Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19 [1 ed.] 9783428479047, 9783428079049


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Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19 [1 ed.]
 9783428479047, 9783428079049

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 70

Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19 Von

Michael Dreyer und Oliver Lembcke

Duncker & Humblot · Berlin

M I C H A E L DREYER / OLIVER LEMBCKE

Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 70

Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19

Von Michael Dreyer und Oliver Lembcke

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dreyer, M i c h a e l :

Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19 / von Michael Dreyer und Oliver Lembcke. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft ; Bd. 70) ISBN 3-428-07904-3 NE: Lembcke, Oliver:; GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-07904-3

Die Schuldfrage Der Mars hat die Jungfer Europa poussiert Und hat ihr das Kränzel verungeniert. Nun drückt er sich um die Vaterspesen, Er sagt, es wäre der Michel gewesen. Der Michel schwört verdutzten Gesichts: "Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts! Der Wiener Schani war das Karnickel Nu schön, dann nehme man den beim Wickel." Der Schani spricht: "Dös wär' gelacht! Ich habe dem Madel koa Schand' gemacht. Der Bruder meiniges von den Serben, Der leistete sich den Leibeserben." Der Sergius aber erwidert barsch: "Mein großer Bruder, der Iwan war'seh!" Doch dieser strampelt mit Händ* und Füßen. Nun kommt die Sache vor die Assisen. In Frankreichs Hauptstadt, oje, oje! Da tagt man von wegen paternité. Der Papa Wilson, als Prokurater, Der löst die Frage: Wer ist der Vater? Ach Michel, Michel, ich glaube fast, Du bist der Arme, den man verknast't. Du sollst für das Kindlein gradestehen! Ο Junge, Junge! Wie wird's dir gehen?

Altro (Welt am Montag, 31. März 1919)

Vorwort Bei einem Buch, das unter zwei Namen erscheint, hat der Leser Anspruch darauf, über die Entstehungsgeschichte und die Anteile der beiden Autoren unterrichtet zu werden. Den ersten Anstoß zu der vorliegenden Arbeit erhielt einer der beiden Autoren (MD) im Frühjahr 1987 im Bundesarchiv Koblenz. Der Besuch in Koblenz hatte einen anderen Anlaß, aber die Atmosphäre dieses schönen Gebäudes, die langen Öffnungszeiten und die einmalig benutzelfreundliche Aktenaushebung verführten neben der eigentlichen Arbeit zum Stöbern. Was ursprünglich nur als kleiner Aufsatz gedacht war, vergrößerte und verselbständigte sich immer mehr, zumal nachdem ein zweiter Autor (OL) hinzukam. Seitdem sind einige Jahre verstrichen, in denen wir zusammen mit größeren und großen Unterbrechungen immer wieder daran gearbeitet haben, bis wir jetzt glauben, ein Resultat vorlegen zu können. Die thematische Konzeption und die ersten Textfassungen stammen überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, vom erstgenannten Autor. Die Arbeit an Quellen und Literatur haben wir in Bibliotheken und Archiven stets gemeinsam durchgeführt, und in den langen Perioden der Überarbeitung und Erweiterung der frühen Versionen gab es wohl keinen Abschnitt des Textes, an dem nicht jeder der beiden Autoren seinen Teil geschrieben hätte. Daher können wir die Verantwortung für die einzelnen Kapitel nicht gut teilen, sondern tragen sie gemeinschaftlich. Barbara Tuchman hat einmal gesagt, daß man in sein Thema verliebt sein müsse, um gut schreiben zu können. Die Beurteilung, ob wir gut geschrieben haben, müssen wir dem Leser überlassen - aber in das Thema verliebt haben wir uns zweifellos. Sonst wären wir kaum neben anderen Projekten, Prüfungen und Abgabeterminen immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Über die Jahre hinweg war die Arbeit alles mögliche, hatte ihre Höhe- und Tiefpunkte - aber langweilig war sie nicht für eine Minute. Dazu haben auch die vielen freundlichen Menschen beigetragen, die uns auf dem Weg von der ersten Idee zum fertigen Buch geholfen haben. Das beginnt mit den hilfsbereiten Bibliothekaren und Archivaren zahlreicher Institutionen, das endet mit dem Verlag Duncker & Humblot und seinem Geschäftsführer,

Vorwort

8

Prof. Norbert Simon, dem wir für die Aufnahme unserer Arbeit in sein Verlagsprogramm zu danken haben. Zeitlich in der Mitte stehen unsere Freunde und Kollegen, deren wachsame Augen manche Fehler und Versäumnisse korrigieren konnten. Sven Weber und Dr. Ewald Grothe haben das gesamte Manuskript gelesen, und Dr. Ulrich Sieg hat sich im Laufe der Jahre gleich durch mehrere Fassungen gekämpft. Von ihrem eifrigen Sachverstand haben wir enorm profitieren können. Dr. Carsten Schlüter-Knauer gab uns die Gelegenheit, erste Ergebnisse auf einem internationalen Symposium vorzutragen, und Dr. Barbara Schwegmann hatte als ein ruhender Pol in der Hektik dieser Zeit ihren Anteil daran, daß überhaupt solche Ergebnisse existierten. Als wir mit der Arbeit begannen, waren wir beide noch blutige Laien am Computer. In den ersten Kämpfen mit Textprogrammen, die die Tendenz hatten, ganze mühsam geschriebene Abschnitte einfach verschwinden zu lassen, hat uns Timm Abrahams mehrfach aus der Verzweiflung gerettet. Ohne seine telephonischen Diagnosen hätten wir manchen Abschnitt noch häufiger schreiben müssen, als wir dies ohnehin schon getan haben. Inzwischen haben wir zwar auch in dieser Hinsicht viel gelernt, aber die technische Publikationsreife konnte nur dadurch erzielt werden, daß Dr. Peter Nißen bereit war, viele Stunden seiner Zeit zu opfern. Unser Dank gilt ihnen allen. Speziell danken möchte Oliver Lembcke seinem Geschichtslehrer Burkhard Zarnack für den exzellenten Unterricht, der zu Fragestellungen motivierte, die über den Lehrplan hinausgingen; Inga Kempas für die Hilfe bei den zahlreichen nervenaufreibenden nächtlichen Probeausdrucken; schließlich und vor allem seinen Eltern und Bettina Güntner, die ihm mit Worten und noch mehr Taten die vorliegende Untersuchung überhaupt erst ermöglichten. Außerdem muß auch Michael Dreyer noch einen besonderen Dank abstatten: an seinen langjährigen Geschichtslehrer, Peter Brickmann, der ihn nicht nur vor vielen Jahren erstmals mit dem Namen Fritz Fischer bekannt machte, sondern der vor allem zeigte, wie fesselnd und lebendig Geschichte sein kann und der damit schon für den Mittelstufen-Schüler das Studienfach praktisch festlegte. Hoffentlich ist er mit dem späten Resultat seiner Bemühungen zufrieden. Kiel, im September 1993 Michael Dreyer

Oliver Lembcke

Inhalt A.

Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung I. II.

B.

II.

C.

Fritz Fischer und die Folgen

13

Die Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik

23

Die Revolution und die Kriegsschuldfrage I.

13

31

Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

31

Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

56

1.

Die Funktion der Kriegsschuldfrage in der Revolutionszeit

56

2.

Die Aktenpublikation Kurt Eisners

63

3.

Die Kriegsschuldfrage in der Presse der Parteien

77

III.

Die Kriegsschuldfrage auf der Berner Sozialistenkonferenz

87

IV.

Die "Schuld am Krieg" und die "Schuld im Krieg"

92

Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

101

I. II.

III.

Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes

101

Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

123

1.

Der Schock des Vertragsentwurfes

123

2.

Deutsche Gegenvorschläge und "Professoren-Denkschrift"

133

3.

Alliierte Schuldzuweisungen

153

4.

Annehmen oder ablehnen?

157

Kriegsschuldfrage und Parlamente

168

1.

Die Nationalversammlung zu Weimar

168

2.

Die Preußische Landesversammlung zu Berlin

176

Inhalt

10

D.

E.

Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

181

I.

Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

181

II.

Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

198

Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

Quellen- und Literaturverzeichnis

223

231

A.

Ungedruckte Quellen

231

B.

Dokumentarische Quellen

232

C.

Literarische Quellen

235

1.

Bücher und Aufsätze

235

2.

Zeitungen

247

D.

Sekundärliteratur

Personenregister

248

265

Abkürzungsverzeichnis A

Abendausgabe

AA

Auswärtiges Amt

ADV

Arbeitsausschuß Deutscher Verbände

Β

Beilage

BA

Bundesarchiv Koblenz

BAP

Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam

Bb

Beiblatt

BBC

Berliner Börsen-Courier

BNN

Berliner Neueste Nachrichten

BT

Berliner Tageblatt und Handelszeitung

CEH

Central European History

DAZ

Deutsche Allgemeine Zeitung

DP

Deutsche Politik

DR

Deutsche Rundschau

DS

Denkschrift

DTZ

Deutsche Tageszeitung

FZ

Frankfurter Zeitung und Handelsblatt

GSA

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin

GSM

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Merseburg

GuG

Geschichte und Gesellschaft

GWU

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

HJB

Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft

HZ

Historische Zeitschrift

JCH

Journal of Contemporary History

JMH

Journal of Modern History

KSF

Die Kriegsschuldfrage/ Berliner Monatshefte

KZ

Neue Preußische [Kreuz-] Zeitung

LA

Leitartikel

M

Morgenausgabe

12

Abkürzungsverzeichnis

MGM

Militärgeschichtliche Mitteilungen

MNN

Münchener Neueste Nachrichten

NL

Nachlaß

NPL

Neue Politische Literatur

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

PA

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn

Pr.Jbb.

Preußische Jahrbücher

Rep.

Repositorium

RF

Die Rote Fahne

RfH

Reichszentrale für Heimatdienst

RH

Revue historique

SM

Sozialistische Monatshefte

SZ

Süddeutsche Zeitung

TR

Tägliche Rundschau

VfZ

Vierteljahrshefte ftlr Zeitgeschichte

VZ

Vossische Zeitung

WaM

Die Welt am Montag

WK

Weltkrieg

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

Die Geschichte der Jahre 1914 bis 1918 ist so gut durchforscht wie kaum eine andere Epoche. Der Historiker bewegt sich überall auf sicherem Boden. Heftige Fehden in der Öffentlichkeit, scharfe Auseinandersetzungen in der Wissenschaft sind ausgefochten worden - man wird zugestehen, daß mit großem Aufwand Bleibendes erreicht wurde. Die Katastrophe eines weltumspannenden Krieges der modernen Staatenwelt ... steht uns heute vor dem geistigen Auge anders, als die Mitlebenden sie mit leibhaftigen Augen sahen, schon in kühler Distanz, in allen Einzelheiten beleuchtet, fast ohne Rätsel. Forscher in allen Ländern sind sich über die Grundzüge der Vorgänge im großen und ganzen einig - sofern nicht ideologische Bindungen die unbefangene Beurteilung beeinträchtigen. Walther Hubatsch (1955)

A. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung L Fritz Fischer und die Folgen Selten oder nie hat ein knapp 900 Seiten starkes wissenschaftliches Buch eine solche Reaktion hervorgerufen, wie dies 1961 der "Griff nach der Weltmacht" des Hamburger Historikers Fritz Fischer tat1. Eine Frage, die schon längst erledigt und definitiv beantwortet zu sein schien, rückte mit einem Schlag in den Mittelpunkt der historisch-politischen Kontroversen. Walther Hubatsch dürfte seine oben wiedergegebene Bemerkung, die den scheinbar gesicherten Stand der Forschung widerspiegeln sollte, schnell bereut haben2. Umgekehrt wird Fischer sehr genau gewußt haben, wie weit sich seine Ergebnisse vom allgemeinen Konsens entfernten, als er seinen ersten Aufsatz

1 F. Fischer: Der Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1961. Eine 3. verb. Aufl., in der die ersten beiden Kapitel neu geschrieben waren, erschien ebd. 1964, eine völlig Überarb. Sonderausgabe 1967; auch Nachdruck Kronberg i.Ts. 1977. 2 W. Hubatsch: Der Weltkrieg 1914/1918. Handbuch der Deutschen Geschichte. Hg. v. L. Just, 4. Bd., Abschnitt 2, Konstanz 1955, S. 2. Mit diesem Absatz leitete Hubatsch seinen Beitrag ein.

14

Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

zum Thema 1959 in der Historischen Zeitschrift mit diesem Hubatsch-Zitat beginnen ließ3. Ein im Grunde bis heute andauernder Historikerstreit erhob sich, gegen den der sogenannte "Historikerstreit" der achtziger Jahre in jeder Beziehung wie ein fader Aufguß wirken muß. Dabei war es nicht einmal der Hauptteil von Fischers akribischer Untersuchung, die auf der Auswertung von Bergen von Archivmaterialien beruhte, der die "Fischer-Kontroverse" auslöste. Es ging vielmehr um die beiden ersten der insgesamt 23 Kapitel des Buches. In 21 Kapiteln wurde die Kriegszielpolitik während des Krieges untersucht, die Einleitung wollte hingegen aufzeigen, daß der Krieg planmäßig von Deutschland vorbereitet und in der Julikrise 1914 zumindest leichtfertig entfacht wurde. Dies ist gewiß eine fast unzulässige Veikürzung wenigstens der damaligen Gedanken Fischers, und dieser hat sich denn auch dagegen gewehrt, in dieser Verkürzung mißverstanden zu werden. Aber wenn er auch nicht die deutsche Alleinschuld behauptet hatte, liefen seine Thesen in der unübersehbar immer weiter verschärften und pointierten Form, die er ihnen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gab, cum grano salis doch genau darauf hinaus. Was 1961 als Untersuchung der Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland begonnen hatte und sich 1969 dahin weiterentwickelte, das Deutsche Reich habe spätestens seit 1912 planmäßig auf einen Krieg hingearbeitet4, mündete schließlich konsequent in der Behauptung der Kontinuität deutscher Politik vom kaiserlichen bis zum nationalsozialistischen Hegemonialstreben. 1979 verstand Fischer den Zweiten Weltkrieg "vor allem als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg ..., als Weigerung der führenden Schichten des Deutschen Reiches, den Ausgang des Ersten Weltkrieges hinzunehmen"5.

J F. Fischer: Deutsche Kriegsziele, Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914-1918, in: HZ, 188. Bd. (1959), S. 249-310, hier S. 249. Fischer nennt die Aussage Hubatschs "um so überraschender", als die Ententearchive noch ungeöflnet und die deutschen Akten nicht voll ausgeschöpft seien. Letzteres war genau sein Vorhaben. 4 "Krieg der Illusionen", Düsseldorf 1969. Zur Abwehr der Kritik an seinem ersten Buch siehe den ersten Teil von Fischers Aufsatz "Weltpolitik, Weltmachtstreben und deutsche Kriegsziele", in: HZ, 199. Bd. (1964), S. 265-346, hier S. 265-280 (erneut und nur diesen ersten Teil umfassend unter dem Titel "Zur Kritik an dem Buch 'Griff nach der Weltmacht'", in: ders., Der Erste Weltkrieg und das deutsche Geschichtsbild, Düsseldorf 1977, S. 223-237). 5 F. Fischer: Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871-1945, Düsseldorf 1979, S. 94. Vgl. zur Kontinuitätsproblematik auch Fischers "Weltmacht oder Niedergang. Deutschland im ersten Weltkrieg", Frankfurt a.M. 1965; verschiedene Aufsätze in der in der letzten Anmerkung genannten Sammlung "Der Erste Weltkrieg und das deutsche Geschichtsbild", v.a. S. 350ff.; und zuletzt Fischers Aufsatzsammlung "Hitler war kein Betriebsunfall", München 1992.

I. Fritz Fischer und die Folgen

15

Damit war Fischer letztlich mehr oder weniger dort angelangt, wo ihn einer seiner schärfsten Kritiker, der Kieler Politikwissenschaliler Michael Freund schon 1962 vermutete; bei der Kontinuitätsthese von Bethmann Hollweg zu Hitler 6. In den über 30 Jahren, die seit Fischers erstem Aufsatz vergangen sind, ist zum Teil tatsächlich das eingetreten, was Hubatsch fälschlich konstatiert hatte: Inzwischen dürfte der Erste Weltkrieg in der Tat so gut durchforscht sein, wie kaum eine andere Epoche. Im Rahmen der Debatte um die Thesen Fischers wurden die Archive erneut durchsucht, Akten und Dokumente herausgegeben, Tagebücher der Akteure von 1914 ediert und eine Unmenge von Büchern, Aufsätzen und Rezensionen geschrieben. In den sechziger Jahren findet sich schnell die zutreffenden Behauptung, daß die Diskussion unübersehbar geworden sei. Inzwischen füllen nicht nur die Beiträge der Kontrahenten in der Fischer-Kontroverse ganze Bibliotheken, auch die Literatur über den Streit ist gewaltig angewachsen. In regelmäßigen Abständen sind die hauptsächlichen Positionen resümierend wiedergegeben worden, zuletzt mit umfassenden Literaturangaben 1989 von Klaus Hildebrand7. Die Notwendigkeit, die Fortentwicklung der Kontroverse immer neu zu dokumentieren, zeigt überdeutlich, daß die Behauptungen Gassers von

M. Freund: Bethmann-Hollweg, der Hitler des Jahres 1914. Zu einer Spätfrucht des Jahres 1914 in der Geschichtsschreibung, in: FAZ, 28.3. 1964. Erneut in E.W. Graf Lynar (Hg.): Deutsche Kriegsziele 1914-1918. Eine Diskussion, Frankfurt a.M., Berlin 1964, S. 175-182. η Vgl. in chronologischer Reihenfolge F. Klein (Hg.): Deutschland im ersten Weltkrieg, 3 Bde., [Ost-]Berlin 1968 u. 1969, hier Bd.l, S. 40ff; W. Schieder: Einleitung, in: ders. (Hg.), Erster Weltkrieg, Köln u. Berlin 1969, S. 11-26; E. Schraepler: Die Forschung über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Wandel des Geschichtsbildes 1919-1969, in: GWU, 23.Jg. (1972), S. 321-328; A Sywottek: Die Fischer-Kontroverse. Ein Beitrag zur Entwicklung des politisch-historischen Bewußtseins in der Bundesrepublik, in: I. Geiss, B.-J. Wendt (Hg.), Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Fritz Fischer zum 65. Geburtstag, Düsseldorf 1973, S. 19-47 (hierzu V.R. Berghahn: Fritz Fischer und seine Schüler, in: NPL, 19.Jg. (1974), S. 143-154); K. Hildebrand: Imperialismus, Wettrüsten und Kriegsausbruch 1914, in: NPL, 20.Jg. (1975), S. 160-194 u. S. 339364, hier S. 324ff.; G. Schöllgen: "Fischer-Kontroverse" und Kontinuitätsproblem. Deutsche Kriegsziele im Zeitalter der Weltkriege, in: A Hillgruber, J. Dülffer (Hg.), Ploetz Geschichte der Weltkriege, Freiburg u. Würzburg 1981, S. 163-177; ders.: "Griff nach der Weltmacht?" 25 Jahre Fischer-Kontroverse, in: HJB, 106.Jg. (1986), S. 386-406; B.-J. Wendt: Zum Stand der "Fischer-Kontroverse" um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Annales Scientiarum Budapestinensis, Bd.24 (1985), S. 99132; ders.: Über den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit der Kriegsschuldfrage, in: K.J. Gantzel (Hg.), Wissenschaftliche Verantwortung und politische Macht, Berlin u. Hamburg 1986, S. 1-63; und schließlich K. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1871-1918, München 1989, S. 79ff. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zur Rezeption der Kontroverse in Schulbüchern V. Berghahn: Die Fischer-Kontroverse - 15 Jahre danach, in: GuG, 6.Jg. (1980), S. 403-419. Umfassend W. Jäger: Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland, Göttingen 1984.

16

Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

1968 und Röhls von 1971, der Streit nähere sich inzwischen seinem Ende, ebenso verfrüht waren wie die von Hubatsch8. Die Diskussion um die RiezlerTagebücher läßt keinen Zweifel daran, daß die Kriegsschuldfrage selbst heute noch von hinreichender Brisanz ist9. Die freundlichste Aufnahme fanden die Thesen Fischers in der ausländischen Diskussion10. In Deutschland wurden zwar die Historiker "aus ihrem selbstverordneten Dornröschenschlaf' 11 geweckt, aber nur, um Fischer größtenteils entgegenzutreten. Egmont Zechlin, Hans Herzfeld, Hans Rothfels und Gerhard Ritter hatten alle schon in der Weimarer Republik an der Kriegsschulddiskussion teilgenommen und fühlten sich nun besonders herausgefordert. Ihnen gesellten sich an jüngeren Wissenschaftlern Andreas Hillgruber und Karl Dietrich Erdmann hinzu.

ο ° A Gasser: Deutschlands Entschluß zum Präventivkrieg 1913/14, in: Discordia Concors. Festgabe für Edgar Bonjour, 1. Bd., Basel u. Stuttgart 1969, S. 171-224, hier S. 173: "Heute ist die wissenschaftliche Wahrheit, am objektiven Erkenntniswillen sine ira et studio orientiert, in vollem Durchbruch begriffen." J.C.G. Röhl: Zwei deutsche Fürsten zur Kriegsschuldfrage, Düsseldorf 1971, S. 10: "Der Streit über die unmittelbaren Ursachen des Ersten Weltkrieges naht seinem Ende." Beide meinten damit, daß sich die Seite Fischers durchgesetzt habe. Als bislang wohl letzter Autor hat sich M. Rauh: Die britisch-russische Marinekonvention von 1914 und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: MGM, 41. Bd. (1987), S. 37-62, hier S. 37, mit der Aussage hervorgewagt, daß "die Kernpunkte der von Fischer begründeten Anschauung heute als widerlegt gelten müssen". Auch das scheint zu weitreichend. 9 K.D. Erdmann hatte sie unter dem Titel "Kurt Riezler, Tagebücher, Aufsätze und Dokumente", Göttingen 1972, ediert. Zeitlich unmittelbar dazu I. Geiss: Kurt Riezler und der Erste Weltkrieg, in: Festschrift Fischer zum 65. Geburtstag, S. 398-418; sowie B. Sösemann: "Die Erforderlichkeit des Möglichen", in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 1 lO.Jg. (1974), S. 261-275. Herbe Kritik übte F. Fischer selbst; "Juli 1914: Wir sind nicht hineingeschlittert. Das Staatsgeheimnis um die RiezlerTagebücher. Eine Streitschrift", Reinbek 1983. Im gleichen Jahr explodierte die Kontroverse mit der im Vergleich zu 1974 jetzt viel weiterreichenden Kritik Bernd Sösemanns "Die Tagebücher Kurt Riezlers", in: HZ, 236.Bd. (1983), S. 327-369; auf die Erdmann antwortete mit "Zur Echtheit der Tagebücher Kurt Riezlers. Eine Antikritik", ebd., S. 371-402. Der Streit setzte sich in der "Zeit" fort; K.-H. Janßen: August '14: Wahrheit auf Raten, Nr. 24 (10.6/83); K.D. Erdmann: Die Tagebücher Riezlers sind echt, Nr. 28 (8.7.'83); und die fast ausnahmslos von Anhängern Fischers stammenden Leserbriefe "Dieses dunkle Geheimnis", Nr. 33 (12.8/83). Vgl. auch A Blänsdorf: Der Weg der Riezler-Tagebücher, in: GWU, 35.Jg. (1984), S. 651-684. 1 0 Vgl. etwa J. Joll: The 1914 Debate Continues: Fritz Fischer and His Critics, in: H.W. Koch (Hg.), The Origins of the First World War, London u. Basingstoke 1972, S. 13-29 (erstmals 1966); D.E. Kaiser: Germany and the Origins of the First World War, in: JMH, 55.Bd. (1983), S. 442-474; M. Hughes: Nationalism and Society, London usw. 1988, S. 162; und J. A Moses: The Politics of Illusion. The Fischer Controversy in German Historiography, London 1975, der sich sehr für Fischer einsetzt. Sein Werk bedeute för die deutsche Geschichtswissenschaft einen Paradigmenwechsel im Sinne von Thomas Kuhns wissenschaftlicher Revolution; S. 43f., Fn.56. Skeptisch zur gesamten Kontroverse K.H. Jarausch: World Power or Tragic Fate? The Kriegsschuldfrage as Historical Neurosis, in: CEH, 5.Bd. (1972), S. 72-92. 1 1

U. Heinemann: Die verdrängte Niederlage, Göttingen 1983, S. 14.

I. Fritz Fischer und die Folgen

17

Während Fischers erster Kritiker Herzfeld eine Reihe positiver Seiten an Fischers Thesen ausmachte12, hielt Gerhard Ritter in seinem monumentalen Werk über "Staatskunst und Kriegshandwerk" 13 an der alten Interpretation des Weltkrieges als eines Defensivkrieges fest. Kritischer gegenüber der deutschen Politik waren Zechlin, dem zufolge die deutsche Führung unter der Illusion eines möglichen begrenzten Krieges handelte14, Hillgruber, der die Theorie des begrenzten Risikos des Beraters von Kanzler Bethmann Hollweg, Kurt Riezler, zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nahm15 und Erdmann, der

1 2 H. Herzfeld: Zur deutschen Politik im ersten Weltkriege. Kontinuität oder permanente Krise?, in: HZ, 191.Bd. (1960), S. 67-82.

11 G. Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des "Militarismus" in Deutschland, 4 Bde., München 1954-1968. Die Auseinandersetzung mit Fischer erfolgt (außer in Ritters HZ-Aufsatz "Eine neue Kriegsschuldthese?", 191.Bd. (1960), S. 646-668) vor allem im 3. Bd., "Die Tragödie der Staatskunst", München 1964. Unabhängig von der Stellung zu Ritters Defensivkriegptheorie kann sich wohl kein Leser der historischen Kraft von Anlage und Sprache Ritters in diesem gewaltigen Werk entziehen. Das Ringen von Staatskunst und Kriegshandwerk spitzt sich zu im Untergang Bethmann Hollwegs gegenüber Ludendorff 1917. Selbst A Gasser, der für die Gegner Fischers normalerweise nur Spott übrig hat, urteilt über Ritter: 'Trotz vielen Abschwächungsversuchen belastender Akten enthält die fesselnd geschriebene großangelegte Studie eine Überfälle trefflichster Einsichten" (Deutschlands Entschluß zum Präventivkrieg*, S. 174, Fa 7) Vgl. auch zum 3. Bd. K. Epstein: Gerhard Ritter and the First World War, in: H.W. Koch, Origins of the First World War, S. 286-306 (erstmals 1966, dt als "Geriiard Ritter und der Erste Weltkrieg", in: W. Laqueur, G L Mosse (Hg.), Kriegsausbruch 1914, München 1967, S. 253-277 [dte. Buchausgabe des 'Journal of Contemporary History1, 1966 H.3]). In Kochs Sammelband von 1972 findet sich auch eine warme und engagierte Verteidigung Ritters gegen Fischer aus der Feder von Ritters Schüler K.-H. Janßen: Gerhard Ritter: A Patriotic Historian's Justification, S. 257-285, in der Janßen betont, daß Ritter stets auch Fischers Verdienste gesehen habe und selbst der deutschen Politik gegenüber nicht unkritisch gewesen sei. 1 4 Zechlins erster großer Beitrag zur Kontroverse war seine Artikelserie "Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche", in: apuz, B20/61 (17.5.'61), B24/61 (14.6/61), B25/61 (21.6/61), B20/63 (15.5.'63), B22/63 (29.5/63). Dem folgten eine Reihe von Aufsätzen, die zum Teil in der Sammlung "Krieg und Kriegsrisiko. Zur deutschen Politik im ersten Weltkrieg", Düsseldorf 1979, wieder veröffentlicht wurden. Am wichtigsten ist vielleicht der für dieses Buch neu geschriebene Beitrag "Die Adriakrise und der 'Kriegsrat' vom 8. Dezember 1912", S. 115-159, der die erfolgreiche Krisenbewältigung von 1912 mit dem Mißerfolg von 1914 vergleicht, und dabei kritisch die von Fischers Anhängern behauptete deutsche Kriegswilligkeit seit dem Kriegsrat von 1912 unter die Lupe nimmt. Gegen Fischers Streitschrift von 1983 wendet sich Zechlins "Juli 1914. Antwort auf eine Streitschrift", in: GWU, 34.Jg. (1983), S.238-246, worin der von Fischer beanstandete Artikel Zechlins in der FAZ und eine Antikritik Zechlins enthalten ist. Vgl. auch V. Ullrich: Das deutsche Kalkül in der Julikrise 1914 und die Frage der englischen Neutralität, in: GWU, 34.Jg. (1983), S. 7997, wo Zechlins Standpunkt gestützt wird. 1 5 A Hillgruber: Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1977; ders.: Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege, 2. erg. Aufl., Göttingen 1979; ders.: Die gescheiterte Großmacht. Eine Skizze des Deutschen Reiches 1871-1945, Düsseldorf 1980; ders.: Die Zerstörung Europas. Beiträge zur Weltkriegsepoche 1914 bis 1945, Berlin 1988. Vgl. auch die Gesamtdarstellung von P. Graf Kielmannsegg: Deutschland und der Erste Weltkrieg, Frankfurt a.M. 1968, der eine Politik des Risikos und der Kriegsbereitschaft (S. 11) und einen Leichtsinn aus Überschätzung der deutschen Stärke (S. 13f.) sieht, aber keine geplante Entfesselung des Krieges.

2 Dreyer/Lembcke

18

Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

mit seiner Auswertung und späteren Edition der Riezler-Tagebücher den Gedanken des Präventivkrieges, den Ritter noch entschieden abgelehnt hatte, wieder aufgriff und in der Julikrise gleichfalls eine verfehlte Anwendung der Riezlerschen Risikotheorie sah16. Jüngst hat Thomas Nipperdey in seiner letzten großen Arbeit verschiedene Gedanken kombiniert und die deutsche Politik als "präventiv-defensiv" beschrieben17. Eine Reihe der zentralen Schriften in dieser Auseinandersetzung mit Fischer sind bereits in den sechziger Jahren erschienen und konnten in Sammelwerken gegen Ende des Jahrzehnts dokumentiert werden. Vor allem die von Wolfgang Schieder 1969 herausgegebene Aufsatzsammlung vereinigte viele der wichtigsten Arbeiten der Gegner und Anhänger Fischers in sich 18 . Unter den letzteren war und ist es besonders Imanuel Geiss, der von Anfang an seinen Lehrer mit zahlreichen eigenen Arbeiten, aber auch mit einer neuen Dokumentensammlung, unterstützte 19. John C.G. Röhl lenkte

1 6 V.a. K.D. Erdmann: Zur Beurteilung Bethmann Hollwegs, in: GWU, 15.Jg. (1964), S. 525-540; und die bereits zitierten Tagebücher Riezlers, die Erdmann nach zähen Verhandlungen 1972 herausgeben konnte (mit einem glänzenden Porträt des Kanzlerberaters als Einleitung; "Kurt Riezler - ein politisches Profil (1882-1955)", S. 19-159). Seinen Standpunkt, daß Deutschlands Ziel nicht die Hegemonie, sondern machtpolitische Selbstbehauptung gewesen sei, hat Erdmann zusammenfassend ausgeführt in seinem "Der Erste Weltkrieg." Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 18. Bd., München 1980, S. 37-99, v.a. S. 91ff. (erstmals 1973). 1 7

Th. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918, 2. Bd., München 1992, S. 687.

ιχ 1

Vorher schon erschienen zwei wichtige Sammlungen, die schon zitierten Bände von E.W. Graf Lynar ("Deutsche Kriegsziele 1914-1918") und von W. Laqueur und G.L. Mosse ("Kriegsausbruch 1914"). Dieser bringt eine Reihe bedeutender und zusammenfassender Aufsätze, die auch die Perspektive der anderen Länder berücksichtigen, jener die wichtigsten frühen Rezensionen zu Fischers Buch mit einer umfassenden Liste weiterer Besprechungen. Bei W. Schieder ("Erster Weltkrieg") finden sich neben einer exzellenten Einleitung des Herausgebers zentrale Kapitel aus Fischers "Griff', seinem HZ-Aufsatz von 1964 und seinem Buch von 1965, aus Ritters 3. Bd. der "Staatskunst", und Aufsätze von Erdmann, Geiss, Hillgruber, Zechlin und anderen. 1 9 Vgl. I. Geiss: Der polnische Grenzstreifen 1914-1918. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg, Lübeck u. Hamburg 1960; seine Kritik an Erdmanns Riezler-Interpretation "Zur Beurteilung der deutschen Reichspolitik im ersten Weltkrieg", in: H. PoggeV. Strandmann u. ders.: Die Erforderlichkeit des Unmöglichen. Deutschland am Vorabend des ersten Weltkrieges, Frankfurt a.M. 1965, S.47-82. Sein wichtiger Aufsatz "Die Kriegsschuldfrage - Das Ende eines Tabus" erschien erstmals in dem Band von Laqueur und Mosse ("Kriegsausbruch 1914", S. 101-126), später auch in der Aufsatzsammlung Geiss' "Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges", München u. Zürich 1985 (erstmals München u. Wien 1978), S. 204-229. Hier (S. 124-158) auch der oben angegebene Aufsatz von 1965 und eine Reihe weiterer Schriften Geiss'. Ebenso wichtig ist seine zweite Aufsatzsammlung "Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg", München u. Zürich 1985 (erstmals München u. Wien 1978). Geiss führt eine der schärfsten polemischen Klingen in der ganzen Kontroverse. Das hat ihm auch viel Kritik eingetragen, etwa bei seiner zweibändigen Dokumentensammlung "Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Mit einem Vorwort

I. Fritz Fischer und die Folgen

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die Aufmerksamkeit auf den "Kriegsrat" vom 8. Dezember 1912, dessen Interpretation seitdem zu einem der umstrittensten Probleme im weiteren Vorfeld des Kriegsausbruches zählt 20 . Der Schweizer Historiker Adolf Gasser führte diese These der planmäßigen Kriegsentfesselung nicht nur in der Julikrise 1914, sondern schon in den Jahren zuvor in immer ausgedehnteren Kreisen fort 21 , Hartmut Pogge-v. Strandmann arbeitete auf ähnlichen Bahnen und stützte auch Fischers KontinuitätsBehauptung22. Vor einem nicht ganz kleinen Problem stand die marxistische Geschichtswissenschaft mit den Ergebnissen Fischers. Zum einen kamen ihr die Schuldzuweisungen an das kaiserliche Deutschland und mehr noch die späteren Kontinuitätsthesen gelegen, zum anderen aber fehlten ihr die Schuldzuweisungen an die anderen imperialistischen Mächte. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Positionen war nicht einfach, die Mühe, die Fritz Klein und sein Autorenkollektiv in ihrem großen Sammelwerk 1968 damit

von Fritz Fischer", Hannover 1963 u. 1964 (eine gekürzte Version als Taschenbuch "Juli 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges", München 1965). 2 0 J.C.G. Röhl: An der Schwelle zum Weltkrieg: Eine Dokumentation über den 'Kriegsrat' vom 8. Dezember 1912, in: MGM, 21.Bd. (1977), S. 77-134; und, darauf aufbauend, ders.: Der militärpolitische Entscheidungsprozeß in Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in: ders., Kaiser, Hof und Staat, München 1987, S. 175-202. Voll und ganz zustimmend etwa B.F. Schulte: Europäische Krise und Erster Weltkrieg, Frankfurt a.M. u. Bern 1983, S. 15ff; A. Gasser: Deutschlands Entschhiß zum Präventivkrieg 1913/14, in: Discordia Concors, Festgabe Bonjour, 1. Bd., Basel u. Stuttgart 1968, S. 171-224. Bereits Fischers "Krieg der Illusionen" hatte die Kriegsentfesselung ab 1912 zum Thema gehabt. Kritisch dagegen z.B. E. Zechlin in seinem bereits zitierten Aufsatz "Die Adriakrise und der 'Kriegsrat' vom 8. Dezember 1912" von 1979; sowie Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 2. Bd., S. 679. 2 1 Gassers in der letzten Anmerkung angeführter Aufsatz erschien zusammen mit zwei weiteren Studien in seinen "Drei Studien zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges", Basel u. Frankfurt a.M. 1985, S. 1-46. Außerdem hier noch "Der deutsche Hegemonialkrieg von 1914", S. 47-82 (erstmals in der Festschrift Fischer, Düsseldorf 1973, S. 307-339) und "Preußischer Militärgeist und Kriegsentfesselung 1914. Eigendynamik einer Machtpsychose: von der Inkubation 1866/71 und Virulenz seit 1895 zum Durchbruch 1914/18 und Paroxysmus 1933/45", S. 83-133 (erstmals 1983). Der gewaltige Titel ist Inhaltsangabe und Programm: deutsche Kriegsvorbereitung, Kriegsschuld und Kontinuität. Er legt zugleich nahe, daß man rechtzeitig einen Arzt hätte konsultieren sollen. 2 2

Etwa H. Pogge-v. Strandmann: Staatsstreichpläne, Alldeutsche und Bethmann Hollweg, in: ders. u. I. Geiss: Die Erforderlichkeit des Unmöglichen, Frankfurt a.M. 1965, S. 5-45; ders: Deutscher Imperialismus nach 1918, in: D. Stegmann, B.-J. Wendt, P.-Chr. Witt (Hg.), Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert, Festschrift für Fritz Fischer zum 75. Geburtstag und zum 50. Doktoijubiläum, Bonn 1983, S. 281-293. Eine englische Zusammenfassung seiner Ansichten gibt er in "Germany and the Coming of War", in: R.J.W. Evans u. ders. (Hg.), The Coming of the First World War, Oxford 1988, S. 87-123.

20

Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

hatten, spricht für sich 23 . Kritisch sowohl gegen Fischer wie auch gegen dessen Gegner stand die von Hans-Ulrich Wehler vertretene Auffassung von Geschichte als historischer Sozialforschung. Wehler vermißte bei beiden Schulen die Beachtung der innenpolitischen sozialökonomischen Bedingtheit der Außenpolitik des Kaiserreiches 24. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Fischer stand von Anfang an auch eine methodologische Kritik an seiner Vorgehensweise. Bei aller Anerkennung der scheinbar jeden Widerspruch erschlagenden Akribie seiner Archivstudien lag das Problem für diese Kritik gerade darin, daß Fischer nur und ausschließlich den in den Archiven gefundenen Akten folgte, egal, wohin sie führten. Bereits Herzfeld hatte dies zum Thema gemacht, und Fischer hatte sich umgehend dagegen zur Wehr gesetzt und seinen Ansatz, an dem er auch später festhielt, verteidigt25. Nach Wolfgang J. Mommsen hielt Fischer sich "an den Wortlaut der Dokumente, ganz gleich wie auch immer die Situation gewesen sein mag, in der sie entstanden sind und welcher spezifischen Zielsetzung sie jeweils gedient haben mögen"26. Daneben wurde ebenfalls sehr früh und in offenkundiger Irritation vermerkt, daß Fischer gelegentlich weniger wie ein Historiker als wie ein Ankläger wirke, aus dem noch dazu moralische Entrüstung spreche. Golo Mann vermerkte 1964:

2 3

F. Klein (Hg.): Deutschland im ersten Weltkrieg, 3 Bde., Berlin 1968 u. 1969. Hier 1. Bd.: "Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis Ende 1914. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Fritz Klein". Fischer bescheinigt er "immensen Gelehrtenfleiß und die Klarheit einer realistisch-kritischen Grundkonzeption" (S. 46), Ritter hingegen den "sicheren Instinkt des erfahrenen politischen Ideologen der herrschenden Klasse" (S. 47). Auch Erdmann und Zechlin werden abgelehnt (S. 49), Pogge-v. Strandmann und Geiss hingegen gelobt (S. 50f ). Aber: "Kritisch ist freilich anzumerken, daß Geiss über der an sich vollkommen richtigen und verdienstvollen Hervorhebung der besonderen Aggressivität des deutschen Imperialismus übersieht, daß Kriegsbereitschaft und Wille zum Kriege im Sommer 1914 auch bei den anderen imperialistischen Großmächten vorhanden waren. In diesem Punkt enthält auch die Konzeption Fischers grundsätzliche Schwächen, die seinenreaktionären Gegnern manchmal ihre Angriffe erleichtern" (S. 51) Sieht man von der Zielrichtung und der Wortwahl ab, ist genau dies einer der Punkte, die immer wieder von den "bürgerlichen" Historikern gegen Fischer hervorgehoben wurden. 2 4 Etwa H.-U. Wehler: Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, 5. Aufl., Göttingen 1983, S. 192ff. u. passim. Kritisch zu diesem Ansatz J.C.G. Röhl, Kaiser, Hof und Staat, z.B. S. 17: "Die 'neue Orthodoxie' schreibt die Geschichte des Kaiserreiches ohne Kaiser, die des Wilhelminismus ohne Wilhelm." Λί Η. Herzfeld, Zur deutschen Politik, passim. Dagegen Fischer "Kontinuität des Irrtums", HZ, 191. Bd. (1960), S. 67-82. Herzfeld hatte Fischer das kurz zuvor veröffentlichte Tagebuch des Admirals von Müller entgegengehalten, während Fischer seinen ausschließlichen Gebrauch der primären Akten gegenüber sekundären Memoiren, Tagebüchern und ähnlichem verteidigte. Vgl. hierzu V.R. Berghahn, Fritz Fischer und seine Schüler, S. 146f.

W.J. Mommsen: Die deutsche Kriegszielpolitik 1914-1918. Bemerkungen zum Stand der Diskussion, in: W. Laqueur, G.L. Mosse (Hg.), Kriegsausbruch 1914, S. 60-100, hier S. 77.

I. Fritz Fischer und die Folgen

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"Fischer hält für erschöpflich was unerschöpflich ist; und er glaubt es erschöpfen zu können, indem er isoliert. ... Die Folge von Fischers Methode ist, daß er denkt, schreibt und redet wie ein Staatsanwalt, nicht wie ein Historiker, und daß es seinen Publikationen am Atem der Geschichte völlig fehlt. In der Strafjustiz muß man in der Tat ausscheiden, was für das Verbrechen nicht relevant ist. In der Geschichte ist alles relevant; dies alles ist unendlich. Man kann es nicht in die Hand bekommen, wie Fischer glaubt, er hätte die Ursachen des Krieges von 1914 in der Hand."27 Aber dieser Glaube Fischers und die Herausforderung, mit der er vor über drei Jahrzehnten an die Öffentlichkeit trat, haben die Forschung in einer Breite und Tiefe stimuliert, die in der Nachkriegszeit einmalig dastehen dürfte. Immer mehr weitete sich dabei das Untersuchungsfeld. Neben der Julikrise und der Kriegszieldebatte wurden auch die Jahre vor Kriegsausbruch verstärkt ins Blickfeld gerückt 28; Imanuel Geiss führte die Vorgeschichte des Krieges

2 7 G. Mann: Juli 1914. Vor 50 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus, SZ (1.8.'64). Ähnlich W.J. Mommsen, Die deutsche Kriegszielpolitik: Fischers Thesen seien "vorgetragen in der Form eines unerbittlichen Beweisantrages" (S. 60); "der eigentümliche, plakatartige Plädoyerstil" (S. 73) bei Fischer und Geiss wird von Mommsen beklagt. Vgl. V.R. Berghahn, Fritz Fischer und seine Schüler, S. 149: "Zum einen brach er aus der 'realpolitischen' Tradition der deutschen Geschichtsschreibung aus und ließ sich bei seinen Forschungen von einem deutlichen moralischen Impetus leiten. Das hat ihm den süffisant vorgetragenen Vorwurf eingebracht, ein Gesinnungsethiker zu sein. Glücklicherweise, so ist man heute geneigt zu sagen, war er in der Tat einer. Denn ohne diesen Impuls wäre Fischer wohl kaum in der Lage gewesen, so kämpferisch auf seine Kritiker zu reagieren, wie er es getan hat. Hier kam, wie manche schlau konstatiert haben, der Lutheraner in ihm durch. Zum anderen verließ er den Boden der historisierenden Methode, indem er zu einer Thesenhistorie' (G. Ritter) überging. Genau genommen war es indessen eine Ein-Thesen-Historie, die er schrieb. Seine beiden großen Bücher zeichnen sich neben ihrer erstaunlichen Materialfülle vor allem dadurch aus, daß nicht mehr als eine relativ einfache These konsequent verfolgt wird. In 'Griff nach der Weltmacht' war es das Argument der Kontinuität der deutschen Kriegsziele; in 'Krieg der Illusionen' die Behauptung, daß am 8. Dezember 1912 die Weichen für die Ereignisse des Sommers 1914 gestellt wurden."

Natürlich hat es Untersuchungen dieser Zeit schon immer gegeben. Hier sollen nur einige Werke erwähnt werden, die ihr Entstehen dem Umfeld der Fischer-Kontroverse verdanken. Vgl. etwa V.R. Berghahn: Rüstung und Machtpolitik. Zur Anatomie des 'Kalten Krieges' vor 1914, Düsseldorf 1973; I. Geiss, Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges (verschiedene Aufsätze hieraus); B.F. Schulte, Europäische Krise und Erster Weltkrieg, passim; G. Schöllgen: Die Großmacht als Weltmacht. Idee, Wirklichkeit und Perzeption deutscher 'Weltpolitik' im Zeitalter des Imperialismus, in: HZ, 248. Bd. (1989), S. 79-100. Schöllgen fungiert auch als Herausgeber der Aufsatzsammlung "Flucht in den Krieg? Die Außenpolitik des kaiserlichen Deutschland", Darmstadt 1991, die eine zeitlich übergreifende Perspektive vorstellt. Vgl. für Deutschland als neuen Überblick Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 2. Bd., S. 62Iff. Eine Übersicht über die Literatur bis 1975 bei K. Hildebrand, Imperialismus, Wettrüsten und Kriegsausbruch 1914, S. 160ff. Generell zur Epoche jetzt K. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1871-1918, München 1989, nicht zuletzt wegen der hervorragenden weiterführenden Literaturübersicht.

Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

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gar ein volles Jahrhundert zurück 29. Spezialprobleme von der britischen Marinerüstung 30 über Agrarfragen 31 bis zur kulturellen Bedeutung des Ersten Weltkrieges32 fanden umfangreiche Bearbeitungen. In vergleichender Perspektive wurde die Politik der anderen Großmächte vor und während des Krieges einer revidierenden Untersuchung unterzogen33. Insbesondere James Joll verstand es, die Problematik auf relativ wenigen Seiten souverän in gesamteuropäischer Sicht darzubieten34. Und endlich führte die reiche Diskussion der Fischer-Kontroverse zu einem neuen Untersuchungsgegenstand. Um ein letztes Mal auf Hubatsch zurückzukommen: sein Eingangszitat verwies auf die stürmischen Debatten, die vor der trügerischen Ruhe des Konsenses der fünfziger Jahre geführt wurden. Die Kriegsschuldfrage war nicht erst seit 1961 ein Thema in Deutschland. Mit noch weit leidenschaftlicherer Intensität, mit stärkeren politischen Beimischungen und gravierenderen Folgen stand die Frage in der Weimarer Republik auf der historisch-politischen Tagesordnung.

2Q I. Geiss: Der lange Weg in die Katastrophe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs 18151914, München u. Zürich 1990. Vgl. auch, mit anderer Zielrichtung als Geiss, K. Hildebrand: Julikrise 1914: Das europäische Sicherheitsdilemma. Betrachtungen über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: GWU, 36. Jg. (1985), S. 469-502. Etwa J.T. Sumida: In Defence of Naval Supremacy. Finance, Technology and British Naval Policy, 1889-1914, Boston usw. 1989; R.K. Massie: Dreadnought. Britain, Germany, and the Coming of the Great War, London 1992. 3 1 A. Offer: The First World War: An Agrarian Interpretation, 2. Aufl., Oxford 1991; A. Roerkohl: Hungerblockade und Heimatfront, Stuttgart 1991. -ϊλ Κ. Vondung (Hg.): Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980; M. Eksteins: Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age, Toronto 1989 (auch dt. 1990). 3 3 Vgl. etwa D. Stevenson: French War Aims against Germany 1914-1919, Oxford 1982; L.S. Jaffe: The Decision to Disarm Germany. British Policy towards Postwar German Disarmament, 1914-1919, Boston, London u. Sidney 1985; E. Goldstein: Winning the Peace, Oxford 1991; sowie eine ganze Reihe der Aufsätze in Schieders Sammelband von 1969 und den neueren Band von R.J.W. Evans u. H. Pogge-v. Strandmann (Hg.): The Coming of the First World War, Oxford 1988. Nach einem einleitenden Beitrag von M. Howard: Europe on the Eve of the First World War, S. 1-17, der eine gedrängte und virtuose Gesamtübersicht bietet, werden alle Kriegsteilnehmer von 1914 gesondert, aber insgesamt doch in vergleichender Perspektive untersucht. 3 4 J. Joll: The Origins of the First World War, 2. Aufl., London u. New York 1992 (erweitert gegenüber der Ausgabe von 1984). Dieses brillant geschriebene und abgewogene Werk verdient den Vorzug gegenüber E. Hölzle: Die Selbstentmachtung Europas, Göttingen 1975, einem anderen Werk mit universalhistorischem Anspruch.

II. Die Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik

23

Π. Die Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik Auf ihrer 18. Versammlung beschäftigten sich die deutschen Historiker im August 1932 in Göttingen neben anderen Themen auch mit der Frage der Verantwortung fur den Ausbruch des Weltkrieges. Anlaß war ein Referat des auch in der Fischer-Kontroverse fast 30 Jahre später noch aktiven Berliner Historikers Hans Herzfeld, der über "(d)ie russische Politik am Vorabend des Weltkrieges" 35 sprach. Er zeigte Verständnis für die schwierige innere Lage Rußlands, in der ein außenpolitischer Erfolg dringend benötigt und daher zum Krieg gedrängt wurde. Auch England bescheinigte er, daß es seine die russischen Kriegstreibereien begünstigende Politik in der Furcht betrieben hatte, eine "Verweigerung seiner Unterstützung [werde; d.Verf.] ein Abschwenken Rußlands in das deutsche Lager" 36 zur Folge haben. Mit diesen Äußerungen hatte Herzfeld sich in einer für die Historiker der Weimarer Republik zentralen Frage ungewöhnlich differenziert geäußert, und die sich anschließende Debatte verlief dementsprechend kontrovers, wenn auch nicht unmittelbar über die Herzfeldschen Thesen. Während einige Historiker sich für die "moralinfreie Behandlung der Vorgeschichte des Krieges" (W. Mommsen) und für "rücksichtslose Logik und Nüchternheit der wissenschaftlichen Forschung" (G. Ritter) einsetzten37, hoben andere emphatisch die politischen Aspekte der Schuldthese hervor, die es moralisch zu bekämpfen gelte (Ravengel, Borries, Reimann). Auch zu Art. 231 des Versailler Vertrages gab es divergierende Auffassungen; Mommsen interpretierte ihn rein juristisch, Wegerer als moralische Schuldzuweisung. Als die Berichte der Göttinger Tagung im folgenden Jahr veröffentlicht wurden, war manches aus den Diskussionen durch die Zeitläufte bereits obsolet geworden. Die neuen Machthaber des Dritten Reiches hatten kein Interesse an der Untersuchung der Schuld oder Unschuld des "Zweiten

«

J H. Herzfeld: Die russische Politik am Vorabend des Weltkrieges (Januar bis Juni 1914), in: Bericht über die 18. Versammlung Deutscher Historiker in Göttingen, 2.-5. August 1932, München u. Leipzig 1933, S. 17-19. Die Debatte über den Vortrag fand am Abend des gleichen Tages statt; sie findet sich, nach dem Protokoll von G. Schnath und F. Walser, ebd., S. 20f. 3 6

Ebd., S. 19.

3 7

Alle Stellen aus der abendlichen Debatte, ebd., S. 20f.

24

Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

Reiches" am Kriegsausbruch, und wenn sich Alfred von Wegerer auch mit seiner "Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen" noch einige Jahre zu halten vermochte38, spielte die Kriegsschuldfrage doch keine politisch umstrittene Rolle mehr; Hitlers Außenpolitik strebte die Revision des Versailler Vertrages mit anderen Mitteln an, als es die demokratischen Außenminister taten. In Weimar hingegen berührte die Kriegsschulddiskussion mit ihrer Fixierung auf den Versailler Vertrag Kernpunkte im Selbstverständnis der jungen Republik. Es kann daher nicht verwundern, daß sie "von Anfang an sehr starken außerwissenschaftlichen Einflüssen politischer und ideologischer Art" 3 9 ausgesetzt war. Das hatte sich ja auch in Göttingen 1932 in voller Schärfe gezeigt, und dies auf einer "rein" wissenschaftlichen Zusammenkunft. Im Kampf um die Revision des Versailler Friedens in seinen ideellen, aber auch in seinen materiellen Teilen, bildete die Ablehnung des Schuldbekenntnisses eine Konstante der deutschen Außenpolitik, und der größte Teil der deutschen Wissenschaft bemühte sich, zweckdienliche Argumente hierfür bereitzustellen40. Über dieser Binsenweisheit hat die Forschung lange außer acht gelassen, daß sich die interne deutsche Auseinandersetzung um die Kriegsschuldfrage keineswegs als monolithischer Block darstellte, wie er nach außen gern gezeichnet wurde. Nicht nur die "Dolchstoßlegende", auch die Kriegsschuldfrage sorgte für innenpolitische Kontroversen in der Weimarer Republik. Relativ gut untersucht wurden - und zwar schon frühzeitig - die offizielle Behandlung der

10 Zu den zentralen Propagandaorganisationen, dem "Arbeitsausschuß Deutscher Verbände" (ab 1921) und der "Zentralstelle" s.u. im Kap. D. Zur Funktionslosigkeit der Kriegsschuldforschung ab 1933 vgl. W. Jäger, Historische Forschung, S. 68. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 118, verweist darauf, daß die Zentralstelle unter Wegerers Leitung 1933 sofort ins neue Lager umschwenkte. Ihre Zeitschrift, die "Berliner Monatshefte" (1923 bis 1928 als "Die Kriegsschuldfrage") konnte sich noch bis 1944 halten, wobei in den letzten Jahrgängen die Unschuldspropaganda zu Gunsten eines neuen Weltkrieges betrieben wurde. 3 9

W. Jäger, Historische Forschung, S. 11.

Zur Tabuierung und Idealisierung der jüngsten Vergangenheit durch die Weimarer Republik ebd., S. 45. Vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 13: "Ohne die materiellen Auswirkungen des Friedensvertrages unterschätzen zu wollen, war es sicherlich in besonderer Weise die Schuldanklage der Alliierten, die den Willen des nachrevolutionären Deutschland zur Wiedereingliederung in das internationale System stark beeinträchtigte." Die Ablehnung der Kriegsschuld nennt Heinemann (S. 47) "eine der Geschäftsgrundlagen für den ... Herrschaftskompromiß" zwischen der alten Elite und den gemäßigten Republikanern, die alle an der "Legende vom Verteidigungskrieg" interessiert waren. Diese Verschwörungstheorie scheint eine Überinterpretation zu sein.

II. Die Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik

25

Kriegsschuldfrage durch die deutsche Friedensdelegation in Versailles 41, obwohl auch hier Verzerrungen in Wertung und herangezogenem Material nicht ausblieben42. Diese Ansätze gingen jedoch im Gefolge der Fischer-Kontroverse zunächst wieder unter, galt es doch jetzt, sich erneut unmittelbar mit der Frage nach den Ursachen des Krieges zu befassen, wobei die "Diskussion um die Diskussion" zu kurz kam. Unter den Hauptteilnehmern an der Fischer-Kontroverse hat sich nur Imanuel Geiss intensiver mit der Debatte in der Weimarer Republik auseinandergesetzt. Nach einem knappen Überblick 1967 zeigte er 1983 in einem größeren Aufsatz die Rolle des Auswärtigen Amtes in der Formulierung der offiziösen deutschen Position zur Kriegsschuldfrage 43. Knappe Überblicke über die verschiedenen Standpunkte in Weimar gaben auch Ernst Schraepler 1972 und unter marxistischem Blickwinkel Fritz Klein 196844; die jüngste Übersicht stammt von Bernd-Jürgen Wendt 198645. Wendt konnte sich dabei bereits auf eine gründlich veränderte Forschungslage stützen, die durch die von Walter Schwengler 1980 in Kiel, von Ulrich Heinemann 1981 in Bochum und von Wolfgang Jäger 1983 in Gießen vorgelegten Dissertationen geprägt ist, die sich exakt diesem Themenbereich

4 1 In erster Linie in der grundlegenden Abhandlung von A. Luckau: The German Delegation at the Paris Peace Conference, New York 1971 (erstmals 1941). Vgl. Dies.: Die Pariser Friedenskonferenz, Wilson und das deutsche Problem, in: F.T. Epstein (Hg.), Deutschland und die USA. Germany and the USA, 1918-1933, Braunschweig 1968, S. 13-22 (engl. S. 23-34). Auch die wichtigsten Quellen finden sich im ausgedehnten Anhang zu Luckaus Buch. 4 2 Etwa bei F. Dickmann: Die Kriegsschuldfrage auf der Friedenskonferenz von Paris 1919, in: HZ, 197. Bd. (1963), S. 1-101, dessen ansonsten instruktiver Aufsatz sehr unter der scharfen und einseitigen Stellungnahme des Autors gegen Versailles leidet. Daß er als Beitrag zur Kriegsschulddiskussion im Weltkrieg nur die Arbeiten von Meinecke und Foerster erwähnt, ist eine unzulässige Verkürzung; vgl. hierzu den ersten Abschnitt des folgenden Kapitels. 4 3 I. Geiss, Die Kriegsschuldfrage, S. 101-104 (hier nach dem Abdruck bei Laqueur u. Mosse, Kriegsausbruch 1914, zitiert); und ders.: Die manipulierte Kriegsschuldfrage. Deutsche Reichspolitik in der Julikrise 1914 und deutsche Kriegsziele im Spiegel des Schuldreferats des Auswärtigen Amtes, 1919-1931, in: MGM, 34. Bd. (1983), S. 31-60. 4 4 E. Schraepler: Die Forschung über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Wandel des Geschichtsbildes 1919-1969, in: GWU, 23. Jg. (1972), S. 321-338; F. Klein, Deutschland im ersten Weltkrieg, 1. Bd., S. 2 ff. Schraepler betrachtet die Zeit seit dem Erscheinen der "Deutschen Dokumente", der offiziellen Aktensammlung, kann aber auf den wenigen Seiten seines Aufsatzes natürlich nicht ins Detail gehen. Klein widmet sich intensiver den sonst oftmals etwas vernachlässigten Ansätzen etwa von Eisner und Kautsky, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird.

B.-J. Wendt, Über den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit der Kriegsschuldfrage. Wendt gibt einen guten Abriß der Debatte ab 1919.

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Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

widmeten46. Schwengler verfolgte eine doppelte rechtsgeschichtliche und historische Fragestellung 47, die in erster Linie die Frage der Auslieferung der Kriegsverbrecher nach dem Versailler Vertrag zum Inhalt hatte und somit eher die Schuld im Kriege ins Visier nahm. Ganz trennen ließen sich diese Fragen von der eigentlichen Kriegsschuldfrage nicht, und so findet sich bei Schwengler auch hierzu wichtiges Material. Demgegenüber untersuchten Jäger und Heinemann beide die Kriegsschuldfrage an sich. Während Jäger in struktureller Analyse den Bogen von den Anfangen der Kriegsschulddiskussion bis 1980 spannte, beschränkte sich Heinemann auf die Phase der Weimarer Republik, für die er dann aber auch sehr detailliert die offiziellen Verflechtungen mit der Reichspolitik untersuchen konnte. Heinemanns Fragestellung ist der von Geiss ähnlich, nur zeitlich und thematisch wesentlich umfassender. Er betrachtet die zentrale Leitung der deutschen Revisionspropaganda durch das Auswärtige Amt und die Dachorganisationen der Kriegsschuldforschung, sowie die Tätigkeit des von der Nationalversammlung eingesetzten Untersuchungsausschusses. Alle drei Dissertationen haben ihren jeweiligen Untersuchungsrahmen erschöpfend ausgefüllt. Gleich ihnen wird sich die vorliegende Studie nicht mit der Frage auseinandersetzen, wer die Schuld am Kriegsausbruch trägt, sondern den Versuch unternehmen, die Diskussion um die Kriegsschuldfrage in Deutschland nachzuvollziehen. Während der Schwerpunkt der Arbeit Heinemanns in den zwanziger Jahren nach Etablierung der Weimarer Republik liegt, soll hier das Augenmerk den Jahren 1918 und

4 6 W. Schwengler: Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20, Stuttgart 1982; U. Heinemann: Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983; W. Jäger: Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914-1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1984. 4 7 Vgl. W. Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage, S. 9: Er will zunächst "den Gründen nachgehen, die die Siegermächte veranlaßten, im Friedensvertrag die Fragen der Schuld am Kriege und der Schuld im Kriege aufzuwerfen" und damit von einer 300 Jahre alten europäischen Rechtstradition abzugehen. "Die zweite Fragestellung ist genuin historisch. Sie will den Stellenwert ermitteln, den die Schuldfragen des Weltkriegs in der deutschen Politik zwischen dem Ersuchen der Reichsregiemng um Waffenstillstand im Oktober 1918 und den ersten Monaten des Jahres 1920 besaßen. Dabei gilt das hauptsächliche Interesse den Problemen, die die Forderung der Sieger nach Auslieferung der der Verletzung des Kriegsrechts beschuldigten Staatsbürger für die deutsche Innen- und Außenpolitik aufwarf." Unsere Untersuchung wird diese Frage nur am Rande berühren und sich primär mit der Kriegsschuldfrage im klassischen Sinne befassen, sich insofern also von der Arbeit Schwenglers abgrenzen.

II. Die Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik

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1919 gelten, also der bewegten Revolutionszeit und dem Jahr der Reichsverfassung und des Versailler Friedens. Damit ergeben sich eine Reihe besonderer methodischer und Quellenprobleme, die sich von den anderen Arbeiten und insbesondere von denen über die Kriegsschuldfrage als solche unterscheiden. Zum einen stellte sich heraus, daß bereits 1918/19 eine Unmenge von Büchern, Broschüren und Zeitschriftenartikeln zum Thema erschienen waren, die jedoch zum Teil an recht obskuren Plätzen in kleiner und kleinster Auflage herauskamen und somit heute kaum noch zu beschaffen sind. Auch so bietet jedoch die untersuchte Literatur einen Querschnitt durch das politische Spektrum, und wenigstens alle wichtigen Diskussionsbeiträge konnten berücksichtigt werden 48. In Ausnahmefällen, etwa wenn es sich um die Fortführung von Diskussionen der unmittelbaren Nachkriegszeit handelte, haben wir auch Quellen bearbeitet, die über unseren Untersuchungszeitraum hinausgehen. Memoiren und Tagebücher der handelnden Personen der Epoche haben wir unabhängig von ihrem Erscheinungsjahr berücksichtigt. Zum zweiten ergab sich bei der archivalischen Bearbeitung ein oftmals gravierender Mangel an Unterlagen aus dem Untersuchungszeitraum, was sich außer durch den kriegsbedingten Verlust sicher auch durch die Wirren der Revolutionszeit selbst erklären läßt. Als erfreulich ergiebig erwiesen sich demgegenüber die Zeitungen der politischen Gruppierungen und Parteien vom Spartakusbund bis zur DNVP. Die wichtigsten Tageszeitungen haben wir für die Zeit vom September 1918 bis zum Ende des Jahres 1919 komplett und systematisch ausgewertet. Darüber hinaus ergaben die Zeitungsausschnittssammlungen in den Beständen der Archive in Koblenz, Bonn und insbesondere die stupende Sammlung des Reichslandbundes in Potsdam die Möglichkeit zu Ergänzungen, die auch die Lokalpresse ins Blickfeld rücken ließen. Von Bedeutung war dies vor allem für die Presse der DNVP, die sich in den regionalen Zeitungen oft noch erheblich drastischer - sofern das möglich ist - äußert als in den reichsweiten, quasi

4 8 Außer den Bibliographien der in der vorletzten Anmerkung genannten Werke leistete gute Dienste die vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler herausgebrachte Bibliographie "Die Kriegsschuldfrage. Ein Verzeichnis der Literatur des In- und Auslandes. Vorwort von Dr. August von Löwis of Menar, Geleitwort von Dr. Emst Sauerbeck", Leipzig 1925. Den Anspruch des Vorwortes (S. Vf.), "ein Werk von absoluter Objektivität" zu sein und Schriften aller politischen Tendenzen aufzulisten, erfüllt es vollauf.

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Α. Die Kriegsschuldfrage als Problem der historischen Forschung

parteioffiziellen Blättern 49. Damit haben wir versucht, in der gleichgewichtigen Betrachtung von Archivalien, gedruckten Quellen und der alltäglichen veröffentlichten Meinung ein einigermaßen breites Spektrum der deutschen Diskussion zur Kriegsschuldfrage aufzuzeigen 50. So wollen wir die Frage beantworten, welchen Stellenwert die Kriegsschuldfrage bei der Formierung der Weimarer Republik hatte, welche Funktion sie in der Argumentation der Anhänger der Republik wie ihrer Gegner von links und rechts einnimmt und wie die offizielle Politik des Reiches sich diesem Problemkreis stellte. Dabei wird man zum Teil vorsichtig an die veröffentlichten Texte herangehen müssen. Der Marburger Historiker Peter Krüger nannte den Mai 1919, die Zeit nach der Übergabe des Versailler Vertragsentwurfes, einmal sehr treffend "die Zeit der donnernden Proteste"51. Unter diesen donnernden Protesten ging manchmal etwas verloren, daß die Masse der Bevölkerung zwar durchaus empört war über die Friedensbedingungen, daneben aber auch andere, im Zweifelsfall realere Sorgen mit sich herumtrug. Die Schlagzeilen der Zeitungen zwischen der Vertragsübergabe und der Unterzeichnung berichten sehr wenig davon, man wird diese Stimmungen aber zu berücksichtigen haben, wenn man ein Bild der wirklichen politischen Stimmung in Deutschland zeichnen will.

4 9 Komplett untersucht haben wir die "Rote Fahne", "Die Freiheit", den "Vorwärts", die "Welt am Montag", das "Berliner Tageblatt", die "Frankfurter Zeitung", die "Vossische Zeitung", die "Deutsche Allgemeine Zeitung", die "Germania", die "Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung" und die "Deutsche Tageszeitung". Fast sämtliche Zeitungen konnten in der herausragenden Beständen des Kieler "Instituts für Weltwirtschaft" eingesehen werden; die pazifistische "Welt am Montag" wurde über die Femleihe der Universitätsbibliothek Kiel beschafft. Daneben war vor allem das Zeitungsarchiv des Reichslandbundes in Potsdam (Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam [weiter: BAP] 61 Re 1) ausgesprochen hilfreich; es scheint kaum eine Zeitung von auch nur einigermaßen regionaler Bedeutung gegeben zu haben, die dort nicht ausgewertet wurde. Zitiert haben wir Archivalien, Bücher und Zeitungen nach folgenden Kriterien: 1. Die reichlich vorhandenen Hervorhebungen der Originale haben wir bis auf wenige Ausnahmen, die gesondert gekennzeichnet sind, weggelassen. 2. Die Orthographie des Originals wurde in allen Fällen beibehalten. Offenkundige Fehler haben wir stillschweigend berichtigt. Wenn aus rein satztechnischen Gründen ein "ß" in ein "ss" verwandelt wurde, haben wir statt dessen "ß" gesetzt. Am Wortanfang aufgelöste Umlaute haben wir, außer bei Titelangaben, als Umlaute geschrieben. 3. Die Interpunktion wurde behutsam dem heutigen Gebrauch angenähert. 4. Untertitel von Büchern und Aufsätzen wurden in der Regel nur ins Literaturverzeichnis aufgenommen. 5 0 Auch hierin liegt eine Abgrenzung zu den Arbeiten von Geiss, Heinemann, Jäger und Schwengler, die die Tagespresse kaum betrachten. Schwengler tut dies zwar im Ansatz, beschränkt sich aber auf das "Berliner Tageblatt". 5 1 P. Krüger: Die Reparationen und das Scheitern einer deutschen Verständigungspolitik auf der Pariser Friedenskonferenz im Jahre 1919, in:; HZ, 221. Bd. (1975), S. 326-372, hier S. 362.

II. Die Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik

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Die zeitliche Beschränkung auf die Epoche von der Revolution 1918 bis zum Ende des nächsten Jahres ergab sich nicht nur durch die Abgrenzung von den oben erwähnten Arbeiten, sondern auch und vor allem aus inhaltlichen Erwägungen. Zur Jahreswende 1919/20 ist mit der amtlichen Publikation der deutschen Akten zum Kriegsausbruch 52 und der bald darauf unter den Auspizien des Auswärtigen Amtes erfolgenden Errichtung zentraler deutscher Stellen zur Koordinierung der Kriegsschuldforschung - oder "Kriegsunschuldspropaganda", wie man mit Blick auf das Ausland auch sagen könnte - eine Zäsur erreicht, die eine Periode unkoordinierter und durchaus kontroverser Bemühungen zum Abschluß bringt. Im Untersuchungszeitraum selbst wird man sich vor allem mit drei Einschnitten zu befassen haben, an denen die Entwicklung der deutschen Kriegsschulddiskussion und ihre strukturellen Hintergründe entscheidende Impulse erfahren haben. Dies ist zunächst der Umkreis der Revolution, zum zweiten die Zeit vor dem Friedensschluß von Versailles und zum dritten die beginnenden Revisionsbestrebungen unmittelbar nach Abschluß des Friedensvertrages. Allerdings ist es keineswegs so, daß die Diskussion um die Kriegsschuldfrage erst mit der Abdankung des Kaisers am 9. November eröffnet wurde. Vielmehr gab es bereits während des Krieges eine durchaus heftige Auseinandersetzung um seinen Ursprung, von der einige Linien in die Zeit nach Kriegsende weiterwirken. Ihnen müssen wir uns daher zunächst zuwenden.

52 "Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch", 4 Bde., Charlottenburg 1919. Zur Vorgeschichte der Aktenedition s.u. im Kap. D.

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage L Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg In der Julikrise von 1914 versagten die vorher, in der Marokkokrise, in der Liman-Sanders-Aflare, in den Balkankrisen der vergangenen Jahre noch mehr oder minder erfolgreich gebliebenen Mittel der europäischen Diplomatie1. Als am 4. August der Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vor den Reichstag trat, befand sich das Reich erstmals seit 1870/71 im Krieg, und dies gar mit den drei Großmächten Rußland, Frankreich und England. Das Gefühl, im tiefen Frieden überfallen worden zu sein, hatte ganz Deutschland ergriffen. Zahlreiche Eingaben von Privatleuten liefen mit Kriegsausbruch in reichem Flusse im Auswärtigen Amt ein, in denen unwiderlegliche Beweise für die aggressive und deutschfeindliche Politik der anderen Mächte angeboten wurden, und auch in der Reichstagsrede des Kanzlers schwingt dieses Gefühl der Empörung mit 2 . Der von Kaiser und Kanzler verkündete "Burgfrieden" fand breiteste Zustimmung; vor allem auch in der SPD, an die der Appell vornehmlich gerichtet war. Der Krieg gegen den russischen Zarismus, für die deutsche Arbeiterpartei der internationale Hauptfeind des Proletariats, war immerhin populär genug, um die Zustimmung zu den Kriegskrediten zu sichern3.

1 Zur Verschärfung der Krisen vgl. I. Geiss, Der lange Weg; K. Hildebrand, Julikrise 1914; J. Joll, Origins of the First World War, alle passim. y * Die Rede findet sich außer im 306. Bd. der Stenographischen Berichte des Reichstages, S. 5-7, in zahlreichen Sammlungen der Kriegsreden Bethmann Hollwegs abgedruckt, z.B. F. Thimme (Hg.): Bethmann Hollwegs Kriegsreden, Stuttgart u. Berlin 1919, S. 3-12. Zu den Eingaben an das Amt vgl. PA, WK adh 4, Bd. Iff., passim. Mit der Dauer des Krieges wuchs die Einsicht in die Heimtücke des Feindes. Noch am 14.6.Ί8 übersandten die Mannesmann-Röhrenwerke ein bedeutungsschwangeres Schreiben, in dem die britische Kriegsabsicht für Ende Juli daraus gefolgert wird, daß die Post des Kairoer Mannesmann·Vertreters vom 26. oder 27. Juli am 1. August noch nicht angekommen war! An dieser Verzögerung merkte man die britische Absicht, und war verstimmt; ebd., Bd. 11, Bl. 17. Eine der blumigsten Schilderungen findet sich bei B.v. Hindenburg: Paul von Hindenburg. Ein Lebensbild, Berlin 1915, S. 7. Der erste Satz dieses Werkes lautet: "Im Sommer 1914 fiel das Wunder des Weltkrieges wie eine furchtbar leuchtende Riesenkugel vom hellen blauen Himmel und traf uns alle." ι Diese Haltung der SPD wurde von keiner Seite vergessen. Noch kurz vor Kriegsende erinnerte die "Germania" ("Nach dem 4. August", Nr. 365 [8.8.Ί8 M]) die SPD hieran und ermahnte sie, weiterhin

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Dem politischen Burgfrieden entsprach in der deutschen Gelehrtenrepublik die Propagierung der "Ideen von 1914". Es ist kein Ruhmesblatt der deutschen Intelligenz und der Professorenschaft an ihrer Spitze, wie bereitwillig die internationalen Traditionen der Wissenschaft über Bord geworfen wurden und Schlagwörtern wie dem Kampf von "Händlern" und "Helden" oder der Ideen von "1914" gegen "1789" Platz machen mußten. Daß dem sehr schnell ein ausgedehntes Kriegszielprogramm entsprach, versteht sich beinahe von selbst4. Immerhin wäre der Eindruck verkehrt, als habe sich die gesamte deutsche Wissenschaft bereitwillig dem alldeutschen Propagandatreiben unterworfen. Schon 1915 finden sich auf einer in den "Preußischen Jahrbüchern" veröffentlichten Unterschriftenliste von 141 Gegnern von Kriegsannexionen bekannte Pazifisten wie Ludwig Quidde und Waither Schücking, Linksliberale wie Theodor Wolff und die Brüder Weber und Wissenschaftler wie Hans Delbrück und Ferdinand Tönnies5. Es ist kein Zufall, daß es gerade diese

im Sinne der damaligen Entscheidung zu handeln. Andererseits blieb dieses Thema auch nach der Revolution, wie weiter unten gezeigt werden wird, eine der offenen Wunden der Mehrheitssozialdemokraten in ihren Rechtfertigungsversuchen gegenüber der Konkurrenz von links. Generell S. Miller: Burgfrieden und Klassenkampf, Düsseldorf 1974. Die Entwicklungsgeschichte der Zustimmung zu den Kriegskrediten ebd., S. 1-74. Vgl. auch die Dokumente bei E. Matthias, E. Pikart (Hg.): Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918, 2. Bd., Düsseldorf 1966, S. 3ff. Zum internationalen Sozialismus vgl. J. Braunthal: Geschichte der Internationale, 2. Bd., Hannover 1963, S. 17ffi; A. Blänsdorf: Die Zweite Internationale und der Krieg, Stuttgart 1979. 4 Eins der besten Beispiele hierfür ist O. Hintze, F. Meinecke, H. Oncken u. H. Schumacher (Hg.): Deutschland und der Weltkrieg, Leipzig u. Berlin 1915, gerade weil dieses groß aufgemachte Werk sich vom allzu schrillen Patriotismus abhebt. Gleichwohl besteht fur die gewichtigen professoralen Verfasser nicht der geringste Zweifel an der feindlichen Schuld, und kaum am siegreichen Ende. Vgl. H. Lübbe: Politische Philosophie in Deutschland, München 1974 (erstmals 1963), wo das 4. Kap. den Ideen von 1914 gewidmet ist. Inzwischen hat sich die Forschung intensiv dieses Themas angenommen; etwa K. Schwabe: Ursprung und Verbreitung des Alldeutschen Annexionismus in der deutschen Professorenschaft im Ersten Weltkrieg, in: VfZ, 14. Bd. (1966), S. 105-138; ders.: Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen usw. 1969; F.K. Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 18901933, München 1987 (erstmals englisch 1969), v.a. S. 169ff. Ringers Bemerkung über die furchtbare Fruchtbarkeit ist treffend: "Wie müssen die Druckereien in jenen Jahren gearbeitet haben, um mit der ungeheuer umfangreichen Literatur fertig zu werden, die sich aus den Universitäten in die Öffentlichkeit ergoß." (S. 170). Vgl. auch K. Thiessenhausen: Politische Kommentare deutscher Historiker zur Revolution und Neuordnung 1918/19, in: apuz, Β 45/69 (8.11.'69), S. 3-53, hier S. 3ff.; R. vom Bruch: 'Militarismus', 'Realpolitik' und 'Pazifismus'. Außenpolitik und Aufrüstung in der Sicht deutscher Hochschullehrer (Historiker) im späten Kaiserreich, in: MGM, 39. Bd. (1986), S. 37-58. 5 H. Delbrück: Politische Korrespondenz, in: Pr.Jbb., 162.Bd. (1915), S. 167-172. Vgl. auch die harte Kritik Waither Schückings an seinen Kollegen in seiner Broschüre "Die deutschen Professoren und der Weltkrieg", 2. unveränd. Aufl., Berlin 1915 (Flugschriften des Bundes "Neues Vaterland", Nr.5); oder die grundsätzliche Abrechnung Georg Friedrich Nicolais "Die Biologie des Krieges.

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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Namen sind, die später in der Kriegsschulddiskussion der Weimarer Republik eine entscheidende Rolle spielen werden; waren sie doch durch ihre moderate Haltung während des Krieges unbelastet und daher besonders geeignet, die deutschen Thesen im Ausland zu verbreiten. Dabei unterschieden sie sich, anders als beim Kriegszielproblem, in der eigentlichen Kriegsschuldfrage zunächst kaum von den übrigen Publizisten. Wenn etwa Tönnies den englischen Handelsneid auf das aufstrebende Deutschland zur hauptsächlichen Kriegsursache erklärte 6, so folgt er damit dem breiten Strom deutscher Stellungnahmen der ersten Kriegsjahre. Der Burgfrieden zeigte auch hier seine Auswirkungen, die durch die militärische Zensur noch verstärkt wurden. Die Variationsbreite der deutschen Autoren ist gering. Der englische Handelsneid, der russische Panslawismus und der französische Revanchegedanke - um diese drei Schlagwörter kreist mit einigen Abweichungen die Argumentation in Hunderten von Büchern und Broschüren. Nur am Rande wird die Einmischung der Mächte in den Konflikt Österreichs mit Serbien verurteilt 7, und auch "das treulose Italien"8 wird zwar gebührend bedacht, bleibt aber ansonsten außen vor. Scharf ist in der Regel die Abrechnung mit Serbien, dem "bluttriefenden kleinen Verbrecherstaat" 9, der sich in seinem Ziel, Österreich-Ungarn zu zerstören, zum willigen Werkzeug Rußlands machen ließ 10 . Wichtiger ist aber die Schuldzuweisung an die Staaten der Entente. Erstaunlich gut kommt dabei Frankreich weg. Die formelhafte Betonung des Chauvinismus und der Revanchebestrebungen ist kaum jemals von dem wütenden Haß begleitet, der die Äußerungen gegen England und Rußland kennzeichnet. Die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens erscheint einigen Autoren geradezu als legitimes Kriegsziel in einer Welt, die

Betrachtungen eines deutschen Naturforschers", Zürich 1917. Zu letzterem B. vom Brocke: "An die Europäer". Der Fall Nicolai und die Biologie des Krieges, in: HZ, 240. Bd. (1985), S. 363-375. 6 So der Tenor von Tönnies' Arbeiten "Englische Weltpolitik in englischer Beleuchtung", Berlin 1915; "Deutschlands Platz an der Sonne", Berlin 1915 und "Weltkrieg und Völkerrecht", Berlin 1917. Zu diesem Komplex siehe M. Dreyer: Ferdinand Tönnies und die Kriegsschuldfrage, in: L. Clausen, C. Schlüter (Hg.), Hundert Jahre "Gemeinschaft und Gesellschaft", Opladen 1991, S. 483-494. 7

Etwa bei H. Altmann: Die Entstehung des Weltkrieges, Leipzig u. Berlin 1916, S. 43.

8

Ebd., S.44.

9

R. Stratz: Wie es zum Weltkrieg kam!, 3. Aufl., Berlin 1917, S. 7.

1 0

"Die Schuld am Weltkriege." Von einem Österreicher, Wien o.J. (1915), S. 5.

3 Dreyer/Lembcke

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Krieg als Mittel zur Erlangung politischer Ziele anerkennt11. Wesentlich schärfer fallt demgegenüber, insbesondere in der Anfangsphase des Krieges, das Urteil über England aus. Die Enttäuschung über den Kriegseintritt Großbritanniens, das man sich eigentlich als Verbündeten gewünscht hatte, ist manchen Schriften deutlich anzumerken12. Die Einkreisungspolitik Edwards VII., der Handelsneid auf die wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands und die allgemeine englische Angst vor der neuen Größe Deutschlands werden so ausnahmslos ins Feld geführt - und dies in ähnlicher bis identischer Wortwahl - daß ihnen der Rang eines Stereotyps zukommt13. Die Sicherung der Weltherrschaft sei das Ziel des englischen

1 1 Comte Jules Andrassy: Considérations sur les Origines de la Guerre, Lausanne 1915, S. 40, hält die französische Kriegsbeteiligung - anders als die Großbritanniens - für verständlich. Gegen Frankreich als die Macht, die den Krieg gewollt hat, Th. Schiemann: Ein Verleumder, Berlin 1915, S. 5. Zur weiteren Vorgeschichte das anonyme X: Frankreichs Propaganda in Elsaß-Lothringen. Zehn Jahre Minenkrieg im Frieden, Bern 1918. Die klassische Dreieinigkeit der russischen panslawistischen Orientpläne, des englischen Handelsneides und derfranzösischen Revanchepläne z.B. bei K. Helfferich: Die Entstehung des Weltkrieges im Lichte der Veröffentlichungen der Drei Verbandsmächte, 3. Aufl., Berlin 1915, S. 47.

1Ύ Etwa in den bereits erwähnten Schriften des ausgewiesenen Englandexperten Ferdinand Tönnies. Auch das offizielle Deutschland war Ober die Kriegsbeteiligung schockiert, womit sich die anfängliche offizielle Linie gegen England richtete, die erst ab Mitte 1916 auf Rußland als den Hauptschuldigen umschwenkte - mit England wollte man sich arrangieren, gegen Rußland wurde der Sieg erhofft. Nicht ohne Grund bemerkte später G. Metzler: Die Schuld am Kriege, in: Die Weltbühne, 15.Jg. (1919), S. 163-181, hier S. 170: "In Deutschland hat man in der Frage der Schuld, je nach der obrigkeitlichen Losung, hin und her geschwankt." 11 l J Der pseudonyme Cincinnatus (= Josef Lettenbauer): Deutschlands Kampf um's Recht, Leipzig 1918, S. 9, nennt den Handelsneid und die Angst vor der Größe Deutschlands. Das französischrussische Bündnis nutzte England, um Deutschland "niederzuhalten" (S. 6). Für den Sozialisten L. Quessel: Englands Knock-out-Politik gegen Frankreich und Deutschland, in: SM, 51. Bd. (1918/II), S. 872-880, hier S. 872, ist der Weltkrieg ein "Entscheidungskampf zwischen Deutschland und England". Sein Genösse A. Saenger: Die Schuld der deutschen Regierung am Kriege, Berlin 1918, verteidigt die friedliche deutsche Expansion, die Englands "Welthegemonie" (S. 3) in Frage stellte. Dem Fürsten Lichnowsky (zu ihm s.u. in diesem Kapitel) hält er vor, "daß nur ein Narr an das Phantom wahrhaftiger selbstloser Friedensliebe großbritannischer Politik zu glauben vermag" (S. 9). Für die Annäherung an Rußland und die Lösung vom "englischen Druck" plädiert M. Schippel: Außenpolitik, in: SM, 50. Bd. (1918/1), S. 96-101, hier S. 97. Scharf gegen England auch Georg Bernhard in seinen Leitartikeln in der Vossischen Zeitung vor, während und nach dem Krieg, z.B. "Schuld oder Schuldige?", VZ, Nr. 551 (28.10.Ί8 M). Zur Einkreisungspolitik Edwards VII. etwa H. Altmann, Entstehung des Weltkrieges, S. 22 (ebd., S. 18: "England ist der Feind Deutschlands"); R. Stratz, Wie es zum Weltkrieg kam, S. 5; H. Oncken: Über die Zusammenhänge zwischen äußerer und innerer Politik. Vortrag vom 5. Okt. 1918, Leipzig u. Dresden 1919, S. 38; W. Goetz: Die Kriegsursachen und die Kriegsziele der Gegner, in: ders. (Hg.), Deutschland und der Friede, Leipzig u. Berlin 1918, S. 1-14, hier S. 5. Goetz gesteht England immerhin zu, daß es sich auch mit friedlicher Erdrückung Deutschlands zufrieden gegeben hätte und nicht notwendig den Krieg benötigte. Auch der damalige Schachweltmeisters Emanuel Lasker engagierte sich publizistisch: "Die Selbsttäuschungen unserer Feinde", Berlin 1915, S. 3, wo er England Haß auf die deutschen Organisationstalente und damit Haß des Zurückgebliebenen auf den Fortschritt vorwirft. Zu dieser Schrift vgl. M. Dreyer: Dr. Emanuel Lasker, in: Bargteheider Schachspiegel, Nr. 42 (April 1988), S. 26f.

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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Imperialismus, und da Deutschland durch seine reine Existenz, nicht etwa durch eigene Weltmachtpläne, diesem Ziel im Wege stand, mußte es beseitigt werden. Das "perfide Albion" nimmt dabei gelegentlich geradezu dämonische Züge an; selbst die Bündnispartner der Entente, also Frankreich und Rußland, merken demnach nicht, daß sie in Wahrheit nur von England für dessen egoistische Pläne benutzt werden14. Kaum weniger hart geht eine zweite Gruppe von Autoren mit Rußland ins Gericht. Dem Panslawismus und der Ausbreitung russischer Macht auf dem Balkan stand in erster Linie Österreich-Ungarn im Wege, im weiteren daher auch das Deutsche Reich. Was die englische Einkreisung für die Vorgeschichte des Krieges bedeutet, ist die russische Mobilmachung für seinen konkreten Ausbruch: in ihr sehen die Rußlandgegner durchweg den letzten Beweis für die russische Kriegstreiberei: die Generalmobilmachung nahm Deutschland seine einzige Sicherung, eben die im Kriegsfalle schnellere Mobilisierung seiner Truppen - sie kam daher einer verdeckten Kriegserklärung gleich15. Diese Auffassung wurde geradezu ein Dogma für die deutsche Unschuldspropaganda im Kriege und auch danach. Besonderes Aufsehen erregte in Deutschland 1917 eine Veröffentlichung des ehemaligen russischen Kriegsministers Wladimir Suchomlinow, die die deutsche Version stützte16. Amtliche deutsche Stellen nahmen dieses Geständnis aus berufenem Munde enthusiastisch auf 17, und mögliche Störungen dieser Linie

1 4 Cincinnatus, Deutschlands Kampf um's Recht, S. 6. Vgl. J. Andrassy, Considérations, S. 43, F. Tönnies, Weltkrieg und Völkerrecht, passim. 1 5 J. Andrassy, Considérations, S. 4: "La principle cause, la cause profonde de la guerre actuelle se trouve dans les ambitions de la Russie en Orient." Zur russischen Mobilmachung als auslösendem Faktor des Krieges vgl. M. Ritter: Der Ausbruch des Weltkrieges nach den Behauptungen Lichnowskys und nach dem Zeugnis der Akten, München u. Berlin 1918, S.26; W. Goetz, Kriegsursachen, S. 11; P. Rohrbach: Russische Selbstzeugnisse der Feindschaft, Stuttgart 1916. A. ÖlzeltNewin: Welche Strafe soll die treffen, die Schuld am Weltkrieg tragen?, Leipzig u. Frankfurt a.M. 1915, S. 4, gibt die Schuld immerhin nur den russischen Führern, nicht aber dem Volk. Die Führer allerdings sollen getötet oder nach Sibirien verbannt werden (S. 6). 1 6 "Die russische Mobilmachung im Lichte amtlicher Urkunden und der Enthüllungen des Prozesses", Bern 1917.

17

1 Die Akten des Auswärtigen Amtes sind voll von Zeitungsmeldungen zu dem Buch (PA, WK adh 4, Bd. 7 u. Bd. 10). Ein Telegramm des Botschaftsrats Bassewitz aus Wien (Bd. 7, Bl. 101-102) nennt das Buch am 2.7.' 17 "eine der größten Sensationen des Krieges", da die Schuldigen nun endgültig entlarvt seien. Noch am 9.10.' 18 berichteten deutsche Stellen aus Finnland an den Reichskanzler, daß Suchomlinow in Finnland sei - völlig gebrochen, ruiniert durch seine Frau und mittellos (ebd., Bd. 12, Bl. 123-124). Der Schreiber gibt zu erwägen, daß es unter diesen Umständen möglich sei, ihn zu einer Übersiedelung nach Deutschland zu bewegen und zur nochmaligen Niederschrift seiner Erinnerungen zu veranlassen. Prinz Max schien jedoch größere Sorgen zu haben; die Angelegenheit wurde nicht weiter verfolgt.

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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wurden von offizieller Seite auch sorgfältig verhindert. Noch im Mai 1918 übersandte der Generalstab dem Auswärtigen Amt russisches Beutegut, wozu auch die Mobilmachungsakten des Stabes des Militärbezirkes Warschau gehörten. Da diese internen russischen Akten explizit den von deutscher Seite stets behaupteten automatischen Zusammenhang von Mobilmachung und Krieg ablehnten und, mehr noch, den Hinweis enthielten, daß ein Krieg mit Österreich aus russischer Sicht nicht notwendig auch den Krieg mit Deutschland bedeute, "eignet(e) sich dies Material nicht zur Verwertung", wie das Auswärtige Amt feststellte 18. England und Rußland sind mithin für die offiziöse deutsche und deutschfreundliche Publizistik die Schuldigen am Kriege, wie, quasi zusammenfassend, Rudolf Kjellén feststellt: "England, das die Einkreisung zustande gebracht hat, hat diesen Krieg verursacht und Rußland, das [mit der Mobilmachung, d.Verf.]... den ersten Schlag ausführte, hat ihn angefangen." 19 Diese Sätze aus dem Munde eines bekannten schwedischen Gelehrten verweisen zugleich auf ein Spezifikum der in Deutschland verbreiteten Publizistik. Aus naheliegenden Gründen nämlich erfreuten sich deutschfreundliche Schriften aus dem neutralen oder, besser noch, feindlichen Ausland besonderer Beliebtheit und Verbreitung 20. Sie gaben der Verteidigung

ικ Das Schreiben des Stellvertretenden Generalstabes vom 7.5.'18 findet sich im PA, WK adh 4, Bd. 10, Bl. 79. Die Warschauer Akten selbst tragen das Datum vom 19.11/12 (BI. 80-81), die Notiz über die mangelnde Verwendbarkeit ist vom 22.5.Ί8 (Bl. 82). ^ Zitiert nach A. Saenger, Schuld der deutschen Regierung, S. 23.

ΊΟ * Prodeutsch etwa, trotz des Titels, das anonyme "Die Schuld Deutschlands am Kriege und dessen Fortsetzung", Von einem schweizer Stabsoffizier, Zürich 1918; J. Buchti: Zur Geschichte des Kriegsausbruches. Nach den amtlichen Akten der Königlich Großbritannischen Regierung dargestellt, preisgekrönte Arbeit des historischen Seminars der Universität Bern, Bern 1916; X, Frankreichs Propaganda; F. Delaisi: Der kommende Krieg. Übersetzung von La Guerre qui vient, Paris 1911, 76.-82. Tsd., Berlin 1916 (auch das 101.-104. Tsd., Berlin 1918, lag uns vor); A.B. Hanson: Geheim-Diplomatie, Bern 1918; "Kriegsursachen im Urteile des Auslandes", Berlin 1917. Titel wie der letzte waren bei deutschen Autoren beliebt; man könnte sie als "Spiegel-Schriften" bezeichnen; vgl. etwa F. Tönnies: Englische Weltpolitik in englischer Beleuchtung, Berlin 1915; sowie Leon Hardt: Die Schuld der Entente - im Lichte ihrer eigenen Bekenntnisse. Ein Beitrag zur Feststellung der historischen Wahrheit darüber, wie es zum Weltkriege kommen mußte. Als Manuskript gedr. Dresden 1917. Der pseudonyme Autor war Gottlieb Paul Leonhardt, Mitglied der Ersten Kammer Sachsens. Etwas aus der Masse der Propagandaschriften dieser Art herausgehoben sind die Arbeiten des nicht unbedeutenden schwedischen Staatsphilosophen Rudolf Kjellén, z.B. "Die Ideen von 1914. Eine weltgeschichtliche Perspektive", Leipzig 1915; und "Warum ich es mit Deutschland in diesem Weltkrieg halte;", Berlin o.J. (1918). Zu ihm vgl. M. Dreyen Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip, Frankfurt a.M. usw 1987, S. 517ff.

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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der deutschen Sache einen weit objektiveren Anstrich, als die offiziösen oder offiziellen Publikationen unter denen in erster Linie das obligate "Farbbuch"21 zu erwähnen ist - je erreichen konnten. Trotzdem konnte es den mit der Leitung der offiziellen deutschen Propaganda betrauten Stellen nicht entgehen, daß diese freiwillige deutschlandfreundliche Publizistik nicht den Erfolg erzielte wie die der Feinde22. Auch entsprach die Kakophonie der Schuldzuweisungen an die verschiedenen Kriegsgegner und die dementsprechend auch auf deutscher Seite alles andere als einheitliche Bewertung des amtlich vorgelegten Materials nicht den Wünschen der staatlichen Stellen. Wenige Monate vor Kriegsende setzten, initiiert vom Auswärtigen Amt und hier speziell von Bernhard Wilhelm von Bülow, dem rührigen Experten des Amtes in der Schuldfrage, Bemühungen ein, einen deutschen Historiker als inoffizielles Sprachrohr Deutschlands in dieser Frage zu gewinnen. Die Aussichten, die Bülow offerierte, waren glänzend, bot sich doch hier "einer Kraft, die vielleicht erst zu lokaler Berühmtheit gelangte, die Gelegenheit, sich einen Weltruf zu erwerben" 23.

Ίλ Die "Färb"- oder "Buntbücher" sind die Dokumentensammlungen, die die kriegführenden Staaten zur eigenen Rechtfertigung herausgaben. Neben dem deutschen Weißbuch sind zu erwähnen das österreichische Rotbuch, das russische Orangebuch, dasfranzösische Gelbbuch, die englischen und serbischen Blaubücher, das belgische Graubuch und das italienische Grünbuch - ein stolzer Regenbogen! Die meisten Arbeiten zur Kriegsschuldfrage bedienten sich dieser Farbbücher, besonders virtuos in der "Zitatenklempnerei" das anonyme "Jaccuse", Lausanne 1915; und E. Sauerbeck: Der Kriegsausbruch, 2. Aufl., Stuttgart u. Berlin 1919. Über die wichtigsten Farbbücher erschien nach dem Krieg eine Artikelserie in der offiziösen DAZ; und zwar Nr. 235 (16.5.'19 M ) über England, Nr. 241 (19.5. A) über Frankreich, dessen Gelbbuch "den Charakter einer völlig tendenziösen Veröffentlichung trägt, die vor Fälschungen und Unterdrückungen nicht zurückschreckt", Nr. 242 (20.5. M) über Rußland, dessen Orangebuch "im höchsten Maße unzuverlässig ist", und Nr. 246 (22.5. M) über Belgien. Gegen das deutsche Weißbuch richtet sich H.G.v. Beerfelde: Michel wach auf! Aufdeckung der Fälschungen des deutschen Weißbuches 1914, 2. Aufl., Berlin 1919. 2 2 Vgl. W. Natter: Nachricht, Botschaft, Verheißung. Der (veröffentlichte) Erste Weltkrieg, in: H.J. Althaus et al. (Hg.), Der Krieg in den Köpfen, Tübingen 1988, S. 141-148. Zur erheblich erfolgreicheren englischen Propaganda M.L. Sanders u. Ph.M. Taylor: British Propaganda during the First World War, 1914-18, London u. Basingstoke 1982. Zu den Maßnahmen gegen die Feindpropaganda in Deutschland vgl. etwa im BAP, 07.01 Reichskanzlei Nr. 2442/4 (Film 13169/70); zur deutschen Propaganda (in den Akten freundlicher als "Aufklärungsarbeit" bezeichnet) ebd., Nr. 2440 (Film 13161/62); sowie zahlreiche Akten 09.01 AA, Zentralstelle fur Auslandsdienst. In Weimar versuchte man aus den Fehlern des Krieges bewußt zu lernen; vgl. P. Bauer: Die Organisation der amtlichen Pressepolitik in der Weimarer Zeit, Diss. Berlin 1962, S. 35. Bülow beschrieb diese Ziele in einem ausführlichen, vierseitigen Schreiben an Prof. Smend im preußischen Kultusministerium (PA, WK adh 4, Bd. 11, Bl. 169-172, hier Bl. 169) vom 20.7/18. Noch am gleichen Tag antwortete Smend (ebd., Bl. 168) und schlug den Historiker Dr. Julius Hashagen (später Professor in Köln) für diese Aufgabe vor.

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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Der Weg dazu war die Herausgabe eines neuen Weißbuches, das die inzwischen veröffentlichten Anschuldigungen gegen Deutschland widerlegen sollte. Der Autor sollte die Gewähr bieten, seinem Vaterlande nicht schaden zu wollen, ohne daß man ihn bevormunden wollte. Er sollte auf sein eigenes Urteil angewiesen sein, zugleich aber das auf umfassender Kenntnis der Materie beruhende Urteil des Amtes beachten. Geheimmaterial sollte ihm nicht zur Verfügung gestellt werden, wohl aber durfte er das Amt nach dessen Interpretationen fragen. Die Förderung hätte im wesentlichen darin bestanden, daß ihm das zur Veröffentlichung vorbereitete Material vorab zugänglich gemacht werden sollte: "Damit wird auch der von uns verfolgte Zweck verraten: Durch diesen zeitlichen Vorsprung vor allen anderen Autoritäten, wie auch vor dem Heer der Dilettanten, soll unser 'Vertrauensmann' durch seine Veröffentlichungen die Flut mäßiger oder flüchtiger Publikationen dämmen, zugleich aber auch ein Werk schaffen, das vermöge seines inneren Wertes nicht nur die gegenwärtige Literatur über die Kriegsschuldfrage überragt, sondern auch für alle Zukunft zur Unterlage der Geschichtsbeurteilung wird." 24 Gleichwohl waren Zweifler in den Reichsbehörden von Bülows weitreichendem Szenario nicht sofort überzeugt. Die besonderen Erfordernisse, denen ein neues Weißbuch nach "mehr als vier Jahre(n) ununterbrochenen Kämpfens, Entbehrens und Opferns" genügen mußte, waren der Reichsleitung nicht entgangen: "Die gesamte Empfindungs- und Gedankenwelt des Volkes ist durch die Kriegsnot und Kriegsmüdigkeit verändert worden. Diese Tatsache müssen wir bei der neuen Erörterung der Vorgeschichte des Krieges mit sicherem Takt berücksichtigen. Im Zusammenhang damit dürfen wir uns nicht der klaren Erkenntnis verschließen, daß es die feindlichen Diplomaten, besonders Sir Edward Grey, mit ganz überraschend feinem Tastsinn verstanden haben, ihre vor dem Krieg entstandenen Depeschen friedfertig abzustimmen. Unsere eigenen diplomatischen Urkunden zeigen bei all ihrem Ernst und trotz der Richtigkeit des Urteils, die man aus ihnen herauslesen muß, doch die oben erwähnte gewinnende Schmiegsamkeit nicht in demselben Maße."25

2 4

Ebd., Bl. 170.

Beide Stellen aus einem Schreiben des Pressechefs der Reichskanzlei, Deutelmoser, an den Wirkl. Legationsrat Heilbron vom AA vom 25.8.Ί8; Bd. 12., Bl. 58-62, hier Bl. 59.

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

39

Nicht ohne Berechtigung war dieses Schreiben als 'Geheim' eingestuft; läßt sich ihm doch - wie auch den Ausführungen Bülows - entnehmen, daß die reine Wahrheitsliebe zumindest nicht das einzige Motiv sein sollte, das bei der Edition des neuen Weißbuches zu Grunde lag. Das baldige Ende des Krieges verhinderte die Ausführung dieses ehrgeizigen Planes26. Der Verurteilung der Entente entspricht bei diesen Autoren stets die Unschuldsbehauptung für Deutschland und seine Verbündeten, die alles getan hätten, um den Frieden zu bewahren27. Den unerhörten Kriegszielen der Entente wird die vermeintliche Tatsache entgegengestellt, daß "Deutschlands und seiner Verbündeten Sieg ... eine neue Lage geschaffen" 28 habe - die Liste der Gegensatzpaare ließe sich fast beliebig vermehren. Eine inhaltliche Diskussion kam in diesem Teil der Publizistik eigentlich nur über eine Frage auf, zu der schon Bethmann Hollweg in seiner Rede vom 4. August 1914 das Stichwort geliefert hatte: das Unrecht gegenüber Belgien. Der Reichskanzler hatte in diesem Punkt unmißverständlich von deutscher Schuld und deutscher Schadensersatzpflicht gesprochen und den Einmarsch nur mit der Notwehr des Reiches gegenüber Frankreich zu rechtfertigen gesucht. Dies reichte aber vielen Publizisten nicht aus, und nicht nur denen alldeutsch-annexionistischer Provenienz. In zum Teil mit scharfer Kritik an

2 Ebd., Bd. 12, Bl. 101, findet sich zwar noch ein Schreiben des Unterstaatssekretärs von Stumm an den preußischen Kriegsminister, in dem um die Entlassung Prof. Hashagens aus dem Heer in das Auswärtige Amt nachgesucht wird. Das Schreiben ist vom 16.9.Ί8, und der bald darauf erfolgende Dazwischentritt der Weltgeschichte scheint weitere Aktivitäten verhindert zu haben. Nach dem Krieg hat sich Hashagen anscheinend nicht weiter mit der Kriegsschuldfrage befaßt zu haben; als Mitarbeiter der Akteneditionen oder der "Zentralstelle" taucht er nicht auf, und auch der Aufsatz "Deutsche Kriegsschuldforscher. 1919-1929", in: Die KSF, 7. Jg. (1929), S. 552-590, nennt ihn nicht.

ΎΊ

So etwa A. Saenger, Schuld der deutschen Regierung, S. 4 (Deutschland hat Fehler begangen, aber keine "vorsätzliche Schuld"); Cincinnatus, Deutschlands Kampf um's Recht, S.36 (wo die "friedensfreundliche(n) Bemühungen" des Kaisers und Bethmanns hervorgehoben werden); A.B. Hanson, Geheim-Diplomatie; Ph. Hildebrandt: Belgien, in: DR, 177. Bd. (1918), S. 180-183, hierS. 180. ΛΟ W. Goetz, Kriegsursachen, S. 14. Zu den Kriegszielen der Entente vgl. A.B. Hanson, GeheimDiplomatie; Anonym, Schuld Deutschlands, S. 11, wonach die Entente "die Entmannung Deutschlands" anstrebe. Zu den deutschen Zielen etwa Th. Schiemann, Ein Verleumder, S. 5; E. Lasker, Selbsttäuschungen der Feinde, S. 2 u. S. 19; E. Graf Reventlow: Brauchen wir die flandrische Küste?, Berlin 1918. Allgemein hierzu Fischers "Griff nach der Weltmacht"; sowie E. Hölzle: Kriegsziele und Friedensversuche in der sich wandelnden Welt 1917/18, in: H. Rößler (Hg.): Weltwende 1917, Göttingen usw. 1965, S. 143-148; W.J. Mommsen, Die deutsche Kriegszielpolitik 1914-1918; K. Hildebrand, Deutsche Außenpolitik, S. 46ff.; K.-H. Janßen: Macht und Verblendung. Kriegszielpolitik der deutschen Bundesstaaten 1914/18, Göttingen usw. 1963; und die in Kap. A angegebene Literatur.

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

40

Bethmanns Erklärung verknüpften Auslassungen bemühten sie sich nicht nur um den Nachweis, daß Deutschland selbstverständlich ein Notwehrrecht zum Durchmarsch durch das neutrale Belgien gehabt habe. Mehr noch, die Neutralität Belgiens wurde überhaupt in Zweifel gezogen. In Wahrheit hätten längst Abmachungen mit Frankreich und England bestanden, die Belgien zu einem "Glied der Entente cordiale"29 machten. Alle diese Beiträge verkannten die völkerrechtliche Bedeutung dieses Falles - von der politischen ganz zu schweigen - völlig oder erkannten ihr lediglich 'formale' Bedeutung zu - im Lande des Rechtspositivismus, wo Recht vom Staate her gedacht wurde und der Rechtscharakter des Völkerrechts vielfach überhaupt bestritten wurde, kein ungewöhnlicher Vorgang30. Offenbar merkten diese Autoren nicht, daß ein gewisser Widerspruch bestand zwischen solchen Behauptungen und der Vorliebe, mit der in Brüssel gefundene belgische Vorkriegsakten als Belege für deutsche Friedenspolitik und Kriegsunschuld herangezogen wurden. Schwierig war es auch mit der konkreten Nachprüfung der reichlich gegen Belgien erhobenen Vorwürfe. Die amtlichen Akten enthalten, vor allem aus der Anfangsphase des Krieges, als der Rechtfertigungsdruck besonders hoch war, zahlreiche Berichte über die angeblich nicht bestehende belgische Neutralität31. Obwohl auch den abenteuerlichsten Mutmaßungen ernsthaft nachgegangen wurde, blieb der Erfolg unbefriedigend 32. Untersuchungen über

29 F. Tönnies, Englische Weltpolitik, S. 74. Die imperialistische Politik Belgiens brandmarkte P. Dirr: Belgien als französische Ostmark, Berlin 1917, der sich auch gegen die "Lobredner Belgiens" (S. V) wendet. (Am 30.7.'17 bat Dirr in einem Schreiben an das Auswärtige Amt um die Freigabe fur sein Buch, das Belgien belaste. Er verweist darauf, daß das Buch durch das Amt selbst angeregt worden sei; PA WK adh 4, Bd. 7, Bl. 63-65.) Für Ph. Hildebrandt, Belgien, S. 181, war Belgien auch gegen seinen Willen ein "nordwestliches Einfallstor" für England und Frankreich. Ahnlich E.v. Salzmann: Frankreich und Belgien, VZ, Nr. 505 (3.10.Ί8 M); und W. Schoenbom: Anhang: Die Neutralität Belgiens, in: O. Hintze et al. (Hg.), Deutschland und der Weltkrieg, S. 565-590. Laut Cincinnatus, Deutschlands Kampf um's Recht, S. 86, hat Deutschland lediglich um Wegerechte gebeten, was gängige Praxis in kriegerischen Notsituationen sei. Anders der Pazifist Hans Wehberg, der mit einem Brief vom 23.11. 1914 aus der Redaktion der renommierten "Zeitschrift für Völkerrecht" zurücktrat, da diese den Einmarsch als rechtmäßig darstellte: "Die Verletzung der belgischen Neutralität sowie manche andere Fragen sind nicht Differenzen wie etwa diejenige über den Artikel 23h der Anlage zum Landkriegsabkommen. Es sind Probleme von ungeheurer Bedeutung, deren Beantwortung für die Zukunft des Völkerrechts erheblich ins Gewicht fallt" Abgedruckt ist der Brief in seinem Buch "Als Pazifist im Weltkrieg", Leipzig o.J. (1919), S. 56. 3 1

PA, WK adh 4, Bd. 1, passim.

So etwa ein Schreiben der preußischen Gesandtschaft in München vom 15.10.Ί7, wo das Gerücht wiedergegeben wird, daß im Frühjahr 1914 während des Besuches des englischen Königspaares in Paris auch das belgische Herrscherpaar dort gewesen sein soll. Hieran knüpfen sich hochpolitische Implikationen, die zugleich den Geist der preußischen Diplomatie widerspiegeln, daß Politik direkt von Königen betrieben werde (PA, WK adh 4, Bd. 8, Bl. 45).

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

41

die von vielen Gewährsleuten behauptetenfranzösischen Truppenbewegungen in Belgien vor Kriegsbeginn verliefen gleichfalls alle im Sande33. Alle bisher erwähnten Beiträge lassen sich mehr oder minder in den Rahmen der offiziellen deutschen Linie einordnen34, sieht man von den alldeutschen Kampfschriften gegen Bethmann Hollweg mit ihren wahnwitzigen Kriegszielprogrammen einmal ab. Bereits hier läßt sich beobachten, daß die Schriften konservativer Politiker und Publizisten eher England die Hauptschuld zuweisen, während das Uberale und Unke Lager Rußland verantwortlich macht. Diese Teilung ist bei der Vorkriegsaffinität der Parteien zu den jeweils anderen Ländern auch kaum weiter verwunderlich. Aber die offiziell geduldeten oder geforderten Schriften machen nur einen, wenn auch den quantitativ bedeutendsten Teil der Literatur aus. Daneben gab es auch eine Reihe von Autoren, die der deutschen Politik und den deutschen Unschuldsbeteuerungen durchaus kritisch gegenüberstanden und diese Kritik auch schriftlich zum Ausdruck brachten. Die strenge deutsche Zensur brachte es mit sich, daß ein Großteil dieser Werke im Ausland erschien, vornehmlich in der Schweiz35.

3 3 Am 17.12.Ί4 etwa stellte die Militär-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Kriegsrechts in einem Schreiben an das Auswärtige Amt fest, "daß sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, daß das 45. französische Regiment oder sonst irgendeinfranzösischer Truppenteil vor der Kriegserklärung über die belgische Grenze nach Namur gebracht worden ist" (PA, WK adh 4, Bd. 2, Bl. 52). Resigniert schrieb das Amt am 25.10.'17 an das Kriegsministerium: "Bisher haben sich die Angaben von Augenzeugen Ober den Einmarsch französischer Truppen nach Belgien vor dem 4. August 1914 meist als unhaltbar oder unzuverlässig erwiesen" (ebd., Bd. 8, Bl. 57). Trotzdem bat das Amt, die Aussage eines Max Flügel (vom 9.10.Ί7, ebd., Bl. 81-82) über Grenzüberschreitungen, die er 1914 von seinem Hotelfenster aus gesehen haben wollte, nachzuprüfen. Auch diesmal war das Resultat enttäuschend. Die Kommandantur Tourcoing berichtete nüchtern am 10.12.Ί7, daß Flügels Behauptungen "sehr unglaubwürdig" seien, da man von dem betreffenden Hotel aus die Grenze überhaupt nicht sehen könne (ebd., Bd. 9, Bl. 7-8). 3 4 Wie bald nach Kriegsbeginn diese Linie konzipiert wurde, kann man den Vorgaben Jagows in einem Schreiben an Zimmermann entnehmen, das schon vom 31.8.' 14 stammt. Jagow ging es um die geistige Rüstung "für den bevorstehenden Kampf der Meinungen", aber auch darum, "die Stellung der Diplomatie der öffentlichen Meinung und den Militärs gegenüber zu stärken." Und weiter: "Die Leitidee muß sein: Der Ring der Ententepolitik hat sich immer enger um uns zusammengezogen." 1916 sollte der Angriff gegen uns erfolgen; wir begegneten dem ab 1905 durch Rüstungen und den Versuch einer Verständigungspolitik mit Großbritannien; PA, WK adh 4, Bl. 20-21.

Voll von Klagen über die Zensur sind die Tagebücher von Theodor Wolff (Tagebücher 19141919, 2 Bde., eingel. u. hg. v. B. Sösemann, Boppard a.Rh. 1984). Schon am 13.8.Ί4 notiert er: "Die Militärzensur wird immer unmöglicher. Nichts darf gebracht werden." (S. 76) Zur Zensurproblematik vgl. K. Koszyk: Deutsche Pressepolitik im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1968; H.-D. Fischer (Hg.): Pressekonzentration und Zensurpraxis im Ersten Weltkrieg, Berlin 1973 (v.a. den Aufsatz von K. Koszyk: Entwicklung der Kommunikationskontrolle zwischen 1914 und 1918, S. 152-193). Zur anders gelagerten Situation in der Schweiz vgl. die Kieler Examensarbeit von S. Weber: Die Kriegsberichterstattung der Berner Tageszeitung "Der Bund" 1914-1918, Ms. Kiel 1989 (mit einem Abriß auch der deutschen Verhältnisse, S. 3ff.).

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

42

Die bedeutendste deutsche Organisation unter den pazifistischen Kriegsgegnern war der Bund "Neues Vaterland", der ab 1915 im Sinne der Völkerversöhnung wirkte 36. Die unter seiner Regie während des Krieges erschienenen Schriften dosierten ihre Kritik durchweg so gemäßigt, daß die Mitarbeit auch von Politikern wie Friedrich Naumann möglich war, der Annexionen keineswegs vollkommen ablehnte37. In der kleinen und einigermaßen exklusiven Mitarbeiterliste finden sich Namen wie Quidde, Schücking, Einstein, Gerlach, Breitscheid und Bernstein, die ein breites wissenschaftliches und politisches Spektrum abdecken konnten, bei gemeinsamem pazifistischen Grundnenner. Mußten die Autoren der Schriftenreihe des Bundes "Neues Vaterland" mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse Vorsicht walten lassen, war dies bei zwei 1915 und 1917 anonym "von einem Deutschen" in der Schweiz erscheinenden Werken nicht der Fall. Zusammen mit dem Tagebuch des ehemaligen Krupp-Direktors Wilhelm Muehlon und mit der späteren Denkschrift des Fürsten Lichnowsky sollten diese Arbeiten den schärfsten Angriff auf die deutsche Vorkriegspolitik enthalten. Die Hauptthese des 1915 unter dem ebenso beziehungsreichen wie unbescheidenen Titel "J'accuse" herausgekommenen Buches ist, daß der Weltkrieg ein rein imperialistischer Eroberungskrieg sei, der von Deutschland und Österreich nicht nur von langer Hand vorbereitet, sondern auch in der Julikrise bewußt zum Ausbruch gebracht worden sei38. Zum Beleg seiner Ansichten reiht der Autor Feststellungen allgemeinster Art aneinander. So ist es für ihn völlig verfehlt, vom Handelsneid Englands als

3 6 Hierzu H. Wehberg, Als Pazifist im Weltkrieg, S. 57ff. Satzung und Mitarbeiterliste des Bundes unter dem Vorsitz von Kurt v. Tepper-Laski und Graf Georg von Arco, dem späteren USPD-Politiker (nicht zu verwechseln mit dem Eisner-Mörder!), sind abgedruckt in der Broschüre "Was will der Bund "Neues Vaterland'?", 2. verm. Aufl., Berlin 1915 (unpaginiert!). Vgl. auch das zwischen 1934 und 1940 geschriebene Erinnerungsbuch des späteren Friedensnobelpreisträgers Ludwig Quidde: Der deutsche Pazifismus während des Weltkrieges 1914-1918. Aus dem Nachlaß hg. ν. K. Holl unter Mitwirkung ν. H. Donat, Boppard a.Rh. 1979. Zum Pazifismus im Weltkrieg siehe K. Holl: Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, S.103ff.; W. Eisenbeiß: Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis 1913/14-1919, Frankfurt a.M. usw. 1980; F.-K. Scheer: Die Deutsche Friedensgesellschafl (18921933), Frankfurt a.M. 1981, S. 245ff; D. Riesenberger: Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland, Göttingen 1985, S. 98ff. 3 7

Vgl. H. Wehberg, Als Pazifist im Weltkrieg, S. 58.

-IO Dieser Gedanke durchzieht das ganze "J'accuse! Von einem Deutschen", Lausanne 1915. Uns lag das 14.-20. Tsd. vor, das bereits im Erscheinungsjahr der Erstauflage nachgedruckt werden mußte. Das 1917 an gleicher Stelle erscheinende Werk "Das Verbrechen. Vom Verfasser des Buches J'accuse", 2 Bde., ist nur ein neuer Aufguß des ersten Buches. Auch "Belgische Aktenstücke vom Verfasser des Buches J'accuse", Lausanne 1918, bringen keine Neuigkeiten mehr außer deijenigen, daß der Autor, Richard Greiling, sich hier endlich zu erkennen gibt. Vgl. zu Greiling O. Lembcke: Die Auseinandersetzung Tönnies' mit Greiling und Kautsky, in: L. Clausen, C. Schlüter (Hg.), Hundert Jahre "Gemeinschaft und Gesellschaft", Opladen 1991, S. 495-504.

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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Kriegsursache zu sprechen, da England niemals den Wahnsinn begangen hätte, seinen besten Kunden totzuschlagen39. Aus apodiktischen Feststellungen dieser Art ergibt sich für ihn eindeutig die deutsche Schuld. Autor des Buches war der frühere deutsche Rechtsanwalt Richard Greiling, der schon Jahre zuvor unter dubiosen Umständen in die Schweiz gegangen war 40 . Es erhob sich ein Sturm der Entrüstung gegen die "Schmähschrift" 41, wobei die schärfste Abrechnung von einem Kurt Greiling stammte, der, moderat im Ton, dennoch kein gutes Haar an dem Buch ließ, das - sein Vater geschrieben hatte! Richard Greiling zerpflückte in dem Nachfolgeband zu "J'accuse", dem "Verbrechen", genüßlich die gegnerischen Schriften. Am schärfsten zog er über das Buch seines Sohnes her. Er nennt es die "blutige Dilettantenarbeit eines politischen Klippschülers, eines 'Karlchen Miesnick' redivivus", spricht von "unartikulierten Laute(n) aus der politischen Kinderstube" und behält sich vor, seinen Lesern später "grausam-kapriziös ... das abgeschlagene Haupt des Anti-Akkusators (zu) servieren", fur jetzt begnüge er sich "als angenehme Unterbrechung in den ernsten Untersuchungen ... gelegentlich, zur Erheiterung der corona, einige besonders drollige Gedankenspähne (sie!) aus dem verkümmerten Gehirn seines Widersachers herauszupicken"42.

3 9

J'accuse, S. 67.

4 0

Nach einigen zweifelhaften Geldgeschäften mußte er Berlin schleunigst verlassen. P. Molenbroek: De Onwarheid van TAccuse!' (sie!), Rotterdam 1915, S. 55, ist einer der gar nicht wenigen Autoren, die die Identität des anonymen Autors gleich erkannt hatten. Bis 1918 stritt Greiling allerdings jede Verantwortung standhaft ab. 4 1

Th. Schiemann: Ein Verleumder, Berlin 1915, S. 3. L. Weber: Gedanken eines schweizerischen Neutralen über Das (sie!) Buch 'J'accuse', 2. Aufl., Solothum 1915, S. 3, beklagt den "anmaßende(n) Ton und de(n) wenig zuverlässige(n) Inhalt des Buches". E. van Dieren: Is 'De Telegraaf een ... Engeische krant?, 4. Aufl., Amsterdam 1915 (hiervon auch eine deutsche Ausgabe, Berlin 1916), S. 65, kommt zu folgendem Urteil: "Betichter entpopte zieh das als revolutionnair, als haatprediker, als socialist, als republikein, en niet als held." Zum Buch von Molenbroek siehe die vorige Fußnote. Mehrere ungedruckte Denkschriften zur Widerlegung von "J'accuse" enthält PA, WK adh 4, Bd. 11, Bl. 174-198. 4 2 Alle Stellen R. Greiling, Verbrechen, 1. Bd., S. 24, Fn. 1. Ob es sich bei dieser Fehde um eine wohlorchestrierte Absprache zwecks wechselseitiger Reklame handelt, vermögen wir nicht zu sagen. Generell zur Kritik an seinen Gegnern ebd., S. 1 Iff. Unter den wenigen "J'accuse" lobenden Schriften sei nur G. Metzler erwähnt; "Die Schuld am Kriege", in: Die Weltbühne, 15. Jg. (1919), S. 163-181, hier S. 170, wonach Greiling in seinen "unanfechtbaren Publikationen ... die Entstehung des Krieges musterhaft dargelegt hat".

44

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Selbst die härtesten Gegner Richard Greilings mußten den "leichte(n), zuweilen witzige(n) Stil" 43 anerkennen, mit dem er schrieb. Wenn Personen des deutschen öffentlichen Lebens gelegentlich meinten, daß an Greilings Thesen etwas dran sei, dann geschah das in der privaten Abgeschlossenheit ihrer Tagebücher44. Greilings Arbeiten fanden während des Krieges bei den Mittelmächten kaum große Veibreitung, die Zensur verhinderte ihr Erscheinen45. Mit dem Kriegsende kam auch das Ende ihrer Wirkung; auf die Diskussion der Weimarer Republik hatte es kaum noch Einfluß 46. Anders gelagert war der Fall Wilhelm Muehlons47, der als ehemaliger KruppDirektor genau aus dem Zentrum der Macht stammte, über das er schrieb - die potentielle Gefährlichkeit seiner Ausführungen überstieg die des anonym bleibenden Finanzflüchtlings Greiling bei weitem. Im Sommer 1918 veröffentlichte Muehlon in Zürich seine Tagebuchaufzeichnungen aus den ersten Kriegsmonaten, die Österreich und Deutschland eindeutig die Schuld am Kriege gaben48.

4 3 K. Greiling, Anti-Jaccuse, S. 7. Ähnlich auch P. Molenbroek, Onwarheid, S. 5, der vom ausgezeichneten Stil spricht, oder L. Weber, Gedanken, S. 3, über das "gewandt geschriebene Buch". Auch E. Sauerbeck, Geleitwort zur Bibliographie "Die Kriegsschuldfrage", S. XIX, nennt es "packend", und Tönnies hat bei aller Feindschaft v.a. in "Der Zarismus und seine Bundesgenossen 1914", Berlin 1922, nie die Anerkennung für den Stil versagt. 4 4 Theodor Wolff notierte am 9.10. 1916 ("Tagebücher", S. 443), daß Greilings "J'accuse" "neben vielem Falschen u[nd] irrigen Thesen auch... manchesleider Richtige enthalte". Wolff war sich offenbar auch Ober die Identität des anonymen Autors im klaren. Am gleichen Tag notiert er, daß Fürst Bülow ebenso urteile, aber auch (S. 439) daß Bülow einmal mehr im Gespräch gehässig über Bethmann Hollwegrede.Bülows Haß auf seinen Nachfolger und auf Jagow brachte ihn sogar dazu, Anklägern der deutschen Politik wenigstens privat und wenigstens teilweiserechtzu geben. Eine prachtvolle Lektüre hierzu bieten die 4 Bde. "Denkwürdigkeiten" Bülows (Berlin 1930 u. 1931), v.a. Bd. 3, etwa S. 157ff und passim Wenn man Bülow glauben will - was sich nur selten empfiehlt - habe ihm auch die Frau von Bethmann Hollweg "unter Tränen" (S. 20) gestanden, daß ihr Mann seiner Stellung nicht gewachsen sei. Bülow läßt den Leser auch nie im unklaren darüber, wer besser geeignet gewesen wäre als Reichskanzler.

Nach K. Greiling, Anti-J'accuse, S. 7, wurden allein von J'accuse in der Schweiz über 20Ό00 Exemplare verkauft; englische, französische und holländische Übersetzungen fanden "gleichfalls reißenden Absatz". Eine Spätwirkung ist K. Federn: Ein Briefwechsel über 'J'accuse', in: Deutsche Politik, 5. Jg., Nr. 3 (16.1.'20), S. 92-96, der Greiling öffentlich beleidigte, um eine Anzeige zu provozieren. Das Buch sei viel zu billig gewesen, Federn vermutetefranzösische Subventionen. 4 7 4 8

Zu ihm W. Benz: Der "Fall Muehlon", in: VfZ, 18. Bd. (1970), S. 343-365.

Es erschien unter dem Titel "Die Verheerung Europas. Aufzeichnungen aus den ersten Kriegsmonaten". Muehlon führt den Krieg auf "das veraltete, harte, selbstsüchtige, raubgierige, heuchlerische Staatengebilde Österreich-Ungarn zurück" (S. 57), das aus inneren Gründen den Krieg brauchte und ihn auch vom Zaume gebrochen hätte, wenn Serbien vollkommen auf das Ultimatum eingegangen wäre (S. lOf.). Schon im August 1914 notiert Muehlon, daß sich der Kaiser so sehr

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

45

Muehlons Abscheu hierüber war es auch gewesen, der ihn zum Ausscheiden aus dem Krupp-Direktorium und 1916 zur Übersiedelung in die Schweiz veranlaßt hatte. Muehlon hatte sich zur Veröffentlichung seines Tagebuches - wieder anders als Greiling und in Übereinstimmung mit Lichnowsky - nicht leichten Herzens entschließen können. Im Vorfeld der Publikation bezeugen die Akten der Reichsbehörden über fast ein Jahr diesen langwierigen Prozeß. Muehlons endgültiger Bruch mit der deutschen Politik war schon früher erfolgt, er läßt sich spätestens mit dem Beginn des unbeschränkten U-Boot-Krieges vom Januar 1917 datieren. Am 7. Mai 1917 schrieb Muehlon einen Brief an Bethmann Hollweg, in dem er dem Kanzler und seiner Politik eine pathetische, aber von dem aufrichtigen Pathos des Enttäuschten erfüllte Absage schickte: "Sie mögen für ihre Person sich noch ändern, aber Sie können nicht Repräsentanten (sie!) der deutschen Sache bleiben. Als solche verdienen Sie weder Langmut noch Nachsicht mehr. Das deutsche Volk kann die geschehenen schweren Versündigungen an seiner, Europa's und der Menschheit Gegenwart und Zukunft erst dann wieder gutzumachen beginnen, wenn es sich durch andere Manner von anderer Art vertreten läßt. Es ist keine Ungerechtigkeit, daß es heute dem Odium der ganzen Welt verfallen ist, so fehlerhaft und unvollkommen diese auch sein und bleiben möge: Der Triumph unserer bisherigen militärischen und politischen Kriegführung würde eine Niederlage der höchsten Gedanken und Hoffnungen der Menschheit sein. Man braucht nur den Fall zu setzen, ein erschöpftes, demoralisiertes oder die Gewalt verabscheuendes Volk werde den Frieden aus der Hand dieser selben deutschen Regierung annehmen, die den Krieg geführt hat, um zu erkennen, wie trügerisch und trüb es um das Niveau und die Aussichten des Völkerlebens bestellt bliebe. Als Mensch und als Deutscher, der es gut meint mit dem irregeführten und gequälten deutschen Volke, wende ich mich endgültig von den Männern des heutigen deutschen Regimes ab. Möge jeder, der dazu in der Lage ist, ebenso handeln. Mögen bald viele Deutsche soweit sein."49

exponiert habe, daß er bei einer Niederlage kaum zu halten sein werde (S. 24f.). Am 6.8. bemerkt er voller Abscheu, daß niemand wegen Belgien protestiere (S. 29). 4 9 Brief Muehlons an Bethmann Hollweg, dat. Bern 7.5.Ί7; BAP, 07.03 Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 2 (Film 45060), Bl. 141-142.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Die Regierung erkundigte sich daraufhin diskret nach Muehlon bei der Gesandtschaft in Bern, und bereits jetzt tauchte der Gedanke auf, daß dieser geisteskrank sein könnte50. Aber noch schien er zumindest keine unmittelbare Gefahr für die Politik des Reiches zu bedeuten. Diese Einschätzung änderte sich drastisch, als die deutsche Spionageabwehr im Januar 1918 einen Brief Muehlons mit einem "Dokument zum Kriegsausbruch" abgefangen hatte, das mit der späteren Publikation weitestgehend identisch war. Die Sprengkraft der Aufzeichnungen wurde sofort erkannt: Kernstück war ein Gespräch Muehlons mit Helfferich, der damals gleichfalls dem Krupp-Direktorium angehörte. Diesem Gespräch war die Schuld Deutschlands an der bewußten Entfesselung des Krieges zu entnehmen51. Helfferich und auch Krupp, die sofort um Stellungnahmen ersucht wurden, erklärten dem Auswärtigen Amt gegenüber in fast identischen Formulierungen, daß an Muehlons Behauptungen kein wahres Wort sei. Auf Krupp machten die Äußerungen Muehlons in dem "Dokument" den "Eindruck des pathologischen", wenn sie nicht tendenziös wären. Die ihm zugeschriebenen Worte habe er so nicht gesagt. Ähnlich Helfferich, der den Brief Muehlons in seinem Schreiben "entweder eine Fälschung oder das Produkt einer kranken Phantasie" nannte. In einer Erklärung wiederholte er, daß der Brief, "wenn er nicht eine tendenziöse Fälschung sein sollte, nur pathologisch zu erklären" sei. Muehlon sei mehrfach körperlich und nervlich zusammengebrochen und in Bern "ganz in den Bannkreis ultrapazifistischer Elemente geraten". Das von ihm behauptete Gespräch habe stattgefunden, aber natürlich hatte auch Helfferich keineswegs die ihm von Muehlon zugeschriebenen Äußerungen von sich gegeben. Krupp und Helfferich bezweifelten beide den geistigen Gesundheitszustand Muehlons52.

5 0 Ebd., Bl. 143, das Schreiben des Gesandten Romberg an Graf Wedel aus Bern vom 20.7.Ί7: "Ich glaube, daß es sich bei Muehlon, der stark neurasthenisch ist, um Anfange pathologischer Erscheinungen handelt. Er ist nach allem, was ich von ihm weiß, ein grundehrlicher Mensch, dessen Vorgehen aber mit dieser Eigenschaft nicht immer vereinbar und nur durch krankhafte Erscheinungen zu erklären ist." Romberg schlug vor, den Brief dem Krupp-Direktor Freiherr von Bodenhausen zu zeigen, der Muehlon eventuell beeinflussen könne. 5 1 Das "Dokument zum Kriegsausbruch" findet sich im PA, WK adh 4, Bd. 9, Bl. 23-27. Ebd., Bl. 36-38, übersandte die deutsche Gesandtschaft in Bern am 22.1.' 18 einen Brief Muehlons an Foerster vom 16.12.Ί7, den die militärische Abwehr abgefangen hatte und ihrerseits am 12.1.'18 "mit der Bitte um eingehende Ermittelungen mitgeteilt" hatte. Muehlon zeigte sich von den deutschen militärischen Erfolgen unbeeindruckt; "ob Hindenburg unten oder oben liegt, ich bleibe unerschütterlich überzeugt, daß niemals die Gewalt siegen wird". Foerster war als radikaler Pazifist ebenfalls ein entschiedener Gegner des Krieges und des ganzen Hohenzollernstaates; auch er hatte in die Schweiz flüchten müssen. 5 2 Das Schreiben Krupps vom 28.1.' 18 findet sich im PA, WK adh 4, Bd. 9, Bl. 28; das Schreiben und die Erklärung Helfferichs vom 26.2.Ί8 ebd., Bl. 75-77, vgl. auch Bl. 78.

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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Das war nicht unbedingt hilfreich, zumal inzwischen der Brief Muehlons über das angebliche oder tatsächliche Gespräch mit Helfferich den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatte53. Hektische Aktivität entfaltete das Auswärtige Amt, als ihm darüber hinaus bekannt wurde, daß Muehlon nun doch die Veröffentlichung seiner ganzen Notizen beabsichtige. Die Einberufung Muehlons zur Armee wurde ebenso erwogen wie ein Auslieferungsersuchen an die Schweiz54. Die geringen Erfolgsaussichten und mehr noch die in jedem Fall damit verbundene unliebsame Publizität führten jedoch dazu, daß man auf beide Maßnahmen verzichtete. Auch in weniger spektakulären, aber ähnlich gelagerten Fällen wie dem Muehlons bemühte sich die Regierung darum, durch informelle, persönliche Fühlungnahme Veröffentlichungen von brisant erscheinendem Material zu verhindern, anstatt nachträglich polizeilich zu reagieren - jedenfalls dann, wenn der betreffende Autor sich im neutralen Ausland aufhielt oder sonst nicht einfach zu fassen war 55 . Im Falle Muehlons fruchteten diese Vorhaltungen nichts, und nach der Veröffentlichung konnte auch Hindenburg nur noch ein Einfuhr- und Vertriebsverbot für Deutschland erlassen und seine Entrüstung darüber zum Ausdruck bringen, daß "(d)as ganze Machwerk ... von der ersten bis zur letzten

«

Das Flugblatt erschien Anfang 1918 unter dem Titel "Die Schuld der deutschen Regierung am Kriege. Ein Brief des ehemaligen Mitglieds des Kruppschen Direktoriums Dr. Mihlon" (sie!). Es findet sich im BAP, 15.01, Reichsamt des Innern, Bd. 6114, Bl. 12a; und im PA, WK adh 4, Bd. 11, Bl. 158. An letzterer Stelle (Bl. 157) ist auch ein Schreiben des Konsuls in Rotterdam vom 16.7.'18, der über die Verbreitung klagte: "Das Flugblatt wird im Rahmen einer offenbar weit organisierten feindlichen Propaganda von Haus zu Haus in Rotterdam in die Briefkasten (sie!) gesteckt." Am 18.2.Ί8 hatte bereits Stresemann an von dem Bussche geschrieben (ebd., Bd. 9, Bl. 62) und bat um Aufklärung, da das Flugblatt wohl im Reichstag eine Rolle spielen werde. 5 4 Vgl. in diesem Zusammenhang PA, WK adh 4, Bd. 11, Bl. 54, Bl. 61-62 u. Bl. 113-114, wo erneute Briefe an Krupp wegen der geplanten Veröffentlichung Muehlons zu finden sind. Eine Aufzeichnung der bayerischen Gesandtschaft vom 5.8.' 18 (ebd., Bd. 12, Bl. 25) erwägt die Einberufung des Bayern Muehlon, gibt aber auch die offensichtlichen politischen Konsequenzen zu bedenken. Schon vom 21.1. stammt die erste Notiz darüber, daß Muehlon allmählich "gemeingefährlich" werde und daß man ihn nach Deutschland zurückbringen solle. Eine Anfrage beim Gesandten in Bern wurde am 31.8. allerdings auch dahin beantwortet, daß ein Auslieferungsersuchen geringe Erfolgschancen habe und daß Muehlon dann möglicherweise Kenntnisse preisgeben würde, die er noch aus seiner Tätigkeit in der Pressestelle der Gesandtschaft habe und die besser geheim blieben (ebd., Bl. 78-79). Letztlich behalf man sich damit, einen zuverlässigen Bekannten zu Muehlon in die Schweiz zu senden, der ihn zu einer Aufgabe seiner Tätigkeit bewegen sollte (ebd., passim, zur Reise von Sanitätsrat Mendel). 5 5

Etwa im Fall des Generals Max Graf Montgelas, der eine Denkschrift über "Deutschlands Schuld und Pflicht gegen Belgien" verfaßt hatte, die 161 Seiten und Anlagen umfaßte. Vgl. den Schriftwechsel von Anfang 1918; PA WK adh 4, Bd. 9, Bl. 69; und Bd. 10, Bl. 40-41 u. Bl. 42ff, wo die Denkschrift wiedergegeben ist.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Seite ein hohes Lied auf die herrlichen Eigenschaften unserer ritterlichen Feinde und ein maßloses Verdammungsurteil über das deutsche Volk" sei. Hindenburg sah ernsteste Folgen und verlangte Remedur: "Der Fall Lichnowsky und der Fall Muehlon haben fiir die siegreiche Durchführung des Krieges außerordentliche Gefahren geschaffen. Es muß die Forderung erhoben werden, daß für die Gegenwart und für die Zukunft Gewähr geleistet wird dafür, daß Persönlichkeiten, die im Dienste des Auswärtigen Amts oder eines Werkes, wie es die Krupp-Werke sind, verwendet werden sollen, vor ihrer Verwendung auf ihre zuverlässige vaterländische Gesinnung hin geprüft werden." 56 Neben Muehlon war es der Name Lichnowsky, den Hindenburg hervorhob. Stein des Anstoßes war in diesem Falle eine Denkschrift, die der frühere deutsche Botschafter in London, Karl Max Fürst von Lichnowsky im August 1916 für seinen privaten Gebrauch anfertigte. In scharfer Form setzte Lichnowsky sich mit den Hindernissen auseinander, die man in den Jahren vor 1914 wie in der Julikrise der Verständigung mit England in den Weg gelegt hatte. An Stelle des angeblichen Handelsneides sieht er den Wunsch zur Kooperation. Dem englischen Außenminister, Sir Edward Grey, bescheinigt er den Willen zur Verständigung mit Deutschland57. In der Julikrise endlich war

5 6 Das Schreiben Hindenburgs an den Reichskanzler ist vom 6.8.Ί8 datiert (PA, WK adh 4, Bd. 12, Bl. 40-41). Am 5.10. antwortete Prinz Max, der neue Kanzler (ebd., Bl. 118-119), daß Muehlon nie im Auswärtigen Amt beschäftigt und nie unzuverlässig gewesen sei. Einwirkungen auf Privatfirmen seien unmöglich, und auch gegen eine von Hindenburg geforderte gesetzliche Regelung sprach der Kanzler sich aus. Schließlich versagte er sich nicht den Hinweis, daß es Veränderungen der Persönlichkeit auch bei anderen gegeben habe, z.B. beim Hauptmann i.G. Beerfelde! «7 J Fürst Lichnowsky: Meine Londoner Mission 1912-1914. Mit einem Vorwort von O. Nippold, Zürich 1918, S. 26 u. S. 10. Die Denkschrift ist unzählige Male gedruckt worden. Wir haben außer der eben erwähnten Edition noch die Ausgabe "von einer Gruppe von Friedensfreunden", Bern 1916 und die in den Flugschriften des Bundes "Neues Vaterland", Nr. 7/8, Berlin 1919 (mit der Eingabe an das Herrenhaus), benutzt. In BAP, 15.01. Reichsamt des Innern, Bd. 6114, Bl. 11-12, findet sich eine in Görlitz o. J. gedruckte Ausgabe auf sehr schlechtem Papier, die mit einer Klammer geheftet ist - hierbei handelt es sich wohl um die erste Ausgabe der Denkschrift. S. 27-31 hat der ungenannte Herausgeber (nämlich Beerfelde) ein Nachwort verfaßt, das wie folgt beginnt: "Die vorstehende Denkschrift ist seit Jahr und Tag in engeren, namentlich auch in 'amtlichen' und maßgebenden Kreisen handschriftlich verbreitet worden. Wenn wir ihr nun durch ihre Drucklegung die Möglichkeit verschaffen, auf breitere Kreise zu wirken, so wollen wir von vornherein bemerken, daß wir hierfür die Genehmigung des Verfassers nicht eingeholt haben. Wir wollten ihm die für ihn vermutlich peinliche Wahl ersparen, entweder sein gutes Recht der Verteidigung einzuschränken oder aber seinen skrupellosen Gegnern den scheinbaren Trumpf in die Hand zu spielen, als stünden ihm seine persönlichen Interessen über dem Wohl des Vaterlandes. Was uns anbetrifft, so sind wir gegen derartige Vorwürfe gefeit; unser einziger Leitstern sind die öffentlichen Interessen, die wir erfreulicherweise wahren können, ohne die persönlichen Interessen des Verfassers zu gefährden." Bevor die Zensur in Deutschland zuschlug, veröffent-

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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die deutsche Regierung offenbar willens, den Krieg zu riskieren, und zwar auch aus Gründen, die in der Gegnerschaft Berliner Kreise gegen den Fürsten bestanden: "Je mehr ich drängte, um so weniger wollte man einlenken, schon weil ich nicht den Erfolg haben sollte, mit Sir Edward Grey den Frieden zu retten!" 58 Äußerungen wie die letztere finden sich an vielen Stellen der Denkschrift des von seinen Fähigkeiten anscheinend durchaus überzeugten Fürsten; sie veranlaßten seine Kritiker nicht ganz ohne Grund, von einer "ans Lächerliche streifenden Selbstgefälligkeit und einer sein Urteil sowohl wie sein Pflichtgefühl verwirrenden Erbitterung über angeblich nicht anerkannte Verdienste"59 zu sprechen. Lichnowsky selbst hatte nicht beabsichtigt, seine als Privatmann und ohne genaue Unterlagen verfaßte kurze Denkschrift zu veröffentlichen. Sie diente nur seiner persönlichen Rechtfertigung vor der Familie und ausgesuchten Freunden. Ähnlich wie bei Muehlon gab es auch in diesem Fall eine Monate dauernde Vorgeschichte, in der vergebens versucht wurde, die weitere Verbreitung zu verhindern. Über den entscheidenden Vorgang gibt es in den Akten des Stellvertreters des Reichskanzlers, des süddeutschen Demokraten Friedrich von Payer, ein aufschlußreiches Protokoll vom August 1917. Es stammt von dem Bruder Maximilian Hardens, dem Geheimrat Richard Witting, der im Herbst 1916 die Denkschrift von Lichnowsky streng vertraulich erhalten hatte. Ostern 1917 lernte er den Hauptmann von Beerfelde kennen, der sich Witting "durch den Ernst seiner Auffassung, seinen un-

lichte wenigstens eine Zeitung den kompletten Text; "Die Aufzeichnungen des Fürsten Lichnowsky. Die vollständige Denkschrift", BBC, Nr. 135 (21.3.Ί8). Zuletzt ist noch die eigene Veröffentlichung Lichnowskys aus seinem Todesjahr zu erwähnen, "Auf dem Wege zum Abgrund. Londoner Berichte, Erinnerungen und sonstige Schriften", 2 Bde., Dresden 1927, hier 1. Bd., S. 93-141. 58

"Meine Londoner Mission" (ed. Nippold), S. 37.

5 9

M. Ritter, Ausbruch des Weltkrieges, S. 41. Ebd., S. 39, ist die Rede von "Willkür und Leichtfertigkeit". Auf etwas eigentümliche Art in Schutz genommen wird Lichnowsky von den Friedensfreunden, Denkschrift, S. 8: "Es ist kindisch, zu sagen: Der Fürst ist ein Idiot, also sind seine Mitteilungen auch idiotisch." Das Verhalten des Fürsten, der immerhin auf einem der wichtigsten diplomatischen Posten zu finden war, wirft die Frage nach den Qualifikationen der wilhelminischen Diplomaten auf. Sehr aufschlußreich hierzu L. Cecil: Der diplomatische Dienst im kaiserlichen Deutschland, in: K. Schwabe (Hg.), Das diplomatische Korps 1871-1945, Boppard a.Rh. 1985, S. 1539. Die Kritik an der deutschen Diplomatie war unter den Zeitgenossen weit verbreitet. Speziell zu Lichnowsky vgl. auch J.C.G. Röhl: Zwei deutsche Fürsten zur Kriegsschuldfrage, Düsseldorf 1971. 4 Dreyer/Lembcke

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

ermüdlichen Wissensdrang und das tiefe Streben nach Wahrheit empfahl·' 60. Das war eine freundlichere Formulierung dafür, daß Beerfelde in den Worten des ihm durchaus wohlgesonnenen Pazifisten Gerlach ein "Fanatiker der Wahrheit oder dessen, was er als Wahrheit erkannt zu haben vermeint" 61 war. Beerfelde, der bereits seinerseits die deutsche Kriegs- und Vorkriegspolitik in scharfen Eingaben an den Reichstag bekämpft hatte und auch mit einer Anzeige gegen Bethmann Hollweg "wegen amtlicher Urkundenfälschung [im deutschen Weißbuch, d.Verf.], verübt in seiner Eigenschaft als Reichskanzler und dadurch gleichzeitig begangenen Landesverrats" 62 hervorgetreten war, drängte Witting, ihm Einsicht in die Denkschrift Lichnowskys zu gewähren. Dies geschah auch, und zwar "unter dem ausdrücklichen Hinweis auf deren vertraulichen Charakter und gegen das Versprechen, sie an niemand weiterzugeben". Beerfelde brach nicht nur dieses Versprechen, schlimmer noch, er fertigte heimlich eine Abschrift an. Witting konnte den aufgebrachten Lichnowsky zunächst noch beruhigen, aber nicht für lange: "Ende Juli erhielt ich dann von Herrn von Beerfelde Abschrift eines von ihm an den Fürsten Lichnowsky gerichteten Briefes, der die Mitteilung enthielt, daß die Denkschrift durch ihn im vaterländischen Interesse vervielfältigt und an eine Anzahl dienstlicher Stellen sowie an politisch oder sonst hervorragende Persönlichkeiten verteilt worden sei. Er erwähnte in diesem Briefe ausdrücklich, er sei sich darüber klar gewesen, gegen meinen Willen

6 0 BAP, 07.03 Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 2 (Film 45060), Bl. 2-4. Niederschrift über Gespräch Geheimer Legationsrat Eckardt mit Richard Witting vom 28.8.Ί7. Alle weiteren Zitate Wittings sind aus diesem Gespräch. Ebd., Bl. 5-61, befindet sich auch eine maschinenschriftliche Abschrift der Denkschrift. 6 1 H.v. Gerlach: Der unwürdige Fürst, WaM, Nr. 33 (19.8.Ί8). Diese Charakterisierung ist verbreitet gewesen; fast ein Jahr später ("Beerfelde spricht. Die Schuld am Kriege", DAZ, Nr. 239 [29.5.'19]) wurde er zu den "ehrlichen, aber beschränkten Fanatikern" gerechnet. Eine umfassende Sammlung von Zeitungsausschnitten zu Beerfelde findet sich im BAP, 61 Re 1, Reichslandbund Pressearchiv, Personenarchiv Bd. 26, Bl. 153ff. u. passim.

f\1 H.G.v. Beerfelde, Michel wach auf!, Anlage 2, S. 25ff., hier S. 25, Anzeige gegen Bethmann Hollweg vom 10.7. 1918. Beerfelde saß wegen seiner Aktivitäten in Untersuchungshaft, wo er die Broschüre verfaßte. Die Denkschrift über die Fälschungen des Weißbuches hatte er am 1.7. 1918 dem Reichstag vorgelegt (S. 6), "dieser elendesten und verächtlichsten aller Volksvertretungen" (S. 1). Das Weißbuch war für Beerfelde eine einzige Ansammlung von Fälschungen, richtig gelesen ist es "für jeden ehrlichen Menschen die tief erschütternde, schwerste Selbstanklage unserer Regierung" (S. 8). Das Ultimatum an Rußland war für ihn "nicht nur eine technisch unmögliche, sondern betreffs Österreich eine vollkommen wahnsinnige Zumutung, in Wahrheit also die heuchlerisch versteckte Kriegserklärung" (S. 12). Daß militärische, nicht politische Gründe dafür entscheidend waren, ist eine "ewige Schande für unsere feige und daher ohnmächtige, außerdem elend verlogene politische Führung" (S. 12).

I. Die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg

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gehandelt zu haben, da ich ihm die Denkschrift zur streng vertraulichen Kenntnis und unter dem ausdrücklichen Hinweis, daß sie nur für mich bestimmt sei, gegeben habe." Witting hatte Beerfelde darauf seinen "Unwillen über den groben Mißbrauch des ihm geschenkten Vertrauens nicht vorenthalten", aber das wird diesen wenig beeindruckt haben, zumal Witting nicht einmal die Rückgabe der Abschriften verlangte. Das geschah erst später durch Beerfeldes vorgesetzte Behörde und auf Drängen Lichnowskys63, aber ein Erfolg war damit nicht mehr zu erreichen. Immerhin spricht es für die gute Auswahl der Adressaten der Denkschrift, daß es trotz ihrer hohen Zahl immerhin noch bis zum Frühjahr 1918, also fast ein Jahr dauerte, bis das unvermeidliche Leck erfolgte und der Weg in die Öffentlichkeit und auch ins Ausland nicht mehr zu verhindern war, so sehr sich Lichnowsky auch darum bemühte64. Prophylaktisch hatte man bereits im Herbst 1917 vertraulich um Stellungnahmen gebeten, die die Denkschrift des Fürsten wenn möglich vorab entschärfen sollten. Besonders ausführlich äußerte sich der Staatssekretär der

/ri

J Beerfelde, Michel wach aufì, S. 7, rühmte sich noch seiner Tat: "Lichnowskys Denkschrift wurde von mir nach vergeblichem Versuch, den Fürsten zum Vorgehen in eigener Angelegenheit zu bewegen, der Öffentlichkeit übergeben. Später vermittelte ich ihre Beförderung ins neutrale Ausland." Nach H.v. Gerlach: Der unwürdige Fürst, WaM, Nr. 33 (19.8.Ί9), waren es 40 prominente Persönlichkeiten, die Abschriften von Beerfelde bekamen. Auch Witting redete sich in dem zitierten Gespräch vom August 1917 damit heraus, daß die von Beerfelde angegebenen Namen der Empfänger, "darunter mehrere Fürstlichkeiten, mir die Gewähr dafür zu bieten schienen, daß sie keinen Unrechten Gebrauch davon machen würden". Daß sie auch an Reichstagsabgeordnete ging (die für Witting diese Gewähr offenbar nicht boten), will er nicht gewußt haben. Die sofortige Einleitung eines Verfahrens gegen Beerfelde, das mit seiner Verurteilung und Inhaftierung endete, kam zu spät; siehe "Der Kriegsschuldstreit", Berliner Volkszeitung, Nr. 173 (6.4.' 18). Fürst Lichnowsky selbst ("Auf dem Wege zum Abgrund", 1. Bd., S. 93 Fn.) sprach von einer "höchst bedauerlichen Indiskretion". In seiner Eingabe an das Herrenhaus (abgedruckt ebd., S. 224235, hier S. 225f.) schildert er den ganzen Vorgang und seine Schuldlosigkeit an ihm, was ihn jedoch nicht vor dem Ausschluß bewahrte. Auf den rein privaten Charakter der Schrift, die überhaupt nicht als Denkschrift gedacht war, verweisen die Friedensfreunde, Denkschrift, S.ll. Dies lasse einige peinliche Stellen harmloser erscheinen. Daß sie von einem Privatmann ohne Akten und Notizen aus der Erinnerung geschrieben wurde, erkläre viele ihrer Irrtümer (S. 7). Und ebd., S. 6: "Während beispielsweise der Verfasser von Taccuse' sein Werk in der ganzen Welt verbreitete, hat der Fürst die größten Anstrengungen gemacht, um nachträglich die gegen seinen Willen erfolgte Verbreitung zu verhindern. Man kann also wirklich nicht sagen, daß er sich zum Werkzeug feindlicher Propaganda macht." Das ist fraglos richtig. Man muß aber auch konstatieren, daß Fürst Lichnowsky sich nie von seiner Denkschrift distanziert hat. Im Gegenteil, alle Nachkriegsschriften bis hin zum "Weg zum Abgrund" lassen die gleiche Haltung erkennen, auch hinsichtlich mangelnder Genauigkeit und überzogener Selbsteinschätzung.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Julikrise, Jagow, der von Lichnowsky nicht eben freundlich behandelt wurde und der seinerseits kein gutes Haar an der Denkschrift ließ: "Sachlich bietet die Darstellung des Fürsten Lichnowsky eine solche Fülle von Unwichtigkeiten und Verdrehungen, daß es kaum Wunder nimmt, wenn seine Conclusionen auch gänzlich verfehlte sind. ... Zum Schluß scheint er sich fast mit dem Standpunkt unserer Feinde zu identifizieren." 65 Die persönlichen Angriffe der Schrift "richten sich von selbst", und auch Jagow spricht von "verletzter Eigenliebe"; die Schrift "wirkt pathologisch": "Um wie Fürst L. mit einem Zitat zu schließen, möchte ich an den Ausspruch des Gorkischen 'Vagabunden' erinnern: 'Immer, wenn der Mensch von sich selbst erzählt, ist er nicht aufrichtig. Im Unglück, um mehr Mitleid mit sich zu erregen, im Glück, damit man ihn mehr beneide, in allen Fällen, damit man ihm mehr Beachtung schenke."66 Damit hatte man alles getan, was man tun konnte und mußte abwarten. Im März 1918 war es so weit, und um das Maß voll zu machen, erschienen die Schriften Muehlons und Lichnowskys in so engem Abstand voneinander, daß sie zusammen einen schweren Schlag gegen die deutsche Propaganda bedeuteten. Ein ehemaliger Krupp-Direktor und ein ehemaliger Spitzendiplomat, die einhellig die deutsche Kriegsschuld anklagten - mit diesem Pfunde ließ sich wuchern. Trotzdem war das Echo auf die Schrift zwiespältig: "Lichnowsky gilt in Berlin als Hochverräter, in London als Strohmann der deutschen Regierung fur ihre Friedenspläne! Nichts beweist besser die Verwirrung, die die 'Sensation' Lichnowsky angerichtet hat." 67 In Deutschland aber war die öffentliche Empörung groß. Zwar griff die Zensur sofort ein, doch das Unheil hatte seinen Lauf schon genommen. Der

6 5 BAP, 07.03 Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 2 (Film 45060), Bl. 62-71, Bemerkungen zur Schrift des Fürsten Lichnowsky 'Meine Londoner Mission', gez. Jagow, dat. Mitau 2.10.'17, hier S. 18 (Bl. 69). 6 6 Alle Stellen ebd., S. 20 (Bl. 71). Dieser Satz ließe sich auch hervorragend auf die Memoiren nach Kriegsende anwenden, u.a. auf die von Jagow selber vorgelegten. Ein weiterer Kommentar zu Lichnowskys Schrift (ebd., Bl. 72-94) gibt an, daß Lichnowsky so wenig mit der Politik Berlins konform ging, "daß es für ihn beinahe die Regel war, das umgekehrte dessen zu tun, wozu er von hier aus angewiesen wurde", Bl. 84. 6 7

Friedensfreunde, Denkschrift, S. 9.

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Versuch, die Broschüre nach ihrer Veröffentlichung in der Schweiz wenigstens dadurch in ihrer Verbreitung zu beeinträchtigen, daß sie in Buchhandlungen und an Zeitungskiosken systematisch aufgekauft wurde, war ebenso aufwendig wie wirkungslos 68. Auch die bereits angesprochenen Aktivitäten zur Herausgabe eines neuen Weißbuches stellten eine amtliche Reaktion auf den Erfolg dar, den die Denkschrift Lichnowskys und die anderen kritischen Werke in der Öffentlichkeit genossen. Die Widerlegung dieser Angriffe schien im letzten Kriegsjahr einer kriegsmüden Bevölkerung gegenüber dringend geboten. Selbst wenn dieses neue Weißbuch noch erschienen wäre, hätte es der Verbreitung der Denkschrift Lichnowskys kaum Einhalt gebieten können. Konnte man also diese Verbreitung weder technisch noch geistig unterbinden, so konnte man sich jedenfalls an der Person des Urhebers in den Grenzen schadlos halten, die bei seiner Position möglich waren. Lichnowsky wurde aus dem Herrenhaus ausgestoßen, und von wenigen Ausnahmen unter den Pazifisten abgesehen, war das Verdammungsurteil über die Schrift Lichnowskys einhellig 69 . Am 16. März 1918 sprach man sich im Hauptausschuß des Reichstags über Lichnowsky und Muehlon aus. Nachdem sich Vizekanzler

/TO ° Der Hinweis hierauf findet sich in einer Anzeige in der NZZ, Nr. 714 (31.5.Ί 8), in der darauf verwiesen wird, daß die Denkschrift (ed. Nippold) auch direkt beim Verlag erhältlich sei. Das Presseecho im März 1918 war gewaltig, wie die umfangreichen Sammlungen von Zeitungsausschnitten zum Thema belegen, die man an verschiedenen Stellen findet; z.B. PA, WK adh 4, Bd. 10; PA, SchuldReferat. Akten betr.: Veröffentlichung Lichnowsky, Bd. 1; BAP, 07.03 Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 2, Film 45060; oder BAP, 61 Re 1 Reichslandbund. Pressearchiv, Personenarchiv Bd. 280. Nur ein durchaus typisches Urteil soll aus dieser Zeit zitiert werden, nämlich "Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky", DTZ, Nr. 142 (19.3.Ί8): Danach ist die Denkschrift "hervorgegangen aus gekränkter Eigenliebe und Eitelkeit, aus Größenwahn, der sich jeder Selbsterkenntnis und Selbstkritik verschließt, aus Rachebedürfiiis, dessen ungehemmte Befriedigung die Schranken amtlicher Schweigepflicht ohne Scheu und Bedenken durchbrechen läßt, und aus einer Verblendung und Unfähigkeit, die selbst unter den Diplomaten der Bethmannschen Zeit beinahe ohnegleichen dasteht." 6 9 H.v. Gerlach: Der unwürdige Fürst, WaM, Nr. 33 (19.8/18), stellte zu Recht eine angesichts der Zensur bestehende Eigentümlichkeit dieses Verdammungsurteils fest: "Zwar haben 99 Prozent der Deutschen keine Ahnung, was eigentlich in seiner berühmten Denkschrift steht. Trotzdem steht das 'öffentliche Urteil' über ihn fest." Zudem sei er in keinem der Hauptpunkte widerlegt worden. Ahnlich beinhaltet für O. Nippold, Vorwort zu seiner Edition, die Schrift die "schlichte Wahrheit". Unmittelbar nach Kriegsende lobte die "Freiheit" im Artikel "Ein Appell Lichnowskys", Nr. 3 (16.11.'18 M ) die Enthüllungen, da sie "trotz ihrer Lügenhaftigkeit und diplomatischen Einseitigkeit eine wichtige Aufklärung über die wahren Kriegsursachen für weite Kreise des deutschen Volkes, die durch Zensur und Lügenposse über den wirklichen Hergang im August 1914 schmählich und planmäßig getäuscht wurden", bedeutet hätten. Ganz anders die Kreuzzeitung, "Lichnowsky an England", in ihrer Morgenausgabe vom gleichen Tag: "Sein Verhalten im Kriege hat dicht an Landesverrat gegrenzt. Einen solchen deutschen Patrioten lehnen wir ab."

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Payer in Vorgesprächen mit den Parteien auf eine Linie geeinigt hatte, verlief die Debatte recht ruhig. Durchweg nahmen die Redner gegen eine Strafverfolgung Stellung, der Konservative v. Graefe versuchte Lichnowsky und Bethmann zu verbinden, da beide gleiche Illusionen über England gehabt hätten, Scheidemann machte auf das Mißverhältnis im Vorgehen gegen diese beiden und gegen einfache Arbeiter aufmerksam 70. Vielleicht hatten wenigstens einige Politiker, wenn schon nicht die öffentliche Meinung, das Gefühl, es könne im Frühjahr 1918 dringendere Probleme geben als die Strafverfolgung Lichnowskys und Muehlons. An solchen Problemen war kein Mangel, nur bei den Lösungen haperte es. Der Wendepunkt des Krieges war die Entscheidung zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg vom Januar 1917 gewesen. An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Graf Bernstorff malte aus Washington die Gefahr eines Kriegseintritts der USA in den düstersten Farben 71. Genügend Wirtschaftsführer, Publizisten und Politiker sahen die Folgen, aber nach einigen vergeblichen Anläufen setzte sich die Oberste Heeresleitung im Januar 1917 durch 72 . Damit war der Streit entschieden, und zwar endgültig, da "die Gegensätze zwischen Staatskunst und Kriegshandwerk, zwischen politischem und militärisch-technischem Denken so handgreiflich, so hart und so verhängnisvoll aufeinandergestoßen" sind, wie M(a)n keinem anderen Punkt der deutschen Kriegführung" - um den

7 0 "Der Hauptausschuß des Deutschen Reichstags 1915-1918". Eingel. v. R. Schiffers. Bearb. v. R. Schiffers u. M. Koch i. Verb. m. H. Boldt, 4. Bd., 191.-275. Sitzung 1918, Düsseldorf 1983, S. 2053. Zur Vorbesprechung bei Payer am 12.3. siehe BAP, 07.03, Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 2 (Film 45060), Bl. 163. Ebd., Bl. 95, findet sich eine undatierte Notiz, daß ein Disziplinarverfahren nicht in Frage komme, da Lichnowsky nicht mehr Beamter des Auswärtigen Amtes sei. Außerdem gäbe es unliebsames Aufsehen. Im Herrenhaus war Fürst Bülow einer der wenigen Gegner des Ausschlusses ("Denkwürdigkeiten", 3. Bd., S. 256). Es war wohl nicht nur die von ihm angegebene politische Harmlosigkeit Lichnowskys, die Bülow dazu bewog - er war immer willens, jemanden zu unterstützen, der Bethmann und Jagow Schwierigkeiten bereitet hatte.

71

Vgl. Graf J.H. Bernstorff: Deutschland und Amerika. Erinnerungen aus dem fünfjährigen Kriege, Berlin 1920, S. 9; ders.: Erinnerungen und Briefe, Zürich 1936, S. 120ff Generell zur deutschen Amerikapolitik und zur nicht immer eindeutigen Stellung Bemstorffs in ihr vgl. F. Koopmann: Diplomatie und Reichsinteresse, Frankfurt a.M. usw. 1990. 7 2 Vgl. nur M. Warburg: Aus meinen Aufrechnungen, New York 1952, S. 42; Th. Wolff, Tagebücher, passim; Κ. Riezler, Tagebücher, passim - um nur ein Beispiel für jede Gruppe zu nennen. Dagegen war Hindenburg auch nach dem Krieg davon überzeugt, daß die Entscheidung richtig gewesen war, "Aus meinem Leben", 121.-130. Tsd. Leipzig 1925, S. 228ff.

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Kulminationspunkt der meisterlichen Darstellung Gerhard Ritters zu zitieren 73 . Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg brachte den gefurchteten, nicht aber den erhofften Erfolg. Die USA traten in den Krieg ein, die Blockade Englands wurde nicht erreicht. Ein halbes Jahr später überstürzten sich die Ereignisse. Julikrisen sind anscheinend fatal für die deutsche Politik, sowohl 1914 wie 1917. Ganz geklärt ist der Komplex der Ereignisse um die Friedensresolution des Reichstages und den Sturz Bethmann Hollwegs bis heute nicht. Alle innenpolitischen Fronten wurden durcheinandergewirbelt; zeitweise gab es die absurde Allianz zwischen LudendorfF und Erzberger, dauerhaft ab dieser Zeit das wenig vorher gleichfalls kaum denkbar erscheinende feste Bündnis aus Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrumspartei 74. Dieses war das Meisterstück Erzbergers, jenes vielleicht sein größter politischer Fehler. Denn nicht der von ihm favorisierte Bülow, der vielleicht als einziger das Zeug gehabt hätte, den Primat der Politik gegenüber LudendorfF zur Geltung zu bringen, sondern Michaelis, der "sich ganz als junger Mann Ludendorffs" fühlte 75 , wurde der neue Kanzler. Seine Kanzlerschaft war wie die seines Nachfolgers Graf Hertling von einer geradezu monumentalen Belang-

7 3 G. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, 3. Bd., S. 144. Vgl. auch K.E. Birnbaum: Peace Moves and U-Boat Warfare, Uppsala 1958; Β. Tuchman: Die Zimmermann Depesche, Bergisch Gladbach 1982 (erstmals engl. 1959). Zu den ökonomischen Begleitumständen von Blockade und UBoot-Krieg vgl. G. Hardach: Der Erste Weltkrieg 1914-1918 (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2), München 1973, S. 19ff. u. S. 44ff; und v.a. die außerordentlich aufschlußreiche Untersuchung von A. Offer: The First World War: An Agrarian Interpretation, 2. Aufl., Oxford 1991. 7 4 Umfassend D. Stevenson: The Failure of Peace by Negotiation in 1917, in: Historical Journal, 34. Bd. (1991), S. 65-86. Generell vgl. W. Ribhegge: Frieden für Europa. Die Politik der deutschen Reichstagsmehrheit 1917/18, Berlin 1988. Zur Friedensresolution etwa M. Erzberger: Erlebnisse im Weltkrieg, Stuttgart u. Berlin 1920, S. 25 Iff.; F.v. Payer: Von Bethmann Hollweg bis Ebert, Frankfurt a.M. 1923, S. 28ff; E. Matthias, E. Pikart (Hg.), Reichstagsfraktion, Bd.2, S.263ff; K. Graf Westarp: Konservative Politik im letzten Jahrzehnt des Kaiserreiches, 2 Bde., Berlin 1935, hier Bd.2, S. 335ff. Nicht nur Westarp und die Konservativen waren Gegner der Friedensresolution, sondern beispielsweise auch Max Weber, der erst innere Reformen anmahnte (W.J. Mommsen: Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, 2. Überarb. u. erw. Aufl., Tübingen 1974, S. 278). H. Schulze: Weimar, Berlin 1982, S.143, spricht hier von der "Geburtsstunde der Weimarer Republik". Vgl. auch G. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 3, S. 563. Ebd., S. 55Iff, zur Julikrise. Eine dramatische Schilderung der Ereignisse bei Th. Wolff, Tagebücher, S. 509ff Kronprinz Wilhelm ("Erinnerungen", Stuttgart u. Berlin 1922, S. 82f.) trat für Bülow oder Tirpitz (sie!) als Kanzler ein, sein Vater war aber nicht zu überzeugen. 7 5 Ph. Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten, 2 Bde., Dresden 1928, hier Bd. 2, S. 65. Ebd., S. 41, gibt er seine Verblüffung angesichts der überraschenden Ernennung wieder, die sich in der schlichten und treffenden Frage ausdrückte: "Wer war das?"

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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losigkeit76, und das, während das Kaiserreich ohne es zu wissen bereits um seine Existenz zu kämpfen hatte. Die politischen Amateure der OHL hatten die Zügel in der Hand; sie nutzten sie, um nach innen alle Reformen zu verhindern, nach außen aber eine einzige Karte, die des totalen Endsieges, auszuspielen. Auch vor dem Durchbruch der Alliierten im August 1918 konnte man die Probleme sehen77, danach war es fast nicht mehr möglich, sie zu übersehen. Wem dies trotzdem gelang, der wurde im Oktober und November nur um so mehr überrascht. In den Wirren der Revolutionszeit erhielt auch die Kriegsschuldfrage eine neue Bedeutung.

IL Neuanfang oder Kontinuität - November 1918 1. Die Funktion der Kriegsschuldfrage

in der Revolutionszeit

Am 2. Oktober schrieb ein so weitsichtiger Geist wie Walther Rathenau im Berliner Tageblatt die folgenden Sätze: "Ein für allemal: Wir halten den Krieg beliebig lange aus, an Rohstoff, Nahrung, Menschenzahl, Kraft und Willen, mit mehreren, mit wenigen, mit keinen Genossen. Je länger wir ihn aushalten können und aushalten wollen, desto kürzer werden wir ihn auszuhalten haben."78

Payer ("Von Bethmann Hollweg bis Ebert", S. 39) nennt die Ernennung Michaelis' "ein[en] Akt kopfloser Verlegenheit", für Warburg ("Aufzeichnungen", S. 56) war Michaelis als Reichskanzler "nicht nur ungeeignet, sondern vollkommen unmöglich". Vgl. auch die Memoiren Michaelis' "Für Staat und Volk", Berlin 1922. Zu ihm E. Deuerlein: Deutsche Kanzler von Bismarck bis Hitler, München 1968, S. 174-192. Zu Hertling ebd., S. 193-216. 77

Vgl. etwa F.v. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 72ff, M. Warburg, Aufzeichnungen, S. 57ff. Von dem bedeutenden Hamburger Bankier Warburg stammt auch noch vom Juli 1918 eine letzte verzweifelte Denkschrift "Gedanken zur Fortbildung unserer auswärtigen und inneren Politik als Grundlage einer Verständigung der Völker", BAP, 07.03 Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 73 (Film 45068), Bl. 2-22; die erneut ungehört verhallte. Eine andere Einschätzung der Lage bei "Friedrich v. Berg als Chef des Geheimen Zivilkabinetts 1918. Erinnerungen aus seinem Nachlaß." Bearb. v. H. Potthoff, Düsseldorf 1971, passim. Generell G. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 4. Zu letzten Friedensbemühungen K. Schwabe: Die amerikanische und die deutsche Geheimdiplomatie und das Problem eines Verständigungsfriedens im Jahre 1918, in: VfZ, 19. Bd. (1971), S .1-32. 7 8 W. Rathenau: Festigkeit! BT, Nr. 503 (2.10.Ί8 M). Am 8.10. schrieb Rathenau an Maximilian Harden ("Politische Briefe", Dresden 1929, Nr. 107, S. 186): "Nach meiner Oberzeugung (obwohl ich nicht katastrophal zu denken gewohnt bin) treiben wir dem Bürgerkrieg, der Militärrevolte, dem Emährungsstreik entgegen, besiegelt durch die regellose Auflösung der Front Wir können uns nur retten, wenn wir Zeit gewinnen." Zu Rathenau siehe D. Felix: Walther Rathenau and the Weimar Republic, Baltimore u. London 1971; E. Schulin: Waither Rathenau, Göttingen usw. 1979; J. Joll: Prophet ohne Wirkung, in: Waither Rathenau: Tagebuch 1907-1922. Hg. u. komm. v. H. PoggeV. Strandmann, Düsseldorf 1967, S. 15-53.

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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Und selbst diese Zeilen muten noch wie ein Ausbund an Realitätssinn an, vergleicht man sie damit, daß Hindenburg praktisch gleichzeitig noch verlangt, "daß die Annexion von Briey und Longwy zur Bedingung des Waffenstillstandes gemacht werde" 79 und daß die "Kreuzzeitung" zwar nicht mehr von den lothringischen Kohlerevieren, wohl aber von Kolonien und Reparationen spricht 80. Zumindest mit der Prognose einer kurzen Kriegsdauer behielt Rathenau recht; gut einen Monat später hatte der Kaiser abgedankt, war ein vernichtender Waffenstillstand geschlossen und tobten die Straßenkämpfe der Revolution durch Berlin. Zu dem Zeitpunkt, als Rathenau seinen verzweifelten Durchhalteappell schrieb, schien die soeben begonnene Kanzlerschaft des badischen Thronfolgers Prinz Max noch eine letzte Chance für eine glimpfliche Beendigung des Krieges zu bieten. Prinz Max war eher überraschend und gegen den Widerstand der Umgebung des Kaisers in dieses Amt berufen worden. Noch am 27. September nennt Theodor Wolff in seinem Tagebuch den bisherigen Vizekanzler Payer, Bernstorff, Brockdorff-Rantzau und Kolonialstaatssekretär Solf als mögliche Kandidaten; der Name des Prinzen fehlt hier 81 . Er wurde von einer Gruppe von Abgeordneten um seinen linksliberalen Landsmann Conrad Haußmann ins Gespräch gebracht. Die damit versuchte

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So der damalige Gesandte und spätere kurzzeitige Außenminister der Republik, Friedrich Rosen in seinen Erinnerungen "Aus einem diplomatischen Wanderleben", Bd. 3/4 (in einem Buch), aus dem Nachl. hg. u. eingel. v. H. Müller-Werth, Wiesbaden 1959, S. 205. Hindenburgs Vorgänger in der OHL, Erich von Falkenhayn, stellte später realistischer fest ("Die Oberste Heeresleitung 1914-1916 in ihren wichtigsten Entschließungen", Berlin 1920, S. 241), daß die Kriegslage angesichts der "vielfachen Überlegenheit der Feinde an Kräften und Mitteln" stets ernst gewesen sei: "Nichts hat wahrscheinlich mehr zu dem jämmerlichen Ausgang des Krieges beigetragen als der Umstand, daß diese Tatsache erst zu der Zeit, als nichts mehr zu retten war, der Masse des Volkes enthüllt wurde." 8 0 G. Gloege: Welches Recht hat Frankreich auf Kolonialbesitz?, KZ, Nr. 498 (30.9.'18 M): "Über die Forderung, daß der kommende Frieden dem Deutschen Reiche einen für unsere Volkswirtschaft ausreichenden Kolonialbesitz bringen muß, herrscht ziemlich allgemeine Ubereinstimmung." Eventuell könnten die Kolonien Portugal oder Belgien abgenommen werden. "Auch an Frankreich wäre zu denken, zumal dieses Land bei der völligen Verarmung, der es unausbleiblich entgegengeht, gar keine anderen Wertobjekte besitzt, die für uns in Betracht kämen." 8 1 Th. Wolff, Tagebücher, S. 628f. F.v. Berg, der als Chef des Zivilkabinetts im letzten Kriegsjahr einen verhängnisvollen konservativen Einfluß auf den Kaiser ausübte, schlug am 29.9. noch einen Soldaten als Diktator vor - was nach Lage der Dinge nur Ludendorff sein konnte. "Mit dieser Meinung stand ich ganz allein" ("Erinnerungen", S. 179f), was wohl nur Berg überrascht haben dürfte. Dann wurde von Hertling Prinz Max genannt, "den ich durchaus ablehnte, und der Kaiser stimmte mir zu" (S. 180).

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

"Improvisierung des Parlamentarismus" 82, die im Parforceritt in wenigen Tagen alle Versäumnisse seit 1890 nachzuholen versuchte, konnte nicht gelingen. Zum letzten Mal gelang es den Beratern des Kaisers, diesen ohne größere Mühe zu einem verhängnisvollen Kurs zu bewegen, als er sich an seinen Thron klammerte und über eine mögliche Abdankung nicht einmal sprechen wollte. Dafür sprachen andere immer lauter davon. Auch wenn es durchaus zweifelhaft ist, ob der rechtzeitige Thronverzicht von Kaiser und dem noch stärker diskreditierten Kronprinz die Dynastie gerettet und die Revolution verhindert hätte, wäre es den Versuch wert gewesen. Ein letztes Mal steht über der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. jenes "zu spät", das ihr charakteristisches Merkmal war 83 . Die außenpolitische Hauptaufgabe der Regierung war die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen, deren sofortigen, überstürzten und damit fatalen Beginn Ludendorff ebenso ultimativ erzwang wie 1917 den UBoot-Krieg. Nur langsam begann man in der Bevölkerung den Ernst der Lage zu begreifen; selbst die politische Führung war durch Ludendorffs

oy Dieser Ausdruck stammt von dem Innenminister der Revolution und Vater der Weimarer Verfassung, Hugo Preuß, in einem warnenden Artikel in der "Norddeutschen Allgemeinen" (der späteren DAZ) vom 26.10.'18 (erneut in Preuß' posthumer Aufsatzsammlung "Staat, Recht und Freiheit", Tübingen 1926, S. 361-364). Ph. Scheidemann, Memoiren, Bd. 2, S. 248, gibt dem entsprechenden Kapitel die Überschrift "Reformen im Galopp". Zur Regierung des Prinzen Max vgl. Prinz Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, 6.-10. Tsd., Berlin u. Leipzig 1927; F.v. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 84ff.; und gegen ihn Kronprinz Wilhelm, Erinnerungen, S. 290; K. Graf Westarp, Konservative Politik, Bd. 2, S. 645ff. Außerdem E. Matthias, E. Pikart (Hg.), Reichstagsfraktion, S. 417ff.; E. Matthias, R. Morsey (Hg.): Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Düsseldorf 1962; G. Schulz: Revolutionen und Friedensschlüsse 1917-1920, 6. Aufl., München 1985, S. 132ff; W. Sauer: Das Scheitern der parlamentarischen Monarchie, in: E. Kolb (Hg.): Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Köln 1972, S.77-99; S. Miller: Die Bürde der Macht, Düsseldorf 1978, S. 23ff.; E. Deuerlein, Deutsche Kanzler, S. 217-238; F. Klein, Deutschland im ersten Weltkrieg, Bd. 3, S. 43Iff. Zur Abdankungsdebatte etwa die Aufzeichnungen von Wolff ("Tagebücher", passim), Payer ("Von Bethmann Hollweg bis Ebert", S. 148ff), Rosen ("Wanderleben", Bd.3/4, S. 209), Berg ("Erinnerungen", S. 191f.) und Groener ("Lebenserinnerungen", Göttingen 1957, S. 440ff.). Rosen, Berg und General Groener, der Nachfolger Ludendorffs, zählten zu den Ratgebern, die die Abdankung kategorisch ablehnten. Groener (S. 451) gab später immerhin zu, daß es ein Fehler war, noch am 6.11. den Kaiser in dieser Frage zu bestärken. Das sahen der Kronprinz Wilhelm ("Erinnerungen, S. 273ff.) und der Kaiser ("Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918", Leipzig u. Berlin 1922, S. 237) begreiflicherweise anders. Vgl. auch E. Matthias, R. Morsey (Hg.), Regierung des Prinzen Max, S. 397ff.; W.J. Mommsen, Max Weber, S. 310f.; K.-H. Janßen: Der Untergang der Monarchie in Deutschland, in: H. Rößler (Hg.), Weltwende 1917, Göttingen usw. 1965, S. 90-115; H. Neuhaus: Das Ende der Monarchien in Deutschland 1918, in: HJb, 111. Jg. (1991), S. 102-136.

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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Verlangen völlig überrascht und schockiert 84. Den ganzen Monat Oktober hindurch wurde die Reichsregierung mit Eingaben, Aufrufen und Kundgebungen überschüttet, in denen teils die Fortsetzung des Krieges bis zur letzten Patrone, teils dessen sofortige Beendigung gefordert wird. Ein Geheimrat Knoch aus Hannover bot Payer an, sich seiner oftmals erprobten "divinatorische[n] Gabe"85 zu bedienen, aber Ende Oktober benötigte man keinen Hellseher mehr, um den wahrscheinlichen weiteren Gang der Ereignisse vorherzusehen. Die Revolution besiegelte die Oktoberkrise. Harry Graf Kessler notierte am 9. November in sein Tagebuch: "Mir griff es doch an die Gurgel, dieses Ende des Hohenzollernhauses; so kläglich, so nebensächlich, nicht einmal Mittelpunkt der Ereignisse." 86

8 4 Eine sehr dramatische Schilderung bei F.v. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 125ff. Vgl. E. Matthias, R. Morsey (Hg.), Regierung des Prinzen Max, S. 65ff u. S. 115ff.; G. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 4, S. 283ff ; G. Schulz, Revolutionen und Friedensschlüsse, S. 158ff.; K. Schwabe: Deutsche Revolution und Wilson-Frieden, Düsseldorf 1971, passim. Zu den WilsonNoten drückte sich der Diplomat Rosen später ("Wanderleben", Bd. 3/4, S. 208) recht unprofessionell aus: "Wir fühlten wohl alle innerlich die grenzenlose Unehrlichkeit dieses kaltblütigen Schwindlers aus seinen kühlen und kargen Antworten heraus, aber nachdem nun einmal dieser Weg beschritten war, mußte er auch zu Ende gegangen werden. An ein levée en masse, wie sie Rathenau damals empfahl, konnten nur Träumer denken. Der Notenwechsel wurde noch von der Entente mit katzenhafler Grausamkeit wochenlang hingezogen, bis schließlich im Walde von Compiegne unsere Unterhändler bei Foch den Waffenstillstand erbitten mußten." 8 5 Das Schreiben Knochs an Payer vom 26.10/18 (BAP, 07.03 Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 74 (Film 45068), Bl. 57-61) ist immerhin fünf Schreibmaschinenseiten lang, mit vielen Beispielen für erfolgreiche Vorhersagen und dem Angebot, dafür Zeugen mit Orts- und Straßennamen zu benennen. Jetzt helfe nur noch "[tausendfache Propaganda!!" beim Feind. Viel realistischer sind auch zahlreiche andere an gleicher Stelle gesammelte Schreiben nicht. Vgl. auch die Akten BAP, 07.01 Reichskanzlei, Nr. 2442/5, Bd. 1 u. 2 (Film 13169/70) zum gleichen Thema. Höhepunkt an dieser Stelle ist das Schreiben eines Dr. Uscherosch an Prinz Max vom 4.11. (Bd. 2, Bl. 83), wonach sofort ein Thronwechsel erfolgen müsse; einzig möglicher Kaiser sei der Herzog von Braunschweig. Da Prinz Max als zu naher Verwandter dies nicht vorschlagen könne, müsse Rathenau neuer Reichskanzler werden. Auch diesem Vorschlag wurde nicht nähergetreten. 8 6 H. Graf Kessler: Tagebücher. 1918 bis 1937. Hg. v. W. Pfeiffer-Belli, Frankfurt a.M. 1982, S. 17. Vgl. auch etwa G. Noske: Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie, Offenbach a. M. 1946, S. 66ff.; K. Graf Westarp, Konservative Politik, Bd. 2, S. 629ff; E. Matthias, R. Morsey (Hg.), Regierung des Prinzen Max, S. 487AF. Dokumente der Revolutionszeit bei Wippermann/Purlitz: Deutscher Geschichtskalender. Ergänzungsband: Die deutsche Revolution, Bd. 1, Leipzig o.J. Vgl. auch z.B. S. Miller, Bürde der Macht, S. 72 (wo der Revolutionsbegriff nur mit Einschränkung angewendet wird); H.A. Winkler: Die Sozialdemokratie und die Revolution von 1918/19, Berlin u. Bonn 1979; G. Schulz, Revolutionen und Friedensschlüsse, S. 140ff; F. Klein, Deutschland im ersten Weltkrieg, Bd. 3, S. 493ff

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Die Wucht der Ereignisse war so groß, daß sogar der preußische Konservativismus für einen Moment die Niederlage eingestehen mußte87. Die liberale Presse würdigte gebührend, daß sich ein Erzreaktionär wie Graf Reventlow für die Republik erklärte 88. In gleichem Atem wehrte man sich aber von rechter Seite gegen die mit dem Waffenstillstand drohende Zahlung einer Kriegsentschädigung: "Diese Bedingung ist ... entwürdigend. Sie verschiebt das Bild von der Schuld des Krieges, sie soll uns als die Angreifer und Mordbrenner hinstellen, als die uns die Lügenpropaganda der Entente während des ganzen Krieges bezeichnet hat. Wir sollen gekennzeichnet sein für alle Zeiten als moralisch minderwertige Boches. Hier fühlt man die haßerfüllte Rachsucht Clemenceaus, die sich mit dem Ziele Englands trifft, ein für allemal sich eines wirtschaftlichen Konkurrenten zu entledigen. ... Auf Menschenalter hinaus werden wir unsere Arbeitskraft, die den Engländern so verhaßt ist, in den Sklavendienst unserer brutalen Feinde stellen müssen."89 Mit scharfem Auge hatte man hier erkannt, daß der Kriegsschuldfrage mit dem Ende des Krieges auf einmal eine neue Dimension beizumessen war: sie drohte, für die kommenden Friedensverhandlungen von großer Relevanz zu werden. Auch für die Revolutionäre, die im Novembersturm die alten Gewalten hinweggefegt hatten, bekam die Kriegsschuldfrage eine neue Bedeutung, galt es doch nun, das Volk endlich über die wahren Hintergründe des Krieges und damit über die Schuld der Machthaber des Kaiserreiches aufzuklären. Außenpolitische Nachteile befürchtete man nicht: "Wie können wir ins Unrecht gesetzt werden? Diskreditiert sind die Träger des alten Systems. Aber die

8 7 G. Foertsch: Die Friedensbedingungen der Entente, KZ, Nr. 569 (7.11.Ί8 M): "Darüber müssen wir uns klar sein: Deutschland ist besiegt, Deutschland wird einen Unterwerfungsfrieden annehmen. Sein Schicksal ist besiegelt." 8 8 "Reventlow als Republikaner", BT, Nr,587 (16.11.Ί8): "Das ist eine ungemein krasse Bankerotterklärung des alldeutsch-imperialistischen Gedankens durch seinen herausragendsten Vertreter. Graf Reventlow wirft die monarchische Idee wie einen alten Plunder fort." 8 9 G. Foertsch: Die Friedensbedingungen der Entente, KZ, Nr. 569 (7.11.'18 M). Selbst der Vorwärts hatte noch kurz vor Ende der Kämpfe ("Wilson für Waffenstillstand", Nr. 294 [25.10.Ί8]) zwar die Annahme der Forderungen Wilsons mangels Alternative befürwortet. Doch solle man sich darüber im klaren sein, daß die Deutschen auf Dauer nicht wehrlos gehalten werden können, wenn die Sieger einen gerechten Frieden hinter ihre Machtinteressen zurückstellten.

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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Existenzberechtigung der neuen Regierung beruht doch auf dem Willen, etwas von Grund auf Neues zu schaffen." 90 Hieran knüpfte sich die Forderung, das alte Regime bloßzustellen, um so die Revolution auch geistig durchzufuhren. So hatte die USPD-Zeitung "Republik" eine tägliche Rubrik "Der Pranger", in der alle diejenigen namhaft gemacht werden sollten, die Deutschland ins Unglück gestürzt hatten. In bunter Folge wurde aus Büchern und Reden zitiert, wurden Politiker aller Parteien, Militärs, Wirtschaftsführer und Gelehrte als Kriegstreiber entlarvt. Der Kaiser war in den Augen der "Republik" noch nicht einmal der Schuldigste: "Schuldig waren die Männer, denen die furchtbare Maschinerie des Militarismus anvertraut war und die mit ihr die Verwirklichung ihrer imperialistischen Ideen erzwingen wollten. Jene Machtpolitiker und Gewaltmenschen, die den Krieg an sich in Büchern und Broschüren verherrlichten, in ihm ein Stahlbad oder zumindest einen Regenerationsprozeß sahen, die von einem frischfröhlichen Krieg zu sprechen wagten, die das Recht und die Pflicht zum Kriege nachweisen. Diese Männer und die ihnen helfenden Schwerindustriellen und Bankherren waren in erster Linie die Schuldigen. Ihnen folgte - als betrogene Betrüger - der Schwärm der Ideologen, Gelehrten, Künstler, Journalisten, Dichter. Es gibt keine Würdelosigkeit, die sie nicht begingen. Von Ihnen empfing die Bourgeoisie ihre Meinungen, ihre Urteile, ihre Forderungen, ihre Kriegsziele, ihre Stimmungen. Vier Jahre lang." 91 Diese Instrumentalisierung der Kriegsschuldfrage stempelte sie für die innenpolitische Auseinandersetzung der Revolutionszeit zu einem Symbol der Einstellung für und wider das alte Regime und damit für und wider die Revolution. Die Regierung der Volksbeauftragten agierte dabei vorsichtiger,

9 0 9 1

"Ein Skandal", Freiheit, Nr. 22 (27.11/18 M).

Die Rubrik beginnt mit Nr. 463 (7.12/18), das Zitat ist aus Nr. 8 (sie!) vom 10.12., "An den Pranger!". Die Liste der zu verurteilenden Kriegsverbrecher bestand für die "Republik" aus - in dieser Reihenfolge - (1) dem gesamten Vorstand des Alldeutschen Verbandes, (2) Tirpitz, (3) Ludendorff, (4) Falkenhayn, (5) Dulsberg, (6) Wilhelm von Hohenzollem, (7) Friedrich Wilhelm von Hohenzollem, (8) Henninger [der Polizeidirektor von Berlin], (9) Graf Reventlow [von der "Deutschen Tageszeitung"], (10) Redakteure und Hintermänner der "Deutschen Zeitung", (11) H. St. Chamberlain, (12) Dietrich Schäfer [ein nationalistischer Publizist] und letztlich (13) Helfferich. Eine etwas bizarr wirkende Rangfolge von Politikern, Militärs und Publizisten, aus denen nur der Wirtschaftsführer Dulsberg herausfällt.

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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als es insbesondere dem Parteivolk der USPD lieb war. Es fehlte daher auch nicht an Klagen über die "charakterschwache und unendlich säumige Revolutionsregierung" 92. Selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre eine auf die Mitarbeit der Beamtenschaft und des Militärs angewiesene Regierung kaum in der Lage gewesen, völlig rücksichtslos mit dem alten Regime zu brechen93. Die Forderungen der linken Regierungskritiker kulminierten in zwei Punkten. Zum einen wurde ein Gerichtshof verlangt, der die Schuld der alten Machthaber am Ausbruch des Krieges juristisch feststellen und der die Überführten ihrer gerechten Strafe zuführen sollte94. Zum anderen war es die Veröffentlichung der für den Kriegsausbruch relevanten Akten, die auch von den Spitzen der USPD vehement gefordert wurde. Karl Kautsky, der als Beigeordneter dem Auswärtigen Amte angehörte, drängte bereits seit Beginn der Revolution auf die Sicherstellung und Durchsicht der Akten, von denen er wie seine Genossen die Bestätigung für die deutsche Kriegsschuld und damit die erhoffte Anklage gegen das alte Regime erwartete. Nachdem der Arbeiter- und Soldatenrat auf eigene Faust im Auswärtigen Amt erschienen war, um die

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H.G.v. Beerfelde, Michel wach aufl, S. 2.

Zur Kontinuitätsproblematik W. Elben: Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution, Düsseldorf 1965; die Aufsätze in E. Kolb (Hg.): Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Köln 1972, v.a. auch die Einleitung des Herausgebers S. 9-35; und S. Miller, Bürde der Macht, S. 163ff. 9 4 Die Auffassung, daß die Linken sich kaum an der Debatte über eine mögliche rechtliche Bestrafung beteiligt hätten (etwa U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 25ff.), ist nicht haltbar. So behauptet F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 61, daß Revolutionstribunale zwar nahegelegen hätten; "(a)ber eine Forderung dieser Art sucht man in den revolutionären Kundgebungen dieser Tage vergebens". Das ist schlicht falsch. So berichtet Ebert auf der Reichskonferenz am 25.11. 1918, daß ein Antrag eingegangen sei, der den Staatsgerichtshof für die Kriegsschuldfrage fordere (abgedruckt in "Die Regierung der Volksbeauftragten", bearb. S. Miller, 2 Bde., Düsseldorf 1969, hier 1. Bd., S. 187). Die entsprechende Forderung des Arbeiter- und Soldatenrates Bayerns wird dokumentiert in der Germania; "Ein Staatsgerichtshof', Nr. 554 (27.11.Ί8 A); und in der DAZ; "Forderung eines Reichsgerichtshofs", Nr. 604 (27.11.' 18 A); der DAZ war diese Meldung immerhin die Schlagzeile ihrer Abendausgabe wert. Für den Staatsgerichtshof auch H.v. Gerlach: Verbrecher-Album 1914, WaM, Nr. 48 (2.12.Ί8). In zahlreichen Beiträgen der spartakistischen Roten Fahne wird gleichfalls diese Forderung erhoben; z.B. "Die Brandstifter vor Gericht", Nr. 10 (25.11.Ί 8); "Und Ihr?", Nr. 11 (26.11.); "Hehler an der Arbeit", Nr. 12 (27.11.); "Vor das Revolutions-Gericht", Nr. 13 (28.11.). Und vor allem findet sich in den Nummern 12 (27.11.), 13 (28.11.), 15 (30.11.) und 17 (2.12.) an hervorgehobener Stelle und eigens eingerahmt der folgende, gleichbleibende Text: "Wir fordern: die unverzügliche Bildung eines Revolutionstribunals vor dem die ganze Verbrecherbande, in erster Linie die beiden Hohenzollem, Vater und Sohn, und der Reichskanzler Bethmann Hollweg abzuurteilen sind. Wilhelm von Hohenzollem ist zur Rückkehr aufzufordern, damit er sich vor diesem Gericht rechtfertige. Die Mitschuldigen an der Anstiftung des größten Verbrechens der Weltgeschichte, die Scheidemann und Ebert, die David und Heilmann, muß das revolutionäre deutsche Proletariat jetzt mit eiserner Faust von sich weisen, sonst hat es kein Recht, vor den französischen, englischen und russischen Proletariern, vor der Internationalen zu erscheinen."

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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Akten vor ihrer befürchteten Vernichtung durch die alten Beamten zu retten, stimmte das Kabinett endgültig der Sicherung und Bearbeitung der Akten durch Kautsky zu 95 . Kautskys Parteifreund Kurt Eisner vertrat die gleichen Ansichten über eine Aktenpublikation. Anders als der Beigeordnete Kautsky konnte er jedoch als Ministerpräsident Bayerns auf eigene Verantwortung handeln. Genau dies tat er auch.

2. Die Aktenpublikation

Kurt Eisners

Am 23. November berichtete die "Deutsche Allgemeine Zeitung" von einem Empfang, den Eisner Vertretern der Entente-Presse gewährt hatte96. Eisner führte hierbei die Revolution nicht auf die Niederlage im Weltkrieg zurück, sondern auf die Ablehnung des Krieges überhaupt durch das deutsche Volk. Eisner gab die deutsche Schuld am Kriegsausbruch unumwunden zu; verantwortlich sei aber nur ein kleiner Kreis von Militärs, Schwerindustriellen und Alldeutschen. Dem Volk könne man nur seine unpolitische Haltung vorwerfen. In Bayern selbst seien auch die leitenden Stellen, darunter Kronprinz

9 5 Vgl. Protokolle der Kabinettssitzungen vom 18.11. und 23.11/18 ("Regierung der Volksbeauftragten", 1. Bd., S. 102 u. S. 139). Haase verlangte die Beschlagnahme der Akten, dementsprechend wurde beschlossen. Für das Auswärtige Amt sollten Kautsky und David die Akten prüfen. Der zunächst (am 18.11.) in Aussicht genommene Gustav Mayer wurde nicht damit betraut (Sitzung vom 23.11.). Vgl. Mayers "Erinnerungen", München 1949, S. 31 Off. Offenbar mochte Kautsky auch auf die Mitarbeit seiner Frau nicht verzichten, was die Germania unter dem Titel "Frau Kautsky im Auswärtigen Amt", Nr. 568 (5.12/18 A) zu einem süffisanten Kommentar veranlaßte: "Frau Kautsky ist in das Auswärtige Amt eingezogen. Natürlich hat das nicht das mindeste mit Vetternwirtschaft zu tun, die man lediglich im alten Obrigkeitsstaat unter dem Namen Protektionswirtschaft kannte, und die die Sozialdemokratie dort immer auf das eifrigste und mit gutem Recht bekämpfte. Nein, Frau Kautsky ist es nur darum zu tun, im Auswärtigen Amt einmal zu zeigen, was arbeiten heißt. Schon ihr Einzug hat das sofort erkennen lassen; sie braucht nicht etwa wie andere Oberbeamte des Auswärtigen Amtes ein Arbeitszimmer fur sich, sondern sie verlangte nach mehreren Arbeitszimmern und einem Salon, sowie nach einem Auto fur ihre werte Person. Letzteres selbstverständlich nicht zum Spazierenfahren, sondern nur, um nicht eine Minute Zeit zu verlieren, die der Arbeit gewidmet werden könnte. Ebenso ist der Salon unentbehrlich, um der diplomatischen Höflichkeit gerecht zu werden, die verlangt, daß jeder Besucher im Auswärtigen Amt auf das feudalste empfangen werde. Die Revolution wird sich doch nicht nachsagen lassen, daß sie in der Beziehung die Tradition der guten alten Zeit nicht zu überbieten wisse. Leider hat sich nämlich herausgestellt, daß das Auswärtige Amt auf so viel guten Willen gar nicht eingerichtet war - es verfügt nicht über einen einzigen Salon. Die immer geschwätzige Fama berichtet nun, ein diplomatischer Vermittlungsvorschlag sei dahin gegangen, Frau Kautsky möge mit einer - Küche fürlieb nehmen." 9 6 "Der bayerische Ministerpräsident über den Umsturz", DAZ, Nr. 569 (23.11/18 M). Vgl. "Vier deutsche Republiken?", VZ, Nr. 604 (26.11/18 M).

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Rupprecht, ohne Kenntnis der Berliner Kriegsabsichten gewesen. Eisner Schloß seine Ausführungen mit dem Hinweis, daß er in Berlin die Veröffentlichung der Kriegsakten verlangt habe97. Am gleichen Tag übergab er durch die offiziöse "Korrespondenz Hoffmann" seinerseits aus den bayerischen Archiven einen zunächst dem damaligen Gesandten in Berlin, Graf Lerchenfeld, zugeschriebenen Bericht vom 18. Juli 191498. Diesem knappen Schriftstück, das in der Zeitungsveröffentlichung nicht ganz eine Seite umfaßte, ließ sich entnehmen, daß die Berliner Regierung entgegen allen während des Krieges vorgebrachten Beteuerungen sehr wohl den Text des überscharfen österreichischen Ultimatums an Serbien gekannt hatte. Daß dies zum Krieg mit Serbien führen mußte und "die Gefahr eines Krieges mit Rußland" berge, wurde dort keinesfalls übersehen. Mehr noch, Wien wurde demnach geradezu von Berlin zu einer harten und unnachgiebigen Haltung gedrängt. Durch diplomatische Manöver solle Überraschung angesichts des Ultimatums geheuchelt werden, die Vermittlungsaktion Greys werde "den Gang der Dinge nicht aufhalten" 99. Die Motive, die Eisner zu diesem Schritt der Veröffentlichung bewogen, sind bereits oben angesprochen worden und kamen auch in seinem Pressegespräch zum Ausdruck. Ebenso wie Kautsky und die USPD hielt er es für erforderlich, einen radikalen Schlußstrich unter die Vergangenheit des Kaiserreiches zu ziehen. Dem deutschen Volk sollten die Sünden seiner früheren Machthaber vor Augen geführt werden, dem Ausland sollte auf

97

y ' Zu Eisner vgl. F. Eisner: Kurt Eisner: Die Politik des libertären Sozialismus, Frankfurt a.M. 1979; F. Schade: Kurt Eisner und die bayerische Sozialdemokratie, Hannover 1961; speziell zur Eisnerschen Veröffentlichung etwa W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 140ff.; F. Klein, Deutschland im ersten Weltkrieg, Bd. 1, S. 16. Unverzichtbar zum Hintergrund A. Mitchell: Revolution in Bayern 1918/19, Mönchen 1967, v.a. S. 109ff. Vgl. auch F.J. Bauer (Hg.): Die Regierung Eisner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Dokumente, Düsseldorf 1987; obwohl hier zur eigentlichen Aktenedition erstaunlich wenig zu finden ist. 7 0 QO Veröffentlicht in der "Bayerischen Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger", Nr. 275

(26.11.' 18). Bereits einen Tag vorher erschien er unter der Schlagzeile "Die Entlarvung der Schuldigen", in der Freiheit, Nr. 18 (25.11.'18 M); nach deren Abdruck wir zitieren. Der Bericht findet sich ebenfalls z.B. in der Roten Fahne ("Die Brandstifter vor Gericht", Nr. 10 [25.11.]), als kommentarlose Wiedergabe in der Kreuzzeitung ("Urkunden über den Ursprung des Krieges", Nr. 600 [25.11. M]) und in der Vossischen ("Lerchenfelds Berichte", Nr. 602 [25.11. M], und "Bayerische Enthüllungen", Nr. 604 [26.11. Ml). 9 9 Das letzte aus einem Telefonat Lerchenfelds mit München vom 31.7. 1914, veröffentlicht an gleicher Stelle der Freiheit wie in der letzten Fn.

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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diese Art demonstriert werden, daß das neue, revolutionäre Deutschland nichts mehr mit dem alten Regime gemein habe. Außenpolitischen Nachteile befürchtete Eisner nicht, im Gegenteil, in einem offenen Schuldbekenntnis erblickte er die einzige Chance für das demokratische Deutschland, zu einem Neuanfang mit dem Vertrauen der Völker und damit zu einem passablen Friedensschluß zu kommen. Zudem war im neutralen und feindlichen Ausland ohnehin überreichliches Material angesammelt, das die deutsche Kriegsschuld beweisen konnte, so daß auch in dieser Hinsicht eine Veröffentlichung nichts schaden konnte. Daß es dem extremen Partikularisten Eisner daneben auch um die Distanzierung Bayerns vom Reich wie von den Folgen des verlorenen Krieges ging, wird man als zusätzliches Motiv annehmen können 100 . Als Motor der Veröffentlichung wurde sofort Friedrich Wilhelm Foerster genannt, den Eisner zum bayerischen Gesandten in Bern ernannt hatte. Foerster, als Pädagoge einer der führenden Vertreter dieser Wissenschaft in Deutschland, als engagierter christlicher Pazifist aber schon vor dem Krieg einer der schärfsten Kritiker des Wilhelminismus, war im Weltkrieg in die Schweiz emigriert, wo er nun "die moralische Seite der bayerischen Revolution" 101 vertreten sollte. Foerster verfügte über gute Kontakte zu wichtigen Politikern der Entente. Aus dem Umkreis Clemenceaus sollte die Anregung gekommen sein, daß ein Schuldeingeständnis die deutsche Position verbessern könne, und dies wurde von Foerster so weitergereicht. Er selbst hat diese Darstellung mehrfach

1 0 0 Zu diesen Intentionen Eisners vgl. F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 64; "Proteste gegen die Waffenstillstandsbedingungen", BT, Nr. 579 (12.11.'18 M) [über eine Note, die Eisner über die Schweiz an Wilson, Großbritannien, Frankreich und Italien sandte]; "Vier deutsche Republiken?", VZ, Nr. 604 (26.11.'18 M); Fr.W. Foerster: Mein Kampf gegen das militaristische und nationalistische Deutschland, Stuttgart 1920, S. 29. Eisner hat den Gedanken der offen zu bekennenden deutschen Kriegsschuld immer und immer wieder verfochten; auch mit dem Hintergrund, daß die Tatsachen dem Ausland ohnehin bereits bekannt seien. Vgl. seine "Rede in der 2. Sitzung des Provisorischen Nationalrats am 13.12.1918", in: F. Eisner (Hg.), Sozialismus als Aktion, Frankfurt a.M. 1975, S. 83-96, hier S. 93f.; "Schuld und Sühne", in: ebd., S. 133-138, hier S. 135; "Die neue Zeit", München 1919, S. 21, S. 35 u. S. 76; "Unterdrücktes aus dem Weltkriege", München usw. 1919, S. 4f. Über das in der deutschen Propaganda gem gebrauchte Argument von der kriegsauslösenden russischen Mobilmachung heißt es ebd., S. 11 : "Mobilmachungen sind Sicherheitsmaßnahmen bei drohendem Krieg, aber selbst an sich weder Kriegsdrohungen, noch Kriegsursachen." 1 0 1

Fr.W. Foerster: Erlebte Weltgeschichte 1869-1953, Memoiren, Nürnberg 1953, S. 211. Zu ihm K. Töpner: Gelehrte Politiker und politisierende Gelehrte, Göttingen usw. 1970, S. 42ff ; W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 140; M. Dreyer, Föderalismus, S. 525ff. 5 Dreyer/Lembcke

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

vehement abgestritten 102, vorderhand fachte sie jedoch das Feuer der Empörung weiter an, das sich von der Revolutionsregierung wie von der deutschen Öffentlichkeit gegen die Publikation Eisners wie gegen die Personen Eisners und Foersters richtete103. Das Auswärtige Amt protestierte umgehend und in wenig freundlicher Form gegen das einseitige Vorgehen Eisners, das geeignet sei, Deutschland in schlimmster Weise einseitig zu belasten und den Feinden, allen voran Clemenceau, Waffen fur einen Vernichtungsfrieden gegen Deutschland in die Hand zu geben. Der Staatssekretär des Außenamtes, Wilhelm Solf, ging auf der Reichskonferenz am 25. November scharf mit Eisner ins Gericht, und auch Scheidemann sprach davon, daß die Veröffentlichung "wie ein Keulen-

102 Yg| foersters "Mein Kampf', S. 29: "Ich habe von der ganzen Sache keine Ahnung gehabt und keinen anderen Rat in bezug auf die Schuldfrage habe ich gegeben, als den, die deutschen Grenzen für die Anklageliteratur des Auslandes zu öffnen." Ähnlich "Die Münchener Enthüllungen", Freiheit, Nr. 27 (29.11.'18 A). Die Angriffe hörten jedoch nicht auf, und am 7.9. 1919 setzte sich Foerster in einem Brief an Hans Delbrück erneut gegen dessen Vorwurf zur Wehr, er habe die Veröffentlichung angeregt (BA, N L Delbrück, Nr. 78). Daß er jedoch inhaltlich mit Eisner übereinstimmte, bekundet seine "Erlebte Weltgeschichte", S. 305. Ebd., S. 21, nennt er Eisner einen "der aufrichtigsten Idealisten unter den älteren sozialistschen Führern", der "der Geistigkeit und Menschlichkeit des achtzehnten Jahrhunderts an(gehörte)" (S. 26). Foerster selbst hatte nur wenig Freunde in Deutschland; einzig Haase wies in der Kabinettssitzung vom 23.11.'18 ("Regierung der Volksbeauftragten", 1. Bd., S. 140) auf seine Erfolge in Bern hin und empfahl ihn als Vertreter für Deutschland. Demgegenüber wird in einer Aufzeichnung des Auswärtigen Amts vom Januar 1919 (PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 11, H233930) Foersters Tätigkeit in Bern als schädlich beurteilt. Er wirke separatistisch und versuche nur für Bayern politische und handelspolitische Vorteile zu ergattern. Zudem umgebe er sich "angeblich ... mit einem sehr üblen Kreis von Menschen", zu denen auch Muehlon zähle. 10l Zu den Vorwürfen gegen den "sattsam bekannte(n) Prof. Foerster", der Clemenceaus "arglistiges Ansinnen" nicht durchschaute oder gar teilte, z.B. "Die Veröffentlichungen zur Vorgeschichte des Krieges", KZ, Nr. 603 (26.11.'18 A); A.v. Weissenbach: 'Enthüllungen' und 'Beweise', Schles. Ztg. Nr. 620 (5.12.Ί8). Vgl. "Die bayerischen Dokumente", DAZ, Nr. 602 (26.11/18 A): Foerster war "von einem Vertrauensmann Clemenceaus die Mitteilung zugegangen, daß ein ehrliches Bekenntnis Deutschlands in der Frage der Schuld am Kriege eine Beschleunigung des Friedens herbeiführen würde. Herr Clemenceau hat damit wohl andeuten wollen, daß die Entente Milderungsgründe gelten ließe. In Wirklichkeit ist es ihm aber zweifellos nur darum zu tun, Deutschland ins Unrecht zu setzen." Zur Gutgläubigkeit Eisners Th. Wolff LA, BT, Nr. 615 (2.12/18): "Er glaubt, einen Mann wie Clemenceau durch Beweise pazifistischer Bekenntnistreue milder stimmen zu können, und wie er in seinen Gedanken Clemenceau mit einem Idyllenschäfer verwechselt, so verwechselt er in seinen Methoden die Politik mit dem Münchener Karneval." Ahnlich die Germania, LA, Nr. 553 (27.11/18 M): Eisner stützt sich auf "denjenigen Staatsmann in den Reihen unserer Feinde ..., welcher uns fraglos am meisten übel will". H. Delbrück: War es zu vermeiden?, in: Pr.Jbb., 175. Bd. (1919), S. 127-131, hier S. 127, glaubt bei Eisner an reines Parteiinteresse. Das BT kramte sogar alte Artikel Eisners von 1913 aus, in denen dieser für große Rüstungsvorlagen plädiert hatte ("Kurt Eisner, der Kriegshetzer", Nr. 612 [30.11/18 M]). Die Verfehlung, 1914 kurz an die Unschuld Deutschlands geglaubt zu haben, wird von H. Ströbel in der Einleitung zu Eisners "Schuld und Sühne", Berlin 1919, S. 3-15, hier S. 9, zugegeben. Trotzdem hätte Eisner den Stuhl des Reichspräsidenten einnehmen sollen, "auf den jetzt eine ironische Zufallslaune und politische Hilflosigkeit einen weder im Guten noch im Bösen hervorstechenden Dutzendmenschen gesetzt hat" (S. 5).

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schlag gewirkt" habe 104 . Eisners Verteidigung, daß diese Angriffe wie Vortrüge der alten Regierung klängen, wirkte demgegenüber wenig überzeugend. Mit diesem Echo auf seine Aktion hatte der bayerische Ministerpräsident nicht gerechnet. Die unzweideutige Distanzierung der Berliner Volksbeauftragten beruhte dabei nicht einmal so sehr auf einer abweichenden inhaltlichen Auffassung, als vielmehr auf einer anderen und wohl auch realistischeren Einschätzung der Folgen der Veröffentlichung 105. Daß die Entente tatsächlich durch ein Schuldgeständnis milder zu stimmen sei, war eine reichlich optimistische Annahme, und in der Tat entsprach die Aufnahme des Berichtes im Ausland auch keineswegs den Intentionen Eisners. Solf hatte noch versucht, die Wirkung durch ein Rundtelegramm an alle Missionen abzuschwächen; Graf Lerchenfeld "hat die ihm zu Teil gewordenen Informationen mit umlaufenden Gerüchten vermengt und hat dadurch seinem Bericht einen sicherlich ungewollt sensationellen Anstrich gegeben"106. Das war natürlich nicht sehr eindrucksvoll. Fast täglich telegraphierte der Gesandte v. Romberg aus Bern zur Wirkung der Eisner-Publikation. So etwa am 27. November: "Wie ich von verschiedenen zuverlässigen Seiten erfahre, herrscht in Ententekreisen heller Jubel übe die Veröffentlichung des Grafen Lerchenfeld. Man ist der Überzeugung, daß man uns jetzt ganz in der Hand habe und mit uns machen könne, was man wolle." 107 Auch die Reaktion der Öffentlichkeit in Deutschland war überwiegend, wenn auch nicht nur ablehnend. Auf die offizielle Kritik reagierte Eisner damit, daß er - als bajuwarischer ErzfÖderalist - die Beziehungen zum

1 0 4

"Regierung der Volksbeauftragen" 1. Bd., S. 189. Zu Solf ebd., S. 160; die Verteidigung Eisners ebd., S.161. Zur Haltung des Auswärtigen Amtes vgl. P. Grupp: Deutsche Außenpolitik im Schatten von Versailles 1918-1920, Paderborn 1988, S.86ff 1 0 5 Prinzipiell anderer Auffassung ist H.A. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung, Berlin u. Bonn 1984, S. 214f. u. passim.

106 PA, Wk adh 4, Bd. 12, Bl. 194-195. 1 0 7

Ebd., Bl. 202; vgl. auch Bl. 208 u. Bd. 13, Bl. 3 u. Bl. 9. Vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 25. Warum Heinemann (S. 36) die Berichte Rombergs als reine Zweckpropaganda abtut, bleibt unerfindlich. B.W.v. Bülow ("Die Behandlung der Schuldfrage", S. 1, undat. DS, BA, N L Delbrück, Nr. 48), hält Eisner für den "wirkungsvollsten" Vertreter der neuen Richtung, die "laute Schuldbekenntnisse für eine politische Tat, für ein nützliches Beginnen hielten". Und weiter: "Ihre verhängnisvollen Folgen wurden vom jeweiligen Minister des Äußeren [also Solf und BrockdorffRantzau, d.Verf.] nicht verkannt."

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Auswärtigen Amt abbrach. In der Parteipresse der USPD finden sich zu dieser Zeit täglich Artikel, die für Eisner Stellung nehmen und die gegen Solf und Erzberger hetzen und beide Staatssekretäre zum Rücktritt auffordern 108 . Die Regierung stellte sich zwar hinter die beiden, aber wenigstens die Stellung Solfs war keineswegs so sicher, wie er das dachte. Wenig später stürzte er tatsächlich und wurde durch Brockdorff-Rantzau ersetzt 109 . Uneingeschränkte inhaltliche und formale Zustimmung fand Eisner in erster Linie bei der USPD, die hier endlich auch die dokumentarische Bestätigung für ihre schon lange gehegte Überzeugung fand. Die Genugtuung über diese Bestätigung ist bei aller Empörung deutlich zu merken: "Man ist fassungslos. Wovor soll man sich mehr entsetzen? Vor der abgrundtiefen Dummheit dieser Menschen, die ein großes Reich in der Tat ganz unumschränkt regieren und die bar sind jeder politischen Vernunft und Einsicht? Oder vor der grenzenlosen Frivolität, vor diesem bodenlosen Leichtsinn, vor dieser abgründigen Gewissenlosigkeit, mit der das deutsche Volk, mit der die Völker der Welt in Tod und Verderben geschickt werden? Geschickt von wem? Von einem Wilhelm und seinen Generalen, von einem Bethmann, Jagow und Zimmermann! Und welcher Ekel faßt einen vor der Heuchelei, die dieses Charakterbild aus Dummheit, Brutalität und Gewissenlosigkeit erst ganz vollendet. Erinnert man sich noch des Geschreis über welsche Hinterlist, über das perfide Albion? Und begreift man jetzt, welche Gefühle dieses verhetzende Treiben bei all jenen auslöste, die den Zusammenhang erkannt hatten? Ah, wie sie uns höhnten und verfolgten, wie sie uns in Haft und Gefängnis jagten, weil wir nicht ihre Werkzeuge waren!" 110

108 V g | H D a s Auswärtige Amt als Friedensstörer", Freiheit Nr. 24 (28.11/18 M). Gegen die Kritik an Eisner Fr.W. Foerster, Erlebte Weltgeschichte, S. 305: "Welche Kurzsichtigkeit! Es kam ja doch in diesem Augenblicke alles darauf an, den geschädigten Völkern einen klaren Beweis von einer deutschen Sinnesänderung zu geben und dadurch das Vertrauen zu stärken." 1 0 9 Zu Solf etwa W. Elben, Problem der Kontinuität, S. 1 lOf. Lobend H. Holbom: Diplomats and Diplomacy in the Early Weimar Republic, in: G.H. Craig, F. Gilbert: The Diplomats 1919-1939, Princeton 1953, S. 123-171, hier S. 130f.; völlig kritiklos E.v. Vietsch: Wilhelm Solf. Botschafter zwischen den Zeiten, Tübingen 1961. 1 1 0

"Die Entlarvung der Schuldigen", Freiheit, Nr. 18 (25.11/18 M).

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In ähnlicher Form äußerten sich auch die Parteipresse der Spartakisten, die nicht nur die Gelegenheit nutzte und die "unverzügliche Bildung eines Revolutionstribunals ... für diese Schurken" forderten, sondern auch den Sozialdemokraten ihre Kriegspolitik vorhielten, mit der sie "als Agenten jener Verbrecherbande an der imperialistischen Brandstiftung tätig" mitmischten 111 . Die MSPD blieb die Antwort nicht schuldig, und wenn sie auch generell die Enthüllungen Eisners in ihrem sachlichen Kern begrüßt hatte 112 , so befand sie sich doch andererseits in München wie in Berlin in scharfer Frontstellung gegen Eisner. Wenn die Reaktionäre in Eisner einen Verbrecher sahen, dann war er für seine sozialistischen Gegner günstigstenfalls ein Narr 1 1 3 . Aber wurde unter den Sozialisten aller Schattierungen wenigstens die Opportunität der Veröffentlichung nicht bestritten, sah dies schon unter den Pazifisten anders aus. Hellmuth von Gerlach begrüßte sie mit ähnlicher Argumentation wie Foerster, für

1 1 lM

D i e Brandstifter vor Gericht", RF, Nr. 10 (25.11/18).

Der Vorwärts kommentierte unter der Überschrift "Die Schuld der deutschen Machthaber am Kriege" (Nr. 324 [25.11/18]): "Man hat uns gesagt, in Berlin habe man das Wiener Ultimatum an Serbien nicht gekannt. Eine Lüge! Berlin habe Wien zur Zurückhaltung ermahnt. Eine Lüge! Berlin hat Wien umgekehrt aufgeputscht. Wilhelm sagte in seiner Proklamation: 'Mitten im Frieden hat uns der Feind überfallen!' Eine bodenlosfreche, niederträchtige, schamlose Lüge. Und diese Bande elender Massenmörder, die in der Revolution durch den Großmut des Volkes wirklich glimpflich davongekommen ist, denkt noch immer daran, ihre blutbefleckte, lügenbeschmutzte Herrschaft noch einmal aufrichten zu können? Das Volk hat sie mit Schimpf und Schande davongejagt und sie können ihrem Gott auf Knieen danken, daß sie noch so davongekommen sind!" Genüßlich konstatiert die Freiheit am 25.11/18 (Nr. 19 A) "Verlegenes Schweigen" der bürgerlichen Seite; mit einer Ausnahme: "Herr Graf Reventlow freilich ist schamlos genug, den Mund aufzureißen. Ihn treibt sein alter Haß gegen Bethmann. Er ist mit dem Arrangement des Weltkrieges nicht zufrieden, er hätte es schlauer gemacht." Iii Etwa "Der Fall Kurt Eisner. Eine Münchener Revolutions-Episode", Vorwärts, Nr. 331a (2.12/18 A): Eisner mit seiner "zügellos schweifende(n) Phantasie" sei mehr Dichter als Politiker. "Als am 8. November die Kunde kam, daß Eisner bayerischer Ministerpräsident geworden sei, erfüllte Heiterkeit die Redaktionsstuben, sie pflanzte sich fort in die Setzer- und Maschinensäle. Es war keiner unter uns, der Eisner nicht von alter Zeit her liebte und schätzte, keiner, der ihm übel wollte oder mißachtete." Und weiter: "Kasperlekomödie des Lebens, frei nach Frank Wedekind, von Kurt Eisner mit dem Dichter in der Hauptrolle. München-Schwabinger Naturtheater. In fünf Minuten geht der Vorhang herunter und dann ist Schluß." Vgl. auch E. Kuttner: Kurt Eisner, der Unkompromittierte, Vorwärts, Nr. 327 (28.11/18); ders.: Der Fall Eisner. Ein Rechtfertigungsversuch, Vorwärts, Nr. 329 (30.11/18). Vgl. hierzu "Eisner und Kriegsausbruch" (sic!), Germania, Nr. 557 (29.11/18 M), wo der erste Artikel Kuttners zustimmend abgedruckt wird. Kuttner warf Eisner vor, daß er den Kriegskrediten zugestimmt habe, obwohl er alle Informationen bereits gehabt habe. Eisner sei also keineswegs "besser" als die von ihm kritisierten Mehrheitssozialdemokraten. Allerdings gingen die innersozialistischen Kritiker nicht so weit wie ein ungenannter Informant des Auswärtigen Amtes, der festgestellt haben wollte, daß Eisner schon seit Jahren britischer Agent sei! (PA, NL BrockdorffRantzau, Az 11, H233956-61; dat.v. 10.2/19).

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Ludwig Quidde hingegen war sie "grober Unfug" 114 , da sie als einseitige Belastung den Frieden erschwere, solange nicht auch die Feinde ihre Archive öffneten. Ansonsten war die Reaktion der politischen Kräfte einhellig ablehnend. Allenfalls drückte sich Bestürzung darüber aus, daß Eisners Publikation "die schlimmsten Befürchtungen, zu denen man schon seit langem gezwungen war, vollauf bestätigt habe" 115 . Generell aber kritisierte man die Tendenz, daß mit solchen Aktionen der Entente in die Hände gespielt und den deutschen Interessen geschadet werde; zudem wurde die Substanz des Berichtes in Frage gestellt 116 . Als einer der Hauptbetroffenen meldete

1 1 4 L. Quidde: Schuldfragen ohne Ende, MNN, Nr. 602 (28.11/18) u. Nr. 606 (2.12/18). Da das alte System schon gestürzt sei, ist die Publikation unsinnig. Natürlich liege Schuld auch bei Deutschland, aber einen Kriegswillen sieht selbst Quidde eher bei Rußland und Frankreich: "Der Unterschied ist nur der, daß die deutsche Schuld sozusagen mit Händen zu greifen, durch ein paar Dokumente klar zu beweisen ist, während die Verschuldung der Gegenseite viel komplizierter unter der Oberfläche liege (sie!), womit aber nicht gesagt ist, daß sie geringer zu sein braucht/' Die Kernaussagen des Quidde-Artikels sind zustimmend abgedruckt als "Zur Vorgeschichte des Krieges", FZ, Nr. 331 (29.11/18, 2. M). Vgl. auch "Quidde gegen Eisner", Germania, Nr. 591 (19.12/18 M), wo eine Rede Quiddes aus dem bayerischen Vorparlament wiedergegeben wird. Anders H.v. Gerlach: VerbrecherAlbum 1914, WaM, Nr. 48 (2.12/18): "Man hat Kurt Eisner einen Vorwurf daraus gemacht, daß er jetzt durch seine Veröffentlichung den Finger auf einen Schandfleck der deutschen Politik gelegt habe. Zu Unrecht. Die Lüge hat uns in den Abgrund gezogen. Nur die Wahrheit kann uns wieder aufwärts führen." Und in der Sache selbst schreibt Gerlach, daß der "Cäsarenwahn Wilhelms II. ... jeden friedlichen Ausgleich (hinderte). Eine kriegslustige Generals- und Admiralsclique, eine bis zur Gotterbärmlichkeit schwache und schwankende Regierung, ein Monarch, für den man höchstens den § 51 des Reichsstrafgesetzbuches in Anspruch nehmen könnte - und das Weltunglück war da." 1 1 5 So der Leitartikel der FZ, Nr. 328 (26.11/18 M). Und weiter: "(W)ir schauen mit Schaudern in die Abgründe unserer eigenen Politik." Auch die FZ spricht sich gegen Solf und Erzberger aus. Am gleichen Tag ("Vom Ursprung des Krieges") zeigt die FZ Verständnis dafür, daß Eisner diesen Beleg für die Richtigkeit seiner schon lange verfochtenen Thesen veröffentlichte, auch wenn dies der Entente willkommen gewesen sein wird. Das Aktenstück zeige den "verbrecherische(n) Leichtsinn" der deutschen Regierung. Schon einen Tag vorher schreibt Theodor Wolff in seinem LA, BT, Nr. 602 (25.11/18 M), daß die Dokumente "auch den gutmütigsten Zweiflern die Mitschuld des ancien régime am Kriege klar beweisen." Recht sachlich auch der Artikel in den rechten BNN, "Ich habe es nicht gewollt", Nr. 601 (25.11 /18 A): "Mit aller Schärfe aber muß betont werden, daß diese Schuldbeweise lange noch keine Schuldlosigkeitsbeweise für unsere Feinde bedeuten.... Was der bayerische Ministerpräsident mit seinen Veröffentlichungen bezweckt, ist doch kein Geheimnis. Er wünscht, daß den Petersburger und Münchener Enthüllungen solche in Paris und London folgen, damit die Völker eines Tages wissen, daß alle Völker von ihren Regierungen betrogen worden, daß alle Regierenden des gleichen Verbrechens an ihren Völkern schuldig sind. Ein ideales Bestreben, dem nur die Erfüllung versagt bleiben wird, weil die Sieger drüben ebenjene Regierenden selbst sind, die sich hüten werden, die Aktenschränke zu öffnen und wohl auch die Kraft haben, sie verschlossen zu halten." 1 1 6

Vgl. "Die Münchener Geheimakten", Magdeburger Ztg., Nr. 880 (20.11/18); "Die Wirkung der bayerischen Enthüllungen", Vorwärts, Nr. 327 (28.11/18); "Die Schuld am Kriege", Hamburger Nachr., Nr. 603 (27.11/18); "Vor dem Trümmerfeld", MNN, Nr. 594 (24.11/18). Im letzten Artikel

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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sich auch Bethmann in der offiziösen "Deutschen Allgemeinen Zeitung" zu Wort, um in den von ihm stets bevorzugten moderaten Worten seine Politik gegen die Angriffe zu verteidigen. Sein Argument, "daß, wenn man der Wahrheit dienen will, man nicht Bruchstücke herausgreifen und aus ihnen Gesamtfolgerungen ziehen darf' 1 1 7 , wurde dankbar auch von dem Teil der Öffentlichkeit aufgegriffen, der sonst keineswegs zu den Anhängern des ersten Kriegskanzlers zählte. Damit rückte für einen Moment die Person Bethmann Hollwegs, der sich nach dem Juli 1917 nach Hohenfinow zurückgezogen hatte, wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. So schwankend, wie das Bild von Bethmann Hollweg in der Forschung ist, vor allem, seitdem er in der Fischer-Kontroverse in das Zentrum der Auseinandersetzung rückte, so schwankend erschien es auch schon den Zeitgenossen. Der "Philosoph von Hohenfinow" stand neben dem Kriegshetzer und dem schwachen Zauderer, der deutsche Chancen verstreichen ließ - je nach dem Standpunkt des Betrachters. Jetzt, in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den ersten Monaten des Jahres 1919 gab es für Bethmann allerdings noch verschiedentlich Gelegenheit, persönlichen Mut und Aufrichtigkeit zu beweisen. Auch wenn dies nicht notwendig die Eigenschaften sind, die einen Reichskanzler auszeichnen müssen, ist der persönliche Eindruck,

wurde die ganze Schuldfrage abgelehnt: "Die Überlegung, daß auch mit ihrer rückhaltlosesten Beantwortung nichts mehr an den Tatsachen zu ändern ist, versagt dabei." G.: Der Enthüllungsrummel, Bayer. Kurier, Nr. 328 (25.11.'18), versuchte den Spieß umzudrehen: "Zu den Hauptschuldigen rechnen wir aber diejenigen, welche jetzt mit 'Enthüllungen' aufwarten können, früher aber geschwiegen haben. Wer von einem 'verbrecherischen' Tun oder Unterlassen der früheren Regierungen Kenntnis hatte und seine Kenntnis nicht der zuständigen Stelle, also dem Reichstage, zur rechten Zeit zur Kenntnis brachte, der ist in unseren Augen genau so schuldig wie die Regierung." Als späte Zustimmung zu Lichnowsky, Beerfelde oder Muehlon hat dies wohl niemand mißverstanden. Die KZ geißelte die Veröffentlichung als "einseitig und lückenhaft" und entnahm ihr gleichzeitig, daß man in Berlin an den Frieden geglaubt habe und daher keine Schuld trage ("Die Münchener Veröffentlichungen", Nr. 601 [25.11.'18 A]). Ähnlich Graf Reventlow, der seine Beurteilung, "Bethmann Hollweg und seine Paladine hätten den Weltkrieg nicht gewollt, sondern seien in ihn hineingestolpert", weil ihr "Bluff' mißlang, vollauf bestätigt sieht: "Daß aber ihre Unbereitschaft, ihre Urteils- und Schätzungsfehler, ihre Unentschlossenheit und ihre eklatante Unterlegenheit gegenüber den Staatsmännern der Entente auf das erheblichste am Kriege und an der unglücklichen Art der Verwicklung Deutschlands in den (sie!) schuld sind, wird kaum bestritten werden können. Wenn Dilettanten und Schwache den Machiavelli zu spielen versuchen, muß es schief gehen und gibt es ein Unglück" ("Urkunden über die Kriegsursachen", DTZ, Nr. 599 [25.11.Ί8 M]). 1 1 7 "Herr v. Bethmann Hollweg über die bayerischen Dokumente", DAZ, Nr. 603 (27.11.'18 M). Allgemein hierzu den nächsten Punkt.

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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den Bethmann hierbei hinterläßt, wesentlich günstiger als der einiger anderer Akteure des Krieges, vor allem im Vergleich zu Ludendorff 118. Die große Erregung über die Eisnersche Veröffentlichung hielt zunächst nicht lange an, und mit der Ermordung Eisners schien auch die Diskussion über den Gesandtschaftsbericht mit ins Grab gesunken zu sein 119 . Dem war jedoch nicht so. Zwar konnte nun eine bereits projektierte Polemik zwischen David und Eisner natürlich nicht mehr stattfinden, aber zumindest das offizielle Interesse erlahmte nicht. Eine Vorlage des Auswärtigen Amtes stellte am 2. Februar 1919 bedauernd fest: "Ich hatte gehofft, auf Grund von Eisners Buch 'Unterdrücktes aus dem Weltkriege' ließe sich eine Polemik zwischen David und ihm inscenieren. Gegen den toten Eisner kann man aber natürlich nicht ankämpfen. Vielleicht findet sich eine andere Gelegenheit."120 Wenn damit die Hoffnung auf eine mögliche Schädigung des Rufes von Eisner gemeint war, fand sich diese Gelegenheit sehr bald. Es lag an sich

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1 An zeitgenössischen Urteilen vgl. F.v. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 183ff; B.v. Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. 3, S. 157ff., S. 264f. u. passim (der ganze Band ist allein dem Nachweis der Unfähigkeit seines Nachfolgers gewidmet); Kaiser Wilhelm, Ereignisse und Gestalten, S. 105ff.; Kronprinz Wilhelm, Erinnerungen, S. 107 (ablehnend); H. Frhr.v. Liebig: Die Politik von Bethmann Hollwegs, 2. Aufl., München 1919 (völkisch-ablehnend); K. Kautsky: Wie der Weltkrieg entstand, Berlin 1919 (sozialistisch-ablehnend). Einen Forschungsüberblick gibt K. Hildebrand: Bethmann Hollweg. Der Kanzler ohne Eigenschaften?, Düsseldorf 1974. Vgl. G. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 3, passim; K.-D. Erdmann, Beurteilung Bethmann Hollwegs; E. Deuerlein, Deutsche Kanzler, S. 141-173; K.-H. Janßen: Der Kanzler und der General, Göttingen usw. 1967; E.v. Vietsch: Bethmann Hollweg, Boppard a.Rh. 1969 (völlig unkritisch); K.H. Jarausch: The Enigmatic Chancellor, New Haven u. London 1973. Der vorläufig letzte biographische Abriß ist von J. Dülffer in seiner Einleitung der Neuausgabe von Bethmanns "Betrachtungen zum Weltkriege", Essen 1989, S. 1-37, wo diesem bescheinigt wird, er sei "in erstaunlichem Maße lemfahig und selbstkritisch [gewesen] - ein Reformkonservativer, würde man heute sagen" (S. 35). 1 1 9 Die Reaktionen auf den Mord an Eisner waren heftig. Nicht nur für seine Genossen war der Mord "eine Schmach und eine Schande für das deutsche Volk" ("Ermordung Kurt Eisners", Freiheit, Nr. 94 [22.2.'19 M] - die ganze Seite trug unter dieser Überschrift einen Trauerrand). Vgl. H. Ströbel: Durch zur Wahrheit, Berlin 1919, S. 17: "Ein letztes Band, das Deutschland noch mit der Kulturwelt verbunden, ist damit zerrissen!" Auch Theodor Wolff sprach von einer "abscheuliche(n) Tat" (LA, BT, Nr. 83 [21.2.Ί9 A]). Die Rote Fahne ("Am Abgrund", Nr. 36 [22.2/19]) hatte die wahren Schuldigen schnell ausfindig gemacht: Ebert, Scheidemann, Noske! Insofern befand sie sich in Übereinstimmung mit der Kreuzzeitung, für die die etwaige Verantwortlichkeit der Konservativen "blühender Blödsinn" war; Schuld sei die Revolution ("Die Münchener Mordtaten", Nr. 89 [22.2/19 A]). Als mögliche neue Außenminister Bayerns waren nach Eisners Tod, nebenbei erwähnt, Muehlon und Foerster im Gespräch ("Landestrauer für Kurt Eisner", BT, Nr. 89 [25.2/19 M]). 1 2 0 Die von Bülow stammende Vorlage des Amtes findet sich im PA, WK adh 4, Bd. 14, Bl. 2. Siehe von Eisner etwa "Die Historien des Reichstagsabgeordneten David", Republik (6.2/19).

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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schon nahe, die von Eisner nicht veröffentlichten Gesandtschaftsberichte daraufhin zu überprüfen, ob sie möglicherweise entlastendes Material enthalten könnten. Anfang Mai wurde dieser Gedanke dringend, als die Friedensdelegation in Erfahrung gebracht zu haben glaubte, daß die Entente die deutsche Kriegsschuld mit dem von Eisner veröffentlichten bayerischen Bericht vom 18. Juli 1914 begründen wollte. Haniel, der Leiter der politischen Kommission in Versailles, verlangte darauf von Berlin die Übersendung der Originalberichte, was intensive Nachforschungen auslöste. Da die Akten im bayerischen Außenministerium nicht auffindbar waren, richtete sich der Verdacht schnell gegen die Witwe Eisners und ungenannte frühere Mitarbeiter, in erster Linie wohl seinen Sekretär Fechenbach. Bei Hausdurchsuchungen wurde man in der Tat fundig, hängte die ganze Sache aber nicht an die große Glocke 121 . Das änderte sich im Sommer. Erneut war es die "Deutsche Allgemeine", in der der ehemalige Legationsrat an der bayerischen Gesandtschaft, Hans von Schoen, mit einer Überraschung aufwartete 122. Seine Mitteilung, der Bericht stamme gar nicht vom Grafen Lerchenfeld, sondern aus seiner Feder, war an sich noch keine Neuheit; die Berichtigung dieser ersten Falschmeldung war unmittelbar nach der Veröffentlichung durch Eisner selbst erfolgt 123 . Sensationell wirkte aber sein Vorwurf, Eisner habe eine "wohldurchdachte Entstellung und Unterdrückung der Wahrheit" vorgenommen, indem er Teile

1 2 1 Der Gedanke, die vollständigen Akten zu überprüfen, tauchte schon am 3. März in dem in der vorigen Anmerkung zitierten Aktenstück auf: "In diesem Zusammenhange bitte ich anregen zu dürfen, ... Erkundigungen danach einzuziehen, wie das von Eisner nicht veröffentlichte bayerische Material über Kriegsausbruch (sie!) aussieht. Wenn es, wie anzunehmen, im wesentlichen günstig lautet, könnte man, wenn sich München wieder beruhigt hat, Eisners Nachfolger veranlassen, eine vollständige Aktenveröffentlichung vorzunehmen. Das würde die Eisnerenthüllung, an der wir besonders schwer tragen, wesentlich entwerten." Am 5.5.'19 folgte dann das Telegramm des Gesandten v.Haniel (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 18), auf das Unterstaatssekretär Langwerth v. S immern am 11.5. zurücktelegraphierte, daß die Originale nicht auffindbar seien (ebd., Bl. 67). Langwerth äußerte zugleich seinen Verdacht: "Stücke wahrscheinlich von Eisner ins Ausland gebracht, vielleicht auch bei der Witwe Eisners oder seinen Mitarbeitern verborgen." Die bayerische Regierung werde diskrete Nachforschungen anstellen. Diese waren gleich doppelt erfolgreich. Am 17.5. übersandte der bayerische Gesandte in Berlin, Dr. v. Preger, an Brockdorff-Rantzau die Berichte aus der Zeit vom 2.7. bis 5.8.Ί4, "insbesondere" den vom 18.7. (PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 191). Auf die Hausdurchsuchungen verzichtete man aber trotzdem nicht, und auch hierbei wurden wichtige Akten gefunden, wie der Gesandte in Bayern, Riezler, am 20.5. an das Auswärtige Amt telegraphieren konnte (ebd., Bl. 204). 1 2 2 H.v. Schoen: Die Entstellung der Wahrheit durch Eisner, DAZ, Nr. 367 (2.8.Ί9 M). Die weiteren Zitate ebd.

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Ursprung des Krieges", FZ, Nr. 328 (26.11.Ί8, 2.M) mit dem Nachtrag am Schluß.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

ausgelassen hatte, die direkt die deutsche Unschuld bewiesen. Es sei daher der "traurige Ruhm" Eisners, am "Lügennetz" der Alleinschuld mitgewirkt zu haben. Schoen hatte vor der Veröffentlichung des Artikels in einem Schreiben an das Auswärtige Amt um die Zustimmung zur Veröffentlichung gebeten, um damit seinen Beitrag zur Korrektur des Eindrucks zu leisten, den die gekürzte Fassung seines damaligen Berichts in der Öffentlichkeit hinterlassen hatte. Schoen sorgte sich auch darum, daß eine Veröffentlichung in der offiziösen "Deutschen Allgemeinen" möglicherweise nicht genügend beachtet werden würde und regte an, andere in- und ausländische Zeitungen auf den bevorstehenden Artikel hinzuweisen124. Diese Vorsichtsmaßnahme Schoens wäre allerdings nicht nötig gewesen. Welche Wirkung diese neue Enthüllung unmittelbar nach Versailles mit seinem fatalen Schuldverdikt haben mußten, läßt sich unschwer vorstellen. Die öffentliche Meinung übeibot sich gegenseitig mit Entrüstung über den "Fälscher" Eisner, und selbst ein eigentlich so besonnener Mann wie Hans Delbrück sah "mit Recht Herrn Eisner wegen der Veröffentlichung des tendenziös verstümmelten Schönschen (sie!) Berichts als einen gewissenlosen Fälscher an den Pranger gestellt"125. Eisner konnte sich nicht mehr wehren und war somit als Sündenbock für die Erbitterung über Versailles geradezu prädestiniert. Man übersah jedoch zweierlei. Zum einen war Delbrücks Auffassung, nach der man nunmehr sagen dürfe, der Schoensche Bericht beweise ungekürzt sogar direkt die deutsche Unschuld, aus der Erregung des Augenblicks heraus zwar verständlich, sachlich aber schwerlich zutreffend. Max Weber schrieb im Oktober 1919 an seinen Kollegen Delbrück, daß der Bericht gleichwohl "sehr unerfreulich" bleibe. Und "so unentschuldbar trotzdem Eisners Verhalten bleibt", müsse der Verfasser "Schoene (sie!)... irgend

1 2 4 Das Schreiben Schoens vom 18.7.Ί9 findet sich im PA, WK adh 4, Bd. 18, Bl. 57-59. Gleichzeitig hatte er seinen Artikel an die DAZ gesandt. Das vorsichtige Außenministerium brauchte jedoch einige Tage zur Prüfung, und am 31.7. wurde die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt (ebd., Bl. 77). 1 2 5 Schreiben Hans Delbrücks vom 8.8. 1919 an den "Lokalanzeiger" (BA, NL Delbrück, Nr. 59). Vgl. ders., War es zu vermeiden?, S. 127f. Die Tendenzen Eisners wurden besonders in der offiziösen DAZ gebührend herausgestrichen; "Die 'Kürzungen' Eisners", Nr. 375 (6.8.Ί9 A); "Der verstümmelte Bericht des Herrn von Schoen", Nr. 377 (7.8. A); "Der Bericht des Legationsrats von Schoen", Nr. 382 (10.8. M). Im letzten Artikel ist der ungekürzte Bericht wiedergegeben, die ausgelassenen Stellen sind durch Fettdruck hervorgehoben. Vgl. auch "Die Kürzungen in Eisners Veröffentlichung", FZ, Nr. 571 (5.8., 1. M), wo der Kürzungsvorwurf wegen der Wirkung im Ausland fur sehr schwerwiegend erklärt wird; ja, "nie zu entschuldigen" sei.

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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ein paar Eindrücke gehabt [haben], sonst hätte er nicht 1/2 Jahr geschwiegen"126. In der Tat läßt sich das lange Intervall zwischen Eisners Veröffentlichung und Schoens Korrektur kaum allein damit begründen - wie Schoen dies tat - daß er den Bericht nicht eher habe einsehen und somit auch nicht eher habe berichtigen können. Das erwähnte Schreiben Schoens an das Auswärtige Amt wirft fast mehr Fragen auf, als es beantwortet. So wäre es naheliegend gewesen, wenn Schoen angesichts der Empörung, mit der er jetzt auf die "Fälschungen" Eisners reagierte, schon vorher etwas intensiver versucht hätte, seinen Originalbericht noch einmal einzusehen. Auch seitens des Auswärtigen Amtes wäre es eine kaum sehr originelle Idee gewesen, Schoen zu den im Amt bereits unmittelbar nach der Eisnerschen Veröffentlichung bekannten Kürzungen zu befragen. Spätestens im Mai, als man ja die Originalberichte vorliegen hatte, wäre ein gründlicher Vergleich der vollständigen mit der gekürzten und angeblich gefälschten Fassung möglich gewesen. Alles dies scheint jedoch unteiblieben zu sein, und man darf daher vermuten, daß sowohl das Auswärtige Amt wie auch Schoen selbst sich durchaus dessen bewußt waren, daß Eisners Kürzungen die Substanz des Berichtes nicht alterierten. Gegen den Fälschungsvorwurf spricht zudem, daß Eisner bei der Veröffentlichung bereits ankündigte, daß es sich um einen Auszug aus dem Bericht handelte und daß er obendrein nicht nur entlastende, sondern auch Deutschland belastende Passagen entfernt hatte127.

1 2 6 Max Weber an Hans Delbrilck, 8.10/19 (BA, NL Delbrück, Nr. 78, S. 341f) Und weiter "Mir graut's etwas vor unseren Akten" Privat war Weber offenbar weit weniger von der deutschen Unschuld überzeugt als in seinen öffentlichen Stellungnahmen. Für Fr.W. Foerster, Mein KampÇ S. 29, sind die Kürzungen ein "tragisches Verschulden", wodurch aber der Kern nicht geändert wird. Ähnlich "Eisners Veröffentlichungen", VZ, Nr. 405 (11.8.Ί9 A). Fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung hatte im November 1918 Hans von Schoen seinen Abschied als bayerischer Geschäftsträger in Berlin genommen ("Die Vorgeschichte des Krieges", FZ, Nr. 330 [28.11.'18, 2. M]). Die Vermutung ist naheliegend, daß hier ein Zusammenhang besteht Gleichfalls muß man ins Auge fassen, daß Schoen immerhin noch einige Tage nach der Veröffentlichung im Amt verblieb. Daß er in dieser Zeit keine Gelegenheit gehabt haben soll, sich den unverstümmehen Text zu beschaffen, will nicht so recht einleuchten, zumal, wenn man die Bedeutung berücksichtigt, die der Bericht für ihn gehabt haben muß, wenn Schoen seine Worte wirklich entstellt gesehen haben sollte. 1 2 7 Vgl. L. Quidde: Eisners Publikation, 8-Uhr-Abendblatt, Nr. 120 (23.5.'22). Ähnlich H.v. Gerlach: Die Kampagne der Tintenfische, WaM, Nr. 20 (15.5/22), der die Kürzungen für rein journalistisch hält. Eine wahre Fälschung sei demgegenüber die Kürzung der Emser Depesche durch Bismarck gewesen. Gegen diese Auffassung wandte sich Hans Delbrück in einem heftigen, 10 Seiten langen Brief an Gerlach vom 16.5/22. Der Vergleich sei ganz falsch; eine Nicht-Veröffentlichung hätte, so Delbrück, Eindruck in Versailles hinterlassen und Wilson geholfen. Delbrücks Brief zeigt auch, worum es bei der Debatte in Wirklichkeit ging: "Wir werden die Revision des Versailler Friedens nicht erreichen, wenn es uns nicht gelingt, in der öffentlichen Meinung der Welt einen Umschwung in Bezug auf die Schuldfrage herbeizuführen." Die vor· und weitsichtige Meinung Gerlachs, daß dies für die Republik eine gefahrliche Frage werden könne, hält Delbrück für Aberglauben. (Der Brief findet sich - wie auch zahlreiche Zeitungsausschnitte zur Kontroverse um Eisners Kürzungen/Fälschungen im BA, N L Delbrück, Nr. 59).

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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Zum zweiten überschätzte man im nachhinein die Bedeutung der EisnerVeröffentlichung für das Versailler Urteil ebenso, wie es das Auswärtige Amt unmittelbar danach getan hatte. Die groteske Auffassung, daß ohne Eisner alles anders gekommen wäre, war eine gute Zielscheibe für Spötter: "Eine Frage, lieber Leser: wem verdanken wir den furchtbaren Haß, aus dem der Versailler Vertrag geboren wurde? ... Nachdem die Feinde 4 1/2 Jahre lang den schrecklichen Krieg hatten fuhren müssen, der sie an den Rand des Abgrundes brachte und nachdem sie schließlich völlig gesiegt hatten, waren sie - der gute Onkel Clemenceau an der Spitze - entschlossen, uns einen ganz liberalen Frieden zu bewilligen. Sie selbst waren natürlich in ihrem Innersten von der Unschuld Wilhelms fest überzeugt. Da kam am 26. November 1918 der Eisner mit seinen gefälschten Akten - und nun war es um uns geschehen! Diesem Schuft, diesem 'Aktenfalscher' verdanken wir den Versailler Frieden." 128 Überlegungen dieser Art hätten die Debatte wieder ins Lot rücken können; die Suche nach einem Ersatzsündenbock für den toten Eisner war allerdings reizvoller. Als Felix Fechenbach129, der ehemalige Sekretär Eisners, sich gegen die Beleidigungen wehrte, die auch ihn als Fälscher darstellten, geriet die Gerichtsverhandlung im Frühjahr 1922 zum Tribunal über die Veröffentlichung Eisners. Nicht die Art der Veröffentlichung, sondern die Veröffentlichung als solche stand zur Debatte, nicht der Nachweis über den Fälschungsvorwurf wurde geführt, sondern die Generalabrechnung mit Eisner und seinen Gefolgsleuten. Fechenbach machte die gleiche Erfahrung wie auch andere Politiker der Weimarer Republik in ihren Beleidigungsprozessen: Das Gericht entschloß sich teils zu Freisprüchen, teils zu Strafen für die Beleidiger, die einer moralischen Verurteilung Fechenbachs gleichkamen und in einer erbitterten Pressefehde auch so verstanden wurden 130. Für den

178 Ermel: Eine Leichenschändung. Zum Fechenbach-Prozeß, Süddeutsche Sonntags-Zeitung, Nr. 21 (21.5.·22). ι 9g Zu ihm vgl. H. Schueler: Auf der Flucht erschossen. Felix Fechenbach 1894-1933, Frankfurt a.M. usw. 1984. 110 Vgl. neben den in den beiden letzten Fußnoten zitierten Stellen noch L. Quidde: Ein Gegenstück zu Eisners 'Fälschungen', Berliner Volks-Zeitung, Nr. 236 (20.5.'22 A); A. Winter: Schuldfrage und Münchener Fälschungsprozeß, Freiheit, Nr. 224 (24.5.'22 B); Graf M. Montgelas: Ungerechtfertigter Angriff, MNN, Nr. 229 (1.6/22); H. Kantorowicz: Der Fechenbachprozeß kein Propagandamittel, in: Das Tagebuch, 3. Jg., H. 22 (3.6.'22), S. 814-818. Fechenbach selbst nahm zum Urteil bitter Stellung: "Die schwarz-weiß-roten Beklagten hatten sich entsprechende Sachverständige ausgewählt und ihr

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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Sekretär Eisners endete die Loyalität gegenüber seinem ehemaligen Chef in anderem Zusammenhang fatal: Noch im Herbst des gleichen Jahres wurde er in einem fur die an skandalösen politischen Gerichtsverfahren reiche Justiz der Weimarer Republik typischen Urteil wegen angeblichen Landesverrats zu 11 Jahren Zuchthaus verurteilt 131 .

3. Die Kriegsschuldfrage

in der Presse der Parteien

Unser Exkurs hat uns weit über den Revolutionsmonat hinausgeführt, war aber dennoch erforderlich, weil er exemplarisch das weitere Schicksal der wohl wichtigsten Einzelaktion aus der Frühphase der Kriegsschulddiskussion verfolgte. Die Aufsehen erregende, aber ohne Nachfolge bleibende Publikation beherrschte die Auseinandersetzung der nächsten Wochen, was für andere Beiträge relativ wenig Raum ließ. Diese anderen Diskussionsbeiträge zur Kriegsschuldfrage gab es zwar auch, sie wirken aber eher sporadisch und

Auftreten mutete an wie ein Gespenstertanz des alten kaiserlichen Deutschlands. Sie waren alle da, die Geister des versunkenen Kaiserreichs, die Exz(ellenz), der Herr Geheimrat, der Herr General, der Herr Professor, der Archivrat und sonstige Personen aus der herrlichen Zeit des davongelaufenen Kaisers." Und weiter: "Die bayerische Justiz hat mit ihrem Urteil ... die Propaganda für die deutsche Unschuldslüge unterstützt und damit die Kräfte im Auslande gestärkt, die auf der Auffassung beharren, daß das republikanische Deutschland nur eine Maskierung des kaiserlichen sei" (Freiheit, Nr. 217 [ 17.5/22 B]). Die Auswahl der Sachverständigen beklagt auch H.v. Gerlach: Die Kampagne der Tintenfische, WaM, Nr. 20 (15.5. '22). Außer Quidde seien alle Sachverständigen von rechts gekommen. Gerlach vermißte Namen wie Kautsky, Bernstein, Greiling, Foerster und Breitscheid, also die hauptsächlichen linken und pazifistischen Experten zum Thema. Dankschreiben des Beklagten Cossmann fur die Hilfe im Prozeß an "seinen" Sachverständigen Delbrück vom 7.3.'22 und 5.5.'22 finden sich im BA, N L Delbrück, Nr. 59. Die stenographischen Aufzeichnungen des Prozeßverlaufes sind vom 27.4. bis zum 5.5.'22 täglich in den M N N erschienen, in der Regel mit Berichten sowohl in der Morgen- wie in der Abendausgabe. n i

Siehe hierzu U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 104. Material zum Fortgang der Fechenbach-Afïàre im BA, NL Thimme, Nr. 69. Friedrich Thimme, alles andere als ein linker Historiker, stellte sich als Sachverständiger uneingeschränkt hinter Fechenbach und unterstützte den Kampf gegen Bayerns "unerhörtes Fehlurteil" (Bl. 4-5). In mehreren Schreiben an die und von den Anwälten Fechenbachs freut er sich auf die Wiederaufnahme des Prozesses 1925, wo er sich zur Verfügung stellen will. Im PA, WK adh 4, Nr. 5 (Akten betr. den Prozeß Fechenbach/Cossmann) (nicht fol.) findet sich eine 17 Seiten umfassende Abhandlung Thimmes über den ersten Prozeß. Thimme äußert herbe Kritik an dem Urteil, und zwar aus juristischen wie aus innen- und außenpolitischen Erwägungen. Er beklagt, "mit welcher mitunter fast grotesken Voreingenommenheit v.a. der Staatsanwalt, aber auch das Volksgericht dem Angeklagten gegenüberstand." Und weiter: "Zwar hat der Vorsitzende während der Vernehmung der Angeklagten immer wieder betont, wie sehr es darauf ankommt, ihre Psyche zu ergründen, und er hat das, soweit es sich um die Belastung der Angeklagten handelte, mit Meisterschaft durchgeführt. Aber er hat sich gegen eine entsprechende Einstellung der entlastenden Momente förmlich gesträubt."

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

zufallig und lassen eine konsistente Linie vermissen. Ihr übergreifendes Strukturelement ist die bereits angesprochene Wasserscheide zwischen den Gegnern des Ancien régime und den Gegnern der Revolution132. Diese lehnten jede Kriegsschuld weit ab, jene gaben sie in unterschiedlicher Offenheit zu, nach Maßgabe der Intensität ihrer Ablehnung des Wilhelminismus. Gelegentliche Aufsätze, etwa von Metzler in der "Weltbühne", rechneten noch einmal scharf mit den Spitzen des alten Systems ab und verlangten einen Staatsgerichtshof zur Feststellung der Schuld und zur Festsetzung der Schuldigen133. Neu ist es nur, wenn auch der Reichstag in die Front der Schuldigen eingereiht und für seine Tatenlosigkeit während des Krieges ebenso gegeißelt wird 134 . Es finden sich auch die ersten differenzierenden Analysen, in denen generell deutsche Schuld zugestanden wird, aber auch unterschieden wird zwischen der Schuld einzelner Politiker, der Schuld der Deutschen als Volk insgesamt, die "in schnurrbärtiger Selbstsicherheit mit dem klirrenden Schwerte fuchtelten", und der "universalen Schuld der gesamten Kulturwelt", in der der machiavellistische Haß die Völker getrennt habe135. Vor allem letzterer Gedanke sollte bald zu einem Topos der offiziösen deutschen Linie werden, ließ sich doch so die Schuldfrage ins allgemein-europäische verklären. Ansonsten bieten die üblichen, schon aus dem Kriege gewohnten Schuldzuweisungen an die Adresse der Entente nur recht wenig neue Informationen 136. Einsam seine Kreise zieht auch in der Zeit nach der

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* Zu den Parteien in der Frühphase der Weimarer Republik vgl. S. Miller: Die Bürde der Macht, Düsseldorf 1978; L. Albertin: Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972; R. Morsey: Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923, Düsseldorf 1966; M. Wolkowicz: Zur Stellung des Zentrums im "Kampf gegen die Kriegsschuldlüge" in der zweiten Hälfte des Jahres 1919, in: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte, Nr. 23 (1968), S. 136-146 (marxistischer Ansatz); W. Hartenstein: Die Anfänge der Deutschen Volkspartei 1918-1920, Düsseldorf 1962; A. Thimme: Flucht in den Mythos. Die Deutschnationale Volkspartei und die Niederlage von 1918, Göttingen 1969. Als Überblick W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 170ff. 1 3 3 G. Metzler: Die Schuld des Reichstags, in: Die Weltbühne, 14. Jg. (1918), S. 501-505, hier S. 501 : Wilhelm II., Tirpitz, Bethmann Hollweg, Jagow "und vor allem der unselige Helfferich" haben "beinahe unfaßbare Schuld auf sich geladen". Vgl. auch E.J. Gumbel: Vier Jahre Lüge, Berlin 1919, passim. 1 3 4

G. Metzler, Schuld des Reichstags, S. 503. Vgl. auch H.G.v. Beerfelde, Michel wach aufi,

passim. 1 3 5 1 3 6

R. Witting: Schuld und Sühne, BT, Nr. 594 (20.11.Ί8 M).

Siehe etwa G. Foertsch: Politische Tagesübersicht, KZ, Nr. 584 (15.11.Ί8 A): "Es ist nicht wahr, daß eine Militärregierung Deutschland in den Krieg gestürzt hat. Die Schuld an dem Kriege trägt die Entente. Das ist doch wahrlich bewiesen." Ähnlich "Die Schuld am Kriege", KZ, Nr. 614 (2.12.' 18 A); die russische Schuld sei mit dem Suchomlinow-Prozeß klar bewiesen. Die Schuld Rußlands betont auch Graf Monts: Die Offensive durch Belgien 1914, BT, Nr. 597 (22.11.'18 M); Ruß-

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Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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Revolution lediglich Georg Bernhard, der Chefredakteur der angesehenen "Vossischen Zeitung" und neben Theodor Wolff vom "Berliner Tageblatt" der wohl profilierteste Journalist der linksliberalen Presse. Während des Krieges hatte Bernhard - als Linksliberaler, notabene - eine scharf annexionistische Linie verfolgt und den Haß gegen England gepredigt. Nach dem Krieg fuhr er fort, England an allem Übel der Welt, insbesondere am Weltkrieg, die Schuld zuzuweisen und in der Aussöhnung mit Frankreich die conditio sine qua non deutscher Politik zu sehen eine Auffassung, die er auch während und nach Versailles als Prediger in der Wüste einsam verfolgte 137. In den wenigen echten und zumeist nur kurzen Debatten der Zeit wurden nur zum Teil spezifisch neue Probleme der Revolutionszeit behandelt. Auseinandersetzungen etwa darüber, ob die Verletzung der belgischen Neutralität ein schwerer Fehler oder eine militärische Notwendigkeit war, wurden auch schon zuvor gefuhrt 138 . Neu waren dagegen die bereits erwähnten Forderungen nach

land legte Lunte an das "südslawische Pulverfaß". Einen zusätzlichen Gedanken brachte R. Hessen: Wie kam es denn?, Der Tag, Nr. 280 (1.12.'18), ins Spiel: "Niemals hat es einen friedfertigeren Staat als das Deutsche Reich von 1914 gegeben", außerdem aber findet sich bei ihm die Vorahnung: "Es kann uns Milliarden kosten, daß über den Kriegsanfang in unseren eigenen Reihen die boshafte Legende der Feinde weitergetragen wird." Zusammenfassend und fur alle Geschmäcker etwas bietend K. Engler: Des Kaisers Schuld und Deutschlands Schmach, Süddeutsche Zeitung, Nr.340 (10.12/18): "(U)m Englands Welthandel und Amerikas Kapital, um Frankreichs Ehrgeiz und Rußlands Panslawismus ging der Kampf. Hier und nirgends anders liegt die Schuld am Kriegsausbruch!" Für einigen Wirbel sorgten Enthüllungen über ein angebliches russisch-britisches Flottenabkommen vom Frühjahr 1914, die der deutschen Linie als Beleg gelten konnten, später aber nicht weiter verfolgt wurden. Die Veröffentlichung der Depeschen, Dokumente etc. erfolgte in einer fünfteiligen Artikelserie der DAZ; "Das englisch-nissische Marineabkommen von 1914", Nr. 645 (19.12.'18 A), Nr. 647 (20.12. A, Bb), Nr. 650 (22.12. M, Bb), Nr. 652 (23.12. A, Bb), Nr. 657 (27.12. A). 117

1 J Unter der Unmenge der Artikel aus der Feder Bernhards, die sich gegen Englandrichten,seien hier nur zwei genannt; "Von der Revolution zum Frieden", VZ, Nr. 48 (27.1.'19 M); "Rechtsfrieden und Frankreich", Nr. 523 (18.10/18 M). Mit Wolff verband Bernhard eine innige Feindschaft, die sich wiederholt in scharfen Polemiken niederschlug; vgl. z.B. "Verwandlungskünstler. Eine leider notwendige Entgegnung", BT, Nr. 509 (5.10/18 M), und die Antwort Bernhards "Zur Klarstellung", VZ, Nr. 522 (12.10/18 M). Allgemein siehe W. Becker: "Demokratie des sozialen Rechts". Die politische Haltung der Frankfurter Zeitung, der Vossischen Zeitung und des Berliner Tageblatts 1918-1924, Diss. München 1965. 1 3 8 Der erste Standpunkt z.B. beim Diplomaten Graf Monts: Die Offensive durch Belgien 1914, BT, Nr. 597 (22.11/18 M). Zu ihm vgl. seine von K.F. Nowak u. F. Thimme hg. "Erinnerungen und Gedanken", Berlin 1932. Weniger freundlich B.v. Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 126ff., der ihn für einen Kriecher und Schleicher hält - nicht zuletzt deshalb, weil er sich später von Bülow abwandte. Scharf gegen den Artikel Monts' "Die Offensive durch Belgien", KZ, Nr. 602 (26.11/18 M). Die Auseinandersetzung über Belgien wurde von vielen Stimmen allerdings auch generell als abgeschmackte ausländische Leier abgeablehnt; "Und wenn man nicht mehr weiter kann,/Dann fangt man flugs von Belgien an!" (LA, Germania, Nr. 371 [11.8/18 M]).

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

rückhaltloser Öffnung der Archive, die vor allem von der USPD vertreten wurden, die sich auch hier gegen die noch radikaleren Bestrebungen der Spartakisten zur Wehr setzen mußte. In dieser Frage gab es sogar eine etwas unwirkliche Koalition der Revolutionäre mit den Alldeutschen, die gleichfalls die Archivöffnung verlangten - allerdings in der Überzeugung, daß dies die deutsche Unschuld beweisen müsse, während die USPD das genaue Gegenteil erwartete und erhoffte 139. Eng verbunden mit der Öflnung der deutschen Archive ist die Aufforderung an die Entente, es hierin den Deutschen nachzutun und ihrerseits die Vorgeschichte des Krieges vor der Weltöffentlichkeit darzulegen. Bereits im November regte die Reichsregierung an, eine unparteiische internationale Kommission einzusetzen, die die Schuldfrage untersuchen solle. Daß eine solche Kommission bei der allgemeinen Überzeugung von der deutschen Schuld die Lage nur zu Gunsten der Besiegten ändern konnte, war anzunehmen. Damit war aber auch klar, daß wieder einmal die Konservativen mit ihren Kassandrarufen rechtbehalten würden, wie sie überhaupt die Stimmung bei der Entente wesentlich düsterer und damit realistischer zeichneten als ihre deutschen Gegner. Für sie war der Vorstoß Deutschlands "ein neuer Beweis dafür, wie weltfremd die Kreise sind, die zur Zeit die deutsche Politik zu leiten übernommen haben. Im Ernste wird kein verständiger Mensch in Deutschland glauben, daß unsere Gegner auf die hier vorgeschlagene Untersuchung eingehen werden" 140. Unangenehm konnte die Öffnung der Archive aber auch für die deutsche Mehrheitssozialdemokratie werden, denn war die deutsche Schuld unzweideutig

1 3 9

Zur Forderung der Alldeutschen nach Öffnung der Archive vgl. "Die Archive auf!", BT, Nr. 586 (15.11.Ί8 A) und "Die Archive aufl", Freiheit, Nr. 2 (15. 11/18 M). Auf den Verdacht, es seien bereits am 7.11. Akten in großer Zahl vernichtet worden ("Die Wahrheitssucher", RF, Nr. 15 [30.11.'18J), antwortete Karl Kautsky, der sich hierdurch als Beigeordneter des Auswärtigen Amtes besonders getroffen fühlen mußte, mit einer scharfen Zurückweisung ("Die Archive des Auswärtigen Amtes", Freiheit, Nr. 30 [1.12.'18 M]). 1 4 0

"Eine neutrale Kommission zur Untersuchung der Schuld am Kriege", KZ, Nr. 609 (29.11.'18 A). Und weiter: "Nur uns Deutschen bleibt es vorbehalten, durch das unzeitgemäße Vorgehen des Herrn Eisner einen Schritt zu tun, der der Sache nichts nützt weil er nichts mehr ändern kann, unserer Stellung auf der Friedenskonferenz aber unendlich schaden wird." Zur Forderung nach Öffnung der Archive aller Länder etwa "Versammlung von 4000 aktiven Unteroffizieren", KZ, Nr. 612 (1.12.'18 M) [wo eine Rede Scheidemanns im Zirkus Busch dokumentiert wird]; "Zur Frage der Kriegsschuld. Unterredung mit Staatssekretär a.D. Zimmermann", DAZ, Nr.607 (29.11.Ί 8 M); "Internationale Prüfling aller Kriegsakten", VZ, Nr. 611 (29.11.'18 A). Der konservative "Tag", Nr. 631 (12.12.'18 M ) zitiert den "Nieuwe Rotterdamsche Courant", der als angesehenes ausländisches Blatt gleichfalls fand, daß der Vorschlag der Reichsregierung "ein einigermaßen naiver Vorschlag" gewesen sei, weil "(n)ur bei einem Besiegten, wie Rußland und Deutschland, ... die Schuld ans Licht [kommt]".

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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nachzuweisen, war damit auch das Verdikt über die Kriegspolitik der MSPD in aller Schärfe gesprochen141. Auch so mußten sich die ,,Abhängigen,,, wie sie diffamierend von der USPD genannt wurden, zahlreicher Angriffe erwehren. Vor allem die Spartakisten sahen die Stunde der Abrechnung gekommen mit den "Scheidemänner(n)", die "vier Jahre lang die Schwurzeugen der preußischdeutschen Völkermörder" gewesen waren und "noch immer den Leierkasten vom Überfallenen Vaterland" drehten, als "der geißelnde Ruf Karl Liebknechts... längst hinter Zuchthausmauern erstickt" worden war 142 . Zielscheibe dieser Kritik war neben Scheidemann in erster Linie Eduard David, der sich in der Tat während des Krieges mit volltönenden Bekundungen der deutschen Unschuld weit vorgewagt hatte und nun auch von bürgerlicher Seite entsprechende Vorhaltungen entgegennehmen mußte143. Die Eisnersche Veröffentlichung war natürlich Öl in das Feuer dieser Vorwürfe, und die verspätete und formelhafte Entschuldigung, auch "andere" (nämlich die Entente) hätten zum Kriegsausbruch beigetragen und die Bewilligung der Kriegskredite sei aus Liebe zum Volk geschehen, mußte halbherzig und unbefriedigend wirken 144 .

1 4 1 U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 32, stellt zu recht fest, daß "mit der Frage der Verantwortung für den Kriegsausbruch die Politik der MSPD im Weltkrieg stand und fiel". Generell hierzu die gegenüber der Nachkriegs-MSPD sehr kritische Darstellung von H.A. Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung, S. 206ff. 1 4 2 Alles P. Levi: Das Gericht, RF, Nr. 11 (26.11.Ί8). Die Regierung Ebeit/Haase wurde "der Verdunkelung der Wahrheit und Hehlerei des Veitrechens" beschuldigt ("Hehler an der Aifceit", RF, Nr. 12 [27.11/18]). 1 4 3

Vgl. die Artikel der vorigen Fn. Auch für Theodor Wolff (LA, BT, Nr. 615 [2.12.Ί8]) war Eduard David, "der trotz seiner unbestreitbaren Intelligenz vier Jahre hindurch zu beweisen versucht hat, daß die deutsche Reichsleitung im Juli und August 1914 so unschuldig gewesen sei wie ein neugeborenes Kind", als Unterstaatssekretär "kein hervorragend glücklicher Gedanke". Von den Werken Davids siehe etwa "Die Sozialdemokratie im Weltkrieg", Berlin 1915, und "Wer trägt die Schuld am Kriege?", Berlin 1917 (enthält die Rede Davids vom 6.6.1917 auf der Stockholmer Sozialistenkonferenz). Vgl. S. Miller, Burgfrieden, S. 184ff.; sowie "Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918", In Verb, mit E. Matthias bearb. v. S. Miller, Düsseldorf 1966, das David auch nicht eben von Zweifeln geplagt zeigt. Siehe z.B. die nicht unbedenklichen Eintragungen vom 3.7.Ί5 über die Gefahr für "Deutschland und die germanische Völkergruppe" (S. 136); und vom 12.7.'15: "Alle meine Kritiker sind österreichische Juden. Sie maßen sich die Führung in nationaler Sache bei uns an" (S. 137). 1 4 4 "Ja, wir haben die Kredite bewilligt!", Vorwärts Nr. 332 (3.12.Ί8). Recht kleinlaut klingt es auch in "Geschichtliche Wahrheit und eine Moral", ebd., Nr. 206 (23.4.'19 A), wo man sich über die Täuschungen durch die Regierung beklagt: "Heute wissen wir, daß diese Darstellung falsch war. Falsch war die Nachricht von den Fliegerbomben, falsch die Nachricht von den eingebrochenen Kompagnien, falsch die Nachricht von der Bereitschaft der Franzosen zum Einfalt durch belgisches Gebiet. Dagegen waren die deutschen Truppen nicht Vielleicht', sondern tatsächlich, und zwar schon am Morgen des 4. August, in Belgien eingerückt. Die sozialdemokratische Fraktion wußte nichts von alledem." Schärfer hatte man sich noch kurz vor Kriegsende von den Kritikern aus dem eigenen Lager abgesetzt; etwa "Sachte, Herr Haase!", ebd., Nr. 293 (24.10.Ί8), wo jede Behauptung einer polemischen Rede Haases mit einem ebenso kräftigen Konter beantwortet wurde.

6 Dreyer/Lembcke

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Aber die Vorwürfe gegen die SPD betrafen nur ihre Position im Kräftespiel der drei sozialistischen Gruppierungen untereinander. Bedrohlicher mußten in den Ohren der Würdenträger des gestürzten Reiches die Rufe nach Revolutionstribunalen für die Kriegsschuldigen klingen 145 , zumal dann, wenn dies auf der Basis des bayerischen Berichtes geschah. Es war also hohe Zeit für Gegendarstellungen, und die ließen denn auch nicht auf sich warten. Den Anfang machte am 27. November Bethmann Hollweg, der sich nicht nur gegen die Behauptungen Eisners wandte, sondern zugleich noch einmal seine gesamte Politik verteidigte. Deutschland habe Österreich unterstützen müssen, auch wenn das Ultimatum zu scharf war und Berlin zur Mäßigung drängte. Ursache des Krieges waren die aggressiven Ziele der Entente, Anlaß die russische Generalmobilmachung: "Daß diese Generalmobilmachung der Krieg war, der von einer allmächtigen Partei Rußlands gewollte Krieg - nun, ich meine, davon kann nach den Enthüllungen des Prozesses Suchomlinow kein Mensch mehr einen Zweifel haben. Das sind Tatsachen, die durch nichts aus der Welt geschafft werden können. Uns die Schuld am Kriege aufbürden, heißt Gegner für schuldlos erklären, die jahrzehntelang vereint Pläne betrieben, die sie nur bei kriegerischer Explosion verwirklichen konnten, es uns aber verwehren, uns dagegen aufzulehnen. Das ist nicht Recht, das ist Unrecht." 146 Bethmann gestand aber auch eindeutige deutsche Fehler zu. In der belgischen Frage konnte er auf seine Rede vom 4. August 1914 verweisen, hinsichtlich Elsaß-Lothringens gab er zu, daß es die deutsche Politik nicht verstanden habe, die Gefühle der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Endlich haben "Mängel unseres Nationalcharakters und Sünden unseres allgemeinen Gebarens zu der kriegerischen Hochspannung beigetragen", insbesondere provokative Reden, "alldeutsche Treibereien" und die Flottenpolitik. Zwei Tage später, am 29. November, kam die Reihe an den ehemaligen Unterstaatssekretär Zimmermann, der seinem Kanzler in ähnlicher Argumen-

1 4 5 Die Rote Fahne wandte sich auch gegen die Auslieferung des Kaisers an Frankreich oder an ein internationales Gericht ("Die Position des Exkaisers", Nr. 14 [29.11.' 18]) - allerdings mit der Begründung, daß er vor ein deutsches Revolutionstribunal gehöre. Vgl. auch L. Zietz: Die Frauen und die Konstituante, Freiheit, Nr. 30 (1.12/18 M,B). Allgemein W.Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 149ff. 1 4 6 "Herr v. Bethmann Hollweg über die bayerischen Dokumente", DAZ, Nr. 603 (27.11.' 18 M). Abgedruckt z.B. auch in der KZ, Nr. 605 (27.11.Ί 8 A), in der DTZ, Nr. 604 (27.11.Ί 8 A) und in der Germania, Nr. 554 (27.11.Ί8 A).

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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tation sekundierte. Auch er wollte das Ultimatum nicht gekannt und Österreich stets zur Mäßigung gedrängt haben, auch er hielt die Lokalisierung mit englischer Hilfe fur erreichbar, und auch er hoffte auf einen objektiven Staatsgerichtshof und, mehr noch, auf ein internationales Gericht, das auch die feindlichen Archive auswerten könne 147 . Den Vogel aber schoß Kaiser Wilhelm in eigener Person ab, dessen Unschuldserklärungen am Tag nach denen Zimmermanns veröffentlicht wurden: "Die ganze Politik der letzten Wochen vor dem Kriege haben Bethmann und Jagow allein gemacht. Ich wußte überhaupt nichts mehr davon. Sie haben mich ja durchaus wider meinen Willen nach Norwegen geschickt." Und weiter: "Ich erfuhr eigentlich nur aus den norwegischen Zeitungen, was in der Welt geschah, so auch von dem Fortgang der russischen Mobilmachungsvorbereitungen. " 1 4 8 Diese Auslassungen Wilhelms, die denen seines Reichskanzlers deutlich zuwiderliefen, erweckten überwiegend ein Gefühl der Peinlichkeit. Der spätere Innenminister und DDP-Vorsitzende Koch-Weser bezeichnete sie in seinem Tagebuch als unwürdig; ihr Motto sei "Herr Lehrer, ich bin es nicht gewesen!"149 Auch die Tatsache, daß sich Kaiser und Kanzler wechselseitig wenigstens implizit beschuldigten, wurde von interessierter Seite genüßlich

1 4 7 "Zur Frage der Kriegsschuld. Unterredung mit Staatssekretär a.D. Zimmermann", DAZ, Nr. 607 (29.11.Ί8 M). Gleichfalls in der KZ, Nr. 609 (29.11/18 A), in der VZ, Nr. 611 (29.11.Ί8 A) und in der Germania, Nr. 558 (29.11.Ί 8 A). 1 4 8 "Kaiser Wilhelm über die Vorgänge bei Kriegsausbruch", KZ, Nr. 611 (30.11.'18 A). Abgedruckt auch DAZ, Nr. 609 (30.11.'18 M). Die "Post" kommentierte diese Erklärung unbeeindruckt ironisch: "Wenn man heute den Grund für das namenlose Unheil, das über Deutschland und Rußland, über die Fürsten und Monarchien hereingebrochen ist, auf die einfachste Formel bringen will, dann kann man sagen, er liegt darin, daß Wilhelm II. und Nikolaus II. sich nicht vertragen konnten" ("Kaiser Wilhelm über die Schuld am Kriege", Nr. 613 [30.11/18]). Die von Wilhelm verfolgte Strategie, durch den Hinweis auf seinen Urlaub Friedensliebe zu demonstrieren, war nicht so neu. Im Herbst 1917 hatte das Auswärtige Amt bereits Rundfragen gestartet, wann die Chefs der obersten Behörden und ranghohe Militärs im Sommer 1914 im Urlaub gewesen waren (PA, WK adh 4, Bd. 7, passim). 1 4 9 BA, N L Koch-Weser, Nr. 15; Eintragung Kassel 30.11/18. Vgl. auch "Der Kaiser über den Ausbruch des Krieges", DAZ, Nr. 610 (30.11/18 A) mit der Einschätzung, daß Prof. Wegerer, der die Kaiseräußerungen übermittelte, "mit deren Formulierung ... dem Ansehen des Kaisers nicht gerade einen Dienst erwiesen haben dürfte".

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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registriert 150 . Dabei hatte Wilhelm noch ein zusätzliches Interesse, seine Unschuld am Kriegsausbruch schnellstmöglich nachzuweisen, da sich erste Anzeichen dafür ergaben, daß die Entente seine Auslieferung aus dem holländischen Exil verlangen werde, um ihn wegen der Kriegsschuld vor Gericht zu stellen 151 . Der ganze Vorgang wird für viele Zeitgenossen nur eine Bestätigung, nicht aber eine Veränderung ihres Urteils über den Kaiser gebracht haben. Vielen Äußerungen auch von Personen aus Wilhelms politischem Umfeld ist die Mühe anzumerken, die sie sich geben müssen, um über den Kaiser auch ein paar freundliche Worte zu finden. Dieses neue Interview paßte sich den Erfahrungen an, die man in dieser Hinsicht mit ihm gemacht hatte 152 . Es läßt sich jedoch auch nicht sagen, daß die Ausführungen Bethmanns auf ein positiveres Echo stießen. Im Gegenteil, an den seinerzeit verantwortlichen Leiter der deutschen Politik wurde ein schärferer Maßstab gelegt, vor dem seine Entschuldigungen nicht bestehen konnten. Sogar von liberaler Seite wurde ihm vorgehalten, er hätte schweigen sollen und es sei auch unklug für ihn, zu laut nach dem Staatsgerichtshof

1 5 0 "Wer hat die Schuld?", Freiheit, Nr. 31 (2.12.Ί8 M): "Exkanzler gegen Exkaiser - jeder sucht sich auf Kosten des anderen reinzuwaschen, ein freundliches Bild! Wir sind auf die Fortsetzung dieses Streites gespannt. Er kann noch nette Enthüllungen zutage fordern." 1 5 1 Zur frühen Auseinandersetzung um die Auslieferungsfrage vgl. "Die Auslieferung Wilhelms II. verlangt", Germania, Nr. 548 (23.11/18 A); "Der Ruf nach den''Schuldigen'", DTZ, Nr. 600 (25.11.Ί8 A); "Auslieferung des Kaisers", Germania, Nr. 552 (26.11.Ί8 A); Th. Schiemann: Wilhelm II. als Deutscher Kaiser, Der Tag, Nr. 275 (26.11.'18); "Die Schuldigen vor den Staatsgerichtshofl", Freiheit, Nr. 23 (27.11.Ί8 A); "Politische Tagesübersicht", KZ, Nr. 605 (27.11.Ί8 A); "Versammlung von 4000 aktiven Unteroffizieren", KZ, Nr. 612 (1.12.Ί8 M); O. Hoetzsch: Die äußere Politik der Woche, KZ, Nr. 617 (4.12.Ί8 M); "Zur Frage der Auslieferung Wilhelms II.", Germania, Nr. 566 (4.12.'18); "Niedrige Rache", Baltische Zeitung, Nr. 202 (17.12.Ί8). 1 5 2

Vgl. etwa die subtile Kritik bei B.v. Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 140; oder G. Michaelis, Für Staat und Volk, S. 376. Nicht unfreundlich, aber gerade deshalb vernichtend in der Wirkung die Ausführungen bei M. Warburg, Aufzeichnungen, S. 30f.; und F.v. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 173ff. Leicht kritisch auch Kronprinz Wilhelm, Erinnerungen, S. 140. Den zweifelhaften Ruhm, die Memoiren des Kaisers, "Ereignisse und Gestalten", angeregt zu haben beansprucht Rosen, Wanderleben, Bd. 3/4, S. 221, wenn er auch mit dem Resultat nicht zufrieden war (S. 244). Aufschlußreich für die Rolle (oder "Nicht-Rolle") des Kaisers im Kriege die beiden von W. Görlitz hg. Bände von G.A.V. Müller, "Regierte der Kaiser?", Göttingen usw. 1959; und "Der Kaiser ...", Göttingen usw. 1965. Vgl. zum Kaiser E. Eyck: Das persönliche Regiment Wilhelms II., Erlenbach-Zürich 1948; M. Balfour: Der Kaiser, Berlin 1967; J.C.G. Röhl, N. Sombart (Hg.): Kaiser Wilhelm II., Cambridge usw. 1982; K. Düwell: Kaiser Wilhelm II., in: W. Treue (Hg.), Drei deutsche Kaiser, Freiburg u. Würzburg 1987, S. 133-173; J.C.G. Röhl: Kaiser, Hof und Staat, München 1987.

II. Neuanfang oder Kontinuität - November 1918

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zu rufen, dessen Urteil durchaus anders ausfallen könne als erwartet: M (V)erkriechen Sie sich lieber in ihr Mauseloch in Hohenfinow." 153 Der überwältigende Eindruck, den diese Debatten auf die deutsche Öffentlichkeit machten, war der von der stupenden Unfähigkeit der deutschen Politiker von 1914. Wenn man nicht gerade mit der USPD, dem Spartakus und Teilen der SPD die verbrecherische Kriegsabsicht unterstellen wollte, blieb angesichts der Enthüllungen nur noch der Ausweg, den Verantwortlichen und Bethmann Hollweg an der Spitze jegliches politische Gefühl für die Notwendigkeiten des Tages abzusprechen. Der ohnmächtige Zorn darüber ist diesen Ausführungen nur allzuoft anzumerken 154. Die Unfruchtbarkeit von Auseinandersetzungen dieser Art wurde vielfach empfunden, ihre Schädlichkeit im Hinblick auf die Außenpolitik mahnend hervorgehoben. Auch hier werden wieder die unterschiedlichen politischen Konzeptionen deutlich. Sozialisten und Pazifisten aller Schattierungen glaubten, mit Bekenntnissen in der Schuldfrage innenpolitisch für Klarheit zu sorgen und außenpolitisch einem Rechtsfrieden vorarbeiten zu können. Die Konservativen wollten nach innen das alte Regime verteidigen und nach außen um keinen Preis den

1 5 3 LA, FZ, Nr. 330 (28.11/18 A). Vgl. "Die Schuld am Kriege", Freiheit, Nr. 24 (28.11/18 M); "Herr von Bethmann Holl weg für den Staatsgerichtshof', BT, Nr. 607 (27.11/18 A); "Bethmann Hollweg. Versuch moralischer Rechtfertigung. Beweis seiner politischen Schuld", BNN, Nr. 605 (27.11/18); E. Blekmann: Deutsche Aufgaben, Ostpreußische Zeitung, Nr. 330 (30.11/18). 1 5 4 Z.B. LA, FZ, Nr. 330 (28.11/18 A): "Seine [Bethmann Hollwegs, d.Verf.] Auslassung macht, das wenigste gesagt, den Eindruck peinlicher Kümmerlichkeit. Sie ist das gewohnte Produkt der alten offiziösen Rechthaberkunst, als wäre nicht eine ganz neue Epoche angebrochen, die mit dieser Art von scheindiplomatischer Spiegelfechterei kurzen Prozeß machen wird." Es sei kläglich, daß er Tirpitz die Schuld an der Flottenpolitik geben wolle, schließlich war Bethmann Hollweg der verantwortliche Leiter der Politik. Und dann das österreichische Ultimatum an Serbien: "Dieses Ultimatum war der Krieg. Das wußte jeder Zeitungsleser, das mußte sogar ein deutscher Reichskanzler wissen." Vgl. G. Kerschensteiner: Deutschlands Recht, München 1919, S . l l , über "die völlige Unfähigkeit der auswärtigen Politik seit dem Abgang Bismarcks"; R. Witting: Schuld und Sühne, BT, Nr. 594 (20.11/18 M), über die "unerhörte Unfähigkeit der Bismarckschen Epigonen", die "unter dem Flackertemperament eines durch und durch unpolitisch veranlagten Herrschers täppisch und tapsig eine Politik törichter allseitiger Brüskierung getrieben haben"; Graf Monts: Die Offensive durch Belgien, BT, Nr. 597 (22.11/18 M) über unsere Staatsmänner und Generäle, die "tief unter ihrer Aufgabe standen"; Graf Reventlow: Herr Bethmann Hollweg über Kriegsschuld, DTZ, Nr. 604 (27.11/18 A) über den ehemaligen Reichskanzler als einen Mann, "der in schneller Fähigkeit und bewußt oder unbewußt beschränkter Rechthaberei sich in seine Sätze verbissen hat und für den deshalb offenbare Tatsachen nicht existieren." Vgl. auch die Eintragung Koch-Wesers in sein Tagebuch vom 30.11/18 über die "Männer der Halbheiten" (BA, N L Koch-Weser, Nr. 15, Bl. 301ffi).

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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Alliierten Trümpfe in die Hand spielen, die diese gegen Deutschland verwenden könnten und, wie man sich sicher war, auch verwenden würden. Die Liberalen schwankten hin und her. Eher die letzte Auffassung teilte auch ein ausgesprochener Kritiker des Wilhelminismus wie Max Weber, und zwar aus den erwähnten außenpolitischen Rücksichten 155 . Immerhin mußte man sich auch mit dem Gedanken an den kommenden Frieden langsam vertraut machen. Abgesehen aber von den düsteren Prognosen der Konservativen, gab man sich hier zunächst rosigen Hoffnungen hin. Die breite Öffentlichkeit vertraute fest auf Wilson, die Sozialisten zusätzlich auf die internationale Klassensolidarität, die die Wunden des Krieges in der Arbeiterklasse wieder heilen sollte. Die erste Gelegenheit zur Bewährung war für die letztgenannte Hoffnung gegeben, als Anfang Februar die erste Tagung der Nachkriegs-Internationale in Bern stattfand 156 .

1 5 5 In einem größeren Artikel "Zum Thema der Kriegsschuld", FZ, Nr. 43 (17.1/19 M), [erneut abgedruckt in den "Gesammelten Politischen Schriften", 2. Aufl., Tübingen 1958, S. 477-485. Wir zitieren nach dieser besser zugänglichen Stelle] nahm Max Weber ausführlich Stellung gegen die "Kindlichkeit eines solchen Beginnens" wie dem von Eisner. Die letzten zwei Monate seien eine Zeit gewesen, deren "vollendete Erbärmlichkeit im Verhalten nach außen alles überbietet, was die deutsche Geschichte aufzuweisen hat". Weber rügt aber auch das Gerede von Einkreisung und Handelsneid Englands, das die "Irrtümer der Tirpitzschen Gernegroßpolitik" verdecken soll. Zu diesem Artikel vgl. F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 65; generell W.J. Mommsen, Max Weber, passim. Zu Warnungen vor intensiver Kriegsschulddiskussion vgl. etwa Ο. Η Oetzsch: Die äußere Politik der Woche, KZ, Nr. 617 (4.12.Ί8 M): "Die Frage nach der Schuld am Ausbruch des Krieges wird ihre Klärung finden und finden müssen, aber mit Erörterungen wie in der letzten Woche sollten wir Schluß machen. Wir sollten nicht durch dergleichen unser Vaterland allein belasten, indem wir uns allein der Schuld am Kriege bezichtigen. Das ist sachlich falsch, national würdelos und bringt ganz und gar nicht den erhofften Nutzen bei den Staatsmännern der Entente." Siehe auch Graf Reventlow: Aktenordner, DTZ, Nr. 558 (2.11.' 18 M): "Die sogenannte Schuldfrage wird in der Mehrheitspresse fortgesetzt erörtert, und die letzte glaubt sich in der glücklichen Lage als Schuldige gerade und ausschließlich politische Gegner abtun zu können." 1 5 6

Siehe Th. Wolff, LA, BT, Nr. 615 (2.12.Ί8): "Es darf nicht möglich sein, einen Kilometer deutschen Landes wegzunehmen, wenn die Bevölkerung protestiert. Es darf nicht möglich sein, dem Volke Deutsch-Österreichs in den Weg zu treten, wenn es sich nach dem Rechte der Selbstbestimmung, mit uns vereinigen will. Wenn man anders verfahren, die Wilsonschen Grundsätze verleugnen wollte, so wäre das ein offenkundiger Betrug." Unisono gegen die überharten Waffenstillstandsbedingungen G. Foertsch: Die Friedensbedingungen der Entente, KZ, Nr. 569 (7.11.'18 M), und "An die Internationale!", Freiheit, Nr. 1 (15.11.Ί8). Zur Hoffnung auf Wilson vgl. "Gegen einen Frieden der Gewalt", Freiheit, Nr. 36 (4.12.Ί8 A); "Wilson", ebd., Nr. 71 (23.12/18 A). Skeptisch ist wieder einmal die Kreuzzeitung, "Die Schuld am Kriege", Nr. 653 (23.12.Ί8 A), wonach Wilson als "ein Gefangener der englischen Lügenpropaganda" nicht weiß, "wie sehr dieser Krieg ein Eroberungs- und Vernichtungskrieg unserer Gegner ist".

III. Die Kriegsschuldfrage auf der Berner Sozialistenkonferenz

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III. Die Kriegsschuldfrage auf der Berner Sozialistenkonferenz Die Berner Sozialistenkonferenz, deren Vorbereitung Anfang Februar 1919 abgeschlossen worden war, nahm die lange Tradition der internationalen Zusammenkünfte europäischer Sozialisten wieder auf 157 . Hatte die letzte Internationale vor dem Ausbruch des Krieges noch die Solidarität des internationalen Proletariats beschworen, so bestand die Aufgabe dieser ersten Konferenz nach dem Kriege in der Bewältigung der Ereignisse und Konsequenzen des Weltkrieges, der so schnell und energisch das Band des internationalen Sozialismus zerrissen und viele Genossen in Patrioten und Nationalisten umgewandelt hatte. Daß diese nationalistische Abgrenzung auch auf der Berner Konferenz noch nicht überwunden war, zeigte sich vor allem in dem Verhältnis der französischen zu den deutschen Sozialisten. Auf französischer Seite erwartete man, da Frankreich und auch Belgien besonders unter dem Weltkrieg und den deutschen Verwüstungen gelitten hatten, eine deutlich formulierte Absage der deutschen Sozialisten an ihr altes Regime, das nach französischer Ansicht sowohl für den Ausbruch des Krieges als auch für die Verbrechen in Nordfrankreich und Belgien verantwortlich war. Zudem verlangte man eine Rechtfertigung - oder vielmehr ein weiteres Schuldeingeständnis - für die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD. Beide Erklärungen blieben jedoch zunächst von den Mehrheitssozialisten aus. Hermann Müller, wenige Monate später als Nachfolger Brockdorff-Rantzaus deutscher Außenminister, verdeutlichte den Standpunkt der Mehrheitssozialisten, daß die russische Mobilmachung "der ausschlaggebende Faktor" für den Ausbruch des Weltkrieges gewesen sei 158 . Mit dieser Aussage, die im vollkommenen Widerspruch zu der Auffassung der Unabhängigen stand, die in Bern durch Eisner und Kautsky hochkarätig vertreten waren, dokumentierte sich die Uneinigkeit der deutschen Sozialisten in der Kriegsschuldfrage vor internationalem Publikum. Der starren Haltung der neuen Regierungspartei,

1 5 7 Vgl. s. Miller, Bürde der Macht, S. 334ff.; H.A. Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung, S. 209ff.; J. Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Bd., S. 167ff.; und die Dokumente bei G.A. Ritter (Hg ): Die II. Internationale 1918/19, 2 Bde., Berlin u. Bonn 1980. Siehe auch H. Schueler, Auf der Flucht erschossen, S. 84ff.; B. Guttmann: Schattenriß einer Generation. 18881919, Stuttgart 1950, S. 164ff.

158 "Die Internationale Sozialistenkonferenz, Freiheit, Nr. 64 (5.2.Ί9 A). Die Apologie wurde von Müller noch dadurch verstärkt, daß er die Ernsthaftigkeit der Versuche der englischen und französischen Diplomatie in Frage stellte, die russische Mobilisierung zu verhindern.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

die mehrfach die deutsche Schuld zu relativieren suchte, stand das uneingeschränkte Schuldeingeständnis der USPD gegenüber, das der Auffassung der Entente-Sozialisten entsprach 159 und ein Gegengewicht zu den vorhandenen anti-deutschen Ressentiments bilden konnte. Die Differenzen der beiden deutschen Parteien machten die Kriegsschuldfrage zum beherrschenden Thema der Konferenz, da der Disput vor allem durch Eisner und Kautsky scharf und öffentlich geführt wurde, nicht zuletzt mit Blick auf die Situation in Deutschland160. Dennoch gelang es der Internationalen, sich am 5. Februar auf eine Resolution zu verständigen, der sich die beiden Lager der deutschen Sozialdemokratie ebenso anschließen konnten, wie sie die französischen Forderungen nach Verurteilung des deutschen Militarismus befriedigte. Die Berner Resolution hatte zum Inhalt, daß die Kriegsschuldfrage für die Sozialisten geklärt worden sei, da alle Seiten anerkannten, daß das deutsche Volk sich von dem für den Krieg verantwortlichen alten System abgewandt und die durch die Revolution geschaffene Regierung angenommen habe 161 . Dieser erste Teil der Resolution mit dem impliziten Schuldzuweis an die deutsche Regierung des Kaiserreiches bedeutete, daß die Mehrheitssozialisten, um für eine gemeinsame Erklärung kein

1 5 9 Vgl. ebd.: "Schon als das erste deutsche Weißbuch erschien, war es klar, daß das deutsche Volk von seinen Führern betrogen war, und daß die Schuld und Verantwortlichkeit nicht mehr in Zweifel kam." Durch solche und ähnliche eindeutigen und uneingeschränkten Schuldeingeständnisse - wie hier aus dem Munde Eisners - sollte die Verständigung zwischen den Völkern vorbereitet und dazu beigetragen werden, den Haß und das Mißtrauen untereinander abzubauen. 1 6 0 Ebd. Vgl. dazu auch H. Ströbel, Einleitung zu K. Eisner, Schuld und Sühne, Berlin 1919, S. 12f.: "Auch vor dem Internationalen Sozialistenkongreß in Bern wiederholten die drei Vertreter der deutschen Mehrheitssozialisten ihre entrüsteten Anklagen gegen die brutale Rücksichtslosigkeit der Gegner, die, nicht zufrieden mit dem Sturz der alten deutschen Regierung, nun auch noch das unschuldige deutsche Volk für die Sünden der gestürzten Regierung büßen lassen wollten. Aber mit dieser naiven Entrüstung begegnete die Mehrheitsdelegation bei den Sozialisten der Entente und des neutralen Auslandes nur finsteren Mienen und verschlossenen Herzen. Zu genau entsann man sich noch aller Missetaten und Unterlassungssünden der Mehrheitssozialisten. ... So wirkte die Entrüstung der deutschen Regierungssozialisten auf die Sozialisten des Auslandes wie unerträgliche Heuchelei, und unversöhnlich drohten sie die ausgestreckte Hand der Abgesandten der Scheidemänner zurückzustoßen, als Eisner sich in einer Rede voll edlen Wahrheitsmutes und zugleich voll hochherziger Versöhnlichkeit der mehrheitssozialistischen Delegation und des deutschen Volks annahm. ... Und das hinreißende Ethos dieser Rede machte wieder gut, was die klägliche Rechthaberei der Mehrheitssozialisten verdorben hatte." Zu Kautsky vgl. M.L. Salvadori: Sozialismus und Demokratie, Stuttgart 1982; D. Geary: Karl Kautsky, Manchester 1987. 1 6 1

Abgedruckt "Von der Internationalen", Freiheit, Nr. 66 (6.2.Ί9 A).

III. Die Kriegsschuldfrage auf der Berner Sozialistenkonferenz

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Hindernis zu bilden, von ihrer intransigenten Position abrücken mußten, wenn auch kaum grundlegend. Inwieweit die MSPD diese neue Haltung jedoch im Verlauf der weiteren historischen und politischen Auseinandersetzung um die Kriegsschuldfrage beibehielt und anwandte, wird später zu untersuchen sein. Aufschlußreich ist das nachträgliche Urteil des "Vorwärts" über den zweiten und letzten Teil der Resolution, da er durchaus treffend den Kompromißcharakter, der der Uneinigkeit in der Schuldfrage entsprach, wiedergibt: "Die Berner Konferenz ... hat sich allerdings bereits mit der Schuldfrage beschäftigt, aber die diesbezügliche Debatte war noch etwas von den Leidenschaften des formell noch nicht abgeschlossenen Krieges getragen, ihr war keine sachliche, sorgfaltige Prüfung von Akten vorangegangen und die schließlich mühsam zustandegekommene Resolution war absichtlich ziemlich nichtssagend und verfolgte offensichtlich den Zweck, die erste Sozialistenkonferenz seit Beginn des Krieges und die erste offene Aussprache nach außen hin einen etwas versöhnlichen Abschluß (sie!) zu geben." 162 Dieser Kompromiß entsprach der englischen Haltung in Bern, die im Gegensatz zu den Franzosen die Kriegsschuldfrage von Anfang an zu Gunsten anderer Probleme hatten zurückstellen wollen 163 . Er bedeutete, daß eine Einigung der Internationalen vor den Pariser Friedensverhandlungen, mit der man hoffte, einen gemäßigten und an den 14 Punkten Wilsons orientierten Rechtsfrieden zu erreichen, unter Ausklammerung der Schuldfrage erlangt worden war. Das Echo hierauf war selbst in der regierungsfreundlichen Presse höchst unterschiedlich, besonders bei der Bewertung der Person Eisners. Während das "Berliner Tageblatt" die Rede Eisners als bislang größtes öffentliches

1 ftl V. Schiff: Ein internationaler sozialistischer Untersuchungsausschuß!, Vorwärts, Nr. 328 (30.6.Ί9 M). 1 6 3 "Die Schuldfrage auf der Berner Konferenz", BT, Nr. 53 (5.2.Ί9 A), und LA, FZ, Nr. 99 (6.2.' 19 A). Dagegen spricht H.A. Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung, S. 211, von einem eindeutigen Sieg der MSPD in Genf, die "[o]hne ein wirkliches Eingeständnis von Schuld" die "Absolution der wiedererstehenden Zweiten Internationale" erhalten hätten.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Schuldbekenntnis brandmarkte 164, attestierte die "Frankfurter Zeitung" Eisner, daß er sich um Deutschland verdient gemacht habe, auch in Hinblick auf die Kriegsgefangenenfrage, und er daher vor Angriffen in Schutz genommen werden sollte 165 . Auch bei Gesamteinschätzung der Konferenz und ihrer Bedeutung für die Lage Deutschlands unmittelbar vor Versailles kommen die beiden linksliberalen Blätter zu völlig konträren Urteilen: Statt einer "unfruchtbaren Diskussion über die Schuldfrage", die dadurch nur verlängert und ausgeweitet würde, wie es das Berliner Tageblatt befürchtete, erhoffte sich die Frankfurter Zeitung, daß das drohende Pariser "Komplott" durch Bern verhindert werden könne 166 . Diese positive Einschätzung der Berner Konferenz findet sich selbstverständlich auch in den Organen der USPD und SPD, doch neben der einfachen Berichterstattung über den Ablauf der Internationalen wurde auch der Streit der beiden Parteien, der unverhüllt in Bern ausgetragen worden war, zum Gegenstand öffentlicher Anklagen gegen den sozialistischen Widersacher gemacht. Vor allem die Unabhängigen griffen bereitwillig die Worte Eisners auf und konstatierten im Ergebnis die moralische und "unzweifelhafte Niederlage" der Rivalen, die in Bern auf Grund ihrer Passivität gegenüber dem Wilhelminismus auf der Anklagebank gesessen hatten167. Der unüberhörbar triumphierende Tonfall, den die Unabhängigen dabei gegenüber den "Kaisersozialisten" anschlugen, blieb von deren Seite fast ohne Antwort. Zwar begann

164 V g l den in der letzten Fn. erwähnten Artikel im BT. Eher ungewöhnlich mutet an gleicher Stelle die Einschätzung der Ausfälle Eisners gegen die MSPD an: "Die Auseinandersetzung zwischen Deutschen vor den lächelnden Franzosen und schweigenden Engländern wird nicht nach jedermanns Geschmack sein. Sie ist um so peinlicher, als man dem Redner den Arger über die schlechten Wahlerfolge seiner Partei anmerkt." Ahnlich ablehnend gegen Bern im allgemeinen und Eisner im besonderen H. Delbrück: Schuldbekenntnisse, in: Pr.Jbb., 176. Bd. (1919), S. 141-152, hier S. 142. Vgl. auch "Die Schuld am Kriege. Eisners und Kautskys deutschfeindliche Stellungnahme", Germania, Nr. 59 (6.2.Ί9 M). 1 6 5 "Herr Eisner auf der Bemer Konferenz", FZ, Nr. 119 (13.2/19 A). Ähnlich Fr.W. Foerster, Mein Kampf, S. 26. 1 6 6 "Die Schuldfrage auf der Bemer Konferenz", BT, Nr. 55 (5.2/19 A); LA, FZ, Nr. 99 (6.2.Ί9 A). Gegenüber diesen eindeutigen Einschätzungen war die Position der offiziösen DAZ weitaus undurchsichtiger, da sie einerseits anerkannte, daß die Mehrheitssozialisten ihren Standpunkt bezüglich der Kriegsschulddiskussion gut verteidigt hatten, andererseits die Konferenz als Ort hervorragender Rhetoren abwertete, die ohne irgendeine politische Relevanz die Kräfte untereinander messen ("Französisches Pharisäertum in Bern", Nr. 59 [5.2.Ί9 MJ; "Die Berner Sozialistenkonferenz", Nr. 66 [8.2.Ί9 A]). 1 6 7 "Die Bemer Konferenz", Freiheit, Nr. 79 (13.2.Ί9 A). Vgl. "Die Internationale in Bern", Vorwärts, Nr. 64 (4.2.Ί9 A).

III. Die Kriegsschuldfrage auf der B e e r Sozialistenkonferenz

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der "Vorwärts" bereits gegen Ende Januar 1919 mit einer kontinuierlichen Berichterstattung über die herannahende Konferenz, doch weder in der Vorbereitungsphase, noch nach der offiziellen Eröffnung wurde die Gelegenheit genutzt, um die Stellung in der Kriegsschuldfrage pointiert zu vertreten; geschweige denn, sich auf eine Polemik mit dem innersozialistischen Gegner einzulassen168. Nach Beendigung der Konferenz begnügte man sich mit einer bloßen Wiedergabe der Worte Hermann Müllers, der sicherlich berechtigt, aber trotzdem wenig einfallsreich und vor allem auch wenig offensiv feststellte: "Die Stellung der deutschen Sozialdemokratie war in Bern deshalb eine wenig angenehme, weil die Unabhängigen, ganz besonders der bayerische Ministerpräsident Eisner, bei jeder Gelegenheit uns in den Rücken fielen und dabei... lebhaften Beifall... ernteten." 169 Die Mehrheitssozialdemokratie, die statt Inhalte und Positionen zu bekämpfen sich über das schlechte Benehmen der USPD beklagte, erweckte in Bern den Eindruck, kein Konzept zu haben, das ihre Rolle als sozialistische und als Regierungspartei verbunden hätte. Weitaus geringer war die Diskussion über die Berner Konferenz außerhalb der liberalen und sozialistischen Lager. Sofern sie von kommunistischer oder konservativer Seite überhaupt behandelt wurde, war Bern nur willkommener Anlaß, wieder einmal den politischen Gegner ad absurdum zu fuhren, sich jedoch nicht inhaltlich mit ihm auseinanderzusetzen170. Gerade für die konservative Seite gab es außerdem zu dieser Zeit bereits ein Thema, daß der Kriegsschuldfrage als solcher an innenpolitischer Attraktivität in nichts nachstand.

1 6 8 Man reichte im Vorwärts Meldungen weiter, berichtete über den Konferenzablauf und druckte die gehaltenen Reden und die beschlossenen Resolutionen ab; vgl. etwa "Internationaler Sozialistenund Gewerkschaftskongreß", Nr. 35 (20.1.'19 M); "Die internationale Sozialistenkonferenz", Nr. 43 (24.1. M); "Die nationalen Vertretungen auf der Bemer Konferenz", Nr. 50 (28.1. M); "Die internationale Sozialistenkonferenz", Nr. 59 (1.2. A); "Die Internationale in Bern", Nr. 64 (4.2. A); "Die Internationale in Bern", Nr. 66 (5.2. A); "Einigkeit in Bern", Nr. 70 (7.2. A). Viel Bericht, wenig Stellungnahme. 1 6 9 1 7 0

"Das Ergebnis der Bemer Internationalen Sozialistenkonferenz", Vorwärts, Nr. 86 (16.2.' 19).

"Wenn die Toten erwachen", RF, Nr. 20 (6.2/19); "Politische Tagesübersicht", KZ, Nr. 110 (8.2.Ί9 A).

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

IV. Die "Schuld am Krieg" und die "Schuld im Krieg" Neben der Frage nach dem Ausbruch des Krieges, der Schuld am Kriege, konnte auch die Frage nach dem möglichen Verschulden während des Krieges, nach der Schuld im Kriege, gestellt werden. Diese Frage war in mancherlei Hinsicht möglich und erlangte auch in unterschiedlichem Zusammenhang Bedeutung. Zunächst einmal hatten Klagen über die grausame und völkerrechtswidrige Kriegführung schon während des Krieges zu den wichtigsten Propagandamitteln der Alliierten gezählt. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg hatte schließlich den Kriegseintritt der USA bewirkt; daneben standen vor allem die deutschen Verwüstungen auf dem Rückzug in Nordfrankreich, die Deportation belgischer Arbeiter zum Einsatz in Deutschland und die Behandlung der Kriegsgefangenen auf der alliierten Liste. Es war möglich, daß diese Liste bei Friedensverhandlungen präsentiert werden würde, und so begannen deutsche Stellen sich frühzeitig darauf einzustellen171. Dies geschah auf zwei Arten. Zum einen wurden Vorwürfe gegen die deutsche Kriegführung abgelehnt, viele der Zerstörungen auf die Einwirkungen der Feinde selbst zurückgeführt und eine Gegenrechnung präsentiert, die etwa die Verwüstungen in Ostpreußen zum Thema machte. In fast prophetischer Manier enthält ein Artikel vom Ende November bereits alle später relevanten Punkte: Erstens habe Deutschland den Krieg nicht angefangen, wie die belgischen Dokumente und der SuchomlinowProzeß von 1917 zeigten. "Im Jahre 1907 begann die Einkreisung Deutschlands, das Frankreich aus Rache, Rußland aus Ländergier und England und Amerika aus Konkurrenzneid zu vernichten beschlossen." Zweitens gab es keine Grausamkeiten des Heeres, während "die Entente hunderttausende von Negern, Gurkas und sonstigen Wilden zur Kriegsführung gegen uns aus ihren Kolonien ins Feld geführt hat". Rußland habe in Ostpreußen, Frankreich im Elsaß gewütet. Drittens war der U-Boot-Krieg nicht völkerrechtswidrig, die "Ritterlichkeit unserer Uboote und Kaperkreuzer" mußte auch von der feindlichen Presse anerkannt werden. Viertens unternahmen wir, anders als die Feinde, keine Luftangriffe gegen Städte und Lazarette, und endlich fünftens war die Behandlung der

Generell zu diesem Auslieferungsfrage, passim.

Komplex

in

erschöpfender

Gründlichkeit

W.

Schwengler,

IV. Die "Schuld am Krieg" und die "Schuld im Krieg"

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Kriegsgefangenen korrekt, während die gefangenen Deutschen gefoltert wurden - was einzelne Gegenmaßnahmen notwendig machte (sie!) 172 . Als im Dezember eine Reise des amerikanischen Präsidenten Wilson durch die zerstörten Regionen Frankreichs vorbereitet wurde, befürchtete man eine Beeinflussung mit "weittragenden politischen Folgen" in der Entschädigungsfrage. Der Vorschlag, zu dieser Reise auch deutsche militärische Sachverständige heranzuziehen, hatte allerdings ebensowenig Chancen, realisiert zu werden, wie sich der gewünschte Erfolg durch die Vorbereitung von Unterlagen für Wilson erzielen ließ, "aus welchen hervorgehen würde, daß Frankreichs schönste Städte und Baudenkmäler durch französische und englische Beschießung zerstört wurden, während wir nach Möglichkeit die Kunstschätze für Frankreich retteten" 173. Zum anderen bildete sich bereits im Dezember eine Kommission, die deutsche Verstöße bei der Behandlung der Kriegsgefangenen untersuchen und gegebenenfalls auch mit weiten Vollmachten bestrafen sollte. Vorsitzender war der international bekannte Marburger Völkerrechtler und Pazifist Walther Schücking, der später Mitglied der deutschen Friedensdelegation in Versailles war und für die DDP in die Nationalversammlung einzog 174 . Ihm zur Seite standen unter anderen die USPD-Politiker Bernstein und Cohn; es war also dafür gesorgt, daß die Kommission, zu deren Kompetenzen es etwa zählte, Offiziere ohne Pension aus dem Dienst zu entlassen, keine unkritische "Freisprechungsmaschine" werden konnte. Trotzdem nahm die Öffentlichkeit kaum

175 "Gegen Lug und Trug und Verleumdung des deutschen Volkes!", Hamb. Corresp., Nr. 595 (23.11/18). Vgl. auch B. Schwertfeger: 'Die Grausamkeit' der deutschen Kriegführung, DAZ, Nr. 641 (17.12/18 A); P. Clemen: Die Zerstörungen in Nordfrankreich und Belgien, DAZ, Nr. 652 (23.12/18 A,Bb). Es ist kein Zufall, daß diese frühen Artikel ausgerechnet im offiziösen Organ der Reichsregierung erschienen! Eine typische Publikation in diesem Zusammenhang ist auch das vom ReichsKolonialamt erstellte Werk "Die Kolonialdeutschen aus Deutsch-Ostafrika in belgischer Gefangenschaft", Berlin 1918. 171 1 , J Die Information über die Wilson-Reise und der erste Vorschlag, der zur Veröffentlichung in der DAZ bestimmt war, entstammen einem Telegramm des stets informierten und schreibfreudigen Gesandten in Bern, Romberg, an das Auswärtige Amt vom 19.12/18 (PA, WK adh 4, Bd. 31, nicht fol.). Die zweite Anregung resultierte aus einem Telegramm der DVP an das Auswärtige Amt vom 23.12/18 (ebd.). 1 7 4 Zu ihm Chr.-B. Schücking: Waither Schücking, in: Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Hamburg 1965, S. 175-220; D. Acker: Waither Schücking (18751935), Münster 1970 (zur Kommission S. 133ff.); und die Sammlung im BAP, 61 Re 1 Reichslandbund Pressearchiv, Personenarchiv, Nr. 432. Vgl. auch W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 146 u. S. 173 ff.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Anteil an den Untersuchungen der Kommission. Aufsehen erregte sie erst Anfang April mit dem Urteilsspruch im "Fall Fryatt", der Erschießung eines englischen Handelskapitäns, in dem sie zu einem Freispruch kam. Dieser Freispruch wurde von Bernstein und Cohn zwar nicht geteilt, die Objektivität der Untersuchung erkannten sie aber an. Das öffentliche Urteil war gemischt 175 , und Bedenken hatte es auch von offizieller Seite gegeben. Ein Schriftstück im Auswärtigen Amt stellte fest, daß sich die Kommission Schücking nicht weiter mit Fällen wie dem Fryatts befassen solle, da dies die Beziehungen zu England unnötig verschlechtere. Der Spruch der Kommission, die Erschießung Fryatts habe nicht den Grundsätzen des Völkerrechts widersprochen, müsse auf England wie eine Provokation wirken 176 . Gewichtiger waren für die innenpolitische Diskussion der gesamten Weimarer Republik die Vorwürfe, die von rechter Seite über die angebliche Schuld im Kriege erhoben wurden und die in der Dolchstoßlegende177 gipfelten. Die hiermit für die Demokratie verbundenen Gefahren waren schon sehr früh erkannt worden. Noch in der ersten Woche der Kanzlerschaft des Prinzen Max sprach die Frankfurter Zeitung offen von der Schuld der Konservativen und warnte vor einer Vertuschung, "weil jetzt schon diese selben Schädiger, die uns bis hierher gebracht haben, ihre furchtbare Schuld der neuen Demokratie aufzuladen bemüht sind, die doch in Wahrheit nichts tut, als die unglückselige Erbschaft jener zu liquidieren, so weit wie sie eben noch zu liquidieren ist. Das soll man wissen. Die neue Regierung springt in die Bresche, um die ungeheure Aufgabe der Rettung Deutschlands zu übernehmen. Unter die Note [mit

1 7 5 Vgl. W. Schücking: Die deutsche Untersuchungskommission, DAZ, Nr. 652 (23.12/18 A). Vgl. "Das Urteil im Fall Fiyatt", DAZ, Nr. 160 (3.4.Ί9 M); "Das Urteil im Fall Fryatt", Germania, Nr. 151 (3.4/19 M); L. Persius: Der Fall 'Captain Fryatt', BT, Nr. 155 (8.4/19 M) [wonach die Erschießung Fryatts sehr wohl Unrecht warj; "Der Fall Fryatt", Freiheit, Nr. 209 (3.5/19 M); "Die Mordtat des Admirals von Schröder", RF, Nr. 22 (8.2/19 M). 1 7 6

Das Schriftstück ist vom 10.4.; PA, WK 9, Bd. 32 (nicht fol.).

ι nn Vgl. etwa A. Thimme, Flucht in den Mythos, S.76ff.; K. Thiessenhusen, Politische Kommentare, S. 25ff.; M.J. Bonn, So macht man Geschichte, S. 229ff. Die "schönste" Formulierung dürfte von Hindenburg ("Aus meinem Leben", S.403) stammen: "Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken."

IV. Die "Schuld am Krieg" und die "Schuld im Krieg"

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der Bitte um sofortigen Waffenstillstand, d.Verf.] aber ... gehörten von Rechts wegen ganz andere Namen" 178 , nämlich die der politisch Verantwortlichen der letzten Jahre. Die dachten jedoch gar nicht daran, die Verantwortung für den Zustand Deutschlands im Oktober 1918 auf sich zu nehmen. Vergleichsweise harmlos und wenig folgenreich waren noch Vorwürfe wie die, daß die deutschen Kritiker des Militarismus dem Ausland propagandistische Vorwände für seinen Kampf gegen Deutschland geliefert hätten und daß hieraus auch Wilsons Forderung nach Abdankung des Kaisers entsprungen sei 1 7 9 . Angriffe dieser Art waren ungeeignet, die Grundlagen des neuen Staates zu erschütttern. Anders verhielt es sich bei der Frage nach der Schuld am Ausgang des Krieges. Die simple Wahrheit, daß der Krieg militärisch verloren wurde durch die materielle Unterlegenheit Deutschlands und die Ineffizienz seiner Führung, politisch aber durch die Unfähigkeit des Wilhelminismus zu durchgreifenden politischen Reformen, wurde nur selten ausgesprochen und noch seltener geglaubt, zumal die Zeitungen noch bis weit in den Oktober 1918 hinein erfolgreiche Kämpfe an allen Frontabschnitten weit

1 7 8 "Der Friedensschritt", FZ, Nr. 278 (7.10.Ί8 M). Vgl. Th. Wolff: Nach der Antwort Wilsons, BT, Nr. 518 (10.10.'18 M). Der letzte Abschnitt dieses Leitartikels lautet: "Es muß so klar als möglich werden, daß die alten und die neuen Gewalten bei jedem Schritt völlig einig sind. Wir wollen nicht, daß dreiste Lügenpriester hinter dem Volke sagen können: all das verdankt ihr der Demokratie! Wir wollen nicht, daß ein Oberlehrer den Schülern vorreden könne, die Demokratie habe das deutsche Volk um den Sieg gebracht. Wir wollen nicht, daß Geschichtsschreibern, wie wir sie in dieser Zeit kennen gelernt haben, die Möglichkeit zu neuen Entstellungen der Wahrheit bleibt. Niemand darf jemals täuschend behaupten können, die erste deutsche Volksregierung habe im Oktober 1918 anders gehandelt, als es durch die Lage der Dinge nach dem Urteil der Berufensten geboten oder nützlich gewesen sei." Es mutet gespenstisch an, wie diese Warnungen sich minutiös erfüllten. 1 7 9 So G. Foertsch: Die Antwort des Präsidenten Wilson, KZ, Nr. 545 (25.10/18 M), der den Demokraten auch den Ausweg wies, daß sie ihre Fehler gutmachen könnten durch den Kampf für "unseren geliebten Kaiser und König". Vgl. die Hetze gegen die DDP in "Politische Tagesübersicht", KZ, Nr. 620 (5.12/18 A): "Es ist der jüdisch-international bestimmte Pazifismus, der so viel zu unserem Zusammenbruch beigetragen hat, der uns jetzt aufs schwerste schädigt, indem er nicht zuletzt die deutsche Politik für den Krieg verantwortlich macht, wie er uns vor und während des Krieges geschädigt hat, indem er mit seinen Klagen und Beschwerden den Feinden den Vorwand zu ihrem moralischen Feldzuge gegen den preußischen Militarismus und die Autokratie gab, unter der das deutsche Volk seufze." Siehe auch S.: Ist der 'deutsche Militarismus' schuld am Kriege?, KZ, Nr. 8 (5.1/19 M ) über die "sozialdemokratische und die jüdisch-demokratische Presse", die "Wasser auf die Rachemühlen unserer Feinde" leitet.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

im Feindesland gemeldet hatten180. Die "einfachere" und für das nationale Selbstgefühl schmeichelhaftere Version nahm Eberts "im Felde unbesiegt" zum Ausgangspunkt und konstruierte dies zu einem "in der Heimat besiegt" um. Die Monarchisten machten nicht einmal vor dem Prinzen Max von Baden halt, der ihnen als Thronfolger eines deutschen Staates eigentlich hätte sakrosankt sein müssen. Mit unversöhnlichem Haß kritisierten sie seine Kanzlerschaft sofort nach deren Beginn, und diese Kritik verschärfte sich noch, als die eigenmächtige Vorgehensweise des Prinzen bei der verspäteten Abdankung des Kaisers bekannt wurde 181 . Prinz Max strafte seine Gegner mit vornehmer Nichtachtung, ohne jedoch die Gefahren zu unterschätzen. Am 12. März 1919 schrieb er an Scheidemann über die geplante Veröffentlichung einer Dokumentation zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes: "Ich nehme den Versuch sehr ernst, der von rechtsstehender Seite unternommen wird, um die Verantwortung für die militärische Katastrophe von dem General Ludendorff auf die politische Leitung des Oktobers 1918 abzuwälzen - diese Geschichtsfälschung muß zerstört werden." Dies solle aber nicht jetzt geschehen, da die Feinde solche Auseinandersetzungen in der Vorphase Versailles für sich ausnützen könnten: "Ich glaube, die Verantwortung für die Vermehrung des

180 Das Eingeständnis der rein militärischen Niederlage etwa bei G. Metzler: Die verruchte Lüge, in: Die Weltbühne, 15. Jg. (1919), S. 34-37, hier S. 34f.; Major Paulus: Heimat und Oberste Heeresleitung, FZ, Nr. 68 (26.1.' 19 M). Im letzten Artikel wird Ludendorff vorgeworfen, daß er als Feldherr versagt habe. Dagegen richtet sich der Freiherr v. Freytag-Loringhoven: Heimat und Oberste Heeresleitung, KZ, Nr. 53 (3.2.'19 A). Von den Meldungen kurz vor Kriegsende seien nur einige erwähnt: "Sämtliche Angriffe der Gegner gescheitert", KZ, Nr. 557 (31.10.'18 A); "Großer Abwehrsieg an der Westfront", KZ, Nr. 561 (2.11/18 A); "Erfolgreiche Abwehr an der ganzen Front", KZ, Nr. 566 (5.11/18 A). Intern sah die Einschätzung anders aus. In den Akten des Reichsamts des Innern (BAP, 15.01, Bd. 6114, Bl. 60-65) findet sich eine geheime Denkschrift vom 11.10/18, die die Sachlage ungeschminkt zugibt: Die militärische "Lage ist nach dem sorgsam erwogenen Urteil der Obersten Heeresleitung so, daß die Weiterführung des Krieges dem Feinde mehr und mehr die Möglichkeit bietet, seine Überlegenheit zur Geltung zu bringen. ... Dazu kommt noch, daß einer von unseren Bundesgenossen schon völlig versagt hat, und daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann auch den beiden noch übrigen der Atem ausgehen wird. Wir müssen diesen Tatsachen offen ins Auge sehen, weil jede Täuschung und Schönfärberei die Gefahr, die uns droht, noch vergrößern würde." Die Fragen Wilsons lassen "erkennen, daß unsere Feinde sich des Vorteils ihrer Lage vollkommen bewußt sind. Daraus ergibt sich für uns die bittere Notwendigkeit, in unserer Antwort viel mehr Entgegenkommen zu zeigen, als man in der deutschen Öffentlichkeit, die noch vor kurzer Zeit die besten, zum Teil sogar weit übertriebene Hoffnungen hegte, begreiflich finden wird." Allerdings fährt die Denkschrift fort, daß Wilson nie die Abtretung Elsaß-Lothringens oder der Gebiete mit polnischer Bevölkerung gefordert habe, und daß man gegebenenfalls nach einem - jetzt dringend nötigen! - Waffenstillstand den Kampf wieder aufnehmen könne! 1 Ol Vgl. A.V. Tirpitz: Erinnerungen, Leipzig 1919, S. 293; E. Ludendorff: Meine Kriegserinnerungen 1914-1918, Berlin 1919, S. 618f. Die Darstellung des Prinzen Max ("Erinnerungen", S. 634ff.) antwortete erheblich später darauf.

IV. Die "Schuld am Krieg" und die "Schuld im Krieg"

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inneren Haders sollte heute den falschen Freunden Ludendorffs allein überlassen bleiben."182 Diese letzte Auffassung teilte Scheidemann nicht. Der Frieden werde ohnehin bereits vor der Veröffentlichung unterzeichnet sein, und außerdem: "Eine Vermehrung des inneren Haders kann daraus kaum entstehen; ein Blick in die Blätter der Rechten zeigt ein solches Maß verantwortungsloser Verhetzung, daß hier nichts mehr verdorben werden kann." 183 Hieraus entspann sich die Scheidemann/Ludendorff-Kontroverse, in der der Ministerpräsident den General als einen militärischen Hasardeur bezeichnete, was dieser in einem Brief wütend zurückwies und seinerseits der Heimat die Schuld am Zusammenbruch der Front aufbürdete. Scheidemann blieb bei seinen Bewertungen und nutzte die Gelegenheit, in der Nationalversammlung die Bildung eines Staatsgerichtshofes anzukündigen, der schuldhaftes Verhalten nicht nur beim Ausbruch, sondern auch und vor allem in der Endphase des Krieges zu untersuchen haben werde 184.

1 8 2 Beide Stellen im erwähnten handschriftlichen Brie£ BA, R43/I (Akten der Reichskanzlei), Nr. 803, Bl. 9-10. Am 27.3. schrieb Prinz Max an Payer, der inzwischen Fraktionsvorsitzender der DDP war, und der ihm diesen Kurs angeraten hatte (BA, NL Payer, Nr. 12, Bl. 233): "Ich bin Ihnen dankbar für diesen Rat und werde, trotz aller Provokationen, schweigen bis der Friede geschlossen ist In diesem Sinne habe ich auch an Scheidemann und Ludendorff geschrieben, sie sollten Burgfrieden halten, bis wir Friede und Ruhe im Lande haben. Ich habe Ludendorff gleichzeitig in Aussicht gestellt, daß ich allerdings nach Friedensschluß schonungslos reden würde. In der Tat geben die Versuche der rechtsstehenden Parteien und der OHL, die erste parlamentarische Regierung für den Zusammenbruch Deutschlands verantwortlich zu machen, weit über das Persönliche hinaus; sie sind von weittragender prinzipieller Bedeutung und müssen entsprechend behandelt werden."

1 Das Antwortschreiben Scheidemanns vom 17.3/19, findet sich an gleicher Stelle, BA, R 43/1 (Akten der Reichskanzlei), Nr. 403, Bl. 12-14. Im Entwurf ist die Anrede "Königliche Hoheit" dreimal handschriftlich gestrichen und ersetzt durch die Anschrift "An den Herrn Prinzen Max von Baden". Im Begleitschreiben der Reichskanzlei heißt es demgegenüber wieder "Großherzogliche Hoheit". 1 8 4 Scheidemann zog in der 29. Sitzung der Nationalversammlung vom 26.3.Ί9 (327. Bd. der Sten Ber.) so kräftig gegen "Kaiserismus und Ludendorfferei" (S. 809) und die "Fälschungsversuche unserer Reaktionäre" (S. 809) vom Leder, daß es am Tag darauf in der 30. Sitzung zu einer erregten Debatte kam, in der Graf Posadowsky-Wehner für die DNVP eine entrüstete Erklärung verlas. Zustimmend zu Scheidemanns Ausführungen der Leitartikel der FZ, Nr. 233 (27.3.'19 A). Zum Briefwechsel mit Ludendorff vgl. "Ludendorff und Scheidemann", BT, Nr. 113 (16.3.Ί9 M), sowie U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 23. Schon einige Zeit vor dieser Kontroverse hatte der allzeit bereite Graf Reventlow dem viel angegriffenen General ein nettes Weihnachtsgeschenk bereitet; "Ludendorff', DTZ, Nr. 654 (24.12/18). Danach sei es eine "Legende", daß Ludendorff im Oktober wegen der Verfassungsänderung habe gehen müssen: "Er dürfte sie im Gegenteil empfohlen, vielleicht angeregt haben." (sie!) Auch sei es eine Legende, daß Ludendorff den sofortigen Waffenstillstand verlangt habe. Vielmehr habe er nur allgemein angefragt und sich gegen jede Überstürzung gestemmt (abermals sie!). - Wer sich wissenschaftlich mit der politischen Publizistik des späten Kaiserreiches und der frühen Weimarer Republik auseinandersetzt, wird jede Menge heftige Debatten nachvollziehen, in denen die Invektiven bereitwillig aus der Feder fließen und in denen man es auch mit der Wahrheit nicht immer übermäßig genau nimmt Graf Reventlow ist einer der führenden Vertreter dieses Literaturgenres.

7 Dreyer/Lembcke

Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

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Dieses offensive Vorgehen war schon wenige Wochen nach der Revolution zur Seltenheit geworden, die Initiative in der Frage nach der Schuld an der Niederlage war auf die Anhänger des alten Regimes übergegangen und wurde von diesen, wie Scheidemann ganz richtig gesehen hatte, weidlichst genutzt. Das Niveau der schon im November einsetzenden und sich kontinuierlich steigernden Hetze war, was nicht weiter überraschen wird, ausgesprochen gering. Harmlos war es noch, wenn die Ursache der Niederlage mit dem Finger Gottes erklärt wurde, der die allgemeine Unmoral und Überheblichkeit bestrafen wollte 185 . Gefahrlich war aber die felsenfeste Überzeugung, daß niemals die Front oder die militärische Leitung, aber auch nicht die "völkisch gerichteten Bürger" 186 für die Niederlage verantwortlich gemacht werden könnten. Wenn man den Krieg nur etwas länger durchgehalten hätte, wäre der Sieg errungen oder doch zumindest die Niederlage verhindert worden 187. Daß dies nicht gelang, liegt

1 8 5 K. Engler: Des Kaisers Schuld und Deutschlands Schmach, Süddeutsche Zeitung, Nr. 340 (10.12.' 18): "Es war mit Händen zu greifen: Gott war mit uns in den ersten Kriegsjahren. ... Und warum konnte Gott mit uns sein? Weil unser Volk von christlichem Geist durchweht und von vaterländischem Sinn erfüllt wurde." Das änderte sich bald: "Statt Gottvertrauen und Gottesdank kam Selbstvertrauen und Menschenvergötterung. In immer breiteren Volksschichten wurden Gottesglaube und Vaterlandsliebe weggeworfen und verspottet. Atheismus und Internationalismus gingen wie eine Geistesepidemie durch Volk und Heer, verbunden mit einem erschreckenden Zerfall der Volksmoral. Wucherei, Gewinnsucht und Hamsterei, Genußsucht und Vergnügungstaumel in der Heimat und den Etappen, Ungerechtigkeit und Härte, Schmauserei und Schlemmerei, Ehebruch draußen und daheim; diese und andere Sünden haben den Geist und die Kraft unseres Volkes und Heeres zersetzt und verzehrt. Und an diesem Zerfall trägt allerdings der Kaiser, die Regierung und Heeresleitung wirklich Mitschuld durch verkehrte Maßnahmen und schwere Versäumnisse. Für Bordelle und Kinos, für Schundliteratur und Schnaps hat man dem Feldheer besser gesorgt als für gute Behandlung, Ernährung und christliche Predigt. In der Heimat hat man die Schulen geschlossen und die Jugend verwildem lassen, anstatt die Vergnügungshäuser und Lasterhöhlen zu schließen; von den verhängnisvollen Mißgriffen in der Volksernährung und Kriegsindustrie und vielen andern bösen Dingen ganz zu schweigen. Hier liegt unser aller gemeinsame Schuld, die Schuld des Volkes und Heeres, der Regierung und des Kaisers. Darum hat Gott seine Gnade und Hilfe von uns abgewendet und solche (sie!) großes Unglück über uns kommen lassen." Diese Auffassung setzte sich nicht durch. 1 8 6 "Erklärung des Alldeutschen Verbandes", DTZ, Nr. 115 (4.3.'19 M). Vgl. den Artikel "Von einem Frontsoldaten: Wen trifft die Schuld?", DTZ, Nr. 621 (6.12.'18 A): "Keinem Frontsoldaten wird man je einreden können, an dem Zusammenbruch der Heimat träfe die Fronttruppen eine Schuld, vielmehr ist diese, jetzt und für immer davon überzeugt, daß sie von der Heimat verraten wurde."

187

Selbst in der DAZ findet sich ein Artikel von einem Marineoffizier; "Letzte U-Bootfahrt nach England", Nr. 621 (6.12.'18 A): "Aus den Gesprächen mit den Engländern erfuhren wir noch mancherlei. 'Das deutsche Volk muß ganz den Kopf verloren haben!' 'In zwei Monaten hätten wir klein beigegeben, dann hätten Sie einen anständigen Frieden gehabt!' Was hilft uns das jetzt!" Vgl. z.B. die Schrift des deutschnationalen ehemaligen Mitarbeiters Ludendorffs, Oberst Bauer: Konnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, abbrechen?, Berlin 1919, S. 62: "Verloren worden ist er nur und ausschließlich durch das Versagen der Heimat. ... Wir haben den Krieg durch eigene Schuld um eine Nasenlänge verloren." Scharf gegen Bauer und Ludendorff "Herr Oberst Bauer. U m eine Nasenlänge'", BT, Nr. 219 (15.5/19); lobend für dessen "Buch voll Wahrheit und Selbstkritik" ein Oberst

IV. Die "Schuld am Krieg" und die "Schuld im Krieg"

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einzig und allein am völligen Versagen der Heimat, am jüdisch-internationalen Pazifismus, an der Parteisucht der Sozialdemokraten, an der sozialistischen Verhetzung und Wühlarbeit in der Armee, und was der Schlagworte mehr sind 188 . Seine Chancen witterte auch der reaktionäre Antisemitismus, der die Gelegenheit, die Juden außer für alle Übel der Welt auch speziell für Kriegsausbruch und Kriegsausgang verantwortlich zu machen, dankbar ergriff. Wie trefflich sich dieses Thema zur Wahlagitation eignete, zeigt ein Flugblatt der DNVP mit dem Titel "Landleute laßt Euch nicht beschwindeln!", das am 18. Januar 1919, also am Tag vor der Wahl zur Nationalversammlung, verteilt wurde. "Diejenigen, die in der Hauptsache für den Ausbruch und ganz allein für den Ausgang des Krieges verantwortlich sind, rufen jetzt nach alter Spitzbubenregel 'Haltet den Dieb' und versuchen ihre eigne Schuld den früheren Parteien der Rechten in die Schuhe zu schieben. Schuld am Kriege sind nicht die 'Junker', sondern die Juden, d.h. die von diesen geleitete Sozialdemokratie und Demokratie." 189

Immanuel: 'Konnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, abbrechen?', Der Tag, Nr. 89 (29.4.Ί9). Den Vogel schießt wie so oft Graf Reventlow ab, "LudendorfF', DTZ, Nr. 654 (24.12.Ί8): Der OHL war es im Oktober klar, daß man den Krieg noch monatelang aushalten könne, während die Feinde noch 1918 den Frieden brauchten. Nimmt man diese Prämisse an, kommt man in der Tat zwanglos zu der Überzeugung, der Waffenstillstand sei "eine Dummheit, eine Feigheit und ein Verbrechen" gewesen, an dem "die Zersetzungsarbeit der 'Heimatfront'" die Schuld trägt. 1 8 8 Vgl. z.B. "Die innere Politik der Woche", KZ, Nr. 575 (10.11/18 M); "Die Schuld an unserem Elend", Neue Westfälische Volkszeitung, Nr. 34 (10.2.Ί9); K.E.v.G.: Gerechtigkeit, Posener Tageblatt, Nr. 68 (13.2/19); J. Werner: Die Zertrümmerung der deutschen Weltmachtstellung und der Wiederaufbau, KZ, Nr. 40 (27.1.'19 A): "Eigentlich wäre unsem Außenfeinden der Erfolg versagt geblieben, wenn nicht innerdeutsche Zerstörungsmächte den Weg gebahnt hätten. Gelang es doch dem Gegner erst in nennenswertem Umfang Waffenerfolge zu erzielen, nachdem durch radikal-sozialistische Verhetzung die Front unterwühlt und der bis dahin standhafte Siegeswille erschüttert war." Die Entente habe nicht militärisch gesiegt: "Wohl aber hat die Entente gewonnen, und zwar vorwiegend deshalb, weil man in unseren Reihen verloren hatte: die Nerven, leider auch stellenweise die deutsche Treue und andere große Züge deutscher sieghafter Wesensart." Weiter wird ein "unterirdisch wühlender Dämonismus" angeprangert. Vgl. kritisch zu diesen Artikeln Dr. Frosch: Die Juden als Sündenbock, WaM, Nr. 28 (14.7.Ί9 B).

189

Fundort des Flugblattes, dem auch die folgenden Stellen entstammen, ist das BAP, 61 Re 1, Reichslandbund. Pressearchiv, Bd. 9055. Vgl. auch Ph.St.: Ein Weltbeglücker, DTZ, Nr. 30 (11.1.'19): "Nun weiß heute ziemlich jeder Sehende, daß die Hauptschuld am Weltkrieg das internationale Altjudentum trägt." Zum Antisemitismus im Weltkrieg vgl. E. Zechlin: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969, S. 516ff.; zum philosophischen Hintergrund U. Sieg, Deutsche Kulturgeschichte und jüdischer Geist, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts 88 (1991), S. 59-92.

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Β. Die Revolution und die Kriegsschuldfrage

Jüdische, sozialistische und demokratische Zeitungen hätten alles in den Dreck gezogen und die Feinde so zum Überfall gereizt. Die Konservativen hätten die Außenpolitik der Regierung immer bekämpft, könnten also nicht dafür verantwortlich sein. "Und wer waren die Ratgeber des Kaisers? Nicht die Junker! Oder sind die Ballin, Rathenau, 'von' Friedländer, 'von1 Schwabach, James Simon und viele andere vielleicht Junker? Nein, Juden sind es." Auch an der Kriegsverlängerung sind diesem Flugblatt zufolge Demokraten und Sozialisten schuld, die "mit ihrem ewigen Friedensgewinsel" den Feinden neue Hoffnung gaben. Fazit: "Unser Heer ist im Felde nicht besiegt, die Revolution in der Heimat ist ihm in den Rücken gefallen. Der englische General Maurice schrieb hierüber: Die deutsche Armee sei von der Zivilbevölkerung von hinten erdolcht worden, die deutschen Matrosen hätten Paris gerettet. - Den Ausgang des Kriegs verdanken wir alle der Revolution, von der Juden frohlockten sie sei der Stern Judas!" Praktisch alle aus der späteren republikfeindlichen Hetze bekannten Begriffe tauchen auch schon in der ersten Zeit unmittelbar nach der Revolution auf. Gelegentliche Appelle, wie vom Berliner Historiker Friedrich Meinecke, daß gerade der verlorene Krieg Anlaß sein müsse, eine neue und höhere Einheit des Volkes herzustellen, wurden nicht gehört 190. Die Diskussionen um die Schuld an der Niederlage hatten fast ausschließlich innenpolitische Auswirkungen. Mit dem Jahreswechsel begann sich das Augenmerk aber auch wieder stärker auf außenpolitische Fragen zu richten, als der Beginn der Versailler Friedenskonferenz näherrückte. Ihr Schatten legte sich auf die Auseinandersetzungen der nächsten Monate bis zum 7. Mai 1919, dem Tag der Überreichung des Versailler Dokuments an Deutschland.

1 9 0 Fr. Meinecke: Zur nationalen Selbstkritik II, DAZ, Nr. 563 (3.11.Ί8 M). Vgl. von Meinecke auch "Nach der Revolution. Geschichtliche Betrachtungen über unsere Lage", München und Berlin 1919, passim.

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden" L Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes Einer der frühesten Versuche, die Kriegsschulddebatte zu objektivieren und auf ein höheres, wissenschaftliches Niveau gegenüber den Schuldzuweisungen in der Revolution zu heben, war am 3. Februar 1919 die Gründung der "Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts", der "Heidelberger Vereinigung", im Heidelberger Haus Max Webers. Die Initiative hierzu ging gemeinsam von Max Weber und dem ihm gut bekannten Max von Baden aus, welcher auch das Eröffnungsreferat auf der Gründungstagung hielt1. In würdevoller Form, die für Max Webers Ohren ein Labsal gewesen sein muß2, erkannte der Prinz zwar deutsche Schuld an - vor allem gegenüber Belgien - verwies aber auch auf die Verantwortung der anderen europäischen Mächte und versäumte nicht, den Gegnern die unmenschliche Hungerblockade vorzuhalten3, die sie auch jetzt noch gegen Deutschland richteten. Nur eine unabhängige internationale Kommission könne die Schuldfrage in objektiver Form untersuchen. Ergebnis des Krieges müsse der Völkerbund im Geiste der Wilsonschen 14 Punkte sein, und nicht die Weltherrschaft der Entente. Im gleichen Tenor war auch eine

1 Zur Heidelberger Vereinigung vgl. F. Diekmann, Kriegsschuldfrage, S. 68f.; A. Luckau, German Delegation, S. 46ff; W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 165ff.; L. Albertin, Liberalismus, S. 212ff; W.J. Mommsen, Max Weber, S. 338ff. Über die Gründungsveranstaltung berichtet Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl., Tübingen 1984 (unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. 1926), S. 659. Anwesend waren u.a. Brentano, A Weber, Mendelssohn-Bartholdy, R. Thoma und Graf Montgelas; "fast lauter Patrioten, die während des ganzen Krieges die Annexionspolitik bekämpft und für den Verständigungsfrieden gewirkt hatten" (ebd.). 2 Vgl. M. Weber, Zum Thema der Kriegsschuld, S. 537, wo Weber sich klar ausspricht gegen die "Hoffnungen des Besiegten darauf, durch Schuldbekenntnisse Vorteile einzuhandeln: wenn es irgend etwas gibt, was 'gemein* ist, dann dies". Siehe auch das Urteil Marianne Webers, Max Weber, S. 658: "Er weist... das 'Bekennen' deutscher Pazifisten als schlechthin würdeloses Verhalten von Naturen ab, die das Antlitz der Wirklichkeit nicht ertragen und sich deshalb eine Weltordnung zurecht machen, in der die Niederlage Folge einer Schuld sein muß". 3 Der Vortrag des Prinzen ist abgedruckt unter dem Titel "Völkerbund und Rechtsfriede", in: Pr.Jbb., 175. Bd. (1919), S. 295-320. Die "Hungerblockade" ist ein immer wieder benutzter Topos, mit dem insbesondere der uneingeschränkte U-Boot-Krieg gerechtfertigt wird.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

von den 22 Gründungsmitgliedern unterzeichnete Erklärung vom 7. Februar gehalten, die der Öffentlichkeit übergeben wurde. Die Unterzeichner waren durchweg hochkarätige Wissenschaftler mit untadeligem demokratisch-pazifistischen Hintergrund; die Hälfte von ihnen gehörte der DDP an4. Die erhoffte Wirkung blieb jedoch aus; das Ausland nahm von der Heidelberger Vereinigung keine Notiz, und wenn man den weiteren Gang der Debatte im Inland verfolgt, so kann der Einfluß der Vereinigung auf Inhalt und mehr noch auf Stil der Auseinandersetzung um die Kriegsschuld schwerlich groß zu veranschlagen gewesen sein. Selbst von offizieller Seite verzichtete man darauf, sich der Heidelberger Vereinigung zu bedienen und sie etwa als Kommission zur Untersuchung der Schuldfrage einzusetzen, nicht zuletzt deshalb, weil man sich auch in der Reichsregierung keineswegs sicher war, ob es überhaupt sinnvoll sei, wirklich eine nationale oder internationale Kommission zu schaffen. Sehr kritisch hierzu war etwa eine Vorlage des Auswärtigen Amtes vom 3. März, wo es heißt: "Meines gehorsamsten Dafürhaltens hat die Einsetzung einer deutschen Kommission zur Prüfung der Schuldfrage keinen Zweck. Auf einen Scheinprozeß gegen frühere hohe Staatsmänner fallt niemand herein. Eine unparteiische Untersuchungskommission, in der vernünftige Leute säßen, hätte im Ausland keinen Kredit. Im Auslande fanden nur solche Deutschen Glauben, die, wie Kautzky (sie!), von vornherein zu einem Schuldspruch neigen, um das alte Regime als solches bloßzustellen. Die 'Gemeinschaft des Rechts' des Prinzen Max von Baden ist noch zu neu, um irgendwie herangezogen werden zu können."5 Bereits hier wird deutlich, daß man im Auswärtigen Amt sehr dezidierte Vorstellungen davon hatten, welche Ansichten "vernünftige Leute" in der Kriegsschuldfrage zu haben hätten. Diese Vorstellungen verfestigten sich in der Folgezeit immer mehr.

4 Die Erklärung ist abgedruckt in den Pr.Jbb., 175. Bd. (1919), S. 319f. In dem Abdruck in der DAZ, "Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts", Nr. 74 (13.2.Ί9 M), sind kurioserweise nur 18 Namen angegeben. Vgl. Mar. Weber, Max Weber, S. 659; und L. Albertin: Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972, S. 213, wo es heißt: "Ihr Kreis war exklusiv. Die Mitglieder, Wissenschaftler, ehemalige Diplomaten und Politiker, waren durch persönliche Beziehungen, intellektuelles Niveau und Gesinnung eng verbunden." Die Vereinigung ergänzte sich kooptativ. 5

PA, WK adh 4, Bd. 14, Bl. 3.

I. Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes

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In diese Zeit fallen auch die ersten gewichtigen Bücher der Nachkriegszeit, die der Kriegsschulddiskussion neue Nahrung gaben. Freudig begrüßt und auch zum Teil diskret finanziell gefördert wurden in Deutschland naturgemäß vor allem Werke aus dem "feindlichen" oder neutralen Ausland, die die deutsche Unschuld hervorhoben6. Besonders eifrig wirkte hinter den Kulissen der deutsche Gesandte in Bern, Adolf Müller, der Verbindungen zu einem Beamten der russischen Botschaft knüpfte, von dem er sich Dokumente erhoffte, die - einmal mehr - den unwiderleglichen Beweis der Mitschuld der Entente erbringen sollten. Die Veröffentlichung erfolgte aber, wenn überhaupt, erst mit einer gewissen Verzögerung7, während von den jetzt erschienenen Arbeiten in ihrer Bedeutung für die spätere deutsche Argumentation die Werke des ehemaligen serbischen Diplomaten Milos Boghitschewitsch und des schweizer Arztes (!) Ernst Sauerbeck hervorragten 8. Das erste gehörte zur nun langsam üppig zu wuchern beginnenden Memoirenliteratur, ähnlich wie das ungefähr gleichzeitig erscheinende Buch des ehemaligen kaiserlichen Botschafters in Rußland, Graf Pourtalès9. Beiden Büchern gemeinsam ist die Schuldzuweisung an die russische Adresse, wobei Pourtalès seine Bemühungen zur Erhaltung des Friedens in der Julikrise

6 Vgl. etwa, um nur drei Beispiele zu nennen, C. Bornhak: Die Schuld am Kriege, KZ, Nr. 143 (29.3.Ί9 A); Graf E. Reventlow: Ein aufrichtiger Brite (Ire), DTZ, Nr. 218 (3.5.Ί9 M); "Neue Dokumente zur Schuldfrage", DAZ, Nr. 237 (17.5.Ί9 M,Bb). Die drei Artikel loben Werke von Sauerbeck, Shaw und Boghitschewitsch. η Eine Indiskretion des rechten Publizisten Theodor Schiemann: Kaiser und Reichskanzler, Tägliche Rundschau, Nr. 129 (14.3.Ί9), hätte die Verbindung fast wieder platzen lassen, wie Müller am 19.3.Ί9 an Brockdorff-Rantzau verschlüsselt telegraphierte (PA, WK adh 4, Geheim, Bd. 1, Bl. E 620412-19). Dieser teilte die Empörung über den Vertrauensbruch Schiemanns (Telegr. v. 24.3., ebd., Bl. E 620420-22), aber es gelang Müller, sowohl seinen Gewährsmann wieder zu beruhigen, wie auch von Schiemann die Versicherung zu erlangen, daß es keine weiteren Veröffentlichungen in dieser Sache geben werde. Hieran schloß sich eine längere Korrespondenz zwischen Müller und BrockdorffRantzau an, in der es um die Bearbeitung des Materials ging, die - um Aufsehen zu vermeiden - in Zürich erfolgen sollte. Erst am 5.7. konnte Müller berichten (ebd., E 620446-48), daß die Vorbereitung zur Veröffentlichung der Dokumente nunmehr abgeschlossen sei - worauf sich erneut eine längere Korrespondenz mit dem Amt anschloß, um denrichtigenpolitischen Zeitpunkt der Veröffentlichung zu eruieren. Das Werk "Beiträge zur politischen Geschichte Europas. 1909-1914" scheint trotz allen Vorbereitungen nicht herausgekommen zu sein; wir konnten den Titel nicht nachweisen. ο M. Boghitschewitsch: Kriegsursachen, Zürich 1919. Eine englische Übersetzung erschien unter dem Titel "Causes of the War", London 1920. Das Werk von E. Sauerbeck, "Der Kriegsausbruch", ist schon zu Ende des Krieges im wesentlichen fertiggestellt gewesen. Wir haben die 2. Aufl., Stuttgart u. Berlin 1919, benutzt. 9 Graf Pourtalès: Am Scheidewege zwischen Krieg und Frieden, Charlottenburg 1919. Vgl. hierzu "Vor dem Beginn des Weltkrieges", FZ, Nr. 292 (18.4.Ί9 2.M).

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schildert 10, Boghitschewitsch hingegen stärker auf die Jahre vorher eingeht. Mit seiner intimen Kenntnis der serbischen Diplomatie trugen seine Aussagen besonderes Gewicht, und daß er die Behauptung aufstellte, Serbien habe im Bunde mit und gedrängt von Rußland seit Jahren eine Politik der kriegerischen Destabilisierung des Balkans und Österreich-Ungarns betrieben, war Wasser auf die deutschen Propagandamühlen11. Allerdings kam der Erfolg gerade in diesem Falle nicht eben als große Überraschung für die Wilhelmstraße. Boghitschewitsch, der in Deutschland studiert hatte, war seit langem als deutschfreundlicher Staatsmann bekannt. Nachdem er wegen dieser Einstellung während des Krieges Serbien hatte verlassen müssen, nahm er im Januar 1917 Kontakt zu dem damaligen Staatssekretär Zimmermann auf. Er übersandte Material, das eine Vorform seines späteren Buches darstellte und bat nur darum, daß es nicht schon während des Krieges veröffentlicht werde, da dies ohne Wirkung bleiben müsse und ihm als persönlicher Racheakt und als Hochverrat ausgelegt werden würde. Den "diskreten und teilweisen Gebrauch" gestattete er den deutschen Stellen aber bereits 191712. Mit dem Ende des Krieges fielen die Hindernisse einer Veröffentlichung weg, und als Boghitschewitsch weitere Unterlagen erbat, wurde ihm bereitwilligst der Zugang zu erbeuteten russischen und serbischen Akten eröffnet. Das Erscheinen des Buches bedeutete nicht das Ende des deutschen Interesses an

1 0 Graf Pourtalès, Am Scheidewege, passim, berichtet ausführlich über seine Gespräche mit Außenminister Sasonow, dem Zaren und anderen Würdenträgem. Dem Zaren gesteht er zu, daß er entschieden für den Frieden eingetreten sei (S. 27). Für die Mobilmachung sei Kriegsminister Suchomlinow verantwortlich gewesen (S. 71). Pourtalès schrieb seine Aufzeichnungen bereits 1914 auf der Fahrt von Petersburg nach Stockholm, sie wurden unverändert veröffentlicht. 1 1 Für Boghitschewitsch, Kriegsursachen, S. 7, waren es v.a. drei Konflikte, die den Frieden bedrohten: die deutsch-britische Rivalität, dasfranzösische Revanchestreben und der russisch-österreichische Balkangegensatz. Letzterer habe den Krieg ausgelöst, und zwar durch die jahrelangen russischen Kriegstreibereien, die spätestens ab 1908 auf einen Entscheidungskrieg mit Österreich hinsteuerten (S. 21 u. S. 32ff.). Ende Juli gab es in Deutschland keinerlei militärische Vorbereitungen, während Rußland, wie Boghitschewitsch aus eigener Anschauung berichtet, intensiv mobilisierte. Der Autor beklagt sich bitter darüber, daß seine Regierung seine Berliner Kenntnisse "jahrelang systematisch mißbraucht" (S. 43) hätte zu einer Konspiration mit Rußland. Boghitschewitsch schließt (S. 111): "Ich habe das Bewußtsein erfüllter Pflicht, alles andere ist mir gleichgültig." Auf S. 115-182 bietet er Dokumente, die die Zusammenarbeit von Rußland und Serbien zeigen sollen. η Der Brief ist vom Januar 1917, mit einem Zusatz vom 7. Mai. Boghitschewitsch bittet darum, zu besprechen, wie das Material am besten verwendet werden könne, um die zu überzeugen, die Deutschland für schuldig hielten. Er schrieb, es handele sich um Wahrnehmungen "die ich mit meinem Namen decke und für deren Richtigkeit ich die volle Verantwortung übernehme". Später setzte er noch hinzu: "Ich habe alle Brücken abgebrochen." (PA, WK adh 4, Bd. 6, Bl. 102-105). Beigefügt ist ebd., Bl. 106/1-106/105 das spätere Buch "Kriegsursachen" in einer Form, die noch stärker persönlich und autobiographisch geprägt ist als die endgültige Fassung.

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Boghitschewitsch; im Mai brachte ihn der deutsche Gesandte in den Niederlanden "durch eine neutrale Mittelsperson" mit einem Amsterdamer Verlag in Verbindung, der das Buch in englischer Sprache und in 3000 Exemplaren herausbringen wollte, und als Boghitschewitsch im Juli um eine Summe von 15-20000 Franken bat, um eine Neuauflage und die Übersetzungen ins englische, französische und kroatische zu finanzieren, wurde dieses Geld - und zwar die höhere Summe - anstandslos bewilligt 13 . Ähnlich wertvoll für die deutsche Propaganda, wenn auch auf andere Art, war die voluminöse Fleißarbeit Sauerbecks. An Hand ausführlichster Zusammenstellung aus den Farbbüchern aller beteiligten Mächte legte er minutiös die Entwicklungen in der Julikrise dar. Zum zweiten untersuchte er kurz die weitere Vorgeschichte des Krieges, zum dritten die Kriegsziele der Mächte. In allen drei Punkten war das Ergebnis das gleiche: "Die Entente sitzt auf der Anklagebank!"14 Deutschland und Österreich wurden demgegenüber in allen Punkten freigesprochen; ihre Vorkriegspolitik war friedlich, ihre Politik der Julikrise gleichfalls, ihre Kriegsziele maßvoll. Dieses Ergebnis mußte der amtlichen Linie vor Versailles zusagen, zumal Sauerbeck seine Aussagen mit einem immensen Aufwand an dokumentarischen Belegen zu stützen wußte. Die Befürchtung seines Verlegers, das Auswärtige Amt könne verkennen, "welch unschätzbaren politischen Wert eine nachhaltige Verbreitung dieses Buches im neutralen Ausland haben könnte"15, waren unbegründet. Sauerbecks Werk lag mit seiner Aussage auf der offiziösen Linie und wurde entsprechend verwertet. Auf ein wirklich neues und wissenschaftliches Niveau hatte der Autodidakt Sauerbeck damit die Diskussion allerdings nicht gebracht; sein Werk ähnelte den "Zitatenklempnereien" der Kriegszeit, wenn auch in ganz anderem Umfang.

11 1 Die Zusage, ihm die gewünschten Akten über die deutsche Gesandtschaft in Bern zugehen zu lassen, findet sich unter dem 30.12.Ί8 im PA, WK adh 4, Bd. 13, Bl. 91. Ebd., Bd. 16, Bl. 31, das Schreiben vom Gesandten Rosen an das Auswärtige Amt aus dem Haag vom 21.5.Ί9. Und ebd., Bd. 18, Bl. 96-97, die Bitte Boghitschewitschs vom 26.7. um das Geld, die am 9.9. positiv entschieden wird; ebd., Bl. 95. Vgl. auch I. Geiss, Manipulierte Schuldfrage, S. 53, Fn. 61, der ein Schreiben Bülows aus dem Schuldreferat des Amtes mitteilt, in dem er die Finanzierung Boghitschewitschs befürwortet, da der "ein ganz armer Schlucker" sei, der dringend Geld benötige. 1 4 1 5

E. Sauerbeck, Kriegsausbruch, S. 680.

Schreiben G. Kilppers von der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart vom 8.3.'19 an Payer; BA, NL Payer, Nr. 12, Bl. 191. Kilpper hoffte auf den Einfluß des ehemaligen Vizekanzlers und jetzigen DDPFraktionsvorsitzenden.

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Immerhin hob es sich dadurch bereits wohltuend aus der sonstigen Kriegsschulddiskussion heraus. Von linker Seite wurden die Lügen angeprangert, mit denen die Regierung während des Krieges das Volk über die Lage getäuscht hatte16 und der preußisch-deutsche Militarismus für den Kriegsausbruch im weiteren Sinne verantwortlich gehalten17. Dies um so mehr, nachdem im März zwei Depeschen Graf Szôgyénys, des österreichischen Botschafters in Berlin 1914, veröffentlicht wurden. Sie demonstrierten erneut die Kriegsbereitschaft der kaiserlichen Regierung, aber obwohl die Brisanz dieser Depeschen prinzipiell kaum hinter der der Eisnerschen Publikation zurückstand, war das Echo, verglichen mit der Reaktion auf den Lerchenfeld-Bericht, verschwindend gering 18. Die Gemüter hatten sich vielleicht nicht abgekühlt, waren aber inzwischen an einiges gewöhnt, so daß Enthüllungen dieser Art nicht mehr sensationell wirken konnten. Auch von offizieller Seite wurde es nicht fur nötig gehalten, hierauf einzugehen. Die Selbstsicherheit der Konservativen zeigte schon unmittelbar nach dem Jahreswechsel, daß die Zeit erfolgreicher Eigenbeschuldigungen vorbei war. Schuldbekenntnisse wurden in schärfster Form abgelehnt; einerseits aus inhaltlichen Gründen, andererseits, weil das Ausland sie doch nicht honorieren werde 19. Daneben jedoch läßt sich in vielen Äußerungen ein vorsichtiger Ton erkennen, der anscheinend die ungeklärte und bedrohliche

1 6 G. Metzler, Schuld am Kriege, S. 163. Vgl. auch H. Kranold: Was uns an den Abgrund führte, in: SM, 52. Bd. (1919), S. 217-222, hier S. 218: "Wir wollen daraufhinweisen, daß jedermann im Volk gewußt hat, daß die öffentliche Meinung von Regierung und Militär systematisch gefälscht wurde." 1 7

Vgl. K. Larsen: Das Ende des Militarismus, in: DR, 181. Bd. (1919), S. 101-111 u. S. 230-249, hier S. 106 u. S. 244; A. Zichler, Die Schuldfrage, Vorwärts, Nr. 158 (27.3.Ί9 M); "Ueber auswärtige Politik", Freiheit, Nr. 177 (12.4.'19 A), wo eine Rede Gerlachs vor dem Rätekongreß dokumentiert wird. 1 8 Abgedruckt in der Freiheit, "Die Urheber des Weltkrieges", Nr. 132 (19.3.Ί9 A), wo es heißt: Die wiedergegebenen Depeschen gehören zu den wichtigsten Dokumenten, die den Ursprung des Weltkrieges aufdecken. Sie weisen unzweideutig daraufhin, daß die Urheber des Weltverbrechens in Berlin saßen." Dagegen siehe "Wieder die Schuld am Kriege!", DAZ, Nr. 137 (21.3.Ί9 A): "Interessant ist zunächst die Frage, wer dem 'Journal des Débats' den Gefallen getan hat, dieses Material zu liefern. Sollte es nicht ein tschechischer Beamter des derzeitigen österreichischen Ministeriums des Äußeren gewesen sein? [Mit dieser Diffamierung ist Kautsky gemeint, d.Verf.] Bemerkenswert ist weiter die Tatsache, daß ein deutsches Blatt sich dazu hergibt, seinerseits die gegen uns gerichteten Intentionen einesfranzösischen Blattes verständnisvoll fortzusetzen." 1 9 E. Reventlow: Einen wichtigen Beitrag zur 'Schuldfrage', DTZ, Nr. 72 (8.2.Ί9 A). Siehe auch H. Delbrück, War es zu vermeiden, passim; ders.: U.H. Fried zur Schuldfrage, in: Pr.Jbb., 178. Bd. (1919), S. 533-537, hier S. 533.

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außenpolitische Situation widerspiegelt. So unbekümmert wie Graf Reventlow, der wie in der "schönsten" Kriegszeit in England den Hauptfeind und -schuldigen ausmachte, wagte sich kaum jemand zu äußern20. Vielmehr wurde die schon bekannte Trias aus englischem Handelsneid mit Einkreisung, französischem Revanchegeist und russischem Panslawismus wiederholt, wenn nicht gar die ganze Kriegsschuldfrage als sinnlos abgetan wurde, da alle Staaten gleichermaßen schuldig seien. Beschwörend klingt etwa folgende, durchaus typische Passage: "Allerdings: was heißt Schuld? Wenn drei oder vier Räuber einen friedlichen Wanderer erst einkreisen, dann einengen, ihm immer mehr Bewegungsfreiheit nehmen, bis er, die drohende Fesselung erkennend, sich zur Wehr setzt und losschlägt, so ist es vielleicht unentschuldbar, daß er nicht die Vollziehung der Fesselung erst abwartet, so ist es allerdings seine Schuld, wenn es Hiebe setzt und Blut fließt. Aber, ο ihr christlichen Nationen, die Räuber! sollen (sie) die leer ausgehen?"21 Die mehr als 40 Jahre, die das Deutsche Reich seit 1870/71 ohne Krieg in Europa gelebt hatte, waren nun ein starkes Argument für die deutsche Unschuld auch an diesem Kriege; der völkerrechtswidrige unbeschränkte U-Boot-Krieg wurde mit der "Hungerblockade" gerechtfertigt, um so mehr, als die ausländischen Märkte für das ausgehungerte Deutschland auch jetzt noch nicht geöffnet waren 22. Das einzige Detailproblem, das immer wieder auf-

2 0 So etwa Graf E. Reventlow: Politische Vorgeschichte des Großen Krieges, Berlin 1919, S. VII: "Ebenso wie Großbritannien während des Krieges, jedenfalls während der ersten vier Jahre, der Kraftmittelpunkt und die Leitung aller Feinde des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten gewesen ist, so war es seit dem Jahre 1904 der intellektuelle, zielbewußte Urheber und Organisator der wachsenden Kriegsgefahr und schließlich des Krieges selbst." Vgl. ders.: Ein aufrichtiger Brite (Ire), DTZ, Nr. 218 (3.5.Ί9 M). 2 1 Dr. R.S.: Neue Dokumente zur Schuld am Weltkriege, DAZ, Nr. 107 (3.3.Ί9 M). Vgl. in diesem Sinne auch "Graf Monts über die Schuld am Kriege", DAZ, Nr. 95 (24.2.Ί9 A); B. Schwertfeger: Geschichtliche Wahrheit und Kriegsmoral, DAZ, Nr. 202 (27.4.'19 M,Bb); F. Oloff: Weder Clemenceau-Friede noch Bolschewismus, Berlin 1919, S. 7, wonach der Krieg entstanden ist "aus dem Geiste des Großkapitalismus, des Mammonismus, des wirtschaftlichen Neides und Hasses, dem Tanz um das goldene Kalb des Welthandels, dem politischen Kuhhandel um Länderbesitz, der Bündnispolitik unfähiger Diplomaten". Die Kriegsschuldfrage sei deshalb ebenso sinnlos wie die Frage der persönlichen Schuld. 2 2 Die Hungerblockade als Rechtfertigung oder zumindest Erklärung des U-Boot-Krieges z.B. "Die Schuldfrage", Hann. Kurier, Nr. 34438 (27.5.Ί9); F. Oloff, Clemenceau-Friede, S.5; M. Bonn: Gerechtigkeit, München 1919, S. 39. Laut Bonn hat die Hungerblockade 763Ό00 Tote gefordert. Zur Fortsetzung der Blockade auch nach dem Waffenstillstand vgl. neuerdings grundlegend A Offer, The First World War, S. 386ff.

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tauchte, war die belgische Frage. Der ehemalige Oberst Bernhard Schwertfeger, der während des Krieges in Brüssel belgisches Aktenmaterial gesichtet hatte und nunmehr veröffentlichte, prophezeite der belgischen Frage eine zentrale Rolle für die künftigen Friedensverhandlungen. Daß der völkerrechtswidrige Bruch der belgischen Neutralität in Deutschland in der Diskussion blieb, dafür sorgte nicht zuletzt Schwertfeger selbst mit zahllosen Publikationen23. Beherrschendes Thema der öffentlichen Meinung waren aber natürlich die kommenden Friedensverhandlungen24, von denen es noch keineswegs gesichert war, ob es überhaupt Verhandlungen sein würden oder ob der deutschen Delegation etwa nur ein Gesamtentwurf zur Annahme oder Ablehnung en bloc überreicht werde. Die Waffenstillstandsverlängerungen jedenfalls ließen das schlimmste befürchten, waren doch die Bestimmungen drakonisch und wurden noch dazu bei jeder Verlängerung der nur kurzfristig geschlossenen Verträge härter. Der deutsche Unmutrichtetesich gegen den Verhandlungsführer Erzberger, dem allzu große Nachgiebigkeit vorgeworfen wurde, die deutschen Hoffnungen auf Wilson, von dem man für die Friedensverhandlungen die Durchführung seiner 14 Punkte erwartete und geradezu gebieterisch verlangte25. Vielfach finden sich in

2 3 Vgl. etwa B. Schwertfeger: Die Schuldfrage und Belgien, DAZ, Nr. 63 (7.2.Ί9 M,Bb); ders.: 'Gefälschte' Urkunden, DAZ, Nr. 71 (11.2.Ί9 A); Dr. R.S.: Neue Dokumente zur Schuld am Weltkriege, DAZ, Nr. 107 (3.3.Ί9 M); K. Hampe: Neue Dokumente zur europäischen Politik vor dem Weltkriege, FZ, Nr. 177 (7.3.'19 M). Die beiden letztgenannten Artikel rezensieren die Schwertfegerschen Publikationen. Siehe auch M. Bonn, Gerechtigkeit, S. 7, Graf M. Montgelas: Der französische Operationsplan Nr. 16, BT, Nr. 193 (30.4.Ί9 M ) und die Erklärung der "Arbeitsgemeinschaft" vom Februar. An allen diesen Stellen wird die Schuld im belgischen Falle eindeutig zugegeben und auch entsprechende eventuelle Absichten Frankreichs nicht als Entschuldigung benutzt. Anders natürlich! - Graf Reventlow: Ein aufrichtiger Brite (Ire), DTZ, Nr. 218 (3.5.Ί9 M), wonach die belgische Neutralität reine Fiktion war. Übrigens erreichten das Auswärtige Amt auch zu dieser Zeit noch regelmäßig Berichte von Privatpersonen, die vor Kriegsbeginn, z.T. lange vorher, Truppenbewegungen der Entente und in Belgien beobachtet haben wollten; z.B. PA, WK adh 4, Bd. 15, passim. 2 4 Zum Vorfeld von Versailles vgl. P. Krüger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, S. 65ff. 2 5 Vgl. "Gegen den 'Waffenstillstand der Vernichtung'", BT, Nr. 601 (24.11.'18 M), "Wieder ein •Fetzen Papier?", DAZ, Nr. 74 (13.2.Ί9 M). Gegen die Kritik Westarps in der KZ, Nr. 44 (29.1/19 A) wendet sich "Die Sicherung des Waffenstillstandes", DAZ, Nr. 54 (2.2/19 M,Bb), wo die Härte des Waffenstillstandes durch die Hoflhung auf die Friedensverhandlungen gemildert wird: "Da wird Wilson sein Wort ganz anders entscheidend in die Waagschale werfen als während der Waffenstillstandsverhandlungen, von denen er sich als einer rein militärischen Angelegenheit grundsätzlich fernhält" Auch der Leitartikel der FZ, Nr. 93 (4.2/19 A), spricht sich gegen den Fatalismus aus, der verfehlt sei, "denn nur auf der Rechtsgrundlage der Wilsonschen Sätze haben wir die Waffen niedergelegt und unnachgiebig bis zum Äußersten dürfen wir fordern, daß diese Rechtszusage uns erfüllt werde". Als Mahnung an Wilson versteht sich auch der offene Brief von R.F. Pauli: Die Schuld am Kriege, 2. Aufl., Leipzig 1919.

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dieser Zeit auch Publikationen der Reden Wilsons, als Hoffnung, als Ermahnung und zum Teil auch schon als Anklage. Weit, weit weg schienen die 'glücklichen' Kriegstage zu liegen, als selbst eine seriöse Zeitung wie die "Germania" noch im September 1918 in ihrem Leitartikel die 14 Punkte als unannehmbar für Deutschland ablehnen konnte. Jetzt wünschte man sich nichts sehnlicher26. In der Debatte im Vorfeld der Versailler Konferenz überwogen eindeutig die Stimmen, die einen Gewaltfrieden befürchteten, demgegenüber immer wieder mit Pathos auf die 14 Punkte verwiesen wurde, die auf Grund der ersten Waffenstillstandsvereinbarung vom Oktober 1918 als feste Rechtsgrundlage des kommenden Vertrages zu gelten hatten27. Auch ein vielgescholtener Mann wie Lichnowsky schrieb an Brockdorff-Rantzau, daß nur eine "wohlwollende Auslegung der 14 Punkte"28 für Deutschland akzeptabel sei, und diplomatische Berichte festigten die Tendenzen, sich hierauf zu versteifen. Wichtig waren hierfür die Berichte der Gesandtschaften in den neutralen

2 6 LA, Germania, Nr. 445 (24.9.Ί8 M). Vgl. die beiden Broschüren "Kundgebungen des Präsidenten Wilson zur Friedensfrage", Berlin 1919 (einmal der deutsche, einmal der englische Text); sowie "Wilson und der Rechtsfriede. Eine zeitgemäße Erinnerung", Berlin 1919. 2 7 Vgl. O. Müller: Die beiden Systeme, DAZ, Nr. 1 (1.1.' 19 M), wo der Clemenceausche Gewaltfriede mit dem Wilsonschen Rechtsfrieden kontrastiert wird. Im Stile pathetischer Vorhaltungen werden die Franzosen von A Steinmann-Becher: Völkerfriede? Den Franzosen zur Warnung, Berlin 1919, im Februar aufgefordert, keinen Gewaltfrieden zu fordern. Für Graf Montgelas: Kann Deutschland unterzeichnen?, BT, Nr. 139 (30.3.Ί9 M), stand bereits Ende März fest, daß der Frieden kaum den Namen verdienen werde. O. Hoetzsch: Die äußere Politik der Woche, KZ, Nr. 123 (19.3.Ί9 M), verweist darauf, daß die Nationalversammlung auf der Basis der 14 Punkte gewählt sei, mithin jeden anderen Frieden ablehnen müsse. Am schärfsten wie immer Graf Reventlow: Die 'Schuldfrage' als Mittel zur völligen Erniedrigung, DTZ, Nr. 129 (13.3.Ί9 A); "(a)lles Kriechen und alle Beflissenheit" haben nichts genutzt angesichts der "furchtbaren Friedensbedingungen, welche man Deutschland aufzulegen gedenkt". Reventlow gibt auch ein Rezept an: "Die Festigkeit der deutschen Position vor der Friedenskonferenz und den feindlichen Forderungen gegenüber hängt davon ab, ob Deutschland in der Schuldfrage sein Recht und seine Schuldlosigkeit laut und fest vor aller Welt vertritt." Jedenfalls konnte man dem Grafen nicht mangelnde Standhaftigkeit vorwerfen. Er brauchte im Grunde nur seine alten Artikel (etwa "Wilson, Poincaré und Deutschland", DTZ, Nr. 639, 16.12.'18) zu variieren. Schon damals hatte er prophezeit, daß der Frieden Deutschland vernichten werde und daß "die Schuldfrage für Frankreich und England lediglich ein propagandistisches System von Lügen ist, um ihrer Eroberungs- und Habsucht durch Vernichtung Deutschlands Erfüllung zu schaffen." Wie abstrus manche aus der Not geborenen Pläne sein konnten, zeigt eine Zuschrift an die 'Post' "Kaiser Wilhelm und Wilson" (22.1 .Ί9), die ein Treffen beider anregte.

Der Brief Lichnowskys vom 24.4.'19 an den mit "Lieber Freund" angeredeten Außenminister im PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 18, Η 234216f. Lichnowsky wünscht Glück, warnt - als alter Gegner Österreichs - vor dem Anschluß Österreichs, das als "Danaergeschenk eine politische und wirtschaftliche Belastung" wäre. Beschworen wird Brockdorff-Rantzau, im Osten Deutschlands keinerlei Zugeständnisse an Polen zu machen. Übrigens war Lichnowsky selbst im Osten reich begütert. Ebd., Η 235218, findet sich die dankende Antwort Brockdorff-Rantzaus vom 28.4.

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Ländern, vor allem aus der Schweiz und aus den Niederlanden, die dem Auswärtigen Amt Informationen zukommen lassen konnten, zu denen es sonst kaum Zugang hatte. So berichtete der Gesandte und der spätere Außenminister Rosen aus Den Haag, daß die Kriegsschuldfrage die Haltung der USA sehr stark beeinflusse. Offizielle Stellen sähen die Schuld durchaus verteilt: "Doch das ganze amerikanische Volk glaubt felsenfest an die alleinige deutsche Schuld. Präsident Wilson wird daher diese Frage nicht aufrollen, wenn ihn die deutsche Entrüstung über die Ungerechtigkeit und Unwahrheit dieser Anklage und der adamante deutsche Entschluß, auf die Aufrollung dieser Frage zu bestehen, und die Friedensbedingungen absolut nicht auf der Grundlage dieses Schuldanteils (das ganz gegen das Prinzip des angelsächsischen Rechtes - einseitig - verstößt) anzunehmen, nicht dazu zwingen."29 Berichte wie dieser mit ihrer verhängnisvollen Fehleinschätzung sind es gewesen, die die Konferenztaktik Brockdorfif-Rantzaus in Versailles entscheidend geprägt haben. Dies alles gemahnte ein wenig an ein Pfeifen im dunklen Wald; endgültig wie eine Märchenerzählung klangen aber die Vorstellungen, die Reichsschatzminister Georg Gothein über den künftigen Frieden hegte30. Demgemäß sollte nur ein Frieden der 14 Punkte unterzeichnet werden. Zur Wiederherstellung Belgiens und Nordfrankreichs habe Deutschland sich verpflichtet, aber nicht durch Sklavenarbeit der Gefangenen. Die Reparationszahlungen müßten gering sein, da Deutschland wenig Geld habe. Das Selbstbestimmungsrecht müsse auch für Elsaß-Lothringen gelten, die Kolonien seien ebenso zurückzugeben, wie die Vereinigung Deutschlands mit dem Sudetenland und Österreich nicht verhindert werden dürfe. Polen könne einen Freihafen in Danzig haben, aber Gebietsabtretungen seien hier ebenso indiskutabel wie die Abtrennung der Saar oder die Besetzung des linken Rheinufers. Einen darüber hinausgehenden Vertrag könne Deutschland nicht unterzeichnen. Gothein warnte zum Schluß, daß auch die Alliierten einen baldigen Frieden brauchten, da sonst das Chaos des Bolschewismus in Mitteleuropa drohe und

2 9 3 0

PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 28. Der Bericht ist vom 15. April.

Reichsschatzminister Gothein: Welchen Frieden können wir annehmen?, BT, Nr. 180 (23.4.Ί9 M). Eine ähnlich gute Idee hatte der Minister in der Kabinettssitzung am 21.3. (H. Schulze (Hg.): Das Kabinett Scheidemann, Boppard a.Rh. 1971, Nr. 19, hier S. 75), als er sagte, "(v)or Abstimmung (sie!) in Elsaß-Lothringen Zurückziehung derfranzösischen Truppen ... erwünscht". Erwünscht war es sicherlich, realistisch nicht unbedingt. Zum Selbstbestimmungsrecht für Elsaß-Lothringen vgl. M. Bonn, Gerechtigkeit, S. 14f. Allgemein zur Vorbereitung A. Luckau, German Delegation, S. 27ff.

I. Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes

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auf dem Weg über Deutschland auch ihnen gefährlich werde. Anders und realistischer sah Gotheins Kabinettskollege Erzberger zur gleichen Zeit die Lage. Zwei Tage nach dem Artikel Gotheins, zehn Tage nach dem Bericht Rosens legte er dem Kabinett eine Denkschrift vor, die "(s)treng vertraulich" von seinen Gesprächen in den Niederlanden berichtete. Erzberger wies nicht nur darauf hin, daß die Vertragsbedingungen mit Rücksicht auf Frankreich sehr hart sein werden, sondern auch auf ein Manko der deutschen Politik: "Schließlich darf ich nicht unerwähnt lassen, daß die großen holländischen Geschäftsleute offen sagten, besser wäre die Politik des Reiches seit November nicht geworden, und daß mir unverhüllt der Wink gegeben worden ist, daß die deutschen Interessen durch kluge, energische und weniger abgenutzte Leute besser vertreten werden könnten, als es jetzt der Fall ist." 31 Ob Erzberger an sich selber gedacht hat, als er anmahnte, die neue Außenpolitik durch neue Leute vertreten zu lassen, ließ er offen. Mit Sicherheit sah man diesen Punkt aber im Auswärtigen Amt anders. Hier zeichnen sich bereits die Konflikte zwischen Brockdorff-Rantzau und Erzberger deutlich ab, die später während der Friedensverhandlungen bis zum offenen Bruch eskalieren sollten. Mit der Nichtunterzeichnung wurde oft kokettiert, und dies noch vor Überreichung der Friedensbedingungen. Auf größere Skepsis stießen demgegenüber die Hinweise auf den drohenden Bolschewismus. Diese "Drohung mit dem Selbstmord" werde der Entente "ungeheuer imponieren" 32. Auch Reichsminister waren von der Bolschewismus-Hysterie nicht unbeeinflußt. Unmittelbar nach Überreichung des Vertragsentwurfes äußerte sich in Versailles neben Landsberg auch "der vom Weine zur Beratung herbeigerufene Minister Giesberts ... mit ungebändigter Heftigkeit. Giesberts Redestrom, der aus innerlich entrüstetem Herzen kam, konnte kaum gebändigt werden". Abends ging es "beim Weine im Hotel Suisse" weiter, und jetzt

3 1 BAP, 06.01 Präsidialkanzlei, Nr. 670 (Film 19787), Bl. 33-35. Das Zitat ist der letzte Satz der Denkschrift vom 25.4. 3 2 H. Ströbel: Der Frieden der Vernunft, in: Die Weltbühne, 15. Jg. (1919), S. 461-465, hier S. 461. An anderer Stelle ("Durch zur Wahrheit", S. 20) nennt er die Drohung mit dem Bolschewismus "ein sehr zweifelhaftes Pressionsmittel". Ähnlich G. Bernhard: Völkerbund oder Völkerbund?, VZ, Nr. 180 (8.4/19 M): "In England, Amerika und Frankreich weiß man, daß hier Schafe sich in Wolfspelz mummen. Man sieht ganz genau durch die revolutionäre Maske in die Bourgeoisseele der Artikelschreiber. Man glaubt ihnen nicht, und die Verlogenheit ihrer Taktik wird heute dem ganzen Deutschland zugerechnet."

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

wagte sich Giesberts so weit vor, daß er ein Zusammengehen mit den Bolschewisten dem Vertragsentwurf vorzog; für einen Zentrumspolitiker immerhin ungewöhnlich. Natürlich wurde diese Äußerung in Berlin hinterbracht, und auch das Dementi genügte nicht zur Beruhigung des aufgebrachten Kabinetts33. Trotzdem verzichtete die Reichsregierung auch später nicht auf das Spielen der russischen Karte, deren Trumpfqualität offenbar nicht einmal in Deutschland geglaubt wurde. Das Ausland durchschaute diese Behauptungen ohne größere Mühe34. Unter den durchsickernden Gerüchten über den Inhalt des kommenden Friedensvertrages verdichtete sich auch immer mehr, daß die Entente die Auslieferung des Exkaisers und seine Aburteilung durch ein alliiertes Gericht verlangen werde. Es fehlte nicht an Stimmen, sogar unter den erklärten Gegnern Wilhelms, die sich bereits vorab dagegen verwahrten und auch auf die enormen juristischen Probleme eines solchen Vorhabens hinwiesen. In Berlin bildete sich ein "Bund deutscher Männer und Frauen zum Schutze der persönlichen Freiheit und des Lebens Wilhelms II.", der eifrige Propagandatätigkeit entfaltete. In der Frankfurter Zeitung, also einem vor 1918 nicht eben kaiserhörigen Blatt, wurde entrüstet eine Lobeshymne auf die Friedensliebe des Kaisers abgedruckt, die aus der "Daily Mail" von 1910 stammte, also aus "demselben Blatt, das ihn heute als Über-Hunne'" und als "Mörder" verdamme, "gegen den nach seiner heutigen Meinung Attila, Dschingis Khan und Timur harmlose Pazifisten gewesen wären"35. Kaum weniger

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Der ganze Vorgang findet sich in den 47 Seiten starken "Aufzeichnungen zu den Friedensverhandlungen von Versailles im Jahre 1919", S. 6 (PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 20, H 235167659). Auch aus der Bevölkerung gingen zahlreiche Schreiben in Berlin ein, die die Verbindung mit Rußland forderten und die durchweg von bürgerlichen Schreibern stammten; siehe PA, WK 31 adh, Bd. 1, passim, z.B. A 14397 u. A 14541. 3 4 Vgl. H. Schulze (Hg.): Das Kabinett Scheidemann, Boppard a.Rh. 1971, Nr. 8, S. 27ff.; H. Köhler: Novemberrevolution und Frankreich, Düsseldorf 1980, S. 301. 3 5 Kaj: Schlechtes Gedächtnis oder schlechtes Gewissen?, FZ, Nr. 83 (31.1/19 A). Zur Auslieferungsfrage vgl. F. Mauthner: Die Auslieferung des Kaisers, BT, Nr. 55 (6.2/19 A), wo die "ungeheuerliche Absicht" gegeißelt wird, die gegen "Ehre, Recht und Menschlichkeit" und jedes Völkerrecht sei. Die gerichtliche Aburteilung des schon durch seinen Sturz genug bestraften Kaisers wäre Mord, vergleichbar dem Verhalten gegenüber Johanna und Napoleon. Mauthner vergißt nicht hinzuzufügen, daß er seit 1890 ein strikter Gegner Wilhelms war. Siehe weiter H. Triepel: Die Auslieferung des Kaisers, in: DP, 4. Jg., Nr. 10 (7.3/19), S. 299-305; den LA der FZ, Nr. 71 (27.1/19 A); "Politische Tagesübersicht", KZ, Nr. 27 (20.1/19 A); sowie E.H.: Französische 'Gutachten' über Wilhelm II., DAZ, Nr. 33 (21.1/19 A), wo die Gutachten für völlig unzulänglich erklärt werden. Vgl. auch die normalerweise besonnene "Germania", "Wilhelm II. im Anklagezustand", Nr. 193 (30.4.'19 M): "Wir wissen wirklich nicht, was mit diesem extra konstruierten Strafverfahren erreicht werden soll. Hofft man vielleicht dadurch die Schuld Eduards VII., Delcassés, Iswolskis und anderer Kriegshetzer gegen Deutschland zu tilgen?" Generell vgl. zu den Anklagen die Akten BAP, 09.01 AA, Bd. 54739 u. Bd. 54657; sowie PA, Pol 7a, Bd. 1.

I. Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes

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erregt reagierten offizielle Stellen auf diese Gerüchte; bereits vor der Übergabe des Vertragsentwurfs war wenigstens intern die Rede nicht nur davon, diese "schmachvolle Zumutung" entrüstet zurückzuweisen. Sogar die Gefahr, die Konferenz scheitern zu lassen, wurde bewußt in Kauf genommen36. Trotzdem stand die Reichsregierung in dieser Frage wie in anderen Problembereichen der Kriegsschuldfrage unter heiligem Druck der Öffentlichkeit. Das Auswärtige Amt wurde mit Briefen überschüttet, in denen mehr oder minder unberufene Privatpersonen detailliert ihre Ansicht zur Kriegsschuldfrage und zur richtigen Taktik bei den kommenden Verhandlungen darlegten37. Die Vorwürfe, die Regierung unternehme in der Kriegsschuldfrage nichts und lasse die Anschuldigungen des Auslandes unbeantwortet, wurden besonders von rechts mit zunehmender Lautstärke erhoben, je näher die Friedensverhandlungen rückten 38. Der Unmut entzündete sich vor allem an der verzögerten Aktenedition. Obwohl Kautsky, der im November mit der Durchsicht und Vorbereitung der Edition betraut worden war, bereits im März das Ergebnis seiner Arbeit vorlegte und die Regierung zur Veröffentlichung drängte, geschah nichts. Von links wie von rechts wurde stürmisch gefordert, endlich die Akten vorzulegen. Die Motivation war zwar unterschiedlich, die Forderung jedoch die gleiche. Kautsky war davon überzeugt, daß die Akten die Unschuld des deutschen Volkes bei gleichzeitiger Schuld der Regierung

-Ϊ/Γ Das Zitat entstammt dem Telegramm an die Friedensdelegation vom 1.5.Ί9 (PA, Pol 7a, Bd. 1, Bl. 9). Ebd. sind weitere aufgeregte Telegramme zum gleichen Thema aus der Zeit vor der Vertragsabergabe zu finden. 3 7 Die Aktenbände der Zeit (z.B. PA, WK adh 4, Bd. 14 und die Bände in zeitlicher Nähe hierzu) sind voll von Briefen dieser Art, die im Amt sicherlich einerseits als sehr störend empfunden wurden, andererseits in ihrer oftmals handgreiflichen Absurdität den heutigen Leser und möglicherweise in Grenzen auch schon den Zeitgenossen erheitern mußten. TO Scharf gegen "unsere zurzeit (sie!) Regierenden" etwa "Die Schuldfrage", Hann. Kurier, Nr. 34438 (27.5/19); "Politische Tagesübersicht", KZ, Nr. 27 (20.1/19 A); K.J.: Neue belgische Aktenstücke, KZ, Nr. 127 (21.3/19 M); "Beiträge zur Schuld am Kriege", KZ, Nr. 133 (24.3/19 A); Graf Reventlow: Die 'Schuldfrage' als Mittel zur völligen Erniedrigung, DTZ, Nr. 115 (13.3.Ί9 A); Ders.: Von neuen Schuldlügen, DTZ, Nr. 221 (5.5/19); Ders.: Die Entente will keine Schulduntersuchung - Deutschland muß sie wollen, DTZ, Nr. 184 (12.4.Ί9 M). Im letztgenannten Artikel heißt es: "Dazu kommt die Forderung an die deutsche Regierung: die Schuldfrage ... nicht ruhen zu lassen, sondern sie insgesamt aufzurollen. Schnelligkeit ist notwendig, weil die Vorlage der Vorfriedensbedingungen sehr bald erfolgen kann. Da die Regierung anderes bis jetzt nicht erreicht, noch emstlich versucht hat, so müßte sie jetzt wenigstens und zwar öffentlich und an Hand des amtlichen Materials alles mitteilen, was zur Entlastung von dem Vorwurfe der Schuld am Kriege der damaligen Regierung und Diplomatie beitragen kann." Ähnliche Stellen ließen sich aus allen angeführten Artikeln der deutschnationalen Presse zitieren. Ähnlich aber auch B. Schwertfeger: Heraus mit der Sprache!, Reichsbote, Nr. 73 (11.2/19 M,B).

8 Dreyer/Lembcke

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

zeigten, die Deutschnationalen meinten, umfassend die Unschuld beweisen zu können39. Die Regierung ließ nicht nur die "Deutsche Allgemeine Zeitung" gegen eine Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt Stellung nehmen, sie regte auch Max Weber zu einem eigenen Artikel an, in dem er eine einseitige Herausgabe als verfrüht ablehnte, da sie den Feinden gutes Material gebe. Beide offiziell inspirierten Artikel richteten sich nicht generell gegen eine Veröffentlichung der Akten - schließlich war es seit November offizielle Politik der deutschen Regierung gewesen, durch umfassende Aktenpublikation Klarheit zu schaffen. Sie wollten sie allerdings auf einen Moment verschieben, "wo sie nicht nach außen mehr schädigen, als sie nach innen nützen würden"40. Demgegenüber begann sich die Kritik von rechts auf Kautsky einzuschießen. Zwar war man generell für eine Veröffentlichung der Akten, aber bestimmt nicht in einer Auswahl, die von Kautsky getroffen wurde. Graf Reventlow glaubte, die Motive Kautskys und gleichzeitig die ganze Regierung durchschaut zu haben: "In Deutschland wird in den Kreisen der Unabhängigen, teils auch in der Regierungssozialdemokratie und auch der Demokratie der Wunsch immer deutlicher, man möge gewissermaßen offiziell deutscherseits dem 'alten Regime1 die Schuld am Kriege zuerkennen. Kautskys Drängen auf Veröffentlichung geht aus dem gleichen Grund hervor, und anscheinend glaubt er bei seiner Sucharbeit in den Archiven der Wilhelmstraße Brauchbares gefunden zu haben. Ein Urteil über die Richtung Kautskys können wir uns sparen, sie bleibt, einerlei ob Republik oder Kaiserreich, landesverräterisch und volksverräterisch. Allerdings ist Herr Kautsky ja bekanntlich nicht allein ein Deutscher, sondern Tscheche, also (sie!) ein bewußter Feind des Deutschtums, ganz besonders des nationalen Gedankens. Mit seinem Artikel und dessen Andeutungen liefert er dem Feinde eine neue Waffe, was auf jeden Fall seine Absicht ist."41

-ig ° Karl Kautsky äußerte sich im April ausführlich zur Schuldfrage in mehreren Artikeln in der "Freiheit", nämlich "Die Friedensverhandlungen", Nr. 195 (24.4/19 M) u. Nr. 196 (24.4/19 A); sowie "Nochmals Schuldfrage und Friedensschluß", Nr. 204 (29.4/19 M). Kautsky sprach sich vehement für die Veröffentlichung aus, da die Akten die Unschuld des Volkes zeigten. Im letztgenannten Artikel wendet er sich explizit gegen die Kritik an seinem Verlangen, die in der DAZ, "Die Schuldfrage", Nr. 197 (24.4/19 A) geäußert wurde. 4 0 So die DAZ, "Die Schuldfrage", Nr. 197 (24.4/19 A). Max Webers Artikel erschien in der FZ, "Die Untersuchung der Schuldfrage", Nr. 218 (22.3/19, l.M) und erneut in den "Gesammelten politischen Schriften", S. 490-492, wo auch der Begleitbrief an die FZ abgedruckt ist, in dem Weber um auffällige Veröffentlichung bittet. 4 1 Graf Reventlow: Wieder 'Deutsche Kriegsschuld', DTZ, Nr. 209 (27.4/19 M). Er bezieht sich auf die oben zitierten Artikel in der "Freiheit".

I. Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes

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Erfolglos blieb auch das Drängen des Generalstabs auf Veröffentlichung, der offenbar nicht nur aus Propagandagründen, sondern tatsächlich der Überzeugung war, daß die Dokumente seine eigene Unschuld beweisen würden 42. In dieser Zeit begann auch eine Verschlechterung im Verhältnis zwischen Kautsky und der Reichsregierung, die für letztere nicht ganz ungefährlich war. Kautsky hatte seine Untersuchungen im November mit einem weitgesteckten Auftrag des damaligen Rates der Volksbeauftragten begonnen, er hatte Zugang zu allen Akten erhalten und zu einem großen Teil Abschriften der wichtigsten Akten genommen, die sich nun in seinen Händen befanden. Unter diesen Umständen war es nicht ganz einfach, Druck auf ihn auszuüben, nachdem sich die in ihrer personellen Zusammensetzung inzwischen ja deutlich veränderte Regierung entschloß, die Veröffentlichung der Kautsky-Dokumente zu verschieben. Der im April einsetzende Briefwechsel wird zunehmend schärfer im Ton, er gemahnt etwas an den Notenwechsel unfreundlicher Diplomaten. Am 15. April schlug Bülow in einer Vorlage an Brockdorff-Rantzau vor, Kautsky und seine Mitarbeiter zum Abschluß der Arbeiten aufzufordern; sie "fangen jetzt an, Akten zu lesen, die nur in sehr indirektem Zusammenhange mit ihren Arbeiten stehen". Bülow plädierte außerdem dafür, die Drucklegung der fertigen Arbeit nicht zu erlauben. Damit hatte er zugleich den Finger auf die Wunde gelegt, die in den kommenden Wochen und Monaten immer schmerzlicher wurde. Kautsky drohte in nicht sehr verhüllter Form mit der notfalls auch unautorisierten Veröffentlichung und weigerte sich rundweg, seine Aktenabschriften herauszugeben. Da eine solche Veröffentlichung in der Zeit vor und während Versailles in der Einschätzung der deutschen Diplomatie verheerende Wirkungen haben mußte, stand man hier vor einem Dilemma, in dem Zeitgewinn als die vernünftigste Strategie erschien. Unterstaatssekretär Langwerth schrieb am 30. April an Kautsky, daß dessen Tätigkeit und Gehalt erloschen seien; die Veröffentlichung werde verschoben, ohne daß Langwerth hier spezifischer wurde. Kautsky antwortete am 5. Mai; er nahm die Entscheidung zur Kenntnis und teilte mit, daß er eine Abschrift der

4 2 Vgl. das Schreiben des Generalmajors v.Winterfeldt namens des Generalstabs an Bernstorff vom 7.3.Ί9; PA, WK adh 4, Bd. 14, Bl. 18-21. Gedrängt wurde die Reichsregiening auch in einem Schreiben des preußischen Ministerpräsidenten vom 20.4.' 19, abgedruckt als Nr. 47 in H. Schulze, Das Kabinett Scheidemann, S. 189f. Allgemein vgl. F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 73; W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 160f.; und v.a. I. Geiss, Manipulierte Kriegsschuldfrage, S. 4Iff.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Akten an sich genommen habe, um daran weiterzuarbeiten. Er gehe davon aus was natürlich den Sinn des Schreibens völlig verkehrte! - daß er weiter Zugang zum Archiv habe, um Fehler der Abschrift zu korrigieren. Zehn Tage später bat Langwerth um die Rückgabe der Akten, da Kabinettsmitglieder sie durchsehen wollten. Weitere Besuche im Archiv seien möglich - bei jeweiliger Zustimmung des Kabinetts. So hatte Kautsky sich das aber nicht vorgestellt. Am 23. Mai schrieb er in merklich gereizterem Tone, die Aktendurchsicht könnte mit dem schon zurückgegebenen Exemplar erfolgen. Er brauche die Abschrift und den Archivzugang, und zwar ohne jedesmalige Erlaubnis. Langwerth konterte am 31. Mai, daß das Regierungsexemplar in Versailles sei, Kautskys Akten also in Berlin benötigt würden. Da auch die Akten in Versailles seien, erledige sich der Zugang zu ihnen im Moment von selbst, generell aber sei er von der Kabinettszustimmung abhängig. Am 6. Juni meldete sich wieder Kautsky und lehnte die Vorstellungen Langwerths rundweg ab, fand sich aber bereit, seine Akten auszuliefern, wenn ihm der im November erteilte Auftrag offiziell entzogen würde. Damit war Kautsky Sieger geblieben, denn zu diesem spektakulären Schritt, der beträchtliches internationales Aufsehen erregt hätte, konnte sich die Regierung in dieser Phase der Friedensverhandlungen nicht verstehen. Wenig beruhigend wird auch die Mitteilung Kautskys gewirkt haben, er habe die Akten "in einem hiesigen Banksafe deponiert"43. Die vermeintliche Passivität der Reichsregierung in der zentralen Frage der Aktenveröffentlichung war in der Tat geeignet, für wütende Angriffe zu sorgen. Dabei stand die Kriegsschuldfrage oft genug auf den Sitzungen des Kabinettes zur Debatte. Die Kontroversen waren denen in der Öffentlichkeit nicht unähnlich; ein Teil der Kabinettsmitglieder plädierte für die sofortige Veröffentlichung der Akten, der größere Teil mit Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau an der Spitze fürchtete irreparablen außenpolitischen Schaden. Diese Ansicht setzte sich durch, nicht zuletzt, weil man dem reizbaren Grafen freie Hand in der Friedensfrage zugesichert hatte. Der Gedanke, daß ohnehin genügend ungünstige Dokumente im Ausland bekannt seien, eine Veröffentlichung also nicht schaden, sondern nur nützen könne, wurde nicht aufgegriffen, obwohl ihn Reichspräsident Ebert in die Debatte warf 44.

4 3 Die Vorlage Bülows ist vom 15.4.Ί9 (PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 62). Ebd. der weitere Vorgang mit den Schreiben vom 30.4. (Bl. 66), 5.5. (Bl. 87-88), 10.5. (Bl. 167), 23.5. (Bd. 16, Bl. 45-46), 31.5. (Bl. 74) und 6.6. (Bl. 138); vgl. auch den Vermerk Bl. 168. 4 4 Die Anregung Eberts kam auf der Kabinettssitzung vom 22.3.'19, abgedruckt als Nr. 20 bei H. Schulze, Das Kabinett Scheidemann. Die Kabinettsprotokolle dieser Zeit weisen eine fast tägliche intensive Diskussion um die Kriegsschuldfrage aus.

I. Die Kriegsschuldfrage vor Bekanntgabe des Friedensentwurfes

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Der tiefere Grund für die dilatorische Behandlung der Veröffentlichungen im Kabinett lag jedoch woanders. Am 30. Januar bereits notierte Eduard David, der führende MSPD-Experte zur Kriegsschuldfrage, in seinem Tagebuch nach dem Studium der Dokumente, daß die Randbemerkungen des Kaisers "vernichtend für Person und System"45 seien. Der Eindruck, den die Akten zum Kriegsausbruch im Kabinett hinterließen, war niederschmetternd. Gerade jemand wie David, der während des Krieges laut die deutsche Regierung verteidigt hatte, mußte sich nun zutiefst getroffen fühlen. Die deutsche Mitschuld war dem Kabinett zu deutlich, als daß es sich mit diesen Dokumenten in der von Kautsky vorgelegten Form an die Öffentlichkeit getraut hätte. Es ist auch nicht einmal erforderlich, hieraus einen Schuldvorwurf an das Kabinett abzuleiten und zu behaupten, daß es die Wahrheit habe vertuschen wollen. Material publik zu machen, das die alte kaiserliche Regierung belasten mußte, wäre nur dann außenpolitisch sinnvoll gewesen, wenn die Alliierten bereit gewesen wären, zwischen dem Kaiserreich und der Republik zu unterscheiden. Das internationale Echo auf die Aktion Eisners dämpfte alle Hoffnungen dieser Art, die man auch in den Mehrheitsparteien gehegt haben mochte. Unter diesen Bedingungen war es schwerlich ratsam, den Feinden Stoff für weitere Anklagen in die Hand zu spielen. Eine letzte Gelegenheit, noch vor Verhandlungsbeginn etwas zu veröffentlichen, verstrich gleichfalls ungenutzt, als Ende April aus Wien Akten angeboten wurden, die die Hauptschuld der alten österreichischen Regierung zeigen und Deutschland so entlasten sollten. Nach anfänglicher Euphorie setzte sich auch hier das nüchterne Kalkül des Grafen durch, daß die Schuldverteilung zwischen den Mittelmächten letztlich belanglos sei und daß man nichts davon zu erwarten habe, "daß ein Bundesgenosse den anderen bei den Feinden, wie Schulbuben beim Lehrer, als Anstifter denunziert hätte"46.

4 5 BA, N L David, Nr. 14, Bl. 5. Vgl. auch das Tagebuch Koch-Wesers, BA, NL Koch-Weser, Nr. 16, in dem er die Marginalien Wilhelms am 9.7.Ί9 (Bl. 227) als "belastende Bemerkungen" und "böse Beweisstücke" einschätzt. Auch am 25.10/19 (Bl. 327) schreibt er über die "kindische(n) Bemerkungen des Kaisers", und am 15.11.'19 (Bl. 371) berichtet er von einer Besprechung mit Bethmann, Wahnschaffe, Noske und den Unterstaatssekretären Albert und Lewald über die Möglichkeit einer Verhinderung der Aktenveröffentlichung. 4 6

So der Schlußsatz in einer undatierten (Ende Mai?) Aufzeichnung Brockdorff-Rantzaus zu den Wiener Dokumenten (PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 19, H 235320-21). Vgl. PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 3, Bl. 4, Bl. 6 u. Bl. 84-86. Die Veröffentlichung erfolgte erst wesentlich später. Zum ganzen Vorgang vgl. unten Kapitel D.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Damit war das Kabinett wieder einmal und nicht zum letzten Male Graf Brockdorff-Rantzau gefolgt. Der Außenminister war im Kaiserreich ein Mann mit sehr direkter Aussprache und sehr eigenen Ansichten gewesen; er sah keinen Anlaß, dieses jetzt zu ändern. Als professioneller Diplomat blickte er skeptisch auf seine Ministerkollegen, die er für Amateure auf dem Gebiet der Außenpolitik hielt. Daß sie professionelle Politiker waren und damit Fachleute auf einem Feld, auf dem wiederum er ein Amateur war, übersah er keineswegs. Aber bei seiner Verachtung für die Niederungen der Politik im Vergleich zur feinen Kunst der Diplomatie nahm er dies nicht zum Anlaß, eine positivere Einschätzung seiner vermeintlichen Mitstreiter zu bekommen. Während des Krieges hatte Graf Rantzau, dessen Familie auch alte Verbindungen nach Dänemark hatte, als Gesandter in Kopenhagen bei seinen deutschen Vorgesetzten für einen Verständigungsfrieden geworben, "(d)enn der Krieg an sich kann niemals Selbstzweck werden, sondern darf nur das letzte Mittel sein, um eine vernunftgemäße Politik zur Geltung zu bringen. Ultima ratio regis heißt nicht, daß der Verstand des Königs zu Ende ist!" 47 Auch innere Reformen mahnte er an: "Ich halte es für die historische Aufgabe der Dynastie, hier richtunggebend einzugreifen und vorauszugehen. Denn ich glaube, daß Kräfte an der Arbeit und Strömungen in der ganzen Welt vorhanden sind, die schließlich dazu treiben könnten, daß mehr gegeben werden muß, als jetzt freiwillig und darum begrenzt gewährt werden kann." 48 Ansichten wie diese machten Brockdorff-Rantzau im Kaiserreich nicht eben populär in höchsten Kreisen; das gleiche gilt für seine bereits damals unterhaltenen Kontakte mit sozialdemokratischen Parteiführern. Die Gesandtschaft in Kopenhagen ist für einen Mann seiner Herkunft und seiner Verbindungen keine herausragende Karriere gewesen. Erst der Krieg verwandelte Kopenhagen, wie alle Gesandtschaften in den neutralen Ländern, plötzlich in eine wichtige Position.

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DS vom 18.7.Ί7, PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 10, H 233267-75.

Ebd. Vgl. auch eine "Geheime Aufzeichnung" aus dieser Zeit (H 233276-87): "Wenn wir von den militärischen Stellen weiter politisch geleitet werden, bleibt uns meines Dafürhaltens nur übrig, in Schönheit zu sterben. So wie die Dinge heute liegen, ist es die Pflicht des Politikers, zufragen, ob nicht das Volk nüchtern verlangen wird statt dessen zu leben."

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Die gleichen Anschauungen aber, die im Kaiserreich ein Karrierehemmnis gewesen waren, machten den Grafen nach der Demokratisierung ministrabel. Im Oktober 1918 lehnte er jedoch das angebotene Außenministerium ab. Die Lage sah er düster, die militärische Niederlage für 1919 unvermeidlich, und er erklärte, "daß ich, um schließlich vor der Geschichte mit meinem Namen die Verbrechen (sie!) der früheren Regierungen zu decken, nicht ein Amt übernehmen will, dessen gewissenhafte Leitung nur zu einem Ergebnis führen kann, das die Besiegelung des Bankerotts alles bisher Bestehenden darstellt" 49. Nach dem Rücktritt Solfs im Dezember 1918 übernahm er doch das Außenministerium, veibunden mit großen Vollmachten. Umgekehrt kann man sagen, daß das Rücktrittsangebot Solfs im Grunde gar nicht so ernst gemeint gewesen war. Es konnte zur Überraschung des Ministers angenommen werden, weil mit Graf Brockdorff-Rantzau ein idealer Kandidat bereit stand. Beide sozialdemokratische Richtungen konnten sich mühelos auf ihn verständigen. Der neue Minister muß ein schwieriger Mensch gewesen sein. Auf die fernere Umgebung, auf die öffentliche Meinung machte sein soigniertes Auftreten vor und in Versailles großen Eindruck; seine kalte Würde kontrastierte für viele sehr wohltuend mit der Wendigkeit Erzbergers. Eine andere Sache war es aber, mit dem Grafen unmittelbar zusammenarbeiten zu müssen. In einer ganzen Reihe von Memoiren von Kabinettskollegen, von Diplomaten und von Mitgliedern der Versailler Delegation wird durchweg mit persönlicher Achtung von Rantzau gesprochen. Aber keiner einziger der Memoirenschreiber versäumt, in wechselnder Mischung den Ehrgeiz, das krankhafte Mißtrauen, die bohèmehaften Arbeitsgewohnheiten und die Unfähigkeit zu freier Rede zu erwähnen. Vizekanzler Schiffer nannte ihn "zuverlässig durch seine Unzuverlässigkeit,... an keine Partei gebunden und bereit, mit jeder zu arbeiten" 50. Nach Moritz Julius Bonn, der als Wirtschafts-

4 9 Ebd., H 233288-94. Die Ablehnung ist vom 2.10. An seinen Fähigkeiten zweifelte er auch damals nicht Nach dem Sturz Michaelis' traf Theodor Wolff auf ihn und notierte danach in sein Tagebuch (4.11.Ί7, S. 555): "Finde ihn bedrückt, enttäuscht · er leidet offenbar darunter, bei der ganzen Krisis übergangen zu sein." 5 0 Aufzeichnung Schiffers, zitiert nach W. Elben, Problem der Kontinuität, S. 115. Und weiter: "Unter der Hand habe ich vernommen, daß er für alle Fälle auch bereits Fäden mit den Unabhängigen angesponnen hatte. Seine Vorurteilslosigkeit auf der einen und seine stupende Unkenntnis der innerpolitischen Zustände auf der anderen Seite qualifizieren ihn mindestens ebenso wie seine politische Intelligenz zu einem Talleyrand."

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experte zur Friedensdelegation gehörte, war sein "Ehrgeiz ... grenzenlos - er wäre gerne Kanzler oder gar Präsident des Reiches geworden, wobei es ihm völlig gleichgültig gewesen wäre, welche Partei ihn gewählt hätte"51. Vielleicht die beste Charakteristik stammt von seinem Vetter und diplomatischen Berufskollegen, Graf Bernstorff: "Rantzau war sehr begabt und intelligent, aber er hatte schwere Belastungen, nämlich sein ungewöhnlich starkes Mißtrauen, das an Verfolgungswahn grenzte, und seine Unfähigkeit, auch nur die kleinste freie Rede in größerem Kreise zu halten. Dazu kam seine persönliche Empfindlichkeit, die jede sachliche Differenz zu einer persönlichen werden ließ. Wenn er von jemandem sprach, sagte er nie: 'der ist dieser oder jener Ansicht', sondern 'der ist für mich oder gegen mich'. Zu jener Zeit nahm Rantzau mich immer mit in die Kabinettssitzungen, wenn Friedensfragen auf der Tagesordnung standen. Er war ein Spätaufsteher, da er die Nacht zum Tage machte. Erzberger dagegen hatte schon stundenlange Arbeit hinter sich, wenn er im Kabinett um 10 Uhr erschien, voller Gedanken und Vorschläge, über die immer Differenzen entstanden, da Rantzau Aufschub bis zum nächsten Tage verlangte, um sich vorzubereiten."52 Diesem Manne war es in schwierigster Zeit aufgetragen, für Deutschland einigermaßen günstige Bedingungen in Versailles auszuhandeln. Es war eine Aufgabe, für die er weder politisch noch persönlich der geeignete Vertreter war 53 . Und selbst die

5 1 M.J. Bonn, So macht man Geschichte, S. 223. Und ebd.: "Er pflegte nicht sich mit einer Sache zu identifizieren, sonder er identifizierte die Sache mit sich; das Persönliche beherrschte alle seine Handlungen." M Graf J.H. Bernstorff, Erinnerungen, S. 184. Ahnlich auch M.J. Bonn, So macht man Geschichte, S. 223f.; M. Warburg, Aufzeichnungen, S. 75; E. Schiffer: Ein Leben für den Liberalismus, BerlinGrunewald 1951, S. 222f.; und F. Rosen, Wanderleben, Bd. 3/4, S. 259, der über einen Besuch in Berlin berichtet, bei dem er sich mit seinen Kollegen Graf Bernstorff und Graf Oberndorff, dem früheren Gesandten in Sofia, zum Essen traf. "Wir waren im angeregten Gespräch, als plötzlich meine beiden Kollegen unter Anzeichen der Beunruhigung verstummten. Dies kam daher, daß Herr Töpfer, ein deutscher Industrieller, der ... rechte Hand des Staatssekretärs ... war, grüßend an unserem Tisch vorbeigegangen war. Meine Kollegen meinten sofort, daß unser zufälliges Zusammensein alsbald dem Staatssekretär gemeldet werden und sein Mißtrauen erregen würde. Als ich nach dem Frühstück zum Amt zurückkehrte ..., kam auch Graf Brockdorff im Auto an und überhäufte mich mit Vorwürfen darüber, daß ich noch in Berlin sei." Erst später konnte Rosen den Verdacht Rantzaus, er habe konspiriert, zerstreuen. 5 3 Auch heutige Biographen stehen eher kritisch zur Person und zur Politik Brockdorff-Rantzaus; vgl. U. Wengst: Graf Brockdorff-Rantzau und die außenpolitischen Anfänge der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 1973; L. Haupts: Graf Brockdorff-Rantzau, Göttingen u. Zürich 1984. Enthusiastisch demgegenüber E. Stem-Rubairth: Graf Brockdorff-Rantzau, Herford u. Bonn 1968 (erstmals 1929); und P. Laukhard: Brockdorff-Rantzau contra Versailles, Berlin 1935.

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scheinbare Einigkeit des Außenministers mit dem Kabinett in der Kriegsschuldfrage hielt nur bis zum Beginn der Versailler Verhandlungen vor. Wieviel Sprengstoff hier verborgen war, sollte sich erst danach zeigen. Etwas anders als mit der Kriegsschuldfrage und dem Problem der Aktenedition verhielt es sich in der Frage der Einrichtung eines Staatsgerichtshofes. Auch hier war der öffentliche Druck groß, wenn auch die Bedenken über eine juristische Meßbaikeit etwaiger Vergehen beachtlich waren54. Das Kabinett konnte in diesem Punkt dem Druck leicht nachgeben, waren von einem solchen Schritt doch auch außenpolitisch eher Vor- als Nachteile zu erwarten. Ein weiteres Argument dafür, wenigstens auf diesem Gebiet einige Aktivitäten zu zeigen, bestand in der sicheren Annahme, daß die Entente ohnehin eine Liste der zu bestrafenden deutschen Kriegsverbrecher vorlegen werde. Diese Peinlichkeit konnte man durch vorherige eigene Aktivität zumindest abmildern. Gehemmt wurde das Kabinett in seiner Beweglichkeit in der Kriegsschuldfrage nicht zuletzt durch die Person Eduard Davids, der als Minister ohne Portefeuille eigentlich hauptsächlich für Friedensfragen zuständig sein sollte. Durch seine Kriegsaktivitäten war er jedoch so sehr belastet, daß er nicht einmal als Mitglied der Friedensdelegation benannt werden konnte55. Die Zusammensetzung der

5 4 Vgl. den LA von Th. Wol£ BT, Nr. 140 (31.3/19 M); Graf Westarp: Die innere Politik der Woche, KZ, Nr. 170 (13.4/19 M). Beide Artikel sprechen die juristische Problematik der Wahrheitsfindung an. Ebenfalls nur geringe Erwartungen hegt R. Breitscheid: Die Schuldigen, Freiheit, Nr. 182 (15.4/19 A). Das Volk wisse auch ohne den Gerichtshof) wer die Schuldigen seien ("Ein Rechtfertigungsversuch der Militärpartei", Freiheit, Nr. 214 [6.5/19 M]). Als juristisch vernichtende Kritik eines der fuhrenden Staatsrechtler siehe H. Triepel: Der Entwurf eines Reichsgesetzes über die Errichtung eines Staatsgerichtshofs, in: DJZ, 24. Jg. (1919), Sp. 366-374. Triepel, der als DNVP-Anhänger auch politisch an der Frage interessiert war, schlug statt dessen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß vor. Damit hatte er die Lösung vorweggenommen Zur Diskussion im Kabinett die Protokolle bei H. Schulze, Das Kabinett Scheidemann, passim Vgl. W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 156ff Allgemein wird man F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 74, ausnahmsweise einmal uneingeschränkt zustimmen müssen: "Deutschland trat also in die Friedensverhandlungen ein, ohne daß der Staatsgerichtshof geschaffen oder ein politischer Untersuchungsausschuß gebildet oder die Dokumente aus den deutschen Archiven der Welt mitgeteilt worden wären. Die deutsche Politik hatte in der Kriegsschuldfrage nicht einen Schritt vorwärts gewagt und keine ihrer Möglichkeiten genutzt" 5 5 Zur Zusammensetzung der Friedensdelegation und speziell zur Kritik an David siehe R. Greiling: Schuldfrage und Friedensunterhändler, in: Die Weltbühne, 15. Jg. (1919), S. 254-260; Olf: Die Naiven, in: ebd., S. 369f.; "Ueber auswärtige Politik", Freiheit, Nr. 177 (12.4/19 A); H.v.Gerlach: Sündenerbschaft und sündige Erben, WaM, Nr. 72 (24.3/19). V.a. Greiling hatte sehr genaue Vorstellungen darüber, wie die Delegation besser aussehen solle. In einem Schreiben an Brockdorff-Rantzau vom 24.1. (PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 12, H 234270-71) bot er sich selbst für diese Aufgabe an. Der Minister scheint nicht einmal geantwortet zu haben. Auch der Pazifist und DDP-Abgeordnete Quidde schrieb am 18.1. an den Minister und bat darum, mitwirken zu dürfen (ebd., Az 11, H 232875). Allgemein siehe A. Luckau, German Delegation, S. 54ff.; und H. Schulzes Einleitung in "Kabinett Scheidemann", S. XXIX.

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Delegation war sorgfaltig ausgewogen. Unter der Leitung BrockdorffRantzaus gehörten ihr als Hauptdelegierte die Reichsminister Landsberg (SPD) und Giesberts (Zentrum), der Präsident der preußischen Landesversammlung Leinert (SPD), der pazifistische Völkerrechtler Schücking (DDP) und der Bankier Melchior an, der auf Vorschlag seines Kompagnons Warburg an dessen Stelle getreten war. Generalkommissar im Range eines Unterstaatssekretärs war Ministerialdirektor Simons, der spätere Außenminister und Präsident des Reichsgerichts. Sein engster Mitarbeiter war der Legationsrat Freiherr von Lersner. Die Politische Kommission als die wichtigste der fünf von der Delegation eingerichteten Kommissionen stand unter der Leitung des Gesandten von Haniel. Die hauptsächliche Verbindungsstelle in Berlin, die "Paxkonferenz" im Auswärtigen Amt, wurde vom Unterstaatssekretär Langwerth von Simmern geführt, der seinen Vetter Brockdorff-Rantzau in den folgenden Wochen nicht nur mit den offiziellen Nachrichten und Entschlüssen des Kabinetts versorgen sollte, sondern der darüber hinaus auch alle Intrigen und Hintergrundereignisse prompt nach Versailles geheim berichtete 56. Der Zusammenhang zwischen der Kriegsschuldfrage und den kommenden Friedensverhandlungen wurde in Deutschland durchaus gesehen, wenn auch mit großem Unbehagen57. Die gelegentlichen Rufe, daß es noch Zeit sei, allerdings höchste Zeit, für ein offenes Schuldbekenntnis58, verhallten vor den Befürchtungen um die Begründung des Friedensvertrages durch die deutsche Kriegsschuld ungehört. Dies galt erst recht, als erste Nachrichten über den alliierten Kommissionsbericht zur Kriegsschuldfrage durchsickerten, die die schlimmen Erwartungen

5 6 Eine von Brockdorff-Rantzau gezeichnete "Organisation der Deutschen Friedensdelegation", die in den Anlagen auch die personelle Zusammensetzung der Kommissionen enthält, ist zu finden PA, N L Bülow, Bd. 2, Bl. 189-195. Zur Vorbereitung der Verhandlungen und zur Zusammenstellung der Delegation siehe PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 17, passim.

Am 2.4/19 wies die DNVP in einer Eingabe an Scheidemann auf diesen Zusammenhang hin (BA, R 43/1, Nr. 803, Bl. 2-5). Deutschland dürfe überhaupt nichts zugeben und müsse sofort eine Untersuchungskommission einsetzen. Für Ο. H Oetzsch: Die äußere Politik der Woche, KZ, Nr. 123 (19.3.' 19 M), sollte die Kriegsschuldfrage eigentlich erst von späteren Historikern bearbeitet werden. "Aber die Gegner wollen es anders, wir können uns also dieser Erörterung nicht entziehen." Natürlich plädiert auch Hoetzsch für die Veröffentlichung der Akten. CO Neben den Artikeln Kautskys vom April in der Freiheit vgl. H. Ströbel, Durch zur Wahrheit, S. 7 u. S. 20; G. Metzler, Schuld am Kriege, S. 180; "Eine Kundgebung der Unabhängigen", Badische Landeszeitung, Nr. 168 (9.4.'19), wo eine Rede v.Beerfeldes ablehnend wiedergegeben wird.

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bestätigten und zeigten, daß die Alliierten von der zweifelsfrei erwiesenen deutschen Schuld ausgingen59. An dieser Stelle fühlten sich die Pazifisten und Sozialisten aufgefordert, in die Bresche zu springen. Gerade weil sie in der Frage der deutschen Kriegsschuld einen offenen Standpunkt einnahmen, sahen sie sich berufen und befugt, darauf zu verweisen, daß die Kriegsschuld nicht mit den Entschädigungsforderungen vermischt werden dürfe, solle es zu einem wahrhaft den Frieden sichernden Rechtsfrieden kommen. Krieg sei 1914 ein erlaubtes Mittel des Völkerrechts gewesen, und keinesfalls dürfe man das unschuldige deutsche Volk in seinen kommenden Generationen für die Sünden seiner früheren Führer büßen lassen. Die Entente wurde beschworen, nicht durch einen Gewaltfrieden ihrerseits schuldig zu werden: "Noch ist nicht alles verloren. Noch kämpfen drüben aufrechte und weitblickende Männer gegen das Evangelium der Gewalt, das eine Welt verelendet und an den Abgrund gebracht hat. Wenn sich die Entente frei von Schuld fühlt, so soll sie nicht nachträglich noch schuldig werden, schuldiger durch die Tat, als das militaristische Deutschland durch die Absicht. Denn das ist der wahre Inhalt und die Bedeutung der Schuldfrage für die Gegenwart, daß die Schuld, deren Schatten in die Zukunft fallt, frevelhafter ist als alte Schuld, die vergangen, gebüßt und, soweit sie es noch nicht ist, nach Fug und Recht an ihren Urhebern, aber nicht an ihren Opfern, gerächt werden soll." 60 Am 7. Mai 1919 gab die Entente hierauf ihre Antwort.

IL Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit 1. Der Schock des Vertragsentwurfes

Es war für die Ententevertreter nicht einfach gewesen, ihre Differenzen untereinander zu bereinigen und der untätig wartenden deutschen Delegation

5 9

Vgl. "Die Schuldfrage auf der Pariser Friedenskonferenz", BT, Nr. 197 (3.5/19 M); "Politische Tagesübersicht", KZ, Nr. 81 (18.2/19 A); "Die Schuld am Kriege", DAZ, Nr. 10 (6.1/19 A); Graf Reventlow: Von neuen Schuldlügen, DTZ, Nr. 221 (5.5/19); H. Delbrück: Der zu erwartende Frieden, in: Pr.Jbb., 175. Bd. (1919), S. 146-150. 6 0 A. Zichler: Die Schuldfrage, Vorwärts, Nr. 158 (27.3/19 M). Vgl. M. Bonn, Gerechtigkeit, S. 7 u. S. 36ff.; E. Feder: "Gerechtigkeit", BT, Nr. 112 (15.3/19 A) (wo die Schrift Bonns auch besprochen wird); H. Vorst: Der gerechte Friede, BT, Nr. 118 (19.3/19 M).

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einen abgerundeten Vertragsentwurf vorzulegen61. Ganz gelang dies auch nicht, und das letztendlich überreichte Dokument des Friedensvertragsentwurfes trug deutliche Zeichen eines unfertigen Kompromisses an sich 62 . Der Tenor allerdings war unmißverständlich, und so erhob sich in den folgenden Tagen ein Proteststurm in der deutschen öffentlichen Meinung, wie er noch selten dagewesen war. Von rechts bis links, vom Pazifismus bis zum Militarismus war es die einhellige Überzeugung, daß dieser Entwurf niemals Vertrag werden dürfe. Das schlichte "Nein!", mit dem Theodor Wolff seinen Leitartikel überschrieb, gibt die Stimmung vielleicht sogar besser wieder als die gleichfalls möglichen seitenlangen Zitate der Klagen über die Vergewaltigung, den Rechtsbruch, den Vernichtungsfrieden, die Schamlosigkeit und den Imperialismus der Sieger63. In dem Aufschrei der Empörung waren nur vereinzelte Stimmen zu vernehmen, die bei aller auch hier vorhandenen

6 1 PA, Pol 2, enthält zahlreiche Aktenstücke, in denen geheime Informationen über alliierte Uneinigkeiten von Zuträgern aus Botschaften und anderen Stellen berichtet wurden. Am 5. Mai, also zwei Tage vor der Vertragsübergabe, drahtete Brockdorff-Rantzau nach Berlin, er habe Clemenceau gedrängt, die Konferenz beginnen zu lassen. Die deutsche Delegation warte schon seit dem 25. April; Landsberg und Giesberts müßten wieder nach Berlin. - Dieses Drängen ist das erste Beispiel für die nach eigener Einschätzung männlich-aufrechte Haltung des Ministers in Versailles, die auf der Seite des Siegers doch nur stets als ein Beleg für die ungebrochene deutsche Arroganz genommen wurde. Ihren Zweck jedenfalls verfehlte sie vollständig. Zu alliierten Unstimmigkeiten siehe allgemein L.S. Jaffe, Decision to Disarm Germany; H. Köhler, Novemberrevolution und Frankreich; P.C. Hartmann: Das Friedensprojekt: Grundstein der französischen, antideutschen und antibolschewistischen Hegemonialpolitik?, in: K. Bosl (Hg.), Versailles - St. Germain - Trianon, München u. Wien 1971, S. 77-92; E. Goldstein, Winning the Peace; H. Mögenburg, Haltung der britischen Regierung; K.L. Nelson: Victors Divided, Berkeley usw. 1975; K. Schwabe: Deutsche Revolution und Wilson-Frieden, Düsseldorf 1971. A Dies galt insbesondere für die Reparationsfrage und den Art. 231; wie weiter unten zu zeigen sein wird. Deutsche Drucke der wichtigsten dokumentarischen Quellen gibt es wie Sand am Meer. Wir haben neben den entsprechenden Bänden von Wippermann/Purlitz' "Deutschem Geschichtskalender" (Der Europäische Krieg. Ergänzungsband) und "Schultheß' Europäischem Geschichtskalender" (35.Jg. 1919) drei der am besten zugänglichen zeitgenössischen Editionen benutzt; nämlich: Deutsche Liga für Völkerbund: Der Kampf um den Rechtsfrieden. Die Urkunden der Friedensverhandlungen, Berlin 1919; H. Kraus, G. Rödiger (Hg.): Urkunden zum Friedensvertrage von Versailles vom 28. Juni 1919, 2 Bde., Berlin 1920 u. 1921; sowie v.a. die Edition des Auswärtigen Amtes "Materialien, betreffend die Friedensverhandlungen", 10 Tie., Charlottenburg 1919. 6 3 Th. Wolff: Nein!, BT, Nr. 206 (8.5.Ί9 M). Die Unterschrift wäre ein Todesurteil (Graf Westarp: Die innere Politik der Woche, KZ, Nr. 217 [11.5/19 M]); der Vertrag "übertrifft an Härte alle Erwartungen" ("Die Bestimmungen des Friedensentwurfs", DAZ, Nr.221 [8.5.Ί9 A]); er ist ein "Dokument des Hasses und der Verblendung" (so die Schlagzeile ebd., Nr. 222 [9.5.Ί9 M]); "ein kompletter Unsinn" (LA der FZ, Nr. 338 [7.5.Ί9 A]); eine "ungeheuerliche Vergewaltigung unseres Volkes" ("Frieden der Vernichtung", Vorwärts, Nr. 233 [8.5.Ί9 M]); ein "reines Produkt des kriegerischen Imperialismus" ("Was sollen wir tun?", Vorwärts, Nr. 234 [8.5.Ί9 A]); "ein Dokument politischer Schamlosigkeit, das bisher ohne Beispiel in der Geschichte des Menschengeschlechts gewesen ist" (G. Bernhard: Ja oder Nein?, VZ, Nr. 232 [8.5.Ί9 A)).

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Empörung, zu besonnenen Verhandlungen rieten oder gar von vornherein die Ansicht vertraten, daß Deutschland in jedem Fall unterzeichnen müsse, da die Folgen einer Ablehnung noch weit schlimmer seien als die der Annahme64. Nur die Konservativen ließen es sich nicht nehmen, bei aller Bestürzung mit deutlicher Häme im Ton darauf zu verweisen, daß sie es schließlich von Anfang an gesagt hätten, daß mit einem solchen Entwurf zu rechnen sei. Ihre strikte Ablehnung des Vertrages verstand sich von selbst65. Die Nationalversammlung trug der Reaktion der Öffentlichkeit Rechnung, als sie am 12. Mai zu einer Sondersitzung in der Aula der Berliner Universität zusammenkam. Nach einer kurzen Begrüßung durch den auch jenseits seines Lagers respektierten DVP-Abgeordneten Prof. Dr.Dr. Kahl, der hier lehrte und nun den Rektor vertrat, sprachen Vertreter aller Parteien sowie, nach einer vorher sorgfältig ausgeklügelten Regie, weitere Abgeordnete als Vertreter der abzutretenden Gebiete, der Frauen und der Pazifisten. Der Ton aller Reden war der einer maßvollen würdigen Entrüstung, überwiegend waren sie als ernste Mahnung an das Ausland gedacht. Das entscheidende Wort fiel aber schon zu Anfang, als Scheidemann für das Reichsministerium an die Tribüne trat. Nachdem er die Friedensbedingungen als "Lästerung" der Wilsonschen 14 Punkte gebrandmarkt hatte, sprach er unter minutenlangem Jubel der Versammlung und der Zuhörer auf der Galerie den Satz, auf den alle gewartet hatten und der die Politik der Regierung unwiderruflich zu binden schien: "Dieser Vertrag ist nach Auffassung der Reichsregierung unannehmbar!"66 In diesem Moment der allgemeinen Zustimmung wurde etwas verdeckt, daß das "unannehmbar" erst nach zähen Verhandlungen in die Rede hineinkorrigiert worden war. Koch-Weser beanspruchte diesen Ruhm für die DDP und für sich persönlich. Bereits am 10. Mai notierte er in sein Tagebuch: "Gestern nach der Fraktionssitzung war ich ganz alle. Bin auch wohl noch nie so heftig und zäh gewesen. Aber ich habe doch Erfolg gehabt. Wir haben

6 4 So etwa "Wir müssen unterschreiben!", Freiheit, Nr. 219 (8.5.Ί9 A); und danach praktisch täglich in der Freiheit. Die frühe Unterzeichnungsbereitschaft der Unabhängigen geißelt H. Delbrück: Frieden, in: ders. (Hg.), Vor und nach dem Weltkrieg, Berlin 1926, S. 406-416 (erstmals 28.6.'19), hier S. 410. Sie habe Clemenceau sehr geholfen, seinen Frieden durchzusetzen. 6 5

Etwa GrafWestarp: Die innere Politik der Woche, KZ, Nr. 230 (18.5.Ί9 M).

6 6

Stenographische Berichte der Nationalversammlung, Bd. 327, S. 1086.

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beschlossen, nicht nur unsererseits ein glattes 'Unannehmbar' zu erklären, sondern auch unsere Vertreter im Kabinett zu ersuchen, darauf zu bestehen, daß die Regierung ein 'Unannehmbar' spricht. Gelingt es ihnen nicht, die Regierung voranzutreiben, so werden sie gehen müssen. Jetzt ist der Augenblick, wo wir, die wir so oft durch die Lage der Dinge genötigt waren, der Linken nachzufolgen, zu einer Führerrolle berufen sind." 67 So geschah es auch. Mit dem Resultat war Koch zufrieden; am 12. Mai billigte er Scheidemann zu, er habe "(i)m ganzen eine mannhafte große Rede gehalten", auch wenn er erst gezögert habe und von der DDP gedrängt werden mußte. Und zwei Tage später ist er erneut sehr erfreut über den Erfolg der Rede; Scheidemann sei nunmehr für einen Frieden dieser Art unmöglich geworden68. Genau das war die Befürchtung der Gegner des "unannehmbar" im Kabinett. Erzberger gab sachlich auch in dieser vermeintlich rein emotionalen Frage zu bedenken, daß "unerträglich" und "undurchführbar" stark genug seien. Ein hinzugefugtes "unannehmbar" werde die Entente auch nicht stärker beeindrucken, sondern nur die Regierung unwiderruflich festlegen 69. Eben dies war aber das Ziel der Demokraten, die nach dem "Erfolg" Kochs auch eine Kabinettskrise in Kauf genommen hätten. Die wurde diesmal noch vermieden; ob aber alle Kabinettskollegen Erzbergers wußten, wie groß die damit eingegangene Verpflichtung war, ist zweifelhaft. Der 7. Mai brachte auch das Denkmal zum Einsturz, das die Deutschen in der Zwischenphase seit dem Waffenstillstand ihrem Idol Woodrow Wilson errichtet hatten. Die Hoffnung auf den amerikanischen Präsidenten, der mit seinen 14 Punkten und seiner Völkerbundsidee als Gegenspieler Clemenceaus gesehen wurde, war von Anfang an ebenso groß wie irrational gewesen. In ihm hatten sich alle auf einen Rechtsfrieden gerichteten Wünsche verdichtet, und um so herber wirkte nun die Enttäuschung darüber, daß der Entwurf so

6 7

BA, N L Koch-Weser, Nr. 16, S. 216-218 (Originalpaginierung).

6 8

Ebd., Bl. 123 (12.5.) u. Bl. 133 (14.5.). Auf große Resonanz stieß die Rede Scheidemanns auch unter Sozialisten. Die Verve, mit der Friedrich Stampfer im "Vorwärts" bis zuletzt gegen die Vertragsannahme ficht (und dann auch konsequent ebenso wie Scheidemann seinen Hut nimmt), unterscheidet sich kaum von der Theodor Wolffs im "Berliner Tageblatt". Vgl. auch A. Braun: Der Ententefrieden und die Arbeiterklasse, Berlin o.J. (1919, vor Unterzeichnung), wo der Vertrag v.a. fur die Arbeiter als unannehmbar bezeichnet wird, da er den Sozialismus durch seine finanziellen Bestimmungen unmöglich mache, S. 6 u. S. 23f. 6 9 M. Erzberger: Erlebnisse im Weltkrieg, Stuttgart u. Berlin 1920, S. 368. Vgl. auch die Protokolle der Kabinettssitzungen vom 9. und 12.5.; bei H. Schulze, Kabinett Scheidemann, die Nr. 67 u. 70.

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gar nicht seinen Vorstellungen entsprach. Der Ton bitterer Anklagen gegen den enttäuschenden Messias war unter seinen ehemals größten Verehrern am deutlichsten70. Vereinzelt fanden sich trotzdem noch verzweifelte Appelle an den Präsidenten, die wohl eher die Autoren selbst davon überzeugen sollten, daß noch nicht alles verloren sei. Der badische Staatsminister und Weimarer DDP-Abgeordnete Ludwig Haas formulierte leidenschaftlich: "Läßt Wilson diesen Frieden zu, dann wäre es für seinen Ruf besser, wenn er zynisch erklärte, alle seine Worte seien leere Redensarten gewesen, nicht ernst gemeint, berechnet zur Täuschung der Welt. Wir können uns nicht denken, daß der Präsident eines großen ehrenhaften Volkes so mit seinem Ruf und dem Ansehen seiner Nation spielt. Noch glauben wir, daß er bei den weiteren Verhandlungen auch für das Recht Deutschlands und damit (sie!) für seine eigene Ehre eintritt. Dieser Friedensvorschlag muß ihm abgezwungen sein. Es ist unmöglich, daß ein Mensch sich so in Widerspruch setzt mit feierlich ausgesprochenen Grundsätzen. Nie hätte die Weltgeschichte Ähnliches erlebt (sie!). Man lese die Reden und Kundgebungen Wilsons. Der Friedensvorschlag der Feinde schlägt jedem Wort Wilsons ins Gesicht. Er kann den Vorschlag nicht decken."71 Äußerungen dieser Art konnten nur von liberaler oder pazifistischer Seite kommen. Im rechten Teil des politischen Spektrums hatte man nie auf Wilson gehofft. Die Deutschnationalen hatten es einmal mehr von Anfang an gewußt; wer bereits im Oktober 1918 geschrieben hatte, Wilson sei "ein echter Yankee,

70

Zur Hoffnung auf Wilson und zum Lob seiner Verdienste etwa H. Wehberg, Pazifist im Weltkrieg, S. 24; Fr.W. Foerster, Mein Kampf, S. 182; P. Nathan: Wilson, Friede und Völkerbund, in: DP, 3. Jg., Nr. 45 (8.11.Ί8), S. 1415-1420 (wo Hoffiiung und Skepsis ausgedrückt werden), E. Foehr: Der Glaube an die Macht. Ein Beitrag zur Schuldfrage, in: DP, 4. Jg., Nr. 2 ( 10.119), S. 42-48, hier S. 46. Ein Appell der DDP, Wilson möge Deutschland vor dem Triumph des Hasses bewahren, findet sich bereits am 30.11.' 18 im BT, "Die Deutsche demokratische (sie!) Partei an Wilson", Nr. 608 M. Um so größer die Enttäuschung; Theodor Wolffs Leitartikel (BT, Nr. 292 [30.6.491) wirft Wilson vor, er sei als Arzt gekommen und als Quacksalber gegangen. Und weiter: "Wie schon seine Redekünste ahnen ließen, ist er nur einer jener Professoren, deren Typus wir während des Krieges bei uns kennen gelernt haben und deren hohes Vorrecht es ist, mit unerschütterlicher Sicherheit über Dinge zu urteilen, von denen sie nichts wissen und nichts verstehen." In einem Telegramm an das Auswärtige Amt vom 9.5. verlangte Haniel einen Artikel in der DAZ, der die jetzigen Forderungen mit früheren Äußerungen Wilsons kontrastieren sollte (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 56). Scharfe Angriffe allerdings hielt die Delegation für "unzweckmäßig" wegen der Verhandlungen; die Presse sollte so instruiert werden (Tel. BrockdorffRantzaus an Langwerth vom 14.5.; PA, WK 31 geh, Bd. 1, Bl. 10). 7 1 L. Haas: Der "Wilson-Frieden", BT, Nr. 208 (9.5.Ί9 M). Vgl. den ebenso verzweifelten Appell Quiddes an Wilson; "Die Deutsche Friedensgesellschaft an Wilson", FZ, Nr. 383 (25.5.Ί9, l.M).

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bei dem da, wo andere Leute das Herz haben, sich ein Eisklumpen und eine Rechenmaschine befinden", war jetzt nicht überrascht 72. Die deutsche öffentliche Meinung hatte damit einen vollen Kreis beschrieben. Noch 1916 hatte man bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen auf den Sieg des Republikaners gehofft, während man Wilson "für einen wahren Satan" hielt 73 . Jetzt war man wieder an der gleichen Stelle angekommen, nachdem das Zwischenspiel vom Oktober 1918 bis zum 7. Mai 1919 beendet war. Die Wilsonschen 14 Punkte hatte man erst in dem Moment für sich reklamiert, in dem die Niederlage auch die Grundlage für sie hinfallig machte. In die Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens hatte man alles hineininterpretiert, was dort nach deutschen Wünschen hätte stehen sollen. Jetzt war der Schleier zerrissen 74. In den ersten Reaktionen auf den Ententeentwurf war es unter den späteren sogenannten "Ehrenpunkten" lediglich die geforderte Auslieferung Wilhelms II., die auf den sofortigen Protest der Öffentlichkeit stieß 75 . Ansonsten wurden fast ausschließlich die materiellen Bedingungen in ihren Folgen immer und immer wieder dargestellt. Die Abtretungen im Westen und vor allem im Osten, die Besetzung des linken Rheinufers, das Schicksal des Saarlandes und Danzigs, die Auslieferung der Flotte und die Reduzierung des Heeres, und nicht zuletzt die

72 Das Zitat ist aus der KZ vom 20.10/18 ("Zur Charakterisierung der Wilsonschen Politik", Nr. 536 M). Somit konnte Graf Westarp: Die innere Politik der Woche, KZ, Nr. 230 (18.5.Ί9 M), auch wenigstens in diesem Punkt triumphieren. Für H. Frhr.v. Liebig: Der Betrug am deutschen Volke, München 1919, S. 3, kann man nicht einmal von einem Betrug Wilsons sprechen, da er seinen Vernichtungswillen offen zugab, wie die Alldeutschen klar erkannt haben. 7 3

Dies berichtet am 8.11/16 Th. Wolff, Tagebücher, S. 454.

7 4

Vgl. generell P. Krüger: Deutschland und die Reparationen 1918/19, Stuttgart 1973, S.41; ders.: Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985; P. Grupp, Deutsche Außenpolitik, S. 5Iff.; H. Schulze: Weimar, Berlin 1982, S. 191 f.; P. Kluke: Selbstbestimmung, Göttingen 1963, S. 67ff.; und E. Fraenkel: Das deutsche Wilsonbild, in: Jahrbuch für Amerikastudien, 5. Bd. (1960), S. 66-120. 75

, J Zwei Gutachten des Freiburger Historikers Rachfahl und des Münchener Juristen Frank übersandte der Vorsitzende der "Vereinigung alter Burschenschafter" und der "Deutschen Burschenschaft" am 21.5/19 an Scheidemann (BA, R 43/1, Nr. 803, B1.26 [Schreiben von Dr. Stopf], Bl. 28-72 [Gutachten Prof. Rachfahl], Bl. 73-119 [Gutachten Prof. Frank]). Der Historiker untersucht Präzedenzfälle wie die Aburteilung Napoleons, der Jurist führt seinen Beweis aus der Völkerrechtsliteratur der Ententestaaten. Beide kommen - wenig überraschend - zu dem Schluß, daß eine Auslieferung unmöglich sei. Der Vergleich mit Napoleon wird während der ganzen, noch lange andauernden Debatte gem gezogen. Die Germania ("Ein Präzedenzfall zur Auslieferungsfrage", Nr. 58 [4.2/20]) zieht sogar die Parallele zu einem anderen Napoleon - zu Napoleon II., dessen Auslieferung aus der Schweiz Frankreich seinerzeit gefordert hatte.

II. A t . 231 und die deutsche Öffentlichkeit

129

immensen finanziellen Belastungen, die in ihrer Höhe noch nicht einmal feststanden, da sich die Alliierten untereinander nicht hatten verständigen können - diese Themen bewegten die Gemüter. Insofern waren auch die deutschen Vorbereitungen auf die Friedenskonferenz erfolgreich gewesen. Sie hatten sich ganz in wirtschaftlichen Bahnen bewegt, und der Delegation gehörten mit Carl Melchior als einem der Hauptdelegierten und Max Warburg als gewichtigem wirtschaftlichen Berater hochkarätige Bankiers an. Als Sachverständige standen in Versailles oder auf Abruf in Berlin nahezu sämtliche führenden Köpfe der deutschen Industrie, des Großhandels und der Bankenwelt bereit 76 . In den "Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler", die noch im Januar 1919 von Erzberger und Bernstorff erarbeitet worden waren, war von der Kriegsschuldfrage nicht die Rede gewesen. Die Verhandlungen sollten nicht auf dieses Feld geführt werden, von dem man sich kaum einen Vorteil versprechen konnte; eine Einschätzung, die nach Kenntnis der Kautsky-Akten nur bestätigt wurde. Wilsons 14 Punkte versprachen, ein wesentlich besserer Hebel zu sein. Im Zentrum der Vorbereitungen standen aber, wie gesagt, ohnehin die rein wirtschaftlichen Fragen, da man hier die wichtigsten Forderungen der Alliierten befürchtete 77. Der Vertragsentwurf zeigte, daß man dies richtig eingeschätzt hatte, wenn auch die Höhe der Forderungen jedes erwartete Maß bei weitem überstieg. Die Frage der Reparationen war wenigstens in ihren praktischen Auswirkungen, wenn auch nicht in Brockdorff-Rantzaus Konferenztaktik, das zentrale Thema von Versailles 78. Anklagend wurden den alliierten Forderungen die deutschen Friedensangebote aus der Kriegszeit entgegengehalten. Die Fähigkeit zum Vergessen war dabei anscheinend hoch ausgeprägt, hatten doch einige deutsche Kriegszielprogramme des Krieges keinen Vergleich mit den Versailler Vorschlägen

7 6

Vgl. V. Schiff: So war es in Versailles, Berlin 1929, S. 6f.

77

' Vgl. W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 151 f.; und v.a. P. Krüger, Deutschland und die Reparationen, S. 66ff. u. S. 147ff; ders.: Außenpolitik von Weimar, S. 65ff. 7o Mit der Reparationsproblematik hat sich in mehreren Studien erschöpfend Peter Krüger befaßt; siehe sein "Deutschland und die Reparationen", "Außenpolitik von Weimar"; "Die Reparationen und das Scheitern einer deutschen Verständigungspolitik auf der Pariser Friedenskonferenz im Jahre 1919, in: HZ, Bd. 221 (1975), S. 326-372; "Das Reparationsproblem der Weimarer Republik in fragwürdiger Sicht. Kritische Überlegungen zur neuesten Forschung", in: VfZ, 29. Jg. (1977), S. 137-187. Vgl. auch G. Hardach: Der Erste Weltkrieg (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert. Hg. v. Wolfram Fischer, Bd. 2), München 1973, S. 252ff ; und D.H. Aldcroft: Die zwanziger Jahre, (ebd., Bd. 3), München 1978, S. 97ff. 9 Dreyer/Lembcke

130

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

zu scheuen brauchen 79. Auch der wenige Monate alte Frieden von BrestLitowsk war inzwischen wenigstens für die entrüsteten Deutschen in das Nebel der Geschichte eingetaucht. Die Entente konnte sich zwar schlecht auf dieses "Vorbild" berufen, da man den deutschen Militarismus ja gerade bestrafen wollte. Aber ein weiterer Beleg für die deutsche Niedertracht, für das, was ein siegreiches Deutschland Europa aufgebürdet hätte und eine Rechtfertigung dafür, Deutschland so zu behandeln, daß es nie wieder in die Lage kommen würde, eine Gefahr für Europa zu bedeuten, war Brest-Litowsk wenigstens im Hintergrund der alliierten Überlegungen80. In der deutschen öffentlichen Meinung erinnerte man sich eher verschämt an Brest-Litowsk 81. Jetzt ging um eine Abwehr des Vertragsentwurfes. Mit Vorschlägen an die deutsche Delegation, wie man die Entente bewegen könne, einen besseren Frieden abzuschließen, geizten auch Privatpersonen nicht. Einmal mehr wurde das Auswärtige Amt mit Patentrezepten überschüttet, von denen einige geradezu Gipfel unfreiwilliger Komik in einer ernsten Angelegenheit erklommen 82. Selbst die Reichsregierung kam in ihrer Not

79

Vgl., um nur ein Beispiel aus der Kriegszeit zu nennen, etwa R. Stratz, Wie es zum Weltkrieg kam! (1917), S. 15f.: "Unsere Feinde haben den Krieg gewollt, sollen sie ihn auch zahlen! Die Gegner haben sich ja seit Kriegsbeginn immer so dick getan mit ihren silbernen Kugeln, ihrer letzten Milliarde, ihren sausenden Schecks. Bei Friedensschluß können sie zeigen, wie reich sie sind und das Geld aus dem Beutel holen, so sauer es ihnen auch wird! Sie müssen's! Darauf müssen wir unerbittlich bestehen! Um Himmels willen dürfen wir da nicht wieder der gutmütige deutsche Michel sein! ... Die härtesten Friedensbedingungen, die wir erzwingen können, sind auch die menschlichsten. Denn sie allein werden die Wiederkehr eines solchen Krieges für immer verhindern." Jetzt hingegen las es sich anders. Siehe z.B. "Der deutsche Friedensvorschlag von 1916", DAZ, Nr. 226 (11.5/19 M); "Ein Vergleich", ebd., Nr. 229 (13.5/19 M). 8 0 Vgl. v.a. W. Baumgart: Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Wien u. München 1966; ders.: Brest-Litovsk und Versailles. Ein Vergleich zweier Friedensschlüsse, in: K. Bosl (Hg.), Versailles, S. 49-76; W. Ribhegge, Frieden für Europa, S. 201ff.; und die Dokumentensammlung von W. Hahlweg (Hg.): Der Friede von Brest-Litowsk, Düsseldorf 1971. Sehr aufschlußreich ist auch J.W. Wheeler-Bennett: Brest-Litowsk. The Forgotten Peace March 1918, London 1956 (erstmals 1938), der mit seiner Arbeit vor der Bedrohung Europas durch den Nationalsozialismus warnen wollte. 8 1 Etwa A. Schmidt: Brest-Litowsk und Versailles, in: DP, 4. Jg. H. 22 (30.5/19), S. 680-683, nach dem Brest-Litowsk immerhin die Freiheit für die russischen Randvölker brachte. Anders "Die Friedensbedingungen", Freiheit, Nr. 218 (8.5/19 M), wo der Vertrag von Brest-Litowsk für härter als Versailles angesehen wird. 8 2

Die Zuschriften finden sich im PA, WK 31 adh, Bd. 1. So gibt jemand am 9.5. (A 14479) den dringenden Rat, ihn nach Paris zu schicken, wo er durch seine Kontakte die französischen Machthaber von ihrem "Wahnsinn" abbringen werde. Eine Marie Springer, Lehrerin am Stuttgarter Mädchengymnasium und Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Friedensgesellschaft, schickte ihre Vor-

II. A t . 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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auf Gedanken, die dem nicht nachstanden. Der spätere preußische Spitzenbeamte Arnold Brecht, zu diesem Zeitpunkt als Regierungsrat in der Reichskanzlei, berichtet in seinen Memoiren, zu ihm sei in diesen Tagen ein "ordentlich aussehender Mann" gekommen. Er "teilte mir mit, daß es ihm gelungen sei, Gold synthetisch herzustellen". Brecht ordnete ausgedehnte Untersuchungen an, die leider das Resultat ergaben, daß dieser moderne Alchimist nicht über die versprochenen Kräfte verfügte. Man ließ den Betrüger laufen, "weil es zu lächerlich gewesen wäre, Berichte über die goldmachende Reichskanzlei in die Presse zu bringen". Aber eben erst nach dem erwiesenen Betrug; "die Verantwortung, jemanden ohne Nachprüfung wegzuschicken, der solche Versprechungen machte, war zu groß" 83 . Der enorme Druck der drohenden wirtschaftlichen Verpflichtungen schien ruhige Überlegungen auszuschließen. Aber wie sah es mit der Schuldfrage und Versailles aus? In einigen der ersten Stellungnahmen wurde zwar darauf verwiesen, daß es die EntenteAuffassung von der deutschen Schuld am Kriege sei, die die Basis des gesamten Dokumentes abgebe. Der später so berühmte Art. 231, der berüchtigte "Schuldparagraph" von Versailles, findet sich buchstäblich in keiner der frühen Reaktionen, jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem er später verstanden wurde. Wenn von Kriegsschuld die Rede war, was, wie gesagt, selten genug geschah, dann wurden die Auslieferungsbestimmungen der Art. 227 bis 230 und allenfalls die Präambel zitiert,

Stellungen vom 10.5. auch gleich an einen französischen Gesinnungsgenossen, "damit dieser seine Landsleute auf den großen Gewinn hinweise, den das deutsche Volk in jüngster Zeit hervorgebracht hat, auf den Schlesier Gustav Renner, der der Klassiker der Jetztzeit ist, und damit er ihnen nahe lege, daß ein Volk, das in dieser schwersten Zeit einen solchen Genius besitzt, noch eine Mission unter den Völkern der Erde zu erfüllen hat und Atmungs- und Entwicklungsmöglichkeit verdient". Der Literaturnobelpreis werde Renner demnächst bekannt machen (A 14484). Am 11.5. drängte ein Fregattenkapitän Trapp darauf, sich vom "RiesenblufT der Entente nicht täuschen zu lassen (A 14541). Am 16.5. (A 15047) meldete sich eine "Stimme aus dem Volke" mit dem Vorschlag einer "List", nämlich der Anmeldung des Staatsbankrotts unter gleichzeitiger Zeitungsmeldung von "Bolschewisten-Überföllen und großen Gelddiebstählen". Man kann nur dem Beamten beipflichten, der hierzu handschriftlich "verrückt" anmerkte. Ein Heinrich Lohmann meldete sich am 17.5. (A 15099), um Hindenburgs bevorstehenden Guerillakrieg gegen die Entente zu unterstützen. Am 17.5. (ohne Aktennr.) wurde vorgeschlagen, der Entente als "Gesamtcompensation" die deutschen Kriegsanleihen zu überlassen. Am 16.5. (ohne Nr.) wurde die Union mit Frankreich, am 21.6. (A 18263) der Anschluß an die Vereinigten Staaten gefordert. Die Blütenlese ließe sich mühelos fortsetzen. 8 3

S. 210.

Alle Zitate A Brecht: Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884-1927, Stuttgart 1966,

132

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

nicht jedoch Art. 231 84 . Die spätere Kontroverse, ob Art. 231 eine moralische Verurteilung beinhalte oder nur juristisch-technisch zu verstehen sei, läßt sich zumindest für die unmittelbaren Zeitgenossen eindeutig im Sinne der letzten Auffassung entscheiden. Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Artikel: Während die Auslieferungsparagraphen in dem mit der Kriegsschuld befaßten Entente-Ausschuß erstellt wurden, ist Art. 231 ein Werk der Reparationskommission in vielleicht eher zufalliger Nachbarschaft zu den Schuldbestimmungen. Mehr noch, in seiner Unbestimmtheit ist Art. 231 weniger Ausdruck besonderer Perfidie der Sieger85, als vielmehr ihrer mangelnden Kompromißfahigkeit untereinander. Da man sich auf keine bestimmte Summe verständigen konnte, mußte dies auf später verschoben und eine Generalklausel eingefügt werden86. Wenn die deutsche Öffentlichkeit den Art. 231 ursprünglich also nicht im späteren Sinne eines Schuldparagraphen verstand, muß diese Uminterpretation erst im Laufe der Versailler Verhandlungen oder noch später erfolgt sein. Wie sich sogleich zeigen wird, war es denn auch die Verhandlungstaktik des deutschen Delegationsleiters, des Grafen Brockdorff-Rantzau, die die Weichen für den Umschwung stellte. Der "Einbruch des moralisierenden Denkens in die internationale Politik", wie ein treffender Ausdruck von Peter Krüger lautet87, ereignete sich nicht nur auf alliierter Seite.

8 4 Für Graf Westarp: Die innere Politik der Woche, KZ, Nr. 230 (18.5.Ί9 M), sind die Art. 227 und 230 über die Auslieferungen der Höhepunkt der Demütigungen, Art. 231 bleibt unerwähnt. In der DAZ ("Der Umfang des Schadensersatzes", Nr. 221 [9.5.Ί9 A]); findet sich folgender Satz über den 8. Abschnitt des Vertragsentwurfes: "Hier ist in den Paragraphen 231 bis 244 die Rede vom Schadenersatz, für den Deutschland haftbar sein soll." Kein Wort von einer Schuldfrage in diesem Zusammenhang! Nach O. Hoetzsch: Der Inhalt der Friedensbedingungen IV, KZ, Nr. 234 (20.5.'19 A), wird die Kriegsschuld in der Präambel und in Art. 51 festgestellt, Ausfluß hiervon seien die Art. 227 bis 230.

oc

Anders P. Krüger, Deutschland und die Reparationen, S. 163: "Mit diesem Artikel machten die Verfasser des Vertrages einen ihrer schwersten Fehler. Sie kannten die aufgebrachte Stimmung in Deutschland gegenüber der Kriegsschuldfrage und wußten, daß die deutsche Delegation darauf mit Nachdruck eingehen würde, trotzdem fügten sie den Artikel ein - vielleicht sogar gerade deshalb, um die deutsche Argumentation von der Unhaltbarkeit der alliierten Reparationsvorstellungen weg auf ein Gebiet zu locken, in dem nun einmal keine der Siegermächte etwas nachgeben konnte: der Verantwortung für den Krieg." Dies scheint zu weit zu gehen; die Taktik Brockdorff-Rantzaus konnte man gerade wegen ihrer Verfehltheit kaum vorhersehen, und auch die Reaktion der Öffentlichkeit zeigt, daß Art. 231 eben nicht von Anfang an so gesehen wurde. Vgl. zur Entstehungsgeschichte W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 116ff; F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 43ff. Siehe auch W. Jäger, Historische Forschung, S. 18, zum Charakter als Generalklausel. 8 7

P. Krüger: Versailles, München 1986, S. 30.

II. Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

133

2. Deutsche Gegenvorschläge und "Professoren-Denkschrift"

Für die deutsche Regierung kann der Inhalt der Friedensvorschläge der Entente nur sehr bedingt eine Überraschung gewesen sein. Der Geheimdienst hatte im Vorfeld, wie auch später während der Konferenz, exzellente Arbeit geleistet. Anders ist es kaum erklärlich, daß die Friedensdelegation sich beim Text ihrer Noten teilweise bis ins Detail den internen Vorstellungen der amerikanischen Gesandten anzupassen verstand88. Die Bestimmung der richtigen Taktik für Versailles war keine einfache Aufgabe. Den militärischen Siegern mußte ein Frieden so abgetrotzt werden, wie dies Talleyrand für das geschlagene Frankreich vermocht hatte. Aber 1919 war nicht 1814; die Entente dachte gar nicht daran, der neuen Demokratie in Deutschland günstige Startchancen zu verschaffen. In der festen Überzeugung von der Kriegsschuld des kaiserlichen Deutschland drängten England und Frankreich auf eine empfindliche Bestrafung des Missetäters mit Reparationen und Gebietsverlusten. Beide Delegationschefs hatten schon aus innenpolitischen Rücksichten ohnehin kaum eine andere Möglichkeit, und Lloyd George war seit den "Khaki-Wahlen" vom 14. Dezember 1918 bei seinen Wählern im Worte, Deutschland eine drakonische Buße aufzuerlegen. Bei diesen Ausgangsbedingungen hatte sich das Auswärtige Amt von Anfang an entschlossen, die Verteidigung vor allem in der Schuldfrage offensiv zu führen, auch wenn es sich damit in einen gewissen Widerspruch zum Kabinett begab89. Aber inzwischen lag die Leitung der Friedensverhandlungen eben nicht mehr bei Erzberger und Bernstorff, sondern bei Brockdorff-Rantzau. Ihm schien der schwache Punkt der feindlichen Anklagekette in der Schuldfrage zu hegen; und von hier aus hoffte er das ganze Gebäude des Vertrages zum Einsturz zu bringen. Rantzaus eifriger Adlatus hierbei war Bernhard Wilhelm von Bülow, der Fachmann des Amtes in der Schuldfrage 90. Am 22. Mai, als Rantzau seine Konzeption via facti bereits an Stelle der "Instruktionen" vom Januar gesetzt hatte, schrieb Bülow an Langwerth:

8 8

Vgl. F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 80.

O Q 0 7

Siehe U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 42f ; H. Schulze, Einleitung zum "Kabinett Scheidemann", S.LV.; F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 75f ; und v.a. P. Gmpp, Deutsche Außenpolitik, S. 95ff Grupps Darstellung, die sich vielfach mit unserer überschneidet, ist generell für das folgende heranzuziehen Er untersucht ebenso ausschließlich wie detailliert und aufschlußreich das Auswärtige Amt und seine Politik. 9 0

Vgl. zu seiner Rolle P. Grupp: Deutsche Außenpolitik, S. 90ff

134

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

"Die Schuldfrage ist, wie ja vorauszusehen war (sie!), zu einem wichtigen Moment der hiesigen Verhandlungen geworden. Ich bedaure tief, daß man sich nicht von vorne herein entschlossen hat, hier energisch zuzufassen. Es wäre so leicht, die Schuldfrage auf ein totes Geleis zu schieben und sie dadurch auszuschalten. Ich glaube, das Kabinett hat immer Angst, sie solle 'aufgerollt' werden, was weder möglich noch zweckdienlich wäre. Die Argumente unserer Gegner sind so schwach, daß es eine Sünde wäre, sie unwidersprochen zu lassen."91 Der Bericht der alliierten Kommission zur Untersuchung der Schuldfrage, auf den sich die "Ehrenpunkte" des Vertrages - immer mit Ausnahme des Art. 231 ! - stützten, wurde der deutschen Delegation auch auf eine entsprechende Bitte hin nicht übergeben. Ob der Grund hierfür in der Dürftigkeit des hastig zusammengestellten Berichtes liegt, der eine Diskussion wenig geraten erscheinen ließ oder ob sich auch hier die allgemeine Politik der Entente zeigte, die Deutschen stets nur mit vollendeten Tatsachen zu konfrontieren, ihnen aber auf keinen Fall Einblick in den problematischen Entscheidungsfindungsprozeß zu gewähren, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls hatten es die deutschen Unterhändler auch so verstanden, sich ein Exemplar des Berichtes zu verschaffen 92. Damit besaßen sie das nötige Hintergrundwissen, um den "Notenkrieg" offensiv einleiten zu können. Hiervon erhoffte man sich zunächst die Übergabe oder Veröffentlichung des alliierten Kommissionsberichtes, der in seiner Unzulänglichkeit eine einfache Zielscheibe

9 1 9 2

PA, WK adh 4, Bd. 16, Bl. 25-26.

So berichtete Bülow an Langwerth v.Simmem ν. 15.5.Ί9 (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 90-91). Vgl. auch ein Schreiben Bülows an Freytag vom 13.5.: "Heute ... schießen wir unsere Note in der Schuldfrage ab. Den darin erbetenen Kommissionsbericht besitzen wir bereits (sie!). Die Entgegnung ist fast fertig und wird herausgegeben werden, ganz gleich, wie die Antwort ausfällt" (PA, NL Bülow, Bd. 2). Die Delegation bemühte sich auch um die Veröffentlichung des Kommissionsberichtes der Entente, möglichst in angesehenen Zeitungen des neutralen Auslands. In Dänemark war dies nicht möglich, wie der Gesandte in Kopenhagen meldete, der gleichzeitig seine Bedenken gegen den für Deutschland schädlichen Inhalt anmeldete (PA, Pol 7, Bd. 2, Bl. 78). Bülow nahm darauf (ebd., Bl. 79) die Schweiz für die Veröffentlichung in Aussicht, die bald oder gar nicht erfolgen solle. Der Inhalt sei "unbedenklich, da er durch uns in allen wesentlichen Punkten widerlegt wird. Seine Unzulänglichkeit ist unser bestes Argument." Zum Kommissionsbericht F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 30. Als zeitgenössische Stimme H. Delbrück: Die Verantwortungs-Frage, in: Pr.Jbb., 176. Bd. (1919), S. 479486, hier S. 479. Der alliierte Kommissionsbericht war nur aus den Farbbüchem der Entente zusammengestellt. Er wurde in der DAZ später bekanntgegeben, "Der feindliche Kommissionsbericht über die Schuldfrage", Nr. 305 (29.6.'19 M), wo das Urteil lautet: "Der Bericht ist nicht nur außerordentlich tendenziös, sondern auch, rein sachlich angesehen, oberflächlich und leichtfertig." Vgl. auch "Ententekünste in der Schuldfrage", Germania, Nr. 229 (22.5.Ί9 M); P. Rohrbach: Verantwortung und Friedensschluß, in: DP, 4. Jg. H. 24 (13.6.Ί9), S. 739-743.

II. Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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gewesen wäre. In der Zeit vom 9. Mai bis zum 3. Juni überhäuften sie die Alliierten mit nicht weniger als 16 offiziellen Noten, wozu noch die große Note zur Schuldfrage vom 28. Mai kam, die sogenannte "Professoren-Denkschrift", sowie die drei Noten vom 29. Mai mit den detaillierten Gegenvorschlägen zum Gesamtvertragsentwurf. Die Entente ihrerseits antwortete in 11 Noten hierauf. Zweifellos war diese Fließbandproduktion von diplomatischen Noten vom Arbeitsaufwand her beeindruckend. Der Notenkrieg sollte die Entente durch Sticheleien im Detail zwingen, in Verhandlungen über Einzelfragen einzutreten, um so erst Teile des Entwurfes und später den ganzen Entwurf unmerklich zu verändern. Am 8. Mai war die gesamte Delegation zu einer vertraulichen Besprechung zusammengekommen, die noch ganz unter dem Eindruck der Enttäuschung, Empörung und Mutlosigkeit angesichts des am Vortage überreichten Vertragsentwurfes stand. Das Spektrum der Meinungen war nicht wesentlich anders als das in der breiten Bevölkerung. Es reichte von der bedingungslosen Ablehnung über den Versuch von Verhandlungen bis hin zur Annahme unter Protest und bei gleichzeitiger Erklärung, daß die Vertragsdurchführung für Deutschland unmöglich sei. Noch einen Tag vorher, am 7. Mai, war im Kreis der Delegation auch schon das Wort "unannehmbar" gefallen, verbunden allerdings mit dem Ziel von Verhandlungen auf der Grundlage der 14 Punkte: "Vielmehr solle man im einzelnen nachweisen, daß und inwiefern die gegnerischen Bedingungen den Wilson'schen 14 Punkten widersprächen und gleichzeitig praktische Gegenvorschläge machen. Auf diesem Wege könne man der Welt und insbesondere den Neutralen und den Sozialisten die Ungeheuerlichkeit der uns auferlegten Bedingungen nachweisen und vielleicht dadurch doch noch zu einer Verhandlungsbasis gelangen."93 Der entschlußfreudige Brockdorff-Rantzau brauchte nach dieser ersten Reaktion und nach der wenig ermutigenden Sitzung der Delegation am nächsten Tag nur noch einen weiteren Tag, um am 9. Mai seine Entscheidung getroffen zu haben. Von den "praktische(n) Gegenvorschläge(n)" war jetzt nicht mehr in erster Linie die Rede. Als Ziel blieben wirkliche Verhandlungen; die Kriegsschuldfrage und die 14 Punkte waren das Mittel, der Notenkrieg der Weg:

9 3 Das Protokoll der Sitzung vom 7.5/19, abends 22:30 Uhr, findet sich im PA, Pol 2a. Ebd. auch das Protokoll der vertraulichen Besprechung vom 8. Mai.

136

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

"Zum Schlüsse machte Baron Lersner auf den Wunsch des Reichsministers Grafen Brockdorff-Rantzau aufmerksam, daß es sich nicht darum handele, uns auf eine Gegenschrift gegen die uns überreichten Bedingungen zu konzentrieren, sondern die Entente mit Noten zu überschütten (sie!), in denen wir auf Rechtlosigkeit einzelner Forderungen hinweisen, um ein Herausgreifen einzelner Punkte, die wichtig genug sind, die öffentliche Meinung der ganzen Welt zu interessieren und zu unsern Gunsten umzustellen."94 Das war ein Wandel nicht nur in der Position des Außenministers, sondern, mehr noch, ein Wandel der offiziellen deutschen Politik, durchgeführt nach einer einsamen Entscheidung Brockdorff-Rantzaus. Noch Anfang April hatte Rantzau in einem Gespräch mit Groener den ungestümen General unsanft gebremst: "Was die Schuldfrage betrifft, so geben sich Euer Exzellenz einem gewissen Optimismus hin. Auch wenn wir unausgesetzt betonen, daß wir nicht Schuld sind, so treffen doch unsere Beteuerungen auf Leute, die nicht unparteiisch sind." 95 Soweit eine sehr realistische Einschätzung. Warum das aber auf der Friedenskonferenz nicht mehr gelten sollte, für die Brockdorff-Rantzau in dem gleichen Gespräch mit Groener sagte, er habe eine "Campagne in der Schuldfrage vorbereitet", bleibt unklar. Festzuhalten ist, daß Brockdorff-Rantzau anscheinend von Anfang an die Schuldfrage neben den 14 Punkten zum Kern der deutschen Position in Versailles machen wollte, und das gegen die erklärten Absichten der Regierung. Schon für Zeitgenossen war es allerdings mehr als fraglich, ob das Ziel direkter Verhandlungen mit den Alliierten ausgerechnet auf dem eingeschlagenen Wege zu erreichen war, wie Georg Bernhard schon am 10. Mai, also weit vor dem Höhepunkt des Notenkrieges feststellte:

94 Ebd., Protokoll der Sitzung vom 9.5.'19, mittags. Dr. v.Becker, der Protokollführer der Finanzkommission der Delegation, verteidigte am 29.5. in einem Brief an Erzberger (PA, Pol 2, E 21227381) das "System der kleinen Noten". Es sei nötig und nur so möglich gewesen, sofort zu protestieren. Zur taktischen Frage, wann welche Note in welchem Zusammenhang überreicht werden solle und wie sie beschaffen sein müsse, siehe etwa die Delegationsbesprechungen vom 10.5. mittags und vom 16.5. mittags (PA, Pol 2a). Vgl. auch die "Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler", PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 18, H 235013-36, v.a. I und XI. 9 5

Die Aufzeichnung ist vom 4.4.; PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 11, H 234123-32, hier [S. 7].

II. Art 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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"Freilich heißt Verhandeln etwas anderes als Protestnoten schicken. Verhandeln besteht im Formulieren von Gegenvorschlägen und solche Gegenvorschläge dürfen sich nicht darin erschöpfen, daß man dem Präsidenten Wilson nachweist, es seien seine 14 Punkte falsch ausgelegt worden." 96 Dieses Vorgehen entsprach den Ideen Graf Brockdorff-Rantzaus. Seine intransigente Haltung und der wenig konziliante Ton, den er den Siegern gegenüber anschlug, machten in den deutschen Zeitungen einen besseren Eindruck als in Versailles. Man hat manchmal den Eindruck, daß Brockdorff-Rantzau glaubte, der Vertragsentwurf sei ein gegen ihn persönlich gerichteter Affront, eine Verschwörung der Alliierten primär gegen seine Diplomatie, die nebenbei auch noch Deutschland betraf. Bereits die Eröffnungsrede bei der Übergabe des Vertragsentwurfes zeigte die verhängnisvolle Zielrichtung des Grafen. Unter drei ausformulierten Texten für die Rede, die er mit sich trug, hatte er denjenigen ausgewählt, der die Kriegsschuldfrage sofort scharf und provokatorisch ins Zentrum rückte und wegen der Blockade des deutschen Seeverkehrs einen heftigen Gegenangriff führte 97. Brockdorff-Rantzau, der natürlich fließend französisch und englisch sprach, redete auf deutsch, was als erneute Provokation ausgelegt wurde 98. Daß er diese Rede sitzend verlas, nachdem zuvor Clemenceau seine allerdings gleichfalls wenig konziliante Ansprache im Stehen gehalten hatte, trug auch nicht eben zur Verbesserung des Konferenzklimas bei. Es ist später viel spekuliert worden, warum er entgegen jedem diplomatischen oder auch nur Höflichkeitsbrauch sitzen blieb. Beschwichtigende Mutmaßungen, Brockdorff-Rantzau habe sich aus Erregung oder nervlicher Anspannung nicht erhoben, wurden von ihm selbst in einer späteren Aufzeichnung strikt zurückgewiesen:

9 6 G. Bernhard: Anfang oder Ende?, VZ, Nr. 251 (10.5/19 M). Allgemein zum Notenkrieg vgl. A. Luckau, German Delegation, S. 73f.; und F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 84f.

Q7 * Zu den verschiedenen Redeentwürfen A Luckau, German Delegation, S. 63f.; W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 177f. Vgl. auch M. Knoll: Anmerkungen zu Brockdorff-Rantzaus Rede in Versailles, in: GWU, 38. Jg. (1987), S. 108-111, der durch Textvergleiche überzeugend nachweist, daß der endgültig benutzte Text wenigstens zum Teil aus der Feder von Kurt Hahn, dem Berater des Prinzen Max stammt. Die Rede ist abgedruckt in Brockdorff-Rantzaus Buch "Dokumente", Charlottenburg 1920, S. 113-118. Vgl. F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 78; zur Konferenztaktik W. Jäger, Historische Forschung, S. 31. Lob hierfür von G. Foertsch: Unannehmbar, KZ, Nr. 212 (8.5.'19 A), wo sogar Verständnis für das Zugeständnis auch deutscher Schuld gezeigt wird. Allerdings änderte sich das sehr bald wieder; "Die deutsche Regierung und die Schuldfrage", Korrespondenz der DNVP, Nr. 119 (27.5.'19) ist gespickt mit scharfen Angriffen auf den Grafen. 9 8 Für die "Daily Mail" ("The Real Problem" [8.5.Ί9]) sprach er "in his native Prussian". Die Zeitung nennt Brockdorff-Rantzau "an incarnation of the whining-defiant, sanctimonious-truculent spirit of the Junker class that willed and made the war".

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

"Was die Tatsache anbelangt, daß ich während meiner Rede sitzen geblieben bin, so habe ich mich allerdings, und zwar nach reiflicher Überlegung entschlossen, mich nicht zu erheben. Die Rede des Herrn Clemenceau war so hochfahrend und ihrem Tone wie ihrem Inhalte nach derart herausfordernd, und der ganze Empfang, der der deutschen Delegation bereitet wurde, war so offensichtlich darauf angelegt, die deutschen Friedensunterhändler zu demütigen und sie als schuldbeladene Verbrecher zu behandeln, die vor den Richter geschleppt wurden, um den Urteilsspruch entgegenzunehmen, daß die Würde des deutschen Volkes mein Verhalten gebot. Ich wollte und mußte unseren versammelten Feinden zum Bewußtsein bringen, daß wir uns nicht als Angeklagte fühlten, die sich zu erheben haben, wenn sie dem hohen Gerichtshof Rede und Antwort stehen. ... Es liegt in der Natur der Dinge und der Menschen, daß die Auffassungen über das, was die Würde verlangt, oft und weit auseinandergehen. Damit finde ich mich ab." 99 Brockdorff-Rantzau vergaß, daß der "Richter" Clemenceau sehr wohl im Stehen gesprochen hatte. Wenn er an gleicher Stelle sagt, daß in seiner Rede "an keiner Stelle von französischem Haß die Rede ist", stimmt das. Doch heißt es bereits im dritten Satz der Rede "wir kennen die Wucht des Hasses, die uns hier entgegentritt". Auch ist es richtig, wenn man den Maßstab diplomatischer Haarspalterei anlegt, daß er die 14 Punkte "überhaupt nicht erwähnt" habe. Aber mehrfach spricht er von den "Grundsätzen des Präsidenten", als ob damit etwas anderes hätte gemeint sein können100. Offenbar war er auch in der ruhigeren Stimmung nach Versailles noch der Ansicht, hier eine dem Anlaß angemessene diplomatische Idee gehabt zu haben. Ganz so einfach verhielt sich die Sache aber nicht. Die Erinnerungen der Zeitgenossen sind erfüllt von verwirrenden Berichten über die Beweggründe

9 9 Aufzeichnung Brockdorff-Rantzaus (wohl vom Jahreswechsel 1919/20), PA, N L BrockdorffRantzau, Az 18, H 235051-58, hier H 235052f. Handschriftlich ist "Gegner" nachträglich durch "Feinde" ersetzt. Vgl. auch eine weitere undatierte Aufzeichnung unter dem großen Titel "Versailles. Erinnerungen und Gedanken" (PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 18, H 235077-85, hier H 235079): "Man hat mein Verhalten während der Sitzung vielfach beanstandet, im Inlande mißdeutet und im Auslande als Herausforderung bezeichnet. Mich berührt diese Kritik nicht, und ich betone noch einmal: Weder lendenlahme Angst, die ich nicht kenne, ncch törichte Lust an der Pose haben mich geleitet, als ich bei meiner Antwortrede an Clemenceau mich nicht erhob. Ich fühlte mich als Friedensunterhändler, als Vertreter einer in furchtbarem Ringen und nach ungeheuren Leistungen unterlegenen, aber großen Macht, und ich fühlte mich nicht als der Angeklagte, der sich vor seinen Richtern zu erheben hat." 1 0 0 Die Redezitate aus Brockdorff-Rantzau, Dokumente, S. 111 u. S. 115, die anderen Stellen aus der "Aufzeichnung", H 235052f.

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Brockdorff-Rantzaus, die sich durchweg auf ihn selber berufen können. Friedrich Stampfer, als Chefredakteur des "Vorwärts" mit in Versailles, liefert gleich zwei Versionen: Zum einen gibt er an, der Graf habe später sein Sitzenbleiben "rein technisch" erklärt; das umfangreiche Dokument habe er besser im Sitzen als im Stehen verlesen können101. An anderer Stelle war es fur ihn "einfach der Ausdruck einer gewissen Unsicherheit" 102. Eugen Schiffer gegenüber erklärte Rantzau, "daß er gefürchtet habe, im Stehen die Fassung zu verlieren und einen Ausbruch seiner leidenschaftlichen Erregung nicht zurückhalten zu können"; es sei lediglich eine "Eingebung des Augenblicks"103 gewesen. Schiffer berichtet aber auch, daß der spätere Außenminister Simons damals als Diplomat Brockdorff-Rantzau im Wagen begleitete und daß dieser schon auf der Fahrt überlegt habe, ob er sitzend oder stehend reden solle. Eine ganz andere Variante führte der Wirtschaftsexperte Bonn ins Feld. Danach waren Nervosität und Nervenschwäche für die sitzende Rede verantwortlich, nachdem die deutsche Öffentlichkeit aber in des Grafen "nervös zuckender Person den Ritter ohne Furcht und Tadel" 104 sehen wollte, ging er gerne darauf ein und hielt die Legende aufrecht. Und endlich berichtet Max Warburg: "Wie es dazu gekommen ist, wurde nie wirklich klargestellt; vielleicht sind Melchior und ich die einzigen Beteiligten, die eine Lösung dieses Rätsels gar nicht erst zu suchen hatten. Brockdorff-Rantzau war durch das endlose Warten und die über alle Maßen demütigende Behandlung, aber auch durch die Unmöglichkeit einer Aussprache mit den Gegnern, so tief empört, daß er sich, in geradezu kindischer Weise, vorgenommen hatte, gleiches mit gleichem zu vergelten. Er hat sich darüber mit Melchior und mir beraten: sollte er beim Verlesen seiner Rede sitzen bleiben oder nicht? Wir haben ihm dringend abgeraten: es gebe ein Minimum an Form, das unbedingt zu wahren sei. Aber er blieb für den Rat unzugänglich."105

1 0 1 F. Stampfer: "Die Stunde der schweren Abrechnung...", in: V. Schiff: So war es in Versailles, Berlin 1929, S. 47-52, hier S. 50. Wortgleich in Stampfers Memoiren "Erfahrungen und Erkenntnisse. Aufzeichnungen aus meinem Leben", Köln 1957, S. 240. 1 0 2 F. Stampfer: Die vierzehn Jahre der Ersten Deutschen Republik, 3. Aufl., Hamburg 1953 (erstmals 1947), S. 118. 1 0 3

E. Schiffer, Leben für den Liberalismus, S. 223.

1 0 4

M.J. Bonn, So macht man Geschichte, S. 224f. Das Zitat S. 225.

1 0 5

M. Warburg, Aufrechnungen, S. 78.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Es läßt sich kaum mit Sicherheit angeben, welche Auffassung nun zutreffend ist. Plausibel klingen mehrere von ihnen, auch die Kombination wäre möglich, daß Brockdorff-Rantzau vorab den Gedanken gefaßt hatte, daß seine Ausführung aber gleichwohl nur ein Reflex auf die Erregung und Nervosität des Momentes war. Wie auch immer: worauf es ankam, war die Wirkung der Rede. Das Echo in der deutschen Presse war durchweg positiv, und auch aus dem neutralen Ausland liefen Berichte ein, die vom großen Eindruck sprachen, den die Rede gemacht habe 106 . Das Problem, das Brockdorff-Rantzau nicht genügend bewußt war, lag nur darin, daß deutsche Journalisten und neutrale Staaten nicht am Konferenztisch saßen. Und auf die Entente hatte die Rede ebenfalls einen großen Eindruck hinterlassen; aber keinen positiven. Bereits im Sitzungssaal war das Resultat verheerend gewesen107, und das Presseecho in den Ententestaaten war nicht viel anders 108. Die Rede brachte BrockdorffRantzau in Deutschland den gleichen Tageserfolg, wie ihn Scheidemann mit seinem "unannehmbar" hatte verzeichnen können. Aber wenn Scheidemanns Rede unklug gewesen war, dann bedeutete Brockdorff-Rantzaus Vorgehen nach Form und Inhalt den größtmöglichen Schaden, der angerichtet werden konnte. Clemenceau konnte zufrieden sein und war es auch 109 .

1 0 6 Positive bis begeisterte Rückmeldungen vgl. PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 19, H 235281f; PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 156 u. Bl. 153; PA, WK 31 geh, Bd. 1, Bl. 16-17. Der Gesandte in Wien, Wedel, versuchte sich in seinem Schreiben vom 10.5. (PA, WK 9, Bd. 32, nicht fol.) gar als Völkerpsychologe; nur ein grober Ton lasse den Franzosen an seinem Urteil zweifeln.

107

Zur geradezu vernichtenden Wirkung der Rede auf die Konferenzteilnehmer vgl. die lebendige Schilderung bei A. Lentin: Lloyd George, Woodrow Wilson and the Guilt of Germany, Leicester University Press 1984, S. 86: "The effect, however, was calamitous. As for the speech itself, there was something in it to offend everyone. As it was being translated, the Big Three conferred together in angry whispers. Clemenceau and even Bonar Law were visibly flushed. Lloyd George shifted uneasily in his chair. An ivory paper-knife with which he was toying in his irritation, snapped and broke. In the middle of the proceedings, Hughes stalked over to Lloyd George and said: 'Is Clemenceau going to allow this fellow to go on like this?"' Lloyd George "felt he could get up and hit" Brockdorff-Rantzau, er nannte ihn "(i)nsolent beyond description". Wilson war gleichfalls wütend über die "most tactless speech I have ever heard" (S. 87). 1 0 8

Vgl. z.B. "The Real Problem", Daily Mail (8.5.Ί9); "A Wolf in Sheep's Clothing", Morning Post (9.5.'19); L. Eyre: Rantzau Showed Studied Defiance, New York World (9.5/19); "'Deutsche Dummheit'?", Baseler Nationalzeitung (12.5.Ί9); J. Quinn: Brockdorff-Rantzau and the Truth, New York Times (14.5.'19). An dieser Stelle heißt es: "His insolent assertion [of German innocence d. Verf.] before the peace delegates was one of the most stupendous perversions of the truth that history probably will ever be called upon to record." Die beste Fundstelle für Presseberichte über BrockdorffRantzau in Versailles dürfte in Potsdam liegen; BAP, 09.01 Auswärtiges Amt, Nr. 56683-85, wo zahlreiche Ausschnitte auch der ausländischen Presse gesammelt sind. 1 0 9 Vgl. zur Rede auch U. Wengst, Brockdorff-Rantzau, S. 51; W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 180.; P. Krüger, Deutschland und die Reparationen, S. 161; ders., Versailles, S. 21 f.

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Auch im Kabinett wuchsen die Irritationen über das selbstherrliche Vorgehen des Außenministers. Der Ton der Kabinettsanweisungen, Rantzau möge sich einer ruhigeren Wortwahl befleißigen, wurde immer gereizter und drastischer, die Antworten des auf seine Selbständigkeit pochenden Ministers gleichfalls. Der Streit zwischen der Delegation und dem Kabinett ging von Kleinigkeiten - etwa die Versailler Klage, man werde mit Telegrammen überschüttet oder die Berliner Klage, daß die ständigen Änderungswünsche schon technisch kaum zu bewerkstelligen seien110 - bis hin zu Fragen der großen Politik und der Verhandlungstaktik. Brockdorff-Rantzau war von einem tiefen Mißtrauen gegen das Kabinett bestimmt wie überhaupt gegen den Versuch, Außenpolitik in einem solchen Rahmen zu besprechen und zu entscheiden. Seine Haltung paßte eher zu einem Diplomaten des Ancien régime als zum Minister einer parlamentarischen Regierung. Andererseits hinderte dies Brockdorff-Rantzau nicht daran, seine Forderungen an Scheidemann in Worte zu fassen, die Befehlen zum Verwechseln ähnlich sahen111. Kern des Dissenses waren aber die Aktivitäten in der Schuldfrage. Das Kabinett war, sicher noch unter dem Eindruck der von Kautsky vorgelegten Akten, keineswegs der Ansicht, daß dieses Thema sich eignete, in das

1 1 0 Schon am 3.5. schrieb Haniel an Langwerth (PA, WK 31, Bd. 1, D 931308), daß die Dechififreure hoffnungslos überfordert seien. Am 6.6. wehrte sich umgekehrt Dieckhoff in einem Schreiben an Bülow (PA, N L Bülow, Bd. 3, E 203460-61): "Unsere Arbeit wäre ... erfolgreicher, wenn der Kontakt zwischen Berlin und Versailles enger wäre. Das bezieht sich nicht nur auf die materielle Seite der vielen Fragen, sondern besonders auf die formelle und technische. Wie viel Arbeit wäre uns erspart und wie viel Zeit wäre gewonnen worden, wenn man uns von Versailles sofort klar gesagt hätte, was man an Übersetzungen und Vervielfältigungen wünscht. Aber das hat sich ja jeden Tag mindestens ein Mal geändert! Entweder wurde unser deutscher oder unser französischer Text beanstandet, oder man bemängelte die Überschriften, oder man entdeckte einen Schreibfehler, oder wenn man gar nichts anderes mehr wußte · bemängelte man das Format. Jedesmal wenn wir nahezu fertig waren, war man inzwischen in Versailles auf einen neuen Gedanken gekommen!" Allgemein vgl. F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 85. H. Schulze nennt in der Einleitung zum "Kabinett Scheidemann", S. LVII, das Verhältnis von Regierung und Delegation "wenig glücklich", was noch zurückhaltend ausgedrückt ist, wie die von ihm wiedergegebenen Protokolle ausweisen, siehe Nr. 88 (Sitzung vom 27.5.) und Nr. 79, die Geheimaufzeichnung Brockdorff-Rantzaus über eine Unterredung mit Minister Demburg. Hans Delbrück schrieb am 20.5/19 an seine Frau aus Versailles: "Unsere Schwäche ist das Ministerium in Berlin Scheidemann-Erzberger. Es ist so sehr schwer, diese Regierung mit der hiesigen Delegation zu harmonischem Einvernehmen zu bringen" (BA, NL Delbrück, Nr. 78, S. 247). Im Brief vom 22.5. berichtet er erneut von "erhebliche(n) Differenzen" (ebd., S. 249). Der Delegation gehörten insgesamt 80 Mitglieder an, "eine Auslese deutscher Intelligenz aus den Gebieten des Handelns und Denkens"; Mar. Weber, Max Weber, S. 665. 1 1 1 Vgl. hierzu die beiden Briefe Langwerths an Brockdorff-Rantzau vom 3.5. und 9.5.; PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 19, H 235262 u. H 23528If. Zum drängenden, fast befehlenden Ton des Ministers gegenüber dem Ministerpräsidenten siehe das Telegramm vom 3.6.; PA Pol 7, Bd. 2, Bl. 80.

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Zentrum der deutschen Gegenvorstellungen gerückt zu werden. Da genau hierin das Ziel Brockdorff-Rantzaus bestand, mußte der Konflikt auch unabhängig von allen sonstigen Belastungen im Verhältnis vorgezeichnet sein. Schon am 14. Mai kam das erste wütende Telegramm aus Berlin, das die letzten drei Noten zur Schuldfrage kritisierte, die nicht im Einklang mit den Richtlinien seien. Man fürchtete, "daß die Gegenvorschläge gegen den Entwurf der Entente sich verlieren und den großen politisch wirksamen Grundzug dadurch verwischen könnten" 112 . Zudem verlangte das Kabinett, in Zukunft vor der Übergabe der Noten informiert zu werden - eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken, zumal nach der Abreise Landsbergs und Giesberts mit Brockdorff-Rantzau nur noch ein einziger verantwortlicher Reichsminister vor Ort war. Die Antwort der verbliebenen Friedensdelegation dürfte in Berlin Erstaunen hervorgerufen haben: "Nach Auffassung Delegation steht Note ... mit Richtlinien nicht in Widerspruch. ... Beurteilung dieser Umstände muß Delegation sich vorbehalten; Absendung von Noten kann durch Nachrichten von gegnerischer Seite innerhalb kürzester Frist erforderlich werden; wir müssen es daher ablehnen, jedes Mal vorher Zustimmung Kabinetts einzuholen, werden aber in von uns als erforderlich erachteten Fällen (sie!) jederzeit vorher mit Kabinett in Verbindung treten." 113 Man konnte diese Worte kaum anders interpretieren als dahin, daß die Friedensdelegation jede Weisungsbefugnis des Kabinetts ihr gegenüber ablehnte. Auf die Worte folgten Taten; wobei sich Brockdorff-Rantzau stets sehr gut der Tatsache bewußt war, daß es kaum möglich war, ihn in diesem Moment abzulösen. Darauf beschloß das Kabinett am 19. Mai, die Friedensdelegation zu ersuchen, "vorläufig keine Noten über die Friedensbedingungen mehr zu übersenden" 114. Gemessen an der Beachtung, die diese ständig wiederholten Aufforderungen bei der Delegation fanden, hätte man sich die Mühe auch sparen können. Brockdorff-Rantzau hielt es

112 S. 317.

Kabinettssitzung vom 13.5., Protokoll bei H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 71, hier

1 1 3 Das Telegramm Brockdorff-Rantzaus an die Berliner Zentralstelle "Paxkonferenz" ist vom 15.5. (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 89); einen Tag vorher war die Anfrage aus Berlin eingetroffen (ebd., Bl. 87). Gleichfalls am 15.5. schrieb Bülow an Langwerth (ebd., Bl. 90-91), um die bisherige Vorgehensweise und geplante weitere Schritte in der Kriegsschuldfrage zu rechtfertigen. 1 1 4

H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 78, hier S. 347.

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für die angemessene Reaktion, Clemenceau am Tag darauf die geplante Übersendung von sechs weiteren Noten anzukündigen. Das Kabinett fühlte sich düpiert. In einer stürmischen Sitzung am 21. Mai drohten mehrere Minister, darunter Erzberger, mit ihrem Rücktritt 115 . Der Außenminister dürfte es bedauert haben, daß sein Intimfeind Erzberger die Drohung nicht wahrmachte. Der Konflikt zwischen Brockdorff-Rantzau und dem Rest der Regierung kulminierte, wiederum folgenlos, als das Kabinett am 27. Mai die Überreichung der "Professoren-Denkschrift" ausdrücklich untersagte und die Delegation am Tag darauf trotzdem beschloß, die Denkschrift zu übergeben. Wieder wurde das Kabinett lediglich vom Vollzug dieses Beschlusses in Kenntnis gesetzt116. Brockdorff-Rantzaus ständiges Mißtrauen gegenüber dem Kabinett läßt sich beinahe mit dem Namen einer einzigen Person kennzeichnen: Matthias Erzberger. Wohl kein Politiker der Anfangsphase der Weimarer Republik hat so viel leidenschaftlichen Haß auf sich konzentriert wie Erzberger; Haß, der bis weit in das Lager der republikanischen Parteien hinein reichte. Erzberger war alles das, was Brockdorff-Rantzau nicht war und was dieser verachtete: er war ein mit allen parlamentarischen Wassern gewaschener Politiker, der sich durch die Parteipolitik aus den unteren Klassen emporgearbeitet hatte. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, der das Aktenstudium am frühen Morgen begann, wenn Rantzau sich schlafen legte. Der rundliche und scharfzüngige Schwabe mit dem sicheren Machtinstinkt und der hochgewachsene aristokratische Diplomat aus Schleswig-Holstein waren wie geschaffen für einen Zusammenstoß. Es

1 1 5 1 1 6

Ebd., Nr. 81, hier S. 359.

Am 27.5. erreichte die Friedensdelegation folgendes Telegramm (PA, Pol 7, Bd. 2, Bl. 48): "Kabinett bittet die Schuldfrage fallen zu lassen und von weiteren Noten abzusehen, da Kabinett der Ansicht ist, daß solche die Wirkung der Gegenvorschläge [deren umfassende Präsentation unmittelbar bevorstand; d.Verf.] beeinträchtigen könnten." Am 28.5. wurde dieses Thema in der Sitzung der Delegation behandelt (PA, Pol 2a, 28.5. morgens): "Reichsminister Graf Brockdorff-Rantzau verliest ein Telegramm des Kabinetts, wonach in der Schuldfrage keine weiteren Noten mehr übersandt werden sollen. Die Delegation ist demgegenüber einstimmig der Ansicht, daß die von den Herren Graf Montgelas, Prof. Delbrück, Prof. Weber und Mendelssohn Bartholdy verfaßte und den Wünschen der Delegation entsprechend umredigierte Schrift nebst dem angehängten Entlastungsmaterial den Gegnern übersandt werden müßte." So geschah es dann auch; am 29.5. meldete Brockdorff-Rantzau die Überreichung der Denkschrift (PA, Pol 7, Bd. 2, Bl. 52). Der daraufhin von Berlin entsandte Kolonialminister Bell konnte nur mühsam zwischen Berlin und Versailles die Wogen wieder glätten; vgl. die Sitzung der Delegation vom 2.6. mittags und das Telegramm Beils nach Berlin vom gleichen Tag (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 168).

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begann schon während der ständigen Neuauflagen der Waffenstillstandsverhandlungen, deren Leitung Erzberger beim Zusammenbruch des Kaiserreiches hatte übernehmen müssen und später auch behielt, zum steigenden Ärger des Auswärtigen Amtes, das nicht ganz ohne Berechtigung die Zuständigkeit hierfür in seiner Domäne sah 117 . Da der Waffenstillstand immer nur für ein paar Wochen verlängert wurde, mußte Erzberger mehrfach seinen Namen unter neue und immer härtere Bedingungen setzen. Nach der Presse der Rechten mußte man den Eindruck gewinnen, daß Erzberger ohne Not Deutschland mutwillig den Franzosen auslieferte; freundliche Beurteilungen, die die Schwere seiner Aufgabe würdigten, sucht man in den Äußerungen dieser Tage außer in seinem engsten politischen Umkreis fast vergebens118. Die beiden ungleichen Minister gerieten erstmals aneinander, als Erzberger "schon nach wenigen Wochen mir gegenüber, der ich doch vom Fach sei, versucht habe, in die auswärtige Politik hineinzupfuschen", wie BrockdorffRantzau sich Ebert gegenüber beklagte119. Mit dem Beginn der Friedensverhandlungen sah Brockdorff-Rantzau die Stunde gekommen, Erzberger

1 1 7 Diese Abneigung hatte das ganze Auswärtige Amt erfaßt. Vgl. etwa die folgende Charakterisierung Erzbergers vom 5.3. (PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 17, (H 234797): "Es ist ein Vergnügen für Angelsachsen, einen Mann schlecht zu behandeln, der so aussieht wie Erzberger, so plump vertraulich zwinkert, sich so würdelos insinuiert, sich zur einen Tür hinauswerfen läßt, um zur anderen wieder hereinzukommen - er ladet gerade zur Brutalisierung ein - dagegen weiß ich aus zahlreichen Fällen, welche große suggestive Kraft Simons im Verkehr mit Angelsachsen hat." Simons war - natürlich - ein Angehöriger des Amtes. In einer ungezeichneten Denkschrift vom 7.5. (PA, WK 31, Bd. 1, D 931324) wird geklagt, daß die Franzosen geme mit Erzberger verhandeln; sie seien sehr zufrieden mit ihm. Er werde alles unterschreiben und sei in den Augen der Franzosen ein "unbewußter Bundesgenosse". 1 1ο 1 A O Zu Erzberger vgl. K. Epstein: Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Frankfurt a.M. 1976 (erstmals engl. 1959), speziell zu den Waffenstillstandsverhandlungen, S. 307ff. u. S. 370ff. Siehe auch Erzbergers eigene Darstellung; "Erlebnisse", S. 326ff. Als eine der wenigen positiven Schilderungen vgl. Bernstorffs "Erinnerungen", S. 183: "(E)r war sehr intelligent, fleißig und ein warmer Patriot katholischer Färbung." 1 1 9 PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 19, Η 235509-17. Erzberger hatte bei einem Alleingang den Außenminister vorher nicht konsultiert; "er hätte mich nicht stören wollen, worauf ich erwiderte, er wisse, daß ich zu jeder Tages- und Nachtzeit zu erreichen sei, und ich müsse ihn dringend ersuchen, da ich den größten Wert darauf lege, im Interesse der Sachefreundschaftlich mit ihm auszukommen, in Zukunft solche Aktionen zu unterlassen. Erzberger habe damals sehr freundlich entgegnet, er wünsche vertrauensvolle kollegiale Arbeit mit mir, er müsse aber offen gestehen, daß diese ihm erschwert werde, weil innerhalb des Auswärtigen Amtes gegen ihn intrigiert werde. Ich habe darauf die Uhr gezogen und ihm wörtlich erklärt: 'Es ist jetzt zwölf Uhr, bitte, nennen Sie die Herren, die in meinem Amt gegen Sie intrigieren, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß diese sämtlich heute Abend acht Uhr von ihrem Amt suspendiert sind.' Erzberger habe darauf sehr verlegen erwidert, die Intrigen seien so geschickt angelegt, daß er Namen nicht nennen könne. Darauf habe ich ihm sehr scharf erklärt, dann müsse ich ihn dringend ersuchen, die Herren meines Ressorts mit Verleumdungen zu verschonen. Das sei der Anfang unserer Entzweiung gewesen."

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endlich aus der Außenpolitik auszuschalten. Nach einem heftigen Zusammenstoß am 26./27. April in der Frage der Zusammensetzung der Delegation gelang ihm dies auch zunächst. Zunächst hatte Erzberger zu bedenken gegeben, daß in der Delegation zu wenig Diplomaten (sie!) seien; keiner der Delegierten kenne Frankreich, Großbritannien, Belgien, Italien und Japan aus eigener Anschauung, auch nicht der Minister selber. Dieser Vorstoß mußte in der Tat befremden, da so kurz vor Konferenzbeginn an der Delegation kaum noch etwas zu verändern war. Auch die Kritik am Außenminister hätte sogar weniger reizbare Menschen als Rantzau aufgebracht. Ebert und Scheidemann beeilten sich daraufhin, dem Außenminister ihr volles Vertrauen auszusprechen und Erzberger wegen Form, Inhalt und Termin seines Vorstoßes zur Ordnung zu rufen. Brockdorff-Rantzau notierte am 27. April ein Gespräch mit Ebert: "Die Taktik Erzbergers ... sei ja klar. Er wolle augenscheinlich, nachdem ihn die Verantwortung nicht treffe, den starken Mann markieren und sich schon jetzt, was auch aus seinem unqualifizierbaren Brief an Herrn Scheidemann vom 26. hervorgehe, die Möglichkeit offen halten gegen unsere Friedensdelegierten, in erster Linie gegen mich (sie!), bei jeder sich bietenden Gelegenheit damit zu intrigieren, daß er erkläre, er habe ja längst vorausgesagt, daß nur mit einer scharfen Haltung unsererseits die berechtigten Forderungen Deutschlands durchzusetzen seien." Ebert erwiderte, daß er glaube, "daß Erzberger schwer daran kranke, nicht mit nach Paris zu gehen". Dies stritt Brockdorff-Rantzau ab; er habe Erzberger "beiläufig in einer Kabinettssitzung" gesagt, daß er mit nach Paris solle. Erzberger hatte dies abgelehnt, wohl in der klaren Erkenntnis, daß ihn der Außenminister, wie er auch ganz offen zugab, nur deshalb an seiner Seite wünschte, "um vor seinen Intrigen in Berlin während meiner Abwesenheit sicher zu sein" 120 . Aber Brockdorff-Rantzau mußte bald feststellen, daß damit noch nicht viel gewonnen war. Seine Korrespondenz mit seinem Vetter und Unterstaatssekretär Langwerth, der als sein Vertrauensmann aus Berlin berichtete, ist voll von vermeintlichen oder tatsächlichen Intrigen Erzbergers, die Brockdorff-

1 2 0 Der ganze Vorfall vom 26./27. April ist lückenlos im PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 17, H 234964-80, dokumentiert. Die Zitate ebd.,Ή 23498If.

10 Dreyer/Lembcke

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Rantzau als Hochverrat empfand. Zum persönlichen Haß kamen sachliche Differenzen; Erzberger war ein früher Advokat einer unausweichlichen Unterzeichnung des Vertrages 121. Zum Schluß bezeichnete Brockdorff-Rantzau gegenüber Ebert seinen Ministerkollegen als einen "gemeingefährlichen Schädling" und weigerte sich öffentlich, ihm die Hand zu geben122. Wahrscheinlich hielt er Erzberger, der schon 1913 mit einer ganz in der katholischen Tradition stehenden Abhandlung gegen Duelle hervorgetreten war, nicht für satisfaktionsfahig. In dem Disput zwischen dem Außenminister, der alle Soldaten verachtete, und General Seeckt, der sich in der Delegation übergangen fühlte, steigerte sich die Erregung nämlich bis zu Duellforderungen 123. Die Differenzen zwischen Delegation und Kabinett kulminierten, wie gesagt, in der offensiven Behandlung der Schuldfrage in Versailles durch Brockdorff-Rantzau und seine Mitarbeiter. Pièce de résistence der Bemühungen in der Kriegsschuldfrage war, nachdem einige kleinere Noten vorausgegangen waren, die sogenannte "Professoren-Denkschrift", die am 28. Mai überreicht wurde 124 . Max Weber, Hans Delbrück, Albrecht Mendelssohn-

λΊλ Die Korrespondenz mit Langwerth hierzu PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 19, passim. Am 3.5. äußerte Langwerth die Vermutung (ebd., Η 235262), daß Brockdorff-Rantzau Erzberger "als überragende Persönlichkeit unbequem" sei. Das Wort Hochverrat benutzt Rantzau in einem "Ganz geheimen" Telegramm vom 12.5. an Langwerth (H 235287f.) "zur vertraulichen Information und mit dem Ersuchen um Verwertung bei sich bietender Gelegenheit, insbesondere bei Reichspräsidenten und Ministerpräsidenten", in dem er sich darüber beklagt, "daß Erzberger in der niedrigsten Weise gegen mich intrigiert und von seinen Reptilen (sie!) verbreiten läßt, ich sabotiere den Frieden". Erzberger hatte auf eigene Faust einen seiner Beamten nach Versailles geschickt, der ihn über alles informiert halten sollte. Brockdorff-Rantzau sah hierin nicht ohne Berechtigung "unglaubliche Ungehörigkeiten und Eigenmächtigkeiten". Ebd., Η 235529-44, findet sich eine weitere scharfe Abrechnung mit Erzberger im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Unterzeichnung des Vertrages. 1 2 2 Das Zitat ist aus Brockdorff-Rantzaus Aufzeichnung vom Juni 1919 (PA, NL BrockdorffRantzau, Az 19, Η 235509), die Episode mit dem schon am 24.5. verweigerten Handschlag aus den undatierten "Aufzeichnungen zu den Friedensverhandlungen von Versailles im Jahre 1919", ebd., Az 20, Η 235617. 1 2 3

Η. Schulze, Einleitung zum "Kabinett Scheidemann", S. LVII; u. Nr. 87. Zum Streit zwischen Rantzau und Seeckt z.B. U. Wengst, Brockdorff-Rantzau, S. 63; H. Meier-Welcker: Seeckt, Frankfurt a.M. 1967, S. 223ff; und H.v. Seeckt: Aus seinem Leben 1918-1936. Unter Verwendung des schriftlichen Nachlasses von F.v. Rabenau, Leipzig 1940, S. 161ff. Von Erzberger in diesem Zusammenhang "Duell und Ehre", Paderborn u. Würzburg 1913. 1 2 4 Die Professoren-Denkschrift ist in der deutschen Presse vielfach abgedruckt worden, und dies trotz ihrem großen Umfang, Vgl. etwa "Die Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges", Germania, Nr. 248 (3.6.Ί9 A); "Ueber die Schuldfrage", BT, Nr. 253 (3.6.Ί9 M); "Die deutsche Denkschrift über die Schuld am Kriege", KZ, Nr. 258 (3.6.Ί9 M); "Die Verantwortlichkeiten am Kriege", DAZ, Nr. 257 (3.6/19 M,Bb); "Die deutsche Denkschrift über die Schuld am Kriege", VZ, Nr. 276 (2.6.Ί9 M)

II. A t . 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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Bartholdy und Graf Max Montgelas waren die international angesehenen Verfasser - ein Soziologe, ein Historiker, ein Völkerrechtler und ein General, der 1914 wegen des Einmarsches in Belgien seinen Abschied genommen hatte 125 . In ihrer Denkschrift weisen die Autoren die alliierte Schuldanklage aus den Art. 227 bis 230, notabene, nicht Art. 231! - zurück, gestehen aber auch Fehler der deutschen Politik vor Kriegsausbruch zu. In erster Linie war es wieder einmal der Einmarsch in Belgien, der zum Ausweis redlicher Absichten abgelehnt wurde 126 . Ansonsten versuchten sie, in einer geschickten Mischung aus juristischer Unschulds- und politischer Unfahigkeitserklärung die Anschuldigungen zu widerlegen. Neben einer gewissen Kritik an Österreich machten sie auf Betreiben Hans Delbrücks Rußland als den Hauptschuldigen fest. Neben der Überzeugung der Verfasser dürfte für diese Einseitigkeit auch taktisches Kalkül entscheidend gewesen sein; schließlich saß Rußland ja nicht unter den Siegermächten und war inzwischen sogar alles andere als der Freund der Entente. Es ist in Anlehnung an Äußerungen aus den Reihen des Auswärtigen Amtes behauptet worden, daß die Professoren-Denkschrift bereits vorab in dem mit diesen Fragen beschäftigten "Büro von Bülow" fertiggestellt worden war und daß die Berufung der vier bekannten Gelehrten nach Versailles nur dem Zweck gedient habe, "(d)en Wert unseres Materials

(Teilabdruck). Am einfachsten zugänglich wird die Denkschrift sein in Max Webers "Gesammelten politischen Schriften", S. 551-566. Vgl. auch P. Gnipp, Deutsche Außenpolitik, S. 98f. 1 2 5 Vgl. A. Hillgruber: Deutsche Großmacht- und Weltpolitik, S. 122ff. (zu Delbrück); A. Thimme: Hans Delbrück als Kritiker der Wilhelminischen Epoche, Düsseldorf 1955; W.J. Mommsen, Max Weber, S. 341 f.; M. Huhn: "Europäische Gespräche". Eine außenpolitische Zeitschrift der Weimarer Zeit, in: K.J. Gantzel (Hg.), Wissenschaftliche Verantwortung und politische Macht, Berlin u. Hamburg 1986, S. 65-183 (zu Mendelssohn-Bartholdy). Zur Denkschrift auch W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 185ff. Ebd., S. 187, diskutiert Schwengler die Anteile der einzelnen Autoren an der Entstehung des Textes. 1 2 6 Nur noch ganz gelegentlich wurde in den internen deutschen Diskussionen die Behauptung vorgebracht, daß nach alten Neutralitätsverträgen ein Durchmarschrecht durch Belgien bestanden habe, mithin keine Neutralitätsverletzung vorgelegen und der Generalstab in gutem Glauben gehandelt habe (PA, Pol 7, Bd. 9, Bl. 9-11). Generell galt die Marschroute, die etwa aus einem Telegramm Langwerths an Brockdorff-Rantzau vom 10.5. spricht (Pa, WK 31 geh, Bd. 1, Bl. 6), daß eine gewisse Schuld der alten Regierung anzuerkennen sei; dies wirke besser (sie!). Belgien bot sich auch deshalb an, weil ja schon Bethmann Hollweg am 4.8.Ί4 hier von deutschem Unrecht gesprochen hatte - die neue, demokratische Regierung konnte in dieser Frage unmöglich noch hinter dem Ancien régime zurückstehen.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

durch die Autorität dieser Herren zu erhöhen" 127. Sicherlich ist dies ein wesentliches Ziel der Delegation gewesen, zumal das Datum der Entscheidung, die Herren kommen zu lassen - der 13. Mai - den Gedanken nahelegt, daß die Delegation mit der Wirkung ihrer eigenen ersten Noten nicht ganz zufrieden war oder sich nicht mehr viel ausrechnete. Zudem konnte man sich auf diese Art auch gegenüber Kritikern im Kabinett rückversichern, da man sich jetzt darauf berufen konnte, daß die Denkschrift der Kommission ja letztlich kein offizielles Schriftstück sei. Bülow schrieb am 15. Mai an Langwerth: "Unsere Absicht ist, eine Professoren-Kommission zur Prüfung des gegnerischen Berichtes einzusetzen. Ihr Urteil wird die Regierung weder binden noch verpflichten. Sie wird die hauptsächlichsten Anklagepunkte der Gegner mühelos widerlegen können und soll dann aus der Vorgeschichte des Krieges Material vorlegen, welches zeigt, daß die Entente, in erster Linie Rußland, seit Jahren mit dem Kriege gespielt hat. Das Material ist durchaus überzeugend. Es ist dazu bestimmt, unseren Freunden im neutralen und feindlichen Auslande die Möglichkeit zu geben, für unsere Rechte einzutreten. Bisher werden sie immer mit dem Argument mundtot gemacht, daß wir als die allein Schuldigen Strafe verdienen. Der Zweck unserer Aktion ist also nicht eine Aufrollung der Schuldfrage, die ja zu endlosen und zwecklosen Erörterungen führen würde, sondern eine Propaganda für gerechtere Verteilung der Verantwortlichkeit. Unsere Professoren-Kommission wird daher auch kein Urteil in der Schuldfrage fallen, niemanden anklagen, sondern nur von neuem für eine unparteiische Untersuchung der Frage plädieren."128

127 So F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 87. Ahnlich U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 45, wonach die "Autorenschaft der Wissenschaftler und Publizisten ... freilich mehr symbolischer Natur" war. Vgl. das Telegramm Brockdorff-Rantzaus vom 13.5. an Paxkonferenz (PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 159): "Ich beabsichtige, durch eine ad hoc hier zusammentretende deutsche Kommission, den von der Entente in der Note zur Schuldfrage erbetenen Kommissionsbericht [der der Delegation ja schon bekannt war und der für unzulänglich gehalten wurde; d.Verf.] beantworten zu lassen. Hierzu habe ich Professor Delbrück; Professor Max Weber, Professor Mendelsohn-Bartholdy (sie!) und General Max Montgelas in Aussicht genommen. Ich bitte, diesen Herren hierüber vertraulich Nachricht zugehen zu lassen und sie zu sofortiger Herkunft nach Versailles zu veranlassen. Das erforderliche Material liegt hier vor, auch ist die Erwiderung nahezu fertiggestellt. Den Wert unseres Materials durch die Autorität dieser Herren zu erhöhen, ist das, worauf es ankommt. Die Einladung bitte ich daher so verbindlich zu gestalten, daß eine Absage nicht erfolgt." Ein handschriftlicher Entwurf hierfür mit kleinen Abweichungen (dort etwa mit "Mendelson" eine zweite, gleichfalls falsche Schreibweise) im PA, Pol 7, Bd.l, Bl. 76. Das Antworttelegramm Montgelas', der "selbstverständlich zu sofortiger Reise nach Versailles bereit" war, ist vom 16.5. (PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 179. Ähnlich Bülow (Schreiben an Freytag v. 13.5., PA, NL Bülow, Bd. 2): "Die Entgegnung ist fast fertig. ... Wir lassen einige Professoren kommen, die unsere Kommission darstellen." 1 2 8

PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 90-91.

II. Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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Es ist offensichtlich, daß diese Sätze allein der Beruhigung Berlins gelten sollten. Praktisch durchführbar waren die von Bülow angesprochenen scholastischen Distinktionen nicht; wer die Schuldfiage zum Thema machte, rollte sie damit auch auf. Zudem verkannte Bülow anscheinend immer noch, daß die Alliierten überhaupt keinen Anlaß hatten, sich auf endlose Erörterungen einzulassen. Aber apodiktische Äußerungen über den begrenzten Auftrag der Kommission gehen auch dann zu weit wenn sie sich auf Bemerkungen von Brockdorff-Rantzau und Bülow stützen. Auch wenn es deren Ziel gewesen sein mag, die Professoren lediglich als Fassade zum Unterschreiben eines fertigen Berichtes heibeizurufen, mußten sie doch sehr bald feststellen, daß diese viel zu eigensinnig für eine solche untergeordnete Rolle waren. Es besteht kein Zweifel daran, daß das zu Grunde hegende Material vom Auswärtigen Amt sozusagen bereitgestellt und daß die politische Tendenz vorab festgelegt wurde - alles andere wäre auch undenkbar in einer Frage von so zentraler außenpolitischer Bedeutung. Aber ebenso zweifellos ist es, daß die vier Autoren in langer, harter Albeit einen gemeinsamen Text redigiert haben, der als ihr ureigenstes Werk zu verstehen ist. Schon am 23. Mai konnte Hans Delbrück an seine Frau schreiben, daß man täglich in mühevoller Arbeit am Entwurf korrigiere. Der erste Entwurf Delbrücks, der persönlich mindestens seit dem 20. Mai in Versailles war, hatte noch zu sehr an seiner harten Wortwahl gekrankt, die selbst Bülow und dem Auswärtigen Amt zu weit ging. Am 23. Mai waren die Korrekturen anscheinend soweit vollendet, daß die Viererkommission sich auf den neuen Text verständigen konnte und daß auch Bülow sein Imprimatur abgab129. Damit waren aber noch längst nicht alle Klippen umschifft. Am 25. Mai lag die

12Q Der Entstehungsprozeß war schon am Anfang nicht konfliktfrei. Max Weber äußerte schon vorab seine Sorgen: "Morgen kommt H. Delbrück, übermorgen Graf Montgelas, dann soll die 'SchulcT-Note redigiert werden, derentwegen man mich hingeholt hat... Jedenfalls mache ich bei der Schuld-Note nicht mit, wenn da Würdelosigkeiten beabsichtigt oder zugelassen werden." Mar. Weber, Max Weber, S. 666. In diesem Punkt konnte Weber, der auf Drängen des Prinzen Max und nur höchst ungern nach Versailles gegangen war (ebd., S. 660f ), beruhigt sein, das Problem lag eher umgekehrt Im Nachlaß Hans Delbrücksfinden sich zwei Briefe an seine Frau (BA; Nr. 78, S. 250 u. S. 251), in denen er darüber berichtet Am 23.5. schreibt er "Mit meiner ersten Niederschrift hatte ich noch nicht den für die Lage und den ZweckrichtigenTon getroffen, und wir sitzen jetzt täglich zu fünft [mit Bülow, d. Verf.] zusammen, um einen gemeinsamen Bericht zu redigieren. Das ist sehr mühevoll. Max Weber erweist sich dabei als sehr einsichtig und verständig. Graf Montgelas hat den Entwurf gemacht Er ist im Grunde des Herzens Pacifist, ebenso Professor Mendelssohn-Baitholdy (aus Würzburg), aber (sie!) es gelingt uns schließlich, Formeln zufinden, auf die wir uns einigen können." Und einen Tag darauf heißt es: "Mit unserer gemeinsamen Arbeit bin ich leidlich zufrieden, aber zu besonderem Lobe wird sie uns nicht berechnet werden. Vier zusammen gibt immer etwas Farbloses; es ist schon sehr viel, daß sie (sie!) schließlich gemeinsame Formeln gefunden haben. Der Referent Legationssekretär v. Bülow ist sehr zufrieden und glücklich über unsere Leistung." Delbrücks nachträgliches Urteil, die Vierer-Kommission sei trotz "starker Verschiedenheit in der moralischen Wertung mancher Vorgänge" zu einem "völlig übereinstimmenden Urteil" gelangt (Verantwortungsfrage, S. 479), wirkt zumindest leicht verklärt Bülow telegraphierte am 23. Mai an Simons (PA, Pol 7, Bd. 2, Bl. 27), daß die Kommission sich geeinigt habe.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Denkschrift der Delegation vor, der auch noch die bereinigte Fassung bei weitem zu polemisch war. Der Anteil Deutschlands am Kriegsausbruch wurde überhaupt nicht gewürdigt, statt dessen hielten es die Verfasser für diplomatisch, auf den Burenkrieg zu verweisen. Kein Wunder, daß die Delegation von einer Übersendung dieser Denkschrift nur eine Verärgerung der Entente erwartete. Sie beschloß daher, "die Veröffentlichung der Schrift ihren Verfassern zu überlassen, sie jedoch nicht den Gegnern zu übersenden"130. Dazu hatte das Auswärtige Amt nun allerdings nicht die vier Herren eigens nach Versailles kommen lassen. Ihre Namen und ihr Renommee sollten ja gerade einer offiziellen Demarche Glanz und die Aura wissenschaftlicher Unabhängigkeit verleihen. Bei einer separaten Veröffentlichung wäre dies alles vergebens gewesen. Bülow drängte daher auf eine nochmalige Bearbeitung des Kompromißtextes vom 23. Mai. Diese Aufgabe kann, zudem unter höchstem Zeitdruck, nicht einfach gewesen sein. Einerseits mußten die Professoren bei Laune gehalten werden und noch einmal bereit sein, ihren Text zu redigieren. Andererseits mußte auch so viel daran abgemildert werden, daß die am 25. Mai noch ziemlich einhellig ablehnende Delegation nunmehr der Übersendung zustimmen würde. Und zum dritten galt es ja auch noch, das Kabinett in Berlin im Auge zu behalten, das ohnehin allen Aktivitäten in der Kriegsschuldfrage höchst bedenklich, um nicht zu sagen feindlich, gegenüberstand. Erst allmählich konnte den eigensinnigen Professoren eine gemäßigtere Fassung abgehandelt werden, die dann aber auch den Charakter eines Kompromisses nicht verleugnen konnte und durchaus nicht dem großen, hinreißenden Wurf entsprach, auf den man in der Delegationsleitung gehofft hatte. Entgegen der ausdrücklichen Weisung aus Berlin beschloß die Delegation am 28. Mai, diese dritte Fassung der Viererkommission, die mit Bülow eigentlich stets eine Fünferkommission gewesen war, zu überreichen 131. Die behutsame

ι in Protokoll der Sitzung der Friedensdelegation vom 25. Mai abends; PA, Pol 2a. Das Protokoll enthält kritische Äußerungen von Landsberg, Giesberts, Leinert, Schücking und Melchior, also von allen Hauptdelegierten, mit der bezeichnenden Ausnahme von Brockdorff-Rantzau. Der Text des Entwurfs der Viererkommission ist im PA, NL Bülow, Bd. 3. 1 3 1 Brockdorff-Rantzau notierte später (PA, NL Brockdorff-Rantzau, Az 20, "Aufzeichnungen zu den Friedensverhandlungen von Versailles im Jahre 1919", H 235617-59, hier S. 20f.) hierzu: "Bülow ging daher alsbald an eine Umarbeitung mit den Herren, [die] keineswegs eine leichte war, zumal da die Herren pikiert abzureisen drohten. Die Befürworter einer Übergabe der Schrift [also v.a. Brockdorff-Rantzau und Bülow; d.Verf.] setzten sich nun eifrig ans Werk, die Schwierigkeiten zu überwinden. Die Schrift wurde umgearbeitet und die Gegner bei der Delegation, insbesondere der Minister Landsberg, von allen Seiten bearbeitet. Am 28. Mai war sich alsdann die Delegation darüber einig, daß die Schrift, wie geschehen, nebst den Anlagen, versehen mit der Unterschrift der 4 Herren den Feinden

II. Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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Leitung der Professoren und die schließliche Einigung auf ein Ergebnis, das, wenn schon nicht das Kabinett, so doch zumindest die Verfasser der Denkschrift und die Delegation zufriedenstellte, bedeutete einen großen persönlichen Erfolg für den noch recht jungen Bernhard Wilhelm von Bülow. Er wurde später in der Weimarer Republik zur treibenden Kraft im Hintergrund bei den Revisionsbestrebungen in der Kriegsschuldfrage 132. Die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit war, bei großem generellen Interesse der Parteien und ihrer Presse, recht gemischt. In der Mitte wurde die Denkschrift als würdige Antwort auf die "unverschämten" Schuldforderungen allgemein begrüßt, von links und rechts wurde sie vehement abgelehnt, weil sie nicht genug bzw. viel zu viel von deutscher Schuld am Kriege sprach 133. Attacken aus diesen Richtungen störten nur wenig, waren sie doch erwartet worden. Eine unerwartete Kritik, die der liberale Maverick Georg Bernhard in der Vossischen plante, hätte da schon ein anderes, auch internationales

übergeben wurde. Diese Ansicht wurde auch gegenüber einem Telegramm aus Berlin vom 28. Mai, das eine Absendung einer Note über die Schuldfrage untersagte, einstimmig vertreten." 1 Zu Bülow, der später zum Staatssekretär aufstieg und faktischer Leiter des Auswärtigen Amtes in der Spätphase Weimars wurde, vgl. P. Grupp, Deutsche Außenpolitik, S. 90ff; P. Krüger, E.J.C. Hahn: Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow im Frühjahr 1933, in: VfZ, 20. Jg. (1971), S. 1-32; I. Geiss, Manipulierte Kriegsschuldfrage, S. 32ff. 1 3 3 Fr.W. Foerster, Mein Kampf, S. 28, nennt die Denkschrift "die wahrhaft armselige deutsche Antwort auf die berühmte 'Mantelnote'", was mindestens insoweit sachlich falsch ist, als die Mantelnote ihrerseits die Antwort auf die Denkschrift darstellt! An gleicher Stelle (S. 28, Fn. 1) gesteht er den Autoren zu, daß "hochintelligente und eigenartige Persönlichkeiten, die einen mittleren gemeinsamen Text verfassen wollen, sich dabei gegenseitig lähmen und fast immer etwas ganz Saft- und Kraftloses hervorbringen". Hart auch die Kritik der "Freiheit", "Die Schuldfrage", Nr. 265 (3.6/19 M); die Verfasser halten "hartnäckig fest an den lügnerischen Darstellungen" der offiziellen Stellen. Sie "decken die Kriegsschuld der kaiserlichen Regierung, indem sie selbst die Schuld der Verdunkelung und Verfälschung des wahren Sachverhaltes auf sich laden. Statt einer objektiven Darstellung der Tatsachen geben sie ein tendenziöses Machwerk, statt eines offenen Schuldbekenntnisses - eine verklausulierte Schuldloserklärung, statt einer Basis für eine Verständigung der gegnerischen Völker eine verlogen-hinterhältige Verteidigungsschrift bankerotter Advokaten, die den Gegner durch Winkelzüge mürbe zu machen suchen". Bei der politischen Konkurrenz hält Graf Reventlow: Die deutsche Note über die Frage der Schuld, DTZ, Nr. 262 (27.5.'19 M) nicht viel mehr vom Ergebnis, wenn auch aus anderem Grund: "Diese Zusammensetzung (Weber, Mendelssohn, Delbrück, Montgelas) macht ohne weiteres verständlich, ebenso wie die Zusammensetzung der jetzigen Regierung, daß die Note nur Halbheiten bringt, daß sie die Torheit und Feigheit der damaligen deutschen Regierung als sakrosankt betrachtet, die nicht wagte, die Wahrheit zu sagen, die ... glaubte, durch Unterwürfigkeit, auch wenn diese bis zur Verleugnung der Wahrheit, nämlich der Schuldlosigkeit Deutschlands am Kriege, ging, eine gerechte Behandlung von Seiten der Feinde zu erzielen." Ähnlich H.W.: Die Schuld am Kriege, KZ, Nr. 259 (3.6.Ί9 A), wo v.a. gerügt wird, daß die Denkschrift "nicht viel mehr als eine Privatschrift" und daher entwertet sei. Offiziös sah die Sache anders aus. A.v. Wegerer: Die Widerlegung der Versailler Kriegsschuldthese, in: KSF/BM, 6. Jg. (1928), S. 1-77, hier S. 4, nennt sie eine "glänzende Verteidigungsschrift nach dem damaligen Stand der Wissenschaft".

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Gewicht gehabt. Eine rechtzeitige Intervention des Auswärtigen Amtes verhinderte jedoch den geplanten Artikel 134 . Unmittelbar angegriffen fühlte sich mit einigem Recht erneut Bethmann Hollweg, der sich, wie seinerzeit gegen Eisner, sofort zu Wort meldete und seine Politik verteidigte 135. Aber die Professoren-Denkschrift richtete sich ja auch vornehmlich nicht an innere Adressaten, sondern an die Entente. Wie wenig vorteilhaft sie und die sie flankierenden kleineren Noten dort aufgenommen wurden, läßt sich an Hand der berühmt-berüchtigten "Mantelnote" zeigen. War die Professoren-Denkschrift der Höhepunkt des Notenkrieges und der Politik der Nadelstiche, so markieren die am 29. Mai überreichten Gegenvorschläge zum gesamten Vertragspaket ein abgerundetes Bündel von Vorschlägen, die den Alliierten sehr weit entgegenkamen. Schon rein äußerlich stellten sie ein dickes Buch dar, und auch in ihrem inneren Zusammenhang sprechen sie der fieberhaften Arbeit in Versailles und in Berlin ein gutes Zeugnis aus. Die Vorschläge gipfelten in der runden Summe von 100 Milliarden Goldmark, die als Entschädigungssumme gezahlt werden sollten. Damit war die Reichsregierung an die Grenze ihrer Kompromißbereitschafit gegangen; weiterreichende Forderungen, insbesondere nach Gebietsabtretungen ohne Volksabstimmungen und in der Auslieferungsfrage, glaubte sie ablehnen zu können und zu müssen136. Die Antwort hierauf erfolgte am 16. Juni

1 3 4 Die drohende Kritik Bernhards an der Professoren-Denkschrift drahtete Freytag am 4.6. an Bülow (PA, Pol 7, Bd. 2, Bl. 85). Obwohl Freytag skeptisch war, konnte Bernhard davon überzeugt werden, daß die einseitige Stellungnahme gegen Rußland - und nicht gegen Bernhards Lieblingsfeind, England - aus taktischen Gründen erforderlich gewesen sei (ebd., Bl. 86 u. Bl. 87).

US

J Die Erklärung Bethmann Hollwegs abgedruckt als "Das Gutachten über die Schuldfrage. Eine Entgegnung Bethmann Hollwegs", DAZ, Nr. 269 (4.6.'19 M,Bb); "Bethmann Hollweg und das Gutachten über die Verantwortlichkeit am Kriege", BT, Nr. 255 (4.6.Ί9 M); "Bethmann Hollweg über die Schuld am Kriege", KZ, Nr. 260 (4.6.Ί9 M); "Eine Antwort Bethmann Hollwegs", FZ, Nr. 413 (6.6.'19, l.M). Der letztgenannte Artikel erklärt die Antwort für unbefriedigend, da sie Mitschuld und Kausalität vermische und auf die entscheidende Rolle des Verhältnisses zu England nicht eingehe. Besser schneidet der Exkanzler bei H. Delbrück ab, "Bethmanns Buch", DAZ, Nr. 278 (11.6.' 19 M). Delbrück sieht nur Differenzen im Detail und gibt ihm auch recht, wenn er den zu strengen Maßstab der Vierer beklagt. 1 -Ϊ/Γ Begrüßt wurden die deutschen Vorschläge von Th. Wolff: Die deutschen Gegenvorschläge, BT, Nr. 243 (28.5.Ί9 M); LA, FZ, Nr. 392 (28.5/19 A). H.v.Gerlach: Götzendämmerung, WaM, Nr. 22 (2.6.' 19), nennt die Vorschläge gleichfalls sehr gut, befürchtete aber, daß es wegen des Mißtrauens der Entente kaum eine wesentliche Verbesserung geben werde. Anderer Auffassung war Karl Helfferich: Deutschlands Selbstmord, KZ, Nr. 252 (30.5.Ί9 M): Helfferich, einer der wenigen politisch herausragenden Köpfe der DNVP, klagte zunächst über die Arbeit der Delegation, die "in kläglichen Noten an Einzelheiten des schlechthin unerträglichen Teufelswerks diplomatische Stilübungen" veranstaltete. Und weiter: "Die Gegenvorschläge gegen das Todesurteil unserer Feinde lauten auf Selbstmord.... Wie

II. A t . 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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in einer detaillierten Note mit einer allgemeiner gehaltenen Mantelnote. Beide zeigten, daß die Entente in diesem Punkt anders dachte und auch gewillt war, ihre Ansicht durchzusetzen.

3. Alliierte Schuldzuweisungen

Der Entwurf des Versailler Vertrages hatte nicht eben viel zur Kriegsschuldfrage enthalten. Hieraus darf aber nicht der Schluß gezogen werden, daß die Entente etwa nicht von der deutschen Schuld überzeugt gewesen wäre. Das Gegenteil war der Fall; für alle Delegationen, auch für die amerikanische unter Präsident Wilson war es eine längst erwiesene Tatsache, daß der aggressive preußisch-deutsche Militarismus den Weltkrieg mutwillig vom Zaume gebrochen hatte, um seine Macht zu erweitern. Um so größer war denn auch die Verblüffung, ja Empörung darüber, daß Brockdorff-Rantzau es zum Kern seiner Konferenztaktik machte, die deutsche Kriegsschuld zu leugnen137. Hinzu kam die Wut über das als unverschämt empfundene Verhalten des Grafen auf der Eröffnungssitzung; alles zusammen gab den Alliierten die Sicherheit, daß Deutschland sich in Wirklichkeit in keiner Weise geändert habe; es sei ebenso uneinsichtig und revanchelüstern wie vor der Revolution138. Wenn die Alliierten noch eine Bestätigung

kommen um alles in der Welt die Leute, die Gott in seinem Zorn heute das deutsche Volk regieren läßt, auf die wahnwitzige Idee, unseren Feinden 100 Milliarden Goldmark anzubieten? Dem großen Reichsverderber Erzberger, der bei seinen verhängnisvollen Verhandlungen immer neue Beweise seiner schimmerlosen und bedenkenfreien Leichtfertigkeit erbracht und uns mit jedem Schritt immer tiefer in den Sumpf des Elends und der Ohnmacht hineingeführt hat, traue ich jeden Irrsinn zu. Er wird gewiß ganz Deutschland mit demselben selbstüberzeugten und selbstzufriedenen Lächeln 'verhandeln', mit dem er die deutsche Flotte ausgeliefert hat." Hiergegen scharf der LA der FZ, Nr. 407 (4.6.Ί9, I.M.), der der DNVP verantwortungsloses "Parteigetriebe" vorwarf. Am 29.5. schrieb Dr. v.Becker, Protokollführer der Finanzkommission, generell Ober die Versailler Arbeit an Erzberger (PA, Pol 2, E 212273-81, hier S. 3): "Wie nun einmal der Deutsche ist, wird in der Heimat anstelle einer dankbaren Anerkennung über das hier Geleistete aller Voraussicht nach in der gesamten Presse eine gewaltige Kritik einsetzen." Becker hatte so Unrecht nicht. 1 3 7 Vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 37 u. S. 50; W. Jäger, Historische Forschung, S. 17; F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 8 u. S. 17; H. Mögenburg, Haltung der britischen Regierung, S. 544fT.

1 Vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 50; es mutet angesichts des Ergebnisses seltsam an, daß Heinemann (S. 18) einen deutschen Einfluß auf die Versailler Verhandlungen in der Kriegsschuldfrage konstatiert. Zur negativen Wirkung der Person Brockdorff-Rantzaus siehe A. Lentin, Lloyd George, S. 87f.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

gebraucht hätten, dann war die Härte der Versailler Bedingungen in ihren Augen durch die deutsche Reaktion auf sie auf das beste gerechtfertigt. Immerhin erreichten die generellen deutschen Gegenvorschläge sowie die Noten und Denkschriften zur Schuldfrage, daß sich die Alliierten gut zwei Wochen lang in internen Beratungen mit einer Antwort befassen mußten139. Die Präzisierung des eigenen Standpunktes war nach der deutschen Papierflut von Versailles nicht nur gegenüber Deutschland, sondern auch gegenüber der eigenen Öffentlichkeit erforderlich. Die Sozialisten der Entente hatten, getreu den Losungen von Bern, nicht geruht, gegen einen Gewalt- und Diktatfrieden anzukämpfen. Daher richtete sich die alliierte Antwort auf die deutschen Vorschläge, die am 16. Juni überreicht wurde, wenigstens zum Teil auch an die Opposition in den eigenen Ländern 140. Die Antwort der Entente brachte neben geringfügigen und eher kosmetisch wirkenden Zugeständnissen141 die vollkommene Ablehnung der deutschen Vorschläge. Die materiellen und territorialen Vorstellungen wurden als völlig unzureichend abgelehnt, in der Schuldfrage erfolgte nunmehr die große moralische Abrechnung, die der juristische Vertragsentwurf noch nicht gebracht hatte. Teil VII der Note enthielt vernichtende Bemerkungen: "Deutschland ist unter dem Einfluß Preußens die Vorkämpferin der Macht und der Gewalt, der Täuschung, der Intrige und der Grausamkeit in der Behandlung der internationalen Angelegenheit gewesen. Während mehrerer Jahrzehnte hat Deutschland unausgesetzt eine Politik getrieben, die darauf hinzielte, Eifersucht, Haß und Zwietracht zwischen den Nationen zu säen, nur, damit es seine selbstsüchtige Leidenschaft nach Maß befriedigen konnte. Deutschland hat sich dem ganzen Strom des demokratischen Fortschritts und der internationalen Freundschaften in der ganzen Welt entgegengestemmt.

1 3 9

Vgl. A. Luckau, German Delegation, S. 88ff.

1 4 0

Darauf wies v.a. der "Vorwärts" immer wieder hin; "Schuldermittlung oder Geständniserpressung?", Nr. 259 (22.5.Ί9 M): "Das ist es ja, was die Clemenceau und Genossen wünschen, und weshalb sie so brennenden Wert auf unser formales Schuldbekenntnis, so wenig Wert auf eine wirkliche Untersuchung legen: sie wollen den Sozialisten ihrer Länder eine Kampfwaffe aus der Hand schlagen. Sie wollen ihnen sagen können: 'Seht ihr, es ist gar nicht wahr, daß der Kapitalismus und Imperialismus schlechthin schuld am Kriege sind, schuldig ist nur der deutsche Imperialismus, die französischen und englischen Kapitalisten sind blütenrein und unschuldig wie Lämmer!"' 1 4 1 So sollte in Oberschlesien nun doch eine Volksabstimmung stattfinden und keine unmittelbare Abtretung.

II. Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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Deutschland ist die Hauptstütze der Autokratie in Europa gewesen. Und zum Schlüsse, in der Erkenntnis, daß es seine Ziele nicht anders erreichen konnte, entwarf es und begann es den Krieg, der die Niedermetzelung und Verstümmelung von Millionen von Menschen und die Verwüstung Europas von einem Ende bis zum anderen verursachte." 142 Die "Mantelnote", die die Antwort der Entente begleitete, stellt gewissermaßen einen Kommentar zu diesen Sätzen dar. Sie ist ein Verdammungsurteil der deutschen Politik vor dem Krieg, bei Ausbruch und während des Krieges 143 . Ob die Mantelnote als authentische Interpretation der alliierten Kriegsschuldthesen aufzufassen ist, oder ob sie, so die neuere Forschung, lediglich einen Reflex auf die deutschen Noten darstellt, ist im Grunde eine müßige Kontroverse 144. Art. 231 legte die deutsche Haftpflicht für die in Belgien und Nordfrankreich durch den deutschen Angriff angerichteten Schäden fest. Da er darüber hinaus benutzt wurde, um Deutschland generell zur Zahlung anzuhalten, bedurfte er der Rechtfertigung durch die Kriegsschuldthesen; zumindest, nachdem Deutschland diese zum Thema gemacht hatte. Die Mantelnote gab diese Rechtfertigung im weitesten Sinne, der nicht nur die Tage und Stunden vor Kriegsausbruch umfaßte, sondern auch die Jahre zuvor zum Gegenstand der moralisch-politischen Anklage machte. Ohne daß Art. 231 explizit in der Mantelnote erwähnt worden wäre, erfolgte somit eine subtile Uminterpretation, die den Art. 231 in der Tat für die Folgezeit zu "dem" Kriegsschuldartikel schlechthin stempelte. Es ist eigentümlich, daß es die kompromißbehaftete Schwammigkeit der Formulierung dieses ursprünglich relativ harmlosen Artikels war, die gerade erst den Weg zu einer neuen

1 4 2 Auswärtiges Amt: Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte auf die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu den Friedensbedingungen nebst Mantelnote und Entwurf eines Abkommens über die militärische Besetzung der Rheinlande, Berlin 1919, S. 40f. Die deutsche Regierung sei "gewalttätig, anmaßend und tyrannisch" (S. 41) nach innen und außen gewesen, und das Volk habe dies mit der Revolution erkannt. 1 4 3 Abgedruckt z.B. im 4. Teil der "Materialien", in dem in der vorigen Fußnote zitierten Werk S. 93-103; und in Deutsche Liga für Völkerbund: Das Ultimatum der Entente. Vollständiger Text der Mantelnote und die Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge. Amtlicher Wortlaut, Berlin 1919, S. 77-87. Nach F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 91, ist die mit Clemenceaus Namen verbundene Mantelnote verfaßt von Sir Philipp Kerr aus der englischen Delegation. Dickmanns Wertung (ebd.) kann man zustimmen: "(K)aum je ist einem besiegten Feind eine so demütigende und verletzende Antwort zuteil geworden." B.W.v. Bülow: Schuldfrage und Friedensvertrag, in: Deutsche Politik, 4. Jg., Nr. 35 (29.8.Ί9), S. 263-269, hier S. 264, nennt sie "ein Pamphlet übelster Art". 1 4 4 Für die Mantelnote als "authentische Interpretation" der alliierten Kriegsschuldthesen F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 92; dagegen U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 45f.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

und ungleich schärferen Begründung ebnete145. Die eigentlichen Schuldparagraphen, die Artikel 227 bis 230 über die Auslieferungsbestimmungen, konnten dies gerade wegen ihres präzisen Charakters nicht liefern. Mit der Mantelnote war die deutsche Alleinschuld am Kriegsausbruch unmißverständlich ausgesprochen. Im Verein mit den ablehnenden Antworten der Entente ging dies weit über die deutschen Gegenvorschläge hinaus, die die Regierung als letztmögliches Angebot betrachtet hatte, und zwar sowohl in den materiellen wie in den Ehrenbestimmungen. Die deutsche Öffentlichkeit reagierte erneut entsetzt 146 , wie schon nach Überreichung der Bedingungen gut einen Monat zuvor. Diesmal allerdings ging es tatsächlich um die Alternative, die auch schon im Mai im Zentrum der Auseinandersetzungen gestanden hatte: um Annahme oder Ablehnung des Vertrages als Gesamtpaket. Die Entente hatte im letzten Abschnitt der Mantelnote hierfür ein auf fünf Tage befristetes Ultimatum gesetzt.

1 4 5 H. Delbrück: Der Stand der Kriegsschuldfrage, 2. verb. u. erg. Aufl., Berlin 1925, S. 3, verweist darauf, daß Art. 231 keineswegs so klar sei und daß erst das Ultimatum die Anklage aufstelle. Vgl. auch die Reaktion im LA der FZ, Nr. 440 (17.6.'19 A), auf die Mantelnote: Die Alliierten suchten "die Grundsätze für die Haftpflicht Deutschlands, die in den berüchtigten Paragraphen 231 und 232 [jetzt taucht 231 plötzlich auf, und selbst jetzt noch nicht allein!, d.Verf.] des Vertragsentwurfs festgelegt sind, durch die ausdrückliche Darlegung der alleinigen Schuld Deutschlands zu rechtfertigen". Die "infame Belastung Deutschlands" mit der Alleinschuld werde die Lage verschärfen: "Indessen ist zu beachten, daß wir nicht etwa aufgefordert sind, diese Mantelnote als einen Teil des Vertrags zu unterschreiben", und im Vertrag sei nirgends die Rede von einer Alleinschuld, er sei "unabhängig von der Geschichtsfölschung der Mantelnote". Daß sich Graf Reventlow: Clemenceaus Note; - der deutsche Fehler, DTZ,, Nr. 253 (22.5.Ί9 M), durch die Mantelnote bestätigt fühlte, versteht sich von selbst: "Die Note Clemenceaus ist ein neuer Beweis für die gänzlich verfehlte Politik und für das völlige Scheitern der Illusionen der deutschen Regierungen seit dem Herbst 1918, daß man auf einen Frieden der Gerechtigkeit und der Verständigung durch ein Entgegenkommen, durch Bereitwilligkeit zu Schadenersatz rechnen könne, daß man durch feiges und unwahrhaftiges halbes Zugeben und gleichzeitiges Abwehren in Sachen der Schuldfrage auch nur das geringste gewinnen könne." 1 4 6 Vgl. Graf Westarp: Unannehmbar, KZ, Nr. 276 (18.6/19 A): "Wenn noch eine Steigerung des Entsetzlichen, das wir erleben, möglich war, so ist sie mit der Antwort der feindlichen Mächte auf die deutschen Gegenvorschläge eingetreten: jeder Satz dieser Antwort Lüge, Rache, Hohn und vernichtender Haß, und wir, das große deutsche Volk, wehrlos dem allen preisgegeben." Ähnlich G. Bernhard: Die Schicksalsstunde, VZ, Nr. 297-304 (sie!) (18.6/19 M); "Deutschlands Schuld am Kriege", Germania, Nr. 276 (21.6/19 M).

II. A t . 231 und die deutsche Öffentlichkeit

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4. Annehmen oder ablehnen?

Daß diese Frist für eine so grundlegende Entscheidung147 viel zu kurz bemessen war, mußte auch die Entente einsehen, so daß sie eine, wenn auch nur bescheidene, Fristverlängerung zugestand. Aber vermutlich hätte ohnehin keine wie auch immer geartete Frist ausgereicht, in Deutschland den Eindruck lähmender Hoffnungslosigkeit zu vermindern. Max Weber notierte am 20. Juni: "Ich gestehe, politisch äußerst ratlos zu sein. Persönlich wäre ich auf jede Gefahr für Ablehnung. Aber ich vermute: die Volksabstimmung kommt dann, nimmt den Frieden an, und das halte ich für das Schlimmste, weil es uns innerlich so stark bindet." 148 Mit der Volksabstimmung hatte er ein Instrument angesprochen, das die kommende Weimarer Reichsverfassung prinzipiell als unmittelbaren Ausdruck des Volkswillens eingesetzt sehen wollte. Der Gedanke war naheliegend, es auch bei dieser so wichtigen Frage anzuwenden. In jedem Fall wäre die Regierung so von der Verantwortung befreit gewesen, diese Entscheidung allein mit der Nationalversammlung zu treffen. Angesichts der ohnehin schon wegen des Kriegsausganges betriebenen Hetzpropaganda der Rechten war dieser Gedanke um so reizvoller, als man sich mühelos ausmalen konnte, was noch hinzukäme, wenn nun der Frieden von gleicher Seite unterschrieben würde. Daß man sich dennoch nicht dazu durchringen konnte, hatte neben technischen Problemen vor allem zwei theoretische Überlegungen als Ursache. Zum einen konnten sich Regierung und Parlament jetzt, nachdem man endlich das parlamentarische Regierungssystem eingeführt hatte, schlecht in der ersten erheblichen Frage der damit verbundenen Verantwortung entziehen149. Entscheidend war aber der von Max Weber erwähnte Grund: Eine Annahme des Vertrages durch eine große Mehrheit wäre angesichts der physischen und

1 4 7 Vgl. allgemein etwa H. Schulze, Weimar, S. 198ff.; S. Miller, Bürde der Macht, S. 283ff; L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, S. 333ff. 1 4 8 Mar. Weber, Max Weber, S. 668. Ebd., S. 669 ist eine Bemerkung vom 28.6. wiedergegeben: "Der einzige Lichtblick ist Scapa Flow." Webers Lob für die Selbstversenkung der deutschen Flotte ist eher Zeugnis seines Patriotismus als seines Weitblicks. Die Tat führte zu einer erneuten starken finanziellen Belastung für Deutschland.

149 V g , "Politische Glossen", in: DP, 4. Jg. Nr. 18 (2.5.Ί9), S. 545f., hier S. 546, die bereits vor der Obergabe des Entwurfs die Gerüchte aufgreifen, es sei eine Volksabstimmung geplant: "Das trifft hoffentlich nicht zu. Denn es würde nur eine Flucht vor der geschichtlichen Verantwortung bedeuten. Wozu wurde die Nationalversammlung gewählt, die Regierung ernannt? Damit sie führe!"

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

psychischen Erschöpfung des deutschen Volkes so gut wie sicher gewesen, und dies hätte seine spätere Revision wesentlich erschweren müssen150. Die Hungersnot, die wegen der fortgesetzten Blockade über den Krieg hinaus in das Jahr 1919 hineinzuragen drohte, hatte die Widerstandskraft entscheidend geschwächt151. Daß das Volk nach Revolution, Straßenkämpfen und beginnender Demobilisierung der zurückkehrenden Heere auch psychisch die Kraft zu einer Ablehnung des Vertrages nicht aufgebracht hätte, ist anzunehmen. An dieser Stelle muß ohnehin ein Wort der Vorsicht angebracht werden. Es ist heute nur schwer feststellbar, inwieweit die Raserei der veröffentlichten Meinung vor und während der Versailler Verhandlungen wirklich der öffentlichen Meinung entsprach. Die Berichte über Massenversammlungen und Protestkundgebungen klingen zwar recht eindrucksvoll, realistischer scheinen aber diejenigen Zeugnisse zu sein, die keine großen Schlagzeilen hergaben, dafür aber die Regierung über die wirkliche Stimmung im Volke orientierten. So gab der Gesandte Moltke schon am 21. Mai folgenden geheimen Lagebericht aus Stuttgart: "Hinsichtlich des Friedens wird hier das 'Unannehmbar' der Reichsregierung in besonnenen Kreisen (sie!) durchaus gebilligt. In großen Massen des Volkes herrscht jedoch, mangels wirksamer Aufklärung weitgehend Interesselosigkeit, die von der Regierung veranstalteten Protestversammlungen brachten

1 5 0 Ein Telegramm des Gesandten v. Haniel, nach der Rückkehr des Außenministers Leiter der deutschen Delegation in Versailles, an das Auswärtige Amt vom 21.6. hält die Ablehnung des Vertrages wegen der Öffentlichkeit für "nicht angängig" (abgedruckt bei A Golecki (Hg.): Das Kabinett Bauer, 21. Juni 1919 bis 27. März 1920, Boppard a.Rh. 1980, Nr. 1). Gegen eine Volksabstimmung H.W.: "Unannehmbar", KZ, Nr. 227 (16.5/19 A); LA, FZ, Nr. 440 (17.6/19 A); O. Baumgarten: Keine Volksabstimmung über den Frieden, VZ, Nr. 218 (30.4/19 M); Prof. Dr. Herrmann-Posen, MdNV: Volksabstimmung oder Nationalversammlung?, VZ, Nr. 219 (30.4/19 A). Bereits am 22.4. regt ein Reichsgerichtsrat Herb in einem Brief an Ebert an, im Falle einer Abstimmung dreierlei Stimmzettel auszugeben, "außer 'ja' und 'nein' auch noch 'ja aus Hunger' oder wie man das sonst ausdrücken will" (BAP, 06.01 Präsidialkanzlei, Nr. 670 (Film 19787), Bl. 31). Von der Zustimmung in einer Volksabstimmung geht auch dieser Schreiber aus. Im Rückblick schrieb Otto Landsberg, einer der Hauptdelegierten: "Hätte damals in Deutschland ein Volksentscheid über die Frage der Annahme oder Ablehnung der Friedensbedingungen stattgefunden, so würde eine erdrückende Mehrheit für die Unterzeichnung sich herausgestellt haben." ("Die Entscheidung im Kabinett", in: V. Schiff, So war es in Versailles, Berlin 1929, S. 109-115, hier S. 111). 1 5 1 Zur drohenden Hungersnot vgl. etwa die Leitartikel der FZ, Nr. 189 (11.3/19 A); Nr. 195 (13.3/19 A) und Nr. 205 (17.3/19 A). Der letzte befaßte sich mit dem Brüsseler Abkommen, das die Blockade etwas lockerte. Die Deutschen seien bereits so abgeschlafR, daß sie selbst dieses Abkommen "nur mit einem Achselzucken trüber Resignation aufzunehmen imstande sind. Wir werden nun, voraussichtlich, nicht alle buchstäblich verhungern".

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nicht den gewünschten Massenbesuch. Zwei Versammlungen in Arbeitervierteln mußten wegen zu geringer Beteiligung ausfallen." 152 Auch wenn aus diesen Zeilen mehrfach der Unmut des Autors durchschimmert, daß es eigentlich anders sein müßte, kann er doch nicht verhehlen, daß die Empörung der Bevölkerung außerhalb der Welt der Leitartikel kaum in Handlungen umgemünzt werden konnte. Hierzu kommen auch die über die ganzen Monate hinweg lautstark vorgetragenen Klagen über die Tanzwut und die Vergnügungssucht der städtischen, vor allem der Berliner Bevölkerung 153. Diese Meldungen, die sich außer in deutschen Stellen auch in Berichten britischer Offiziere aus Berlin finden 154, passen schlecht zur weihevollen

1 5 2

PA, WK 31 geh, Bd. 1, Bl. 28.

1 5 3

Altro, der Hausdichter der WaM, veröffentlichte in Nr. 8 (24.2.'19 B) folgendes Gedicht unter dem Titel "Alles tanzt": Pantha rhei - alles fließt: Heraklit hat es beniest! Aber säh der Philosoph Heut im Deutschen Reich den Schwoof Spräch' er sicherlich betrübt: Alles schiebt! Alt und jung und groß und klein Walzt und polkt und ländert Rhein. Wer nicht grad an Krücken geht, Eine scharfe Sohle dreht. Keiner, der im Saal sich mopst: Alles hopst! Riesengroß der Dalles wächst, Und der Pleitegeier krächzt. Doch auf Scherben seines Glücks Schunkelt man vergnügten Blicks, Dreht sich flott im Ringelkranz — Totentanz! Vgl. auch L.St: Berlin tanzt:, FZ, Nr. 75 (29.1.Ί9, l.M); "Tanzen?", FZ, Nr. 105 (8.2.Ί9 A), wonach "Deutschland ein einziges Vergnügungslokal geworden zu sein" scheint. Oder O. Riedel: Rückkehr zur Arbeit, VZ, Nr. 319 (26.6.' 19 M), wo der Generalsekretär des Allgemeinen Eisenbahnerverbandes und Mitglied der Preußischen Landesversammlung auf eine sittliche Wiedergeburt hofft: "Freilich, wir haben heute keinen Kant, keinen Fichte, keinen Stein. Die Spielpläne unserer Theater und besonders der Lichtbildtheater reden eine ganz andere Sprache. Die Tanzwut, die Spielund Wettleidenschaft sind drauf und dran, jegliches Nationalempfinden zu ersticken." Die Frau von Hans Delbrück schreibt am 19.6. wie folgt an ihre Mutter: "Noch nie war die politische Spannung so schrecklich; es ist, als schwanke der Boden unter den Füßen und Furchtbares bereite sich vor; aber das Volk ist in einer Freuden-Hypnose wie nie zuvor. Von nachmittags an tönt die Tanzmusik aus den Lokalen, und alles strömt hinein." (BA, NL Delbrück, Nr. 78, S. 253). 1 5 4

Vgl. A. Offer, The First World War, S. 390f.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Ergriffenheit und zum stürmischen Protest der veröffentlichten Meinung, um so mehr aber zu einem verständlichen Bedürfiiis der Menschen nach über vier Jahren Krieg und Entbehrung. Die ablehnende Einschätzung der Wirkung einer Volksabstimmung ist bezeichnend für diesen Zustand. In der Reichsregierung war man sich eben darüber im klaren, wie das Volk wirklich über die Ablehnung des Versailler Vertrages dachte. Aus der Delegation schrieb Max Warburg schon am 6. Juni, also kurz nach der Überreichung der deutschen Gegenvorschläge, an Ebert und teilte ihm seine Befürchtung mit, daß die Entente ein geringes Entgegenkommen zeigen werde. Dann "liegt die Gefahr (sie!) vor, daß das deutsche Volk, das viel zu wenig mit den entsetzlichen Forderungen des Friedensvertrages befaßt wurde", dem Vertrag zustimmen würde 155. Unmittelbar nach der Entscheidung für die Unterzeichnung gab der Theologe, Philosoph und Publizist Ernst Troeltsch in einem seiner "Spektator-Briefe" die folgende Einschätzung: "Je mehr man im Lande, namentlich im Westen, dem Wiederaufleben des Krieges als ernsthafter Konsequenz dieser Politik ins Auge sehen mußte, um so mehr entstand Widerwille vor neuem Krieg. Ein absolutes Friedensbedürfnis erfüllte die Massen, die nicht mehr wollten und nach der Äußerung von kundigen Führern auch nicht mehr konnten. Die Leute sind körperlich und seelisch gebrochen durch all die Leiden und Stürme der letzten Zeit." 156 Das klang entschieden weniger heroisch, als es die Artikel und Reden der Gegner einer Unterzeichnung sich wünschten. Bei der Abwägung der Risiken von Annahme oder Ablehnung des Vertrages mußte man sich neben den generellen Auswirkungen auch die Frage vorlegen, was die direkten Konsequenzen einer Ablehnung sein würden. Hier herrschte unter den Informanten der Reichsregierung einhellig die Meinung vor, daß dann die Entente den Süden Deutschlands bis zur Mainlinie besetzen würde. Denkt man an den späteren Einmarsch der Franzosen in das Ruhrgebiet, war dies kaum zu pessimistisch gedacht. In düsteren Farben wurden die Folgen eines solchen Einmarsches, gegen den man sich unmöglich hätte zur Wehr

1 5 5 BAP, 06.01 Präsidialkanzlei, Nr. 670 (Film Nr. 19787), Bl. 134-138. Und weiter: "Diese Bereitwilligkeit dürfte natürlich auch die Mitglieder der Nationalversammlung beeinflussen, und ich glaube, daß es unsere größte Pflicht ist, gegen diese Stimmung anzukämpfen. Die Zeit arbeitet fur uns." 1 5 6 E. Troeltsch: Spektator-Briefe. Zusammengestellt u. hg. v. H. Baron, Tübingen 1924, S. 65 (vom 26.6.).

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setzen können, ausgemalt. Das Gespenst von Brest-Litowsk stand mahnend im Hintergrund; schließlich hatten die siegreichen deutschen Truppen auch nicht gezögert, die Annahme des Vertrages mit Gewalt zu erzwingen. Die "verzweifelte Ähnlichkeit" der Lage wurde nicht übersehen. Friedrich von Payer, der als Süddeutscher einer der wenigen in der DDP-Fraktion war, die dem Vertrag zustimmten, verglich die Situationen. Die Russen hatten damals auch keinen Widerstand geleistet und letztlich doch angenommen, was sie nicht ablehnen konnten. "Wie konnte man denn eigentlich annehmen, die Franzosen und Belgier werden uns gegenüber schonender verfahren?" 157 Eine Evakuierung der süddeutschen Regierungen wurde erwogen und wieder verworfen; Berlin wurde aufgefordert, "jetzt schon alle Vorbereitungen [zu] treffen, um gegebenenfalls Verbindung [mit] Brieftauben, Geheimtinte, drahtlose^] Télégraphié, Telephonie sicherzustellen", und über allem hing das Damoklesschwert des Separatismus, das man vor allem in Bayern fürchtete. Ein Sonderfrieden der Entente mit Süddeutschland, dann sicherlich zu günstigeren Bedingungen, wäre das Fanal für die allgemeine Reichsauflösung gewesen - eine angesichts französischer Aktivitäten etwa in der Pfalz oder im Rheinland nicht einmal unrealistische Befürchtung 158.

1 5 7 Beide Stellen F. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 297. Ähnlich später Graf Bemstorff, Erinnerungen, S. 188: "Übrigens ist es eine der üblichen deutschen Illusionen, wenn bei uns teilweise geglaubt wird, wir hätten durch Ablehnung des Versailler Vertrages schließlich bessere Bedingungen erhalten. Diese Auffassung ist grundfalsch. Die Franzosen wären damals mit ebensoviel Vergnügen in Deutschland eingefallen wie sie es einige Jahre später taten, als sie unberechtigt das Ruhrgebiet besetzten. Auch damals hätte sie niemand am Vormarsch gehindert."

1 Das Zitat ist aus einem Bericht des Geheimrats Riezler an das Auswärtige Amt vom 5.6. aus Bamberg (PA, WK 31 geh, Bd. 2, Bl. 19). Er berichtet auch, daß Württemberg, Baden und Hessen sich gegen den Plan ausgesprochen hätten, die Regierungen zu evakuieren. Am Tag darauf meldete Riezler, daß sich nunmehr auch Bayern der Haltung der anderen Länder angeschlossen habe (PA, WK 31, Bd. 6, D 932370). In der Antwort an Riezler hielt die Reichsregierung am 7.6. daran fest (D 932375), daß die Landesregierungen gegebenenfalls außer Landes gehen sollten, um die Einheit Deutschlands so zu dokumentieren. Lewald werde nach Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt reisen, um die Regierungen zu überzeugen. Schon Ende Mai häuften sich Berichte über beginnende Panik der Bevölkerung; z.B. das Schreiben der preußischen Gesandtschaft aus Karlsruhe vom 24.5. (ebd., Bd. 4, D 931923): "Die Leute werden hier nervös, weil sie glauben, daß die Franzosen kommen; man läuft in die Banken, um Depots und Ersparnisse zu holen und in den wohlhabenden Kreisen denken viele an Flucht. Allerlei sensationelle Gerüchte kursieren über feindliche Maßnahmen, Ausweisungen oder Internierungen." Zwei Tage später warnte der frühere bayerische Ministerpräsident v.Dandl (D 931934) davor, daß nach dem Abzug deutscher und bayerischer Truppen sofort Plünderungen einsetzen werden, denen gegenüber die nachrückende Entente dann als Retter dastehen werde. Die Akten PA, WK 31, Bd. 4 u. Bd. 5 sind voll von Schreiben und Berichten über französische Vorbereitungen zu einem Vormarsch im Süden, die möglichen Reaktionen hierauf und v.a. über die Gefahr eines Sonderfriedens. Zum Separatismus auch PA, WK 31 geh, Bd. 1, Bl. 28 u. PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 19, H 235344-48. 11 Dreyer/Lembcke

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Das Auswärtige Amt als das Bollwerk der Gegner einer Unterzeichnung versuchte mit allen Kräften, diesen Eindrücken entgegenzusteuern. Frühzeitig hatte man eine Demarche bei den neutralen Staaten erwogen, die - armiert mit den Beweisen der deutschen Unschuld oder doch "Nicht-Alleinschuld" am Kriege - Druck auf die Entente ausüben sollten. Die rücklaufenden Berichte der deutschen Gesandten waren allerdings so wenig ermutigend, daß man diesen Gedanken wieder fallen ließ 159 . Dafür bombardierten BrockdorffRantzau und sein Amt aber die Reichsregierung mit Berichten aus immer neuen Quellen, die Unruhen in den Entente-Staaten, Meutereien der EntenteTruppen und generell einen Stimmungsumschwung zugunsten Deutschlands zum Inhalt hatten. Die Regierung müsse nur standhaft bleiben und den Vertrag nicht unterzeichnen160 - die Neuauflage der Legende vom Oktober 1918, als man ja auch angeblich nur noch kurze Zeit hätte durchhalten müssen, schien sich anzudeuten. Jedem Gerücht wurde nachgegangen, jede unbestätigte Meldung gewaltig aufgebauscht. Blinder Aktionismus und der verzweifelte Versuch, einen rettenden Strohhalm zu finden, waren im Auswärtigen Amt an die Stelle rationalen Kalküls getreten. Nicht völlig unzufrieden waren mit dem Ergebnis der Versailler Verhandlungen alle diejenigen, die eine Ablehnung des Vertrages erhofften und sich mit jeder Verschärfung seiner Bestimmungen oder Interpretation diesem Ziel näher glaubten. Daß hierzu in gewisser Weise auch Graf Brockdorff-Rantzau zählte, der mit der gesamten Delegation dem Kabinett dringend die Ablehnung empfahl, wirft erneut ein eigentümliches Licht auf die Rolle des Grafen in Versailles. Bei nüchterner Betrachtung hatte die Konferenztaktik völligen Schiffbruch erlitten. Im Vergleich zu den Waffenstillstandsverhandlungen unter Erzbergers Leitung war kein Deut mehr erreicht worden

1 5 9 Die Delegation besprach eine mögliche Demarche in ihrer Sitzung vom 2.6. mittags (PA, Pol 2a). Viel versprach man sich auch von der deutschen Zusammenstellung von Materialien zur Schuldfrage; das Weißbuch solle "sofort energisch im Ausland vertrieben werden. ... Es darf also nicht erst auf Bestellungen gewartet werden", wie Bülow am 6.6. telegraphisch nach Berlin drängte (PA, Pol 7, Bd. 2, Bl. 97), nachdem zuvor an gleicher Stelle schon ein ausgedehnter Schriftwechsel über die Ausgabe einer Volksausgabe, Eliminierung von Druckfehlem und zur Übersetzung des Weißbuches vorhanden ist. Die erhoffte Wirkung zeigte sich jedoch - wieder einmal - nicht, und die skeptischen Berichte der Gesandtschaften hinsichtlich der Demarche sind im PA, WK 31 geh, Bd. 2, passim, nachzulesen. 1 6 0 PA, WK 31, Bd. 4-6 und PA, WK 31 geh, Bd. 2 sind voll von entsprechenden Berichten. Am 9.6. hielt es sogar Brockdorff-Rantzau persönlich für nötig, Ebert "ganz geheim" von der ständigen Besserung der Situation und von den Meutereien in derfranzösischen Armee zu informieren; PA, WK 31 geh, Bd. 2, Bl. 44-45.

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- eher weniger 161 . In der letzten Sitzung der Friedensdelegation ging es am 16. Juni auch schon gar nicht mehr um die Frage Annehmen oder Ablehnen, sondern nur noch darum, ob man nach der Ablehnung den Alliierten von sich aus die Übernahme der Verwaltung Deutschlands anbieten oder ob man lieber erst der Gewalt weichen solle 162 . Einig war man sich in ganz Deutschland in der Ablehnung der Ehrenparagraphen, von denen die Alleinschuld am Ausbruch des Krieges, und damit der Art. 231 in der neuen Interpretation der Mantelnote, an der Spitze standen. Prinz Max legte ausfuhrlich dar, wie weit sich der Vertrag von den Wilsonschen Grundsätzen der 14 Punkte in jedem einzelnen Punkt unterschied 163, aber für die konkret zur Debatte stehende Frage war damit noch wenig gewonnen. Die öffentliche Meinung - jetzt wieder als "veröffentlichte" zu verstehen war gespalten. Unzweideutig für eine Annahme sprach sich von Anfang an, schon seit Bekanntgabe des Vertragsentwurfs, nur die USPD aus. Ihr Organ, die "Freiheit", wies eindringlichst darauf hin, daß die realen Verhältnisse jede Alternative als Selbstmord erscheinen ließen164. Ebenso eindringlich vertrat die deutschnationale "Kreuzzeitung" den genau entgegengesetzten Standpunkt. Der "Verzweiflungskampf eines ganzen Volkes" 165 drückte aber wohl eher die Verzweiflung der Autoren aus, weniger eine ernst zu nehmende Hoffnung. Die Spaltung des Bürgertums zeigt sich in der Haltung des deutschen Pazifismus: Walther Schücking hatte als Mitglied der Friedens-

1 6 1 Erzberger hatte immerhin erreichen können, daß die polnische Armee des Generals Haller bei ihrer Rückkehr aus Frankreich nicht in Danzig anlandete, was diese Stadt mit einiger Sicherheit polnisch gemacht hätte, vgl. P. Krüger, Außenpolitik der Republik von Weimar, S. 60.

162 Das Sitzungsprotokoll (PA, Pol 2a, 16.6. mittags) ist gekennzeichnet von Resignation und Katastrophenstimmung. Allgemein vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 46; A Luckau, German Delegation, S. 92ff.; und zu den Differenzen mit dem Kabinett in dieser Frage A Redlich: Brockdorff-Rantzau's Rücktritt, VZ, Nr. 315 (24.6/19 M); B. Guttmann: Versailles und Weimar, FZ, Nr. 510(13.7/19, l.M). 1 6 3 Prinz Max von Baden: Der Kampf ums Recht, BT, Nr. 264 (11.6/19 M) u. Nr. 268 M). Vgl. zu den Ehrenpunkten auch Baron Vietinghoff-Scheel: Unsere Ehrenpflicht, KZ, (29.6/19 M); und "Die tiefere Schuld am Kriege", DAZ, Nr. 289 (20.6/19 A), wo Teil Entente-Denkschrift "eine der unerhörtesten Vergewaltigungen der geschichtlichen Wahrheit" wird.

(13.6/19 Nr. 296 VII der genannt

164 Zum Schluß überstürzten sich die Artikel geradezu; "Friedensultimatum und USP", Nr. 282 (18.6/19 M); "Die deutsche Schicksalsfrage", ebd.; "In höchster Not", Nr. 283 (18.6. A); "Es geht nicht anders", Nr. 284 (19.6. M); "Erfüllung des Notwendigen", Nr. 286 (20.6. M); "Der Zusammenbruch der Verzweiflungspolitik", Nr. 287 (20.6. A); "Kein Verzug!", Nr. 288 (21.6. M); "Der Lösung zu", Nr. 290 (22.6. M). 1 6 5

GrafWestarp: Unannehmbar, KZ, Nr. 276 (18.6/19 A).

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delegation und einer der deutschen Hauptbefürworter eines Völkerbundes ebenso zur Ablehnung geraten wie der spätere Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde. Beide waren als DDP-Abgeordnete Mitglieder der Nationalversammlung und übten auf die Haltung ihrer Partei großen Einfluß aus, größeren jedenfalls als der gleichfalls der DDP angehörende Hellmuth von Gerlach, der seit dem November 1918 stets die These vertreten hatte, Deutschland müsse jeden Friedensvertrag unterzeichnen166. Ebenso uneins waren die drei traditionsreichen, der DDP nahestehenden Zeitungen, die für das politische Deutschland eine einflußreiche meinungsbildende Rolle innehatten. Theodor Wolff sprach sich im "Berliner Tageblatt" pointiert gegen die Annahme des Vertrages aus, Georg Bernhard in der "Vossischen Zeitung" von Anfang an für seine Annahme, da dies die einzige Chance für Deutschland sei, als Einheit zu überleben 167. Am täglichen ungezeichneten Leitartikel der "Frankfurter Zeitung" hingegen läßt sich ein Meinungswandel der Redaktion in wenigen Tagen nachvollziehen. Ursprünglich hatte die vorsichtig formulierende "FZ" die Frage der Annahme unbestimmt gelassen, den Gegnern einer solchen Entscheidung aber breitesten Raum zugestanden. Dem Leitartikel vom 16. Juni war unter seiner ausgewogenen Wortwahl erstmals die Option zugunsten der Annahme zu entnehmen, am 17. Juni wurde die Annahme als einzige praktikable Lösung empfohlen, am 18. Juni in beschwörendem Ton für sie geworben - und dies, nachdem inzwischen die Mantelnote bekannt war 1 6 8 . Eine entscheidende Frage in diesen Tagen war die nach dem Verhalten der Militärs bei Ablehnung oder Annahme des Vertrages. Wilde Gerüchte über Staatsstreichpläne im Falle der Vertragsunterzeichnung schwirrten durch die

1 6 6 Vgl. H.v.Gerlach: Die rettende Internationale, WaM Nr. 46 (18.11.Ί8), wo es bereits sehr früh heißt: "Wir müssen jeden Friedensvertrag unterzeichnen. Die anderen können uns in die Feder diktieren, was sie wollen. Wollen sie uns verstümmeln, wollen sie uns knechten, sie können es." Bei dieser Haltung blieb es; z.B. "Annehmen oder ablehnen?", Nr. 17 (28.4.' 19); "Götzendämmerung", Nr. 22 (2.6.Ί9). Ganz anders L. Quidde: Bitter ernst, FZ, Nr. 412 (5.6.Ί9 A); das Unannehmbar' sei wörtlich so gemeint, die Entente täusche sich, wenn sie auf Annahme spekuliere. 1 6 7 Vgl. etwa die Artikel Theodor Wolffs im BT vom 10.6. (Nr. 262, M) und 20.6. (Nr. 274, M). Von Georg Bernhard vgl. "Wahn, Wahn ...", VZ, Nr. 238 (12.5. M); "Die Schicksalsstunde", Nr. 297304 (18.6. M); "Die Unterschrift", Nr. 309 (20.6. A). 1 6 8 LA, FZ, Nr. 437 (16.6/19 A); Nr. 440 (17.6. A); Nr. 443 (18.6. A); Nr. 446 (19.6. A). Es drohe "Elend über Elend, wenn wir nicht den Mut finden, im rechten Augenblick zu unterzeichnen" (18.6.). Vgl. auch die Erinnerungen des damaligen Redakteurs der FZ, B. Guttmann, Schattenriß einer Generation, und allgemein W. Becker, "Demokratie des sozialen Rechts", beide passim.

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Luft. Ein Separatismus ganz eigener Art wurde im Osten erwogen; militärische und zivile Behörden in den zur Abtretung an Polen vorgesehenen Gebieten überlegten, ob ein selbständiger deutscher Oststaat dies verhindern könne 169 . Ende Mai hatte Groener für die Oberste Heeresleitung ein vertrauliches Rundschreiben an die Verbindungsoffizieren der OHL bei den Generalkommandos gerichtet, um die Stimmung der Bevölkerung für oder gegen eine Wiederaufnahme des Krieges zu eruieren. Das Reichsregierung, die hiervon nicht informiert worden war, hielt es darauf "für notwendig, der OHL sofort die schärfste Mißbilligung des Kabinetts auszusprechen und die bereits beschlossene Auflösung der OHL nunmehr beschleunigt durchzuführen" 170. Entgegen den Befürchtungen der Regierung, die mit ernstesten Konsequenzen rechnete, wurde die Umfrage nicht bei der Entente bekannt. Immerhin hatte dieser Alleingang der OHL, der in der Tat ein schwerwiegender Eingriff in einer hochpolitischen Angelegenheit war, wenigstens ein positives Resultat. Groener gelangte durch die deprimierenden Antworten endgültig zu der Erkenntnis, daß die Wiederaufnahme der Kämpfe vollkommen ausgeschlossen war. In den entscheidenden Beratungen war es seine Stimme, die sich gegen den preußischen Kriegsminister Reinhardt durchsetzte und für die notgedrungene Annahme des Vertrages unter den Militärs den Ausschlag gab 171 . Man hätte erwarten sollen, daß in dieser verworrenen Lage das Kabinett unter Scheidemann die politische Führung endlich übernommen hätte. Doch dazu war es wegen seiner inneren Differenzen nicht mehr in der Lage. Das markige "Unannehmbar", das Scheidemann am 12. Mai ausgesprochen hatte, war schon damals erst in der letzten Minute unter dem Druck der DDP in die

1 6 9

Vgl. hierzu H. Schulze: Der Oststaat-Plan 1919, in: VfZ, 18. Jg. (1970), S. 123-163.

1 7 0

Protokoll der Kabinettssitzung vom 27.5. (H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 88, hier S. 382). Noske verteidigte in der Sitzung vom 30.5. darauf die OHL, die wisse, daß der Krieg nicht fortgesetzt werden könne und nur eine Bestätigung dafür wollte; ebd., Nr. 91, hier S. 397. Ebd., Nr. 93, S. 400f., wird die Antwort Groeners und der Text des ursprünglichen Rundschreibens vom 21.5. wiedergegeben. 171 Vgl. W. Groener, Lebenserinneningen, S. 496; sowie W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 20Iff.; W. Wette: Gustav Noske, Düsseldorf 1987, S. 469f.; und v.a. H. Mühleisen: Annehmen oder Ablehnen?, in VfZ, 35. Jg. (1987), S. 419-481, wo die Diskussionen in der militärischen Führung vom 18.-20.6. in Niederschriften des Hauptmanns Günther von Poseck dokumentiert werden.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Rede des Ministerpräsidenten hineinkorrigiert worden. Unter dem Zwang der Verhältnisse begann die um Scheidemanns "Unannehmbar" gebildete Front abzubröckeln; neben dem Zentrum lief ihm auch seine eigene Partei immer mehr aus dem Ruder, bis lediglich die Deutschen Demokraten am 'Nein* festhielten. In einer leidenschaftlichen Rede unter dem frischen Eindruck seiner Versailler Erfahrungen beschwor Walther Schücking am 19. Juni seine Fraktion, den Vertrag abzulehnen. Er nannte den Vertrag undurchführbar, die Zumutung der Alleinschuld ungeheuerlich, und vergaß als pazifistischer Völkerrechtler auch nicht hinzuzufügen, daß der Vertrag Deutschland aus dem Völkerbund als unwürdig ausschließe, in dem "(d)ie Negerrepublik Liberia... ihren gesicherten Platz" 172 habe. Prophetisch schilderte Schücking eine Folge der Unterzeichnung: "Die Not des Tages, aus der heraus diese Unterzeichnung geschehen könnte, wird bald vergessen sein. Wenn die furchtbaren Folgen sich einstellen, die dieser Friede mit sich bringen muß, dann wird sich die Empörung des Volkes gegen diejenigen richten, die für diesen Frieden gestimmt haben. Es wird eine furchtbare nationalistische Welle der Reaktion kommen. Man wird die Revolution und die Parteien, die sich auf den Boden der Revolution gestellt haben, für das ganze Unglück verantwortlich machen."173 Das war einer der Gründe, die für die DDP den Ausschlag gaben. Schücking setzte sich durch, der unterzeichnungswillige Fraktionsvorsitzende Payer trat zurück und wurde durch Eugen Schiffer ersetzt. Am Nachmittag des gleichen Tages kamen die Vertreter der Länder mit der Regierung zu einer Aussprache zusammen. Die Minister Brockdorff-Rantzau und Dernburg sprachen gegen, Erzberger für die Unterzeichnung. Rantzau notierte später: "Daß meine Rede einen sehr nachhaltigen Eindruck hinterließ war sofort festzustellen." 174 Das stimmte in gewisser Weise, aber ebenso wie

172

1 W. Schücking: Annehmen oder ablehnen? Rede in der Fraktion der Demokratischen Partei zu Weimar am 19. Juni 1919. Als Manuskript gedruckt, Berlin o.J., S. 9. 1 7 3 Ebd., S. 13. 1 7 4 Aufzeichnung vom 2.7., abgedr. bei H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 118, hier S. 506. Und weiter: "(A)ußer dem hessischen Vertreter... äußerten sich sämtliche Vertreter, die sich zu Wort meldeten, nicht nur anerkennend, sondern ... durchaus zustimmend Der Senator Fehling erklärte, er sei tief ergriffen von meinen Ausführungen, und das ganze Land schulde mir für meine Haltung uneingeschränkten Dank, es sei ein Glück, daß endlich ein Minister des Auswärtigen nicht nur von politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgehe, sondern auch die ethischen Momente zu würdigen wisse."

II. Art. 231 und die deutsche Öffentlichkeit

167

in Versailles war es ein anderer Eindruck, als Brockdorff-Rantzau meinte. Groener gibt eine genauere Einschätzung der Wirkung wieder: "Die Ausführungen des Grafen Rantzau hinterließen auf die Anwesenden keinen besonderen Eindruck. Ich für meinen Teil mußte mich sehr wundern über den völligen Mangel an positiven Angaben über die außenpolitische Lage. Es war weniger als Kombination, was Graf Rantzau bot und erhob sich nicht über kritiklose Gemeinplätze, die man täglich in den Zeitungen lesen konnte." 175 Damit war eine wichtige Vorentscheidung gefallen. Die Ministerpräsidenten der Länder, vor allem der süddeutschen Länder, die unmittelbar vom Einmarsch der Entente bedroht waren, zeigten keine Bereitschaft, ohne konkrete Aussichten auf eine Besserung der Lage dem "Wunsch des Grafen Rantzau, lediglich aus Vertrauen zu seiner Person auch seine Ansicht zu teilen" 176 , nachzukommen. Sie sprachen sich für die Unterzeichnung aus. Die Dramatik der letzten Tage und Stunden des Kabinetts Scheidemann ist oft und eindrucksvoll geschildert worden 177. Sie waren von hektischen Versuchen ausgefüllt, wenigstens in den Ehrenpunkten von den Alliierten Zugeständnisse zu erreichen. Alles dies scheiterte ebenso wie die Versuche, die DDP trotzdem zur Zustimmung und zum Verbleiben im Kabinett zu bewegen. Brockdorff-Rantzau blieb konsequent und trat ebenso zurück wie die von der DDP kommenden Minister Gothein, Preuß und Dernburg, sowie die Sozialdemokraten Scheidemann und Landsberg 178. Die Koalition zerbrach; nach

1 7 5

Aufzeichnung Groeners vom 20.6., abgedr. in H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 114, hier S. 485. Vgl. auch dessen "Lebenserinnerungen", S. 504. 1 7 6

Ebd. Vgl. auch M. Erzberger, Erlebnisse, S. 377.

1 7 7

Vgl. etwa Th. Wolff, Tagebücher, S. 734ff. (ab dem 18.6.); die Tagebücher von Koch-Weser (BA, NL, Nr. 16, Bl. 171ff); M. Erzberger, Erlebnisse, S. 375ff, O. Landsberg, Die Entscheidung im Kabinett; A. Brecht, Aus nächster Nähe, 280ff.; sowie H. Mühleisen: Das Kabinett Bauer, die Nationalversammlung und die bedingungslose Annahme des Vertrages von Versailles im Juni 1919, in: GWU, 38. Jg. (1987), S. 65-89, wo zwei Dokumente aus dem Nachlaß des Ministers Bell mitgeteilt werden. 1 7 8 Ebert versuchte alles, um wenigstens den für die weitere Arbeit an der Verfassung unentbehrlichen Preuß zu bewegen, im Amt zu bleiben. Er fühlte sich jedoch an den Beschluß seiner Partei gebunden, obwohl er sein Ministeramt eher Ebert als der Initiative seiner Parteifreunde verdankte. PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 21, enthält zahlreiche Dankschreiben nach dem Rücktritt des Außenministers, u.a. von Riesser, Mendelssohn-Bartholdy, Wedel, Lersner, Haniel, Riezler und V. Naumann, die sich samt und sonders ausgesprochen lobend über die Tätigkeit des Grafen aussprechen.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

einem vergeblichen Versuch Eduard Davids bildete der farblose Gustav Bauer ein neues Kabinett, in dem allgemein Erzberger als der starke Mann galt. Der Friedensvertrag wurde nach dem letzten Entente-Ultimatum am 22. Juni mit 237 zu 138 Stimmen angenommen. Mit ihm wurde der Art. 231 in neuer Interpretation als uneingeschränktes Schuldzugeständnis unterzeichnet, mit ihm wurde der Auslieferung noch namhaft zu machender Kriegsverbrecher zugestimmt. Die Unterzeichnungsmehrheit, der die Gefahr der Ausnutzung ihres Votums zu innenpolitischen Zwecken, vor der Schücking gewarnt hatte, nur zu deutlich war, verlangte von den Vertragsgegnern die Abgabe von Ehrenerklärungen. Schiffer für die DDP und Heinze für die DVP erklärten übereinstimmend wie vereinbart, daß die vaterländische Gesinnung der Vertragsbefürworter von ihnen nicht in Zweifel gezogen werde. Für die DNVP hingegen wich der Abgeordnete Schultz aus Bromberg davon ab und sagte lediglich, daß seine Partei als selbstverständlich voraussetze, daß jeder Abgeordnete "seine eigene Stellung nach bestem Wissen und Gewissen" einnehme179. In der Kreuzzeitung war schon vorher der folgende Satz zu lesen: "Die Entente hat den Staatsmännern mit ihrem Friedensvertrag ihren Entgelt für ihre politische Ahnungslosigkeit und feige Nachgiebigkeit gezahlt. Jetzt werden sie unterzeichnen. Dann wird das deutsche Volk sprechen." 180 Das klang wie eine Drohung, das war als Drohung gemeint, und daß es keine leere Drohung war, sollte sich sehr bald zeigen.

IIL Kriegsschuldfrage und Parlamente 1. Die Nationalversammlung zu Weimar

Am 12. Mai jubelte fast die gesamte Nationalversammlung Scheidemanns "Unannehmbar-Rede" zu, am 22. Juni, also nur 42 Tage oder exakt sechs Wochen später, stimmten fast zwei Drittel der Abstimmenden dem praktisch unverändert gebliebenen Vertrag zu. Das waren Abgründe, die überbrückt sein wollten. Sie verweisen uns zugleich auf die Frage, ob und inwieweit die

1 7 9

Sten. Ber., 327. Bd., S. 1140f.

1 8 0

"Das Ministenum für die Unterzeichnung", KZ, Nr. 283 (22.6.Ί9 M).

III. Kriegsschuldfrage und Parlamente

169

Parlamente ihrer Aufgabe als Stätte der Meinungsbildung und politischen Erziehung nachkamen und einer detaillierten Kriegsschulddiskussion Platz einräumten. Dies um so mehr, als das Kabinett mit seiner zögernden Haltung in der Frage der Aktenedition nichts tat, um den Wissensdrang der zumindest in der Zeit vor Versailles interessierten Öffentlichkeit zu befriedigen. Einblick in die Beantwortung dieser Frage bieten dabei vor allem die beiden wichtigsten Parlamente, die Nationalversammlung und der Preußische Landtag. In der 6. Sitzung der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung vom 13. Februar 1919 gab Ministerpräsident Scheidemann seine Regierungserklärung ab, in der er sich prononciert für die 14 Punkte Wilsons als Grundlage der Friedensverhandlungen aussprach. Nach innen wie nach außen gerichtet, an die Adresse der alten Machthaber wie an die der Entente prophezeite er, "daß die Zeiten der Gewaltherrschaft ein für allemal vorüber sind" 181 . Er sprach die geraubten deutschen Kolonien an, erwähnte die Kriegsgefangenen, und ging auf den Völkerbund der zukünftigen neuen Weltordnung ein. Nach Scheidemann sprachen die Vertreter der anderen Koalitionsparteien; für das Zentrum Gröber, für die Deutschen Demokraten Naumann. Beide bewegten sich im außenpolitischen Teil ihrer Reden in ähnlichen Bahnen, Gröber erwähnte noch die Völkerrechtswidrigkeit einer möglichen Anklage gegen Wilhelm I I . 1 8 2 Das waren Worte, die eher deutschen Hoffnungen und Wünschen entsprachen als der von den Alliierten bestimmten harten Wirklichkeit. In der Debatte um die Regierungserklärung prallten in den nächsten Sitzungen auch die Standpunkte in der Kriegsschuldfrage erstmals aufeinander. Am 6. Februar war die Nationalversammlung eröffnet worden; nach der zeremoniellen Anfangssitzung folgten in der 2. bis 4. Sitzung die drängende Beratung und Verabschiedung der provisorischen Verfassung, in der 5. Sitzung die Wahl Eberts zum Reichspräsidenten und in der 6. Sitzung, wie gesagt, die Regierungserklärung. Die substantielle Arbeit begann in der 7. Sitzung am 14. Februar, und damit auch die scharfen wechselseitigen Anklagen von Regierung und Opposition in der Kriegsschuldfrage - man vergeudete keine Zeit und kam sofort zur Sache. Den Reigen eröffnete der patriarchalische Fraktionsführer

1 8 1

Sten. Ber., 326. Bd., S. 45.

1 8 2

Ebd., S. 49 (Gröber) u. S. 55f. (Naumann).

170

C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

der DNVP, Graf Posadowsky-Wehner, der jede deutsche Kriegsschuld weit von sich wies und wenig originell den russischen Panslawismus, den britischen Handelsneid und das französische Revanchestreben verantwortlich machte. Bemerkenswert an dieser Rede war, daß der vornehme alte Graf die Niederlage primär auf die wirtschaftliche, technische und finanzielle Überlegenheit der Entente zurückführte und nicht auf die Machenschaften der jüdisch-sozialistisch-demokratischen Revolutionäre183. Bald darauf sollte man von seinen Parteifreunden schärfere Töne hören. Nach Posadowsky verlangte Haase für die USPD am Tag darauf die volle Wahrheit in der Kriegsschuldfrage, womit ein deutsches Schuldbekenntnis wie in Eisners Aktenveröffentlichung zu verstehen war, und nach diesem ging Rießer (DVP) heftig mit Eisner und allen Selbstanklagen ins Gericht, mit denen "wir ... vielfach den Feinden selbst die Scheite zu[tragen], aus denen sie uns dann den Scheiterhaufen bereiten". Ebenso wie Posadowsky verteidigte Rießer das Kaiserreich und verurteilte die vom Volk abgelehnte Revolution, die "ohne erkennbaren ethischen Grundgedanken" sei 184 . Damit war der Tenor gesetzt; die Debatte bestand vornehmlich aus Angriffen der Rechten gegen den Kurs der Regierung und aus deren Gegenangriffen. Ausgetauscht wurden nicht sachliche Argumente, sondern Polemiken, die die Auseinandersetzung mit undifferenzierten Schuldzuweisungen speisten und eine Trennung zwischen der Schuld im und der Schuld am Kriege verhinderten. Gleichviel, ob man diesen ersten Ansatz einer Schulddiskussion als längst überreife Frucht ansieht, die aus gegebenem Anlaß des Waffenstillstandes und des Meinungsaustausches darüber im Parlament gepflückt werden konnte, oder ob diese Anklagen als spontane Abwehrreaktion gegen die Rechten aufgefaßt werden müssen: Es bleibt festzustellen, daß das Hauptaugenmerk immer wieder den harten Bedingungen der Entente galt, denen Deutschland sich im Waffenstillstand beugen mußte. So hatten denn auch Vorwürfe, die die Kriegsverlängerung und die Unterlassung eines Verständigungsfriedens betrafen, Vorrang vor den moralischen Anschuldigungen, die mit dem Ausbruch des Weltkrieges verknüpft waren.

1 Ebd., S. 81 f. Daneben nannte er noch Unterernährung und die Einflüsse hinter der Front, aber letztere in so beiläufiger Form, daß es wie eine deutschnationale Pflichtübung aussieht. Der alte Freikonservative Posadowsky-Wehner hat sich auch schnell mit der neuen völkischen Richtung in seiner Partei überworfen. 1 8 4

Beide Zitate Rießers ebd., 8. Sitzung vom 15.2., S. 117; die Rede Haases ebd, S. 105f.

III. Kriegsschuldfrage und Parlamente

171

Eine organische Entwicklung der Diskussion um die Schuld am oder im Kriege fand innerhalb der Nationalversammlung auch später nicht statt. Diese Fragen traten stets in Verbindung mit konkreten und gewichtigen Anlässen auf, die die Parlamentarier zwangen, ihre Auffassung über die Kriegsschuldfrage zu äußern. Qualitativ entwickelte sich die Diskussion jedoch sehr wohl weiter, wie an den beiden Sitzungen vom 12. Mai und 22. Juni zu erkennen ist. Diese Debatten, die jeweils vor dem drohenden Hintergrund des Versailler Friedensvertrages abgehalten wurden und zum einen die Empörung über den Entwurf, zum anderen die Gretchenfrage des Annehmens oder Ablehnens zum Inhalt hatten, mußten sich zwangsläufig auch mit der alliierten Schuldzuweisung an Deutschland befassen. Daher ging es im Vergleich zur ersten umfangreichen Schulddebatte im Kern nicht um eine innenpolitische Auseinandersetzung; der Grundtenor beider Sitzungen war eine an die Entente gerichtete Apologie der deutschen Politik, zu der alle Parteien mit Ausnahme der USPD beitrugen 185. Die gemeinsame Ablehnung der Versailler Bedingungen überdeckte vollständig die innenpolitische Komponente der Kriegsschulddiskussion. Zwar erklärten Politiker wie Ludwig Quidde für die DDP oder Hermann Müller für die SPD auch bei dieser Gelegenheit ihre Distanz und Opposition zum alten Reich, und damit ihre Bedenken gegen eine völlige Entschuldigung der alten Machthaber hinsichtlich der Schuld am Ausbruch des Krieges. Doch ein uneingeschränktes Schuldbekenntnis, das die Alliierten von Deutschland forderten, wurde von ihnen ebenso abgelehnt, wie es die Rechtsparteien in ihren Erklärungen vor dem Parlament formulierten 186. Den Konsens, den man bezüglich der Schuldfrage als Entgegnung auf die einseitige Schuldzuweisung der Alliierten erreichte, faßte Konstantin Fehrenbach, der Präsident der Nationalversammlung und spätere Reichskanzler, in folgenden Worten zusammen: "Aber wenn sie uns jetzt auch noch die Schuld an dem Kriege aufladen wollen, das weisen wir im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit zurück. Das

1 Die USPD argumentierte durchaus im Sinne der Bemer Sozialistenkonferenz, wenn Haase betonte, daß Deutschland mit der erklärten Einwilligung Österreich-Ungarns den "Weltbrand entzündet" habe, fügte aber auch - ganz im Sinne Lenins - hinzu, daß "(d)er Imperialismus aller kapitalistischen Staaten ... nach unserer Überzeugung die Gegensätze hervorgerufen (hat), die zum Wettrüsten und schließlich zum Kriege geführt haben"; Sten. Ber., 327. Bd., S. 1127. 1 8 6 Müller und Quidde in der 39. Sitzung vom 12.5., ebd., S. 1086 u. S. 1109. Kahl und Posadowsky-Wehner hielten ihre Reden bei der Debatte über die Annahme des Vertrages, 40. Sitzung, 22.6., ebd., S. 1129ff. u. S. 112 Iff. Beide berufen sich auf Wilson als Zeugen deutscher Unschuld.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

deutsche Volk, das friedliebendste Volk der Welt, hat an diesem Kriege keinen Anteil. Es hat nur - ich habe das Wort einmal geprägt; leider ist es damals nicht in allen deutschen Gauen verstanden worden - es hat nur das Verlangen gehabt nach einem bescheidenen Platz an der Sonne. Es wollte kein anderes Volk verdrängen; es hat fur sich auch nur das beanspruchen wollen, was es anderen Völkern gönnt. Es mag sein - ich weiß es nicht -, daß die letzten Akte der Regierenden vor dem Kriege als Veranlassung fur den Krieg gegen uns zeugen; aber die Schuld der Ursachen des Krieges lastet auf den Schultern unserer Feinde." 187 Der hier erreichte Konsens blieb im Prinzip zunächst bestehen, wenn auch die Parteien in der Frage der möglichen Ablehnung des Vertrages bald wieder getrennte Wege gingen. Da man in Deutschland seit der Mantelnote den Art. 231 nicht nur als Versuch der Entente interpretierte, Deutschland moralisch zu verurteilen und vor aller Welt durch das Anerkennen der eigenen Schuld zu demütigen, sondern ihn nun auch in enger Verbindung mit den "eigentlichen" originalen Schuldartikeln 227 bis 230 sah, verknüpfte sich ganz natürlich die Empörung und Ablehnung dieser beiden Komplexe miteinander zum Gesamtbereich der sogenannten "Ehrenpunkte". Im Mittelpunkt der Protesterklärungen über die Ehrenpunkte, wie sie von Graf Posadowsky-Wehner und von Kahl für DNVP und DVP vorgetragen wurden, wie sie sich aber auch bei Rednern anderer Parteien finden 188 , stand die Auslieferung des Kaisers. Die Zumutung wurde

1 0 7

l ö / So sein Schlußwort in der Sitzung vom 12.5., ebd., S. 1111. Diese Worte sind in Deutschland nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Koch-Weser schrieb in seinem Tagebuch unter dem gleichen Datum: "Fehrenbach spricht das Schlußwort ... Aber nun droht er zuviel mit Rache. Die äußerste Linke murrt. Und nun schließt er gar mit dem im Ausland soviel mißverstandenen 'Deutschland, Deutschland über alles!' Das wird eine Katastrophe im Inland und Ausland, die erst alles verdirbt. Man soll einen unpolitischen Schönredner nicht zum Präsidenten machen!" (BA, NL Koch-Weser, Nr. 16, Bl. 13 lf.). Ähnliche Sentiments berichtete auch Victor Naumann vom Auswärtigen Amt seinem Chef nach Versailles am 13.5. (PA, N L Brockdorff-Rantzau, Az 19, H 235273-75): "Über die gestrige Nationalv[ersammlungs]-Sitzung urteilte der Herr [Kolonialminister Bell]: Sie sei gut gewesen bis auf die geradezu katastrophale Rede Fehrenbachs zum Schluß. Diese lasse sich kaum wieder ausgleichen und würde im Auslande einen Schrei der Entrüstung hervorrufen. Tatsächlich war die Rede eine üble Entgleisung und ich fürchte, sie kann auch üble Konsequenzen nach sich ziehen." Das geschah jedoch nicht; die Entente benötigte keine Reden Fehrenbachs zur Bestätigung ihres ohnehin bereits feststehenden Urteils. Und wenn sie eine solche Bestätigung gewünscht hätte, bot Brockdorff-Rantzau selbst hinreichend Material. 1 8 8 Vgl. Sten. Ber., 327. Bd., S. 1089 u. S. 1121 (Posadowsky-Wehner), S. 1412 (Kahl). Der DVP-Politiker sagte in der Sitzung vom 9.Juli, also nach Vertragsannahme: "Was aber nimmermehr wir zu ertragen, anzuerkennen und zu verantworten gewillt sind, ist... die Zumutung ehrloser Hand-

III. Kriegsschuldfrage und Parlamente

173

als besonders entehrend für das deutschen Volk empfunden, nicht nur die Schuld Deutschlands formell anzuerkennen, sondern sich auch wehrlos den hieraus resultierenden Strafen beugen zu müssen und Wilhelm II. wie auch verdiente Offiziere der deutschen Armeen dem Gerichtshof feindlicher Ankläger preiszugeben. Häufig Schloß sich an diese Argumentation, die sich aus dem verletzten Nationalgefühl und aus der Entrüstung über das Vorgehen der Alliierten speiste, der Hinweis an, daß die Artikel, die die Auslieferungsfrage behandelten, samt und sonders gegen das bestehende Völkerrecht verstießen. Der alte Rechtsgrundsatz, daß der Ankläger nicht zugleich auch der Richter sein könne, wurde zum Schlagwort im Abwehrkampf gegen die Auslieferungsbedingungen der Entente. Die Forderung zur Revision des Versailler Friedensvertrages, die Aufhebung der "Schmach", die man vorerst auf Grund der eigenen Hilf- und Wehrlosigkeit unterzeichnen mußte, einte alle Parteien bis zu den Mehrheitssozialisten, die im Gegensatz zur USPD durchaus in schärfster Weise gegen den Art. 231 und die Auslieferung protestierten. Der neue Reichskanzler Bauer erklärte im Sinne seiner Partei: "(I)n einem sind wir uns alle einig: in der schärfsten Verurteilung des uns vorgelegten Friedensvertrages. ... Wer kann sich in irgendeinem Volk noch Demokrat nennen und verwirft diese Despotie der Sieger nicht; Wer kann sich noch Sozialist nennen und erhebt sich nicht gegen dieses Ausbeutertum der Imperialisten? Wer kann sich noch Pazifist nennen und kämpft nicht bis zum letzten gegen diese Friedensvertrag genannte Kriegserklärung? ... Wir legen weiterhin den größten Nachdruck auf die Erklärung, daß wir den Artikel 231 des Friedensvertrages, der von Deutschland fordert, sich als alleiniger Urheber des Krieges zu bekennen, nicht annehmen können und durch die Unterschrift nicht decken."189

lungen durch Auslieferung Deutscher an die Gerichtsstätte feindlicher Ankläger und Richter zugleich, ist der unsittliche, gegen Recht und Wahrheit verstoßende Zwang zur Unterschrift des Bekenntnisses der alleinigen Schuld Deutschlands am Kriege, der größten weltgeschichtlichen Lüge, die jemals aus Menschenmund gekommen ist." Ahnlich zur Auslieferungsfrage aber auch Gröber vom Zentrum und Haußmann von der DDP schon am 12.5., ebd., S. 1089 u. 1093. 180

i ö y In der 40. Sitzung vom 22.6, in der der Vertrag angenommen wurde, ebd., S. 1115. Alle aus dieser Sitzung schon bekannten Argumente wurden in der 51. Sitzung vom 9.7. noch einmal wiederholt, als es um die Ratifizierung ging. Ebenso wie die Gründe für und gegen die Vertragsunterzeichnung waren auch die Mehrheitsverhältnisse bekannt, und so konnte die breite Zustimmung zur Ratifizierung nicht überraschen.

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Der Reichskanzler demonstrierte damit, daß sich die Mehrheitssozialisten bereits in die geistige "Einheitsfront" gegen Versailles eingereiht hatten. Die in Bern gezeigte Annäherung an die Auffassungen der Entente-Sozialisten, und im besonderen an die der Unabhängigen, war nur ein vorübergehender Kompromiß gewesen, um die neugewonnene Einheit der Arbeiterbewegung nicht zu gefährden. Aber so parteiübergreifend sich jetzt in Deutschland auch die Ablehnung der alliierten Schuldzuweisungen präsentierte, so unversöhnlich blieben die gegenseitigen Anschuldigungen, die Verantwortung für den Zusammenbruch und die Niederlage Deutschlands zu tragen. Als Zielscheibe der Angriffe von rechts mußte in erster Linie Matthias Erzberger herhalten, der im neuen Kabinett als Vizekanzler und Finanzminister die dominierende Gestalt war. Auf ihn konzentrierte sich ein Haß geradezu pathologischen Ausmaßes, vor dem der heutige Betrachter etwas fassungslos steht. Die Friedensresolution 1917, der Waffenstillstand und dessen Verlängerungen, die Annahme des Versailler Vertrages machten die größten Posten auf Erzbergers "Sündenkonto" aus, das er bald mit seinen drastischen Steuerreformen zur Finanzierung der Versailler Verpflichtungen noch stärker belasten sollte. Bereits im Februar hatte der Industrielle und DVP-Abgeordnete Vogler den Minister weniger zutreffend als hart zur Rede gestellt, weil Erzberger angeblich bei den Verhandlungen zur Verlängerung des Waffenstillstands den sachverständigen Rat der Wirtschaft verschmäht hatte190. Am 25. Juli, einen Monat nach Versailles, unternahm der Deutschnationale von Graefe einen Generalangriff auf die Wühlarbeit der Sozialisten im Kriege, auf die Illusionspolitik der Zeit danach und eben auch auf Erzberger, dem er vorwarf, während des Krieges so gehandelt zu haben, "als ob Sie in feindlichem Solde stünden"191. Erzberger antwortete, seinem

1 9 0 10. Sitzung vom 18.2., 326. Bd., S. 136. Erzberger hatte in seiner Antwort (S. 137) leichtes Spiel. Er hielt sich nicht lange mit Details der Rede Voglers auf, sondern geißelte die "Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit, mit der er hier mit Tatsachen umgesprungen ist", hielt der "Gruppe, die heute dem Interpellanten zujubelte" vor, "den Ruin des Vaterlandes herbeigeführt" zu haben, indem sie "die Leidenschaften aufpeitschten und unser armes Volk weiteren Blutopfem ausgeliefert haben", alles unter stürmischer Zustimmung der Mehrheitsparteien. Erzberger sprach auch etwas aus, was man auf der rechten Seite nicht so recht zur Kenntnis nehmen wollte (S. 145): "Durch die Rede des Herrn Abgeordneten Vogler zog sich eines hindurch: Er hat immer die eine nicht ganz kleine Tatsache vergessen, daß wir leider den Krieg verloren haben." 1 9 1 66. Sitzung, 327. Bd., S. 1919. Graefe berief sich auf eine Äußerung Bismarcks. Nach einem Zwischenruf Erzbergers legte er nach: "Was ich damit sagen will? Daß ich Ihre Handlung, genau so wie es der Fürst Bismarck gegenüber einem damaligen Abgeordneten getan hat, so beurteile, daß sie zwar nicht die Behauptung rechtfertigt, daß Sie in feindlichem Solde gestanden haben, aber daß Ihre Handlungen so im Erfolge waren, als ob Sie in feindlichem Solde stünden."

III. Kriegsschuldfrage und Parlamente

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Temperament entsprechend, mit einem sofortigen Gegenangriff und enthüllte sensationelle Einzelheiten über eine päpstliche Friedensaktion vom Herbst 1917, die vom damaligen Reichskanzler Michaelis ausgeschlagen wurde 192 . In der Revisionspropaganda nach außen mochte die Schuld am Kriege dominieren, in der Auseinandersetzung nach innen war die Schuld im Kriege wichtiger. Mit Erzbergers Rede war die Reichsregierung erstmals auf breiter Front zur aktiven Behandlung dieser Problematik übergegangen. Die Anklagen, die damalige Reichsregierung habe eine Gelegenheit versäumt, den Frieden rechtzeitig und zu günstigen Bedingungen abzuschließen, konnte dem ewigen Gerede vom Dolchstoß ein wirksames Mittel entgegenstellen. In der Nationalversammlung folgte eine mehrtägige erregte Debatte, außerhalb des Parlaments begann Karl Helfferich, der Vizekanzler von 1917, mit seinen haßerfüllten, aber gleichwohl kalt geplanten Angriffen auf den "geschäftigen" 193 Erzberger, die zu einem Beleidigungsprozeß, zum Rücktritt Erzbergers im Frühjahr 1920 und letztlich zu dessen Ermordung ein Jahr später führten 194 .

1 9 2 Ebd., S. 1926ff. Generell zur päpstlichen Friedensaktion W. Steglich (Hg.): Der Friedensappell Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917 und die Mittelmächte, Wiesbaden 1970 (hier auch Dokumente zur Rede Erzbergers, Nr. 51 Off); ders. (Hg.): Die Friedensversuche der kriegfuhrenden Mächte im Sommer und Herbst 1917, Stuttgart 1984; ders.: Die Friedenspolitik der Mittelmächte 1917/18, Bd. 1, Wiesbaden 1964, S. 117ff; D. Stevenson, Failure of Peace by Negotiation. 1Q1 Wer sich als Historiker mit Erzberger befaßt, entwickelt fast zwangsläufig eine Abneigung gegen das Wort "geschäftig", das ausnahmslos allen Gegnern Erzbergers als Charakterisierung eingefallen ist. Kaum zu übertreffen ist der anonyme Artikel "Von einem alten Philologen: Erzberger und die Julikrise des Jahres 17", in: Die deutsche Nation, 2. Jg., Nr. 10 (Okt. *20), S. 669-676. Hier finden sich die folgenden Begriffe: S. 669: "Vielgewandt und betriebsam, geschäftig und wendig", "betriebsam", "Geschäftigkeit"; S. 670: "geschäftig", "leichtfertig"; S. 676: "Der Vielgeschäftige, Allzugeschäftige", "geschäftig ist, um der Geschäftigkeit willen", "Geschäftige". Das ganze gab sich als Besprechung zu Erzbergers Memoiren "Erlebnisse im Weltkrieg" aus. 1 9 4 Helfferichs Artikelserie in der "Kreuzzeitung" wurde auch als Broschüre veröffentlicht unter dem einfachen Titel "Fort mit Erzberger!", Berlin 1919. Vgl. zur Auseinandersetzung zwischen Helfferich und Erzberger K. Epstein, Erzberger, S. 395ff. Diese Hetze gegen Erzberger wäre nicht verwunderlich, wenn sie ausschließlich von Helfferichs, der DNVP und der weiteren republikfeindlichen Rechten ausgegangen wäre. Aber dies war nicht der Fall. Man vgl. den LA von Theodor Wolff, BT, Nr. 262 (10.6.' 19 M): "Vielleicht weiß Erzberger von alledem nichts. Er ist so heiter geschäftig, daß er die Fäden, mit denen er [von Frankreich, d.Verf.) umsponnen wird, vielleicht gar nicht sieht. Er ist hoho ho ho, so schön und froh - der immer gut gelaunte Postillon auf unserer Unglücksfahrt". Sein "glückliches Naturell", sein "nie verlegenes Redetalent", sein "überquellendes Naturburschentum" lassen Vorwürfe von ihm abprallen: "Wie eine runde Boje aber taucht er immer sofort unbeschädigt aus Sturm und Wellen auf." Wolff war hier nicht so weit von den perfiden Bemerkungen über den kugelrunden, aber nicht kugelfesten Erzberger entfernt, wie er es hätte sein müssen. In der Auseinandersetzung Erzbergers mit Helfferich wurden beide Kontrahenten abgelehnt, "Um Erzberger", BT, Nr. 339 (25.7.Ί9 M). Ähnlich die Vossische Zeitung, "Helfferich gegen Erzberger", Nr. 345 (10.7/19 M).

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

Man wird kaum behaupten können, daß die Nationalversammlung in der ersten Hälfte des Jahres einen wesentlichen Beitrag zur deutschen Kriegsschulddiskussion geleistet hatte. Alle Debatten hatten einen konkreten außenpolitischen Anlaß, was sich für die Kriegsschuldfrage als solche wenig förderlich auswirkte. Etwas anders verhielt es sich in Preußen als dem wichtigsten Teilstaat des Reiches.

2. Die Preußische Landesversammlung zu Berlin

Im Preußischen Landtag - der in seiner ersten Nachkriegssession "Landesversammlung" hieß - wurde die Diskussion um die Schuld am Kriege nahezu ohne größere Beteiligung der MSPD gefuhrt. Einerseits zeigte sie ohnehin wenig Engagement in dieser Frage 195, andererseits wurde sie durch die vielen USPD-Beiträge der Abgeordneten Cohn und Adolph Hoffmann etwas an die Seite gedrückt. Die Schulddebatte fand im wesentlichen zwischen den Flügelparteien des Hauses statt und verlief daher in größerer Polarität als in der Nationalversammlung. Die Kriegsschulddiskussion, die auch in Preußen als Reaktion auf den Entwurf des Versailler Friedensvertrages und die Notwendigkeit seiner Unterzeichnung geführt wurde, beinhaltete ebenso wie in Weimar nicht nur die eigentliche Diskussion, ob Deutschland den Weltkrieg verschuldet habe, sondern auch - und wiederum sehr eng damit verknüpft - die Debatte um die Ehrenpunkte 196. Entscheidend jedoch für eine vergleichende Betrachtung mit der Nationalversammlung ist in diesem Zusammenhang, daß der Preußische Landtag zwar durchaus eine politische Institution von Rang darstellte und seine Ansichten sehr wohl auch für die Reichsregierung politisch beachtenswert waren. Dennoch besaß er nicht die staatsrechtliche Kompetenz und damit auch nicht die Verantwortung, die die Nationalversammlung hinsichtlich der Frage der Unterzeichnung des Friedensvertrages auf sich nehmen mußte.

1 9 5 Die Ausführungen des Ministerpräsidenten Hirsch zum Versailler Vertrag bleiben spärlich und liefern keine Beiträge zur Kriegsschuldfrage, vgl. z.B. seine Rede in der 20. Sitzung vom 8.5., Sitzungsberichte, 2. Bd., Sp. 1492. Auch andere Parlamentarier der SPD reden zu diesem Thema nur gelegentlich. 1 9 6 Der Vertrag selber wurde von Vertretern aller Fraktionen ebenso entschieden und empört abgelehnt wie in der Nationalversammlung; Adolph Hoffmann nannte ihn einen "Halsabschneidervertrag"; ebd., 21. Sitzung vom 13.5., Sp. 1531.

III. Kriegsschuldfrage und Parlamente

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Durch diese Differenzierung erklären sich etwa die Unterschiede in der Argumentation der USPD: In der Nationalversammlung agierte sie in der Diskussion über die Ehrenpunkte eher verhalten, um die anderen unterzeichnungswilligen Parteien nicht vor den Kopf zu stoßen und möglicherweise Gegner noch zu gewinnen. Im Landtag entfielen diese Rücksichten; die Reden der Parlamentarier hatten keinen Einfluß auf das weitere Schicksal Deutschlands, das so sehr von der Annahme des Friedensvertrages abhing. Daher konnten ganz ungehindert die offenen historischen, politischen und ideologischen Standpunkte der Parteien aufeinanderprallen, und dies nutzte die USPD zu ebenso scharfer Polemik wie ihre Opponenten von rechts. Charakteristisch dafür war das Rededuell zwischen dem DNVP-Vertreter von Kardorff und dem USPD-Abgeordneten Cohn, das die 34. Sitzung des Landtages am 25. Juni prägte. In seiner Rede bezichtigte Kardorff die USPD, die deutsche Schuld am Kriege aus rein parteipolitischen Gründen vor aller Welt zu behaupten. Er ermahnte gleichzeitig die deutsche Regierung, daß sie endlich diesem "Wust von Lüge und Verleumdung" durch eigene Propaganda energischst entgegenwirken solle. Diese schweren Vorwürfe Kardorffs, die ihren krönenden Höhepunkt in seiner Auffassung fanden, der ganze Friede sei "nur die logische Folge des 9. Novembers", wurden von Cohn durch die Feststellung gekontert, daß die bereits veröffentlichten Dokumente ausreichen, um die engere Schuld am Ausbruch des Krieges ganz überwiegend, wenn nicht ausschließlich auf Seiten des deutschen Militärs" zu suchen197. Diese beiden unversöhnlich einander gegenüberstehenden Auffassungen über die Kriegsschuld wurden durch weitere Reden aus den eigenen Reihen jeweils unterstützt und mitgetragen, wobei die Erklärungen der anderen Parteien nichts Neues brachten, sondern sich einem der beiden Standpunkte

1 9 7 Ebd., Sp. 2529 u. Sp. 2532 (Kardorff) u. Sp. 2565f. (Cohn). In der ganzen Sitzung hatten plakative Schuldzuweisungen Hochkonjunktur: Schuld des alten Systems (A. Hoffmann, USPD, Sp. 2503), Schuld für den Friedensvertrag bei denen, die wie die USPD von Anfang an för die Unterzeichnung waren (Ministerpräsident Hirsch, SPD, Sp. 2518), Schuld fur die Niederlage bei den Rechten wegen des U-Boot-Krieges (Friedberg, DDP, Sp. 2556) - ein wahres Sammelsurium an Anschuldigungen, das in gewisser Weise eine Gewähr dafür geboten haben dürfte, daß man zwar über Schuld stritt, sich aber nicht einigen konnte, über welche. Kardorff sagte über die Mantelnote (Sp. 2528): "Ich glaube, daß, solange zwischen Kultumationen ein diplomatischer Verkehr besteht, ein derartiges Schriftstück noch nicht abgefaßt worden ist." Nicht weniger heftig, aber mit anderer Stoßrichtung, A. Hoffmann (Sp. 1503) über den Vertrag: "Der Friedensvertrag ist ebenso nichtswürdig, ebenso niederträchtig, ebenso halsabschneiderisch wie seinerzeit der Friedensvertrag von Brest-Litowsk und Bukarest. Wir ernten nur, was von denjenigen, die das Verbrechen auf dem Gewissen haben, gesäet ist."

12 Dreyer/Lembcke

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C. Die Kriegsschuldfrage bis zum Versailler "Schmachfrieden"

annäherten 198. Ein weniger apodiktisches Urteil fällte nur der Fraktionsvorsitzende der DDP, Friedberg. Er betonte, daß sein Urteil vorläufig sei und man die Veröffentlichungen abwarten müsse. Dennoch sei für ihn zum derzeitigen Zeitpunkt erwiesen, daß "das Dutzend gleich unfähiger Diplomaten, die zur Zeit des Ausbruches des Krieges in verschiedenen europäischen Ländern die Geschäfte geführt haben", die Schuld an diesem Kriege auf seine Schultern nehmen muß 199 . Verhinderten die scharf formulierten Gegensätze über die deutsche Schuld am Ausbruch des Weltkrieges bereits einen Konsens, wie ihn Fehrenbach am Schluß der 39. Sitzung in der Nationalversammlung auf Grund der gemeinsamen Empörung der Parteien über den Friedensvertrag und des relativ schwächeren Engagements der USPD proklamieren konnte 200 , so standen auch die Erklärungen zu den "Ehrenpunkten" entweder im Zeichen schwerster nationaler Entrüstung oder größter Ablehnung der ehemaligen Machthaber. Der Abgeordnete Herold von der Zentrumspartei, der sich in der Auslieferungsfrage besonders hervortat, vertrat den Grundsatz, daß Deutsche "nur von deutschen Gerichten wegen Verletzung deutscher Gesetze abgeurteilt [werden], nicht aber von einem befangenen feindlichen Gerichtshof' 201. Dem konnten alle Parteien zustimmen, die die Auslieferung prinzipiell ablehnten. Als besonders schmerzlich wurde es auch hier empfunden, daß die Entente Deutschland die "Schmach" antun wollte, auf der Auslieferung des "Friedenskaisers" Wilhelm zu bestehen. Die USPD hielt sich auch in diesem Punkt nicht mit Erklärungen zurück, wie sie es noch in der Nationalversammlung getan hatte. Sie äußerte gemäß

1 9 8 Etwa Prelle von der Dt.-Hann. Partei in DNVP-Nähe (ebd., Sp. 2594); Bartels für die SPD hingegen unterstützte Cohn (Sp. 2586f.). Der Deutschnationale Hergt (Sp. 1517) nannte die Anschuldigungen gegen den preußischen Militarismus "erstunken und erlogen". 1 9 9 Dr. Friedberg (Sp. 1558) war durchaus nicht der einzige, der in der Kriegsschuldfrage ohne Kenntnis der Akten und Dokumente eine gewisse Vorsicht walten ließ, wenngleich auch seine Äußerung einen apologetischen Unterton hat. Originell ist die Aussage von Frau Heßberger (Zentrum, Sp. 1564), die zu der Feststellung kommt, "keine einzige deutsche Frau ist schuld an diesem Krieg." Das dürfte wohl zutreffend gewesen sein, sehr hilfreich war es aber nicht. 2 0 0 In Preußen hingegen prangerte A Hoffmann die Rede Fehrenbachs an, da dieser die Schuld am Weltkrieg immer noch bei der Entente suchte und zur Rache gegen sie aufrief, ebd. Sp. 1574.

501 x Ebd., Sp. 1524. Herolds allgemeine Auffassung kennt keine Grautöne: "Nur und allein zur Verteidigung seiner Grenzen hat das deutsche Volk gekämpft; daraus allein ergab sich der bewundernswerte Opfermut." (Sp. 1521). Übrigens erwähnt Herold, der sich in dieser Rede vom 13.5. ausführlich mit den Ehrenpunkten auseinandersetzt, den Art. 231 mit keiner Silbe.

III. Kriegsschuldfrage und Parlamente

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ihrer strikten antimonarchistischen Haltung, mit der sie sich von den "Kaisersozialisten"202 zu unterscheiden hoffte, daß für sie kein Grund bestehe, den Kaiser zu retten, "der ein ganzes Volk geopfert hat und dann verschwand als die Gefahr kam" 203 . In der Schuldfrage hatte die USPD noch vereinzelt Zustimmung gefunden, aber mit dieser Auffassung über die Auslieferung des Kaisers stand sie in Preußen vollends isoliert der geistigen "Einheitsfront" der anderen Parteien gegenüber. So unterschiedlich die Diskussionen über die Kriegsschuld und die alliierten Strafbestimmungen in den beiden Parlamenten hinsichtlich ihrer Zielrichtung waren, so deutlich zeigte sich, daß die Mehrheit nicht bereit war, der Empörung und der geistigen Ablehnung der moralischen Zumutungen von Versailles auch die tatsächliche Ablehnung des Vertragswerkes folgen zu lassen. Wenn auch die Debatten in Preußen schärfer als im Reich geführt wurden, konnten beide Parlamente nicht richtungweisend für die Öffentlichkeit wirken. Dies änderte sich später etwas mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch die Nationalversammlung, für die Zeit bis Versailles gaben die Parlamente jedoch nur Parolen aus, aber keine wirklichen Orientierungshilfen. In zwei Punkten verweisen sie allerdings schon auf die Zukunft: In der erregten Debatte um die Auslieferungsbestimmungen und in dem Versuch, in der Kriegsschuldfrage im Hinblick auf Versailles eine Einheitsfront herzustellen.

7.07. * 0 *3 2

So A. Hoffmann, ebd., Sp. 1538, mit Bezug auf Eberl, Scheidemann und Noske. Ebd., Sp. 1546.

D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles L Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages ergab sich ein neuer Schwerpunkt für die deutsche Diskussion in der Kriegsschuldfrage, wie es sich auch schon in der Diskussion der Parlamente vor Versailles angedeutet hatte. Trotz den Bemühungen der deutschen Unterhändler, trotz den flammenden Protesten der Nationalversammlung und der öffentlichen Meinung war der Vertrag im Prinzip so zu unterzeichnen gewesen, wie es der Entwurf vorgesehen hatte. Im Gegenteil, die Versailler Verhandlungen hatten eher eine Verschärfung der Lage erbracht, weil die Vorstöße Brockdorff-Rantzaus letztlich in der "Mantelnote" ihr unerwünschtes Resultat fanden. Da die letzten Appelle der Nationalversammlung am Ultimatum der Entente scheiterten, gingen auch die Ehrenpunkte unverändert in den unterzeichneten Text ein. Der Kampf gegen Versailles ist in gewisser Weise auch eine Fortsetzung des Kampfes in Versailles. Wie bei Brockdorff-Rantzau wurde auch jetzt die Schuldfrage in den Mittelpunkt der Revisionsbestrebungen gestellt. Dies ist um so begreiflicher, als sich mit der Mantelnote die Entente den Angriffen gestellt und die deutsche Alleinschuld in den Kern der Vertragsbegründung postiert hatte. Der Schluß, den die deutsche Seite daraus zog, war naheliegend: Man müsse nachweisen, daß Deutschland keineswegs die Alleinschuld am Weltkrieg habe, und schon sei die Grundlage Versailles' gekippt und der Weg zur Revision frei. Diesem Irrglauben jagte die deutsche Kriegsschulddiskussion der Weimarer Republik nach1. Zwei Abschnitte gilt es zu unterscheiden: Den Abwehrkampf gegen die Folgen der Artikel 227 bis 230, also die Auslieferungsfrage, und den Kampf

1 V.a. die Werke und Aktivitäten Hans Delbrücks sind gekennzeichnet von diesem an Besessenheit grenzenden Glauben. Dies gilt für seine Bücher, seine "Politische Korrespondenz" in den Preußischen Jahrbüchern, seine eher populären Artikel in der "Kriegsschuldfrage", seine Aufforderung an ausländische Gelehrte, sich einer Disputation zu stellen (BA, NL Delbrück, Nr. 48), seinen umfangreichen Briefwechsel (im NL im BA enthalten), seine Gutachtertätigkeit für den Untersuchungsausschuß der Nationalversammlung und z.B. auch im Fechenbach-Prozeß.

182

D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

gegen Artikel 231 in der Auslegung der Mantelnote, also die deutsche Alleinschuld und die damit scheinbar untrennbar verknüpften Reparationen. Der erste ist gewissermaßen der konkrete Teil, der zweite der abstrakte und allgemeine Teil der Kriegsschulddiskussion. In der Zeit unmittelbar nach Vertragsschluß stand die Auslieferungsfrage im Vordergrund, erwartete man doch sozusagen täglich die Liste, auf der die Entente die Kriegsverbrecher namhaft machen würde, deren Auslieferung man versprochen hatte. Ganz oben auf dieser Liste sollte der Name Wilhelm II. stehen. Die Forderung nach Auslieferung des Exkaisers war schon lange vor der Überreichung des Versailler Entwurfes als Möglichkeit in Deutschland bekannt. Eine völkerrechtliche Grundlage gab es hierfür im Grunde nicht, wie mehrere Gutachten von deutscher Seite ohne großen Aufwand feststellen konnten2. Auch die Alliierten untereinander hatten im Vorfeld von Versailles langwierige Diskussionen in dieser Frage führen müssen, um am geltenden Völkerrecht vorbei zu einer halbwegs stichhaltigen Begründung zu gelangen. Daß man letztlich von dem zukünftigen Völkerrecht des Völkerbundes ausging, war kaum eine ganz befriedigende Lösung. Vor allem die amerikanische Delegation war hiermit unzufrieden. Wenn man bedenkt, welche völkerrechtlichen Bedenken selbst bei offenkundigen Verbrechen in Nürnberg 1946 bestanden, wird die Problematik verständlich3. Dennoch war es natürlich weniger eine rechtliche als eine politische Frage. Im Juli und August sind die Zeitungen voller Meldungen, vornehmlich als Wiedergabe ausländischer Stimmen, über den drohenden Kaiserprozeß4. Die Ablehnung war ähnlich

2 So die Gutachten des Freiburger Historikers Prof. Rachfahl und des Münchener Juristen Prof. Frank, beide im BA, R43/I, Nr. 803, Bl. 28-72 bzw. Bl. 73-119. 3 Vgl. generell P. Krüger, Außenpolitik von Weimar, S. 95ff.; W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 250ff. u. passim; F. Dickmann, Kriegsschuldfrage, S. 19ff. Zum Vergleich mit Nürnberg siehe E.v. Puttkamer: Die Haftung der politischen und militärischen Führung des Ersten Weltkriegs fur Kriegsurheberschaft und Kriegsverbrechen, in: Archiv des Völkerrechts, 1. Bd. (1948/49), S. 424-449. Das Unbehagen von amerikanischer Seite wird deutlich etwa in J.B. Scott: The Trial of the Kaiser, in: E.M. House, Ch. Seymour (Hg.), What really happened at Paris, London 1921, S. 231-258; wo ein Gerichtsverfahren als politischer Prozeß abgelehnt wird. 4

Vgl. nur "Deutschlands Sühneopfer", KZ, Nr. 313 (8.7.Ί9 A); "Der Gerichtshof über den Kaiser", DAZ, Nr. 317 (5.7. A); "Die Ausliefeningsfrage", DAZ, Nr. 319 (7.7. M); "Amerika gegen den Kaiserprotest" (sie! Rede: Kaiserprozeß), DAZ, Nr. 320 (7.7. A); "Englische Strömungen gegen den Kaiserprozeß", DAZ, Nr. 326 (10.7. A); "Der Prozeß gegen Wilhelm II.", BT, Nr. 290 (28.6. A); "Amerika angeblich gegen die Verfolgung der 'Schuldigen'", BT, Nr. 292 (30.6. M); "Gegen die Auslieferung des Kaisers", Germania, Nr. 289 (28.6. A); "Die Rachepläne gegen den Kaiser", Germania, Nr. 299 (4.7. A); "Richter Lynch und der Kaiser", Germania, Nr. 306 (7.7. A). Erst im September werden die Meldungen sporadischer. Einigermaßen ungewöhnlich und befremdend mußte

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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einhellig wie zuvor in der Nationalversammlung und ging zum Teil sogar in der Öffentlichkeit so weit, daß den verantwortlichen Ministern inklusive des Reichspräsidenten für den Fall der Auslieferung nach dem Leben getrachtet wurde5. Auch diefrüheren Gegner Wilhelms sahen in der Frage seiner Auslieferung nunmehr eine Frage der nationalen Ehre, in der es gar nicht mehr um die Person Wilhelms ging. Es spricht für den ehemaligen Reichskanzler Bethmann Hollweg, daß er sich sofort nach Bekanntwerden des alliierten Planes der Regierung Scheidemann von sich aus zur Verfügung stellte, um als staatsrechtlich Verantwortlicher für den Kaiser die Auslieferung an die Alliierten auf sich zu nehmen. Scheidemann ging hierauf jedoch nicht ein, da die Publizierung dieses Angebots ein Einlenken in der Auslieferungsfrage allgemein bedeutet hätte6. Neben Bethmann war später auch der bayerische Kronprinz Rupprecht bereit, sich für das Vaterland auszuliefern, ohne damit allerdings den Alliierten das Recht zugestehen zu wollen, die Auslieferung irgendeines Deutschen fordern zu können. Das Echo in der Öffentlichkeit war spärlich und durchaus nicht nur positiv. Letztlich verschwand die Aufregung um diese Angebote ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war7. Immerhin zeigte sich

in dieser Situation ein Offener Brief des Prinzen Heinrich, des Kaiserbruders, an den ihm gut bekannten König Georg wirken (abgedr. BT, Nr. 357, 4.8.'19 M), in dem der anglophile Prinz den König in äußerst insolentem Tonfall ermahnt, er solle einen Prozeß nicht zulassen, da doch die Schuld der englischen Regierung zweifelsfrei erwiesen sei. Im Gegenteil, die englischen Staatsmänner müßten vor Gericht gestellt werden! Zudem drohte der Prinz auch noch mit deutscher Rache. Daß auch in Deutschland sofort Kritik gegen diesen "höchst törichten Brief' (BT, Nr. 372, 12.8.Ί9 M) laut wurde, verwundert nicht. Vgl. auch Bobb: Prinz Heinrich, der Englandhasser, WaM, Nr. 32 (11.8.'19): "Es berührt sympathisch, daß Heinrich sich an seinen Vetter Georg wendet, um das Schicksal seines Bruders Wilhelm zu mildem", doch enthalte sein Brief Vorwürfe, "die eine, gelinde gesagt, unûbertrefïbare Ungeschicklichkeit darstellen, die der Sache Deutschlands zu schaden geeignet ist". 5 So etwa ein Schreiben an das Auswärtige Amt vom 24.6.'19 aus Lüdenscheid, das unverfrorenerweise sogar von drei Personen namentlich unterzeichnet war; PA, WK 31 adh, Bd. 1, A 18772. 6

Bereits am 20. Mai hatte Bethmann Holl weg der Reichsregierung seine Auslieferung telegraphisch angeboten. Hieran Schloß sich ein hektischer Telegrammverkehr an. Scheidemann fragte auch in Versailles nach der Ansicht Brockdorff-Rantzaus, die die seine bestätigte. Aus prinzipiellen Erwägungen lehnte er das Angebot strikt ab. Bethmann Hollweg teilte diese Bedenken nicht, beugte sich aber der Ansicht der Regierung; BA, R43/I, Nr. 803, Bl. 16-25 (enthält den Telegrammwechsel und das Schreiben an Brockdorff-Rantzau), Bl. 125f. (Bethmann an Scheidemann vom 29.5.; akzeptiert Spruch der Regierung), Bl. 269 (Telegramm Bethmanns vom 20.6., erneuert Angebot); R 43/1, Nr. 805, Bl. 2 (Schreiben Bethmanns vom 26.5., lehnt Bedenken ab). Nach Unterzeichnung wiederholte er sein Angebot dann öffentlich; vgl. B. Schwertfeger: Bethmanns Brief an die Entente, DAZ, Nr. 310 (2.7.'19 M). 7 Rupprecht gab seine Erklärung in einem Brief vom 9.12.'19 an den bayerischen Präsidenten des Roten Kreuzes von Bettreich ab (PA, WK adh 4 Nr. 1, Bd. 1). Zur öffentlichen Reaktion hierauf vgl. etwa "Zur Erklärung des Kronprinzen Rupprecht von Bayern in der Auslieferungsfrage", Reichsbote, Nr. 634 (22.12.Ί9).

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

der Zivilist Bethmann damit wieder einmal couragierter als die Militärs, und er unterschied sich insbesondere wohltuend von Ludendorff, dem in der Folgezeit nichts Besseres einfiel, als die verschiedensten Personen auf Grund angeblicher Fehlentscheidungen und Unterlassungen zu immer neuen Sündenböcken zu stempeln8. Von der Haltung Ludendorffs war vor allem Max Weber schwer enttäuscht. Er hatte sich bereits am 14. Mai, also direkt nach Überreichung des Vertragsentwurfes, brieflich an Ludendorff gewandt und angesichts der deutschen Wehrlosigkeit und zum Schutze des Kaisers dringend vorgeschlagen, daß die "sämtlichen Herren des früheren General- und Admiralstabes und die früheren Führer der großen Heeresgruppen sich sofort persönlich durch die Gestellung bei dem amerikanischen Grenzposten in die Kriegsgefangenschaft der Gegner begeben würden"9 unter gleichzeitiger Abgabe einer Erklärung, die die Vorwürfe der Völkerrechtsverletzungen zurückgewiesen hätte. Max Weber kannte Ludendorff nicht persönlich und schätzte ihn offenbar auch nicht sehr zutreffend ein. Auf den Brief erhielt er keine Antwort, und als er nach seiner Rückkehr aus Versailles den General zusätzlich noch aufsuchte, gab dieser ihm im Gespräch sinngemäß eine Götz von Berlichingen-Antwort. Webers Reaktion: "Vielleicht ist es für Deutschland doch besser, daß er sich nicht ausliefert. Sein persönlicher Eindruck würde ungünstig wirken." 10 Diese Beurteilung war sicherlich fundierter als der erste Plan Webers. Eine bessere Haltung zeigte Hindenburg, der sich, wenn auch reichlich spät, an Stelle des Kaisers anbot. Bezeichnend aber auch hier, daß Hindenburg sich einfach direkt an seinen militärischen Gegenspieler Foch wandte und nicht an die für solche hochpolitischen Fragen zweifellos zuständige Reichsregierung11.

8

So kommentierte treffend der Vorwärts, "Ein neuer Sündenbock Ludendorffs", Nr. 472 (15.9/19 A).

9

Eine Abschrift des Briefes im PA, Pol 71, Bd. 1, Bl. 19-22. Vgl. auch Mar. Weber, M. Weber, S. 663; W.J. Mommsen, Max Weber, S. 349f.; und W. Schwengler, Auslieferungsfrage, S. 207ff; wo der gleiche Vorgang geschildert wird. 1 0 11

Mar. Weber, M. Weber, S. 665.

"Hindenburg an Foch", DAZ, Nr. 319 (7.7.'19 M). Den korrekten Weg hatte ein Generalmajor Freiherr von Holzing von der 29. Division eingehalten, als er am 22. Juni an Erzberger telegraphierte: "Um deutsches Volk aus dem Zwang zu schandbarer Entschließung der Auslieferung seiner Truppenführer zu befreien, werden alle Deutschen Generäle zu freiwilliger sofortiger Gestellung vor Gerichtshof des Feindes sicher ebenso bereit sein, wie ich. Meine geringe militärische Bedeutung kann nicht

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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Gefahr drohte Wilhelm in erster Linie von Lloyd George, der die KhakiWahlen vom Dezember 1918 nicht zuletzt mit der Parole "Hang the Kaiser" für sich hatte entscheiden können12. Dennoch überwog langsam aber sicher, je länger das Auslieferungsersuchen auf sich warten ließ, die optimistische - und hier ausnahmsweise ja auch einmal zutreffende - Annahme, die Entente werde letztlich nicht auf einer Auslieferung bestehen. Die politischen und rechtlichen Probleme des Verfahrens wären in der Tat immens gewesen. Nicht nur, daß man Wilhelm auf diese Art postwendend zum Märtyrer stilisiert hätte, nicht nur, daß das ganze Verfahren völkerrechtlich höchst dubios sein mußte: selbst die Auslieferung stand durchaus in Frage, da die neutralen Niederländer sich wahrscheinlich geweigert hätten, den in ihr Land geflüchteten Kaiser den "Rächern und Richtern" auszuliefern. So verlief denn dieser Teil der Auslieferungsfrage bereits nach relativ kurzer Zeit im Sande13. Etwas anders war die Sachlage bei der drohenden Auslieferung deutscher Offiziere für Veibrechen bei ihrer Kriegführung und bei der Gefangenenbehandlung. Ihre Lage war gefährdeter, da kaum einer von ihnen eine auch nur annähernd so symbolträchtige Figur wie der Exmonarch darstellte. Die Oberste Heeresleitung hatte diese Gefahr frühzeitig erkannt und drängte die Regierung mit einer Denkschrift über die "Notwendigkeit der Propaganda über die Schuldfrage während des Krieges" 14, endlich auch in diesem Punkt aktiv zu werden.

verhindern, sie zu entsprechendem Schritt aufzufordern." (BAP, 09.04 Wako, Nr. 469, Bl. 5). Diese Gesinnung ehrte den General; die Einschätzung seiner Standesgenossen entsprach allerdings nicht den Tatsachen. 1 2

Vgl. L.S. Jaffe, Decision to Disarm Germany, S. 120ff.

1 3

Die niederländische Haltung war einer der wenigen Hoffnungsschimmer für Deutschland in dieser Frage; vgl. "Das Asylrecht des Kaisers", DAZ, Nr. 323 (9.7.'19 M); "Holland zur Auslieferungsfrage", DAZ, Nr. 328 (11.7.'19 A). Daran änderten auch nichts die Kautsky-Veröffentlichungen, die zwar von den Niederländern zur Kenntnis genommen wurden, die aber nicht zu einem Wandel der öffentlichen Meinung in der Auslieferungsfrage führten. Sensibler war man für die mögliche Gefahr einer Aufnahme politischer Aktivitäten seitens des Kaisers zur Wiederherstellung einer deutschen Monarchie. Daß ein solcher Versuch durchaus einen Umschwung in den Niederlanden hätte bewirken können, telegraphierte der Gesandte Rosen am 19.12.'19 nach Deutschland; PA, WK adh 4, Bd. 1. 1 4 Die Denkschrift befindet sich im BA, R 43/1, Nr. 803, Bl. 254-256. Der Autor ist nicht angegeben, er wird auch aus dem Begleitschreiben Groeners (Bl. 253, datiert vom 3.6.Ί9) der die Denkschrift warm empfiehlt, nicht ersichtlich. Der Verfasser schlägt ein selbstbewußteres Auftreten vor; die Franzosen schickten als Unterhändler in der Regel Leute, die persönliche Verluste erlitten hätten. Offen sollten auch Fehler eingestanden werden, generell hingegen hätte die deutsche Kriegführung nichts zu befürchten. Um so dringender sei die Behandlung des Themas geboten, das noch völlig unbekannt sei, während "(d)ie Schuldfrage über die Urheberschaft des Krieges ... im wesentlichen geklärt und bekannt" sei (!).

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

Die Aufforderung wäre nicht erst notwendig gewesen. Die Aufmerksamkeit der Reichsleitung ruhte ohnehin schon auf der Auslieferungsfrage, was sich durch wilde Gerüchte, die im Umfeld von Versailles an der Tagesordnung waren, noch verstärkte 15. Wenn man die Kabinettsprotokolle der Regierungen Scheidemann und Bauer, also der Regierungen vor und nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, miteinander vergleicht, fällt einerseits sofort die große Bedeutung der Kriegsschuldfrage für beide ins Auge. Während es aber bei Scheidemann eher die Frage der Taktik für Versailles ist, die im Zentrum steht, ist es bei Bauer die Auslieferungsfrage, die Thema zahlreicher Kabinettssitzungen wird 16 . Erschwert wurde die Behandlung der Auslieferungsfrage noch dadurch, daß der Regierung für den Fall von Auslieferungen deutscher Offiziere immer unverhüllter mit Unruhen in der Reichswehr oder gar einem Putsch gedroht wurde. Zuschriften an das Auswärtige Amt und Artikel in rechtsgerichteten Blättern überboten sich wechselseitig in einem von militantem Geist strotzenden Tonfall 17. Das Ziel der Reichsregierung war klar: trotz der Unterzeichnung des Friedensvertrages sollte kein Deutscher an die Entente ausgeliefert werden. In der Taktik wurde dabei mehrgeleisig verfahren. Zum ersten wurde eine private Kommission von Pazifisten mit der Untersuchung der Anklagen zur Kriegführung betraut. Der Anklang an die Versailler Professoren-Denkschrift ist offensichtlich, wenn auch die neue Kommission nicht entfernt die Bedeutung ihrer Vorgängerin erlangen sollte18. Zum zweiten sollte die

1 5 So wollte etwa ein "zuverlässiger Vertrauensmann" die Auslieferungsliste der Engländer eingesehen haben, wie der Gesandte Rosen in zwei hektischen Telegrammen vom 1.7. und 7.7.'19 berichtete; PA, WK adh 4 Nr. 1, Bd. 1. 1 6

Vgl. die Protokolle bei A. Golecki, Kabinett Bauer, die in fast jeder Sitzung - auch noch des Jahres 1920! - die Auslieferungsproblematik als Thema ausweisen. Dagegen standen im Kabinett Scheidemann die Kriegsschuldfrage im engeren Sinne und die Frage der Veröffentlichung der Dokumente im Vordergrund; vgl. H. Schulze, Kabinett Scheidemann, passim. 1 7 Zahlreiche Schreiben dieser Art sind im PA, WK adh 4 Nr. 1, Bd 1, gesammelt Vgl. auch "Die Entscheidung in der Auslieferungsfrage", Correspondenz der Deutschnationalen Volkspartei, Nr. 296 (23.12/19); "Die Entscheidung in der Auslieferungsfrage", Reichsbote, Nr. 638 (24.12/19); "Die Pharisäer", WeserZeitung, Nr. 3 (2.1/20); "Die Auslieferungsfrage", Die Post, Nr. 10 (4.1/20). Wenige Wochen später entstand auf diesem Boden der erste größere Umsturzversuch der Weimarer Republik, der Kapp-Putsch. Generell zur Auslieferungsfrage vgl. die enorme Sammlung von Zeitungsartikeln im BAP, 61 Re 1 Reichslandbund Pressearchiv, Bd. 9059 u. Bd. 9060. Als Darstellung erschöpfend W. Schwengler, Auslieferungsfrage, passim

18

1 Ein Schreiben von Dr. Elisabeth Rotter u.a. an Scheidemann, dat. Berlin 6.6/19, findet sich in BA, R 43/1, Nr. 803, Bl. 266. Hier bieten sich die Autorin und Harden, Einstein, Helene Stöcker und H.v. Gerlach neben anderen Unterzeichnern für diese Zwecke an. Wie eine Notiz v.Haniels vom Auswärtigen Amt vom 7.7/19 (ebd., Bl. 314) ausweist, hatte die Kommission bereits Material zu ihrem Thema erhalten.

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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Einleitung von Verfahren vor dem Leipziger Reichsgericht gegen angebliche Kriegsverbrecher zeigen, daß auch von deutscher Seite sehr wohl Aktivitäten ergriffen wurden, die eine Auslieferung überflüssig machten. Damit wurde der Gedanke des Staatsgerichtshofes, der seit den Revolutionstagen immer wieder aufgeworfen wurde, in anderer Form realisiert. In den folgenden Jahren kam es auch wirklich zu einer Reihe von Verfahren und sogar Verurteilungen vor diesem Gericht 19. Und zum dritten mußte Vorsorge für den Fall getroffen werden, daß alle Präventivmaßnahmen eventuell nichts fruchteten und die Entente die Auslieferungen forcieren würde. Gelegentlich wurde zwar öffentlich behauptet, daß eine Auslieferung von Offizieren und Beamten schon deshalb nicht erfolgen könne, weil damit die Entente faktisch gezwungen sei, eigenständig die Verwaltung Deutschlands zu übernehmen. Aber Spekulationen dieser Art waren eher in wilden Zeitungsartikeln und an Stammtischen beliebt 20 ; sie konnten nicht die Grundlage der Regierungspolitik bei diesem heiklen Thema sein. Man sah sich genötigt zu reagieren und richtete im Auswärtigen Amt eine "Hauptstelle zur Verteidigung Deutscher vor feindlichen Gerichten" ein. Schon am 4. Oktober 1919 kam es zu einer als geheim eingestuften Aussprache mit 43 Rechtsanwälten, die bereit waren, gegebenenfalls die Verteidigung zu führen 21. Leiter war der Geheime Legationsrat z.D. Wedding, und erneut war man darauf bedacht, daß diese Behörde nach außen einen definitiv nichtamtlichen Anstrich erhielt. Durch diese sorgfältig vorbereiteten und geplanten Aktionen seitens der Reichsregierung hoffte man auch, eine wild wuchernde Diskussion in Deutschland über das angemessene Verhalten in der Auslieferungsfrage zu

1 9 Eine Sammlung von Presseberichten über die Prozesse wegen Gefangen enmißhandlungen, Grausamkeiten bei der Kriegführung, v.a. durch U-Boote und über die Wirkung im Ausland im BA, ZSg 103, Nr. 135. 2 0 2 1

Vgl. etwa "Die Auslieferung", Magdeburger Zeitung, Nr. 911 (23.12.Ί9).

"Vertrauliche Aussprache von deutschen Rechtsanwälten, die sich zur Verteidigung der nach den Artikeln 228 bis 230 des Versailler Friedensvertrags an die feindlichen Gerichte auszuliefernden Deutschen bereit erklärt haben", 4.10. ' 19, Archivsaal Berliner Schloß (die immerhin 42 S. umfassende Aufzeichnung im GSA, Rep. 84a, Nr. 11763). Prominenteste Teilnehmer waren der DDP-Abgeordnete Dr. Bruno Ablaß und der bekannte Staatsrechtler Prof. Heinrich Triepel. Alle erwarteten, daß die Auslieferung bald erzwungen sein werde. Die Verteidigung wurde nach Sprachkenntnissen verteilt, Triepel übernahm die Zuständigkeit für Völkerrechtsfragen. Die Honorare sollten vom Auswärtigen Amt finanziert werden, auch wenn einige Verteidiger betonten, daß die "Erfüllung einer vaterländischen Pflicht" (Dr. Wallach, S. 36) kostenlos geschehen solle.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

verhindern. Es wurde befürchtet, dadurch die alliierten Bestrebungen nur zu nähren 22. Weiterreichende Vorschläge, die etwa auf Anfertigung einer deutschen Gegenliste von Kriegsverbrechern der Entente hinausliefen, wurden dementsprechend auch von offizieller Seite nicht aufgegriffen. Die Erfahrungen mit dem aggressiven Vorgehen Brockdorff-Rantzaus in Versailles waren anscheinend nicht so gewesen, daß man es auf eine Wiederholung ankommen lassen wollte. Neben der Auslieferungsfrage stand in der zweiten Jahreshälfte 1919 die "allgemeine" Kriegsschuldfrage im Blickpunkt, die in Art. 231 ihren magischen Anknüpfungspunkt fand. Zunächst überschlugen sich geradezu die Memoiren der politischen und militärischen Akteure aus der Kriegszeit. Graf Pourtalès, Jagow und Helfferich hatten schon vorher ihre Erinnerungen herausgebracht 23, Bethmann Hollweg, Ludendorff und Tirpitz legten jetzt ihre zum Teil wesentlich früher geschriebenen Werke der Öffentlichkeit vor. Die Verzögerung der Publikation hatte sicherlich einen Grund darin, daß man vor Abschluß des Friedensvertrages der Entente nicht noch eventuelle Zusatzargumente aus der Feder ehemals führender Staatsmänner Deutschlands liefern wollte. Insofern kamen die Autoren auch den Wünschen und der Politik der Reichsregierung entgegen. Daneben aber belauerten sich die ehemals Verantwortlichen, die füreinander alles andere als kollegiale Solidarität empfanden, auch gegenseitig. Derjenige, der mit seinen Memoiren voranpreschte, trug auch das erste Risiko; wer noch abwartete, konnte seine Erinnerung und seine damalige Rolle auch im Lichte bereits vorgelegter Veröffentlichungen korrigieren und rechtfertigen. Insbesondere Tirpitz' Erinnerungen hatten eigentlich bereits im Frühjahr erscheinen sollen. Als sie Ende September herauskamen, wurden sie von dem Ruf begleitet, "Tirpitz wolle erst abwarten, was seine Kollegen ausplauderten, um dann sein Gedächtnis entsprechend zu revidieren" 24. Auch sonst war das Echo auf die Erinnerungsbücher

11 Deutlich wird dieses Bestreben etwa im Schreiben Weddings an die Redaktionen der DTZ, der DAZ und des BT von Anfang Januar 1920 (PA, WK adh 4 Nr. 1, Bd. 1), wo um Zurückhaltung seitens der Zeitungen gebeten wird. Vgl. zustimmend F. Thimme: Das erste Memoiren-Trio, von Jagow - Graf Pourtalès - Helfferich, in: DP, 4. Jg. Nr. 22 (30.5.Ί9), S. 688-694. 2 4 L. Persius: "Tirpitz' Erinnerungen", BT, Nr. 461 (30.0.'19 A). Die wichtigsten der Erinnerungsbücher sind neben den "Erinnerungen" von Tirpitz (Leipzig 1919) Th.v. Bethmann Hollweg: Betrachtungen zum Weltkriege, 1. Bd.: Vor dem Kriege, Berlin 1919 (2. Bd.: Während des Krieges, Berlin

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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eher negativ. Es begann schon mit den faktischen Ungenauigkeiten, die sich in alle Bücher eingeschlichen hatten. Jagow nannte später in einem Brief an Tönnies einen plausiblen Grund für diese Fehler: "Meine Schrift 'Ursachen u[nd] Ausbruch des Weltkrieges· habe ich seinerzeit leider ohne Einblick in unsere Akten geschrieben, und nach mehr als 4 Jahren ist das Gedächtniß über alle Einzelheiten einer so bewegten Zeit, in der sich die Depeschen etc. überstürzten, nicht mehr ganz stichhaltig." 25 Aber noch ein weiterer Grund führte dazu, daß diese Memoiren allesamt unergiebig blieben. Neigen Memoiren ohnehin schon zu einem verklärten Blick auf die Vergangenheit, ist dies nach einem verlorenen Weltkrieg noch stärker der Fall. Die Politiker legten deshalb ihren Friedenswillen und ihre Unschuld am Kriegsausbruch dar, die Militärs ihre Unschuld am Kriegsausgang. Tirpitz bescheinigte Bethmann und Jagow freundlich ihren Friedenswillen, zugleich aber auch ihre völlige Unfähigkeit. Die Stirn, mit der Tirpitz seine Flottenpolitik als "ein Mittel zu wesentlicher Verbesserung der Beziehungen" zu England (!) anpries, suchte ihres-

1922); G.v. Jagow: Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges, Berlin 1919; E. Ludendorff: Meine Kriegserinnerungen 1914-1918. Mit zahlreichen Skizzen und Plänen und einem Bildnis, Berlin 1919. 2 5 Handschriftlicher Brief Jagows an Tönnies vom 13.12.'19, Landesbibliothek Kiel, NL Tönnies, Cb 54:56. Über Ludendorffs Erinnerungen schrieb Hans Delbrück am 3.9.Ί9 an seine Frau: "Das Buch ist flott geschrieben, zeigt aber das Gegenteil eines wirklich großen Mannes, es strotzt von Trivialitäten und ist innerlich unwahr. Hindenburg wird ganz in die Ecke gestellt." (BA, NL Delbrück, Nr. 78, S. 299). Ähnlich urteilte N.: Ludendorffs Kriegserinnerungen, FZ, Nr. 613 (20.8.Ί9, 2.M) über erste Auszüge aus dem Buch, die von rechten Blättern veröffentlicht wurden: "Nach diesen Auszügen zu urteilen ist das Ludendorff sehe Werk alles, nur nicht das, als was eines der Blätter es rühmt: eine Geschichtsquelle ersten Ranges. Es ist so subjektiv, daß es wie eine Partei- und Streitschrift wirkt und zwar wie eine, die man schon gelesen zu haben glaubt, denn alles, was man die langen Jahre hindurch in alldeutschen Organen und Broschüren über das Versagen der Heimat, über die Schwäche und den Unverstand der politischen Leitung, über ohnmächtige Reichskanzler, denen der Willen zum Sieg ebenso gefehlt habe wie der Glaube an die deutsche Volkskraft, gelesen hat, das findet sich beinahe wörtlich in Ludendorffs Werk wieder. ... Das Volk ist schuld, seine Vertreter sind schuld, die Regierung ist schuld - nur die Heeresleitung ist nicht schuld!" Kaum günstiger war das öffentliche Urteil über Bethmanns Buch. Etwa "Spottet seiner selbst!", WaM, Nr. 35 (1.9.Ί9): "Allerdings ist die Lektüre eine gewisse Zumutung. Die Erinnerungen unseres 'leitenden' Staatsmannes gemahnen in ihrer Trockenheit und Oberflächlichkeit an einen durchschnittlichen Sekundaneraufsatz." Noch schärfer B. Guttmann: Bethmann Hollwegs Betrachtungen, BT, Nr. 702 (21.9.Ί9, l.M): "Einen verschleierten, negativen, stumpfen Stil hat dieses Werk, man hat beim Lesen einen Geschmack wie wenn man Watte kaute." Das Ideal Bethmanns sei eine ruhige Bürokratie, "Ausgleich, Anpassung, das ist die Parole dieses Staatsmannes", der gekennzeichnet sei durch "Gefühls- und Willensschwäche, die sich als reife Weisheit drapiert hat".

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

gleichen26. Über das Niveau der Dreieinigkeit aus Einkreisungspolitik, Panslawismus und Revanchegedanken reichten die Analysen nicht hinaus. Daß gerade beide Politiker die russischen Mobilmachungen für den Kriegsausbruch verantwortlich machten und in ihren Kriegserklärungen nur einen Reflex darauf sahen, versteht sich fast von selbst. Gleichwohl ist es für den verantwortlichen Leiter der deutschen Politik ein Armutszeugnis, wenn er den Einmarsch in Belgien nur damit rechtfertigen kann, daß es die "politische Ausführung eines militärisch als notwendig erkannten Entschlusses gewesen"27 sei. Nicht viel besser ist es, wenn Jagow schreibt - und dies als Entschuldigung ansieht! -: "Deutschland, der Kaiser, der Kanzler und alle verantwortlichen Leiter haben den Krieg nicht gewünscht. Die Kriegserklärung ist ein formaler Akt (sie!), der sich aus strategischem Zwang (sie!) - wie hier aus der russischen Mobilisation - ergeben kann." 28 Bismarcks Primat der Politik ließ sich in solchen Worten nicht wiedererkennen! Den Memoiren folgte eine Flut von Veröffentlichungen, die in aller Regel die Rechtfertigung der deutschen Politik auf die nunmehr vorgegebenen apologetischen Schlagworte reduzierten und diese gebetsmühlenartig wiederholten. Bülow, der zuständige Fachmann im Auswärtigen Amt, urteilte über eines dieser Elaborate, es sei "(s)ehr schwach", weil der Rechtfertigungsversuch "zu deutlich" ist. Bülow hatte aber auch einen Trost parat; solche Veröffentlichungen würden nichts schaden, "da sie niemand lesen wird" 29 . Das mochte richtig sein, aber Nutzen brachten sie zumindest auch nicht, zumal die Bereitschaft der Entente, die Schuldfrage noch einmal aufzugreifen, ohnehin ausgesprochen gering war.

A.v. Tirpitz, Erinnerungen, S. 167. Eine Gefahr für Deutschland bestand "einzig in der verhängnisvollen Mittelmäßigkeit im Amt befindlicher Politiker" (S. 208). Es war ein schwerer Fehler, nicht auf den Konferenzvorschlag Greys einzugehen: "Wie sind solche diplomatischen Fehler in schicksalsschwerer Stunde zu erklären? Sie sind nur verständlich aus den allgemeinen Wesenszügen des politischen Systems, das wir seit 1909 an der Spitze des Reiches hatten. Es handelte sich zwar um die Vermeidung eines Weltkrieges, aber da ein königlich preußisches Kreisgericht sicherlich entschieden haben würde, die gerechte österreichische und die ungerechte serbische Sache wären eine rein österreichisch-serbische Angelegenheit, so war Greys anders lautender Vorschlag eben als gegenstandslos aufzufassen" (S. 217). E. Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 4f., beschuldigt gleichfalls die politische Führung. 2 7

Th.v. Bethmann Hollweg, Betrachtungen, 1. Bd., S. 168.

2 8

G.v. Jagow, Ursachen, S. 180.

2 9

Bülows Notiz ist im PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 20. Der Anlaß war das Buch des ehemaligen Militârattachés in Rußland, Bernhard von Eggeling: "Die russische Mobilmachung und der Kriegsausbruch. Beiträge zur Schuldfrage am Weltkriege, Oldenburg i.Gr. u. Berlin 1919.

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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Neben den Memoiren begann jetzt auch die Zeit der Akteneditionen. Den Anfang machten jedoch nicht die Deutschen; das Kabinett scheute noch immer vor der Veröffentlichung zurück, wie schon seit März. Statt dessen waren es zunächst die Wiener Akten, deren Veröffentlichung im September für gehöriges Aufsehen in Deutschland sorgte30. Überraschend kam diese Publikation für die Reichsregierung aber keineswegs; vielmehr war sie sorgfaltig und von langer Hand in enger Absprache zwischen Wien und Berlin vorbereitet worden. Die unverhoffte Chance hierzu erhielt das Auswärtige Amt bereits Ende April, als sich der Siebenbürger Sachse Dr. Gooss erbot, amtliche Dokumente nach Berlin zu senden, die zumindest die Vermutung nahelegten, daß man am Ballhausplatz günstigstenfalls äußerst leichtfertig mit dem Krieg gespielt bzw. ihn direkt angesteuert habe und daß Deutschland keineswegs seinen Verbündeten vorangetrieben habe31. Dies alles geschah mit Billigung der österreichischen Nachkriegsregierung, die sich der Vergangenheit deutlich offener stellte, als man dies von ihren deutschen Kollegen sagen kann. Das Wiener Kalkül dürfte dahin gegangen sein, daß die Vereinigung Deutschösterreichs mit dem Reiche ohnehin kurz bevorstehe, daß es also jetzt darauf ankomme, Deutschland nach Kräften zu entlasten, während die Vergangenheit Österreich-Ungarns wirklich bereits der Vergangenheit angehöre. Im Berliner Auswärtigen Amt sah man die Möglichkeit, durch das Angebot von Gooss einen Umschwung der Stimmung zugunsten Deutschlands - wenn auch auf Kosten des ehemaligen Partners Österreich - herbeizuführen und drängte auf eine schnelle Überprüfung der Akten 32 . Am 9. Mai hatte man sich

3 0 R. Gooss: Das Wiener Kabinett und die Entstehung des Weltkrieges. Mit Ermächtigung des Leiters des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Äußeres auf Grund aktenmäßiger Forschung dargestellt, Wien 1919. Das Echo in Deutschland war groß; vgl. E. Dombrowski: Die Schuld des Grafen Berchtold, BT, Nr. 444 (21.9.Ί9 M); "Die Kriegsschuld des k.u.k. Kabinetts", ebd., "Zu den Wiener Enthüllungen", FZ, Nr. 704 (22.9.Ί9 M); LA, FZ, Nr. 705 (22.9/19 A); LA, FZ, Nr. 711 (24.9.Ί9 A). Alle diese Artikel kommen zu wenig schmeichelhaften Urteilen über die Wiener Politik. 3 1 Der Kontakt wurde hergestellt mit dem Telegramm des Gesandten Wedel aus Wien vom 26.4.Ί9, in dem dieser das Angebot von Gooss, Material vorzulegen, das die "Perfidie der österreichischen Diplomatie" zeige, nachhaltig befürwortet; PA, WK adh 4, Bd. 15, Bl. 50. Vgl.zum folgenden auch P. Gnipp, Deutsche Außenpolitik, S. 99f.

Der Schriftwechsel entwickelte sich rasch. Am 30. April telegraphierte Langwerth der Friedensdelegation, daß die anfängliche Skepsis gegenüber der Veröffentlichung der Wiener Akten in Österreich überwunden und daß Staatssekretär Bauer bereit sei, Gooss mit dem entsprechenden Material nach Berlin oder Versailles zu schicken (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 4). In einem fast enthusiastischen Telegramm vom folgenden Tag berichtete Langwerth die Auffassung der Wiener Botschaft, daß das Goosssche Material sehr geeignet sei, starken Eindruck auf die Öffentlichkeit der Ententeländer auszuüben. Die Auslassungen Muehlons, die dort im Krieg sehr gewirkt hätten, seien nun schlagend widerlegt (ebd., Bl. 3). Für Langwerth waren die Wiener Akten der wichtigste Trumpf für die Verhandlungen auf der Friedenskonferenz, die es unbedingt auszuspielen galt

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

in Berlin gründlich davon überzeugt, daß die Akten die österreichische Politik und deren Verantwortliche, allen voran Graf Berchtold, in einem schlechten Lichte erscheinen ließen33, und Langwerth konnte an Brockdorff-Rantzau die "Ganz geheime" Mitteilung senden, daß Gooss samt den Wiener Akten zur Unterstützung der Friedensdelegation nach Versailles reisen werde, wo der Außenminister das Material persönlich in Augenschein nehmen könne34. Die Akten waren soweit aufbereitet, daß eine Veröffentlichung bei Bedarf sofort möglich gewesen wäre. Trotz der offenkundig erfolgreich verlaufenden Zusammenarbeit zwischen Gooss und der deutschen Delegation unterblieb dies jedoch zunächst. Anders als das Auswärtige Amt in Berlin glaubte die Delegation nicht, daß eine vorzeitige Veröffentlichung wirklich einen Meinungswandel bei den alliierten Vertretern auf der Konferenz bewirken könnte; sie wollte ihr Material nicht vor der Entente, sondern gleichzeitig mit ihr preisgeben. Auch das Kabinett war der Ansicht, daß man nicht durch vorzeitige Akteneinsicht den Alliierten eventuell Material in die Hände spielen sollte. Der Gesandte Wedel regte an, daß man die Berliner und die Wiener Akten nur zusammen veröffentlichen sollte, um durch einen direkten Vergleich den Unterschied besonders kraß deutlich zu machen und letztlich "so rein da[zustehen], wie weißgewaschene Mädchen"35. Unausgesprochen stand hinter allen diesen Überlegungen die Einsicht, daß die Akten Gooss1 immer noch soviel auch Deutschland belastendes Material enthielten, daß in der hitzigen Versailler Atmosphäre eine Veröffentlichung möglicherweise wie ein Bumerang wirken könne. Außerdem war man sich nicht mehr so sicher, ob es für die Entente wirklich einen Unterschied bedeuten konnte, ob nun Deutschland oder Österreich der

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Angeregt durch die Arbeit von Gooss wurde W. Fraknói: Die ungarische Regierung und die Entstehung des Weltkrieges. Auf Grund aktenmäßiger Forschung dargestellt, Wien 1919. Der Autor kommt zu dem leicht abweichenden Schluß, daß nicht Berchtold, sondern Tisza der Schuldige war auch damit konnte man in Berlin bestens leben. 3 4 Das Telegramm findet sich PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 57. 3 5 Wedel mahnte in seinem Schreiben vom 6.5.Ί9 an Langwerth (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 84-84) aber gleichwohl zur Eile, um die günstige politische Konstellation in Österreich zur Veröffentlichung zu nutzen. Um die Schuldabwälzung für den ehemaligen Bündnispartner erträglicher zu machen, riet Wedel dazu, die Rolle Ungarns besonders zu betonen: "Hier muß man die Sache auf die ungarische Ära in der auswärtigen Politik schieben. Berchtold ist Ungar, was im Auslande wenig bekannt ist. Seine Hauptmitarbeiter in dieser Sache (Forgach das Hauptkarnickel) (sie!) und Musulin sind ebenfalls Ungarn. Von den beteiligten Botschaftern sind alle Ungarn, mit Ausnahme von Mensdorff, der für den Frieden wirkte. Wenn dieses in der Einleitung hervorgehoben wird, so stehen schließlich nicht nur Deutschland, sondern auch Österreich als Opfer der ungarischen Macher da."

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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eigentliche Verursacher des Krieges war, da sie die Mittelmächte einheitlich als Feinde betrachtete. Die Motive unterschieden sich, doch im Ergebnis war man sich einig: die Wiener Aktenpublikation wurde bis auf weiteres verschoben. Als sich auch noch die Spannungen zwischen dem Kabinett und Brockdorff-Rantzau wegen der zu verfolgenden Konferenzstrategie ausweiteten, sah man sich in Berlin genötigt, den sehr eigenständig agierenden Grafen auch in dieser Frage an die Richtlinien Berlins zu erinnern. Am 14. Mai telegraphierte Langwerth an Rantzau, daß die Kenntnis der Wiener Akten für das Kabinett nichts an der besprochenen Konferenzstrategie ändere und daß auch die Friedensdelegation davon Abstand nehmen solle, ihr offensives Vorgehen auf der Grundlage der Wiener Akten - sozusagen als Joker in der Hinterhand - fortzuführen. Bülow wie auch Brockdorff-Rantzau selbst beeilten sich dann auch zu betonen, daß "die interessanten Enthüllungen Dr. Goos (sie!) uns weder beeinflußt haben, noch verwandt werden sollen". Da die Delegation und ihr Leiter sich dieses Mal auch an die Zusage hielten, war damit zunächst ein Schlußstrich unter die Debatte um die Veröffentlichung der Wiener Akten gezogen36. Einen Monat später wurde die Frage erneut aufgegriffen. In Wien hatte man genau registriert, wie unbeeindruckt die Entente von den deutschen Bemühungen geblieben war, die Schuldfrage aufzurollen und durch Gegenvorschläge und Zugeständnisse Erfolge in der "Notenschlacht" für sich zu verbuchen. Dies mußte in Österreich Zweifel daran aufkommen lassen, ob die Veröffentlichung der Akten wirklich die richtige Strategie gegenüber den Alliierten war; um so mehr, als auch die Sicherheit zu schwinden begann, ob eine baldige Vereinigung mit Deutschland wirklich möglich sein würde. Eine Aktenveröflfentlichung hätte also möglicherweise Deutschland nichts genützt, wohl aber den Kleinstaat Österreich, der ohnehin von allen Lebensadern abge-

3 6 Das Zitat ist aus dem Schreiben Bülows an Langwerth vom 15. Mai (PA, Pol 7, Bd. 1, Bl. 9091). Am gleichen Tag telegraphierte auch Brockdorff-Rantzau (ebd., Bl. 93); das Telegramm aus Berlin vom Vortag ist ebd., Bl. 92. In den folgenden Tagen wurden nur noch technische Details einer möglichen, wenngleich nicht abzusehenden Veröffentlichung zwischen der Friedensdelegation und Gooss sowie zwischen der Delegation und dem Auswärtigen Amt abgesprochen, wobei hauptsächlich Umfang und Finanzierung einer Publikation erörtert wurden; vgl. ebd., Bd. 2, Bl. 19-20, 21, 30 u. 31. Wenn Langwerth am 27.5. an Nadolny schrieb, daß Brockdorff-Rantzau für eine baldige Veröffentlichung der Akten sei, entspricht das nicht ganz den Tatsachen; es sei denn, daß man "baldig" so interpretiert, daß es zusammen mit den Akten der Ententestaaten geschehen sollte - und das konnte dauern; BAP, 06.01 Präsidialkanzlei, Nr.,670, B1.100.

13 Dreyer/Lembcke

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

schnitten war, zusätzlich schwer belastet. Diese aufkeimenden Bedenken blieben natürlich auch den Deutschen nicht verborgen 37. Auch wenn man sich auf deutscher Seite während der Friedenskonferenz nicht für eine Veröffentlichung entscheiden konnte, so bestand doch im Grunde Einigkeit darüber, daß mit dem Ende der Konferenz die für Deutschland ja durchaus positiven Wiener Akten im Rahmen der anstehenden Revisionspropaganda verwertet werden sollten. Wenn die österreichischen Zweifel an der Veröffentlichung nicht in eine definitive Absage umschlagen sollten, schien ein entschlossenes Vorgehen geboten, das nach dem Bekanntwerden der Mantelnote auch wie selbstverständlich einsetzte. Die Frage, die jetzt mit dem Ultimatum der Entente hinsichtlich der Aktenpublikation im Vordergrund stand, war die Bestimmung des geeigneten Druckortes. Man plante für den Fall der Nichtunterzeichnung, daß Gooss den Druck der Akten in Berlin leiten solle; beim Abschluß eines Friedens hingegen wurde Wien als Druck- und Publikationsort bestimmt, um so den Anschein eines von deutschen offiziellen Stellen unabhängigen Vorgehens zu erwecken38. Nachdem die erste Welle der Empörung unmittelbar nach Versailles abgeebbt, der Friedensvertrag seit zwei Monaten unterschrieben und auch die letzten Bedenken ausgeräumt waren, daß ein Wechsel der verantwortlichen politischen Kräfte in Wien eine Drucklegung noch verhindern könnte, erschienen endlich im September die Wiener Akten in der Edition von Gooss. Der Erscheinungsort war wie vorgesehen Wien, nach außen trat die deutsche bestimmende Mitwirkung an dem ganzen Projekt nicht in Erscheinung. Trotzdem entsprach außerhalb Deutschlands die Resonanz nicht der erhofften Wirkung; ein Phänomen, mit dem die deutsche Revisionspolitik noch häufiger zu kämpfen hatte. In den Ententeländern wurde die Edition fast nicht zur Kenntnis genommen, und wenn, dann nicht in dem gewünschten, Deutschland entlastenden Sinne. Selbst in der Wiener Presse klafften tatsächliche Reaktion und gewünschter Eindruck auseinander, weil man offenkundig nicht mehr "der aller Kriegsschulderörterungen herzlich müden Bevölkerung"39 ein neuerliches Schuldspektakel liefern wollte. So mußte man sich in Deutschland

3 7 So telegraphierte Wedel einen Tag vor der Mantelnote der Alliierten, die auch fur die Österreicher einen Schock bedeutet haben dürfte, daß Staatssekretär Bauer nunmehr Bedenken gegen die generell geplante Drucklegung hege; PA, WK adh 4, Bd. 16, Bl. 190. 3 8

Vgl. hierzu die ungezeichnete Aktennotiz vom 20.6.Ί9; PA, Pol 7, Bl. 1, Bl. 178.

3 9

So ein Schreiben Stoibergs an das Auswärtige Amt vom 28.9/19; PA, WK adh 4, Bd. 20, Bl. 15-16.

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damit zufrieden geben, angeblich beweisen zu können, daß Deutschland die Wiener Staatsmänner keineswegs gedrängt habe - damit ließen sich wenigstens nach innen die Wunden von Versailles balsamieren und der Geist der anstehenden Revisionspropaganda stärken. In der deutschen Kriegsschulddiskussion im Halbjahr nach Versailles konnten drei Positionen eingenommen werden: Auf den Extremen wurde Deutschland von jeder Schuld am Kriege freigesprochen oder mit aller Schuld belastet. Dazwischen lag eine vermittelnde Position, die die Schuld in wechselnden Portionen zwischen Deutschland und der Entente verteilt sehen wollte. Die Alleinschuldthese wurde nur von wenigen pazifistischen und sozialistischen Autoren vertreten. Sie ist nicht mit den Folgerungen der Mantelnote zu verwechseln, alle bekannten deutschen Pazifisten wie Foerster, Gerlach, Quidde, Wehberg und Schücking hatten sich unmißverständlich gegen den Versailler Gewaltfrieden ausgesproche, da dieser "bestem" Militarismus entsprach; in Weimar hatten Schücking und Quidde entscheidenden Einfluß auf das ablehnende Votum der DDP-Fraktion ausgeübt. Aber in der Kriegsschuldfrage schieden sich die Geister. Quidde vertrat eine sehr moderate Linie, und Schücking ließ sich als Mitherausgeber der "Deutschen Dokumente" in die offiziösen Revisionsbemühungen einreihen. Dagegen beharrte etwa Foerster unerschrocken darauf, daß der preußisch-militaristische Geist für die Katastrophe verantwortlich gemacht werden müsse; und zwar bereits für die Jahrzehnte vor Kriegsausbruch: "Die Ära Bismarck und der Weltkrieg sind untrennbar voneinander, wie Ursache und Wirkung." 40 Foersters Bücher sind mit tiefem christlich-pazifistischen Pathos geschrieben, ihr gesinnungsethischer Radikalismus geht noch weiter als bei den meisten seiner pazifistischen Kollegen. Dennoch sind sie in ihren Sachaussagen den Anklagen der Entente zum Verwechseln ähnlich. Der preußische Militarismus, die Forcierung der Julikrise durch Deutschland, das Herunterspielen der russischen Mobilmachung, die Schuld im Kriege und zum Schluß noch die angesichts von Brest-Litowsk nicht unbegründete Feststellung, "daß

4 0

Fr.W. Foerster, Mein Kampf, S. 51.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

der Versailler Friede immer noch weit milder war als das, was ein deutscher Friede über die Besiegten gebracht hätte"41 - dies alles kam den deutschen Nationalisten aus der Entente-Propaganda bekannt genug vor und ließ in ihren Augen Foerster zum Vaterlandsverräter werden. Daß dabei die völlig anders gelagerten ethischen Beweggründe unberücksichtigt blieben, ist im Feuer nationaler Empörung nicht verwunderlich. Auch ein Hans Delbrück ließ es sich nicht nehmen, entgegen seiner sonst durchaus differenzierten Sichtweise kräftig ins Horn der einseitigen Kritik am Pazifismus im allgemeinen und Foerster im besonderen zu stoßen42. Weniger an dieser externen Kritik als an der heftigen inneren Auseinandersetzung über diese Fragen und die damit in Verbindung stehenden der Rolle Deutschlands mit seinem kleinen Berufsheer im waffenstrotzenden Europa ist der organisierte Pazifismus der Weimarer Republik zerbrochen 43. Die andere Extremposition nahm volltönend die "nationale" Opposition gegen die Republik ein. Die "Alleinunschuldsthese" war angesichts der inzwischen bekannt gewordenen Details aus den deutschen Akten wie angesichts der wechselseitigen Beschuldigungen der Hauptakteure von 1914 einigermaßen schwierig zu behaupten. Wer allerdings die Scheuklappen der Kriegszeit noch nicht abgelegt hatte und nun zusätzlich den Stachel des Art. 231 in

4 1 Ebd., S. 32. Und S. 185: "Die Jasager zum Hindenburgfrieden, zum Frieden von Brest-Litowsk und von Bukarest nun plötzlich über den 'Gewaltfrieden' von Versailles zetem zu hören, war einfach unerträglich." Auch das Geschrei über die Hungerblockade war "elende Heuchelei" (S. 192), hatten wir doch selbst blockiert. Die Blockade hat sogar den Krieg verkürzt, da sie "dem O.H.L.-Wahnsinn ein Ende setzte" (S. 195). 4 2 Vgl. Fr.W. Foerster: Zur Frage der deutschen Schuld am Weltkrieg, in: Pr.Jbb., 178. Bd. (1919), S. 117-129; mit dem scharfen Nachwort Delbrücks hierzu, S. 130-137. Dies trug Delbrück ein briefliches Lob Max Webers ein: "An Foerster ist Hopfen und Malz verloren. Die professionale Eitelkeit des Mannes, durch Schweizer Schmeicheleien aufgepeitscht, ist gegen das eigene Vaterland interessiert. Da ist nichts zu machen, aber Ihr Verdienst ist darum nicht minder groß" (BA, NL Delbrück, Nr. 78, Bl. 340f., Brief v. 8.10.'19). Ebenfalls im BA, NL Thimme, Nr. 54, findet sich ausgedehntes polemisches Material gegen Foerster. Man halte sich vor Augen, daß alle diese Äußerungen keineswegs von Rechtsextremen kamen! Selbst noch in der Bundesrepublik, in der Foerster heute fast unbekannt ist - er starb erst 1966 mit 97 Jahren - setzte sich dies fort; Bundespräsident Heuss verweigerte dem bedeutendsten deutschen Pädagogen seiner Zeit das Bundesverdienstkreuz. Zu Foerster siehe M. Dreyer, Föderalismus, S. 525ff.; und die Angaben in der folgenden Anmerkung. 4 3 Zum Pazifismus in der Weimarer Republik vgl. K. Holl, W. Wette (Hg.): Pazifismus in der Weimarer Republik, Paderborn 1981 (v.a. die Einleitung von Wette, S. 9-25, und H. Donat: Die radikalpazifistische Richtung in der Deutschen Friedensgesellschaft 1918-1933, S. 27-45); D. Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung, S. 143ff. und speziell zur Kriegsschuldfrage S. 150f.; und F.-K. Scheer, Deutsche Friedensgesellschaft, S. 365ff. zum Disput zwischen Quidde und Foerster über die Kriegsschuldfrage in der DFG. Zu Foerster ebd., S. 412ff.

I. Nach Versailles: Die Rolle der Ehrenpunkte

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sich spürte, dem gelang dieses Kunststück anscheinend mühelos. Die Zahl der Arbeiten dieser Provenienz ist bereits 1919 Legion. Sie alle zu berücksichtigen, ist hier weder möglich noch nötig. Das Niveau ihrer Argumentation reicht kaum über das der bereits untersuchten Werke dieser Richtung hinaus. Selbst ein so scharfsinniger Kopf wie Helfferich, dessen Untersuchungen über den Kriegsausbruch noch aus dem Rest hervorragen, bleibt im Netz der Stereotypen über Handelsneid und Balkanexpansion stecken, demgegenüber Deutschland als das "friedlichste Volk" mit dem "friedlichsten Monarchen" porträtiert wird 44 . Und doch mutet diese Verteidigung Deutschlands noch harmlos an im Vergleich zu den Elaboraten anderer Rechtsextremisten, die jetzt auch an die Oberfläche kamen. Wenn bloß Rußland oder England für den Kriegsausbruch verantwortlich gemacht werden, blieb man immerhin noch im Rahmen einer politisch nachvollziehbaren Bewertung. Dies ändert sich, wenn man etwa die Werke von Liebig oder Wichtl - nomen est omen - heranzieht. Hier sind es das internationale demokratisch-pazifistisch-sozialistische Weltjudentum und die Freimaurerei, die für Vorbereitung und Ausbruch des Weltkrieges allein verantwortlich gemacht werden 45. Und auch für das Ende des Krieges. Unmerklich und schnell wurde die Diskussion um den Kriegsausbruch zugleich auch immer zu einer Diskussion um das Kriegsende. Spätestens seitdem Helfferich mit seinen vehementen und ganz bewußt in den Bereich persönlicher Beleidigung hineinspielenden Angriffen auf Erzberger für einen Eklat gesorgt hatte, war die Jagd auf die Republik und ihre Repräsentanten eröffnet. Das Thema kann hier nicht weiter

4 4 K. Helfferich: Der Weltkrieg. 1. Bd.: Die Vorgeschichte des Weltkrieges, Berlin 1919, S. 37. Vgl. daneben aus dieser Richtung z.B. Graf E. Reventlow: Politische Vorgeschichte des Großen Krieges, Berlin 1919; Oberst Bauer: Konnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, abbrechen?, Berlin 1919; D. Schäfer: Die Schuld am Kriege, Oldenburg i.Gr. u. Berlin 1919. Dem generellen Urteil des Vorwärts ("Der Kampfruf des alldeutschen Verbandes", Nr. 446 [1.9/19 A]), daß diese Autoren "nichts gelernt und nichts vergessen haben", ist ohne weiteres beizupflichten. 4 5 H. Frhr.v. Liebig: Der Betrug am deutschen Volke, München 1919; ders.: Die Politik von Bethmann Hollwegs, München 1919; F. Wichtl: Der wahre Anstifter des Weltkrieges, 6. Aufl., München u. Wien 1918; ders.: Weltfreimaurerei. Weltrevolution. Weltrepublik. Eine Untersuchung über den Ursprung und Endziele des Weltkrieges, München 1919. Juden und Freimaurer sind am Weltkrieg demnach allein schuldig. Interessant am letztgenannten Machwerk ist eigentlich nur die Tatsache, daß es unlängst eine Neuauflage gefunden hat, hg. v. R. Schneider im "Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur", Wobbenbüll 1981. Dies ist der Nachdruck der 13. Aufl. von 1938; er zeichnet sich durch zahllose geschwärzte Stellen aus, die auf Anfrage beim Verlag bezogen werden können. Dies ist allerdings nicht erforderlich, die verschiedenen Formen des Wortes "jüdisch" lassen sich auch so erraten.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

verfolgt werden; prinzipiell jedoch läßt sich feststellen, daß die unbeirrtesten Vertreter der deutschen Alleinunschuld zugleich auch die härtesten Gegner der Republik waren. Mit keiner der beiden Extrempositionen ließ sich für die offizielle Politik des Reiches viel Staat machen; jede mußte auf ihre Art im Ausland schaden und die Revisionsbestrebungen untergraben. Diese Bestrebungen setzten unmittelbar nach Versailles ein; im großen und ganzen waren sie geschickter als die diplomatische Polterei Brockdorff-Rantzaus auf der Friedenskonferenz. Sie begünstigten sehr starte die Verbreitung einer mittleren Linie in der Kriegsschuldfrage.

IL Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage Der Reichsregierung ging es in der Kriegsschuldfrage nicht so sehr um die Aufdeckung einer historisch-absoluten Wahrheit, als vielmehr um konkrete praktisch-politische Ziele. Dies war von Anfang an so, und deshalb verzögerte sich auch der Druck der von Kautsky bereits im März vorgelegten Akten zum Kriegsausbruch bis zum Jahresende46. Nicht viel anders verhielt es sich zunächst mit dem gleichfalls schon im November geforderten Staatsgerichtshof. Immerhin dauerte es bis April, bevor überhaupt ein Gesetzentwurf für einen Staatsgerichtshof eingebracht wurde. So zurückhaltend BrockdorffRantzau die Frage der Veröffentlichung des Aktenmaterials oder auch wenigstens eines Teiles davon beurteilte, so sehr sah er im Staatsgerichtshof eine geeignete Form, die öffentliche Meinung des Auslandes zu beeinflussen. Doch auch im April war der unmittelbare Anlaß weniger das Drängen des Auswärtigen Amtes, das endlich irgendeine Aktion forderte, um den guten Willen Deutschlands nach außen zu demonstrieren. Vielmehr war es die Kontroverse Scheidemann/Ludendorflf, die den letzten Anstoß hierfür gab 47 . Das Schwanken war damit jedoch noch nicht beendet; die Zweifel an der

4 6 Der "niederschmetternde Eindruck" (U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 41) der Kautskyschen Dokumentation war nicht so einfach zu überwinden. Zur Diskussion im Kabinett über die Veröffentlichung vgl. z.B. H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 10a, Nr. 15, Nr. 20, Nr. 22 und passim; A. Golecki, Kabinett Bauer, Nr. 6 u. Nr. 12. 4 7 Vgl. H. Schulze, Kabinett Scheidemann, Nr. 10a (wo Landsberg den Entwurf im Kabinett vorlegt), Nr. 38 u. Nr. 81 (mit den Bedenken Hugo Preuß' zum Plan eines Gerichtshofes); A. Golecki, Kabinett Bauer, Nr. 28 u. Nr. 49. Die Neigung der Parteien zu einem Gerichtshof war immer geringer geworden. Vgl. allgemein U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 22. Zum regen Telegrammwechsel zwischen Berlin und der Friedensdelegation in dieser Frage siehe PA, Pol 7a, Bd. 1, Bl. 12,14 u.36.

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

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juristischen Feststellbarkeit der Schuld blieben so groß, daß an die Stelle des Staatsgerichtshofes schließlich ein Untersuchungsausschuß der Nationalversammlung trat. Der Untersuchungsausschuß hatte ein weitgefächertes Aufgabengebiet, das ihn auf Jahre hinaus mit Arbeit versorgte: Neben der Vorgeschichte des Krieges waren auch die Kriegführung selbst, die eventuell unterlassenen Friedensmöglichkeiten und zum Schluß die Verantwortlichkeit für den Ausgang des Krieges Gegenstand seiner Unterausschüsse48. Auch die allseits erwartete Aktenedition ließ sich nicht bis in alle Ewigkeit aufschieben; der Druck der publizistischen Öffentlichkeit wuchs beständig und machte sich in wilden Spekulationen und Anschuldigungen Luft, die auf Dauer mehr Schaden anrichten mußten, als dies eine Veröffentlichung des vorliegenden Materials konnte - der Versailler Vertrag konnte ja nicht mehr nachträglich verschärft werden 49. Damit sah sich die Reichsregierung endgültig vor das nunmehr unaufschiebbar gewordene Problem gestellt, wie sie sich in der Publikationsfrage, aber auch gegenüber Kautsky verhalten sollte.

4 8 Zum Untersuchungsausschuß siehe U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, passim. Ebd., S. 20, heißt es: "Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Weltkrieges, ein Stück bislang noch unbekannter Parlamentsgeschichte, mag ... als case study dienen. Seine Arbeiten und Ergebnisse verdeutlichen exemplarisch die Breite, in der das Kriegsschuldthema in der Weimarer Republik diskutiert wurde. ... Dem nachträglichen Betrachter eröffnet sich ein annähernd repräsentatives Bild der Haltungen, die die Weimarer Politiker zur jüngeren deutschen Vergangenheit einnahmen. Ein Stück politischer Kultur wird sichtbar, konkrete revisionspolitische Erwägungen eingeschlossen. Denn auch hiervon waren die Arbeiten und Ergebnisse der parlamentarischen Kommission nicht frei. Dafür sorgte schon das Auswärtige Amt, das alles nur Erdenkliche tat, um die Arbeiten im Sinne der offiziellen deutschen Außenpolitik zu beeinflussen." Auch in den Presseberichten der Zeit dominierte ab dem Herbst 1919 eindeutig der Ausschuß, wie am besten die unzähligen Artikel im Pressearchiv des Reichslandbundes (BAP, 61 Re 1, Bd. 9058-9060) ausweisen. 4 9 Etwa W. Meyer: Der geheimnisvolle Aktenschrank, in: Die Weltbühne, 15. Jg., Nr. 40 (25.9.Ί9), S. 381-383. Der Artikel beginnt: "Zum ersten Mal hat ihn wohl Kautsky geöffnet. Aber die Ergebnisse seiner Forschungen, die am ersten Mai dieses Jahres vollständig beendet waren, sind dem deutschen Volk nicht mitgeteilt worden, trotzdem ihm das ausdrücklich versprochen war. Warum ist dies Wort nicht gehalten worden? ... Weiß man noch immer nicht, daß wir die Wahrheit darüber, wie dieser grauenvolle Krieg zustande und zum Ausbruch kam, genauso bitter nötig brauchen wie Kohle, Lebensmittel und Kleidung? Vielleicht noch nötiger, denn mit einem Minimum an Nahrungsmitteln können wir vielleicht noch eine Weile bestehen, mit diesem Wahrheitsminimum aber muß es mit uns auf die Dauer, dank Selbstzerfleischung und Vertrauensmangel des Auslands, immer trauriger gehen. ... In der Geschichte der Revolution wird, wenn wir erst einmal Distanz zu ihr genommen haben, die laue, verschleppende Behandlung der Kriegsschuldfrage - dieses kardinalen Problems - als eine der folgenschwersten Sünden erscheinen. Unermeßlich ist der Schade, der dem deutschen Volk dadurch bereits zugefügt worden ist. Wann wird dem ein Ziel gesetzt?" Am 29.9. schrieb daraufhin Reichsaußenminister Müller an den Autor dieses Artikels, einen Hauptmann a.D., daß er nicht geeignet sei, dem deutschen Volke zu nützen, sondern im Ausland den Eindruck erwecken werde, daß die deutsche Regierung eine Politik der Verschleierung betreiben wolle (PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1). Genau dieser Eindruck sollte wohl auch erweckt werden, und sachlich unbegründet war dies nicht.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

Die einfache Herausgabe des ja immerhin seit dem Frühjahr druckfertig vorliegenden Materials kam nicht in Frage; der Eindruck von Kautskys Edition auf das Kabinett war damals verheerend gewesen, und es stand nicht zu erwarten, daß er in der Öffentlichkeit, zumal der des Auslandes, besser sein würde. Das Katz-und-Maus-Spiel mit Kautsky wurde fortgesetzt, und im August war er endlich bereit, die schon lange geforderte Rückgabe aller Aktenbände an das Auswärtige Amt zu veranlassen50. Zu diesem Zeitpunkt war man sich in der Reichsregierung auch darüber einig geworden, daß die Kautsky-Akten überarbeitet und ergänzt werden sollten, und zwar nicht von Kautsky selber. Neue Herausgeber sollten die Aktenauswahl behutsam verändern, so daß ein weniger ungünstiges Bild für Deutschland herauskommen mußte. Es bot sich an, diese Aufgabe den bewährten Bearbeitern der ProfessorenDenkschrift zu übertragen, und so geschah es auch. Anfang August wurden Anfragen an Delbrück, Mendelssohn-Bartholdy und Montgelas gerichtet, ob sie die Aufgabe der Durchsicht und Ergänzung der Kautsky-Akten übernehmen wollten. Es fallt auf, daß Max Weber nicht zur Mitarbeit aufgefordert wurde; aus dem Aktenbestand läßt sich der Grund hierfür nicht rekonstruieren. Vielleicht war man sicher, von Weber, der schon seinerzeit nur höchst ungern nach Versailles gekommen war, eine Absage zu erhalten. An seiner Stelle wurde Schücking berufen, der als einer der Hauptdelegierten in Versailles natürlich bestens mit der Materie vertraut war. Delbrück, der Herausgeber der Preußischen Jahrbücher, lehnte den Auftrag wegen Arbeitsüberlastung ab, Montgelas und Schücking stimmten uneingeschränkt zu, und Mendelssohn-Bartholdy machte zwar auch Vorbehalte wegen seiner sonstigen Aufgaben geltend, erklärte sich aber dennoch zur Mitarbeit bereit 51.

5 0 Am 8.8. stellte man im Amt fest, daß man noch immer kein vollständiges Exemplar der KautskyAkten besaß und daß auch die von Frau Kautsky übergebenen Hefte unvollständig waren (PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1, Aufzeichnung Meyer vom 8.8.). Darauf nahm Müller wieder Verbindung mit Kautsky zur Komplettierung der Akten auf (BAP, Präsidialkanzlei, Nr. 688, Film Nr. 19793, Bl. 5-6, Schreiben vom 14.8.; und das Schreiben an Freytag vom 16.8., PA, WK adh 4, Bd. 18, Bl. 125-126). Am 20.8. konnte Freytag notieren (PA, ebd., Bl. 126): "Frau Kautsky hat heute den Rest des Materials abgeliefert. Ihr Mann hatte nicht, wie er mitgeteilt hatte, das vollständige Manuskript bei der Bank deponiert, sondern die fehlenden Stücke zu Hause verwahrt." Zum folgenden vgl. auch P. Grupp, Deutsche Außenpolitik, S. 10Iff. 5 1

Der Schriftwechsel hierzu findet sich komplett im PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1. Am 3.8. schrieb Müller Briefe an Mendelssohn-Bartholdy, Graf Montgelas und Schücking, die diese am 6.8., 7.8. und 15.8. zustimmend beantworteten. Am 13.8. wurde Mendelssohn-Bartholdy vom Amt zugestanden, daß er auf Grund seiner Berufspflichten nur eingeschränkt an der Edition arbeiten würde. Die Hoffnung,

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Dabei war gerade ihm der umfangreichste Teil der Arbeit vorbehalten, nämlich die Zusammenstellung der Akten zur Vorgeschichte des Weltkrieges. Schücking sollte für die Julikrise verantwortlich sein, Montgelas für die letzten Tage vor Kriegsausbruch. Kautskys Arbeit hatte im wesentlichen nur die beiden letzten Teile abgedeckt, und es ist durchaus symptomatisch, daß sich das Auswärtige Amt hiermit nicht zufrieden geben konnte. Bereits während des Krieges, und mehr noch in der Revisionskampagne nach Versailles war es stets das Bestreben der offiziellen und offiziösen Stellen gewesen, die Diskussion vom unmittelbaren Kriegsausbruch - mit den deutschen Kriegserklärungen und der Verletzung der belgischen Neutralität - wegzuverlagern und statt dessen die weitere Vorgeschichte zum eigentlichen Thema zu machen. Hier konnte es sich also nicht um eine bloße Überarbeitung der Kautsky-Akten handeln, sondern um eine völlig neue Arbeit. Der Umfang dieser Arbeit und die von Mendelssohn-Bartholdy ohnehin reklamierte Überlastung ließen den Gedanken illusorisch erscheinen, diesen Teil zeitgleich mit den Kautsky-Akten zu publizieren. In der Tat begann die Arbeit auch erst im Dezember, und das von Mendelssohn-Bartholdy und seinen späteren Mitherausgebern edierte Werk, die "Große Politik der europäischen Kabinette" überschritt jedes Maß, an das man im Sommer 1919 gedacht haben mochte. Noch am 21. August hatte Mendelssohn-Bartholdy im Auswärtigen Amt angefragt, ob der inzwischen zusammengetretene Untersuchungsausschuß der Nationalversammlung nicht die Arbeit an der Aktenedition überflüssig erscheinen lasse. Zwei Tage später antwortete ihm Freytag, daß dies keineswegs der Fall sei und die Aktenedition vielmehr eine Grundlage für die Ausschußarbeit bilden werde. Er solle eine

daß seine Arbeit in den Wintermonaten beendet werden könne, trog allerdings gewaltig. Auf die Mitarbeit Delbrücks wurde - gleichfalls in einem Schreiben vom 3.8. - verzichtet. Vgl. auch A Golecki, Kabinett Bauer, Nr. 30. Im PA, Wk adh 4 Nr. 2, Bd. 2, E 615502-04, ist ein von Freytag und Müller paraphiertes Schriftstück vom 21.11. (also als die Arbeit praktisch beendet war), das sich mit dem Honorar der Herausgeber befaßt. Die Hauptlast habe auf Montgelas gelastet, während Schücking nur sporadisch tätig war. Als Bezahlung - nicht nach Stunden, sondern als Pauschalsumme - waren für Montgelas 3000,- und für Schücking 1500,- Mark vorgesehen. Handschriftlich wurden diese Summen auf 5000,- bzw. 2500,- Mark korrigiert. Kautsky, der bei den Dokumenten als dritter Herausgeber genannt wird, sollte kein erneutes Honorar erhalten, da er (1) als Unterstaatssekretär Gehalt bezogen habe, (2) die eigentliche Arbeit von seinen Mitarbeitern Wolff und Meyer geleistet worden sei und (3) er durch die unautorisierte Veröffentlichung seines eigenen Buches ohnehin einen genügend hohen Gewinn erzielen werde. Mit Mendelssohn-Bartholdy, dessen Arbeit noch viele Monate dauern werde, wurde eine separate Vorabvereinbarung empfohlen. An gleicher Stelle (ohne Aktennr.) sind auch Schreiben von Montgelas vom 8.11. und von Schücking vom 20.11., in dem sie ihre Kosten und die Arbeitszeit auffuhren.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

Auswahl von Aktenstücken treffen, die den Wandel der diplomatischen Lage in den letzten Jahren vor dem Kriege belegten. Spätestens jetzt erkannte Mendelssohn-Bartholdy, daß es sich nicht nur um die Überprüfung der Arbeit Kautskys handelte, sondern daß der Rahmen unvergleichlich größer gezogen werden mußte52. Am 30. November reichte er einen Arbeitsplan ein und schlug vor, wegen des Umfangs der Arbeit noch weitere Herausgeber hinzuzuziehen. Er nannte Lepsius, der sich während des Krieges einen Namen durch seine Hilfe für die in der Türkei verfolgten Armenier gemacht hatte, den renommierten Stein-Biographen Lehmann und einen von Lehmann zu benennenden Neuhistoriker. Freytag kommentierte diese Vorschläge durchweg wohlwollend und zustimmend, sowohl hinsichtlich der Arbeitsgliederung, des Personals und des Zeitplans. An die Stelle Lehmanns trat später Thimme 53 , aber prinzipiell war das weitere Vorgehen damit zur allgemeinen Zufriedenheit der Reichsregierung abgesteckt54. Das ließ Schücking und Montgelas für die Arbeit an den "eigentlichen" Kautsky-Akten übrig. Beide Herausgeber waren sich von Anfang an darüber im klaren, daß man sich unbedingt der Mitarbeit Kautskys vergewissern mußte. Die Änderung der Herausgeber mußte im In- und Ausland Mißtrauen hervorrufen, dem man durch das Imprimatur Kautskys, der ja wahrlich nicht als Apologet des Wilhelminismus verrufen war, die Spitze nehmen wollte. Jede Veränderung seiner Vorlage sollte nur dann durchgeführt werden, wenn er seine Zustimmung dazu gab, und selbst die

Die Schreiben Mendelssohns vom 21.8 und 29.8 sowie die Antwort Freytags vom 23.8. finden sich alle im PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1. 5 3 Zu ihm vgl. A. Thimme: Friedrich Thimme als politischer Publizist im Ersten Weltkrieg und in der Kriegsschuldkontroverse, in: A. Fischer, G. Moltmann u. K. Schwabe (Hg.), Rußland - Deutschland - Amerika. Festschrift für F.T. Epstein zum 80. Geburtstag, Wiesbaden 1978, S. 212-238. 5 4 Mendelssohns Arbeitsplan ist im PA, WK adh 4 Nr .2, Bd. 2, E 615528-33, Freytags Reaktion darauf in einer Aufzeichnung vom 3.12. ebd., E 615525-27. Mendelssohn-Bartholdy sollte für die auf vier Monate veranschlagte Arbeit ein Honorar von 8000,- Mark bekommen (ebd., Vorlage vom 16.12., E 615536f.). Im Januar 1920 hatte Lepsius als Mitherausgeber zugestimmt, während Lehmann wegen seines hohen Alters ablehnte (ebd., E 615573-74). Die von ihm vorgeschlagenen Ersatzleute schienen dem Auswärtigen Amt ungeeignet, da sie im Ausland unbekannt waren. Auch Hermann Oncken und Friedrich Meinecke lehnten die Herausgeberschaft ab, Meinecke schlug aber Friedrich Thimme als dritten Mann vor (Tel. Freytags an Mendelssohn-Bartholdy vom 28.1/20, ebd., E 615581). Dabei blieb es; Mendelssohn-Bartholdy, Thimme und Lepsius bildeten das Herausgeberteam. Ebd., passim, liegt noch ein umfangreicher Schriftwechsel hierzu.

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uneingeschränkte Akteneinsicht, um die Kautsky im Frühjahr vergebens gekämpft hatte, wurde jetzt auf einmal gewährt 55. Obwohl bereits Anfang August mit der Durchsicht und Ergänzung der Akten begonnen wurde, kam es nicht zu dem erwünschten schnellen Abschluß der Arbeiten. Im Oktober verdichteten sich die Gerüchte, daß Kautsky in nächster Zeit mit einem Buch darüber an die Öffentlichkeit treten wollte, "(w)ie der Weltkrieg entstand", das er auf Grund seiner Kenntnis der Akten verfaßt hatte. Diese Gerüchte setzten gleich an mehreren Stellen die Alarmglocken in Bewegung. Zunächst einmal hatte der Verlag, der die kostspielige vierbändige Edition betreute, das dringende wirtschaftliche Interesse, eine Veröffentlichung des - billigeren - Kautskyschen Kommentars vor der eigenen Edition zu verhindern. Dies war sogar ein wesentlicher Teil der vertraglichen Abmachungen des Verlags mit der Regierung gewesen, und entsprechend groß war jetzt der Unmut 56 . Noch gewichtiger als die wirtschaftlichen Bedenken waren aber natürlich die politischen. Die Veröffentlichung des ausgesprochen

5 5 Am 8.7. schrieb Müller an Kautsky, daß die Aktenedition noch einiger Ergänzungen bedürfe. Graf Montgelas und Schücking drangen in ihren Zusagen an das Auswärtige Amt vom 7.8. bzw. 15.8. darauf, Kautsky zur Sichtung des Materials heranzuziehen. Am 8.10. erhielt Kautsky auch die offizielle Bestätigung, daß er die Akten einsehen dürfe, solange Montgelas und Schücking an der Herausgabe arbeiteten (alle Schreiben PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1). Kautsky hat diese Probleme im Vorfeld der Edition im Vorwort seines Buches "Wie der Weltkrieg entstand", Berlin 1919 (dat. vom 1.11.'19) dargelegt. Immerhin konnten so "Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch", 4 Bde., Charlottenburg 1919, den für die amtliche Linie wichtigen Untertitel tragen: "Vollständige Sammlung der von Karl Kautsky zusammengestellten amtlichen Aktenstücke mit einigen Ergänzungen im Auftrage des Auswärtigen Amtes nach gemeinsamer Durchsicht mit Karl Kautsky hg. v. Graf Max Montgelas u. Prof. Walter Schücking". 5 6 Die Deutsche Verlagsgesellschaft meldete sich erstmals am 13.11. bei Außenminister Müller, als der Verlag Paul Cassirer das Erscheinen von Kautskys Buch gleichzeitig mit den Dokumenten ankündigte (PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 2, E 615496-98): "Die mit sehr beträchtlichen Aufwendungen verknüpfte Übernahme erfolgte durch uns unter ganz bestimmten Voraussetzungen bezüglich der erreichbaren Absatzhöhe und der durch Verbreitung hoher Auflagen entstehenden Vorteile für den Verlag. Diese Voraussetzungen würden völlig verändert, ja in ihr striktes Gegenteil verkehrt werden, wenn das Kautsky'sche Buch in der Tat gleichzeitig mit der amtlichen Publikation erscheinen würde." Der Verlag wollte den privatrechtlichen Weg beschreiten und erbat daher eine Bestätigung dieser Vereinbarungen. Diese Bescheinigung wurde auch erstellt (ebd., E 615499): "Herr Kautsky hat das Material lediglich zum Zwecke der amtlichen Publikation vorgelegen. Eine Erlaubnis, das Material gleichzeitig für andere publizistische Zwecke zu verwenden, hat Herr Kautsky weder nachgesucht noch erhalten." Am 2.12. richtete der Verlag erneut einen Protestbrief an das Amt (ebd., o.Nr.), und am 5.12. folgte ein Schreiben des Verlagsanwaltes Dr. Erwin Rahmer, in dem die Klage gegen Kautsky angekündigt wurde (PA, Schuld-Ref., Akten betr.: Veröffentlichungen. Behandlung der Schuldfrage, Bd. 1, E 616797-99), falls nicht aus politischen Gründen Einspruch erhoben werden sollte. Das geschah zwar nicht, doch am 10.12. wies das Landgericht I die Klage des Verlags, Kautskys Veröffentlichung auf vier Wochen zu verzögern, kostenpflichtig ab. Kautskys Recht zur Veröffentlichung war damit festgestellt (PA, WK adh 4 Nr. 2, o.Nr., Aufzeichnung Freytags vom 10.12.).

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kritischen Buches von Kautsky mußte den gewünschten Effekt der Aktenedition, die doch Deutschlands "Nichtalleinschuld" dokumentarisch unwiderleglich beweisen sollte, entscheidend abschwächen, wenn nicht gar völlig konterkarieren. Die Reichsregierung unternahm daher alles mögliche, um dies zu verhindern, schrak aber vor einem direkten Verbot zurück, da die politischen Implikationen eines solchen Schrittes leicht auszumalen waren. Während man noch überlegte, wie man Kautsky zum Einlenken bewegen könne, zogen neue Wolken am Horizont auf. Auch ein früherer Mitarbeiter Kautskys, Richard Wolff, plante eine baldige Veröffentlichung. Eine Aufzeichnung Freytags geht am 6. Oktober auf die düsteren Konsequenzen ein, wenn dies nicht verhindert werden könne: Die amtliche Edition wird beeinträchtigt werden, zumal "(d)ie Person des Verfassers ... nicht die Gewähr [bietet], daß seine Arbeit objektiv und gewissenhaft ist". Eine Beschlagnahme der Schrift schien rechtlich möglich, da sie nur unter Bruch des Amtsgeheimnisses hergestellt werden konnte. "Politisch würde eine derartige Behandlung der Sache aber untunlich sein, da sie ausgebeutet werden würde, als ein Versuch der Regierung, die volle Wahrheit zu unterdrücken." Sinnlos schienen auch Verhandlungen mit dem Verleger, der sich ein gutes Geschäft erhoffte. "Er ist außerdem zur Zeit auch schwerlich geneigt, dem Wunsche des Amts entgegenzukommen, da ihm der Verlag der Dokumentensammlung, um den er sich auch beworben hatte, entgangen ist." Mehr versprach sich Freytag von einer Einwirkung auf Kautsky, der Wolff die Publikation ohne Berechtigung erlaubt habe. Und noch einen guten Trumpf hatte Freytag im Ärmel: "Dem Vernehmen nach erstrebt Dr. Wolff, sich als Privatdozent zu habilitieren, vielleicht hört er auf den Herrn Kultusminister, wenn er dem Auswärtigen Amt nicht zugänglich ist." 5 7 Immerhin konnte sich das Amt vorab das Manuskript verschaffen. Die Lektüre wird bei den zuständigen Stellen für gewaltige Verblüffung gesorgt haben; Wolff kommt nämlich zu dem Schluß, daß die Schuld im wesentlichen bei Rußland lag! Verständlicherweise waren damit alle Bedenken wie weggeblasen, und es

5 7 Alle zitierten Stellen PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1, E 615429-31. Bei dem in Frage stehenden Werk handelte es sich um R. Wolff: Die deutsche Regierung und der Kriegsausbruch. Eine Darstellung auf Grund der amtlichen deutschen Vorkriegsakten, Berlin 1919.

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wurde nur noch darauf hingewirkt, daß die Veröffentlichung erst zwei Wochen nach den amtlichen Dokumenten erfolgte 58. Solche angenehmen Überraschungen waren bei Kautsky nicht zu erhoffen. Gegenüber der Reichsregierung konnte er sich darauf berufen, daß die Aktenedition schon lange habe erscheinen sollen und daß er sich mit seinem Buch darauf eingestellt hatte, erst nach diesem geplanten Termin herauszukommen. Mit einigem Recht konnte Kautsky behaupten, daß das nun eingetretene Dilemma nicht von ihm verursacht war, sondern in den immer größeren Verzögerungen seitens der Regierung lag. Ende Oktober verschärfte sich der Terminstreit. Kautskys Schrift war vom Verlag für den 4. November angekündigt worden; darauf schrieb Außenminister Müller am 27. Oktober an ihn und verlangte gebieterisch die Einhaltung der Abmachungen, was eine Verschiebung des Erscheinungstermins für Kautskys Buch bedeuten mußte59. Kautsky gab wiederum nach und antwortete am 29. Oktober, daß er das Buch erst nach den Akten erscheinen lassen wollte. Diese ließen jedoch weiter auf sich warten, und einen Monat später kursierten erneut Meldungen, daß die Veröffentlichung der Kautskysehen Abhandlung im Ausland unmittelbar bevorstehe. Die offizielle Dokumentation war nun endgültig für den 10. Dezember angekündigt, aber das war bereits zu spät60. Kautskys Buch sollte in mehreren Ländern gleichzeitig erscheinen, und wenn es auch gelang, in Deutschland die Veröffentlichung noch einmal zu verzögern, kamen diese Aktionen für das Ausland zu spät. Auch Kautsky selber, der sich in dieser Frage stets kompromißbereit gezeigt hatte, war nicht mehr in der Lage, den Zug zu bremsen. In einem ausführlichen Brief an Müller vom 1. Dezember schilderte er die Entwicklung der Ereignisse aus seiner Sicht: "Die Veröffentlichung der Akten hatten die Herausgeber zuerst für Ende Oktober angekündigt, dann für Mitte November, später für das Ende dieses Monats und eben erfahre ich, daß sie für den 10. Dezember angesetzt ist."

5 8 PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1, Aufzeichnungen vom 25.10., E 615477-78; und vom 28.10., E 615488. 5 9 Müllers Schreiben ist im PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1, E 615483-84: "Ich nehme femer an, daß Sie Ihr Buch natürlich erst nach dem Erscheinen der Dokumentensammlung herauskommen lassen wollen, und daß es nur eine Voreiligkeit des Verlages ist, es jetzt schon anzuzeigen. Jedenfalls möchte ich aber nicht unterlassen, Sie um eine Aufklärung und Bestätigung zu bitten." 6 0 Montgelas hatte am 27.11. bei Kautsky angefragt, was an den Meldungen über die bevorstehende Veröffentlichung in der "Times" dran sei (PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 2, E 615510). Einen Tag später (ebd., o.Nr.) äußerte Freytag, daß die Regierung das größte Interesse daran habe, mit den Akten zum 10.12. herauszukommen.

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Er wollte sein Buch ursprünglich Mitte November erscheinen lassen, verschob dies dann auf Ende November und inzwischen auf noch später: "Trotz der Schwierigkeit, ein in größerer Auflage gedrucktes Buch längere Zeit hindurch geheim zu halten, gelang uns das für Deutschland, nicht aber, trotz aller Vorsichtsmaßregeln, fürs Ausland." Kautsky empfand selber, daß er dadurch in eine "peinliche Situation" geraten war. Gleichzeitig schlug er aber auch vor, daß die deutsche Ausgabe nicht länger zurückgehalten werden sollte. Bislang unbekannte Aktenstücke enthalte sein Buch kaum, und mit einem weiteren Argument legte er den Finger auf eine offene Wunde: "(Z)u alledem kommt, daß es in weiten Kreisen Deutschlands und noch mehr im Ausland leicht einen unerwünschten Eindruck machen könnte, wenn ein deutsches Buch, das außerhalb Deutschlands schon erschienen ist, in seinem Ursprungsland nicht gleich an die Öffentlichkeit tritt. Den Eindruck nämlich, als wollte man vom deutschen Volke die Wahrheit über den Krieg möglichst lange fernhalten." 61 Müller zeigte sich unbeeindruckt von den Nöten Kautskys. Er begrüßte es zwar, daß dieser die Situation als peinlich empfand, mahnte ihn aber trotzdem an die Zusage, wenigstens in Deutschland erst nach den Dokumenten herauszukommen. Am Effekt änderte dies allerdings nichts mehr. Ende November begannen in verschiedenen Ländern Vorabdrucke aus Kautskys Buch zu erscheinen, und damit war das Dilemma, das man hatte verhindern wollen, genau wie befurchtet eingetreten. Das Echo im Ausland entsprach den schlimmen Erwartungen, und die deutschen Gesandten überschlugen sich mit entsprechenden Rückmeldungen in die Heimat62. Im Dezember war es endlich so weit, daß die

6 1 Alle zitierten Stellen sind aus dem Schreiben Kautskys vom 1.12.; PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 2, E 615516-19. Ebd., E 615520, die Antwort Müllers vom 2.12. Kautskys Erklärung für die vorzeitige Aktenveröffentlichung deckte sich mit der fünf Tage später im Berliner Tageblatt abgedruckten Stellungnahme des Verlags; "Kautskys Vorgeschichte des Krieges. Die vorzeitige Veröffentlichung in der Auslandspresse. Eine Erklärung des Verlages Cassirer", BT, Nr. 583 (6.12.Ί9).

Das erste Telegramm dieser Art kam am 26.11. aus Argentinien (PA, WK adh 4 Nr. 2, E 615503), wo der Geschäftsträger von der bevorstehenden Veröffentlichung in einer deutschfeindlichen, von England subventionierten Zeitschrift berichtete - und Auswirkungen auf die Verhandlungen über einen Kredit im argentinischen Parlament befürchtete. Die Antwort aus Berlin

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amtlichen "Dokumente" herauskamen, aber ihr Erscheinen wurde von den Anklagen Kautskys und von der Kontroverse um seine Person wie seine Publikation überschattet63. Kautskys Urteil über die deutsche Vorkriegspolitik war vernichtend. Daß er es anders als Eisner, Foerster, Wehberg oder Lichnowsky, anders auch als seine Genossen in der Nationalversammlung auf der Grundlage detaillierter Aktenkenntnis aussprechen konnte, gab ihm in den Augen der Reichsregierung und aller Unschuldspropagandisten ein fatales Gewicht. Die Kriegsursache sah Kautsky in der Verbindung "des stärksten und übermütigsten Militarismus der Welt" mit dem deutschen Finanzkapital64, und zwar nicht erst in der Julikrise: "Schon jahrelang vor dem Weltkrieg war die Politik der Zentralmächte eine solche, daß der Weltfriede nicht durch sie, sondern nur noch trotz ihnen erhalten blieb." 65 Daß Bethmann Hollweg ab dem 29. Juli den Krieg verhindern wollte, war eine zu späte Einsicht in die Fehler seiner vorherigen Politik. Anders aber als

vom 29.11. ebd., E 615512-13. Ähnliche Berichte liefen auch von den Gesandten im Haag (7.12., ebd., E 615542) und in Kristiania (11.12., o.Nr.) ein, und Rosen meldete sich am gleichen Tag noch ein zweites Mal aus den Niederlanden zu Wort (ebd., E 615541): Kautskys Schrift wirke "verheerend" auf Presse und Öffentlichkeit: "Der durch die Rücksichtslosigkeit der Entente hervorgerufene Umschwung der Meinung zu unseren Gunsten schlägt wieder in die Verurteilung Deutschlands als Hauptschuldigen am Kriege um, das daher verdiente Strafe erleide." Im gleichen Band ist noch eine größere Zahl von Meldungen und Zeitungsartikeln aus Dänemark, Holland, Spanien, Schweden und anderen Ländern vorhanden, die alle von diesem Meinungsumschwung berichten. Man sah seitens der Regierung davon ab, eine generelle Information der Presse vorzunehmen, nachdem man hiermit bei den Dokumenten von Gooss schlechte Erfahrungen gemacht hatte (PA, WK adh 4 Nr. 2, Bd. 2, E 615505-06; vom 21.11.): "Jede offiziöse Besprechung der Aktensammlung zwecks Vorbereitung ihres Erscheinens wird, wenn sie auch noch so sachlich gehalten werden mag, von der einen oder anderen Seite als tendenziös bezeichnet werden." Zur Veröffentlichung gab es aber gleichwohl eine Erklärung Müllers (ebd., E 615502), in der noch einmal gefordert wurde, daß alle Staaten ihre Archive öffnen. Die deutsche Publikation sei nicht, wie die Farbbücher, zur Rechtfertigung der Regierung gedacht, sondern bringe alle relevanten Aktenstücke. Ja, sie bringe erstmals "auch die Entwürfe und alle Bemerkungen und Notizen darauf, selbst wenn sie nichts weiter sind als der Ausdruck von Augenblickseindrücken und ohne Einfluß auf den Gang der Entwickelung". Diese letzte Bemerkung zielte natürlich auf die Marginalien des Kaisers, die in ihrer polternden Unbekümmertheit einen guten Teil des Reizes von Kautskys Buch ausmachten und die, nachdem Kautsky sie einmal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte, nicht gut verschwiegen werden konnten. 6 4

K. Kautsky, Wie der Weltkrieg entstand, S. 33.

6 5

Ebd., S. 31.

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etwa Foerster nimmt Kautsky das deutsche Volk vor jeder Mitschuld in Schutz und belastet nur die politische Führung. Das rettete ihn jedoch nicht davor, daß seine Kritiker sofort über ihn herfielen und seine Ausführungen in Grund und Boden verdammten. Zu sehr störte Kautsky die sich anbahnende Koordinierung der Revisionsbestrebungen im Kampf gegen die Alleinschuldthese des Art. 231 66 . Im Auswärtigen Amt war man sich von Anfang an darüber klar gewesen, daß alle auch noch so vorbildlichen Akteneditionen gerade wegen ihres offiziellen Charakters nicht allein den Meinungsumschwung im Ausland erreichen konnten. Trotzdem waren sie ein Teil der Bemühungen, von den tendenziösen, polemischen oder propagandistischen Schriften, bei denen nicht selten auch bei ansonsten durchaus liberalen oder sozialdemokratischen Autoren die glühende Vaterlandsliebe die Kenntnis historischer Vorgänge verdrängte oder ersetzte, endlich wegzukommen. Wenn überhaupt hatten nur seriösere Projekte eine Chance, im Ausland zur Kenntnis genommen zu werden. Diese Strategie schien um so notwendiger, als die Anerkennung des Friedensvertrages mit seinem Schuldverdikt letztlich auch den Sieg der feindlichen Propaganda und die Unzulänglichkeit aller bisherigen deutschen Bemühungen bedeutete. Die erste Nachkriegsschlacht um die Schuldfrage war geschlagen und verloren worden; jetzt ging es darum, die Frage neu aufzurollen. Hierfür galt es in der Sicht der deutschen Stellen, "langsam eine Geneigtheit zu größerer Objektivität zu erwecken und geschickt zu fördern" 67. Das war natürlich nicht von heute auf morgen zu erreichen, aber jetzt hatte man auch etwas mehr Zeit zur Verfügung. Anders als während der Versailler Verhandlungen drohten keine alliierten Ultimaten und Fristen mehr, und

6 6 Auch daß Kautsky in einem zweiten Buch, "Delbrück und Wilhelm II. Ein Nachwort zu meinem Kriegsbuch", Berlin 1920, einige der besonders pointierten Thesen wieder modifizierte, änderte wenig an der Lage. Die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an den Angriffen auf Kautsky und der Einfluß, den es bereits auf die Auswahl der Autoren zu nehmen versuchte, zeigt überdeutlich ein umfangreiches Schreiben von Freytag an Bülow vom 12.1.'20 (PA, NL Bülow, Bd. 4, E 203379-82). Aus der Polemik gegen Kautsky siehe M. Graf Montgelas: Glossen zum Kautsky-Buch, Charlottenburg 1920 (auch im amtlichen 5. Bd. der 'Deutschen Dokumente', Berlin 1920!); F. Tönnies, Der Zarismus und seine Bundesgenossen, wo das 2. Kap. "Herr Kautsky" überschrieben ist und maßlose Angriffe enthält. Zu dieser Kontroverse vgl. O. Lembcke, Die Auseinandersetzung Tönnies' mit Greiling und Kautsky. Das Presseecho ist dokumentiert in einer Fülle von Artikeln im Pressearchiv des Reichslandbundes; BAP, 61 Re 1, Bd. 9059 u. 9060.

67 Freytag formulierte damit im Rahmen eines Grundsatzreferates über die künftige Organisation der Kriegsschuldfrage schon am 24.7.Ί9 einen wegweisenden Gedanken, der in der Revisionspropaganda schnell zentrale Bedeutung erlangte; PA, WK adh 4, Bd. 18, Bl. 51.

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wenn auch weiter auf Geschwindigkeit Wert gelegt wurde, konnte man jetzt doch immerhin in Wochen und Monaten rechnen, und nicht mehr in Stunden und Tagen. Tatsachen, ausgewogene Argumentationen und der Anspruch der Wissenschaftlichkeit sollten den alliierten Schutzwall der Ignoranz zum Einsturz bringen und den Weg ebnen für die Einsicht, daß Deutschland nicht im Sinne von Art. 231 und der Mantelnote als Alleinschuldiger die Verantwortung fìir den Ausbruch des Krieges trage. Damit war die Meßlatte vorgegeben, an der sich Akteneditionen und Nachschlagewerke zu orientieren hatten. Damit waren aber im Grunde auch alle bisherigen Publikationen von privater Seite und auch viele amtliche Schriftstücke zumindest hinsichtlich der Förderungswürdigkeit von offizieller Seite außen vor, da sie in ihrer Intention und Einseitigkeit kaum die im Ausland erwünschte Wirkung erzielen konnten und bislang ja auch nicht erzielt hatten. Das Mißtrauen im Ausland blieb auch bei skrupulösester Objektivität der Bearbeiter gegenüber allen deutschen Veröffentlichungen groß, zudem hatte man sich auch in Berlin zur resignativen Einsicht durchgerungen, daß man "mit einigem Geschick aus 879 Urkunden nahezu alles 'beweisen"' könne68. Um wenigstens die deutsche Außenpolitik mit einer einheitlichen Stimme sprechen lassen zu können, wurde im Auswärtigen Amt eine Zentralstelle unter der Leitung Bülows eingerichtet. Doch auch damit allein war es noch nicht getan; worauf es ankam, war vielmehr die sachte Koordinierung der im übrigen privaten Initiativen zur Erforschung der Kriegsschuldfrage 69. Diese Politik verfolgte das Auswärtige Amt beharrlich, wobei die ersten Widerstände, die es zu überwinden galt, bereits in den eigenen Reihen zu

6 8 Undatierte Denkschrift B.W.v. Bülows, BA, NL Delbrück, Nr. 48, hier S. 2. An gleicher Stelle auch Polemik gegen Kautsky. 6 9 Einen Überblick über die vielfältigen Bestrebungen des Auswärtigen Amtes im Revisionsfeldzug bietet eine undatierte Denkschrift von Bülow (PA, NL Bülow, Bd. 5). Dort werden nach einer "Vorbemerkung", die sich zur Revision des Friedensvertrages durch politische Mittel bekennt, als Bausteine einer erfolgreichen Revisionsstrategie "Angriffsziel", "Aufgabe", "Methode" und "Mittel" unterschieden und erläutert. Bülow hatte auch sehr dezidierte Auffassungen darüber, wer von vornherein als ungeeignet zu gelten hatte, sich an diesem Feldzug zu beteiligen. In einem Brief vom 24.11.' 19 findet er Worte, die för einen Diplomaten zumindest ungewöhnlich sind: "Wir sollten grundsätzlich zu verhindern suchen, daß alte Knacker (sie!), die nicht arbeiten können oder wollen und nur einen Namen von fragwürdigem Kurswert hergeben, herangezogen werden" (ebd.). Bülow änderte seinen Ton allerdings, sobald er in der Folgezeit seiner hauptsächlichen Aufgabe nachkam, nämlich mit geschickten, geschmeidigen Worten verschiedenste Personen von der Notwendigkeit einer einheitlichen Revisionspropaganda zu überzeugen; vgl. z.B. das Schreiben Bülows an den ehemaligen württembergischen Ministerpräsidenten Weizsäcker vom 19.6.'20 (ebd.), den Bülow als (wohl nur nominellen) Leiter der deutschen Revisionskampagne gewinnen wollte.

14 Dreyer/Lembcke

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

finden waren. Insbesondere zwischen Außenminister Müller und dem Generalstab, der schon in der Zeit vor Abschluß des Friedensvertrages zum teilweise blanken Entsetzen der verantwortlichen Außenpolitiker durchaus seine eigenen Ideen und Pläne verfolgt hatte, kam es im Herbst 1919 erneut zu Unstimmigkeiten. Müller teilte am 28. August dem preußischen (Noch-) Kriegsminister Reinhardt mit, daß der Bitte um eine generelle Erlaubnis zur Veröffentlichung von Denkschriften des Generalstabs nicht entsprochen werden könne. Diese müßten zunächst ausnahmslos hinsichtlich ihrer Eignung überprüft werden - mit Blankoschecks hatte die deutsche Diplomatie offenbar keine guten Erfahrungen gemacht. Müller legte aber noch nach und ließ den Kriegsminister wissen, daß diese Art der Denkschriften in aller Regel eine andere Tendenz als das Auswärtige Amt verfolgten und damit im Sinne der Revisionspropaganda wertlos seien. Von diesem einigermaßen harschen Bescheid ließ sich Reinhardt aber noch nicht entmutigen. Eine Woche später beharrte er darauf, daß die Veröffentlichung der Denkschriften von Bedeutung für die Kriegsschuldfrage seien, insbesondere aber für die Problematik der Rechtsverletzungen im Kriege - das alte Thema, an dem die Militärs angesichts drohender Prozesse und möglicher Auslieferungsverlangen durch die Entente immer das stärkste Interesse hatten. Notfalls wollte Reinhardt das Reichskabinett direkt entscheiden lassen70. An einem solchen Schritt hatte nun wiederum das Auswärtige Amt, das sich gerade bemühte, unter seiner Federführung Einigkeit in der Revisionspropaganda herzustellen, naturgemäß kein Interesse. Müller versuchte daher im folgenden, sich direkt an die Verfasser der einzelnen geplanten Denkschriften zu wenden, um seine Bedenken zu erläutern und die Linie des Amtes durchzusetzen. Beispielhaft soll hier nur aus dem Schreiben Müllers an den Verfasser der Denkschrift "Wahrheit über Lille" zitiert werden: "Die eingehenden, auch zahlenmäßigen Ausführungen im Text der Denkschrift, die sich mit der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten im deutschen Heere beschäftigen, scheinen mir ... für eine Veröffentlichung durchaus nicht geeignet und in dieser Form auch entbehrlich. Der Hinweis

7 0

Bl. 31.

Das Schreiben Müllers PA, WK adh 4, Bd. 18, Bl. 141; die Antwort Reinhardts ebd., Bd. 19,

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

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auf die leichte französische Lebensart ... unterbleibt auch wohl besser im Hinblick auf gewisse neuzeitliche Erfahrungen innerhalb unserer eigenen Grenzen." 71 Das Verhalten der deutschen Armee in Lille war einer der Hauptanklagepunkte der Entente gegen Verbrechen im Kriege, so daß man durchaus Verständnis dafür aufbringen konnte, daß der Generalstab etwas unternehmen wollte. Noch mehr Verständnis mußte man aber dafür haben, daß das Außenministerium solche Denkschriften für gänzlich ungeeignet hielt, sich in den Rahmen der stillen und sachbetonten offiziösen Linie einzuordnen. Die Revisionspropaganda konnte nun einmal, wenn sie irgendeine Chance haben sollte, nicht im Kasernenhofton vorgebracht werden. Der neue Außenminister Müller hatte dies verstanden, und entsprechend war die Rolle, die das Amt bei allen weiteren Bemühungen spielte. Man blieb im Hintergrund, gab, wenn auch einigermaßen unwillig, finanzielle Unterstützungen und bemühte sich ansonsten, die divergierenden politischen Richtungen wenigstens in dieser Frage zu einen 72 . Beschwörend klingt etwa der Appell Bülows: "Wir haben nämlich ein Ziel in der Erörterung der Schuldfrage, das unschwer zu erreichen ist und das alle anstreben können, welcher Parteirichtung sie auch angehören mögen. Einigen wir uns über das Ziel, so entgehen wir der sehr ernsten Gefahr, daß die Ausführungen des einen die des anderen widerlegen, und daß das Ausland, wie es schon so oft geschehen ist, einen Deutschen gegen den anderen ausspielen kann. Der Weg ist so breit, daß ihn alle gehen können und daß jedem noch ein weiter Spielraum bleibt. Der Versailler Vertrag ist auf der Alleinschuld Deutschlands aufgebaut. Unsere Anstrengungen sollen diesen Grundpfeiler stürzen. Dies ist uns leicht gemacht worden: Wir haben nur zu beweisen, daß die

7 1 Schreiben Müllers an den Oberquartiermeister für Kriegsgeschichte vom 24.9.' 19; PA, WK adh 4, Bd. 19, Bl. 131-135.

Diese Hintergrundarbeit ist ausfuhrlich von U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, passim, untersucht worden. Zahlreiche Schreiben mit Bitten um finanzielle Unterstützung wurden auch an andere staatliche Stellen gerichtet, z.B. an die preußische Staatsregierung. GSA, Rep. 84a, Nr. 1336, enthält eine Unzahl dieser Dokumente, denen nur selten entsprochen wurde.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

anderen Mächte ebenfalls eine Verantwortung trifft, und die moralischen Grundlagen des Vertrages werden hinfällig." 73 Das war mehr als ein offiziöser Hinweis, das war offizielle Politik. Angestrebt wurde eine Einheitsfront der deutschen Kriegsschuldforscher, die sich ausschließlich gegen die "231 + Mantelnote"-These von der Alleinschuld richten sollte. In diesem Rahmen blieb genügend Raum für fast jede individuelle Auffassung, und doch hätten sich alle Bestrebungen dem Ziel des Revisionismus eingegliedert. Ein Teilerfolg wurde immerhin mit der Gründung des "Arbeitsausschusses Deutscher Verbände" im April 1921 erreicht. Dieser Ausschuß sollte als Dachorganisation aller mit der Erforschung der Kriegsschuldfrage befaßten Gruppierungen fungieren und deren Bemühungen mit denen des Auswärtigen Amtes koordinieren 74. Dennoch ließ es sich nicht übersehen, daß es sich

7 3 Denkschrift, S. 2f. (BA, N L Delbrück, Nr. 48) Und weiter an gleicher Stelle: "Wäre Deutschland der allein Schuldige, dann müßte die Entente nichts getan haben, um zu der gefährlichen Spannung beizutragen, die nach übereinstimmendem Urteil aller vor Kriegsausbruch bestand, den Krieg nicht und unter keinen Umständen gewollt haben und schließlich alles getan haben, um den Ausbruch des Weltkrieges zu verhindern. Gegenbeweise zu diesen Punkten zu bringen, ist nicht schwer." Für eine "(a)ußenpolitische Einheitsfront" gegen Versailles unter Hintanstellung des inneren Streites auch eine undatierte (1921?) und unpaginierte Flugschrift des ADV: Die Anklage der Entente u(nd) der Streit der Deutschen in der Schuldfrage, BA, ZSg 103/129. Ahnlich Graf Montgelas: Ungerechtfertigter Angriff, MNN, Nr. 229 (1.6/22); Oberst B. Schwertfeger: Belgien, DAZ, Nr. 371 (4.8.Ί9 A); ders.: Zusammenschluß, DAZ, Nr. 318 (6.7.'19 M): "Wenn je, dann gilt es jetzt, zur Sammlung und Selbstbesinnung aufzurufen, einen neuen Gedanken zu verwirklichen, ein Ziel, dem alle Kräfte zudrängen, ein Ziel, dessen Erreichung uns aus dem Jammer unserer Tage heraushebt, das uns beflügelt und die Morgenröte besserer Tage ahnen läßt. Dieses Ziel ist uns durch den Friedensvertrag von Versailles gegeben, ja es ist uns gerade aufgedrängt. Es ist der geistige Kampf um das WiederaufnahmeVerfahren in der Schuldfrage. Die Schuldfrage ist das Fundament des ganzen Friedensvertrages und der einzige Rechtstitel für die unerfüllbaren Forderungen, die uns in Versailles zugemutet worden sind. ... Für den geistigen Abwehrkampf gehören alle deutschen Männer ohne Unterschied der Parteirichtung zusammen. Alles, was deutsch heißt und deutsch fühlt, einige sich zu gemeinsamem Kampfe der Geister um das Wiederaufnahmeverfahren in der Schuldfrage. Die Wahrheit läßt sich nicht dauernd aus der Welt verbannen. Einmal wird sie siegen, und dann wird auch dem deutschen Volke - allem Jammer der Gegenwart zum Trotz - die Sonne wieder leuchten." 7 4 Zum ADV vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 56ff. u. S. 120ff.; I. Geiss, Manipulierte Kriegsschuldfrage, S. 37ff.; K.W. Wippermann: Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung, Köln 1976, S. 119ff. Eine Fülle von Materialien, Broschüren und Flugblättern zum ADV und zur Zentralstelle, die allesamt die Notwendigkeit einer Einheitsfront gegen den Schuldartikel betonen, enthalten die Akten der Präsidialkanzlei; BAP, 06.01 Nr. 688 (Film Nr. 19793). Im BA, N L Delbrück, Nr. 48, findet sich ein Schreiben des ADV vom 9.3.'22 an Delbrück, in dem dessen Mitarbeit an einem Sammelwerk erbeten wird, das alle Richtungen der Kriegsschuldfrage vereinen soll. Vorgesehen waren Beiträge von Bülow, Hammann, H Oetzsch, Frhr.v. Lersner, Prinz Max, Graf Montgelas, Simons und anderen. Das Buch sollte wissenschaftlich und politisch im In- und Ausland wirken zu offensiver Abwehr. "Einheitsfrontlicher" geht es nicht mehr!

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

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wirklich nur um einen Teilerfolg handelte. Bereits die lange Zeitdauer bis zur Gründung deutet auf die Schwierigkeiten hin. Der Wunsch des Amtes, im Hintergrund zu bleiben und die Aufklärungs- oder Propagandaarbeit über Spenden der Wirtschaft zu finanzieren, scheiterte kläglich am Desinteresse der avisierten Geldgeber. Sodann blieb der Ausschuß trotz der Beteiligung einiger prominenter Linksliberaler und Sozialisten doch unstreitig eine Domäne der Rechten, die in dieser Frage wesentlich aktiver waren. Die integrierende Wirkung gelang denn auch nur zum Teil; die politisch konträren Gruppen arbeiteten weiterhin gegeneinander. Und letztlich stand auch das Auswärtige Amt nicht mit voller Energie hinter dem Plan. Die konkreten Anforderungen der Außenpolitik, wie etwa die Reparationskonferenzen, drückten zu sehr, um ständig auf eine Bewegung zu achten, die aus eigener (finanzieller) Kraft kaum je bestehen konnte. Auch erforderte die Fortführung der Aktenedition in die Jahrzehnte vor Kriegsausbruch ein gerüttelt Maß an Arbeit auch von offizieller Seite75. Das Vertrauen in die moralische Wirkung der Unschuldspropaganda wird sich im Laufe der Jahre gleichfalls nicht eben erhöht haben, wenn auch die Kriegsschuldfrage stets ein zentraler Punkt der Außenpolitik blieb. Das Ausland nahm von allen diesen Aktivitäten nicht annähernd die gewünschte Notiz. Herausforderungen zu Streitgesprächen wurden ebenso überhört wie schriftliche Rundfragen bei ausländischen Experten76. Erneut ist hier ein Moment des vorsichtigen Verweilens angebracht. Aus dem Übermaß an Aktivitäten von deutscher Seite und aus der Flut der Veröffentlichungen läßt sich nämlich noch nicht unbedingt schließen, daß wenigstens im Inland

75 Zu den sich hierbei ergebenden Problemen, die nicht zuletzt auch aus Differenzen der Herausgeber untereinander erwuchsen, vgl. BA, N L Thimme, Nr. 43. Thimme klagt hier (Bl. 3-9, Schreiben ans Auswärtige Amt vom 12.12.'21) herzzerreißend über die unzulängliche Arbeit seines Mitherausgebers Lepsius. Das Ergebnis allerdings konnte - und kann - sich sehen lassen. "Die Große Politik der europäischen Kabinette 1871-1914", hg. v. J. Lepsius, A Mendelssohn-Bartholdy, Fr. Thimme, 40 Bde., Berlin 1922-1927, ist bis heute die beste Edition zur Geschichte dieser Zeit. Von B. Schwertfeger stammt ein achtbändiger Kommentar zu diesem gigantischen Werk, Berlin 19231927. 76 , Ό V.a. Delbrück strebte eine solche Disputation an. Nr. 48 seines Nachlasses im BA enthält einen ausgedehnten Briefwechsel zu diesem Problem. Skeptisch zu den Erfolgsaussichten äußert sich B.W.v. Bülow in einem Brief an Delbrück vom 29.6.'20, ebd.: "Die Aussicht hierfür erscheint allerdings recht gering. Die Heidelberger Vereinigung hat bisher mit ihren Versuchen, eine Diskussion herbeizuführen, keinerlei Erfolg gehabt. Unsere politisch zu geschulten Gegner werden sich hüten, irgend eine Revision des "Welturteils" in der Schuldfrage zuzulassen. Für die große Menge aber sind diese Fragen durch den Versailler Frieden entgültig (sie!) erledigt, Fragen übrigens, die zu verwickelt sind, um den Laien des Auslands zu interessieren."

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

das Interesse an der Schuldfrage jenseits der veröffentlichten Meinung stets brennend gewesen wäre. Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Zentralstelle deuten dies bereits an. Aber auch sonst waren die Kenntnisse um die Details der Schmach, die Deutschland angeblich angetan war, nicht annähernd so verbreitet, wie sich die Aktivisten der Sache dies wünschten. Wiederholt verlangte Bülow, daß Maßnahmen ergriffen werden müßten, um "eine Aktion zur Kenntnis des Friedensvertrages einzuleiten". Noch Ende Januar 1920, als eigentlich jeder, der sich dafür interessierte, längst hinreichend informiert sein mußte, schlug er vor, daß "einzelne Partien des Vertrages in der Presse aller Parteirichtungen" veröffentlicht, daß "volkstümliche Broschüren" herausgegeben und schließlich verschiedene "Kurse über den Friedensvertrag" zur Aufklärung aller Bevölkerungsschichten eingerichtet werden sollten77. Dabei entfalteten sich ohnehin schon umfassende Aktivitäten durch Historiker und Publizisten wie Delbrück, Rohrbach, Graf Montgelas, Schwertfeger, Bülow und Rothfels - um nur einige der wichtigsten zu nennen78 -, die der offiziellen Linie folgten und generell eine deutsche Mitschuld zugaben, um die Alleinschuld um so heftiger zu bekämpfen. Diese

77 Schreiben Bülows an Reichsinnenminister Koch vom 29.1/20; PA, NL Bülow, Bd. 5. An gleicher Stelle findet sich auch eine umfangreiche Korrespondenz über ein geeignetes Handbuch für Wanderredner. Offenkundig versprach sich Bülow von dieser Idee, die ein wenig an fahrende Gaukler gemahnt, daß auch die Landbevölkerung in Sachen Kriegsschuld und Versailler Vertrag auf diese Weise erreicht werden konnte. Bülow propagierte die gemeinfaßliche Form nicht nur, er ging in seinen eigenen Broschüren auch mit gutem Beispiel voran; siehe etwa "Der Betrug von Versailles", Berlin 1920; oder "Der Versailler Völkerbund. Eine vorläufige Bilanz", Berlin usw. 1923. Gegenüber diesen Ideen scheint der im Auswärtigen Amt ungefähr zur gleichen Zeit auftauchende Gedanke, daß das Personal der Gesandtschaften, vor allem die jüngeren Mitglieder, in der Kriegsschuldfrage geschult werden sollten, entschieden realitätsnäher zu sein. Vgl. PA, WK adh 4, Bd. 20, Bl. 60-64 u. Bd. 21, Bl. 14. 7 8 Eine Übersicht ist "Deutsche Kriegsschuldforscher. 1919-1929", in: KSF, 7. Jg. (1929), S. 552590, wo alle wesentlichen Autoren der offiziösen Richtung abgebildet sind und wo sich auch eine Kurzbiographie und -bibliographie findet. Allerdings sind - bezeichnend für den Charakter der Zeitschrift! - auch nur die Autoren vertreten, deren Oeuvre sich in den Kreis der amtlich geförderten Linie einordnen läßt; die Kritiker von links und rechts fehlen völlig. Vgl. ansonsten B.W.v. Bülow: Die Grundlinien der diplomatischen Verhandlungen bei Kriegsausbruch, Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, 5. Bd.: Kommentar, Berlin 1920; Graf Max Montgelas: Glossen zu den Vorkriegsakten, ebd. (beide Arbeiten unabhängig paginiert); ders.: Leitfaden zur Kriegsschuldfrage, Berlin 1923; H. Delbrück: Vor und nach dem Weltkrieg. Politische und historische Aufsätze 19021925, Berlin 1926; ders.: Der Stand der Kriegsschuldfrage, 2. verb. u. erg. Aufl., Berlin 1925, und dessen zahlreiche Aufsätze in den Pr.Jbb.; B. Schwertfeger: Der geistige Kampf um die Verletzung der belgischen Neutralität, Berlin 1919; ders.: Der Weltkrieg der Dokumente. Zehn Jahre Kriegsschuldforschung und ihr Ergebnis, Berlin 1929.

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

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Namen repräsentieren nur den Teil der Kriegsschuldforscher, der sich aus eigener Initiative und kontinuierlich mit der Schuldfrage beschäftigte. Daneben gab es noch eine ganze Reihe von Personen, die vorrangig zu bestimmten Anlässen und Themen sozusagen auf Abruf bereitstanden, um die deutsche offiziöse Position zu vertreten 79. Typisch für diese offiziöse Linie war es etwa, daß die verfehlte Flottenpolitik, das Versagen der deutschen Diplomatie schon in den Jahren vor Kriegsbeginn und die Völkerrechtswidrigkeit des Einmarsches in Belgien offen zugegeben wurden, obwohl auch hier genügend Raum für Kontroversen untereinander blieb 80 . Dagegen wurde dann die übliche Trias der alliierten Vorkriegspolitik und die russische Mobilmachung in die Waagschale geworfen, am besten im Lichte feindlicher Dokumente. Summa summarum kam eine gewisse Schuld Deutschlands heraus, der eine gewisse - größere Schuld der Entente gegenüberstand. Die Alleinschuld wurde steis wieder von neuem besiegt. Man konnte also versuchen, aus der Not, daß die deutsche Mitschuld am Kriege offensichtlich war, eine Tugend zu machen, in der Hoffnung, daß die Entente dies honorieren würde 81. Gleiches galt auch für die

7 9 Vielfach wurden sie vom Motor der Organisation der Revisionspropaganda, Bernhard W. von Bülow, bei Bedarf aktiviert Ein Beispiel dafür bieten fünf Briefe Bülows aus der Zeit der Londoner Konferenz, in denen er sich an verschiedene Personen wandte, um entweder direkt oder über diese an andere vermittelt zu erreichen, daß im Falle eines Scheiterns der Konferenz entsprechende Artikel über die alliierte Mitschuld am Kriege veröffentlicht würden; PA, NL Bülow, Bd. 4, E 203252-60. 8 0 Vgl. P. Rohrbach, J. Kühn: Die Brandstifter der Entente, (Chauvinismus und Weltkrieg, hg.v. P. Rohrbach, 1. Bd.) Berlin 1919; H. Delbrück: Die moralische Verdammung Deutschlands, in: Vor und nach dem Weltkrieg, S. 428-433 (erstmals 1919). In der "Kriegsschuldfrage" führte Delbrück eine Kontroverse mit Hans Rothfels um die Flottenpolitik. Während Delbrück hier den Hauptfehler deutscher Politik vor dem Krieg sah, verteidigte Rothfels die Linie Tirpitz'. Siehe H. Delbrück: England und der Weltkrieg, in: 3. Jg (1925), S. 410-412; H. Rothfels: Entgegnung, ebd., S. 413-418; H. Delbrück: Der deutsche Flottenbau und der Weltkrieg, ebd., S. 552-554; H. Rothfels, Entgegnung, ebd., S. 554-558. Der Ton der Auseinandersetzung wurde in der zweiten Runde erheblich schärfer, und zwar von beiden Seiten. Rothfels warf seinem Kollegen zum Schluß die unhistorische Simplifiziemng eines Politikers vor. Ol 0 1 In einem Schreiben von Müller an Rohrbach, einen der Hauptaktivisten in der Revisionskampagne, heißt es am 14.1/20 (PA, WK adh 4, Bd. 22, Bl. 106-108): "Leider wird auch die Geschichte dieser Periode für unsere Staatsmänner kein Ruhmesblatt sein, weil deijenige, der auf den Namen Staatsmann Anspruch machen wollte, Deutschland nicht gleichzeitig in diesen tödlichen Gegensatz zu Rußland und Großbritannien hineinmanövrieren durfte, wenn es für diese Staatsmänner auch immerhin ein mildernder Umstand sein darf, daß es nicht so einfach war, in der Regierungszeit Wilhelms II. überhaupt Politik zu treiben." Ebenso deutliche Worte findet er über die Tatsache, daß man Berchtold freie Hand gab, dessen "Vorgehen ... geradezu verbrecherisch" war. Er bringt deshalb die zu verfolgende Linie auf den Punkt: "Unsere Aufgabe kann es nur sein, - nicht alle Tage, - aber des öfteren daraufhinzuweisen, daß uns nicht allein alle Schuld trifft."

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

"Anti-Greuelpropaganda". Hans Delbrück war hier der erste, der außerhalb der direkt betroffenen Stellen im Generalstab nach Versailles darauf drängte, daß den alliierten Anschuldigungen über die deutsche Kriegführung entsprechend geantwortet werden müsse. Dabei entsprach das Schema seiner Argumentation exakt der Revisionspropaganda: "Was nicht zu bestreiten ist, ist offen zuzugeben"82 lautete die für beide Teilbereiche gültige Formel, mit der versucht wurde, den Angriffen die Spitze zu nehmen, und eine alliierte Mitschuld zu zeigen, indem die deutsche Alleinschuld widerlegt wurde. Diesem Thema widmete sich neben dem "Arbeitsausschuß Deutscher Verbände" die "Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen" 83. Ähnlich wie beim ADV mußten auch hier erhebliche Schwierigkeiten überwunden werden, bis es im April 1921 zur Gründung kam. Das Hauptproblem bestand darin, einen geeigneten Kandidaten für die Leitung zu finden. Bülow, der auch mit dieser Aufgabe betraut worden war, formulierte am 19. Juni 1920 in einem Brief an den ehemaligen württembergischen Ministerpräsidenten Carl von Weizsäcker, einen der Wunschkandidaten für die Leitung: "Neben umfassenden Kenntnissen des politischen und wirtschaftlichen Lebens wäre die tatsächliche Mitarbeit des Leiters der Organisation Vorbedingung. ... (E)ine nebenamtliche Beschäftigung mit den Revisionsfragen von ein bis zwei Stunden am Tage würde keineswegs genügen."84 Bülow hätte noch hinzufügen können, daß auch die Bereitschaft erforderlich war, sich in allen Punkten der vom Auswärtigen Amt vorgegebenen Strategie zu unterwerfen. Das machte es nicht einfach, einen Kandidaten zu überreden. Bis in das Frühjahr 1921 hinein blieb Bülow erfolglos. Im April wurde dann doch mit der Ernennung des Schweizers Sauerbeck ein Scheitern verhindert. Sauerbeck war in Berlin als Neu-

8 2 "Vorschläge, betr. Greuelpropaganda (Anregungen des Prof. H. Delbrück)", PA, WK 9, Bd. 32, A 23995 (6 S.). Die Vorschläge sind eine Anlage zu einem Brief Delbrücks an Brockdorff-Rantzau vom 2.9.Ί9. 8 3 Zur "Zentralstelle" vgl. allgemein U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 95ff.; u. I. Geiss, Manipulierte Kriegsschuldfrage, S. 36ff. Siehe auch einen Bericht des Leiters der Stelle, Alfred v.Wegerer: Gründung und Organisation der Zentralstelle, BAP, 06.01, Präsidialkanzlei, Nr. 688 (Film Nr. 19793), Bl. 119-131. 8 4

PA, N L Bülow, Bd. 5.

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

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traler, der gleichwohl schon während des Krieges ganz die deutsche Linie verfochten hatte, persona gratissima. Es stellte sich jedoch sehr bald heraus, daß er den organisatorischen und verwaltungstechnischen Problemen einer solchen Institution nicht gewachsen war. Er gab deswegen schon Ende des gleichen Jahres inoffiziell und im August 1923 offiziell an Alfred von Wegerer die Leitung ab. Wegerer behielt diese Position mit großer innerer Flexibilität und politischer Wendigkeit bis zur Auflösung der Zentralstelle 193785. Die Sieger des Krieges richteten sich allerdings nicht nach den Beweisen und Widerlegungen durch Zentralstelle, Arbeitsausschuß und einzelne Wissenschaftler und Publizisten. Sie waren in keiner Form gewillt, ihren Spruch von Versailles in der Revisionsinstanz wieder aufzuheben. Um so genauer jedoch lauschte man in Deutschland auf jede Stimme aus dem ehemals feindlichen Ausland, die einen Wandel zu dokumentieren schien. Die seit 1923 von der Zentralstelle unter der Leitung Wegerers herausgegebene Zeitschrift "Die Kriegsschuldfrage" kann als Indiz dafür gelten: Mit besonderer Ausführlichkeit wurden ausländische Stimmen wiedergegeben, und andererseits findet man die wichtigsten Artikel nicht nur in deutscher, sondern gelegentlich auch in englischer und französischer Sprache86. Wenn gar ein einschlägig ausgewiesener

oc

Zum Verhältnis der Zentralstelle zum Nationalsozialismus U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 15Iff. Wegerer war bei aller Anpassung nicht der Ansicht seiner nationalsozialistischen Herren, daß die Zentralstelle überflüssig sei; in einer Aufzeichnung "Gründe, die mir vom Auswärtigen Amt für die Liquidierung der Zentralstelle angegeben wurden" von 1936 (BAP, 90 We 1, Nr. 12, Bl. 2-3) führt er detailliert auf, welche Gründe ihm genannt wurden, um sie dann genauso detailliert zu widerlegen. Erfolg hatte er damit nicht O/T Relativ willkürlich herausgegriffen sind etwa die folgenden, zum Teil recht exotisch anmutenden Aufsätze in der "Kriegsschuldfrage": Dr. N. Japikse: Die neutrale Forschung zur Kriegsschuldfrage, 2. Jg. (1924), S. 340-343; "Untersuchung der Kriegsschuldfrage durch einen Kanadier", ebd., S. 517521; B. Schwertfeger: Die belgische Geschichtsschreibung über den Weltkrieg, 4.Jg. (1926), S. 220225; Morikatsu Inagaki: Zur Kriegsschuldfrage von einem Japaner, ebd., S. 267-271; E. Horvath: Die Kriegsschuldfrage in der ungarischen Politik, ebd., S. 733-746. Zu der Zeitschrift vgl. U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 98; und G. Moltmann: Die Bedeutung der revisionistischen Geschichtsschreibung in den Vereinigten Staaten für das amerikanisch-deutsche Verhältnis in der Weimarer Zeit, in: F. Epstein (Hg.), Deutschland und die USA, S. 76-88 (engl. S. 89-101), hier S. 83, wonach die KSF "kein geschichtswissenschaftliches Organ, sondern eine für breitere Kreise bestimmte Zeitschrift mit politisch-moralischer Tendenz" war. Dies zeigt sich etwa darin, daß die meisten Artikel nicht mehr als 4 bis 6 Seiten umfassen. Der Tenor ist in allen Arbeiten, daß Deutschland unschuldig sei. Die meisten von ihnen befassen sich mit den "normalen" Themen, also neuen Dokumentenfunden, Einzelheiten aus dem Ablauf der Julikrise, Erinnerungen von Beteiligten. Jeden Monat wird eine ausgiebige Presse- und Zeitschriftenschau beigefügt. Ungewöhnlich breiten Raum nehmen Artikel über Serbien ein, in denen die Mitwisserschaft und Mitschuld der Regierung am Attentat zu beweisen versucht wird.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

ausländischer Gelehrter Deutschland besuchte, konnte er sicher sein, daß seine dankbaren Leser ihm einen triumphalen Empfang bereiten würden 87. Allein, die Bemühungen waren vergebens. Im 1. Jahrgang der "Kriegsschuldfrage" konnten im Eröffnungsaufsatz Hans Delbrücks noch hoffnungsfrohe Worte stehen: "Wir haben ... die Wahrheit auf unserer Seite, und wenn auch die Lüge in der Welt eine furchtbare Macht ist und auch Lügen keineswegs immer kurze, sondern oft sehr lange Beine haben, so dürfen wir doch vertrauen, daß auch die Wahrheit nicht ohne innere Kraft ist, und dürfen nicht nachlassen, sie Tag für Tag zu predigen und sie der Welt, so schwerhörig sie heute auch noch ist, in die Ohren zu schreien."88 Man vergleiche hiermit die Einleitung zum 3. Jahrgang von 1925, die diesmal von Alfred von Wegerer stammte: "Wieder ist ein Jahr vergangen, in dem sich 'Die Kriegsschuldfrage' bemüht hat, der Wahrheit in dieser 'Frage aller Fragen' zu dienen, ohne daß es

8 7 Wie es etwa dem amerikanischen Ultrarevisionisten Harry Barnes widerfuhr, als er 1926 Deutschland besuchte, vgl. G. Moltmann, Bedeutung der revisionistischen Geschichtsschreibung, S. 80 u. S. 84ff. Barnes ging von einerfranzösisch-russischen Verschwörung aus, und das hörte man in Deutschland gerne. In der "KSF" fand er breiten Raum, seine Ansichten darzulegen, vgl. "Amerikanische Schuldfragediskussion. Bames contra Davis", 3. Jg. (1925), S. 299-309; B.E. Schmitt u. H.E. Barnes: Amerikanische Kriegsschuldfragediskussion, 4. Jg. (1926), S. 293-307 bzw. 307-312; F. Tönnies: Ein englisches Urteil über Bames, 5. Jg. (1927), S. 145-151; H.E. Bames: Der Stand der Kriegsschuldfrage, ebd., S. 715-754 [man beachte den Umfang der Arbeit, der völlig atypisch ist für die KSF!]; H.E. Bames: Die Amerikanischen Historiker und der heutige Stand der Kriegsschuldfrage, 6. Jg. (1928), S. 82-98. 1928 erschien von Barnes in Obersetzung (Berlin u. Leipzig) "Die Entstehung des Weltkrieges. Eine Einführung in das Kriegsschuldproblem"; eine "Einführung" von immerhin 570 Seiten, die gewidmet ist "Max Graf Montgelas, Alfred Wegerer, Hermann Lutz, Friedrich Stieve, Gunther Frantz, Erich Brandenburg und denen, die gemeinsam mit ihnen in Deutschland für die Wahrheit arbeiten". Die Bedeutung Bames' wurde dabei in Deutschland hoffnungslos überschätzt. Nach 1945 versuchte er ohne Erfolg, seine revisionistischen Dienste für eine neue Kriegsschuld an den Mann zu bringen; vgl. etwa "Die deutsche Kriegsschuldfrage", Tübingen 1964. Generell siehe W.I. Cohen: The American Revisionists, Chicago u. London 1967. 8 8 H. Delbrück: Die Behandlung der Kriegsschuldfrage, in: KSF, 1. Jg. (1923), S. 1-3, hier S. 1. Und weiter: "Dieser Kampf der Wahrheit gegen die Lüge ist nun aber viel schwerer, als Gutgesinnte sich einbilden. Vor allem gilt es, auch einen starken Widerstand innerhalb Deutschlands selbst zu überwinden, einen Widerstand, der nicht auf bösem Willen beruht (obgleich auch dieser vorhanden ist), sondern auf Partei voreingenommenheit. Zwar stehen auch angesehene Sozialdemokraten und führende Republikaner mit in der Front der Wahrheitskämpfer, nicht wenige ihrer Parteifreunde aber leben in der Empfindung, daß die Republik geschwächt werde, wenn man die alte Regierung rechtfertige, oder bilden sich gar ein, daß sich Regierung und Volk voneinander trennen ließen und daß die Franzosen mit uns glimpflicher verfahren würden, wenn wir ihnen klar machten, daß ja nur die Hohenzollern ihnen den Krieg gemacht hätten und nicht das deutsche Volk."

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

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gelungen wäre, die Verstocktheit der maßgeblichen Stellen zu überwinden, mit der die Träger des Tehlspruches von Versailles' an der ungerechten Verdammnis des deutschen Volkes festhalten." 89 Die Resignation ist deutlich, und daran sollte sich auch nichts ändern. Der langsamen und geduldigen Außenpolitik Stresemanns gelang es Schritt für Schritt, die Folgen von Versailles einzudämmen, aber dies geschah auf politischem Wege, und nicht durch den Nachweis, daß der Versailler Vertrag auf falschen rechtlichen Voraussetzungen beruhte. Der Wandel der deutschen Politik, den man mit den Namen Brockdorff-Rantzau und Stresemann kennzeichnen kann, wirkte sich nicht auf die deutsche Kriegsschulddiskussion aus. Das Bestreben nach Wahrheitssuche auf einer wohlverstandenen mittleren Linie, die zu überschreiten nicht ratsam war, und das Bestreben nach parteiübergreifender Einheitsfront blieb bestimmend. Typisch hierfür ist die Vorstellung der ersten sechs Bände der "Großen Politik der europäischen Kabinette", die von Außenminister Rathenau mit dem Motto "im Dienste der Wahrheit" versehen wurde. Die aus diesem Anlaß gehaltenen Reden wurden in einer Broschüre veröffentlicht. Im Vorwort wird das ganze Programm ausgebreitet: "Die Bedeutung der deutschen Initiative fim Dienste der Wahrheit' springt in die Augen. Unsere Regierung hat damit den Weg beschritten, der zur Weltgenesung (sie!) fuhren kann. Das deutsche Volk muß eine außenpolitische Einheitsfront gegen die Zwecklüge seiner alleinigen Verantwortlichkeit am Weltkriege und für die Revision des Versailler Diktats bilden. Daß sie trotz unserer parteipolitischen Gegensätze möglich ist, hat der denkwürdige Abend des 13. Juni so manchem bewiesen, der dem Programm und der Methode des Arbeitsausschusses deutscher Verbände bisher abwartend gegenüberstand. Es sprachen je ein Vertreter der Deutschnationalen, des Zentrums, der Demokraten und der Sozialdemokraten. Jeder bekannte sich zu seinem Parteistandpunkt, behandelte aber das Thema des Abends von der überparteilichen Warte des Wahrheitssuchers aus. In diesem Zeichen werden wir über Versailles

8 9

A.v. Wegerer: An unsere Leser, in: KSF, 3. Jg. (1925), S. 1. Und weiter: "Es steht bei der Lösung der Kriegsschuldfrage weit mehr auf dem Spiel, als das Schicksal des deutschen Volkes, es handelt sich darum, ob in der Welt Wahrheit und Gerechtigkeit künftighin noch anerkannt werden sollen, oder ob man glaubt, ohne Schaden diese Fundamente der menschlichen Moral aufgeben zu können." Wegerer beklagt daher auch den "moralischen Tiefstand unserer Zeit", der Deutschland nicht Gerechtigkeit widerfahren lasse. Derselbe Tenor durchzieht auch sein Werk "Die Widerlegung der Versailler Kriegsschuldthese", Berlin 1928.

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D. Die Kriegsschuldfrage und der Kampf gegen Versailles

siegen. Der niederträchtigen Zwecklüge von unserer alleinigen Verantwortlichkeit am Weltkriege gegenüber gibt es keine Parteien, sondern nur Deutsche (sie!). Schreibt unsere Volksbewegung gegen Versailles das Rathenau'sche 'im Dienste der Wahrheit' auf ihr Panier, wird sie sich zur Weltbewegung erweitern. Alle Menschen, die guten Willens sind, können nicht anders, als für die Wahrheit gegen die Lüge Partei zu ergreifen!" 90 Aber wie stand es wirklich um die Überparteilichkeit? Die Veranstaltung fand am 13. Juni 1922 statt. Elf Tage später wurde Rathenau von Rechtsextremisten ermordet - aber in der Drucklegung seiner Rede wird er lediglich als "der verstorbene Minister" 91 apostrophiert, nicht als der "ermordete". Die Klientel des ADV war bei aller plakativen Überparteilichkeit im Zweifel stets von einer robusten Rechtslastigkeit, die mühsam übertüncht wurde durch die Mitwirkung einiger Alibi-Sozialdemokraten92. Den Dienst an der Wahrheit durfte man nicht dahin mißverstehen, daß man diese Wahrheit etwa erst noch historisch zu suchen hätte. Gefunden hatte man sie spätestens seit der Mantelnote vom Juni 1919, jetzt kam es nur noch darauf an, die Wahrheit der deutschen Nichtalleinschuld unwiderlegbar, parteiübergreifend und für das Ausland überzeugend darzustellen. Außenseiter, die von diesem Konsens abwichen, wurden nach Möglichkeit daran gehindert, ihre Thesen zu verbreiten, die nach diesem Verständnis nicht im Dienste der Wahrheit stehen konnten. Das unterdrückte Gutachten Hermann Kantorowicz' für den Untersuchungsausschuß ist ein Beispiel hierfür. Das Auswärtige Amt hintertrieb erfolgreich die Drucklegung, da ihm die Ergebnisse Kantorowicz' nicht in die offizielle Linie der Revisionspropaganda paßten93. Damit steckte die Untersuchung der Kriegsschuldfrage in einer Sackgasse. Der Kanon war vorgegeben, hier und da ließen sich neue Akten zu großen neuen Erkenntnissen aufbauschen, die aber nur eine erneute und verbesserte Bestätigung der ohnehin in Deutschland bekannten Wahrheit brachten. Eine

9 0

ADV (Hg.): Im Dienste der Wahrheit, Berlin 1922, S. 3.

9 1

Ebd., S. 8. Vgl. hierzu U. Heinemann, Verdrängte Niederlage, S. 136ff.

gì H. Kantorowicz: Gutachten zur Kriegsschuldfrage 1914. Aus dem Nachlaß hg. u. eingel v. I. Geiss, Frankfurt a.M. 1967. Das Schicksal dieses Gutachtens ist in der informativen Einleitung dargestellt. Vgl. auch I. Geiss, Manipulierte Kriegsschuldfrage, passim.

II. Die offiziöse Linie in der Kriegsschuldfrage

221

Diskussion abweichender Meinungen unterblieb völlig, wie bei Kantorowicz, oder verlagerte sich auf den Sektor freischwebender Polemik, wie bei Kautsky oder Foerster. Der Stillstand der Überlegungen wird demonstriert durch das quasi-offizielle Buch "Zehn Jahre Versailles", an dem Politiker aller Parteien mitgewirkt haben und das 1929 vom "Arbeitsausschuß" unter der Leitung seines Präsidenten und DVP-Reichstagsabgeordneten Schnee und seines Geschäftsführers Draeger herausgegeben wurde. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen von Versailles werden ausführlich erörtert, aber sie stehen immer noch an zweiter Stelle. An der Spitze findet sich der "Rechtsanspruch auf Revision" mit sieben Beiträgen, gefolgt von zwei weiteren Aufsätzen zum "Kampf um die Revision"94. Hans Draeger labte sich in seinem Beitrag an dem Gedanken, daß immer mehr ausländische Forscher den Weg zur Wahrheit gefunden hätten95. Er beginnt mit der Erkenntnis, daß die Kriegsschuldfrage eine politische Frage sei, aber er schließt auf sattsam bekannten Bahnen: "So sehr wir bereit sind, uns für eine objektive und lediglich nach historischen Gesichtspunkten betriebene Forschung zur Verfügung zu stellen, so sehr müssen wir jedoch unbedingt die Voraussetzungen hierfür gegeben sehen. ... Deutschland muß daher eine internationale Vereinbarung fordern, die den Artikel 231 ablöst durch die Einsetzung eines internationalen unparteiischen Ausschusses zur Erforschung der Kriegsursachen." 96 Aber die Kriegsschuldfrage war tatsächlich politisch, und dies in zweifachem Sinne. Den außenpolitischen Aspekt hatte Draeger zwar theoretisch erkannt, aber praktisch mündeten seine vorgeschlagenen Mittel in die gleiche internationale Kommission, die erstmals im Oktober 1918 gefordert wurde; ebenso erfolglos und im Grunde ebenso unpolitisch. Es hatte sich nichts geändert in den zehn Jahren seit Versailles. Daneben gibt es aber noch einen bedeutsamen innenpolitischen Aspekt. In den einzelnen von uns untersuchten Phasen der Entwicklung in Deutschland 1918/19 läßt sich feststellen, daß ein Wandel in der Funktion der Kriegsschuldfrage für die innenpolitische Auseinandersetzung erfolgt ist.

9 4 H. Schnee, H. Draeger (Hg.): Zehn Jahre Versailles. 1919-1929, 2 Bde., Berlin 1929. Vgl. auch das im gleichen Jahr erschienene Buch des Sozialdemokraten Victor Schiff, "So war es in Versailles", das nicht weniger revisionistisch im Tenor ist. 9 5

H. Draeger: Die internationale Erörterung der Kriegsschuldfrage, in: ebd., 1. Bd., S. 51-80, hier

S. 66f. 9 6

Ebd., S. 80. Dies ist der letzte Satz in Draegers Beitrag.

E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik Im Zentrum des von uns untersuchten Zeitabschnittes stehen die wenigen Monate vom Ausbruch der Revolution bis zur ersten Zeit nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. In der gesamten Zeit ist die Kriegsschuldfrage ein wichtiger Bestandteil der Diskussion in der politischen Öffentlichkeit Deutschlands gewesen. Betrachtet man diese Diskussion, wie sie in den vorigen Kapiteln nachgezeichnet wurde, noch einmal in ihren übergreifenden strukturellen und funktionalen Aspekten, so lassen sich mehrere relativ deutlich voneinander zu trennende Phasen unterscheiden. Bezieht man als "Vorspann" noch die Zeit des Weltkrieges mit ein, sind es vier Zeitabschnitte, um die es geht. 1. Während des Krieges hielten sich fast alle relevanten Kräfte an einen publizistischen Burgfrieden, der sich die deutsche Unschuld am Kriegsausbruch zum Leitgedanken gemacht hatte. Linksliberale wie Tönnies und Sozialisten wie David erklärten unisono mit der Reichsregierung, daß Deutschland von seinen Feinden überfallen wurde; und zwar nicht im tiefsten Frieden, sondern nach jahrelanger Einkreisung und Kriegsvorbereitungen seitens der Entente. Wie tief diese Überzeugungen gingen, zeigt sich an der hellen Empörung, die "Vaterlandsverrätern" wie Foerster, Fürst Lichnowsky und dem wohlweislich anonym gebliebenen Greiling entgegenloderte. Diese Linie bleibt im Prinzip den ganzen Krieg hindurch bestehen. 2. Mit der Revolution, die man in mancher Hinsicht bereits mit dem Systemwechsel zur Regierung des Prinzen Max einsetzen lassen kann, änderte sich dies grundlegend. Die Stellung zur Kriegsschuldfrage wird zunächst zu einem Test für die Einstellung gegenüber dem Ancien régime und damit indirekt auch gegenüber der Revolution. Die neuen Machthaber, jedenfalls soweit sie der USPD angehörten, sahen hier die Chance, dem Volk zu beweisen, wie es seit Jahren belogen und getäuscht wurde, wie es zuletzt in den Krieg gehetzt wurde und wie die

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E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

Revolution mit dieser Lüge ein radikales Ende gemacht hat. Zugleich konnte so dem Ausland gezeigt werden, daß die deutsche Revolution wirklich gründlich mit der alten Machtpolitik gebrochen hatte und sich der neuen Zeit verschrieb. Diese Phase endete mit dem Ausscheiden der USPD aus der Regierung zum Jahresende. Die Mehrheitssozialisten mochten dem Gedankengang insbesondere in seinen außenpolitischen Aspekten in keiner Weise folgen. 3. Im Umfeld von Versailles wandelte sich die Funktion der Kriegsschuldfrage erneut. Nicht mehr um die Abrechnung mit dem alten Regime ging es jetzt, sondern um die Abwehr eines drohenden Gewaltfriedens. -

Im Vorfeld des Entwurfes häufen sich neben den üblichen Argumentationsketten die Hinweise darauf, daß zwischen Kriegsschuld und Friedensvertrag, besonders Reparationen, kein originärer Zusammenhang bestehe und bestehen dürfe. Die Gerechtigkeit eines Friedens richte sich nicht nach der möglichen Kriegsschuld, sondern in diesem konkreten Fall einzig nach den 14 Punkten Wilsons. Dieser Abschnitt reicht etwa vom Jahresanfang bis zur Überreichung des Vertragsentwurfes.

-

Nach dem 7. Mai ruht die deutsche Kriegsschulddiskussion für ein bis zwei Wochen völlig. Die Wucht der materiellen Bedingungen ist so groß, daß die Ehrenpunkte zunächst praktisch keine Rolle spielen. Vor allem Art. 231 wird an keiner Stelle erwähnt.

-

Entgegen teilweise expliziter Anweisungen aus Berlin entschied sich Graf Brockdorff-Rantzau in seiner Ansprache am 7. Mai, offensiv der Entente eine Kriegsschulddiskussion aufzuzwingen. Schon am 13. Mai wird die erste Note überreicht, die ausdrücklich der Schuldfrage gewidmet ist. Unter dem Einfluß dieser Strategie, die sicher auch durch die intensive deutsche Diskussion vor Versailles beeinflußt wurde, wandte sich die Öffentlichkeit nach dem Schock des Entwurfs wieder dieser Frage zu.

-

Mit der Mantelnote der Entente vom 16. Juni wird diese Wendung erheblich verstärkt. Jetzt steht auf einmal auch der bislang unbeachtete Art. 231 im Rampenlicht.

E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

-

Sofort mit der Unterzeichnung des Vertrages beginnen die Bemühungen um seine Revision. Hierbei erhält auch die Kriegsschuldfrage eine neue, zentrale Funktion.

4. Nach Versailles schließt sich gewissermaßen der Kreis: die deutsche Revisionspolitik bemüht sich um einen neuen "Burgfrieden" in der Kriegsschuldfrage. Art. 231 wird als der Kern des Vertrages gesehen. Weist man die deutsche "Nicht-Alleinschuld" nach, entfällt die moralische Begründung des Vertrages und der Weg zu seiner Revision wird frei. Die burgfriedliche Einheitsfront wurde zwar errichtet, doch mit einem entscheidenden Schönheitsfehler: Am rechten Flügel wurde der Frieden nur solange und soweit eingehalten, wie er den eigenen politischen Zielen nützte. Mit der Abfolge Burgfrieden - Revolutionsrechtfertigung - Kampf für gerechten Frieden - neuer Burgfrieden können wir uns jedoch noch nicht zufrieden geben. Der neue Burgfrieden war nämlich von Anfang an alles andere als perfekt; und mit den Jahren zeigte sich seine fragile Konstruktion immer deutlicher. Der außenpolitische Nutzen der deutschen Unschuldspropaganda war gering. Praktisch alle Überlegungen, Aktionen und Unterlassungen - vor allem die Unterlassungen - der offiziellen deutschen Stellen waren im gesamten von uns untersuchten Zeitraum von taktischen Rücksichten auf die vermutete Wirkung im In- und Ausland bestimmt, und nicht von der Suche nach historischen Wahrheiten1. Aber das taktische Kalkül scheiterte, und zwar sowohl nach innen wie nach außen. Das Ausland ließ sich auf die "Beweise" einfach nicht ein, weder 1918/19 noch später. Diese Situation wurde nur von wenigen deutschen Publizisten durchschaut. Am 3. Juni 1922 vertrat Hermann Kantorowicz diese Auffassung und legte den Revisionspolitikern nahe, lieber auf wirtschaftliche und politische Interessen zu bauen. Hans Delbrück hingegen hatte keinen halben Monat vorher an seinen alten pazifistischen Widersacher Gerlach geschrieben und die offiziöse Meinung zum Ausdruck gebracht:

1 Auch P. Grupp, Deutsche Außenpolitik, S. 92ff., verweist wiederholt auf den taktischen Charakter der amtlichen Behandlung der Kriegsschuldfrage.

15 Dreyer/Lembcke

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E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

"Wir werden die Revision des Versailler Friedens nicht erreichen, wenn es uns nicht gelingt, in der öffentlichen Meinung der Welt einen Umschwung in Bezug auf die Schuldfrage herbei zu führen." 2 Im gleichen Brief erklärte Delbrück die Befürchtung Gerlachs, die Forcierung der Kriegsschuldfrage könne den Feinden der Republik nutzen, für reinen Aberglauben. Aber war diese Ansicht wirklich nur ein Aberglaube? In der Revolutionszeit war es der neuen Regierung nicht gelungen, gründlich mit dem alten Regime aufzuräumen und einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Der Machtkompromiß, der zur Sicherung der Ordnung sofort mit den alten Gewalten eingegangen wurde, ließ nur eine improvisierte Republik zu3. Dies machte es den rechten Feinden der Republik einfach, eine "Milchmädchenrechnung" aufzustellen. Nach dem Vorbild der Kriegszeit und der Hätz auf Vaterlandsverräter stellten sie einen zwar völlig unsinnigen, aber offenbar politisch eingängigen Zusammenhang zwischen Kriegsschuldbehauptungen und Niederlage her. Die gleichen Demokraten, Marxisten, Juden, die nun die deutsche Kriegsschuld behaupteten und auf diese Art ihr Vaterland schädigten, mußten es auch gewesen sein, die das unbesiegte Feldheer verhetzt und so in die Niederlage getrieben hatten. In keiner rechten Publikation ist die Kriegsschuldfrage weit von der Dolchstoßlegende entfernt, bzw. die "Kriegsschuldlüge" vom "Verrat der Heimat". Die Kriegsschulddiskussion führt so auf nicht allzu großen Umwegen zu einem der Hauptagitationsmittel gegen die Republik. Der Kaiser und Deutschland allgemein waren unschuldig am Krieg, also mußten Ludendorff und das Heer unschuldig an der Niederlage sein. Die Entente trug die Kriegsschuld, also hatten die neuen Machthaber aus Parteisucht die deutsche Niederlage herbeigeführt. Waren diese Gedankengänge auch Wahnsinn, zeigten sie doch politische Methode.

2 H. Delbrück an H.v. Gerlach vom 16.5/22 (BA, NL Delbrück, Nr. 59). Der Aufsatz von H. Kantorowicz: Der Fechenbachprozeß kein Propagandamittel. Eine Warnung, in: Das Tagebuch, 3.6.'22, 3. Jg. H. 22, S. 814-818. 3 Zu diesem Komplex Th. Eschenburg: Die improvisierte Demokratie - Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, in: ders., Die Republik von Weimar, München 1984, S. 13-74. Der glücklich gewählte Ausdruck stammt von Hugo Preuß: Die Improvisierung des Parlamentarismus, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, S. 361-364 (erstmals DAZ, Nr. 549, 26.10.Ί8 A).

E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

Dieser Prozeß war schon in der ersten Hälfte des Jahres 1919 fast abgeschlossen. Die außenpolitische Einheitsfront krankte von Anfang an an einer unheilbaren reservatio mentalis: Der allgemeine Konsens war, daß der Versailler Vertrag umgestoßen werden müsse. Die Rechten waren einverstanden, doch galt das ihrer Meinung nach ebenso für die Republik von Weimar. Der Weg zur Revision sollte die Kriegsschuldfrage sein - die Rechten fügten für sich die Dolchstoßlegende hinzu und waren wieder bequem zu integrieren. Erst beim Erfolg schieden sich die Wege. Die Unschuldskampagne erreichte nichts, die Tiraden der Rechten machten der Republik von Anfang an Millionen Bürger abspenstig. Die außenpolitische Einheitsfront wurde nicht ergänzt durch eine staatsbürgerliche Gemeinsamkeit der Parteien in der Innenpolitik. Natürlich soll nicht behauptet werden, daß für diese Entwicklung die Kriegsschulddiskussion die Verantwortung trägt. Aber sie verstärkte doch diese Tendenzen, zumal nachdem sich die Reichsregierung zugunsten eines wirkungslosen Burgfriedens nach außen genötigt sah, nach innen viel zu viel Nachsicht zu üben. Diese Halbheiten finden sich im Grunde bereits von Anfang an; es ist schon einigermaßen kurios, bis zu welchen Ausmaßen sich sozialistische Revolutionäre bemüßigt sehen, die von ihnen abgelösten Machthaber vor "einseitigen" Enthüllungen in Schutz zu nehmen. Ein solches Verhalten dürfte in der Geschichte der Revolutionen einmalig sein. Diese Verquickung hatte fatale Folgen für das Selbstverständnis der Republik. Wenn das kaiserliche Deutschland am Kriege unschuldig war wie ein neugeborenes Kind, war die Rechtfertigung der Revolution zumindest schwieriger, als wenn es gelungen wäre, die Bevölkerung von der verbrecherischen Kriegsschuld seiner alten Machthaber zu überzeugen. Dies geschah nicht, und so konnte die Kriegsschuldfrage auf dem Umweg über die "Kriegsausgangsschuldfrage" existenzbedrohend für die Republik werden. So zeigt sich von Anfang an eine doppelte Problematik der deutschen Politik in der Kriegsschuldfrage. Einerseits war sie in Strategie und Taktik ungeeignet, das vorgegebene Ziel zu erreichen und der Entente einen Frieden des Rechts - wie man es in Deutschland und in der deutschen Politik sah abzutrotzen bzw. den "Knechtsfrieden" von Versailles umzustoßen. Eines hatten alle deutschen Vorstöße gemeinsam: sie appellierten an das Recht, an Wilsons Ehre, an historische Beweise, kurz, an alle möglichen Themen, nur nicht an das politische Interesse der beteiligten Staaten. Über Interessen aber

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E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

hätte sich von Anfang an einfacher sprechen lassen als über Recht und Unrecht. Unüberhörbar ist auch der aufrichtig erstaunte und empörte Tonfall, mit dem die deutschen Autoren registrieren mußten und registrierten, daß das Ausland einfach nicht auf die vermeintlich klaren Beweise eingehen wollte. Man verwechselte weitestgehend Wissenschaft und Politik miteinander, und innerhalb der wissenschaftlichen Argumentation verwechselte man die Klarheit historischer Beweise mit der einer mathematischen Beweisführung. Andererseits läßt sich die Diskussion um die Kriegsschuldfrage durchaus als Symptom dafür nehmen, wie innenpolitisch versäumt wurde, den Schlaf der Vernunft zu beenden und die Ungeheuer der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die gründliche Abrechnung mit dem Wilhelminismus hätte die entschiedenen Gegner der Republik schwerlich zu noch größerer Ablehnung Weimars veranlassen können, als sie ohnehin schon bestand. Aber den vielen unentschlossenen und lauen Freunden der Republik wäre eine klare Position erleichtert worden, wenn auch die Offiziellen eine klarere Position eingenommen hätten. Doch selbst bei den berufenen Vertretern der Demokratie schien die schreckliche, die kaiserlose Zeit vor allem in der wichtigen Anfangsphase vielfach nur als Notlösung aufgefaßt worden zu sein. Es waren schließlich auch die gleichen Politiker, die ab 1914 in patriotischer Begeisterung die Kriegskredite bewilligt hatten, die jetzt auf einmal mit der damaligen Regierung zumindest indirekt auch ihr eigenes Tun hätten verurteilen müssen. Und doch hätte ein klares Bekenntnis zur Schuld des alten Regimes einen gründlichen Neuanfang wesentlich erleichtert. Es hätte zumindest die Scheidung von den Feinden des neuen Staates möglich gemacht, auf die man in Weimar so viel Rücksicht nehmen zu müssen meinte. Auch nach außen hätte ein solches Verhalten den Wandel des politischen Systems wesentlich sinnfälliger dokumentiert, als dies noch so umfangreiche Aktensammlungen konnten. Man muß auch sehen, daß zumindest dieser Geburtsfehler der Weimarer Republik im wesentlichen hausgemacht war. Es war die eigene Entscheidung der Politiker des neuen Staates, daß die Verbindung mit dem alten nicht gekappt wurde. Ob ein bewußter Neuanfang Erfolg gehabt hätte, wenn die Politiker willens und in der Lage gewesen wären, ihn auszuführen, kann niemand wissen. Aber noch weniger Erfolg als das übervorsichtige Taktieren der Revolutionsregierung hätte er schon deshalb nicht haben können, weil der gewählte Ansatz vollkommen ohne Resultat blieb. Diese Überlegung ist nicht nur die nachträgliche und damit etwas sinnlose Weisheit des heutigen Historikers, der das Ende der Weimarer

E. Strukturen der Kriegsschulddiskussion am Anfang der Weimarer Republik

Republik kennt und der von daher ihren Anfang beurteilt. Es gab genügend zeitgenössische Kritiker, die vergebens den Neuanfang forderten. Max Weber sprach schon im Revolutionswinter in seinem berühmten Vortrag "Politik als Beruf 1 die folgende Mahnung aus: "Statt nach alter Weiber Art nach einem Kriege nach dem 'Schuldigen1 zu suchen - wo doch die Struktur der Gesellschaft den Krieg erzeugte -, wird jede männliche und herbe Haltung dem Feinde sagen: 'Wir verloren den Krieg, ihr habt ihn gewonnen. Das ist nun erledigt: nun laßt uns darüber reden, welche Konsequenzen zu ziehen sind entsprechend den sachlichen Interessen, die im Spiel waren, und - die Hauptsache - angesichts der Verantwortung vor der Zukunft, die vor allem den Sieger belastet.' Alles andere ist würdelos und rächt sich."4 Auch wenn Max Weber hier vor allem die Entente im Auge hatte, kann man sein Diktum entsprechend auf die innere Lage übertragen. Die Zeichen standen auch 1919 schon an der Wand. Sie wurden nicht beachtet, die Diskussion war würdelos und sie rächte sich an der Republik.

4

M. Weber: Politik als Benif, in: Gesammelte politische Schriften, S. 493-548, hier S. 537.

Quellen- und Literaturverzeichnis A. Ungedruckte Quellen 1. Bundesarchiv Koblenz [BA] R 43/1: Akten der Reichskanzlei, Nr. 803, 804, 805. Zeitgeschichtliche Sammlung (ZSg): ZSg 2/22, 96 und 97. ZSg 103/129 und 135. Nachlaß David, Nr. 14. Nachlaß Delbrück, Nr. 48, 59, 77, 78. Nachlaß Koch-Weser, Nr. 15, 16, 186. Nachlaß Payer, Nr. 12. Nachlaß Quidde, Nr. 5, 105. Nachlaß Schücking, Nr. 74. Nachlaß Schwertfeger, Nr. 80, 81,97, 103, 173, 174, 176, 325, 377. Nachlaß Thimme, Nr. 43, 44, 45, 54.

2. Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam [BAP] 06.01: Präsidialkanzlei, Nr. 669/1, 670, 670/1, 670/2, 671, 672, 688. 07.01: Reichskanzlei, Nr. 2440, 2442/4, 2442/5 (1+2). 07.03: Stellvertreter des Reichskanzlers, Nr. 2, 6, 73, 74. 09.01: Auswärtiges Amt, Bd. 54394, 54657, 54739, 56683, 56684, 56685. 09.01 : Auswärtiges Amt. Zentralstelle für Auslandsdienst, Nr. 117, 149, 572, 680, 871. 09.04: Wako, Nr.469. 15.01: Reichsamt des Innern, Bd. 5686, 5687, 5700, 6114, 9003. 61 Re 1: Reichslandbund. Pressearchiv. Personen, Bd. 26, 280, 432. 61 Re 1: Reichslandbund. Pressearchiv, Bd. 8834, 8839-8841, 9055-9060. 90 We 1: Nachlaß Alfred Wegerer, Nr. 12. o.Nr.: Reichsarchiv, Bd. 313.

3. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin [GSA] Rep. 84a: Preußisches Justizministerium, Nr. 11763, 1336.

Quellen- und Literaturverzeichnis

232

4. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kultuibesitz, Abteilung Merseburg [GSM] Rep. 90a, Abt. B, Titel III, 2b, Nr. 6:

Preußisches Staats-Ministerium, Bd. 167, 168.

Rep. 151: Preußisches Finanzministerium, Hauptbüro, Nr. 827.

5. Landesbibliothek Kiel Nachlaß Tönnies, Cb 54:56 (Briefeingang).

6. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn [PA] WK adh 4, Bd. 1-23. WK adh 4, Geheim, Bd. 1. WK adh 4 Nr. 1, Bd. 1. WK adh 4 Nr. 2, Bd. 1,2. WK adh 4 Nr. 5, Akten betr. den Prozeß Fechenbach/Coßmann. WK 9, Bd. 30,31,32. WK 31, Bd. 1,2, 4,6, 7. WK 31 geh, Bd. 1,2. WK 31 adh, Bd. 1. Pol 2. Pol 2a. Pol 7, Bd. 1, 2. Pol 7a, Bd. 1. Schuldref. 1921, II (April '20 - April '21). Schuldref., Akten betr. Veröffentlichungen Behandlung der Schuldfrage Bd. 1. Schuldref., Akten betr. Veröffentlichung Lichnowsky, Bd. 1. N L B.W. von Bülow, Bd. 2 , 3 , 4 , 5. N L Brockdorff-Rantzau, Az 10, 11, 12, 17,18, 19,20, 21.

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Β. Dokumentarische Quellen Brockdorff-Rantzau,

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im

Lichte der Veröffentlichungen

der

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Kerschensteiner,

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Juli 1914. Antwort auf eine Streitschrift, in: GWU, 34.Jg. (1983), S.238-246

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Personenregister Bei über eine Seite hinausgehenden Fußnoten kann die jeweilige Person auf beiden Seiten erwähnt sein.

A Ablafi, Bruno (1866-1942), Jurist, 1903-18 MdR (FVP), MdNV (DDP); 187 Albert, Heinrich (1874-1960), Jurist, 191921 Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei; 117 Andrassy, Gyula Graf [auch: Comte Jules] (1860-1929), ungarischer Politiker, Okt. 1918 österreichisch-ungarischer Außenminister, 34 Arco, Graf Georg von (1869-1940), Ingenieur und Telefunken-Direktor, Pazifist (USPD); 42 Β Barnes, Harry E. (1889-1968), amerikanischer Soziologe und Kulturhistoriker, 218 Bartels, Friedrich (1871-1931), 1919-20 MdPrLVers (SPD); 178 Bauer, Gustav (1870-1944), Büroangestellter, 1912-18 MdR (SPD), Okt 1918 Staatssekretär des Reichsarheitsamtes, 1919 Reichsarbeitsminister, als Nachfolger Scheidemanns 1919-20 Reichskanzler, 168, 173 f., 186 Bauer, Max (1869-1929), Oberst, Mitarbeiter Ludendorffs, nach 1918 nationalistischer Publizist; 98 Bauer, Otto (1881-1939), österreichischer Politiker und Publizist, Nov. 1918-19 Staatssekretär im Außenministerium; 191,194 Becker, Hans von (1880-?), Jurist, 1918 Leiter des Finanzbüros der Waffenstillstands-

delegation, 1919 Friedensdelegation; 136, 152 Beerfelde, Hans Georg von (1877-1960), Hauptmann, pazifistischer Publizist; 37, 48-51,70 Bell, Johannes (1868-1949), Jurist, 1911-18 MdR (Z), MdNV, 1919 Reichskolonialminister; 143, 172 Berchtold, Leopold Graf (1862-1942), österreichischer Diplomat, ab 1912 österreichisch-ungarischer Außenminister; 192,215 Berg, Friedrich von (1866-1939), Jurist, 1918 Chef des Zivilkabinetts des Kaisers; 57 f. Bernhard, Georg (1875-1944), Journalist und Politiker (DDP), "Vossische Zeitung" ab 1920 als Chefredakteur, 34, 79, 111, 125, 136, 151 f., 164 Bernstein, Eduard (1850-1932), sozialdemokratischer Theoretiker, 1912-18 MdR (SPD, dann USPD), Nov. 1918 - Febr. 1919 Beigeordneter im Reichsschatzamt (USPD), später MSPD; 42,76, 93 f. Bernstorff, Johann Heinrich Graf von (1862-1939), Diplomat, 1912-18 Botschafter in Washington; 54, 57, 120, 129, 133, 144, 161 Bethmann Hollweg, Theobald von (18561921), Verwaltungsjurist, 1909-17 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; 17-19, 31, 39-41,44, 45, 50, 54 f., 62, 6872, 78, 82-85, 117, 147, 152, 183 f, 188 f., 207

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Personenregister

Bismarck, Otto Fürst von (1815-1898), 1862-90 preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler, 75,174,195 Bodenhausen, Eberhard Frhr. von (18681918), Industrieller, ab 1910 im KroppDirektorium; 46 Boghitschewitsch, Milos ( 1876-1937[?]), Jurist, seit 1904 im diplomatischen Dienst Serbiens, später Botschafter in Paris und Berlin, ab 1915 Vermittungsversuche zwischen Frankreich und Deutschland ohne Auftrag; 103-105 Bonn, Moritz Julius (1879-1965), Nationalökonom, Prof., 1919 Friedensdelegation; 108, 119,139 Brandenburg, Erich (1868-1945), Historiker, 218 Braun, Adolf (1862-1929), Journalist; 126 Brecht, Arnold (1884-1977), Verwaltungsjurist, 1918-21 in der Reichskanzlei; 131 Breitscheid, Rudolf (1874-1943), Nationalökonom, Nov. 1918 - Jan. 1919 preußischer Innenminister (USPD); 42, 76, 121 Brentano, Lujo (1844-1931), Nationalökonom, Prof.; 101 BrockdorfT-Rantzau, Ulrich Graf von (18691929), Jurist und Diplomat, 1912-18 Gesandter in Kopenhagen, 1918-19 Reichsaußenminister; 57, 67 f, 87, 103, 109-111, 115 f, 118-122, 124, 127, 129, 132 f., 135150, 153, 162, 166 f., 172, 181, 183, 188, 192 f., 198,219,224 Bülow, Fürst Bernhard von (1849-1929), Diplomat, seit 1874 im auswärtigen Dienst, 1900-09 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; 44, 54 f., 72,79 Bülow, Bernhard Wilhelm von (1885-1936), Jurist, seit 1911 im auswärtigen Dienst, Teilnehmer an den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk und Versailles; 37-39, 67, 105, 115, 133 f., 141 f., 147-152, 155, 162, 190, 193, 208 f., 211-216 C Clemenceau, George (1841-1929), französischer Politiker, 1917-20 Ministerpräsident; 60,65 f., 76,124-126,137 f., 140,143,154-156 Cohn, Oskar (1869-1934), Jurist, MdNV (USPD); 93 f., 176-178

Cossmaiui, Paul Nikolaus (1869-1942), nationalistischer Publizist, seit 1920 politischer Berater der "Münchner Neuesten Nachrichten"; 76 D Dandl, Otto Ritter von (1886-1942), Jurist, 1917-18 bayerischer Ministerpräsident; 161 David, Eduard (1863-1930), Gymnasiallehrer und Journalist, Okt. 1918 Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, MdNV (SPD), 1919 Reichsminister, 62 f., 72, 81, 117,121,168,223 Delbrück, Hans (1848-1929), Historiker, Prof., seit 1883 Hg. der "Preußischen Jahrbücher"; 32, 66, 74-76, 90, 125, 141, 143, 146-149, 151 f., 156, 159, 181, 189, 196, 200,212-216,218, 225 f. Dernburg, Bernhard (1865-1937), Bankier, 1907-10 Staatssekretät der Reichskolonialamtes, MdNV (DDP), 1919 Reichsfinanzminister; 166 f. Deutelmoser, Erhard Eduard (1873-1956), Offizier, 1917-18 Pressechef der Reichskanzlei; 38 DieckhofT, Hans Heinrich (1884-1952), Diplomat, Leiter der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes für die Friedensverhandlungen; 141 Dirr, Pius (1875-1943), Historiker, 1912-24 MdBayLT (Nationalliberal, DDP); 40 E Ebert, Friedrich (1871-1925), Sattler und Gewerkschafter, 1912-18 MdR (SPD), Nov. 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, 1919 Reichspräsident; 62, 72, 96, 116, 144-146, 158, 160, 162, 167, 169, 179 Eckardt, Heinrich (1861-1945), Diplomat, 1917 Geheimer Legationsrat; 50 Einstein, Albert (1879-1955), Physiker, Prof, Pazifist, 1921 Nobelpreis für Physik; 42,186 Eisner, Kurt (1867-1919), Journalist, seit 1898 beim "Vorwärts", 1918-19 bayerischer Ministerpräsident (USPD); 63-70, 72-77, 80, 82, 86-91, 117, 152, 170, 207 Erzberger, Matthias (1875-1921), Volksschullehrer, 1903-18 MdR (Z), Okt. 1918

Personenregister Staatssekretär, Leiter der Waffenstillstandsverhandlungen, MdNV, 1919-20 Reichsfinanzminister; 55, 68, 70, 108, 111, 119 f., 126, 129, 133, 136, 141, 143-146, 152, 162 f., 166,168, 174 f., 184,197 F Falkenhayn, Erich von (1861-1922), Generaloberst, 1913-15 preußischer Kriegsminister, 1914-16 Chef des Generalstabes und der OHL; 57 Fechenbach, Felix (1894-1933), Journalist, Nov. 1918 - Feb. 1919 Sekretär Eisners, 1922 wegen angeblichen Landesverrats verurteilt, 1924freigelassen; 73, 76 f. Fehling, Ferdinand (1847-1927), Jurist, 1917-20 regierender Bürgermeister in Lübeck; 166 Fehrenbach, Konstantin (1852-1926), Jurist, 1903-18 MdR (Z), Präsident der Nationalversammlung; 171 f., 178 Foch, Ferdinand (1851-1929), französischer Marschall, 1918 alliierter Oberkommandierender, 59, 184 Foerster, Friedrich Wilhelm (1869-1966), Pädagoge, Prof, 1918-19 bayerischer Gesandter in Bern; 25, 65 f., 69, 72, 75 f., 151, 195 f., 207 f., 221,223 Frank, Reinhard von (1860-1934), Strafund Völkerrechtler, Prof.; 128, 182 Freytag, Hans Wilhelm Friedrich (18691959), Diplomat, 1919 Legationsrat im Auswärtigen Amt; 134, 152, 201 f., 204 f.,

208 Friedberg, Robert (1851-1920), Nationalökonom, Prof., 1866-1918 MdPrAH (Nationalliberal), 1919-20 MdL Preußen, Fraktionsvorsitzender der DDP; 177 f. Fryatt, Charles Algernon (1872-1916), britischer Kapitän der Handelsmarine, 1916 von Deutschen hingerichtet; 94 G Georg V. von England (1865-1936), 1910-36 König; 182 Gerlach, Hellmuth von (1866-1935), Jurist und Journalist, Pazifist, Hg. der "Welt am Montag", 1921-22 Mitglied der DDP; 42,

50 f., 53, 69 f., 75 f., 106, 152, 164, 186, 195, 225 f. Giesberts, Johann (1865-1938), Bäcker und Gewerkschafter, 1905-18 MdR (Z), 190618 MdPrAH, MdNV, Okt 1918 Unteretaatssekretär im Reichsarbeitsamt, 1919-22 Reichspostminister, 111 f., 122,124,142,150 Gooss, Roderich (1879-1951), österreichischer Historiker, seit 1904 im österreichischen, seit 1920 im deutschen Auswärtigen Amt; 191-194 Gothein, Georg (1857-1940), Jurist, 1901-18 MdR (Freis.Ver., ab 1910 FVP), MdNV (DDP), 1919 Reichsminister, 110 f., 167 Graefe, Albrecht von (1868-1933), preußischer Offizier und Rittergutsbesitzer, 19 Π Ι 8 MdR (Konservativer), MdNV (DNVP); 54, 174 Greiling, Richard (1853-1929), Jurist und Publizist, Pazifist, seit 1914 in der Schweiz; 43-45, 76, 121,223 Grey, Sir Edward (1862-1933), 1905-16 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes (Liberaler), 1916 Viscount of Falladon; 38, 48 f., 64, 190 Gröber, Adolf (1854-1919), Jurist, 18871918 MdR (Z), Fraktionsvorsitzender, MdNV, 1918 Staatssekretär, 169, 172 Groener, Wilhelm (1867-1939), Generalleutnant und Politiker, 1918 Erster Generalquartiermeister in der OHL; 58, 136, 165, 167, 185 Η Haas, Ludwig (1875-1930), Jurist, 1912-18 MdR (FVP), 1918-19 badischer Innenminister, MdNV (DDP); 127 Haase, Hugo (1863-1919), Jurist, 1912-18 MdR (SPD, dann USPD), Nov. 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten; 63, 66,81, 170 f. Hahn, Kurt (1886-1974), Philologe, Berater des Prinzen Max; 137 Hammann, Otto (1852-1928), Jurist und Journalist, 1894-1916 Leiter der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes; 212 Haniel von Haimhausen, Edgar Karl Anton (1870-1953), Jurist, seit 1900 im auswärtigen Dienst, 1918-19 Waffenstillstandskommission und Friedensdelegation, 1919-

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Personenregister

20 Unterstaatssekretär, 73, 122, 127, 141, 158, 167, 186 Harden, Maximilian (1861-1927), politischer Publizist, Pazifist und radikaler Sozialist; 56,186 Hashagen, Julius (1877-1961), Historiker, Prof.; 37,39 Haußmann, Conrad (1857-1922), Jurist, 1890-1918 MdR (FVP), MdNV (DDP), 1918-21 Parteivorsitz, Okt. - Nov. 1918 Staatssekretär, 57, 172 Heilmann, Ernst (1881-1940), Redakteur, 1919-21 MdPrLVers (SPD); 62 Heinrich, Prinz von Preußen (1862-1929), Admiral, 1914-1918 Oberkommando der Streitkräfte in der Ostsee; 182 Heinze, Rudolf (1865-1928), Jurist, MdNV (DVP); 168 Helflerich, Karl (1872-1924), Nationalökonom, 1915 Staatssekretär, 1916 Vizekanzler, 1919 DNVP; 34, 46, 78, 152, 175, 188, 197 Hergt, Oskar (1869-1967), Jurist, 1919-23 MdPrLT (DNVP), 1919-24 Vorsitz der DNVP, Aug. - Nov. 1918 preußischer Finanzminister; 178 Herold, Karl (1848-1931), westfälischer Gutsbesitzer, Landesökonomi erat, 1889-1918 MdR (Z) und MdPrAH, MdNV; 178 Hertling, Georg Graf von (1843-1919), Philosoph, Prof., 1912-17 bayerischer Ministerpräsident (Z), 1917-18 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; 55, 57 Herzfeld, Hans (1892-1982), Historiker, Prof.; 16 f., 20, 23 Hellberger, Maria (1870-1944), Schriftstellerin, 1919-21 MdPrLVers (Z); 178 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von (1847-1934), Generalfeldmarschall, 1916-19 Chef der OHL; 47 f., 54, 57, 94, 184, 189 Hintze, Otto (1861-1940), Historiker, Prof.; 32 Hirsch, Paul (1868-1940), Jurist, 1908-18 MdPrAH (SPD), 1919-33 MdL Preußen, Nov. 1918-1920 preußischer Ministerpräsident; 176 f. Hoetzsch, Otto (1876-1946), Historiker und Publizist, Prof., 1919-21 MdPrLVers (DNVP); 86, 109, 122, 132,212

HofAnann, Adolph (1858-1930), Graveur und Journalist, 1908-18 MdPrAH (SPD, dann USPD), Nov.-Dez. 1918 preußischer Kultusminister, 176-178

Jagow, Gottlieb von (1863-1935), Jurist, seit 1895 im auswärtigen Dienst, 1913-16 Staatssekretaär des Auswärtigen Amtes, 1914 preußischer Staatsminister, 41, 44, 52, 54,68,78, 83,188-190

Kahl, Wilhelm (1849-1932), Kirchen-, Staats- und Strafrechtler, Prof., MdNV (DVP); 125,171 f. Kantorowicz, Hermann (1877-1940), Jurist, Prof.; 220 f., 225 KardorfT, Siegfried von (1873-1945), Jurist, 1908-18 MdPrAH (Freikons.), 1919-21 MdPrLVers (DNVP); 177 Kautsky, Karl (1854-1938), sozialdemokratischer Theoretiker, 1917-20 Mitglied der USPD; 62-64, 72, 76, 80, 87 f., 102, 106,113-117,141,198-208, 221 Kerr, Sir Philipp Henry (1882-1940), Diplomat, Staatssekretär unter Lloyd George; 155 Kessler, Harry Graf (1868-1937), Publizist, 1918-19 Gesandter in Warschau; 59 Kjellén, Rudolf (1864-1922), schwedischer Staatsrechtler und Politiker, 36 Koch-Weser, Erich (1875-1944), Jurist, MdNV (DDP), Okt. 1919-21 Reichsminister, 83-85, 117, 125 f., 172 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav (1870-1950), Industrieller; 46 f. Kuttner, Erich (1887-1942), Jurist und Journalist, seit 1916 Redakteur beim "Vorwärts"; 69

Landsberg, Otto (1869-1957), Jurist, 191218 MdR (SPD), Nov. 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, MdNV, 1919 Reichsjustizminister; 111, 122, 124, 142, 150, 158, 167, 198

Personenregister Langwerth von Simmern, Emst Frhr. von (1865-1942), Jurist, 1910 Vortragender Rat, 1919 Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt; 73, 115 f., 122, 127, 133 f., 141 f., 146-148, 191-193 Lasker, Emanuel (1868-1941), Mathematiker, 1894-1921 Schachweltmeister, 34 Lehmann, Max (1845-1929); 202 Leinert, Robert (1873-1937), Maler und Journalist, 1908-18 MdPrAH (SPD), 1918-19 Vorsitzender des Zentralrates der Arbeiterund Soldatenräte; 122, 150 Lepsius, Johannes (1856-1926), Orientalist und Missionar, 202, 213 Lerchenfeld-Koefering, Hugo Graf von und zu (1843-1925), Jurist, seit 1867 im bayerischen auswärtigen Dienst, 18801918 bayerischer Gesandter in Berlin und Bundesratsbevollmächtigter, 64,67,73 Lersner, Kurt Frhr. von (1883-1954), Jurist, seit 1907 im auswärtigen Dienst, 1918-19 Wafifenstillstandskommission und Friedensdelegation (Juli 1919 als deren Leiter); 122, 136, 167,212 Lewald, Theodor (1860-1947), Jurist, seit 1892 im Reichsamt des Innern, 1917-19 Unterstaatssekretär, 1919-21 Staatssekretär, 117 Lichnowsky, Karl Max Fürst von (18601928), Diplomat, 1912-14 Botschafter in London; 34,42,45,48-54,70,109,207,223 Liebig, Hans Frhr. von (1874-1931), Chemiker, Prof. und Schriftsteller, 72, 197 Lloyd George, David (1863-1945), britischer Anwalt, 1916-19 Premierminister (Liberaler); 133, 140, 185 LudendorfT, Erich (1865-1937), General, 1916-18 Erster Generalquartiermeister der OHL; 17, 55, 58, 72, 96-98, 184, 188190, 198,226

Max, Prinz von Baden (1867-1929), Badischer Thronfolger, Okt.-Nov. 1918 Reichskanzler, 35, 48, 57-59, 94, 96 f., 101 f., 137, 149, 163,212, 223 Meinecke, Friedrich (1862-1954), Historiker, Prof.; 25,32, 100, 202 Melchior, Carl (1872-1933), Jurist und Bankier, 1918-19 Waffenstillstandskom-

mission und Friedensdelegation; 122, 129, 139, 150 Mendelssohn-Bartholdy, Albrecht (18741936), Zivil- und Strafrechtler, Prof.; 101, 143, 147-149, 151, 167, 200-202 Mensdorff-Pouilly, Albert von (1861-1945), 1904-14 österreichischer Botschafter in London; 192 Michaelis, Georg (1857-1927), Jurist, 1917 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; 55 f., 175 Moltke, Friedrich von (1852-1927), Jurist, 1914-1919 Oberpräsident von SchleswigHolstein; 158 Mommsen, Wilhelm (1892-1966), Historiker, Prof.; 23 Montgelas, Max Graf (1860-1938), General und Publizist, Pazifist, im Ersten Weltkrieg im Exil in der Schweiz; 47, 101, 108 f., 143, 147-149, 151, 200-203, 205, 212, 214,218 Monts de Mazin, Anton Graf von (18521930), Diplomat und Publizist, Pazifist, 1909 aus dem Auswärtigen Amt ausgeschieden; 78, 85 Muehlon, Wilhelm (1878-1944), Jurist, 1907 im Auswärtigen Amt, 1908 Direktor bei Krupp, 1914-17 im Auswärtigen Amt, dann in die Schweiz emigriert; 42, 44-49, 52-54, 66,70,72, 191 Müller, Adolf (1865-1943), Journalist, 1899-1918 MdBayLT (SPD), 1919-33 Gesandter in Bern; 103 Müller, Georg Alexander von (1854-1940), Admirai, 1908-18 Chef des Marinekabinetts des Kaisers; 20 Müller, Hermann (1876-1931), kaufmännischer Angestellter und Journalist, 1916-18 MdR (MSPD), Nov. 1918 - März 1919 Mitglied des Zentralrates der Arbeiter- und Soldatenräte, MdNV, 1919-29 Parteivorsitz, 1919-20 Reichsaußenminister; 87, 91, 171, 199 f., 203, 205-207, 210 f., 215 Müller, Oscar (1877-1960), Journalist, ab Ende 1918 Auslandsredakteur der DAZ; 109

Nadolny, Rudolf (1873-1953), Jurist, 1914 Vortragender Rat, 1916 Geheimer Le-

270

Personenregister

gationsrat im Auswärtigen Amt, 1919 Chef des Büros des Reichspräsidenten; 193 Naumann, Friedrich (1860-1919), Protestantischer Theologe, 1913-18 MdR (Freis. Ver., dann FVP), MdNV (DDP); 42 Naumann, Victor (1865-1927), Publizist, 1919 Leiter der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes; 167, 169, 172

Quessel, Ludwig (1872-1931), Uhrmacher und Journalist, 1912-18 MdR (SPD), MdNV; 34 Quidde, Ludwig (1858-1941), Historiker, MdNV (DDP), Pazifist, 1927 Friedensnobelpreis; 32, 42, 70, 76, 121, 127, 164, 171, 195

Nikolaus II. (1868-1918), 1894-1917 Zar von Rußland; 83, 104 Noske, Gustav (1868-1946), Holzarbeiter, 1906-18 MdR (SPD), Nov. 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, MdNV, 1919-20 Reichswehrminister; 72, 117, 165, 179

Ο

OberndorfT, Alfred Graf von (1870-1963), Jurist, 1916-18 Gesandter in Sofia, Mitglied der Waffenstillstandskommission; 120 Oncken, Hermann (1869-1945), Historiker, Prof.; 32

Ρ

Payer, Friedrich von (1847-1931), Rechtsanwalt, 1899-1917 MdR (FVP), 1917-18 Reichsvizekanzler, MdNV, Fraktionsvorsitzender der DDP; 49, 54, 56 f., 59, 97, 105, 161, 166 Posadowsky-Wehner, Arthur Graf von (1845-1932), Jurist, 1907-18 MdPrHH, 1912-18 MdR (Freikons.), MdNV (DNVP); 97, 170-172 Pourtalès, Friedrich Graf von (1853-1928), Gutsbesitzer, Offizier und Diplomat, 190714 Botschafter in St Petersburg; 103 f., 188 Preger, Konrad von (1867-1933), Jurist, 1919-32 bayerischer Gesandter in Berlin; 73 PreuO, Hugo (1860-1925), Staatsrechtslehrer, Prof., Nov. 1918 - Feb. 1919 Staatssekretär des Reichsamtes des Innern, 1919 Reichsminister (DDP); 58,167, 198, 226

Rachfahl, Felix (1867-1925), Prof.; 128,182

Historiker,

Rathenau, Walther (1867-1922), Ingenieur und Industrieller, 1922 Reichsausßenminister (DDP); 56 f., 59, 100, 219 f. Reinhardt, Waither (1872-1930), Oberst, 1919 preußischer Kriegsminister, 165, 210 Reventlow, Emst Graf zu (1869-1943), Marineoffizier und Publizist ("Kreuzzeitung", "Reichswart"), seit 1919 deutschvölkisch; 60, 69 f., 85 f., 97, 107-109, 113 f., 151, 156 Riesser, Jacob (1853-1932), Jurist, Prof. und Rechtsanwalt, 1916-18 MdR, MdNV (DVP); 167,170 Riezler, Kurt (1882-1955), Diplomat, seit 1906 im Auswärtigen Amt, 1915 in der Reichskanzlei, Berater Bethmann Hollwegs; 17 f., 73, 161, 167 Rohrbach, Paul (1869-1956), Publizist und liberaler Politiker, Kolonialfachmann; 35, 214 f. Romberg, Konrad-Giesbert Frhr. von (18661939), Diplomat, 1912 Gesandter in Bern, 1914-18 Referent im Auswärtigen Amt; 46, 67, 93 Rosen, Friedrich von (1856-1935), Orientalist, seit 1890 im auswärtigen Dienst, 1916 Gesandter in Den Haag; 57-59, 84, 105, 110 f., 120, 185 Rothfels, Hans (1891-1976), Prof.; 16, 214 f.

Historiker,

Rupprecht, Prinz von Bayern (1869-1955), Bayerischer Kronprinz, im Ersten Weltkrieg Generalfeldmarschall; 64,183

Personenregister S Saenger, Alwin (1881-1929), Rechtsanwalt, MdNV (SPD), 1919-24 MdBayLT; 34,39 Sasonow, Sergej Dmitrijewitsch (1860-1927), russischer Politiker, 1910-16 Außenminister, 104 Sauerbeck, Ernst (1876-?), Schweizer Arzt, 1921 Leiter der Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen; 44, 103, 105,

216 Scheidemann, Philipp (1863-1939), Dachdecker und Journalist, 1903-18 MdR (SPD), Okt. 1918 Staatssekretär, Nov. 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, MdNV, 1919 Reichsministerpräsident; 54, 58, 62, 66, 72, 81, 96-98, 122, 125 f., 140 f., 145, 165, 166 f., 169, 179, 183, 186, 198 Schiemann, Theodor (1847-1921), Historiker, Prof. und Publizist, außenpolitischer Mitarbeiter der "Kreuzzeitung"; 34, 103 SchifTer, Eugen (1860-1954), Jurist, 1903-18 MdPrAH (Nationalliberal), MdNV, 1919 Reichsfinanzminister, 119, 139, 166,168 Schnee, Heinrich (1871-1949), Jurist, 191217 Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Mitglied der DNVP; 221 Schoen, Hans von (1876-1969), Jurist, seit 1903 im bayerischen auswärtigen Dienst, 1914 Legationsrat an der bayerischen Gesandtschaft in Berlin; 73-75 Schücking, Waither (1875-1935), Staatsund Völkerrechtler, Prof., Pazifist, MdNV (DDP), 1919 Friedensdelegation; 32, 42, 93 f., 122, 150, 163, 166, 168, 195, 200203 Schultz, Georg (I860-?), Jurist, 1907-18 MdR (DRP), MdNV (DNVP); 168 Schumacher, Hermann (1868-1952), Nationalökonom; 32 Schwertfeger, Bernhard (1868-1953), Oberst und Publizist, 1916 politische Abteilung des Generalgouverneurs in Belgien, 191819 im Auswärtigen Amt; 108, 212,214 Seeckt, Hans von (1866-1936), General, 1919 Friedensdelegation; 146 Simons, Waither (1861-1937), Jurist, Dez. 1918 Direktor der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, 1919 Generalkom-

missar der Friedensdelegation, 1920-21 Reichsaußenminister, 122,139,144,149,212 Smend, Rudolf (1882-1975), Staats- und Kirchenrechtslehrer, Prof.; 37 Solf, Wilhelm (1862-1936), Jurist, 1911-18 Staatssekretär des Reichskolonialamtes, Okt.-Dez. 1918 zugleich des Auswärtigen Amtes, 57,66-68,70, 119 Stampfer, Friedrich (1874-1957), Journalist, 1916-33 Chefredakteur des "Vorwärts"; 126,139 Stieve, Friedrich (1884-1966), Schriftsteller und Diplomat, 1915-21 Presseattaché an der Gesandtschaft in Stockholm, 1922 Leiter des Schuldreferats im Auswärtigen Amt; 218 Stöcker, Helene (1869-1943), Pazifistin; 186 Stresemaiui, Gustav (1878-1929), Nationalökonom, 1914-18 MdR (Nationalliberal), 1918 Gründer der DVP, MdNV; 47, 219 Strobel, Heinrich (1869-1945), Journalist, 1906-16 Leiter des "Vorwärts", 1908-18 MdPrAH (SPD, dann USPD); 66, 88, 111 Stumm, Wilhelm August von (1869-1935), Jurist, seit 1894 im auswärtigen Dienst, 1916-18 Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt; 39 Suchomlinow, Wladimir A (1848-1926), russischer Offizier und Politiker, 1909-15 Kriegsminister; 35, 82, 92, 104 Szëgyény-Marich, Làsló Graf von (18411916), ungarischer Politiker, 1892-1914 Botschafter in Berlin; 106

Tepper-Lasld, Kurt von (1850-1931), Rittmeister a.D., 1914-18 Vorsitzender des "Bundes Neues Vaterland"; 42 Thimme, Friedrich (1868-1939), Historiker und Publizist; 77, 202, 213 Thoma, Richard (1874-1957), Staatsrechtslehrer; 101 Tirpitz, Alfred von (1849-1930), Großadmiral, 1897-1916 Staatssekretär des Reichsmarineamtes, 1917 Mitgründer der Vaterlandspartei; 55,78, 85, 188 f., 190 Tisza, Istvän Graf von (1861-1918), ungarischer Staatsmann, Ministerpräsident 1903-05 und 1913-17; 192

272

Personenregister

Tônnies, Ferdinand (1855-1936), Soziologe, Prof.; 32, 34,40, 44, 189, 223 Toeppfer, Hellmut (1876-1947), Industrieller, 1915 Legationsrat bei der Gesandtschaft in Kopenhagen, enger Mitarbeiter Brockdorff-Rantzaus, 1919 Unterstaatssekretär für Wirtschaft im Auswärtigen Amt; 120 Triepel, Heinrich (1868-1946), Staats- und Völkerrechtler, Prof.; 121, 187 Troeltsch, Emst (1865-1923), Theologe und Philosoph, Prof., 1918 Mitbegründer der DDP, 1919-21 MdPrLVers; 160

76, 78, 82-84, 95, 100, 112, 117, 128, 169, 172 f., 178 f., 182-185, 190, 207, 215,226 Wilhelm, Prinz von Preußen (1882-1951), ältester Sohn von Wilhelm II., preußischer und deutscher Kronprinz, 1916-18 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe "Deutscher Kronprinz"; 55, 58,72 Wilson, Thomas Woodrow (1856-1924), Historiker, Ökonom und Jurist, Prof., 1913-21 Präsident der Vereinigten Staaten; 75, 86, 89, 93, 95 f., 108-110, 126-129, 137, 153, 169, 227

V

Winterfeldt, Friedrich von (1875-1949), Jurist und Rittergutsbesitzer, 1921-33 MdPrLT (DNVP); 115 Witting, Richard (1856-1920), Bankier, Mitglied des "Bundes Neues Vaterland"; 49-51,85 Wolff, Richard (1885-?), Jurist, 1909-18 Preußisches Staatsarchiv, 1919 Mitarbeiter Kautskys im Auswärtigen Amt zur Bearbeitung der Akten über den Kriegsausbruch; 204 Wolff, Theodor (1868-1943), Journalist, seit 1887 Mitarbeiter, 1906-33 Chefredakteur des "Berliner Tageblatts"; 32, 41, 44, 57, 66, 70,72,79, 81, 86, 119, 121, 124, 126 f, 152, 164, 175, 200

Vögler, Albert (1877-1945), MdNV (DVP); 174

Ingenieur,

W Wahnschaffe, Arnold (1865-1941), Jurist, 1909-17 Unterstaatssekretär und Chef der Reichskanzlei; 117 Warburg, Max (1867-1946), Bankier, 1919 Friedensdelegation; 56, 122,129, 139, 160 Weber, Alfred (1868-1958), Nationalökonom und Soziologe, Prof., 1918 Mitbegründer der DDP; 32, 101 Weber, Max (1864-1920), Soziologe und Nationalökonom, Prof., liberaler Publizist; 32, 55, 74 f., 86, 101,114,143, 146, 148 f, 151, 157,184, 196, 200,229 Wedel, Botho Graf von (1862-1943), Offizier und Diplomat, 1916-19 Botschafter in Wien; 46, 140, 167, 191 f., 194 Wegerer, Alfred von (1880-1945), Offizier, 1921-36 Leiter der Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen; 23 f., 151, 217-219 Wehberg, Hans (1885-1962), Völkerrechtler, Prof., Pazifist; 40, 195, 207 Weizsäcker, Carl Frhr. von (1853-1926), Jurist, 1906-18 württembergischer Ministerpräsident und Außenminister, 209,216 Westarp, Kuno Graf (1864-1945), Jurist und Publizist, 1908-18 MdR (Kons.), Mitarbeiter der "Kreuzzeitung", 1920-32 MdR (DNVP); 55, 108, 121, 124, 128, 132,156 Wilhelm I I . (1859-1941), 1888-1918 Kaiser und König von Preußen; 58, 61 f., 68, 70,

Ζ Zimmermann, Arthur (1864-1940), Jurist, 1911 Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, 1916-17 Staatssekretär, 41, 68, 82, 104