkung entfalten, könnte grundsätzlich zu einer konsistenten Rechtsprechung der Schiedsgerichte beitragen. Zu beachten sind jedoch Erfahrungen aus der Praxis des europarechtlichen Vorabentscheidungsverfahrens, dessen konkrete Ausgestaltung mit der Beschränkung auf die Auslegung von Gemeinschafts-
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recht sich als nur bedingt geeignet erwiesen hat, zur autonomen Konkretisierung von Generalklauseln – und somit indirekt zu einer Kohärenz des diesbezüglichen Fallrechts – beizutragen. Dies erscheint umso bedeutsamer, als das vertragliche Investitionsrecht zu einem wesentlichen Teil aus unbestimmten, generalklauselartigen Schutzstandards besteht. Ein System bindender Präjudizien kann grundsätzlich zu einer konsistenten Rechtsprechung beitragen. Für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hingegen erscheint die Annahme eines Systems bindender Präjudizien als kein probates Mittel, um zu einem widerspruchsfreien und kohärenten Fallrecht zu gelangen. Angesichts der bereits existierenden, in Teilbereichen noch widersprüchlichen Rechtsprechung, sowie in Anbetracht des Fehlens einer umfassenden hierarchischen Überprüfungsstruktur für Schiedssprüche, würde die Einführung eines Systems bindender Präjudizien lediglich die bestehende Vielstimmigkeit verfestigen, ohne das Problem teilweiser Inkonsistenz zu beheben. Zudem existiert bereits in der bisherigen Schiedspraxis eine de facto-Präjudizienorientierung der Schiedsgerichte, die auch unterhalb der Schwelle rechtlicher Verbindlichkeit zur Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung beiträgt. Es erscheint daher weder angemessen noch überzeugend, wenn Unstimmigkeiten in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte in Teilen der Literatur als Grund für eine angebliche „Legitimitätskrise“ der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit angeführt werden. Insgesamt sollten daher – abgesehen von politischen Unwägbarkeiten, welche eine Verwirklichung als unwahrscheinlich erscheinen lassen – die mit institutionellen Änderungen am bestehenden System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit verbundenen Erwartungen nicht allzu hoch sein. Dies mag bedeuten, dass auch künftig mit einem gewissen Maß an Widersprüchen in der Rechtsprechung zu rechnen ist. Gleichwohl ist auch festzustellen, dass die Anzahl der Fälle, in denen offene Widersprüche zu Tage treten, gemessen an der systemimmanenten Anfälligkeit der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit für inkonsistentes Fallrecht als relativ gering einzustufen ist. Insgesamt bemühen sich die Schiedsgerichte auch außerhalb formal bindender Strukturen um die Verarbeitung vorangeganger Rechtsprechung. Zudem kann man darauf setzen, dass sich die überzeugendsten Lösungen im Laufe der Zeit auf dem „Marktplatz der Begründungen“ durchsetzen werden. Ein dabei verbleibendes Maß an Inkonsistenz, auch im Hinblick auf die Rechtsprechung zum Gebot des fair and equitable treatment, wird man akzeptieren müssen.
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§ 11 Generalklauselkonkretisierung und internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit: Methodische Überlegungen zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
§ 11 Methodische Überlegungen In den beiden vorangegangenen Kapiteln standen Überlegungen zur Analyse, Systematisierung und Homogenisierung der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte im Vordergrund. 518 In diesem Kapitel soll dagegen die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment aus methodischer Sicht untersucht werden. Methodische Überlegungen zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment haben in Theorie und Schiedspraxis bislang keine nennenswerte Rolle gespielt. Dabei stellt sich aufgrund der regelmäßigen Verwendung generalklauselartiger Schutzstandards in Investitionsschutzabko mmen durchaus die Frage, welche Kriterien und Methoden insbesondere von den Schiedsgerichten heranzuziehen sind, um diese Schutzstandards im Einzelfall zu konkretisieren. Die Debatte zum Gebot des fair and equitable treatment beschränkt sich indes im Wesentlichen auf die Klärung der normativen Grundlagen und die Aufarbeitung der einschlägigen Rechtsprechung. 519 Fragen zu Konkretisierungsmethoden und -maßstäben, welche den Konkretisierungsprozess der Investitionsschiedsgerichte anleiten und einen Ausgleich der beteiligten Interessen bewirken können, werden in der Regel nicht thematisiert. Dies mag damit zusammenhängen, dass in der Praxis oftmals Vergleichsfälle vorliegen, an denen sich die Schiedsgerichte bei ihrer Entscheidungsfi ndung im Einzelfall orientieren können. Gelangt man jedoch in einen Bereich, für den kein einschlägiges Fallmaterial vorliegt, so stellt sich zwangsläufig die Frage, an welchen Maßstäben sich der Konkretisierungsvorgang zu orientieren hat. Hieran zeigt sich, dass der Vorgang der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment grundlegender Maßstäbe und Methoden bedarf, welche auch unabhängig vom entschiedenen „Fallrecht“ eine rationale Entscheidungsfindung im konkreten Fall gewährleisten können. Dies ist nicht einfach, da der vage Wortlaut keine unmittelbare Subsumtion erlaubt und nur wenige Anhaltspunkte liefert, welche dem Schiedsrichter als Maßstab für seine Einzelfallentscheidung dienen können. Zwar mag die – für internationale Investitionsschutzabkommen typische520 – Verwendung generalklauselartiger Schutzstandards den Vorteil haben, dass hierdurch ein gewisses Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des investitionsrechtlichen Regelungsregimes erreicht wird. Zudem er518
Vgl. oben §§ 9 und 10. Vgl. hierzu oben §§ 6,7, und 9. 520 Vgl. oben §§ 2 III, 8. 519
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laubt es diese Regelungstechnik den Vertragsstaaten mit einer vergleichsweise geringen Anzahl an Vorschriften auszukommen, was der Übersichtlichkeit der meisten Investitionsschutzabkommen zugutekommt. Für die Rechtsanwendung hingegen stellen die generalklauselartige Weite des Gebots des fair and equitable treatment und die damit einhergehende geringe Entscheidungsdeterminierung ein Problem dar, welches zu der bestehenden Rechtsunsicherheit hinsichtlich des materiellen Bedeutungsgehalts des Gebots des fair and equitable treatment und zu manchen Widersprüchlichkeiten in der Rechtsprechung beigetragen hat. Die Schiedspraxis behilft sich, wie gesehen, ganz überwiegend, indem sie sich im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment an früheren Entscheidungen und den hieraus entstandenen Fallgruppen orientiert. Dieser präjudizienorientierte Ansatz hat in der Schiedspraxis für ein gewisses Maß an Orientierung und Rechtssicherheit gesorgt. Allerdings bilden frühere Fallentscheidungen grundsätzlich kein vollständiges Abbild einer Norm. Problematisch bleiben daher – abgesehen von anderen, grundsätzlichen Erwägungen zur präjudizienorientierten Konkretisierung 521 – unter anderem Fälle, für die keine Regeln bzw. Präzedenzfälle vorhanden sind, in denen der (Schieds-)Richter aber dennoch eine Entscheidung auf rechtlicher Grundlage fällen 522 und diese rational begründen muss. Da einem induktiv gewonnenen System nicht mehr entnommen werden kann als das, was zuvor an Rechtsprechung „hineingegeben“ wurde, fehlt es zwangsläufig an relevanten Maßstäben zur Beurteilung neuer, noch nicht entschiedener Fallgestaltungen.523 Rein formale Kriterien wie Konsistenz und Kohärenz liefern keine inhaltlichen Kriterien und helfen in diesem Zusammenhang nicht weiter. 524 Will man die Entscheidung jedoch nicht alleine dem subjektiven Rechtsempfinden des jeweiligen (Schieds-)Richters überlassen, so bedarf es vielmehr rechtlicher Maßstäbe und Methoden, welche auch unabhängig vom Fallrecht den Konkretisierungsvorgang anzuleiten vermögen. In diesem Kapitel sollen daher methodische Überlegungen angestellt werden, um diejenigen Maßstäbe und Methoden herauszuarbeiten, welche geeignet erscheinen, die schiedsrichterliche Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment im Einzelfall anzuleiten. Dabei geht es nicht darum, den Weg zu „der“ richtigen Entscheidung oder gar Musterlösungen für bestimmte Sachverhalte vorzugeben. Selbst eine methodengerecht gewonnene Entscheidung kann, zumal bei der Anwendung von Generalklauseln, keine eindeutigen Ergebnisse gewährleisten, sondern lediglich den Bereich vertret521
Vgl. unten II 2. Zum Erfordernis einer Rechtsentscheidung vgl. oben § 6 III. 523 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 442. Zur besonderen Bedeutung von Methode bei der Bewältigung „neuer“ Fälle Vogel, Juristische Methodik, 7. 524 Vgl. oben § 10 IV. 522
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barer Entscheidungen bzw. die „Grenzen des Richtigen“ abstecken, die einmal enger, einmal weiter sein können.525 Dies vorausgesetzt sollte es jedoch möglich sein, einen geeigneten methodischen Rahmen für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment zu finden, der zudem einen angemessenen Ausgleich staatlicher und privater Interessen ermöglicht. Dabei stellt sich unter anderem die Frage, ob und inwiefern die Kanones der Auslegung hinreichende Kriterien für die Konkretisierung generalklauselartiger Normen darstellen, oder ob andere bzw. zusätzliche Maßstäbe und Methoden erforderlich sind, um eine rational begründbare Entscheidung im Einzelfall zu gewährleisten. So wird, wie gesehen, teilweise bezweifelt, dass die in der WVRK enthaltenen klassischen Auslegungsgrundsätze geeignet sind, die Konkretisierung der unbestimmten, generalklauselartigen Schutzstandards des Investitionsrechts und insbesondere des Gebots des fair and equitable treatment anzuleiten.526 Ein weiterer Aspekt betrifft die Frage, ob und inwieweit die Verwendung von Generalklauseln die Funktion des (Schieds-)Gerichts beeinflusst. So wird zum Teil vertreten, die Verwendung von Generalklauseln (hier: „fair and equitable treatment“) durch den Gesetzgeber beinhalte die Übertragung bzw. Delegation einer wie auch immer gearteten Rechtsetzungsbefugnis an das jeweilige (Schieds-)Gericht.527 Eine Schwierigkeit besteht darin, dass für den vorliegenden internationalrechtlichen Kontext eine belastbare Methodenlehre sowie eine Vorstellung von Begriff und Funktion der Generalklauseln, auf die sich eine solche Untersuchung stützen könnte, nicht oder nur in Ansätzen existiert. Zudem scheint der Umstand, dass die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment neben der Klärung der Rechtsquellen 528 und der Sammlung, Ordnung und Analyse früherer Entscheidungen 529 auch methodische Fragen aufwirft, bisher kaum Resonanz in Schiedspraxis und Literatur erfahren zu haben. Dabei betreffen die mit der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment einhergehenden Schwierigkeiten eine grundlegende Proble525
Vogel, Juristische Methodik, 8; Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken, 18: Selbst eine methodengerecht gewonnene Entscheidung steckt nur die „Grenzen des Richtigen“ ab. 526 Vgl. oben § 5 IV. 527 Vgl. etwa Teubner, Standards und Direktiven, 61, 106 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, 33. Zu den generalklauselartigen Schutzstandards des Investitionsrechts und insbesondere zum Gebot des „fair and equitable treatment“ Schill, Multilateralization, 275: „Investors rights, such as fair and equitable treatment […] can be viewed more as general clauses that de facto delegate substantial rule-making power to judicial bodies […].“ 528 Vgl. oben §§ 2 und 6. 529 Vgl. oben §§ 7 und 9.
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matik, welche allgemein mit der Konkretisierung von Generalklauseln einhergeht. Lediglich die häufige Verwendung von generalklauselartigen Schutzstandards in Investitionsschutzabkommen führt dazu, dass die Problematik der Generalklauselkonkretisierung in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit besonders deutlich hervortritt.530 Die Frage, ob und inwiefern es möglich ist, trotz unbestimmter rechtlicher Vorgaben (und gegebenenfalls ohne einschlägige Präzedenzfälle) im Einzelfall zu einer rational begründbaren Entscheidung zu gelangen, ist auf den ersten Blick keine qualitative Besonderheit des Investitionsrechts. Stets vollzieht sich die Konkretisierung unbestimmter Rechtssätze im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Flexibilität, zwischen Normbindung und (Schieds-)Richtermacht. Stets stellt sich die Frage nach der besonderen Aufgabe und der Stellung des (Schieds-)Richters im Rahmen des Konkretierungsvorgangs. Stets stellt sich die Frage der Konkretisierungsmaßstäbe, an denen sich der (Schieds-)Richter angesichts der Weite des Wortlauts zu orientieren hat. Es sollte daher möglich sein, unter Beachtung der spezifischen Besonderheiten des internationalen Investitionsrechts einen methodischen Rahmen zur Konkretisierung investitionsrechtlicher Schutzstandards und insbesondere des Gebots des fair and equitable treatment zu entwerfen, indem auf verallgemeinerungsfähige rechtstheoretische Überlegungen zur Konkretisierung von Generalklauseln zurückgegriffen wird und die Erkenntnisse, sofern brauchbar, auf das internationale Investitionsrecht übertragen werden. Dies setzt zunächst ein Verständnis der besonderen Merkmale und Funktionen, die mit Generalklauseln verbunden werden, voraus. Der erste Abschnitt (I.) dient daher der Klärung und Präzisierung des Generalklauselbegriffs und der Funktionen, welche mit der Verwendung von Generalklauseln verbunden werden. Begriff und Funktionen von Generalklauseln sollen hierzu anhand des vorwiegend kontinentaleuropäischen Methodenverständnisses untersucht und die Ergebnisse, sofern geeignet, auf das internationale Investitionsrecht übertragen werden. Hierauf aufbauend sollen im zweiten Abschnitt verschiedene methodische Ansätze zur Konkretisierung von Generalklauseln untersucht und bewertet werden (II.). Dabei sollen auch die maßgeblichen Konkretisierungskriterien, deren Verhältnis zu den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen sowie die Rolle der (Schieds-)Gerichte im Rahmen der Konkretisierung herausgearbeitet und hinterfragt werden. Im Anschluss hieran sind in einem letzten Schritt die gewonnenen Erkenntnisse – soweit möglich – auf das internationale Investitionsrecht und die
530
Methodisch zugespitzt könnte man sagen: Die Entscheidungsfindung der internationalen Investitionsschiedsgerichte ist im Wesentlichen Generalklauselkonkretisierung.
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Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment zu übertragen (III.). I. Generalklausel: Begriff und Funktionen 1. Begriffsannäherung Generalklauseln, zu denen auch das Gebot des fair and equitable treatment immer wieder gerechnet wird,531 wird in Rechtstheorie und Methodenlehre ein besonderer Platz eingeräumt. 532 Wenn auch über das Vorliegen einer Generalklausel oftmals Einigkeit besteht, 533 so existiert trotz verschiedener Ansätze534 bislang keine allgemein anerkannte Definition.535
531
Vgl. etwa Schill, Multilateralization, 263, 275; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69. Generell zu den investitionsrechtlichen Schutzstandards Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzabkommen, 291 ff. 532 Röthel, Normkonkretisierung, 29 m.w.N; dies., Die Konkretisierung von Generalklauseln, Rn. 1. Für Beispiele aus dem deutschen Recht vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 37 ff. In historischer Sicht vgl. Laufs, DRiZ 1973, 145; Hedemann, Flucht in die Generalklauseln, 1 ff.; Weber, AcP 192 (1992), 516 (518). In anderen Rechtssystemen spielt Generalklauseldogmatik dagegen eine geringere Rolle. Zum Common Law: Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 175 ff.; Whittaker, Theory and Practice of the ‚General Clause„ in English Law, 57 ff.; Pfeiffer, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (28 f.): „Das Common Law insgesamt lässt sich allerdings dem Ausgangspunkt nach gleichsam als eine einzige Generalklausel denken, deren Ambiguität dann im Übrigen auch nach einem Korrektiv in Gestalt einer strikten Präjudizienbindung verlangt. Schon bei der ursprünglichen Regelbildung allerdings wirken in einem solchen System stärkere Wertungselemente mit als in einem im Ausgangspunkt durch scharfe dogmatische Durchdringung gekennzeichneten System. […] Die zusätzliche Einbindung wertungsoffener Generalklauseln wirkt in einem ohnehin schon wertungsoffenen System eher als Fremdkörper als in Kontinentaleuropa.“ Zum französischen Recht: Jung, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 37 (56): Zurückhaltender Rückgriff auf Generalklauseln; Walther, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 63 (63, 80): „In Frankreich sprechen Lehre und Rechtsprechung eher von ‚Principes„ oder ‚notions floues„ […]. Die in Deutschland hervorgehobene Differenzierung zwischen ‚unbestimmten Rechtsbegriffen„ und ‚Generalklauseln„ ist in dieser Art unbekannt. […] In der französischen Systematik erscheint aber als Pendant zur deutschen Generalklausel eine Konstruktion aus unbestimmten B egriffen, die zu einem Prinzip verflochten werden.“ 533 Schmidt, Konkretisierung, 20. Vgl. auch Weber, AcP 192 (1992), 516 (525), der feststellt, dass sich der Inhalt von Generalklauseln „besser fühlen als beschreiben“ lässt. So werden beispielsweise das Gebot des fair and equitable treatment sowie die anderen investitionsrechtlichen Schutzstandards, wenn auch in der Regel ohne nähere Begründung oder theoretische Vertiefung diesbezüglich, des Öfteren als Generalklausel, generalklauselartige bzw. äußerst unbestimmte Normen bezeichnet, vgl. u.a. Schill, Multilateralization, 263, 275; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69: „Einige dieser materiell-rechtlichen Schutzpositionen haben einen sehr generalklauselartigen Charakter, so dass ihr Regelungs-
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Einigkeit besteht immerhin darüber, dass sich Generalklauseln durch einen sprachlich unbestimmten Normtext auszeichnen. 536 So formulieren Generalklauseln wie „Treu und Glauben“ oder „fair and equitable treatment“ abstrakte Beurteilungsmaßstäbe oder nehmen hierauf Bezug. „General“ bedeutet „allgemein“ und „Klausel“ bezeichnet einzelne Vertrags- oder Gesetzesbestimmungen. 537 Inhaltlich werden Generalklauseln durch einen weiten Anwendungsbereich und eine besondere Unbestimmtheit gekennzeichnet. Auf einer imaginären Skala, an deren einem Ende inhaltlich bestimmte Normen ohne jegliche Wertungsmöglichkeit liegen, 538 bilden die Generalklauseln das entgegengesetzte Extrem. 539 An dem einen Ende des Spektrums befinden sich konkrete Regelungen wie Frist- und Altersbestimmungen, 540 während am anderen Ende des Spektrums Generalklauseln, d.h. Regelungen mit besonders hohem Abstraktionsniveau, angesiedelt sind.541 Generalklauseln zeichnen sich somit durch einen besonders hohen Abstraktionsgrad ihres Normtextes aus. Die charakteristischen Besonderheiten gehalt in etwa vergleichbar mit dem Grundsatz von Treu und Glauben im nationalen Recht kaum präzise definiert werden kann.“ 534 Zu den verschiedenen Ansätzen vgl. unten 2. 535 Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (523); Röthel, Normkonkretisierung, 30; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663). 536 Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663); Kramer, Juristische Methodenlehre, 67. Vgl. in diesem Zusammenhang zur Unterscheidung zwischen Norm und Normtext Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 279 f.; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 247 f., 261. 537 Schmidt, Konkretisierung, 16. Auf die Frage, ob die Generalklausel nur den Rechtssatz als Ganzes bezeichnet oder auch einzelne Tatbestandsmerkmale desselben, wird hier nicht näher eingegangen, vgl. hierzu stattdessen Hedemann, Flucht in die Generalklauseln, 53 f.; Schmidt, Konkretisierung, 16; Werner, Generalklauseln, 6; Haubelt, Konkretisierung von Generalklauseln, 5; Kramer, Juristische Methodenlehre, 67; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 135 f. Die Frage kann insofern dahinstehen, als die Konkretisierungsbedürftigkeit einer Generalklausel in Form eines vollständigen Rechtssatzes letztlich der Konkretisierungsbedürftigkeit der sie bildenden Tatbestandsmerkmale entspricht, vgl. Schmidt, Konkretisierung von Generalklauseln, 16 (dort Fn. 91); Haubelt, Konkretisierung von Generalklauseln, 5. 538 Dies ist etwa bei Fristen, Terminen, Alterbestimmungen oder sonstigen numerisch bestimmten Rechtsvorschriften der Fall, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 252; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 333; Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie 135 539 Gernhuber, JuS 1983, 764; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9). Vgl. auch unten 2 a. 540 Vgl. Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8. 541 Ohly, 2001, AcP 201 (2001), 1 (9). Vgl. auch Hesselink, The Concept of Good Faith, in: Hartkamp et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 619 (639): „[A]ll norms are more ore less open. Every norm could be placed on a scale which ranges from totally open to totally closed.“
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sowie die besonderen Probleme, welche die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln in Gesetzestexten für die Rechtsanwendung im Einzelfall mit sich bringt, haben daher einen wichtigen Ausgangspunkt im Verhältnis von Recht und Sprache. a) Wesensimmanente Unbestimmtheit von Sprache Der Normtext bzw. Rechtssatz ist die sprachliche Fassung einer Rechtsnorm. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die notwendige Unbestimmtheit von Sprache.542 Die daraus folgende zwangsläufige Unbestimmtheit juristischer Begriffe kann sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Gesetzesanwendung Probleme bereiten.543 So können Rechtssätze nur in seltenen Ausnahmefällen 544 das Gemeinte, mithin den Inhalt der Rechtsnorm, zuverlässig beschreiben. 545 Der Anspruch an den Wortlaut eines Gesetzes oder eines völkerrechtlichen Vertrages, dieser könne durch seine Bestimmtheit die Lösung des Falles enthalten und somit vorgeben, lässt sich in der Praxis nicht realisieren, da kein Text die mit ihm
542
Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 171, 252; Hart, The Concept of Law, 123, 128: „In all fields of experience, not only that of rules, there is a limit, inherent in the nature of language, to the guidance which general language can provide“; „Natural languages […] are when so used irreducibly open-textured“. 543 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 121; Zippelius, Methodenlehre, 107; ders., Rechtsphilosophie, 169; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 192 ff.; Hart, The Concept of Law, 128; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 17 f.; ders., ARSP 2009, 151 (163): „Notwenige Offenheit des Rechts“; Seelmann, Rechtsphilosophie, 123: „Semantische Spielräume“; Kramer, Juristische Methodenlehre, 35; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 23; Hart, Recht und Moral, 31: „Schattenzone der Ungewißheit“, die „notwendig alle gesetzlichen Vorschriften umgibt“; Koch, Juristische Methode, 29: „Semantische Spielräume gesetzlicher Begriffe“; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 56: Lücke zwischen der notwendig begrifflichen Sprache des Gesetzes und der Frage nach deren Inhalt; Seelmann, Rechtsphilosophie, 123 f.: Semnantische Spielräume insbesondere aufgrund Mehrdeutigkeit und Vagheit von Wörtern; Buchwald, ARSP 1993, 16 (24): „Die Wortbedeutung von Normtexten ist vor allem aus drei Gründen im allgemeinen schwer zu ermitteln: Vagheit, Mehrdeutigkeit und evaluative Offenheit oder Wertausfüllungsbedür ftigkeit.“ 544 Etwa bei Fristen, Terminen, Altersbestimmungen oder sonstigen numerisch bestimmten Rechtsvorschriften, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 252; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 333; Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie 135: „Die Gesetzesbegriffe sind, abgesehen von wenigen Fällen der Zahlbegriffe, nicht eindeutig […].“ Am anderen Ende des Spektrums des Abstraktionsniveaus finden sich die Generalklauseln, Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9). 545 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 252.
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verbundenen verschiedenen Lesarten determinieren kann. 546 Stattdessen trifft man je nach Rechtssatz auf eine mehr oder minder große Zahl möglicher Bedeutungen. 547 Was das Verstehen von (juristischen) Texten anbelangt, so folgt daraus, dass Gesetzestexte bzw. Rechtssätze nicht für jeden Rechtsanwender zu jeder Zeit denselben Norminhalt vermitteln, sondern immer wieder neue Lesarten ermöglichen;548 dabei wird das Normtextverständnis nicht unerheblich vom Vorverständnis des Rechtsanwenders beeinflusst.549 Der 546
Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 171. Dies gilt für alle Rechtssätze und somit ohne Einschränkung auch für den Bereich des Völkerrechts, vgl. hierzu etwa Koskenniemi, From Apology to Utopia, 503: „The idea that law can provide objective resolutions to actual disputes is premised on the assumption that legal concepts have a meaning which is present in them in some intrinsic way, that at least their core meanings can be verified in an objective fashion. But modern linguistics has taught us that concepts do not have such natural meanings.“ 547 Zippelius, Methodenlehre, 46 („Bedeutungsspielraum“); Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 7, 163; Koch, Juristische Methode, 29 ff.; Seelmann, Rechtsphilosophie, 123 ff. („semantischer Spielraum“); Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie 135; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 26: „Es wäre ein Irrtum anzunehmen, Rechtstexte bedürften nur dort der Auslegung, wo sie besonders ‚dunkel„, ‚unklar„ oder ‚widersprüchlich„ erscheinen; vielmehr sind grundsätzlich alle Rechtstexte der Auslegung fähig und bedürftig“; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (103): „Bestimmte“ Begriffe kann es nicht geben, Begriffe sind vielmehr immer mehr oder weniger vage oder „unbestimmt“. 548 Rüthers, Rechtstheorie, 117. Dies erfordert ein über ein rein reproduktives Verhalten hinausgehendes produktives Verhalten des Rechtsanwenders, vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 117; Hassemer, ARSP 1976, 195 (198); Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 205, 208; Gadamer, Wahrheit und Methode, 250 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 99; Larenz, Methodenlehre, 206 ff. Dem sind jedoch gewisse Grenzen gesetzt. Diese ergeben sich z.B. im deutschen Recht aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG. Das setzt voraus, dass es dem Rechtsanwender grundsätzlich möglich ist, den Gesetzgeber richtig zu verstehen, vgl. hierzu Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 69 f.: „Für die praktische Gesetzesanwendung ist jedenfalls vorauszusetzen, daß ein solches Verstehen [des Gesetzgebers] möglich ist. Könnte der Rechtsa nwender nämlich den Gesetzgeber aus prinzipiellen Gründen nicht verstehen, so wäre Gesetzgebung weitgehend sinnlos und eine durch gesetzliche Entscheidungsmaßstäbe geleit ete Rechtsanwendung ausgeschlossen. Von der Möglichkeit eines solchen Verstehens geht ersichtlich auch das Grundgesetz aus, wenn es den Richter in Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 an Gesetz und Recht bindet: […] die Bindung an das Gesetz liefe aber leer, wenn es ohnehin nicht zu verstehen wäre.“ Zur Verfassungsrechtsrelevanz von Methodenfragen vgl. auch Vogel, Juristische Methodik, 5 f. 549 Nach der neueren (juristischen) Hermeneutik spielt das Vorverständnis des (Rechts-) Anwenders als Grundlage einer jeden Interpretation von Texten eine wichtige Rolle. Gadamer, Wahrheit und Methode, 251, beschreibt den zirkelhaften Ablauf des Verstehens eines Textes (sog. hermeneutischer Zirkel) wie folgt: „Wer einen Text verstehen will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text bereits
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Vorteil der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Sprache ist somit zugleich ein Nachteil, da sich aus dem Sprachgebrauch ein eindeutiger Wortsinn nicht ergibt. 550 Daraus folgt, dass sich die sprachliche Unbestimmtheit der in den Rechtssätzen verwendeten Begrifflichkeiten nicht vermeiden lässt, da sie zum Wesen der Sprache gehört.551 Es wäre jedoch verfehlt, hieraus auf eine generelle Unbestimmbarkeit von Rechtssätzen zu schließen. 552 Die sich bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtssätze ergebenden Schwierigkeiten zu überwinden und dabei ein (möglichst) optimales Maß an rationaler und in Erwartung auf einen bestimmten Sinn hin liest. Im Ausarbeiten eines solches Vorentwurfs, der freilich beständig von dem her revidiert wird, was sich bei weiterem Eindringen in den Sinn ergibt, besteht das Verstehen dessen, was dasteht.“ Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie 272, verweist darauf, dass durch das Vorverständnis des Interpreten jede Textinterpretation zugleich eine Applikation der Bewusstseinslage des Interpreten darstellt. Zum „Zirkel“ des Verstehensprozesses in der juristischen Hermeneutik vgl. Alexy, Die juristische Argumentation als rationaler Diskurs, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 113 (114 ff.); Mastronardi, Juristisches Denken, 168 ff.; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 263 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 306 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 489 f.; Hassemer, ARSP 1986, 195 (211): Vorverständnis als eine Bedingung der Möglichkeit von Verstehen; Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie, 133: „Nur wenn ich weiß, was schwerer Raub ist, kann ich den konkreten Fall als einen Fall des schweren Raubes verstehen […].“ Zur Bedeutung des Vorverständnisses in der juristischen Methode Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 74; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 136 f.: „Es werden mögliche Ergebnisse vorweg ins Auge gefaßt, und an ihnen wird die Verstehbarkeit des Textes ausgemacht. Auch das geschieht nicht mit „Methode“, sondern im Vorverständnis, welches in der Konfrontierung von Normbedeutung und Fallproblematik die Texte befragt. Der Rechtsanwender kann sich dem Anwendungs- und Entscheidungszwang, unter dem er steht, nicht entziehen. Seine Normbefragung steht unter diesem entscheidungsbezogenen Vorverständnis der Konfliktsituation. […] Der ‚hermeutische Zirkel„ liegt […] in dem Verhältnis von Fragestellungen und Antworten qua Normverständnis, also in der Tatsache, daß ohne Vorurteil über die Ordnungsbedürftigkeit und Lösungsb edürftigkeit die Sprache der Norm überhaupt nicht das aussagen kann, was erfragt wird: die gerechte Lösung.“ (Kritisch zur Unausweichlichkeit des Vorverständnisses bei der richterlichen Entscheidung Zöllner, AcP 1988, 85 (90); Larenz/Canaris, Methodenlehre, 32: Spätere Berichtigung muss möglich sein). In diesem Zusammenhang verweist Larenz, Methodenlehre, 206, darauf, dass es sich bei der Kreisbewegung beim Verstehen jurist ischer Texte um keinen reinen Zirkel handle, durch den man stets zum Ausgangspunkt der Betrachtung zurückkehre, sondern dass sie das Verstehen des Textes vielmehr auf eine neue Stufe hebe (in Anlehnung an Hegel könnte man von „aufgehoben“ sprechen). So auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 74: Spirale von Annahmen und Vermutungen; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 28: Prozess des Voraus- und Zurückblickens. 550 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 141; Zippelius, Methodenlehre, 47, 107. 551 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 171 f.; Zippelius, Methodenlehre, 46 f.; Röthel, Normkonkretisierung, 25: Wesensimmanente Unschärfe der Sprache. 552 Kritisch dagegen Koskenniemi, From Apology to Utopia, 36 ff., 60 ff., 503 ff.
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kontrollierbarer normtextorientierter Rechtsverwirklichung zu erreichen, ist vielmehr eine der Aufgaben juristischer Methode. 553 b) Begriff und Bedeutung Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist die Unterscheidung von (rechtlichem oder tatbestandlichem) Begriff und dessen Bedeutung. Die Bedeutung von Sprache unterliegt einem offenen, sich ständig erneuernden Prozess. 554 Sprachinhalte werden durch kollektiv eingeübte Assoziationen vermittelt und sind im Kollektivbewusstsein einer Sprachgemeinschaft verankert.555 Das bedeutet, dass sprachliche Verständigung nur in einer Sprachgemeinschaft, in der weitgehende Einigkeit über die Bedeutung von Laut- und Schriftzeiten besteht, gelingen kann. 556 Sprachregeln werden befolgt, weil deren Gebrauch innerhalb einer Gemeinschaft durch soziale Übung erlernt wurde. 557 Daraus folgt aber auch, dass die sprachlichen Grundeinheiten, aus denen Rechtssätze gebildet werden, die Begriffe, 558 für verschiedene Adressaten unterschiedli553
Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 29 ff., 279; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 67 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 36. 554 Rüthers, Rechtstheorie, 108. Zum Begriff der Bedeutung vgl. Koch, Juristische Methode, 29 ff. 555 Rüthers, Rechtstheorie, 107; Haft, JuS 1975, 477 (481): „Erst durch seine Ein- und Fortübung wird er zum inhaltsbefrachteten Begriff.“ Die Bedeutung des Begriffs wird als Intension bezeichnet. Die tatsächlichen Dinge in der Welt, auf die der Begriff zutrifft, werden dagegen als Extension bezeichnet, vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 129; Rüthers, Rechtstheorie, 110 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 29 f.; Koch, Juristsche Methode, 33 ff.; Wank, Juristische Begriffsbildung, 35 ff. Das Hauptproblem dieser Aristotelischen Konzeption liegt in der Subjektivität, der Verschiedenheit von Vorstellungen, welche die einzelnen Menschen auf Grund ihrer unterschiedlichen Herkunft und Sozialisation haben, vgl. Rüthers, Rechtstheorie 111; Ferber, Philosophische Grundbegriffe, 42; Zippelius, Methodenlehre, 46. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks sollte aber gerade nicht von subjektiven Bedingungen abhängen, vgl. Rüthers, Rechtstheorie 111; Ferber, Philosophische Grundbegriffe, 42. Hinzu kommt, dass die sprachlichen Verwendungsregeln nicht genügen, um jeden real existierenden Gegenstand eindeutig einem Begriff zuordnen zu können, vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 29. Die kontextabhängige Extension eines jeden Begriffs ist daher ein nie abgeschlossener Prozess, vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 32 f.; Rüthers, Rechtstheorie, 108, 110 ff., 119 ff. 556 Rüthers, Rechtstheorie, 109; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 7. Das Bestimmtheitspostulat lässt sich somit mittels Sprache nicht vollends verwirklichen, da diese nur innerhalb von gegebenen Sprach- und Überzeugungssystemen erreichbar ist, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 172. 557 Rüthers, Rechtstheorie, 113; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 204 f.; Koch, Juristische Methode, 30. 558 Die Sprachwissenschaft spricht von „Prädikator“. Die Bezeichnung „Begriff“ ist jedoch in der Rechtswissenschaft weitgehend üblich und wird daher hier zugrunde gelegt, obwohl an sich in der Sprachwissenschaft „Begriff“ nicht Prädikator sondern dessen B edeutung meint, vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 24 ff.
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che Bedeutungen haben können. 559 Hieraus ergibt sich auch, dass mit dem wachsenden Anwendungsbereich der jeweiligen Rechtsordnung potentielle Konflikte über die Bedeutung von Normen tendenziell zunehmen. Dies gilt folglich in besonderem Maße für supra- und internationale Rechtsordnungen.560 Es gibt daher, auch wenn von einer grundsätzlichen Möglichkeit des Verstehens von Gesetzesinhalten durch den Rechtsanwender auszugehen ist, 561 keine einheitliche Bedeutung eines (Rechts-)Begriffs. 562 Aus der wesensimmanenten Unbestimmtheit der Sprache folgt daher, dass die Bedeutung der in einem Rechtstext verwendeten Begriffe notwendig eine mehr oder weniger große Variationsbreite besitzt, 563 m.a.W. jeder Rechtsbegriff ist mehr oder weniger unbestimmt. 564 559
Rüthers, Rechtstheorie, 109. Im Völkerrecht führt dies folglich zu besonderen Problemen. Allerdings besteht auch in diesen Rechtsordnungen durch Fragmentierung die Möglichkeit der Herausbildung von Subsystemen, in denen grenz- und sprachgemeinschaftsüberschreitend eine eigene Sprache eingeübt wird. Vgl. hierzu Koskenniemi, Kritische Justiz 2004, 241 (243), der den Prozess der Fragmentierung umschreibt als „increasing division of international regulation into specialized branches, deferring to special interests and managed by technical experts specialising in those areas.“ Folgt man dieser Ansicht, so könnte eine dieser “specialized branches“ das internationale Investitionsrecht darstellen. Ausführlich zur Frage der Fragmentierung des Völkerrechts der Bericht der International Law Commission: ILC, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expa nsion of International Law, Report of the Study Group of the International Law Commission, Finalized by Martti Koskenniemi, UN Doc A/CN.4/L.702 (2006). Zur Frage einer solchen (Sprach-)Gemeinschaft im Investitionsrecht vgl. Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (57). 561 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 71; Larenz, Methodenlehre, 155 f. 562 Rüthers, Rechtstheorie, 109; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 42 f.: „Die Bedeutung ist ständig im Fluss. Alle Versuche einer exakten Begriffsbestimmung bleiben letz tlich erfolglos.“ Sprachliche Verständigung setzt daher einen permanenten Akt der Übersetzung aus der Sprachwelt des Autors in die des Adressaten voraus. Die Überwindung der notwendigen sprachlichen Unbestimmtheit der Rechtssätze und der sie konstituierenden Begriffe mittels Auslegung und Konkretisierung ist eine der Hauptaufgaben juristischer Methodik, vgl. Wank, Auslegung, 29: „Ziel der Auslegung ist es, die Bedeutung des Gesetzes zu erkennen“; Zippelius, Methodenlehre, 21: „Die Gesetzesbedeutung richtig abzugrenzen, ist das Hauptgeschäft der juristischen Auslegung“; Kudlich/Christensen, JA 2004, 74 (75): Kanones der juristischen Auslegung als Argumente zur Begrenzung oder Vermehrung der Bedeutungsmöglichkeiten juristischer Begriffe. 563 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 172, 252; Larenz, Methodenlehre, 206; Röthel, Normkonkretisierung, 25 f.; Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie 135: „mehr-oder-minder“ anstelle von „entwederoder“. 564 Canaris, Systembegriff und Systemdenken, 29; Röthel, Normkonkretisierung, 46: „Bestimmte und unbestimmte Rechtsbegriffe unterscheiden sich nur graduell“; Arzt, Ein560
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c) Zwischenergebnis Aufgrund der wesensimmanenten Unbestimmtheit von Sprache weist die Bedeutung nahezu aller in einem Gesetz oder einem Vertrag verwendeten Begriffe eine mehr oder minder große Variationsbreite auf. Diese notwendige sprachliche Unbestimmtheit tritt bei der Verwendung vager Rechtsbegriffen wie etwa „billig“ und „gerecht“ bzw. „fair“ und „equitable“ lediglich besonders zutage.565 Wenn aber alle Rechtsbegriffe mehr oder minder unbestimmt sind, so stellt sich die Frage, worin die Besonderheiten bzw. die besonderen Merkmale und Funktionen von Generalklauseln als Inbegriff konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit bestehen, und wie sich diese von anderen Rechtsbegriffen abgrenzen lassen. Dem soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden. 2. Generalklauseln: Merkmale und Funktionen Generalklauseln, zu denen das Gebot des fair and equitable treatment – wenn auch in der Regel ohne nähere methodische Begründung – gerechnet wird,566 gilt insbesondere in der Rechtsdogmatik eine besondere Aufmerksamkeit. 567 Wie gesehen existiert bislang jedoch keine allgemein anerkannte Definition, wenn auch über das Vorliegen einer Generalklausel oftmals Einigkeit besteht.568 Die Abgrenzung gegenüber anderen, konkreteren Normen erfolgt daher in der Regel über die besonderen Merkmale (a)) und Funktionen (b)), welche den Generalklauseln zugeschrieben werden.569 Diese sollen im Folgenden untersucht und bewertet werden.
führung, 68: Fließender Übergang vom bestimmten zum unbestimmten Rechtsbegriff; Bix, Law, Language and Legal Determinacy, 32: „There is a spectrum that goes from plain case to penumbra to non-application.“ 565 Zur rechtswissenschaftlichen Diskussion betreffend die Einteilung in bestimmte und unbestimmte Rechtsbegriffe, Röthel, Normkonkretisierung, 25 m.w.N. 566 Vgl. oben I 1. 567 Vgl. oben I 1. 568 Vgl. oben I 1. So werden das Gebot des fair and equitable treatment sowie die anderen investitionsrechtlichen Schutzstandards auch ohne nähere Begründung oder theoret ische Vertiefung des Öfteren als Generalklausel, generalklauselartige bzw. äußerst unb estimmte Normen bezeichnet, vgl. u.a. Schill, Multilateralization, 263, 275; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69: „Einige dieser materiell-rechtlichen Schutzpositionen haben einen sehr generalklauselartigen Charakter, so dass ihr Regelungsgehalt in etwa vergleichbar mit dem Grundsatz von Treu und Glauben im nationalen Recht kaum präzise definiert werden kann.“ Vgl. auch Weber, AcP 192 (1992), 516 (525), der feststellt, dass sich der Inhalt von Generalklauseln „besser fühlen als beschreiben“ lässt. 569 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 30.
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a) Bestimmende Merkmale Ordnet man die verschiedenen Definitions- und Erklärungsansätze, so zeigen sich einige bestimmende Merkmale von Generalklauseln. Dabei knüpfen die meisten Ansätze an inhaltliche Merkmale (Unbestimmtheit, (Wert-)Ausfüllungsbedürftigkeit) an, während andere Ansätze in formaler Hinsicht auf Normstruktur und Gesetzgebunstechnik abstellen.570 aa) Besonders qualifizierte Unbestimmtheit Nach einem Ansatz zeichnen sich Generalklauseln durch eine besonders qualifizierte Vagheit 571, Präzisierungsbedürftigkeit 572, Unschärfe573 und sprachliche Unbestimmtheit 574 aus. Normtexte, die Generalklauseln genannt werden, verfügen über einen besonders unbestimmten Wortlaut. 575 Generalklauseln unterscheiden sich demzufolge von anderen Rechtssätzen im Ausmaß ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit 576: Sie sind in besonderem Maße unbestimmt und sind besonders abstrakt gefasst. 577 Die besondere Unbestimmtheit von Generalklauseln liegt somit im Abstraktionsgrad ihres Normtextes.
570
Vgl. zu dieser Einteilung Auer, Materialisierung, 127 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 117. In einigen Fällen werden die folgenden Kriterien auch in Kombination verwendet, vgl. Auer, Materialisierung, 135 ff. m.w.N. 571 Kramer, Juristische Methodenlehre, 67; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 233: Vorschrift mit gesteigert vagem Normtext; Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 91; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 316. Alexy spricht in Bezug auf Regeln mit tatbestandlichen Begriffen wie „gerecht“, „vernünftig“, „gute Sitten“ und „Treu und Glauben“ von einem „extrem niedrigen Festlegungsgehalt“ der jeweiligen Regel, vgl. Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 217 (225). Zum Begriff der Vagheit vgl. Koch, Juristische Methode, 42 ff.; Seelmann, Rechtsphiliosophie, 124. 572 Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (522); Franzen, Privatrechtsangleichung, 536: Generalklauseln als präzisierungsbedürftige gesetzliche Anordnungen; Werner, Generalklauseln, 6 f. 573 Zippelius, Methodenlehre, 46. Nach Haft, JuS 1975, 477 (479), zeichnet sich eine Generalklausel durch Tatbestandsmerkmale großer Extension und geringer Intension aus. 574 Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663); Wank, Rechtsfortbildung, 133; Naucke, Generalklauseln, 3, Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9). 575 Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 281. Der Wortlaut der Generalklausel gibt daher nur unvollständig die zu ihrer Konkretisierung notwendigen Kriterien an, vgl. Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (666 f.); Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 82; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, 212; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (5). 576 Röthel, Normkonkretisierung, 33. 577 Röthel, Normkonkretisierung, 33; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 582; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 96 (115); Naucke, Generalklauseln, 3; Wallkamm, Generalklauseln, 508: Sehr weitgefasste Normen.
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An einem Ende des Spektrums befinden sich konkrete Regelungen wie Frist- und Altersbestimmungen, 578 wohingegen Generalklauseln am anderen Ende des Spektrums auf maximalem Abstraktionsniveau angesiedelt sind. 579 Grund für die besondere Unbestimmtheit sei, dass sich die unvermeidliche Unbestimmtheit der verwendeten Tatbestandsbegriffe nicht nur auf den durch den Begriffshof beschriebenen Randbereich, sondern auch auf den Begriffskern erstrecke,580 so dass das gesamte Normspektrum von Unschärfe geprägt sei.581 Mangels eines belegbaren Begriffskerns könnten folglich auch keine Aussagen über den Begriffshof getroffen werden, weshalb insbesondere die Wortlautauslegung kaum weiterhelfe.582 Die vorgenannte Unterscheidung von Begriffshof und Begriffskern geht zurück auf Heck583, der die generelle Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe mit der Unterscheidung von Vorstellungskern und Vorstellungshof veranscha ulicht hat. 584 Im Anschluss hieran hat sich die Unterscheidung zwischen dem sicheren „Begriffskern“ und dem allmählich verschwindenden „Begriffshof“ durchgesetzt.585 Im Begriffskern ist die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einem Begriff unzweifelhaft. 586 Hierzu zählen Fälle einfacher Subsumtion.587 Demgegenüber ist die Zugehörigkeit im allmählich verschwindenden Begriffshof möglich, aber nicht mehr unzweifelhaft der Fall und bedarf der Prüfung. 588 Außerhalb des Begriffshofes steht demgegenüber die Nichtzuge578
Vgl. Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8; Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/ Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie 135: Mit Ausnahme von Zahlb egriffen sind Gesetzesbegriffe nicht eindeutig. 579 Ohly, 2001, AcP 201 (2001), 1 (9); Hesselink, The Concept of Good Faith, in: Hartkamp et al. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 619 (639). 580 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (5); Bydlinski, Symposium Wieacker, 189 (197); Weber, AcP 192 (1992), 516 (524); Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 316 . 581 Weber, AcP 192 (1992), 516 (524); Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 56; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 316. 582 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9). 583 Heck, AcP 112 (1914), 1 (173). 584 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 34; Rüthers, Rechtstheorie, 120. 585 Vgl. Engisch, Einführung, 139; Jesch, AöR 82 (1957), 163 (171 ff.); Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 23 f. (Normkern und Normhof) 133 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 120; Kramer, Juristische Methodenlehre, 60; Röthel, Normkonkretisierung, 26 f.; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 332: (unter Bezugnahme auf Llewellyn) „Kern“ und „Grenzsaum des Rechtssatzes“. Vgl. auch Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 217. 586 Engisch, Einführung, 139; ders., Logische Studien, 26; Jesch, AöR 82 (1957), 163 (182). Jesch stellt zudem fest, dass diese „unzweifelhaften“ und „reibungslosen“ Fälle einen „schwindend kleinen Prozentsatz“ ausmachen, ibid., 176 f. 587 Jesch, AöR 82 (1957), 163 (182). 588 Engisch, Einführung, 108: „Soweit wir uns über Inhalt und Umfang dieser Begriffe im klaren sind, haben wir es mit dem Begriffskern zu tun. Wo die Zweifel sich einstellen, beginnt der Begriffshof.“
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
hörigkeit der Bedeutung zum Begriff unzweifelhaft fest. 589 Ein Begriff ist umso unbestimmter je geringer sein Begriffskern im Verhältnis zum Begriffshof ist. 590 Diese Unterscheidung zwischen Begriffshof und Begriffskern findet sich auf ähnliche Weise im anglo-amerikanischen Bereich wieder, wo die auf Hart zurückgehende Unterscheidung zwischen einem „Kernbereich gefestigter Bedeutung“ („core of settled meaning“ bzw. „core of certainty“) und einem „Schattenbereich zweifelhafter Fälle“ („penumbra of debatable cases“ bzw. „penumbra of doubt“) geläufig ist. 591 Demnach können als „Generalklausel […] nur solche Vorschriften bezeichnet werden, in denen sich die vom Gesetzgeber zur tatbestandlichen Fixierung verwandten Rechtsbegriffe durch einen so hohen Grad an Abstraktion und inhaltlicher Unbestimmtheit auszeichnen, daß ihnen neben den unvermeidlichen Randunschärfen im Begriffshof auch ein inhaltlich eindeutig belegbarer Begriffskern nicht mehr zugerechnet werden kann.“ 592 Dies sei „im Wesentlichen nur bei Verweisungen auf außerrechtliche, insbesondere moralethische Begriffe“ wie etwa „Treu und Glauben“, „gute Sitten“ und „Billigkeit“ der Fall. 593 Nach dieser Auffassung sind aus dem Kreis der Generalklauseln all diejenigen Normen auszuscheiden, bei denen der Gesetzgeber „zur tatbestandlichen Fixierung sogenannte vage oder unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, d.h. solche Termini, die neben einem hinreichend klar abgrenzbaren Begriffskern einen nur mit Randunschärfen darzustellenden Begriffshof aufweisen.“ 594 Nach Esser verfügen unbestimmte Rechtsbegriffe über einen – wenn auch kleinen – Begriffskern, wohingegen bei Generalklauseln ein solcher Begriffskern vollständig fehlt. 595 589 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 120; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 35; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 134; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 199 f.; Jesch, AöR 82 (1957), 163 (176); Engisch, Einführung, 108 f. 590 Jesch, AöR 82 (1957), 163 (177): „Die Struktur der unbestimmten Rechtsbegriffe ist dadurch gekennzeichnet, dass bei Ihnen der Begriffshof ungewöhnlich groß und diffus ist und der Kernbereich im Vergleich dazu außerordentlich klein.“ 591 Hart, The Concept of Law, 124 ff. Vgl. auch Hart, Recht und Moral, 30 f., wo zwischen einem „Kern fester Bedeutung“ und „Problemen der Schattenzone“ unterschieden wird. Im Anschluss hieran auch die Unterscheidung bei Koskenniemi, From Apology to Utopia, 38. Die zweifelhaften Fälle zeichnen sich nach Hart, The Concept of Law, 127, wie folgt aus: „[T]here are reasons both for and against our use of the general term, and no firm convention or general agreement dictates its use, or, on the other hand, its rejection by the person concerned to classify. If in such cases doubts are to be resolved, something in the nature of a choice between open alternatives must be made by whoever is to resolve them.“ 592 Weber, AcP 192 (1992), 516 (524). 593 Weber, AcP 192 (1992), 516 (524). 594 Weber, AcP 192 (1992), 516 (524). 595 Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 56.
§ 11 Methodische Überlegungen
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Das Phänomen der Vagheit wird neben der Unterscheidung von Begriffskern und Begriffshof auch mit dem „Drei-Bereiche-Modell“, welches in „positive Kandidaten“ (Begriff unzweifelhaft anwendbar, entspricht Begriffskern bzw. dem „Kern fester Bedeutung“), „negative Kandidaten“ (Begriff unzweifelhaft nicht anwendbar) und „neutralen Kandidaten“ (Anwendbarkeit unklar, entspricht Begriffshof bzw. der „Schattenzone der Bedeutung“) unterteilt, erfasst.596 Überträgt man dieses Modell, so wird man sagen können, dass bei Generalklauseln die Zahl neutraler Kandidaten besonders groß ist, wohingegen die Anzahl positiver Kandidaten sehr gering ist bzw. oftmals gegen Null tendiert. 597 bb) Besondere (Wert-)Ausfüllungsbedürftigkeit Ein Merkmal von Generalklauseln ist nach einer weiteren Auffassung die besondere (Wert-)Ausfüllungsbedürftigkeit ihrer Normtextelemente.598 So weisen klassische Generalklauseln oftmals offene Wertbegriffe auf (z.B. „Treu und Glauben“, „gute Sitten“ bzw. fairness, reasonableness, equity, good faith).599 Eine Umsetzung der Norm auf konkrete Einzelfälle könne daher nur im Wege wertender (Einzelfall-)Entscheidung erfolgen. 600 Diese Auffassung knüpft an die Unterscheidung zwischen „deskriptiven“ und „normativen“ Tatbestandselementen an,601 derzufolge normative Begriffe 596 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 35; Kramer, Juristische Methodenlehre, 60 f.; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 56; Koch, Juristische Methode, 44 f.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 194 ff. 597 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 67. Nach Koch, Juristische Methode, 44, sind „[v]age Ausdrücke […] also Ausdrücke, für die es neutrale Kandidaten gibt“. 598 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 82; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 109 ff.; Engisch, Einführung, 111; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (109); Röthel, Normkonkretisierung, 33; Auer, Materialisierung, 127 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 66 f.; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8; Wallkamm, Generalklauseln, 508; Benicke, Wertpapierhaltung, 488; Peczenik, On Law and Reason, 16; Nowak, Generalklauseln, 1: „Wertausfüllungsbedürftige Vorschriften“ als Oberbegriff für unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln. Der Begriff der Wertausfüllungsbedürftigkeit geht auf Erik Wolf zurück und hat sich mit der Zeit zu einer gebräuchlichen Formel entwickelt, Wallkamm, Generalklauseln, 508 Fn. 2 m.w.N. 599 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 132. Insofern zeigt sich ein enger Bezug zur Rezeptions- und Verweisungsfunktion von Generalklauseln, siehe unten c. 600 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (5); Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 29; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 319; Engisch, Einführung, 111: „[D]as normative Volumen dieser Begriffe [muss] von Fall zu Fall durch Wertungen ausgefüllt werden“. Für Beispiele ausfüllungsbedürftiger Normen im Bereich des europäischen Acquis Pfeiffer, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (26). 601 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 27 ff., 37 ff.; Wank, Auslegung, 45; ders., Juristische Begriffsbildung, 7; Rüthers, Rechtstheorie, 126 ff.; Mastronardi, Juristisches Denken,
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
(„Wertbegriffe“ 602) gegenüber deskriptiven Begriffen 603 („Erfahrungsbegriffe“604) eine besondere Unbestimmtheit und somit einen größeren Ermessensspielraum für den Rechtsanwender aufweisen. 605 Auch wenn die Verwendung des Begriffes des „Normativen“ nicht immer einheitlich erfolgt, 606 so wird doch überwiegend als entscheidend angesehen, dass der jeweilige Tatbe-
74 ff., 189 f.; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (104 f.); Kramer, Juristische Methodenlehre, 58 ff.; Haft, JuS 1975, 477 (479). 602 Röthel, Normkonkretisierung, 27; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 201; Koch, Juristische Methode, 48 ff.; Vogel, Juristische Methodik, 144 (zu § 138 BGB („gute Sitten“) und § 242 („Treu und Glauben“)): In hohem Maße konkretisierungs- und wertausfüllungsbedüftig“. Vgl. auch Peczenik, On Law and Reason, 16: „ValueOpenness“. Für das Völkerrecht vgl. Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 211: unbestimmte Rechtsbegriffe als Wertbegriffe. 603 Diese dienen der Erfassung von grundsätzlich wahrnehmbaren sowie anderweitig erfahrbaren Gegenständen und Ereignissen der Wirklichkeit („Wirklichkeitssachverhalte“), vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 28; Rüthers, Rechtstheorie, 127; Kramer, Juristische Methodenlehre, 58 ff. Bei der Umschreibung von Tatbeständen verwendet der Gesetzgeber oftmals deskriptive Begriffe. Engisch (Einführung, 109, 140) nennt als Beispiele „Mensch“, „Tod“, Dunkelheit“, „rot“, Geschwindigkeit“, „Absicht“. Kramer (Juristische Methodenlehre, 58) nennt „Tier“ und „Gebäude“ (Art. 56 und 58 OR). Röthel (Normkonkretisierung, 37) führt als Beispiele aus dem BGB AT „Täuschung“ und „Drohung“ (§ 123 BGB) an. Rüthers (Rechtstheorie, 127) unterscheidet bei deskriptiven Begriffen zwischen Wörtern, die äußere Wirklichkeiten abbilden („Sachschäden“, „Körperverletzung“), und solchen, die innere Tatsachen („Kennenmüssen“) bezeichnen. 604 Röthel, Normkonkretisierung, 28. 605 Rüthers, Rechtstheorie, 127. Dies mag in der Tat für viele Begriffe, die üblicherweise den „normativen“ zugeordnet werden, zutreffen, beispielsweise dann, wenn auf die Unverhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit oder Wichtigkeit abgestellt wird. Eine eindeutige Abgrenzung ist aber auch hier nicht möglich und die Übergänge sind fließend, vgl. Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (104): „Allerdings erscheint die Zerl egung der Begriffskomponenten in deskriptive Merkmale […] und eine normative […] Komponente, die eine positive oder negative Bewertung ausdrückt, als zu einfach! Die normative Komponente kann nämlich ihrerseits aus einem deskriptiven Teil und einem den normativen Charakter kennzeichnenden Operator bestehen.“ Weiterhin ist zu beachten, dass juristische Begriffe, die auf den ersten Blick empirische Aussagen enthalten, oftmals einen normativen Gehalt aufweisen und somit eine Wertung erfordern (und umgekehrt), Rüthers, Rechtstheorie, 128. Dies ist etwa der Fall bei der Einordnung „neutraler Kandidaten“, vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 194 ff.; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (104 f.): teilweise deskriptiver, teilweise normativer Charakter normativer Begriffe. Als Beispiel führt er den Begriff „Ehe“ an, der sowohl deskriptive (Zusammenleben, formale Bindung zwischen Mann und Frau) als auch normative Merkmale (Verpflichtung zur ehelichen Gemeinschaft) umfasst. 606 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 128; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 135; Röthel, Normkonkretisierung, 27.
§ 11 Methodische Überlegungen
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standsbegriff eine rechtliche Wertung und Beurteilung des Rechtsanwenders erfordert.607 cc) Nichtsubsumierbarkeit Ein weiterer Ansatz stellt auf die Nichtsubsumierbarkeit von Generalklauseln ab. Demnach erlauben Generalklauseln keine unmittelbare Subsumtion, da sie keinen subsumtionsfähigen, d.h. keinen hinreichend bestimmten Obersatz aufweisen.608 Dies liegt wiederum daran, dass sich die Unbestimmtheit der verwendeten Tatbestandsbegriffe bei Generalklauseln nicht nur auf den Begriffshof, sondern auch auf den Begriffskern erstreckt.609 Im Begriffskern ist die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einem Begriff unzweifelhaft; hierzu zählen die Fälle, in denen unproblematisch subsumiert werden kann. 610 Dies ist bei Generalklauseln mangels eines belegbaren Begriffskerns nicht möglich, weshalb
607
Vgl. Engisch, Einführung, 142; ders., Idee der Konkretisierung, 79; Röthel, Normkonkretisierung, 28 f., 39 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 128 f.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 135 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 65; Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 211 f.; Zippelius, Methodenlehre, 46 f.; Koch, Juristische Methode, 48 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, 28, 39 ff., verweist auf privatrechtliche Billigkeits- und Härteklauseln und nennt als Beispiele u.a. Begriffe wie „wichtiger Grund“, „berechtigtes Interesse“, „zumutbar“, „wesentlich“, „erheblich“, „angemessen“ und „verhältnismäßig“. Seelmann, Rechtsphilosophie, 126, führt als Beispiele „Zumutbarkeit“, „unangemessen“, „unbillig“, „wesentliche Beeinträchtigung“, „gefährlich“ und „anstößig“ an. Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 211, nennt u.a. „öffentliches Interesse“ und „Angemessenheit“. 608 Weber, AcP 192 (1992), 516 (526); Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; Franzen, Rechtsangleichung, 537; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 317; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (5); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663); Wank, Auslegung, 73; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 98; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 29; Pfeiffer, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (29); ders., Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 55. Im Rahmen der Subsumtion wird der Sachverhalt dem Tatbestand einer Rechtsnorm mit dem Ziel der Ableitung einer Rechtsfolge untergeordnet. Der Obersatz besteht aus dem abstrakt generellen Tatbestand einer Rechtsnorm (wie z.B. dem Gebot, den Investor und/oder seine Investition fair und angemessen zu behandeln), während der Untersatz aus dem konkreten Sachverhalt gebildet wird. Der Schlusssatz bezeichnet die konkrete Rechtsfolge. Zum Vorgang und dem Wesen der Subsumtion vgl. etwa Larenz/Canaris, Methodenlehre, 91 ff.; Zippelius, Methodenlehre, 96 f.; Koch, Deduktive Entscheidungsbegründung, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 37 ff.; MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, 19 ff. 609 Vgl. oben aa. 610 Pointiert Jesch, AöR 82 (1957), 163 (182): „Die Interpretation des Begriffskerns bereitet kaum Schwierigkeiten. […] Hier ist der Richter tatsächlich ‚Subsumtionsautomat„ […].“
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
die klassische Begründung der Rechtsentscheidung im Wege der Subsumtion bei Generalklauseln „an sich ungeeignet“ sei.611 Überträgt man das Kriterium der Nichtsubsumierbarkeit von Generalklauseln auf das „Drei-Bereiche-Modell“,612 so kann man auch hier feststellen, dass die Zahl neutraler Kandidaten stark überwiegt, wohingegen die Anzahl positiver Kandidaten, bei denen eine Subsumtion zweifelsfrei möglich ist, verschwindend gering ist.613 Die zeigt, dass Unbestimmtheit und Nichtsubsumierbarkeit zwei Seiten derselben Medaille sind. dd) Normstruktur und Gesetzgebungstechnik Nach einem weiteren Ansatz liegt die „eigentümliche Bedeutung“ 614 von Generalklauseln im Bereich der Gesetzgebungstechnik. 615 Nach dieser gesetzgebungstechnischen Abgrenzung werden Generalklauseln als allgemeine Regelung der kasuistischen Regelung eines Fallbereichs gegenübergestellt. 616 Im Rahmen der Generalklausel verzichte der Gesetzgeber darauf, enumerativ bestimmte Fallgruppen zu umschreiben und erfasse stattdessen einen Fallbe-
611 Weber, AcP 192 (1992), 516 (526). Vgl. auch Ohly, AcP 201 (2001), 1(2), der darauf verweist, dass in der Praxis im Bereich von Generalklauseln „von einer klassischen Subsumtionstechnik nicht die Rede“ sein könne. 612 Vgl. oben aa. 613 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 67. 614 Engisch, Einführung, 118. 615 Vgl. Zitelmann, Die Kunst des Gesetzgebers, 21 f.; Engisch, Einführung, 118, 160; ders., Idee der Konkretisierung, 79 ff. So auch Haft, JuS 1975, 477 (481): „Gegenbegriff einer kasuistischen Tatbestandsbildung“. 616 Zitelmann, Die Kunst des Gesetzgebers, 21 f.; Engisch, Einführung, 156 f.; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8; Nowak, Generalklauseln, 1 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 73. Zur „kasuistischen Methode“ Engisch, Idee der Konkretisierung, 79 f.: „Die sogenannte ‚kasuistische Methode„, wiewohl vorzugsweise der Bestimmtheit dienlich, erfreut sich wegen der unvermeidlichen Lückenhaftigkeit der ihr gemäß gestalteten Gesetze nach wie vor geringen Ansehens. Sie bedeutet nichts anderes als Bestimmung durch spezialisierende Konkretisierung, als Regelung einer Materie durch Umschreibung und rechtliche Erfassung in ihrer spezifischen Eigenart wohl gekennzeichneter Fallgruppen unter Verzicht auf weitergehende Verallgemeinerung, wie sie die Generalklausel bietet.“ Beater führt als Vorteil der Verwendung von Generalklauseln an, dass der Gesetzgeber nicht von vornherein eine weitreichende Sonderregel schaffen müsse, sondern sich auf Mindeststandards beschränken und die weitere Entwicklung abwarten könne, Beater, AcP 194 (1994), 82 (87). Zu den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Gesetzgebungstechnik allgemein Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (116 f.); Kramer, Juristische Methodenlehre, 73; am Beispiel der zuständigkeitsrechtlichen Generalklausel des forum non conveniens Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 406 ff.; speziell im Hinblick auf das europäische Privatrecht Pfeiffer, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (27 f.).
§ 11 Methodische Überlegungen
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reich allgemein.617 Die Verwendung von Generalklauseln stelle daher das Gegenmodell zur „kasuistischen“ Enumerationsmethode dar.618 Dieser rein formale Ansatz stellt somit nicht auf inhaltliche Kriterien wie Unbestimmtheit oder Wertausfüllungsbedürftigkeit ab,619 wenn auch eingeräumt wird, dass in der Praxis regelmäßig solche Generalklauseln in Betracht kommen, die zugleich auch unbestimmte bzw. wertausfüllungsbedürftige Normtexte aufweisen. 620
617
Vgl. Engisch, Einführung, 140; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663 f.); Wank, Rechtsfortbildung, 135; Werner, Generalklauseln, 7; Walther, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 63 (65); Rüthers, Rechtstheorie, 132. Im internationalen Investitionsrecht findet sich dieser normstrukturelle Ansatz in der Diskussion um die Möglichkeit der Normierung eines Interessenausgleichs zwischen Investoreninteressen und staatlichen Regulierungsinteressen wieder. Vgl. hierzu Markert, in: Bungenberg/Griebel/Hindelang (Hrsg.), 243 ff.; Walter, in: Bungenberg/Griebel/Hindelang (Hrsg.), 240 f. 618 Engisch, Einführung, 156 f.; hieran anknüpfend Werner, Generalklauseln, 7. Dabei bedient sich der Gesetzgeber teilweise auch beider Methoden in einer Art Wechselspiel, wie etwa bei der Generalklausel des § 1 UWG und den einzelnen Tatbeständen der §§ 3 UWG ff. oder bei §§ 823 – 825 BGB und der Generalklausel des § 826 BGB, vgl. Engisch, Einführung, 157. Ähnlich auch Werner, Generalklauseln, 13: Wenn der Gesetzgeber unsicher ist, ob mit den gesetzlich geregelten Einzeltatbeständen alle Eventualitäten abgedeckt sind, entschließt sich der Gesetzgeber, an die Einzeltatbestände eine „Generalklausel anz uhängen“. Ein weiteres Beispiel für diese Gesetzgebungstechnik ist die Regelung der Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen in §§ 307 – 309 BGB, in deren Rahmen die Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB als Auffangtatbestand fungiert. Für den Bereich des Urheberrechts (Generalklauselschranke vs. enumerativer Schrankenkatalog) Förster, Fair use, 1 f., 9 ff. Zur Regelung gerichtlicher Zuständigkeiten durch die Generalklausel des forum non conveniens und zur Möglichkeit der Kombination derselben mit den Tatbeständen des deutschen Zuständigkeitsrechts Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 406. 619 Engisch, Einführung, 121. 620 Engisch, Einführung, 159 f. Ein weiterer normstruktureller Ansatz stellt darauf ab, ob ein Rechtssatz nur an einer Stelle normativ-unbestimmt ist, oder ob seine wesentliche Regelung in normativen Begriffen verkörpert ist. Generalklauseln unterscheiden sich danach von anderen Rechtssätzen im Ausmaß ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit. Es handelt sich dabei um Rechtssätze, die Tatbestandsmerkmale enthalten, die sich durch besonders qualifizierte Vagheit auszeichnen und dabei den zentralen Gehalt einer gesetzlichen Regelung ausmachen, vgl. Kramer, Methodenlehre, 51; Bydlinski, in: Wieacker Symposium, 189 (195); Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 582; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 211 f.; Röthel, Normkonkretisierung, 34: „[…] es bedeutet einen Unterschied, ob ein Rechtssatz nur an einer Stelle normativ-unbestimmt ist, oder ob seine wesentliche Regelung in normativen Begriffen verkörpert ist. Generalklauseln lassen sich daher umschreiben als Rechtssätze, deren zentraler Inhalt in normativen Begriffen verkörpert ist.“
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
b) Funktionen Ein weiterer Ansatz, mit dem die besonderen Charakteristika von Generalklauseln erfasst (und damit auch von anderen Rechtssätzen abgegrenzt) werden sollen, stellt auf die Funktionen ab, welche Generalklauseln innerhalb des Regelungssystems zugeschrieben werden (und welche sonstigen unbestimmten Rechtsbegriffen nicht zukommen).621 Die Funktionseinteilung wird nicht immer einheitlich vorgenommen und variiert von Autor zu Autor, wobei es oftmals zu (inhaltlichen) Überschneidungen kommt. 622 Dabei werden die im einzelnen vertretenen Funktionen sinnvollerweise zu Funktionsgruppen, wie jene der Rezeption, Verweisung und Transformation (aa)), der Flexibilität und Anpassung (bb)) sowie der Delegation und Ermächtigung (cc)) zusammengefasst. aa) Verweisung und Rezeption Nach der Verweisungs- bzw. Rezeptionsfunktion ist es die Aufgabe von Generalklauseln, gewissermaßen als Einbruchsstellen der Rechtsordnung diese für vor- und außerrechtliche Normen zu öffnen und in das Recht einfließen zu
621
Dieser funktionale Ansatz geht insbesondere auf Teubner zurück, vgl. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, 60 ff.; 65 ff. Vgl. auch Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (115); Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 234 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, 30 ff. 622 Während etwa Teubner (und im Anschluss hieran Seelmann) drei Funktionen der Generalklausel unterscheidet (Rezeption, Transformation und Delegation), finden sich Variationen und Erweiterungen bei verschiedenen Autoren. So unterscheidet beispielsweise Ohly zwischen den Funktionen der Verweisung, Flexibilität und Delegation. Ähnliche Kombinationen finden sich bei den meisten Autoren, wobei die Delegations- oder Ermächtigungsfunktion bei mehreren Autoren (Esser, Ohly, Röthel, Bydlinski) vorkommt. Im Kern umfassen die meisten nachfolgenden Funktionseinteilungen die vorgenannten Elemente. So unterteilt z.B. auch Benicke in die vier Funktionen der Transformation außerrechtlicher Wertungen, Förderung der Einzelfallgerechtigkeit und somit der Flexibilität im Einzelfall, der Ermächtigung und Delegation, sowie der Berücksichtigung veränderter Lebensumstä nde über wertausfüllungsbedürftige Begriffe. Garstka hingegen unterscheidet in gesetzestechnische, systematische und rechtspolitische Funktionen der Generaklausel. Diese ei nzelnen Funktionen können wiederum zu größeren Gruppen zusammengefasst werden. Nach Auer werden Rechtsnormen hingegen nicht allein aufgrund abstrakter Funktionszuweisung zu Generalklauseln. Entscheidend ist nach dieser Auffassung vielmehr die Frage der tatsächlichen Verwendung einer bestimmten Norm in ihrer Funktion als Generalklausel. Die Eigenschaft bzw. Funktion als Generalklausel sei daher nur dann gegeben, wenn die Regelung in ihrer praktischen Anwendung tatsächlich die der Generalklausel zugedachten Funktionen erfüllt hat. Ausschlaggebend für die Generalklauseleigenschaft ist danach nicht etwa die Konzipierung einer Norm als Generalklausel oder eine abstrakte Funktionszuweisung, sondern vielmehr ihre – in der Regel erst mit einigem zeitlichen Anstand zu beurteilende – tatsächliche Bewährung und Verwendung, vgl. Auer, Materialisierung, 141.
§ 11 Methodische Überlegungen
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lassen.623 Dadurch solle das Recht für gesellschaftliche Wertvorstellungen und deren Wandel zugänglich und somit „zeitbezogen“ bleiben, ohne dass der Gesetzgeber stets aufs Neue eingreifen müsste.624 In rechtlichen Zusammenhängen, welche einem schnellen gesellschaftlichen Wertewandel ausgesetzt sind, empfehle sich daher aus gesetzgebungstechnischer Sicht die Verwendung von Generalklauseln. 625 Nach Ohly haben „[d]ie klassischen Generalklauselbegriffe „Treu und Glauben“ und „gute Sitten“ […] die Struktur von Verweisungsbegriffen. Sie tragen ihren materiellen Inhalt nicht in sich selbst, sondern verweisen, jedenfalls nach ihrem eigentlichen Sinngehalt, auf außerrechtliche Normgefüge und Wertvorstellungen.“ 626 Für Taupitz sind „unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln ‚Fenster„ oder ‚gesetzliche Einfallstore„, durch die in ein scheinbar geschlossenes System außergesetzliche Wertungen und soziale Anschauungen hineinströmen.“ 627 Nach Dreier haben Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe die Funktion „außerjuristische Gesichtspunkte, insbesondere rechtsethische, in das Rechtssystem einzuschleusen.“ 628 Kramer zufolge „öffnen“ Generalklauseln „Fenster“ und „verbinden somit die Gesetzgebung mit den für jede Rechtsordnung konstitutiven gesellschaftlichen Basiswertungen.“ 629
623
Vgl. Teubner, Standards und Direktiven, 39, 61, 65 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; ders.,Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 91 f.; Seelmann, Rechtsphilosophie, 122; Ohly, AcP 201 (2001), 1 ( 11 ff.); Weber, AcP 192 (1992), 516 (521 f.); Kramer, Juristische Methodenlehre, 71; Röthel, Normkonkretisierung, 75 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 132; Auer, Materialisierung, 42 f., 146 ff.; Dreier, Rechtsphilosophische Standpunktprobleme, 332; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1107: Generalklauseln als „Schnittflächen zwischen den verschiedenen Ebenen der sozialen Konflik tsteuerung, indem sie (auch) Verweisungen eines Regelsystems, des Rechts, auf andersartig motivierte Verhaltenserwartungen beinhaltet“; Lochmann, Einräumung von Fernsehübertragungsrechten, 194: Ausfüllungsbedüftige lauterkeitsrechtliche Generalklausel als Verweis auf außerrechtliche Norm; Zippelius, Rechtsphilosophie, 39: „[O]ffene Pforten für vorrechtliche Normen“. 624 Röthel, Normkonkretisierung, 75 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 72. 625 Kramer, Juristische Methodenlehre, 73. Zu diesem gesetzgebungstechnischen Aspekt der Verwendung von Generalklauseln, vgl. oben 2 a dd. 626 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (11). Vgl. hierzu auch Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 207, 209 ff. In der heutigen Zeit beinhalte diese Funktion zudem auch eine Verweisung „auf rechtliche Normen eines anderen Rechtsgebiets“, Ohly, AcP 2001, 1 (12). Vgl. hierzu auch Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 209 ff. Ähnlich Bydlinski, Symposium Wieacker, 189 (199): „Wegweiser zum benötigten Fallmaterial“. 627 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1107 m.w.N. 628 Dreier, Rechtsphilosophische Standpunktprobleme, 332. 629 Kramer, Juristische Methodenlehre, 71.
318
Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
Nach Bydlinski bewirken Generalklauseln „eine gewisse Öffnung für unmittelbar in der Sozietät herrschende Wertvorstellungen“.630 So sind Generalklauseln als Verweisung auf unterschiedliches Konkretisierungsmaterial zu verstehen,631 wozu (nicht nur, aber auch) die – zunächst außerrechtlichen – sozialethischen Regeln, die in den jeweils in Frage kommenden Verkehrskreisen bzw. sozialen Gruppen bestehen, gehören.632 Nach Wieacker sind Generalklauseln ein Zugeständnis an eine überpositive Sozialethik.633 Teubner nimmt eine Funktionseinteilung der Generalklauseln (am Beispiel der Gute-Sitten-Klauseln) in Rezeptions-, Transformations-, und Delegationsfunktion vor,634 wobei die genannten Funktionen mit einem stetigen Zuwachs an richterlicher Kompetenz einhergehen. Nach der Rezeptionsfunktion sei es die Funktion von Generalklauseln, auf „außerrechtliche soziale Ordnungsgefüge“ zu verweisen.635 Die Aufgabe des Richters sei die einer „kontrollierenden Rezeption“, in deren Rahmen die gefundenen sozialen Normen einer „an Rechtsnormen, Rechtsprinzipien und Wertmaßstäben der Verfassung“ orientierten „Richtigkeitskontrolle“ zu unterziehen sind.636 Sei ein „Rückgriff auf festgefügte soziale Normen nicht möglich“, so sei es im Rahmen der Transformationsfunktion richterliche Aufgabe, „gesellschaftliche Wertvorstellungen in rechtliche Verhaltensnormen zu transformieren“, wobei der Richter den künftigen Konsens der beteiligten Verkehrskreise zu berücksichtigen habe.637
630 Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 91. Ähnlich auch Wallkamm, Generalklauseln, 509, demzufolge durch die Konkretisierung der in Generalklauseln enthaltenen wertausfüllungsbedürftigen Begriffen außerrechtliche Wert- und Moralvorstellungen in das Recht gelangen, wodurch „sich automatisch die Funktion einer Generalklausel [ergibt], die in erster Linie darin besteht, das Recht an die jeweils vorherrschenden Richtigkeitsvorstellungen anzupassen“. 631 Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 91. 632 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583. Allerdings sollen zwecks konsistenter Einpassung in das Rechtssystem die rechtsinternen Konkretisierungsmittel im Zweifel Vorrang vor den bloßen Verkehrsregeln und Verkehrsanschauungen haben, Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 92. 633 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 476. 634 Teubner, Standards und Direktiven, 61. Dieselbe Funktionseinteilung findet sich bei Seelmann, Rechtsphilosophie, 122. 635 Teubner, Standards und Direktiven, 61. 636 Teubner, Standards und Direktiven, 91. 637 Teubner, Standards und Direktiven, 61, 117 f. Vgl. auch Kramer, Juristische Methodenlehre, 52 ff.
§ 11 Methodische Überlegungen
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bb) Flexibilität und Anpassung Daneben wird Generalklauseln insbesondere die Funktion der Flexibilität zugeschrieben. 638 Diese Funktion wird zum Teil auch unter dem Begriff der Förderung der Einzelfallgerechtigkeit zusammengefasst. 639 Der Gesetzgeber steht vor dem Problem, nicht jeden Anwendungsfall im Wege der fixierenden Tatbestandsbildung gesetzlich vorwegnehmen zu können, wodurch er gezwungen ist, auf das Hilfsmittel unbestimmter Normen zurückzugreifen. 640 Demnach haben Generalklauseln die Aufgabe, für die Rechtsanwendung Spielraum für die gerechte Entscheidung des atypischen Einzelfalls zu schaffen, 641 und die Anpassung des Rechts an veränderte, nicht vorhergesehene und nicht vorhersehbare Umstände zu ermöglichen, 642 ohne 638
Vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (7); ders., Generalklausel und Richterrecht, 241 ff., 247 ff.; Auer, Materialisierung, 132 ff., 152 f., 173 f.; Röthel, Normkonkretisierung, 31; Nowak, Generalklauseln, 7 f.; Bydlinsky, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 91: Erhaltung einer gewissen Anpassungsfähigkeit des Rechts; Nowak, Generalklauseln, 2: „Nur der Gebrauch solcher Vorschriften ermöglicht die Erfassung wandelbarer Sachverhalte“; Zippelius, Rechtsphilosophie, 169: „Der Bedeutungsspielraum der Gesetzesworte, der unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit (nämlich der Berechenbarkeit und der Voraussehbarkeit des Rechts) als Nachteil erscheint, erweist sich unter dem Aspekt der ‚Schmiegsamkeit„ des Rechts als Vorteil: verleiht er doch den generellen Gesetzesworten eine gewisse Anpassungsfähigkeit an die Vielfalt der geregelten Lebensumstände“; Rüthers, Rechtstheorie, 132: „Das Gesetz gewinnt durch diese kalkulierten Unbestimmtheiten Elastizität […].“ 639 Vgl. etwa Schmidt, Konkretisierung, 20; Auer, Materialisierung, 61; Schwacke, Juritische Methodik, 49; Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, 489; Adomeit/Hähnchen, Rechtstheorie, 105 f. 640 Weber, AcP 192 (1992), 516 (521); Rüthers, Rechtstheorie, 131 f.; Beater, AcP 194 (1994), 82 (86); Engisch, Idee der Konkretisierung, 82: „Das Leben spottet der gesetzgeberischen Voraussicht.“ Im Hinblick auf die künftige Kodifikation des europäischen Privatrechts, vgl. Pfeiffer, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (27 ff.). Vgl. hierzu auch Kohler, Das Recht des Markenschutzes, 60: „[D]ie Unredlichkeit ist ein Proteus, der sich in tausend Formen flüchtet und gerade die gesetzlich verpönten Gestalten vermeidet, um in unzähligen Verkleidungen dem loyalen Verkehr die Früchte seiner redlichen Bemühungen abzujagen; ein Proteus, welcher daher nur durch ein ebenso gestaltenreiches Rechtsprinzip, nicht durch das Spezialmittel eines einzelnen formalen Rechtsinstitutes wirksam bekämpft werden kann.“ 641 Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (555 ff.); Franzen, Privatrechtsangleichung, 537; Röthel, Normkonkretisierung, 31; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (7). 642 Vgl. Nowak, Generalklauseln, 7 f.; Beater, AcP 194 (1994), 82 (86); Zippelius, Methodenlehre, 47: „Schmiegsamkeit des Rechts“; Franzen, Privatrechtsangleichung, 537 (unter Verweis auf Henkel): Generalklausel als Kapitulation des vorausplanenden Gesetzgebers vor der Individualität des ungewöhnlichen Falles; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 318: Generalklauseln sorgen für Entwicklungsfähigkeit und Ela stizität und ermöglichen so die Anpassung an den Wandelder Bedürfnisse und Anschauungen; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (8): Generalklauseln erlauben es dem Recht, von der außer-
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
dass eine Änderung des Normtextes erforderlich würde. 643 Diese Flexibilität in der Rechtsanwendung wird durch „kalkulierte Unbestimmtheit“644 des Normtextes „erkauft“. 645 cc) Delegation und Ermächtigung Darüber hinaus werde der Richter im Rahmen der Delegationsfunktion zu einer geordneten Fortbildung des Rechts ermächtigt. 646 Bereits Hedemanns Wendung von den Generalklauseln als einem Stück „offengelassener Gesetzgebung“ kann man neben einem Verweis auf die besondere Unbestimmtheit von Generalklauseln den Delegationsgedanken erkennen.647 Bydlinki betrachtet Generalklauseln als „Ermächtigungsnormen“, durch die der Richter in die Lage versetzt werde, im Einzelfall konkrete Regelungen im Wege richterlicher Eigenwertung aufzustellen. 648 Esser zufolge ist dem Richter im Rahmen von Generalklauseln die „Normgestaltung“ überlassen. 649 Nach Ohly öffnen die Generalklauseln „ein Fenster für die richterliche Normbildung“, was der Delegationsfunktion entspreche.650 Dabei komme der richterlichen Normbildung eine „Vorreiterfunktion“ zu, deren Ergebnisse sich die Rechtsprechung zunutze machen könne. 651 Nach Teubner kommt dem Richter, sofern keine rezeptions- und transformationsfähigen sozialen Normen und Wertvorstellungen existieren, eine delegierte Rechtssetzungsbefugnis zu. 652 Die Delegationsfunktion beinhalte daher „die Übertragung rechtssetzender Tätigkeit auf den Richter.“ 653 Nowak vertritt die Ansicht, dass der Gesetzge-
rechtlichen Wirklichkeit zu „lernen“; hier zeigt sich eine gewisse Verbindung zwischen Flexibilitäts- und Rezeptionsgedanken. 643 Röthel, Normkonkretisierung, 75 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 72; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 318; Benicke, Wertpapierhaltung, 489. 644 Rüthers, Rechtstheorie, 132. 645 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9). 646 Teubner, Standards und Direktiven, 61, 106 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, 150 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 248; Röthel, Normkonkretisierung, 33; Kramer, Juristische Methodenlehre, 70; Nowak, Generalklauseln, 4: Im Bereich wertausfüllungsbedürftiger Normen delegiert der Gesetzgeber seine ihm zustehende Normgestaltungsbefugnis an die Rechtsprechung. 647 Vgl. Hedemann, Flucht in die Generalklauseln, 58. 648 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583. Vgl. auch ders., Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 92: „Letztlich steckt […] in den Generalklauseln auch eine Verweisung auf die notwendige Schaffung und Anwendung von ‚Richterrecht„.“ 649 Esser, Grundsatz und Norm, 150 f. 650 Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 248. 651 Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 249. 652 Teubner, Standards und Direktiven, 61, 106 ff. 653 Teubner, Standards und Direktiven, 61.
§ 11 Methodische Überlegungen
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ber im Bereich wertausfüllungsbedürftiger Normen „seine ihm zustehende Normgestaltungsbefugnis an die Rechtsprechung“ delegiert habe. 654 Nach Seelmann enthalten wertausfüllungsbefürtige Begriffe (die, wie gesehen, zum Teil als besonderes Merkmal von Generalklauseln angesehen werden) eine „implicite Bewertungsermächtigung des Gesetzgebers an den Rechtsanwender“.655 Taupitz sieht in Generalklauseln „die Ermächtigung der gesetzesanwendenden Organe, letztlich also des Richters, zur verbindlichen Normbildung“. 656 Nach Beater kommt Generalklauseln eine „Fortbildungsund Entwicklungsfunktion“ zu, die „Gerichten eine Kompetenz zu[weist], die das Parlament gar nicht ausfüllen könnte“. 657 Nach Röthel sind Generalklauseln durch das „zunehmende Verblassen der Rezeptions- und Verweisungsfunktion zugunsten der Delegations- oder Ermächtigungsfunktion […] zu den zentralen Ermächtigungsnormen richterlicher Eigenwertung und Rechtsschöpfung avanciert.“ 658 Konkretisierung von Generalklauseln bestehe demnach in „delegierter Rechtssetzung“. 659 Die beiden letztgenannten Funktionen der Flexibilität und Delegation stärken somit die Einzelfallgerechtigkeit und die (Schieds-)Richtermacht. Sie bezeichnen somit jeweils den einen Pol im Spannungsverhältnis zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit, und zwischen (Schieds-)Richtermacht und Normbindung.660 Während Flexibilität und Delegation unter dem Aspekt der Anpassung an die Vielgestaltigkeit der sich stets ändernden Lebensumstände und Rechtsprobleme zu begrüßen ist, leidet gleichzeitig die Rechtssicherheit aufgrund geringer Berechenbarkeit, Orientierungssicherheit und Voraussehbarkeit des Rechts.
654
Nowak, Generalklauseln, 4. Seelmann, Rechtsphilosophie, 127. 656 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1103. 657 Beater, AcP 194 (1994), 82 (85 f.). 658 Röthel, Normkonkretisierung, 32 f. 659 Röthel, Normkonkretisierung, 49, 59 („Judikative Rechtssetzung als Auftragswerk“). Ausführlich zum Delegationsgedanken Röthel, ibid., 32 f., 46, 49 ff. 660 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (7); Auer, Materialisierung, 141; Pfeiffer, in: Baldus/ Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im europäischen Privatrecht, 25 (28); Zippelius, Methodenlehre, 47: Der Bedeutungsspielraum der Gesetzesworte ermöglicht Kompromiss zwischen Bedürfnissen nach Rechtssicherheit einerseits und nach situationsbezogener Gerechtigkeit andererseits; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (8): „Fazit ist, dass die Auflösung des Spannungsverhältnisses von Flexibilität und Rechtssicherheit nicht zu einer Seite hin erfolgen darf; beide Belange müssen zu einem Ausgleich gebracht werden. Jede Aussage zur richterrechtlichen Normbildung im Rahmen der Generalklauseln muß sich an diesem Postulat messen.“ 655
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
c) Zusammenfassung und kritische Würdigung Generalklauseln sind in besonderem Maße unbestimmte und (wert)ausfüllungsbedürftige Rechtssätze.661 Der Übergang zwischen Generalklauseln wie etwa dem investitionsrechtliche Gebot des fair and equitable treatment und konkreteren Normtexten ist fließend. Der Unterschied liegt somit im graduellen Bereich.662 So ist eine gewisse Wertausfüllungs- bzw. Präzisierungsbedürftigkeit den meisten rechtlichen Begriffen eigen, 663 da es das Wesen fast aller Rechtsbegriffe ist, mehr oder weniger unbestimmt zu sein. 664 Die meisten Rechtsbegriffe verfügen über eine Unschärfe, die letztlich nur im Wege einer wertenden Auslegung überwunden werden kann. 665 Was das Kriterium der (mangelnden) Subsumtionsfähigkeit anbelangt, so haben auch sonstige unbestimmte Rechtsbegriffe eine Randunschärfe im Begriffshof, welche nicht
661
Röthel, Normkonkretisierung, 33 f.; Arzt, Einführung, 68; Franzen, Privatrechtsangleichung, 536; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 233. 662 Röthel, Normkonkretisierung, 33 f.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 201 ff.; Auer, Materialisierung, 61 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 316; Engisch, Einführung, 138, 159; Haubelt, Konkretisierung von Generalklauseln, 7; Schmidt, Konkretisierung, 18; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, 211 f.; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 96 (115); Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 281; Larenz, JZ 1962, 105 (106): Unterschied dem Grade, nicht dem Wesen nach; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 582; Wank, Rechtsfortbildung, 134; Engisch, Einführung, 159 f., der darauf hinweist, dass der Gegensatz zwischen Generalklausel und Kasuistik ein relativer und kein absoluter ist; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1102: Es fehlt an eindeutigen Abgrenzungskriterien zwischen Generalklauseln und unbestimmten Gesetzesbegriffen; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 8: „Auch mit Hilfe dieser beschreibenden Ansätze gelingt keine scharfe Abgrenzung der ‚Generalklausel„ vom ‚unbestimmten Rechtsbegriff„; jeder Normtext, von wenigen Ausnahmen wie Fristbestimmungen oder Altersgrenzen abgesehen, erfordert eine Konkretisierung. Der Unterschied zwischen bestimmten und unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln ist graduell, nicht qualitativ.“ 663 Weber, AcP 192 (1992), 516 (522 f.); Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 29; Röthel, Normkonkretisierung, 25; Zippelius, Methodenlehre, 46 f.; Seelmann, Rechtsphilosophie, 123 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 316; Franzen, Privatrechtsangleichung, 536. 664 Vgl. oben 1 c. 665 Weber, AcP 192 (1992), 516 (523). Vgl. auch Röthel, Normkonkretisierung, 33; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 202; Seelmann, Rechtsphilosophie, 123 ff.; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 333: „Zweckmäßigkeits- und Werterwägungen können schon von den Begriffen her, die das Gesetz selbst in Bezug nimmt, nicht ausgeschaltet werden“; Garstka, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, 96 (109): Die Beschränkung des Generalklauselbegriffs auf (relative unbestimmte) wertausfüllungsb edürftige (normative) Begriffe geht an deren Verwendungsweise vorbei; neben den normativen können auch deskriptive Begriffe eine Unbestimmtheit aufweisen.
§ 11 Methodische Überlegungen
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allein im Wege der Subsumtion überwunden werden kann. 666 So ist die Subsumtion aller Rechtsbegriffe mit dem Erfordernis einer Wertung verbunden und im Wesentlichen nur bei numerisch bestimmten Normtexten unproblematisch.667 Auch das (nicht unbestrittene) Kriterium, wonach Generalklauseln gegenüber sonstigen unbestimmten Rechtsbegriffen vollständige Rechtssätze und nicht lediglich Normfragmente darstellen, 668 liefert letztlich (nur) einen quantitativen Abgrenzungsmaßstab: Die Generalklausel als besonders vager Rechtssatz ergibt und bestimmt sich letztlich aus der Anzahl und dem Gr ad der Unbestimmtheit der sie bildenden unbestimmten Rechtsbegriffe , d.h. aus dem besonderen Maß an Ausfüllungsbedürftigkeit bzw. Unbestimmtheit.669 666
Franzen, Privatrechtsangleichung, 536. Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 92; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 335: Rechtsanwendung kann nicht einfach als Subsumtion aufgefasst werden, sondern als ein Vorgang zweckgerichteter Willensbetätigung, bei dem die dem Gesetz entnommenen Wertungen die entscheidende Rolle spielen; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 327: Subsumtion nur bei numerisch bestimmten Normtexten unproblematisch; Schmidt, Konkretisierung, 16: Bei fast allen Rechtsnormen funktioniert Subsumtion nicht automatisch und ist auf Auslegung und Konkretisierung angewiesen; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 189: „Der Entscheidungscharakter prägt alle Stadien der juristischen Arbeit, jeden Teilabschnitt des Konkretisierens. Man unterschätzt mit Carl Schmitt das Problem, wenn man davon ausgeht, dass allein die Ausnahme nicht subsumierbar sei. Tatsächlich ist auch das Regelhafte nie vollständig subsumierbar.“ 668 Vgl. dagegen etwa Kramer, Juristische Methodenlehre, 67: (Normative) Tatbestandselemente sind Generaklauseln. 669 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 33; Schmidt, Konkretisierung, 16 (dort Fn. 91): Präzisierungsbedürftigkeit der Generalklausel als ganzer Satz korrespondiert mit der Unbestimmtheit der sie bildenden unbestimmten Rechtsbegriffe, wodurch die formale Unterscheidung vernachlässigbar ist; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (665): Ein oder mehrere unbestimmte bzw. wertausfüllungsbedürftige Begriffe als notwendige Bedingung für Generalklausel; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (5): Normtext klassischer Generalklauseln weist offene Wertbegriffe auf. Folgt man diesem Ansatz, so erübrigt sich der Versuch einer qualitativen Abgrenzung zwischen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen, wodurch die Abgrenzungsmerkmale generell der Abgrenzung von Generalklauseln gegenüber sonstigen, konkreteren Rechtsnormen dienen, vgl. Schillig, Konkretisierungskompetenz, 117. Anders dagegen Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 316, demzufolge die Wendungen „unbestimmter Rechtsbegriff“ und „Generalklausel“ „unterschiedliche Vagheitsgrade“ bezeichnen, auch wenn die Übergänge zwischen diesen „b enachbarten Kategorien“ fließend seien, weshalb sich beide Kategorien „nicht immer trennscharf abgrenzen lassen und gelegentlich synonym verwendet werden.“ Ähnlich Werner, Generalklauseln, 6 f., demzufolge Generalklauseln gegenüber unbestimmten Rechtsbegriffen durch „stärker rechtsethische Vorstellungen“ sowie durch „eine betontere Hinwendung zu einer öffentlichen Rechtsmoral“ gekennzeichnet sind. Nowak, Generalklauseln, 7, unterscheidet zwischen (bloßen) unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln danach, ob mit der betreffenden Bestimmung ein allgemeingültiges Rechtsprinzip normiert wird (dann 667
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Teil III: Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment
Selbst wenn Präzisierungsbedürftigkeit bzw. Ausfüllungsbedürftigkeit keine Alleinstellungsmerkmale von Generalklauseln gegenüber anderen, relativ bestimmten Rechtssätzen begründen,670 so ermöglichen sie doch eine Abgrenzung und Unterscheidung dem Grade nach. Demnach sind die genannten Merkmale bei Generalklauseln in besonderem Maße verwirklicht, d.h. es handelt sich um besonders unbestimmte, ausfüllungsbedürftige Rechtssätze. Es erschiene daher verfehlt, aufgrund des Fehlens qualitativer Unterscheidungsmerkmale auf die Kategorie der Generalklauseln gänzlich zu verzichten.671 Nimmt man eine Unterscheidung gegenüber anderen relativ unbestimmten Rechtsbegriffen anhand der den Generalklauseln zugewiesenen, spezifischen Funktionen vor, so sind zunächst die Generalklauselfunktionen als solche zu hinterfragen und auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen: So besteht die Problematik der Rezeptions- und Verweisungsfunktion u.a. darin, dass das soziale Gefüge einem ständigen Wandel unterliegt und in einer pluralistischen (Welt-)Gesellschaft kaum ein Konsens über kollektive Wertvorstellungen bestehen dürfte.672 Weiterhin ist die Legitimität außerGeneralklausel) oder nicht; ansonsten bestünden nach Inhalt und Funktion keine wesentl ichen Unterschiede zwischen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen. 670 Franzen, Privatrechtsangleichung, 536; Weber, AcP 192 (1992), 516 (523); Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1103: Merkmal der Unbestimmtheit trifft auf Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe gleichermaßen zu. 671 Anders dagegen Ohly, AcP 201 (2001), 1 (11), der bei rein quantitativer Unterscheidung auf einen eigenständigen Methodenbegriff der Generalklausel verzichten will. Das erforderliche Alleinstellungsmerkmal sieht Ohly indes in der Verweisungsfunktion gegeben. 672 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 110; Raisch, Juristische Methoden, 167; Röthel, Normkonkretisierung, 32: Einheitliche Sittenordnung hat sich in der wertpluralistischen Gesellschaft zuehmend verflüchtigt. Insofern auch kritisch Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 205 f., 212, 241: Sozialen Wertekonsens nicht überschätzen; ders., AcP 201 (2001), 1 (12): „Inzwischen ist der Moralkodex der bürgerlichen Gesellschaft dem Pluralismus ethischer Anschauungen und einer weit verbreiteten Indifferenz gegenüber gemeinsamen gesellschaftlichen Werten gewichen. […] Auch wenn ein ethischer Grundkonsens in der pluralistischen Gesellschaft nicht geleugnet werden soll, hilft er doch bei der Lösung umstrittener Rechtsfragen meist nicht weiter.“ Nach Kramer, Juristische Methodenlehre, 267, lassen sich „auch heute noch wenigstens Ansätze zu einer konsensfähigen ‚Konventionalethik„ nachweisen“. Erwähnt sei auch die hiermit verwandte Fragestellung, ob der (Schieds-)Richter sich an (sofern vorhanden) mehrheitlich gebilligten Wertvorstellungen zu orientieren hat, oder ob er ebensogut auf Wertvorstellungen qualifizierter Minderheiten zurückgreifen kann, vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1109 m.w.N. Seelmann, Rechtsphilosophie, 122, verweist darauf, dass die Feststellung sozialer Normen umso schwerer fällt, je größer und inhomogener der Personenkreis ist, auf dessen Auffassung es ankommen soll. Zur Frage der Existenz einer internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet des internationalen Investitionsrechts Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers
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rechtlicher Wertvorstellungen fraglich, 673 welche zudem juristischen Anforderungen genügen müssen. 674 Was die Delegations- bzw. Ermächtigungsfunktion betrifft, so ist zu beachten, dass selbst unbestimmte Normen grundsätzlich nicht zu einer Entscheidung über den spezifischen Einzelfall hinaus ermächtigen. Eine Ermächtigung zur Rechtssetzung, d.h. zum Erlass abstrakter Rechtssätze, enthalten Generalklauseln daher nicht.675 Die Entscheidung des (Schieds-)Richters hat sich stets innerhalb der Norm zu bewegen; er muss sich bemühen, innerhalb und anhand der vagen Vorgaben des Gesetzgebers Recht zu sprechen, auch wenn dies angesichts der besonderen Vagheit des Normetxtes kein leichtes Unterfangen ist und gegebenenfalls besondere methodische Anforderungen stellt.676
(Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (57), welche die Existenz einer solchen „international community for investment purposes“ verneint. 673 Vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (15); Zippelius, Rechtsphilosophie, 161 ff. („Irrwege der Sozialmoral“). Vgl. auch Wallkamm, Generalklauseln, 509, der in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Instrumentalisierung für politische Zwecke hinweist. Kramer, Juristische Methodenlehre, 72, Fn. 127, weist darauf hin, dass gesellschaftliche Wertungen auch „dem Ungeist der Zeit verplichtet sein können“, was die Gefahr der Instrumentalisierung von Generalklauseln in politischen Umbruchzeiten belege. 674 Vgl. Teubner, Standards und Direktiven, 61, 90 ff. (Richtigkeitskontrolle an Rechtsnormen, Rechtsprinzipien und Verfassungsmaßstäben); Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 214: „Die herrschende Lehre lehnt diese Ansicht mit zwei Argumenten ab: Erstens könne nicht jede Unsitte rezipiert werden, die Unterscheidung zwischen Unsitten und ‚guten Sitten„ könne aber nur anhand eines außerhalb dieser selbst liegenden Maßstabs erfolgen. […]“; Röthel, Normkonkretisierung, 32: „Zum einen haben sich längst nicht in allen Bereichen überhaupt entsprechende Konventionalnormen herausgebildet […] Außerdem besteht heute weithin Einigkeit darüber, dass auch die außerrechtlichen Maßstäbe nicht allein empirisch, sondern vielmehr normativ zu verstehen, also ihrerseits durch ric hterliche Wertung zu ergänzen und ggfs. zu korigieren sind.“ Insofern ist bereits aus rein praktischen Erwägungen zweifelhaft, ob durch den Verweis auf außerrechtliche Sollensordnungen etwas für die Konkretisierung von Generalklauseln gewonnen ist, wenn im Ergebnis rechtliche Bewertungen den Ausschlag geben. Kritisch zur Einbeziehung außerrechtlicher Sozialnormen (unter Verweis auf die Trennung von Recht und Moral) Auer, Materialisierung, 146 ff. Schließlich weisen ethische und soziale Normen regelmäßig einen hohen Abstraktionsgrad auf, weshalb diese nur eine vage Orientierung bieten, vgl. Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 241. 675 Vgl. Auer, Materialisierung, 133; Weber, AcP 192 (1992), 516 (551 f.); Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 279 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 124; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 54. Vgl. hierzu auch unten II 2 b. Würde man der Ansicht von der Ermächtigungsnorm dennoch folgen, so ergäbe sich auch unter diesem Gesichtspunkt keine spezifische Funktion von Generalklauseln und auch kein Abgrenzungsmerkmal gegenüber sonstigen normativ-unbestimmten Rechtsbegriffen, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 33, 46. 676 Zur Konkretisierung von Generalklauseln sogleich unten II.
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Die Generalklausel gibt daher durchaus einen – wenn auch vagen – Rahmen vor, und enthält gerade kein „unvollständiges Programm“, welches der (Schieds-)Richter „eigenverantwortlich [zu] ergänzen“ hat.677 Das Gesetz enthält in Form der Generalklausel gerade keine planmäßige, inhaltlich noch zu füllende Lücke, 678 sondern im Gegenteil einen besonders weiten Normbereich, innerhalb dessen die Rechtsfindung stattzufinden hat. Generalklauseln sind vollständige Rechtsnormen, bei denen lediglich die Dichte und somit die Anleitungsfunktion des Normtextes im Vergleich zu anderen Normen verringert und allenfalls in diesem Sinne „unvollständig“ ist. 679 Generalklauseln enthalten daher weder inhaltliche Lücken noch eine Ermächtigung zu deren inhaltlicher Ausfüllung. Die Funktion der Flexibilisierung und der Anpassung(sfähigkeit) aufgrund der Vagheit und des großen Bedeutungsspielraums von Generalklauseln leuchtet hingegen ein. Zwar handelt es sich auch hierbei um keine exklusive Funktion von Generalklauseln; sie ist vielmehr Funktion und Merkmal aller normativ-unbestimmten Rechtsbegriffe. 680 Dennoch treten diese Funktionen bei den in besonderem Maße unbestimmten Generalklauseln deutlicher zutage.681 Was somit bleibt, ist die besondere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Generalklausel aufgrund der großen Unbestimmtheit und des großen Bedeutungsspielraums der darin verwendeten Rechtsbegriffe. Im folgenden wird der Begriff der Generalklausel daher in dem Sinne verstanden und verwendet, dass es sich hierbei um einen Rechtssatz handelt, der aus besonders unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen besteht, wie dies beispielsweise beim Gebot des fair and equitable treatment der Fall ist.
677 So jedoch Ohly, AcP 201 (2001), 1 (7). Soweit Hedemanns Diktum von den Generalklauseln als „einem Stück offengelassener Gesetzgebung“ die Annahme von „Lücken intra legem“ impliziert, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Grundsätzlich ablehnend gegenüber der Kategorie der Lücken intra legem Canaris, Lücken im Gesetz, 103. Vogel stellt im Hinblick auf die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB zu Recht fest, dass angesichts der Weite des § 138 Abs. 1 BGB keine Lücke geschlossen werden braucht, Vogel, Juristische Methodik, 98. 678 So jedoch Röthel, Normkonkretisierung, 127. 679 So auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 279. Zur Unterscheidung zwischen Norm und Normtext vgl. bereits oben I 1. 680 Röthel, Normkonkretisierung, 31: „Flexibilität und Delegation sind allgemeine Kennzeichen unbestimmter Gesetzesredaktion und keine Spezifika von Generalklauseln“; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 124. Nach Werner, Generalklauseln, 6, haben unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln dieselbe Aufgabe, das Recht flexibel und auf neue Sachverhalte anwendbar zu halten. 681 Zippelius, Methodenlehre, 47.
§ 11 Methodische Überlegungen
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3. Generalklauseltheorie und Investitionsrecht: Übertragung der Ergebnisse auf das internationale Investitionsrecht Mit Blick auf das Gebot des fair and equitable treatment stellt sich die Frage, ob und inwiefern die gefundenen Ergebnisse zu Begriff (a)) und Funktion (b)) der Generalklausel auf das internationale Investitions(vertrags)recht übertragen werden können. a) Generalklauselbegriff Zweifel an der Übertragbarkeit des Generalklauselbegriffs könnten sich zunächst daraus ergeben, dass eine einschlägige völkerrechtliche Methodenlehre, welche eine derartige Begriffsbildung stützen könnte, lediglich in Ansätzen existiert.682 Andererseits finden sich gerade im Völkerrecht, nicht zuletzt in völkerrechtlichen Verträgen, besonders viele unbestimmte Rechtsbegriffe bzw. Rechtssätze, auf welche die Merkmale von Generalklauseln zutreffen.683 Dies verwundert nicht, sind derartige Verträge doch in besonderem Maße auf den (politischen) Kompromiss der Vertragsparteien angewiesen. Durch die Verwendung von Generalklauseln als Kompromissformel gelingt es, freilich auf Kosten von Bestimmheit und Vorhersehbarkeit, verschiedene Auffassungen der Vertragsparteien zu integrieren. 684 Dies gilt in besonderem Maße für 682 Vgl. etwa Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 210 ff. und passim. Vgl. auch Koskenniemi, Methodology of International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2007. 683 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 481; Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 210 ff., 252; Koskenniemi, From Apology to Utopia, 38 f. 684 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 481 f.: „[Es] finden sich in vr Verträgen, insbesondere in solchen hochpolitischer Natur, sehr häufig unbestimmte, mehrdeutige oder verschwommene Begriffe, die von den Parteien sehr wohl gewollt sind. Zu solchen „dilatorischen Formelkompromissen“ wird nämlich Zuflucht genommen, um trotz unbehebbarer Uneinigkeit in konkreten Fragen zu einem erwünschten Vertragsabschluß gelangen zu können.“ Vgl. hierzu auch Allott, 10 EJIL 1999, 31 (43): „A treaty is a disagreement reduced to writing.“ Zur Vewendung von Generalklauseln zur Umgehung schwieriger Punkte zwischen den Vertragsparteien (kritisch) Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzabkommen, 291 (304 f.). Zur Unbestimmtheit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen vgl. auch Orakhelashvili, The Interpretation of Acts and Rules in Public International Law, 527 ff. Zu den Gründen für die Unbestimmtheit von Vertragsbestimmungen auch Rigo Sureda, Investment Treaty Arbitration: Judging under Uncertainty, 9: „Several causes might underlie such generality or vagueness: States may not have been able to agree on the definition of a term, they may have opted to provide for standards of conduct rather than clear cut rules, they may have intentionally left a certain provision open for future development, or else the field may not be sufficiently developed in general.“ Zur Verwendung von Generalklauseln im Völkerrecht (insbesondere unter dem Aspekt der Lückenfüllung) Dolzer, in: Vitzthum, Völkerrecht, VI, Rn. 29: „Wie auch die nationalen Rechtsordnungen kann das Völkerrecht auf den Rückgriff auf abstrakte Rechtsprinzipien und Generalklauseln nicht ganz verzichten. Die Notwendigkeit der Lückenfüllung und allgemein gehaltener Interpr e-
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die normativ-unbestimmten, generalklauselartigen Schutzstandards des internationalen Investitionsrechts. 685 Diese Unbestimmtheit hat teilweise zu Kritik und zu Zweifeln an der Eignung des Völkerrechts als Rechtmäßigkeits- und Anleitungsmaßstab geführt. So ist das positive Völkerrecht nach Ansicht von Koskenniemi durch ein derart hohes Maß an inhaltlicher Unbestimmtheit gekennzeichnet, dass es im Völkerrecht nicht möglich sei, verbindliche und allgemein akzeptierte Urteile über die Rechtmäßigkeit von Handlungen aus den Rechtsbegriffen abzuleiten.686 Diese inhaltliche Unbestimmtheit ermögliche stets widersprüchliche Auslegungen.687 Das Problem werde durch das Fehlen eines ständigen, bindenden Streitbeilegungsmechanismus (compulsory adjudication) noch verstärkt.688 Bei dem Phänomen der Unbestimmtheit handelt es sich jedoch entgegen Koskenniemi um keine Besonderheit des Völkerrechts, sondern um eine Folge der wesensimmanenten Unbestimmtheit von Sprache, 689 welche den am Streit beteiligten Parteien stets verschiedene Auslegungsmöglichkeiten eröffnet. Dieses Phänomen tritt im Völkerrecht aufgrund der relativ häufigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in völkerrechtlichen Instrumenten ledig-
tationsprinzipien hat insoweit Vorrang vor einer strikt auf Rechtssicherheit ausgerichteten Betrachtungsweise.“ 685 Vgl. oben § 8. Vgl. auch Dolzer, Generlklauseln in Investitionsschutzverträgen, 291 ff.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69: Generalklauselartiger Charakter der materiell-rechtlichen Schutzpositionen der Investitionsschutzabkommen; Alvarez, The Public International Law Regime Governing International Investment, 240 f.: Absence of precision; Schill, Multilateralization, 263 („vagueness of investors rights“): „Both wording and concept of standard guarantees, such as indirect expropriation, fair and equitable treatment or full protection and security, are of such indeterminacy that they lack hard and ascertainable content“; ders., Virginia Journal of International Law 2011, 57 (66 f.): „Concerns in relation to the current system of international investment protection therefore involve several factors: first, the vagueness, or even ambiguity, of investment treaties, which, on the basis of broadly formulated principles of investment protection, restrict state sovereignty without giving arbitral tribunals clear guidance as to the scope of obligations assumed under the treaties […].“ 686 Koskenniemi, From Apology to Utopia, 36 ff., 503 ff. 687 Diese Auslegungsargumente haben nach Koskenniemi entweder die Form einer “descending“ interpretation from a community-perspective (utopianism) oder in der Form einer „ascending“ interpretation from an autonomy-perspective (apologism), vgl. Koskenniemi, From Apology to Utopia, 58 ff., 503 ff. 688 Vgl. in diesem Zusammenhang zur Rolle der internationalen Streitbeilegung bei der Bestimmung des Inhalts des Völkerrechts Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 398: „Ihre Erkenntnisfunktion ergibt sich daraus, daß es die Aufgabe internationaler Gerichte ist, zwischen einander widersprechenden Ansprüchen der Streitteile eine objektive Entscheidung darüber zu fällen, welche ihrer Thesen der Völkerrechtsordnung entspricht.“ 689 Hierzu oben 1.
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lich etwas deutlicher zutage.690 Insofern liegt hier kein qualitativer, sondern allenfalls ein gradueller Unterschied vor. Was das Fehlen einer ständigen Gerichtsbarkeit anbelangt, so ist zumindest für das Investitionsrecht festzustellen, dass der Zugang zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, die sowohl den Vertragsstaaten wie auch qualifizierten Investoren offensteht, 691 diesen Mangel zumindest für diesen Bereich kompensiert. 692 Die mit der Rechtsanwendung unbestimmter Rechtssätze verbundenen Probleme entstehen nicht nur im Bereich des nationalen Verfassungs-, Verwaltungs- oder Privatrechts, sondern in entsprechender Weise immer dann, wenn Rechtsentscheidungen in Anbindung an (unbestimmte) normative Vorgaben getroffen werden müssen. Die damit verbundenen Erkenntnisse gelten daher grundsätzlich auch in anderen Bereichen des Rechts.693 So geht es letztlich um die Frage gesetzes- bzw. normgebundenen Entscheidens im Kontext besonders unbestimmter Rechtsnormen. 694 Dabei bewegt sich die Konkretisierung dieser Normen stets vor dem Hintergrund der Grundwidersprüche von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit, von Flexibilität und der Vorhersehbarkeit (schieds)richterlichen Entscheidens bzw. der Rechtsanwendung, von (Schieds-)Richtermacht und der Rechtsbindung des (Schieds-)Gerichts.695 Es verwundert daher nicht, dass sich die wenigen Ansätze in der einschlägigen völkerrechtlichen Methodenliteratur auf die Erkenntnisse verallgemeinerungsfähiger nationaler Methodenlehren stützen und diese für völkerrecht-
690
Vgl. hierzu auch die Kritik von Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 213. 691 Hierzu oben § 3. 692 Vgl. hierzu Schill, Multilateralization, 262: „Instead of dealing with uncertainty on a bilateral basis through negotiation, uncertainty is resolved by means of submitting to an independent adjudicatory body that processes the uncertainty and generates new or concr etizes existing rules.“ 693 Vgl. hierzu Koch, Juristische Methode, 22, der dies, ausgehend vom Bereich des Verfassungsrechts klargestellt hat: „Die Frage nach der ‚Möglichkeit„ verfassungsgebundenen Entscheidens zielt auf die Klärung der Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen, wenn Entscheidungen in Bindung an die Verfassung getroffen werden sollen; und zwar geht es um die Schwierigkeiten, die sich schon daraus ergeben, dass eine Entscheidung in Bindung an die Verfassung ja die Ermittlung des Gehalts der Verfassung voraussetzt […].“ Vgl. auch Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 7: „Die Rechtsanwendung stellt in allen Rechtsgebieten grundsätzlich gleichartige Probleme der Überbrückung zwischen generell-abstrakter Norm und konkretem Sachverhalt.“ 694 Vgl. hierzu auch die zutreffende Feststellung von Jesch, AöR 82 (1957), 163 (165): „Sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe treten in allen Bereichen des Rechts in Erscheinung.“ 695 Generell zu diesen Antinomien Auer, Materialisierung, passim.
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liche Sachverhalte fruchtbar machen.696 So bezeichnet Bleckmann unbestimmte Rechtsbegriffe analog zu den Erkenntnissen der nationalen Methodenlehre als „Wertbegriffe“, 697 die durch einen verhältnismäßig kleinen Begriffskern und einen dementsprechend größeren Begriffshof gekennzeichnet seien.698 Schill überträgt diese Kriterien auf den Bereich des internationalen Investitionsrechts, indem er Hecks Unterteilung aufgreifend dem Gebot des fair and equitable treatment einen gesicherten Begriffskern abspricht,699 und, anknüpfend an die klassische Funktionseinteilung von Generalklauseln, den Delegationsgedanken auf das Gebot des fair and equitable treatment überträgt.700 Griebel bezeichnet die beiden Elemente des Gebots des „fair“ and „equitable“ treatment als unbestimmte Rechtsbegriffe, welche eine flexible Auslegung ermöglichten. 701 Schließlich werden die investitionsrechtlichen Schutzstandards unter Rückgriff auf nationale Begrifflichkeiten und unter Hinweis auf die juristische Hermeneutik als Generalklauseln bezeichnet. 702 b) Funktionseinteilung Betrachtet man die Funktionseinteilung der Generalklauseln und wendet man sich zunächst der sog. Verweisungsfunktion zu, so erscheint fraglich, ob das Gebot des fair and equitable treatment als ein Verweis auf außerrechtliche Normen verstanden werden kann. 703 Wie gesehen lässt, abgesehen von der 696 Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit der juristischen Methode vgl. u.a. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 604. „Es gibt keine besondere Methode etwa für das Verwaltungsrecht, das Europarecht oder das Völkerrecht. Es gibt jedoch für einzelne Rechtsgebiete besondere Rechtsgrundsätze, die der Methode Grenzen ziehen oder ihr besondere Wege weisen.“ 697 Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 211 f. Ähnlich auch Koskenniemi, der auf die von Hart geprägte Unterscheidung zwischen einem „Kernbereich gefestigter Bedeutung“ („core of well-established meaning“) und einem „Schattenbereich zweifelhafter Fälle“ („penumbra of uncertainty“) zurückgreift, vgl. Koskenniemi, From Apology to Utopia, 38. 698 Ibid., 217. 699 Vgl. Schill, Multilateralization, 263: „Fair and equitable treatment does not have a consolidated and conventional core meaning as such nor is there a definition of the standard that can be applied easily.“ 700 Schill, Multilateralization, 275. Zur Funktion von Generalklauseln vgl. unten b. 701 Griebel, Internationales Investitionsrecht, 70. 702 Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzverträgen, 291 ff.; Schill, Multilateralization, 263, 279; Griebel, Internationales Investitionsrecht, 69; Kläger, Fair and equitable treatment, 93. Vgl. auch Marauhn, ZaöRV 67 (2007), 639 (652), der in der (juristischen) Hermeneutik die „aussichtsreichste Grundlage“ einer anwendungsorientierten Völkerrechtswissenschaft sieht. 703 Von der Verweisungsfunktion der Generalklauseln zu unterscheiden ist die mögliche (indirekte) Einbeziehung völkerrechtlicher Normen im Wege der systematischen Auslegung (sog. systemische Integration). Vgl. hierzu McLachlan, The Principle of Systemic
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der Frage der Legitimität der Einbeziehung außerrechtlicher Normen, die gesellschaftliche Entwicklung einen Konsens über die „guten Sitten“, „Treu und Glauben“ oder über das, was „fair und gerecht“ bzw. „fair and equitable“ ist, kaum noch zu. Mit zunehmender, grenz- und gesellschaftsüberschreitender Reichweite der jeweiligen Norm – wie im Falle des völkerrechtlichen Gebots des fair and equitable treatment – verstärkt sich diese Tendenz, so dass zu beweifeln ist, dass ein entsprechender sozialer Wertkonsens zu als außerrechtliche Sozialnormen verstandenen Begriffen wie „fair“ und „equitable“ existiert. Selbst wenn man die soziale Zielgruppe auf die vom Investitionsrecht direkt betroffenen Kreise reduzierte, wäre fraglich, ob ein derartiger Konsens angenommen werden könnte.704 Schließlich müssten diese außerrechtlichen Normen, sofern vorhanden, wiederum einer rechtlichen Prüfung standhalten, wodurch letzten Endes die (schieds)richterliche Wertung
Integration and Article 31(3)(c) of the Vienna Convention, 54 ICLQ 2005, 279 ff.; French, Treaty Interpretation and the Incorporation of Extraneous Legal Rules, 55 ICLQ 2006, 300 ff. Vgl. auch den Bericht der International Law Commission, ILC, Fragmentation of the International Law, UN Doc. A/CN.4/L.682 (2006), Rn. 479: „[Systemic interpretation] refers back to the wider legal environment indeed the „system‟ of international law as a whole.“ Diese Form der Auslegung betrifft die Auslegung aller Vertragsnormen und nicht lediglich der Generalklauseln. Ebenso wie bei der Verweisung auf außerrechtliche Normen gilt auch hier die Kritik an der Verweisungstheorie insofern, als Generalklauseln letztlich überflüssig wären, wenn sie nur solche Wertungen zum Ausdruck brächten, die ohnehin Bestandteil der Rechtsordnung sind und damit auch im Wege der allgemeinen Auslegung – etwa über Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK – zur Anwendung gelangen können. Um die Wertungen der Rechtsordnung zur Geltung zu bringen, bedarf es nicht der Generalklausel. Zur Konkretisierung der Generalklausel – hierzu unten II. – taugt Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK nur bedingt, da die Gesamtheit der rechtlichen Wertungen in ihrer Unbestimmtheit keine Anleitung zur Konkretisierung liefert. 704 Eine Möglichkeit könnte ggfs. darin bestehen, nach dem Adressatenkreis der Norm abzuschichten und somit die Reichweite der Norm erheblich einzuschränken, was einen möglichen Konsens, beschränkt auf den Bereich des Investitionsrechts, erleichtern könnte. Vgl. hierzu Koskenniemi, From Apology to Utopia, 36: „Determinacy depends on the acceptance of the chain of justification by the relevant reference group. In international law, that reference group might be thought of as the „invisible college of international lawyers‟, for example.“ Im Anschluss hieran könnte man fragen, ob ein solches „invisible college of international investment lawyers“ existiert. Doch auch dann dürfte es schwer sein, einen allgemeinen Konsens zu finden, vgl. Koskenniemi, From Apology to Utopia, 37: „[T]here is significant ambiguity here. In many cases what is actually (subjectively) accepted by the reference-group is unclear.“ Vgl. hierzu auch Kessedjian, To Give or Not to Give Precedential Value to Investment Arbitration Awards, in: Alford/Rodgers (Hrsg.), The Future of Investment Arbitration, 43 (57), welche bereits die Existenz einer „international community for investment purposes“ verneint.
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entscheiden würde,705 weshalb die Verweisungsfunktion keine oder allenfalls geringe Bedeutung hat. 706 Dagegen gewinnt das Gebot des fair and equitable treatment durch seine Unbestimmtheit an Elastizität und erleichtert somit im Sinne der Flexibilitätsfunktion eine Anpassung an künftige Fallgestaltungen. Dadurch wird den Schiedsgerichten ein gewisser Spielraum eröffnet, innerhalb dessen sie im Einzelfall einen angemessenen Ausgleich zwischen staatlichen Regulierungsinteressen und privaten Investoreninteressen finden können. Ob das Gebot des fair and equitable treatment darüber hinaus, wie zum Teil vertreten wird, auch eine Delegationsfunktion erfüllt, erscheint hingegen fraglich.707 Gegen die Annahme einer an die Investitionsschiedsgerichte delegierte Rechtssetzungsbefugnis bestehen vielmehr erhebliche Bedenken. So wäre eine derart abstrakt-generelle Rechtssetzungsbefugnis in der Nomenklatur der völkerrechtlichen Rechtsquellen nur durch die Erzeugung von Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht möglich, zu deren Schaffung internationale (Schieds-)Gerichte weder ermächtigt (noch legitimiert708) noch in der Lage sind; dies ist die ausschließliche Aufgabe der Staatengemeinschaft. 709 Die Rechtsprechung internationaler (Schieds-)Gerichte dient lediglich der Normerkenntnis. Die Schiedsgerichte haben im Einzelfall begründet und
705
Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 32; Teubner, Standards und Direktiven, 91. Umso wichtiger ist dagegen die Gewinnung der für diese rechtliche Beurteilung erforderlichen Maßstäbe. Vgl. hierzu unten II und III. 707 Für eine de facto-Delegation Schill, Multilateralization, 275: „Investors rights, such as fair and equitable treatment […] can be viewed more as general clauses that de facto delegate substantial rule-making power to judicial bodies […]“; ibid., 375: „Standards like fair and equitable treatment or the concept of indirect expropriation serve as „general clauses‟ that effectively transfer substantial rule-making power to arbitral bodies […].” 708 Allgemein zum Legitimationsbedürfnis internationaler Gerichte, vgl. von Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), 1 ff. 709 Vgl. Doehring, Die Rechtsprechung als Quelle des Völkerrechts, zur Auslegung des Art. 38 Abs. 1 Ziff. d des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, in: Festschrift Heidelberg, 541 ff. Zur Funktion internationaler (Schieds-)Gerichte bei der Fortbildung des Völkerrechts in jüngerer Zeit, von Bogdandy/Venzke, Beyond Dispute: International Judicial Institutions as Lawmakers, 12 German Law Journal 2011, 979 ff.; dies. (Hrsg.), International Judicial Lawmaking, 470 ff. und passim, sowie die Beiträge von Doehring, Thirlway und Bogdandy/Venzke zur Konferenz des Heidelberger Max Planck Instituts für Völkerrecht unter dem Titel „International Courts as Law Makers“ am 3.11.2010 in Heidelberg. Vgl. bereits aus früherer Zeit die Standpunkte von Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, 344 f., sowie die separate opinion von Fitzgerald, ECHR, Case of Golder v. The United Kingdom, Application No. 4451/70, Judgment, 21.2.1975, Rn. 2, 32. Zu letzterem vgl. auch Merrils, Judge Sir Gerald Fitzmaurice and the Discipline of International Law, 76 f. Zu den Grenzen richterlicher Entscheidungsmacht vgl. auch Frowein, Die Grenzen des Richterrechts in rechtsvergleichender Betrachtung, in: Festschrift Heidelberg, 555 ff. 706
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nachvollziehbar die anwendbare Norm, das Gebot des fair and equitable treatment, zu konkretisieren.710 Des Weiteren widerspräche eine Delegation zum Zwecke der Rechtssetzung mit Geltungsanspruch erga omnes auch dem Grundsatz, wonach Entscheidungen internationaler Gerichte nur inter partes gelten und somit nur die Streitparteien (und keine unbeteiligten Staaten) binden. 711 Zudem ist auch nicht erkennbar, dass die Vertragsstaaten die Schiedsgerichte zu freier Rechtssetzung ermächtigen wollten. Eine derartige Ermächtigung ist – übrigens ebensowenig wie bei Generalklauseln des nationalen Rechts 712 – den Materialien, sofern vorhanden, regelmäßig nicht zu entnehmen, weshalb sich die Annahme einer Ermächtigung als eine vom Willen der Staaten unabhängige Fiktion darstellt und letztlich auf eine Scheinrationalisierung der auf der Grundlage des Gebots des fair and equitable treatment ergangenen Rechtsprechung hinausläuft. Auch im Bereich von Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment sind die Schiedsgerichte an die von den Staaten gesetzten Normen gebunden. Ihre Rechtsprechungsbefugnis gilt nur im Rahmen der Normen, die sie anwenden. 713 Die Befugnis zur Auslegung in Staat-StaatSchiedsverfahren wie auch in der Investor-Staat-Streitbeilegung hat sich im Rahmen der darin genannten Normen zu halten. 714 Hieraus ergibt sich die 710
Zur Konkretisierung von Generalklauseln unten II. Vgl. hierzu oben § 10 IV. Bei einem multilateralen Investitionsschutzabkommen würde sich die Bindungswirkung im Falle einer Auslegungsentscheidung auf die Vertragsstaaten beschränken. 712 Vgl. Auer, Materialisierung, 125, 133, die darauf verweist, dass die Entwicklung des § 242 BGB nicht durch die Absicht des Gesetzgebers determiniert wurde und sich die Grundannahme des Delegationsgedankens, d.h. die Ermächtigung des Richters durch den Gesetzgeber, bei Generalklauseln in den meisten Fällen als reine Fiktion darstellt. 713 Vgl. von Bogdandy/Venzke, German Law Journal 2011, 1341: „[…] according to the traditional and still widespread view of international dispute settlement, international decisions flow from the consent of the state parties to the dispute, both from the consensual basis of the applicable law and from consent‐based jurisdiction.“ Nimmt man eine demokratische Legitimationskette über die jeweiligen Vertragsstaaten an, so lässt sich diese Forderung der Normbindung zusätzlich demokratietheoretisch begründen. Zur staatlichen und nichtstaatlichen demokratietheoretischen Begründung einer (möglichen) globalen Verfassungsordnung, vgl. Peters, Dual Democracy, in: Klabbers/Peters/Ulfstein, The Constitutionalization of International Law, 263 ff. Inwiefern der Gedanke der Gewaltenteilung auf das Völkerrecht übertragen werden kann, ist allerdings fraglich. Vgl. zum Geda nken der Demokratisierung durch (an bestimmte Standards geknüpfte) internationale Streitentscheidung von Bogdandy/Venzke, International Judicial Lawmaking, 473 ff. 714 Eine andere Frage ist, ob und inwiefern die Kompetenzgrundlage des Schiedsgerichts auch das anwendbare Recht (mit)bestimmt, vgl. hierzu Bartels, in: Broude/Shany (Hrsg.), Multisourced Equivalent Norms in International Law, 115 ff. Auf die Frage der Bindung des Schiedsgerichts an die anzuwendende Norm des fair and equitable treatment hat dies jedoch keinen Einfluss. 711
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Notwendigkeit methodengeleiteter Rechtserkenntnis: Handelte es sich um eine Ermächtigung zu (freier) Rechtsprechung nach Billigkeitsgesichtspunkten, wäre eine Methode zur Konkretisierung von Generalklauseln, durch die eine abgeleitete, rationale Begründung sichergestellt werden soll, im Wesentlichen überflüssig. Zudem wäre wohl auch die Grenze zur Entscheidungsfindung ex aequo et bono überschritten. Ebenso kann aus dem Befund, dass sich die in manchen Investitionsschiedssprüchen gefundenen Ergebnisse nicht immer in nachvollziehbarer Weise auf die Norm zurückführen lassen und daher dem Betrachter zum Teil als freie Rechtsschöpfung erscheinen mögen, nicht geschlossen werden, die Schiedsgerichte seien zu freier Rechtsbildung ermächtigt. Vielmehr handelt es sich hierbei möglicherweise um ein Begründungsdefizit. Schließlich führt die Tatsache, dass Rechtsanwendung zu einem gewissen Anteil immer auch Eigenwertung und einen begrenzten schöpferischen Akt des Rechtsanwenders mitumfasst,715 nicht dazu, dass die Gesetzesbindung aufgehoben oder das (Schieds-)Gericht zu freier Rechtsbildung ermächtigt ist.716 Die Sicherstellung dieser Bindung ist vielmehr eine der Hauptaufgaben der Methodik. So dient letztlich auch der in der WVRK angelegte Auslegungskanon (Wortlaut, Sinn und Zweck, Systematik) 717 dazu, diese Bindung sicherzustellen und einzulösen. Die Tatsache, dass bei besonders unbestimmten Rechtssätzen wie der fair and equitable treatment-Klausel die Einlösung dieser Normbindung besonderen Schwierigkeiten unterliegt,718 kann nicht dazu führen, diese Bindung aufzugeben. 719 Vielmehr wird dadurch die Not715 Vgl. etwa Rüthers, Rechtstheorie, 117; von Bogdandy/Venzke, German Law Journal 2011, 979 (984 ff.); Hassemer, ARSP 1976, 195 (198); Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 155, 160; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 205, 208: „Die praktische Textarbeit der Jurisprudenz ist auf eine in Regeldetermination nicht auflösbare Weise schöpferisch.“ Nach Radbruch, Rechtsphilosophie, 111, ist die juristische Interpretation „ein unlösbares Gemisch theoretischer und praktischer, erkennender und schöpferischer, reproduktiver und produktiver, wissenschaftlicher und überwissenschaftlicher, objektiver und subjektiver Elemente.“ Vgl. auch oben I 1 a. 716 Das gilt auch für diejenigen Vertreter einer sprachanalytisch-konstruktivistischen Methodenlehre, die in der Anwendung stets auch die Hervorbringung einer neuen Norm sehen, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 208: „Gesetzesbindung bezieht sich nicht auf eine der Anwendung vorgegebene Rechtsnorm, sondern stellt sich dar als methodische Erschwerung und Disziplinierung im Vorgang der Herstellung der Rechtsnorm.“ 717 Hierzu oben § 5 II 2. 718 So bieten Generalklauseln als besonders unbestimmte Rechtssätze aufgrund des hohen Abstraktionsgrades ihres Normtextes für die grammatikalische Auslegung nur wenige Anhaltspunkte, vgl. oben § 5 IV. 719 In Anlehnung an Hedemann könnte man von einer „Flucht in die Delegation bzw. Ermächtigung“ sprechen. Vgl. auch Auer, Materialisierung, 173: „Leere des Delegationsgedankens, die ihn als Grundlage der Konkretisierung von Generalklauseln unbrauchbar macht“.
§ 11 Methodische Überlegungen
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wendigkeit einer methodengeleiteten Erkenntnis, wie sie mit den Konkretisierungsansätzen verfolgt wird, verdeutlicht.720 Es ist somit Aufgabe der Methode, angesichts der sprachlichen Unbestimmtheit von Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment und der daraus resultierenden reduzierten Hinweisfunktion des Normtextes zu einer rationalen Entscheidungsfindung unter akzeptabler Rückführung der Entscheidung auf die gesetzlichen bzw. vertraglichen Bindungen beizutragen.721 Dem wird im Folgenden anhand einzelner Konkretisierungsmodelle nachzugehen sein. II. Generalklauselkonkretisierung: Begriff und Methode 1. Begriff Der Konkretisierung von Generalklauseln kommt traditionell eine Sonderstellung in Methodenfragen zu. 722 Die Methode, welche zur Erschließung von (vornehmlich) unbestimmten Rechtssätzen bzw. von Generalklauseln heran-
720 Hierzu unten II. Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, 279 f.: Generalklauseln enthalten keine Ermächtigung, sondern stellen höhere methodische Anforderungen aufgrund geringerer Indizwirkung des Normtextes; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 54: „Die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber seine Entscheidungsmaßstabskompetenz infolge der Unbestimmtheit der von ihm erlassenen Normen mitunter nur unvollkommen realisiert, bietet keine Rechtfertigung, sie ihm deswegen gleich ganz zu nehmen, indem die Auslegungsmaßstabkompetenz der Judikative zugesprochen wird.“ 721 Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 31, 279; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 54, 69 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 36. Zum Zusammenhang zwischen Normstruktur und Methode vgl. etwa Jesch, AöR 82 (1957), 163 (173). 722 Röthel, Die Konkretisierung von Generalklauseln, Rn. 1.
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gezogen wird, wird als Konkretisierung bezeichnet. 723 Der Begriff der Konkretisierung entbehrt indes einer festen Definition. 724 Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Konkretisierung einen Vorgang vom Generellen (oder Abstrakten) zum Individuellen (oder Konkreten).725 So wird die Normkonkretisierung als Ausfüllung, Verdichtung, Präzisierung, mit anderen Worten als das „Konkretermachen“ von Normen, insbesondere von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln, verstanden.726 Kirchhof zufolge wiederholt sich die stets erforderliche Konkretisierung der abstrakten Idee an den Dingen für das Recht im Zusammenhang zwischen Normtext und der von den Normen erfassten Wirklichkeit. 727 In diesem allgemeinen Sinne lässt sich Normkonkretisierung als „konkreter machen“ einer Norm, als Normverwirklichung verstehen. 728 723
Zur Normkonkretisierung grundlegend Engisch, Idee der Konkretisierung, passim. In neuerer Zeit Röthel, Normkonkretisierung, passim. Vgl. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 582 ff.; Hassemer, ARSP 1986, 195 (208 ff.); Weber, AcP 192 (1992), 516 (525 ff.); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (672 ff.); Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9 ff.); Zippelius, Methodenlehre, 97 f.; Vogel, Juristische Methodik, 98 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 261, 265 ff.; Röthel, Die Konkretisierung von Generalklauseln, Rn. 1 ff.; Schapp, Methodenlehre und System des Rechts, 131 ff.; Auer, Materialisierung, 144 ff.; Schmalz, Methodenlehre, 114 f.; Schmidt, Konkretisierung, 15 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 144 ff.; Wank, Auslegung, 73; Zeller, Treu und Glauben und Rechtsmissbrauchsverbot, 101 ff. Vgl. auch Petersmann, Constitutional Theories of International Economic Adjudication and Investor-State Arbitration, in: Dupuy/Francioni/Petersmann (Hrsg.), Human Rights in International Investment Law and Arbitration, 137 (180): „[T]here is broad agreement among lawyers today that judicial rulings can rarely be justified on purely syllogistic reasoning (rules + facts = judgment).“ 724 Vgl. zu den verschiedenen Aspekten und Sichtweisen der Normkonkretisierung als Normverwirklichung, Normerzeugung bzw. Normausfüllung, Röthel, Normkonkretisierung, 14 ff. Außerhalb des deutschssprachigen Methodenlehre findet sich der Konkretisierungsbegriff hingegen kaum, vgl. Schillig, Konkretisierungskompetenz, 144 f. 725 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 14: „In einem allgemeinen und formalen Sinne lässt sich Normkonkretisierung […] verstehen als das ‚konkreter machen„ einer Norm in ihrer Ausgestaltung, Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung“; dies., Konkretisierung von Generalklauseln, Rn. 40 f.: „Konkretisierung als Prozess“; Zeller, Treu und Glauben und Rechtsmissbrauchsverbot, 23: Konkretisierung als „die Zusammenwachsung, die Verdichtung, die Verdeutlichung oder einfach als Gegensatz […] zur Abstrahierung“; Zum Verb „konkretisieren“ vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch (9. Aufl., 2011), 869: „konkret machen“, „gegenständlicher machen“, „veranschaulichen“, lat. concretio „Verdichtung“; Duden, Synonymwörterbuch (4. Aufl., 2007): „eindeutiger beschreiben“, „erläutern“, „näher bestimmen“, „präzisieren“. 726 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 20 m.w.N. 727 Kirchhof, Recht wirkt durch Sprache, in: Festschrift für Erik Jayme, Band 2, 1165 (1169). 728 Röthel, Normkonkretisierung, 14 f. Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 250 f.: „Nach der […] herrschenden Meinung muss die als solche vorgegebene
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Nach der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung 729 ist die Rechtsordnung eine gestufte Ordnung, die aus verschiedenen Schichten von Rechtsnormen besteht. 730 Nach dieser Auffassung ist die Rechtsordnung ein System von generellen und individuellen Normen, die miteinander dadurch verbunden sind, dass die Geltung bzw. Erzeugung jeder zu dieser Rechtsordnung gehörigen Norm (d.h. ein Sollen) durch eine andere, jeweils höhere Norm dieser Rechtsordnung (d.h. durch ein Sollen) und letzten Endes durch die sogenannte Grundnorm731 bestimmt wird,732 wodurch das gesamte Recht ein Prozess stetig zunehmender „Individualisierung“ und „Konkretisierung“ 733 hin zur richterlichen Entscheidung und zur Vollstreckung der Sanktion ist, gleichsam selbst immer wieder von neuem erzeugt. 734 Hierdurch wird die Rechtsordnung „als eine Abfolge stufenweise zunehmender Individualisierung und Konkretisierung“ 735 zunehmend konkreter und breiter. Der Konkretisierungsprozess endet an der Stelle, „wo das Sollen eines Rechtssatzes nicht wieder anders geformtes Sollen auslöst, weil es seinen immanenten Zweck Rechtsnorm noch auf den Fall hin konkreter, dass heisst enger und genauer gemacht werden, muß sie vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Generellen auf das Individuelle hin ‚konkretisiert„ werden.“ 729 Merkl, Das doppelte Rechtsantlitz, Juristische Blätter 1918, 425 ff., 444 ff., 463 ff.; ders., Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: Verdross (Hrsg.), Festschrift Kelsen, 1931, 252 ff. In der Folge Kelsen, Reine Rechtslehre, 62 ff., 228 ff. Vgl. auch Engisch, Idee der Konkretisierung, 186 f.; Röthel, Normkonkretisierung, 14 f.; Jakab, ARSP 2005, 333 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, 13 ff.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 164 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 305 ff.; Brugger, AöR 119 (1994), 1 ff. An der Spitze steht (abgesehen von der Grundnorm) die Verfassung, die Grundfragen regelt und der Gesetzgebung die Konkretisierung der Verfassung mittels Ermächtigung zur Gesetzgebung überlässt. Das abstrakte Gesetz erteilt wiederum der Verwaltung und den Gerichten die Ermächtigung, im Urteil oder im Verwaltungsakt eine Konkretisierung des Gesetzes für den Einzelfall vorzunehmen. Um die Lehre vom Stufenbau im Völkerrecht verwirklichen zu können, müsste man zunächst von einer Verfassung ausgehen und die drei Rechtsquellen des Völkerrechts aus einer bzw. der Grundnorm ableiten können, vgl. Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 180 ff. Vor allem die Annahme einer Verfassung erscheint – zum jetzigen Zeitpunkt – als verfrüht, vgl. hierzu unten 3 c. Die Normsetzung im Völkerrecht erfolgt vielmehr dezentralisiert und ohne feste Hierarchien. 730 Kelsen, Reine Rechtslehre, 228 ff. 731 Um das Geltungsproblem der Verfassung zu erklären, hat Kelsen auf die Hilfskonstruktion der Grundnorm zurückgegriffen; letztere besagt, dass man „sich so verhalten [soll], wie die Verfassung vorschreibt“, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 205. Diese „hypothetische Grundnorm“ ist die „transzendental-logische Voraussetzung“ der Geltung der Verfassung selbst, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 204, 228, 443. Hierzu auch Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 155: „Analytische Grundnorm“. 732 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 239. 733 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 242; ders. Allgemeine Staatslehre, 234. 734 Vgl. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (2): Stufung der Konkretisierungszuständigkeiten. 735 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 308.
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erfüllt“, sich also im physischen Vollzugsakt erledigt hat. 736 Konkretisierung ist in diesem Sinne „hinabsteigende Normverwirklichung“737 von der hypothetischen Grundnorm bis zum Vollzugsakt. 738 Kaufmann sieht den Prozess der Rechtsverwirklichung als einen dreiteiligen Stufenbau vom abstrakt allgemeinen Rechtsprinzip, über die konkretisiert-allgemein und formell-positive Rechtsnorm hin zur konkreten Rechtsentscheidung.739 Je niedriger die Stufe im Stufenbau, desto konkreter die Norm.740 Weber sieht in der Konkretisierung die „Überwindung inhaltlicher Unbestimmtheit“. 741 Ordnet man die verschiedenen Konkretisierungsansätze, so ergeben sich die nachfolgend zu erörternden Modelle bzw. Methoden der Normkonkretisierung. 742
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Kelsen, Reine Rechtslehre, 240. Die physischen Vollzugsakte sind nicht mehr Teil der Rechtsordnung, da sie keine Normen, sondern lediglich deren Vollzug darstellen, vgl. Jakab, ARSP 2005, 333 (336). 737 Röthel, Normkonkretisierung, 15. 738 Hierbei handelt es sich um ein rein formales System, wie es jeder denkbaren Rechtsordnung zugrunde liegen könnte, während die zur Konkretisierung erforderlichen, spezifischen Wertungskriterien der jeweiligen Rechtsordnung materialer Natur sind, vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 20. 739 Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie, 131. 740 Dabei nimmt die Freiheit des Rechtsanwenders (der mit Ausnahme der letzten Stufe auch Rechtssetzer ist) mit jeder Stufe und der damit einhergehenden Konkretisierung ab, vgl. Jakab, ARSP 2005, 333 (337, 344). 741 Weber, AcP 192 (1992), 516 (524). 742 Vgl. hierzu etwa Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 205 ff., der im Rahmen der Generalklauselkonkretisierung zwischen inhaltlichen Konkretisierungsmaßstäben (außerund innerrechtlicher Art) und methodisch-formalen Vorgaben an den Richter (z.B. zur Normsetzung, Interessenabwägung und Folgenabwägung) ohne Vorgabe inhaltlicher Maßstäbe unterscheidet. Ähnlich Heinrich, Formale Gleichheit und materiale Gerechtigkeit, 323 ff., der die Konkretisierungsansätze (wie z.B. Fallgrupenbildung) von den hierzu erforderlichen inhaltlichen Maßstäben („Wertungsfaktoren“) unterscheidet. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 168 f., unterscheidet hermeneutische, argumentative, methodische sowie materiell (inhaltlich) orientierte Konkretisierungsansätze. Auer, Materialisierung, 145, nimmt eine Einteilung der Konkretisierungsansätze in Inhalts-, Verfahrensund Funktionstheorien vor, wobei sich erstere wiederum auf den Inhalt des zulässigen Konkretisierungsmaterials beziehen, wohingegen es bei der zweiten Kategorie um die Auf stellung inhaltsneutraler Verfahrensregeln zur Konkretisierung von Generalklauseln geht. Daran anknüpfend nimmt Schillig, Konkretisierungskompetenz, 157, eine Unterteilung der im Schrifttum vorgefundenen Konkretisierungsansätze in einen materialen Ansatz, einen judikativ-legislatorischen Ansatz und einen präjudizienorientierten Ansatz vor.
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2. Einzelne Konkretisierungsmodelle Hierbei handelt es sich zunächst um präjudizienorientierte Ansätze wie etwa den Fallvergleich oder die Fallgruppenbildung (a)). Ein weiterer Konkretisierungsansatz betrifft die delegierte Normsetzung (b)). Demgegenüber geht es den inhaltlichen Ansätzen (c)) vornehmlich um die Erschließung inhaltlicher Wertungsmaßstäbe, an denen sich der Konkretisierungsvorgang zu orientieren hat. a) Präjudizienbindung und Fallgruppenbildung aa) Methodischer Ansatz Generalklauseln wie das Gebot des fair and equitable treatment sind, wie gesehen, keine Rechtsnormen, unter deren Tatbestand man einen konkreten Lebenssachverhalt problemlos subsumieren könnte. 743 Da das deduktive Vorgehen bei Generalklauseln somit mangels eines präzisen Begriffskerns an seine Grenzen stößt, kommt den induktiven, präjudizienorientierten Ansätzen eine wichtige praktische Bedeutung bei der Konkretisierung von Generalklauseln zu. 744 Präjudizienorientierte Ansätze umfassen neben der Theorie bindender Präjudizien im Sinne einer stare decises745 insbesondere den auf Vergleich (Fallvergleich) und Ordnung bzw. Systematisierung (Fallgruppenbildung) entschiedener oder hypothetischer Fälle ausgerichteten Ansatz. Dieser typisierende Fallvergleich hat bei der Konkretisierung von Generalklauseln beson-
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Vgl. oben I 2 c bb. Vgl. Bydlinski, Juristische Methodik, 583; Weber, AcP 192 (1992), 517 (527 ff.); Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 323; Zippelius, Rechtsphilosphie, 280: Methode der Orientierung durch Leitfälle und typisierenden Fallvergleich im Feld normativer Unsicherheit; Vogel, Juristische Methodik, 98: „Besonders deutlich werden die Grenzen der ‚Methodentrias„ bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen […] Hier bedarf es vielmehr einer Konkretisierung, bei welcher der jeweils in Rede stehende Fall eine maßgebende Rolle spielt. Derartiges Falldenken tritt neben das Denken vom Gesetz her“; Staudinger-Looschelders/Olzen, Kommentar zum BGB (10. Aufl., 2009), § 242 BGB, Rn. 122: „Die Konkretisierung des unbestreitbar offenen Tatbestands [des § 242 BGB] erfolgt über die Beschreibung von Funktionskreisen und Fallgruppen.“ Nach Beater (AcP 194 (1994), 82 (89)) ist es „unverzichtbar, Generalklauseln durch Fallgruppen auszufüllen“. Zur Konkretisierung von (in der Regel unbestimmten bzw. vagen) Verfassungsnomen Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rz. 45 f.: Konkretisierung einer Verfassungsnorm ist nur unter Heranziehung der Verhältnisse der „Wirklichkeit“, die sie zu ordnen bestimmt ist, möglich. Generell zu deduktivem und induktivem Denken im Prozess der Rechtsanwendung vgl. etwa Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 113 ff.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 14 ff. 745 Hierzu bereits ausführlich mit Kritik oben § 10 V. 744
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deren Anklang gefunden,746 wie u.a. die Schiedspraxis zum Gebot des fair and equitable treatment belegt.747 Durch das Fallvergleichssystem soll eine Aussage über den Inhalt der Generalklausel ermöglicht werden, indem die hierzu ergangenen Entscheidungen dargestellt und soweit als möglich systematisiert werden. 748 Im Laufe der Zeit werden dabei die zur Rechtsfindung benötigten Obersätze („Untergeneralklauseln“, „kleine Generalklauseln“, „Ersatztatbestandsmerkmale“) induktiv aus Präzedenzfällen hervorgebracht (sog. Generalisierung bzw. Typisierung).749 Die aus den Einzelfällen abgeleiteten und entwickelten Fallgruppen 746 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 538 m.w.N. Für das deutsche Recht; Weber, AcP 192 (1992), 517 (530); Larenz/Canaris, Methodenlehre, 113 f.; Vogel, Juristische Methodik, 98, 143 ff.; Schwacke, Juristische Methodik, 114; Schmalz, Methodenlehre, 115; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 29: „Bei diesen [wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln] kann die Konkretisierung der Wertung und der Rechtssatzbildung immer nur im Hinblick auf den konkreten Fall oder doch auf bestimmte, im Laufe der Rechtsentwicklung hervortretende Fallgruppen erfolgen.“ Dies bestätigen auch die Erfahrungen im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Zur Fallgruppenbildung als vorherrschende Konkretisierungsmethode im internationalen Investitionsrecht und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vgl. auch oben § 9. 747 Vgl. hierzu die Fallgruppenanalyse zum Gebot des fair and equitable treatment in § 7 und § 9. 748 Weber, AcP 192 (1992), 517 (530). 749 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2); ders., Richterrecht und Generalklausel, 305; Zippelius, Methodenlehre, 71 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 152; Wank, Rechtsfortbildung, 147; Henkel, Rechtsphilosophie, 480: „[Es] bilden sich in einer ständigen Praxis allmählich Übereinstimmungen heraus, die erkennen lassen, dass es hier in der Fallentscheidung immer wiederkehrende Wertungs- und Beurteilungsgefüge gibt, die eine typisierende Betrachtung erlauben und es infolgedessen ermöglichen, den Raum der Generalkla useln in rechtliche Ordnungsbereiche zu gliedern. Im Zusammenwirken mit der dogmatisierenden Wissenschaft gelingt es dann, die zunächst vollkommene Unbestimmtheit der Klauseln durch Herausbildung von “Rechtsgedanken“ zu überwinden und ihnen weitgehend die Form begrifflich-dogmatisch gefestigter “Grundsätze“ zu geben. Auf diese Weise werden die Räume der Generalklauseln, die ursprünglich jeder Positivierung entbehren und infolgedessen auf der Landkarte der Kodifikationen als weisse Flächen erscheinen, zu einem Gebiet gegliederten positiven Rechtsstoffs, in dem tragende Rechtsgedanken verfestigt sind“; Weber, AcP 192 (1992), 517 (531): „[D]iese aus Einzelfällen abgeleiteten und entwickelten Fallgruppen nehmen in der praktischen Rechtsanwendung oftmals selbst die Stelle der bei Generalklauseln definitionsgemäß fehlenden exakten Tatbestandsmerkmale ein“; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 29: „Bei diesen [wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln] kann die Konkretisierung der Wertung und der Rechtssatzbildung immer nur im Hinblick auf den konkreten Fall oder doch auf bestimmte, im Laufe der Rechtsentwicklung hervortretende Fallgruppen erfolgen.“ Dieser Vorgang der von der Einzelfallentscheidung (Spezifizierung) zur Fallgruppenbildung führt, wird als Typisi erung, typisierender Fallvergleich oder Generalisierung bezeichnet, vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 152; Zippelius, Methodenlehre, 71 ff., 75: Differenzierung und Generalisierung. Speziell zur Konkretisierung der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel
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werden zu – im Vergleich zur Generalklausel – konkreteren „Ersatztatbestandsmerkmalen“ bzw. „Ersatzgeneralklauseln“ und tragen auf diesem Wege zur Konkretisierung der Generalklausel bei. 750 Diese werden der Generalklausel unterlegt bzw. eingefügt und bewirken eine zunehmende Konkretisierung der vom Normgeber offen gelassenen Generalklausel. bb) Kritische Würdigung Durch den ersten Schritt, den Fallvergleich, wird die Rechtsprechung, welche sich im Laufe der Zeit durchgesetzt hat, dargestellt und in Fallgruppen systematisiert. Insofern dient die Fallgruppenmethode zunächst der Ordnung und Systematisierung des Fallmaterials und erleichtert somit den Umgang mit diesem, indem nicht bei jeder Entscheidung das gesamte Konkretisierungsmaterial gesichtet werden muss, um vergleichbare Entscheidungen aufzufinden.751 Diese Systematisierung der Rechtsprechung ist für sich genommen unbedenklich. Sie führt zu einem Reservoir an richterlichen Entscheidungen und den darin verwendeten Argumentationsmustern und Wertungen, welche der (Schieds-)Richter nachvollziehen und mit dem zu entscheidenden Fall vergleichen kann. 752 So gesehen stellt die Fallgruppenmethode in erster Linie eine Arbeitserleichterung dar, welche die Auffindung relevanter (Vergleichs-) Fälle und den darin aufgestellten Begründungen ermöglicht. Allerdings findet ein wertender Fallvergleich mit einem Nachvollziehen der richterlichen Begründungen und Bewertungen in der Praxis oftmals nicht statt; vielmehr endet, wie nicht zuletzt die Erfahrung des Investitionsrechts zeigt, der Fallvergleich nicht selten mit der Zuordnung des zu entscheidenden Falles zur entsprechenden Fallgruppe.753 Anstelle der in jedem Einzelfall neu zu vollziehenden Ableitung der konkreten Entscheidung im Wege des wertenden Fallvergleichs, 754 erfolgt somit eine Orientierung an den tabestandsartigen Fallgruppen, welche die individuellen Fallvergleiche ersetzen und die es ermöglichen sollen, den Fall im Wege der Subsumtion unter die jeweilige (Unter-)Fallgruppe zu lösen. So wird die Fallgruppenmethode in der Regel nicht (nur) als Hilfsmittel zum Auffinden relevanten Vergleichsmaterials durch Fallgruppenbildung vgl. etwa Lochmann, Einräumung von Fernsehübertragungsrechten, 194 ff. 750 Weber, AcP 192 (1992), 516 (531). 751 Weber, AcP 192 (1992), 516 (530), der auch darauf verweist, dass dieses Vorgehen der Rechtssicherheit dient. 752 Weber, AcP 192 (1992), 516 (530 f.). 753 Dies gilt sowohl für das nationale wie auch für das internationale (Investitions-) Recht. Vgl. zum nationalen Recht Ohly, AcP 201 (2001), 1 (40): „Allerdings ist zu beobachten, dass teilweise die Auswertung des Richterrechts schon mit der Zuordnung zur Fallgruppe abbricht.“ 754 Vgl. hierzu Vogel, Juristische Methodik, 145 ff.
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verwendet, sondern die Fallgruppen nehmen die Funktion von Ersatztatbestandsmerkmalen und mithin eine quasi normersetzende Funktion ein. Die (Unter-)Fallgruppe bildet somit den Obersatz, unter den der Sachverhalt subsumiert wird, während der individuelle Fallvergleich zunehmend entfällt. Der abstrakte Fallgruppenobersatz übernimmt somit die Funktion eines Tatbestandsmerkmals der Generalklausel, wodurch deren Inhalt (mit Zunahme und Ausdifferenzierung der Fallgruppen) zunehmend bestimmter wird. 755 Auch unter diesem Aspekt trägt die Fallgruppenmethode zur Vereinfachung sowie zur Rechtssicherheit bei der Anwendung von Generalklauseln bei: Zum einen muss nicht in jedem Einzelfall die schwierige Ableitung aus dem vagen Normtext der Generalklausel und durch Heranziehung und Vergleich einzelner Entscheidungen erfolgen. Zum anderen gewinnt die Generalklausel an inhaltlicher Bestimmtheit, bleibt aber dennoch offen für künftige Entwicklungen, etwa durch die mögliche Bildung weiterer Fallgruppen.756 Die Generalklausel, die definitionsgemäß durch Nichtsubsumierbarkeit gekennzeichnet ist, soll auf diesem Weg dem klassischen Begründungsmodell richterlicher Entscheidungsfindung in Form der Subsumtion angenähert werden.757 Das Vorgehen nach dieser Methode ist nicht ohne Kritik geblieben. So wird vorgebracht, dass die Entscheidung bzw. die Subsumtion unter eine solche Fallgruppe nicht mehr aus der Norm abgeleitet werde, sondern aus einer Fallgruppe, welche zuvor im Wege der Induktion aus früheren Entscheidungen gewonnen wurde.758 Fallgruppen enthalten demzufolge keine normativen Ableitungen, sondern lediglich empirische Analysen der faktischen Verwendung der Generalklausel.759 Fallgruppenanalysen geben einen Zustand an, sie können aber streng genommen keinen Aufschluss über die Richtigkeit dieses Zustands geben. 760 755
Weber, AcP 192 (1992), 516 (531 f.). Bydlinski, Juristische Methode, 504 f.; Benicke, Wertpapierhaltung, 493. 757 Weber, AcP 192 (1992), 516 (529, 532); Ohly, AcP 201 (2001), 1 (2). 758 Weber, AcP 192 (1992), 516 (528). Weber zufolge besteht ferner die Gefahr, dass „ohne Einzelfallwertung unter das ‚Ersatz-Tatbestandsmerkmal Fallgruppe„ subsumiert wird“, Weber, AcP 194 (1994), 90 (92). 759 Dem wird man insoweit zustimmen können, als es sich bei den Fallgruppen allenfalls um indirekte Ableitungen aus der Norm handelt und dies auch nur insoweit, als die der Fallgruppe zugrunde liegenden Entscheidungen methodisch „zutreffend“ aus der zu konkretisierenden Norm hergeleitet wurden. Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, 432, der (freilich im Zusammenhang mit der Bindungswirkung von Präjudizien) darauf hinweist, dass Bindungswirkung nur die Maxime entfalte, sofern sie in „zutreffender“ Auslegung der Norm entnommen wurde, wobei die diesbezügliche Nachprüfung dem Richter obliege. Hieraus mag man entnehmen, dass zumindest methodisch „korrekt“ abgeleitete Entscheidungen immerhin indirekt der zu konkretisierenden Norm entnommen sind. 760 Weber, AcP 192 (1992), 516 (538). Zur Dichotomie von Sein und Sollen und der damit verbundenen Erkenntnis, dass es keinen logischen Zusammenhang von deskriptiven 756
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Gegen die Fallgruppenmethode wird zudem der normquellentheoretische Einwand geltend gemacht, dass die einzelnen Entscheidungen bzw. deren Leitsätze sowie die hieraus im Laufe der Zeit entwickelten abstrakten Fallgruppen keine Rechtsquellen darstellen. 761 Es handelt sich demnach um keine abstrakt-generellen Normen, sondern um Rechtserkenntnisquellen, weshalb die Heranziehung von Fallgruppen zur normativen Konkretisierung von Generalklauseln und zur Ableitung von Entscheidungen im Wege der Subsumtion problematisch erscheint. Nach dieser Auffassung kann die Subsumtion des Sachverhalts nur unter rechtliche Normen, nicht jedoch unter Fallgruppen erfolgen, da die Sollensanordnung für den konkreten Fall nicht aus einem Sein, sondern nur aus einem Sollen abgeleitet werden kann. 762 Neben der Frage der Legitimität von Fallgruppen in ihrer Funktion als Normersatz stellt sich auch die Frage nach Stellung und Aufgabe des (Schieds-)Richters in diesem Zusammenhang. So wird kritisiert, dass sich die Rechtsfindung durch Fallgruppenbildung (im Sinne einer von Präjudizien ausgehenden Bildung von Ersatztatbestandsmerkmalen) einer abstrakten Rechtsetzung annähere und sich dadurch von der klassischen Rechtsprechungsaufgabe des (Schieds-)Richters durch konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall entferne.763 Eine derartige Umwandlung von konkreten Entscheidungen in abstrakte Tatbestandsmerkmale sei jedoch Aufgabe des Gesetzgebers,764 hier folglich der Vertragsstaaten. 765 Andernfalls könnte die Rechtsprechung die von ihr anzuwendenden Rechtsnormen selbst erzeugen. und normativen Aussagen gibt, vgl. Hume, A Treatise of Human Nature, Buch III, Teil I, Kapitel I. So basiert auch Kelsens Theorie der Grundnorm mit der Ableitbarkeit der Geltung aller Normen der Rechtsordnung aus einer einzigen Norm (der Grundnorm) auf der Erkenntnis, dass die Geltung des Rechts (Sollen) niemals auf sozialen Tatsachen (dem Sein) beruhen kann, da das Sollen nur dem Sollen entstammen kann (und nicht daraus, dass etwas ist), vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 5 ff., 196, sowie oben 1. Dagegen zur „normativen Kraft des Faktischen“ Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 337 ff. 761 Weber, AcP 192 (1992), 516 (538). Zum Rechts(erkenntnis)quellencharakter (schieds)gerichtlicher Entscheidungen vgl. oben § 10 V. Vgl. dagegen auch Larenz/ Canaris, Methodenlehre, 114: „Rechnet man zum ‚geltenden Recht„ auch die in richterlichen Entscheidungen enthaltenen Wertungen, soweit sie ihrerseits gerechtfertigt sind, mit, so ist auch eine Entscheidung, die im Wege der Fallvergleichung und der Zuordnung zu einem Falltypus gefunden wurde, die aus dem geltenden Recht begründet ist.“ Ähnlich Larenz, Methodenlehre, 432, wonach die im Präjudiz ausgesprochene Maxime (nur) dann verbindlich ist, sofern diese methodisch korrekt aus der Norm abgeleitet wurde. 762 Weber, AcP 192 (1992), 516 (538). 763 Weber, AcP 192 (1992), 516 (541 f.). 764 Weber, AcP 192 (1992), 516 (543). 765 Es kommt, wie schon erwähnt, in der Tat vor, dass der Gesetzgeber hin und wieder von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppen zum Anlass nimmt, diese separat zu kodifizieren, wie dies für das Investitionsrecht etwa bei Art. 5 Abs. 2 lit. a US-amerikanischen Model BIT (2004), der in Art. 5 Abs. 2 lit. a, der mit “obligation not to deny
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Wie gesehen erlauben Fallgruppen als (empirisch-tatsächliche) Bestandsaufnahmen der Rechtsprechung nicht ohne weiteres einen Rückschluss auf die (normative) Richtigkeit dieses Zustands. Über die Qualität der Rechtsprechung, d.h. ob das in Bezug genommene Fallrecht „richtig“ im Sinne rationaler Begründbarkeit ist, sagen die abstrakten Leitsätze und die hieraus gewonnenen Fallgruppen gerade nichts aus. So mag manche frühere Entscheidung einer kritischen Betrachtung, insbesondere mit Blick auf die angewandte Methode und die angegebene Begründung, nur bedingt standhalten.766 Werden derartige Entscheidungen ohne eingehende Überprüfung nur in ihren „Leitsätzen“ in späteren Entscheidungen übernommen, wie dies in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zum Teil der Fall ist, so wirken diese Defizite in den Folgeentscheidungen fort. 767 Problematisch sind zudem Fälle, in denen keine Regeln bzw. Präzedenzfälle vorhanden sind, der Richter aber dennoch eine Entscheidung auf rechtlicher Grundlage fällen und rational begründen muss. Da einem auf Induktion basierenden System nicht mehr entnommen werden kann als das, was zuvor an Rechtsprechung „hineingegeben“ wurde, fehlt es zwangsläufig an relevanten Maßstäben zur Beurteilung neuer, noch nicht entschiedener Fallgestaltungen.768 Ebensowenig wie die kasuistische Gesetzgebungsmethode in der Lage ist, die Vielgestaltigkeit der Realität vorwegzunehmen (was, wie gesehen, einer der Gründe für die Verwendung von Generalklauseln – nicht zuletzt im Rahmen von Investitionsschutzabkommen – ist), genausowenig kann eine auf Fallrecht basierende Methode, etwa durch die Bildung von Fallgruppen, die justice“ und “due process“ wichtige Aspekte der in der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppe der Verfahrensgerechtigkeit enthält, der Fall war. Zur „Vorreiterfunktion“ der Rechtsprechung im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln vgl. Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 249. 766 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 113: „Gewiss hat diese Methode der Konkretisierung [durch Fallvergleich und Typisierung] ihre Grenzen. Die Fallanalyse mag unzureichend sein, die im Vergleichsfall getroffene Entscheidung der Nachprüfung nicht standhalten.“ Der Verweis auf Fälle bzw. Fallgruppen, auch wenn diese vom Entscheider für „unzweifelhaft“ gehalten werden, entbinden den Entscheider nicht vom Erfordernis einer (zu begründenden) eigenen Wertung. Vgl. hierzu auch Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (673): „Durch den Rückgriff auf unzweifelhafte Fälle oder Fallgruppen erspart sich der Interpret die Feststellung von Wertungskriterien und stellt auf eine Evidenz ab, die anderen möglicherweise nicht ersichtlich ist. […] Mit dem angeblich unzweifelhaften Fall wird aber eine argumentativ nicht abgesichterte Vergleichsbasis eingeführt.“ 767 Speziell zum Investitionsrecht Kläger, Fair and equitable treatment, 35: „[A]n approach that is informed by other judicial authorities […] cannot dissimulate the fact that the earlier decisions have already applied a deficient legal methodology. An approach which relies mainly on cross-referencing earlier awards without questioning their methodological approach, contributes to the multiplication and hence the deepening of these deficits.“ 768 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 442.
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Vielschichtigkeit und Flexibilität der Generalklausel abschließend beschreiben.769 Die vorgebrachten Einwände weisen auf die Schwächen der Fallgruppenmethode, die in der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit die vorherrschende Konkretisierungsmethode darstellt, hin. Die Rechtsfolgenanordnung für den konkreten Fall kann nicht aus einem Sein, der faktischen Verwendung der Generalklausel, sondern nur aus einem Sollen abgeleitet werden.770 Zudem wäre selbst eine vergleichsweise ausdifferenzierte Rechtsprechung stets mit neuen, atypischen Fallgestaltungen konfrontiert, für die keine Präjudizien vorliegen. 771 Will man die Entscheidung in diesen Fällen nicht alleine dem subjektiven Rechtsempfinden des Entscheiders überlassen, bedarf es auch hier rechtlicher Maßstäbe, an denen sich die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment orientieren kann. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit eines methodischen Rahmens, der unabhängig vom Fallrecht in der Lage ist, den Konkretisierungsprozess zu strukturieren und anzuleiten. b) Delegierte Rechtsetzung Nach der Modellvorstellung der Delegation von Rechtsetzungsmacht überträgt der Gesetzgeber dem Richter die Setzung von Recht, indem er eine Generalklausel erlässt. 772 Entsprechend der Delegationsfunktion wird die Gene769
Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (539). Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass mit einer auf Fallrecht basierenden Konkretisierung nur bedingt auf einen Wertewandel reagiert werden kann, vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 113 f. 770 Dies schließt im Umkehrschluss nicht aus, dass es sich bei den gefundenen Ergebnissen zwangsläufig um „unrichtige“ Entscheidungen handelt. So wird vertreten, dass die defizitäre Ableitung einer Sollensanordnung grundsätzlich unschädlich ist, solange dasselbe Ergebnis auch durch eine methodengerechten Ableitung erreicht würde, vgl. Mastronardi, Juristisches Denken, 178. Ob diese Feststellung auch im Hinblick auf prozedurale Rechtstheorien, wie etwa der Diskurstheorie des Rechts, nach der sich Richtigkeit einer Norm als Folge eines rationalen praktischen Diskurses darstellt, gelten kann, erscheint jedoch fraglich. 771 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 114; Weber, AcP 192 (1992), 516 (539); Fikentscher, Methoden des Rechts II, 98: „Fallrechtsfreier Raum“; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 171: Die Methode des Fallvergleichs scheitert „notwendigerweise dort, wo es keine vergleichbaren Fälle gibt, die als Präjudiz dienen können. Sie kann also nicht den Anspruch erheben, eine universell einsetzbare Rechtsfindungsmethode zu sein, mir deren Hilfe auch neue, unbekannte Fälle gelöst werden können.“ Zu derartigen „schwierigen Fällen“ bzw. „hard cases“ vgl. auch Dworkin, Taking Rights Seriously, 81 ff. Zur besonderen Bedeutung von Methode für die Bewältigung „neuer“ Fälle Vogel, Juristische Methodik, 7. 772 Zum Delegationsgedanken im Rahmen der Begriff- und Funktionstheorien der Generalklausel bereits oben I 2 c bb. Diese aus der Normstruktur abgeleitete Kompetenz ist zu unterscheiden von der These des „judicial law making“ durch internationale Gerichte,
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ralklausel als bewusste Ermächtigung durch den Gesetzgeber verstanden, Regeln durch richterliche Eigenwertung aufzustellen. Dieser Delegationsgedanke ist in verschiedenen Ausprägungen anzutreffen. Bereits Hedemanns Wendung von den Generalklauseln als einem Stück „offengelassener Gesetzgebung“ kann man so deuten, dass darin neben der Beschreibung der besonderen inhaltlichen Vagheit des Normtextes auch der Delegationsgedanke einen gewissen Anklang findet.773 Bydlinski betrachtet Generalklauseln als „bewusste Ermächtigungen der Entscheidungsorgane“, durch die der Richter in die Lage versetzt werde, die im Einzelfall benötigten konkreteren Regeln im durch die Verweisung gezogenen Rahmen durch „richterliche Eigenwertung“ aufzustellen.774 Esser zufolge ist dem Richter im Rahmen von Generalklauseln die „Normgestaltung“ überlassen.775 Ohly sieht die Gerichte im Rahmen von Generalklauseln „in besonderem Maße aufgerufen, das unvollständige Programm der gesetzlichen Norm eigenverantwortlich zu ergänzen.“776 Nach Teubner kommt dem Richter, sofern keine rezeptions- und transformationsfähigen sozialen Normen und Wertvorstellungen existieren, eine delegierte Rechtsetzungsbefugnis zu. 777 Die Delegationsfunktion beinhalte daher „die Übertragung rechtssetzender Tätigkeit auf den Richter“778, wodurch dieser „im Bereich der Generalklauseln gesetzgeberische Aufgaben der Normsetzung“ 779 wahrnehme. Taupitz sieht in Generalklauseln eine Ermächtigung des Richters zur Normbildung. Da derartige Normen keinen fertigen, subsumtionsfähigen Rechtssatz enthalten, finde der Richter die seine Entscheidung tragende Norm im positiven Recht nicht vor, sondern müsse diese selbst erst ausbilden; rechtliche Konkretisierung sei daher Regelbildung. 780 Nach Nowak delegiert der Gesetzgeber im Bereich wertausfüllungsbedüftiger Normen seine Normgestaltungsbefügnis an die Rechtsprechung, der in diesem B ereich rechtsschöpfende Funktion zukomme. 781 Beater zufolge weisen Genewonach die „judicial function“ eines internationalen Streitbeilegungsmechanismus notwendig „law making“ impliziere, vgl hierzu von Bogdandy/Venzke, International Judicial Lawking, 3 ff. und passim. 773 Vgl. Hedemann, Flucht in die Generalklauseln, 58. Aus der Zeit vor Hedemann vgl. etwa Heck, Grundriss des Schuldrechts, § 4, 1, der Generalklauseln als „Delegationsnormen“ bezeichnet. 774 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583. 775 Esser, Grundsatz und Norm, 150 f. 776 Ohly, AcP 201 (2001), 1 (7). 777 Teubner, Standards und Direktiven, 61, 106 ff. 778 Teubner, Standards und Direktiven, 61. 779 Teubner, Standards und Direktiven, 107. 780 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1103. 781 Nowak, Generalklauseln, 4 f.
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ralklauseln den Gerichten eine Fortbildungs- und Entwicklungsfunktion zu, die das Parlament gar nicht erfüllen könne, und die sich am besten durch Fallgruppen erfüllen lasse. 782 Ausgehend vom Delegationsgedanken vertritt Röthel einen Ansatz der Normkonkretisierung, bei dem sich die Elemente der gebundenen Normverwirklichung und der Rechtsetzung zur „gebundene[n] Rechtsbildung“783 verbinden.784 Mittels dieser Methode solle sich die Rechtsgewinnung unter Beachtung materieller Gesetzesbindung vollziehen, etwa indem der (Schieds-)Richter bei seiner Entscheidung die gesetzlichen Interessenbewertungen und Prinzipien beachte.785 Da der Richter an die Stelle des Gesetzgebers rücke, sei er auch denselben Bindungen unterlegen. 786 Inhaltlich bedeute Normkonkretisierung methodengerechte Rechtsbildung im Sinne rationaler Begründbarkeit der Rechtsbildung, 787 in deren Rahmen es vor allem darum gehe, die einschlägigen Konkretisierungsargumente und Begründungszusammenhänge offenzulegen.788 Dabei komme Auslegungs- und Abwägungsargumenten, insbesondere den systematisch-teleologischen,789 eine tragende Rolle zu.790
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Beater, AcP 194 (1994), 82 (85 ff.). Röthel, Normkonkretisierung, 21. 784 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 16 ff., 20 ff. und passim. 785 Röthel, Normkonkretisierung, 112 ff. Da die Rechtsprechung auf einen Delegationsakt angewiesen sei, sei sie auch an die Delegationsnorm gebunden; Inhalt und Grenzen des gesetzlichen Delegationsauftrages seien im Wege der Auslegung zu ermitteln, wofür insbesondere systematisch-teleologische Kriterien hilfreich seien, Röthel, Normkonkretisierung, 79, 138, 144 ff. 786 So verlange das Gebot der Rechtsgleichheit nach sachgerechten Generalisierungen und Differenzierungen, Röthel, Normkonkretisierung, 102 ff. Das Erfordernis der Normenklarheit bedeute im Bereich der Formulierung judikativer Konkretisierungsregeln vor allem Bestimmtheit und Transparenz der Begründung im Hinblick auf Inhalt, Zweck und Reichweite einer judikativen Regel, ibid., 107 ff. Das Gebot der Sachrichtigkeit verlange vom Gericht (wie sonst vom Gesetzgeber) die Erhebung von Rechtstatsachen sowie die Berüc ksichtigung von Entscheidungsfolgen ibid., 86 ff. Um die im Bereich der richterlichen Rechtsetzung gegenüber der Legislative bestehenden Defizite, was die Gewährung von Rechtssicherheit anbelangt, zu kompensieren, sei zudem eine umfassende Präjudizienbi ndung erforderlich, ibid., 91. 787 Röthel, Normkonkretisierung, 139. 788 Röthel, Normkonkretisierung, 140. 789 Röthel, Normkonkretisierung, 138, 151, 163. 790 Röthel, Normkonkretisierung, 144 ff. Da die verschiedenen Konkretisierungsanforderungen sich nicht streng voneinander trennen lassen und Berührungspunkte und Überschneidungen aufweisen, sei zwischen diesen im Sinne optimaler Konkretisierung praktische Konkordanz herzustellen, ibid., 162 f. 783
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Zwar ist dieser Auffassung zuzugeben, dass jede Auslegung nicht nur ein Erkenntnisvorgang ist, sondern auch stets wertende Elemente enthält. 791 Wie jedoch bereits im Rahmen der Funktionseinteilung von Generalklauseln kritisch angemerkt, 792 stellt die richterliche Rechtsentscheidung, unabhängig davon, ob ihr im Einzelfall bestimmte oder unbestimmte Normen zugrunde liegen, eine originär richterliche (und nicht irgendwie geartete legislative) Tätigkeit dar.793 Es ist daher auch im Rahmen der Entscheidungsfindung zu einer Generalklausel (hier: zum Gebot des fair and equitable treatment) nicht Aufgabe der (Schieds-)Gerichte, normsetzend tätig zu werden.794 Konkretisierung im Wege delegierter Rechtsetzung ist daher abzulehnen. 795
791 Vgl. oben I. Vgl. hierzu auch Engisch, Einführung, 162: „Auslegung und Subsumtion stellen sich eben häufig als schöpferische geistige Akte dar.“ Dass der (Schieds-) Richter zudem bei seiner Entscheidung von einer möglichst umfassenden und zutreffenden Tatsachengrundlage ausgeht, sollte dagegen ebenso wie die Beachtung rechtlicher Grundwertungen der Verfassung und oberster Rechtsprinzipien eine Selbstverständlichkeit sein. Auch sollten Sachrichtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit Leitmotive einer jeden richterlichen Entscheidung sein. 792 Vgl. oben I 2 und 3. 793 Vgl. Doehring, Paper submitted to the Seminar on “International Dispute Settlement, November 3, 2010, 1 f.: „The concretization of a legal rule signifies not the creation of a new rule but has to respect the spirit of the rule to be interpreted and the spirit of the legal system forming the basis of the rule. There is no room for law making but the deciding court remains in the frame of law application.“ Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 279 ff.; Larenz, Methodenlehre, 133 f.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 155, 160; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 166; Weber, AcP 192 (1992), 516 (550 f.); Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 54: „Die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber seine Entscheidungsmaßstabskompetenz infolge der Unbestimmtheit der von ihm erlassenen Normen mitunter nur unvollkommen realisiert, bietet keine Rechtfertigung, sie ihm deswegen gleich ganz zu nehmen, indem die Auslegungsmaßstabkompetenz der Judikative zugesprochen wird.“ 794 Ibid. Dabei ist auch zu beachten, dass der (Schieds-)Richter weniger als der Gesetzgeber, im Fall von fair and equitable treatment die Vertragsstaaten, geeignet und in der Lage ist, über den Einzelfall hinaus gültige, abstrakt-generelle Regeln zu schaffen, vgl. hierzu für das nationale Recht Larenz, Methodenlehre, 359: „Leitsätze sind nichts anderes als Destillata aus Entscheidungsbegründungen, die ihrerseits fallbezogen und in hohem Maße auslegungsbedürftig sind. Durch ihre rechtssatzförmige Formulierung wird der Anschein erweckt, als komme ihnen, losgelöst von dem entschiedenen Sachverhalt, der Charakter einer gleichförmig anwendbaren, bereits feststehenden Regel zu. Dabei wird verkannt, dass der Richter, der eben doch in erster Linie den zu entscheidenden Fall im Auge hat, noch weit weniger dazu in der Lage ist, alle künftigen Anwendungsmöglichkeiten seines ‚Leitsatzes„ zu übersehen, als der Gesetzgeber.“ 795 Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn es sich wie etwa bei Röthel und Bydlinski um abgeschwächte Ermächtigungstheorien handelt, welche den methodischen und (verfa ssungs)rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen sich die Normsetzung zu halten hat, betonen. Vgl. hierzu Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 280, die von einer „Zwischenform
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c) Inhaltliche Ansätze Die bisher untersuchten Konkretisierungsansätze sind überwiegend formaler Natur. Demgegenüber geht es bei den inhaltlichen Ansätzen um die Bestimmung inhaltlicher Maßstäbe, welche den Konkretisierungsvorgang anleiten können. 796 So bedarf der weite Rahmen der Generalklausel der Ausfüllung durch konkrete materielle Wertungen, die sich dem Normtext nur bedingt entnehmen lassen. Bei den materiellen Konkretisierungsansätzen geht es daher in erster Linie um die Erschließung inhaltlicher Wertungskriterien, an denen sich die Einzelfallentscheidung orientieren kann. 797 Neben außerrechtlichen Maßstäben798 kommen dabei vor allem innerrechtliche Maßstäbe in Betracht.799 Deratige Konkretisierungsmaßstäbe ergeben sich vor allem aus der verfassungsrechtlichen Werteordnung und den grundlegenden Rechtsprinzipien der jeweiligen Rechtsordnung.800 der Rechtsentscheidung“ zwischen Richterrecht und der „Entscheidung unter akzeptabler Rückführung auf Normtexte“ sprechen. 796 Diese idealtypische Einteilung schließt nicht aus, dass die prozeduralen Ansätze auf inhaltliche Maßstäbe zurückgreifen (und umgekehrt) und es sich somit letztlich bei allen Ansätzen mehr oder weniger um Mischformen mit unterschiedlichen Ausgangs- bzw. Schwerpunkten handelt. 797 Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516 (551); Auer, Materialisierung, 145 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 157 f.; Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 206 f. 798 Diese stehen in engem Zusammenhang mit der Verweisungsfunktion der Generalklauseln. So wird etwa vertreten, dass neben rechtlichen auch außerrechtliche Wertmaßstäbe bei der „Ausbildung der die Entscheidung tragenden Norm“ zu berücksichtigen sind, vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1107. Im Rahmen der Ausführungen zur Verweisungsfunktion (vgl. oben I 2 c) wurde jedoch bereits darauf hingewiesen, dass sich festgefügte außerrechtliche Sollensordnungen in der pluralistischen (Welt)Gesellschaft des 21. Jahrhunderts kaum werden feststellen lassen, und dass selbst wenn dies einmal der Fall sein sollte, die empirisch ermittelten Wertvorstellungen anhand der geltenden Rechtsordnung gefiltert werden müssten. Abgesehen davon sind die innerrechtlichen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundwertungen in der Regel sicherer und einfacher zu identifizieren und eignen sich daher besser, die Forderung nach Rechtssicherheit und Gleichbehandlung zu erfüllen. 799 Vgl. hierzu Auer, Materialisierung, 146 ff. („außerrechtliche Maßstäbe“), 150 ff. („innerrechtliche Maßstäbe“). Zur zunehmenden Verdrängung sozialethischer (außerrechtlicher) Maßstäbe durch (verfassungs)rechtliche Wertungen bei der Ausfüllung von Gen eralklauseln bereits Teubner, Standards und Direktiven, 37 ff. 800 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583; Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, Rechtstheorie 1987, 405 ff.; Auer, Materialisierung, 150; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 329 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 159 f.; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 169; Canaris, Lücken im Gesetz, 97; Röthel, Normkonkretisierung, 113 ff.; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 7; Teubner, Standards und Direktiven, 107: Ausrichtung an verfassungsrechtlichen Wertungsmaß-
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aa) Verfassungsrechtliche Werteordnung – Frage der Konstitutionalisierung des Investitionsrechts Hierzu gehört für den innerstaatlichen Bereich (neben einfachgesetzlichen Vorschriften801) insbesondere die rechtliche Grundordnung in Form der Verfassung und die darin verkörperte objektive Werteordnung, die auf alle Bereich des Rechts ausstrahlt. 802 stäben. Zur Gewinnung von Wertmaßstäben durch innere Systembildung im Wege der Induktion und durch Rekurs auf höherrangige Prinzipien Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 52 ff. 801 Neben einer Orientierung an verfassungsrechtlichen Wertungen oder Prinzipien kann die Inhaltsbestimmung auch über die Heranziehung einzelner (einfach)gesetzlicher Vorschriften bzw. Wertungen erfolgen. So stützt sich beispielsweise der Analogieschluss auf eine Bewertung gesetzlich geregelter und nicht geregelter Fälle, wobei die Unterschiede beider Fälle als nicht wichtig genug bewertet werden, als dass eine unterschiedliche B ehandlung gerechtfertigt wäre, vgl. Zippelius, Methodenlehre, 68. Der Rechtsanwender geht beim Analogieschluss davon aus, dass die zu entscheidende Interessenlage der gesetzlich geregelten Interessenlage ähnlich ist, so dass die Gesetzgebung die getroffene Regelung auch für den zu entscheidenden, nicht geregelten Sachverhalt treffen würde, vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 504 ff. Ferner dient der Vergleich mit einfachgesetzlichen Vorschriften im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln der Vermeidung von Wertungswidersprüchen innerhalb des Rechtssystems, Bydlinski, Symposium Wieacker, 198 (213). Im Völkerrecht dagegen ist die Analogie umstritten, vgl. zu den Einwänden gegen die Analogie im Völkerrecht Bleckmann, Analogie im Völkerrecht, ArchVR 17 (1977), 161 (167 ff.). Insgesamt erscheint die Normdichte insbesondere im völkervertraglichen Investitionsrecht noch relativ dünn und ansonsten als zu disparat, als dass hierauf sichere Analogieschlüsse gestützt werden könnten. Bei der völkervertragsrechtlichen Norm des fair and equitable treatment ist darüber hinaus zu beachten, dass Analogien als Folge des auch im Völkerrecht geltenden Gleichheitssatzes auf dem Gebiet des Völkervertragsrechts eine Grenze in der Relativität bzw. Reziprozität der Vertragsbeziehungen finden. Demnach können Vertragsbestimmungen nicht auf rechtlich nicht geregelte Bereiche mit dritten Staaten analog angewendet werden, sofern die Vertragsbestimmungen nicht bereits völkergewohnheitsrechtlich zum Ausdruck gelangt sind. Die Vertragsstaaten sind nicht verpflichtet, Vertragsbestimmungen, die sie in Bezug auf einen Staat eingegangen sind, aufgrund des Gleic hheitssatzes auch in Bezug auf Drittstaaten anzuwenden, vgl. Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 247. 802 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 113: Normkonkretisierung als Grundrechtsverwirklichung; Teubner, Standards und Direktiven, 107: Ausrichtung an verfassungsrechtlichen Wertungsmaßstäben; Auer, Materialisierung, 150: Verfassungsrechtliche Prinzipien. Zur dogmatisch auf die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte gestützte Ausstrahlungswirkung in das Privatrecht im Wege mittelbarer Drittwirkung, Bydlinksi, Juristische Methodenlehre, 583; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 200; Kramer, Juristische Methodenlehre, 88 f., 100 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 475 ff.; Larenz, Methodenlehre, 289; Guckelberger, JuS 2003, 151 ff. Grundlegend hierzu das Lüth-Urteil, vgl. BVerfGE 7, 198 (205): „Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will […], in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgeric htet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grund-
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Für das Gebot des fair and equitable treatment bzw. für den Bereich des Investitionsrechts erscheint hingegen fraglich, ob die Existenz einer solchen maßstabbildenden Verfassung angenommen werden kann. 803 Zwar ist zunehmend von einer Konstitutionalisierung des (Wirtschafts-)Völkerrechts die Rede,804 ohne dass hierdurch vorschnell direkte Parallelen zum nationalen rechte zum Ausdruck kommt […]. Dieses Wertsystem, […], muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. So beeinflußt es selbstverständlich auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muß in seinem Geiste ausgelegt werden. Der Rechtsgehalt der Grundrechte als objektiver Normen entfaltet sich im Privatrecht durch das Medium der dieses Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften.“ Zu berücksichtigen ist dabei freilich, dass die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte und das Gebot der verfassungskonformen Auslegung alle Vorschriften des Privatrechts und nicht nur die Generalklauseln betrifft, auch wenn letztere in besonderem Maße als Einbruchstellen für grundrechtliche Wertungen dienen, vgl. Canaris, Verfassung und Privatrecht, AcP 184 (1984), 201 (222 f.): „Hier zeigt sich indessen eine Schwäche der Lehre von der ‚mittelbaren Drittwirkung„, nämlich die strikte Verbindung, die viele ihrer Anhänger zu den Generalklauseln und den ausfüllungsbedürftigen Begriffen des Privatrechts herstellen. […] In allen solchen Äußerungen kommt eine fehlerhafte Vereinseitigung der Lehre von der ‚mittelbaren Drittwirkung„ zum Ausdruck. In Wahrheit ist nämlich nicht einzusehen, warum die Grundrechte nur über unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln auf das Privatrecht einwirken sollen.“ Vgl. auch BVerfG, NJW 2001, 957 (958): „Im Privatrechtsverkehr ent falten die Grundrechte ihre Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch das Medium der Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, damit vor allem auch durch die zivilrechtlichen Generalklauseln.“ Die Drittwirkung von Grundrechten ist keine Eigenheit des deutschen Rechts, vgl. hierzu rechtsvergleichend Colombi Ciacchi, Fundamental Rights and Private Law in the European Union, 2010, passim. Zur Übertragung der Theorie der Ausstrahlungswirkung der Verfassung auf das Völkerrecht Bleckmann, Methoden des Völkerrechts, 262. 803 Zur Frage der Konstitutionalisierung im internationalen Investitionsrecht vgl. Tams, Konstitutionalisierungstendenzen im Recht des internationalen Investitionsschutzes, in: Tietje/Nowrot (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Dimensionen des internationalen Wirtschaftsrechts, 229 ff.; Behrens, Towards the Constitutionalization of International Investment Protection, ArchVR 45 (2007), 153 ff.; Schneiderman, Constitutionalizing Economic Globalization – Investment Rules and Democracy‟s Promise, passim; Alvarez, The Public International Law Regime Governing International Investment, 446 ff. 804 Vgl. hierzu etwa Wahl, Konstitutionalisierung – Leitbegriff oder Allerweltsbegriff ?, in: Eberle u.a. (Hrsg.), Festschrift Brohm, 191 ff.; Tietje/Nowrot (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Dimensionen des Internationalen Wirtschaftsrechts, passim; Kadelbach/Kleinlein, ArchVR 44 (2006), 235 ff.; von Bogdandy, Constitutionalism in International Law: Comment on a Proposal from Germany, 47 Harvard International Law Journal 2006, 310 ff.; Kadelbach, ZaöRV 67 (2007), 599 ff.; Fassbender, Grund und Grenzen der konstitutionellen Idee im Völkerrecht, in: Depenheuer u.a. (Hrsg.), Festschrift Isensee, 73 ff.; Klabbers/Peters/Ulfstein, The Constitutionalization of International Law, 19 ff. und passim; Knauff, ZaöRV 68 (2008), 453 ff.; Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, passim. Zum Bereich des Welthandelsrechts vgl. etwa Petersmann, Constitutional Func-
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Verfassungsrecht gezogen werden sollten. Gemeint ist im Wirtschaftsvölkerrecht, dass die internationalen Wirtschaftsbeziehungen eine Verrechtlichung erfahren haben, die in ihrer Intensität über die Koordinationsstrukturen des Völkerrechts klassischer Prägung hinausgehen und mit der Herausbildung einer am Gemeinwohl orientierten Rechtsordnung einhergeht, „welche primär der Verwirklichung von Staatengemeinschaftsinteressen dient und sich damit im Kern durch ihre Ausrichtung auf globale öffentliche Güter auszeichnet.“ 805 Für den Bereich des internationalen Investitionsrechts werden als Indizien für eine mögliche Konstitutionalisierung die Begrenzung öffentlicher Regulierungsspielräume 806, der Zugang des Individuums zu einem Streitbeilegungsmechanismus 807 oder Abwägungsvorgänge insbesondere im Rahmen
tions and Constitutional Problems of International Economic Law, 210 ff.; ders., Welthandelsrecht als Freiheits- und Verfassungsordnung, ZaöRV 65 (2005), 543 ff.; Cass, The Constitutionalization of the World Trade Organization, passim; Dunoff, Constitutional Conceits: The WTO‟s ‚Constitution„ and the Discipline of International Law, EJIL 2006, 647 ff.; Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, 17 ff., 37 ff., 99 ff.; Armingeon/Milewicz/Peter/ Peters, The Constitutionalization of International Trade Law, in: Cottier/Delimatsis (Hrsg.), The Prospects of International Trade Regulation: From Fragmentation to Coherence, 69 ff.; Peters, Are we Moving towards Constitutionalization of the World Community?, in: Cassese (Hrsg.), Realizing Utopia, 118 ff.; Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 31 f.; zurückhaltend Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, Rn. 1120 ff. Die Theorie der „Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft“ geht auf A.Verdross zurück, vgl. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, passim. Vgl. hierzu auch die Auffassung, wonach die Völkerrechtsgemeinschaft durch die UN-Charta als „Verfassung der Vereinten Nationen“ bzw. „Grundordnung des gegenwärtigen universellen VR“ zu einer organisierten Staatengemeinschaft geworden sei, Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 69 ff. 805 Nowrot, in Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 7. Vgl. auch Knauff, ZaöRV 68 (2008), 453 (454): Verrechtlichung der internationalen Ordnung durch die internationale Gemeinschaft basierend auf übereinstimmenden Werten; Tietje/Nowrot, in: dies. (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Dimensionsionen des internationalen Wirtschaftsrechts, 9 (11): Verrechtlichungsstrukturen, die in ihrer Intensität über die Koorrdination sstrukturen des Völkerrechts klassischer Prägung hinausgehen; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtehre, 528: Völkerrechtlicher Konstitutionslisierungsbegriff betrifft lediglich die Verrechtlichung und Hierarchisierung internationaler Beziehungen, Konnotation mit Staatsverfassung ist unangebracht; Tams, Konstitutionalisierungstendenzen im Investitionsschutzrecht, in: Tietje/Nowrot (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Dimensionen des internationalen Wirtschaftsrechts, 229 (230 f.): Vier typische Merkmale von Konstitutionalisierungsprozessen: Verrechtlichung, Erfolg, Gemeinwohlinteressen und Einbindung nichtstaatlicher Akteure. Zum Völkerrecht als „Werteordnung“ Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 8 ff. 806 Behrens, Towards the Constitutionalization of International Investment Protection, ArchVR 45 (2007), 153 (154); Schill, Multilateralization, 293. 807 Behrens, Towards the Constitutionalization of International Investment Protection, ArchVR 45 (2007), 153 (154).
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des Verhältnismäßigkeitsprinzips 808 angeführt.809 Auch wenn man hierin zum Teil erste Anzeichen einer Konstitutionalisierung sehen mag, so ist dennoch einzuwenden, dass es sich bei den Investitionsschiedsgerichten lediglich um von Fall zu Fall konstituierte Streitentscheidungsinstanzen handelt, die auf vielen (wenn auch inhaltlich ähnlichen, 810 aber doch) vereinzelten Schiedsklauseln in jeweils getrennt ausgehandelten Abkommen beruhen. 811 Dasselbe gilt für die verschiedenen materiellrechtlichen Grundlagen des Investitionsrechts.812 Zunächst beruht das Völkerrecht nach wie vor auf dem Konsensprinzip, weshalb die Begründung vom Willen der Staaten unabhängiger, übergeordneter Regelungsinhalte zumindest problematisch erscheint.813 Des Weiteren kennt das Völkerrecht keine dem staatlichen Recht vergleichbare Normenhierarchie.814 Die Rechtsquellen des Art. 38 Abs. 1 lit. a) – c) IGH-Statut sind 808
Vgl. Alvarez, The Public International Law Regime Governing International Investment, 447. Zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vgl. oben § 9. Zur Prinzipienabwägung vgl. unten bb und III. 809 Vgl. auch Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 266 f., der über den klassischen Koordinationscharakter hinausgehende Verrechtlichungsstrukturen, effektive Durchsetzungsmechanismen, die Einbindung nicht-staatlicher Akteure sowie die Herausbildung übergeordneter Regelungsstrukturen zur Verwirkichung von Staatengemeinschaftsinteressen als Kriterien nennt. Vgl. hierzu auch Tams, Konstitutionalisierungstendenzen im Investitionsschutzrecht, in: Tietje/Nowrot (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Dimensionen des internationalen Wirtschaftsrechts, 229 (236 ff.), der anhand der Kriterien Verrechtlichung, Erfolg, Gemeinwohlorientierung und Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure Konstitutionalisierungstendenzen im ICSID-System sieht. 810 Zur „Multilateralisierung“ des Investitionsrechts auf der Basis einzelner Abkommen vgl. Schill, Multilateralization, passim. 811 Vgl. Alvarez, The Public International Law Regime Governing International Investment, 448: „‟Constitutional‟ courts, after all, are permanent bodies, not ad hoc panels appointed from time to time as disputes emerge.“ Vgl. auch Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 279, der darauf verweist, dass das Scheitern multilateraler Bemühungen ein Beleg dafür ist, dass das bilaterale Reziprozitätsprinzip sowie einzelstaatliche Interessen immer noch den übergeordneten Interessen der Staatengemeinschaft vorgehen. 812 Zu den Rechtsquellen sowie zum Scheitern eines umfassenden multilateralen Investitionsschutzabkommens vgl. oben § 2 II. 813 Zum Geltungsgrund vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 1 III; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 34 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 3: „Der Unterschied zum nationalen Recht liegt fraglos darin, dass es im Völkerrecht an einem übergeordneten Willen als Geltungsgrund des Rechts fehlt […] Recht entsteht […] nicht nur als Subordinationsrecht, sondern – und das gilt für das Völkerrecht nach wie vor weitestgehend – auch als Koordinationsrecht unter Gleichen.“ Vgl. auch Allott, EJIL 1999, 31 (35): Völkerrecht als „constitution-free zone“. 814 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 185. Zur Hierarchisierung im Völkerrecht ausführlich Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 315 ff.
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grundsätzlich gleichrangig. 815 Einzige Ausnahme stellt das zwingende Völkerrecht (ius cogens) dar, zu dem jedoch keine spezifisch wirtschaftsvölkerrechtlichen Normen zählen.816 Die Mediatisierung des Individuums durch den Staat ist nach wie vor die Regel, die nur in Einzelfällen, wie etwa im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, durchbrochen wird. 817 Zudem kennt das Völkerrecht auch keine obligatorische Gerichtsbarkeit. 818 Auch Investitionsschiedsgerichte sind lediglich von Fall zu Fall konstituierte Streitentscheidungsinstanzen, denen nicht die institutionelle Aufgabe einer „Verfassungs(schieds)gerichtsbarkeit“ zukommt. Insgesamt sind die Grundstrukturen des Investitionsrechts nach wie vor koordinationsrechtlichen Charakters.819 Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass für den Bereich des Völkerrechts und speziell des internationalen Investitionsrechts zum jetzigen Zeitpunkt trotz einer insgesamt stärker verwobenen Staatengemeinschaft und einer zunehmenden Komplexität des internationalen Regelungssystems eine Konstitutionalisierung allenfalls in Ansätzen angenommen werden kann. Bei dem Phänomen der Konstitutionalisierung des Völkerrechts handelt es sich nicht um einen konkreten Rechtszustand, sondern vielmehr um einen Entwicklungsprozess mit (noch) unscharfen Konturen. 820 815 Zum Begriff der „Rechtsquelle“ in diesem Zusammenhang vgl. Doehring, Die Rechtsprechung als Rechtsquelle des Völkerrechts, in: Festschrift Heidelberg, 541 ff. 816 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 183. 817 Vgl. hierzu oben § 3 I 2 und II. 818 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 186 f. Zu einer der wenigen Ausnahmen auf regional-völkerrechtlicher Ebene vgl. Art. 34 f. EMRK. 819 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 183. 820 Braun, Ausprägungen der Globalisierung, 279 f.: „Als gegenwärtiges und vorläufiges Ergebnis wird man […] festhalten müssen, dass es im Internationalen Investitionsrecht eindrucksvolle Konstitutionalisierungstendenzen gibt […]. Dieser Prozess einer möglichen Konstitutionalisierung hat sich aber (noch) nicht zu einer ‚Investitionsverfassung„ verdic htet“; Fassbender, Grund und Grenzen der konstitutionellen Idee im Völkerrecht, in: Festschrift Isensee, 73 (84); Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 183 ff.; Irmscher, Zur Normenhierarchie im Wirtschaftsvölkerrecht, in: Tietje/Nowrot (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Dimensionen des internationalen Wirtschaftsrechts, 21 (56): WTO-Abkommen ist keine Verfassung und eine Konstitutionalisierung steht allenfalls am Anfang; Payandeh, Internationales Gemeinschaftsrecht. Zur Herausbildung gemeinschaftsrechtlicher Strukturen im Völkerrecht der Globalisierung, 433 („in statu nascendi“); Alvarez, The Public International Law Regime Governing International Investment, 446: „Those who ascribe ‚constitutionalization„ to diverse international regimes have the advantage that the term is hardly a term of art but can be defined to suit one‟s purposes“; Knauff, ZaöRV 68 (2008), 453 (455): „Der Begriff ‚Konstitutionalisierung„ ist ebenso attraktiv wie rätselhaft […] können weder seine Funktionen noch sein Inhalt als geklärt angesehen werden. Insbesondere im völkerrechtlichen Zusammenhang ist die Verwendung des Konstitutionalisierungsbegriffs uneindeutig. Sie reicht von der begriffsgenetisch und rechtshistorisch nahe liegenden Beschreibung der Ausbildung einer normativen Vorrangordnung mit übergeordneten Prinzipien und herrschaftslegitimierenden Elementen bis hin zur
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Die Annahme von Völkerrecht als einer verfassungsrechtlichen „Werteordnung“, sei es für das Völkerrecht insgesamt oder speziell für den Bereich des internationalen Investitionsrechts, welche mit ihren inhaltlichen Maßstäben die Konkretisierung der Generalklausel des fair and equitable treatment anleiten könnte, erscheint daher – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – als verfrüht. bb) Rechtsprinzipien Als materielle Konkretisierungsmaßstäbe weiterhin in Betracht kommen die den Normen des internationalen (vertraglichen) Investitionsrechts zugrund eliegenden Prinzipien. Gerade im Offenheitsbereich sorgen Prinzipien für Maßstäbe, welche den Konkretisierungsvorgang (hier: des Gebots des fair and equitable treatment) leiten können. So liefern Prinzipien Argumente für juristische Begründungen, d.h. Prinzipien stellen Gründe für die argumentative Rechtfertigung von Entscheidungsnormen (im Einzelfall) dar. 821 Prinzipien gehören zum „inneren System“ einer Rechtsordnung oder eines Teilbereichs derselben und durchziehen diese als leitende (materiale) Rechtsgedanken.822 In ihnen spiegelt sich die Telelogie des jeweiligen Rechtsgebiets. Kennzeichnung von bloßen und in ihrem Geltungsanspruch eng begrenzten Verrechtlichungstendenzen.“ 821 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 461; Bydlinski, Juristische Methodik, 583; Alexy, Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Schilcher et al. (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 31 (34 f.): Prinzipien sind Gründe für Regeln; Esser, Grundsatz und Norm, 51 f.: Prinzipien als „Grund, Kriterium und Rechtfertigung der Weisung“. Vgl. auch Kolb, Netherlands International Law Review 2006, 1 (9), der Prinzipien zwischen Regeln und allgemeinen politischen Konzepten verortet: „The generality of the principles puts them beyond the realm of operation or simple rules. On the one hand, their legal content is not so narrow, it is not defined in an as precise way as it is in rules; but at the same time it is not so broad as general political concepts or words used in the social fashion of a given moment. Therefore, the principles can play a middle role between the lex lata and the lex ferenda, being wholly neither the one, nor the other.“ 822 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 283 ff., 439 ff.: Prinzipien als Tiefenstrukturen des Rechts; Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 52, 72: Rechtliche Grundwertungen, die ganzen Rechtsinstituten oder Rechtsmaterien zugrunde liegen bzw. allgemeine systemtragende Grundwertungen; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 12 f., 17 f., 35 ff., 46 ff.; ders., Lücken im Gesetz, 93 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 460 ff.; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 53 ff. (Unterscheidung von formellen und materiellen Prinzipien); Esser, Grundsatz und Norm, 39 ff., 87 ff., 227 f., 323 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 302 ff.; aus der anglo-amerikanischen Rechtsheorie insbesondere Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff. Nach Dworkin haben Regeln im Gegensatz zu Prinzipien eine Alles-oder-Nichts-Wirkung. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor und ist die Regel gültig, so muss der Regel entsprechend entschieden werden. Prinzipien sind dagegen Gründe für eine Entscheidung, ohne dass sie eine bestimmte Entscheidung erzwingen würden. Das Prinzip hat eine Dimension der (Ge-)Wichtigkeit
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Prinzipienargumente stellen letztlich eine besondere Form der teleologischsystematischen Argumentation dar, indem Argumente aus dem Gesetzeszweck und seines inneren Systems gewonnen werden. 823 In normtheoretischer Hinsicht basiert die Prinzipientheorie in erster Linie auf der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien.824 825 Demnach erschöpft
(„dimension of weight or importance“) und muss im Rahmen der Einzelfallentscheidung gegen andere Prinzipien abgewogen werden, vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff., 71 ff. Nach Dworkin (Taking Rights Seriously, 22) ist ein Prinzip „a standard that is to be observed, not because it will advance or secure an economic, political, or social situation deemed desirable, but because it is a requirement of justice or fairness or some other dimension of morality.“ Prinzipien haben im Gegensatz zu Regeln („rules“) eine Dimension des Gewichts oder der Bedeutung („a dimension of weight or importance“), vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, 26. Dazu aus rechtspositivistischer Sicht Hart, The Concept of Law, 259 ff. Zur Anwendbarkeit der Prinzipienlehre auf das Völkerrecht Kleinlein, Konstitutionalisierung, 663 f. m.w.N.; ders., German Law Review 2011, 1141 (1149 f.). 823 Vgl. etwa Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 7. Zur Bindung des inneren Systems an Rechtsprinzipien Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 46 ff.; Alexy, Juristische Interpretation, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 75 (87). Zum entstehenden System des (vertraglichen) internationalen Investitionsschutzrechts Schill, Multilateralization, 357 ff. 824 Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, 50, 95; Alexy, Theorie der Grundrechte, 71 ff. Nach Dworkin haben Regeln im Gegensatz zu Prinzipien eine Alles-oder-Nichts-Wirkung. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor und ist die Regel gültig, so muss der Regel entsprechend entschieden werden. Prinzipien sind dagegen Gründe für eine Entscheidung, ohne dass sie eine bestimmte Entscheidung erzwingen würden. Das Prinzip hat eine Dimension der (Ge-)Wichtigkeit („dimension of weight or importance“) und muss im Rahmen der Einzelfallentscheidung gegen andere Prinzipien abgewogen werden, Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff., 71 ff. Alexy hat diesen Ansatz aufgegriffen und durch die Kennzeichnung der Prinzipien als Optimierungsgebote weiterentwickelt. Ihm zufolge kann eine Norm nur Regel oder Prinzip sein. Im Sinne eines Optimierungsgebotes verlangen Prinzipien, dass sie in einem, bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten, möglichst hohen Maße, mithin graduell realisiert werden, wohingegen Regeln nur voll oder gar nicht erfüllt werden können, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 75 ff.; ders., Die Doppelnatur des Rechts, Der Staat 2011, 389 (404): „Regeln drücken ein definitives oder reales Sollen, Prinzipien ein Prima-facie- oder ideales Sollen aus.“ Ein weiterer Unterschied zwischen den Prinzipienbegriffen Dworkins und Alexys besteht darin, dass sich Prinzipien nach Alexy sowohl auf individuelle Rechte als auch auf kollektive Güter beziehen können, wohingegen Dworkin nur solche Normen als Prinzipien ansieht, die als Gründe für individuelle Rechte angeführt werden können, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 98 f.; Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 217 (219 ff.). Zur Unterscheidung in Regeln und Prinzipien auch Esser, der Norm und Grundsatz gegenüberstellt. Nach Esser unterscheidet sich der Rechtsgrundsatz von der Rechtsnorm darin, dass ersterer keine Weisung enthält, sondern vielmehr Grund und Rechtfertigung der Weisung ist, vgl. Esser, Grundsatz und Norm, 50 f. Ebenso Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 57, demzufolge Prinzipien keine Normen darstellen und daher nicht der unmittelbaren Anwendung
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sich das Recht nicht in ausformulierten Regeln. Hinter den Regeln stehen vielmehr allgemeinere Rechtsgrundsätze und Rechtsgedanken in Form von Rechtsprinzipien. 826 Die Prinzipientheorie ist die Folge dieser Unterscheidung und betrifft alle Bereiche des Rechts. 827 Mit der normtheoretischen Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien werden auch die unterschiedlichen Rechtstechniken der Subsumtion und der Abwägung verbunden: Während für Regeln die Subsumtion die adäquate Rechtsanwendungsform sein soll, ist diese für Prinzipien die Abwägung zwischen gegenläufigen Prinzipien. 828 Allerdings hat das bisherige Kapitel gefähig sind. Zur Regel/Prinzip-Unterscheidung auch Koskenniemi, From Apology to Utopia, 37. 825 Neben diesem normtheoretischen Kriterium existieren weitere Kriterien zur Unterscheidung von Rechtsprinzipien von sonstigen Regeln, vgl. Alexy, Theorie, der Grundrechte, 72 ff.; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 217 (218 f.); Rüthers, Rechtstheorie, 460 f. So betreffen Prinzipien aus Sicht der klassischen Prinzipientheorie das Verhältnis von Recht und Moral, weshalb die Funktion als Bindeglied zwischen Recht und Moral sowie zu obersten Rechtsgrundsätzen, zur Rechtsidee oder in einem moralischen Wertungsgehalt das entscheidende Kriterium für ein Rechtsprinzip darstellt, vgl. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 128; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 302 („Ausprägungen der Rechtsidee“); Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 119 („notwendige Verbindung von Recht und Moral“); Rüthers, Rechtstheorie, 460 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 50: Bezug zu einem obersten Rechtsgesetz; Kolb, Netherlands International Law Review 2006, 1 (6): „[P]rinciples are thus in the first place „transformators‟ of extra-positive (moral, social, or other) needs into the legal system.“ Bei den meisten Autoren werden mehrere Kriterien nebeneinander bzw. in Kombination verwendet, weshalb eine strikte Trennung nach Autor und Kriterium weder möglich noch notwendig erscheint. Für eine Darstellung verschiedener Prinzipienbegriffe vgl. Penski, JZ 1989, 105 ff. Zur Kritik der Abgrenzungsfähigkeit von Regeln und Prinzipien vgl. Jestaedt, in: Festschrift Isensee, 253 (264 f.); Poscher, in: Klatt (Hrsg.), Institutionalized Reason, 218 ff.; ders., RW 2010, 349 (371): Lediglich quantitativer Unterschied. Vgl. auch Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 123, der zwar der Unterteilung in Regeln und Prinzipien folgt, jedoch nur einen graduellen Unterschied annimmt und insofern der strikten Trennungsthese Alexys widerspricht. 826 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 303. Erst die Einbeziehung von Prinzipien ermöglicht eine Entscheidungsgrundlage für alle denkbaren Fälle. Wenn demnach im Einzelfall Regeln fehlen, so kann die Entscheidung dennoch durch Prinzipien geleitet werden, mit der Folge, dass das Fehlen konkreter Normen nicht zwangsläufig zu reinem Dezisionismus führt, vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, 81 ff. 827 Alexy, ARSP 2009, 151 (165). 828 Alexy, Theorie der Grundrechte, 78 ff.; ders., ARSP 2009, 151 (165); Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff.; Jansen, ARSP Beiheft 66, 1997, 152; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle, 223 ff. Nach dieser Auffassung folgen Regeln und Subsumtion dem deduktiven Modell, wohingegen die Abwägung mit der Gewichtsformel einem arithmetischen Modell folgt, vgl. Alexy, On Balancing and Subsumtion, Ratio Juris 2003, 433 f., 446. Zur Unterscheidung von Abwägung und Subsumtion vgl. Alexy, On Balancing and Subsumtion, Ratio Juris 2003, 433 ff.; ders., Die Natur der Rechtsphiloso-
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zeigt, dass auch Regeln – wie etwa das Gebot des fair and equitable treatment – existieren, die sich nicht durch schlichte Subsumtion anwenden lassen und der weiteren Konkretisierung bedürfen, wobei auch Abwägungsvorgänge von Bedeutung sein können. 829 Nach der Prinzipientheorie handelt es sich bei Prinzipien um Optimierungsgebote, die fordern, dass etwas in einem – relativ zu den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten – möglichst hohen Maße realisiert wird. 830 Es ist demnach ein Merkmal des Prinzips, dass es keine absolute Gültigkeit verlangt, sondern lediglich ein Optimierungsgebot darstellt und im Hinblick auf gegenläufige Prinzipien Einschränkungen erfahren kann.831 Während Prinzipien ihre Rechtsfolgen somit nur prima facie vorsehen und erst durch optimierende Abwägung im Einzelfall zu einer Regel konkretisiert werden, sind Regeln Rechtsnormen, die etwas definitiv gebieten, verbieten oder erlauben. Sie sind in diesem Sinne definitive Gebote. 832 cc) Exkurs: Systemische Integration Von den vorgenannten Konkretisierungsansätzen zu unterscheiden ist die Auslegung völkervertraglicher Normen nach Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK, wodurch das Prinzip der systemischen Integration in den Auslegungskanon Ein-
phie, 19; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 4 ff. Zur Abwägung vgl. unten III 2. 829 Es erscheint daher verfehlt, Subsumtion und Abwägung als von der jeweiligen Normstruktur abhängige Verfahren zu sehen. Vgl. hierzu etwa Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 6 f., demzufolge in die einzelnen Schritte des Subsumtionsvorgangs der Rechtsanwendung jeweils Abwägungsvorgänge integriert sind. Nach dieser Auffassung stellt die Prinzipienabwägung nur einen Teilaspekt der Zub ereitung des Obersatzes, dem ersten Teilschritt im Rahmen des Subsumtionsmodells, dar. 830 Alexy, Theorie der Grundrechte, 75 f. 831 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 53: Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung; Alexy, Theorie der Grundrechte, 81; Bydlinsky, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 52; Vogel, Juristische Methodik, 79 f.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 99. Nach Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 99, ist eine Vorschrift dann ein Prinzip, wenn die Vorschrift einen optimierbaren Zustand ausdrückt und durch mindestens eine andere Vorschrift, welche die gleiche Eigenschaft besitzt, eingeschränkt werden kann, wobei keiner Vorschrift ein absoluter Vorrang zukommt. Vgl. auch Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle, 65 f.; ders., Zur Abwägungsfähigkeit von Prinzipien, 205, der darauf verweist, dass Optimierungsgebote selbst Regeln und somit nicht zur Charakterisierung von Prinzipien geeignet seien. Daher seien Prinz ipien zum Zwecke ihrer Abwägung(sfähigkeit) nicht als bereits relativierte (d.h. ihr Abwägungsergebnis bereits enthaltende) Optimierungsgebote, sondern als unrelativiertes Sollen zu verstehen. 832 Alexy, Theorie der Grundrechte, 76, 88; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle, 68.
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zug hält.833 Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine direkte Anwendung von Rechtsnormen anderer Rechtsgebiete, sondern (lediglich) um eine Form der Auslegung. 834 Dieser Auslegungsmaxime liegt die Annahme zugrunde, dass alle völkerrechtlichen Abkommen Teil eines völkerrechtlichen Rechtssystems sind und vor diesem Hintergrund ausgelegt werden müssen. Ein Hauptanliegen hierbei ist, der Fragmentierung des Völkerrechts entgegenzuwirken und Widersprüche zwischen einzelnen Rechtsmaterien zu vermeiden. Die Frage, ob und inwiefern dieser Auslegungsgrundsatz darüber hinaus einen Beitrag bei der Konkretisierung von Generalklauseln leisten kann, ist dagegen mit Zurückhaltung zu beantworten. So wird diese Auslegungsmaxime vereinzelt mit der Konkretisierung der Generalklausel des fair and equitable treatment in Verbindung gebracht.835 Dabei gilt es jedoch zunächst zu beachten, dass diese Form der Auslegung für sämtliche Vertragsnormen gilt und somit gerade keine Besonderheit für den Umgang mit Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment darstellt. Zudem sollte der mögliche Wert einer solchen Auslegung für das internationale Investitionsrecht im Allgemeinen und für die Konkretisierung einer Generalklausel des fair and equitable treatment im Besonderen nicht überschätzt werden. Zunächst ist die Anwendung dieses Auslegungsgrundsatzes auf sämtliche zwischen den Parteien anwendbaren völkerrechtlichen Rechtssätze beschränkt. Selbst wenn man Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK auf die (staatlichen) Vertragsparteien bezieht, 836 so ist der Nutzen für die Konkretisierung einer
833 Vgl. hierzu bereits oben § 5 II. Die englische Version von Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK lautet: „3. There shall be taken into account, together with the context: […] (c) any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties.“ 834 Vgl. Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, 254; van Aaken, Fragmentation, 1 (10): „A distinction has to be drawn conceptually between the application of other (general or special) norms of international law in investment disputes directly on the one hand and the interpretation of investment norms by considering non-investment law, indirectly, mainly through Art. 31 (3) (c) of the Vienna Convention on the Law of Treaties (VCLT) on the other hand.“ Diese Unterscheidung sollte unter anderem auch deshalb beachtet werden, weil das Schiedsgericht bei der Bestimmung und Anwendung des anwendbaren Rechts nicht frei ist, sondern gewissen Regeln bzw. Beschränkungen (z.B. Rechtswahl der Parteien) unterworfen ist, vgl. hierzu oben § 4 IV. 835 Vgl. Sabanogullari, KSzW 2011, 176 (178 ff.); Kläger, Fair and equitable treatment, 101 ff. 836 Bezieht man diese Vorschrift dagegen auf die Streitparteien Staat und Investor, so wäre der Anwendungsbereich der Regel von vornherein stark eingeschränkt, da die meisten völkerrechtlichen Rechtssätze die Rechtsverhältnisse zwischen Staaten und nicht zwischen Staaten und Privaten betreffen. Zu den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des B egriffs „parties“ in Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK, vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 269 ff.;
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Generalklausel gering. So ist Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK keinesfalls auf maßstabbildende Normen beschränkt, sondern umfasst potentiell alle anwendbaren Normen zwischen den Parteien. Verwiesen wird somit potentiell auf sämtliche zwischen den Streitparteien anwendbaren sonstigen Normen des Völkerrechts, welche somit in den Konkretisierungsprozess eingeführt würden.837 Durch einen derart unqualifizierten Verweis wird der Prozess der Konkretisierung nicht angeleitet, nicht konkreter, sondern allenfalls unübersichtlicher. Für maßstabbildende Normen, wie etwa die Verfassung (sofern vorhanden), welche potentiell geeignet wären, den Konkretisierungsprozess anzuleiten, bedarf es des Rückgriffs auf Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK nicht, da diese Maßstäbe aufgrund ihrer Normqualität bzw. ihrer Stellung im Normensystem ohnehin zu berücksichtigen wären. Sofern darüberhinaus systematische Argumente bei der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment von Belang sind, können diese über den klassischen Auslegungskanon berücksichtigt werden. Schließlich ist zu beachten, dass Normen, welche der Teleologie und Systematik und somit den spezifischen Wertungen anderer Teilbereiche des Völkerrechts, etwa des Welthandelsrechts, unterliegen, nicht ohne weiteres als Maßstäbe für die Konkretisierung einer spezifischen Norm des internationalen Investitionsrechts herangezogen werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das vertragliche Investitionsrecht eine Reaktion auf die Defizite des Völkergewohnheitsrechts darstellt, weshalb dessen Normen nicht gleichsam durch die „(Hinter-)Tür“ im Wege der systemischen Integration wieder eingeführt werden sollten. 838 Art. 31 Abs. 3 (c) WVRK mag daher ein Mittel zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und Normkonflikten im Völkerrecht darstellen, wenn auch die Gefahr von Wertungswidersprüchen zwischen dem Gebot des fair and equitable treatment und anderen Normen, etwa des Welthandelsrechts, als gering einzustufen ist und in der bisherigen Schiedspraxis soweit ersichtlich noch nicht aufgetreten ist. Ein spezifisches Mittel zur Konkretisierung von Generalklauseln stellt die systemische Integration hingegen nicht dar.839 vgl. auch Pauwelyn, Fragmentation, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2010, Rn. 30 („disputing parties“). 837 Vgl. hierzu Klabbers, Reluctant Grundnormen: Articles 31 (3) (c) and 42 of the Vienna Convention on the Law of Treaties and the Fragmentation of International Law, in: Craven/Fitzmaurice/Vogiatzi (Hrsg.), Time, History and International Law, 141 (161): „[T]he interpreter can literally include anything – or, as the case may be, exclude things.“ 838 Vgl. McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 7.69. 839 Vgl. allgemein zur Rolle der systemischen Integration bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge McLachlan, The Principle of Systemic Integration and Article 31(3)(c) of the Vienna Convention, 54 ICLQ 2005, 279 ff.; Sabanogullari, KSzW 2011, 176 ff.; Gardiner, Treaty Interpretation, 250 ff. Zur systemischen Integration im Hinblick
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dd) Zusammenfassung Unter den materiellrechtlichen Konkretisierungsansätzen scheidet eine Orientierung an verfassungsrechtlichen Maßstäben aus, da die mögliche Herausbildung einer verfassungsrechtlichen Werteordnung im Wege einer Konstitutionalisierung allenfalls im Anfangsstadium begriffen ist. So kommen vor allem am Gesetzeszweck orientierte Rechtsprinzipien, die dem vertraglichen Investitionsrecht und dem Gebot des fair and equitable treatment zugrunde liegen und deren Teleologie widerspiegeln, in Betracht, um als materiale Leitgedanken die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment anzuleiten. 3. Zwischenergebnis a) Konkretisierungsansätze Betrachtet man die verschiedenen Ansätze zur Konkretisierung von Generalklauseln, so verbindet diese das grundsätzliche Anliegen, einen Beitrag zu einer rationalen und kontrollierbaren Entscheidungsfindung bei der Anwendung besonders unbestimmter Rechtssätze zu leisten. Dazu liefern sie Entscheidungs- und Zurechnungstechniken, die im Idealfall den unvermeidlichen Spielraum subjektiver (schieds)richterlicher Eigenwertung möglichst gering halten und die Nachvollziehbarkeit und rechtliche Überprüfbarkeit getroffener Rechtsentscheidungen sowie deren Rückführung auf Rechtsnormen sicherstellen sollen. 840 Dabei knüpfen die einzelnen Konkretisierungsmethoden an die entsprechenden Ansätze zur Begriffs- und Funktionsbestimmung von Generalklauseln an. Sie sind daher auch ähnlicher Kritik ausgesetzt. Gegenüber legislatorischen Konkretisierungsansätzen im Sinne „judikativer Regelbildung“ lässt sich einwenden, dass das Gebot des fair and equitable treatment keine Ermächtigung des Schiedsgerichts enthält, Recht zu setzen. Die Rechtsprechungs- und Begründungstätigkeit der Schiedsgerichte erfolgt innerhalb der anzuwendenden Norm, hier innerhalb des Gebots des fair and equitable treatment, und somit intra legem. Das Schiedsgericht hat auf die Auslegung des Gebots des fair and equitable treatment Kläger, Fair and equitable treatment, 101 ff. Zur Abwägung als möglicher Technik der systemischen Integration Kleinlein, German Law Journal 2011, 1141 (1157 ff.). Zur systemischen Integration als möglicher Demokratisierungsstrategie von Bogdandy/Venzke, German Law Journal 2011, 1341 (1351 ff.). 840 Vgl. Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 12; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 31; Müller, Richterrecht, 47: Methode als Entscheidungs- und Zurechnungstechnik unter dem rechtfertigenden Anspruch der Bindung an das tatsächliche Recht; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 158 f.; Heinrich, Formale Gleichheit und materiale Gerechtigkeit, 319 f.
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den Auftrag, diese Vertragsnorm im Einzelfall zu konkretisieren. Weitergehende Befugnisse, etwa zur Rechtsetzung, verleiht die Generalklausel dem Schiedsgericht hingegen nicht. Eine „Flucht in die Delegation“ macht es sich zu einfach und wird weder dem Postulat der Normbindung noch der Natur der Streitentscheidung gerecht und läuft letztlich auf eine Scheinrationalisierung des bisherigen „Fallrechts“ hinaus. Präjudizienorientierte Ansätze, insbesondere in Form der Fallgruppenbildung, stellen die in der Praxis des Investititionsschiedsgerichte bevorzugte Herangehensweise zur Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment dar. So hat die Orientierung an Fallgruppen der Schiedspraxis gewisse Anhaltspunkte für den praktischen Umgang mit dieser Norm geliefert. Doch ist auch diese Methode Einwänden ausgesetzt, unter anderem deshalb, weil sie gerade in schwierigen Fällen, in denen der (Schieds-)Richter keine einschlägigen Maßstäbe in Form von Präjudizien vorfindet, nicht weiterhilft. Auch in diesen Fällen muss der (Schieds-)Richter eine an rechtlichen Maßstäben orientierte Entscheidung treffen und diese rational begründen können. Zudem ist dieser Ansatz dem Vorwurf ausgesetzt, dass die Maßstäbe zur Lösung des Falles aus früheren Entscheidungen und damit allenfalls indirekt aus der zu konkretisierenden Norm abgeleitet werden. Vorzugswürdig erscheinen dagegen innerrechtliche Ansätze. Zwar scheidet für das internationale Investitionsrecht eine Orientierung am Maßstab einer Verfassung (vorerst) aus. Dagegen bietet sich eine prinzipienorientierte Konkretisierung an, durch welche die hinter den positiven Regelungen liegende Teleologie des Rechtsgebiets verwirklicht wird. So liegt in jeder Konkretisierung vom Allgemeinen hin zur konkreten Einzelfallentscheidung ein eigener Wertungsakt, bei dem das allgemeinere Prinzip leitend wirkt. 841 Die Berücksichtigung der der Norm des fair and equitable treatment zugrundeliegenden Prinzipien ermöglicht dabei die Berücksichtigung der vertraglichen Grundwertungen und trägt auf diesem Weg zur Bindung an die Entscheidung des Normgebers – hier der Vertragsstaaten – auch im Bereich vager Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment bestmöglich verwirklicht wird. Im Hinblick auf die Problematik inkonsistenter Rechtsprechung 842 fördern übergeifende Prinzipien als einheitliche konkretisierungsleitende Maßstäbe843 841
Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 69. Vgl. hierzu § 10. 843 Vgl. Müller-Graff, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 140: Prinzipien als „Wegweisungen“ und „Leitplanken“ für eine vorhersehbare Anwendung von Generalklauseln in der Praxis; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 203: Prinzipien als „richtunggebende Maßstäbe“; Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 72: allgemeine systemtragende Grundwertungen; Esser, Grundsatz und Norm, 80: Prinzipien als „Konturen der Lösung“ (wenn auch nicht die Lösung selbst). 842
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Konsistenz und Kohärenz der Einzelfallentscheidungen untereinander und tragen somit – auch ohne institutionelle Änderungen etwa im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit – dazu bei, Wertungswidersprüche zu vermeiden oder diese zu verringern.844 Dies gilt auch für schwierige Fallgestaltungen, für die (noch) keine (schieds)gerichtlich entschiedenen Vergleichsfälle vorliegen: In diesen Fällen sorgen Prinzipien für rechtliche Maßstäbe, an denen sich die Schiedsgerichte ausrichten können, was dem Bestreben, auch im Offenheitsbereich zu einer rational begründeten Entscheidung zu gela ngen, entgegen kommt. Durch die Orientierung an stets denselben Prinzipien wird zudem Gleichbehandlung neuer Fallkonstellationen mit den bereits entschiedenen Fällen gefördert. 845 Aus dem spezifischen Kollisionsverhalten von Prinzipien folgt die Notwendigkeit der Abwägung; diese folgt einem Abwägungsgesetz und trägt somit zur Strukturierung des Abwägungsvorgangs und somit der Rationalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses insgesamt bei.846 Der Abwägungsvorgang ermöglicht eine bessere Offenlegung und Bewertung der Interessen und Rechtsfolgeerwartungen der Parteien (in diesem Fall von Staat und Investor) als dies bei Verwendung detaillierterer Regelungen möglich wäre. Diese den Prinzipien inhärente Flexibilität, verbunden mit der formalen Struktur der Abwägung, ermöglicht einen rationalen, auf die Gewährleistung individualisierender Gerechtigkeit gerichteten Prozesses der Generalklauselkonkretisierung.847 Dies erfordert keine schematische, sondern eine den Besonderheiten des Einzelfalls entsprechende differenzierte Behandlung der Positionen des Investors sowie des Gaststaates. Die dabei bestehenden Auslegungs- und Bewertungsspielräume, welche unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit zu Bedenken Anlass geben können, stellen sich unter dem Gesichtspunkt individualisierender Gerechtigkeit tendentiell als Vorteil dar. Die Gefahr richterlicher Willkür und mangelnder Vorhersehbarkeit tritt demgegenüber in den Hintergrund, vorausgesetzt, die im Einzelfall vorgenommenen Bewertungen werden offengelegt und die
844
Vgl. MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, 152 ff.; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 57; Müller-Graff, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 140; Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze, 105 f. Speziell zum Investitionsrecht Schill, Multilateralization, 280. 845 Metzger, Allgemeine Rechtsgrundsätze, 105. 846 Vgl. Jansen, ARSP Beiheft 66, 1997, 152 ff.; Klatt/Meister, Proportionality, 50; dies., Verhältnismäßigkeit als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, 159 (173): Formale Struktur der Abwägung rationalisiert die Entscheidungsfindung wie auch die Argumentation im ganzen. Vgl. hierzu unten III 2. 847 Vgl. Auer, Materialisierung, 55 f.
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Prinzipienabwägung erfolgt in nachvollziehbarer, rational begründbarer Weise.848 b) Konkretisierungsmaßstäbe Den beiden erstgenannten Konkretisierungsmethoden ist gemein, dass es sich bei Fallvergleich und Delegation grundsätzlich um inhaltsneutrale, formalprozedurale Zurechungs- und Entscheidungstechniken handelt, die für sich genommen keine inhaltlichen Konkretisierungsmaßstäbe enthalten.849 Um jedoch eine Fallgruppenzuordnung oder eine Regelbildung im Rahmen des Delegationsansatzes vornehmen zu können, bedarf es inhaltlicher Maßstäbe, welche den Konkretisierungsvorgang anleiten, weshalb die genannten Konkretisierungsansätze inhaltlicher Maßstäbe bedürfen und auf diese zurückgreifen.850 So greifen beispielsweise präjudizienorientierte Konkretisierungsansätze auf inhaltliche Kriterien zurück. Der einfache Fallvergleich wie auch der Vorgang des distinguishing bzw. der Übertragung der ratio decidendi laufen letztlich auf die Frage hinaus, ob der zu beurteilende Fall anderen Fällen gleichzubewerten ist. Hierfür kommen neben grammatischen und systematischen Erwägungen insbesondere teleogische Kriterien in Betracht. 851 848
Vgl. Auer, Materialisierung, 55 f. Zur Übertragung des Prinzipienmodells auf das internationale Investitionsrecht und die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vgl. unten III. 849 Vgl. Auer, Materialisierung, 156: inhaltsneutrale Verfahrensregeln. Dies gilt letztlich auch für die formale Struktur der Abwägung im Rahmen der prinpienorientierten Konkretisierung, vgl. unten III 2. 850 Hinsichtlich des Fallvergleichs vgl. etwa Vogel, Juristische Methodik, 145 ff., 165 f.; Zippelius, Methodenlehre, 76; ders., Rechtsphilosophie, 280; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 331 f.; Raisch, Juristische Methoden, 167; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 180 f.; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 171; hinsichtlich des Delegationsansatzes vgl. etwa Röthel, Normkonkretisierung, 132 ff., 144 ff., 151, 163. Ähnlich auch die Erkenntnis, dass die formallogische Struktur des Syllogismus nicht ohne externe Rechtfertigung (der zur internen Rechtfertigung benutzten Prämissen) auskommt, vgl. hierzu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 273 ff., 283 ff. Zur Übertragung dieses Modells auf andere formale Strukturen wie etwa die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, vgl. Klatt/Schmidt, Epistemic Discretion in Constitutional Law, 10 International Journal of Constitutional Law 2012, 69 ff. 851 Vgl. Vogel, Juristische Methodik, 166: „Wie jeder Fall- und Typenvergleich […] beruht ‚distinguishing„ auf der wertenden Beurteilung und Zuordnung der Tatsachen zum Recht […] Maßstab hierfür sind vor allem Sinn und Zweck des Gesetzes“; Raisch, Juristische Methoden, 167: Rechtsanwender muss an jeden Einzelfall mit den Kanones herangehen; Zippelius, Methodenlehre, 76; ders., Rechtsphilosophie, 280: „Wo der mögliche Wortsinn und die logischen und historischen Auslegungskriterien eine Wahl lassen, läuft die Auslegung oft auf die Frage hinaus, ob der vorliegende problematische Fall unter dem Gesichtspunkt des Gesetzeszweckes gleich zu bewerten ist, die zweifelsfrei der Norm
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Auch der auf dem Delegationsgedanken basierende Ansatz der „gebundenen (judikativen) Regelbildung“ benötigt inhaltliche Maßstäbe. Dabei spielt die Auslegung eine wichtige Rolle. So stellen die Auslegungsgrundsätze innerhalb dieses Ansatzes die Methode zur „Verwirklichung der Gesetzesbindung der Normkonkretisierung“ 852 und somit zur „Bestimmung der Delegationsgrenzen sowie der sonstigen Grenzen, die der judikativen Regelbildung von der geschriebenen Rechtsordnung gezogen werden.“ 853 Während die grammatische Auslegung zwar durchaus Anhaltspunkte liefere, aber insgesamt von geringerer Bedeutung sei, stelle die systematisch-teleologische Auslegung ein „Instrument der Normkonkretisierung“ dar.854 Somit greift die Theorie judikativer Regelbildung auf die Auslegungsgrundsätze zurück, wobei der Schwerpunkt auf systematisch-teleologischen Kriterien liegt, die im Rahmen von Auslegung und Abwägung die erforderlichen Wertungsmaßstäbe liefern. Bydlinski zufolge spielt der Auslegungskanon eine zentrale Rolle bei der Konkretisierung von Generalklauseln. Während die wörtliche Auslegung nur „vage erste Hinweise“ und die historische Auslegung „kaum konkretere Vorstellungen und Zielsetzungen ‚des Gesetzgebers„“ ergebe, komme vor allem die systematisch-teleologische Auslegung in Frage, welche „die inhaltliche Präzisierung der Generalklausel durch Heranziehung aller sachlich aufschlußreichen Normen, rationes legis und Rechtsprinzipien, die überhaupt einschlägig sind“ anleite. 855
unterfallen. So findet sich eine Strukturverwandschaft zwischen Auslegung und fallrechtl icher Methode“; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 180 f.: Fallvergleich verlangt nach Bewertungskriterien, die der Fallvergleich als solcher nicht hergibt, weshalb auf systematisch-teleologische Erwägungen zurückzugreifen ist; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 331 f.: Heranziehung der Auslegungsgesichtspunkte bei der Entscheidung der Frage, ob ein für bestimmte Fallgruppen entwickelter Rechtssatz auch auf weitere Fallgruppen anwendbar ist; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 171: Vergleich des zu entscheidenden Falles mit einem Präjudiz setzt eine wertende Entscheidung voraus. 852 Röthel, Normkonkretisierung, 132. 853 Röthel, Normkonkretisierung, 133. 854 Röthel, Normkonkretisierung, 134 ff. Neben der Bestimmung der Grenzen der judikativen Regelbildung komme den Auslegungsargumenten im Rahmen der Normkonkretisierung die Rolle von „Argumentformen“ zu, durch welche das Konkretisierungsergebnis begründet und diskutiert werden könne und somit zu einer größeren Rationalität der konkretisierenden Regelbildung führe, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 144. 855 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 583. So auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 327. Nach Schmalz, Methodenlehre, 115, sind bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln stets die Umstände des Einzelfalles „unter dem Aspekt des Normzwecks zu würdigen“; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 152, betont für die „Konkretisierung wertausfüllungsbedürftiger Generalklauseln“ die Bedeutung der systematischen Auslegung. Vgl. auch von Savigny, System des heutigen römi-
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Nach Müller und Christensen umfasst der Auslegungskanon die verschiedenen „Elemente der Normkonkretisierung“. 856 Als Mittel der Textinterpretation stehen sie im Dienst der (von den Autoren als Normerzeugung verstandenen) Normkonkretisierung. 857 Im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln komme dem grammatischen Argument dabei aufgrund der geringeren Indizwirkung des Wortlauts eine eingeschränkte Bedeutung zu. 858 So erfordert die Konkretisierung von Generalklauseln (hier: des Gebots des fair and equitable treatment) inhaltliche Maßstäbe, an der sich die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall orientieren kann. Die formalen Konkretisierungsmethoden enthalten jedoch keine inhaltlichen Maßstäbe.859 Um diese Lücke zu schließen und um die im Einzelfall erforderlichen Bewertungskriterien zu erhalten, stützen sich die meisten Ansätze im Wesentlichen auf den bekannten Auslegungskanon. 860 861 Der Auslegungskanon ist somit auch im Rahmen der verschiedenen Methoden der Generalklauselkonkretisierung von zentraler Bedeutung. Neben der – trotz sprachlicher Unbestimmtheit schen Rechts, 228, demzufolge bei Unbestimmtheit des Gesetzeswortlauts auf den inneren Zusammenhang des Gesetzes sowie den Gesetzeszweck abzustellen ist. 856 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 74 ff., 269 ff., 476. 857 Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 304. 858 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 279, 281; Schmalz, Methodenlehre, 114. 859 Zu der vergleichbaren Problematik für die Abwägung im Rahmen der prinzipienorientierten Konkretisierung, vgl. unten III 2. 860 Weitergehend Alexy, der zu der (für den Justisyllogismus entwickelten, aber auf die Abwägung übertragbaren) externen Rechtfertigung, d.h. zur Begründung der Richtigkeit der in der internen Rechtsfertigung benützten Prämissen, sämtliche einleuchtenden Argumente (Argumentformen) zulassen will, darunter allerdings auch die Kanones der Auslegung, vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 283 ff.; ders. Theorie der Grundrechte, 144 f. Nach Hart, The Concept of Law, 123, sind die Kanones der Auslegung nicht hinreichend, da sie ihrerseits interpretationsbedürftig sind. Vgl. auch Auer, Materialisierung, 83 f., die, unter Verweis auf die historisch zufällige Entstehung des klassischen Auslegungskanons im 19. Jahrhunderts, darauf hinweist, dass es keine Bindung an einen bestimmten Auslegungskanon geben könne; entscheidend sei allein die Überzeugungskraft der juristischen Argumentation. Allerdings wird man in den Auffassungen Alexys und Auers keinen Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung finden können, wenn man wie hier davon ausgeht, dass dem Auslegungskanon und innerhalb dessen insbesondere systematisch-teleologischen Argumentformen eine besondere Überzeugungskraft im Begründungsdiskurs (im Sinne Alexys) zukommen und somit eine vorgehobene Bedeutung im Rahmen des Konkretisierungsvorgangs einnehmen. Dies gilt auch, weil diese Kriterien trotz eines vagen Wortlauts der Norm in besonderem Maße dazu beitragen, die Wertungen des Gesetzgebers (hier: der Staaten) zu verwirklichen und somit die Normbindung des Entscheiders (hier: des Schiedsrichters) sicherzustellen. 861 Dies gilt auch für die Abwägungsentscheidung im Rahmen der prinpienorientierten Konkretisierung, die ebenfalls externer Maßstäbe bedarf, welche der formalen Struktur der Abwägung nicht zu entnehmen sind. Auch hier sind letztlich die Argumentformen des Auslegungskanons, vor allem jene teleologischer Art, von Bedeutung, vgl. unten III 2.
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der Generalklausel – zu beachtenden Indizwirkung des Wortlauts 862 kommen hier neben systematischen vor allem teleologische Argumente zum Zuge. c) Konkretisierung und Auslegung Hieraus ergeben sich Konsequenzen für das Verhältnis von Auslegung und Konkretisierung. 863 So stehen Auslegung und Konkretisierung in materieller Hinsicht in keinem Exklusivitätsverhältnis zueinander. 864 Der Konkretisierungsvorgang wird 862
Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 134 f.: Auch bei konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit liefert der natürliche Wortsinn einen gewissen Rahmen bzw. Anhaltspunkte; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 277 ff. („Grenzfunktion des Wortlauts“), 281; Nowak, Generalklauseln, 4: Generalklauseln enthalten durch ihre Formulierungen bestimmte Anhaltspunkte; Kramer, Juristische Methodenlehre, 57, 80 („Indizwirkung des Wortlauts“); Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 334 f.: Generalklauseln sind keine Leerformeln und liefern für die Konkretisierung einen sachlichen Wertungsrahmen, innerhalb dessen vor allem die materialen Prinzipien den Konkretisierungvorgang maßgeblich anleiten; auch die Abgrenzung gegenüber anderen Konzepten erfolgen zunächst über den Wortlaut. Vgl. hierzu auch § 9 II (die Abgrenzung des Gebots des fair and equitable treatment gegenüber dem Grundsatz pacta sunt servanda erfolgt auch über den Wortlaut). 863 Zur Auslegung oben § 5. 864 Zum Verhältnis von Auslegung und Konkretisierung existieren verschiedene Auffassungen. So wird teilweise die Auslegung, bei der es um die Erfassung des Inhalts der der Entscheidung zugrundezulegenden Rechtsnorm anhand von Wortlaut, der Wille des Gesetzgebers, die Systematik des Gesetzesumfelds und der Zweck der Norm geht, dem Vorgang der Konkretisierung gegenübergestellt, etwa indem von „Konkretisierung statt Ausl egung“ (Müller, Juristische Methodik, 7. Aufl., 1997, 186) oder von „Sinngebung“ statt „Sinndeutung“ (Huber, Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, 132) die Rede ist. Nach Vogel stößt die Auslegung bei Generalklauseln wie etwa der des § 138 BGB an ihre Grenzen, weshalb es „vielmehr einer Konkretisierung [bedarf]“ (Vogel, Juristische Methodik, 98). Demgegenüber zeigt sich bei den meisten Konkretisierungsansätzen, dass die Auslegung Bestandteil der Konkretisierung ist und eine mehr oder minder bedeutende Rolle im Rahmen des Konkretisierungsvorgangs einnimmt. So ist die Normkonkretisierung bei Röthel zwar (im Gegensatz zur gesetzesakzessorischen Rechtserkenntnis der Auslegung) „gebundenen Regelbildung“. Dennoch sind auch bei dieser Modellvorstellung der Normkonkretisierung die klassischen Argumentformen der Auslegung von besonderer Bedeutung, indem sie die Gesetzesbindung der Normkonkretisierung verwirklichen, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 125, 132 ff. Neben einem „legislatorischen“ umfasse die Normkonkretisierung ein „interpretatorisches“ Verfahren, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 125. Taupitz, demzufolge rechtliche Konkretisierung „Regelbildung“ ist und daher nicht von einer „Auslegung“ unbestimmter Gesetzesbegriffe gesprochen werden könne, konzediert, dass es unmöglich ist, „eine präzise Grenze zwischen der richterlichen Auslegung und der richterlichen Fortbildung des Rechts ziehen zu wollen“, vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1103. Nach dieser Ansicht gehören unter anderem der Gestzeszweck und der Systemzusammenhang zu den Kriterien, welche dem Richter bei der Ausbildung der die Entscheidung tragenden Norm die Richtung vorgeben, ibid., 1107. Bei
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(im Anschluss an das zuvor unter b) ausgeführte) im Wesentlichen von denselben inhaltlichen Kriterien angeleitet wie die Auslegung auch. So sind es neben systematischen in erster Linie teleologische Argumente, auf die im Prozess der Konkretisierung zurückgegriffen wird. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung kommt jedoch auch dem grammatischen Argument zu, indem es zumindest den äußeren Rahmen absteckt und der Konkretisierung eine (grobe) Richtung vorgibt. Der Auslegungskanon ist daher zentral für die Generalklauselkonkretisierung und es wäre somit verfehlt, den Kanones der Auslegung, wie sie für das
Hesse sind die konventionellen Auslegungsmethoden im Rahmen der Normkonkretisierung von Bedeutung, da sie zur Erfassung des in der zu konkretisierenden Norm enthaltenen Normprogramms dienen, vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 68. Auch bei Bydlinski ist die klassische Auslegung „zentral“ für die Konkretisieriung von Generalklauseln, wenn auch dem Wortlaut und der historischen Auslegung im Vergleich zur systematisch-teleologischen Auslegung kaum eine Bedeutung zukomme, vgl. Bydlinski, Juristische Methodik, 583. Nach Looschelders und Roth ist Konkretisierung „ein wesentliches Ziel der Auslegung“, vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 92. Seiler versteht „Norminterpretation als schöpferische[n] Akt der Normkonkretisierung“, vgl. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 38. Selbst im Rahmen von Müllers Theorie der Normkonkretisierung als „Normtextkonstruktion“ stellt die Auslegung einen wichtigen Teilaspekt des Konkretisierungsvorgangs dar. So ist die Auslegung auch hier ein Teilaspekt der Nor mkonkretisierung, indem sie das Normprogramm als offenlegt; hinzu tritt die Konkretisi erung über sog. Normbereichselemente, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 36 f., 74 ff., 250 f., 476. Wank zufolge stellt die Konkretisierung gegenüber der Auslegung weder formal noch inhaltlich ein besonderes Verfahren dar, vgl. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 134, 147. Für Riehm ist die (prinzipienorientierte) Konkretisierung bzw. Ausfüllung unbestimmter Rechtsnormen im Wege der Abwägung nur ein Teil der Obersatzbildung durch Gesetzesauslegung, die wiederum nur einen Teilschritt des Subsumtionsmodells darstelle, vgl. Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 7. Vesting (Rechtstheorie, 100) unterscheidet das „herkömmlicherweise dem rechtswissenschaftlichen Positivismus zugeschriebene ‚Anwendungs- und Subsumtionsmodell„ auf der einen Seite und das im Anschluss an die juristische Hermeneutik des 20. Jahrhunderts formulierte ‚Konkretisierungsmodell„ auf der anderen Seite“. Bei Vesting ist „objektivrechtliche Grundrechtsinterpretation […] Rechtsproduktion durch Normkonkretisierung“, vgl. Vesting, Von der liberalen Grundrechtstheorie zum Grundrechtspluralismus, 9, 16; Nach Brugger ist die Auslegung ein wichtiger Bestandteil „des weiterreichenden Ziels der Konkretisierung des Rechts“. Letztlich gehe es, unabhängig von der Bezeichnung als Auslegung, Interpetation oder Konkretisierung, um die „Sinnklärung“ von Normen, vgl. Brugger, AöR 119 (1994), 1 f. Zum Verhältnis von Auslegung und Konkretisierung vgl. zudem auch Röthel, Normkonkretisierung, 130 ff.; Zippelius, Methodenlehre, 97 ff.; Vesting, Rechtstheorie, 99 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 144 ff.; Schmidt, Konkretisierung, 29 f.; Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 38 ff. und passim.
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internationale Vertragsrecht in Art. 31 WVRK aufgeführt sind,865 jegliche Bedeutung für die Konkretisierung von Generalklauseln abzusprechen.866 Weiterhin ist fraglich, wie sich das Verhältnis von Auslegung und Konkretisierung in formaler Hinsicht beurteilt. Ordnet man die Auslegung in das formallogische Begründungsmodell richterlicher Entscheidungen in Form des juristischen Syllogismus, d.h. die Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Rechtsnorm zur Ableitung einer konkreten Rechtsfolge, ein, so betrifft Auslegung den Teilaspekt der Aufbereitung des Obersatzes, woraufhin die Zuordnung des konkreten Sachverhalts als Unterssatz (als eigentlicher Schwerpunkt der Rechtsanwendung 867) erfolgen kann.868 Demgegenüber umfasst der Prozess der Konkretisierung den gesamten Vorgang (des Inbezugbringens von Ober- und Untersatz) zur Hervorbringung der Rechtsfolge im jeweiligen Einzelfall.869 So wird Konkretisierung in methodischer Hinsicht als ein Prozess wechselseitiger Annäherung von Norm und Fall, ein „Hin- und Herwandern des Blicks“ zwischen Tatbestand und Sachverhalt, bezeichnet. 870 Zur Überbrückung der Kluft zwischen Norm und Sachverhalt ist daher in einem Prozess wechselseitiger Annäherung „von beiden Seiten auszugehen“. 871 865
Hierzu oben § 5. Skeptisch gegenüber dem Nutzen der in Art. 31 WVRK enthaltenen Auslegungsmethoden für die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment hingegen Kläger, Fair and equitable treatment, 45 („underdetermination of the general rules of interpretation“): „In conclusion, it appears that the interpretative tools provided by Article 31 of the VCLT are of little value for the identification of the concrete meaning of fair and equitable treatment.“ 867 Larenz, Methodenlehre, 278. 868 Im Rahmen der Subsumtion wird der Obersatz durch den Rechtssatz gebildet (z.B. das Gebot des fair and equitable treatment von Investor und Investition), während der Untersatz durch die Unterstellung des Sachverhalts unter diesen Rechtssatz als ein Fall desselben gebildet wird. Bei Generalklauseln fehlt bereits ein hinreichend präziser, subsumtionsfähiger Obersatz. Vgl. hierzu bereits oben I 1. 869 Nach engerer Ansicht betrifft Konkretisierung (ebenso wie die Auslegung) die Zub ereitung des Obersatzes, vgl. etwa Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 7. Nach dieser Ansicht bestünde in formaler Hinsicht nicht einmal ein quantitativer Unterschied zwischen Auslegung und Konkretisierung. 870 Engisch, Logische Studien, 15, 23; ebenso Larenz/Canaris, Methodenlehre, 29; Zippelius, Methodenlehre, 98; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 87: Wechselseitige Zuordnung von Sachverhalt und Norm; Fikentscher, Methoden des Rechts, IV, 186: Konkretisierung als Annäherung von fallentscheidender Norm und Sachverhalt. Vgl. auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl 71 ff., demzufolge Anwendung zugleich Auslegung und Auslegung zugleich Anwendung ist. 871 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 92 f. So beschreibt bei Fikentscher „Konkretion“ den Vorgang der Gewinnung subsumtionsgeeigneter (Fall-)Normen, welcher durch hermeneutische Verdichtung von Norm und Fall und einer immer enger werdenden 866
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Während diese Annäherung nach überwiegender Auffassung dazu dient, etwa durch das Einschieben von zunehmend konkreteren Unternormen letztlich eine Subsumtion unter den seinerseits aufbereiteten Sachverhalt zu ermöglichen, 872 wird vereinzelt vertreten, dass im Rahmen der Konkretisierung Auslegung und Anwendung in einem einheitlichen Vorgang derart miteinander verwoben seien, dass es zu einer unauflöslichen „Verschlingung“ 873 von Rechts- und Tatfrage, von Sein und Sollen komme. Neben Kaufmanns Theorie der hermeneutischen Verdichtung 874 ist hier vor allem Müllers Vorstellung von der Normkonkretisierung als Normkonstruktuktion 875 zu nennen. Norm- und Fallbezogenheit gekennzeichnet ist, vgl. ibid., 198. Je unbestimmter die Gesetzesnorm ist, desto länger ist dieser hermeneutische Zirkel, durch den die Fallnorm herauspräpariert wird, vgl. ibid., 201. Dieser Prozess gelangt mit Erreichen der Fallnorm zum Stillstand, ibid., 201 („Abbruch des hermeutischen Zirkels an einer bestimmten Stelle des Erkenntnisgangs zwischen Norm und Sachverhalt“). Die Fallnorm ist somit „die letztmögliche Konkretion des Normativen angesichts der Sachverhaltsbestandteile“, ibid., 202. 872 Vgl. etwa Zippelius, Methodenlehre, 98; Engisch, Logische Studien, 23; ders., Einführung, 8; Fikentscher, Methoden des Rechts IV, 207. 873 Dieses Bild benutzt (in der Sache ablehnend) Zippelius, Methodenlehre, 99. Vgl. dagegen jedoch Kaufmann nach dessen Theorie der hermeutischen Verdichtung es im Wege der gegenseitigen Annäherung von Norm und Sachverhalt zu einer „unlösbaren[n] Strukturverschlingung von Sein und Sollen“ kommt, vgl. Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, 46. Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, 135 f. 874 Vgl. hierzu die vorige Fn. 875 So wird bei Müller die Normkonkretisierung zur „Normkonstruktion“, bei der die anzuwendende Norm nicht der Anwendung vorausliege, sondern im Konkretisierungsprozess vom Rechtsanwender erst geschaffen werde. Konkretisierung bezeichne „nicht das Verengen einer gegebenen allgemeinen Rechtsnorm auf den Fall hin, sondern das Erzeugen einer allgemeinen Rechtsnorm im Rahmen der Lösung eines bestimmten Falles“ (Müller, Richterrecht, 47). Dabei gehe es bei der Normkonkretisierung im Sinne einer „Normkonstruktion“ darum, dass der „hier zentrale Begriff der Normkonkretisierung […] nicht positivi stisch als ‚Subsumtion„, ‚Syllogismus„ oder ‚Anwendung„ mißzuverstehen“ sei; vielmehr gehe „es bei juristischer Fallösung um Normkonstruktion“ (Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 37). Hiermit werde „der Gesetzespositivismus verabschiedet“ und „die Rechtsnorm als tragender Leitsatz der Entscheidung vom Rechtsarbeiter jeweils erst hergestellt“ (Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 208). Gesetzesbindung beziehe sich daher „nicht auf Anwendung der Rechtsnorm, sondern als Disziplinierung und Erschwerung der Herstellung der Rechtsnorm.“ Zwar betont auch Müller die Notwendigkeit der wechselseitigen Annäherung von Normtext und Sachverhalt (Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 208. Hier wird deutlich, dass auch im Rahmen dieser Theorie der konkr etisierenden Normerzeugung der Normtext für den Konkretisierungsvorgang von Bedeutung ist. So stelle der Normtext das „Eingangsdatum des Konkretisierungsvorgangs“ dar (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 253). Zudem komme dem Normtext eine „Grenzfunktion“ zu, die verletzt sei, wenn die formulierte Entscheidungsnorm, mithin der Endpunkt des Konkretisierungsvorgangs, „nicht bestimmten Normtexten […] methodisch zugerechnet werden könne“ (Müller/Christensen, Juristische Methodik I, 277)). Der Unterschied gegenüber den meisten anderen Konkretisierungstheorien besteht jedoch darin, dass
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Demgegenüber wird zu Recht betont, dass Normkonkretisierung, trotz eines unvermeidlichen Anteils an (schöpferischer, nicht jedoch rechtsschöpferischer876) Eigenwertung im Prozess der Rechtsanwendung, im Kern auf den Nachvollzug gesetzgeberischer Wertungen ausgerichtet ist, wodurch die Norm – hier: das Gebot des fair and equitable treatment – normativer Ausgangs- und Endpunkt im Prozess der Konkretisierung bleibt. 877 Dies gilt auch für die Entscheidungen internationaler Investitionsschiedsgerichte. 878 Gegenstand der Konkretisierung ist die vorgefundene, nicht die vom (Schieds)Richter geschaffene Norm. 879 Maßstab ist nicht der (Schieds-)Richter, sondern die anzuwendende Norm, 880 die folglich dem Konkretisierungsprozess vorausliegen muss. 881 So wird bei der vom sprachtheoretisch fundierten Regelskeptizismus geprägten Theorie der Normtextkonstruktion Müllers der Rolle des Gesetzgebers insgesamt zu geringe Bedeutung beigemessen.882 Zudem kommt es im Rahmen der Normkonkretisierung trotz Annäherung und wechselseitiger Bedingung von Norm und Sachverhalt nicht zu einer Auflösung des Gegensatzes von Sein und Sollen. 883 es nach diesem Ansatz tatsächlich zu einer Verschleifung von Sein und Sollen kommen soll. 876 So Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 155, 160: Ermittlung des Norminhalts durch produktive (nicht: rechtsproduktive) und schöpferische (nicht: rechtsschöpferische) Auslegung. 877 Heinrich, Formale Gleichheit und materiale Gerechtigkeit, 327. 878 Hierzu bereits ausführlich oben I 3, II 1 b und III 3. 879 Larenz, Methodenlehre, 134. 880 Larenz, Methodenlehre, 133 f. Dies gilt unabhängig vom Bestimmtheitsgrad der vorgefundenen Norm bzw. des Normtextes, also auch bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln, vgl. etwa Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 54. Vgl. auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 160 ff., der darauf verweist, dass die als Normkonstruktion verstandene Konkretisierung aus sich heraus, d.h. ohne Bindung an das Gesetz, kein Maß hat, mithin maß(stabs)los ist. 881 Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 149. Läge die Norm nicht dem Anwendungsprozess voraus, so wäre im Übrigen fraglich, worauf sich die von Müller zu Recht betonte Gesetzesbindung des Konkretisierungsvorgangs (wenn auch nur als Erschwerung der Normherstellung verstanden) beziehen soll, vgl. hierzu auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 150; Larenz, Methodenlehre, 134. 882 Larenz, Methodenlehre, 134; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 158 ff.: Invisibilisierung bzw. Marginalisierung des Gesetzgebers. 883 Zu Recht kritisch zur Verschleifung von Sein und Sollen im Rahmen der Konkretisierung auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 609. Auch bei Fikentscher, in dessen Fallnormtheorie die Annäherung von Norm und Sachverhalt weit vorangetrieben wird, wird die Unterscheidung zwischen Sein und Sollen nicht aufgegeben, die Fallnorm verschmilzt nicht mit dem Sachverhalt, vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts IV, 382: „Da fast jeder Fall vom anderen abweicht, sind Fallnormen sehr weit in den faktischen Bereich, in den zu subsumierenden Sachverhalt vorgeschoben. Trotzdem sind Norm und Sachverhalt nicht das gleiche. Die Fallnorm, so fallzugeschnitten wie auch immer, ist doch Norm
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Insofern bleibt Konkretisierung ein umfassender Vorgang zur Herstellung der Rechtsfolgenanordnung im konkreten Fall, bei dem Auslegung und Anwendung der Norm als integraler Vorgang sich welchselseitig bedingen, ohne dass sich Sein und Sollen auflösen. Versteht man dabei die Auslegung als die Zubereitung des Obersatzes in Anbetracht des Sachverhalts, so kann Auslegung auch in formaler Hinsicht als ein Teil des umfassenderen Vorgangs der Konkretisierung verstanden werden.884 Folgt man diesem Verständnis, so lässt sich auch in formaler Hinsicht kein grundlegender Gegensatz zwischen Auslegung und Konkret isierung feststellen. Unabhängig davon, wie man das Verhältnis von Auslegung und Konkretisierung in formaler Hinsicht beurteilt, bleibt die für den vorliegenden Zusammenhang wesentliche Erkenntnis, dass sich sowohl Auslegung als auch Konkretisierung im Kern auf dieselben inhaltlichen Maßstäbe (teleologischer, systematischer, eingeschränkt auch grammatischer Art) stützen, weshalb die in Art. 31 WVRK erwähnten klassischen Auslegungsmethoden auch im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln – wie hier im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment – ihre Gültigkeit und Berechtigung behalten. Lediglich die angewandte Technik bzw. Methodik (z.B. Fallgruppenbildung, Prinzipienentdeckung und -abwägung) ist gegenüber der einfachen Subsumtion erweitert und der Besonderheit der Generalklausel angepasst.885 und daher allgemein, und somit vom Fall zu unterscheiden.“ Zunächst wird der Obersatz verfeinert bevor es am Ende zu einer „echte[n] Subsumtion im Sinne des Klassensyllogismus“ kommt, ibid., 207. 884 In diesem Sinne könnte man mit Brugger die Auslegung als einen wichtigen Bestandteil „des weiterreichenden Ziels der Konkretisierung des Rechts“ beschreiben, vgl. Brugger, Konkretisierung des Rechts und Auslegung der Gesetzes, AöR 119 (1994), 1. Ähnlich auch Bydlinski, für den die Auslegung „zentral“ für die Konkretisierung ist, vgl. Bydlinski, Juristische Methodik, 583. Ordnet man mit Riehm, Abwägungsentscheidungen in Rechtspraxis, 7, den (prinzipienorientierten) Abwägungsvorgang dem syllogistischen Entscheidungsmodell und in diesem Rahmen der Zubereitung des Obersatzes zu, so könnte man umgekehrt die Konkretisierung als eine Art der Auslegung oder gar als ein (Teil-) Element der Auslegung verstehen. Vgl. hierzu auch Vogel, Juristische Methodik, 176, der darauf verweist, dass das Syllogismus- und Subsumtionsmodel nicht vorschreibt, woher der Obersatz zu nehmen ist, also wie dieser zuzubereiten ist, und wie kreativ die Tatbestandsentfaltung im Rahmen der Sumsumtion sein kann. Desweiteren sei die hermeutische Idee vom „Hin- und Herwandern des Blickes geradezu im Rahmen des Subsumtionsmodells entwickelt worden. 885 Vgl. hierzu auch Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 92, demzufolge für die Konkretisierung von Generalklauseln „grundsätzlich alle juristischen Methoden kombiniert werden [müssen], soweit sie im konkreten Zusammenhang überhaupt ergiebig sind.“ Nach Schmalz, Methodenlehre, 116, enthält das Gesetz, welches Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, „ein stillschweigendes (konkludentes)
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Damit mag die Konkretisierung von Generalklauseln zwar gegenüber der bloßen Subsumtion im Rahmen des Justizsyllogismus besondere Techniken erfordern, um zu einer Rechtsfolgenanordnung für den Einzelfall zu gelangen. Inhaltlich überschneiden sich die Argumentformen: Sowohl die Auslegung als auch die Konkretisierungmethoden greifen auf die bekannten Auslegungsargumente zurück. 886 Besondere Bedeutung haben dabei teleologische Argumente. So ergeben sich aus Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift (hier: des Gebots des fair and equitable treatment) und aus der (durch Prinzipien verkörperten) Teleologie des jeweiligen Rechtsgebiets die wichtigen Konkretisierungsargumente. Zudem muss sich die gefundene Rechtsfolge in die Systematik des jeweiligen Vertragswerks (sowie möglicherweise in die Systematik eines im Entstehen begriffenen (vertraglichen) internationalen Investitionsschutzrechts 887) einfügen. Weiterhin zu beachten ist das grammaAbwägungsgebot für den Einzelfall“. Zur Fallgruppenmethode zur Konkretisierung von Generalklauseln vgl. oben II 2 a. 886 Dabei bezeichnen die Kanones der Auslegung aus diskurstheoretischer Sicht in typisierender Zusammenfassung die Reichweite anerkannter Argumente. Bei Konflikten zwischen diesen Argumenten kommt es auch hier wiederum zur Abwägung, vgl. Canaris, Das Rangverhältnis der „klassischen“ Auslegungskriterien, in: Beuthien u. a. (Hrsg.), Festschrift Medicus, 25 (58 ff.). Vgl. auch Kudlich/Christensen, JA 2004, 74 (75): Kanones der juristischen Auslegung als Argumente zur Begrenzung oder Vermehrung der Bedeutungsmöglichkeiten juristischer Begriffe; Röthel, Normkonkretisierung, 132: Kanones der Auslegung als Argumentationsanleitung; Zippelius, Rechtsphilosophie, 147: Auslegung bedient sich typischer Argumente; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 331: Das Auslegungsverfahren bedeutet die Anwendung bewährter Standardgesichtspunkte; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 301: „Argumentformen“. Speziell im Hinblick auf die internationale Streitbeilegung und die in Art. 31 und 32 WVRK vorgesehenen Argumentformen vgl. von Bogdandy/Venzke, in: dies. (Hrsg.), International Judicial Lawmaking, 477: „Any government and parliament ratifying an international agreement expects and requires that norms be interpreted and developed in accordance with the argumentative rules laid down in Articles 31 and 32 VCLT. The rules of interpretation prescribe how legal decisions can be justified […].“ 887 Generell zum Systemgedanken und zur Einteilung in ein „inneres“ und ein „äußeres“ System des Rechts, vgl. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 132 ff.; Larenz/ Canaris, Methodenlehre, 263 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 19 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 94 ff. Zum Ursprung völkerrechtlichen Systemdenkens, vgl. Kadelbach, ZaöRV 67 (2007), 599 (600 f.). Was die Systemeigenschaft des internationalen Investitionsrechts betrifft, so ist es fraglich, ob man von einem „System“ sprechen kann. So folgt das Investitionsrecht überwiegend einer bilateralen Logik, was gegen die Anna hme eines übergreifenden Systems sprechen könnte. Begreift man zunächst das „äußere System“ als Aufbau und Gliederung des Rechtsstoffes so wird man zumindest ein derartiges System, insbesondere mit Blick auf die kohärente Struktur der Investitionsschutza bkommen, bejahen können. Darüberhinaus bestehen jedoch auch Anzeichen, dass durch die gleichlautenden und überwiegend inhaltsgleichen Investitionsschutzabkommen eine Multilateralisierung des internationalen (vertraglichen) Investitionsschutzrechts stattgefunden hat, was zumindest auf ein in Entstehung befindliches „inneres System“ des internationalen
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tische Argument, welches dem Konkretisierungsprozess einen gewissen Rahmen vorgibt. So wird man dem Begriffspaar „fair and equitable“ nicht jegliche grammatische Bedeutung absprechen können. Zudem lassen sich zum Beispiel Abgrenzungen gegenüber anderen Konzepten aus dem Wortlaut ableiten.888 Schließlich können die dem Gebot des fair and equitable treatment zugrundeliegenden, widerstreitenden Prinzipien zum Teil auch mit dem Wortlaut begründet und auf diesen zurückgeführt werden. 889 Damit bleibt festzuhalten: Die in Art. 31 WVRK erwähnten Auslegungsmethoden behalten ihre Bedeutung auch bei der Konkretisierung investitionsrechtlicher Generalklauseln und insbesondere bei der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, indem sie die wesentlichen Kriterien und Argumentformen für die zu treffende Konkretisierungsentscheidung enthalten. III. Prinzipienorientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment In Anknüpfung an die Ergebnisse des vorigen Abschnitts soll im Folgenden versucht werden, den prinzipienorientierten Konkretisierungsansatz auf das internationale Investitionsrecht, insbesondere im Hinblick auf die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, zu übertragen. Um Möglichkeit und Voraussetzungen einer prinzipienorientieren Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment näher zu untersuchen und zu bestimmen, soll zunächst die Prinzipientheorie auf das Investitionsrecht übertragen, die relevanten Prinzipien identifiziert (1.) und sodann die Voraussetzungen ihrer Abwägung näher bestimmt werden (2.).
(vertraglichen) Investitionsschutzes schließen lässt. Versteht man das innere System als eine teleologische Ordnung von allgemeinen und übergreifenden, gegebenenfalls konfligi erenden und daher in Ausgleich zu bringenden Rechtsprinzipien, dann wird man auch im vertraglichen Investitionsrecht durchaus Ansätze eines derartigen Systems erkennen kö nnen. Vgl. zur Systemqualität des (vertraglichen) internationalen Investitionsrechts auf der Basis annähernd inhaltsgleicher BITs und gemeinsamer Prinzipien (bejahend) Schill, Multilateralization, 372 f. und passim. Vgl. hierzu auch oben § 2 III und § 8. 888 Vgl. oben § 9 II. 889 Vgl. unten III.
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1. Prinzipien und internationales Investitionsrecht – Übertragung der Prinzipientheorie auf das internationale Investitionsrecht a) Prinzipiengewinnung Ob einer Norm Prinzipiencharakter zukommt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. 890 Prinzipien finden zum Teil unvollständig und an unterschiedlichen Stellen der Rechtsordnung Ausdruck durch einfachgesetzliche Normen und erfahren ihre übergreifende Sinngebung erst durch Abstraktion unter Rückgang auf die jeweilige ratio legis. 891 Prinzipien können daher dadurch gewonnen werden, dass ihr Wertungsgehalt in den Regeln des positiven Rechts identifiziert bzw. indem sie als Gemeinsamkeiten aus verschiedenen Regeln abgeleitet werden. 892 Bei diesem Vorgang wird im Wege der Induktion vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen:893 Dabei wird induktiv, zunächst ausgehend von den gesetzlichen Vorschriften, versucht, einen leitenden, gemeinsamen Grundgedanken aufzufinden, von dem die einzelnen Bestimmungen ausgehen. 894 Ein auf diese Weise gewonnenes Prinzip beansprucht dann Geltung für eine unbestimmte Anzahl weiterer Anwendungsfälle.895 890 Dabei ist grundsätzlich eine gewisse Zurückhaltung geboten, zumal in der Praxis vieles „Prinzip“ genannt wird, obwohl es sich lediglich um eine besonders wichtig erscheinende Regel handelt, vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 283; Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: ders. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 217 (225): Eine Norm wird nicht alleine dadurch zum Prinzip, dass sie besonders unbestimmt ist. Zwar hängt – wie hier im Falle des Gebots des fair and equitable treatment – eine Einzelfallentscheidung oftmals in hohem Maße von Prinzipien ab, selbst ist diese Norm aber kein Prinzip. 891 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 240 f. An diesem Punkt zeigt sich die Nähe zur teleologischen Auslegung. Vgl. auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 46: „[E]s gilt also, hinter lex und ratio legis die übergreifende ratio iuris aufzuspüren.“ 892 Prinzipien fassen somit eine einem gemeinsamen Ziel dienende Gruppe von Normen zusammen. Vgl. hierzu Rüthers, Rechtstheorie, 460; Larenz, Richtiges Recht, 27; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 69: „[Entwicklung] allgemeiner Prinzipien aus der sinnhaften Verbindung einzelner Erscheinungen.“ Hier zeigt sich die Nähe zur systematischen Auslegung, durch die gemeinsame Grundgedanken einer Reihe von Vorschriften festgestellt werden. 893 Canaris, Lücken im Gesetz, 97 f. 894 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 455, 460: Induktive Ableitung aus dem positiven Recht bzw. Gewinnung durch systematische Auslegung einer Reihe von Vorschriften; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 485; ders., Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 74 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 46; ders., Lücken im Gesetz, 97 f.: Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine. 895 Vgl. Canaris, Lücken im Gesetz, 97 f.: „Als Mittel der Auffindung solcher allgemeiner Prinzipien des positiven Rechts bietet sich in erster Linie die Induktion. In diesem Zusammenhang ist insbesondere ein Verfahren zu nennen, das meist als Rechtsanalogie bezeichnet wird: Dabei wird aus mehreren gesetzlichen Vorschriften ein gemeinsamer
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Eine normative Letztbegründung von Prinzipien aus dem geltenden Recht ist nicht möglich. 896 Anerkennungsgrund ist ihre Bedeutung und die ihnen innewohnende Überzeugungskraft, mit der sie rechtliche Entscheidungen, nicht zuletzt in schwierigen Fällen, zu rechtfertigen vermögen.897 b) Investitionsrechtliche Prinzipien Betrachtet man die Regelungen der Investitionsabkommen sowie die dahinter liegende Teleologie,898 so wird deutlich, dass sich das vertragliche Investitionsrecht auf seiner abstraktesten Ebene letztlich auf zwei widerstreitende Prinzipien zurückführen lässt. Dabei geht es um den Ausgleich von Investitionsschutz und staatlichen Regulierungsinteressen als Grundanliegen des Investitionsrechts. So steht auf der einen Seite das Bestreben, den Investoren möglichst große Rechtssicherheit durch den Schutz ihrer Investitionen zu gewährleisten.899 Auf der anderen Seite besteht ein grundsätzliches Bestreben, die souveräne Handlungsfreiheit so wenig wie möglich einzuschränken, damit die Gaststaaten durch staatliche Maßnahmen auf nationale oder internationale Herausforderungen reagieren und regulierend tätig werden können.900 So tritt neben den Investorenschutz das staatliche RegulierungsinteGrundgedanke gewonnen, und diesem wird dann der Charakter eines allgemeinen Rechtsprinzips zugesprochen.“ Vgl. für das Common Law eine entsprechende, auf verallgemeinertem Fallrecht basierende und von MacCormick (Legal Reasoning and Legal Theory, 153 f., 232 f.) vertretene Prinzipienlehre. 896 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 95; Dworkin, Taking Rights Seriously, 40, demzufolge die Quelle für Prinzipien der „Sinn für Angemessenheit“ (sense of appropriateness) ist. Die Bedeutung eines Prinzips hängt somit davon ab, dass dieser historisch entwickelte Sinn erhalten bleibt, ibid. 897 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 240, 302: Rechtsethische Prinzipien als richtunggebende Maßstäbe, die aufgrund ihrer eigenen Überzeugungskraft rechtliche Entscheidungen zu rechtfertigen vermögen; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 319 f. Vgl. auch Esser, Grundsatz und Norm, 80: Prinzipien als „Konturen der Lösung“; Müller-Graff, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, 140: Prinzipien als „Wegweisungen“ und „Leitplanken“ für die praktische Anwendung von Generalklauseln 898 Zur Entstehungsgeschichte und Teleologie des vertraglichen Investitionsrechts vgl. auch oben §§ 2 II 1, 3 II, 5 IV, 6 I. 899 Dies korrespondiert insofern mit dem Interesse der Vertragsstaaten eines Investi tionsschutzabkommens, Auslandsinvestitionen zu fördern und potentielle Investitionsstreitigkeiten zu entpolitisieren. 900 Vgl. Markert, Die Kernfrage zukünftiger Abkommen: Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, 243 f.; McLachlan/Shore/Weiniger, International Investment Arbitration, Rn. 1.57 ff.; Tietje, Internationales Investitionsschutzrecht im Spannungsverhältnis von staatlicher Regelungsfreiheit und Schutz wir tschaftlicher Individualinteressen, 5 ff.; ders., Internationaler Investitionsrechtsschutz, Rn. 5: „[Z]u beachten ist, dass es bei Streitigkeiten im Bereich ausländischer Investitionen
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resse als das zweite grundlegende Rechtsprinzip des internationalen Investitionsrechts. Dieser Interessengegensatz zwischen den Polen des Investorenschutzes und der souveränen Regulierungsfreiheit stellt das klassische Spannungsfeld des internationalen Investitionsrechts dar. Alle Regelungen dienen letztlich dem Ausgleich dieser beiden Grundanliegen, welche das gesamte Investitionsrecht durchziehen. 901 Es sind diese beiden grundlegenden Prinzipien des Investitionsrechts, welche bei der Anwendung der Generalklausel des fair and equitable treatment zum Ausgleich zu bringen sind. 902 Bereits aus dieser teleologischen Grundstruktur folgt die Notwendigkeit der Abwägung. Diese Beachtung des Staateninteresses lässt sich auch aus der Norm des fair and equitable treatment selbst ableiten: So erfordert die Vorschrift eine faire („fair“) und angemessene bzw. gerechte („equitable“) Behandlung des Investors und keine einseitige Bevorzugung desselben. Eine derartige Behandlung setzt die Beachtung der Regulierungsinteressen des Gaststaates und deren Einstellung in eine abwägende Betrachtung voraus. 903 immer um das Spannungsverhältnis zwischen […] wirtschaftlicher Interessen des Investors auf der einen Seite und der souveränen Regulierungsfreiheit des Gaststaates im Rahmen seiner territorialen Jurisdiktion auf der anderen Seite geht.“ 901 Dabei ist zu beachten, dass das vertragliche Investitionsrecht sich zwar aus einer Vielzahl von Verträgen zusammensetzt, diese jedoch im Kern vergleichbar sind, vgl. oben § 2 III. Insofern betreffen die hiesigen Feststellungen das vertragliche internationale Investitionsrecht in seiner Gesamtheit. Zur Frage, inwiefern man von einem System des internationalen vertraglichen Investitionsrechts sprechen kann (bejahend) Schill, Multilateralization, 372: „[W]e can understand international investment law as a system that behaves according to uniform rationales and establishes a uniform order for international inves tment relations.“ Die Annahme eines „inneren“ Systems im Sinne eines prinzipienorientierten, teleologischen Systems auf dem Gebiet des internationalen vertraglichen Investitionsrechts scheint daher nicht fernliegend bzw. vertretbar. 902 Vgl. auch Stone Sweet/Grisel, Transnational Investment Arbitration: From Delegation to Constitutionalization?, in: Dupuy/Francioni/Petersmann (Hrsg.), Human Rights in International Investment Law and Arbitration, 118 (130): „What is important for our purposes is that the FETS [fair and equitable treatment standard] organizes an approach to the kind of disputes […] between (1) an investor‟s right […] and (2) the State‟s legitimate interest in regulating for the public good […]. Using the FETS in this way pushes tribunals toward balancing.“ 903 Vgl. auch Francioni, Transnational Investment Arbitration: From Delegation to Constitutionalization?, in: Dupuy/Francioni/Petersmann (Hrsg.), Human Rights in International Investment Law and Arbitration, 63 ff., demzufolge ein Investor, der den Schutz seiner Investition in Anspruch nehme, auch gegenüber der Bevölkerung des Gaststaates unter den Grundsätzen von fairness und equity fairness verantwortlich sei („the investor who seeks equity for the protection of his investment must also be accountable under the principles of equity and fairness towards the host state population affected by the investment“). Ob man aus dem Gebot des fair and equitable treatment tatsächlich eine Verpflichtung gegenüber dem Gaststaat ableiten kann, erscheint jedoch zweifelhaft. Vorzugs-
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Das staatliche Regulierungsinteresse drückt sich indes in verschiedenen Formen aus, wie in der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Umweltschutz, Gesundheit, Kulturgüterschutz, Sozialpolitik. Kodifizierungen staatlicher Regulierungsinteressen durch spezifische Vorschriften in Investitionsschutzabkommen sind jedoch selten und kommen nur im Ausnahmefall vor. 904 Dies ist unschädlich und aufgrund der Nachteile der Kodifikation in Form der Einzelfallmethode auch nicht wünschenswert,905 zumal die staatlichen Regulierungsinteressen im Regelfall im Rahmen der prinzipienorientierten Einzelfallabwägung innerhalb der Generalklausel ohnehin zu berücksichtigen sind.906 Diese widerstreitenden Prinzipien sind im Einzelfall mit Hilfe des Abwägungsgesetzes im Sinne praktischer Konkordanz in Einklang zu bringen. 907 So fordern die Prinzipien des Investitionsrechts im Sinne des Optimierungsgebots jeweils eine Verwirklichung in möglichst hohem Maße. Sowohl die Regulierungsfreiheit als auch der Investorenschutz beschreiben keine feststehenden Zustände, die entweder erreicht oder nicht erreicht werden können, sondern graduell verwirklicht werden können. Beide Grundpositionen können miteinander kollidieren und sich gegenseitig beschränken. Die Aufgabe des würdig erscheint die Annahme einer Verpflichtung des Gaststaates, deren Konkretisierung im Einzelfall sich in Abwägung der Prinzipien des Investoren- und Investitionsschutzes einerseits und der Beachtung staatlicher Regulierungsinteressen vollzieht. 904 In manchen BITs haben diese Kategorien der Verfolgung staatlicher Interessen auch ausdrücklichen Niederschlag gefunden, vgl. Markert, Die Kernfrage zukünftiger Abkommen: Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, 243 (246 ff. m.w.N). 905 Hierzu oben I. Für eine spezifische Festschreibung staatlicher Regulierungsinteressen dagegen Markert, Die Kernfrage zukünftiger Abkommen: Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, 243 (257 ff.). Markert begründet dies damit, dass ohne eine spezifische Festlegung die Gefahr besteht, dass durch eine invest orenfreundliche Auslegung, welche den telos der Investitionsschutzabkommen einseitig am Investorenschutz orientiert, staatliche Regulierungsinteressen möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt würden. Dem sollte jedoch eine prinzipiengeleitete Konkretisierung bzw. Abwägung entgegenwirken, so dass eine (ohnehin aussichtslose) Kodifikation des Einzelfalls weder erforderlich noch sinnvoll erscheint. Zu den Vor- und Nachteilen der Festschreibung staatlicher Regulierungsinteressen bei der Aushandlung von Abkommen von Walter, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen: Herausforderungen für den völkervertragsrechtlichen Investitionsschutz, 239 (240 f.). 906 Vgl. Markert, Die Kernfrage zukünftiger Abkommen: Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, 243 (253): „Dabei sind die meisten BITSchutzstandards derart weit gefasst, dass die Berücksichtigung staatlicher Reguli erungsinteressen bei einer Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Schutzstandards ohne weiteres möglich erscheint. […] Auch der Standard der gerechten und billigen Behandlung ist derart unbestimmt gefasst, dass die Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen die Behandlung eines Investors als ‚gerecht„ oder ‚billig„ erscheinen ließe.“ 907 Vgl. hierzu unten 2.
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Schiedsgerichts ist es, das relative Rangverhältnis zwischen den Grundpositionen des Investorenschutzes und der Regulierungsfreiheit im Wege der Abwägung für jeden Einzelfall neu zu bestimmen und zu begründen. c) Abgrenzung gegenüber den Fallgruppen Das Entdeckungsverfahren der Prinzipien verläuft, wie gesehen, vom Besonderen zum Allgemeinen, wodurch das verbindende Prinzip gewissermaßen die Überschrift zu den darunterfallenden Normen darstellen könnte. Daher erscheint es zweifelhaft, wenn nicht gar verfehlt, wenn vereinzelt die in der Spruchpraxis entwickelten Fallgruppen des Gebots des fair and equitable treatment zu Prinzipien dieser Norm erklärt (bzw. überhöht) werden.908 Zwar leiten Prinzipienargumente bei methodengerechtem Vorgehen die Konkretisierung des Gebots des fair and equiatble treatment an, woraus sich im Laufe der Zeit durch Systematisierung der Einzelfallentscheidungen im Wege der Induktion Fallgruppen ergeben können;909 während die Prinzipien (Investitionsschutz, staatliche Regulierungsfreiheit) jedoch eine Abstrahierung des Gebots des fair and equitable treatment darstellen, stellen die Fallgruppen (wie z.B. Schutz legitimer Erwartungen, Gewährung eines faires Verfahren, Transparenzgebot) Konkretisierungen des Gebots dar.910 Das Gebot des fair and equitable treatment stellt gewissermaßen die Überschrift bzw. das verbindende Thema zu den vergleichsweise konkret(er)en Fallgruppen dar (und nicht umgekehrt). Die in der Praxis herausgeformten Fallgruppen beinhalten nicht die tragenden Leitmotive des internationalen Investitionsrechts, sondern betreffen vielmehr einzelne Aspekte bzw. Konkretisierungen des Gebots des fair and equitable treatment.911 Das Gebot des fair and equitable treatment lässt sich z.B. nicht auf die verfahrensrechtliche Garantie des due process zurückführen, wohl aber lässt sich due process als spezielle Ausprägung des Gebots des fair and equitable treatment des Investors begreifen. Darüber hinaus wäre fraglich, worin das Abwägungspotential zwischen den (als Prinzipien verstandenen) Fallgruppen bestehen soll. So findet die erforderliche Abwägung nicht zwischen den einzelnen Fallgruppen, sondern
908 So aber Behrens, Towards the Constitutionalization of International Investment Protection, ArchVR 45 (2007), 153 ff. Ebenso Kläger, Fair and equitable treatment, 154 ff. 909 Hierzu oben § 9 und § 11 II. 910 Zu den Fallgruppen vgl. oben §§ 7, 9 sowie zur Kritik am Vorgehen nach dieser Methode vgl. oben II. 911 Darüber hinaus können die Fallgruppen in Einzelfällen auch Aspekte anderer Schutzstandards darstellen, wie etwa der Schutz legitimer Erwartungen auch beim Schutz vor Enteignungen eine Rolle spielt, vgl. oben § 9 I.
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vielmehr zwischen den Polen des Investorenschutzes und des staatlichen Regulierungsinteresses statt. 912 Ein Ansatz, welcher die gefundenen Fallgruppen einer Norm, hier des Gebots des fair and quitable treatment, zu Prinzipien der zu konkretisierenden Norm erklärt bzw. überhöht, verkehrt somit Besonderes und Allgemeines bei der Entdeckung von Prinzipien: Die Fallgruppen dienen der Konkretisierung der Generalklausel, 913 nicht ihrer Abstrahierung. 2. Abwägung a) Der Abwägungsvorgang Die Auflösung von Prinzipienkollisionen erfolgt im Wege der Abwägung, d.h. durch die Optimierung kollidierender Prinzipien. 914 Das Spannungsverhältnis zwischen Prinzipien, wie hier zwischen staatlicher Handlungsfreiheit und Investorenschutz, ist nicht im Sinne eines absoluten Vorrangs eines Prinzips zu lösen, sondern durch Abwägung der widerstreitenden Prinzipien im konkreten Einzelfall. 915 Dabei ist der Vorrang des einen Prinzips vor dem anderen anhand der Umstände des Einzelfalles zu begründen. Unter anderen Fallumständen kann die Vorrangfrage umgekehrt zu lösen sein.916 Die Abwägungsentscheidung besteht somit zu einem erheblichen Teil darin, einzelfallbezogene Vorrangrelationen zu bilden, diese offenzulegen und zu begründen.917 Aus dem besonderen Kollisionsverhalten von Prinzipien folgt ein Abwägungsgesetz im Sinne eines Optimierungsgebots. Die Abwägung ist demnach so vorzunehmen, dass die beteiligten Prinzipien (hier: Investitionsschutz 912 Möglich ist hingegen, dass sich die Abwägung auch innerhalb der Fallgruppe, mithin auf der nächsten Konkretisierungsstufe, fortsetzt. 913 Man könnte die Fallgruppen auch als das vorläufige Ergebnis einer prinzipienorientierten Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment unter Abwägung staatlicher und privater Investoren begreifen. So gesehen sind die Fallgruppen bereits das Ergebnis einer Konkretisierung. 914 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 78 ff. Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 7, definiert die Entscheidungsform der Abwägung im weiten Sinn als „das Sammeln, Gewichten und wertende Vergleichen zwischen verschi edenen Alternativen“, wohingegen die Abwägung im engen Sinn die „spezifische Form der Rechtsanwendung für den Fall der Kollision von Rechtsprinzipien“ darstellt. 915 Alexy, Theorie der Grundrechte, 80, 84. Vgl. auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 99: „Zusammengefasst ist eine Vorschrift genau dann ein Prinzip, wenn sie einen optimierbaren Zustand ausdrückt, durch mindestens eine Vorschrift mit gleicher Eigenschaft eingeschränkt werden kann und keiner der Vorschriften ein absoluter Vorrang zukommen soll.“ 916 Alexy, Theorie der Grundrechte, 81; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 217 (231). 917 Alexy, Theorie der Grundrechte, 84.
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und souveräne Handlungsfreiheit) in einem relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten in einem relativ hohen Maße realisiert werden. 918 Prinzipien können in konkreten Fällen unterschiedliche Gewichte haben und das Prinzip mit dem im jeweiligen Einzelfall größeren Gewicht geht vor. 919 Das Abwägungsgesetz besagt: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips, desto größer muss Wichtigkeit und Erfüllung des anderen sein.“ 920 Die praktische Umsetzung der Abwägung erfolgt über die Begründung der Präferenzrelation. 921 Danach hängt die rationalitätsfördernde Wirkung der Abwägung bzw. ihres Ergebnisses letztlich vom Umfang und der Überzeugungskraft ihrer Begründung im Einzelfall ab. Die Abwägungslehre tritt damit nicht mit dem Anspruch auf die einzig richtige Abwägung an, sondern die in der Abwägung vorgenommenen Wertungen müssen transparent gemacht und offengelegt werden.922 Eine Begründung der Entscheidung wird dabei bereits durch die einschlägigen Prozessordnungen gefordert. 923 Je weniger dabei die Entscheidung im 918 Hier zeigt sich auch der Zusammenhang zwischen der Prinzipientheorie und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da der Prinzipiencharakter den Verhältnismäßigkeit sgrundsatz impliziert, Alexy, Theorie der Grundrechte, 100 ff. 919 Alexy, Theorie der Grundrechte, 79. Zur Dimension des Gewichts von Prinzipien vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, 26 f. 920 Alexy, Theorie der Grundrechte, 146; ders., Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Schilcher et al. (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 31 (36). 921 Da die Prinzipien keine definitiven, sondern lediglich prima facie Gebote enthalten, stellen sie lediglich Gründe dar, die durch gegenläufige Gründe ausgeräumt werden k önnen. Ein Prinzip ist überspielt, wenn dem gegenläufigen Prinzip im zu entscheidenden Fall ein größeres Gewicht zukommt, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 88 f. 922 Hierin besteht ein Unterschied gegenüber Dworkins „One Right Answer Thesis“, wonach für richterliche Entscheidungen und somit auch Prinzipienkollisionen stets eine einzig richtige, rationale Lösung existiert, vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, 105 ff., 279 ff.; ders., A Matter of Principle, 119 ff. Zur Unerfüllbarkeit des Anspruchs vollständiger Rationalisierbarkeit des Abwägungsvorgangs und zur Unhaltbarkeit der „One Right Answer Thesis“ Auer, Materialisierung, 88. 923 Vgl. Art. 52 Abs. 1 (e) ICSID-Konvention („failure to state reasons on which [the award] was based“); Art. 56 Abs. 1 IGH-Statut („The judgment shall state the reasons on which it is based“); § 1059 Abs. 2 Nr. 1 (d) ZPO (Aufhebungsgrund des vorschriftswidrigen Verfahrens; dieser umfasst auch die fehlende Begründung des Schiedsspruchs, vgl. hierzu Raeschke-Kessler/Berger, Recht und Praxis des Schiedsverfahrens, Rn. 963). Vgl. zum nationalen Prozessrecht auch § 313 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO; § 267 StPO; § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Vgl. auch Prinzip 23.2 der ALI /UNIDROIT‟S Principles of Transnational Civil Procedure („The judgment should be accompanied by a reasoned explanation of the essential factual, legal, and evidentiary basis of the decision“). Zum Begründungserfordernis als Teilaspekt eines fairen Verfahrens nach Art. 6 (1) EMRK vgl. etwa Hodges, The relevance of Article 6 of the European Convention on Human Rights in the context of arbitration proceedings, 10 International Arbitration Law Review 2007, 163 (166). Zum
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Rechtstext angelegt ist, desto wichtiger wird die Offenlegung der zugrundeliegenden Wertungsmaßstäbe und desto aufwendiger werden juristische Begründung und Argumentation. b) Kritik Gegen die Abwägung als dem eigentlichen Kernstück der Prinzipientheorie wird eingewandt, sie stelle keine Methode dar, welche eine rationale Kontrolle ermögliche, da Prinzipien ihre Abwägung nicht selbst regelten und letztere somit in das Belieben des Abwägenden gestellt werde;924 dies öffne Raum für (schieds)richterlichen Subjektivismus und Dezisionismus. 925 Die Interessenabwägung gehöre zwar zum unverzichtbaren methodischen Instrumentarium bei der Anwendung von Generalklauseln. Inhaltlich sei für die Konkretisierung aber kaum etwas gewonnen, da die Methode als solche keine materiellen Kriterien vorgebe und vorgeben könne. 926 So wichtig es sei, die betroffenen Interessen und Prinzipien zu identifizieren und im Lichte des Einzelfalls zu gewichten, so wenig könne die rein prozedurale Technik der Interessenabwägung Maßstäbe für die Gewichtung vorgeben. 927 Die Vorrangbedingungen seien schon das Ergebnis, wobei offen bleibe, wie man zu dem Ergebnis geBegründungserfordernis aus Sicht und Folge des Transparenzgrundsatzes vgl. Peters, in: Cassese, Realizing Utopia, 118 (133 f.). Zum Begründungserfordernis in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vgl. etwa Alvarez/Reisman, in: dies. (Hrsg.), The Reasons Requirement in International Investment Arbitration, 1 ff.; Fauchald, The Legal Reasoning of ICSID Tribunals – An Empirical Analysis, 19 EJIL 2008, 301 ff.; Lalive, On the Reasoning of International Arbitral Awards, 1 Journal of International Dispute Settlement 2010, 55 ff. Vgl. hierzu auch oben § 3 II 2 b. 924 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 315 f.; Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift Bundesverfassungsgericht, 2001, 445 (460). Voßkuhle, Das Transparenzprinzip, 47 f., verweist auf Mißtrauen, welches der Abwägung aufgrund von Wertungsspielräumen und Unwägbarkeiten entgegengebracht werde. Vertreter der Prinzipientheorie räumen ein, dass die Abwägung als Verfahren nicht immer zwingend in jedem Fall zu einem Ergebnis führt, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 143; ders., VVDStRL 61 (2002), 7 (22): Strukturelle Abwägungsspielräume. 925 Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift Bundesverfassungsgericht, 2001, 445 (460); Leisner, NJW 1997, 636 ff. Zum Dezisionismusargument vgl. auch Langenbucher, ARSP 2002, 398 ff. Zu den zuvor genannten Einwänden Alexy, Theorie der Grundrechte, 143 ff. 926 Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 88: „Prinzipien stellen Gründe dar, die durch gegenläufige Gründe ausgeräumt werden können. Wie das Verhältnis zwischen Grund und Gegengrund festzusetzen ist, wird durch das Prinzip nicht entschieden. Prinzipien entbehren deshalb eines Festsetzungsgehalts im Blick auf gegenläufige Prinzipien und tatsächliche Möglichkeiten.“ 927 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 654: „Jede Abwägung läuft auf ein Werturteil hinaus.“ Zur Gewichtung von Prinzipien im Rahmen der Abwägung Jansen, ARSP Beiheft 66, 1997, 152 (164 ff.).
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lange, weshalb die Prinzipientheorie das Problem der Abwägung neu formuliert, aber nicht gelöst habe.928 c) Stellungnahme Dem ist zuzugestehen, dass Abwägungen als solche nicht inhaltlicher, sondern rein prozeduraler Natur sind, und daher weiterer externer Bewertungskriterien bedürfen, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Die Abwägung als solche enthält, ähnlich den zuvor erörterten Konkretisierungsansätzen (präjudizienorientierte Ansätze, Delegation),929 als formale Struktur keine maßstabbildenden inhaltlichen Kriterien, die jedoch erforderlich sind, um im Einzelfall zu einem Ergebnis zu gelangen. 930 931 Dennoch trägt die strukturierte Vorgehensweise im Rahmen der methodisch-formalen Entscheidungsstruktur der Abwägung zur Rationalität und Gleichgerechtigeit der Rechtsanwendung und somit des Entscheidungsprozesses bei.932 So ermöglicht der regelgeleitete Abwägungsprozess die Offenlegung der Entscheidungsgründe und sorgt dadurch für einen nachvollziehba928 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 662. Kritisch zur Abwägung auch Jestaedt, in: Klatt (Hrsg.), Institutionalized Reason, 152 ff. (mit Erwiderung von Alexy, in: Klatt (Hrsg.), Institutionalized Reason, 332 f.). Für einen Überblick über die verschiedenen gegen die Abwägung vorgebrachten Einwände, vgl. Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 46 ff. 929 Vgl. oben II 3 a. 930 Auer, Materialisierung, 156, bezeichnet daher alle prozeduralen Ansätze zur Generalklauselkonkretisierung, darunter auch die Abwägung, als „inhaltsneutrale Verfahrensr egeln“. Vgl. auch Kramer, Juristische Methodenlehre, 268 f.: Gewichtung muss vom Richter selbst vorgenommen und begründet werden; Röthel, Normkonkretisierung, 150: „Tatsächlich stellt das Konzept der Abwägung als solches keine festgefügten materiellen Entscheidungsmaßstäbe zur Verfügung, sondern erschöpft sich in der Anweisung, die berührten Interessen und Güter gegenüberzustellen und zu gewichten.“ 931 Dies sollte beachtet werden, wenn wie vereinzelt der Fall für den Bereich des Investitionsrechts und insbesondere für das Gebot des fair and equitable treatment allgemein auf ein (oftmals nicht näher bezeichnetes) Erfordernis der (Interessen-)Abwägung bzw. des „balancing (of interests)“ verwiesen wird, vgl. oben 1 b. Speziell zum Gebot des fair and equitable treatment in letzter Zeit vgl. etwa UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 14 f. 932 Koch, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Erbguth et al. (Hrsg.), Festschrift Hoppe, 9 (20): Gewinn an Rationalität durch strukturierte Abwägung; Klatt/Meister, Verhältnismäßigkeitsprinzip als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, 159 (173); Kumm, Constitutional Rights as Principles, International Journal of Constitutional Law 2004, 574 (579): Abwägung (im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) als „analytische Struktur“; Röthel, Normkonkretisierung, 150: „[D]ie methodisch-formale Entscheidungsstruktur der Abwägung trägt […] zur Rationalität von Rechtsbildungsprozessen bei: Abwägung bedeutet strukturierte Problembewältigung.“ Generell zur Rationalität als Leitbild des internationalen Wirtschaftsrechts Dolzer, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, VI, Rn. 37.
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ren und überprüfbaren Begründungszusammenhang zwischen den Gründen und dem Ergebnis der Entscheidung. 933 So kann zwar durch Abwägung und Begründung die Wertentscheidung, die auch hier am Ende der Abwägung steht, nicht zwingend abgeleitet, aber durch Verfahren und die Benennung von Gründen, die hierdurch kontrollierbar und kritisierbar werden, zumindest verbessert werden. 934 Ein nicht weiter rationalisierbarer Entscheidungsspielraum bleibt immer bestehen; dieser wird jedoch auf ein Minimum reduziert. 935 Rationales Entscheiden in diesem Sinne bedeutet die Offenlegung und nachvollziehbare Begründung des jeweiligen Werturteils bzw. der moralischen Argumente, welche zur Begründung der Präferenzrelation im Einzelfall angeführt werden, wodurch Kritik und Überprüfung (im prozessuallen Sinne: Anfechtung) der Entscheidung bzw. des Schiedsspruchs erst ermöglicht oder zumindest erleichtert werden.936 Dem Dezisionsmodell der Abwägung kann daher ein Begründungsmodell der Abwägung gegenübergestellt werden.937 Wichtig ist dabei eine nachvollziehbare Begründung der Präferenzentscheidung, wodurch eine hinreichende Basis für eine Rationalitätskontrolle des Entscheidungsvorgangs gegeben ist.938 Da inhaltliche Vorgaben für die Abwägung fehlen, ist man neben dem 933
Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 101 f. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 654. Vgl. auch Klatt/Meister, Verhältnismäßigkeit als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, 159 (173): „Die außerordentlich erhebliche Leistung der formalen Struktur der Verhältnismäßigkeit und der Abwägung besteht gerade darin, mit großer Klarheit diejenigen Prämissen aufzuzeigen, die extern gerechtfertigt werden müssen. […] Man kann sagen, dass eine Entscheidungsbegründung umso klarer und rationaler ist, je expliziter die moralischen Argumente eines Falles herausgearbeitet werden. Formale Strukturen wie Verhältnismäßigkeit und Abwägung können genau diese Aufgabe wesentlich erleichtern; sie fördern damit die Rationalität der verfassungsmäßigen Argumentation insgesamt.“ 935 Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 50; Zippelius, Rechtsphilosophie, 150 f.; Alexy, VVDStRL 61 (2002), 7 (22): Strukturelle Abwägungsspielräume. Zur Feststellung, dass Rechtsanwendung stets einen gewissen Anteil an Eigenwertung bzw. Dezisionismus umfasst vgl. etwa Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 178; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 109 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 19 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 314 f.; Pfeiffer, Zuständigkeit und Gerechtigkeit, 63: Recht und Wertung niemals völlig zu trennen. 936 Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 50; dies., Verhältnismäßigkeit als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, 159 (173); Schillig, Konkretisierungskompetenz, 179. 937 Alexy, Theorie der Grundrechte, 144. 938 Alexy, Theorie der Grundrechte, 144: „Eine Abwägung ist rational, wenn der Präferenzsatz, zu dem sie führt, rational begründet werden kann.“ Die Begründung der Vorrangbedingung ist der rationalen, nachvollziehbaren und überprüfbaren Argumentation zugänglich und unterfällt somit nicht der freien Willkür des Entscheiders, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 146. Dabei liefert die Argumentationstheorie (i.S.d. Diskurstheorie) einen hilfreichen Rahmen, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das gefundene Abwägungser934
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Abwägungsgesetz, welches den Abwägungsvorgang strukturiert, 939 auf die Theorie der rationalen Argumentation angewiesen, bei der insbesondere der gesamte Kanon der Auslegungsregeln und -argumente zur Verfügung steht. 940 Letztlich sind dies auch hier vornehmlich systematisch-teleologische Kriterien, wie sie insbesondere in den materialen Leitgedanken der Prinzipien verkörpert werden. 941 Die formale Anweisung für sich genommen garantiert indes noch keine rationale Entscheidung. Vielmehr muss diese in der (Schieds-)Praxis befolgt und umgesetzt werden, indem die der (Abwägungs-)Entscheidung zugrunde gelegten Präferenzen und Wertungen in jedem Einzelfall tatsächlich offengelegt und begründet werden, damit diese nachvollziehbar, kontrollierbar und kritisierbar werden. 942
gebnis vernünftig (und in diesem Sinne „richtig“) ist, vgl. hierzu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 304. Nach der Diskurstheorie ist eine normative Aussage vernünftig und daher „richtig“, wenn ihr in Anlehnung an die Konsenstheorie die potentielle Zusti mmung aller Diskursteilnehmer erhält, Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 146. Ähnlich auch Zippelius, Rechtsphilosophie, 151: „In Gerechtigkeitsfragen, die regelmäßig Berwertungen, insbesondere die Gewichtung kollidierender Zwecke und Interessen einschließen, kann das argumentierende Denken nur darauf zielen, den breitestmöglichen Konsens zu gewinnen, also zu einem Ergebnis zu gelangen, das für das Rechtsgewissen möglichst vieler akzeptabel ist.“ Zum System der Diskursregeln für einen rationalen praktischen Diskurs bzw. zu einer rationalen juristischen Argumentation Alexy, Idee und Struktur eines vernünftigen Rechtssystems, 30 ff.; ders., Theorie der juristischen Argumentation, 221 ff., 273 ff. 939 Hierzu gehört auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (i.e.S.), der letztlich einen speziellen Fall der (strukturierten) Abwägung beschreibt, vgl. oben § 9 V 1 b. 940 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 662; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 58. So begegnet Alexy der vorgenannten Kritik durch sein Begründungsmodell, demzufolge die Abwägung rational ist, wenn die hieraus gewonnene Vorrangrelation rational begründet werden kann. Das Prinzipienmodell daher ergänzt durch eine Theorie der juristischen Argumentation, die sagt, wie unter Zugrundelegung der beiden Ebenen eine rational begründete Entscheidung möglich ist, vgl. Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, 217 (233). Demnach könne eine Prinzipienkollision nicht durch freie Dezision des Rechtsanwenders aufgelöst werden. Vielmehr habe der Rechtsanwender auf der Basis der Argumentationslastregeln die Richtigkeit seines Abwägungsergebnisses zu begründen, wodurch insgesamt eine rationale Abwägung gewährleistet werde, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 143. 941 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 151; Zippelius, Methodenlehre, 52 ff. Bei der Prinzipienabwägung besteht insofern die Besonderheit, dass die Prinzipien als Ausdruck von System und Telos des jeweiligen Rechtsgebietes, für das sie relevant sind, im Rahmen der Prinzipienabwägung über den formal-prozeduralen Abwägungsvorgang hinaus auch als materiale Leitgedanken im Prozess der Abwägungsbegründung von Bedeutung sind. 942 Klatt/Meister, The Constitutional Structure of Proportionality, 50; Röthel, Normkonkretisierung, 150. Ist dies nicht der Fall, so bleibt Abwägung in der Tat dezisionistisch, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 150.
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d) Anwendung Die Festsetzung der Präferenzrelation erreicht das Schiedsgericht durch Argumentation, wobei die Kanones der Auslegung den Rahmen zulässiger Argumente vorgeben. Neben dem grammatischen Element, welches den Rahmen vorgibt,943 spielen insbesondere systematisch-teleologische Argumente eine Rolle.944 Das Abwägungsgesetz liefert die Struktur der Abwägung. Das Schiedsgericht muss argumentativ die Betroffenheit der beiden Prinzipien, ihre Erfüllung und Wichtigkeit bestimmen und die kollidierenden Prinzipien zum Ausgleich bringen. Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden widerstrebenden Prinzipien der staatlichen Handlungsfreiheit und des Investorenschutzes ist im Rahmen der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment im konkreten Einzelfall zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen und die Wertpräferenzen sind offenzulegen. Dabei ist der Vorrang des einen Prinzips vor dem anderen anhand der Umstände des Einzelfalles zu begründen. Unter anderen Fallumständen kann die Vorrangfrage umgekehrt zu lösen sein. 945 Die Abwägungsentscheidung besteht somit zu einem erheblichen Teil darin, einzelfallbezogene Vorrangrelationen zu bilden und zu begründen. 946 Diese Prinzipienabwägung setzt sich auch innerhalb der Fallgruppen, den sog. „kleinen Generalklauseln“, die man auch als prinzipienorientierte Ableitungen aus dem Gebot des fair and equitable treatment begreifen kann,947 fort. Denn auch letztere sind noch zu unbestimmt, um im Wege einfacher Subsumtion zu einem Ergebnis zu gelangen. So sagen die Fallgruppen der „legitimen Erwartungen“ oder des „fairen Verfahrens“ nichts darüber aus, ob im konkreten Fall ein Verstoß gegen das berechtigte Vertrauen des Investors oder die Verfahrensgarantien vorliegt oder nicht. Erst eine prinzipienorien943
So liefert, wenngleich in geringerem Maße als die anderen Auslegungsmethoden, auch der Wortlaut Argumente für die Begründung der Auslegungsentscheidung, vgl. hierzu etwa Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 334 f.: Generalklauseln sind keine Leerformeln und liefern für die Konkretisierung einen sachlichenWertungsrahmen, innerhalb dessen vor allem die materialen Prinzipien den Konkretisierungvorgang maßgeblich anleiten. 944 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, 151; Zippelius, Methodenlehre, 54 ff. 945 Alexy, Theorie der Grundrechte, 81; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, 217 (231). 946 Alexy, Theorie der Grundrechte, 84. 947 So weisen zwar die Begründungen der Schiedssprüche wie auch die Fallgruppenmethode insgesamt, vgl. oben II 1 a, gewisse Defizite auf. Dennoch können die in der Praxis der Schiedsgerichte intuitiv, d.h. ohne nähere methodengerechte Ableitung und Begründung gefundenen Fallgruppen auch als normative Ableitungen aus dem Gebot des fair and equitable treatment verstanden werden. So ist es auch mittels prinzipienorientierter Konkretisierung durchaus möglich und begründbar, zu Fallgruppen wie dem Schutz legitimer Erwartungen oder eines fairen Verfahrens zu gelangen. Vgl hierzu oben Fn. 770.
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tierte Abwägung zwischen den Polen des Investorenschutzes und der staatlichen Regulierungsfreiheit kann ein solches Ergebnis im Einzelfall ermöglichen. Die fortschreitende Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment vollzieht sich daher stets mit Blick auf die beiden vorgenannten Prinzipien. Ein solches Vorgehen ist bereits in der Rechtsprechung der Schiedsgerichte angeklungen. Im Fall Saluka vertrat das Schiedsgericht die Auffassung, dass die Frage, ob eine Verletzung des Gebots fairer und gerechter Behandlung vorliegt, sich als Ergebnis einer Abwägung zwischen den legitimen und vernünftigen Erwartungen des Investors und den Regulierungsinteressen des Staates ergebe:948 „The determination of a breach of Article 3.1 [fair and equitable treatment] by the Czech Republic therefore requires a weighing of the Claimant‟s legitimate and reasonable expectations on the one hand and the Respondent‟s legitimate regulatory interests on the other.” 3. Zwischenergebnis Im Rahmen der prinzipienorientierten Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment sind die widerstrebenden Prinzipien des Investorenschutzes und der souveränen Regulierungsfreiheit der Gaststaaten im Einzelfall abzuwägen. Diese widerstreitenden Prinzipien sind im Einzelfall mit Hilfe des Abwägungsgesetzes im Sinne praktischer Konkordanz in Einklang zu bringen. 949 So fordern die Prinzipien des Investitionsrechts im Sinne des Optimierungsgebots jeweils eine Verwirklichung in möglichst hohem Maße. Sowohl die Regulierungsfreiheit als auch der Investorenschutz beschreiben keine feststehenden Zustände, die entweder erreicht oder nicht erreicht werden können, sondern graduell verwirklicht werden können. Beide Prinzipien können miteinander kollidieren und sich gegenseitig beschränken. Aus der Prinzipiennatur beider Prinzipien folgt daher die Notwendigkeit der Abwägung und der 948
Saluka Investments B. V. v. Czech Republic, Partial Award, 17.3.2006, Rn. 305 f.: „305. No investor may reasonably expect that the circumstances prevailing at the time the investment is made remain totally unchanged. In order to determine whether frustration of the foreign investor‟s expectations was justified and reasonable, the host State‟s legitimate right subsequently to regulate domestic matters in the public interest must be taken into consideration as well. As the S.D. Myers tribunal has stated, the determination of a breach of the obligation of “fair and equitable treatment“ by the host State „must be made in the light of the high measure of deference that international law generally extends to the right of domestic authorities to regulate matters within their own borders.‟ 306. The determination of a breach of Article 3.1 by the Czech Republic therefore requires a weighing of the Claimant’s legitimate and reasonable expectations on the one hand and the Respondent’s legitimate regulatory interests on the other.“ (Hervorh. d. Verf.) 949 Vgl. hierzu oben 2.
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Festsetzung eines Vorrangverhältnisses, einer Präferenzrelation der kollidierenden Prinzipien für den jeweiligen Einzelfall. Die Aufgabe des Schiedsgerichts ist es, das relative Rangverhältnis zwischen den beiden kollidierenden Prinzipien im Einzelfall zu bestimmen. Hieraus folgt insgesamt, dass das Anwendungsmodell der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment in erster Linie das Abwägungsmodell ist.950 Eine begriffliche Konkretsierung im Wege der einfachen Subsumtion ist hingegen, wie gesehen, kaum möglich. 951 Dabei erzeugt die methodengerechte Abwägung ein Maß an argumentativer Transparenz und Überzeugungskraft, welche anderen Formen der Rechtsfindung überlegen und vorzugswürdig ist. Letztlich geht es darum, die Abwägung möglichst rational auszugestalten und den unvermeidbaren Rest an Dezisionismus und Irrationalität auf ein Minimum zu begrenzen. IV. Fazit Generalklauseln wie das Gebot des fair and equitable treatment stellen keine Rechtsnormen dar, unter deren Tatbestand ein konkreter Lebenssachverhalt problemlos subsumiert werden könnte. Da somit das deduktive Vorgehen im Wege der klassischen Subsumtionsmethode bei Generalklauseln an seine Grenzen stößt, stellt die Konkretisierung von Generalklauseln eine besondere methodische Herausforderung dar. Die investitionsrechtliche Praxis wählt hierzu den Weg über die Bildung von Fallgruppen. Diese haben der Rechtspraxis eine gewisse Orientierung beim Umgang mit der Generalklausel des Gebots des fair and equitable treatment verschafft. Dies ist durchaus zu würdigen. Allerdings hat diese Methode auch gewisse Schwachpunkte, etwa bei der rechtlichen Erfassung neuer Fallgestaltungen. Zudem wirft die quasitatbestandliche Verwendung von Fallgruppen die Frage auf, ob es nicht in die Kompetenz der Vertragsstaaten fällt, eine derartige tatbestandliche Konkretisierung der Norm vorzunehmen. Konkretisierungsansätze welche in der Verwendung von Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment eine Ermächtigung des (Schieds-)Gerichts zur Rechtsetzung sehen, sind abzulehnen. Streitentschei950
Zur Notwendigkeit der Abwägung zwischen staatlichen Belangen und Investoreninteressen im Rahmen der Anwendung des Gebots des fair and equitable treatment vgl. auch UNCTAD, Fair and equitable treatment (2012), 14 f.; Kingsbury/Schill, Public Law Concepts to Balance Investors‟ Rights with State Regulatory Actions in the Public Interest – The Concept of Proportionality, in: Schill (Hrsg.), International Investment Law and Comparative Public Law, 74 (96 ff.): Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; Kleinlein, German Law Journal 2011, 1141 (1156). 951 Dies schließt eine Kombination bzw. Integration beider Modelle nicht aus. Zur Integration der Abwägungsmodells (als methodische Vorstufe) in das Subsumtionsmodell vgl. Riehm, Abwägungsentscheidungen in der Rechtspraxis, 7.
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dung internationaler (Investitions-)Schiedsgerichte ist und bleibt originäre Rechtsprechungsaufgabe und somit akzessorische Rechtserkenntnis, nicht jedoch Gesetzgebung bzw. Rechtserzeugung. Das Schiedsgericht hat den Auftrag, die Vertragsnorm im Einzelfall zu konkretisieren. Weitergehende Befugnisse, etwa zur Rechtsetzung, verleiht die Generalklausel dem Schiedsgericht hingegen nicht. Demgegenüber vorzugswürdig erscheint ein prinzipienorientiertes Konkretisierungsmodell. Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden widerstrebenden Prinzipien der staatlichen Handlungsfreiheit und des Investorenschutzes ist im konkreten Einzelfall im Wege der Abwägung zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. So fordern die Prinzipien des Investitionsrechts als Optimierungsgebote jeweils eine Verwirklichung in möglichst hohem Maße. Sowohl die Regulierungsfreiheit als auch der Investorenschutz beschreiben keine feststehenden Zustände, die entweder erreicht oder nicht erreicht werden können, sondern graduell verwirklicht werden können. Beide Grundpositionen können miteinander kollidieren und sich gegenseitig beschränken. Die Aufgabe des Schiedsgerichts ist es, das relative Rangverhältnis zwischen den Grundpositionen des Investorenschutzes und der Regulierungsfreiheit im Wege der Abwägung für jeden Einzelfall neu zu bestimmen und zu begründen. Die Abwägungsentscheidung besteht somit zu einem erheblichen Teil darin, einzelfallbezogene Vorrangrelationen zu bilden und diese offenzulegen und zu begründen. Das Abwägungsgesetz trägt dabei zur Strukturierung des Abwägungsvorgangs und somit zur Rationalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses insgesamt bei. Auch wenn stets ein nicht weiter rationalisierbarer Entscheidungsspielraum bestehen bleibt, so wird dieser doch auf ein Minimum reduziert. In inhaltlicher Hinsicht stützt sich das Verfahren der Konkretisierung vornehmlich auf teleologische, systematische, eingeschränkt auch grammatische Maßstäbe und Argumentformen. Die inhaltlichen Maßstäbe entsprechen daher jener der Auslegung, weshalb die in Art. 31 WVRK erwähnten klassischen Auslegungsmethoden auch im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln – wie hier des Gebots des fair and equitable treatment – ihre Gültigkeit und Berechtigung behalten. Dagegen erscheint die Annahme einer verfassungsrechtlichen Werteordnung, welche als Konkretisierungsmaßstab grundsätzlich in Betracht käme, zum jetzigen Entwicklungsstand als verfrüht.
§ 12 Schlussbetrachtung I. Schlusswort Ziel dieser Untersuchung war es, die Bedeutung des Gebots des fair and equitable treatment zu erforschen und Licht ins Dunkel dieser gleichermaßen zentralen wie unbestimmten Vorschrift des internationalen Investitionsrechts zu bringen. Die Diskussion zum materiellen Bedeutungsgehalt des Gebots des fair and equitable treatment wird zu einem erheblichen Teil von der Frage beherrscht, ob es sich dabei um eine inhaltlich mit dem fremdenrechtlichen Mindeststandard gleichzusetzende Norm handelt. Hierbei mag es sich um eine wichtige Vorfrage handeln, die jedoch für die eigentliche Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment nur wenig ergiebig ist. So folgt aus der zutreffenden Feststellung, dass es sich bei dem Gebot des fair and equitable treatment grundsätzlich um eine autonome, vom fremdenrechtlichen Mindeststandard unabhängige Vertragsnorm handelt, noch keine wesentliche Erkenntnis über den genaueren Inhalt der Norm. Mit dieser Feststellung beginnt vielmehr erst die eigentliche Konkretisierungsarbeit. Dabei liefert die generalklauselartige Unbestimmtheit des Wortlauts nur wenige Konkretisierungsmaßstäbe. Dennoch ist der Schiedsrichter gehalten, eine rationale Rechtsentscheidung zu treffen und diese zu begründen. Eine Ermächtigung zur freien Billigkeitsentscheidung oder gar zur Rechtsetzung enthält das Gebot des fair and equitable treatment nicht. Es ist daher nicht zuletzt eine Frage von juristischer Methode, wie es angesichts der sprachlichen Unbestimmtheit einer Generalklausel wie des Gebots des fair and equitable treatment und der daraus resultierenden reduzierten Hinweisfunktion des Normtextes möglich ist, zu einer rationalen Entscheidungsfindung unter akzeptabler Rückführung der Entscheidung auf die gesetzlichen bzw. vertraglichen Bindungen zu gelangen. Dies ist ein hoher Anspruch. Die investitionsrechtliche Praxis wählt den Weg des Fallvergleichs und der Bildung von Fallgruppen. So haben sich in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte im Laufe der Zeit durch Vergleich und Systematisierung der einzelnen Entscheidungen mehrere Fallgruppen herausgebildet. Diese liefern der Schiedspraxis gewisse Anhaltspunkte bei der Anwendung dieser Generalklausel. Durch weitere Analyse der
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Schiedsrechtsprechung lassen sich manche Fallgruppen und deren Anwendungsvoraussetzungen etwas genauer bestimmen. Insgesamt hat dieses Vorgehen für ein gewisses Maß an Orientierung und Rechtssicherheit gesorgt. Dennoch ist man auch nach eingehender Untersuchung der Schiedspraxis davon entfernt, von einer – ohnehin nur bedingt möglichen – Klärung des Bedeutungsinhalts des Gebots des fair and equitable treatment sprechen zu können. Die in der Schiedspraxis gefundenen Fallgruppen weisen nach wie vor einen hohen Abstraktionsgrad auf, so dass alleine mit der Zuordnung des zu entscheidenden Sachverhalts zu einer der Fallgruppen die Konkretisierungsarbeit noch nicht getan ist. Vorzugswürdig erscheint ein prinzipienorientiertes Konkretisierungsmodell, welches das Spannungsverhältnis zwischen den beiden widerstrebenden Prinzipien der staatlichen Handlungsfreiheit und des Investorenschutzes i m konkreten Einzelfall im Sinne praktischer Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich führt. Sowohl die Regulierungsfreiheit als auch der Investorenschutz beschreiben keine feststehenden Zustände, die entweder erreicht oder nicht erreicht werden können, sondern graduell verwirklicht werden können. Beide Grundpositionen können miteinander kollidieren, sich gegenseitig beschränken und im konkreten Fall unterschiedliche Gewichte haben, wobei das Prinzip mit dem größeren Gewicht vorgeht. Die Aufgabe des Schiedsgerichts besteht somit darin, das relative Rangverhältnis zwischen den Grundpositionen des Investorenschutzes und der Regulierungsfreiheit anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls im Wege der Abwägung zu bestimmen und zu begründen. Das Abwägungsgesetz trägt dabei zur Strukturierung des Abwägungsvorgangs und somit zur Rationalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses insgesamt bei. Auch wenn stets ein nicht weiter rationalisierbarer Entscheidungsspielraum bestehen bleibt, so wird dieser doch auf ein Minimum reduziert. Die Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ist ein offener, nie völlig abgeschlossener Prozess. Das Streben nach umfassender Rechtssicherheit in Form einer abschließenden Bedeutungsklärung durch vollständige inhaltliche Fixierung, wie es manchen Bemühungen um tatbestandliche Verdichtung im Rahmen der Fallgruppenanalyse zugrunde liegt, ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Mit einem gewissen Maß an Rechtsunsicherheit wird man leben müssen. Dies ist der Preis der Verwendung von Generalklauseln. Bedeutender als das (vergebliche) Streben nach abschließender tatbestandlicher Fixierung erscheint daher ein methodengeleitetes Vorgehen im Einzelfall, welches dazu beiträgt, die schiedsrichterliche Konkretisierungsentscheidung rational begründbar, nachvollziehbar und kontrollierbar zu machen.
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II. Zentrale Thesen Das internationale Investitionsrecht besteht aus einem Geflecht verschiedener nationaler wie internationaler Rechtsquellen. Die weitaus wichtigste Rechtsquelle, insbesondere was die Festschreibung von Investorenschutzstandards betrifft, stellen die internationalen Investitionsschutzabkommen dar. Trotz der Vielzahl an Investitionsschutzabkommen sind diese auffallend ähnlich strukturiert und weichen in ihren Formulierungen in der Regel nur leicht voneinander ab (§ 2). Investitionsschutzabkommen sind nicht nur in materieller Hinsicht die wichtigste Rechtsquelle des Investitionsrechts, sie bieten auch die Grundlage für eine effektive Rechtsdurchsetzung der investitionsrechtlichen Schutzstandards. So sehen moderne Investitionsschutzabkommen regelmäßig die Zustimmung zu Investor-Staat-Schiedsverfahren vor, wodurch dem Investor eine im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren oder dem Verfahren des diplomatischen Schutzes effektivere Rechtsdurchsetzung ermöglicht wird. Auch wenn das ICSID-Übereinkommen heute das wichtigste Instrument zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten darstellt, darf nicht übersehen werden, dass weitere Formen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit existieren, die sich an die Mechanismen der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit anlehnen beziehungsweise diese übernehmen (§ 3). Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit kombiniert internationale private und völkerrechtliche Elemente, weshalb eine eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Kategorien schwer fällt und der Rechtsnatur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nicht gerecht würde. Beschreibungen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als Schiedsgerichtsbarkeit sui generis oder als halbprivat (beziehungsweise halb-völkerrechtlich) werden dem Phänomen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit am ehesten gerecht (§ 4). Bei der Auslegung von Investitionsschutzabkommen folgen die Investitionsschiedsgerichte ganz überwiegend den in Art. 31 WVRK festgelegten klassischen Auslegungsmethoden. Ergänzende Auslegungsmittel oder sonstige Auslegungsansätze gelangen dagegen selten zur Anwendung. Von dem in Art. 31 WVRK enthaltenen klassischen Auslegungskanon ist in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte neben der Wortlautauslegung besonders die teleologische Auslegung verbreitet. Eine einseitig investorenfreundliche Auslegung lässt sich mit der teleologischen Auslegungsvariante indes nicht rechtfertigen. Am ehesten entspricht dem Sinn und Zweck der Abkommen ein ausgewogener Ansatz, der die Interessen von Investoren und Gaststaaten gleichermaßen berücksichtigt und diese zu einem angemessenen Ausgleich bringt (§ 5). Das Gebot des fair and equitable treatment ist ein autonomes völkervertragliches Konzept. Ohne ausdrückliche Hinweise im Wortlaut der jeweiligen Vertragsbestimmung wird man daher nicht annehmen können, dass das völker-
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vertragliche Gebot des fair and equitable treatment inhaltlich mit dem fremdenrechtlichen Mindeststandard gleichzusetzen ist. Soweit vorgebracht wird, das Gebot des fair and equitable treatment sei mittlerweile selbst Teil des Völkergewohnheitsrechts geworden, fehlt es bereits an Hinweisen darauf, dass Staaten außerhalb vertraglicher Verpflichtungen den fair and equitable treatment-Behandlungsstandard gewährleisten. Zudem lassen Staaten keinen eindeutigen Willen erkennen, die Verpflichtung zu fair and equitable treatment in das Völkergewohnheitsrecht aufzunehmen, und es ist auch nicht ohne weiteres anzunehmen, dass die Staaten bereits von dessen gewohnheitsmäßiger Geltung ausgehen. Verweise auf das Völkergewohnheitsrecht tragen daher in der Regel nicht zur Klärung des Bedeutungsinhalts des Gebots des fair and equitable treatment bei (§ 6 II). Das Gebot des fair and equitable treatment erfordert eine Rechtsentscheidung und ermächtigt nicht zu einer außerrechtlichen Billigkeitsentscheidung. Das Gebot des fair and equitable treatment bewirkt somit keine Befreiung des Schiedsgerichts von der Bindung an das Recht und sollte daher nicht mit einer Entscheidungsfindung ex aequo et bono verwechselt werden (§ 6 III). Die vergleichsweise junge Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte ist noch relativ rudimentär und nicht immer einheitlich, was eine Systematisierung des Fallrechts erschwert. Ordnet man die zum Gebot des fair and equitable treatment ergangenen Entscheidungen nach kennzeichnenden Merkmalen, so ist dennoch eine Einteilung in verschiedene, mehr oder weniger ausgeprägte Fallgruppen möglich, welche ihrerseits einen relativ abstrakten, konkretisierungsbedürftigen Inhalt aufweisen (§ 7). Zur Bestimmung der Konturen des Gebots des fair and equitable treatment trägt auch eine Analyse des systematischen Kontexts der Vorschrift innerhalb der Investitionsschutzabkommen, insbesondere durch Abgrenzung gegenüber den typischerweise in Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards, bei (§ 8). Generalklauseln wie das Gebot des fair and equitable treatment stellen keine Rechtsnormen dar, unter deren Tatbestand ein konkreter Lebenssachverhalt problemlos subsumiert werden könnte. Da somit das deduktive Vorgehen im Wege der klassischen Subsumtionsmethode bei Generalklauseln an seine Grenzen stößt, wählt die investitionsrechtliche Praxis hierzu den Weg über die Bildung von Fallgruppen, um über entschiedene Einzelfälle zu möglichst konkreten, anwendungsfähigen „Rechtsregeln“ zu gelangen. Dabei wird die zur Generalklausel ergangene Rechtsprechung systematisch aufbereitet und zu Fallgruppen geordnet. Die Fallgruppenmethode geht dabei induktiv von den entschiedenen Sachverhalten aus und abstrahiert die kennzeichnenden Merkmale; mehrere vergleichbare Entscheidungen werden wiederum zu Fallgruppen zusammengefasst. So entsteht „unterhalb“ der Generalklausel ein „Geflecht von Entschei-
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dungsmustern“, in das neu zu beurteilende Fälle eingeordneten werden können, wodurch die Generalklausel zunehmend an inhaltlicher Präzisierung gewinnt. Mit der Zeit können die Fallgruppen neben der Vereinfachung des Fallvergleichs die Funktion von (Ersatz-)Tatbestandsmerkmalen übernehmen (§ 9 I). Durch Analyse der Rechtsprechung lässt sich eine weitere Präzisierung des Bedeutungsinhalts mancher Fallgruppen erreichen. Die praktisch bedeutsamste Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment betrifft den Schutz berechtigter Investorenerwartungen (legitimate expectations). So ist mittlerweile akzeptiert, dass das Gebot des fair and equitable treatment die Verpflichtung mit einschließt, die berechtigten Erwartungen des Investors zu berücksichtigen bzw. diese Erwartungen nicht zunichte zu machen. Die Bezugspunkte sowie die Gründe und Ursachen von Erwartungen ausländischer Investoren sind unterschiedlich. In ihrer allgemeinsten Form betreffen Erwartungen die Stabilität des rechtlichen Umfelds der Investition, d.h. den die Investition betreffenden Rechtsrahmen der Investition im Gaststaat. Des Weiteren können Investorenerwartungen durch ein bestimmtes Verhalten des Gaststaates und seiner Verwaltung gegenüber dem Investor, in der Regel durch Äußerungen und Verlautbarungen, erzeugt werden. Am konkretesten sind die Erwartungen im Rahmen von Investitionsverträgen, welche der Gaststaat mit dem Investor abgeschlossen hat. Was im Einzelfall legitim ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die sinnvollerweise in eine wertende Gesamtabwägung zwischen den Grundpositionen des Vertrauensschutzes des Investors und des Regulierungsinteresses des Gaststaates eingestellt werden. Ein besonders wichtiges Kriterium stellt die Existenz (möglichst konkreter) Zusagen des Gaststaates dar. Dabei gilt grundsätzlich: Je spezifischer die Weckung von Erwartungen des Investors an stabile Rahmenbedingungen durch den Gaststaat ist, sei dies durch allgemeine Investitionsgesetze oder im Wege konkreter, gegebenenfalls vertraglicher Zusagen, umso schützenswerter sind die Erwartungen des Investors und desto schwieriger wird es für den Gaststaat sein, die Rahmenbedingungen der Investition nachträglich einseitig zu ändern. Verletzungen eines Investor-Staat-Vertrages durch den Gaststaat können die legitimen Erwartungen des Investors beeinträchtigen und somit einen Verstoß gegen das Gebot des fair and equitable treatment darstellen. Dies ist aber nicht zwangsläufig der Fall. Die Entscheidung, ob eine Vertragsverletzung sich als „unfair and inequitable“ darstellt, erfordert eine Wertentscheidung, die – wie allgemein bei der Prüfung legitimer Erwartungen – eine abwägende Gesamtbetrachtung erfordert, in deren Rahmen die besonderen Aspekte des Einzelfalls, insbesondere die Gründe und die Begleitumstände der Vertragsverletzung, Berücksichtigung finden sollten. Schließlich sollte bei allem Bemühen um Typisierung und Kategorisierung nicht übersehen werden, dass es sich bei den einzelnen Unterfallgruppen des
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Schutzes legitimer Erwartungen lediglich um Arbeitshilfen für die Praxis zur leichteren Handhabung der Generalklausel des Gebots des fair and equitable treatment handelt. Ob im Einzelfall ein berechtigtes Investoreninteresse vorliegt oder nicht, kann letztlich nur im Wege einer einzelfallbezogenen Betrachtung unter Abwägung der schützenswerten Belange des Investors sowie des Gaststaates entschieden werden (§ 9 II). Das Gebot des fair and equitable treatment verleiht dem ausländischen Investor auch Verfahrensrechte. Der Investor hat einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren unabhängig von der Art des Verfahrens als Zivil -, Straf- oder Verwaltungs(gerichts)verfahren. Dabei kann die staatliche Verpflichtung gegenüber dem Investor je nach Verfahrensart differieren, auch wenn sich in der Rechtsprechung hierzu noch keine genaueren Voraussetzungen herausgebildet haben. Die bei weitem größte Zahl an Entscheidungen zu dieser Fallgruppe betrifft Verletzungen des rechtlichen Gehörs in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Hierzu gehört auch das Recht des Investors, über wesentliche Aspekte des Verfahrens unterrichtet zu werden. Entscheidungen sind zudem zu begründen. In seltenen Fällen sind die Schiedsgerichte über den verfahrensrechtlichen Rahmen dieses Schutzstandards (procedural denial of justice) hinausgegangen und haben eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt einer materiellrechtlichen Rechtsverweigerung (substantive denial of justice) vorgenommen. Obwohl die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges grundsätzlich keine Voraussetzung für die Einleitung eines Investitionsschiedsverfahrens darstellt, wird die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs für die Annahme einer Rechtsweigerung von manchen Schiedsgerichten für erforderlich gehalten. Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zur Intention des internationalen Investitionsrechts, fremdenrechtliche Defizite zu überwinden, da es sich bei der Frage der Rechtsverweigerung um eine Frage der Begründetheit handelt, die von den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer InvestorStaat-Schiedsklage zu trennen ist. Den Anspruch des Investors auf Verfahrensgerechtigkeit umfassend und abschließend zu beschreiben ist kaum möglich. Dies hängt zum einen mit der inhaltlichen Weite und Unbestimmtheit dieses Anspruchs zusammen. Zum anderen ist die Dichte an Entscheidungen in dieser noch jungen Rechtsprechung zu gering, um daraus präzisere Voraussetzungen abzuleiten; genauere Kriterien, wann ein das Gebot des fair and equitable treatment verletzender Verfahrensverstoß anzunehmen ist, hat die bisherige Rechtsprechung noch nicht hervorgebracht. Generell scheinen die Schiedsgerichte jedoch eine relativ hohe Hürde für die Verletzung dieses Anspruchs auf Verfahrensgerechtigkeit anzunehmen. Nicht jeder Verfahrensverstoß führt daher zu einer Verletzung des Gebots des fair and equitable treatment; einen solchen nehmen die Schiedsgerichte in
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der Regel nur bei verhältnismäßig schweren Verstößen an. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Annahme einer materiellrechtlichen Rechtsverweigerung. Hieran zeigt sich eine grundlegende Tendenz der Investitionsschiedsgerichte, die es vermeiden, die Rolle einer Superrevisionsinstanz für sämtliche in nationalen Verfahren ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen einzunehmen (§ 9 III). Die Schiedsgerichte haben in ihren Entscheidungen zum Gebot des fair and equitable treatment wiederholt auf das Transparenzerfordernis Bezug genommen. Dabei bezogen die Schiedsgerichte das Erfordernis der Transparenz in erster Linie auf die Ausgestaltung des Verwaltungshandelns gegenüber dem Investor, zum Teil auch auf den gesamten Rechtsrahmen der Investition im Gaststaat. Eine einheitliche und kohärente Vorstellung vom Inhalt dieser Verpflichtung zeichnet sich indes noch nicht ab. In den meisten Entscheidungen wurde das Transparenzgebot nicht als eigenständige Fallgruppe behandelt, sondern aufgrund inhaltlicher Überschneidungen als Teilaspekt etablierter Fallgruppen berücksichtigt. Inwiefern sich das Transparenzerfordernis zu einer eigenständigen Fallgruppe entwickeln oder von anderen Fallgruppen (Schutz berechtigter Investorenerwartungen, Verfahrensrechte) absorbiert werden wird, bleibt abzuwarten (§ 9 IV). Trotz der wiederholten Bezugnahme auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Schiedspraxis erscheint fraglich, ob dieser Grundsatz als Fallgruppe des Gebots des fair and equitable treatment bezeichnet werden kann. Gegen ein solches Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (insbesondere in engerer Sicht) spricht, dass dieser nicht die Funktion eines (Ersatz -) Tatbestandsmerkmals erfüllt, unter das zu subsumieren wäre. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bietet vielmehr einen prozeduralen Rahmen, innerhalb dessen sich ein Abwägungsvorgang unter Berücksichtigung der regulatorischen Belange des Gaststaates einerseits und der Schutzinteressen des ausländischen Investors anderseits vollziehen kann. In diesem Sinne stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach vorzugswürdiger Ansicht kein Unterfall des Gebots des fair and equitable treatment dar (§ 9 V). Nach Analyse und Systematisierung der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte bleibt festzustellen, dass es zur Bedeutungsklärung des Gebots des fair and equitable treatment – sofern diese überhaupt möglich ist – noch ein weiter Weg ist. Dabei ist zu beachten, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zwar eine expandierende, aber dennoch vergleichsweise junge Rechtsmaterie ist. Doch auch eine vergleichsweise ausdifferenzierte Rechtsprechung wird stets mit neuen, atypischen Fallgestaltungen konfrontiert sein. Hier hilft das induktive Vorgehen im Wege des Fallvergleichs und der Fallgruppenbildung nicht weiter. Ebenfalls nicht beheben, sondern lediglich feststellen, kann der Fallvergleich manche Inkonsistenzen in der Rechtsprechung, welche eine an früheren Entscheidungen orientierte Konkretisierung erschweren. Insgesamt haben Fallvergleich und Fallgruppen erheblich zur Orientie-
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rung und Rechtssicherheit beigetragen. Dennoch kann eine Konkretisierung nicht allein auf diesem Wege gelingen. So ist das induktive Vorgehen im Wege des Fallvergleichs nur eines von mehreren möglichen Konkretisierungsmodellen (§ 9 VI). Durch die zum Teil inkonsistente und inkohärente Rechtsprechung der Schiedsgerichte wird die an früheren Entscheidungen orientierte Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment, etwa durch die Herausarbeitung einer kohärenten Fallgruppenstruktur mit möglichst einheitlichen Anwendungsvoraussetzungen, erschwert (§ 10 I). Ein Hauptgrund für die Inkohärenz und Inkonsistenz der Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte besteht in dem überwiegend einer bilateralen Logik folgenden institutionellen Design der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, welche aus einer Vielzahl unabhängiger, hierarchisch gleichgeordneter und für jeden Fall (auch personell) neu konstituierter Schiedsgerichte besteht, die ihre Zuständigkeit aus dem jeweils einschlägigen, in der Regel bilateralen Investitionsschutzabkommen herleiten. Zudem existieren in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit keine institutionellen Vorkehrungen, welche die Sicherung einer widerspruchsfreien und kohärenten Entscheidungspraxis zum Ziel hätten (§ 10 II). Die Möglichkeiten, durch institutionelle Änderungen am System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einen wesentlichen Beitrag zur Konsistenz und Kohärenz der Investitionsrechtsprechung leisten zu können, sollten indes nicht überschätzt werden. Soll die vorgeschlagene Berufungsinstanz zu einer möglichst widerspruchsfreien und kohärenten Investitionsrechtsprechung beitragen, so müsste diese einen möglichst weiten Geltungsbereich haben. Nur eine Berufungsinstanz, welche über alle oder zumindest die weit überwiegende Mehrzahl von Investitionsschiedssprüchen entscheidet, kann den gewünschten Beitrag zur Angleichung des Fallrechts leisten. Dies setzt ein umfassendes Berufungssystem voraus, dem möglichst viele Schiedsgerichte und deren Schiedssprüche unterfallen. Des Weiteren sollte es sich um einen nach fachlichen Gesichtspunkten mit demselben Personal kontinuierlich besetzten Spruchkörper handeln. Ein derart umfassendes Berufungssystem wird jedoch allgemein als politisch nicht durchsetzbar angesehen. Abweichende bzw. abgemilderte Vorschläge, wie etwa zur Schaffung einer „appeals facility“ oder zur verstärkten Einführung abkommensspezifischer Berufungsinstanzen, wären zwar leichter umzusetzen, würden die Problematik der Inkonsistenz jedoch eher verstärken als diese zu beheben. Sie erscheinen daher nicht geeignet, Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zu fördern und damit zumindest indirekt zu einer Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment beizutragen (§ 10 III).
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Grundsätzlich ist ein (umfassendes) Vorabentscheidungsverfahren ein geeignetes Mittel, eine konsistente und kohärente Rechtsprechungspraxis zu fördern. Im Gegensatz zur Schaffung einer neuen Berufungsinstanz stünde die Einführung eines ICSID-Vorabentscheidungsverfahrens nicht in offenem Widerspruch zu Art. 53 ICSID-Konvention. Zudem hätte eine ex anteKontrolle im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gegenüber der üblichen ex post-Kontrolle von Schiedssprüchen den Vorteil der Zeit- und Kostenersparnis. Allerdings sollten bei einer möglichen Umsetzung Erfahrungen des europäischen Rechts berücksichtigt werden. So wäre bei einer direkten Übernahme des europäischen Modells Skepsis angebracht, was die Möglichkeiten betrifft, durch ein Vorabentscheidungsverfahren maßgeblich zur Konkretisierung investitionsrechtlicher Generalklauseln wie des Gebots des fair and equitable treatment beizutragen. Die Konkretisierung von Generalklauseln benötigt den Bezug zum konkreten Sachverhalt, der jedoch bei einem Vorabentscheidungsverfahren nach europäischem Vorbild, welches sich auf Auslegungsfragen konzentriert, dem Grunde nach ausgeblendet bleibt. Andererseits bestünde die Möglichkeit, in diesem Punkt vom europäischen Vorbild abzuweichen und im Rahmen einer möglichen ICSID-Vorabentscheidung die Hinzuziehung des Sachverhalts zu gestatten, zumal die vom EuGH verfolgte Trennung von Auslegung und Anwendung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nicht ohne Kritik geblieben ist (§ 10 IV). Ein System bindender Präjudizien kann grundsätzlich zu einer konsistenten Rechtsprechung beitragen. Für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hingegen erscheint die Annahme eines Systems bindender Präjudizien als kein probates Mittel, um zu einem widerspruchsfreien und kohärenten Fallrecht zu gelangen. Angesichts der bereits existierenden, in Teilbereichen noch widersprüchlichen Rechtsprechung, sowie in Anbetracht des Fehlens einer umfassenden hierarchischen Überprüfungsstruktur für Schiedssprüche, würde die Einführung eines Systems bindender Präjudizien lediglich die bestehende Vielstimmigkeit verfestigen, ohne das Problem einer zum Teil widersprüchlichen Rechtsprechung zu beheben. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass auch ein System bindender Präjudizien keine vollständige Einheitlichkeit garantieren könnte. So bietet die Methode des distinguishing auch innerhalb eines Systems bindender Präjudizien die Möglichkeit, unter Verweis auf die Besonderheiten des Sachverhalts die Anwendung von Präjudizien zu vermeiden, wodurch stets ein gewisser Wertungsspielraum für den Rechtsanwender bleibt. Zudem ist zu bedenken, dass Präjudizienbindung egal welcher Art nur dort Wirkung entfalten kann, wo bereits vergleichbare Fälle entschieden wurden. In schwierigen Fällen, in denen der Richter kein einschlägiges Fallmaterial vorfindet, läuft die Präjudizienbindung – selbst bei ansonsten weitestgehend homogenem Fallrecht – ins Leere.
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Zu berücksichtigen ist, dass auch unterhalb der Schwelle rechtlicher Verbindlichkeit Formen der Präjudizienbindung existieren, welche zur Konsistenz und Kohärenz der Rechtsprechung in nicht unerheblichem Maße beitragen. So existiert bereits in der bisherigen Schiedspraxis eine de facto-Beachtung von Präjudizien, welche dazu beigetragen hat, Widersprüche in der Rechtsprechung der Investitionsschiedsgerichte zu vermeiden oder immerhin zu reduzieren (§ 10 V). Das Problem der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment stellt sich auch aus methodischer Sicht. Generalklauseln wie das Gebot des fair and equitable treatment stellen keine Rechtsnormen dar, unter deren Tatbestand ein konkreter Lebenssachverhalt problemlos subsumiert werden könnte. Aufgrund der besonderen sprachlichen Unbestimmtheit des Gebots des fair and equitable treatment stellt die Konkretisierung von Generalklauseln eine besondere methodische Herausforderung dar. Will man dabei die Entscheidung im Einzelfall nicht alleine dem subjektiven Rechtsgefühl des Schiedsrichters überlassen, so bedarf es Maßstäbe und Methoden, welche den Konkretisierungsvorgang im Einzelfall rationalisieren und diesen transparent, nachvollziehbar und kontro llierbar machen. Die investitionsrechtliche Praxis wählt den Weg über die Bildung von Fallgruppen. Diese haben der Rechtspraxis eine gewisse Orientierung beim Umgang mit der Generalklausel des Gebots des fair and equitable treatment verschafft. Dies ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit durchaus zu würd igen. Allerdings hat diese Methode auch gewisse Schwachpunkte, etwa bei der rechtlichen Erfassung neuer Fallgestaltungen. Zudem stellt sich bei der Übernahme früherer Entscheidungen das Problem der Legitimität und der Richtigkeit (im Sinne rationaler Begründbarkeit) früherer Entscheidungen. Schließlich wirft die quasitatbestandliche Verwendung von Fallgruppen die Frage auf, ob es nicht in die Kompetenz der Vertragsstaaten fällt, eine derartige tatbestandliche Konkretisierung der Norm vorzunehmen (§ 11 II). Konkretisierungsansätze, welche in der Verwendung von Generalklauseln wie dem Gebot des fair and equitable treatment eine Ermächtigung des (Schieds-)Gerichts zur Rechtsetzung sehen, sind abzulehnen. Streitentscheidung internationaler (Investitions-)Schiedsgerichte ist und bleibt originäre Rechtsprechungsaufgabe und somit akzessorische Rechtserkenntnis, nicht jedoch Gesetzgebung bzw. Rechtserzeugung. Das Schiedsgericht hat den Auftrag, die Vertragsnorm im Einzelfall zu konkretisieren. Weitergehende Befugnisse, etwa zur Rechtsetzung, verleiht die Generalklausel des fair and equitable treatment dem Schiedsgericht hingegen nicht (§ 11 II). Demgegenüber vorzugswürdig erscheint ein prinzipienorientiertes Konkretisierungsmodell. Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden widerstrebenden Prinzipien der staatlichen Handlungsfreiheit und des Investorenschut-
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zes ist im konkreten Einzelfall im Wege der Abwägung zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Das Anwendungsmodell der Konkretisierung des Gebots des fair and equitable treatment ist daher in erster Linie das Abwägungsmodell. Die Prinzipien des Investitionsrechts als Optimierungsgebote fordern jeweils eine Verwirklichung in möglichst hohem Maße. Sowohl die Regulierungsfreiheit als auch der Investorenschutz beschreiben keine feststehenden Zustände, die entweder erreicht oder nicht erreicht werden können, sondern graduell verwirklicht werden können. Beide Grundpositionen können miteinander kollidieren und sich gegenseitig beschränken. Die Aufgabe des Schiedsgerichts ist es, das relative Rangverhältnis zwischen den Grundpositionen des Investorenschutzes und der Regulierungsfreiheit im Wege der Abwägung für jeden Einzelfall neu zu bestimmen und zu begründen. Die Abwägungsentscheidung besteht somit zu einem erheblichen Teil darin, einzelfallbezogene Vorrangrelationen zu bilden und diese offenzulegen und zu begründen. Das Abwägungsgesetz trägt dabei zur Strukturierung des Abwägungsvorgangs und somit zur Rationalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses insgesamt bei. Auch wenn stets ein nicht weiter rationalisierbarer Entscheidungsspielraum bestehen bleibt, so wird dieser doch auf ein Minimum reduziert (§ 11 II, III). In inhaltlicher Hinsicht greift das Verfahren der Konkretisierung vornehmlich auf bestimmte Argumentformen (in erster Linie teleologischer, zudem systematischer, eingeschränkt auch grammatischer Art) zurück, welche auch für die Auslegung im Rahmen von Art. 31 WVRK von zentraler Bedeutung sind (§ 5; § 11 II). Dagegen erscheint die Annahme einer verfassungsrechtlichen Werteordnung, sei es für das Völkerrecht insgesamt oder speziell für den Bereich des internationalen Investitionsrechts, welche als übergreifender Wertungsmaßstab im Rahmen der Konkretisierung grundsätzlich in Betracht käme, im momentanen Entwicklungsstand als verfrüht (§ 11 II).
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Verzeichnis der Investitionsschiedssprüche * ICSID-Schiedssprüche ADC Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v. Republic of Hungary, ICSID Case No. ARB/03/16, Award, 2.10.2006. ADF Group Inc. v. United States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/1 (NAFTA), Award, 9.1.2003. AES Corporation v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/17, Decision on Jurisdiction, 26.4.2005 AES Summit Generation Ltd. And AES-Tisza Erömü Kft v. Hungary, ICSID Case No. ARB/07/22, Award, 23. 9.2010, Decision of the ad hoc commitee on the application for annulment, 29.6.2012. Aguas del Tunari S.A. v. Republic of Bolivia, ICSID Case No. ARB/02/3, Decision on Respondent's Objections to Jurisdiction, 21.10.2005. Amco Asia Corporation and others v. Republic of Indonesia, ICSID Case No. ARB,81/1, Decision on Annulment, 16.5.1986. American Manufacturing & Trading, Inc. v. Republic of Zaire, ICSID Case No. ARB/93/1, Award, 21.2.1997. Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Sri Lanka, ICSID Case No. ARB/87/3, Final Award, 27.6.1990. Robert Azinian, Kenneth Davitian & Ellen Baca v. United Mexican States, Award, ICSID Case No. ARB(AF)/97/2, Award, 1.11.1999. Azurix v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/12, Award, 14.7.2006. Bayview Irrigation District et al. v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/05/1 (NAFTA), Award, 19.6.2007. Berschader v. Russia, SCC Case No. 080/2004, Award, 21.4.2006. Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania, ICSID Case No. ARB/05/22, Award, 24.7.2008. BP America Production Co. and Others v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/8, Decision on Preliminary Objections, 27.7.2006. Brandes Investment Partners, LP v. The Bolivarian Republic of Venezuela, ICSID Case No. ARB/08/3, Award, 2.8.2011. Camuzzi International S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/02, Decision on Objection to Jurisdiction, 11.5.2005. Cargill, Incorporated v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/05/2 (NAFTA), Award, 18.9.2009.
*
Die aufgeführten Entscheidungen sind entweder auf der Internetseite des ICSID oder auf der Seite erhältlich.
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Verzeichnis der Investitionsschiedssprüche
Champion Trading Company, Ameritrade International, Inc., James T. Wahba, John B. Wahba, Timothy T. Wahba v. Egypt, ICSID Case No. ARB/02/9 , Award, 27.10.2006. CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Decision on Jurisdiction, 17.7.2003, Award, 12.5.2005. Compañiá de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/97/3, Award, 20.8.2007, Decision on the Argentine Republic's Request for a Continued Stay of Enforcement of the Award, 4.11.2008. Consortium Groupement L.E.S.I.- DIPENTA v. Algeria, ICSID Case No. ARB/03/08, Award, 10.1.2005. Consortium R.F.C.C. v. Kingdom of Morocco, ICSID Case No. ARB/00/6, Award, 22.12.2003. Desert Line Projects LLC v. Yemen, ICSID Case No. ARB/05/17, Award, 6.2.2008. Duke Energy Electroquil Partners & Electroquil S.A. v. Republic of Ecuador, ICSID Case No ARB/04/19, Award, 18.8.2008. EDF (Services) Limited v. Romania, ICSID Case No. ARB/05/13, Award, 8.10.2009. El Paso Energy International Company v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/15, Decision on Jurisdiction, 27.4.2006. Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Decision on Jurisdiction (Ancilliary Claim), 2.8.2004. Award, 22.5.2007. Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide v. Philippines, ICSID Case No. ARB/03/25, Award, 16.8.2007. Gas Natural SDG, S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/10, Decision of the Tribunal on Preliminary Questions on Jurisidiction, 17.6.2005. GEA Group Aktiengesellschaft v. Ukraine, ICSID Case No. ARB/08/16, Award, 31.3.2011. Genin and others v. Estonia, ICSID Case No. ARB/99/2, Award, 25.6.2001. Goetz and others v. Burundi, ICSID Case No. ARB/95/3, Award, 10.2.1999. Hrvatska Elektroprivreda d.d. v. Slovenia, ICSID Case No. ARB/05/24, Individual Opinion of Jan Paulsson, 8.6.2009. Impregilo S.p.A. v. Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No. ARB/03/3, Decision on Jurisdiction, 22.4.2005, Award, 21.6.2011. Jan de Nul N.V. and Dredging International N.V. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/04/13, Award, 6.11.2008. Joy Mining Machinery Limited v. Egypt, ICSID Case No. ARB/03/11, Award on Jurisdiction, 6.8.2004. Klöckner v. Cameroon, ICSID Case No. ARB/81/2, Decision on Annulment,3.5.1985. Liberian Easter Timber Corporation (LETCO) v. Republic of Liberia, ICSID Case No. ARB/83/2, Award, 31.3.1986. LG&E v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability, 3.10.2006. Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen v. United States, ICSID Case No. ARB(AF)/98/3 (NAFTA), Award, 26.6.2003. Maffezini v. Spain, ICSID Case No. ARB/97/7, Award on the Merits, 13.11.2000. Maritime International Nominees Establishment (MINE) v. Republic of Guinea, ICSID Case No. ARB/84/4, Decision on Annulment, 22.12.1989. Metalclad Corporation v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1 (NAFTA), Award, 30.8.2000. Methanex v. United States, UNCITRAL (NAFTA), Final Award, 3.8.2005. Mondev International Ltd. v. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2 (NAFTA), Award, 11.10.2002.
Verzeichnis der Investitionsschiedssprüche
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MTD Equity Sdn. Bhd. & MTD Chile S.A. v. Chile, ICSID Case No. ARB/01/7, Award, 25.5.2004, Decision on Annulment, 21.3.2007. Noble Ventures, Inc. v. Romania, ICSID Case No. ARB/01/11, Award, 12.10.2005. Pantechniki S.A. Contractors & Engineers (Greece) v. The Republic of Albania, ICSID Case No. ARB/07/21, Award, 30.7.2009. Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania, ICSID Case No. ARB/05/8, Award, 11.9.2007. Plama Consortium Limited v. Bulgaria, ICSID Case No. ARB/03/24 (ECT), Decision on Jurisdiction, 8.2.2005. PSEG Global, Inc., The North American Coal Corporation, and Konya Ingin Electrik Uretim ve Ticaret Limited Sirketi v. Turkey, ICSID Case No. ARB/02/5, Award, 19.1.2007. Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomunikasyon Hizmetleri A.S. v, Kazakhstan, ICSID Case No. ARB/05/16, Award, 29.7.2008. Railroad Development Corp. v. Guatemala, ICSID Case No. ARB/07/23, Award, 29.6.2012. Saipem S.p.A. v. The People's Republic of Bangladesh, ICSID Case No. ARB/05/07, Decision on Jurisdiction and Recommendation on Provisional Measures, 21.3.2007. Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Kingdom of Morocco, ICSID Case No. ARB/00/4, Decision on Jurisdiction, 23.7.2001. Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. The Hashemite Kingdom of Jordan, ICSID Case No. ARB/02/13, Decision on Jurisdiction, 29.11.2004. Sempra Energy International v. The Argentine Republic ICSID Case No. ARB/02/16, Decision on Objections to Jurisdiction, 11.5.2005. SGS Société Générale de Surveillance S.A. v. Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No. ARB/01/13, Decision on Jurisdiction, 6.8.2003. SGS Société Générale de Surveillance S.A. v. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Decision on Objection to Jurisdiction, 29.1.2004. Siemens v. Argentina, ICSID Case No. ARB/02/8, Decision on Jurisdiction, 3.8.2004, Award, 6.2.2007. Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A., and InterAguas ServiciosIntegrales del Agua S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/17, Decision on Jurisdiction, 16.5.2006, Decision on Liability, 30.7.2010. Técnicas Medioambientales Tecmed, S.A. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF)/00/2, Award, 29.5.2003. Tokios Tokelés v. Ukraine, ICSID Case No. ARB/02/18, Decision on Jurisdiction, 29.4.2004. Total S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/04/01, Decision on Liability, 27.10.2010. Toto Costruzioni Generali S.p.A. v. The Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB/07/12, Decision on Jurisdiction, 11.9.2009, Award, 7.6.2012. Waguih Elie George Siag and Clorinda Vecchi v. The Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/05/15, Award, 1.6.2009. Waste Management, Inc. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF)/00/3 (NAFTA), Decision on Jurisdiction, 26.6.2002, Award, 30.4.2004. Wena Hotels Ltd. v. Arab Republic of Egypt, ICSID Case No. ARB/98/4, Award, 8.12.2000.
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Verzeichnis der Investitionsschiedssprüche
Sonstige Schiedssprüche BG Group Plc. v. Argentina, UNCITRAL, Final Award, 24 12.2007. CME Czech Republic B.V. v. Czech Republic, UNCITRAL, Partial Award, 13.9.2001, Final Award, 14.3.2003. Chevron Corporation (U.S.A.) and Texaco Petroleum Corporation (U.S.A.) v. The Republic of Ecuador, UNCITRAL, Partial Award on the Merits, 30.3.2010. EnCana Corporation v. Republic of Ecuador, LCIA Case No. UN3481, UNCITRAL, Partial Dissenting Opinion by H. Grigeria Naón, 30.12.2005. Eureko B.V. v. Republic of Poland, Partial Award, 19.8.2005. Glamis Gold Ltd. v. United States of America, UNCITRAL (NAFTA), Final Award, 8.6.2009. International Thunderbird Gaming Corporation v. Mexico, UNCITRAL (NAFTA), Award, 26.1.2006. Merrill & Ring Forestry L.P. v. The Government of Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award, 31.5.2010. National Grid plc v The Argentine Republic, UNCITRAL, Award, 3.11.2008. Occidental Exploration and Production Company v. The Republic of Ecuador, LCIA Case No. UN 3467, UNCITRAL, Final Award, 1.7.2004. Paushok, Golden East, Vostokneftegaz v. Mongolia, UNCITRAL, Award on Jurisdiction and Liability, 28.4.2011 Petrobart Limited v. Kyrgyz Republic, Arb. No. 126/2003, SCC, Award, 29.5.2005. Pope & Talbot Inc. v. The Government of Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award on the Merits of Phase 2,10.4.2001, Award on Damages, 31.5.2002. Renta 4 S.V.S.A, Ahorro Corporación Emergentes F.I., Ahorro Corporación Eurofondo F.I., Rovime Inversiones SICAV S.A., Quasar de Valors SICAV S.A., Orgor de Valores SICAV S.A., GBI 9000 SICAV S.A. v. The Russian Federation, SCC No. 24/2007, Award on Preliminary Objections, 20.5.2009. Ronald S. Lauder v. Czech Republic, UNCITRAL, Award, 3.9.2001. Saluka Investments BV (The Netherlands) v. The Czech Republic, UNCITRAL, Partial Award, 17.3.2006. S.D. Myers, Inc. v. Canada, UNCITRAL (NAFTA), First Partial Award, 13.11.2000. United Parcel Service v. Canada, UNCITRAL (NAFTA), Award on Jurisdiction, 22.11.2002. Walter Bau AG (in Liquidation) v. The Kingdom of Thailand, Award, 1.7.2009. White Industries Australia Limited v. The Republic of India, UNCITRAL, Final Award, 30.11.2011.
Sachregister Abwägung 111, 144, 199, 201, 222 ff., 357 f., 363 ff., 372, 377 f., 379 ff., 387, 388 f., 392, 395, 396, 397, 401 anwendbares Recht 29 ff., 73 ff., 80 ff. Aufhebungsgründe 62 ff., 241 f. Aufhebungskomitee 249, 251 f. Auslandsinvestitionen – Entwicklung 11 f. Auslegung – Begriff 89 f. – effektive 100 f. – Ergebnisorientierung 106 – Gegenstand 91 ff. – Modellabkommen 107 – Praxis der Investitionsschiedsgerichte 102 ff. – restriktive 105 ff. – Sinn und Zweck 98 f., 109 ff., 116 f. – souveränitätsschonende (in dubio mitius) 105 f. – Systematik 96 ff., 118 – teleologische 103 f. – völkerrechtlicher Verträge 90 ff. – Wortlaut 95 f. – WVRK 93 ff. Auslegungserklärungen 106 f. Auslegungsmittel – ergänzende 100 f., 104 f. Auslegungspraxis 102 ff. – Kritik 107 ff. berechtigte Erwartungen (legitimate expectations), 142 ff., 172 ff. – Entschädigungsberechnung 181 – fair and equitable treatment 142 ff., 183 ff. – indirekte Enteignung 181 f. – Investitionsbegriff 181
– rechtsvergleichender Überblick 173 ff. Berufungsinstanz für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit – Akzeptanz der erstinstanzlichen Entscheidung 251 – allgemeine Anforderungen 247 ff. – bestehende Überprüfungsmechanismen 240 ff. – Finalität 250 f. – inhaltliche Richtigkeit 251 – ICSID Appeals Facility 244 ff. – kritische Würdigung 247 ff. – Vorschlag 244 ff. – Zeit- und Kostenerwägungen 249 ff. beschränkt völkerrechtlicher Vertrag 32 f. Calvo-Doktrin 16, 23, 125 f. diplomatischer Schutz 43 ff. – Ermessen des Heimatstaates 47 ff. – Schwächen 54 – Voraussetzungen 44 ff. diskriminierende Maßnahmen – Verbot (duty to refrain from discriminatory measures) 162 f. Energiecharta-Vertrag 16 ff., 51, 122 Energy Charter Treaty (ECT) siehe Energiecharta-Vertrag Enteignung – indirekte 181 f. – Verbot entschädigungsloser 3, 14, 21, 38, 41, 154 ff., 223 ex aequo et bono 139 ff. fair and equitable treatment – Abgrenzung 154 ff.
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Sachregister
– Abwesenheit von Willkür und Diskriminierung 148 f. – Berechenbarkeit 145 – berechtigte Erwartungen (legitimate expectations) 142 ff., 183 ff. – Entwicklungsgeschichte 119 ff. – faires Verfahren 203 f. – fremdenrechtlicher Mindeststandard 124 ff. – Generalklausel 3 ff., 109, 115, 123, 297 ff., 387 – prinzipienorientierte Konkretisierung 362, 374 ff. – Rechtsprechung 142 ff., 168 ff. – Transparenzgebot 212 ff., 397 – Quellen 119 ff. – systematischer Kontext 154 ff. – Verfahrensrechte (due process, fair trial, fair procedure, absence of denial of justice) 149 ff., 201 ff. – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality) 152, 217 ff., 222 f., 225 f., 397 – Völkergewohnheitsrecht 123 ff., 134 ff., 394 – Wortlaut 3 ff., 113 ff., 122 f., 127, 130 f., 133, 138, 140, 167, 296, 299, 365, 373, 391, 393 Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträge 13 ff., 52 f., 122, 159 full protection and security 158 ff. Generalklauseln – Begriff 300 ff. – Funktionen 316 ff. – investitionsrechtliche 5 f., 113, 260, 295, 297 ff., 327 ff. – Merkmale 307 ff. Generalklauselkonkretisierung – Ansätze 338 ff., 361 ff. – Auslegung 367 ff. – Begriff 335 ff. – Delegation 343 ff. – Fallgruppenbildung 338 ff. – inhaltliche Ansätze 348 ff. – Maßstäbe 361 ff. – Methode 338 ff. – Konstitutionalisierung 349 ff. – Konkretisierungsmodelle 338 ff.
– Präjudizienbindung 338 ff. – prinzipienorientierte 374 ff. – systemische Integration 358 ff. Hull-Formel 23 ICSID siehe Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten Inländergleichbehandlung (national treatment) 14, 17, 24, 38 f., 163 institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit 65 Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) – Additional Facility 59, 63, 245 – Appeals Facility 244 ff. – Entstehungsgeschichte 55 f. – Rechtsbehelfe 61 ff., 240 ff. – Zuständigkeit 57 ff. Internationalisierungsklauseln 30 ff. Investition – Begriff 58 f., 181 Investitionsschiedsgerichtsbarkeit – außerhalb des ICSID 65 f. – Berufungsinstanz 244 ff. – Entwicklung 52 ff. – ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit 55 ff. – Rechtsnatur 67 ff. – Reformansätze 229 ff. – Überprüfungsmechanismen 240 ff. – Vorabentscheidungsverfahren 254 ff. Investitionsschutz – bilateraler 13 ff. – europäischer 35 – investitionsvertraglicher 27 ff. – multilateraler 18 ff. – nationales Recht 26 f. – regionaler 16 ff. – sektoraler 16 ff. – völkergewohnheitsrechtlicher 21 ff. – völkervertraglicher 13 ff. Investitionsschutzabkommen (BIT) – Anwendungsbereich 37 f. – Auslegung 102 ff. – bilaterale 13 ff. – Entwicklungsgeschichte 13 ff. – materielle Schutzbestimmungen 38 f.
Sachregister – multilaterale Ansätze 18 ff. – prozessuale Schutzbestimmungen 39 f. – Struktur und Inhalt 37 ff. Investitionsverträge – anwendbares Recht 29 f. – Internationalisierungsklauseln 30 ff. – Stabilisierungsklauseln 30 f. Investor – Begriff 58 f. Investor-Staat-Schiedsverfahren 51 ff. – Entwicklung 52 ff. – Investitionsschiedsverfahren außerhalb des ICSID 65 f. – System der ICSIDSchiedsgerichtsbarkeit 55 ff. Investor-Staat-Streitbeilegung 41 ff. Investor-Staat-Verträge siehe Investitionsverträge Konkretisierung – Auslegung 298, 367 ff. – Begriff 335 ff. – Generalklauseln siehe Generalklauselkonkretisierung Meistbegünstigungsklauseln (mostfavoured-nation treatment/MFN clauses) 14, 17 f., 24, 38 f., 41, 163 f., 234 Multilaterales Investitionsübereinkommen (MAI) 21, 121 NAFTA-Übereinkommen 16 f. New Yorker Übereinkommen 243 OECD 18 ff., 36, 53, 120 f. Präjudizien – Bindung 262 ff. – Befolgung 279 – Begriff 262 ff. – Civil Law 264 ff. – Common Law 267 ff. – Europarecht 272 f. – normative Bindungswirkung 271 f. – persuasive authority 282, 287 – ratio decidendi 269
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– Rechtsfortbildung 275 ff. – Rechtsprechung des Investitionsschiedsgerichte 281 ff. – Rechtssicherheit 263 – (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit 282 ff. – Vertraulichkeit 279 ff. – Völkerrecht 273 f. Prinzipien 354 ff., 374 ff. – Abgrenzung 378 f. – Abwägung 377 f., 379 ff. – Gewinnung 374 f. – investitionsrechtliche 375 ff. – Kollisionsverhalten 363, 380 – Optimierungsgebote 358, 378, 388 Rechtsprechung – Kohärenz 227, 229 ff., 237 ff. – Konsistenz 227, 229 ff., 237 ff. Rechtsquellen des Investitionsrechts 11 ff. Rechtswegerschöpfung (exhaustion of local remedies) 209 f. Schiedsvereinbarung – anwendbares Recht 73 ff. – consent 59 f., 69 ff. – Qualifikation 73 f. – Rechtsnatur 71 f. – Zustandekommen 69 ff. Schirmklauseln (umbrella clauses) 164 ff. Soft Law 35 f. Stabilisierungsklauseln 30 ff., 197 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 217 ff. Vorabentscheidungsverfahren 254 ff. – Art. 267 AEUV 254 f. – ex ante-Kontrolle 260 – europarechtliche Erfahrungen 257 ff. – Übertragung auf die ICSIDSchiedsgerichtsbarkeit 255 f. willkürliche Maßnahmen – Verbot 147 ff., 162 f.