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German Pages 219 Year 1994
CHRISTOPH RACHEL
Die Diskussion um den französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Trier, Pro(. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken, Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Regensburg
Band 14
Die Diskussion um den französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert
Von
Christoph Rachel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rache!, Christoph: Die Diskussion um den französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert I von Christoph Rache!.Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte ; Bd. 14) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-08174-9 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-08174-9
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Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Jahre 1992 als Dissertation vorgelegt. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Klaus Luig für seine bereitwillige Betreuung meiner Dissertation. Ganz besonderen Dank schulde ich meinen Eltern, denn sie haben meine Ausbildung in jeder Weise großzügig unterstützt.
Köln, im November 1993 Christoph A. Rache/
Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................. 1
1. Kapitel
Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Familienrats bis 1804
I. Der Familienrat als Obervormundschaftsorgan ..................................................... 6 ll. Die Entwicklung des Familienrats in germanischer und fränkischer Zeit... ............ 7 1. Die Bedeutung der Sippe bei den Germanen ................................................... 7 a) Begriffe der Sippe, der Familie und der Muntgewalt... .............................. 7 b) Die Gesamtvormundschaft der Sippe ........................................................ 8 2. Die Obervormundschaft der Sippe in fränkischer Zeit... .................................. 9 a) Die Einzelvormundschaft des Schwertmagen ............................................ 9 b) Die Obervormundschaft der Sippe .......................................................... I 0 3. Das Einsetzen eines staatlichen Einflusses auf das Vormundschaftswesen .... 11 a) Stärkung der Staatsgewalt ...................................................................... 11 b) Veränderungen im Sippen- bzw. Familienaufbau .................................... 11 c) Der karolingische Königsschutz .............................................................. 12 lll. Der Bedeutungsverlust des Familienrats in Deutschland während des Mittelalters und der frühen Neuzeit ............................................................................. 13 1. Die Ausbildung einer staatlichen Obervormundschaft im Mittelalter ............ 13 a) Die Obervormundschaft der städtischen Behörden .................................. 13 b) Der Familienrat im M ittelalter .............. ................................................. 14
Inhaltsverzeichnis
X
c) Die Obrigkeit verdrängt den Familienrat aus der Obervormundschaft ..... 14 2. Die Obervormundschaft nach der Rezeption des römischen Rechts ............... 17 a) Die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577..................................... 17 b) Exkurs: Das römische Recht... ................................................................ 18 c) Das gemeine Recht. ................................................................................ 18 d) Die Landesgesetzgebungen ..................................................................... 19 e) Das Vormundschaftsrecht im preußischen Allgemeinen Landrecht... ....... 19 IV. Die weitere Entwicklung des Familienrats in Frankreich bis 1804 ...................... 21 1. Das alte französische Recht bis zur Revolution ............................................. 21 a) Das Vormundschaftsrecht in Nord- und Westfrankreich im Mittelalter ... 22 b) Das Vormundschaftsrecht in Südfrankreich ............................................ 23 c) Das Vormundschaftsrecht in Nord- und Westfrankreich in der frühen Neuzeit .................................................................................................. 23 2. Das Recht der Revolution und der Code civil... ............................................. 24 a) Der Plan eines einheitlichen Revolutionsrechts ....................................... 24 b) "Decret sur I' organisation judiciaire" vom August 1790 .......................... 24 c) Die Gründe für den Machtzuwachs der Familie bei der Vormundschaft .. 25 d) Der Code civil von 1804 ......................................................................... 26 3. Das französische Recht im Rheinland bis 1804 ............................................. 27 V. Der Familienrat des Code civil ........................................................................... 28 1. Die Vorschriften über den Familienrat... ....................................................... 28 2. Die Zusammensetzung des Familienrats ....................................................... 29 3. Unfähigkeit und Unwürdigkeit zur Fami1ienratsmitgliedschaft...................... 30 4. Die Einberufung des Familienrats ................................................................ 31
5. Die Aufgaben des Familienrats..................................................................... 33 a) Die Mitwirkung bei der Vormundschaft über Minderjahrige ................... 33 aa)
Die Mitwirkung bei der Bestellung des Vormundes ....................... 33
Inhaltsverzeichnis
XI
bb) Die Mitwirkung während der Vonnundschaft ................................ 35 aaa) Die Mitwirkung in persönlichen Angelegenheiten des Mündels ...................................................................................... 35 bbb) Die Mitwirkung bei der Vennögensverwaltung ..................... 35 b) Die Mitwirkung bei der Emanzipation und der Pflegschaft ..................... 37 c) Die Mitwirkung bei der Heirat eines Minderjährigen .............................. 38 d) Die Mitwirkung bei der Entmündigung, der Vonnundschaft über Entmündigte und der Bestellung eines gerichtlichen Beistandes ................... 39 6. Die Beschlüsse und Gutachten des Familienrats ........................................... 40 7. Die Anfechtung der Beschlüsse des Familienrats .......................................... 41
2. Kapitel
Der französische Familienrat in Deutschland und die Diskussion über ihn zwischen 1804 und 1815, insbesondere während der Rheinbundzeit
I. Die Rezeptionsdiskussion während der Rheinbundzeit und kurz nach der französischen Zeit .................................................................................................... 43 TI. Stimmen zum Familienrat von 1804 bis 1815 während und kurz nach dem Ende der französischen Herrschaft .............................................................................. 46 I. "Allgemeine Literatur-Zeitung", Halle .......................................................... 46 2. Ludwig Albert Gottfried Sehrader ................................................................ 47 3. Nicolaus Thaddäus Gönner........................................................................... 48 4. Franz von Lassaulx....................................................................................... 49 5. Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr ..................................................... 52 6. Anton Bauer ................................................................................................. 52 7. Johann Nikolaus Friedrich Brauer ................................................................ 53 8. Ludwig Harscher von Almendingen .............................................................. 56 9. Kar! Friedrich August Philipp Freiherr von Dalwigk..................................... 60
Inhaltsverzeichnis
XII
I 0. August Adam Josef von Mulzer .................................................................... 61
11. Karl Theodor von Dalberg ............................................................................ 62 12. H. A. Lehzen ................................................................................................ 62
13. Karl Salomo Zachariä ................................................................................... 64 14. August Wilhelm Rehberg ............................................................................. 65 15. Heinrich RudolfBrinkmann ......................................................................... 67 16. Anton Friedrich Thibaut ............................................................................... 70 17. Burchard Wilhelm Pfeitfer ........................................................................... 71 18. Friedrich Carl von Savigny ........................................................................... 73
m.
Zusammenfassende Bewertung des französischen Familienrats und Charakterisierung der Familienrats-Diskussion fi1r die Zeit von 1804 bis 1815.. ................ 73
I. Zusammenfassung der Stimmen zum Familienrat ......................................... 73 2. Die Beweggründe fi1r die Befilrwortung bzw. die Ablehnung des Familienrats in der Literatur ...................................................................................... 76 a) Juristische Lehr- und Anleitungsliteratur ................................................ 77 b) Beurteilendes Schrifttum ........................................................................ 78 aa)
Die Befilrworter des Familienrats .................................................. 79
bb) Die Gegner des Familienrats ......................................................... 81 3. Die Gründe fi1r die Nichteinfilhrung des Familienrats in Baden und in Franlc:furt ............................................................................................................... 83 a) Baden..................................................................................................... 84 b) Franlc:furt ................................................................................................ 86 4. Untersuchung der Bewährung des Familienrats ............................................ 90
lnhaltsverzeiclmis
XIII
3. Kapitel
Der rheinisch-französische Familienrat im preußischen Rheinland und die Diskussion über ihn von 1815 bis 1842
I.
Der Geltungsbereich des französischen Rechts in Deutschland ab 1815 .............. 93
ll. Der Familienrat während des Kampfes um das rheinische Recht in Rheinpreußen 1815 bis 1819 und in der Immediat-Justiz-Kommission................................ 95 l. Die Einsetzung der Immediat-Justiz-Kommission und der Flugschriftenkampf um das rheinische Recht .................................................................... 95 2. Stimmen zum Familienrat von 1816 bis 1817 während der AuseinandersetZilllg um das rheinische Recht.. ..................................................................... 97 a) Johann Daniel Ferdinand Neigebaur ....................................................... 97 b) "Einige Worte... " .................................................................................... 98 c) Johann Maximilian Bernhard Dobbe ...................................................... 99 d) "Die Wünsche und Hoffnungen..." ........................................................ 100 e) Niederrheinisches Archiv 1817............................................................. lO l 3. Die Gutachten der Immediat-Justiz-Kommission und die Voten preußischer Minister 1818 sowie ihre Folgen filr den Familienrat... ...................... 104 4. Zusammenfassende Bewertung des französischen Familienrats und Charakterisierung der Familienrats-Diskussion filr die Zeit von 1816 bis 1818. 108 a) Zusammenfassung der Stimmen zum Familienrat ................................. 108 b) Die Beweggründe filr die Kritik und die Ablehnung des Familienrats ... 110 aa)
Flugschriftenliteratur ................................................................... 110
bb) Der Vorschlag der Immediat-Justiz-Kommission und die daraufhin ergangenen Voten in der Ministerialbürokratie ...................... 111
m. Der rheinische Familienrat von 1824 bis 1842 während der Fortfilhrung des
Kampfes um das rheinische Recht... ................................................................. 112
I. Die Fortfllhrung des Kampfes um das rheinische Recht in der Zeit von 1824 bis 1842 und die preußische Gesetzrevision ....................................... 112
Inhaltsverzeichnis
XIV
2. Stimmen zum Familienrat von 1826 bis 1839 anläßlich der erneut drohenden Einftlhrung des preußischen Rechts in der Rheinprovinz ...................... 115 a) Darstellung von Stimmen zum Familienrat ........................................... 116 aa)
Bernhard Freiherr von Fürth ........................................................ 116
bb) August Wilhelm Heffier .............................................................. 117 cc)
Andreas Freiherr von Recum ....................................................... 118
dd) August Lombard .......................................................................... 118 ee)
Paul Wigand ................................................................................ 120
ß)
Michael Schenk ........................................................................... 123
gg)
Karl Josef Anton Mittermaier ...................................................... 126
hh) Prosper Bracht. ............................................................................ 128 ii)
"Soll das französische Gesetzbuch ... " ........................................... 129
b) Zusammenfassung der Stimmen zum Familienrat und ihre Charakterisierung ................................................................................. 130 3. Die Gesetzrevision des preußischen Vormundschaftsrechts und der französische Familienrat. .................................................................................. 133 a) Die Aufnahme eines Familienrats in den Revisionsentwurfvon Scheller ..................... .. ......................................................................... 134 b) Die Familienratsvorschriften des Revisionsentwurfs von Scheller ......... 135 c) Bewertung der Aufnahme eines Familienrats in den Revisionsentwurf von Scheller ......................................................................................... 136 4. Die Änderungen am rheinisch-französischen Vormundschaftsrecht durch das preußische Justizministerium in den Jahren ab 1834 ............................. 138 a) Der Inhalt der Änderungen ................................................................... 139 b) Die Bedeutung der Änderungen filr die obervormundschaftliche Aufsicht durch den Familienrat .................................................................. 144
5. Zusammenfassende Bewertung des rheinischen Familienrats filr die Zeit
von 1824 bis 1842 ...................................................................................... 148
Inhaltsverzeichnis
XV
4. Kapitel Der rheinische Familienrat in Preußen von 1843 bis 1875
I. Der Familienrat und vormundschaftsrechtliche Reformüberlegungen zwischen 1843 und 1870 ................................................................................................. 150
I . Der französische Familienrat im Rheinland nach dem Kampfum das
rheinische Recht. ........................................................................................ 150
2. Die Übernahme des Familienmitwirkungsgedankens in vormundschaftsrechtliche Reformüberlegungen in Preußen ................................................. 151 3. Der Vorschlag für einen Familienrat in ganz Deutschland ............... ............ 155
ll. Der rheinische Familienrat in der Diskussion um die preußische Vormundschaftsordnung zwischen 1870 und 1875 .......................................................... 156 1. Das Entstehen der preußischen Vormundschaftsordnung ............................ 156 2. Die Grundzüge der preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 ............ 157
3. Die Gründe für die Ablehnung der Übernahme des rheinischen Familienrats in eine allgemeine preußische Vormundschaftsgesetzgebung ................ 158 4. Die Gründe für die Aufnahme eines veränderten Familienrats in die preu-
ßische Vormundschaftsordnung .................................................................. 163
5. Die Familienratsvorschriften in§§ 71-80 der preußischen Vormundschafts-
ordnung .................................................................................................... 167
6. Die Bedeutung der Aufnahme des veränderten Familienrats in die preußische Vormundschaftsordnung .................................................................. 173
ill. Zusammenfassende Bewertung des rheinischen Familienrats für die Zeit von 1843 bis 1875 .................................................................................................. 175
5. Kapitel Überblick über den Familienrat im BGB
I. Die Motive zum Familienrat des BGB .............................................................. 177
XVI
Inhaltsverzeichnis
TI. Die Grundzüge der Familienratsvorschriften des BGB ...................................... 179 lll. Die Bedeutung des Familienrats des BGB ........................................................ 180
Ergebnisse .... .............. ............... ...... ......................................................... ............ 184
Quellen und Literatur................... .. ..................................................................... 192
Einleitung In den letzten 25 Jahren sind einige Veröffentlichungen auf einem bisher wenig bearbeiteten Forschungsgebiet, der Geschichte des französischen Rechts in Deutschland im 19. Jahrhundert, erschienen 1. Damit wurde dem französischen Recht, insbesondere dem Code civil, wieder vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet; diesmal rückblickend unter historischen bzw. rechtshistorischen Aspekten. Der Code civil, der ab 1804 in den von Napoleon besetzten linksrheinischen deutschen Gebieten galt, dann ab 1808 auch in anderen Teilen Deutschlands eingeführt wurde und schließlich immerhin in Baden und auf der linken Rheinseite bis 1900 in Kraft blieb2, war bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland Gegenstand vieler juristischer und politischer Veröffentlichungen, denn anläßlich der Einführung des Code civil, der zwischenzeitlich auch als "Code Napoleon" bezeichnet wurde, kam es in Deutschland in der Rheinbundzeit zu einer ausführlichen öffentlichen Diskussion. Später, nach dem Ende der napoleonischen Zeit, folgte in den linksrheinischen Gebieten eine genauso umfangreiche, lange Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des französischen Rechts, insbesondere des Code civil, der sogenannte "Kampfum das rheinische Recht". 3 Im französischen Recht existierten einige Grundsätze, wie beispielsweise die Trennung von Justiz und Verwaltung, die Gleichheit aller Bürger vor Richter und Gesetz, die Öffentlichkeit und Mündlichkeil des Gerichtsverfahrens sowie die Zivilehe, die in Deutschland erhebliche Neuerungen bedeuteten und deshalb in der Öffentlichkeit Aufsehen erregten und in der Literatur ausführlich und kontrovers diskutiert wurden. Sie gewannen mit der Zeit solche Popularität, daß sie nach 1815, teilweise unter der Bezeichnung "rheinische
Faber, Die Rheinlande zwischen Restauration und Revolution (1966); Wolffram!Klein, Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden (1969); Schumacher, Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts ( 1969); Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft und revolutionllres Recht (1974); Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu BegiM des 19. Jahrhunderts (1977); Becker, Das Rheinische Recht und seine Bedeutung filr die Rechtsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, JuS 198S, 3381f. Schumacher, S. 16 ff.; Spieß, JuS 1978, 869, 871 f. 3
DlJlemeyer, in: Coings Handbuch, S. 1421, 1429; DlJlemeyer, Jus conunune VII (1978), S. 181 , 190.
2 Rachel
2
Einleitung
Institutionen", von den Rheinländern als liberale fortschrittliche Errungenschaften gegenüber dem preußischen Recht verteidigt wurden. 4 Zu ihnen zählte auch der sogenannte "Familienrat" der Art. 389 ff. des Code civil, ein Gremium, das als wichtigstes Obervormundschaftsorgan den Vormund kontrollierte und hauptsächlich aus Verwandten des Mündels zusammengesetzt wurde. Schubert berichtet in seinem Buch zum französischen Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, daß "insbesondere der Familienrat, ... bei den deutschen Juristen der Rheinbundzeit soviel Zustimmung" hervorgerufen habe "wie kaum eine andere Einrichtung des französischen Rechts." . .. "Nach den Freiheitskriegen gehörte der Familienrat im Kampf um die Erhaltung des französischen Rechts in den Rheinprovinzen zu den Institutionen, die man neben der Öffentlichkeit und Mündlichkeil des Prozesses am stärksten verteidigte."5 Diese Aussage Schuberts läßt es lohnend erscheinen, sich näher mit dem französischen Familienrat zu beschäftigen. Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, wie dieser in Deutschland im 19. Jahrhundert in der Diskussion um das französische Recht im einzelnen von Zeitgenossen bewertet wurde und inwieweit sich dieses Rechtsinstitut damals bewährt hat. Ermittelt werden soll dabei, ob der Familienrat wirklich in der Rheinbundzeit, wie Schubert meint, soviel Zustimmung gefunden hat und im Rheinland so vehement als liebgewonnene Einrichtung verteidigt wurde, wieso dies geschah und welche Gegenstimmen es gab. Die Entwicklung und die Bedeutung des Rechtsinstituts des französischen Familienrats sowie die Diskussion um ihn in Deutschland im 19. Jahrhundert werden dargestellt und begutachtet. Zudem soll auch kurz auf die Rolle des Familienrats in der preußischen Vormundschaftsordnung und im BGB eingegangen werden. Zum Zwecke der Charakterisierung der Familienrats-Diskussion und um diese verständlich zu machen. ist es erforderlich, sie in das geistesgeschichtliche und politische Umfeld des 19. Jahrhunderts in Deutschland und in die rechtlichen Veränderungen dieser Zeit einzuordnen. Der Familienrat bildete einen Gegensatz zu der in Deutschland bis dahin vorherrschenden obrigkeitlichen Obervormundschaft. Im Rahmen der Darstellung des Streits um den Familienrat wird daher besonders der Unterschied zwischen der hauptsächlich familiären Obervormundschaft des französischen Rechts und der staatlichen 4 Dl!lemeyer, Jus commune VII (1978), S. 184 f., 192 ff:; Schubert, SZ RG GA, Bd. 94 (1977), S. 1S9, 169; Faber, Rheinlande, S. 112, 117 f.; Becker, JuS 1985, 338, 341; Dt'Jlemeyer, in: Coings Handbuch, S. 1422, 1428, 1507 ff. 5 Schubert, Franz. Recht, S. 485 f.
Einleitung
3
des preußischen Allgemeinen Landrechts sowie die Auseinandersetzung darüber zwischen staatlichen Entscheidungsträgem und Familienratsverfechtern in der Literatur verdeutlicht werden. Veranschaulicht werden soll besonders die politische Brisanz des als "liberal"6 angesehenen Familienrats im Zeitalter der Konfrontation zwischen Spät-Absolutismus und Früh-Liberalismus am Anfang des 19. Jahrhunderts. Eine Beschränkung auf die Geschichte des Familienrats in Deutschland ist sinnvoll, weil dieses Rechtsinstitut in Deutschland im 19. Jahrhundert- anders als in Frankreich - eine Neuerung bedeutete und hier das Objekt besonderer Auseinandersetzungen bildete. Zudem ergab sich in den deutschen Staaten, in denen der Familienrat fiir längere Zeit Gültigkeit besaß, eine von Frankreich unabhängige, eigenständige Entwicklung dieses französischen Rechtsinstituts. Vor allem in Preußen bildete der Familienrat ab 1815 den Gegenstand besonders umfangreicher Diskussionen, Verbesserungsvorschläge, Reformversuche und Reformen. Darüber hinaus hatte er in der Form, wie er im Code civil geregelt war, im preußischen Rheinland besonders lange, nämlich nicht nur bis 1815, wie in einigen Gebieten Deutschlands, sondern bis 1875 Geltung. Aus diesen Gründen konzentriert sich die Darstellung über den französischen Familienrat in Deutschland fiir die Zeit ab 1815 auf die wichtigsten publizistischen, gesetzespolitischen und legislatorischen, den Familienrat betreffenden Aktivitäten in Preußen und die Versuche, ihn im preußischen Rheinland abzuschaffen. Die gesamte Untersuchung wird in mehrere Zeitabschnitte unterteilt. Zu Beginn führt ein Überblick in die allgemeine geschichtliche Entwicklung des Familienrats bis zum Entstehen des Code civil 1804 ein. Es folgt eine Darstellung der Familienratsdiskussion in Deutschland in der Rheinbundzeit und kurz danach. Die Diskussion um Beibehaltung oder Abschaffung des Familienrats im preußischen Rheinland während des Kampfes um das rheinische Recht von 1815 bis 1842 steht danach im Mittelpunkt. Analysiert wird anschließend, welche Bedeutung der rheinisch-französische Familienrat bei den Überlegungen zur Reform des Vormundschaftsrechts des preußischen Allgemeinen Landrechts zwischen 1843 und 1873 sowie speziell bei der Ausgestaltung der preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 hatte. Da hier in erster Linie das Rechtsinstitut des Familienrats in der Form des französischen Rechts und weniger der veränderte Familienrat in der preußischen Vormundschaftsordnung und im BGB untersucht werden soll, folgt nach dem Überblick über den Familienrat in der preußischen Vormundschaftsordnung nur noch ein kurzer Überblick über den Familienrat im BGB von 1900 bis 1980. 6 So auf der Gießener Konferenz 1809-1810, die sich mit der Frage der Rezeption des Code Napoleon beschlftigte; siehe Fehrenbach, Trad. Ges., S. 126; Fehrenbach, Kampf, S. 4S.
2*
4
Einleitung
Jede der untersuchten Zeitepochen des 19. Jahrhunderts wird unterteilt in eine Einfiihrung in das rechtsgeschichtliche Umfeld, eine Darstellung der Stimmen dieser Zeit zum französischen Familienrat, eine zusammenfassende Charakterisierung der Schriften und Äußerungen zum Familienrat, in eine Erläuterung der den Familienrat betreffenden Gesetzgebungspläne sowie in eine Bewertung des Familienrats für den jeweils gewählten Zeitabschnitt. Geschildert werden sollen auch die wichtigsten Vor- und Nachteile des französischen Familienrats, soweit sie den Gegenstand der Diskussion bildeten. Anhand dieser Aussagen erfolgt der Versuch festzustellen, inwieweit sich der Familienrat in der jeweils untersuchten Epoche bewährt hat. Den Schwerpunkt der Untersuchung soll dabei die vorwiegend rechtspolitische Diskussion um den Familienrat im Zeitraum zwischen 1804 und 1842 bilden, und zwar sowohl anläßtich seiner Einfiihrung und der Frage seiner Rezeption in der Rheinbundzeit als auch anläßtich der Frage seiner Beibehaltung oder Abschaffung im preußischen Rheinland. Bei der Bewertung des Familienrats beschäftigte sich die Diskussion überwiegend mit abstrakten Risiken dieses Instituts und kaum mit konkret genannten, realen Fällen. Daher kann auf konkrete Erfahrungen mit dem Familienrat in der vormundschaftlichen Praxis nur im Einzelfall eingegangen werden, wenn die Zeitgenossen in ihren Veröffentlichungen auf sie Bezug nahmen. Zeitgenössische Familienratsprotokolle konnten nicht eingesehen werden und andere Unterlagen, die Hinweise auf konkretere praktische Erfahrungen geben könnten, sind nicht vorhanden. Soweit jedoch einige wenige Zahlen aus der Praxis des Familienrats und des Vormundschaftwesens in Deutschland vorliegen, werden sie auch verwendet und ausgewertet. Da es nur wenige Untersuchungen darüber gibt, wie deutsche Juristen im 19. Jahrhundert das französische Recht bewerteten/ erscheint es interessant, die genauen Urteile zeitgenössischer Juristen und Publizisten speziell zum Familienrat während der Hauptdiskussionszeit zwischen 1804 und 1842 darzustellen. Die jeweiligen Stimmen zum Familienrat werden dazu im Hauptteil der Arbeit innerhalb der einzelnen Abschnitte zunächst einmal chronologisch nach einzelnen Juristen und deren Schriften aufgeführt. Sofern eine Schrift eine Gegenschrift hervorgerufen hat, werden beide in Beziehung zueinander gesetzt. Wiedergegeben werden soll die Bedeutung und damalige Funktion der jeweils angeführten Juristen, ihre Stellung zum Code civil, besonders aber ihr Urteil über den Familienrat und die Art ihrer Argumentation. Auf diese Weise 7
Schubert, Franz. Recht, S. 9.
Einleitung
ist es dann anschließend möglich, die Familienrats-Diskussion in den einzelnen Zeitabschnitten näher zu charakterisieren, zu analysieren und zu systematisieren. Auf der Grundlage der Bewertungen der Zeitgenossen wird schließlich zu untersuchen sein, inwieweit sich der französische Familienrat in den verschiedenen Epochen in Deutschland in den Augen der Zeitgenossen als geeignet fiir die Vormundschaft erwiesen hat.
1. Kapitel
Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Familienrats bis 1804 L Der Familienrat als Obervormundschaftsorgan Unter "Obervormundschaft" versteht man die Kontrolltätigkeit einer Einrichtung, die das Recht hat, den Vormund zu beaufsichtigen und ihre Zustimmung zu wichtigen, sich auf die Person und das Vermögen des Mündels beziehenden Rechtsgeschäften zu geben, um dadurch das Mündel gegenüber dem Vormund zu schützen 1. Im Laufe der Geschichte wurde die Obervormundschaft von unterschiedlichen Organen ausgeübt. Mit der Obervormundschaft befaßten sich entweder ausschließlich die Familie oder nur eine staatliche Behörde oder beide gemeinsam. 2 Um den Familienrat als Obervormundschaftsorgan besser beurteilen zu können, müssen die geschichtlichen Unterschiede zwischen staatlicher und familiärer, aber auch gemeinsamer Obervormundschaft dargestellt werden. Dadurch wird der Streit um diese Variationen und die Diskussion über den Familienrat besser verständlich. Das Institut eines Familienrats existiert nicht erst, wie früher oft behauptet wurde3 , seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Es ist zwar auch ein Erzeugnis der französischen Revolutionsgesetzgebung, aber bereits in germanischer Vorzeit kümmerte sich die Sippe oder die Familie um vormundschaftliche Belange ihrer Mündel. 4 Die Familienversammlung war damals noch kein organisierter Familienrat wie in der Neuzeit im Code civil oder im BGB bis 1979. Sie erfiillte aber vergleichbare Funktionen.
1
2 3 4
Vgl. Schneider, S. l; Barazeni, S. 4S f.; Zacharill, Handbuch, 3. Aufl. (1827) Bd. l , S. 186. Obertilschen, Vorwort. Vgl. Minermaier, ACP (16) 1833, S. 201;Herrmann, S. l. Minermaier, ACP (16) 1833, S. 201; Herrmann, S. l.
II. Die Entwicklung in germanischer und frlnk.ischer Zeit
7
IL Die Entwicklung des Familienrats in germaniseher und frinkiseher Zeit 1. Die Bedeutung der Sippe bei den Germanen
In altgermanischer Zeit gab es unter den germanischen Völkerschaften noch keine fest organisierte Ordnung des Staatslebens und somit auch keine starke Staatsgewalt5. Funktionen, die bei einem entwickelten Staatsgefüge wesentlich als Staatsaufgaben angesehen werden, erfüllte die Sippe6 , so daß man sie rückblickend teilweise auch als Rechtsträger ansah7. Die Sippe hatte beispielsweise den mangelnden obrigkeitlichen Schutz und die fehlende Staatsfürsorge für die Hilfsbedürftigen zu ersetzen8 . Für den Einzelnen spielte die Sippe oder die Großfamilie als der ihm nächststehende Personenkreis eine große Rolle9 . a) Begriffe der Sippe, der Familie und der Muntgewalt
Die Keimzelle der germanischen Völkerschaften war die "Sippe", wobei unter dieser Bezeichnung zweierlei zu verstehen ist 10. Es gab zum einen die "feste" Sippe, ein agnatischer Geschlechtsverband, der die von einem gemeinsamen Stammvater in männlicher Linie hergeleitete Nachkommenschaft umfaßtell. Daneben trat später die "wechselnde" Sippe, die kognatische Ver5
Michels, S. 1; He""'ann, S. 17 f.; Orten, S. 10; Warnkt1nigl Stein, S. 22S f.; Mirtei!!Lieberich,
6
Brunner!Schwerin, S. 9; Brunner, S. 119; Schneider, S. I; Mirtei!!Lieberich, Dt. Rechtsg.,
Dt. Rechtsg., S. 29. S. 29.
7 So Conrad, Bd. I, S. 32; Brunner!Schwerin, S. 9; Brunner, S. 119; Oberrüschen, S. 2; Fuchs, S. 2; Ryba, S. 4; LA Mirtei!!Lieberich, Dt. Rechtsg., S. 2S; Kroeschell, SZ RG GA, Bd. 77 (1960), S. 1, 21 ff.; Kroeschell, Dt. Rechtsg., Bd. 1, S. S4; Genzmer, SZ RG GA, Bd. 67 (19SO), S. 34, 49; Wiebrock, S. 104, 106. Die Sippe k&M weiterbin ihren Platz in der Rechtsgeschichte bebahen. Die die Sippe betreffenden Bedenken von Genzmer, Kroeschell und Wiebrock richten sich nicht gegen die grundsitzliehe Existenz einer Sippe bei den Gennanen, sondern nur dagegen, daß sie als eine Rechts· institution angesehen wird. Genzmer wehrt sich nur gegen die Betrachtung der Sippe als ein bestimm· tes Rechtsgebilde, nicht aber gegen die Bezeichnung eines Verwandtenkreises als Sippe. Auch ftlr Wiebrock ist die Sippe kein Rechtsgebilde, sondern eine Begriffsbezeichnung ftlr eine Verwandtengruppe. Kroeschell, der sich ebenfalls gegen die Sippe als Trtgerin von Recht und Frieden wendet, beschrAnkt seine Begrilndung dafllr jedoch auf angelsichsische Quellen und speziell auf die Frage nach der Rechtsstellung des sippelosen Mannes.
8
9
Fuchs, S. I f.; Michels, S. 1.
Fuchs, S. 1 f.; He""'ann, S. 18; Heller, S. S; Warnkt1nig/Stein, S. 22S. Brunner!Schwerin, S. 9; Bnmner, S. 112; Michels, S. 2. 11 Conrad, Bd. I, S. 31, 33; Brunner, S. 112; Mirtei!!Lieberich, Dt. Privatr., S. S4; Mitreis/ Lieberich, Dt. Rechtsg., S. 23. 10
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Kapitel I: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
wandtschaft, die aus dem gesamten Kreis der Blutsverwandten einer bestimmten Person bestand 12. Diese Verwandtschaft wird auch als "Magschaft" bezeichnet, innerhalb derer Vater- und Muttermagen, Schwertmagen (Männer der Vaterseite) und Spindelmagen (alle Frauen und Verwandten der Mutterseite) unterschieden wurden13. Von der Sippe zu trennen ist die "Familie". Sie umfaßte alle, die unter derselben "Munt" (auch Mundium) standen, also unter der Hausgewalt über die der Hausgemeinschaft angehörenden Personen 14. Die Hausgewalt des Hausherren über Ehefrau, Kinder und freies Gesinde war eine personenrechtliche Herrschaft, die später auch den Charakter einer Schutzgewalt annahm 1s. Die Munt hatte der Hausvater bis zu seinem Tode inne. Der Einfluß der Sippe auf das Mundium war gering. Nach dem Tode des Vaters bzw. Ehemanns gelangten seine unmündigen Kinder und seine Witwe unter die Munt der Sippe, die daraufhin den Schutz über sie ausübte. 16 b) Die Gesamtvormundschaft der Sippe
Die Sippe übernahm viele Gemeinschaftsaufgaben17. Eine ihrer wichtigen Tätigkeiten war die Vormundschaft über die nicht mehr unter väterlicher oder ehemännlicher Munt stehenden Sippenangehörigen. Diese wurde von der Vater-Sippe gesamthändefisch ausgeübt 18. Der Grund dafür, daß der Sippe die Vormundschaft zufiel, lag darin, daß der Einzelne in einer Zeit noch mangelnder Staatsfiirsorge zu seiner Selbsterhaltung auf die Fürsorge der ihm nächstliegenden Gemeinschaft, nämlich seiner Familie bzw. Sippe und deren Zusammenhalt angewiesen war 19. Als Gesamtvormund hatte die Sippe fiir den Schutz, das Wohlergehen, die Erziehung und die Vertretung des Mündels zu sorgen20 . Die ehemals unter väterlicher bzw. ehemännlicher Munt stehenden Personen mußten auch vor etwaigen Übergriffen durch einzelne Sippenmit33;
112;
9;
Mineis/Lieberich, Dt.
12
Conrad, Bd. I, S.
13
Mitteis/Lieberich, Dt. Privatr., S. S4; Brunner!Schwerin, S. 9; Conrad, Bd. I, S. 33 f.
Recbtsg., S. 23.
Brunner, S.
Brunner!Schwerin, S.
14 Conrad, Bd.l, S. 34; Herrmann, S. I9;Michel:s, S. I; Heus/er, Bd. 2, S.
271.
Conrad, Bd. I, S. 34; Mineis/Lieberich, Dt. Privatr., S. S4; Mitteis/Lieberich, Dt. Rechtsg., S. 2S; Herrmann, S. 19. 16 ObertfJschen, S. 6; Fuchs, S. 2. 17 Conrad, Bd. I, S. 32. 18 Pkmitz, S. 212; Brunner, S. 124; Conrad, Bd. I, S. 32; J. Schenk, Familienrath, S. 8; Herrmann, S. 24. 19 Fuchs, S. I f.; Obertüschen, S. 2; Mittermaier, (1847), S. 463; Ryba, S. 4; Herrmann, S. 18; Warnktsnig!Stein, S. 225. 2 Kraut, S. 62; He"mann, S. 24; Planitz, S. 218. IS
°
II. Die Entwicklung in germanischer und frlnkischer Zeit
9
glieder geschützt werden21 . Die vormundschaftliche Verwaltung des Mündelguts erfolgte anfangs nicht primär im Mündelinteresse, sondern diente vornehmlich der Erhaltung des Farnilienvermögens22 . Die Vormundschaft wurde in ältester Zeit von der Sippe in ihrer Gesamtheit ausgeübt, d.h. von allen selbständigen, erwachsenen männlichen Sippenangehörigen gemeinsam23 . Dies war damals noch möglich, weil ihre Mitgliederzahl überschaubar war und man dicht beieinander wohnte24. Allmählich wurde dann die Führung der Vormundschaft zum Teil oder auch ganz einem Sippenmitglied übergeben, das als Treuhänder oder Organ der Sippe fungierte25. In der Regel wurde die Verwaltung der Vormundschaft auf den nächsten männlichen Blutsverwandten des Mündels im Mannesstamm, den "Schwertmagen", übertragen26. Diese Bestellung zur Vormundschaftsverwaltung geschah durch den Kreis der wehrfähigen Männer der Sippe, die zur Beratung eine Art Sippschafts- oder Familienrat bildeten27, an dessen Zustimmung der Schwertmagen als Vertreter der Sippe bei wichtigen Vormundschaftsfragen gebunden war28. 2. Die Oben-onnundschaft der Sippe in fränkischer Zeit
a) Die Einzelvormundschaft des Schwertmagen Während der fränkischen Zeit, also etwa zwischen 500 und 900 n. Chr., trat an die Stelle der Gesamtvormundschaft der Sippe eine Einzelvormundschaft des nächsten Schwertmagen des Mündels. Dieser war nicht mehr Sippenbeauftragter, sondern "geborener" Vormund, denn er hatte nun kraft Geburtsrecht einen gewohnheitsrechtlich entwickelten, persönlichen Anspruch auf die Übernahme der Vormundschaft. Dies läßt sich anband der Volksrechte im fränkischen Reich zeigen. 29 Schr&Jer/Kanßberg, S. 77; He"mann, S. 24. Ryba, S. 4; &hlilter, S. 3; Heus/er, Bd. 2, S. 482; Mittei!l Lieberich, Dt. Privatr., S. 79. 23 Habner, S. 116;Mittermaier, (1847), S. 463. 24 He~ann, S. 24;Michels, S. 3. 25 Planitz, S. 212 f.; Kraut, S. 62; Brunner, S. 124; Michels, S. 3; Conrad, Bd. I, S. 158; Mitteisl Lieberich, Dt. Privatr., S. 79. 26 Planitz, S. 212 f.;Hilbner, S. 717; Stobbe!Lehmann, S. 521. 27 He"mann, S. 21, 24; Kraut, S. 30; Warn~nig/Stein, S. 225. 28 Obertaschen, S. 7; Herrmann, S. 24; Michels, S. 3; Stobbe!Lehmann, S. 521 . 29 Brunner, S. 125; Heusler, Bd. 2, S. 492; Ryba, S. 3; Habner, S. 717; Planitz, S. 213; Conrad, Bd. I, S. 159; Obertaschen, S. 7. Siehe z.B. Lex Saxonum Tit. 7 § 5, abgedruckt bei: Obertilschen, S. 7; aber auch noch im Sachsenspiegel I, 23 § l , abgedruckt bei: Hilbner, S. 719. 21
22
10
Kapitel 1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
Die Vormundschaft gab ihm das Recht der Verwaltung und wohl auch der Nutznießung des Mündelgutes30 . Dies geschah, um das Vermögen vor Schädigung und Verschleuderung zu bewahren, denn er war als nächster Schwertmagen oft auch nächster Erbberechtigter des Mündels und hatte somit auch ein Eigeninteresse an der Sicherung des Vermögens31 . Die Interessen des Vormundes scheinen also in der Anfangszeit vorrangig vor denen des Mündels gewesen zu sein32 . Allerdings mußte der Vormund fiir den Unterhalt und gegebenenfalls die Erziehung des Mündels sorgen, das oft in seine Hausgemeinschaft aufgenommen wurde33 . b) Die Obervormundschaft der Sippe
Die Sippe, deren Mitglieder selber eine entfernte Erbanwartschaftsberechtigung hatten, fiihrte seit der fränkischen Zeit durch den Sippen- bzw. Familienrat nur noch die Aufsicht über die Tätigkeit des Vormundes, um die Vermögensinteressen der eigenen Familie, aber auch die des Mündels zu wahren34. Der Einfluß der Sippe ging also nicht verloren, sondern die Gesamtvormundschaft hatte sich zu einer Obervormundschaft des Sippen- bzw. Familienrats gewandelt35 . Somit ergab sich eine zweistufige Vormundschaft: die unmittelbare Vormundschaft des Einzelvormundes und die mittelbare, übergeordnete, durch den Sippen- bzw. Familienrat ausgeübte Obervormundschaft der Sippe bzw. der Familie36 . Der Sippen- bzw. Familienrat hatte einen Einfluß auf die Verwaltung des Mündelvermögens durch den Vormund. Dieser mußte teilweise zur Verhinderung von Veruntreuungen und nachlässiger Verwaltung mit Hilfe der Sippe den Umfang und Wert des Mündelvermögens bestimmen, also ein Inventarverzeichnis aufstellen37. Bei der Veräußerung von Immobilien hatte der Vormund vorher die Zustimmung des Sippen- bzw. Familienrats einzuholen, denn der Verkauf dieser sicheren Kapitalanlage konnte indirekt auch das Familien-
30 Planitz, S. 213; ObertilJchen, S. 9; Conrad, Bd. I, S. ISS; Habner, S. 719; Minermaier, (1847), S. 46S; Stobbe/Lehmann, S. S37; Zelle, S. 6; Schlater, S. 3. 31 Heus/er, Bd. 2, S. 482, 486; Herrmann, S. 24; Zelle, S. 6. 32 Planitz, S. 213; Heus/er, Bd. 2, S. 482; Habner, S. 718; Mineis/Lieberich, Dt. Privatr., S. 79. 33 Stobbe/Lehmann, S. S37; HQbner, S. 717; Heus/er, Bd. 2, S. 486; Minermaier, (1847), S. 466; Planitz, S. 213.
Herrmann, S. 24; Obertüschen, S. 7, 10, 12; Schlüter S. 3; Heus/er, Bd. 2, S. 495. Planitz, S. 213; Obertüschen, S. 7. 36 Ryba, S. 3. 37 ObertQschen, S. 10, 12. 34
3S
II. Die Entwicklung in gennanischer und frlnkischer Zeit
ll
vermögen schädigen38 . Der Familienrat wachte auch über die Person des Mündels. Er hatte seine Einwilligung zur Verheiratung des Mündels zu geben39 und schützte es gegen Übergriffe des Vormundes40 . Der Familienrat entschied über eine etwaige Untauglichkeit des Vormundes und konnte diesen wegen schlechter Verwaltung oder Mißbrauch seiner Muntgewalt absetzen (balemunden)41 . Hieran zeigte sich schon, daß die Vormundschaft ihren Charakter etwas veränderte und die Fürsorge fiir das Mündel mehr in den Vordergrund trat42 . 3. Das Einsetzen eines staatlichen Einflusses auf das Vormundschaftswesen
a) Sttirkung der Staatsgewalt Nach dem Ende der Völkerwanderung gegen Ende des 6. Jahrhunderts nahm die Bedeutung der Staatsgewalt zu. Der Staat begann seine Aufgaben zu erweitern und griff dabei auch in die Machtsphäre der Sippe ein, deren politischer Charakter langsam verschwand, da ihr bedeutende Rechtsaufgaben jetzt abgenommen wurden43.
b) Veränderungen im Sippen- bzw. Familienaufbau Auch der Charakter der Sippe bzw. der Familie veränderte sich, denn es trat eine Lockerung des Sippen- und Familienverbandes ein44. Die Zugehörigkeit zur Sippe hörte zum Teil schon mit dem fiinften Verwandtschaftsgrad auf"5. Die Blutsverwandtschaft, also die kognatische Organisation der Sippe 38 SchrlJder/Kanßberg, S. 355; Herrmann, S. 24; ObertQ:rchen, S. Sachsenspiegel II, 26, abgedruckt bei: ObertQ:rchen, S. 14.
14.
Siehe z.B. Vennehrter
39 Herrmann, S. 30; WarnkiJnig/Stein, S. 225 f.; Brunner!Schwerin, S. 231. Siehe Lex Salica capitulare I cap. 6 und Lex Wisigothorum Tit. II cap., abgedruckt bei: Herrmann, S. 30.
40 Planitz, S. 213; Schr&Jer!Künßberg, S. 3SS; Kraut, S. 40; Michels, S. 3. Siehe Edictum Rothari 200, abgedruckt bei: Kraut, S. 40; Lex Saxonum 43, abgedruckt bei: Michel:r, S. 3.
41 Brunner!Schwerin, S. 231; Obertüschen, S. 9; He"mann, S. 30; Conrad, Bd. I, S. 159, SchrlJder/Künßberg, S. 355; Kraut, S. 40, 397 ff. Siehe auch noch im Sachsenspiegel I, 41, abgedruckt bei: Herrmann, S. 30; Schwabenspiegel 324, 12, abgedruckt bei: Kraut, S. 398. 42 Hübner, S. 718. 43 WarnkiJnig!Stein, S. 226; ObertQ:rchen, S. Onen, S. 10.
44
Ryba, S. 4;Planitz, S. 214; SchrlJder/Künßberg, S. 3SS;Habner, S. 719.
Brunner, S. Brunner, S. 325. 45
16; Schneider, S. 1; He"mann, S. 27; Fuchs, S. 2;
325; Herrmann,S. 27; Michels,
S.
4.
Siehe Lex Ribuaria
56, 3, abgedruckt bei:
12
Kapitel 1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
bzw. Familie stand bereits ebenbürtig neben der agnatischen46 . Die Anzahl der am Familienrat teilnehmenden Sippengenossen wurde in einigen alten Rechten der Zeit aufvier Personen festgelegt47. c) Der karolingische Ktinigsschutz
Der größere staatliche Einfluß im Rechtsleben machte sich auch im Vormundschaftswesen bemerkbar. So stellte der karolingische König um 800 die Witwen und Waisen, die weder eine eigene Familie besaßen noch den Schutz einer anderen erhielten, unter seinen Schutz48. Der König, der den Familienschutz ersetzte, hatte somit auch die Vormundschaft über alle Personen, die sich seinem Schutze unterstellt hatten49. Dafür erlangte er ein Erbrecht an ihrem Vermögen50 . Die Ausübung der Vormundschaft übertrug der König seinen richterlichen Beamten, die meistens wiederum einen eigenen Vormund für das Mündel bestellten51 . Über diesen Vormund behielt der König durch seine Beamten jedoch die oberaufsehende Gewalt52 . Der Königsschutz rückte also langsam neben den Familienschutz und die obervormundschaftliche Aufsicht der Beamten neben die Obervormundschaft des Familienrats53 . Die Beamten sollten die gerichtlichen und sonstigen Angelegenheiten der Witwen und Waisen, wie z.B. deren Vertretung, bevorzugt erledigen54. Verbrechen gegen diese Hilfsbedürftigen wurden in späterer Zeit auch vom Staat verfolgt und nicht mehr ausschließlich durch die Verletzten bzw. ihre Angehörigen55 . Die praktische Durchführung der Königsfürsorge für Witwen und Waisen in spätfränkischer Zeit ist aber in ihren theoretischen Ansätzen stehengeblie-
Michels, S. 4; He"mamr, S. 27; WarnktJnig!Stein, S. 226. Brunner, S. 123; Brunner!Schwerin, S. 231; Herrmann, S. 27. 48 Kraut, S. 64 f., 79; Mittermaier, (1847), S. 467; Heller, S. 6; Conrad, Bd. I, S. 1S9; Brunner, S. 331; Michels, S. 4. Siehe Capit. IV. a. 806 c. 3, abgedruckt bei: Kraul, S. 79 u. ObertQschen, S. 17. 49 Kraut, S. 74; Zelle, S. 7; Heusler, Bd. 2, S. 483; HQbner. S. 718; Ryba, S. S. j() Kraul, S. 64, 66; Zelle, S. 7. ~ 1 Heller, S. 6; Kraul, S. 74, 7S; Zelle, S. 8. ~2 Heller, S. 6; Kraut, S. 84. ~3 Kraut, S. 82; Zelle, S. 8. 46
47
54 Oberlilschen, S. 17; Conrad, Bd. I, S. 1S9; Brunner, S. 331; Heller, S. 6; Habner, S. 718; Kraut, S. 81. Siehe Capit. a. 7SS c. 23, abgedruckt bei: Kraut, S. 81 u. Obertaschen, S. 17. ~~ Kraut, S. 77 f.; Obertaschen, S. 17; Heusler, Bd. 2, S. 483. Siehe Capit. II. 806 c. 2, abgedruckt bei: Kraut, S. 77 u. Obertaschen, S. 17.
111. Der Bedeutung~~verlust des Familienrals in Deutschland
13
bens6. Nur bei den Langobarden hatte sich schon in früherer Zeit eine wirkliche staatliche obervonnundschaftliche Tätigkeit entwickelt57.
ID. Der Bedeutungsverlust des Familienrats in Deutschland wlhrend des Mittelalters und der frühen Neuzeit In der Zeit des Mittelalters vom Ende des fränkischen Reiches um 900 bis etwa 1500 und danach in der frühen Neuzeit bis etwa 1800 verlor der Familienrat in Deutschland immer mehr an Bedeutung. 1. Die Ausbildung einer staatlichen Obervormundschaft im Mittelalter
Eine ausgeprägtere obrigkeitliche Obervonnundschaft bildete sich im Reichsgebiet erst im Spätmittelalter ab dem 13. Jahrhundert aus58 .
a) Die Obervormundschaft der städtischen Beh6rden In den seit dem 12. und 13. Jahrhundert neu entstandenen Städten und Ländern befaßten sich deren Organe mit dem Vonnundschaftswesen. Besonders in den Städten nahm man sich der Obervonnundschaft an. Dies geschah anfangs durch den Rat der Stadt, der oft auch die Gerichtsbarkeit inne hatte. Wie schon beim karolingischen Königsschutz ergab sich dadurch eine Verbindung der Obervonnundschaft mit der richterlichen Gewalt, obgleich die Obervonnundschaft nur zur oberaufsehenden Gewalt gehörte. 59 In späterer Zeit wurden in den Städten einzelne Magistratspersonen mit der Führung der Obervonnundschaft beauftragt und dann sogar eigene Vonnundschaftsbehörden zur Aufsicht eingerichtet60. Die Städte erließen ebenso die ersten Vormundschaftsordnungen61.
~ Brunner, S. 331; Brunner!Schwerin, S. 231; R. Koch, S.
Hilbner, S. 718; Schneider, S. SB Hübner, S. 718. S9 Kraut, S. 85 [ , 88.
10; Hilbner, S. 718.
57
1; R. Koch, S. 9.
60
Kraut, S. 89; Conrad, Bd.l, S. 411 ; Planitz, S. 214; Stobbe!Lehmann, S. 53!5. Hübner, S. 719; Planitz, S. 214; Stobbe!Lehmann, S. !534.
61
14
Kapitel
1: Überblick Qber die Entwicklung des Familienrats bis 1804
b) Der Familienrat im Mittelalter Im Mittelalter besaß der Familienrat noch eine gewisse Bedeutung, obwohl er seine souveräne Stellung im Laufe der Zeit immer mehr verlo.-62. In den Rechten des Mittelalters findet sich zwar nirgendwo der Ausdruck "Familienrat" fiir die obervormundschaftlich fungierenden Familienmitglieder, dafür aber Umschreibungen, wie z.B. "freunde rat", fiir das Gremium und die Beratung durch die Verwandten in obervormundschaftlichen Angelegenheiten63. Die obervormundschaftlichen Funktionen der Familienmitglieder waren jedoch denen des vormundschaftlichen "Familienrats" des 19. und 20. Jahrhunderts ähnlich. Über die Anzahl der Personen, die im Mittelalter am Familienrat teilnahmen, gab es in den verschiedenen Rechten nur wenige Angaben. Meistens waren es aber vier Personen oder fiinf, wenn der Vormund mit eingerechnet wurde. Sie setzten sich je zur Hälfte aus Verwandten der väterlichen und der mütterlichen Seite zusammen, die manchmal als "Magen" oder als "Freunde" bezeichnet wurden.64
c) Die Obrigkeit verdrtingt den Familienrat aus der Obervormundschaft Anfangs wurde die Obrigkeit nur in Streitfällen zwischen Vormund, Mündel und Familienrat angerufen6S. Der Stadtrat konnte also z.B. auf Antrag des Mündels eine unberechtigt verweigerte Einwilligung des Familienrats zu einem Verkauf von Mündelgut durch obrigkeitliche Genehmigung ersetzen. Nach und nach mußte der Familienrat dann bei Beschlüssen über wichtige Angelegenheiten des Mündels, wie beispielsweise die Erteilung einer Zustimmung gegenüber dem Vormund, auch die Obrigkeit hinzuziehen. Im ausgehenden Mittelalter wurde der Familienrat fast völlig durch die Obrigkeit verdrängt, die die obervormundschaftlichen Familienrechte immer mehr an sich gezogen hatte. Die Obrigkeit entschied nun selbständig über die Mündelbelange, und sie kontrollierte den Vormund, während der Familienrat nur noch hin und wieder beratend hinzugezogen wurde. 66
Michels, S. 6; Herrmann, S. 31; Stobbe/Lehmann, S. S34. Herrmann, S. 32. Siehe Augsburger Statut von 1276, abgedruckt bei: Herrmann, S. 42; Baier. Ldr. des 14. Jhrh., abgedruckt bei: Kraut, S. 9S f. 64 Herrmann, S. 33 ff. Siehe Vermehrter Sachsenspiegel I, SO § 3, abgedruckt bei: Herrmann, s. 41. 6s Kraut, S. 91; OberiQschen, S. 19. Siehe Sachsenspiegel I, 41, abgedruckt bei: Kraut, S. 83; Schwabenspiegel, 340, 4, S, abgedruckt bei: Obertüschen, S. 19. 66 Kraut, S. 91 f.; OberiQschen, S. 19 f. 62
63
111. Der Bedeutun~verlust des Familienrats in Deutschland
15
Das Eindringen der Obrigkeit in die Familiendomäne der Obervormundschaft hatte seine Gründe auch in der Entwicklung der Familie. Durch die freie Einwanderung in die neu entstandenen Städte lockerten sich die alten engverwurzelten Familienverbindungen mit dem Lande immer mehr, und es bildeten sich neue nachbarschaftliehe und freundschaftliche Beziehungen67. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß der Vater seit dem 13. Jahrhundert an der Stelle des "geborenen" Vormundes letztwillig einen von ihm "gekorenen" Vormund für seine Kinder bestellen konnte, der kein Verwandter mehr sein mußte.68 Der Charakter der Vormundschaft änderte sich spätestens seit dem 13. Jahrhundert69 . Der bedeutendste Fall der Vormundschaft blieb die Altersvorrnundschaft, der noch nicht mündige Minderjährige bedurften. Die Geschlechtsvormundschaft hingegen, der die Frauen unterstanden, wurde in den meisten mittelalterlichen Rechten entweder aufgehoben oder zu einer Beistandschaft abgeschwächt. 70 Daneben gab es auch eine Vormundschaft über Geisteskranke und Gebrechliche71 . Die Übernahme der Vormundschaft wandelte sich fiir den Vormund von einem Recht zu einer Pflicht72 . Der Vormund hatte kein Nutznießungsrecht mehr arn Mündelvermögen73 . Die Fürsorge fiir das Mündel und dessen Schutz standen jetzt im Vordergrund74 . Da der Vorrnund nicht mehr zwangsläufig der erbberechtigte Schwertmagen war, wurde eine stärkere Kontrolle über ihn erforderlich75. Als Mündelvertreter, der das Mündelgut verwaltete und darüber verfügen konnte, unterlag der Vormund aus diesem Grunde bei wichtigen Angelegenheiten einer umfangreicheren obrigkeitlichen obervormundschaftlichen Aufsicht. Dadurch sollte eine Gefährdung des Mündels und seines Vermögens ausgeschlossen werden. 76 Der im Mittelalter besonders in den Städten immer mehr wachsende Einfluß der Obrigkeit auf die Obervormundschaft und die damit verbundene Zurückdrängung der obervormundschaftlichen Rechte der Familie zeigte sich be-
61
Hübner, S. 719; Ryba, S. 7; Heus/er, Bd. 2, S. 499; Schlater, S. 4.
68 Hübner, S. 719; Conrad, Bd. I, S. 411; Schlater, S. 4; Planitz, S. 214.
Heus/er, Bd. 2, S. 488; Herrmann, S. 32. Schr(Jder!KanjJberg, S. 776, 818 f.; Brunner!Schwerin, S. 231 f.; Heus/er, Bd. 2, S. 488 f.; Hübner, S. 722. 71 Conrad, Bd. I, S. 412; Schr6der1Künßberg, S. 819; Habner, S. 722. 12 Hübner, 'S. 720; Heus/er, Bd. 2, S. 488; Planitz, S. 215. 13 Hübner, S. 719 f. 74 Heus/er, Bd. 2, S. 488; Conrad, Bd. I, S. 411. 7s Herrmann, S. 38 f. 16 Planitz, S. 214 f. 69
10
16
Kapitel 1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
sonders bei der Kontrolle über den Vormund; vor allem bei dessen Bestellung, Rechnungslegung und Sicherheitsleistung. Gab es fUr Schutzbedürftige keinen geborenen oder vom Vater gekorenen Vormund, so konnte jetzt der Richter dessen Bestellung übernehmen. Dazu mußte aber der Familienrat gutachterlieh angehört werden. Im 13. Jahrhundert wurde dann auch fiir den vom Familienrat oder vom Vater ernannten Vormund eine richterliche Bestätigung erforderlich. Der Richter hatte das Recht, die Eignung des Vormundes zu überprüfen, evtl. einen anderen einzusetzen und ihn bei Unfähigkeit wieder abzusetzen (balemunden)77. Das Baiemuoden eines untreuen Vormundes stand früher noch dem Familienrat zu. Im ausgehenden Mittelalter wählte die Behörde den Vormund von Amts wegen schließlich selber aus. Der Familienrat hatte sie nur noch von der Notwendigkeit, einen Vormund zu bestellen, in Kenntnis zu setzen.78 Am Anfang konnten nur die nächsten Erben des Mündels vom Vormund eine Rechnungslegung, also eine Aufstellung des gesamten Vermögens des Mündels, verlangen79. Sie unterblieb, wenn der Vormund selber nächster Erbe war8°. Im Laufe der Zeit mußte jedoch jeder Vormund dem Familienrat auf dessen Verlangen Rechnung ablegen81 . Nur bei Unzufriedenheit mit der Rechnungslegung und Argwohn gegen den Vormund wurde in der Folgezeit die Angelegenheit vor die Behörde gebracht. Später im 14. Jahrhundert fand die Prüfung der Rechnungslegung dann nicht mehr durch den Familienrat alleine statt, sondern nur noch zusammen mit der Obrigkeit. 82 Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich bei der Sicherheitsleistung. Hatte der Vormund anfangs nur dann dem Familienrat eine Sicherheit zu stellen, wenn er nicht nächster Erbe des Mündels war und die Erhaltung des Mündelvermögens gefährdet war, so mußte er dies später stets tun. Im 14. Jahrhundert
n Siehe Schwabempiegel 324, 12, abgedruckt bei: Kraut, S. 397 f.; Sachsenspiegel I, 41 abgedruckt bei: Michels, S. 6. 78 Kraut, S. 94 ff.; Herrmann, S. 37 f., 42; PlaniiZ, S. 214; Hübner, S. 719, 72S; Obertüschen, S. 17 f. ;Mittermaier, (1847), S. 468.
19
Kraut, S. 92; Obertüschen, S. 12; Herrmann, S. 40. Heus/er, Bd. 2, S. S06; Obertüschen, S. 12. Siehe Sachsenspiegel I, 23 § 2, abgedruckt bei: Heus/er, Bd. 2, S. S06 u. Kraut, S. 92. 80
81
Kraut, S. 92; ObertQschen, S. 12. Siehe Schwabenspiegel324, 8, abgedruckt bei: Kraut, S. 92
u. Obertaschen, S. 12. 82 Kraut, S. 92 f.; ObertQschen, S. 20; Herrmann, S. 40 f.
111. Der Bedeutungsverlust des Familienrats in Deutschland
17
konnte die Kautionsleistung des Vormundes den Verwandten gegenüber schließlich schon von der Obrigkeit kontrolliert werden. 83 l. Die Oben'ormundschaft nach der Rezeption des römischen Rechts
a) Die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577
Die Reichspolizeiordnungen, in denen das Prinzip einer rein staatlichen Obervormundschaft zum Ausdruck kam, waren von der Reichsgesetzgebung erlassene Staatsordnungsgesetze84. Ihre vormundschaftsrechtlichen Vorschriften bestanden aus einer Verschmelzung von älterem deutschen Recht und rezipiertem römischen Recht8S. Die römisch-rechtlichen Einflüsse zeigten sich besonders an den Bestimmungen über die behördliche Bestellung des Vormundes und dessen Sicherheitsleistung der Obrigkeit gegenüber86 . Im Vergleich zum Mittelalter war die Kontrolle über den Vormund durch die Reichspolizeiordnungen noch mehr von der Familie auf die Obrigkeit übergegangen. Die Einsetzung des Vormundes erfolgte jetzt nicht mehr durch den Familienrat, sondern generell nur noch durch die Vormundschaftsbehörde, wie sich in den Reichspolizeiordnungen von 1548 (Tit. 31 § 2) und 1577 (Tit. 32 § 2) zeigte87. Die Rechnungslegung vor der Obrigkeit wurde durch die Reichspolizeiordnungen von 1548 (Tit. 31 § 3) und von 1577 (Tit. 32 § 3) zur Pflicht und damit die Mitwirkung des Familienrats insoweit vollständig beseitigt88. Durch die Reichspolizeiordnungen von 1548 (Tit. 31 § 3) und von 1577 (Tit. 32 § 3) wurde der Vormund schließlich allein der Obrigkeit und nicht mehr auch dem Familienrat gegenüber verpflichtet, Sicherheit zu leisten89.
83 Kraut, S. 93 [; Herrmann, S. 41; Michels, S. S f.; ObertQschen, S. II. Siehe Sachsenspiegel I, 23 § 2, abgedruckt bei: Kraut, S. 92; Vennehrter Sachsenspiegel I, SO § 3, abgedruckt bei: He"mann, s. 41.
Ryba, S. IO;Fuchs, S. 3. Drucksachen des Abgeordnetenhauses Nr. 94, S. 469 [; R. Koch, S. I 0. 84 85
1874, S. 387; Ryba, S.
86
Ryba, S. 12; Obertüschen, S. 27 [;Michels, S. S, 9. Kraut, S. 96; Herrmann, S. 38; Hübner, S. 12S; ObertQschen, S. 27. Kraut, S. 93; Herrmann, S. 21 ; Obertüschen, S. 28. Kraut, S. 93 [ ; ObertQschen, S. 28.
87 88
89
3 Rachel
I 0; Mittermaier, (1847),
18
Kapitell: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
b) Exkurs: Das römische Recht
Bei den Römern hatte sich die Obervormundschaft - beginnend mit der Iex Atilia ca. 188 v. Chr. -schon früh zu einer Angelegenheit des Staates entwikkelt90. Zuvor hatte dort ein consilium familiae - ein Familienrat - den Vormund alleine überwacht91 . Während sich in Deutschland die Obervormundschaft - wohl auch unter römisch-rechtlichem Einfluß - zu einer reinen Staatssache entwickelte92, war in Rom die Familie nie vollständig verdrängt worden93. Der Praetor mußte bei wichtigen Angelegenheiten, die das Mündel betrafen, wie z.B. der Bestellung des Vormundes (tutor), einen Kreis von Verwandten des Mündels gutachterlieh hören. Er war aber an ihr Gutachten nicht gebunden. 94 Die Verwandten hatten daneben noch die Aufgabe, fiir die Mündelerziehung zu sorgen95 . Die Mitwirkung der Familie im römischen Vormundschaftsrecht war somit weniger bedeutsam als im deutschen Vormundschaftsrecht bis zum Hochmittelalter96. c) Das gemeine Recht
Im gemeinen Recht prägte sich die staatliche Obervormundschaft viel weiter aus als im römischen Recht. Während im römischen Recht eine Mitwirkung der Familie erhalten geblieben war, wurde die Obervormundschaft in Deutschland zu einer reinen Angelegenheit des Staates gemacht. Man ging folglich weit über die im römischen Recht enthaltene Staatsaufsicht hinaus und entwickelte das Vorbild des alten Königsschutzes weiter. Diese gewisse Eigenständigkeil des Vormundschaftswesens in der gemeinrechtlichen Praxis zeigt, daß der Einfluß des römischen Vormundschaftsrechts nicht groß war.97
90
Schneider, S. I; Otten, S. I 0; Michels, S. 8 f.; Herrmann, S. 11.
91 Michels, S. 7; Herrmann, S. 9, 11. 92 Villaume, S. 8; Herrmann, S. 38; Fuchs, S. 3; ObertQschen, S. 27; Wesenberg!Wesener, S. 80; Dernburg, S. 8.
93
Obertaschen, S. 2S, 28; Schneider, S. 2.
Herrmann, S. 11 ff.; Michels, S. 9; Obertaschen, S. 2S. Siehe Dig. 27, 9 Iex. S § 11, abgedruckt bei: Obertaschen, S. 2S. 94
9S Michels, S. 9; ObertQschen, S. 26.
Obertilschen, S. 27; Fuchs, S. 3. Schlater, S. 4 f.; Drucksachen des Abgeordnetenhauses Nr. S. S01 f.; Wieacker, S. 230; Stobbe!Lehmann, S. SS3. 96
97
94, 1874, S. 387; Heus/er,
Bd. 2,
111. Der Bedeutungsverlust des Familienrats in Deutschland
19
d) Die Landesgesetzgebungen
Während in den Reichspolizeiordnungen (von 1548 und 1577) nur einheitliche Grundzüge geregelt waren, war der Schwerpunkt des Vormundschaftsrechts in den Landesgesetzgebungen verankert98. Das in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert vorherrschende Prinzip der staatlichen Obervormundschaft wurde partikularrechtlich nur in einigen niederdeutschen Städten durchbrochen. Dort hatte sich die Einrichtung des Familienrates noch erhalten.99 Die stärkste Ausprägung einer rein staatlichen Obervormundschaft in den Iandesrechtlichen Vormundschaftsordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts zeigte das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 100. e) Das Vormundschaftsrecht im preußischen Allgemeinen Landrecht
Das Vormundschaftsrecht des preußischen Allgemeinen Landrechts war gekennzeichnet durch den Geist des absoluten Polizeistaates101 , in dem staatliche Machtmittel für Wohlfahrt und öffentliche Ordnung eingesetzt wurden. Das Gesetzbuch ging davon aus, daß es "Sache des Staates sei", für seine vormundschaftsbedürftigen Bürger zu sorgen 102. Dementsprechend wurde das Vormundschaftsrecht im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) als ein Teil des Staatsrechtes behandelt 103. Die Zubevormundenden bezeichnete das Landrecht daher in Tb. II, Tit. 18, §§ 6, 3 ALR als die "Pflegebefohlenen des Staates". Der preußische Staat betrachtete es als seine Aufgabe, diese schutzbedürftigen Personen "unter seine besondere Aufsicht und Vorsorge" zu stellen (Tb. II, Tit. 18, § 1 ALR). Diese Pflicht des Staates zur Förderung der privaten Wohlfahrt der Bürger führte zu einem polizeilichen Wohlfahrtsstaat104. Die dazu gehörende große Macht der staatlichen Obervormundschaftsbehörde als Organ des Staates äußerte sich darin, daß der Vormund "als Bevollmächtigter des Staates" angesehen wurde (Tb. II, Tit. 18, § 235 98 Planitz, S. 215; Habner, S. 720; R. Koch, S. 10; Kroesche/1, Dt. Rechtsg., Bd. 2, S. 282; Stobbe!Lehmann, S. 534; Conrad, Bd. 11, S. 257. 99 Brunner!Schwerin, S. 231; Otten, S. 11; Schneider S. 2; Fuchs, S. 3; Michels, S. 11; Kraut, s. 108 f. 100 Fuchs, S. 3; Schneider, S. 2; Ryba, S. 13 f. 101 R. Koch, S. 10;Ryba, S. 13 f.; Habner, S. 721; Coing, Europ. Privatr., Bd. II, S. 331. 102 Suarez, Jahrbacher Bd. XLI, S. 185. 103 Arndts!Leonhard, S. 10; Bremer, S. 9; Ryba, S. 14; Sch/Qter, S. SO; C. F. Koch, PrRV, S. 73. 104 Vgl. Sch/Qter, S. 47 f.; Ry ba, S. 14.
3•
20
Kapitel
1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
ALR) 105 . Dies war er aber mehr im Sinne eines Amtes als einer privatrechtliehen Stellvertretung' 06 . Da der Vormund somit nicht mehr als Stellvertreter des Mündels oder gar der Familie, sondern als einer des Staates aufgefaßt wurde, gab es im ALR grundsätzlich nur eine Dativvormundschaft; d.h. die Auswahl und Bestellung des Vormundes geschah ausschließlich durch den Richter und nicht durch Testament oder kraft Gesetzes aufgrund von Verwandtschaft (Th. II, Tit. 18, §§ 7, 110 ALR) 107. Der Vormund stand unter "beständiger Aufsicht" des Vormundschaftsgerichts, das ihn "bei der Führung" seines "Amtes" "dirigieren" mußte und dessen "besondere Anweisungen" er "sorgfältig zu achten" hatte (Tb. II, Tit. 18, §§ 236, 237 ALR). Bei allen "erheblichen Veränderungen", die die "Person oder das Vermögen des Pflegebefohlenen" betrafen, hatte der Vormund "dem Gerichte davon Anzeige" zu machen und "dessen Genehmigung oder nähere Anweisung" einzuholen (Th. II, Tit. 18, § 238 ALR). Diesen Grundsätzen entsprachen viele Detailbestimmungen des ALR108. Da die Entscheidungen über viele Vorflille alleine vom Vormundschaftsgericht zu treffen waren, lag der Schwerpunkt der Verwaltung und der Erziehung des Mündels bei der Obervormundschaftsbehörde109. Der Vormund, der das Beschlossene als Beauftragter lediglich auszufuhren hatte, war somit in eine untergeordnete, abhängige und unselbständigere Stellung gedrängt worden" 0. Es ergab sich also eine Vermischung von Vormundschaft und Obervormundschaft, so daß die Obervormundschaftsbehörde der eigentliche Vormund war und damit der Staat selber der Träger der Vormundschaft'"· Dementsprechend stand in einem umstrittenen" 2 Ministerialrescript vom 4. Januar 1842, daß die Behörde als Organ des Staates die Vormundschaft fiihre und den Vormund als unselbständigen Vollstrecker ihrer Anordnungen benutzen, ihn aber auch übergehen könne, um selbst zu handeln und zu verwalten" 3.
Hübner, S. 721. Str. vgl. Drucksachen des Abgeordnetenhauses Nr. 94, 1874, S. 389; C. F. Koch, ALR, S. 860 (Anm. 91 zu§ 23S);Arndts!Leonhard, S. 29 f., 7.5 f.; Schlüter, S. 68. 107 Suarez, Jahrbacher Bd. XLI, S. 184; Dernburg, S. II; Bremer, S. 9; Kraut, S. 96; SchlQter, tOS
106
s. .56.
tos Vgl. Philler, Vormundschaftsordnung, S.
12.
Philler, Vormundschaftsordnung, S. 12; Ryba, S. 1.5; Dernburg, S. ll; Coing, Europ. Privatr., Bd. II, S. 331; Drucksachen des Abgeordnetenhauses Nr. 94, 1874, S. 388. 11 Coing, Europ. Privatr., Bd. II, S. 332; Buchholz, in: Coings Handbuch, S. 1672; Hübner, S. 721; Ryba, S. 13 f.; Bethmann!Hollweg, S. 216; C. F. Koch, PrRV, S. 7.5; R. Koch, S. 10; Drucksachen des Abgeordnetenhauses Nr. 94, 1874, S. 389. 111 Bremer, S. 12; Schlüter, S. .52, 66; Ryba, S. 13 f.; C. F. Koch, ALR, S. 826 (Anm. 1). 112 Vgl. Drucksachen des Abgeordnetenhauses Nr. 94, 1874, S. 389. 113 Justiz-Ministerial-Blatt 1842, S. 22 f. 109
°
IV. Die Entwicklung des Familienrats in Frankreich bis
1804
21
Der einzige Ausweg aus dieser bürokratischen, schwerfälligen und machtvollkommenen Version einer staatlichen Obervormundschaft war die vielfach praktizierte Einsetzung eines befreiten Vormundes114. Dieser konnte teilweise von den gesetzlich "vorgeschriebenen Einschränkungen der Administration" befreit werden und unterstand nur der allgemeinen Aufsicht des Gerichtes, so daß er selbständiger verwalten konnte (Th. II, Tit. 18, §§ 681, 685 ALR). Die Mitwirkung der Familie bei der Vormundschaft war bis auf einzelne Ausnahmen11S vollkommen verschwunden. IV. Die weitere Entwicklung des Familienrats in Frankreich bis 1804 l. Das alte französische Recht bis zur Revolution
Das alte französische Recht beruhte auf römischen und germanischen Rechtseinflüssen aus der vorfranzösischen Zeit. In Gallien wurde nämlich nach der Eroberung durch die Römer fast ausschließlich römisches Recht angewendet. Als dann die Germanen während der Völkerwanderung um 400 n. Chr. in das römische Gallien eindrangen und sich dort besonders im Norden und Westen niederließen, behielten sie ihre germanischen Rechte bei. Die Romanen lebten weiterhin nach fortentwickeltem römischen Recht, die Germanen nach ihren Stammesrechten. Nach der Teilung des fränkischen Reiches 843 bildeten sich daher in Frankreich im Laufe der Zeit bis zum 13. Jahrhundert zwei Rechtsgebiete aus. Infolge des überwiegend germanischen Bevölkerungsanteils im Norden und Westen Frankreichs setzten sich dort vorwiegend aus germanischen Grundsätzen bestehende, lokale Gewohnheitsrechte "coutumes". (droit coutumier) durch. Im Süden waren die Romanen in der Mehrzahl, so daß dort meistens das geschriebene römische Recht Justinians (droit ecrit) Gültigkeit behielt. Diese Trennung in zwei Rechtsgebiete war jedoch nicht streng, denn im Süden fand auch germanisches, im Norden auch römisches Recht Anwendung, und es gab Verschmelzungen beider Rechte untereinander.116
Dernburg, S. 12; R. Koch, S. 10 f.; Philler, Vonnundschaftsrecht, S. 13. IIS Siehe Th. II, Til 18, §§ 97-100, 111, 314, 444, SS9, 61S, 622,714, 817, 820, 8S7, 927,987
114
ALR.
116 Zum Vorhergehenden
Schneider, S. 2.
Warnkönig/Stein, S. 28 lf.; Michels, S. II f.; Obertaschen, S. 30;
22
Kapitel
1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
a) Das Vormundschaftsrecht in Nord- und Westfrankreich im Mittelalter
Im Vormundschaftsrecht Nord- und Westfrankreichs gab es im Mittelalter etwa vom 9. bis zum 14. Jahrhundert die aus dem alten germanischen Mundium entwickelten 117 gewohnheitsrechtliehen Institute der "garde" für den nichtadeligen Bürgerstand, und des "bail" für den Adet 118. Die Personen, die für Person und Vermögen des Mündels zu sorgen hatten, hießen "gardiens" oder "baillistres" bei Lehnsvormundschaften119 . Diese Begriffe wurden indes damals oft mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. Auch ist die Abgrenzung zwischen den einzelnen Instituten teilweise unklar 120, so daß hier nur vereinfachte Grundzüge aufgezeichnet werden können. Eine Lehnsvormundschaft (bail) entstand erst, als das Lehen bei Mindeljährigkeit des Lehnsbesitzers nicht mehr vom Lehnsherren eingezogen werden konnte und er den unmündigen Lehnsbesitzer bis zur Volljährigkeit, bei der er ihm das Lehen wieder zurückgeben mußte, zu betreuen hatte 121 . Später ab dem 13. Jahrhundert wurde der "bail" von der Sippe ausgeübt, die aus der nächsten Verwandtschaft des Mündels einen "baillistre" bestimmte122 . Der "baillistre", dem die Nutznießung am Lehnsgute zustand 123, mußte die "assemblee des paren(t)s" oder den "avis des paren(t)s", wie der Familienrat damals hieß, bei wichtigen, das Mündel betreffenden Dingen, wie z.B. dessen Verheiratung oder Liegenschaftsveräußerungen, befragen. Überdies konnte der "baillistre" vom Familienrat abgesetzt und ausgetauscht werden. 124 Galt die "assemblee des paren(t)s" anfangs meist nur für lehnsrechtliche Vormundschaften, so wurde diese Einrichtung in Jahre 1351 in Paris -als das Recht verliehen wurde, die "garde bourgeoise" wie einen "bail" auszuüben - auch für bürgerliche Vormundschaften anwendbar gemacht. Der "bail" wurde nun im Gegensatz zur "garde bourgeoise" "garde noble" genannt.12S
111 Schaeffiter, Bd. S. 269. 118
Schaeffiter, Bd.
119 Herrmann,
1, S. 2S6, Bd. 3, S. 212, 218; J. Schenk, Familienrath, S. 9; WarnlctJnig!Stein, 1, S. 2S6, Bd. 3, S. 218; Deisenhofer, S. 11.
S. 4S; Obertaschen, S. 31 f.
273, 281; Schaeffiter, Bd. 3, S. 218,229. 12; Schaeffner, Bd. 2, S. 242; WarnlctJnig!Stein, S. 268 f. 122 Herrmann, S. 4S f.; Michels, S. 12; ObertQschen, S. 32; Schaeffiter, Bd. 2, S. 242 f., Bd. 3, S. 224; WarnlctJnig!Stein, S. 269. 123 J. Schenk, Familienrath, S. 10; Warnkönig/Stein, S. 269; Michels, S. 12; Schaeffner, Bd. 2, S. 242 f., Bd. 3, S. 219. 124 Obertaschen, S. 32; Herrmann, S. 46; Schaeffner, Bd. 3, S. 22S; Michels, S. 12; J. Schenk, 120 Deisenhofor, S. IS; Warnkc:Jnig!Stein, S. 121 Obertaschen, S. 31;Michels, S.
Familienrath, S. II f.
125 Michels, S. 12; ObertQschen, S. 32 f.; Herrmann, S. 46; Schaeffiter, Bd. WarnlctJnig!Stein, S. 219;Mitteis, SZ RG GA, Bd. 63 (1943), S. 182.
3,
S.
223;
IV. Die Entwicklung des Familienrats in Frankreich bis 1804
23
b) Das Vormundschaftsrecht in Sudfrankreich Im Süden Frankreichs galt bis zur Revolution die Obervormundschaft des Staates 126. Der "tuteur", der gemäß der römischrechtlichen "tutela" vom Richter zu ernennen war, konnte immerhin in einigen Fällen von den Verwandten vorgeschlagen werden 127. Dieser dem "droit ecrit" teilweise bekannte Familienrat wird auf germanischen Einfluß zurückzufUhren sein, weil die römischrechtliche Einrichtung sehr an Bedeutung verloren hatte und darüber hinaus das "droit ecrit" als Mischrecht nicht nur allein aus römischem Recht bestand128. Der Familienrat hatte im Süden hingegen nicht die starke Stellung wie im Norden Frankreichs129.
c) Das Vormundschaftsrecht in Nord- und Westfrankreich in der frahen Neuzeit Auch im Norden und Westen übernahm der Staat mit dem Verfall des Lehnswesens im 15. und 16. Jahrhundert an der Wende zur frühen Neuzeit allmählich das Aufsichtsrecht über die Vormundschaft. Der Einfluß der Familie des Mündels wurde jedoch, anders als in Deutschland, in den "pays coutumiers" nicht völlig ausgeschaltet. 130 Die "assemblee des paren(t)s" mußte bei wichtigen Fragen vom Richter befragt werden, der diese Meinung jedoch nicht unbedingt als bindend anzusehen brauchte 131 . Der Familienrat wählte einen Vormund, den der Richter zu bestätigen hatte 132. Wurde der Rat der Familie vom Richter hingegen vernachlässigt, so konnte der Richter wegen schlechter Verwaltung zur Verantwortung gezogen werden 133. Bestimmungen über Rechte und Pflichten der Familienräte finden sich z.B. in dem "reglement sur les tutelles" von 1673 für die Bretagne und die Normandie und im "edit des tutelles" von 1731 134. Im Laufe der Zeit vom 16. Jahrhundert an wurden 126 127
Herrmann, S. 46;Michels, S. 12. Deisenhofer, S. 13; Zacharili!Crome,
Bd. 3, s. 226.
Handbuch, 8. Auf!. (189.5)
Bd.
3, S . .549; Schaeffner,
128 Zacharili!Crome, Handbuch. 8. Auf!. (189.5), Bd. 3, S . .549; Schaeffner, Bd. 3, S. 226; Michels, S. 12. 129 Deisenhofer, S. 1.5; Schaeffner, Bd. 3, S. 226. 130 Obertilschen, S. 33;Michels, S. 12 [ ; J. Schenk, Fami1ienrath, S. 13. 131 Obertaschen, S. 33; Deisenhofer, S. 1.5; Schlater, S. 137. 132 Rauter, S. 119; Michels, S. 13; Schaeffner, Bd. 3, S. 232; Schneider, S. 2; Warnk6nig!Stein,
s. 280. 133 134
Rauter, S. 119. Michels, S. 13; Schneider, S. 2.
24
Kapitel
1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
"bail" und "garde" bis zur Revolution von 1789 immer mehr durch die nach Norden eindringende, auf römisches Recht aufbauende "tutelle" verdrängt 13S. Sie war in der Regel nicht nutznießerisch und im Gegensatz zu den anderen beiden Instituten eine vollständige Vertretung des Schutzbedürftigen 136. Das gewohnheitsrechtliche Institut des Familienrats wurde beibehalten, wenn auch seine Rechte und Bedeutung immer geringer wurden 137. l. Das Recht der R~volution und der Code civil
a) Der Plan eines einheitlichen Revolutionsrechts Nach dem Ausbruch der französischen Revolution von 1789 wurde der bisher erfolglose Versuch einer Rechtsvereinheitlichung in Frankreich wieder aufgenommenl38. Unter Abschaffung der verhaßten feudalen Rechte sollte ein fiir ganz Frankreich gemeinschaftliches Recht mit demokratischer Tendenz entstehen 139. Insbesondere wollte man das gesamte französische bürgerliche Recht in einem einheitlichen Gesetzbuch neufassenl40. b) "Decret sur /'organisation judiciaire" vom August 1790 Bis zur Fertigstellung dieses Gesetzbuches war bereits indirekt in dem "decret sur r organisation judiciaire" vom 16. bis 24. August 1790 ein kleiner Bereich des Vormundschaftsrechts-die Familie betreffend- von der Nationalversammlung vorläufig neu geregelt worden. Dieses Dekret über die Gerichtsorganisation legte fest, daß nicht der Richter, sondern allein die Familie den Vormund zu ernennen hatte und der neu eingeführte Friedensrichter die durch die sogenannte Familienversammlung erfolgte Ernennung nur entgegennehmen sollte. 141 Der Begriff "Familienrat" (conseil de famille) tauchte erst in späterer Zeit auf142. Zur Stärkung der Familienautorität wurde ferner durch dieses Dekret ein Familiengericht (tribunal de famille) geschaffen. Dieses aus vier Verwandten oder Freunden bestehende Familiengericht sollte über StreillS
Dei!enhofer, S. 16; WarnklJnig!Stein, S. 279; Schaeffner, Bd. 3, S. 227. Schaeffner, Bd. 3, S. 220, 227 f., 233; WarnklJnig!Stein, S. 286. Dei!enhofer, S. 16; Schaeffner, Bd. 3, S. 232; Schlüter, S. 137; Rauter, S. 119. Michel!, S. 13; Schlüter, S. lOS ff.; Theewen, S. 34 tf. ObertQ!chen, S. 33; Schaeffner, Bd. 4, S. 281 f. Schaeffner, Bd. 4, S. 282 f.; SchliUer, S. 107; Theewen, S. 36. (fitre 111, Art. XI);Rauter, S. 119;1. Schenk, Familienrath, S. 16; ObertQschen, S. 34. Rauter, S. 120.
136 Vgl. 137
138
139 140 141 142
IV. Die Entwicklung des Familienrats in Frankreich bis 1804
25
tigkeiten zwischen Familienmitgliedern oder zwischen Mündeln und Vormündern als erstinstanzliebes Schiedsgericht entscheiden.I43 Dieses Familiengericht wurde allerdings wegen Parteilichkeit der entscheidenden Familienmitglieder144, und weil es sich als "unpraktisch" erwiesen hatte, bald wieder abgeschafft und auch nicht in den Code civil übernommen 145. Eine genauere rechtliche Ausgestaltung der Familienversammlung erfolgte durch dieses Dekret vom 16. bis 24. August 1790, das sich nur mit Grundzügen der Gerichtsverfassung beschäftigte, noch nicht, weil diese Ausgestaltung erst im neu zu schaffenden Zivilgesetzbuch geschehen sollte146. Besonders dem Deputierten Thouret aus der Normandie (pays coutumier) war es zu verdanken, daß das dem "droit coutumier" entstammende vormundschaftsrechtliche Familienprinzip in dieses Dekret mit aufgenommen wurde, denn er war mit dessen Plan und Vortrag von der Nationalversammlung beauftragt worden147. Eine geschlossene Regelung des Vormundschaftsrechts erfolgte in der Zeit des "droit intermediaire" allerdings nicht 148. Es gab jedoch ab 1793 mehrere, nicht in Kraft getretene Kodifikationsentwürfe, denen zufolge die Familienversammlung obervormundschaftliche Funktionen erfüllen sollte und der Familie somit größerer Einfluß als bisher zugestanden wurde149.
c) Die Grande flJr den Machtzuwachs der Familie bei der Vormundschaft Die Gründe fiir den Machtzuwachs der Familie in vormundschaftsrechtlichen Angelegenheiten waren vielfältig. Es galt die nivellierende Wirkung der Schlagworte der französischen Revolution "fraternite", "egalite" und "liberte" auch im Recht zu verwirklichen 150. Das Familienprinzip wurde als eine demokratische Einrichtung angesehen und entsprach daher den Erfordernissen des revolutionären Zeitgeistes151 . Aufgaben, die früher der Staat erfüllt hatte, sollten jetzt in die Hand des einzelnen Individuums oder der Familie gelegt
143 (Titre X. Art. XII); J. Schenk, Familienrath. S. 16 f.; Rauter, S. S. 481; Schlater, S. 131;Michels, S. 13; ObertQschen, S. 34.
120; Schubert, Franz. Recht,
10 u. Groisne, S. 75, zitiert nach: Deisenhofer, S. 17 (FN: 1). 17; ObertQschen, S. 34; Michels, S. 13; Schneider, S. 3. 146 J. Schenk, Familienrath, S. 16; ObertQschen, S. 34. 147 J. Schenk, Familienrath, S. 15; Rauter, S. 119; Michels, S. 13; Schneider, S. 3; Coing, Europ. Privatr., Bd. II, S. 332 (FN: II); ObertQschen, S. 33 f. 148 Schubert, Franz. Recht. S. 481. 149 Schlater, S. I31;Deisenhofer, S. 17. ISO He"mann, S. 46. ISI Rauter, S. 119; Michels, S. 13; Schneider, S. 2; Oberta:rchen, S. 33. 144
Gaillard, S.
14s
J. Schenk, Familienrath. S.
26
Kapitel
1: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
werden 152. Indem man obervormundschaftliche Aufgaben von der Familie erfiillen ließ, konnte die Forderung der französischen Aufklärung, das Eingreifen staatlicher Organe in den privaten Bereich auf ein Minimum zu reduzieren, erfiillt werden 153 . Die vormundschaftliche Machtstellung des Richters, die als Ausfluß verhaßter despotischer, obrigkeitlicher Kontrolle galt, wurde zugunsten eines verstärkten Familieneinflusses stark reduziert 154. Besonders die später eingefiihrte Institution des Familienrats erlaubte es, die von Napoleon gefijrderte Trennung von Staat und Gesellschaft im privaten Bereich zu verwirklichen und die freiwillige Gerichtsbarkeit dem Einfluß des Staates zu entziehen1ss. In der vornapoleonischen Zeit war eine Machtkonzentration in einer Hand mit der Ideologie der Revolution nicht vereinbar 156. Daher sollte zum Schutz des Mündels die Familie als wiederentdeckter wichtiger Bestandteil des Staates157 genauso republikanisch und demokratisch organisiert werden, wie man es fiir den neuen Staat vorsah. Man wollte damit eine zu starke väterliche oder vormundschaftliche Macht innerhalb des Kreises der Familie bekämpfen, weil man sie als Abbild überholter königlicher Gewalt ansah. 158 Somit wurde zur Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit auch innerhalb der Familie von der Revolutionsgesetzgebung aus der Zusammenkunft der Verwandten ein schiedsrichterliches Familiengericht (tribunal de famille) gemacht 159. Diese Einrichtung wurde aber im Zuge restaurativer Tendenzen unter dem späteren Kaiser Napoleon wieder abgeschafft, da er wohl auch fiir die Familie wieder eine stärkere Autorität, hier die des pater familias, forderte1 60. d) Der Code civi/ von I 804
Bei der Schaffung des Code civil fanden die früheren Gesetzesentwürfe, besonders die Überlegungen zur Förderung der vormundschaftlichen Familienmitwirkung, Berücksichtigung 161 . In dem am 21. März 1804 in Kraft getretenen Code civil wurde der Einfluß der Familie auf die Vormundschaft schließISl J. Schenk, Funilienrath, S. 29; Paraquin, Gerichtssaal (1851), S.
Schubert, Franz. Recht, S. 481. IS4 Dei&enhofer, S. 11; Rehberg, S. 181. ISS Schubert, Franz. Recht, S. 482; Spieß, JuS JS6 Dei&enhofer, S. 17.
ISJ
J. Schenk, Funilienrath, S. IS. Rehberg, S. 182; Dei!enhofer, S. JS9 Schlilter, S. 137.
1978,869, 870.
157
ISB
Rauter, S. 120; Fehrenbach, Trad. Ges., S. 23. SchlQter, S. 137.
160 Vgl. 161
17.
161.
IV. Die Entwicklung des Familienrats in Frankreich bis
1804
27
lieh durch die Einrichtung des Familienrats (conseil de famille) als eigentlicher Obervormundschaftsbehörde gesichert.
J. Das französische Recht im Rheinland bis 1804 Auch die linksrheinischen Gebiete Deutschlands waren von der durch die französische Revolution ausgelösten Rechtsentwicklung betroffen. Im Oktober 1794 hatten französische Revolutionstruppen die linke Rheinseite besetzt162. Im Friedensvertrag von Basel vom 5. April 1795 stimmte Preußen und im Friedensschluß von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 auch Österreich der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zu 163 . Seit Januar 1798 wurde das französische "droit intermediaire" nach Materien durch verschiedene "reglements" in den vier neugeschaffenen rheinischen Departements eingefiihrt164. Durch das "reglement surretat civil des citoyens" vom 1. Mai 1798 setzte man dort ein bis zur Publikation des Code civil provisorisches Dekret vom 7. September 1793 über die Einrichtung eines Familienrats in Kraft 16S. Nachdem am 9. Februar 1801 der Kaiser und das Reich durch den Friedensschluß von Luneville in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich eingewilligt hatten, wurden die vier rheinischen Departements am 9. März 180 1 zu integrierten Bestandteilen der französischen Republik erklärt und ab 23. September 1802 direkt der allgemeinen französischen Gesetzgebung unterstellt166. Der am 21. März 1804 verkündete Code civil hatte folglich in den linksrheinischen Departements von Anfang an unmittelbar Geltung 167, so daß das Institut des Familienrats in der Form des Code civil seit dieser Zeit in den linksrheinischen Gebieten existierte. Der Familienrat war ftir die Deutschen keine ganz neue Institution, da eine ähnliche Einrichtung - wenn auch nicht in so ausgeprägter Form wie im Code civil - zumindest von der germanischen Zeit bis zum Mittelalter wichtige Funktionen bei ihnen ausgeübt hatte. In der napoleonischen Zeit war der Familienrat, durch den die Obervormundschaft in die Familienhände gelegt wurde, jedoch insofern wieder etwas ganz Neues ftir die Menschen, als vor der
M. Schenk, S. XVI; Wolffram. in: Wolffram/Kiein. S. 10. Wolffram: in: WolffiamiKiein, S. 13. 164 Schubert, Franz. Recht, S. 31, 84; Kockerols, S. 26; M. Schenk, S. XVIII, II. 16s Bormann!Daniels, Handbuch, Bd. II, S. 448. Bd. VI, S. 674 ff.; Schubert, Franz. Recht, S. 89.
162
163
166 Kockerols, S. 30 f.; DiJlemeyer. in: Coings Handbuch, S. 1441; Schubert, Franz. Recht, S. 8S; Becker, JuS 198S, 338, 339; Schumacher. S. 16. 167 Schubert, Pranz. Recht, S. 37 (FN: 3); D6lemeyer, in: Coings Handbuch, S. 1441; Philippi,
Vormundschaft, S. V.
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Kapitell: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
französischen Zeit eine rein staatliche ÜbetVormundschaft in Deutschland geherrscht hatte. V. Der Familienrat des Code civil 1. Die Vorschriften über den Familienrat
Die meisten Regelungen über den Familienrat des französischen Rechts befanden sich im Code civil (C.c.) von 1804 unter den Art. 389 bis 515 im 1. Buch, 10. und 11. Titel, besonders aber im Vormundschaftsrecht in den Art. 405 ff. Code civil. Diese Bestimmungen wurden ergänzt durch die Art. 882 ff. im 2. Teil, 1. Buch, lO.und 11. Titel des Code de procedure civile (C.d.p.c.) von 1806. 168 Im folgenden werden überblicksartig die Vorschriften über den Familienrat, die ab 1804 fiir Frankreich und einen Teil Deutschlands galten, dargestellt. Ausgelassen werden hier vorerst die späteren, den Familienrat und die Vormundschaft des französischen Rechts betreffenden Ergänzungsbestimmungen, Reformpläne und Reformen der deutschen Staaten, in denen das französische Vormundschaftsrecht im Laufe der napoleonischen Herrschaft oder nach 1815 eine teilweise von Frankreich getrennt laufende Entwicklung nahm. Der "Familienrat" (conseil de famille) war das eigentliche ObeJVormundschaftsorgan, und seine wichtigste Aufgabe bestand in der oberaufsehenden Gewalt über den Vormund. ObeJVormundschaftliche Aufgaben erfüllten in einigen Fällen auch der dem Familienrat untergeordnete Gegenvormund und das dem Familienrat übergeordnete Gericht erster Instanz.
168 Literatur zu den Vorschriften des französischen Vonnundschaftsrechts und insbesondere zu denen des Familienrats: ZacharilJ, Handbuch, 2. Aufl. (1811) Bd. 1, S. S4 ff., bes. S. 61-69; 3. Aufl.
(1827) Bd. I, S. 18Z ff., bes. S. 188-200; ZacharilJ!AnschQtz, Handbuch, S. Aufl. (18S3) Bd. I, S. 226 ff., bes. S. 232-24S; ZacharilJICrome, Handbuch, 8. Aufl. (189S) Bd. 3. S. S42 ff., bes., S. S49-S64; Lehzen, S. 1 ff.; Philippi, Vonnundschaft, S. II ff., bes. S. 32 ff.; Barazetri, S. I ff., bes. S. 4S ff., 64 ff., 70 ff.; Michels, S. 17 ff. ; Orten, S. 13 ff.; Schneider, S. 4 ff.; J. Schenk, Familienrath, S. 36 ff.; Heller, S. 7-11; Lassaulx, Journal I. Jhrg., 3. Bd. (I 80S), bes., S. 60 ff., 144 ff.; Lassaulx, Gesgb. Nap. 1. Ablh. 2. Th., S. 27S-477, bes. S. 317 ff.; Bauer, S. 180-19S, bes. S. 144-147; Almendingen, Allg. Bibi., Hefte 3 u. 4 (1808), S. 181-328; Ramdohr, Jur. Erf. 3. Th., bes. 1003 ff.; Maleville/Blanchard, 1. Bd., S. 416 tf.; Stabel, Institutionen, 1. Abth., S. 89-100; Bauerband, Institutionen, S. 80-94; Paraquin, franz. Gesetzgebung Bd. II, S. 62-74; Boileux/Thilo, Controversen, S. 101 ff. Deutscher Text des Code civil in: Cretschmar, Das Rheinische Civilrecht, 3. Aufl. (1892); Loersch, Code civi1, (1887).
V. Der Familienrat des Code civil
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l. Die Zusammensetzung des Familienrats
Der Familienrat setzte sich aus einem Friedensrichter und sechs Verwandten zusammen. Der Friedensrichter (juge de paix) fiihrte als gesetzliches Mitglied der Versammlung (membre ne du conseil de famille 169) den Vorsitz im Familienrat und mußte an den Beratungen teilnehmen. (Art. 407, 416 C.c.). Außerdem oblag ihm die Geschäftsfiihrung des Familienrats. Die sechs Verwandten sollten je zur Hälfte aus der mütterlichen und der väterlichen Linie des Mündels stammen, wobei der dem Grade nach nähere Verwandte oder Verschwägerte dem weiter entfernteren vorzuziehen war. Bei Gleichheit des Grades hatten Verwandte vor Verschwägerten und unter den Verwandten der ältere vor dem jüngeren Vorrang. (Art. 407 C.c.). Sie mußten alle in der Gemeinde, wo der Minderjährige seinen Wohnsitz hatte, oder im Umkreise von zwei Myriametern (entspricht: 2 2/3 Meilenl 70, 4 französischen Meilenl7l, 4 Stundenl12) ansässig sein. (Art. 406,407 C.c.). Falls die in Art. 407 C.c. genannten Personen nicht existierten, ernannte der Friedensrichter entweder entfernter wohnende Verwandte oder Verschwägerte, oder auch Personen aus derselben Gemeinde, welche mit den Eltern des Minderjährigen in freundschaftlicher Beziehung gestanden hatten. (Art. 409 C.c). Auch wenn es im in Art. 407 C.c. genannten Umkreis Verwandte oder Verschwägerte gab, konnten entfernter wohnende Verwandte oder Schwäger des Minderjährigen unter der Bedingung geladen werden, daß sie näheren oder zumindest gleichen Grades wie die hiesigen waren. (Art. 410 C.c.). Eine Ausnahme von der Beschränkung der Anzahl der Familienratsmitglieder auf sechs wurde nur gemacht, wenn mehr als sechs vollbürtige Brüder oder Ehegatten leiblicher Schwestern des Minderjährigen sowie von der Vormundschaftsübemahme entschuldigte Aszendenten oder verwitwete Vorfahren weiblichen Geschlechts vorhanden waren. In diesem Fall bildeten sie alle zusammen mit dem Friedensrichter den Familienrat. (Art. 408 C.c).
169 Zacharid, Handbuch, 2. Aufl. (1811) Bd. I, S. 63; Zacharia!Crome, Handbuch, 8. Aufl. (189S) Bd. 3, S. S49. 170 Philippi, Vormundschaft. S. 36. 17l GlJnner, Archiv I, S. 107.
172
Almendingen, Allg. Bibi., Heft 3 (1808), S. 214.
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Kapitel I: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
3. Unfähigkeit und Unwürdigkeit zur Familienratsmitgliedschaft
Ausgeschlossen von der Mitgliedschaft im Familienrat waren die näheren Angehörigen des Mindeljährigen und Eltern-Freunde, die unfahig und unwürdig173 waren. Aufgrund persönlicher Eigenschaften oder nicht verschuldeter Umstände galten folgende Personen als unfähig, Familienratsmitglieder zu sein: l. Mindeljährige, also Personen unter 21 Jahren (Art. 388 C.c.), ausgenommen der Vater oder die Mutter; (Art. 442, I C.c.); 2. Entmündigte; (Art. 442, 2 C.c.); 3. Frauen. mit Ausnahme der Mutter und anderer weiblicher Vorfahren; (Art. 442, 3 C.c.); 4. diejenigen, deren Eltern oder die selbst in einen den Stand oder das Vermögen des Mündels betreffenden Rechtsstreit verwickelt waren; (Art. 442, 4 C.c.); 5. vorübergehend diejenigen, welche in der Sache, die den Gegenstand der Beratung bildete, als Partei zu betrachten waren. (vgl. Art. 426, 495 C.c). Dieser zeitweilige Ausschluß beeinhaltete eine Ausnahme von der Regel, daß auch Vormünder und Gegenvormünder neben ihrem jeweiligen Amt Mitglieder des Familienrats sein konnten1 74. (vgl. Art. 423 C.c.). Das französische Vormundschaftsrecht besaß also die kritisierbare Eigenheit, daß der Vormundtrotz seines Amtes zugleich Mitglied des Familienrats sein konnte, obwohl dieser das Hauptaufsichtsorgan über den Vormund war. Etwas anderes galt für den Gegenvormund, weil er auch Aufsichtsorgan über den Vormund war und so die anderen Familienratsmitglieder unterstützen konnte. Durch eigenes Verschulden waren folgende Personen zur Mitgliedschaft im Familienrat unwürdig: l. diejenigen, welche zu einer Leibesstrafe oder entehrenden Strafe verurteilt worden waren; (Art. 443 C.c.); 2. alle Perso"nen, die von einer Vormundschaft ausgeschlossen oder abgesetzt worden waren. (Art. 445 C.c.). Letztere waren z.B. solche, die entweder wegen schlechten Lebenswandels oder aber wegen Unfahigkeit
173 Vgl. zu dieser Einteilung LassaulK, Gesgb. Nap. I. Abth. 2. Th., S. 361; Barazetti, S. 2S, 29; Schneider, S. 66;Michels, S. 33; Otten, S. 41. 174 ZachariiJ/Crome, Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 63S; Barazetti, S. S2.
V. Der Familienrat des Code civil
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oder Untreue bei der Verwaltung nach Art. 444, 1 oder 2 C.c. aus einer Vormundschaft entlassen worden waren. 4. Die Einberufung des Familienrats
Der Familienrat wurde vom Friedensrichter - in der Regel durch denjenigen des Wohnsitzes des Minderjährigen- zusammengerufen. (Art. 406 C.c.). Die Ladung mußte den vom Friedensrichter zum Familienrat Geladenen mindestens volle drei Tage vor dem festgesetzten Sitzungstermin zugestellt werden. (Art. 411 C.c.). Die Geladenen hatten an dem vom Friedensrichter bestimmten Tag zur Sitzung entweder persönlich zu erscheinen oder einen Spezialbevollmächtigten zu entsenden, der aber nicht mehr als eine Person vertreten durfte. (Art. 412 C.c.). Bei Nichterscheinen ohne einen gesetzlichen Entschuldigungsgrund verhängte der Friedensrichter eine Geldstrafe bis zur Höhe von fiinfzig Francs. (Art. 413 C.c.). Wenn es das Interesse des Minderjährigen erforderte, stand es im Ermessen des Friedensrichters, die anberaumte Familienratsversammlung auszusetzten oder zu verlegen. (Art. 414 C.c.). Sie wurde in nichtöffentlicher Sitzung, in der Regel beim Friedensrichter, abgehalten. Zur Beschlußfähigkeit des Familienrats war außer dem Friedensrichter noch die Anwesenheit von mindestens 3/4 der berufenen Mitglieder erforderlich. (Art. 415 C.c). Beschlüsse mußten mit absoluter Stimmenmehrheit gefaßt werden175. Die Stimme des Friedensrichters wurde mitgezählt und gab im Falle der Stimmengleichheit den Ausschlag. (Art. 416 C.c.). Die Einberufung des Familienrats erfolgte nicht periodisch, sondern nur, wenn fiir eine bestimmte vormundschaftliche Angelegenheit die Sitzung eines Familienrats erforderlich war. Der Familienrat war keine ständige Institution oder "Behörde", die fiir die Dauer der ganzen Vormundschaft ernannt wurde, sondern wurde im Bedarfsfall vom Friedensrichter jedesmal neu gebildet und zusammengerufen 176. Es mußten also nicht stets dieselben Personen zu ihm berufen werden. Ob diese Möglichkeit des ständigen Wechsels der Mitglieder eine kontinuierliche Arbeit des sowieso nur ab und zu zusammentretenden Familienrats ermöglichte, ist fraglich. Ein Mitglied, das damit rechnen mußte, ausgewechselt zu werden, wird kaum mit vollem Interesse bei der Sache gewesen sein. Dies galt im verstärkten Maße fiir einen einmaligen Spezialbevollmächtigten. Außerdem kann davon ausgegangen werden, daß einem neu dazugetretenen Mitglied und vor allem einem Spezialbevollmächtigten die vollständige Sachm Barazetti, S. 70. 176
Barazetti, S. 47.
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Kapitel I: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
kenntnis über die Vormundschaft zu einer wirksamen Familienratsarbeit gefehlt haben. Die Einberufung des Familienrats durch den Friedensrichter erfolgte entweder auf Antrag gewisser berechtigter bzw. verpflichteter Personengruppen oder von Amts wegen. Der Code civil machte es in bestimmten Fällen gewissen Personen zur Pflicht, einen Antrag auf Einberufung an den Friedensrichter zu stellen. 177 Dieser Pflicht, deren Verletzung aber nicht durch Strafe sanktioniert wurde, unterlagen u.a. folgende Personen: 1. durch Gesetz oder Testament ernannte Vormünder vor Antretung ihres Amtes, um einen Gegenvormund ernennen zu lassen; (Art. 421 C.c.); 2. Vormünder, um vormundschaftliche Verrichtungen vornehmen zu können, die zuvor einer Genehmigung oder Ermächtigung des Familienrats bedurften; (Art. 454, Darlehnsaufnahme Art. 457, Erbschaftsannahme Art. 461, Schenkungsannahme Art. 463, Anstrengung von Immobiliaroder Teilungsklagen Art. 464, 465, Vergleichsabschluß Art. 467, Ausübung des elterlichen Einsperrungsrechts Art. 468 C.c.); 3. Gegenvormünder im Falle der Erledigung der Vormundschaft, um die Ernennung eines neuen Vormundes zu bewirken; (Art. 424 C.c.); 4. Gegenvormünder zwecks notwendiger Absetzung des Vormundes; (Art. 446 C.c.); 5. Witwen, die eine zweite Ehe eingehen wollten, um entscheiden zu lassen, ob sie die Vormundschaft über ihre Kinder aus erster Ehe behalten konnten; (Art. 395 C.c.); 6. Witwen, die beim Tode ihres Mannes schwanger waren, um einen Curator fiir die Leibesfrucht wählen zu lassen; (Art. 393 C.c.); 7. Minderjährige, die heiraten wollten und vom Familienrat die Einwilligung brauchten, weil ihre Eltern tot oder zur Willensäußerung außer Stande waren; (Art. 160 C.c.); 8. Väter oder Vormünder zur Wahl eines Spezialvormundes bei beschwerten Erbschaften oder Schenkungen, wenn ein solcher vom Erblasser oder Schenker noch nicht ernannt worden war; (Art. 1056 C.c.); 9. Richter des erstinstanzliehen Gerichts, ehe sie eine Entmündigung aussprachen, um vom Familienrat ein Gutachten über den Geisteszustand des zu Entmündigenden zu erlangen. (Art. 494 C.c.).
In anderen Fällen begnügte sich das Gesetz damit, gewissen Personen lediglich eine Berechtigung zur Stellung eines Antrages auf Einberufung des Familienrats zu geben. Dieses Antragsrecht hatten Verwandte nach Art. 406, 421, 490 iVbm. 496, 512, 936 C.c. und in eingeschränktem Maße nach Art. 171 Vgl. zu dieser EinteilungLehzen, S. 14 ff.; Lassaulx, Journal I. Jhrg., 3. Bd. (1805), S. 60 ff.; Lassaulx, Gesgb. Nap. I. Abth. 2. Th., S. 320 ff.
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361, 426, 446, 479 C.c.. Das gleiche galt :fiir Vonnünder in den Fällen der Art. 361, 439, 468, 479 C.c.. Auch Gläubiger des Minderjährigen und andere Beteiligte hatten dieses Recht im Falle der Art. 406 und 421 C.c., um die Bestellung des Vonnundes bzw. des Gegenvonnundes zu bewirken. Der Friedensrichter berief den Familienrat von Amts wegen ein, wenn es sich nach Art. 406, 421, 446 C.c. um Ernennung, Absetzung oder Ersetzung eines Vonnundes oder Gegenvonnundes handelte und kein diesbezüglicher Antrag gestellt worden war, oder wenn es ihm im Interesse des Mündels generell als notwendig erschien. Ein Problem filr den Friedensrichter bestand darin, von den Tatsachen, die einen Familienrat erforderten, zu erfahren, denn nur dann konnte er ihn von Amts wegen einberufen. Im Falle des Art. 406 C.c. war zwar jedermann berechtigt ihm die notwendigen Mitteilungen zu machen. In der Regel wird der Friedensrichter aber auf die Initiative der Verwandten, Verschwägerten oder des Vonnundes angewiesen gewesen sein, um einen Familienrat einzuberufen. Der Staatsanwalt war nicht berechtigt, von Amts wegen eine Familienratseinberufung zu verlangen1 7 8. 5. Die Aufgaben des Familienrats
a) Die Mitwirkung bei der Vormundschaft Ober Minderjdhrige aa) Die Mitwirkung bei der Bestellung des Vonnundes
Der Familienrat wählte den Vonnund (tutor dativus) :fiir ein verwaistes, minderjähriges, nicht emanzipiertes Kind, wenn nicht bereits ein gesetzlicher oder ein vom längstlebenden Elternteil testamentarisch ernannter Vonnund vorhanden war und falls der gesetzliche oder testamentarische Vonnund von der Vonnundschaft ausgeschlossen oder entschuldigt war. (Art. 405 C.c.). Der Familienrat fällte die Entscheidung, wer von zwei Urgroßvätern der mütterlichen Linie gesetzlicher Vonnund wurde. (Art. 404, 403 C.c.). Zur Verwaltung jeder Vonnundschaft gab es in der Regel nur einen einzigen Vonnund, den Hauptvonnund. Von dieser Regelung bestanden jedoch zwei Ausnahmen: 1. Besaß das Mündel ausländische Güter in den Kolonien, war filr deren Verwaltung vom Familienrat ein Nebenvonnund zu bestellen. (Art. 417 C.c.). 178 Maleville!Blanchard, I. Bd., S. 418; Otten, S. 18; Lehzen, S. 13; Lassaulx, Gesgb. Nap. I. Abth. 2. Th., S. 322. 4 Rache!
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Kapitel I: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
2. Wenn eine Mutter wieder heiratete und ihr die Vormundschaft vom Familienrat gelassen wurde, mußte dieser der Mutter ihren zweiten Ehemann als Mitvormund beiordnen. (Art. 396 C.c.). Hatte die wiederverheiratete Mutter, der die Vormundschaft belassen worden war, ihren Kindern erster Ehe einen Vormund ernannt, mußte der Familienrat diesen bestätigen. (Art. 400 C.c.). Bei beschwerten Erbschaften oder Schenkungen hatte der Familienrat einen Spezialvormund zu ernennen, wenn noch keiner vom Erblasser oder Schenker ernannt worden war. (Art. 1056 C.c.). Ebenso wählte der Familienrat einen Spezialvormund fiir ein uneheliches Kind, welches entweder nicht anerkannt war oder nach erfolgter Anerkennung seine Eltern verloren hatte und sich vor der Vollendung des 21. Lebensjahres verheiraten wollte. (Art. 159 C.c.). Ein Gegenvormund, der den Vormund bei seiner Verwaltung zu überwachen hatte (vgl. Art. 446, 457, 470 C.c.) und so den Familienrat bei seiner Aufgabe unterstützte, wurde fiir jede Vormundschaft durch den Familienrat ernannt. (Art. 420 C.c.). Zur Wahrung der Unabhängigkeit des Gegenvormundes vom Vormund durfte dieser nicht aus derselben Linie genommen werden, außer wenn es sich um die Brüder des Mündels handelte. Außerdem war dem Vormund als etwaigem Familienratsmitglied untersagt, bei der Wahl des Gegenvormundes mitzustimmen. (Art. 423 C.c.). Die Wahl des Gegenvormundes erfolgte entweder sofort nach der durch den Familienrat erfolgten Bestellung des Vormundes (Art. 422 C.c.), oder nachdem der gesetzlich oder testamentarisch eingesetzte Vormund vor Aufnahme seiner Amtstätigkeiten einen Familienrat hatte einberufen lassen. (Art. 421 C.c.). Der Familienrat konnte bei Vorliegen von gleichzeitiger Interessenkollision zwischen Mündel und Vormund sowie Mündel und Gegenvormund einen Tutor ad hoc bestellen. (vgl. Art. 318, 838 C.c.). Falls der Vormund gesetzliche Entschuldigungsgründe hatte (vgl. Art. 427 ff. C.c.), um sich von der Übernahme der Vormundschaft befreien zu lassen, mußte er diese sofort vorbringen, wenn er bei seiner Wahl durch den Familienrat anwesend war, damit der Familienrat darüber entscheiden konnte. (Art. 438 C.c.). Wenn der Vormund dabei abwesend war, es sich um einen gesetzlich oder testamentarisch eingesetzten Vormund handelte oder die Entschuldigungsgründe erst nach der Vormundschaftsübernahme eintraten, so hatte er zur Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch einen Familienrat einberufen zu lassen. (Art. 439, 431 C.c., vgl. auch Art. 882 C.d.p.c.). Über die Absetzung des Vormundes bzw. Gegenvormundes entschied der Familienrat. (Art. 446 C.c. iVbm. Art. 426 C.c.). Der Vormund durfte im Familienrat bei der Frage der Absetzung des Gegenvormundes nicht mitstim-
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men. (Art. 426 C.c.). Der Absetzungsbeschluß mußte die Beweggrunde (vgl. z.B. Art. 444 C.c.) enthalten und durfte erst nach vorheriger Vernehmung oder Ladung des Vormundes gefaßt werden. (Art. 447 C.c.). bb) Die Mitwirkung während der Vormundschaft Grundsätzlich sorgte der Vormund fiir die Erziehung, die Vertretung und die Vermögensverwaltung des Mündels. (Art. 450 C.c.). Dem Familienrat standen jedoch als Kontrollorgan über den Vormund während der Vormundschaft Mitwirkungsrechte zu. Bei ihrer Ausübung wurde der Familienrat vom Gegenvormund, dem weiteren Aufsichtsorgan, unterstützt. Der Vormund mußte demnach zu vielen Rechtsgeschäften die Zustimmung des Familienrats einholen. aaa) Die Mitwirkung in persönlichen Angelegenheiten des Mündels In persönlichen Angelegenheiten des Mündels bedurfte es z.B. einer Zustimmung des Familienrats, wenn der Vormund das Mündel aus erzieherischen Griinden einsperren lassen (Art. 468 C.c. iVbm. Art. 376-378 C.c.) oder der Heirat des Mündels nach Art. 174 C.c. widersprechen wollte (Art. 175 C.c.). Der Familienrat sollte dem Vormund die Summe angeben, die jährlich fiir Unterhalt, Erziehung und Vermögensverwaltung ausgegeben werden durfte (Art. 454 C.c.), so daß er indirekten Einfluß auf die Erziehung des Mündels ausüben konnte. bbb) Die Mitwirkung bei der Vermögensverwaltung Die Mitwirkungsrechte des Familienrats bei der Vermögensverwaltung durch den Vormund waren vielfältiger als bei den persönlichen Angelegenheiten des Mündels. Zu Beginn der Verwaltung war als Grundlage fiir die Aufsicht des Familienrats vom Vormund in Gegenwart des Gegenvormundes ein Inventar über das Mündelvermögen aufzustellen. (Art. 451 C.c.). Der Familienrat konnte den Vormund ganz oder teilweise von seiner Pflicht entbinden, alle beweglichen Mobilien des Mündels zu verkaufen. (Art. 452 C.c). Neben der Bestimmung der Höchstsumme für die Kosten der Vermögensverwaltung und der Entscheidung, ob der Vormund zu seiner Unterstützung besoldete Verwalter einstellen durfte (Art. 454 C.c.}, hatte der Familienrat die Aufgabe, festzustel4*
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Kapitel I: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
Jen, von welchem Betrag an der Vormund etwaige erwirtschaftete Überschüsse innerhalb von sechs Monaten zinsbringend anlegen mußte (Art. 455 C.c., vgl. auch Art. 456 C.c.). Der Familienrat konnte anordnen, die Eintragung der Mündelhypothek auf bestimmte Grundstücke des Vormundes zu beschränken, wenn die Familienratsmitglieder der Ansicht waren, daß dies zur Sicherung etwaiger Mündelansprüche gegen den Vormund ausreichte. (Art. 2141 C.c., vgl. auch Art. 2121, 2135, 2143 C.c.). Nur der Familienrat durfte dem Vormund gestatten, Güter des Mündels zu pachten. Er ermächtigte in diesem Fall den Gegenvormund, den Pachtvertrag mit dem Vormund abzuschließen. (Art. 450 C.c.). Im Laufe der Vormundschaft gab es viele Rechtsgeschäfte, zu denen der Vormund einer Ermächtigung des Familienrats bedurfte (vgl. Art. 461, 462, 463, 464, 465 C.c.), aber auch einige, die zusätzlich eine Bestätigung des erstinstanzlichen Gerichts erforderten (vgl. Art. 457, 458, 460, 467 C.c.). In der Regel mußte beides vor der Ausführung des zustimmungsbedürftigen Geschäfts dem Vormund vorliegen. (vgl. Art. 457, 458,461 C.c.). Z.B. mußte der Familienrat dem Vormund zuerst seine Zustimmung geben, bevor dieser eine Erbschaft für den Minderjährigen annehmen oder ausschlagen durfte. (Art. 461 C.c). Durch Beschluß konnte der Familienrat den Vormund ermächtigen, eine für den Minderjährigen bereits ausgeschlagene Erbschaft doch noch anzunehmen. (Art. 462 C.c.). Auch die Schenkungsannahme des Vormundes fiir das Mündel bedurfte der Autorisation des Familienrats (Art. 463 C.c.), es sei denn, ein Aszendent war der Vormund (Art. 935 C.c.). Der Familienrat sollte so überprüfen, welchen Zweck und Beweggrund der Schenker verfolgte und ob die Schenkung mit eventuellen Nachteilen verbunden war. Ebenso war die Ermächtigung des Familienrats erforderlich, wenn der Vormund eine Immobiliarklage anstrengte, an unbeweglichen Sachen des Mündels dingliche Rechte einräumte (Art. 464 C.c.) oder zur Erbauseinandersetzung fiir den Minderjährigen eine Teilungsklage in die Wege leitete (Art. 465, 817 C.c). Neben der Zustimmung des Familienrats mußte dem Vormund auch die Bestätigung des Gerichts erster Instanz vorliegen, falls er fiir das Mündel ein Darlehen aufnehmen, dessen unbewegliches Vermögen veräußern wollte oder vorhatte, es mit einer Hypothek zu beschweren. (Art. 457, 458 C.c., vgl. auch Art. 460 C.c.). Die Zustimmung zu diesen drei Rechtsgeschäften durfte der Familienrat jedoch nur wegen zwingender Notwendigkeit oder offensichtlichen Vorteils erteilen, wobei er das Vorliegen einer Notlage anband einer vom Vormund einzureichenden Rechnung feststellen sollte. In jedem Falle oblag dem Familienrat die Bezeichnung der vorzugsweise zu verkaufenden Grund-
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stücke sowie die Festlegung aller ihm zweckdienlich erscheinenden Bedingungen. (Art. 457 C.c.). Die vorherige Ermächtigung des Familienrats und ein Gutachten dreier vom Staatsanwalt bestimmter Rechtsgelehrter sowie eine abschließende Bestätigung des erstinstanzliehen Gerichts waren zur Gültigkeit eines Vergleichsabschlusses durch den Vormund im Namen des Minderjährigen nötig. (Art. 467 C.c.). Zur Rechnungslegung war der Vormund nur nach Beendigung seiner Vormundschaft verpflichtet. (Art. 469 C.c.). Jedoch konnte ihn der Familienrat anhalten, dem Gegenvormund auch während der Vormundschaft- aber nicht öfter als einmal jährlich -eine Übersicht über den Zustand seiner Verwaltung vorzulegen. (Art. 470 C.c.). b) Die Mitwirkung bei der Emanzipation und der Pflegschaft
Die Emanzipation war die Entlassung eines Minderjährigen aus der Vormundschaft oder der elterlichen Gewalt179 entweder durch Gesetz (Heirat, Art. 476 C.c.), die Eltern (Art. 477 C.c.) oder den Familienrat, sofern der Minderjährige elternlos war (Art. 478 C.c.). Im letzten Fall wurde auf Antrag des Vormundes oder subsidiär auf Ansuchen naher Verwandter oder VerschwägerteT ein Familienrat einberufen (Art. 479 C.c.), der die Ermächtigung zur Emanzipation erteilte, wenn er den Minderjährigen dazu filr fähig hielt. Die Emanzipation geschah dann durch die schriftliche Erklärung des Friedensrichters als Familienratsvorsitzendem. (Art. 478 C.c.). Während die Eltern schon einen 15-jährigen Minderjährigen emanzipieren konnten, durfte der Familienrat dies erst mit einem 18-jährigen. (Art. 477, 478 C.c.). Mit dieser Regelung sollte verhindert werden, daß der Vormund und die Familienratsmitglieder dem Minderjährigen zu früh eine noch nicht vorhandene Urteilsfähigkeit zusprachen, um sich weitere Arbeit und Verantwortlichkeit zu erspareni 8o. In allen Fällen einer Emanzipation wählte der Familienrat einen Curator bzw. Pfleger, weil der Emanzipierte zwar über seine Person frei verfilgen, aber in einigen Vermögensangelegenheiten noch nicht frei handeln konnte und dazu einen Beistand brauchte. (arg. Art. 480 C.c.). Der unter Curatelle bzw. Pflegschaft stehende Minderjährige bedurfte der Ermächtigung des Familien179 180
Barazetti, S. 385. Lassaulx, Gesgb. Nap. I. Abth. 2. Th., S. 399.
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Kapitell: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
rats zur Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft (Art. 484 C.c. iVbm. Art. 461, 462 C.c.), zur Verzichtsleistung gegen eine gegen ihn erhobene Immobiliar- oder Standesklage (Art. 484 C.c. iVbm. Art. 464 C.c.). Zusätzlich brauchte er eine gerichtliche Bestätigung zur Aufnahme eines Darlehens (Art. 483 C.c. iVbm. Art. 457, 458 C.c.), zur Veräußerung von Liegenschaften (Art. 484 C.c. iVbm. Art. 457, 458 C.c.) sowie zur Schließung eines Vergleichs (Art. 484 C.c. iVbm. Art. 467 C.c.). Der Familienrat konnte die Emanzipation unter der Voraussetzung, daß er sie selber erteilt hatte oder daß die sie erteilt habenden Eltern mittlerweile tot waren, widerrufen, wenn die Schulden des Emanzipierten in Folge des Art. 484 C.c. wegen Übermäßigkeit gemindert worden waren. (Art. 485 C.c.). Der Familienrat hatte einen Curator für die Leibesfrucht zu bestellen, falls eine Frau beim Absterben ihres Mannes schwanger war. (Art. 393 C.c.). Ebenso wählte der Farnlienrat einen Pfleger zur Annahme einer Schenkung für einen Taubstummen, der nicht schreiben konnte. (Art. 936 C.c.). Die Zustimmung des Familienrats konnte erforderlich sein, wenn die Eingebung eines Pflegevaterverhältnisses mit einem Minderjährigen, der keine Eltern mehr hatte, gewünscht wurde. (Art. 361 C.c.).
c) Die Mitwirkung bei der Heirat eines Minderjtihrigen Ein Minderjähriger unter einundzwanzig Jahren, der heiraten wollte und dessen Eltern und Großeltern tot oder die zur Willensäußerung außerstande waren, benötigte die Einwilligung des Familienrats. (Art. 160 C.c.). Dazu hatte der Familienrat u.a. zu prüfen, ob der Minderjährige das erforderliche Heiratsalter besaß (Art. 144 C.c.) und für fähig zu erachten war, sein Vermögen selbst zu verwalten, da er durch die Heirat emanzipiert wurde (vgl. Art. 476 C.c.), sofern er es noch nicht war (vgl. Art. 477, 478 C.c.). Die Ermächtigung des Vormundes oder des Curators durch den Familienrat wurde verlangt, wenn diese einen Einspruch gegen die Ehe des Mündels einlegen wollten, weil der Minderjährige die Ehe ohne Familienratseinwilligung eingehen wollte oder sich im Zustande des Wahnsinns befand. (Art. 174, 175 C.c.). Der Familienrat konnte eine Klage auf Ungültigkeit der Ehe wegen seiner fehlenden Einwilligung durch den Vormund oder Familienratsmitglieder erheben lassen. Dies war nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der Heirat und sofern sie nicht mittlerweile genehmigt worden war, möglich. (Art. 182, 183 C.c.). Wenn ein Kind eines Entmündigten heiraten wollte, so sollte der Familienrat mit Bestätigung des Gerichts die Aussteuer oder den Vorschuß auf den
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künftigen Erbteil sowie die Bestimmungen des Ehevertrages festlegen. (Art. 511 C.c.). d) Die Mitwirkung bei der Entmilndigung, der Vormundschaft aber Entmilndigte und der Bestellung eines gerichtlichen Beistandes
Zu einer Entmündigung bzw. Interdiction wegen Geisteskrankheit, die durch Gerichtsurteil ausgesprochen wurde, war die Mitwirkung des Familienrats erforderlich. Er wurde auf Anordnung des Gerichts erster Instanz zusammenberufen, um dann ein Gutachten über den Geisteszustand des zu Entmündigenden fiir das Gericht abzugeben. (Art. 494 C.c. iVbm. Art. 892 C.d.p.c., vgl. auch Art. 496 C.c. iVbm. Art. 893 C.d.p.c.). Dieser Familienrat wurde wie bei der Vormundschaft über Minderjährige nach den Vorschriften der Art. 407 ff. C.c. gebildet, aber mit der Ausnahme, daß diejenigen, welche die Interdiction beantragt hatten, nicht Mitglieder des Familienrats sein konnten. Der Ehegatte und die Kinder des zu Entmündigenden durften jedoch ohne Stimmrecht dabei zugelassen werden. (Art. 494, 495 C.c). Lag ein rechtskräftiges Entmündigungsurteil vor, hatte der Familienrat in der Regel den Vormund für den Entmündigten zu ernennen, wenn nicht ein Mann kraft Gesetzes Vormund seiner interdizierten Frau wurde. Für die Wahl des Gegenvormundes war der Familienrat aber immer zuständig. (Art. 505, 506 C.c. iVbm. Art. 895 C.d.p.c.). Der Familienrat sollte, falls er eine Ehefrau zum Vormund machte, die Form und Bedingungen ihrer Vormundschaftsverwaltung generell festsetzen. (Art. 507 C.c.). Da die Einkünfte des Entmündigten zur Erleichterung seines Schicksals und Wiederherstellung seiner Gesundheit zu verwenden waren, hatte der Familienrat mit Rücksicht auf die Krankheit und auf das Vermögen des Interdizierten über dessen Pflegeort zu entscheiden. (Art. 510 C.c.) Für die Heirat eines Kindes des Entmündigten bestimmte der Familienrat mit Bestätigung des Gerichts die Aussteuer oder den Vorschuß auf den künftigen Erbteil sowie die Bedingungen des Ehevertrages. (Art. 511 C.c.). Ansonsten waren fiir den Familienrat die Vorschriften für die Vormundschaft über Minderjährige auch bei der Vormundschaft über Entmündigte anzuwenden. (Art. 509 C.c.). Zum Erlaß eines die Entmündigung wieder aufhebenden Urteils war, da es des gleichen Verfahrens wie zur Entmündigung bedurfte, erneut ein Gutachten des Familienrats erforderlich. (Art. 512 C.c. iVbm. Art. 896 C.d.p.c.) Ebenso war zur Anordnung und Wiederaufhebung eines gerichtlichen Beistandes (conseil judiciaire) für Geistesschwache (Art. 499 C.c.) oder Ver-
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Kapitell: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
schwender (Art. 513 C.c.) ein Gutachten des Familienrats nötig. (Art. 494, 514 C.c.). 6. Die Beschlüsse und Gutachten des Familienrats
Die Beschlüsse des Familienrats lassen sich ihrem Inhalt nach in Beschlüsse im engeren oder eigentlichen Sinne (deliberations) und in Gutachten (avis) unterteilen 181 . Dabei erfolgte diese Benennung im Code civil von 1804 und im ihn ergänzenden Code de procedure civil von 1806 nicht immer einheitlich, wie z.B. an der Überschrift vor Art. 882-889 C.d.p.c. zu erkennen ist, wo mit "avis" der Oberbegriff, also Beschlüsse im weiteren Sinne und nicht Gutachten gemeint waren. Der Ausdruck "Beschlüsse des Familienrats" wird im folgenden immer im engeren Sinne verwendet werden. Beschlüsse (i.e.S.) (deliberations) waren Entscheidungen des Familienrats aufgrund vom Gesetz verliehener Vollmacht, die z.B. den Vormund (aber auch das Mündel, vgl. Art. 160 C.c.) zu einer Handlung ermächtigten oder verpflichteten, die aber auch die Ernennungen des Vormundes oder Gegenvormundes betrafen 182. Sie waren, wenn sie nicht zuvor der Bestätigung (Homologation) des erstinstanzliehen Gerichts bedurften (vgl. Art. 457, 458, 466, 467, 483, 484, 511 C.c.) (Verfahren dazu: Art. 885-889 C.d.p.c.), sofort vollziehbar. Die Beschlüsse des Familienrats brauchten in der Regel nicht mit Angaben von Gründen versehen zu sein (Ausnahme: Art. 447 C.c.). War ein Beschluß nicht einstimmig gefaßt worden, mußte die Abstimmung jedes Familienratsmitglieds im Protokoll vermerkt werden. (Art. 883 C.d.p.c.). Gutachten (avis) waren lediglich unverbindliche Meinungsäußerungen des Familienrats zu Fragen der Vormundschaft. (vgl. Art. 494, 2143 C.c., Art. 892, 893 C.d.p.c.). Das Gesetz bestimmte, zu welchen Fällen der Familienrat Gutachten abzugeben oder Beschlüsse zu fassen hatte. Jederzeit konnte sich der Vormund aber vom Familienrat für beide unverbindlichen Rat holen.I83
181 Vgl. zu dieser Einteilung Zachariä/Crome, Handbuch, 8. Auß. (189S) Bd. 3, S. SS9 f.; Barazerri, S. 72; Philippi, Vormundschaft, S. 32; Heller, S. 10; Onen, S. 9S f.; Michels, S. 44; &hneider, S. 86 f. 182 Barazeni, S. 12; ZacharUIICrome, Handbuch, 8. Auß. (189S) Bd. 3, S. SS9. 183 Zacharid/Crome, Handbuch, 8. Auß. (189S) Bd. 3, S. SS9; Onen, S. 9S;Michels, S. 44.
V. Der Familienrat des Code civil
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7. Die Anfechtung der Beschlüsse des Familienrats
Beschlüsse des Familienrats, nicht aber Gutachten, konnten auf dem Klageweg vor Gericht angefochten werden 184. (Art. 883 C.d.p.c.). Einwendungen gegen Beschlüsse, die zur Vollziehbarkeil eine gerichtliche Bestätigung benötigten, konnten jedoch auch schon vor einer Klageerhebung nach Art. 883 C.d.p.c. inzident in dem gerichtlichen Bestätigungsverfahren nach Art. 888 C.d.p.c. geltend gemacht werden185. Zur Klage berechtigten folgende Anfechtungsgründe, die aber nicht im Gesetz aufgezählt waren: 1. Angefochten werden konnte ein Beschluß wegen Nichtbeachtung der
gesetzlichen Formen bei der Zusammensetzung oder Zusammenberufung des Familienrats, aber auch bei dessen Beratung oder Beschlußfassung. (vgl. Art. 407-410, 423, 447 C.c.). Bei Fehlen wesentlicher Förmlichkeiten lag gar kein Familienratsbeschluß vor und es bedurfte somit keiner Anfechtungsklage. Waren weniger wichtige Bestimmungen nicht beachtet worden, so lag es im Ermessen des Richters zu entscheiden, ob der Beschluß die Interessen des Mündels verletzte und daher fiir ungültig zu erklären war. 186 2. Weiterhin konnte ein formell gültiger Beschluß wegen seines Inhalts angegriffen werden, weil dieser dem Interesse des Mündels entgegenstand. Ob alle Familienratsbeschlüsse wegen ihres Inhalts angegriffen werden konnten oder nur bestimmte, war vor allem in der französischen Literatur sehr umstritten 187, weil die Anfechtungsmöglichkeiten gegen Familienratsbeschlüsse im Gesetz nicht ausreichend geregelt waren. 3. Ebenso konnte ein Beschluß angefochten werden, weil sein Inhalt Andere in ihren Rechten beeinträchtigte, z.B. den von der Vormundschaft abgesetzten oder ausgeschlossenen Vormund (Art. 448 C.c.). Anfechtungsberechtigt war in diesem Fall der Vormund oder derjenige, der durch den Beschluß in seinen Rechten beschränkt worden war. (vgl. Art. 448 184 Zum Folgenden Philippi. Vormundschaft, S. 208 ff.; Zacharili/Crome, Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 560 ff.; Heller, S. 10 f.; Schlink, Bd. 3, S. 199 ff.; Barazetti. S. 70 ff.; Onen, S. 97 ff.; Michels S. 46 ff.; Schneider, S. 88 ff. 185 Zacharili/Crome, Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 563; Philippi, Vormundschaft, S. 208; Onen,S. 97. 186 Zacharili/Crome, Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 561; Laurent, tome IV, 471 ff., 477 ff.; Barazetti, S. 708 f.; Onen, S. 98; Schneider, S. 89; Michels, S. 48 f. 187 Siehe dazu Philippi, Vormundschaft, S. 209 f.; ZacharitJ/Crome, Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 562; Michels, S. 49; Schneider, S. 90.
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Kapitell: Überblick Ober die Entwicklung des Familienrats bis 1804
C.c.). 188 In den Fällen, in denen der Beschluß aus formellen oder inhaltlichen Gründen das Interesse des Mündels verletzte, stand das Anfechtungsrecht dem Vormund, Gegenvonnund, gegebenenfalls dem Pfleger sowie den Mitgliedern des Familienrats selber (unabhängig davon, ob sie an dem Familienrat teilgenommen hatten, und ob sie an der Beschlußfassung mitgewirkt hatten oder nicht 189), nicht aber dem Friedensrichterl90 zu. Die Anfechtungsklage richtete sich gegen die Mitglieder des Familienrats, die für den angefochtenen Beschluß gestimmt hatten. (Art. 883 C.d.p.c., vgl. auch Art. 441 C.c.). Nur die Klage des Vonnundes auf Aufhebung des Beschlusses seiner Absetzung oder Ausschließung von der Vormundschaft war gegen den Gegenvormund zu richten. (Art. 448 C.c.). Die Klage war beim Gericht 1. Instanz des Bezirkes, in dem der Familienrat abgehalten worden war, zu erheben191 . Das über einen Familienratsbeschluß ergangene Urteil unterlag der Berufung. (Art. 889 C.d.p.c.). Aus dem Gesetz ergab sich keine spezielle Verantwortung der Familienratsmitglieder für die von ihnen gefaßtcn Beschlüsse. In Frage kam unter Umständen eine Haftung des einzelnen Familienratsmitgliedes nach den allgemeinen Verschuldeosregeln der Art. 1382 ff. C.c..
188
Barazetti, S. 71 f.; Zachari41Crome,
189
Heller, S. 11; Zachari41Crome,
190
Barazetti, S. 71. Zachari4/Crome, Handbuch, 8.
339.
191
Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 562. Handbuch, 8. Aufl. (1895) Bd. 3, S. 561; Demolombe VII,
Aufl. (1895) Bd. 3, S. 563.
2. Kapitel
Der französische Familienrat in Deutschland und die Diskussion über ihn zwischen 1804 und 1815, insbesondere während der Rheinbundzeit L Die Rezeptionsdiskussion während der Rheinbundzeit und kurz nach der französischen Zeit Während in den linksrheinischen Gebieten der Code civil mit dem dazugehörigen Familienrat bereits seit 1804 Geltung hatte, kam es im Verlauf der Rheinbundzeit, die von 1806 bis 1813 dauerte, zu Bestrebungen, den Code civil und damit zugleich den Familienrat auch in rechtsrheinische Gebiete Deutschlands einzufiihren. In einigen Ländern wurde der Code civil bzw. der Code Napoleon, wie er zwischen 1807 und 1814 hieß 1, vollständig, also einschließlich des Rechtsinstituts des Familienrats, übernommen. Dies geschah 1808 im Königreich Westphalen und 1810 im Großherzogtum Berg. In anderen Rheinbundstaaten wurde das französische Zivilrecht nur mit Modifikationen, z.B. unter Weglassong des Familienrats, eingefiihrt, wie in den Großherzogtümern Baden 1810 und Frankfurt 1811. Teilweise blieb es lediglich bei Rezeptionsplänen, die entweder nach Napoleons Rückzug aus Deutschland nicht mehr ausgefiihrt wurden, so im Herzogtum Nassau, oder schon vorher aufgegeben worden waren, wie im Königreich Bayern und im Großherzogtum Darmstadt 2 Zu diesen umfangreichen Rezeptionsplänen in der Rheinbundzeit war es gekommen, nachdem Napoleon ab Mitte 1807 versucht hatte, die Rheinbundstaaten zu einer Rezeption seines Code zu bewegen3 . Ein Teil dieser deutschen Staaten konnte sich dem französischen Eingriff in die Innenpolitik widersetzen4. Die geringe Bereitschaft vieler deutscher Staaten, den Code Napoleon zu übernehmen, äußerte sich darin, daß sie ihre Rezeptionspläne entweder schon Zacharili/Crome, Handbuch, 8. Auf!. (1895) Bd. I, S. 47; Heller, S. 7 (FN: 3). Vgl. dazu Zacharili/Crome, Handbuch, 8. Auf!. (1895) Bd. I, S. 50 ff.; Dtjlemeyer, in: Coings Handbuch, S. 1440 ff.; Fehrenbach, Trad. Ges., S. 13 (FN: 20); Schumacher, S. 17; Schubert, Franz. Recht, S. 486 ff. 2
Fehrenbach, Trad. Ges., S. 14 f.; Schubert. Franz. Recht, S. 4, 36. Schubert, SZ RG GA, Bd. 94 (1977), S. 129 f.; Schubert, Franz. Recht, S. 38, 44, 312; Fehrenbach, Trad. Ges., S. 29. 3 4
Kapitell: Der Familienrat in Deutschland zwischen 1804 bis IBIS
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während der Rheinbundzeit aufgaben oder zumindest nach dem Ende der napoleonischen Ära fallen ließen. Wo der Code Napoleon rezipiert wurde, wie z.B. in den Großherzogtümern Berg und Frankfurt sowie in den hanseatischen Departements, wurde er zumeist nach Napoleons Niedergang 1813/1814 wieder abgeschaffi. Eine Ausnahme davon bildeten rechtsrheinisch das Großherzogtum Baden und große Bereiche des ehemaligen Herzogtums Berg. In den linksrheinischen Gebieten Deutschlands, den früher französischen, sogenannten linksrheinischen Departements, blieb der Code civil hingegen nach 1814 weiterhin in Geltung. s In der Rheinbundzeit kam es parallel zu dieser Entwicklung, also auch unabhängig von den konkreten Rezeptionsüberlegungen in den Einzelstaaten, zu einer umfangreichen und heftigen Diskussion in der Literatur zur Frage der Einfiihrung des Code Napoleon in Deutschland6 . Diese Rezeptionsdiskussion reichte weit über die juristischen Fachkreise hinaus und wurde auch von vielen politischen Publizisten ausgetragen7. Hierbei wurde der Wunsch nach Reformen des Privatrechts deutlich8 . Auch die Forderung nach der Verwirklichung der im Code Napoleon enthaltenen französischen Revolutionsideen wie Freiheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz und Beseitigung ständischer Privilegien. also insgesamt die Forderung nach einer Liberalisierung der Gesellschaft, kam zum Ausdruck9 . Der Kampf um die Einflihrung des Code Napoleon in die teilweise noch absolutistisch geführten Rheinbundstaaten war zugleich ein Kampf um die Durchsetzung der vom Code verkörperten bürgerlichen Freiheitsrechte10. Hier spielten also konstitutionelle Forderungen eine Rolle 11 . Daneben meinte man auch den nationalen Gedanken einer Rechtsvereinheitlichung verwirklichen zu können, indem man die gemeinsame Einführung des Code Napoleon durch alle oder zumindest mehrere Rheinbundstaaten vorschlug12. Ein von Nassau, Frankfurt und Hessen-Darmstadt durchgeführter Versuch, auf einer gemeinsamen Konferenz in Gießen einen abgeänderten Code auszuarbeiten, der von allen Rheinbundstaaten gemeinsam angenommen s 6
Vgl. dazuD6lemeyer, in: Coings Handbuch, S. 1440 ff. ; Schumacher, S. 17. Fehrenbach, Trad. Ges., S. 28; D61emeyer, in: Coings Handbuch, S. 1461; D6/emeyer, Jus
comrnune VII (1978), S. 181. 7
D6lemeyer, Jus commune VII (1978), S. 181;Fehrenbach, Trad. Ges., S. 28. Schubert, Franz. Recht, S. 49, JSS; Schubert, SZ RG GA, Bd. 94 (1977), S. 130. 9 Fehrenbach, Trad. Ges., S. 9, 28; Fehrenbach, Kampf, S. 18, SO. 1 Fehrenbach, Trad. Ges., S. 9, II; D6lemeyer, Jus commune VII (1978), S. 185. 11 Fehrenbach, Trad. Ges., S. II . 12 D6lemeyer, Jus commune VII (1978), S. 185 f.; D6lemeyer, in: Coings Handbuch, S. 1422, 14S9; Schubert, Franz. Recht, S. 47, 49, JSS. 8
°
I. Die Rezeptionsdiskussion wAhrend der Rheinbundzeit
4S
werden sollte, mißlang jedoch 1810 13. Die Idee eines einheitlichen deutschen Nationalzivilgesetzbuchs wurde erst um 1814 stärker diskutiert, als es zum Kodifikationsstreit zwischen Thibaut und Savigny kam. Dies war auch die Zeit, in der nach Napoleons Rückzug in der Literatur Stimmen laut wurden, die einer Weitergeltung des Code Napoleon in den deutschen Einzelstaaten entgegentraten, so daß der Code schließlich nicht mehr als Grundlage eines einheitlichen Zivilgesetzbuches in Frage kam.14 Während der napoleonischen Ära in Deutschland, besonders aber zur Zeit der Rezeptionsdiskussion, erschien eine Flut deutschsprachiger Literatur, die sich mit dem Code Napoleon beschäftigte. Dieses Schrifttum setzte sich aus teilweise in überschwenglichem Stil geschriebenen Flugschriften, aus juristischen und politischen Zeitschriften und aus juristischen Handbüchern zusammen. Darin wurde nicht nur die Frage der Rezeption des Code in unveränderter oder modifizierter Form unter juristischen oder politischen Aspekten erörtert, sondern es wurden auch Probleme der Anwendung des Gesetzes unter theoretischen und praktischen Gesichtspunkten besprochen sowie konkrete Kritiken an einzelnen Rechtsinstituten und Wertungen geäußert. Eines der häufig besprochenen Rechtsinstitute war der Familienrat. Es gab Lehrbücher und Kommentare deutscher Juristen zum Code Napoleon, die sich mit dem Vormundschaftsrecht und dem Familienrat materiellrechtlich auseinandersetzten, indem sie beides darstellten, erklärten und juristisch erläuterten. Daneben existierten viele wertende Veröffentlichungen zum Familienrat, die mehr rechtspolitischer Art waren oder die auf Erfahrungen beruhten. Auch Schrifttum, das alles miteinander kombinierte, wurde publiziert. Anband dieser Stellungnahmen deutschsprachiger Autoren, die fast alle Juristen waren, soll nun festgestellt werden, wie der Familienrat zwischen 1804 und 1815 in Deutschland bewertet wurde und ob sich dieses Institut in diesem Zeitraum dort möglicherweise bewährt hat. Dabei soll auch Schuberts Behauptung überprüft werden, der Familienrat habe bei den deutschen Juristen der Rheinbundzeit soviel Zustimmung hervorgerufen wie kaum eine andere Einrichtung des französischen Rechts 15.
13 Siehe dazu Fehrenbach, Trad. Ges., S. 27, 121 ff.; D6lemeyer, in: Coing,