Denkmal im sozialen Raum: Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert 9783666357718, 9783525357712


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German Pages [408] Year 1995

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Denkmal im sozialen Raum: Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert
 9783666357718, 9783525357712

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 108

V&R

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler

Band 108

Charlotte Tacke Denkmal im sozialen Raum

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Denkmal im sozialen Raum Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert

von

Charlotte Tacke

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tacke, Charlotte: Denkmal im sozialen Raum: nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert / von Charlotte Tacke. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1 9 9 5 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 1 0 8 ) ISBN 3 - 5 2 5 - 3 5 7 7 1 - 0 NE: G T

© 1 9 9 5 , Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindung: Guide-Druck GmbH, Tübingen.

Inhalt Vorwort

11

Einleitung

13

1.

Hermannsmythos und Vercingetorixmythos im 19. Jahrhundert 29

1.1.

Imaginäre Schlachten

29

1.2.

Nationale Stereotypen und Geschlechtscharaktere

44

1.3.

Soziale Räume von Gedächtnisorten

50

1.3.1. Gergovia 1.3.2. Der Teutoburger Wald

52 63

1.4.

Vergleichende Zusammenfassung

73

2.

Verein

77

2.1.

Der Verein für das Hermannsdenkmal 1838-1875: Zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Obrigkeitsstaat

80

2.2.

Die Akademie und die Société d'Emulation 1830-1914: Zwischen Notabeinkultur und »couches nouvelles«

107

2.3.

Vergleichende Zusammenfassung

129

3.

Subskription

135

3.1.

Subskription fur das Hermannsdenkmal 1838-1843 und 1862-1871

140

3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.1.5.

Regionale Ausdehnung Kommunikationsstrukturen Soziale Ausdehnung Soziale Distinktion Nation und dynastischer Territorialstaat

145 148 150 165 170

3.2.

Subskription fur die Vercingetorixdenkmäler in Clermont-Ferrand 1 8 6 9 / 7 0 und 1 8 8 6 / 8 7

175

3.2.1. Regionale Ausdehnung 3.2.2. Kommunikationsstrukturen 3.2.3. Soziale Ausdehnung

176 179 187

5

3.2.4. Soziale Distinktion 3.2.5. Region und republikanischer Staat

191 193

3.3.

Vergleichende Zusammenfassung

196

4.

Fest

201

4.1.

Feste am Hermannsdenkmal: Von der »klassenlosen Bürgergesellschaft« zur »klassenlosen Volksgemeinschaft«? 4.1.1. Das Fest der Schließung des Grundsteingewölbes 1841: Die »klassenlose Bürgergesellschaft«? 4.1.2. Die »Übergabe des Hermannsdenkmals an das deutsche Volk« 1875: Die Untertanengesellschaft? 4.1.3. Die 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald 1909: Die »klassenlose Volksgemeinschaft?« 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5. 4.3.

Feste für Vercingetorix und die >großen Männer< der >Auvergne< Feste der Notabeingesellschaft. Der Einfluß der Notabein auf die Festgestaltung Der Regionalkult in der Festkultur Der militärische Kult in der Festkultur Soziale Ordnung Die Einweihung des Vercingetorixdenkmals auf der Place de Jaude 1903: Das »Ende der Notabein«? Vergleichende Zusammenfassung

207 208 216 228 244 245 248 253 255 267 286

Schluß

284

Abkürzungen

297

Anmerkungen

298

Quellen- und Literatur 1. Ungedruckte Quellen

338 338

2. Gedruckte Quellen 2.1. Periodika 2.2. Zeitgenössische Literatur 3. Literatur

341 341 343 346

Anhang

367

Vereine für das Hermannsdenkmal in Deutschland

367

Graphiken

372

Tabellen

381

Register

401

6

Verzeichnis der Graphiken im Anhang Graphik la Durchschnittliche Spendenhöhe in Detmold nach Berufsgruppen 1838-43 (in Mariengroschen) Graphik l b Durchschnittliche Spendenhöhe in lippischen Städten nach Berufsgruppen 1838—43 (in Mariengroschen) Graphik lc Durchschnitdiche Spendenhöhe in lippischen Ämtern nach Berufsgruppen 1838-43 (in Mariengroschen) Graphik 2a Durchschnittliche Spendenhöhe im Königreich Hannover (Stadt Hannover) nach Berufsgruppen 1838-43 (in Silbergroschen) Graphik 2b Durchschnittliche Spendenhöhe im Königreich Hannover (Städte ohne Hannover) nach Berufsgruppen 1838-43 (in Silbergroschen) Graphik 2c Durchschnittliche Spendenhöhe im Königreich Hannover (Ämter) nach Berufsgruppen 1838-43 (in Silbergroschen) Graphik 3a Durchschnitdiche Spendenhöhe im Königreich Bayern (München) nach Berufsgruppen 1838-43 (in Kreuzern) Graphik 3b Durchschnitdiche Spendenhöhe im Königreich Bayern (Städte ohne München) nach Berufsgruppen 1838-43 (in Kreuzern) Graphik 3c Durchschnittliche Spendenhöhe im Königreich Bayern (Ämter) nach Berufsgruppen 1838^43 (in Kreuzern) Graphik 4 Prozentuale Verteilung der Berufsgruppen nach Spendenhöhe in Detmold 1838-43

372 373 374

375

376 377 378 378 379 380

Verzeichnis der Tabellen im Anhang Tabelle 1 Tabelle2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6

Soziale Zusammensetzung der Akademie (1824-1910) und der Société d'Emulation ( 1884-90) Wohnsitz der Mitglieder der Akademie (1824-1910) und der Société d'Emulation (1884-90) Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal nach Berufsgruppen 1838-43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal nach sozialen Gruppen 1838—43 Verteilung der Spenderinnen zum Hermannsdenkmal nach sozialen Gruppen 1838—43 Regionale Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal 1838-43

381 384 382 385 385 386

7

Tabelle 7

Tabelle 8

Tabelle 9

Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19

Tabelle 20 Tabelle 21 Tabelle 22 Tabelle 23 Tabelle 24

Tabelle 25 Tabelle 26 Tabelle 27

8

Spendenbetrag (in lippischen Pfg.) pro Kopf der Bevölkerung verschiedener deutscher Staaten und Beiträge deutscher Fürsten 1838-43 Spendenaufkommen durch die Vereine für das Hermannsdenkmal Hannover und Detmold sowie sonstiger Spender 1862-63 (in preußischen Pfg.) Spendenaufkommen durch die Vereine für das Hermannsdenkmal Hannover und Detmold sowie sonstiger Spender 1862-71 (in preußischen Pfg.) Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Fürstentum Lippe nach sozialen Gruppen 1838—43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Königreich Hannover nach sozialen Gruppen 1838^43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Königreich Bayern nach sozialen Gruppen 1838^43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin nach sozialen Gruppen 1 8 3 8 - 4 3 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Königreich Preußen nach sozialen Gruppen 1838^43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal in den restlichen deutschen Staaten 1838—43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal nach sozialen Gruppen und Kontaktwegen 1 8 3 8 - 4 3 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal nach Berufsgruppen und Kontaktwegen 1 8 6 2 - 7 1 Verteilung der Spenden (HDV Hannover) nach Kontaktwegen 1862-71 (in preußischen Pfg.) Prozentuale Beteiligung der lippischen Bevölkerung an den Subskriptionen in Detmold, in den anderen Städten und in den Ämtern des Fürstentums Lippe 1838—43 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Fürstentum Lippe nach Berufsgruppen 1862/63 Verteilung der Spender zum Hermannsdenkmal im Fürstentum Lippe nach sozialen Gruppen 1862/63 Verteilung der Spenderinnen zum Hermannsdenkmal im Fürstentum Lippe nach sozialen Gruppen 1862/63 Verhältnis Privatspenden und Beiträge von Fürsten 1862-71 Durchschnittliche Spenden zum Hermannsdenkmal im Fürstentum Lippe nach Berufsgruppen 1838^43 und 1862/63 (in Mariengroschen) Regionale Verteilung der Spenden für das Vercingetorixdenkmal 1869/70 Regionale Verteilung der Spenden für das Vercingetorixdenkmal 1886/87 Verteilung der Spenden für das Vercingetorixdenkmal nach Kommunikationswegen 1886/87

387

386

388 388 389 389 390 390 391 391 392 392

393 394 393 395 395

396 395 397 398

Tabelle 28 Verteilung der Subskribenten fur das Vercingetorixdenkmal nach Berufsgruppen 1 8 6 9 / 7 0 Tabelle 29 Verteilung der Mitglieder der Akademie ( 1865 ) und der Société d'Emulation (1888) nach Berufsgruppen Tabelle 30 Verteilung der Subskribenten für das Vercingetorixdenkmal nach Berufsgruppen 1 8 8 6 / 8 7 Tabelle 31 Verteilung der Spender für die Vercingetorixdenkmäler nach sozialen Gruppen 1 8 6 9 / 7 0 und 1 8 8 6 / 8 7

398 399 399 400

Abbildungsnachweis Seite 56: Seite 58: Seite 255:

Postkarte, Privatsammlung Postkarte, Privatsammlung Originalzeichnung von G. Theuerkauf, in: Ueber Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitung, Jg. 1875, Nr. 51. Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold (D 75 Nr. 415).

9

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Januar 1993 von der Abteilung Geschichte und Kulturgeschichte des Europäischen Hochschulinstituts Florenz als Dissertation angenommen und ist für den Druck überarbeitet und gekürzt worden. Dr. Heidrun Homburg und Dr. Thomas Schuler haben mir im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Universität Bielefeld den ersten Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem Hermannsdenkmal gegeben, noch bevor die »Denkmalswut« die Geschichtswissenschaft ergriffen hatte. Dafür bin ich ihnen sehr verbunden. Ohne Mathilde und Mehdi, sowie David, Isabelle und Leila Zar-Ayan, die mir die französische Sprache und Kultur nahegebracht und meine Liebe zu Frankreich geweckt haben, wäre ich nicht auf Vercingetorix, ihren adoptierten »ancêtre le gaulois« gestoßen. Ihre Freundschaft hat nicht nur dieser Arbeit ihre Richtung gegeben, sondern hat mich auch über meinen nationalen Horizont hinausgeführt. Ihnen gilt mein ganz besonderer Dank. Diese Arbeit wurde durch drei »Doktorväter« geprägt, die mich in vielfältiger Weise gefördert haben. Ihnen allen danke ich fur ihr persönliches Engagement. Prof. Reinhart Koselleck hat den ganzen Werdegang der Dissertation mit großem Interesse begleitet und hatte stets Zeit für ausgiebige und spannende Diskussionen. Prof. Daniel Roche hat diese Arbeit in meinem ersten und seinem letzten Jahr am Europäischen Hochschulinstitut betreut und beeinflußt. Prof. Heinz-Gerhard Haupt hat mich in den letzten Jahren am Europäischen Hochschulinstitut mit großem Engagement und vielfältigem Rat unterstützt und war jederzeit ansprechbar. Vor allem hat er den mühevollen Prozeß des Schreibens mit konstruktiven Anregungen und viel Aufmunterung begleitet und vorangebracht. Den Herausgebern der »Kritischen Studien«, Prof. Helmut Bertling, Prof. Jürgen Kocka, Prof. Hans-Peter Ulimann und Prof. Hans-Ulrich Wehler, sei für die Aufnahme dieser Arbeit in ihre Reihe gedankt. Ihnen, meinen »Doktorvätern« und den Mitgliedern der Jury der Disputation Prof. Etienne François, Prof. Ute Frevert und Prof. Marco Meriggi gilt darüber hinaus mein Dank für ihre kritischen Anregungen für die Überarbeitung des Manuskripts. 11

Für ihre persönliche Unterstützung und Gastfreundschaft während meiner Forschungsaufenthalte in Frankreich danke ich Prof. Sylvie Guillaume und Prof. Antoinette Ehrard. Außerdem bin ich zahlreichen Institutionen verpflichtet. Das DeutschFranzösische Jugendwerk finanzierte einen einjährigen Studienaufenthalt in Bordeaux. Promotionsstipendien erhielt ich durch das Land NordrheinWestfalen, den Deutschen Akademischen Austauschdienst und das Europäische Hochschulinstitut Florenz. Die Hermannsdenkmal-Stiftung trug zu meinen Forschungen durch einen finanziellen Zuschuß bei. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zahlreicher Archive und Bibliotheken halfen mir bei meinen Recherchen. Die Drucklegung wurde ermöglicht durch Druckkostenzuschüsse des Europäischen Hochschulinstituts, der Hermannsdenkmal-Stiftung und der Rotaryclubs von Florenz, Colombes und Valencia. Allen genannten Institutionen und den sie vertretenden Personen sei herzlich gedankt. Schließlich bin ich allen meinen Freundinnen und Freunden in Bielefeld, Bordeaux und Florenz zum Dank verpflichtet, die nicht mehr an einem Denkmal vorbeigehen können, ohne es wahrzunehmen. Besonders danke ich Felicitas von Aretin, Christina Benninghaus, Axel Flügel, Jutta Gützkow, Manfred Hetding, Irmingard Höllen, Michael Jeismann, Paul Nolte, Stéphane Rouyer, Veronika Tacke und Monika Wienfort, die immer wieder mit mir diskutiert haben und das Manuskript oder Teile von ihm gelesen, kommentiert oder korrigiert haben. Anna-Maria Aubanell, Pascal Brioist und Christoph Dartmann danke ich für ihre Hilfe mit der Computertechnik. A Fabrizio Ghelli Luserna di Rorà devo di essere giunta a questa fase finale dei ringraziamenti. Senza di lui non avrei concluso. Gewidmet ist dieses Buch Erich und Gertrud Tacke, die die größte Last getragen und mit mir als Kind keinen Ausflug zum Hermannsdenkmal gemacht haben. Florenz, im Oktober 1994

12

Charlotte Tacke

Einleitung

Auf die frappierenden Ähnlichkeiten der deutschen und französischen Gründungsmythen, die sich im 19. Jahrhundert um die antiken Helden Hermann und Vercingetorix spönnen, ist bereits wiederholt hingewiesen worden, ohne daß dieser Tatbestand zu einem systematischen Vergleich Anlaß gegeben hätte. 1 So beruft sich etwa Thomas Nipperdey bei seinem Versuch, das Hermannsdenkmal, dem der Ruch des Mythisch-Irrationalen anhängt, zu rehabilitieren, auf die Parallelität der deutsch-französischen Mythenbildung. »Die Wendung zur Frühgeschichte ist nicht, wie man öfter bei kritischen Feuilletonisten lesen kann, ein spezifisch deutscher Hang zum mythischen Dunklen und Irrationalen. Es ist vielmehr eine, zumal seit dem 18. Jahrhundert, allgemein europäische Erscheinung, die die entsprechenden Nationalbewegungen, auch in ihren revolutionären Zügen, wesendich geprägt hat. Dem Laien fallen manche, dem Historiker viele Beispiele für dieses Phänomen ein. In Frankreich gibt es, wie in Clermont-Ferrand und Alison, riesige und anderswo kleine Standbilder des keltischen Helden Vercingetorix und das Ausspielen des Keltischen gegen das Germanische gehört bekanndich zu den frühen Traditionen der revolutionären französischen National bewegung.« 2

Auch wenn diese Polemik, die sich vor allem gegen Vertreter der These eines deutschen Sonderwegs richtet,3 zum Teil auf falschen Informationen über die französischen Vercingetorixdenkmäler beruht und in ihrer pauschalen und überspitzten Formulierung nicht haltbar erscheint,4 verweist sie doch auf eine schwer erklärliche Forschungslücke, die die vorliegende Studie zu schließen hofft. Die Nationalismusforschung gehörte seit ihrer Entstehung nach dem Ersten Weltkrieg zu den wenigen Forschungsgebieten der Geschichtswissenschaft, die den europäischen und später internationalen Vergleich als historische Methode 5 notwendig einschlössen und systematisch anwandten. Wenn auch der Nationalismus in der Regel als nationalstaatliches Phänomen betrachtet und teleologisch als auf den Nationalstaat ausgerichtet behandelt wurde, erschien er doch als europäisches und später als weltweites Phänomen. Die Geschichtswissenschaft bemühte sich daher weit häufiger in diesem als in anderen Bereichen der Forschung um eine 13

empirische und theoretische Analyse auf internationaler Ebene. Waren die Paradigmen der Nationalismusforschung seit den 50er Jahren auch einem deutlichen Wandel unterworfen, bildete der internationale Vergleich doch stets die bestimmende Methode. Nationalismustheorien sollten allgemeingültige Erklärungsraster fur europäische und außereuropäische Erscheinungsformen dieses Phänomens bereitstellen. Ideal typen der Bildung und Erscheinungsformen des Nationalstaats wurden aus dem Vergleich geboren und formten das Modell ftir komparative empirische Untersuchungen. 6 Die vergleichende Methode ist jedoch mit der Entdeckung nationaler Symbole, Mythen und Rituale im Rahmen einer kulturgeschichtlichen und zum Teil durch ethnologische Fragestellungen gesteuerten Erforschung nationaler Identitäten und politischer Mentalitäten aufgegeben worden. Zwar konnten Arbeiten auf diesem Gebiet in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland und Frankreich, aber auch in anderen europäischen Ländern eine Hochkonjunktur verzeichnen.7 Jedoch wurden Denkmäler und Symbole jeweils nur innerhalb einer nationalen Ausprägung erfaßt. Lediglich in wenigen Ausnahmefällen wurde ein, wenn auch oft nur flüchtiger Blick über die nationalen Grenzen hinweg geworfen. 8 Einzelne Arbeiten wurden zwar auf europäischer Ebene rezipiert. So wurden z.B. neben der Marianne als weiblichem Symbol der französischen Republik auch die Italia, Britannia, Germania oder Helvetia als Forschungsobjekte entdeckt. 9 Häufig reduzierte sich die Rezeption auf die Übernahme von Schlagworten wie dem der »Nationalisierung der Massen«, »invented tradition« oder »lieux de mémoire«.10 Es wurde jedoch nicht reflektiert, ob es möglich und sinnvoll ist, die in einem nationalen Kontext entwickelten Konzepte auf andere nationale Gesellschaften zu übertragen. Nicht nur die empirische Forschung macht an den nationalen Grenzen halt, sondern auch die Kategorienbildung, und die anhand nationaler Gegebenheiten entwickelten Erklärungsansätze sind fur einen internationalen Vergleich nicht flexibel genug. Sie bleiben in nationale historiographische Traditionen eingebettet und sind in erster Linie auf den jeweiligen Nationalstaat und seine spezifische Problematik ausgerichtet. Es fehlt ein angemessenes analytisches Instrumentarium für einen komparativen, kulturgeschichtlichen Ansatz auf diesem Forschungsgebiet. Im Hinblick auf einen deutsch-französischen Vergleich wird dieses Problem besonders in den theoretischen Ansätzen von Thomas Nipperdey, Maurice Agulhon und Pierre Nora augenfällig, die in beiden Ländern auf dem Gebiet der nationalen Symbole und Denkmäler wegweisende Untersuchungen vorgelegt haben. Pierre Nora beteuert zwar, daß die Rückkehr zur nationalen Historiographie, die er im Rahmen seines Interesses für die »lieux de mémoire« vollzieht, keineswegs einen »neuen gallo-zentrischen Regreß« darstelle. Im Gegenteil solle sie Material fur den »Vergleich 14

unserer verschiedenen Erdteile« bieten. Dennoch definiert er »lieux de mémoire« eindeutig als Gedächtnisorte des als politische, republikanische und das heißt französische Einheit konstituierten Staates und sucht nach der »Herausbildung der politischen Identität Frankreichs«. 11 Die Typen des kollektiven Gedächtnisses, die er schließlich als Resümee des vielbändigen Werkes über die »lieux de mémoire« anbietet, stehen nicht nur in der Tradition des zentralistischen französischen Staates, 12 sie sollen sogar ausdrücklich die Besonderheit und Einheit der französischen Nation dokumentieren und damit zur aktuellen nationalen Sinnstiftung in Frankreich beitragen. 13 Damit liegt dem Ansatz bereits der französische Weg zum Nationalstaat und seine besondere nationale Ausprägung zugrunde. Es ist jedoch fraglich, ob aus nationalen Besonderheiten ein europäisches Phänomen erklärt werden kann. Noch expliziter ist das Forschungsinteresse Maurice Agulhons mit der französischen Republik und der politisch konstituierten Nation verbunden. Nicht nur seine Liebe zu Marianne, die er ausschließlich als politische Symbolfigur der Republik deutet, sondern auch seine früheren grundlegenden theoretischen Überlegungen zur »Statuomanie« gehen von einer engen Symbiose von Republik und Denkmal aus. »Der Denkmalswut liegt die Ideologie des liberalen Humanismus zugrunde, aus dem sich später die Demokratie als natürliche Erweiterung entwickeln wird.« 14 Auf einem solchen Hintergrund können andere europäische Entwicklungen, wie etwa der deutsche Fall, nur als Sonderweg gedeutet werden. Nipperdeys Idealtypen des deutschen Nationaldenkmals binden zwar die Ursprünge des Phänomens auch an liberale Ideen und Werte - so etwa der Typus des Denkmals der Bildungs- und Kulturnation und der des nationaldemokratischen Denkmals - , konstatieren aber langfristig eine Entwicklung zum Denkmal der nationalen Sammlung und nationalen Konzentration der geschlossenen Volksgemeinschaft. 15 Daher liegen auch diesen Idealtypen die nationalen Besonderheiten der deutschen Entwicklung zugrunde. Sie können nicht auf einen anderen als den deutschen Fall angewandt werden: es sind deutsche Typen. Auch Wolfgang Hardtwig interpretiert das Denkmal im Deutschen Kaiserreich als Ausdruck der deutschen (autoritären) Staatsnation. Er unterstreicht in mehreren, dem Ergebnis nach ähnlichen Aufsätzen über die Symbolik des Kaiserreichs eine im Denkmal zu Tage tretende Unterordnung des Bürgertums unter den autoritären Staat und attestiert dem deutschen Bürgertum des Kaiserreichs, daß es - zumindest auf dem Gebiet der politischen Kultur - mit »erheblichen Defiziten« belastet gewesen sei. Damit überlebt fur ihn ein »Kern der Sonderwegsthese«, zu dem »eine erhebliche Verformung des bürgerlichen Staatsbewußtseins bzw. der Staatsgesinnung gehörte«. 16 Eine Übertragung der französischen Kategorien und Erklärungsansätze 15

auf den deutschen Fall und umgekehrt scheint ausgeschlossen. Versucht man die Ergebnisse der deutschen und französischen Denkmalsforschung zu verbinden, findet man sich unwillkürlich mit Gegensätzen in der Entwicklung beider Länder konfrontiert, die sich mit der »Denkmalswut« beider Länder schwer vereinbaren lassen.17 Erstens gehen alle zitierten Autoren unterschwellig und unreflektiert von einer Dichotomie zwischen der deutschen Kulturnation und der französischen Staatsnation aus.18 Das französische »monument civique« der Begriff des Nationaldenkmals wird in Frankreich typischerweise äußerst selten benutzt - wird als Denkmal der republikanischen Staatsnation und Ausdruck eines voluntaristischen Nationenbegriffs interpretiert. Dagegen erscheint das deutsche Nationaldenkmal zumindest für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts als Denkmal der Kulturnation, die sich über objektive Kriterien konstituiert und im Denkmal ihren Niederschlag findet. Bereits ein flüchtiger Blick auf die Helden der Gründungsmythen der deutschen und französischen Nation, Hermann und Vercingetorix, stellt die Kategorien der Kultur- und Staatsnation in Frage. Der Erfolg dieser Symbole im 19. Jahrhundert in beiden Ländern unterläuft die Dichotomie zwischen einer voluntaristisch und einer objektiv konstituierten Nation. Offenbar bedurfte nicht nur die deutsche Nation eines Gründungsmythos, der die Einheit der Nation auf >objektiveethnischeethnischethnischenobjektiviert< und über den individuellen Akt des sozialen Handelns hinaus verlängert, die Wahrnehmung der Gesellschaft selbst und geben den Rahmen ab für zukünftiges soziales Handeln. Der Clifford Geertz entlehnte Kulturbegriff ist deshalb zunächst ein sehr allgemeiner: »er bezeichnet ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln«.30 Wenn auch der ethnographische Zugang von Geertz für eine hermeneutische historische Analyse methodisch fruchtbar umgesetzt werden kann, verzichtet sein sehr allgemeiner Kulturbegriff jedoch auf analytische Kategorien der Erklärung von sozialer Ungleichheit. Um den kulturanthropologischen Zugang mit sozialgeschichtlichen Fragestellungen abzusichern, also Verstehen und Erklären zu verbinden, reicht ein allgemeiner Kulturbegriff, der auf die Analyse von Klassen und Klassenbildung verzichtet und keinen analytischen Zugang zur untersuchten Wirklichkeit bietet, nicht aus. Indem Nationaldenkmäler als gesellschaftlich konstruierte, durch soziales Handeln und Ordnungsvorstellungen konstituierte Symbole von »imaginären Gemeinschaften« verstanden werden, vermitteln sie nicht nur den Sinn der als territoriale Gemeinschaft verfaßten Nation, sondern manifestieren auch die der Nation immanenten Ordnungsprinzipien. Im Nationaldenkmal >objektiviert< sich nicht nur die nationale Gemeinschaft, sondern auch die soziale Ordnung der die Nation bildenden Gesellschaft. Nation und bürgerliche Gesellschaft sind nicht nur über abstrakte Ideen aneinander gebunden, sondern konstituieren sich gemeinsam als nach außen abgegrenzte und nach innen differenzierte gesellschaftliche Einheiten. Nationaldenkmäler sind darum auf die in ihnen zum Ausdruck kommenden, und das heißt im sozialen Handeln nachvollziehbaren und beschreibbaren, räumlichen und sozialen Ordnungsprinzipien hin zu befragen. Damit ist die Analyse der Vergesellschaftung und Klassenbildung des Bürgertums im 19. Jahrhundert, als der mit »symbolischem Kapital« (Bourdieu) ausgestatteten gesellschaftlichen Gruppe, Bedingung der Möglichkeit des Vergleichs nationaler Denkmäler. Der ethnographisch-hermeneutische Ansatz von Clifford Geertz, der 19

keine strukturierenden analytischen Kategorien anbietet, sondern nur aus einer »dichten Beschreibung« heraus soziales Handeln verstehbar machen will,31 läßt sich mit der Klassentheorie Bourdieus fruchtbar verbinden. Das Habituskonzept Bourdieus stellt ein soziologisch-analytisches Konzept bereit, mit dem die Konstruktionsprinzipien sozialen Handelns als Vergesellschaftungsprozesse von Klassen analysiert und verglichen werden können.32 Das >Bürgertum< kann als ökonomisch bedingte und gleichzeitig als durch seine ständische Lage vergesellschaftete soziale Gruppe verstanden werden. 33 Der Prozeß der Klassenbildung wird als ein dynamischer aufgefaßt, der im Wechselverhältnis von sozialer Struktur und kultureller Repräsentation ständig vonstatten geht. Auf dem Hintergrund eines solchen Konzeptes stellt sich die Frage, inwieweit das Bürgertum aufgrund seiner ökonomisch äußerst heterogenen Zusammensetzung überhaupt als einheitliche soziale Klasse aufzufassen ist.34 Kann das Bürgertum, so ist zu untersuchen, über spezifische kulturelle Normen, die ein verbindliches Modell der internen Verhaltensmuster einer Klasse und zugleich ein Modell der Wahrnehmung von sozialen Praktiken darstellen, als kulturell homogene Klasse von anderen Klassen unterschieden werden? Der Habitus ist in diesem Zusammenhang weder als unabhängig von sozialen Strukturen noch als ein statisches Modell der gesellschaftlichen Differenzierung zu verstehen. Vielmehr entscheiden gesellschaftliche Kämpfe über die Gültigkeit und die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Repräsentations- und Differenzierungsformen. Über den Ausgang dieser Auseinandersetzungen entscheidet das symbolische Kapital, daher letztlich das ökonomische und kulturelle Kapital, in dem Maße, wie es von den anderen gesellschaftlichen Gruppen anerkannt wird. Soziale Struktur und deren Repräsentation in sozialen Praktiken und damit die Wahrnehmung gesellschaftlicher Differenzierung sind in ein stetes Wechselverhältnis eingebunden, in welchem sie sich gegenseitig verstärken, jedoch veränderbar sind. Pierre Bourdieu beschreibt diesen Prozeß folgendermaßen: »Die von den sozialen Akteuren im praktischen Erkennen eingesetzten kognitiven Strukturen sind inkorporierte soziale Strukturen. Wer sich in dieser Welt >vernünftig< verhalten will, muß über ein praktisches Wissen von dieser verfugen, damit über Klassifikationsschemata mit anderen Worten über geschichtlich ausgebildete Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die aus der objektiven Trennung von >Klassen< hervorgegangenen (Alters-, Geschlechts-, Gesellschaftsklassen), jenseits von Bewußtsein und diskursivem Denken arbeiten. Resultat der Inkorporierung der Grundstrukturen einer Gesellschaft und allen Mitgliedern derselben gemeinsam, ermöglichen diese Teilungs- und Gliederungsprinzipien den Aufbau einer gemeinsamen sinnhaften Welt, einer Welt des sensus communis.« 35

Die Verbindung von sozialer und mentaler Struktur, die der Habitus herstellt, sichert einerseits die kontinuierliche Reproduktion der Verteilung 20

von symbolischem Kapital, sie kann andererseits jedoch auch durch eine neue symbolische Vision der Gesellschaft durchbrochen und verändert werden. Der erweiterte und dynamische Klassenbegriff, der besonders nach kulturellen Kriterien von Klassenbildung und der »symbolischen Ordnung signifikanter Unterscheidungen«36 fragt, ist flexibel genug, verschiedene Berufsgruppen unter dem Begriff des Bürgertums zusammenzufassen. Er ermöglicht zudem, auch andere als ökonomische, vor allem geschlechtsspezifische Ursachen sozialer Ungleichheit in die Analyse einzubeziehen. Darüber hinaus bietet er unschätzbare Vorzüge für den Vergleich. Es ist nicht nur innerhalb eines nationalen Bürgertums, wie etwa im Fall des deutschen Bürgertums, unmöglich, die Vergesellschaftung von unterschiedlichen Berufsgruppen, wie etwa des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums, zu einer sozialen Klasse ausschließlich mit Hilfe von ökonomischen Gemeinsamkeiten zu beschreiben. Auch in verschiedenen nationalen Kontexten scheint sich das Bürgertum ökonomisch auf unterschiedliche Weise zu konstituieren. Dies ist vor allem im Vergleich Deutschlands und Frankreichs bedeutsam. Abgesehen davon, daß die französische Historiographie sich fur das >Bürgertum< als soziale Klasse wenig interessiert und stattdessen Notabein, Eliten oder die Bourgeoisie37 erforscht, wobei sich hinter diesen Bezeichnungen je unterschiedliche Gruppen verbergen, erscheint eine nominalistische Übertragung des Begriffs >Bürgertum< von der deutschen auf eine andere europäische Gesellschaft riskant. Bereits die Minimaldefinition des deutschen Bürgertums als einer nach oben - vom Adel - und nach unten - von >unterbürgerlichen Schichten< - abgegrenzten sozialen Formation steht quer zur sozialen Gruppe der Notabein in Frankreich, die sich aus bürgerlichen und adligen Honoratioren zusammensetzte und die französische Gesellschaft während des gesamten 19. Jahrhunderts entscheidend prägte.38 Es liegt daher nahe, den Begriff des >Bürgertums< entweder auf die deutsche Gesellschaft zu beschränken und die ihm immanenten deutschen Eigentümlichkeiten zu erhalten, oder aber >Bürgertum< als abstrakten Klassenbegriff zu benutzen, in dem sich in verschiedenen Ländern unterschiedliche Berufsgruppen wiederfinden können, die einzig durch eine spezifische, distinkte Kultur untereinander verbunden sind und über diese verglichen werden können. Der Titel dieser Arbeit - »Denkmal im sozialen Raum« - unterstellt, daß Denkmäler ohne den sie umgebenden sozialen Raum, der sich im sozialen Handeln konstituiert und verändert, nicht verstanden werden können. Das Konzept geht davon aus, daß Denkmäler durch das symbolisch auf sie bezogene soziale Handeln den sozialen Raum prägen und institutionalisieren. Sowohl der Prozeß der »Nationalisierung« und »Regionalisierung« einer Gesellschaft als auch der Vergesellschaftung sozialer Gruppen

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und Klassen findet in einem sozialen Raum statt und schafft diesen zugleich. Ein sozialer Raum konstituiert sich, so Bourdieu, durch die sozialen Beziehungen der in ihm symbolisch Handelnden, durch ihre Repräsentation, Wahrnehmung und allgemeine soziale Anerkennung. Ein sozialer Raum stellt eine soziale Ordnung dar, die den einzelnen Individuen eine bestimmte und bestimmbare Position zuweist. Diese entspricht den >objektiven< sozialen Strukturen dieses Raumes. Indem die sozialen Strukturen durch symbolische Praktiken und Repräsentationen >subjektiv< abgebildet und wahrgenommen werden, werden sie als solche (an)erkannt, reproduziert und verstärkt.39 Ein Denkmal und die auf es gerichtete symbolische Praxis konstituieren den sozialen Raum, indem sie ihn einerseits benennen und abgrenzen (als Nation, als bürgerliche Gesellschaft) und andererseits die ihm zugrundeliegenden sozialen Beziehungen darstellen und repräsentieren. Die Legitimation der dargestellten Ordnung kann nicht als Produkt von Propaganda oder symbolischer Oktroyierung interpretiert werden. Sie resultiert vielmehr aus der Wahrnehmung und dem Selbstverständnis der Handelnden selbst. Sie geht aus >objektiven< Strukturen hervor und wird deshalb von den Handelnden als selbstevident anerkannt. 40 Die Einbeziehung des im und durch das Denkmal geschaffenen sozialen Raumes ist die Bedingung einer historischen Denkmalsanalyse, die auf eine sozialgeschichtlich orientierte Kulturgeschichte des Bürgertums abzielt. Sie versucht, aus der symbolischen Selbstbeschreibung der sozialen Gruppen die in der Gesellschaft wirksamen Klassenlinien zu verstehen und zu vergleichen. Die Analyse von Denkmälern im sozialen Raum soll Aufschluß darüber geben, in welchem Maße es den deutschen und französischen bürgerlichen Klassen gelang, in nationalen Symbolen wie Hermann und Vercingetorix und durch sie die Vision und Di-vision der bürgerlichen Gesellschaft allgemein verbindlich zu repräsentieren und durchzusetzen. Räume dienen jedoch nicht nur als Bezugsgefüge für das Denken und Verhalten und wirken damit identitätsbildend, 41 sondern sie definieren gleichzeitig auch Grenzen; nach diesen Grenzen und Grenzziehungen sowie ihrer Bedeutung innerhalb der französischen und deutschen bürgerlichen Gesellschaft und zwischen ihnen will diese Untersuchung Ausschau halten. Die Verbindung, welche die Denkmäler zwischen Nation und bürgerlicher Gesellschaft herstellen, bilden die Räume und ihre Grenzen sowohl territorial als auch sozial. Geographische Grenzen, die institutionalisiert oder imaginär sein können, 42 schaffen territoriale Identität, die die in einem Raum lebende Gemeinschaft zugleich als homogene Einheit definiert und gegen andere, jenseits der Grenzen lebende Gemeinschaften abgrenzt. Soziale Grenzen dagegen - Klassen-, Geschlechts- oder Konfes-

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sionsgrenzen - differenzieren die innerhalb der geographischen Grenzen lebende Gemeinschaft im Innern und kreieren soziale Identitäten und Unterschiede, die quer zu den räumlich bedingten Identitäten und Grenzziehungen stehen. Nation und bürgerliche Gesellschaft zeichnen sich beide durch Mechanismen der Integration und Distinktion aus, stehen darüber hinaus jedoch zueinander in einem kontinuierlichen Spannungsverhältnis von integrativen und distinktiven Mechanismen sozialer Identitätsbildung. Der Begriff des sozialen Raumes verweist deshalb zugleich auf die Notwendigkeit, das Verhältnis von räumlicher und sozialer Identität zu untersuchen. Der soziale Raum, der im Denkmal bzw. durch das auf es bezogene soziale Handeln zugleich dargestellt und hervorgebracht wird, ist - wenn er als Nation benannt und anerkannt wird - in ein Wechselverhältnis von vergemeinschaftenden und vergesellschaftenden sozialen Beziehungen eingebunden. Die Nation beschreibt die gesellschaftlichen Beziehungen zunächst als Gemeinschaft, indem das soziale Handeln ihrer Mitglieder durch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aufeinander bezogen wird.43 Die Einheit einer Gemeinschaft kann jedoch nur durch die Referenz zu anderen Einheiten benannt werden. Damit eine Gemeinschaft sich als Einheit wahrnehmen und ein Solidaritätsempfinden entwickeln kann, muß sie sich nach außen abgrenzen. Der Unterschied zwischen verschiedenen Nationen - auch wenn sie durch Grenzen deutlich voneinander abgetrennt sind kann nur dargestellt werden, indem sie sich jeweils als Einheiten unterschiedlicher innerer Differenzen aufeinander beziehen und voneinander abgrenzen. Wird eine Gemeinschaft jedoch als spezifische Einheit innerer Differenzierung beschrieben, verweist sie notwendig auf die internen »allgemeinen Strukturformen menschlicher Gemeinschaften«.44 In der Repräsentation als Gemeinschaft stellt sich die Nation als Gesellschaft dar. Ein nationales Symbol repräsentiert durch die auf es gerichtete symbolische Praxis die Nation nicht nur als »imaginäre Gemeinschaft«, sondern vor allem auch als sozial differenzierte Gesellschaft - als bürgerliche Gesellschaft. In Deutschland und Frankreich organisierten sich Denkmalsbewegungen, die als bürgerliche Vereine auf die Errichtung von Denkmälern zu Ehren von Hermann und Vercingetorix zielten. Durch nationale Subskriptionen und Feste strebten sie eine Mobilisierung der gesamten Bevölkerung an und versuchten so, einen Raum verdichteter Kommunikation herzustellen. Verein, Subskription und Fest können als symbolische Praktiken und Repräsentationsformen, gleichsam als Selbstbeschreibungen der Gesellschaft, untersucht und verglichen und auf die in ihnen zum Ausdruck kommenden bürgerlichen Ordnungsvorstellungen hin befragt werden. Es ist zu verfolgen, ob und wie sich das Bürgertum über eine spezifisch 23

bürgerliche Kultur repräsentierte und vergesellschaftete und gleichzeitig seine sozialen Vorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft durchsetzte. Der soziale Raum der Denkmäler ist zwar ein bürgerlich dominierter, er wird jedoch nicht nur auf bürgerliche Gruppen begrenzt. Er bezieht notwendig nicht- und unterbürgerliche Gruppen mit ein und weist ihnen ihren Platz in der Gesellschaft zu. Damit bürgerliche Distinktion nicht zur Separation des Bürgertums von der Gesellschaft und damit zum Machtverlust fuhrt, wird sie stets mit Elementen der Integration verbunden. Durch Mechanismen der sozialen Distinktion und Integration entwirft das Bürgertum einen sozialen Raum der bürgerlichen Gesellschaft als differenzierte Einheit. Die soziale Differenzierung und Abgrenzung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wird durch territoriale Differenzierung und Abgrenzung als Einheit zusammengehalten. Die Selbstbeschreibung der Gesellschaft als Nation und bürgerliche Gesellschaft zugleich entspricht einem Wechselverhältnis von gesellschaftlichen Mechanismen von Ein- und Ausschluß, die erst zusammen die bürgerliche Gesellschaft als differenzierte Einheit ermöglichen. Die Grenzen des sozialen Raumes als territoriale und soziale Grenzen haben eine doppelte Wirkung: Sie wirken nach innen integrativ, solange sie sich über die Referenz nach außen sozial und räumlich abgrenzen. Der Prozeß der Nationsbildung wie auch der Klassenbildung beruht auf Mechanismen von Inklusion und Exklusion, die einander zu widersprechen scheinen, jedoch erst zusammen die gesellschaftliche Einheit ausmachen. Der Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft auf Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit für alle sozialen Gruppen in der Gesellschaft steht zu ihrer sozialen Wirklichkeit, die durch soziale Ungleichheit und Differenzierung geprägt ist, keineswegs im Widerspruch. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist vielmehr Bedingung der Möglichkeit bürgerlicher Gesellschaft. Die »Bürgerlichkeit« einer Gesellschaft läßt sich daran messen, inwieweit es dem Bürgertum gelingt, ein allgemein verbindliches und anerkanntes Modell von Gesellschaft zu repräsentieren, in dem es selbst als distinkte soziale Gruppe erscheint. Das deutsche Hermannsdenkmal und die französischen Vercingetorixdenkmäler verherrlichten antike Helden, die, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg, in einem Abstand von nur wenigen Jahrzehnten gegen die römische Invasion Germaniens bzw. Galliens gekämpft hatten. Im 19. Jahrhundert wurden sie zu nationalen Helden erhoben und in Denkmälern gefeiert. Eine vergleichende Untersuchung dieser Denkmäler scheint daher in mehrfacher Hinsicht vielversprechend. Sie stellt nicht Gegensätze und Unterschiede zwischen beiden Ländern - wie etwa den Unterschied zwischen einer politisch konstituierten und einer kulturell legitimierten Nation, zwischen einem französischen, voluntaristischen und einem deutschen, 24

objektiven Nationalismus oder gar zwischen einem »Idealweg« und einem »Sonderweg« oder zumindest verspäteten Weg zur nationalen, bürgerlichen Gesellschaft - an den Ausgangspunkt. Sie beginnt vielmehr mit den frappierenden Ähnlichkeiten zwischen den nationalen Mythen und Symbolen beider Länder. Sie nähert sich den nationalen Unterschieden nicht über die Konstatierung unterschiedlicher politisch-sozialer Strukturen, sondern geht von identischen kulturellen Erscheinungen in beiden Ländern aus. Die Methode dieses Vergleichs ist keine deduktive, die Ähnlichkeiten und Unterschiede durch den Vergleich der Sozialstruktur analysiert, sondern eine induktive, die darauf abzielt, die nationalen oder regionalen Besonderheiten in Deutschland und in Frankreich mit Hilfe von Symbolen und symbolischen Praktiken in den Blick zu nehmen. Um den durch Denkmäler und nationale Symbole hervorgebrachten sozialen Raum zu erfassen, sieht diese Untersuchung weitgehend von den Denkmälern als unmittelbaren Forschungsgegenständen ab und verzichtet auf eine - notwendig dilettantische - kunsthistorische Analyse ihrer Ausdrucksformen. Der hier verfolgte Zugriff ist ein doppelter: Im ersten Kapitel wird eine semantische Analyse der durch die nationalen Mythen Hermann und Vercingetorix im 19. Jahrhundert vermittelten nationalen Vorstellungen vorgenommen. In den folgenden Kapiteln wird dann die symbolische Praxis der Denkmalsbewegungen über die Analyse der Vereine, Subskriptionen und Feste erschlossen. Da die Definition der Nation als Gemeinschaft die Referenz zur anderen Nation als Modell der äußeren und inneren Differenzierung mit einschließt, wird im ersten Teil untersucht, wie sich die Mythenbildungen um Hermann und Vercingetorix aneinander orientiert bzw. voneinander abgegrenzt haben. Damit wird gezeigt, wie sich die jeweilige Nation als Einheit mit spezifischen inneren Differenzierungsformen gegen die andere Nation bestimmt. Der Vergleich dient hier nicht nur als analytisches Instrument, mit dem Ähnlichkeiten und Unterschiede herausgearbeitet oder Hypothesen experimentell überprüft werden können. Vielmehr ist er hier Bedingung von historischer Erklärung schlechthin. Es wird gezeigt, daß die Mythen von Hermann und Vercingetorix sich nicht nur wechselseitig aufeinander bezogen, sondern daß sie darüber hinaus nationale Stereotypen der Selbst- und Fremdbeschreibung hervorbrachten, die die Nationen in Abgrenzung voneinander als intern unterschiedlich differenzierte Einheiten beschrieben. Um die verschiedenen Räume und deren soziale Bedeutung zu erfassen, wechselt der zweite Teil, der die auf die Denkmäler gerichtete symbolische Praxis analysiert, die Vergleichseinheit. Die Denkmalsbewegungen werden nicht - auch wenn es zunächst paradox erscheint - in erster Linie als nationale Bewegungen, also auf der Ebene des Nationalstaates verglichen, 25

sondern auf regionaler bzw. lokaler Ebene. 45 Diese Regionen, die Auvergne in Frankreich und der Kleinstaat Lippe in Deutschland, erscheinen nicht nur als Räume verdichteter Kommunikation in den >nationalen< Denkmalsbewegungen, sondern werden in der auf das Nationaldenkmal ausgerichteten symbolischen Praxis erst als soziale Räume der bürgerlichen Gesellschaft repräsentiert und wahrgenommen. Sowohl die ehemalige historische Region des Ancien Régime, die Auvergne, als auch der Kleinstaat Lippe, also zwei eng mit dem monarchischen Staat verbundene Regionen, wurden mit Hilfe der >nationalen< Symbole Hermann und Vercingetorix von bürgerlichen Gruppen als Regionen der bürgerlichen Gesellschaft im Sinne von »invention of tradition« konstruiert und zu explizit bürgerlichen Räumen uminterpretiert. Durch die verdichtete Kommunikation der Stadt und Region findet die soziale Repräsentation nicht in einem imaginären Raum statt, sondern in der alltäglichen symbolischen Praxis von aufeinander bezogenen sozialen Handlungen. Indem die Nation in der Region untersucht wird, kann darüber hinaus das Verhältnis von nationalen Zielvorgaben und Legitimationsformeln einerseits und lokalen und regionalen bürgerlichen Milieus anderereits, das Verhältnis zwischen nationalen, regionalen und lokalen Identitäten der bürgerlichen Gesellschaft in den Blick genommen werden. 46 Die Auswahl der Regionen als Vergleichseinheiten wird durch die Symbole bestimmt. Da das Hermannsdenkmal im Kleinstaat Lippe errichtet wurde und die Bewegungen für ein Vercingetorixdenkmal im 19. Jahrhundert in der >Auvergne< am dauerhaftesten und bedeutendsten waren, konzentriert sich der Vergleich der Denkmalsbewegungen auf diese beiden Regionen und deren >Hauptstädte< Detmold und Clermont-Ferrand. 47 Dabei wird jedoch stets nach den Verbindungen dieser Regionen zum nationalen Raum gefragt und das Wechselverhältnis von Region und Nation beleuchtet. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in beiden Regionen gestalteten sich im 19. Jahrhundert durchaus ähnlich. Beide Regionen stellten während des 19. Jahrhunderts »verspätete« Regionen des sozialen Wandels dar. Sie verband ein hoher ländlicher Bevölkerungsanteil und eine starke, zum Teil saisonale Emigration. Die Industrialisierung setzte in beiden Regionen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Auch wenn die >Hauptstädte< Detmold und Clermont-Ferrand in ihrer Größe sehr unterschiedlich waren und Clermont-Ferrand weit mehr Einwohner zählte als die kleine Residenzstadt Detmold, 48 lassen sich die Städte bzw. ihre Sozialstruktur dennoch vergleichen. Beide Städte waren während des 19. Jahrhunderts vor allem Verwaltungsstädte, in denen die Zahl der Beamten durch den Sitz der staatlichen Verwaltung - der Regierung des lippischen Staates und der Verwaltung des Departements Puy-de-Dôme - überdurch26

schnittlich hoch war. Aufgrund der verspäteten Industrialisierung war der Anteil der Wirtschaftsbürger an den bürgerlichen Gruppen im 19. Jahrhundert verschwindend gering. Die Wirtschaft beider Städte wurde vor allem durch das Kleingewerbe geprägt. Mit einer (organisierten) Industriearbeiterschaft wurden die bürgerlichen Gruppen in Detmold und ClermontFerrand während des ganzen 19. Jahrhunderts nur vermittelt konfrontiert. 49 Indem Denkmalsbewegungen auf regionaler Ebene verglichen werden, soll der nationale Bezug und die nationale Kommunikation dieser Bewegungen dennoch nicht aus dem Blick geraten. Der regionale Bezug hat außer der Frage nach den regionalen Identitäten in nationalen Bewegungen - vor allem methodische Vorzüge. Da diese Bewegungen weniger im Hinblick auf die in ihnen formulierten politischen Ziele und ihre Realisierung, sondern in Beziehung auf die sich in ihnen manifestierenden symbolischen Praktiken, sozialen Beziehungen und Repräsentationsformen sowie auf die in ihnen zum Ausdruck kommenden Vorstellungen des sozialen Raumes untersucht werden, bietet sich ein regional begrenzter Zugriff an. Hier können die sozialen Beziehungen und komplexen Kommunikationsstrukturen der bürgerlichen Gesellschaft exemplarisch erforscht werden. In ihrer methodischen Orientierung steht dieser Aspekt der Untersuchung dem von Maurice Agulhon entwickelten historisch-anthropologischen Konzept der »Sociabilité« nahe.50 Die deutsche Forschung hat sich zwar stärker als die französische einer Sozialgeschichte des Nationalismus und dem ihn tragenden bürgerlichen Vereinswesen des 19. Jahrhunderts zugewandt. 51 Jedoch standen hier vor allem die formalen Organisationsstrukturen, die soziale Zusammensetzung der Trägerschichten und die von den Bewegungen selbst deklarierten gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Ziele im Vordergrund des Interesses. Indem die Sociabilité-Forschung demgegenüber ihr Augenmerk auf informelle soziale Beziehungen und gesellige Praktiken, auf Strukuren von Kommunikation und Sozialisation richtet und nach dem »Innenleben« von Vereinen und geselligen Zusammenkünften fragt, stellt sie für das hier umrissene Forschungsvorhaben ein Konzept bereit, mit dem Vergesellschaftungsprozesse auf dem Weg über die soziale Praxis in den Blick geraten.52 Die methodischen Vorteile eines weitergefaßten Begriffs der Sociabilité liegen - außer in seinem prinzipiell interdisziplinären Anspruch - vor allem in drei Bereichen. Erstens können Vergesellschaftungsprozesse und sozialer Wandel unterhalb von dauerhaften formalen Organisationsstrukturen erfaßt werden. Auch wenn sich die Vereine, die die Denkmalsbewegungen im 19. Jahrhundert trugen, äußerlich nicht veränderten oder gar, wie im französischen Fall, ins 18. Jahrhundert zurückgingen, kann ihre soziale Dynamik anhand ihres Innenlebens erfaßt werden. 53 Zweitens beschränkt 27

sich der Blick der Sociabilite-Forschung nicht auf die Vereine selbst, sondern bezieht durch die Berücksichtigung ihrer kollektiven und öffentlichen Aktionen die sie umgebende Gesellschaft in die Analyse ein. Der Aufbau dieser Untersuchung, die sich zunächst dem »Innenleben« der Vereine zuwendet, die die Denkmäler errichteten (Kapitel 2 ) , dann aber über die Subskriptionen (Kapitel 3) und öffentlichen Feste (Kapitel 4 ) versucht, das Verhältnis der bürgerlichen Vereinsmitglieder zu anderen sozialen Gruppen und zur Gesamtgesellschaft zu erfassen, folgt dieser methodischen Vorgabe der Sociabilite-Forschung. Drittens eignet sich das Konzept besonders für den Vergleich unterschiedlicher nationaler Gesellschaften. Obwohl sich das Vereinswesen, aber auch die Subskriptionen und Feste, in Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert organisatorisch äußerst unterschiedlich gestalteten, lassen sich jenseits der formellen Unterschiede zwischen beiden Ländern doch Ähnlichkeiten in der Geselligkeit des Bürgertums ausmachen. 54 Mögen die formulierten Ziele der Denkmalsbewegungen in beiden Ländern auch deutlich voneinander abweichen, zeigen die in ihnen sich manifestierenden Repräsentationsformen in Deutschland und Frankreich über das ganze 19. Jahrhundert hinweg deutliche Ähnlichkeiten, auf die sich ein synchroner und diachroner Vergleich stützen kann. Diese Überlegungen rechtfertigen die über weite Strecken induktive Vorgehensweise. Außer durch allgemeine Kategorien einer vor allem kulturell definierten Klassentheorie, die der »dichten Beschreibung« des symbolischen Handelns die analytische Richtung geben soll, sollen die sozialen Räume nicht a priori konkretisiert, sondern durch einen hermeneutischen Vergleich, der - so legt es der Begriff nahe Verstehen und Analyse verbindet, erschlossen werden. »Wenn es also um >Bürgerlichkeit< im Sinne historisch gewachsener Praxis geht, müssen wir wohl umdenken: nicht ausgehend von einer vordefinierten Sozialstruktur eine feste Zuordnung kultureller Werte und Muster versuchen, sondern solche gesellschaftlichen Situationen und Figurationen als Maßstab nehmen, in denen sich ein konkreter sozialer Handlungskontext präsentiert. Dort definiert die Kultur ihre bürgerliche Qualität selbst, und sie entwirft zugleich ein bestimmtes soziales Profil: Wer darf sich mit welchem Recht >bürgerlich< nennen?« 55

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1. Hermannsmythos und Vercingetorixmythos im 19. Jahrhundert 1.1. Imaginäre Schlachten Hermannsmythos in Deutschland und Vercingetorixmythos in Frankreich und ihre Symbolisierung in Form von Denkmälern reflektierten im 19. Jahrhundert in vielfacher Weise kollektive nationale Stereotypen. Sie definierten aus der nationalen Geschichte heraus ex positivo die Zusammengehörigkeit der zur Nation zählenden Individuen in Zeit und Raum und wiesen ihnen typische nationale Eigenschaften zu. Während die deutsche Geschichte als ein zeitloses Kontinuum begriffen wurde, stellte sich die französische Nation als eine aus einem fortschreitenden Zivilisationsprozeß hervorgegangene Einheit dar.1 Unterschiedliche Geschichtsauffassungen bildeten die Grundpfeiler, auf denen sich eine je spezifische Definition des deutschen Volkes einerseits und des französischen »peuple« andererseits konstituierte. Diese typischen nationalen Selbstdefinitionen dienten gleichzeitig zur Definition der Nation ex negativo, indem sie dichotomisch der Selbstdefinition der anderen Nation gegenübergestellt wurden. Erst in der Abgrenzung und dichotomischen Gegenüberstellung wurde die jeweilige Nation als Einheit gegen die andere abgegrenzt und eindeutig definiert. Die stereotypen nationalen Selbst- und Fremdzuschreibungen waren inhaltlich schon vor dem 19. Jahrhundert ausgebildet. Europäische Völker haben sich bereits im 18. Jahrhundert gegenseitig gewisse Eigenschaften zugewiesen,2 die bis ins 19. Jahrhundert weitgehend unverändert blieben. Diese waren jedoch im Übergang vom 18. zum 19. und dann im Verlauf des 19. Jahrhunderts einem doppelten Überformungsprozeß ausgesetzt, auf dem die politische Dimension von Stereotypen seitdem beruht. Zum einen wurden die traditionellen Völkerstereotypen in nationale, politische Selbstdefinitionen übertragen, zum anderen wurden diese mit historischen Verlaufsmodellen koppelbar, die, christlicher, geschichtsphilosophischer oder biologischer Provenienz, auf die Überwindung des Gegensätzlichen zielten und damit eine teleologische Ausrichtung bekamen.3 Wenn also neben einer positiven Selbstbeschreibung immer auch Feindstereotypen in die Definition der Nation einflössen, und, wie zu zeigen sein

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wird, Hermannsmythos und Vercingetorixmythos aufeinander bezogen waren, in Abgrenzung gegen das jeweils andere Land standen und neben einer positiven Definition der eigenen Nation immer auch eine negative der fremden beinhalteten,4 hat dies Konsequenzen für die Interpretation dieser Mythen. Nationalsymbole und Nationalstereotypen wären dann isoliert funktionslos. Sie könnten nur als synchrones System von Äquivalenzen und Gegensätzen verstanden werden.5 Erstens kann keiner der Mythen allein aus sich selbst heraus interpretiert werden, da beide gerade die jeweils andere Nation als negative Folie benötigen. Zweitens leitet sich aus der dichotomen Gegenüberstellung notwendig ab, daß die französischen und deutschen Gründungsmythen nicht mit dem gleichen Inhalt aufgeladen wurden, sondern sich diametral gegenüberstanden. Im folgenden wird untersucht, wo, wann und in welchem Ausmaß Vercingetorixdenkmäler und Hermannsdenkmal in ein System von dichotomischen Bezügen von französischen und deutschen Nationalstereotypen einbezogen wurden. Dazu wird zunächst gezeigt, daß die andere Nation und sogar der andere Gründungsmythos im jeweils eigenen Mythos und Denkmal präsent waren. In einem weiteren Schritt wird verdeutlicht, daß die Kollektivsymbole nicht nur die nationale Einheit definierten und darstellten, sondern daß sie diese Einheit zugleich mit kollektiven Eigenschaften bedachten, die sich für Frankreich und Deutschland dichotomisch gegenüberstanden. Dieser Aspekt darf jedoch nicht statisch betrachtet werden, sondern muß die Verzeitlichung und teleologische Ausrichtung der Stereotypen einbeziehen. Es wird dann verfolgt, inwieweit sich diese im Verlauf des 19. Jahrhunderts verschärften und auf die Aufhebung des jeweils Entgegengesetzten ausgerichtet wurden. Schließlich wird analysiert, wie sich die dichotomisch angelegten nationalen Ideologien in der politischen Praxis auswirkten, wie sie innenpolitisch und außenpolitisch wirksam wurden und kollektive Dispositionen zu politischem Handeln langfristig prägten. Die grundlegende Gemeinsamkeit von Hermann und Vercingetorix die nationalen Helden kämpften mit mehr oder weniger Erfolg gegen die römische Invasion und symbolisierten Leitfiguren der nationalen Identität - , weist bereits auf die Möglichkeit hin, daß in beiden die negative Abgrenzung nach außen als konstituierender Faktor des nationalen Bekenntnisses wirksam wurde. Betrachtet man zunächst die Denkmäler in ihrem Entstehungszusammenhang, fällt der Nachweis leicht, daß in Deutschland die französische und in Frankreich die deutsche Nation als Negativfolie in den nationalen Kollektivsymbolen eine konstituierende Rolle spielte. Für Deutschland wurde vielfach darauf hingewiesen, daß die Erfahrung der >Befreiungskriege< und die Überwindung der französischen Besatzung zur Ausbildung des Nationalgefiihls6 entscheidend beitrugen, ohne daß

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jedoch die konstituierende Rolle der Feindschaft systematisch in die Analyse des Nationalismus einbezogen wurde.7 Die »Wiederentdeckung« der Schlacht im Teutoburger Wald und ihres Protagonisten Hermann war eng mit der Erfahrung der französischen Besatzung verknüpft. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts war die Hermannsschlacht ein wiederkehrendes Thema in der deutschen Literatur. Es wurde aber erst nach 1815 durch nationale, auf die politische Einheit der deutschen Nation zielende Interpretationen geprägt. Neben Heinrich von Kleist, Joseph von Eichendorff, Friedrich Klopstock und Christian Dietrich Grabbe versuchten sich zahlreiche Literaten an Dramen, Gedichten und Darstellungen, die die Schlacht im Teutoburger Wald literarisch und historisch verarbeiteten.8 Die Gleichung: »römisch gleich welsch gleich französisch« ermöglichte den direkten Gegenwartsbezug zur Hermannsschlacht. So erhob die auf dem Denkmal errichtete Hermannsfigur ihr sieben Meter langes Schwert nicht nach Süden, sondern nach Westen: gegen Frankreich. Im Grundstein des Denkmals, der 1841, zur Zeit der Rheinkrise - »beim Krähen des gallischen Hahns«9 - gelegt wurde, befinden sich zahlreiche Münzen aus der Zeit der >Befreiungskriege< und mehrere Gedenktafeln, die einen direkten Bezug zwischen der Hermannsschlacht und dem »zehnjährigen Kampf gegen welsches Joch« herstellen. »An Arminius. Über den Rhein hast du einst Roms Legionen getrieben, und Germanien dankt dir, daß es heute noch ist. Schwinge auch ferner dein Schwert, wenn Frankreichs plündernde Horden gierig lechzend des Rheins heimische Gauen bedrohn.« 10

Der 16. Oktober, Jahrestag der Schlacht bei Leipzig, und später der 2. September, Jahrestag der Schlacht bei Sedan, wurden mit Feuern am Hermannsdenkmal begangen.11 Der Hannoversche Hermannsdenkmalsverein erließ einen Aufruf in ganz Deutschland, am 18. Oktober 1863 anläßlich von Festessen und Festveranstaltungen zum 50. Jahrestag der Schlacht bei Leipzig eine Sammlung zur Fertigstellung des Hermannsdenkmals durchzuführen,12 und aus Leipzig wurde die symbolträchtige Bitte an den Verein für das Hermannsdenkmal in Detmold gerichtet, einen Austausch von Eichen vorzunehmen: Eichen vom Hermannsdenkmal sollten auf dem Schlachtfeld in Leipzig, solche aus Leipzig im Teutoburger Wald gepflanzt werden.13 1 8 7 0 / 7 1 wurde das Hermannsdenkmal nicht nur als Symbol der Reichseinigung aktualisiert, sondern vor allem stand der erneute Sieg über den >Erbfeind< und die daraus abgeleitete Einheit der deutschen Nation im Mittelpunkt. Inschriften am Denkmal und ein aus eroberten französischen Kanonen gegossenes Relief Wilhelms I. machten die Einheit nach innen und außen sinnfällig. Der symbolische Dreischritt Teutoburger Wald 31

Leipzig - Sedan versinnbildlichte die gegen das >Welschtum< errungene innere Einheit der deutschen Nation. Wie sehr die Ausrichtung nach außen, gegen Frankreich, die Diskussion über die deutsche Nation das ganze 19. Jahrhundert hindurch dominierte, brachte der liberale Schriftsteller Ludwig Uhland bereits 1841 in einem Brief an den bayerischen Regierungspräsidenten Eduard von Schenk, der prominentes Mitglied im Verein für das Hermannsdenkmal in München war, auf den Punkt: »der teutoburgische Hermann darf sein Riesenschwert drohend nach Westen strecken, nach innen darf er keinen warnenden Finger heben.« 14 In Frankreich vollzog sich die »Wiederentdeckung« von Vercingetorix in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst in der nationalen Historiographie, wobei der Gegensatz zwischen Galliern und Germanen von Anfang an präsent war. Liberale und republikanische Historiker wie Jules Michelet, Henri Martin sowie die Brüder Amédée und Augustin Thierry vollzogen in dieser Zeit einen Paradigmawechsel in der nationalen Geschichtsschreibung.15 Sie wandten sich von der annalistischen Hof- und Staatsgeschichte ab und erreichten durch die Reindividualisierung historischer Prozesse eine neue emotionale und politische Intensität der kollektiven Vergegenwärtigung.16 In Abgrenzung von der traditionellen, monarchisch orientierten Historiographie wurde der Anfang der nationalen Geschichte vorverlegt. Nicht mehr Chlodwig und die Christianisierung Frankreichs, sondern die Gallier und das französische Volk markierten den Anfang der französischen Geschichte.17 Dieser Wandel innerhalb der Historiographie erhob Vercingetorix jedoch noch nicht in den Rang eines allgegenwärtigen nationalen Symbols. Im Unterschied zu Deutschland fehlte in Frankreich bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein der Versuch, Vercingetorix auch außerhalb der Geschichtsschreibung zum Nationalhelden zu stilisieren. Nur in der >Auvergneabgekupfert< habe: »So kindisch auch das dem Arminius bei Detmold errichtete Phantasiestandbild ist es hat nur das eine gute gehabt, Louis Napoleon zur Errichtung eines ebenso

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lächerlichen Phantasiekolosses des Vercingetorix auf einem Berg bei Alise-SainteReine zu verleiten.«21 Das Hermannsdenkmal war in Frankreich nicht unbekannt. Mehrere französische Zeitschriften hatten in den 30er und 40er Jahren über das Projekt ausfuhrlich berichtet. 22 Die Tatsache, daß Napoleon III. in sehr unfranzösischer Art ein Nationaldenkmal nicht in Paris, sondern außerhalb der Stadt, wie in Deutschland, auf dem Schlachtfeld Alesia errichten ließ, läßt den Engeischen Verdacht plausibel erscheinen. Auch Théophile Gautier berichtete, nachdem er das Modell des Vercingetorixdenkmals auf dem Boulevard des Italiens besichtigt hatte: »Der gallische Arminius wird endlich sein Denkmal haben.« 23 Auch wenn es sich zunächst nur um ein reines Plagiat handelte, ohne daß inhaltlich auf Hermann Bezug genommen wurde, ist doch von Bedeutung, daß die Anfänge des Vercingetorix mythos in Frankreich direkt an den Hermannsmythos geknüpft waren. Sowohl die Vercingetorixdenkmäler in Gergovia und Clermont-Ferrand 24 als auch das in Alesia nahmen das Hermannsdenkmal zum direkten Vorbild. Das wurde nach 1 8 7 0 / 7 1 bedeutsam. Durch die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg und vor allem durch den Verlust von ElsaßLothringen richtete sich der französische Nationalismus nicht nur stärker nach außen, gegen Deutschland, sondern gab auch dem Vercingetorixmythos neue Bedeutung: Als Symbol der sinnstiftenden Niederlage und der Resistance gegen die deutsche Bedrohung wurde Vercingetorix in der Dritten Republik in Schul- und Geschichtsbüchern zum Nationalhelden stilisiert.25 Die Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland sowie zwischen Vercingetorix und Hermann blieben seitdem virulent. Wie stark auch in Frankreich der Rhein als Zeichen der Trennung zwischen den beiden Nationen 26 und als Symbol der Bedrohung aus dem Osten galt, belegt die Tatsache, daß das Hermannsdenkmal in der Imagination an den Rhein verlegt wurde. »Schulden die Teutonen nicht ihren Erfolg ihrem Mitgefühl und ihrem Festhalten an der Erinnerung an ihren Arminius? Haben sie den germanischen Helden nicht in den Rang eines Gottes gerückt und haben sie nicht sogar am Ufer des Rheins eine 120 Fuß große Statue errichtet?«27 Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wurden Hermann und Vercingetorix schließlich zu Vertretern des unüberwindlichen Gegensatzes zwischen Frankreich und Deutschland, dessen Wurzeln in der Natur der gallischen und germanischen Rasse gefunden wurden. Vercingetorix - natürlich aus französischer Sicht - wurde dargestellt als der tugendhafte Verlierer und Märtyrer, der in einem edlen und ritterlichen Kampf, ohne Verrat und Hinterlist, gekämpft hatte. Dagegen erschien Hermann als hinterlistiger Verräter, der seine Verbündeten, die Römer, blutrünstig massakrierte. Er 33

wurde zum Beispiel fiir die naturhafte Grausamkeit der germanischen Rasse. Der Vergleich gipfelte im krassen Gegensatz: Vercingetorix und Hermann standen sich als »héros et bandit« gegenüber. 28 Daß der Gegensatz zwischen den Vertretern der beiden Völker erst nach dem Ersten Weltkrieg so pointiert präsentiert wurde, heißt nicht, daß er nicht implizit bereits von Anfang an in den Mythen und in den Denkmälern versinnbildlicht wurde. Es ist bisher gezeigt worden, daß beide Denkmalstypen, der deutsche Hermann und der französische Vercingetorix, im unmittelbaren Bezug zum jeweils anderen Land entstanden. Die Feindschaft zwischen der deutschen und französischen Nation gipfelte in der Dichotomie der germanischen und der gallischen Völker: Die >Erbfeindschaft< zwischen Deutschland und Frankreich war ein konstituierendes Element beider Mythen. Keine der beiden Nationen definierte ihren inneren Zusammenhalt allein aus inneren, positiven Kriterien. Sowohl die französische als auch die deutsche Nation benötigten als negative Folie den antagonistischen Gegensatz zur anderen: »Gallomanie« und »Teutomanie« 29 bedingten sich wechselseitig. Hermanns heroische Tat, die siegreiche Schlacht gegen die römische Invasion wurde nicht nur als Geburtsstunde der deutschen Nation gedeutet, da er die verschiedenen germanischen Volksstämme gegen den gemeinsamen Feind mobilisiert und geeint habe. Durch die Schlacht im Teutoburger Wald wurde auch die deutsche Kultur gegen romanische Einflüsse verteidigt, so daß einerseits eine kontinuierliche deutsche Kulturentwicklung konstatiert werden konnte, die sich frei von äußeren Einflüssen bis in die Gegenwart fortsetzte, und andererseits der Gegensatz zwischen zwei dichotomisch sich gegenüberstehenden Welten konstituiert wurde. »Durch seine Tat erst wurden die germanische und die romanische Welt voneinander getrennt, während auch die patriotische Entflammung des Vercingetorix nicht verhindern konnte, daß das Galliertum sich eng mit römischem Blut und römischem Wesen verschmolz, und daß dort, wo einst die Freiheit seines Volkes kämpfte, das Romanentum zur siegreichen Rasse wurde.« 30

Das, was auf deutscher Seite für die deutsche Nation positiv und für die französische Nation negativ belegt wurde, fand sich auf französischer Seite wieder, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Der römische Einfluß auf die Entwicklung der französischen Zivilisation wurde bei aller Verehrung für die gallischen Vorfahren weitgehend positiv beurteilt, der fehlende römische Einfluß in Deutschland dagegen machte die deutsche Nation zu einer unterentwickelten. »Jenseits des Rheins liegt Germanien, noch unbekannt und abgeschlossen von der Zivilisation.«31 So wurde Hermanns Kampf gegen die römische Invasion als Beweis der germanischen Barbarei angesehen, die sich gegen den Fortschritt zur Wehr setzte. Auf französischer Seite

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stand als Gegenbegriff zur Zivilisation nicht die Kultur, sondern die Barbarei: »Arminius appellierte an das unbändigste im barbarischen Empfinden, an den Haß gegen die Zivilisation, an den Stolz auf das wilde Leben. [Er] wurde hochmütig, arrogant, grausam; die wilde Freiheit, in der er groß geworden war, übermannte ihn; und Gallien fiel für lange Zeit in seine ursprüngliche Anarchie zurück.«32

Die französische Zivilisation als Ergebnis der römischen Invasion stand der deutschen Barbarei, die nicht durch römischen Einfluß gezügelt worden war, entgegen. War auf deutscher Seite die römische Invasion negativ besetzt und damit auch die französische Zivilisation, wurde sie in Frankreich überwiegend positiv beurteilt und machte die Überlegenheit der französischen Zivilisation aus.33 Die deutsche und französische Nation waren in einen wechselseitigen Prozeß von positiven und negativen Selbstund Fremddefinitionen eingebunden. Die Definition der eigenen Nation durch Abgrenzung von der anderen hatte jedoch Konsequenzen fiir die Definition der Nation im Innern. Die entgegengesetzte Sicht der nationalen Geschichte enthielt zwei völlig unterschiedliche Konzeptionen des die Nation konstituierenden Volkes: das deutsche Volk und »le peuple fran^ais« standen sich nicht nur als >Erbfeinde< gegenüber, sondern konstituierten sich auch auf unterschiedliche Weise im Innern. In beiden Ländern galt der Kampf gegen die römischen Invasoren als Beginn der nationalen Geschichte, da die Nation sich durch ihn erstmals ihres Zusammenhaltes bewußt geworden war und innere Streitigkeiten überwunden hatte.34 Damit hörten die Gemeinsamkeiten allerdings auf. Hermann, als Retter der deutschen Kultur gegen römischen Einfluß gedacht, konstituierte die Einheit des deutschen Volkes als eine kontinuierliche, kulturelle Einheit. Deutsche Kultur, deutsche Sprache, deutsche Geschichte und deutsche Sitten wurden durch ihn und seitdem stets von neuem gegen fremde kulturelle Einflüsse verteidigt und definierten sowohl historisch als auch territorial die deutsche Nation. »Von der Weichsel bis an den Rhein, vom Deutschen Meer bis zu den Küsten der Adria, so weit die Deutsche Zunge klingt und Deutsche Herzen schlagen« beschrieb Moritz Leopold Petri, Festredner bei der Grundsteinlegung des Hermannsdenkmals in Anlehnung an Arndts Vaterlandslied die durch Hermann gestiftete Nation. 35 Indem die Nation auf kulturelle Gemeinsamkeiten gegründet wurde, erschienen ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als eine kontinuierliche organische Einheit,36 die kaum Elemente von Veränderung oder Fortschritt aufwies. Die germanische und deutsche Kultur waren durch die Kontinuität der deutschen Geschichte verbunden. Die Bezeichnungen >Germanen< und >Deutsche< wurden synonym verwandt. Hermann nahm die deutsche Einheit - als Einheit von Fürsten und Volksstäm35

men gegen den gemeinsamen Feind - historisch vorweg. Die angestrebte nationale Einheit galt als nationale Wiedergeburt, nicht als politische Veränderung für die Zukunft. Der Mythos enthielt mithin keine gesellschaftlichen Veränderungskomponenten. 37 Hermann vermittelte die Idee einer organisch gewachsenen Nation als überindividuelle Einheit, die die Gemeinsamkeit der lebenden mit den vorhergegangenen und den nachfolgenden Generationen durch die Einheit der Kultur, die Gemeinsamkeit der Sprache und daraus abgeleitet des Territoriums begründete. Diese Definition der Nation hatte Auswirkungen für die politische Funktion des Mythos. Die soziale Gruppe, die unter dem Begriff des Volkes zusammengefaßt wurde, war weder politisch noch sozial definiert. Die »Einheit von Fürsten und Volk«, die durch das Denkmal des Cheruskerfürsten, dessen monarchische Stellung nicht weiter legitimiert, sondern im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Vercingetorix als gegeben hingestellt wurde, versinnbildlichte zwar die Gleichheit aller Untertanen ohne ständische Differenzierung - , aber gleichzeitig auch den Fortbestand der Monarchie - und zwar als föderale Einheit der deutschen Souveräne. 38 Das in Hermann symbolisierte Volk stellte sich nicht als eine politische Willensgemeinschaft dar. Vielmehr konstituierte der Mythos die nationale Gemeinschaft durch das unzerstörbare Band der nationalen Geschichte und durch die Untergebenheit unter die Fürsten, deren Einheit erst die des deutschen Volkes begründete. 39 Der Volksbegriff war damit ein doppelter: Einerseits umfaßte er alle durch gemeinsame Sprache und Kultur definierten Mitglieder der Nation, d.h. er schloß auch die Fürsten als Teil der Nation ein. In der Betonung der Einheit von Fürsten und Volksstämmen wurde diesen jedoch andererseits eine Sonderstellung eingeräumt. Sie standen dem Volk, begriffen als Untertanen, gegenüber und stifteten seine Einheit als einen föderativen Bund der Monarchen und ihrer Untertanen. Damit wandelte sich jedoch die Legitimation der Monarchie von einer dynastischen zu einer nationalen. Die Monarchie wurde zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt, jedoch in den Dienst der Nation genommen. »Wir wenden uns jetzt wiederum an alle deutschen Fürsten und Völksstämme, an das ganze durch Sprache und Sitte eng verbundene Vaterland«, hieß es 1862 im Spendenaufruf des Vereins für das Hermannsdenkmal in Hannover. 40 Dementsprechend wurde der Freiheitsbegriff in der Regel nur negativ, in Verteidigung der nationalen Selbständigkeit nach außen gegen Frankreich gefüllt. Nur vereinzelt lassen sich im Vormärz - und ausschließlich in dieser Zeit - Äußerungen ausmachen, die auf die Bedeutung dieses Begriffs als verfassungsmäßige Freiheit schließen ließen. Doch auch hier blieb die organische Einheit und die Verbindung von Volk und Fürsten dominant. 41 In der Regel wurde der Freiheitsbegriff jedoch bereits im Vormärz deutlich, 36

in mehr oder weniger xenophober Manier, gegen Frankreich definiert und sogar gegen politische Vorstellungen ausgespielt. »Sein Denkmal soll von Deiner Freiheit zeugen. Nicht jener Freiheit, die mit sanften Flügeln, des Bürgers heimische Penaten schirmt, ihm des Gedanken Bahnen öffnet und auf seine Rechte stolz zu sein ihn lehrt. Die Freiheit mein ich, die im Waffenschmuck zu Schutz und Trutz die Deutsche Fahne hält. Wen es dann gelüste, die Hand wider Dich zu heben, empfang ihn mit dem Teutoburger Gruß, und gib ihm Tod in eiserner Umarmung.« 42

Konkrete politische Vorstellungen, wie die nationale Einheit zu verwirklichen oder wie der Begriff der Freiheit, anders als eine Freiheit nach außen, zu definieren war, hatten im Hermannsmythos kaum Platz. Anhand der Denkmalsbewegung kann verfolgt werden, wie in den Hochphasen der nationalen Begeisterung in den 1840er Jahren, Anfang der 60er Jahre und nach 1 8 7 0 / 7 1 die Begeisterung für das Hermannsdenkmal und fiir den Hermannsmythos von neuem auflebte, und wie diese durch politische Ereignisse, die die nationalen Hoffnungen enttäuschten, wie die gescheiterte politische Einigung nach 1848, die militärische Annexion SchleswigHolsteins und Hannovers durch Preußen, 43 sowie den deutsch-österreichischen Krieg und die damit zusammenhängenden Probleme der groß- und kleindeutschen Frage wieder zusammenbrach. Die individuellen politischen Vorstellungen der nationalen Einheit, die einzelne mit dem Hermannsdenkmal verbanden, wurden nicht öffentlich diskutiert. Weder Hermannsmythos noch Hermannsdenkmal dienten bis 1 8 7 0 / 7 1 als Instrumente konkreter politischer Auseinandersetzung, sondern waren vielmehr ein Sammelbecken fiir alle der nationalen Einheit verbundenen Kräfte.44 Politische Meinungen oder gar politische Kritik an der Politik der Großmächte wurden, wenn überhaupt, nur in persönlichen Briefen oder Gesprächen geäußert. 45 Großdeutsche und kleindeutsche Vorstellungen, diffuse Ideen von der Wiedergeburt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, 46 Bekenntnisse zur Reichsverfassung von 1849, konservative, partikularistische, nationalliberale und linksliberale Vorstellungen wurden in dem Sammelbecken der gemeinsamen Kultur und Geschichte und der kollektiven Abwehr gegen den welschen Feind zusammengehalten. Die Spaltung der Nationalbewegung sollte vermieden werden: Daher wurden politische Elemente aus dem Mythos verbannt. Man redete, schrieb und dichtete von Freiheit und Einheit, für die Hermann erfolgreich gekämpft habe, füllte diese Begriffe jedoch je nach individueller politischer Überzeugung - im Stillen - mit unterschiedlichem Inhalt. In Krisensituationen, wie dem Konflikt um Schleswig-Holstein, in denen einem der beiden Begriffe Priorität zugesprochen werden mußte, die Geschlossenheit 37

der Bewegung jedoch darunter gelitten hätte, 47 wurde der Mythos kaum als politisches Instrument benutzt, sondern man zog sich enttäuscht aus der Bewegung zurück.48 Die Schlagwörter Freiheit und Einheit, die eine große Integrationskraft besaßen, solange sie keine innenpolitische Bedeutung erhielten, wurden immer inhaltsleerer. Sie verhinderten jedoch letztlich nicht das Zusammenbrechen der Denkmalsbewegung. 49 Angesichts der dominanten antifranzösischen Ausrichtung und der Personifizierung Hermanns als des Retters, der die Nation zur Einheit fuhren konnte, lag es 1871 nahe, das Kaiserreich als Wiedergeburt der germanischen Einheit und Wilhelm I. als neuen Hermann 50 zu feiern. Damit aber veränderte sich der Inhalt des Mythos. Der Freiheitsbegriff, auch wenn er bereits vorher vornehmlich im Sinne von nationaler Unabhängigkeit nach außen benutzt wurde, sowie auch kulturnationale Inhalte, die angesichts der unvollständigen Staatsbildung nicht mehr mit dem Kaiserreich dekkungsgleich waren, traten seitdem in den Hintergrund und wurden durch Bekundungen zu Deutschlands »Stärke, Macht und Herrlichkeit« 51 abgelöst. Der Krieg gegen Frankreich und die darauf folgende Proklamation des Kaiserreichs galten als Erfüllung der im Hermannsmythos und im Denkmal vermittelten Vision eines geeinten Deutschland, zumal der Mythos die Möglichkeit zahlreicher Parallelisierungen von Vergangenheit und Gegenwart lieferte. Das Denkmal, das 1838 im Vorgriff auf eine nationale Zukunft begonnen wurde, verlor jegliche innenpolitisch orientierte Zukunftsperspektive und wurde zur Apologie der Gegenwart durch die Vergangenheit. Nur nach außen, gegen Frankreich gewendet, verzeitlichte sich der Mythos. Waren im Vormärz die xenophoben Elemente noch durch kosmopolitische abgeschwächt, trat nun mit der Betonung der Macht und Stärke des Kaiserreichs der Gegensatz zu Frankreich vollständig hervor und richtete den dichotomischen Gegensatz auf die Vernichtung der »keltischromanischen Rasse«. »Unsere Erbfeinde wissen sehr wohl, daß der Kampf zwischen uns und ihnen ein Rassenkampf ist, gegründet auf die geistigen Verschiedenheiten beider Nationen, und daß dieser Kampf erst endigen wird, wenn das eine nationale Wesen das andere, das celto-romanische das germanische, oder umgekehrt, unterworfen und sich verschmolzen hat; sie fühlen es, daß die eigene Nationalität ohne solche Verschmelzung auf die Dauer nicht lebensfähig ist, sondern auf dem Aussterbeetat steht.« 52

Dieser Gegensatz zwischen >Germanentum< und >Welschtumethnischeethnische< Faktoren belegt wurde, war damit noch nicht, wie in Deutschland, der Zusammenhalt aller in der Nation zusammengefaßten Individuen als organische Einheit gemeint. »Le peuple gaulois« stellte sich nicht, wie das germanische Volk, als ein organisches, unabhängig von sozialen oder politischen Implikationen zusammengefaßtes Gebilde dar, sondern als ein Konzept, welches das Volk in Abgrenzung von der Aristokratie sozial und politisch definierte. Das galt nicht nur für den republikanischen Volksbegriff, sondern übertrug sich in dem Maße, wie die Einheit zwischen dem neuen von der Revolution geprägten Volksbegriff und dem traditionellen Königtum nach 1815 betont wurde, auch auf das monarchische Verständnis des Volkes.63 Die Entdeckung des gallischen »peuple« als direkter Vorfahre des französischen »peuple« betonte weniger die >ethnische< Kontinuität als die politische Auseinandersetzung im Innern. Der Streitpunkt lag weniger in der Definition des Volkes als souveräne Citoyens, sondern in der Beurteilung der Französischen Revolution und der politischen Verfassung des Staates. 41

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die >Wiederentdeckung< Vercingetorix' Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst eine Abkehr von der monarchischen Geschichtsschreibung mit sich brachte, die den Anfang der französischen Geschichte bei Chlodwig und der Christianisierung Frankreichs markiert hatte. 64 Damit wurde dem monarchischen Staatsbegriff die Idee des durch ein souveränes Volk gegründeten Staates entgegengestellt. Während des gesamten 19. Jahrhunderts war die Vorstellung des gallischen Volkes als ein »peuple souverain«, als ein Volk von Citoyens, dominierend, dem die Aristokraten, die Franken, gegenüberstanden. 65 Die Geschichte Frankreichs und ihre Periodisierung nach den Invasionen Galliens durch die Römer, gefolgt von den Franken, wurde als eine politische Geschichte gedeutet, die ihren Höhepunkt in der Französischen Revolution gefunden habe. Sie erwies sich auf republikanischer Seite als Kampf des gallischen (bzw. gallo-romanischen) Volkes gegen die Franken, als Auseinandersetzung zwischen Volk und aristokratischen Invasoren. Mit dem doppelten Bezug der Franken auf die Aristokratie und auf die Germanen wurde der innere Gegensatz mit dem äußeren verbunden. 66 Sahen die Republikaner die römische Invasion als Beginn eines Zivilisationsprozesses, der dem gallischen Volk die notwendigen Institutionen gebracht hatte, die fränkische Landnahme aber als eine unrechtmäßige Unterdrückung des Volkes, interpretierten die Monarchisten die römische Invasion Galliens zwar als ersten Schritt der Zivilisierung, die fränkische jedoch erst als den Beginn der französischen, christlichen Zivilisation. Damit war bereits die Wiederentdeckung der gallischen Frühgeschichte in eine politische Konfrontation eingebunden. Die Trinität »France-Monarchie-Catholicisme« stand der Trinität »France-Nation-Republique« gegenüber. 67 Vercingetorix blieb jedoch nicht alleiniger Besitz der liberalen, republikanischen Fraktion. Ähnlich wie Jeanne d'Arc wurde er, nachdem er einmal zum ersten Märtyrer der französischen Nation aufgestiegen war, in die »Versäulung« (Krumeich) 68 der politischen Lager selbst einbezogen. Rechte und Linke, Monarchisten, Bonapartisten und Republikaner, Antiklerikale und Katholiken stritten sich in zunehmendem Maße um die >richtige< politische Interpretation der französischen Frühgeschichte. Als gemeinsames Element blieb jedoch das Verständnis der Gallier als eines souveränen Volkes, deutlich erkennbar an der Tatsache, daß die Führungsrolle Vercingetorix' politisch legitimiert werden mußte. Während die nationale Einheit in Deutschland als durch den nicht explizit legitimierten Cheruskerfiirsten Hermann von oben gestiftet dargestellt wurde, erwählte das souveräne französische Volk Vercingetorix gleich ob er als roi, dictateur oder chef gaulois bezeichnet wurde - aufgrund seiner Fähigkeiten und Tugenden zum Führer. 42

»Die Gallier sprachen ihm einstimmig die Königswürde zu (damit erfreute er sich des Angenehmsten, das sich ein großes Herz wünschen kann, nämlich seine Erhebung der verdienten Anerkennung seiner Landsleute zu schulden).«

In dieser Weise legitimierte Girard 1863 die monarchische Stellung des gallischen Helden und betonte, daß er durch die »volonté générale« zur höchsten Macht gelangt sei.69 Der General Borson bezeichnete Vercingetorix dagegen 1879, wohl in Anlehnung an Napoleon, als »Diktator Galliens«, wies aber ebenfalls daraufhin, daß er zur Souveränität durch eine »Volksbewegung« getragen wurde. 70 Der Präfekt des Departements Puyde-Dôme schließlich zog 1903 die direkte Parallele zwischen dem >chef gauloismännlichen< Eigenschaften gezeichnet wurde, voll Energie, Tapferkeit, Kraft und Willensstärke, und in der kriegerischen Auseinandersetzung die Nation und die Familie verteidigte, wurde seine weibliche Ergänzung mit Liebe, Hingebung, Leidensfähigkeit, Keuschheit, Treue und Anmut ausgestattet, die den Helden am häuslichen Herd erwartete. »Das war die große Schlacht im Teutoburger Wald. Die Freiheit des deutschen Volkes brachte Hermann seinem treuen Weib daraus heim; den ewigen Ruhm seines Namens sah ihm Thusnelda auf der Stirn leuchten, da sie dem Helden wieder am Herzen lag.«87

Diese konträr aufeinander bezogenen Geschlechtscharaktere wurden durch erotische Motive noch verstärkt. Gleichzeitig mit dem Modell für das Hermannsdenkmal schuf der Künstler Ernst von Bändel auch eine Statue der Thusnelda aus Marmor.88 Die Beschreibungen der beiden Figuren stellten nicht nur die >männlichen< und >weiblichen< Eigenschaften der beiden Protagonisten heraus, sondern betonten auch ihre physischen Eigenschaften. Hermann wurde als »echt norddeutsche Kernnatur«89 beschrieben, als ein »Ideal an Mannesschönheit« in »übermenschlicher, hünenhafter Größe«. Die Hermannsfigur zeigt ihre von Kraft strotzenden Oberschenkel und vor allem wird seine »Schwerterhebung«90 mit phallischer Bedeutung aufgeladen -«das wuchtige Schwert in starker Faust hoch erhoben, ein Sinnbild deutscher Kraft«.91 Dagegen erschien Thusnelda, festgehalten durch den Künstler während des Triumphzuges des Germanicus in Rom, als Inbegriff weiblicher Schönheit. Ihre körperlichen Formen wurden zwar in der Beschreibung besonders hervorgehoben, aber gleichzeitig ihre Keuschheit und Treue betont. »Thusnelda geht ruhigen Schrittes, die gefesselten Hände über den Leib gelegt, den Kopf stolz tragend, die Augen auf den Leib niedergeschlagen, die Haare fliegen den Rücken hinab, und vorne sind auf jeder Seite des Gesichts drei lange Locken, mit vergoldeten Broncestreifen umwunden; um den Kopf zieht sich ein goldener Ring. Das Kleid ist ohne Ärmel, um die Brust anliegend, unten sehr weit und so lang, daß es auf dem Boden noch lang aufliegt; ein kurzer Mantel geht ringsum, nur nicht um

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den Hals, mit Pelzwerk verbrämt, auf der Brust ist er durch eine Kette handbreit auseinander gehalten, um den Oberkörper liegt er an, rechts hängt er frei herunter in reichen Falten gehalten.«92

Obwohl nach Tacitus Thusnelda im römischen Triumphzug ihren einzigen dreijährigen Sohn mitfuhrte, zeigte ihre Statue eine schwangere Frau, die »die gefesselten Hände auf dem keuschen Mutterleib« trug. 93 Ehe und Familie, konträr aufeinander bezogene und durch erotische Motive überhöhte Geschlechtscharaktere und die eheliche Fortpflanzung als Basis der Stärke und Sicherung des Volkes stellten die Motive dar, die die Nation ebenso ausmachten, wie ihren Zusammenhalt durch Sprache und Kultur. Angesichts der im Vergleich zu den steigenden Geburtenziffern des Deutschen Kaiserreichs stagnierenden französischen,94 wurde die nationale Ideologie auch in Frankreich vor allem im Zeichen der Revanche durch Motive der Fortpflanzung und Reproduktion bestimmt und das gallische Geschlechterverhältnis beschworen. Der physischen und zahlenmäßigen »Degeneration« des französischen Volkes, dessen Männer unfähig seien, »ihren Rucksack und ihr Gewehr zu tragen«, wurde die physische Größe, Kraft und Schönheit der gallischen Männer und Frauen entgegengestellt. Als Maßnahme gegen die befürchtete physische und quantitative »Degeneration« des französischen Volkes wurde ein Wettbewerb vorgeschlagen, der in jedem Kanton regelmäßig stattfinden und die kinderreichen Frauen belohnen sollte, die bereit waren, ihre Kinder selbst zu stillen, um »mit allen redlichen Mitteln eine widerstandsfähige und zahlreiche Bevölkerung hervorzubringen, die die Reserve Frankreichs darstellen soll.«95 Vor diesem Hintergrund der nationalen Reserve verdeutlicht die Tatsache, daß sowohl die deutsche als auch die französische Frauenbewegung ihre Forderung nach der Gleichstellung von Mann und Frau durch die weibliche Rolle als Mutter legitimierten,96 einerseits die Komplementarität der Geschlechtsrollen in der nationalen Gesellschaft, andererseits aber auch die Bedeutung von Feindbildern in ihr. Die Rolle der Frau in der Nation wurde jedoch nicht auf die Sicherung der Fortpflanzung des Volkes begrenzt: Auch in der kriegerischen Auseinandersetzung wurde den Frauen eine wichtige und aktive Rolle zugemessen, die sie von ihren weiblichen Vorfahren, den Germaninnen und Gallierinnen, lernen konnten. Krieg und Kampf waren zwar eindeutig dem männlichen Geschlecht zugeordnet und definierten seine Männlichkeit, sie konstituierten jedoch darüber hinaus eine besondere Beziehung zwischen den Geschlechtern.97 Die nationale Mobilmachung bezog Frauen als Bräute der Krieger ein. Den Frauen fiel, vermittelt durch ihre antiken Vorbilder, die Rolle zu, die tapferen Kämpfer zu ehren, sich jedoch - in direktem Gegensatz zu dem Beispiel Lysistratas - denen zu verweigern, die ihre 47

nationale Pflicht nicht erfüllten. Dieses Motiv des Krieger-Braut-Verhältnisses fand sich in beiden Ländern. »Schande über den, der sitzenbleibt, wenn ein Volk sich erhebt! Der Feigling sei behandelt wie das niederträchtige Vieh! Von weitem zeige man mit dem Finger auf ihn! Für ihn gibt es keine Liebe, keinen süßen Kuß einer Frau!« 98

Weibliche Liebe und Aufopferung konstituierten also ein notwendiges Pendant zur männlichen Wehrhaftigkeit. Durch die ihr zugeschriebenen Eigenschaften war die Frau zur Stärkung des Volkes an der »Heimatfront« prädestiniert: Fortpflanzung, Erziehung der Kinder, vor allem der Söhne, zu Kriegern," Pflege der Verwundeten und Kranken das auch im übertragenen Sinne in der Wohltätigkeit - und die Aufrechterhaltung der männlichen Kriegsmoral waren die Aufgabenbereiche der Frau innerhalb der nationalen Gesellschaft. Gerade das Denken in nationalen Stereotypen und in Kategorien des Krieges und der Feindschaft verfestigte die Polarität der Geschlechtscharaktere. 100 Die nationale Verteidigung durch das weibliche Geschlecht mit >den Waffen der Frau< wurde symbolisch dargestellt, indem Gallierinnen und Germaninnen im Falle der kriegerischen Auseinandersetzung ihren Schmuck zur Verfügung stellten, um ihn als Projektile gegen den Feind einzusetzen. Die Jungfrau, die dem Krieger ihren Schmuck überreichte, war ein stehendes Bild in der nationalen Symbolik beider Länder.101 Das Symbol verwob weibliche Hingebung für das Vaterland und die Selbstaufopferung in der Geschlechterbeziehung miteinander.102 Wie wichtig die Geschlechtscharaktere für das Verständnis der Nation waren, zeigt besonders ihre Verbindung mit nationalen Stereotypen. Das deutsche Wesen und die deutsche Kultur wurden vor allem im Bereich der Familie, also im Einflußbereich der Frau, gepflegt und bewahrt. »>Deutsch wider welsch< - das ist ein besserer Schlachtruf für einen wirklich deutschen Kampf, und er hat das Gute, daß jeder bei sich und in seinem Hause damit anfangen kann, den welschen Sauerteig auszufegen und das Zeugnis Walthers von der Vogelweide nicht zu Schanden werden zu lassen: >Deütsche Zucht geht über alle anderenundeutschen< weiblichen Geschlechtscharakteren in eins gesetzt wurde. Nicht nur die Frau, die nicht dem Bild der nationalen Frau entsprach, stellte eine Gefahr für das männliche Selbstverständnis dar, sondern diese Gefahr und die männliche Überlegenheit wurden direkt auf die andere Nation übertragen. Der nationale Kampf stellte sich auch als Geschlechterkampf dar. »Germania« und »Gallia«, die weiblichen Allegorien der Nation, trugen auch die einander entgegengesetzten weiblichen, nationalen Charaktere in sich, die der männlichen - physischen - Domination ausgesetzt waren. »Du röm'sches Reich, du feile Dirn! Merk dir die deutschen Hiebe, beug vor der eichbekränzten Stirn, dein Knie, vor deutscher Liebe. Sprich Gallia, lüstern Mädchen?? Wie oft es dir auch hat beliebt, zu dreh'n dein Zauberrädchen: Aus deinem Garn ward doch kein Netz, Zu fah'n den deutschen Bären, Denn endlich hat sich Meister Petz, Gemerkt Arminius Lehren. O stürmst du, Gallia, wahnbetäubt, Einst wieder zu dem Rheine, Dann wird Germania lichtverklärt, Dort steh'n im Glorienscheine O Volk Germania's Treu bis zum Tod das Bruderband.«108

1.3. Soziale Räume von Gedächtnisorten Aufgrund der engen Verflechtung der positiven und negativen Komponenten der nationalen Mythen und Symbole in beiden Ländern stößt der Vergleich immer wieder auf das »eigentümliche Phänomen«, von dem Norbert Elias gesprochen hat, nämlich auf Gegensätze und Unterschiede in den Konstruktionsprinzipien der nationalen Selbst- und Fremdbeschreibung in Deutschland und Frankreich. Um diesen Dichotomien zu entgehen, soll die Ebene der Analyse verschoben werden. Wurde bisher der Mythos auf allgemeine Strukturelemente und weitgehend unabhängig von Trägergruppen und den konkreten Denkmalsbewegungen untersucht, sollen nun, ausgehend von zwei verschiedenen Orten des Gedächtnisses in Frankreich (Gergovia) und in Deutschland (Teutoburger Wald) die unter50

schiedlichen Formen des Gedächtnisses und der Erinnerung untersucht werden. Dabei wird es vor allem darum gehen, die sozialen Räume von Denkmälern auszuleuchten und zu zeigen, daß die nationalen Symbole nicht aus sich heraus abstrakte nationale Inhalte transportierten, sondern daß sie nur innerhalb eines konkreten Raumes und konkreter sozialer Beziehungen einen Sinn erhielten. Nationale Symbole funktionieren nicht, das soll gezeigt werden, als reine Instrumente der Propaganda oder Oktroyierung, sondern sind eingebunden in konkrete gesellschaftliche Beziehungen. Der Vergleich der sozialen Räume gibt den Blick frei fïir Ähnlichkeiten und Unterschiede der französischen und deutschen Gesellschaft jenseits der dichotomen Idealbilder der Staats- bzw. Kulturnation.

1.3.1. Gergovia Im Abstand von nur einem Jahr - und nur wenige Kilometer voneinander entfernt - wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Vercingetorixdenkmäler fertiggestellt, die beide denselben Anspruch erhoben, nämlich die Erinnerung an Gergovia wachzuhalten, wo Vercingetorix vorübergehend den Sieg über Cäsar davongetragen hatte. Das eine Denkmal wurde 1902 auf dem Berg Gergovia errichtet, auf dem nach der Meinung der Zeitgenossen die berühmte Schlacht stattgefunden hatte. Das andere Denkmal hingegen, eine Reiterstatue des berühmten Schöpfers der Freiheitsstatue in New York, F. A. Bartholdi, wurde 1903 auf dem zentralen Platz von Clermont-Ferrand, der Place de Jaude, in direkter Nachbarschaft eines anderen >großen Mannes< der Region, des Generals der napoleonischen Armee Desaix, aufgestellt und eingeweiht. Die Initiative fur beide Denkmäler entsprang jeweils einer der lokalen sociétés savantes, der gelehrten Gesellschaften von Clermont-Ferrand. Das Denkmal in Gergovia war ein Projekt der seit 1747 in dieser Stadt bestehenden Académie des sciences, belles lettres et arts, die sich bereits im 18. Jahrhundert um die Erforschung von Gergovia bemüht hatte, und vor allem seit ihrer Neugründung nach der Französischen Revolution im Jahre 1824 die Errichtung eines Vercingetorixdenkmals wiederholt diskutiert und vorangetrieben hatte. Das Denkmal in Clermont-Ferrand dagegen war das Werk der 1884 gegründeten Société d'Emulation d'Auvergne, die gleich nach Gründung der Gesellschaft die Anregung der lokalen, republikanischen Zeitung »Le Moniteur du Puy-de-Dôme« 109 aufgegriffen hatte, dem auvergnatischen Helden Vercingetorix ein Denkmal in der Stadt Clermont zu setzen. Umgehend wurde ein Denkmalskomitee gegründet und zur Subskription aufgerufen. Obwohl es zu Anfang der zweiten Initiative zaghafte Versuche der Kooperation zwischen beiden Vereinigungen gab, die jedoch anscheinend 51

nur der Form halber unternommen wurden, bestanden die beiden Projekte unabhängig voneinander und konkurrierten miteinander. Als im Jahre 1903 das Denkmal auf der Place de Jaude in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Emile Combes, des Landwirtschaftsministers Léon Mongeot und des Kriegsministers General André eingeweiht wurde, 110 drückte der letztere sein Bedauern darüber aus, daß es kein Nationaldenkmal für Vercingetorix auf dem Berg Gergovia gäbe. Begleitet von den Verantwortlichen der Clermontoiser Initiative besuchte André am Tag der Feier Gergovia und wiederholte dort seine Bemerkung. Keiner der Anwesenden, weder der Minister noch die lokalen Honoratioren, hat das von der Akademie dort errichtete Denkmal wahrgenommen oder wahrnehmen wollen, obwohl man den Berg ausführlich erkundete, um die berühmte Schlacht zu rekonstruieren, und obwohl das Denkmal eine Höhe von 26 Metern aufwies.111 Die Auseinandersetzung um den richtigen Ort für ein Vercingetorixdenkmal in der >Auvergne< markierte seit dem Beginn des zweiten Projekts die Konkurrenz beider Denkmäler. Anders formuliert: In der Wahl des Ortes wurden die unterschiedlichen Interpretationen des Vercingetorixmythos und die divergierenden Motive zur Errichtung der Denkmäler der beiden Notabeingesellschaften manifest. Alle waren sich aus ähnlichen regionalistischen Motiven darüber einig, daß Gergovia der Ort war, an dem die Erinnerung an Vercingetorix wachgehalten werden müsse. Die Frage aber, wo und in welcher Form diese Erinnerung gepflegt werden sollte, war heftig umstritten und nicht kompromißfähig. Drei Projekte fur ein Vercingetorixdenkmal zur Erinnerung an die Schlacht von Gergovia konkurrierten miteinander. Die älteste Initiative der Akademie von Clermont zielte seit den 1840er Jahren auf die Realisierung eines abstrakten, relativ bescheidenen Denkmals in Gergovia.112 Die Société d'Emulation hingegen entschied sich für die Reiterstatue von Bartholdi ebenfalls in relativ kleiner Ausführung auf einem öffentlichen Platz Clermont-Ferrands. 113 Eine dritte Initiative entstand ebenfalls 1885, zwar außerhalb der >Auvergne< und in den Augen der Société d'Emulation »halb-auvergnatisch«,114 aber eng mit der Region verbunden. Die »Soupe aux Choux«, eine Vereinigung der auvergnatischen Künstler, Literaten und Musiker in Paris, die innerhalb der dortigen auvergnatischen Kolonie115 einen bedeutenden Stellenwert hatte, bildete Ende der 80er Jahre ein Nationalkomitee, das sich zum Ziel setzte, ebenfalls die Statue von Bartholdi, allerdings in monumentaler Dimension, in Gergovia zu errichten.116 Bevor hier die Konfliktpunkte aus den verschiedenen Ortsvorschlägen und ihr Inhalt weiter analysiert werden sollen, muß zunächst die Gemeinsamkeit der drei Initiativen betont werden. Für keine der drei Initiativen stand, wie später für den Kriegsminister André, die Errichtung eines Nationaldenkmals im Vordergrund des Interesses. Zwar wurde Vercingetorix 52

immer wieder als »Nationalheld« bezeichnet, doch stand vor der nationalen Loyalität stets die regionale: »diese Liebe zum kleinen lokalen Vaterland, die diejenige zum großen nährt«. 117 Vercingetorix, in der >Auvergne< geboren, war von dem arvernischen Stamm in Gergovia zum Anführer gewählt worden, und hatte, unterstützt von seinen arvernischen Kriegern, auf arvernischem Boden den entscheidenen Sieg über Cäsar davongetragen. Damit wurde er zum direkten Vorfahren aller Auvergnaten, die sich wiederum als Nachfahren der Arverner verstanden. »Hoffen wir, daß durch das Zusammenfließen aller edlen und einmütigen Bemühungen sich dieses Denkmal bald erheben wird, dessen eindrucksvolle Gestalt allen Fremden [= Franzosen, C.T.] von weitem den Ruhm der Arverner, unserer Väter, und Vercingetorix, ihres berühmten Anführers, verkünden wird.«" 8

Die enge Verbindung zwischen dem gallischen Stamm der Arverner und den Bewohnern der historischen Provinz der Auvergne, die seit der Französischen Revolution und der Einteilung Frankreich in Departements keine administrative oder politische Bedeutung mehr besaß, wurde besonders dadurch unterstrichen, daß die Bezeichnungen »Auvergne« und »Arvernie« bzw. »Auvergnat« und »Arverner« synonym verwendet wurden. Dagegen bezeichneten »la Gaule« und »la France« zwei unterschiedliche Realitäten und waren kaum austauschbar. Während im regionalen Raum eine direkte historische Kontinuität angenommen werden konnte, die sogar über die politische Realität der Provinz hinaus als kontinuierliche Entwicklung interpretiert wurde, stellte sich die Entwicklung zum Nationalstaat als Bruch dar. Eine ungebrochene nationale historische Tradition wurde nur über die Region vermittelt. »Mit einem Wort ausgedrückt, die Auvergne ist in der Tat die Vertreterin der alten Rasse von Gergovia, der keltischen Rasse.« 119 In dieser »erfundenen« historischen Tradition muß die Verehrung der >großen Männer< gesehen werden. Vercingetorix, in seiner Eigenschaft als Auvergnat, war nur einer unter mehreren >großen MännernAuvergne< hervorgebracht hatte und deren Erinnerung im 19. Jahrhundert von gelehrten Gesellschaften und Lokalpolitikern gepflegt und wachgehalten wurde. Vercingetorix war nur »der erste, der die Reihe der Berühmtheiten eröffnete«, die die >Auvergne< hervorgebracht hatte. 120 Ob es sich um die Notabein der Akademie von Clermont handelte, um die Republikaner der Société d'Emulation oder um die regionalen politischen Vertreter verschiedenster politischer Couleurs: Alle waren sich darin einig, daß die Erinnerung an die >großen Männer< eine Pflicht der Nachkommen gegenüber der Vergangenheit darstellte. »Denn wir, die Nachkommen von Vercingetorix und seinen tapferen Waffenbrüdern gehören einer starken, kraftvollen Rasse an; in unseren Adern fließt edles Blut. Die

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Auvergne hat bedeutende Prälaten, einen berühmten Papst, angesehene Feldherren, vortreffliche Rechtsgelehrte, Mathematiker und einen einzigartigen Denker, Pascal, hervorgebracht.« 121

Denkmäler fur lokale Größen, Straßen, benannt nach berühmten Auvergnaten, Artikel in den Publikationen der sociétés savantes und zahlreiche Feste zu Ehren der >großen MännerAuvergne< in ihrer Geschichte seit Vercingetorix hervorgebracht hatte, all das drückte im 19. Jahrhundert ein starkes regionales Bewußtsein in der >Auvergne< aus. Durch die chronologische Aneinanderreihung der >großen Auvergnaten< wurde die historische Tradition der Region hervorgehoben. Nicht so sehr die konkreten Taten standen im Vordergrund des Interesses, sondern die regionale Herkunft der Helden: Vercingetorix und Biaise Pascal, General Desaix und Papst Urban II. wurden völlig unabhängig davon, daß sie zu unterschiedlichen Zeiten gelebt und ihren Ruhm auf verschiedenen Gebieten erworben hatten, zu >großen Männern< der >Auvergnegroßen Männerobjektive< Einheit dar.124 Ein Anzeichen, daß Gergovia eine nationale Bedeutung zugemessen wurde, die nicht über die Region vermittelt war, findet sich während des gesamten 19. Jahrhunderts nicht in den Reihen der Akademie. Auch die Société d'Emulation, die Vercingetorix in den achtziger Jahren mit republikanischen, nationalen Inhalten versah, verzichtete nie auf die regionale Bedeutung des Mythos. »Vor den anderen Völkern

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preise ich mich, Franzose zu sein, vor den Franzosen rühme ich mich, Auvergnat zu sein.« 125 Die Notabein der Akademie von Clermont-Ferrand stellten ihr Interesse fur Vercingetorix und für Gergovia in die Tradition der wissenschaftlichen Erforschung der Region. »Gergovia ist das Thema, mit dem sie die Mitglieder der Akademie von Clermont und selbst die Bürger von Clermont am liebsten unterhalten. Stolz auf ihre Vorfahren, die die Angriffe Roms zurückgeschlagen haben, sprechen sie von ihrer antiken Hauptstadt nur mit Selbstgefälligkeit, einer Art Selbstliebe, die zwar lächerlich erscheint, weil sie unser Verdienst außerhalb von uns selbst verortet, aber sie liegt im menschlichen Herzen und soll die Völker entschuldigen, die, wie das Volk hier, früher in der Geschichte eine große Rolle gespielt haben und heute nichts mehr sind,« berichtete bereits 1 7 8 7 ein Reisender über die Akademie von Clermont. 126

Eine Unzahl von Artikeln, Berichten, Konferenzen und Vorträgen beschäftigte die Mitglieder der Akademie. Ständig stand das Thema Gergovia und die heroischen Taten der Vorfahren auf der Tagesordnung, 127 und der Besuch des Berges gehörte zum Pflichtprogramm eines jeden Académicien. 128 1855 sah sich ein Mitglied der Akademie genötigt, sein Interesse an diesem Ort und die erneute Beschäftigung damit zu rechtfertigen. »Schon wieder Gergovia! Als ob das Thema nicht schon genug zerpflückt worden wäre, als ob die Geschichtsfreunde und die Gelehrten der Auvergne und anderer Provinzen nicht seit langem schon eifrig herbeigeströmt wären, um diese Höhen kennenzulernen. Nun gut, aber konnte ich der Versuchung widerstehen, wenn diejenigen, die bereits geerntet haben, mir noch eine Nachlese zugestehen.« 129

Der »Moniteur du Puy-de-Dôme« machte sich 1862 darüber lustig, welches Glück es doch gewesen sei, daß sich Cäsar in seinen Beschreibungen der Schlacht bei Gergovia so unpräzise geäußert hatte: Sonst hätten die Lokalhistoriker in der Akademie keinen Anlaß mehr zu Kontroversen und Diskussionen gehabt: »Abhandlungen, Broschüren, für, gegen, kreuz und quer, von rechts und von links. Man müßte sterben vor Langeweile und öder Ruhe. Und welche unermeßliche Leere in den Annales der Academie de sciences, belles lettres, arts etc. unserer Stadt.« 130

Seit 1843 stand das Thema der Errichtung eines Vercingetorixdenkmals immer wieder auf der Tagesordnung der Akademie, und immer wieder wurden Kommissionen eingesetzt, die sich mit den Möglichkeiten der Realisierung des Projektes beschäftigten. 131 In der Rückschau, nach Fertigstellung des Bauwerks sechzig Jahre später, betonten die Mitglieder der Akademie in einem Beitrag ihres »Bulletin historique et scientifique de l'Auvergne«, daß sie von Anfang an die Idee einer kolossalen Statue auf dem Berg abgelehnt hätten. Nicht etwa, weil die

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I / A n v c r ß n e Pitt.>ro!.Auvergne< und Konkurrentin von Clermont-Ferrand - oder lebten als Rentiers auf dem Lande und betrachteten mit Eifersucht alle Versuche, Clermont-Ferrand als Zentrum der >Auvergne< darzustellen. Die entscheidende Summe, 5 . 0 0 0 Francs, zur Fertigstellung des Vercingetorixdenkmals in Gergovia wurde von einem Riomer Abgeordneten, »einem bemerkenswerten Vertreter der galloromanischen Rasse, die unsere Gegend besiedelt hat«, 139 aufgebracht. Aufgrund seiner politischen Couleur - der Arzt Girard war überzeugter Republikaner - hätte es eigentlich für ihn näher liegen müssen, das Denkmal der Société d'Emulation zu unterstützen. Er ordnete jedoch seine politische Loyalität der lokalen unter. Auch die übrigen Verantwordichen für die Errichtung des Denkmals in Gergovia bildeten keine politisch homogene Gruppe. In einer zweiten Inschrift auf dem Denkmalssockel, die - diesmal in französischer Sprache neben Vercingetorix die großzügigen Spender und die Verantwordichen der Denkmalsinitiative aufzählte, 140 standen die Namen eines gemäßigten und eines radikalen Republikaners neben dem eines Legitimisten. Alle in der Inschrift genannten Spender verband jedoch ihre lokale Herkunft. Sowohl Doktor Girard als auch der Comte de Chabrol waren Riomer, und Guyot-Dessaigne hatte sich seit 1881 nach Cunlhat zurückgezogen, wo er Bürgermeister war. Obwohl das Denkmal in Gergovia zwar von der Akademie von Clermont-Ferrand initiiert worden war, stellte es weniger ein

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Denkmal dieser Stadt dar, sondern vielmehr eines, das sich von der Stadt abgrenzte. Die Konkurrenz aber, die zwischen den Notabein von Riom und von Clermont-Ferrand bestand, machte es fxir die Riomer unmöglich, das Denkmal in Clermont-Ferrand zu unterstützen - eher arbeiteten sie mit ihren politischen Gegnern zusammen. Die Feierlichkeiten des hundertsten Jahrestages des Generals Desaix am 1. Juli 1900 - ein Ereignis, das sich durch nichts von der Feier des älteren, gallischen Kriegshelden unterschied 141 - warf ein deutiiches Licht auf die lokalen Konkurrenzen, für die die >großen Männer< der Region herhalten mußten. Obwohl in der Festkommission fur die Feier in Clermont-Ferrand auch Riomer Bürger vertreten waren, feierte die Stadt Riom mit der Begründung, daß der Todestag des Helden vor allem in dem Arrondissement gefeiert werden müsse, in dem er das Licht der Welt erblickt hatte, nämlich in Riom, 142 drei Wochen nach dem »Fest des Departements« ihr eigenes Fest des Arrondissements. 143 Sowohl das Departement als auch das Arrondissement fanden jedoch in der jeweiligen Hauptstadt ihren Festort. Eifersüchtig darauf bedacht, daß das Fest in ihrer Stadt ebenso erfolgreich verlief wie das in der Hauptstadt des Departements, nahm der Stadtrat von Riom die vom Präfekten ausgesprochene Einladung nach Clermont nur unter der Bedingung an, daß der Stadtrat von Clermont die Gegeneinladung zum Fest in Riom akzeptierte. 144 Allerdings konnten die Riomer nicht die gleichen finanziellen Mittel aufweisen wie das Departement und die Stadt Clermont. »Mit diesem glänzenden Budget, das noch durch zahlreiche Spenden aufgestockt wurde, ist es nicht erstaunlich, daß Clermont großes ausrichten konnte.« 145 Als das Comité von Clermont schließlich zwei Vertreter zum Grab von Desaix auf dem Berg Sankt Bernhard schickte, um dort einen Palmenzweig niederzulegen, der unter anderem vom Departement, von den Städten Clermont und Riom sowie von der Akademie von Clermont gestiftet worden war, galt es als selbstverständlich,146 daß je ein Vertreter der beiden Städte delegiert wurde. Der erste Vertreter, H. Lecoq, Abgeordneter des Generalrats des Puy-de-Dôme, betrachtete sich als Repräsentant der >Auvergne< und Frankreichs; der zweite, der Beigeordnete des Bürgermeisters von Riom, Grasset, mischte in die nationalen und regionalen Loyalitätsbekundungen auch noch lokale und verneigte sich »im Namen der Auvergne, im Namen der Stadt Riom« vor dem Grab des Generals. 147 Der Konflikt, der um Desaix gefuhrt wurde, ähnelte in seiner lokalen Bedeutung dem, der um die zwei Denkmäler in Clermont und in Gergovia entbrannte, wenn auch hier außer den lokalen Konflikten zudem noch unterschiedliche Konzeptionen des Vercingetorixdenkmals eine Rolle spielten. Ein Reiseführer brachte 1875 das Minderwertigkeitsgefühl der Riomer auf den Punkt: 61

»Auch wenn sie [die Stadt Riom, C.T.] weniger Einwohner zählt als Thiers, betrachtet man sie als zweitwichtigste Stadt des Departements Puy-de-Dôme. Riom lag ständig und beinahe bis zum heutigen Tag im Kampf mit Clermont, aber es konnte trotz aller seiner Bemühungen nie die Bedeutung seiner Nachbarin erreichen.« 148

Gergovia war der Ort aller Auvergnaten - eine Stadt, auch als Hauptstadt des Departements oder sogar der Provinz, beschränkte in der Meinung der Verantwortlichen die Erinnerungsfähigkeit eines Denkmals auf die Stadt selbst.149 Der Abgeordnete des Cantal und »Auvergnat de Paris« Lascombes betonte 1886 auf dem Banquet der Société de l'Auvergne in Paris: »Wir wollen kein Denkmal in Clermont oder in irgendeiner anderen Stadt der Auvergne. Vercingetorix gehört nicht dieser oder jener Stadt; er gehört der ganzen Auvergne, besser noch, er gehört ganz Gallien.« Deshalb komme als einziger Standort Gergovia in Frage.150 Nur ein Denkmal außerhalb der Stadt, an einem neutralen Ort, konnte den Anspruch auf überregionale Bedeutung erheben und für alle Auvergnaten zum Ort der Erinnerung werden - ein Faktum, das auch fur die Denkmäler in Deutschland mit ihrem nationalen Anspruch wichtig sein wird. Die Société d'Emulation verstand den Vorschlag der Auvergnaten in Paris dann auch in diesem Sinne. Es sei vor allem ein Nationaldenkmal, argumentierte sie, das in gigantischen Formen auf dem Plateau von Gergovia errichtet werden solle151 - ein Nationaldenkmal jedoch gehöre nicht nach Gergovia, sondern nach Paris. »Das ist zweifellos ein schönes Vorhaben, aber es scheint recht gewaltig fur einen kleinen Verein der Provinz! Wo hätte ein solch großartiges Denkmal seinen Platz? Man kann es sich an keinem anderen Ort vorstellen als in Paris. ... Aber das ist nicht mehr unser Projekt. Unser Ziel ist es, in Clermont ein Denkmal für den auvergnatischen Helden zu errichten, und das ist vielleicht bereits ein recht schwieriges Unterfangen.« 152

Auch wenn die Intentionen der Auvergnaten von Paris hier falsch beurteilt wurden - ihnen ging es wie den Clermontoisern um ein Denkmal für die >AuvergneWas ist das deutsche Vaterland, ist's Sachsenland, Westfalenland? Nein, nein, sein Vaterland muß größer sein!< Die Illusion ist vollständig, denke ich.«169

Die Illusion ist tatsächlich vollständig. Freiligrath bündelte in dieser Beschreibung des Standortes zahlreiche Elemente, die in mannigfacher Form immer wieder sowohl in den Beschreibungen des Denkmals und der Hermannsschlacht als auch in Festgedichten, Festreden und Festbeschreibungen auftauchten. Der hier zum Ausdruck kommende Naturbezug des deutschen Nationaldenkmals kann nicht nur auf einen ausgeprägten »romantischen Antiurbanismus« und eine Abwehrhaltung gegen die Modernisierung zurückgeführt werden,170 sondern er stellte einen integralen Be65

standteil des deutschen Nationalbewußtseins und des deutschen Nationaldenkmals im 19. Jahrhundert dar.171 Der Bezug zur Natur, zur Landschaft, zur Vegetation, zur ländlichen »ungeschliffenen« Bevölkerung wie zu den Ruinen und baulichen Überresten inmitten der Natur knüpfte eine direkte Verbindung zwischen der Gegenwart und Vergangenheit der deutschen Nation, zwischen den Germanen und Deutschen. Die Festlegung der Gemeinschaft auf ein bestimmtes Territorium wurde durch die Identifikation der natürlichen mit historischen Orten gewährleistet. Die Nation definierte sich zeidich und räumlich.172 Der Boden galt nicht nur als »durch die Geschichte geweiht«, sondern konservierte als steter, unwandelbarer Zeuge und Garant der in der nationalen Frühgeschichte liegenden Ereignisse das Wesen der deutschen Kultur. Nicht zufällig waren die Naturobjekte mit Zeitattributen belegt: die »hundertjährige«, gar »tausendjährige Eiche« oder »des Urwalds deutsche Eiche«, »historische Felder und Wälder«, »der uralte Wald«, »der deutsche Urwald«, der »durch die Geschichte geweihte Boden des Teutoburger Waldes«, »die alten Gräberhügel der Germanen«, das »Haupt des Urtiers«, das die Häuser zum Fest schmückte, »bemooste Trümmer« und »bemoostes Gestein«, 173 all diese Symbole betonten die gleichsam zeidose historische Kontinuität, die den Teutoburger Wald und seine Umgebung selbst zum Nationaldenkmal 174 werden ließen. Die Eiche als deutsches Nationalsymbol nahm eine hervorgehobene Stellung in diesem Repertoire der Natursymbolik ein. Obwohl es auf der Grotenburg nachweislich keine Eichen gab, 175 wurde dieser Ort immer wieder als mit hohen Eichen bestanden beschrieben, gezeichnet und lithografiert. 176 Als ein Symbol, das vor allem Dauer und Stetigkeit vermittelte und damit eine Brücke schlug zwischen der germanischen Urzeit und der Gegenwart, eignete sie sich besonders zur Symbolisierung der Kontinuität der deutschen Geschichte und Kultur, 177 aber ebensogut zur Versinnbildlichung der föderativen, monarchischen Einheit der deutschen Nation: »Verschiedene Stämme und Staaten - Ein Volk. Aus einer Grundwurzel alle Stämme hervorwachsend - in Einem Mittelpunkt der Krone sich wiederfindend. Ein großer starker schattiger Baum, mit seinen Ästen und Zweigen die Staaten umschließend, Europa überragend. Der deutsche Eichbaum!« 178

In ihrer Stärke, Mächtigkeit und Kraft stellte die Eiche außerdem ein durch männliche Tugenden charakterisiertes Nationalsymbol dar. Sie symbolisierte die Nation als einen männlichen Bund. Die Eiche war eindeutig mit männlichen Geschlechtsattributen besetzt; die Frau wurde demgegenüber als das um die Eiche rankende Immergrün dargestellt. Auch in der Natursymbolik versinnbildlichte sich das >naturhafte< komplementär aufeinander verweisende Verhältnis der Geschlechter, daß dem Mann die aktive Rolle in 66

der Nation zuwies, während die Frau nur in Anlehnung an ihn, »wie rankend Immergrün mit der Eiche«, 179 der Nation zugeordnet wurde. Jörg Traeger interpretiert die deutsche Eiche als ein dem französischen »Baum der Brüderlichkeit« und dem Freiheitsbaum der Französischen Revolution gleichzusetzendes Symbol, das auf einen gemeinsamen Symbolstamm zurückzufuhren sei.180 Im Zusammenhang mit den zahlreichen Natursymbolen in Deutschland und ganz abgesehen davon, daß die alte Eiche eine ganz andere Zeitdimension umfaßt als der junge Freiheitsbaum, wird jedoch deutlich, daß hier zwei verschiedene Konzeptionen von Gesellschaft und Nation - dem deutschen Volk und dem französischen »peuple« - symbolisiert wurden, die sich in der unterschiedlichen Konzeption der Gedächtnisorte ebenso niederschlugen wie in der Kombination der Symbole. 181 Heinrich Heines Umgang mit der deutschen Eiche bildete eher eine Ausnahme als die Regel: »Werden wir endlich von unseren Eichenwäldern den rechten Gebrauch machen, nämlich zu Barrikaden für die Befreiung der Welt?«182 Trotz seiner hervorgehobenen Stellung überschattete der deutsche Eichbaum andere Symbole nicht, die in unzähligen Variationen immer wieder die Kontinuität der deutschen Nation aus der Natur auf die Kultur übertrugen. Eichen, Buchen, Fichten- und Tannenwälder, Berge, Bergketten, Felsen und Felsblöcke, 183 Täler und Schluchten, Flüsse, Ströme, Bäche, Sümpfe und Moore, Wind, Nebel, Wolken und Himmel, Sonne und Mond, ebenso wie Ruinen, alte Mauern und Schlösser, alles dies wurde in die Wirkung des Denkmals hineingezogen und galt als lebendiges Zeugnis der Schlacht im Teutoburger Wald.184 Diese wurde sogar in den Kreislauf der Natur eingebettet: Das Bild der Saat, die hier in den Boden gelegt wurde und wieder aufging, machte den Zusammenhang zwischen Natur und gleichsam zeitloser Kontinuität besonders deudich. »Du einst mit Römerleichen besä'te Teutoburg, bezeugst dem Land der Eichen Jahrtausende hindurch, bezeugst den Nationen der Welt die kühne Tat, und siehst in fernen Zonen noch Früchte dieser Saat.« 185

Aus der rückwärtsgewandten Perspektive entstand eine vorwärtsgewandte, die auf die Schaffung der Nation als Verheißung und gleichsam religiöse Erfüllung abzielte. 186 Die Freiligrathsche Illusion stellte mithin keinen Einzelfall dar, sondern machte gerade das Programm des deutschen Nationaldenkmals aus. Der deutsche Besucher des Denkmals kam nicht in Analogie zu Frankreich mit dem Tacitus unter dem Arm zum Denkmal, um sich hier die Schlacht anhand der historischen Quellen vor Augen zu führen, sondern der im Programm des Denkmals vorgesehene typische Besucher kam als Wanderer, der die umgebene Natur auf sich wirken und sich so in die Vergangen67

heit zurückversetzen ließ. Das Denkmal war nur das Ziel einer langen Wanderung, die an den zahlreichen Natursymbolen vorbeifiihrte, die die Denkmalslandschaft ausmachten. Dabei ließ die natürliche Langsamkeit der Reise zu Fuß genug Zeit und Muße, den Raum und seine symbolische Bedeutung aufzunehmen. Sie war Teil der Ästhetik des sakralen Erlebnisraumes. 187 Der Wanderer war sowohl aus bildlichen Darstellungen, die ihn am Fuß des Denkmals inmitten der umgebenen Natur abbildeten, 188 als auch aus den literarischen und journalistischen Beschreibungen des Denkmals und des Teutoburger Waldes, ausgestattet »mit allem, was deutsche Wandersburschen, jung und alt, reizen kann«, 189 nicht wegzudenken. Der Bezug des Hermannsdenkmals war eindeutig nationaler Natur. Es versinnbildlichte die nationale, deutsche Geschichte als Verbindung von Denkmal, Natur und Landschaft, als zeitlose Kontinuität von germanischer und deutscher Nation. Die Natur, die zwar in den Kreislauf von Entstehen, Wachsen und Vergehen eingebunden war, vermittelte in ihrem Ganzen das Bild von Dauer und Stabilität, das direkt auf die Geschichte des »deutschen Volkes« übertragen wurde. Wie oben auf die synonyme Bedeutung von Auvergnat und Arverner als regionalem >ethnischem< Bezug hingewiesen wurde, waren hier die Begriffe Germane und Deutscher austauschbar und stellten den nationalen >ethnischen< Bezug her. »Seit Jahrtausenden grünt noch immer teutonische Waldung, unvergänglich wie sie, grünt auch teutonisches Volk! So wie die Stürme hier zerschellen am mächtigen Felsbau, brechen die Stürme der Zeit sich am germanischen Volk! Fest gefuget wie hier schließet sich Felsstück auf Felsstück, steh' das germanische Volk fest in dem ew'gen Verein! « 190

Ein regionaler >ethnischer< Bezug, der das »lippische Volk« als Nachfolger der Cherusker, in Analogie zu den Auvergnaten, besonders auszeichnete, wurde weder im Denkmal noch im Mythos vermittelt. Nur vereinzelt und aus der Zeit vor der Denkmalsinitiative lassen sich direkte Bezüge zwischen der Schlacht im Teutoburger Wald und dem Land Lippe finden. 191 Der Teutoburger Wald und die Grotenburg waren nationale Gedächtnisorte. Deshalb fehlte hier auch jeglicher Streit um den richtigen Standort. Auch wenn das Hermannsdenkmal auf lippischem Boden stand, blieb es Eigentum aller Deutschen, da die Natur, die es umgab, national und nicht regional aufgeladen war. Obwohl regionale Bezüge im Mythos nicht auffindbar waren, gab es doch auf anderer Ebene Beziehungen zwischen Denkmal und Region, und auch in Deutschland konnte ein Nationaldenkmal in eine Vielzahl regionaler Bezüge und auch Konflikte geraten. Entsprechend dem nationalen Anspruch vertraten die Mitglieder der Vereine für das Hermannsdenkmal, die sich in den 40er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts in verschiedenen 68

deutschen Städten gebildet hatten, den Anspruch, partikularistische Interessen den nationalen unterzuordnen, »da wir alle, sei es in Berlin, Detmold, Hannover oder sonstwo, einem und demselben Ziele zustreben, ohne partikularistische Interessen zu verfolgen.« 192 Dennoch entsprachen die deutschen Territorialstaaten zu sehr der politischen und sozialen Realität, als daß sie mithilfe eines überstaatlichen Mythos hätten überwunden werden können. Einerseits zielte der Zentralverein für das Hermannsdenkmal in Detmold darauf ab, eine flächendeckende Subskription in >Deutschland< durchzuführen, die, von der Schweiz und Österreich bis nach Dänemark, und sogar bei den Deutschen im Ausland, jedem der >deutschen< Staaten die Möglichkeit geben sollte, sich an dem Nationalwerk zu beteiligen und damit seinen Willen zur deutschen Einheit zu bekunden. Andererseits waren die Vereinsmitglieder jedoch stets darauf bedacht, daß die Lipper sich durch besondere Spendenfreudigkeit vor den anderen Staaten hervortaten. So erließen sie mehrmals Spezialaufforderungen an die »Bewohner des Fürstentums Lippe«, die sich am Besitz des Hermannsdenkmals mehr als alle anderen Deutschen erfreuen sollten. Es sollte über die Grenzen des Landes zu den deutschen Genossen hinausleuchten. »Wir waren die ersten, die beisteuerten, und in den Verzeichnissen der Beiträge stehen wir noch hinter keinem Lande Deutschlands zurück.« 193 Als 1 8 4 4 zum ersten Mal deutlich wurde, daß man mit einer nationalen Subskription nicht zum Ziel gelangte und die Spenden ausblieben, schlug ein Detmolder vor, mit einer wöchentlichen Pfennigsammlung im Fürstentum Lippe die nötigen Gelder zum Weiterbau aufzubringen und erklärte, daß die Fortsetzung des Baues dann nicht mehr von der Unterstützung des übrigen Deutschlands abhängig sei und das Werk allein aus den lippischen Geldern in wenigen Jahren vollendet werden könne. 194 Aber auch die Vereine für das Hermannsdenkmal in anderen deutschen Staaten begründeten ihren Landsleuten gegenüber die Notwendigkeit zu spenden damit, daß ihr Land nicht hinter den anderen zurückbleiben dürfe. 195 So war das Denkmal zwar ein nationales Symbol, in der Realisierung und konkreten Ausführung jedoch spiegelte es die partikularstaatliche Situation der imaginierten Nation wider. Sogar noch 1881, zehn Jahre nach Gründung des Deutschen Reiches, als sich der Verein für das Hermannsdenkmal auflöste und das Hermannsdenkmal »dem Schirm und Schutze der Fürstlichen Regierung« unterstellte und nicht etwa einer nationalen Einrichtung oder Verwaltung, wurde in diesem Sinne argumentiert. Das Denkmal sei zwar Gemeingut der Deutschen, befinde sich aber innerhalb der Grenzen des lippischen Landes. 196 Die unterschiedlichen politischen, sozialen und kulturellen Loyalitäten, einerseits Untertan oder gar - wie die meisten Vereinsmitglieder - Beamter

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eines Territorialstaates zu sein, andererseits die kulturelle und politische, wenn auch föderale, Einheit der deutschen Nation auf überstaatlicher Ebene zu erstreben, waren durchaus komplementär. Theodor Schieder hat darauf hingewiesen, daß im Fürstentum Lippe, aber auch in anderen deutschen Klein- und Mittelstaaten im Vormärz ein »Spezial-Patriotismus« gepflegt wurde, der weniger - wie etwa in Bayern oder Preußen - konkrete staatliche Leitbilder für einen souveränen Territorialstaat entwickelte, sondern vielmehr ein patriarchalisches Landesbewußsein mit fast idyllischer Solidarität zwischen Fürst und Volk darstellte. Dabei spielte das Wissen um die politische Ohnmacht und die wirtschaftliche Abhängigkeit eine wichtige Rolle, wie sich an der Diskussion um den Beitritt Lippes zum Zollverein, aber auch um die Mediatisierung der kleinen deutschen Staaten 1848 zeigen ließe.197 Der Begriff des »Vaterlandes« umfaßte, zumindest bis zur Revolution 1848, ebenso den Kleinstaat Lippe wie die geeinte Nation. Nur im Zusammenhang wurde deudich, auf welchen konkreten politischen Raum der Begriff sich bezog.198 »Deutschlands getreue Söhne, Deutsche und Lipper sind wir«, mit diesem Bekenntnis zu Nation und Territorialstaat schloß Schierenberg, einer der Herausgeber des »Lippischen Magazins für vaterländische Cultur und Gemeinwohl«, seinen Aufsatz »Über die Bedeutung der kleineren deutschen Bundesstaaten in Hinsicht auf deutsche Kultur und Nationalleben«.199 Hier entwickelte er - in deutlicher Abgrenzung zu den großen Staaten, die er als europäische Mächte und damit als unfähig ansah, das deutsche Wesen zu repräsentieren - die besondere Rolle der Klein- und Mittelstaaten als Bewahrer und Träger der »Eigentümlichkeit deutscher Kunst und Literatur«. Außerdem wehrten, argumentierte er, diese Staaten die tote Einförmigkeit moderner Administration vom deutschen Volk ab. »Warum sollen wir uns nicht freuen, daß es ein mächtiges und schützendes Preußen gibt, und doch neben ihm noch Staaten, die nicht Militärstaaten sind, wo städtische Kommunen und Korporationen mancherlei Art noch einen Teil ihrer alten Selbständigkeit gerettet haben, wo es mehr oder weniger auf altdeutsche Weise zugeht.«

Diese, durchaus verbreitete patriarchalisch-konservative, an die ständischkorporative Verfassung des engeren Vaterlands anknüpfende Loyalität war eng verbunden mit der Liebe und Treue zum lippischen Fürstenhaus: »und wie tröstlich erscheint es dagegen, wenn hier und da noch ein kleiner deutscher Fürst wie ein Vater unter seinen Untertanen weilt.«200 Die Verbindung von nationaler Begeisterung und partikularstaadicher Anhänglichkeit drückte sich auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und nach der Reichsgründung in vielfältiger Weise in der Hermannsdenkmalsbewegung aus. Werner Blessing hat auf das Nebenein70

anderbestehen des monarchischen Regional- und Reichskultes in Bayern bis 1918 aufmerksam gemacht, hat diese beiden Formen des Kultes jedoch als Konkurrenzen gedeutet, die im Laufe der Zeit zu einem Substanzverlust des regionalen Kultes als Element vormoderner Ordnung führten. 201 Die Feststellung aber, daß im Fall des Hermannsdenkmals der regionale und der nationale Kult zusammenfielen und das ganze 19. Jahrhundert hindurch komplementär blieben, fuhrt eher zu der Frage, ob sich diese beiden Formen nicht gegenseitig stützten und in ihrer Einheit die Anziehungskraft des nationalen Kultes bis zum Ersten Weltkrieg ausmachten. Die soziale und politische Realität der territorialstaatlichen Loyalitäten zeigte sich besonders auf der Ebene des persönlichen Umgangs der Mitglieder der verschiedenen Vereine flir das Hermannsdenkmal miteinander. Ein Konflikt zwischen dem Künsder von Bändel und dem Detmolder Verein fìir das Hermannsdenkmal, der vor allem sachlicher, aber auch persönlicher Natur war202 und der fast die gesamte Bauzeit des Hermannsdenkmals durchzog, wurde schließlich in der zweiten Bauphase des Denkmals, in den 60er und 70er Jahren, als ein Konflikt zwischen Lippern und Hannoveranern ausgetragen. Als der Detmolder Verein den Beschluß faßte, den Weiterbau des Denkmals erst dann finanziell zu unterstützen, wenn die Vollendung der Arbeiten durch ausreichende Spenden völlig gesichert sei und bis dahin die Gelder verzinslich anlegte, zog sich Bändel nach Hannover zurück und arbeitete dort mit Unterstützung des Hannoverschen Vereins, der sich bedingungslos hinter ihn stellte, die Subskription nun weitgehend leitete und Bändel die Gelder für die Weiterarbeit an der Statue direkt zukommen ließ. Während die Hannoveraner jedem Schreiben an potentielle Spender hinzufügten, daß Geld nicht nach Detmold, sondern nach Hannover zu senden, 203 bestand der Detmolder Verein darauf, der Hauptverein für das Hermannsdenkmal zu sein, erklärte sich in seiner Satzung 1862 zur juristischen Person und zum alleinigen Besitzer des Denkmals 204 und stellte fest, daß er im Interesse des lippischen Landes, das an der Aufstellung der Figur besonders interessiert sei und ein Drittel der Gesamtkosten aufgebracht habe, die eingeflossenen Gelder für die Aufstellung der Figur reservieren müsse. 205 » D e r Hannoversche Verein ist ein zeitweiser Hilfsverein, während der hiesige Verein das Denkmal dauernd zu vertreten und für dessen Vollendung und künftige Erhaltung unter allen Umständen zu sorgen hat.« 2 0 6

Dagegen stand die Auffassung Bandeis und wohl auch des Hannoverschen Vereins, daß der »preußische Verein in Hannover« der Hauptverein sei.207 Man stritt schließlich auch noch nach 1871, als die Vollendung des Werkes durch den Zuschuß des Reichstages gesichert schien und der Konflikt 71

offiziell beigelegt war, um die Verwaltung der Gelder und damit die Rolle des Haupt- und Nebenvereins. Wie sehr dieser Konflikt auf der Ebene regionaler Streitigkeiten geführt wurde, verdeudicht ein Bericht Bandeis über die Sitzungen des Detmolder Vereins an den Vorsitzenden des Vereins in Hannover. »Ich hatte genug an der Verhandlung in der Sitzung voriges Jahr - es ging alles darauf hinaus Reichsgeld für Lippische Interessen zur Verwendung zu erhalten. Eine Rechnungsablage muß gemacht werden - nicht lippisch, sondern reichspreußisch daraufbin ich neugierig.« 208

An anderer Stelle entwich ihm gar der Stoßseufzer: »Hier gilt Lippe mehr wie Deutschland!«209 Als die Detmolder 1875 schließlich das Fest der »Ubergabe des Denkmals an das deutsche Volk« vorbereiteten und der Hannoversche Verein, ohne dessen Initiative das Denkmal nicht fertiggestellt worden wäre, auf Mitwirkung und Mitunterzeichnung des Festprogramms drängte und darum bat, das Hoch auf den deutschen Kaiser auszubringen,210 empfanden die Detmolder es als »Zumutung« und als »unsinnig und daher unzulässig«, daß »ein vom Festorte entfernter Nebenverein« als Mitunterzeichnender auftrat211 und überließen dem Vorsitzenden des Hannoverschen Vereins lediglich eine kurze Lobrede auf Bändel, die den Detmoldern ohnehin nur schwer über die Lippen gegangen wäre. Die Einladung des Fürsten zum anschließenden Festbankett zu Ehren des Kaisers im fürstlichen Palais wurde dem Vorsitzenden des Hannoverschen Vereins wohl absichtlich nicht übermittelt, und auch an dem Festessen im Lokal der Ressource, dem Treffpunkt der Detmolder Bürger, konnten die Hannoveraner nicht teilnehmen, weil man eine Verabredung zum Treffen der beiden Vereine nicht einhielt.212 Indem sich die Vertreter der nationalen Bewegungen zugleich auch als Vertreter ihrer Territorialstaaten verstanden, wurde die nationale Bindung nicht nur durch die regionale Loyalität unterlaufen. Vor allem wurde dem nationalen Symbol seine überräumliche Dimension genommen. Der Raum des Hermannsdenkmals wurde zunächst als ein natürlicher Raum definiert, der jenseits von konkreten zeitlichen und räumlichen Kriterien bestand und - als Raum außerhalb der Stadt - keine soziale Qualität besaß. Da Detmold jedoch die Haupt- und Residenzstadt des Lippischen Staates war und die Detmolder Bürger in ihrer Funktion als Beamte und Vertreter des Lippischen Staates auftraten, wurde das Denkmal an die Stadt und ihren sozialen Raum angebunden. Kam Detmold im nationalen Raum keinerlei Sonderstellung zu, legitimierte der regionale Raum den Anspruch des lippischen Bürgertums, stellvertretend für die Region und die Nation eine führende Stellung in der nationalen Bewegung einzunehmen. Die Vereinsbewegung für das Hermannsdenkmal stellte eine städtische, die jeweiligen Territorial72

Staaten repräsentierende Bewegung dar, in der sich das städtische Bürgertum als gleichzeitig lokales, regionales und nationales Bürgertum repräsentierte. So banal die Streitigkeiten zwischen den Vereinen in Detmold und Hannover zunächst auch erscheinen, sie sind für das Verhältnis von nationalen und regionalen Referenzen im Nationaldenkmal aufschlußreich. Der Teutoburger Wald war anders als Gergovia zunächst durch einen nationalen, auf die germanische Geschichte bezogenen Mythos gekennzeichnet. Das verhinderte jedoch nicht, daß, ähnlich wie in Gergovia, eine Vielzahl regionaler Bezüge das nationale Gedächtnis überlagerte und das Denkmal in den sozialen Raum der Region und ihrer Hauptstadt einband.

1.4. Vergleichende Zusammenfassung Der Vergleich des Hermannsdenkmals mit den Vercingetorixdenkmälern auf der Ebene der ihnen zugrunde liegenden Gründungsmythen fuhrt zunächst zur Konstatierung einer grundsätzlichen Gemeinsamkeit. In Deutschland wie in Frankreich war die Selbstbeschreibung der eigenen Nation in hohem Maße durch die Abgrenzung von der anderen, fremden Nation bestimmt. Diese negative, durch äußere Faktoren gesteuerte Definition hatte jedoch in beiden Ländern Konsequenzen nach innen. Nicht nur die Grenzen der beiden Nationen - symbolisiert durch den Rhein wurden in der Abgrenzung bestimmt und verbal verteidigt, sondern der Verlauf der eigenen nationalen Geschichte wurde in Opposition zur anderen interpretiert. Die französische und deutsche Geschichte definierte nicht nur die jeweilige Nation aus sich selbst heraus, sondern stellte sie als komplementär aufeinander bezogene und in Opposition zueinander stehende Wirklichkeiten dar. Aus der unterschiedlichen historischen Entwicklung wurden schließlich auch die sich gegenüberstehenden Definitionen des deutschen Volkes als eines organischen Gebildes einerseits und des französischen »peuple« als eines politisch konstituierten Begriffe andererseits abgeleitet. Nicht nur in Frankreich wurde die Erfahrung der Französischen Revolution in die Definition der Nation einbezogen, indem sie als politisch und voluntaristisch begründet dargestellt wurde. Auch in Deutschland konstituierte sich die Nation - ex negativo durch die Erfahrung der Französischen Revolution als ein kultureller, antirevolutionärer Begriff. Die nationale Einheit wurde in Deutschland weniger als eine neue, auf die Zukunft ausgerichtete Hoffnung gesehen, sondern vielmehr als eine dem deutschen Volke wesenhafte Eigenschaft, die nur neu zu beleben war. 73

Damit und vor allem in der Ablehnung der revolutionären Nation war auch der Hermannsmythos politisch. Der Appell an die Einheit von Fürsten und Volk wurde zwar letztlich durch den Rekurs auf den Cheruskerfüirsten historisch untermauert, gestaltete jedoch die Nation auch als eine voluntaristische Einheit. Indem gleichzeitig in Frankreich der zivilisatorische Fortschritt in Abgrenzung von den deutschen Barbaren als historische Eigenschaft und als der französischen Nation wesenhaft beschrieben wurde, gestaltete sich auch die politische Nation als >objektiveobjektive< Einheit mit charakteristischen Eigenschaften ausstattete und die Nationsbildung im 19. Jahrhundert historisch vorwegnahm. Erst auf der Basis dieser >objektiven< nationalen Eigenschaften, wurde der Gegensatz zwischen der >objektiven< und >voluntaristischen< Nation zum Inhalt der Selbst- und Fremdbeschreibung gemacht und stellte wiederum die Basis eines >voluntaristischen< Appells zur politisch unterschiedlich konstruierten nationalen Einheit dar. Erst vor diesem Hintergrund spielten die Mythen in der aktuellen politischen Legitimation der Nation eine unterschiedliche Rolle. Vercingetorix wurde als >politischer< Mythos in eine »Bataille pour la mémoire« einbezogen und je nach politischer Einstellung unterschiedlich gedeutet. Zusammengehalten wurden diese verschiedenen Interpretationen jedoch durch die Abgrenzung der Nation nach außen, so daß ihr eine >objektive< Basis oberhalb des politischen Konflikts zukam. In Deutschland blieb der Hermannsmythos ein kohärenter Mythos, zunächst ohne dezidiert politische Implikation, ehe er im Kaiserreich als ideologisches Instrument zur Legitimation des monarchischen Systems und zur Ausgrenzung von politischen Gegnern aus der Nation weiterentwickelt wurde. Politische Konflikte wurden jedoch nicht im Mythos selbst ausgetragen. Die ausgegrenzten politischen Gruppen konnten nicht, wie in Frankreich, mit einer anderen

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Auslegung des Mythos reagieren, sondern mußten ihn - und damit die Nation - vielmehr selbst in Frage stellen. Jenseits der scharfen politischen Auseinandersetzungen, die über die nationalen Symbole in Frankreich geführt wurden, stellte der Vercingetorixmythos ein größeres Integrationsangebot für die französische Nation dar als der Hermannsmythos in Deutschland, der sich letztlich auf die politische »Staatsnation« verengte. Im Denkmal und im Gedächtnisort gestaltete sich das Verhältnis von Region und Nation in Deutschland und Frankreich zunächst in entgegengesetzter Weise. Während Gergovia vor allem einen Ort regionaler kollektiver Erinnerung darstellte, symbolisierte der Teutoburger Wald einen nationalen Inhalt. Die staatliche und kulturelle Identität richtete sich in beiden Ländern in entgegengesetzter Weise auf nationale und regionale Bezüge. Während in Deutschland die Nation durch Geschichte und Kultur, die Region durch die Territorialstaaten erfaßt wurde, legitimierte sich die Nation in Frankreich in erster Linie durch den Staat, die Region dagegen durch Kultur und Geschichte. In den Denkmälern von Hermann und Vercingetorix und den sie umgebenden Räumen, Gergovia und der Teutoburger Wald, standen sich, um es schlagwortartig zu überspitzen, »Kulturnation« und »Staatsregion« in Deutschland und »Staatnation« und »Kulturregion« in Frankreich gegenüber. Daß dies allenfalls ideale Konstrukte sind, ist betont worden. Jenseits dieser Dichotomie wurde jedoch eine grundlegende Gemeinsamkeit deutlich: In beiden Ländern standen sich Region und Nation nicht als Gegensätze gegenüber, sondern verwiesen aufeinander. Die Frage nach dem Vorhandensein und der Bedeutung von lokalen und regionalen Orientierungsmustern, die »unterhalb« der nationalen Loyalitäten angesiedelt waren, wird im folgenden weiterverfolgt. Die Nationalismusforschung hat bisher nicht nur die regionalen Bezüge weitgehend aus der Betrachtung ausgeklammert, solange sie nicht ausgesprochen separatistische, auf die politische Unabhängigkeit abzielende Bewegungen untersucht hat. Sie hat darüber hinaus gerade in der Überwindung und der erfolgreichen Durchsetzung des Nationalstaates einen wichtigen Faktor der Modernisierung gesehen.213 Der Übergang von der traditionellen, stärker lokal orientierten zur modernen, nationalen Gesellschaft wurde als Prozeß der Modernisierung oder gar Zivilisierung beschrieben,214 der zwar krisenhaft und ungleichzeitig verlief, aber einen stetig fortschreitenden Prozeß darstellte. Die Ausdehnung der lokalen Wirtschaft auf überregionale Räume, die Entwicklung der Kommunikationswege und -mittel, kurz die Intensivierung der nationalen Kommunikation führten in dieser Sicht zur Sprengung der lokalen Räume und ermöglichten die direkte Anbindung der Individuen an die nationale Kultur und Politik. Die Bedeutung der Orte, an denen »Nationaldenkmäler« für Hermann 75

und Vercingetorix in Deutschland und Frankreich errichtet wurden, hat demgegenüber zunächst verblüffende Ergebnisse hervorgebracht. Die Orte und deren Erinnerung waren an verschiedene Räume gebunden, die sich nicht in Konkurrenz zum nationalen Raum gestalteten, sondern unterhalb der nationalen Ebene die Bedeutung regionaler und lokaler Gebundenheiten verdeutlichten. Diese nur mit der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«, als traditionelle Überreste zu erklären, würde ihrer Bedeutung gerade in der modernen Gesellschaft nicht gerecht und vergäbe die Möglichkeit, die Bedeutung und Wirkungskraft von nationalen Symbolen im 19. Jahrhundert zu verstehen. Die Tatsache, daß in Frankreich die >Auvergne< als kultureller und sozialer Raum erst mit der Französischen Revolution entstand, zu einem Zeitpunkt, als durch die Schaffung der Departements die Provinzen als politische Einheiten aufhörten zu existieren, weist darauf hin, daß es keineswegs sinnvoll ist, den regionalen Bezug nur als konservativen, traditionalen Überhang zu interpretieren. Vielmehr scheint es sich hier um ein Phänomen zu handeln, das mit der Nationalstaatsbildung entstand und mit dieser eng zusammenhing. Die Einbeziehung lokaler und regionaler Räume und ihre soziale, kulturelle und politische Realität in die nationale Geschichte scheint zwingend.215 Das um so mehr, als gerade die nationalen Mythen, Symbole und Riten selbst neben ihrem nationalen Bezug regionale Solidarität betonten und aufwerteten. »Fürchten Sie nicht«, um es mit den Worten eines Mitglieds der Société d'Emulation auszudrücken, »daß die Liebe für das kleine Vaterland dem großen schaden könnte! Das ist ein Trugschluß. Man kann seine Provinz lieben ohne deshalb aufzuhören Frankreich zu lieben.... Bretagne, Auvergne, Normandie, das ist nicht wichtig! Ist es nicht immer der Boden Frankreichs?«216

Die Analyse der Denkmäler für Hermann und Vercingetorix und der daran anknüpfenden Denkmalsbewegungen ermöglicht es, das Nebeneinander verschiedener räumlicher Solidaritäten und ihre soziale Bedeutung in der symbolischen Praxis, kurz: die Nation in und auf dem Weg über die Region zu beleuchten.217

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2. Verein

In Clermont-Ferrand und in Detmold waren die Denkmäler fur Vercingetorix und Hermann fest eingebunden in die kommunale, regionale Geselligkeit. Alle Initiativen für die Errichtung dieser Denkmäler entsprangen privaten Vereinen, auch wenn später, in mehr oder weniger bestimmender Form, der Staat Einfluß auf sie ausübte. In Clermont-Ferrand verfolgten zwei sociétés savantes, die Académie des sciences, belles lettres et arts seit den 1840er Jahren und die Société d'Emulation seit 1884, Pläne zur Errichtung eines Denkmals, die jedoch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts realisiert werden konnten. In Detmold wurde 1838 - also nur wenige Jahre bevor die Akademie in Clermont ihre Denkmalspläne formulierte - der Verein für das Hermannsdenkmal gegründet, der über die Einweihung des Denkmals 1875 hinaus Bestand hatte. Abgesehen von den durchaus vergleichbaren Denkmalsprojekten in beiden Städten hatten diese Vereine auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Der Verein für das Hermannsdenkmal in Detmold verfolgte als einziges Ziel die Errichtung des Denkmals. Durch die Bildung von Zweigvereinen in ganz Deutschland und eine nationale Subskription sollte die Finanzierung des Denkmals sichergestellt werden. Für die beiden sociétés savantes in Clermont-Ferrand stellten die Projekte für ein Vercingetorixdenkmal dagegen nur einen Aspekt ihrer breitgefächerten, regional orientierten kulturellen Praxis dar. Während sie ihr Interesse vor allem auf die Region richteten, strebten die Detmolder Vereinsmitglieder eine nationale Denkmalsbewegung an. Darüber hinaus zählten die gelehrten Gesellschaften in Frankreich weit mehr Mitglieder als der Detmolder Verein, der stets weniger als zehn Mitglieder umfaßte. In der Akademie trafen sich hingegen rund fünfzig, in der Société d'Emulation zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar 425 Mitglieder. Außerdem verfügten beide Vereinigungen in Clermont-Ferrand über feste Satzungen und Zielsetzungen, interne Regeln und Verfahrensweisen. Der Verein für das Hermannsdenkmal bestand dagegen für nahezu zwanzig Jahre ohne Satzung, seine Mitglieder trafen sich unregelmäßig und verfügten außer dem allgemeinen Ziel, das Hermannsdenkmal zu finanzieren, über keine formulierten Ziele und Regeln. Der Vergleich dieser beiden Vereinstypen im Hinblick auf bürgerliche Organisationsformen im 19. Jahrhundert erscheint daher aufgrund der 77

unterschiedlichen Vergleichseinheiten methodisch zunächst fragwürdig. Folgt man jedoch den Anregungen der französischen Sociabilite-Forschung und geht über die engen Fragestellungen der Vereinsforschung hinaus, die sich in der Regel mit der Analyse der formalen Organisationsformen und -prinzipien, der Zielsetzungen und sozioprofessionellen Zusammensetzung von Vereinen zufrieden gibt, können diese Vereine fruchtbar miteinander verglichen werden. Indem sich die Analyse vor allem den Geselligkeits- und Umgangsformen der Vereinsmitglieder zuwendet, nach ihren Beziehungen zueinander, ihrer kulturellen und sozialen Praxis sowie ihrem Verhältnis zu anderen Vereinen und geselligen Vereinigungen auf lokaler und überlokaler Ebene und damit nach ihrem Verhältnis zur sie umgebenden Gesellschaft insgesamt fragt, 1 können nicht nur unterschiedliche Vereinstypen analysiert und miteinander verglichen werden. Darüber hinaus kann durch die Vereine und ihre kulturelle Praxis der Prozeß der kulturellen Vergesellschaftung jener sozialen Gruppen erfaßt werden, die bei dieser Initiative führend waren: das Bürgertum in Detmold und die Notabein in Clermont-Ferrand. Indem für die beiden Regionalstudien von einer Notabelnkultur in Frankreich und einer Kultur des Bürgertums in Deutschland gesprochen wird, geht diese Analyse von einer unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Stellung der Notabein und des Bürgertums in der französischen und deutschen Gesellschaft aus. Die Unterscheidung einer Notabelnkultur in Frankreich und einer bürgerlichen Kultur in Deutschland wird vor allem in der unterschiedlichen räumlichen Struktur der Denkmalsbewegungen und der sie tragenden Vereine deutlich. Während die Notabeingesellschaft ihre soziale Basis vornehmlich in der Region hatte 2 und die Denkmalsbewegung regional ausgerichtet war und nur im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts langsam nationale Prägung annahm, erstreckte sich die bürgerliche Kultur in Deutschland, zumindest ihrem Anspruch nach, in erster Linie auf den nationalen Raum und grenzte sich auf diese Weise von kleinräumigen, durch ständische Herrschaft: strukturierten Räumen ab. Daß diese Differenzierung allenfalls idealtypisch ist und in beiden Fällen regionale und nationale Bezüge eine Rolle spielten, ist bereits in der Analyse der Mythen angeklungen. Der Unterschied zwischen Notabein und Bürgertum besteht vor allem in ihrer sozialen Zusammensetzung und ihrer Stellung in der Gesellschaft. Der Begriff der Notabein 3 beschreibt für Frankreich die Existenz einer sozialen, ökonomischen und kulturellen Elite von lokalen Honoratioren, die bürgerlicher und adliger Herkunft waren und deren soziale Stellung sowohl ständisch durch Geburt und Familienbeziehungen als auch durch ihre Klassenzugehörigkeit durch (Land-) Besitz und Kompetenz definiert wurde. Das deutsche Bürgertum hingegen war als Wirtschafts- oder Bildungsbürgertum vor allem durch Besitz und Bildung, durch Kriterien der

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Klassenzugehörigkeit definiert. Es war vom Adel, der sich durch Geburt und Familie als Stand konstituierte, als Sozialformation getrennt. 4 Aber gerade der soziale Einfluß des Adels in der deutschen Gesellschaft, die Dominanz ständischer Kriterien über klassenbedingte Differenzierung, stellte eines der zentralen Probleme der deutschen bürgerlichen Gesellschaft dar. Die Schwäche des deutschen Bürgertums gegenüber dem Adel galt als eines der zentralen Argumente für einen deutschen Sonderweg im Prozeß der Modernisierung der europäischen Gesellschaft. Beide Gesellschaften, die französische der Notabein wie die deutsche bürgerliche, können als Mischformen von einer auf ständischer und klassenbedingter Differenzierung aufbauenden Gesellschaft beschrieben werden. Während indessen die Notabein beide Charakteristika auf sich vereinten, standen sich in Deutschland Adel und Bürgertum als konkurrierende Sozialformationen gegenüber. In der französischen Forschung wurde mit dem Aufkommen der von Gambetta proklamierten »couches nouvelles« zu Beginn bzw. mit Durchsetzung der Dritten Republik das »Ende der Notabein« 5 gesehen. Hinter diesem Schlagwort steht die These, daß die französische Gesellschaft eine zunehmende Durchsetzung klassenbedingter sozialer Differenzierung seit etwa 1880 gekannt habe. In Deutschland suggeriert der Begriff der »Untertanengesellschaft« dagegen für das deutsche Kaiserreich seit 1871 eine untergeordnete Stellung bürgerlicher Schichten, das Zurückdrängen der bürgerlichen Werte und eine stärkere Betonung ständischer Elemente in der deutschen Gesellschaft.6 Beide mit diesen Schlagworten, dem »Ende der Notabein« und der »Untertanengesellschaft«, verbundenen Thesen einer sozialen Differenzierung der französischen Gesellschaft seit 1880 durch ein erstarktes französisches Bürgertum einerseits und die Schwächung des deutschen Bürgertums in einer durch traditionelle Eliten dominierten Gesellschaft des Kaiserreichs andererseits,7 sind häufig kritisiert, modifiziert und relativiert worden. 8 So wurde für Frankreich herausgestellt, daß die traditionelle Notabeingesellschaft zwar seit 1880 langsam unterhöhlt wurde, jedoch mindestens bis zur Jahrhundertwende oder sogar bis zum Ersten Weltkrieg den Charakter der französischen Gesellschaft, vor allem in der Provinz, prägte.9 Für Deutschland ist die These eines deutschen Sonderwegs, die die Schwäche des Bürgertums gegenüber den traditionellen Eliten des monarchischen Staates konstatiert, heftig umstritten. Vor allem wurde die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der bürgerlichen Kultur betont, die in bürgerlichen Geselligkeitsformen, zum Teil unabhängig von staatlichen Einflüssen, ihre gesellschaftlichen Nischen gefunden habe. Anhand des Vergleichs der Vereine in Clermont-Ferrand und Detmold soll dieses Problem vor allem an der kulturellen Praxis von Notabein und 79

Bürgertum untersucht werden. So kann für Clermont-Ferrand gezeigt werden, daß sich in der Konkurrenz der beiden gelehrten Gesellschaften, die die Vercingetorixdenkmäler errichteten, eine vorsichtige Verlagerung der Initiative von den traditionellen Notabein zu den neuen sozialen Schichten vollzog. Dieser Wandel ging jedoch nur langsam und zögernd vonstatten, so daß von dem »Ende der Notabein« in Clermont-Ferrand bis zum Ersten Weltkrieg kaum die Rede sein kann. Ähnlich differenziert muß das Detmolder Bürgertum und seine Position gesehen werden. Zwar läßt sich anhand der Vereinsgeschichte des Detmolder Vereins für das Hermannsdenkmal zeigen, wie die bürgerliche Denkmalsinitiative zunehmend auf regionaler wie auch auf nationaler Ebene vom monarchischen Staat vereinnahmt wurde. Dabei spielte besonders die doppelte Loyalität der Vereinsmitglieder als Bürger und Beamte eine entscheidende Rolle. Jedoch kann auch an diesem Fall gezeigt werden, daß bürgerliche Werte und Geselligkeitsformen sich neben staatlichen Einflüssen behaupten konnten. Da sich der Verein für das Hermannsdenkmal nach der Fertigstellung des Denkmals 1875 auflöste, muß aber die Frage, ob sich das deutsche Kaiserreich als Untertanengesellschaft - und das heißt auch: nicht mehr als bürgerliche Gesellschaft - beschreiben läßt, später verfolgt werden.

2 . 1 . Der Verein für das Hermannsdenkmal 1 8 3 8 - 1 8 7 5 : Zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Obrigkeitsstaat Anfang des Jahres 1838 bildete sich in Detmold der Verein für das Hermannsdenkmal, der sich ähnlich wie vor ihm die Polen- und Griechenvereine und nach ihm der Kölner Dombauverein durch ein Netz von Zweigvereinen in etwa dreißig deutschen Städten über ganz Deutschland ausdehnte und als eine der wichtigen nationalen Bewegungen des deutschen Vormärz betrachtet werden muß. Die nationale Bewegung, die von den Vereinen für das Hermannsdenkmal in zahlreichen deutschen Städten getragen wurde, war jedoch relativ kurzlebig. Sie fiel bereits nach fünf Jahren in sich zusammen, ohne daß das Hermannsdenkmal vollendet worden war. In den sechziger Jahren wurde sie noch einmal für kurze Zeit, wenn auch in weitaus geringerem Umfang, wiederbelebt. Nur der Detmolder Verein für das Hermannsdenkmal bestand ununterbrochen bis zur entgültigen Fertigstellung des Denkmals fort. Christoph Hauser hat am Beispiel der philhellenistischen Bewegung den modernen Charakter der nationalen Bewegungen des Vormärz hervorgehoben, den er vor allem an den Prinzipien der Zusammenarbeit und den beanspruchten Organisationsfunktionen der Bewegung festmacht. Er in-

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terpretiert die Assoziation der »Griechenfreunde« als Gegenmodell zum Obrigkeitsstaat, das sowohl einen Angriff auf das Kompetenzmonopol der Verwaltung als auch einen Aufbruch aus der altständischen Sozialordnung darstelle.10 Auch wenn Hauser ausschließlich die südwestdeutsche Bewegung untersucht und die unter starkem Einfluß des Obrigkeitsstaates stehenden preußischen Vereine nur am Rande erwähnt, muß auch für die süddeutschen Staaten - vor allem für Bayern, dessen »Griechenfreunde« Ludwig I. an ihrer Spitze hatten 11 - eine solche Interpretation, die eine eindeutige Trennung von bürgerlicher Öffentlichkeit und Staat nahelegt,12 in Frage gestellt werden. Ebenso muß das in der Forschung dominierende Bild revidiert werden, demzufolge die deutsche Nationalbewegung eine einheitliche politisch oppositionelle Bewegung oder gar eine »bürgerlichnationale Verbrüderung zwecks Herstellung einer einheitlichen Aktionsfront gegen die fürsdich-feudalen Mächte« war.13 Gerade die unterschiedliche Ausprägung der bürgerlichen Öffentlichkeit in ihrem Verhältnis zum Obrigkeitsstaat in den verschiedenen deutschen Staaten - und das innerhalb einer nationalen Bewegung - verweist auf grundsätzliche Probleme der nationalen Organisation im Vormärz. Die Konsequenzen der unterschiedlichen Ausrichtung der nationalen Bewegung in den verschiedenen Teilen Deutschlands, die sowohl auf mangelnde Kommunikation innerhalb der Bewegungen zurückzufuhren ist, diese aber auch bedingte, sind in der Forschung nicht reflektiert worden. Zwar wird für 1848 das Auseinanderbrechen der nationalen Bewegung in verschiedene politische Lager festgestellt. Daß das aber in entscheidendem Umfang auf regionale Unterschiede zurückzuführen war, sich damit in der Revolution nicht nur das Problem der Gewichtung von Einheit und Freiheit präsentierte, sondern auch die beschworene Einheit selbst in Frage stand, wird nicht gesehen. Der fehlende Austausch zwischen Nord- und Süddeutschland, sowie vor allem mit Österreich,14 aber offensichdich auch der unterschiedliche Inhalt der nationalen Frage, legen die Vermutung nahe, daß die nationale Bewegung in Deutschland und damit die kulturelle Einheit selbst eher ein Wunschbild als die Realität waren. In diesem Dilemma zwischen dem nationalen Anspruch und der fehlenden kulturellen Einheit kam der Denkmalsbewegung eine doppelte Funktion zu: Sie sollte einerseits die überregionale Kommunikation intensivieren und andererseits durch ihren Erfolg - der weit hinter den Erwartungen zurückblieb - die Existenz der Nation selbst sinnbildlich machen. Das sogar gegen besseres Wissen: Der Verein in Detmold versuchte mit allen Mitteln eine flächendeckende, alle deutschen Staaten erfassende Vereinsbewegung zu kreieren, war sich jedoch durchaus darüber im Klaren, daß das in Süddeutschland mit ausgesprochenen Schwierigkeiten verbunden war.15 Das Beispiel des Vereins für das Hermannsdenkmal und seiner unter81

schiedlich strukturierten Zweigvereine zeigt, wie überaus schwierig sich die Kommunikation der »bürgerlichen Öffentlichkeit« über die kleinstaatlichen Grenzen hinweg gestaltete.16 Darüber hinaus beleuchtet dieses Beispiel eine Vielzahl von Ambivalenzen und Widersprüchen im Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die innerhalb der einzelnen Vereine in unterschiedlichem Ausmaß auftraten und die Bewegung keineswegs als eine homogene, in allen Staaten gleichstrukturierte, erscheinen lassen. Die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«, das Nebeneinander von modernen und ständischen Elementen in der nationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts, führte im Fall des Vereins für das Hermannsdenkmal zur weitgehenden Kapitulation der bürgerlichen Öffentlichkeit gegenüber dem Obrigkeitsstaat. Das Hermannsdenkmal wurde zwar 1875, fast vierzig Jahre nach der Vereinsgründung, fertiggestellt. Was es zugleich verwirklichen und symbolisieren sollte, eine nationale bürgerliche Öffentlichkeit oberhalb der kleinstaatlichen Grenzen und Gängelung, war bereits im Vormärz allenfalls in geringem Maße erreicht und blieb mit dem Einsetzen der Reaktion nach 1848 weithin auf der Strecke. Der Weg des Detmolder Vereins, der sich von einem behördlich organisierten Verein zu einer als Verein bezeichneten Behörde entwickelte, verdeutlicht diese Problematik. Ernst von Bändel, der offensichtlich durch das bayerisch-nationale Denkmalsprogramm Ludwigs I. in seiner Idee, ein Hermannsdenkmal zu errichten, bestärkt worden war,17 in München aber keine Karriereaussichten hatte und vorübergehend in Hannover als Künstler wirkte, kam als Unbekannter nach Detmold. Um sein ehrgeiziges Projekt zu verwirklichen, eine Kupferstatue größer als die Bavaria seines bayerischen Königs18 - zu errichten und vor allem zu finanzieren, war er auf eine öffentliche Spendenaktion angewiesen. Der Einstieg in die Detmolder Gesellschaft gelang ihm dank persönlicher Beziehungen, die im gesamten Verlauf der lokalen, regionalen und nationalen Organisierung neben den staatlichen Strukturen eine überaus wichtige Rolle spielen sollten.19 Bändel wandte sich in Detmold an seinen früheren Studienkollegen und -freund aus München, Wilhelm Tegeler, der die brotlose Kunst gegen eine Beamtenstelle als Kammerregistrator in Detmold eingetauscht hatte. 20 Diesem wiederum gelang es, einen seiner Vorgesetzten in der Justizkanzlei, den Kanzleirat Moritz Leopold Petri, für die Idee eines Hermannsdenkmals zu gewinnen. Petri war durch seine soziale Stellung in der Detmolder Gesellschaft für Tegeler der geeignete Ansprechpartner: Als Abkömmling einer alteingesessenen und angesehenen lippischen Beamtenfamilie sah Petri nicht nur einer aussichtsreichen Karriere in der Verwaltung des Kleinstaates entgegen, sondern hatte sich auch viel Ansehen in der Öffendichkeit erworben. Er war eine der zentralen Personen des lippischen und Detmolder politischen und geselligen Lebens des Vormärz. Durch seine Position in Verwaltung 82

und öffentlichem Leben hatte er Zugang zu den Spitzen der lippischen Gesellschaft. Offensichtlich war das Hauptziel Petris bei der Gründung des Vereins für das Hermannsdenkmal, einflußreiche Personen zu gewinnen, die einen in ganz Deutschland wohlklingenden Namen besaßen. Daher wandte er sich nicht an seine liberalen Freunde und Altersgenossen, mit denen er z.B. gemeinsam das »Lippische Magazin für vaterländische Kultur und Gemeinwohl« herausgab, sondern warb zunächst zwei an der Spitze der lippischen Beamtenhierarchie stehende konservative Persönlichkeiten, die der Generation seines Vaters angehörten: den Regierungspräsidenten Arnold Eschenburg (1778-1861) und den Justizkanzleidirektor Friedrich Ballhorn-Rosen (1774-1855). »Der Herr Präsident und der Herr Kanzleidirektor haben sich, für den Fall, daß Serenissimus das Unternehmen billigt, bereit erklärt, sich an die Spitze zu stellen«, hielt Petri in bürokratischer Manier in einem G.P.M. (Gehorsames Pro Memoria) fest.21 Mit dem Schloßhauptmann Heinrich von Funck (1792-1856), der einer der ältesten aristokratischen Familien Lippes angehörte, wurde auch die Nähe zum Hof hergestellt.22 Seine Schwägerin, Malvida von Meysenbug, berichtete in ihren Memoiren, daß er »von Kindheit auf der Freund und unzertrennliche Gefährte des regierenden Herrn gewesen, und nichts in den öffentlichen Angelegenheiten ohne seinen Rat« geschehen sei.23 Diese drei Männer, Eschenburg, Ballhorn-Rosen und von Funck, waren weitestgehend passive Vereinsmitglieder. Sie gaben ihren Namen, stellten ihre gesellschaftlichen Verbindungen zur Verfügung und kontrollierten die Vereinsarbeit. Die eigentliche Vereinstätigkeit, die Öffentlichkeitsarbeit, die Abwicklung der Korrespondenz und das Verfassen der Artikel und Aufrufe fiel den jüngeren und niedrigeren Beamten zu. Das waren neben Petri, der den größten Teil der Arbeit erledigte, der Geheime Kammerrat Rohdewald (1789-1892), der über sehr nützliche Familienverbindungen nach Bremen und von da nach Übersee verfügte, sowie der Schulfreund und Studienkollege Petris, Kammerrat Stein, der das Rechnungswesen kontrollierte. Die Mitgliederzahl des Vereins war auf fünf bzw. später sechs Personen beschränkt und war entsprechend der Verwaltungspositionen hierarchisch strukturiert, auch wenn sich der Verein in der Öffentlichkeit durch die alphabetische Anordnung der Namen auf den Aufrufen einen egalitären Anstrich gab. Der Verein besaß bis 1855 keine Statuten, die Funktion und Stellung der Mitglieder festlegten oder Entscheidungsmodi vorgaben. Vereinszusammenkünfte scheinen äußerst selten gewesen zu sein. Das normale Kommunikationsmittel der Vereinsmitglieder untereinander war der von einem vergüteten Amtspedell24 herumgetragene Rundbrief und das Gehorsame Pro Memoria, auf dem die einzelnen Mitglieder ihre Kommentare, Zusa83

gen und Einwände auf meist von Petri ausgehende Vorschläge vermerkten. Die Exklusivität und hierarchische Struktur des Vereins zeigte sich besonders an der Position des Amtsauditors Pustkuchen, der von Beginn an und über Jahrzehnte hinweg wahrscheinlich ehrenamtlich die äußerst arbeitsintensive Rechnungsführung des Vereins inne hatte. Er wurde jedoch erst 1861, nachdem er in der Amtshierarchie zum Rat und Landrentmeister aufgestiegen war - wozu vielleicht sein persönlicher Einsatz für das Hermannsdenkmal nicht unmaßgeblich beigetragen hatte in den Verein aufgenommen. »Komisch ist's«, wunderte sich Bändel 1862. »daß der Hr. Pustkuchen, der immer für's Denkmal gearbeitet hat, nun zum Vereinsmitglied avanciert ist«.25 Der Verein bestand aus drei Kategorien von Mitgliedern bzw. Tätigen, die nach ihrer Amtsposition abgestuft waren. Er umfaßte erstens die älteren und hohen Beamten, die an der Spitze standen und wenig mit der alltäglichen Vereinsarbeit belastet wurden, zweitens die jüngeren Nachwuchsbeamten, die später die führenden Verwaltungsstellen einnehmen sollten und die die prestigeträchtige Öffentlichkeitsarbeit erledigten und drittens die subalternen Beamten, die, weisungsgebunden und von den Vereinsmitgliedern kontrolliert, bezahlt oder ehrenamtlich, die notwendigen Hilfsarbeiten ausführten, ohne jedoch nach außen als Mitglieder des Verein in Erscheinung zu treten. Kriterien von Anciennität, formalen Bildungspatenten und familiärer Herkunft bestimmten nicht nur die Position des einzelnen innerhalb der bürokratischen Hierarchie,26 sondern auch die Stellung innerhalb des Vereinswesens - sie strukturierten damit die »bürgerliche Öffentlichkeit«. Wie stark die bürokratischen Gepflogenheiten die Umgangsformen der Vereinsmitglieder bestimmten, kann ein Lapsus des Kammerrates Stein verdeutlichen. Als es 1839 zu einer ersten Auseinandersetzung zwischen Bändel und dem Verein kam, die vor allem durch ein Gutachten Steins über die prekäre finanzielle Situation des Hermannsdenkmals ausgelöst worden war, nahm der Kammerrat dazu in einem G.P.M. an den Verein Stellung: »Jeder, der mich kennt, weiß, daß ich kein Mückenfänger bin, daß ich keine Schwierigkeiten mache, daß ich gern ausgleiche, gern überall meine Ansicht unterordne [sie], daß ich nicht eitel bin, keinen Ruf verlange Ich wiederhole, was ich anfangs und immer gesagt habe - ich will keinen Einfluß bei der Sache, keinen Ruhm von derselben - ich will auf Wunsch nur das Rechnungswesen in Ordnung halten, nur Rat geben - weiter nichts, nur helfen, wo ich helfen kann - will man mich nicht mehr« - und jetzt fällt das verräterische Wort - »so endasse man mich, aber man behandele mich nicht so schnöde und würdige mich nicht zu einem Schreiber herab.« 27

Entspricht vielleicht der Ton dieses Schreibens nicht dem eines Rates an den Regierungspräsidenten, verraten doch zahlreiche Bezüge das Denken 84

in Verwaltungskategorien und -Hierarchien. Vor allem aber kann zwar eine Behörde einen Beamten endassen, nicht jedoch ein bürgerlicher Verein ein Mitglied. In einem Verein stellt man kein Entiassungsgesuch, sondern man droht allenfalls mit dem Austritt. Damit ähnelte der Verein für das Hermannsdenkmal weniger einem modernen bürgerlichen Verein, der durch prinzipielle Offenheit, Gleichberechtigung der Mitglieder, Regelhaftigkeit und persönliche intensive Kontakte der Mitglieder untereinander definiert werden kann.28 Vielmehr glich er durch seine Begrenzung auf wenige Mitglieder, seine hierarchische Gliederung, die Schriftlichkeit der Kommunikation und die nahezu lükkenlose Dokumentation seiner Tätigkeit 29 einer modernen Verwaltungsbehörde. 30 Dennoch wäre es überzogen, den Verein für das Hermannsdenkmal ausschließlich - zumindest für die frühe Zeit - als eine Behörde anzusehen. Vielmehr scheint die Tatsache, daß alle Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal Beamte der lippischen Bürokratie waren, auch ihre Umgangsformen als Bürger bestimmt zu haben. Gegen eine Interpretation des Vereins für das Hermannsdenkmal als Behörde spricht die Tatsache, daß sich seine Mitglieder auch außerhalb des Dienstes als Privatmänner trafen und gesellig miteinander verkehrten. Alle Mitglieder und auch der Auditor Pustkuchen 31 - waren Gründungsmitglieder der 1831 in Detmold gegründeten Ressource, einer exklusiven geselligen Vereinigung, die die bürgerlichen und aristokratischen Spitzen der Detmolder Gesellschaft unter einem Dach vereinigte, da ihnen der Besuch öffendicher Wirtshäuser nicht zugemutet werden sollte.32 »Da vereinigten sich die Herren der Gesellschaft; die Familienväter, besonders aber die jungen unverheirateten Leute, verbrachten da einen großen Teil des Tages und fast immer die Abende, um Zeitungen zu lesen, Karten und Billiard zu spielen, Wein und Bier zu trinken, die Neuigkeiten der großen und kleinen Welt zu besprechen und unglaubliche Massen von Tabakswolken in die Luft zu schicken. Am Sonntag Abend war auch den Damen Zutritt gestattet, und dann nahm das Ganze einen anderen Anstrich an. Die Herren erschienen im Frack, die Pfeifen und Zigarren verschwanden, die älteren Herren und Damen spielten Karten, die jungen Leute unterhielten sich mit Gesellschaftsspielen, mit Gespräch und Tanz. Einmal im Monat war ein großer Ball.«33

Als Aktiengesellschaft organisiert und finanziert, durch die Höhe der Mitgliedsbeiträge und ein Ballotageverfahren bei der Aufnahme neuer Mitglieder sozial nach unten abgeschlossen, hielt man sehr auf das »Gefühl der Gleichheit, welches in solchen Gesellschaften vorwalten muß«, und man sah es als besonderen Vorzug Detmolds an, daß hier das gesamte gesellige Leben der Stadt an einem Ort stattfand, ohne daß sich die Mitglieder »nach ihrer verschiedenen Qualifikation« absonderten. 34 Inwie-

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weit die Ressource diesem Ideal der Gleichheit aller Mitglieder tatsächlich entsprach, oder ob sich "nicht innerhalb des sehr geräumigen Hauses verschiedene Zirkel bildeten, so wie es die Beschreibung Malvida von Meysenbugs für die verschiedenen Altersgruppen - und das hieße flir die Beamtengruppen auch entlang der bürokratischen Hierarchien - einerseits und für Männer und Frauen andererseits nahelegt, muß hier offenbleiben. Seit 1861 nahm die Ressource auch »Damen, welche einen eigenen Hausstand bilden« auf. Ihre Mitgliedschaft entsprach jedoch nicht der der Männer. Frauen waren bei ihrem Eintritt nicht dem Ballotagesystem unterworfen, sondern wurden vom Vorstand zugelassen oder abgewiesen. Darüber hinaus nahmen sie nicht an der alltäglichen männlichen Geselligkeit teil, sondern waren ebenso wie die Frauen, die zur Familie oder zum Haushalt eines Mitgliedes gehörten, nur zu den besonderen Damen- und Herrengesellschaften zugelassen, wenn die Herren in Frack kamen und nicht rauchten. Die Tatsache, daß die Männer sich genötigt sahen, in Anwesenheit von Frauen ihre geselligen Gewohnheiten zu ändern, zeigt die Bedeutung, die der geschlechtsspezifischen Trennung der Geselligkeit zukam. Da offensichtlich zur Geselligkeit Rauchen und Trinken notwendig gehörten, 35 in Anwesenheit von Frauen aber nicht geraucht werden durfte, waren Zigarre und Pfeife zugleich Symbol und Legitimation für die Flucht der Männer aus der Familie in die männliche »Öffentlichkeit«. Ist Geselligkeit zunächst ein geschlechtsneutraler, anthropologischer Begriff, bezeichnet er als geschlechtsspezifische und -ausgrenzende kulturelle Praxis einen ausschließlich männlichen Raum. 36 Wie zutreffend der Name »Ressource« für das Gesellschaftshaus war und darum als programmatische Bezeichnung verstanden werden kann, verdeutlicht die Tatsache, daß es im Vormärz und wahrscheinlich auch in den darauffolgenden Jahrzehnten in Detmold - den H o f ausgeschlossen - kein geselliges Ereignis gab, daß nicht seinen Ursprung in der Ressource hatte. Das gilt in ganz besonderem Maße für das Hermannsdenkmal. Es bestanden nicht nur personelle Überschneidungen zwischen Ressource und dem Denkmalsverein. Auch für die Subskription in der Stadt Detmold stellte die Ressource einen der wichtigsten Ausgangspunkte der Agitation dar. Die Ressource spendete aus ihrem Vereinsvermögen für das Denkmal, und außerdem beteiligten sich ihre Mitglieder individuell mit ansehnlichen Beiträgen. In den Räumen des Gesellschaftshauses fanden Festbankette anläßlich der Feste für das Hermannsdenkmal statt. Auswärtigen bürgerlichen Gästen wurden an solchen Tagen die Türen des besonders feierlich geschmückten Hauses geöffnet. Die Ressource besaß zudem das Monopol der Weinlieferung für das neben dem Hermannsdenkmal errichtete Wirtshaus. Sie ersteigerte ein Gemälde, das dem Hermannsdenkmalsverein als Spende zugekommen war, und stellte vor allem in den sechziger und

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siebziger Jahren, als die Mitglieder des Denkmalsvereins sich häufiger trafen, die Versammlungsräume für Vereinstreffen. 37 Die Ressource blieb einer der wichtigsten Horte bürgerlicher Kultur, auch nachdem das Hermannsdenkmal und sein Verein später in zunehmendem Maße vom lippischen und auch nationalen Staat vereinnahmt wurden. Im Vormärz war die Ressource die Quelle des gesamten Vereinswesens in Detmold und zum Teil sogar des lippischen Staates. Es ist beeindruckend, unter den Gründern, Vorsitzenden und Mitgliedern der verschiedensten Detmolder Vereine, seien sie bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Prägung, stets die Mitglieder der Ressource wiederzufinden. Die Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal waren häufig vertreten. Unter ihnen tat sich Moritz Leopold Petri in ganz besonderer Weise hervor: Für den gesamten Zeitraum seit Gründung der Ressource bis zur Revolution 1848 gehörte er jedem Detmolder Verein an und das sogar meist in führender Position. Deshalb eignet sich seine Biographie 38 besonders, das Selbstverständnis und die Handlungsspielräume eines vormärzlichen Bildungsbürgers und lippischen Beamten zu beleuchten. Das ist gerechtfertigt, da sein Lebenslauf typische Merkmale eines liberalen Verwaltungsbeamten des Vormärz aufweist, und der Verein für das Hermannsdenkmal in großem Umfang durch sein Engagement entstand und über lange Zeit fortgeführt wurde. An Petris Karriere in Gesellschaft, Politik und Verwaltung zeigt sich schließlich, wie schwierig das Balancieren zwischen Staat und bürgerlicher Öffentlichkeit für einen Staatsbeamten war, der durch seine doppelte Loyalität als Beamter gegenüber dem Staat und als Bildungsbürger gegenüber der Öffentlichkeit geprägt war.39 Da jedoch die »spezifisch gehobene soziale Schätzung« (Max Weber) des Bürgers Petri sowohl aus seiner Stellung in der lippischen Beamtenhierarchie als auch aus seinem öffendichen Engagement im politischen und geselligen Leben in der Stadt und im Kleinstaat entsprang, und darüber hinaus diese Bereiche auf das engste miteinander verbunden waren, läßt sich eine Trennung von Staat und bürgerlicher Öffentlichkeit nicht beobachten. Petris Karriere macht gerade das Gegenteil deudich. Bildimg, Familienbeziehungen und Alter bestimmten ebenso die Stellung des Bürgers in der ÖfFendichkeit wie auch die Karriere in der lippischen Verwaltung, die durch die Herkunft aus einer alten lippischen Beamtenfamilie, formale Bildungspatente und Dienstzeit (Anciennität) geprägt wurden. 40 Die oben beschriebene Struktur des Vereins für das Hermannsdenkmal, die vor allem durch den Rang der Mitglieder innerhalb der lippischen Bürokratie bestimmt wurde, belegt die ambivalente Grundlage sozialer Wertschätzung. Moritz Leopold Petris Vorfahren waren bereits seit sechs Generationen als Juristen am lippischen H o f tätig. Seinem Vater, der bei der Geburt des

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ältesten Sohnes 1802 Syndikus des Fleckens Lage war, gelang 1848 mit der Berufung zum Regierungspräsidenten Lippes der Aufstieg an die Spitze der lippischen Beamtenhierarchie. Moritz Leopold Petri studierte 1820-1823 in Göttingen, Jena und Leipzig Rechtswissenschaften, vertiefte seine Französischkenntnisse, übte sich im Fechten, verteidigte seine Ehre im Duell und wanderte in den Semesterferien durch Deutschland, was ihn unter anderem zur Wartburg führte. In Göttingen empfand er die Gesellschaft seiner lippischen Landsmannschaft als zu eng. Um dieser Enge zu entfliehen und in die Burschenschaften einzutreten, zog es ihn nach Jena. »Wie viel auch hier d[ie] B[urschenschaft] vor jeder anderen Verbindung voraus hat ist klar, da sie Menschen aus den verschiedenen Gegenden zusammenfuhrt« schrieb er 1821 an seinen ob der demagogischen Umtriebe der Burschenschaften besorgten Vater. Er beruhigte ihn mit der Bemerkung, daß auch Burschenschaftler zu treuen Herrscherdienem werden könnten und erklärte schließlich die Zwecke der Burschenschaft. Hier wird erkennbar, wie sich politisch-nationale Ziele mit persönlichen und individuellen Bildungszielen vermischten: »>EhreFreiheitVaterlandgroßen Männer< stand. Dagegen richtete sich das Vercingetorixdenkmal auf der zentralen Place de Jaude in Clermont-Ferrand als Konkurrenzunternehmen gegen die traditionelle Notabeinkultur. Seine Nähe zur städtischen Bevölkerung und seine figürliche Form stellten es in den Zusammenhang einer republikanischen kulturellen Praxis, die zwar nach wie vor sozial relativ homogen und begrenzt war, jedoch durch Erziehung auf die unterbürgerlichen Schichten einzuwirken versuchte. Die historische Erforschung der Region und der Kult der >großen Männer< war hier stärker angebunden an eine nationale, republikanische Erziehung der regionalen Bevölkerung. Jedoch verschob sich allenfalls der Inhalt der kulturellen Praxis von den Notabein zu den »couches nouvelles«. Die sozialen Mechanismen der kulturellen Praxis wurden beibehalten. Das »Ende der Notabein« wurde in ClermontFerrand zu Beginn der Dritten Republik zwar eingeläutet, ließ jedoch noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf sich warten. Im ersten Jahr ihres Bestehens, am 25. August 1747, dem Namenstag ihres Schutzpatrons Saint Louis, veranstaltete die Société littéraire de Clermont-Ferrand, Vorgängerin der Académie des sciences, belles lettres et arts, ihre erste öffentliche Sitzung, zu der das interessierte, gebildete Publikum der Stadt eingeladen war. Der erste Sekretär und Mitbegründer dieser Société, der Rechtsanwalt François Guillaume Quériau, formulierte in seiner Eröffnungsrede die Ziele der jungen Vereinigung. Mit der Verwendung zahlreicher Lichtmotive rückte der Redner die Akademie in die Nähe der Aufklärung. »Diesem großen Vorbild gleich haben sich in mehreren Städten des Königreichs gelehrte Gesellschaften gegründet, die einer Lichterkette gleich, die Provinz erleuchtet haben, wo man überall Talente aufblühen sieht.«146

Die Rolle der Akademie von Clermont-Ferrand in der Aufklärung kann hier nicht im einzelnen behandelt werden.147 Anhand der Rede von Quériau kann jedoch exemplarisch gezeigt werden, daß zahlreiche Inhalte, Themen, Ziele, also die Selbstdefinition der Akademie von ClermontFerrand, bereits im 18. Jahrhundert formuliert worden waren. So hob Quériau den Unterschied zwischen Paris und den Provinzen hervor, betonte die herausragende Rolle der Auvergne im Königreich, die er mit der Nennung der >großen Männer< der Region unterstrich, nannte die zahlreichen natürlichen Schätze der Auvergne, die eine wissenschaftliche Erforschung vor Ort verdienten und ging schließlich in seiner Eloge auf die Auvergne auf das ein, was seiner Meinung nach das »der Wißbegierde der Gelehrten würdigste« in Frankreich sei: »der Berg Gergovia, wo man noch immer die Reste des alten Gergovia unserer Arverner sieht«.148 Mit der Aufzählung der > großen Männer< und der natürlichen und historischen 108

Schätze der Auvergne war das Programm der neugegründeten Société littéraire umrissen: »die Schätze zur Geltung bringen, die, auch wenn unter unseren Augen, bis heute verborgen geblieben sind.«149 Ziel der Vereinigung von adligen und bürgerlichen Gelehrten »l'homme d'état et l'homme de lettres« - war es demnach, eine »Geschichte und Naturgeschichte dieser Provinz« zu schreiben, die ihren Platz in der allgemeinen Geschichte der Nation habe. Die »Erfindung« der Region und die kulturelle Aufwertung ihrer Bewohner durch die Geschichtsschreibung, die Gegenüberstellung von Zentrum und Peripherie, von Paris und Provinz, die Anbindung der Region an die Nation durch die Erforschung der regionalen Vorfahren, der Arverner, überhaupt die Inanspruchnahme der Geschichte zur Konstruktion einer historischen Tradition, die die kleine Heimat mit der großen verbindet und aufwertet, war nicht eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und eine Reaktion auf die Französische Revolution, sondern wurde bereits in der Aufklärung formuliert. 150 Die Rolle der Akademien im 18. Jahrhundert unterscheidet sich jedoch von der im 19. Jahrhundert, auch wenn ihre kulturellen Ausdrucksformen identisch erscheinen. Erstens wurde das Verhältnis von Provinz und Zentrum im 18. Jahrhundert bereits als ein ungleiches formuliert, jedoch wird in der Rede Quériaus der Hauptstadt noch eine »verdiente Überlegenheit« über die Provinz zuerkannt und als Ziel formuliert, »daß die Provinzen der Hauptstadt zur Ehre gereichen und ihren Vorrang ruhmreich erscheinen lassen«.151 Erst mit der administrativen Umstrukturierung Frankreichs im Zeichen des modernen Zentralismus in der Französischen Revolution und der Zurückdrängung der regionalen Einflußnahme durch die Auflösung der Provinzparlamente152 wurde die kulturelle Unterlegenheit der regionalen Notabeingesellschaft bedeutsam. Die regionale historische Forschung und der Kult der >großen Männer< entwickelten sich zu einer Kampfansage an Paris, in deren Zentrum immer wieder die Forderung nach der »wissenschaflichen und kulturellen Dezentralisierung«153 Frankreichs stand. Damit geht zweitens einher, daß »unsere Arverner« zwar bereits im 18. Jahrhundert als Vorfahren der Auvergnaten entdeckt worden waren. Sie wurden jedoch erst im 19. Jahrhundert mit eigenen >ethnischenAuvergne< unter Beweis gestellt werden. »Oh! Ja, die Akademie von Clermont ist in der Tat provinziell, und sie ist stolz darauf1.«154 Neben der Kompensation der ökonomischen Rückständigkeit der 109

>Auvergne< war es das Ziel der Akademie, die Region als Gemeinschaft darzustellen und damit den kulturellen Einfluß der Notabein zu stärken. Drittens fehlt in Quériaus Rede noch ganz der Kult der >großen Mannen, der zu einem wichtigen Interessengebiet der Akademie im 19. Jahrhundert werden sollte. Zwar wurde die Liste der >großen Männer< bereits vorgelegt, jedoch war noch keine Rede davon, diese durch Gedenkfeste, Gedenkreden und vor allem durch die Errichtung von Denkmälern öffentlich zur Schau zu stellen und symbolisch zu überhöhen. Die Tatsache, daß die jährlich stattfindende öffendiche Sitzung im 18. Jahrhundert am Namenstag des Schutzpatrons der Akademie abgehalten wurde, Anfang des 19. Jahrhunderts hingegen am Geburtstag von Biaise Pascal, der in Clermont-Ferrand geboren wurde und damit zu den >großen Männern< der >Auvergne< zählte, versinnbildlicht das neue Interesse an den >großen Männern< im 19. Jahrhundert in anschaulicherWeise. 155 Der Schutzpatron der Société littéraire verweist zudem viertens auf ihre Nähe zu städtischen Korporationen. Zwar wies die Akademie durch die Kooptation ihrer Mitglieder, durch die Wahl ihrer Vertreter und vor allem durch die formale Gleichheit ihrer Mitglieder bereits zahlreiche Eigenarten einer modernen Geselligkeit auf, doch blieb sie im 18. Jahrhundert in ein korporatives städtisches Leben eingegliedert. Dazu gehörte unter anderem ihre Anerkennung und Privilegierung durch den König von Frankreich. Darüber hinaus wurde die Mitgliedschaft in der Société littéraire auf die Einwohner der Stadt Clermont-Ferrand beschränkt; außerhalb der Stadt lebenden Personen gestand die Akademie nur den Status eines »Auswärtigen« zu. Die Provinz war hierarchisch gegliedert. Das sollte sich im 19. Jahrhundert ändern, als - zumindest formal - ausschließlich der Wohnort in der >Auvergne< die Bedingung fur die Aufnahme in die Akademie darstellte. Die Neugründung der Akademie von Clermont-Ferrand - nach ihrer Auflösung durch die Französische Revolution 1793, einem Schicksal, das sie mit allen französischen Akademien teilte - stand ganz im Zeichen der Rekonstruktion der ehemaligen Akademie. Das wird unter anderem daran sichtbar, daß Francisque Mège, der selbst Akademiemitglied war, in seiner Geschichte der Akademie von Clermont-Ferrand die Neugründung immer wieder in Bezug zur Vergangenheit und zum Ancien Régime stellte und damit die Akademie ganz als Zeichen einer Kontinuität über die Revolution hinaus deutete: »In den folgenden Jahren, als der gesellschaftliche Aufbau erneut gefestigt und die Zukunft weniger düster erschien, fanden einige die Zeit günstig, sich an den Wiederaufbau der Société littéraire et scientifique zu begeben.«156

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Darüber hinaus bemühten sich die Mitglieder der Vereinigung um die Erneuerung der Privilegien der Académie royale des 18. Jahrhunderts, die »uns alle zu demselben Stand und derselben Ehre erheben und uns allen dieselben bürgerlichen und politischen Vorrechte zukommen lassen sollen«.157 Schließlich erhielt die Akademie durch den Einfluß des Präfekten auf die Konstituierung, Zielsetzung und Auswahl der Mitglieder eine Monopolstellung innerhalb der Region zuerkannt, die sie bis in die 1880er Jahre halten konnte. Das unterstreicht die hervorgehobene soziale und kulturelle Stellung ihrer Mitglieder in der Region. Am 21. Februar 1818 - »die öffendiche Ruhe war schließlich gesichert« erließ der Präfekt des Departements Puy-de-Dôme, de Rigny, eine Verordnung, die die Organisation einer Société littéraire zum Ziel hatte. Die fünfzig Mitglieder dieser »Société libre d'encouragement des sciences, belles lettres et arts« wurden vom Präfekten namendich nominiert und persönlich zur Teilnahme eingeladen.158 Sie waren entweder Mitglieder der alten Akademie oder aber - zum größten Teil - hohe Beamte des Departements. Entsprechend der staatlichen Einflußnahme folgte die räumliche Struktur den administrativen Grenzen. Um Mitglied dieser Vereinigung zu sein, mußte man im Departement wohnen - die >Auvergne< als Raum war hier irrelevant. Schließlich saß der Präfekt als »président-né« dieser Société vor. Anscheinend lief der Eifer des Präfekten und sein Versuch, staatlicherseits Einfluß auf die Regionalkultur zu nehmen, ins Leere. Es gibt keine Spuren von dieser Vereinigimg. Wenige Jahre später erfolgte ein zweiter Anlauf zur Gründung einer unabhängigen Société savante in Clermont-Ferrand, die sich allerdings in ihrer Zielsetzung auf die geologische, mineralische und botanische Erforschung der >Auvergne< beschränkte. Die ersten Mitglieder dieser »Société académique de géologie« waren bürgerliche und adlige Notabein aus Clermont und Umgebung, unter ihnen vor allem Propriétaires, Richter und andere Beamte, Ärzte, Bürgermeister und zwei Äbte, oder um es mit den Worten des Präfekten auszudrücken, »Ehrenmänner oder öffentliche Beamte gehobenen Standes«.159 Während sich der Präfekt bei seinem Versuch, eine Société savante von oben zu gründen, an den offiziellen Verwaltungsgrenzen des französischen Staates orientierte und eine Akademie auf der Ebene des Departements anstrebte, zielten die Notabein von Anfang an auf eine die >Auvergne< umfassende Vereinigung. Die Gründungsmitglieder der Société académique setzten sich 1823 zum Ziel, »die Auvergne, diesen schönen Teil Frankreichs, bekannt und beliebt zu machen«.160 Außer ihrem gemeinsamen Interesse teilten sie auch die politische Überzeugung. Nach Aussage ihres Präsidenten waren sie alle »religiöse Royalisten«.161 Am 12. Juli 1824 intervenierte der Präfekt, der Comte d'Allonville, 111

erneut, diesmal etwas unauffälliger. Er setzte eine Kommission von neun Mitgliedern ein und beauftragte sie, einen Fusionsplan auszuarbeiten, durch den die drei Sociétés savantes, die alte Akademie des 18. Jahrhunderts, die Société d'encouragement und die Société de géologie in einer »Académie des sciences, belles lettres et arts de Clermont-Ferrand« zu vereinigen seien. Am 22. November 1824 erklärte ein Erlaß des Präfekten die Reorganisation der ehemaligen Akademie von Clermont-Ferrand und die Auflösung der beiden anderen Sociétés savantes. Die Mitglieder sollten gemäß den Vorstellungen des staatlichen Vertreters aus den neun der Kommission bestehen und von diesen - handverlesen - durch Kooptation auf dreißig Mitglieder aus Clermont-Ferrand ergänzt werden.162 Die Société académique protestierte gegen die in ihren Augen willkürliche Maßnahme des Präfekten, obwohl sie sich bereit erklärte, den Anordnungen des Präfekten und des Innenministers Folge zu leisten. Der Protest resultierte vor allem aus der Befürchtung, daß die neue Akademie in ihrer politischen Zusammensetzung keineswegs homogen und die religiösen Royalisten in der Minderheit sein würden. 163 Im darauffolgenden Jahr vervollständigte sich die Akademie um 29 weitere Mitglieder, »non-résidants« von außerhalb, so daß sie schließlich über 58 Mitglieder verfügte. Diese gehörten wahrscheinlich alle, sowohl hinsichdich ihres Vermögens als auch ihrer beruflichen und sozialen Stellung in der Region, der Gruppe der Notabein an. Elf von ihnen, also fast ein Fünftel, finden sich 1830 unter den 247 reichsten Personen des Departements wieder, die mehr als 1.000 Francs Steuern im Durchschnitt 1.718,56 Francs - zahlten und damit als »wählbar« eingestuft wurden. Unter ihnen befand sich der zweitreichste Mann des Departements, Dutour de Salvert, Unterpräfekt von Riom, der 3.887,51 Francs zahlte.164 Sieben Mitglieder führten einen Adelstitel und weitere sechzehn das schmückende »de« in ihrem Namen. Wieviele der Mitglieder über Landbesitz verfügten, läßt sich nicht angeben. Nur zwei gaben sich als »propriétaire« aus, zehn nannten überhaupt keine Funktion - darunter überwiegend Adlige - , die restlichen ließen sich mit ihrem Beruf auffuhren. Es ist jedoch anzunehmen, daß der Besitz von Grund und Boden die Grundlage der sozialen Stellung der Mitglieder darstellte. So spricht z.B. die Tatsache, daß während der Sommermonate Juli bis September keine Sitzungen der Akademie stattfanden, dafür, daß die Académiciens im Sommer aus der Stadt auszogen und sich auf ihren Ländereien aufhielten. Die soziale Zusammensetzung der Akademie war während des gesamten 19. Jahrhunderts äußerst stabil. Die Berufsstruktur der Mitglieder von 1825 entspricht weitgehend der aller Académiciens in Clermont-Ferrand in diesem Zeitraum. Die Mehrheit stellten die hohen Beamten (19) mit den 112

Richtern an der Spitze (7), gefolgt von den freien Berufen (13) mit vor allem Ärzten und Rechtsanwälten, schließlich einige (ehemalige) Abgeordnete (4), Bürgermeister (3) und Militärs (2). Auffallend ist die stetig hohe Zahl der katholischen Geistlichen in der Akademie. Mit fünf Mitgliedern umfaßten diese 1825 fast neun Prozent der Mitglieder. Auch dies verdeutlicht, vor allem im weiteren Verlauf des Jahrhunderts, die Nähe der Akademie zum Ancien Régime.165 Auffallend ist die heterogene Alterstruktur der Mitglieder der Akademie bereits bei ihrer Gründung,166 wobei jedoch die »alten Herren« in diesem »Heiligtum des Friedens mit weißen Haaren«167 die Mehrheit stellten. Obwohl nur von zwanzig Mitgliedern das Alter bei Gründung der Vereinigung bekannt ist, lassen sich doch vorsichtige Einschätzungen dazu machen, zumal in 36 Fällen das Todesdatum vorliegt. Das Durchschnittsalter der zwanzig Mitglieder, von denen das Geburtsjahr überliefert ist, liegt mit über 57 Jahren äußerst hoch, wobei zwischen dem jüngsten (29 Jahre) und dem ältesten Mitglied (88 Jahre) ein Abstand von 59 Jahren besteht. Drei Generationen waren demnach in der Akademie vertreten. Die Mehrheit wurde wohl vor der Revolution geboren und im Ancien Régime sozialisiert und hat die Revolution bewußt miterlebt. Zwölf der zwanzig waren bei Ausbruch der Revolution bereits mindestens achtzehn Jahre alt. Eine zweite Gruppe wurde noch vor der Revolution geboren und wuchs in beiden Systemen auf. Drei waren 1789 zwischen zehn und achtzehn Jahren. Nur sehr wenige Mitglieder scheinen einer neuen Generation anzugehören, die das Ancien Régime nicht mehr erlebt hat. Diese Vermutung wird unterstützt, wenn man die Spanne zwischen Eintritt in die Akademie und dem Tod der Mitglieder hinzuzieht. 29 der 36 Mitglieder, deren Todesdatum bekannt ist, starben vor der Jahrhundertmitte. Sie hätten bei ihrem Tod nur 62 Jahre alt sein müssen, um noch vor der Revolution geboren worden zu sein. Die übrigen starben in den folgenden zehn Jahren, der letzte 72 Jahre nach 1789. Da die durchschnittliche Verweildauer in der Akademie - zwischen Neugründung der Akademie und dem Tod der einzelnen Mitglieder - jedoch nur siebzehn Jahre beträgt und die These eines relativ hohen Eintrittsalters stützt, ist anzunehmen, daß die Mehrzahl der Mitglieder im Ancien Régime aufgewachsen ist. Die Zusammensetzung der Mitglieder der Akademie war sozial und altersmäßig relativ heterogen, was in einer Phase sozialen und politischen Wandels wie der Französischen Revolution nicht zu unterschätzen ist. Auch politisch waren die Académiciens nicht einer Meinung. Obwohl sich diejenigen, die sich als Republikaner bezeichneten, während des gesamten 19. Jahrhunderts an einer Hand abzählen lassen, scheinen die Konflikte unter den verschiedenen Fraktionen der Royalisten nicht unbedeutend gewesen zu sein. Die »trois journées« im Juli 1830 sollten die Gegensätze 113

offensichtlich machen. Während sich mehrere Mitglieder der Akademie aus dem aktiven politischen, militärischen oder staatiichen Dienst zurückzogen und den Eid auf das neue Régime verweigerten, eröffneten sich fiir eine andere Fraktion, die die Julimonarchie stürmisch begrüßte und auch innerhalb der Akademie Elogen auf das liberale System hielt, vielversprechende Karrieren in Politik und Verwaltung. So hieß es zum Beispiel im Nekrolog auf Rodde de Chalaniat, der einer der »distinguiertesten und ehrenvollsten Familien unserer Provinz« angehörte und über ein »glänzendes Vermögen« verfugte, daß er 1 8 3 0 den Eid auf die Regierung verweigerte, die Militärschule St. Cyr verließ, sich ins Privatleben auf sein Gut in Sauvetat zurückzog und der Naturkunde zuwandte. 168 Ähnlich erging es Paul Rancillac de Chazelles, »Auvergnat von Herzen«, der ebenfalls seine Militärkarriere 1 8 3 0 aufgab. »Nach 1 8 3 0 suchte Herr de Chazelles eine Beschäftigung, die zugleich sinnvoll fiir sein Land und für ihn war. Er zog sich in die Nähe von Chanonat, auf seinen schönen Besitz von Bar zurück, wo er die Erziehung seiner Kinder beaufsichtigte und seine Zeit mit der Pflege der Wissenschaften sowie, noch prosaischer, der Weinberge, der Fruchtbäume, der Felder und Wissen verbrachte.« 169

Hier wird auf eindringliche Weise deudich, wie eng die wissenschaftliche Erforschung der Region mit dem Lebensstil der Notabein verknüpft war. Francisque Jusseraud hingegen, der der gleichen Generation wie M. de Chazelles angehörte und ebenfalls Propriétaire eines Landguts war, gehörte während der Restauration der Opposition an und drückte 1 8 3 0 seine »Siegesfreude« aus. »Seine Familie«, so heißt es in seinem Nachruf, »gehörte jener Bourgeoisie an, die durch die Revolution zu Einfluß gelangte.« 170 Pierre Bertrand, Mediziner und gleichfalls Propriétaire, wurde schließlich bei den Parlamentswahlen 1846 als Kandidat der Liberalen von seinem »Confrère« in der Akademie und legitimistischen Gegenkandidaten, dem Comte Martha-Beker, geschlagen. 171 Beide waren darüber hinaus in direkter Nachfolge Präsidenten der Akademie; Martha-Beker 1862 bis 1 8 6 3 , Bertrand anschließend bis 1864. 1 7 2 Die verschiedenen politischen Überzeugungen bestanden bei den monatlichen Zusammentreffen der Akademie keineswegs konfliktfrei nebeneinander. 173 Dennoch hat wahrscheinlich ein stark ritualisierter, über das 18. und 19. Jahrhundert hinweg unveränderter Ablauf der Sitzungen, die mit Mitteilungen des Präsidenten begannen, zum Vortrag eines der Mitglieder übergingen und schließlich mit der Diskussion des Referats endeten, das Zusammentreffen der Mitglieder in einer Weise geregelt, die kaum Raum für tagespolitische Auseinandersetzungen ließ. Die Tatsache aber, daß die Akademie bei allen politischen Umwälzungen im 19. Jahrhundert 1 8 3 0 , 1 8 4 8 / 5 1 und in den Jahren nach 1 8 7 0 - fiir längere Zeit auf ihre 114

öffentlichen Sitzungen verzichtete, 174 zeigt, daß der Anspruch des Reglements, die Politik von der Akademie fernzuhalten, letztlich nicht eingelöst werden konnte. Wenn die Akademie tagespolitische Auseinandersetzungen auch zu vermeiden suchte, war sie doch in ihren Verlautbarungen, in ihren Zielen und Handlungen äußerst politisch. 175 Die Bewahrung der bestehenden gesellschaflichen und sozialen Hierarchie und der Stellung der Notabein in der Gesellschaft war ein unausgesprochenes, aber um so deutlicher verfolgtes Ziel ihrer Mitglieder, 176 das jenseits der politischen Differenzen einen Grundkonsens innerhalb der Notabein herstellte. 177 So betonte 1854 der Redner M. de Barante, Mitglied der Académie française und der Akademie von Clermont-Ferrand, in der ersten öffentlichen Sitzung seit 1848 im Namen aller Mitglieder: »Seit mehreren Jahren hat keine öffentliche Sitzung unserer Akademie stattgefunden. Heute ist das Land ruhig; die Feinde der Gesellschaft: und der Ordnung sind gezähmt worden.« 178 Was alle Akademiemitglieder über soziale, ökonomische und politische Differenzen hinweg verband, war die Distinktion der Notabeingesellschaft, die sich in der gemeinsamen Kultur und Geselligkeit manifestierte. »Die Höflichkeit der alten Zeit, die feinste Courtoisie, die auf Respekt und gegenseitiger Schätzung ihrer Mitglieder beruhen, regieren hier [bei ihren Treffen, C.T.] als souveräne Gebieterinnen. Die Akademie verwirklicht hier die vollständige Verbindung des Geistes und der Herzen, die verbunden sind in derselben Liebe, in derselben Leidenschaft flir unser teures und vielgeliebtes Land, für unsere großartige Auvergne. Sie bewahrt auf wertvolle Weise den Kult der Vergangenheit.« 179

Garantiert wurde die Exklusivität der »République des lettres« durch ein System der Kooptation der Mitglieder, deren Zahl begrenzt war und nur bei dem Ausscheiden eines Mitglieds die Zuwahl ermöglichte, durch die hierarchische Einteilung der Mitglieder in reguläre, Ehren- und Korrespondenzmitglieder und schließlich durch die soziale Stellung ihrer Mitglieder und ihre Bildung unter dem Vorzeichen der wissenschaftlichen Erforschung der Region und dem Kult der >großen Männergroßen Männer< wertete nicht nur die Region auf und damit ihre Notabein, sondern machte aus den Notabein selbst >große Männergroßen Männer< einerseits und dem Stellenwert der Familienbeziehungen der Notabein in der regionalen Gesellschaft andererseits überdeutlich. So konnten einige der Notabein durch genealogische Forschung und hier spielten die Frauen der >großen Männer< eine wichtige Rolle - ihre direkte Nachkommenschaft von einem >großen Mann< nachweisen. Der bereits genannte Comte de MarthaBeker, der seine regionale Bedeutung, seinen Titel und seinen Landbesitz in der >Auvergne< seinem Onkel verdankte, der ihn adoptiert hatte, schrieb in seiner Freizeit eine Biographie des General Desaix, dessen Schwester mit seinem Adoptivvater verheiratet war.186 Der Rentier Marie Philibert de la Faye de l'Hôpital, der sich nach 1848 aufgrund seiner legitimistischen Überzeugung ins Privatleben zurückzog, beschäftigte sich mit Lokalgeschichte und der Genealogie seiner Familie. Väterlicherseits konnte er den Adelstitel seiner Familie bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts nachweisen. Seine Mutter jedoch, deren Namen er dank seiner Berühmtheit dem seines Vaters hinzufügte, war eine »Ururgroßnichte des berühmten Kanzlers Michel de l'Hôpital«, dessen Denkmal später die Stadt schmückte. 116

»Sechs Generationen nur trennen sie von diesem berühmten Staatsmann, dem Ruhm der Provinz. So schwebte eine lange und beachtenswerte Ahnenreihe, sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits, über der Wiege des jungen de la Faye.«187

Es sind zwar nur vereinzelte Fälle, in denen diese Verbindung von >großen Männern< und Notabein so eklatant wurde, die Tatsache allerdings, daß diesen innerhalb der Akademie soviel Gewicht beigemessen wurde, und fast jeder Nekrolog auf ein Akademiemitglied mit der historischen Bedeutung der Familie in der Provinz begann, macht die Verbindung von lokaler Geschichte und Notabeingesellschaft evident. Schließlich legte Pierre Audigier 1896 seinen Mitbrüdern in der Akademie ein Projekt für eine Geschichte der >Auvergne< vor. Darin bezeichnete er die Region als eine der Provinzen Frankreichs, wo man den ältesten und berühmtesten Adel fände. Er ließ die Reihe der großen Adelsfamilien mit der »Maison Celtile«, der Familie des Vaters von Vercingetorix, beginnen.188 Hier wurde, in diesem Fall kollektiv, für den auvergnatischen Adel eine historische Tradition hergestellt, die über alle sozialen und politischen Veränderungen hinweg, vom Beginn der französischen Geschichte bis zur Gegenwart führte. Es wird deutlich, daß die auvergnatische Geschichte, wie sie innerhalb der Akademie gepflegt wurde, für die Notabein eine Legitimation ihrer sozialen Position in der Region darstellte, und zwar individuell und kollektiv. »Liebt man es nicht, meine Herren, im Schöße der Familie manchmal an das ruhmvolle Vermächtnis der Vorfahren zu erinnern? Und, meine Herren, ist unsere Akademie nicht eine wirkliche Familie, die uns durch das Band einer herzlichen Brüderlichkeit zusammenhält, mit dem Ziel, das uns ihre Gründer auftrugen, in unserem schönen Land Auvergne die Liebe und den Kult der Wissenschaft, der Literatur und der Kunst zu vergrößern und wie einen wertvollen Schatz, die Früchte dieses heiligen Kultes zu bewahren?«189

Auch wenn die Mitglieder der Akademie die ökonomische, soziale und politische Elite der regionalen Gesellschaft darstellten, so bildeten sie doch keine symbiotische Einheit. Für den Zusammenhalt innerhalb der Akademie war keine homogene soziale Stellung ihrer Mitglieder innerhalb der regionalen Notabeingesellschaft nötig. Adlige und Bürgerliche, reiche und verarmte Adlige sowie alteingesessene Bürger und Neureiche fanden sich in den monatlichen Sitzungen zusammen. Auch von einer homogenen politischen Struktur der Akademie kann nicht ausgegangen werden. Stockkonservative Legitimisten saßen neben aufrechten Liberalen und vereinzelten Republikanern. Schließlich war auch die Altersstruktur der Mitglieder relativ heterogen. Drei Generationen mit sehr unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen teilten sich den schmückenden Titel des »membre de l'Académie«. Was sie dennoch als eine einheitliche Gruppe von dem Rest 117

der Gesellschaft unterschied und als typisch für die französische Notabeingesellschaft gelten kann, war die gemeinsame Abgrenzung nach unten, zu den - ungebildeten - Massen, ihr politischer Einfluß über Titel, Besitz, Funktionen und Familienbeziehungen sowie schließlich die gemeinsame »Liebe« zur »petite patrie«, die die Basis ihrer sozialen Position darstellte. Entsprechend waren die Notabein innerhalb der Akademie an überregionalem Austausch und nationalen Kontakten relativ wenig interessiert. Zwar bestand in Frankreich vor allem seit 1846 ein intensiver Austausch der Schriften der verschiedenen lokalen Akademien und sociétés savantes - die Akademie von Clermont-Ferrand korrespondierte 1873 mit 59, 1880 mit 69 sociétés savantes in Frankreich und in geringerem Umfang im Ausland. 190 Dieser Austausch wurde jedoch durch das Unterrichtsministerium in Paris angeregt, unterstützt und abgewickelt. Besonders seit dem Zweiten Kaiserreich wurde von Paris aus verstärkt die Kooperation der sociétés savantes durch Kongresse, Zeitschriften und Wettbewerbe untereinander vorangetrieben. Diese zentralstaatliche Initiative stieß zunächst auf starkes Mißtrauen seitens der regionalen Vereinigungen. 191 Was Clermont-Ferrand und seine Akademie angeht, scheint die ministerielle Initiative keine große Resonanz gehabt zu haben. In den monatlichen Sitzungen wurden nur selten Publikationen anderer Schwestergesellschaften besprochen. Das Gros der durch den Minister zugesandten Zeitschriften der regionalen Akademien wurde wahrscheinlich kaum zur Kenntnis genommen. Außerdem schickte die Akademie zwar Vertreter zu den nationalen Kongressen, die dezentral in verschiedenen Provinzstädten stattfanden, aber außer einem kurzen Bericht fanden auch diese keinen Widerhall in der Provinz. 192 Bis zum Anfang der Dritten Republik war die Akademie unbestritten die einzige société savante des Departements Puy-de-Dôme. Seit 1863 bestand zwar neben ihr die Société du Musée in Riom. 193 Diese beschränkte jedoch ihre Aktivitäten ausschließlich auf lokale Studien Rioms und unterstrich damit das eifersüchtige Streben der Riomer Notabein nach Gleichstellung ihrer Stadt mit der Hauptstadt des Departements. Zahlreiche Riomer waren gleichzeitig Mitglied in beiden Vereinigungen, ohne daß dies zu Unstimmigkeiten führte. Ansonsten blieb das Vereinsleben im Departement bis 1870 recht begrenzt. Außer einigen »cercles«, 194 die sich Zeitschriften hielten und in denen sich die Notabein zu Unterhaltung, Spiel und Zigarrenrauchen trafen - und zu denen ihre Ehefrauen keinen Zutritt hatten - , war die Akademie bis zum Beginn der Dritten Republik unangefochten die einzige überlokale Vereinigung von Bedeutung. Das sollte sich zu Beginn der Dritten Republik mit der Gründung der Société d'Emulation ändern. Ausgerechnet die soziale und regionale Abgrenzung der Akademie, die einen bedeutenden Anteil an ihrem Ansehen 118

und ihrer Selbstdarstellung hatte, wurde im Jahre 1884 zum Streitpunkt. Die Gründung der Société d'Emulation stürzte die Akademie nicht nur kurzfristig in eine Krise, sondern stellte auch langfristig die exklusive Stellung dieser Gesellschaft und ihrer Mitglieder in der Region in Frage. Erst in der Rückschau, im Jahr 1915, ist von dieser wohl sehr heftig geführten Diskussion und deren Konsequenzen in der Publikation der Akademie zu erfahren. Bis dahin scheint es die Politik der Gesellschaft gewesen zu sein, größere Auseinandersetzungen nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. »Die Société d'Emulation de l'Auvergne wurde geboren, ein stürmischer Tag. In Folge einer heftigen Diskussion und einer Abstimmung, die ihr ein Ende setzte, fühlten mehrere unter unseren Kollegen, die meinten, daß unsere Akademie, eine sehr alte Dame, zu gerne am Ancien Régime festhielt, das Bedürfnis, sich nebenher eine jüngere und leichter zugängliche Schönheit zu suchen. Es war befremdlich, daß die Abtrünnigen, obwohl sie die Tür lautstark hinter sich zuwarfen, dennoch ihre Sessel in der Gesellschaft behielten.« 195

Der wichtigste Punkt der Auseinandersetzung unter den Académiciens scheint die Abgeschlossenheit der Akademie gewesen zu sein, die die Kooptation neuer Mitglieder nur nach Ausscheiden eines früheren erlaubte. 196 Die Ehre, in die Akademie aufgenommen zu werden, stand dadurch nur sehr wenigen Auserwählten im Jahr zu. Während die Mehrheit der Mitglieder an diesem elitären System festhalten wollte, 197 zog es eine Minderheit vor, eine neue Société zu gründen oder ihr beizutreten. Es ist nicht ganz eindeutig, ob die Gründung der Société d'Emulation auf die Initiative abtrünniger Akademiemitglieder zurückging oder nicht. Die Tatsache allerdings, daß sowohl der Präsident als auch die drei Vizepräsidenten der neugegründeten Vereinigung zuvor Mitglieder der Akademie gewesen waren, 198 spricht für diese Hypothese. Fest steht, daß sieben der vierzehn bekannten Gründungsmitglieder der neuen Gesellschaft vorher der Akademie angehört hatten, drei davon als korrespondierende Mitglieder, die auf diesen Ehrentitel 1884 verzichteten. 199 Vergleicht man darüber hinaus die Mitgliederlisten der beiden Sociétés, so finden sich in der Société d'Emulation weitere sechs ehemalige Voll- und sechs korrespondierende Mitglieder der Akademie, die die Tür der Akademie zugeschlagen hatten und 1 8 8 4 zur Konkurrenz übergelaufen waren. Die Akademie verlor damit auf einen Schlag zehn Voll- und neun korrespondierende Mitglieder, also fast ein Viertel ihrer Mitglieder. Dieser Verlust paralysierte die Akademie offensichtlich fur mehrere Jahre. 200 »Die junge Schönheit«, die Société d'Emulation, unterschied sich in ihrer inhaldichen Zielsetzung nicht von der »alten Dame«, der Akademie. Wie diese, formulierte die Société d'Emulation 1 8 8 4 ihr Ziel in folgender Weise:

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»Es ist ihr Ziel, ein Band zwischen denjenigen Personen zu knüpfen, die sich in unserer Provinz fiir die Angelegenheiten des Geistes interessieren, sie untereinander in Beziehung zu bringen sowie Studien und Arbeiten anzuregen und zu erleichtern, die sich auf die Region beziehen.«201

Die wissenschaftliche Erforschung der >AuvergneAuvergne< beschränkten, waren die Mitglieder der Société d'Emulation zwar auch überwiegend 123

regional orientiert, beteiligten sich daneben aber an überregionalen Aktionen und Vereinigungen. So bestanden personelle Überschneidungen zwischen der Freimaurerloge von Clermont, die sich »Les enfants de Gergovie« nannte - jedoch das Vercingetorixdenkmal Napoleons III. in Alesia in ihren Insignien trug 215 - und der Société d'Emulation. Die fehlende Repräsentation der katholischen Kirche in der Société wie auch die stark antiklerikale Ausrichtung des Einweihungsfestes fur das Vercingetorixdenkmal in Anwesenheit des Freimaurers Combes werden so verständlich. Darüber hinaus rief die Revue d'Auvergne im Jahr 1891 mehrmals alle Mitglieder der Société auf, sich der Section d'Auvergne der Alliance Française anzuschließen, und ihren »patriotischen Geist« unter Beweis zu stellen.216 Außerdem bestanden personelle Verbindungen zwischen zahlreichen Vereinen, die seit 1870 in Clermont und Umgebung gegründet worden waren, und der Société d'Emulation. Viele Mitglieder befanden sich unter den Gründungsmitgliedern der 1872 gegründeten »Société de tir du Puy-de-Dôme«, die neben den Honoratioren zahlreiche Kleinbürger zu ihren Mitgliedern zählte. 217 Der bereits genannte François Vazeilles war Vorsitzender der Société de gymnastique »L'Avernoise« und zusammen mit Léon Chabory Mitglied der republikanischen Vereinigung »Les amis de la Paix«. 218 Ein weiteres Mitglied, Ducharne, war Präsident der »Ligue de l'Enseignement« von Clermont-Ferrand, 219 und Emmanuel des Essarts, langjähriger Präsident des Komitees für das Vercingetorixdenkmal der Société d'Emulation, war zugleich Präsident der 1873 gegründeten »Société contre l'Ignorance«, ein regionaler Zweigverein der »Ligue de l'Enseignement«. 220 Überdies öffnete sich die Société d'Emulation im Gegensatz zur Akademie, der zumindest bis zum Ersten Weltkrieg keine Frauen angehörten - fiir weibliche Mitglieder. So verkündete die Revue d'Auvergne 1897: »Meine Damen, meine Herren, Ihr jungen Leute! Unsere Reihen stehen Ihnen offen.« 221 Als sich schließlich im Jahre 1898 die Société d'Emulation in die »Société des amis de l'Université« umwandelte, wurde ausdrücklich in die neue Satzung aufgenommen, daß die Damen an der Société teilnehmen könnten. 222 Über diesen Appell zur Teilnahme wurden vor allem unverheiratete und alleinstehende Frauen angesprochen. Unter den 425 Mitgliedern, welche die Société 1902 zählte, befanden sich fünfzehn Frauen (3,5%). Sieben von ihnen waren Witwen, sechs unverheiratete Lehrerinnen und nur zwei verheiratete Frauen. Auch wenn rechtlich einer Aufnahme von Frauen in die Société d'Emulation nichts im Wege stand, verhinderte offenbar die Ehe und die mit ihr verbundene Rollenzuweisung ein öffentliches Engagement von Frauen. Am Congrès des sociétés savantes 1904 in der Sorbonne nahmen neben acht männlichen Vertretern der Société d'Emulation auch vier Frauen teil - diese waren jedoch nicht 124

Mitglieder in der Société, sondern alle vier Ehefrauen von männlichen Abgesandten. Ihre Aufgabe bestand wohl weniger in einem wissenschaftlichen Beitrag, sondern in der Repräsentation der gesellschaftlichen Stellung ihrer Ehemänner. Die Akademie hingegen entsandte nur zwei Männer zu dem Kongreß.223 Ob den Frauen tatsächlich ein Platz an der Seite der männlichen Mitglieder eingeräumt wurde, wie es 1897 versprochen worden war, ob sie also als gleichwertige Mitglieder betrachtet wurden, muß bezweifelt werden. Bei den öffentlichen Versammlungen der Société d'Emulation, in deren Protokollen stets die Anwesenheit von zahlreichen »Damen«, also Ehefrauen, betont wurde, unterlief es den Rednern häufiger, daß sie ihr Publikum mit »Messieurs« ansprachen, sich also inhaltlich nur an die anwesenden Herren wandten. In diesem Punkt stand die Akademie der Société d'Emulation in nichts nach.224 Tatsächlich kam den Frauen eine andere Funktion zu, als mit ihrem eigenen intellektuellen Beitrag an der Erforschung der >Auvergne< teilzunehmen. Emmanuel des Essarts, der Dichter225 bei allen fesdichen Gelegenheiten, richtete 1895 einen Willkommensgruß »an die Damen des archäologischen Kongresses«: »Meine Damen, Sie haben zu diesem gelehrten Kongress Ihren Glanz beigetragen, ihren Reiz beigemischt Und hinzugefugt zur Vergangenheit, die wir als Stamm betrachten, Die neue Blüte und den lebendigen Strauß. Die Eleganz und die Gelehrsamkeit verbinden ihre Gesetze.« 226

Neben die männliche Forschung trat die weibliche Eleganz. Es wurde bereits an anderer Stelle auf die Rolle von Blumenmotiven fur die Symbolisierung von Weiblichkeit hingewiesen. Frauen wurden nicht als gleichwertige Mitglieder anerkannt, sondern nahmen allenfalls eine ergänzende, aber untergeordnete und passive Rolle ein. Publikationen von Frauen in der Revue d'Auvergne oder gar Auftritte von Rednerinnen bei öffentlichen Anlässen gab es bis 1914 in keiner der beiden Gesellschaften. Mit dem »prix de vertu«, den die Akademie von Clermont-Ferrand seit 1899 nach dem Vorbild der Académie française und anderer Provinzakademien vergab, machten die Notabein von Clermont darüber hinaus deutlich, daß der Bereich der Wissenschaft und Künste eine reine Männerdomäne war. Ihr weibliches Gegenstück stellte die christliche Nächstenliebe dar. Diese beiden Bereiche waren entsprechend der Vorstellungen von Geschlechtscharakteren eindeutig voneinander getrennt. »Ich wünsche ..., daß diejenigen, die die Frau zum Bankett der Wissenschaften zulassen wollen, sich erinnern, daß sie groß war durch ihre Hingebung und ihr Herz, erhaben in ihrem Opfer und daß es weder der Kenntnis der literarischen Meisterwerke noch der Urteilskraft der exakten Wissenschaften bedarf, um zum höchsten Stand

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dieser hohen Tugenden zu gelangen. Sie mögen sich darüber bewußt werden, daß die moralische Kultur unabhängig ist von der intellektuellen und daß letztere nur wenig zur ersten beiträgt.« 227

Obwohl der Begriff der »vertu« seinem etymologischen Ursprung nach männliche moralische Tugenden und Charakterstärken bezeichnete, 228 wurde mit dem Preis eine »weibliche« Tugend ausgezeichnet. Indem Tugend zur Nächstenliebe wurde, 229 richtete sich der Preis ausschließlich an Frauen. Mit der Zuschreibung der Pflege der christlichen Moral und Nächstenliebe zum weiblichen Charakter wurde den Frauen ein separater Bereich zugewiesen. »Man muß Sie, meine Damen, nicht daran erinnern, daß sie großes zu leisten haben im Bereich der Wohltätigkeit, der allein ihnen zusteht durch das Recht der Eroberung und der Geburt... Frauen und Töchter Frankreichs, eure Taschentücher, seien sie aus Batist oder aus Bauerntuch, werden immer gezückt, um Tränen zu trocknen.« 230

Gleichzeitig wurde den Frauen sowohl über die christliche Moral als auch über ihre besondere weibliche Tugend die Aufgabe zugeschrieben, soziale Grenzen zu überschreiten. Während die männliche Domäne der Wissenschaft eine sozial exklusive war, kamen die Taschentücher der Ehefrauen der Notabein und die der weiblichen Unterschichten ohne Unterschied zum Einsatz. Mit der Feminisierung der Religion, 231 also der Aufteilung der Gesellschaft in eine weitgehend säkularisierte Sphäre männlicher Geselligkeit einerseits und eine durch chrisdiche Moralvorstellungen und Praxis geprägte weibliche Sphäre andererseits, fiel den Frauen die Rolle der Erhaltung der bestehenden sozialen Verhältnisse zu, indem sie schichtenübergreifend die Tränen trockneten. Das ist nicht als Trennung von privater oder öffentlicher Sphäre zu beschreiben, sondern vielmehr als eine Aufteilung der Öffendichkeit in unterschiedliche Sphären, die endang der Geschlechter getrennt waren. 232 »Da ist sie, meine Herren, die große und wohltuende Gleichheit. Gleich vor dem Tod und gleich vor Gott, die Menschen sind es auch vor der moralischen Schönheit.« 233 Daß der Tugendpreis im Zeichen der Erhaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse stand, steht außer Frage. So wurde dieser mit einer Prämie von tausend Francs verbundene Preis von dem Marquis du Maisniel, einem Legitimisten, der sich 1830 ins Privadeben zurückgezogen hatte, als jährliche Rente aus seinem Nachlaß gestiftet. Während im Anspruch der Preisverleiher zunächst kein Unterschied zwischen den Frauen verschiedener Klassen gemacht wurde, ging der Preis in der Praxis an Frauen der Unterschichten, die sich in ihre Armut gefugt und ihr Leben in den Dienst ihrer Mitmenschen gestellt hatten. Die Elogen auf diese Frauen, die in öffendicher Sitzung gehalten wurden, bei der neben der Preisträgerin alle Nota126

beln von Rang und Namen mit ihren Ehefrauen anwesend waren, stellten ein harmonisches und idyllisches Bild der Armut dar.234 »Ihr, ihr armen Frauen, habt diesen Gott verstanden, der uns umgibt.... Ihr habt ein zufriedenes Herz, ein reines Gewissen, einen Mut, der dem Elend und der unaufhörlichen Arbeit entgegen sieht ohne zu weichen, eine Seele, die den Dingen dieser Welt erhaben ist, weil sie auf das Jenseits hofft.« 235

Im prix de vertu wird deudich, wie stark die katholische Lehre als Ideologie der Notabeingesellschaft mit den sozialen Vorstellungen der Notabein verbunden war. Während die Notabeingesellschaft als Domäne der Männer sozial differenziert und hierarchisiert war und sich als solche repräsentierte, kam der Religion und Nächstenliebe, die einer weiblichen, sozial nicht differenzierten Sphäre zugewiesen wurde, die Aufgabe zu, die sozialen Grenzen zu überschreiten und mögliche Konflikte im Rekurs auf eine harmonische Gemeinschaft der Gläubigen im Jenseits abzuschwächen. Soziale und geschlechtliche Differenzierungen wurden zugleich festgeschrieben und ideologisch überwunden. Die vorsichtige Öffnung der in der Société d'Emulation vertretenen republikanischen Notabein nach unten, die sowohl in ihrer liberaleren Aufnahmepraxis als auch in der - fuhrenden - Teilnahme ihrer Mitglieder an den neuen Vereinen und Gesellschaften ihren Ausdruck fand, veränderte ebenfalls, wenn auch nur ansatzweise, die Bedeutung von Region und Nation. Die Société d'Emulation stellte zwar, ebenso wie die Akademie, die wissenschaftliche Erforschung der Region als ihr primäres Ziel dar, jedoch erhielt die Nation als Republik stärkere Bedeutung. Nicht nur, daß sich einzelne Mitglieder, oder sogar die gesamte Gesellschaft, an nationale republikanische Organisationen anschlössen. Auch wenn die Erforschung der Region weiterhin im Zeichen der Dezentralisation stand, so stellte doch die Liebe zum »petit pays«, zur kleinen Heimat, den ersten Schritt zum nationalen Patriotismus dar, der die >Auvergne< als Teil der Nation und der Republik begriff. 236 Die stärkere Orientierung der Société d'Emulation auf die Nation belegt die These, daß ihre Mitglieder weit weniger als die der Akademie der traditionellen Notabeingesellschaft verbunden waren, die ihre ökonomische, soziale und kulturelle Basis in der Region hatte. Auch am Wohnort der Mitglieder beider Vereinigungen läßt sich diese Verschiebung, wenn auch nur graduell, aufzeigen. 237 Bis auf ganz wenige Ausnahmen rekrutierten beide Vereinigungen ihre Mitglieder aus dem Departement Puy-de-Dôme. Nur drei Mitglieder der Akademie (1%) und sechs der Société d'Emulation (2,8%) wohnten in einem der drei Departements, die neben dem Puy-de-Dôme zur ehemaligen Provinz Auvergne zählten. Die >Auvergne< spielte für die Herkunft ihrer Mitglieder keine Rolle und entsprach keiner sozialen Wirklichkeit. Die Kommunikation in 127

der Region und die Mitgliedschaft in den Vereinen folgte eindeutig den Verwaltungsgrenzen Frankreichs seit 1789. 238 Da Clermont-Ferrand als Hauptstadt der >Auvergne< - und Riom als heimliche Hauptstadt - angesehen wurden, diente der Rekurs auf die >Auvergne< höchstens der Aufwertung dieser Städte und des Departements. Hier unterschieden sich die beiden Vereinigungen kaum voneinander. Die Departements Allier, Cantal und Haute-Loire hatten ihre eigenen sociétés savantes, mit denen die Sociétés des Puy-de-Dôme allenfalls korrespondierten. Dennoch sind Unterschiede in der räumlichen Rekrutierung der Mitglieder festzustellen. Für die Akademie stellten vor allem die Städte Clermont (51,3%) und Riom (21,2%) Hochburgen dar. Nur in sehr geringem Umfang wohnten die Mitglieder in anderen Städten des Departements (3,3%) oder auf dem Land ohne Wohnsitz in der Stadt (12,4%). Kein Mitglied wohnte außerhalb des Departements. Für die Société d'Emulation hingegen stellte Clermont-Ferrand mit 57,4 Prozent den wichtigsten Wohnort ihrer Mitglieder dar. Riom hingegen fiel im Vergleich mit der Akademie mit nur 3,3 Prozent deutlich ab. Dies erklärt die geringe Zahl der Richter innerhalb der Société d'Emulation ebenso wie den Widerstand der Riomer gegen das Vercingetorixdenkmal dieser Vereinigung. Die Rekrutierung in anderen Städten des Departements war auch hier äußerst gering (3,6%), auf dem Land (15,7%) hingegen leicht höher. Ein Unterschied bestand hingegen in der Öffnung gegenüber Mitgliedern außerhalb des Departements. Immerhin 13 Prozent der Mitglieder der Société d'Emulation wohnten außerhalb des Puy-de-Dôme, davon mehr als drei Viertel in Paris. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um ausgewanderte »Auvergnaten«, die Teil der berühmten »Auvergnats de Paris« waren.239 Die erhöhte räumliche Mobilität unterstützt die These einer größeren sozialen Offenheit der Société d'Emulation, deren Mitglieder sich nicht aus den lokalen Notabein rekrutierten. Der Unterschied zwischen beiden Gesellschaften bleibt zunächst nur graduell. Es wäre überzogen, scharf zwischen traditionellen Notabein und »couches nouvelles«, zwischen Regionalisten und Nationalisten, zwischen elitären Konservativen und sozial offenen Republikanern zu trennen. Jedoch sind Unterschiede in der sozialen Zusammensetzung und in der sozialen, politischen und kulturellen Praxis bemerkbar, die langfristig eine Veränderung der regionalen Gesellschaft bewirkten. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings kann nicht vom Ende der traditionellen Notabeln gesprochen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß beide, die traditionellen Notabein, die durch Traditionen und eine gemeinsame Kultur untereinander verbunden und als ein Block sozial abgegrenzt waren, einerseits, und die neuen Eliten andererseits, die auf eine soziale Öffnung gegenüber den »couches nouvelles« setzten, zwar in mehr oder weniger 128

starker Konkurrenz zueinander, jedoch nebeneinander bestanden und gemeinsam ihren Einfluß in der Region bewahrten. 240

2.3. Vergleichende Zusammenfassung Der Verein fur das Hermannsdenkmal sowie die Akademie bzw. die Société d'Emulation spiegeln in eindringlicher Weise die soziale und kulturelle Vergesellschaftung des lokalen Bürgertums bzw. der lokalen Notabein und ihr Verhältnis zur sie umgebenden Gesellschaft. Jenseits aller formalen und inhaltlichen Differenzen dieser Vereinigungen, ihrer sozialen Zusammensetzung und gesellschaftlichen Strategien, dienten sie in beiden Ländern der sozialen und kulturellen Selbstdarstellung ihrer Mitglieder. Sowohl die Notabein und die »neuen Schichten« in Clermont-Ferrand als auch die Detmolder Bürger repräsentierten sich in ihren jeweiligen Vereinen individuell und kollektiv als Mitglieder einer je unterschiedlich abgegrenzten sozialen Gruppe und brachten hier ihre gesamtgesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen wie auch ihren Führungsanspruch in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck. Neben diesen grundlegenden Gemeinsamkeiten, die einen Vergleich ermöglichen, unterschieden sich die Vereine in beiden Ländern in zahlreichen Aspekten. Während die Akademie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als multifunktionale und exklusive Vereinigung eine Monopolstellung in der Vereinslandschaft von Clermont-Ferrand innehatte, brach das Vereinswesen in Detmold zur gleichen Zeit bereits in eine Vielzahl funktional differenzierter Vereine auseinander. In Frankreich sollte eine solche Differenzierung erst mit dem Aufkommen der »neuen Schichten« - die die Société d'Emulation repräsentierte - einsetzen. Der Verein für das Hermannsdenkmal beschränkte sich zwar zunächst nur auf ausgesprochen wenige Mitglieder der hohen lippischen Beamtenschaft. Er war jedoch personell und zum Teil inhaltlich mit allen Vereinen und geselligen Vereinigungen der Stadt und des lippischen Vereinswesen verbunden, das durch eine zwar zahlenmäßig begrenzte, gleichwohl größere Gruppe bürgerlicher Mitglieder als die Akademie zusammengehalten wurde. Dieser Unterschied zwischen dem Vereinswesen in Detmold und Clermont-Ferrand, der als typisch für die deutsche und französische Gesellschaft gelten kann, ist vor allem durch die Stellung beider sozialer Gruppen, der Notabein und des Bürgertums, zur sie umgebenden Gesellschaft zu erklären. Die Akademie trachtete vor allem in ihrer rückwärtsgewandten kulturellen Praxis danach, die soziale Stellung ihrer Mitglieder innerhalb 129

der regionalen Gesellschaft wiederherzustellen. In ihrer politischen und sozialen Nähe zum Ancien Régime diente diese société savante nicht nur als exklusiver Ort der Geselligkeit. In ihr kultivierten die Notabein durch Erfindung und Aufwertung der Region, durch genealogische Studien ihrer Vorfahren und durch die Vererbung der Akademiesessel innerhalb der regionalen Notabeinfamilien auch die kulturellen Werte der Notabeingesellschaft. Die Akademie schuf damit nicht nur einen Raum, in dem sich die Einheit der lokalen Elite ausdrückte, sondern legitimierte und verfestigte zugleich die Stellung ihrer Mitglieder in der regionalen Gesellschaft. Indem die Société d'Emulation in den 1880er Jahren eine prinzipielle Öffnung der sociétés savantes zu den neuen sozialen Schichten verfolgte und über zahlreiche personelle Beziehungen zum entstehenden republikanischen Vereinswesen verfugte, wirkte sie langfristig auf das »Ende der Notabein« hin. Die exklusive Aufnahmepraxis der Akademie, die sich vor allem auf Geburt, (Land-)Besitz und Familienbeziehungen stützte, wurde durch das Kriterium der Bildung abgelöst. Eine klassenbedingte Differenzierung der bürgerlichen Gesellschaft ersetzte die ständische Distinktion der Notabeingesellschaft und beendete die Monopolstellung der alten Elite. Allerdings bedienten sich die neuen bürgerlichen Schichten zum Zwecke der kulturellen und sozialen Abgrenzung nach unten in weiten Teilen der Notabeinkultur und zögerten damit selbst das »Ende der Notabein« hinaus. Die Société d'Emulation unterschied sich in ihren inhaltlichen Zielen und Tätigkeiten, der Erforschung und Würdigung der Region, nur unwesentlich von der Akademie - wenn auch die Nation in der neuen Vereinigung einen wichtigen, doch über die Region vermittelten Platz einnahm. Die kulturellen Inhalte der Abgrenzung wurden beibehalten, so daß man eher von einer Integration »neuer Notabein« in die traditionelle französische Notabeingesellschaft sprechen kann, als von einem abrupten Ende der Notabeingesellschaft. Die Detmolder Bürger verfolgten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Hermannsdenkmal und der Vereinsbewegung ein doppeltes Ziel, das auf eine zukünftige, noch zu realisierende bürgerliche Gesellschaft ausgerichtet war. Als Bürger schufen sie sich in verschiedenen geselligen und wissenschaftlichen Vereinen ihren eigenen Raum bürgerlicher Kultur, der sich inhaltlich durchaus mit dem der Akademie deckte. Diese Vereine zeigten sich in ihrer Aufnahmepraxis und in ihren Umgangsformen weit weniger exklusiv als die französischen sociétés savantes zu dieser Zeit. Sie zielten nicht auf die Konsolidierung einer ständischen Elite, sondern auf die Konstituierung einer prinzipiell offenen bürgerlichen Gesellschaft. Gleichzeitig diente das Vereinswesen dem deutschen Bürgertum auf lokaler Ebene zur moralischen und ökonomischen Verbesserung unterbürgerlicher 130

Schichten, die zwar noch nicht an der bürgerlichen Kultur teilhatten, aber schrittweise an diese herangeführt werden sollten. Die Klassengesellschaft sollte langfristig dem utopischen Ideal der »klassenlosen Bürgergesellschaft >mittlerer Existenzenobjektive< Faktoren, wie die gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte zurückgeführt wurde, war dennoch die Zustimmung zur Nation, die sie als »imaginäre Gemeinschaft« (Anderson) konstituierte, Voraussetzung für ihre Konstituierung. Der Wille zur Nation und seine öffentliche Bekundung erst schufen die Nation. Die Subskription könnte emphatisch als »plébiscite de tous les jours« (Renan)5 verstanden werden. In dem Maße, in dem Nationalismus mit sozialen Praktiken in Verbindung gebracht wird, verschwimmen die generellen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich. Das voluntaristische Bekenntnis zur Nation war offensichtlich allen Nationalismen eigen und konstituierte die Nation auch in den Fällen, in denen auf historische Traditionen oder >ethnische< Bindungen als Grundlage der nationalen Gemeinschaft rekurriert wurde. Nicht umsonst wurden die Notwendigkeit zur Teilnahme an der Subskription und ihr Erfolg stets damit begründet, die Existenz der Nation nach innen und außen sichtbar zu machen: »Je größer die Zahl der Geber ist«, beschwor der Hamburger Verein fur das Hermannsdenkmal 1863 seine Mitbürger in ähnlicher Weise wie viele andere Aufrufe in Deutschland und Frankreich, »desto lauter und einmütiger spricht sich das Zeugnis des deutschen Volkes aus.« 6

Der öffentliche Charakter dieses Bekenntnisses zur Nation und zur bürgerlichen Gesellschaft verlieh der Subskription einen dauerhaften Charakter. Die Spendenlisten wurden in Zeitungen und Zeitschriften publiziert, oder gar, wie im Fall des Hermannsdenkmals, im Rahmen eines Festes in den Grundstein des Denkmals eingemauert.7 Dadurch beschränkte sich die Spende nicht auf einen einmaligen großzügigen Akt, sondern verlängerte das Band zwischen den Mitgliedern der Nation in die Zukunft und gewährte ihm Dauer. Der einzelne zeigte mit seiner Gabe sein soziales und öffentliches Engagement und wurde Mitglied einer Gemeinschaft: der bürgerlichen Gesellschaft und der Nation. Die Nation als »imaginäre Gemeinschaft« erhielt erkennbare und dauerhafte Konturen. Dieses symbolische Band, das die Individuen durch die öffentliche Subskription miteinander in Verbindung setzte, war im Prinzip mit den Beziehungen vergleichbar, die der bürgerliche Verein schuf. Durch seinen Beitritt zum Verein oder zu der Gemeinschaft der Subskribenten konnte sich das Individuum über den konkreten Kontakt zu anderen Individuen hinaus als Teil einer Gemeinschaft und als gesellschaftliches Wesen erfahren. Indem sich die Gemeinschaft der Spender nicht wie im Verein durch regelmäßige, direkte Kommunikation herstellte, sondern vor allem symbolisch vermittelt wurde, konnte die Subskription eine über den Verein 136

hinausreichende soziale Funktion erfüllen. Der Verein stellte vor allem einen Ort der Begegnung für sozial und kulturell relativ homogene soziale Gruppen einer räumlich begrenzten Gemeinschaft, in der Regel der städtischen Gesellschaft, dar, die nur durch abstrakte Bande - vergleichbare Praktiken oder Ziele - mit ähnlichen Gemeinschaften an anderen Orten verbunden war. Die Subskription richtete sich hingegen ausdrücklich an die Mitglieder aller sozialer Schichten und Klassen und konnte räumlich getrennte Teile der Gesellschaft zusammenfuhren. In Frankreich wie in Deutschland wandten sich die Spendenaufrufe ausdrücklich an alle Kreise der Bevölkerimg und definierten die Subskription als nationale Aufgabe. Aus allen Teilen des Landes wurde die finanzielle Unterstützung als Bekenntnis zur nationalen Gemeinschaft erwartet. 8 Die Nation konstituierte sich im Anspruch der Subskription durch die Teilnahme aller zu ihr zählenden Landesteile, als aus allen sozialen Gruppen zusammengesetzt und dauerhaft als über die aktuelle Aktion hinausgehende Einheit. Der Anspruch, alle Mitglieder der Nation über räumliche und soziale Grenzen hinweg zu erfassen und in die Gemeinschaft der Subskribenten zu integrieren, bedeutete allerdings nicht, daß diese Grenzen nivelliert oder aufgehoben wurden. Im Gegenteil: diese wurden in der Subskription gerade abgebildet, unterstrichen und symbolisch verfestigt. Die gedruckten Spendenlisten für das Hermannsdenkmal und die Vercingetorixdenkmäler - und das gilt auch für andere Subskriptionslisten des 19. Jahrhunderts - erfaßten die Spender nach Städten oder Regionen differenziert und verzeichneten neben ihren Namen auch ihren Beruf oder ihre soziale Stellung. Wenn in den Aufrufen ausdrücklich unterstrichen wurde, daß alle Kreise der Bevölkerung und alle Mitglieder der Nation sich an dem Unternehmen beteiligen sollten, so wurde der einzelne keineswegs individuell an die Nation angebunden, sondern immer vermittelt über seine räumliche, soziale und geschlechtliche Zugehörigkeit. So richtete sich zum Beispiel ein Spendenaufruf für das Hermannsdenkmal zunächst an »ein Volk von 50 Millionen«, also gleichermaßen an Männer und Frauen, verengte sich dann aber auf »alle deutschen Brüder«. 9 Die sozialen Differenzierungen zwischen den Geschlechtern, die zwar emphatisch im Begriff des deutschen Volkes aufgelöst wurden, sich jedoch in der bürgerlichen Praxis der Subskription widerspiegelten und durch sie verstärkt wurden, kommen hier deutlich zum Ausdruck. In ähnlicher Weise wurden auch Klassenunterschiede im gleichen Atemzug nivelliert und zementiert: »Wolle denn Keiner sich ausschließen von der Beisteuer zu dem Volksdenkmal! Der Geringste im Volk, der noch Sinn hat für das große Ganze, dem er allein die edelsten Güter des Daseins, ja, wenn auch Alles ihm fehlte! den Gebrauch unserer herrlichen Sprache verdankt, wie der Vornehme und Reiche, der sich des höheren Genusses des

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Lebens erfreut und mit hellerem Geiste erkennt, wie alles Gute und Schöne nur bei Unabhängigkeit und dem Zusammenwirken des Volks zu gedeihen vermag!«10

Die Subskription stellte zwar ein Integrationsinstrument der bürgerlichen Gesellschaft dar. Jeder sollte unabhängig von seiner sozialen Stellung, seines Geschlechts oder seiner räumlichen und konfessionellen Zugehörigkeit teilnehmen können. Die sozialen Differenzen wurden jedoch nicht aufgehoben, sondern als Strukturprinzip der bürgerlichen Gesellschaft verstanden und legitimiert. »Der Detmolder Hauptverein hat bereits an 30 Verzeichnisse der Unterzeichnung drucken lassen, deren buntes Gemisch ein höchst erfreuliches, man kann sagen wahrhaft rührendes ist; denn mitten unter den größten, ja glänzendsten Gaben steht auch das Scherflein der Witwe, die Beisteuer des ärmsten Arbeiters.«11

Die folgende Analyse der Spendenlisten für Frankreich und Deutschland zeigt, daß sich in der Subskription beider Länder soziale und räumliche Differenzierungen niederschlugen und sich die Subskriptionsbewegungen als zugleich symbolisches Integrations- und Distinktionsinstrument der bürgerlichen Gesellschaft darstellten. Den Organisatoren der Subskriptionsbewegungen war offensichtlich daran gelegen, alle sozialen Gruppen zu beteiligen und einen allgemeinen Vertretungsanspruch der Gesellschaft zu dokumentieren. Die Subskription bot jedoch zugleich die Möglichkeit, die besondere Stellung einzelner Gruppen in der Gesellschaft hervorzuheben und ihren Anteil an der Bewegung und in der Gesellschaft zu unterstreichen. Sie stellte ein geeignetes Mittel dar, den Anspruch des Bürgertums, die Gesamtheit der Bevölkerung zu vertreten, umzusetzen, ohne allerdings unterbürgerliche Schichten zu mobilisieren und dadurch soziale Angst zu provozieren. Der emphatische Anspruch der Subskriptionsbewegungen, durch ihre Existenz und ihren Erfolg die Nation zu kreieren und festzuschreiben, muß allerdings in einem zentralen Punkt revidiert werden. Anspruch und Realität der Subskription klafften auseinander. Es ist ausgesprochen fraglich, ob sich in der Subskription tatsächlich eine grundsätzliche Zustimmung der Individuen zur Nation niederschlug oder sich an der Beteiligung an einer Subskriptionsbewegung sogar politische Einstellungen ablesen lassen. Zwar sollte die Beteiligung breiter Kreise der Bevölkerung die allgemeine Zustimmung zur Nation dokumentieren und die Existenz der Nation beweisen. Jedoch muß in Frage gestellt werden, inwieweit die Subskription diesem Anspruch in der Praxis entsprechen konnte. »Jahraus jahrein sieht man Herren mit weißen Handschuhen und weißen Krawatten herumgehen«, beschwerte sich 1869 der Literat Ferdinand Kürnberger über die bürgerlichen Herren, die dem »Terrorismus des Denkmals-Bettels« nachgingen. 12 138

Wenn auch auf eine einmalige und singulare Subskription der oben beschriebene symbolische und emphatische Anspruch zutraf, gestaltete sich die Häufung von Subskriptionsaufforderungen offenbar zu einer Plage. Obwohl die Akademie von Clermont-Ferrand zum Beispiel selbst eine Subskription für ihr Vercingetorixdenkmal veranstaltete, sah sie sich mehrmals gezwungen, Aufforderungen von >Mitbrüdern< aus anderen französischen Städten zurückzuweisen, weil ihr die nötigen Mittel fehlten. 13 Da in Frankreich und Deutschland jede größere und kleinere Stadt oder Region ihre Denkmäler durch nationale Subskriptionen zu errichten suchte, sah sich das bürgerliche Publikum ständig mit Aufforderungen zu Spenden und zwar mit einem standesgemäßen Beitrag - konfrontiert, denen es, aufgrund der sozialen Kontrolle über die gedruckten Spendenlisten, nur mit trifftigen Gründen ausweichen konnte. »Sollte der Betrag dieser Subskription vielleicht weit hinter der von dem Verein gehegten Erwartung zurückbleiben«, entschuldigte sich 1842 der sächsische Kreisdirektor v. Merbach beim Verein für das Hermannsdenkmal in Detmold für das spärliche Resultat seiner Bemühungen - und wie er taten es viele andere - , »so bitte ich zu berücksichtigen, daß hier zu Lande schon seit Jahren die Aufforderungen zu Sammlungen für Ehrenbezeichnungen, Denkmäler, Jubelfeste, Wohltätigkeitszwekke, Brandverunglückte und andere Kalamitäten, so wie für Vereine aller Art kein Ende nehmen, hier durch das Publikum in der Tat endlich ermüdet, auch zum Teil außer Stande gesetzt wird, sich für auswärtige, dem einzelnen entfernter liegende [sie] Unterzeichnungen auf gleiche Weise zu interessieren.«14

Beiträge zu Subskriptionen wurden daher höchstens in Ausnahmefällen aus freien Stücken und aus einer spontanen Zustimmung zum Zweck der Sammlung gegeben. Sie mußten vielmehr von den Vereinen und den Sammlern, die selbst, wie oben bereits gezeigt wurde, persönlich verpflichtet wurden, unter Aufwendung von Überzeugungskraft und Ausnutzung von persönlichen Beziehungen und Abhängigkeiten schwer erarbeitet werden.15 Der enthusiastische Ton der Aufrufe und der Aufforderungen zur Spende entsprach keineswegs der Aufnahme beim bürgerlichen Publikum. Nimmt man diese Tatsache ernst, so deuten die gedruckten Subskriptionslisten nicht ohne weiteres auf die Verbreitung nationaler Überzeugungen oder gar eine politische Organisierung der Teilnehmenden hin.16 Nicht die nationale Überzeugung allein gab den Ausschlag zur Beteiligung an den Subskriptionen in Deutschland und Frankreich, sondern die soziale Stellung des einzelnen innerhalb der lokalen Gesellschaft oder die konkreten Kontakte des Spenders zu dem ihn bittenden oder gar bedrängenden Sammler. Bei der folgenden statistischen Analyse der Spendenlisten steht die These im Vordergrund, daß die Beteiligung an der Subskription nicht primär als Indikator der sozialen oder räumlichen Verbreitung einer ihrer 139

sozialen Träger entkleideten nationalen Ideologie oder gar liberalen Idee im 19. Jahrhundert interpretiert werden kann, sondern Auskunft gibt über die Einbettung der Individuen in die sozialen Beziehungen innerhalb der bürgerlichen Gruppen, über ihre In- und Exklusionsmechanismen. Die Analyse der Subskriptionslisten öffnet den Blick auf die Netzwerke der Kommunikation, auf die Träger, Multiplikatoren und Strukturen der sozialen Beziehungen in der französischen und deutschen bürgerlichen Gesellschaft. Außer nationalen oder gar politischen Überzeugungen gab es viele andere Gründe, seinen Beitrag zum Denkmalsbau zu geben.

3.1. Subskription fiir das Hermannsdenkmal 1 8 3 8 - 1 8 4 3 und 1 8 6 2 - 1 8 7 1 Nationale Subskriptionen des Vormärz gelten seit den Studien von Cornelia Foerster und Christoph Hauser als Indikatoren für die Entstehung der modernen Parteiorganisationen des deutschen Liberalismus in der »Übergangsphase zwischen dem vorpolitischen Vereinswesen und dem institutionalisierten Parteiensystem«, als »organisierte Massenbewegungen«, als »Anfange bürgerlicher Organisation«, als »Protoform einer Parteiorganisation«, oder gar als »Archetyp[en] des modernen Parteiwesens«, kurz als Kryptoparteien.17 Beide Autoren vertreten die These, daß sich in den Subskriptionsbewegungen ein Wandel von einem rein geselligen Vereinswesen hin zur parteimäßigen Organisation des Liberalismus vollzog. Als Belege fuhren sie an, daß die Bewegungen sich nach demokratischen Prinzipien politischer Willensbildung und Zusammenarbeit organisierten, daß sie sich auf eine moderne intensive Öffentlichkeitsarbeit stützten und daß sich in ihnen neue Formen der staatenübergreifenden Organisation über einen längeren Zeitraum beobachten lassen. Als zentrales, und wohl wichtigstes Argument heben sie schießlich hervor, daß es den Bewegungen gelang, eine Massenbasis und regionale Mobilisierung von bis dahin unbekannter Intensität und Ausweitung zu erreichen, die Bürgertum, städtische Handwerkerschaft sowie unterbürgerliche und -bäuerliche Schichten einschloß. Auch wenn die Exklusivität der bürgerlichen Vereine im krassen Gegensatz zur deklarierten Offenheit der Subskriptionsbewegungen stand und das Bürgertum in den Bewegungen selbst als führende soziale Gruppe auftrat, belegten die nationalen Bewegungen - so wird argumentiert doch die Bemühungen um die schrittweise Integration unterbürgerlicher Schichten in die bürgerliche Gesellschaft und die Ausdehnung des Liberalismus zur Massenbewegung. Damit wurde weniger der klassenbildende als der klassenübergreifende Charakter der Bewegungen in den Blick genom140

men und die Frage der Vergesellschaftung des Bürgertums, das sich - vor allem nach unten - kulturell und sozial deutlich abgrenzte, weitgehend ausgeklammert. Auch wenn es sich bei den bisher erforschten Subskriptionsbewegungen um süddeutsche Beispiele handelte und etwa Theodor Schieder zu recht vor allzuschnellen Übertragungen des süddeutschen Falles auf ganz Deutschland warnte, 18 ließe sich mit der Hermannsdenkmalsbewegung, wollte man dem methodischen Vorgehen und der Argumentationsweise der zitierten Studien folgen, durchaus ein norddeutsches, wenn auch nicht preußisches Beispiel für die These der Nationalbewegung als Kryptopartei anfuhren. Die Subskriptionsbewegung für das Hermannsdenkmal der Jahre 1 8 3 8 bis 1843 und 1862 bis 1871 erfüllte auf den ersten Blick alle genannten Kriterien der Parteienbildung. Innerhalb kürzester Zeit gelang es dem Verein für das Hermannsdenkmal, eine staatenübergreifende Subskriptionsbewegung aufzubauen, die nahezu flächendeckend alle deutschen Staaten erfaßte, mehrere Jahre hindurch Bestand hatte und im Vormärz weit mehr als 17.000 und in den 60er Jahren mehr als 3 . 0 0 0 individuelle Spender mobilisierte, 19 die über ein Netz von Vereinen, Zweigvereinen und individuellen Multiplikatoren untereinander verbunden waren. Ahnlich wie ihre Vorgängerinnen stützte sich die Bewegung auf das Mittel der modernen Öffentlichkeitsarbeit. Über Aufrufe in zahlreichen deutschen Zeitungen, Flugschriften und eine intensiv geführte persönliche Korrespondenz, die allein von Detmold aus mehr als 1.500 Briefe umfaßte, 20 wurde die Bewegung für das Hermannsdenkmal allgemein bekannt. Die soziale Basis der Hermannsdenkmalsbewegung scheint auch die These der Massenbewegung zu stützen. Aus den im Detmolder »Lippischen Magazin für vaterländische Kultur und Gemeinwohl« 1838 bis 1841 und im »Fürstlich-Lippischen Regierungs- und Anzeigeblatt« sowie in mehreren Hannoveraner Zeitungen 1862 bis 1871 veröffendichten Spendenlisten21 lassen sich für den Vormärz 15.496 2 2 und für die 1860er Jahre 3.165 Spender ermitteln, die mit Angabe ihrer Berufsbezeichnung aufgeführt wurden. Es scheint, daß die Subskriptionslisten in ihrer Dokumentation für die soziale Stellung der Spender durchaus repräsentativ sind. Da es gerade auch darum ging zu beweisen, daß alle Schichten der Bevölkerung die Denkmalsbewegung trugen, dürften die Eintragungen in die Listen nicht durch einen sozialen Filter verzerrt worden sein. Gefiltert wurde bei der Aufforderung und in der Kommunikation der bürgerlichen Gesellschaft, nicht jedoch bei der Eintragung der Spender in die Listen. 23 Betrachtet man zunächst die soziale Zusammensetzung der Spender der ersten Subskriptionsbewegung 1 8 3 8 bis 1843 (Tab. 3 und 4 ) , so läßt sich festhalten, daß nur etwa ein Drittel (34,9%) aufgrund ihres Berufs dem 141

Bürgertum zugerechnet werden. Die Mitglieder des Bildungsbürgertums übertrafen in ihrer Beteiligung mit 27,7 Prozent deutlich das Wirtschaftsbürgertum der Kaufleute und Fabrikanten, die jedoch mit mehr als tausend Subskribenten (7,2%) nach den hohen Beamten die größte beteiligte bürgerliche Gruppe stellten. Zählt man noch die Gymnasiasten (5,7%) zu der Gruppe der bürgerlichen Subskribenten hinzu, so erreichte der bürgerliche Anteil an der Subskriptionsgemeinschaft insgesamt nur 40,6 Prozent. Entsprechend ihrer großen Bedeutung in der Vereinsbewegung für das Hermannsdenkmal stellten die hohen Beamten und Amtsträger mit insgesamt 2.282 Spendern (14,7%) den höchsten Anteil der bildungsbürgerlichen Spender, gefolgt von protestantischen und katholischen Geistlichen (6,2%), den Angehörigen der freien Berufe (3,3%) sowie den Gymnasialrektoren und -professoren (1,8%). Nahezu sechzig Prozent der Spender für das Hermannsdenkmal gehörten nicht- oder unterbürgerlichen Schichten an. Der Anspruch der Bewegung, alle Bevölkerungsgruppen an der Bewegung zu beteiligen, scheint durchaus - wenn auch nicht proportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung insgesamt24 - eingelöst worden zu sein. Sieht man ab von den Spendern aus Militär (5,4%) und hohem Adel (0,7%), sowie von den Gutsbesitzern (1,9%), den traditionellen Eliten, die mit insgesamt fast acht Prozent überproportional stark beteiligt waren, so fällt der Anteil von städtischen und ländlichen unterbürgerlichen Schichten an der Bewegung mit nahezu fünfzig Prozent deutlich ins Gewicht. Die Gruppe der kleinen Beamten, Amtsträger, Angestellten, Lehrer und Küster und sonstigen Berufe stellte 1972 Spender (12,7%). Gemeinsam war den Angehörigen dieser kleinbürgerlichen Berufe, daß sie über einen, wenn auch nur begrenzten Zugang zu Bildung verfugten und über ihre beruflichen Kontakte zum Bildungsbürgertum den bürgerlichen, städtischen Gruppen noch relativ nahe standen, wenn ihnen auch der Zugang zum Arkanbereich bürgerlicher Kultur und Geselligkeit weitgehend versperrt blieb. Aber auch andere kleinbürgerliche Berufe, wie Handwerker, Gastwirte und kleine Gewerbetreibende sowie, wenn auch nur in sehr geringer Zahl, Schutzjuden (0,1%), waren an der Subskription mit insgesamt 9,6 Prozent beteiligt.25 Zusammen mit den Schülern (5,2%) und Schülerinnen (2,3%), die stellvertretend für ihre Väter in den Schulen ihren Beitrag wohl kaum aus eigenen Mitteln beisteuerten, war diese Gruppe wahrscheinlich noch etwas größer. Arbeiter und Gesellen beteiligten sich hingegen nur äußerst wenig (0,2%). Besonders auffällig - vor allem im Vergleich mit anderen Subskriptionsbewegungen 26 - ist die Beteiligung der ländlichen Bevölkerung. Die Anzahl der Spender aus bäuerlichen und unterbäuerlichen Gruppen übertraf mit insgesamt 16,9 Prozent deutlich die aus dem gewerblichen Kleinbürgertum. Stellten auch die Vollbauern (12,6%) die größte Gruppe, so spendeten auch Kleinbauern (2,4%) und sogar Tagelöh142

ner und Einlieger (1,9%) in den Jahren 1838 bis 1843 für das Hermannsdenkmal. Am geringsten - gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung - waren Frauen an der Subskriptionsbewegung beteiligt. Nur drei Prozent der individuellen Beiträge zum Hermannsdenkmal wurden von Frauen gestellt. Rechnet man die Beiträge der Schülerinnen von Elementar- (2,3%) und Töchterschulen (0,3%) hinzu, so erreichte die Beteiligung des weiblichen Geschlechts gerade 5,6 Prozent. Die Beiträge von Frauen entstammten wie die der Männer allen sozialen Schichten (Tab. 5), wobei jedoch der Anteil der bürgerlichen Frauen (25,8%) niedriger lag als der ihrer Ehemänner. Wenn bürgerliche Frauen beteiligt waren, so weniger durch einen Geldbetrag als durch Handarbeiten und Lotterien. 27 Ein Fünftel der an der Subskription beteiligten Frauen gehörte dem Adel an oder war mit einem Militärangehörigen verheiratet. Offenbar verfugten die Frauen dieser Kreise über mehr Autonomie als die bürgerlichen Frauen, da sie häufiger unabhängig von Vätern und Ehemännern und außerhalb der hierarchischen Spenden ganzer Familien von den Sammlern erreicht wurden und eigenständig über Geld verfügten. Aber auch Ehefrauen von Kleinbürgern (9,1%), von Bauern (13,1%) und Frauen aus den Unterschichten beteiligten sich, wenn auch nur sehr gering, an der Subskription. Besonders auffällig ist die hohe Zahl der Witwen (25,8%) unter den Spenderinnen. Der Mann repräsentierte in der bürgerlichen Logik als Ehemann und Vater mit seiner Spende und seinem Namen auf der Subskriptionsliste die ganze Familie. Vornehmlich in den Fällen, in denen der männliche Haushaltsvorstand fehlte, fiel der Frau die Rolle der Vertreterin des Haushaltes zu, und sie konnte die Familie in der Öffentlichkeit vertreten. In einigen Fällen trat jedoch die gesamte Familie oder gar der ganze Haushalt in der Subskription öffentlich hervor. So ließ zum Beispiel der Salzufler Apotheker sowie Hof- und Medizinalrat Brandes, der gleichzeitig Mitherausgeber des »Lippischen Magazins« und ein enger Freund des Detmolder Vereinsmitglieds Petri war, seine Frau, seine Kinder und sogar die Gehilfen und Schüler seiner Apotheke unterzeichnen. Die hierarchische, paternalistische Struktur des Haushaltes bildete sich in der Höhe der individuellen Beiträge ab und läßt sogar vermuten, daß der Beitrag, der im Fall der Kinder, Gehilfen und Schüler nur kollektiv ausgewiesen war, letztlich von Brandes stellvertretend für die Haushaltsmitglieder gespendet wurde. Während der Familienvorstand sich mit fünf Reichstalern hervorhob, entfielen auf seine Ehefrau zwei Reichstaler und auf seine drei Kinder zusammen ein Reichstaler 18 Groschen. Die gleiche Summe wurde schließlich auch für seine drei Gehilfen und Schüler vermerkt.28 Noch deutlicher trat die Stellung des männlichen Familienoberhaupts als öffentlicher Vertreter der Familie im Fall des Bürgermeisters der Stadt Lage, Reuter, 143

hervor. Aufgrund seiner öffentlichen Stellung in der kleinen lippischen Stadt führte er die städtische Subskriptionsliste an. Ihm folgten in hierarchischer Reihenfolge und Abstufung in der Höhe des Beitrages zunächst der zweite Bürgermeister, und dann die Rats-, Wahl- und Feuerherren, die Deputierten sowie der Syndikus der Stadt. Erst in der zweiten Hälfte der Liste, in der die Bürgerschaft der Stadt aufgeführt wurde, befanden sich schließlich die Mitglieder des Reuterschen Haushaltes: seine Ehefrau (5 Reichstaler), sein Sohn (2 Reichstaler), die »Haushälterin beim Bürgern. Reuter« (6 Groschen) sowie der »Knecht bei demselben« und die »Magd bei diesem« (jeweils 3 Groschen).29 Die Subskription erfüllte in diesem Fall eindeutig die Funktion, den Status des Bürgermeisters abzubilden und spiegelte sehr anschaulich den Darstellungs- und Repräsentationszwang innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wider, dem er unterlag und aus dem die Subskription in weiten Teilen ihren Erfolg zog. Während der Bürgermeister und Familienvater zunächst in seiner öffentlichen Funktion auftrat, dokumentierte die Teilnahme der Familie seine Rolle als Vorstand eines - standesgemäßen - bürgerlichen Haushaltes, der über drei Dienstpersonen verfugte. Die angeführten Beispiele, die durchaus keinen Einzelfall darstellten, belegen außerdem, daß auch die Subskription, obwohl Frauen begrenzt an ihr teilhaben konnten, das bürgerliche Ideal einer Trennung von männlicher Öffentlichkeit und weiblicher Privatsphäre abbildete. Darüber hinaus weisen diese Fälle auf ein grundsätzliches Problem der rein statistischen Auswertung von Subskriptionslisten als Indikatoren für die Beteiligung sozialer Schichten an Nationalbewegungen hin. Auch wenn der Bürgermeister Reuter wahrscheinlich grundsätzlich der Errichtung des Hermannsdenkmals positiv gegenüberstand und sie enthusiastisch begrüßte, so trug er seine Spende nicht nur aus individueller Überzeugung bei, sondern - dies beweist sowohl seine Stellung auf der Liste als auch seine Beitragshöhe von fünf Reichstalern - aufgrund seiner öffendichen Stellung in der lippischen Kleinstadt. Als Vertreter der Lager Bürgerschaft fühlte er sich genötigt, einen standesgemäßen Beitrag zu spenden. Aber auch für seine Familie und sein Dienstpersonal stellte sich überhaupt erst die Möglichkeit und Verpflichtung zu unterschreiben, weil sie dem Haushalt des Bürgermeisters angehörten. Die Haushälterin oder das Gesinde eines Elberfelder Kaufmanns zum Beispiel liefen weit weniger Gefahr, um einen Beitrag zum Hermannsdenkmal angegangen zu werden. Im Falle einer Subskription für ein Denkmal des Elberfelder Kaufmanns und Literaten Freiligrath wäre das hingegen wahrscheinlicher gewesen.30 Soziale und regionale oder lokale Beziehungen und Verpflichtungen spielten offensichtlich eine vorrangige Rolle bei der Beteiligung an der Subskription und müssen daher in die Analyse einfließen. Eine rein statisti144

sehe Auswertung gibt keinerlei Auskunft über die soziale Basis von nationalen oder politischen Bewegungen oder Inhalten. Damit wird auch die These der Subskription als Kryptopartei grundsätzlich fraglich. Bevor die rein statistisch gewonnene Aussage, daß zum Beispiel 16,9 Prozent der Teilnehmer an der Subskriptionsbewegung der ländlichen Bevölkerung angehörten, auf ihre Bedeutung hin analysiert werden kann, muß geklärt werden, auf welchem Wege und aufgrund welcher Beziehungen oder gar Verpflichtungen sie teilnahmen. Dafür muß das Kommunikationsnetz der Bewegung sowohl sozial als auch räumlich rekonstruiert werden. Betrachtet man zu diesem Zweck die Subskriptionslisten zunächst im Hinblick auf die räumliche Verteilung der Spender, so treten deutliche regionale Unterschiede auf, die hier entsprechend der Hypothese nicht nach sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Kriterien oder regionalen Besonderheiten erklärt werden sollen. Es soll hingegen versucht werden, sie auf unterschiedliche Kommunikationsstrukturen und Beziehungsgeflechte der bürgerlichen Gesellschaft zurückzufuhren.

3 . 1 . 1 . Regionale Ausdehnung Der Anspruch des Hermannsdenkmalsvereins in Detmold, eine nationale Subskription zu veranstalten, also alle Gebiete des deutschen Bundes zu erfassen, ist tatsächlich eingelöst worden. Aus nahezu allen deutschen Staaten und sogar aus dem Ausland flössen die Spenden nach Detmold. Das Spendenaufkommen gestaltete sich jedoch regional sehr unterschiedlich (Tab. 6). Fünf Staaten, Lippe, Hannover, Preußen, Bayern und Mecklenburg-Schwerin, stellten in der ersten Phase von 1838 bis 1843 zusammen über neunzig Prozent der (bekannten) Spender für das Hermannsdenkmal. Die freien Städte beteiligten sich mit 1,5 Prozent, die restlichen deutschen Staaten mit 5,8 Prozent und das Ausland mit einem Prozent an der Subskription. Abgesehen von 1865 bayerischen Spendern (11%) konzentrierte sich die Subskriptionsbewegung vor allem auf den Norden Deutschlands und unterstrich erneut das Kommunikationsgefälle zwischen Nordund Süddeutschland. Die räumliche Nähe spielte offenbar eine gewichtige - wenn auch, wie die relativ hohe Spenderdichte im Fall Bayerns und Mecklenburg-Schwerins (7,3%) belegt, keine ausschlaggebende - Rolle für die Beteiligung an der Subskription. So kamen allein 33,8 Prozent der Spender für das Hermannsdenkmal aus dem Kleinstaat Lippe, 2 4 , 6 Prozent aus dem nahen Königreich Hannover. 15 Prozent der Spender schließlich wohnten in den preußischen Staaten, von denen die Lippe benachbarten Gebiete, Westfalen und die Rheinprovinz, allein die Hälfte der preußischen 145

Spender stellten. Insgesamt läßt sich ein West-Ostgefälle in der preußischen Beteiligung festmachen.31 Da jedoch einige Staaten oder Regionen, wie z.B. Österreich, aber auch Bayern und die ostpreußischen Provinzen, ein hohes Maß an nicht individuell ausgewiesenen Spenden nach Detmold sandten, die nicht in die Statistik eingeflossen sind, können die genannten Werte zunächst nur als erster Indikator fiir regionale Unterschiede in der Beteiligung an der Subskription gelten. Außerdem müssen die Größe der Staaten und ihre Bevölkerungszahlen einbezogen werden, um die Rolle der kleineren Staaten an der Subskriptionsbewegung hinreichend würdigen zu können. Der durchschnittliche Spendenbetrag pro Kopf der Bevölkerung32 (Tab. 7) bestätigt weitgehend die bereits genannte Dominanz norddeutscher Staaten, akzentuiert jedoch die Ergebnisse. Außer in Bayern mit einem relativ hohen Pro-Kopf-Beitrag, der bei umgerechnet 0,2 lippischen Pfennig pro Einwohner lag, war die Beteiligung in den Staaten südlich des Mains ausgesprochen gering. Während in Württemberg zwischen 1838 und 1843 kein einziger Beitrag zum Hermannsdenkmal gespendet wurde, war auch das Aufkommen in Baden und in Österreich mit 0,01 Pfennigen pro Einwohner ausgesprochen niedrig und befand sich zusammen mit den preußischen Provinzen Posen und Schlesien am unteren Ende der Skala. Die kleinen Staaten wie Sachsen, Braunschweig, die beiden Hessen, Nassau, Luxemburg, die Thüringischen und Anhaltischen Staaten sowie die preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg, Schlesien, Pommern, Ostund Westpreußen und die Rheinprovinz lagen in ihrer Beteiligung leicht höher, blieben jedoch mit ihrem Betrag unterhalb von 0,1 Pfennig pro Einwohner oder nur knapp darüber. Holstein beteiligte sich gar nicht33 und Oldenburg ähnlich wie die mitteldeutschen Staaten. Das Spendenaufkommen in Lippe lag mit mehr als 12 Pfennig (2 Groschen) pro Kopf der Bevölkerung einsam an der Spitze. Wenn man bedenkt, daß lippische Schüler und Schülerinnen durchschnittlich zwei bis drei Groschen für das Hermannsdenkmal spendeten, ist dieses Pro-KopfAufkommen erstaunlich hoch. Die anderen norddeutschen Staaten blieben weit dahinter zurück. Hannover, Mecklenburg und Schaumburg-Lippe, die Staaten mit der zweithöchsten Teilnahme, erreichten gerade ein Dreißigstel dieses Betrags. Daneben stach noch Westfalen, die Lippe am nächsten gelegene preußische Provinz, hervor, die fast 0,2 Pfennig pro Einwohner beitrug. Die Beteiligung konzentrierte sich demnach um den lippischen Staat herum. Darüber hinaus zeigten sich die freien Städte, allen voran Bremen (2,5 Pfennig) und Frankfurt (1,4 Pfennig), aber auch Hamburg (0,5) und Lübeck (0,3 Pfennig) als recht spendenfreudig. Das zeigt, daß Subskriptionsbewegungen und bürgerliche Kommunikationswege sich vor allem im städtischen Raum entwickelten. 146

Für den zweiten Spendenschub zwischen 1862 bis 1871 gibt es keine detaillierten Aufstellungen über die regionale Verteilung der Spender, und auch die Spendenlisten sind in dieser Hinsicht relativ ungenau. Deshalb läßt sich eine exakte regionale Analyse für diesen Zeitraum nicht durchführen. Aufgrund der Streitigkeiten zwischen dem Erbauer des Hermannsdenkmals, Ernst von Bändel, und dem Verein in Detmold übernahm der Verein für das Hermannsdenkmal in Hannover die Geschäfte des Zentralvereins und knüpfte von dort aus die nationalen Kontakte für die Subskription.34 Daneben agierten die Vereine in Bielefeld, Hamburg und Berlin. Der Detmolder Verein beschränkte sich dagegen fast ausschließlich auf eine einmalige Subskription in den Jahren 1862 und 1863 im Fürstentum Lippe. In diesen ersten beiden Jahren stellte Lippe erneut ein Viertel des Spendenaufkommens (25,2%) für das Hermannsdenkmal (Tab. 8). Der Verein in Hannover brachte als Ergebnis der nationalen Subskription dagegen nur etwa das doppelte des lippischen Beitrags (56,7%) bei, und von den restlichen Vereinen und einzelnen Privatpersonen, die zum Teil mit dem Detmolder Verein in Kontakt standen, kamen 18,1 Prozent der Spenden. In den Jahren 1863 bis 1871 beschränkte sich die Subskription - neben einer einmaligen Sammlung des Hermannsvereins Hamburg - vollständig auf den Hannoveraner Verein. Es gelang ihm jedoch binnen acht Jahren nur, etwa die gleiche Summe einzubringen, die in den vorausgegangenen Jahren insgesamt von Privatpersonen gespendet worden war, so daß das Fürstentum Lippe, auf den Gesamtzeitraum gerechnet, durch eine nur zweijährige Sammlungsaktion immer noch mehr als 12 Prozent der insgesamt in diesem Zeitraum für das Hermannsdenkmal gespendeten Summe stellte (Tab. 9). Darüber hinaus konzentrierten sich die Spenden von Privatpersonen vor allem auf den norddeutschen Raum und auf die dem Denkmal naheliegenden Städte. Die höchsten Ergebnisse der einzelnen Sammlungen wurden, neben Hannover und Detmold, z.B. in den Jahren 1862 und 1863 in Bielefeld und Berlin, sowie in Lippstadt, Herford, Vlotho und Gütersloh erzielt. Südlich von Frankfurt spendeten in dieser Zeit offensichtlich überhaupt keine Privatpersonen für das Hermannsdenkmal. All dies läßt auch für die zweite Subskriptionsbewegung eine ausgesprochen ungleiche regionale Verteilung der Spenden vermuten. Offenbar hing das Engagement für das Hermannsdenkmal nicht so sehr von nationalem Eifer ab, sondern wurde durch andere Faktoren gesteuert. Im folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, die unterschiedliche Verteilung der Spender durch die Beziehungsnetze und Kommunikationsstrukturen zu erklären, in welche die Vereine, Sammler und Spender innerhalb der verschiedenen deutschen Staaten und untereinander eingebunden waren.

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3.1.2. Kommunikationsstrukturen Vergleicht man die regionale Verteilung der Spender in den Jahren des Vormärz mit den Vereinsgründungen, die von Detmold aus zugunsten des Hermannsdenkmals in anderen deutschen Städten initiiert worden waren, läßt sich erwartungsgemäß eine deutliche Übereinstimmung von hohem Spendenaufkommen und der Existenz von Vereinen in diesen Regionen feststellen. Auch die Zahl der Vereinsgründungen nahm mit der Entfernung von Detmold ab. Ähnlich wie bei den Vereinsgründungen geschildert, hing auch die Ausdehnung der Subskription von der Intensität persönlicher Beziehungen ab. Weniger die Nähe zu Detmold oder zum Hermannsdenkmal überzeugten die einzelnen zu spenden, sondern die Initiative und der Einsatz der einzelnen Vereine bestimmte über das Ausmaß der Beteiligung. Indem die Vereine, die näher an Detmold gelegen waren, in der Regel eine nähere Beziehung zum Hermannsdenkmalsverein und seinen Mitgliedern hatten, engagierten sie sich um so mehr für den Verein und seine Ziele. Vor allem die jeweils von den Vereinen eingeschlagenen Kommunikationswege entschieden aber über die Verbreitung der Bewegung. In den Fällen, in denen sich die Vereine darauf beschränkten, Aufrufe in den Zeitungen zu veröffentlichen oder die Spendenlisten an öffentlichen Orten, wie Buchhandlungen, Gaststätten oder Vereinslokalen auszulegen, blieb der Erfolg der Subskription aus. Bereits 1838 wußte der Verein in Detmold zu berichten, »daß das Auslegen der Subskriptionslisten an öffentlichen Orten, da, wo die Vereine sich darauf beschränkt haben, jedesmal nur von geringem Erfolg gewesen ist, dagegen aber das Zirkulieren der Liste allenthalben, wo es geschah, wie z.B. in Hannover, Mecklenburg und Bayern, die bereitwilligste und zahlreichste Teilnahme herbeiführte.« 35

In der Tat waren in allen Staaten, in denen eine überdurchschnittliche Beteiligung an der Subskription zu verzeichnen war, die Vereine für das Hermannsdenkmal nicht nur mit Aufrufen an die Öffentlichkeit getreten, oder hatten sich »auf hiesige Stadt und einige Freunde und Bekannte der Umgebung« beschränkt, wie es die meisten der von Detmold aufgeforderten Vereine und Privatpersonen taten. Vor allem die Vereine in Hannover, Paderborn, München und Schwerin wirkten nicht nur als Sammler von individuellen Spenden, sondern fungierten als Multiplikatoren der Kommunikation. In Haussammlungen in ihren Städten verpflichteten sie individuell angesprochene Personen, oder sie wandten sich in persönlichen Anschreiben an ihnen bekannte Männer in anderen Städten ihrer Einzel148

Staaten.36 Auf diese Weise wurden die Zahl der persönlich involvierten Personen multipliziert und Beziehungsnetze erschlossen, die dem Detmolder Verein nicht offenstanden. In einem Brief an den Paderborner Verein für das Hermannsdenkmal drückte der Detmolder Verein seinen doppelten Dank für das Paderborner Engagement aus, »zuerst für die Beiträge und dann für die Bahn, die Sie uns durch ihre Aufforderungen und Ausschreibungen gebrochen haben. Die meisten ihrer Aufforderungen sind aus Quellen geflossen, welche uns von hier ganz unzugänglich sein würden.« 37

Die Subskription funktionierte einem »Schneeballsystem« entsprechend, das die nationale Bewegung vor allem als ein Netz von persönlichen Kontakten und Beziehungen bürgerlicher Gruppen und typisch bürgerlicher Kommunikationsmittel und -wege gestaltete. Außer der persönlichen Korrespondenz, die in der Regel zwischen sozial gleichen vonstatten ging, waren bürgerliche Treffpunkte wie gesellige Vereine, Festmahle, Konzerte u.ä. besonders beliebte Orte der Subskription, an denen die Sammler die potentiellen Spender nicht nur persönlich antreffen und auffordern konnten, sondern an denen wohl auch die gegenseitige soziale Kontrolle die Spendenfreudigkeit erhöhte. Darüber hinaus boten die bürgerlichen Kulturveranstaltungen auch Möglichkeiten, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. So jedenfalls sah es das Hannoveraner Vereinsmitglied Heise nach einem Konzert der dortigen Liedertafel und eines anschließenden Soupers, die zugunsten des Hermannsdenkmals stattfanden. »Wenigstens finde ich, daß es höchst angenehm ist, für einen so rühmlichen Zweck noch einen so trefflichen Genuß im Kauf zu bekommen.« 38 Entging jeder Bürger individuell gern der Verpflichtung zu spenden, wenn er sich anonymen Aufrufen konfrontiert sah, so war es offenbar weit schwieriger, sich in der Öffendichkeit dieser sozialen Verpflichtung zu entziehen und sich damit sichtbar als nicht für die nationale Angelegenheit engagiert zu erkennen zu geben. Diese bürgerlichen Kontaktwege funktionierten fast ausschließlich auf der lokalen und regionalen Ebene. Die einzelnen Vereine für das Hermannsdenkmal sahen ihre Zuständigkeit in der Regel als ausschließlich auf ihren Staat begrenzt an. Außer den nationalen Kontakten des Detmolder Vereins - und in den 1860er Jahren des Hannoveraner Vereins - , für die er vor allem persönliche, freundschaftliche, verwandtschaftliche, kollegiale und landsmannschaftliche Kontakte benutzte, brach die nationale Subskription in zahlreiche regionale Spendenaktionen auseinander. Subskriptionen, die zwischen Sammlern und Spendern territorialstaatliche Grenzen überschritten, waren ausgesprochen rar, und beschränkten sich ausschließlich auf Kontakte zwischen Detmolder oder Lipper Bürgern und deren Freunde und Verwandte in anderen deutschen Staaten. Normalerweise 149

beruhte die Subskription - auch wenn sich die Vereine des Mittels der brieflichen Korrespondenz bedienten - auf bereits bestehenden sozialen Kontakten zwischen Sammlern und Spendern einer Stadt oder eines Territorialstaates und blieb jeweils auf die Einwohner dieser Stadt oder Region beschränkt. Das belegt einmal mehr die soziale Wirklichkeit regionaler und einzelstaatlicher Schranken in der nationalen Gemeinschaft. Das vielbenutzte Argument in territorialstaatlichen Spendenaufrufen, daß der einzelne Staat nicht hinter der nationalen Bewegung zurück bleiben dürfe oder daß das Denkmal gerade für den eigenen Staat eine besondere Bedeutung habe, macht die Annahme plausibel, daß es häufig weniger nationale, sondern vielmehr lokale, regionale und einzelstaatliche Motive, Verpflichtungen und Beziehungen waren, die die einzelnen dazu bewogen, für das Nationaldenkmal zu spenden. Wenn der Verein für das Hermannsdenkmal seine Rechenschaftsberichte nach regionalen Kriterien ordnete und das Spendenaufkommen nach Staaten getrennt anführte, so tat er dies wahrscheinlich, um den nationalen Erfolg der Bewegung in der Teilnahme aller Staaten zu dokumentieren. Gleichzeitig jedoch verdeutlicht diese regionale Ordnung, daß die nationale Einheit keineswegs regionale Loyalitäten und soziale Beziehungen verdrängte. Regionale Grenzen in Deutschland waren mehr als nur das Produkt territorialstaatlicher, monarchischer Herrschaft, sondern reflektierten die soziale Realität bürgerlicher Kommunikation.

3.1.3. Soziale Ausdehnung Die Subskription durch persönliche Kontakte, durch Anschreiben an lokal einflußreiche Männer, durch Vereine, Feste und Konzerte band zunächst vorwiegend bürgerliche Gruppen in die Subskriptionsbewegung ein und beschränkte die Kommunikation auf ein die städtische Bevölkerung integrierendes Netz sozialer Beziehungen. Die Tabellen 10 bis 15, in denen die soziale Verteilung der Subskribenten von 1838 bis 1843 nach Regionen (Lippe, Hannover, Bayern, Preußen sowie die restlichen deutschen und ausländischen Staaten) getrennt und - soweit es möglich war - innerhalb eines Staates nach lokalen Besonderheiten (Hauptstadt, Städte und Ämter) ausgewiesen wurden, belegen diesen Sachverhalt deutlich. Tabelle 15 zeigt zunächst die Ergebnisse der Sammlungen in den Staaten39 und im Ausland, wo sich Vereine oder private Sammler darauf beschränkten, ihren unmittelbaren Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis anzusprechen, Listen an vom Bürgertum frequentierten Orten auszulegen oder zirkulieren zu lassen, bei Festen, Festmählern und kulturellen Ereignissen Kollekten zu veranstalten, in Schulen und Gymnasien zu sammeln oder - in Einzelfalle

len - Personen in benachbarten Städten anzuschreiben. Im Vergleich zu den oben angeführten Gesamtergebnissen der Subskription (Tab. 3) lassen sich entscheidende Unterschiede festmachen. Der Anteil des Bürgertums an der Subskription war in diesen Fällen deutlich höher und lag (faßt man Bildungsbürgertum, Kaufleute und Gymnasiasten zusammen) bei etwas mehr als sechzig Prozent. Während die Beteiligung des Adels und der Gutsbesitzer unverändert war, fiel die Teilnahme der hohen Militärs stärker aus (12,4%). Das erklärt sich zum einen dadurch, daß Offiziere in Garnisonsstädten an der bürgerlichen Geselligkeit teilnahmen, also in die Kommunikationsnetze der bürgerlichen Gesellschaft einbezogen waren. Zum anderen nutzten die vom Hermannsdenkmalsverein in Detmold angeschriebenen Militärangehörigen oftmals Offizierskreise, um ihre Listen zu füllen. Der Anteil von kleinen Beamten, Angestellten und ähnlichen Berufsgruppen liegt nur leicht höher als in der Gesamtrechnung. Diese nahmen offenbar einen großen Anteil an der Bewegung, da sie über ihre berufliche Tätigkeit mit hohen Beamten und Kaufleuten in direktem Kontakt standen 40 und wahrscheinlich nur schwer eine Aufforderung zur Subskription von Seiten ihres Vorgesetzten oder einer in der Beamtenhierarchie höher stehenden Person ablehnen konnten. Abgesehen von einigen Schülern - Mädchenschulen kamen hier für die Sammlung offenbar nicht in Betracht - und wenigen Handwerkern wurden unterbürgerliche Gruppen in der Stadt nicht erfaßt. Die Landbevölkerung fehlt völlig. Die bürgerlichen Kommunikationsnetze erfaßten ausschließlich den städtischen Raum und erreichten allein ein bürgerliches Publikum. Bürgerliche berufliche Kontakte und der Zugang zur bürgerlichen Geselligkeit entschieden über die Teilnahmemöglichkeit an der nationalen Subskription. So ist es auch nicht verwunderlich, daß Frauen an diesem Netz bürgerlicher Kontakte kaum teilhatten. Frauen stellten auch hier nur etwas mehr als drei Prozent der Spender. Noch deutlicher zeigt sich dieses Ergebnis in der Subskription der 1860er Jahre (Tab. 17), wenn auch hier die Zahl der individuellen Spender, die mit Angabe ihres Berufs in den Spendenlisten aufgeführt wurden, deutlich niedriger lag als im Vormärz. Drei Viertel der Spender, die von den verschiedenen Vereinen und über private Kontakte zu einer Spende veranlaßt wurden, gehörten bürgerlichen Schichten an. Der gegenüber früheren Sammlungen erstaunlich hohe Anteil von Kaufleuten und Fabrikanten (36,6%) weist weniger auf eine grundsätzlich größere Beteiligung des Wirtschaftsbürgertums an nationalen Unternehmen hin, er muß vielmehr durch die Kontakte zwischen Spendern und Sammlern erklärt werden. Mehr als die Hälfte der Kaufleute entrichtete ihren Beitrag zum Hermannsdenkmal entweder in einem Detmolder Gasthaus oder aber an der Kasse des Hermannsdenkmals, so daß diese Gruppe wohl vor allem auf151

grund ihrer höheren Mobilität in Kontakt mit den Detmolder Sammlern trat und vielleicht auch aufgrund besonderer Geschäftsbeziehungen zu den Detmolder Bürgern zur Spende verpflichtet wurde. Ein weiteres Viertel der Kaufleute wurde über die privaten Sammlungen vor allem des Bielefelder Vereins für das Hermannsdenkmal erreicht, der unter der Leitung des Seidenfabrikanten Delius offenbar in erster Linie berufliche Kontakte für die Subskription nutzte. Unter den neun Sammlern, die diese privaten Spenden nach Detmold schickten, befanden sich allein sechs Kaufleute aus Bielefeld, Gütersloh, Lippstadt, Halle und Bexten. Die Teilnahme der Kaufleute in den Spendenlisten des Vereins für das Hermannsdenkmal in Hannover, der keine Kaufleute zu seinen Mitgliedern zählte, ist dagegen deudich geringer und macht in dem gesamten Zeitraum der Subskription nur knapp fünf Prozent aus. Kleine Beamte und Handwerker wurden über bürgerliche Kontakte nur begrenzt erreicht. Wie auch in der früheren Subskription fehlten Unterschichten und Landbevölkerung in diesen Subskriptionslisten. Der Anteil der Frauen lag hier mit 6,8 Prozent etwas höher, erweist sich jedoch bei der kleinen Zahl der individuellen Spender nach wie vor als sehr gering. Dies wird um so deutlicher, betrachtet man die Herkunft der kollektiv eingezahlten Spenden in diesem Zeitraum. Der größte Teil der Spenden für das Hermannsdenkmal in den 1860er Jahren wurde in den Spendenlisten ausschließlich als Gesamtsumme der von einem Privatmann eingesammelten Beiträge vermerkt oder als Kollektivspende einer Gesellschaft aufgeführt (Tab. 18). Turn-, Sänger- und gesellige Vereine, Kegelclubs, Bienenzüchtervereine, wissenschaftliche Vereine, Freimaurerlogen und Kollegenkreise, aber auch Abend- und Tischgesellschaften, Bälle und Vereins-, Sänger-, Turn- und Stiftungsfeste, Kneipen- und Spielrunden, Ausstellungen, Theateraufführungen und wissenschaftliche Vorträge, kurz alle Orte, an denen vor allem bürgerliche und nur in geringerem Maße kleinbürgerliche Männer zusammenkamen, wurden von den Sammlern zur Subskription genutzt. 41 Daß tatsächlich kaum eine Spende oder Sammlung ohne persönliche Aufforderung zustande kam, verrät der überschwengliche Dank des Hannoveraner Vereinsvorsitzenden Lüders an den Bielefelder Oberlehrer Dr. Lüttgert, der ohne direkte Aufforderung - aber auch nicht uneigennützig - bei seinen Gymnasiasten gesammelt hatte: »Je seltener es ist, daß Jemand selbsttätig für das Hermannsdenkmal ohne die spezielle Bitte unseres Vereins wirkt, desto mehr haben Sie durch Ihren geehrten Brief mich erfreut.« 42 Die Kontakte und Beziehungen, die dem Verein durch das Mittel der persönlichen Korrespondenz und das Netz bürgerlicher Geselligkeit offenstanden, reduzierten die Spender auf ein überwiegend bürgerliches Publikum und konnten den Anspruch, alle sozialen Kreise zu beteiligen, nicht 152

erfüllen. Unterbürgerliche Schichten und nahezu alle Frauen, waren sie bürgerlich oder nicht, nahmen an dieser Kommunikation in der Regel nicht teil und bekamen die Spendenlisten erst gar nicht zu Gesicht. In Lippe sowie in Hannover, Bayern, Mecklenburg-Schwerin und Preußen stellte sich die Subskriptionsbewegung dagegen sozial deutiich differenzierter dar und erreichte außer einem weit höheren Anteil kleinbürgerlicher Spender oft auch die bäuerliche und unterbäuerliche Landbevölkerung. Ob diese Beteiligung unterbürgerlicher Schichten durch ihre Nähe zum Denkmal zu erklären ist, ist fraglich. Aus dem nahe der preußischlippischen Grenze gelegenen Herford berichtete zum Beispiel der Kriminaldirektor Galster von Desinteresse und Ignoranz der breiten Bevölkerung an historischen Persönlichkeiten und beklagte, daß »sich der eigendich Kategorie höchstens

Kreis, in welchem ein Interesse für den Gegenstand zu erwarten ist, nur auf die Literaten [beschränkt]. Die Zahl derer, welche in diese gehören, ist aber nur eine geringe - das Hörensagen der übrigen geht bis zum alten Fritz zurück.«43

Viel naheliegender ist es hingegen, die hohe Beteiligung in diesen Staaten mit den besonderen Mitteln und Wegen zu erklären, die die Vereine hier für die Subskription eingeschlagen haben. In allen fünf Staaten wurden außer den beschriebenen bürgerlichen Kommunikationswegen staatliche Verwaltungsstrukturen fiir die Spendenaktion benutzt und gezielt dafür eingesetzt, Personenkreise zu erschließen, die bürgerliche Kommunikation nicht erreichte. Am erfolgreichsten in dieser Hinsicht war der Verein für das Hermannsdenkmal in Detmold, der die amtliche Stellung seiner Mitglieder für die Subskriptionsbewegung in Lippe nutzte. 1838,1841,1845 und schließlich erneut 1 8 6 2 / 6 3 wandten sich die Detmolder schriftlich an die ihnen unterstellten Beamten - sowie 1841 auch an die Pastoren und Prediger44 in den lippischen Städten und Ämtern und forderten sie zum Sammeln auf. Dabei vergaßen sie nicht hinzuzufügen, wie das Ergebnis in ihren Augen ausfallen sollte: »Für die Bekanntwerdung der Aufforderung bitten wir möglichst Sorge zu tragen«, instruierte der Verein so zum Beispiel den Amtsrat Helwing im Amt Schötmar, »und da bei dieser Gelegenheit jeder Lipper beteiligt zu sein scheint, so bitten wir, die Subskriptionslisten in Ihrem Kreis unter den Einwohnern aller Stände so zirkulieren zu lassen, daß einem Jedem Gelegenheit gegeben werde, wenn er will, einen, wenn auch nur geringen Beitrag in dieselben einzutragen.« 45

Zwar entschuldigte der Verein in dem gleichen Brief die Mühe, die er dem Amtsrat auferlegte, mit dem »patriotischen Zwecke« - wobei keineswegs eindeutig ist, welches Vaterland gemeint war - , jedoch konnte eine Aufforderung an einen Amtmann oder städtischen Syndikus kaum als eine freiwil153

lige patriotische Tätigkeit aufgefaßt werden. Die amtliche Hierarchie machte aus der freundlichen Bitte eine Verpflichtung. Der Syndikus der lippischen Stadt Lage hatte das durchaus verstanden. Aus seinem Rechenschaftsberichts den er nicht an den Verein oder an den Privatmann Ballhorn-Rosen, sondern an den »Herrn Kanzleidirektor« adressierte, läßt sich die amtliche Funktion der Aufforderung deutlich herauslesen: »Die an den Herrn Bürgermeister Reuter und den gehorsamst Unterzeichneten von dem hochverehrten Verein für das Hermannsdenkmal erlassene Aufforderung zur Unterstützung der Bestrebungen desselben in ihrem Kreise haben wir mit der Ehrerbietung, welche diesem Verein gebührt, aber auch mit dem Eifer entgegen genommen, welches das feierliche Werk in jedem Vaterlandsfreund unfehlbar erwekken wird.«46

An das systematische Eintreiben von Steuergeldern gewöhnt, begaben sich die lippischen Beamten entsprechend ihren amtlichen Gewohnheiten ans Werk. Außer einzelnen Sammlungen in den Behörden und Amtsstuben wurden in den Städten und in den Amtern Ratsdiener und Steuereintreiber von Tür zu Tür geschickt, um die Bevölkerung zu Spenden aufzufordern. Diese wurden für ihre Tätigkeit mit einigen Groschen entlohnt oder gar, wie etwa im Amt Horn, mit einer prozentualen Beteiligung am Erlös zur Tätigkeit angefeuert. Dabei gingen ihre Vorgesetzten davon aus, daß das pekuniäre Interesse »mehr zu fleißigem Sammeln antreiben wird, als der Eifer für die gute Sache«.47 Darüber hinaus wurden die Bauernrichter und Vorstände aller lippischen Gemeinden zum Einsammeln von Spenden für das Hermannsdenkmal aufgefordert. 48 Unter diesen Bedingungen ist es wenig erstaunlich, daß die Spendenlisten aus den lippischen Städten und Amtern teilweise in frappierender Weise Steuerlisten ähnelten. Sie waren wie zum Beispiel im Fall der Subskription für das Hermannsdenkmal im Amt Brake nach einzelnen Bauernschaften geordnet. Sie verzeichneten die Spender in den einzelnen Bauernschaften in der Handschrift des Sammlers und führten neben den einzelnen Spenden der Haushalte auch »Restanten« und Zahlungsvermerke auf. Offensichtlich war der mit der Subskription beauftragte Amtsdiener eher mit staatlichen Steuererhebungen vertraut als mit bürgerlichen Subskriptionen.49 In den anderen genannten Staaten bedienten sich die Vereine für das Hermannsdenkmal ähnlicher Methoden. Der Verein für das Hermannsdenkmal in Schwerin, der mehr einer Behörde als einem bürgerlichen Verein glich, stützte seine Sammlungen ausschließlich auf staatliche, bürokratische Strukturen. Alle Magistrate und Ämter wurden von dem »Verein« zu Sammlungen aufgefordert, wobei die Liste der unterzeichnenden Vereinsmitglieder auf den Anschreiben, allen voran der Minister und Regierungspräsident von Lützow, den Erfolg der Sammlung garantierte. 23 154

Magistrate, zwanzig Dominialämter, zwölf herrschaftliche Ämter und acht Distrikte des Patriotischen Vereins sandten innerhalb eines Jahres mehr als 1.300 Reichstaler an die großherzogliche Behörde in Schwerin.50 Dabei war der Diensteifer der subalternen Beamten offenbar nicht zu bremsen. So beklagte sich zum Beispiel der Bürgermeister von Boitzenburg, daß die Beamten des Amtes in seinem Zuständigkeitsgebiet gesammelt und so den städtischen Ertrag geschmälert hätten. 51 Daß die Beamten die Subskription nicht als ein bürgerliches Unternehmen ansahen, sondern sich als Beamte verpflichtet fühlten zu sammeln und selbst zu spenden, beweist die Klage und gleichzeitige Entschuldigung für mangelnde Spenden des Bürgermeisters von Grabow: »Wir können nicht unbemerkt lassen, daß das ganze Personal des Großherzoglichen Amts, obgleich zur städtischen Einwohnerschaft gehörig, die Beiträge unserer Sammlung mit der Erklärung abgelehnt hat, zu der vom Großherzöglichen Amte selbst eingeleiteten Sammlung beitragen zu wollen.«52 Obwohl aus der Korrespondenz des Vereins für das Hermannsdenkmal in München keine detaillierten Informationen über das Vorgehen dieses Vereins vorliegen, geben die Spendenlisten darüber deutliche Auskunft. Die Einsender der Spenden aus dem Königreich Bayern, die stets am Schluß der Spender aufgeführt wurden, waren vier Regierungspräsidenten, 110 Landrichter, sieben hohe Beamte, 17 Magistrate oder Bürgermeister, 19 Schuldirektoren, 39 Landwehrmajore sowie drei Geistliche, ein Professor und Mitglied eines historischen Vereins sowie vier einzelne bürgerliche Herren. Offensichtlich hatte auch hier der Verein, der in München über Haussammlungen vor allem das Bürgertum ansprach, staatliche Verwaltungsstrukturen für die Sammlungen zugunsten des Hermannsdenkmals in Anspruch genommen. Der Name des Staatsministers von Schenk, der ansonsten in der Arbeit für den Verein nicht zu Tage trat, war sicherlich sehr wirksam. Von München gingen die Aufforderungen an die Regierungspräsidenten der Regionen und von dort an die Landrichter, Magistrate, Schuldirektoren und an die Landwehr. Damit deckte sich die Subskriptionsbewegung in auffälliger Weise mit der Struktur der halbstaadichen Historischen Vereine Bayerns, in denen die Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal in München an führender Stelle standen53 und deren Ziel die »Belebung des [bayerischen, C.T.] Nationalgefühls« darstellte.54 Nationale und regionale Bewegungen wurden von den gleichen Personen und Kommunikationsstrukturen getragen. Der dynastische Territorialstaat und die nationale, bürgerliche Bewegung schlössen sich keineswegs aus, sondern wurden über das Ideal einer monarchisch-föderalen Nation überbrückt und zusammengehalten. 55 In Hannover verfolgte der Verein für das Hermannsdenkmal eine dop155

pelte Strategie. Während er sich in einer ersten Subskriptionsaufforderung 1838 auf bürgerliche Kontakte und Kommunikationsstrukturen stützte und sich in direkten Anschreiben an Persönlichkeiten in den Städten des Königreichs wandte, die den Mitgliedern des Vereins persönlich bekannt waren, ergänzte er 1841, in einer zweiten Aufforderung, die Strategie. Außer einer erneuten Haussammlung in Hannover und einem Anschreiben an 81 Privatpersonen schickte er die Aufforderungen für das Hermannsdenkmal nun auch an die Magistrate von 130 Städten und 135 königlichen Ämtern. 56 Offenbar hatte er von dem Erfolg anderer Staaten gelernt und versprach sich von der Mitarbeit der königlichen Beamten - wie sich zeigen wird, zu recht - eine größere Publizität und eine weitere regionale und soziale Beteiligung an den Sammlungen. In Preußen spiegelte die Subskription erneut das West-Ost-Gefälle bürgerlicher Kommunikation wider. Während vor allem in Westfalen und in der Rheinprovinz, aber auch in Brandenburg und in der Provinz Sachsen eine Mischform von bürgerlicher Agitation über Vereine, Privatpersonen und staatlicher Subskriptionseintreibung durch die Oberpräsidenten und Landräte anzutreffen war, ersetzte der preußische Staat in den östlichen Provinzen die bürgerliche Kommunikation fast vollständig. Weil es hier aufgrund fehlender Kontakte nicht gelang, Vereine für das Hermannsdenkmal ins Leben zu rufen oder Privatleute zum Sammeln in ihrem Kreise zu bewegen, wandte sich der Verein für das Hermannsdenkmal in Detmold direkt an alle preußischen Oberpräsidenten und bat um Mitwirkung der Behörden an der Subskription. »Sollten Ew. Excellenz namentlich zu befördern geneigen«, so schrieb der Verein in Detmold etwa an den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen, Graf Stollberg-Wernigerode, »daß auch in Magdeburg ein Verein zur Annahme von Beiträgen sich bilde, und daß der Plan des Werks durch die landrädichen Behörden und die Magistrate oder in sonst geeigneter Weise weiter in der Provinz verbreitet werde, so würden wir uns um so mehr zum Danke verpflichtet fühlen, da wir in der Provinz Sachsen, außer einer Mitteilung an den Herrn Bischof Dräseke [den Schwiegervater des Detmolder Superintendenten und Recourcenmitglieds Althaus;57 C.T.], in deren Gefolge dieser die Güte gehabt hat, eine Subskription in der Stadt Magdeburg zu eröffnen, zur Anknüpfung von Verbindungen noch keine Gelegenheit gehabt haben.«58

Die Regierungspräsidenten forderten daraufhin die königlichen Provinzialregierungen, und diese wiederum die Landräte und Magistrate zum Einsammeln von Spenden auf. In bürokratischer Manier - alle Schriftstücke tragen ein Aktenzeichen - wurden die subalternen Beamten jedoch nicht mehr, wie zum Beispiel im lippischen Fall, gebeten, sich für das vaterländische Unternehmen zu engagieren, sondern es wurde beauftragt, verfügt, an- und zugewiesen.59 Nur in zwei Fällen wurden von den Beamten selbst 156

Bedenken an einer solchen Vermischung privater und öffentlicher Aufgaben angemeldet. 60 Daß die Subskription unter den geschilderten Bedingungen ihren »Privatcharakter«61 und vor allem ihre Freiwilligkeit verlor, liegt auf der Hand. Die angewiesenen Beamten sahen sich durch die bürokratischen Herrschaftstrukturen genötigt, wenigstens eine symbolische Summe zusammenzutragen. Um zumindest ihren guten Willen zu dokumentieren, gaben sie den Druck nach unten weiter. Das Königliche Landratsamt in Mühlhausen trat dabei besonders offensiv auf. Der Landrat sandte die unausgefüllten Subskriptionslisten erneut an verschiedene hohe Adelige und Grundbesitzer zurück, die einen Beitrag abgelehnt hatten und ließ sie wissen, daß die Regierung in Erfurt zwar »nur zu freiwilligen öffentlichen Aufforderung von Beiträgen veranlaßt« habe. Da »es aber jedenfalls höhern Ortes auffallen würde, wenn aus dem ganzen Landkreise gar keine Beiträge eingegangen waren, so glaube ich wohl nur auf den Gehalt der besagten Bekanntmachungen nochmals hinweisen zu dürfen, und versichert zu sein, daß auch die unten genannten Herrn bereit sein werden, den Erwartungen zu entsprechen.« 62 Auch wenn diese Art des Drucks auf die Spender - die, wie das Beispiel zeigt, von den Beamten handverlesen waren63 - sehr unverhohlen vonstatten ging und sich kein weiterer Beleg für ein solches Verhalten der Beamten beibringen läßt, so ist doch äußerst wahrscheinlich, daß die meisten der von den Beamten und Steuereintreibern aufgeforderten Spender ihren Beitrag eher an die preußische Regierung als zum Hermannsdenkmal leisteten. Unter den beschriebenen Bedingungen gelang es den preußischen Regierungen, aus fast jeder Stadt und jedem Amt einen, wenn auch nur ausgesprochen geringen Beitrag aufzubringen. In Pommern spendeten so zum Beispiel von elf der 1841 zum zweiten Mal aufgeforderten »größeren Städte« nur vier überhaupt nichts und von zwölf Ämtern entzog sich nur eines der Subskription. Nach Abzug der Verwaltungskosten konnte die Königliche Regierungshauptkasse zwar fast 150 Reichstaler für Pommern einsenden. Pro beteiligter Behörde machte das jedoch gerade einen Durchschnittsbeitrag von sechseinhalb Reichstalern aus.64 Auf dem dargestellten Hintergrund erklärt sich sowohl die höhere Beteiligung an der Subskription in Lippe, Hannover, Bayern, Schwerin und Preußen als auch die unterschiedliche soziale Zusammensetzung der Spender in den verschiedenen Staaten. Je nach den eingeschlagenen Wegen der Subskription und der Kommunikationswege veränderte sich die soziale Beteiligung. Am ausgeprägtesten stellt sich das im Fall des Fürstentums Lippe (Tab. 10) dar. Während sich die Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal in der Stadt Detmold außer auf eine Haussammlung vornehmlich auf persönliche Kontakte stützten und vor allem im Gesellschaftshaus Ressource unter den bürgerlichen Mitaktionären sammelten, 65 157

gingen die Steuereinnehmer in den lippischen Städten und Ämtern von Haus zu Haus. Auch wenn die prozentuale Beteiligung der Bevölkerung während der ersten Phase der Subskription insgesamt (Tab. 19) von der Residenzstadt (15,6%) zu den Städten (7,9%) und Ämtern (4,3%) deutlich abnahm, stieg die Beteiligung der unterbürgerlichen Schichten außerhalb Detmolds stark an. Während in Detmold die Teilnahme von Handwerkern 1838 bis 1843 mit 9,5 Prozent dem nationalen Durchschnitt entsprach, so betrug sie in den anderen lippischen Städten fast ein Viertel der Spender und lag sogar auf dem Land höher als in der Residenzstadt. Insgesamt stellten die lippischen Handwerker aufgrund der hohen Mobilisierung durch die Haussammlungen die Hälfte der auf nationaler Ebene insgesamt beteiligten Handwerker. Besonders aber fallt die ausgesprochen hohe Teilnahme der ländlichen Berufsgruppen ins Auge. Den lippischen Amtsleuten, Bauernrichtern und Steuereintreibern gelang es, mehr als zweitausend Bauern, Kleinbauern und Tagelöhner zu einer Spende für das Hermannsdenkmal zu bewegen. Die lippische Landbevölkerung stellte damit allein mehr als drei Viertel der national mobilisierten ländlichen Kreise. Das erklärt die auf nationaler Ebene festgestellte hohe Beteiligung dieser Bevölkerungsgruppe, die jedoch nicht über Kontakte der bürgerlichen Gesellschaft, sondern nur über staatliche Herrschaftstrukturen erreichbar war. Ob, um es in Anlehnung an Eugen Weber auszudrücken, aus diesen Bauern schon Deutsche geworden waren, bleibt fraglich.66 Wie stark die Auswahl der Kontaktpersonen und Multiplikatoren die soziale Verteilung der Spender beeinflußte, beweist darüber hinaus die ausgesprochen hohe Beteiligung der Schüler im Fürstentum Lippe. Während die Gymnasiasten zwar in den lippischen Städten (Detmold 11,8%, sonstige Städte 8%) deutlich über dem nationalen Durchschnitt lagen, stellten sie insgesamt nur 18,5 Prozent der national beteiligten Gymnasiasten. 67 Der Kontakt zwischen bürgerlichen Spendern und ihren Söhnen oder Schülern gewährleistete auch in anderen Städten deren Beteiligung. Anders sieht es jedoch in den Elementarschulen aus, die fast ausnahmslos über die Aufforderung an die lippischen Geistlichen erfaßt wurden. Da ähnliche Wege in anderen Staaten nicht eingeschlagen wurden, stellten die lippischen Schüler insgesamt 84,6 Prozent und die lippischen Schülerinnen sogar 98 Prozent der insgesamt an der nationalen Subskription vertretenen Schüler und Schülerinnen. Der hohe Anteil der Beteiligung von Schülerinnen der Elementar-, aber auch der bürgerlichen Töchterschulen (76,9%) an der nationalen Subskription, deckt sich darüber hinaus mit der ungleich höheren Beteiligung von Frauen (47,9% aller spendenden Frauen) im lippischen Fall. Die systematische Erfassung aller Haushalte, aber auch das besondere Bedürfnis der lippischen Bürger, ihre soziale Stellung in der regionalen Öffentlichkeit und im Privatleben zu dokumentieren - man 158

denke nur an den Bürgermeister Reuter aus Lage - , eröffnete den lippischen Frauen weit stärker als ihren Geschlechtsgenossinnen in anderen Staaten die direkte Beteiligung am Denkmalsprojekt. Ob sie jedoch auch an der bürgerlichen Öffentlichkeit teilhatten, bleibt für sie ebenso fraglich wie für die lippischen Tagelöhner und Handwerker. Ein ähnliches Bild bot auch die Subskription der Jahre 1 8 6 2 / 6 3 im Fürstentum Lippe (Tab. 20 und 21), auch wenn hier die Beteiligung im Vergleich mit der früheren Subskription deudich geringer ausfiel. Nur 6,4 Prozent der Detmolder, 2,1 Prozent der städtischen und 2,4 Prozent der ländlichen Bevölkerung gaben in diesen Jahren einen Beitrag für das Hermannsdenkmal (Tab. 19). Stellten bürgerliche Gruppen auf nationaler Ebene in den 60er Jahren den weitaus größten Anteil der Subskribenten, so reduzierte sich ihr Anteil in den lippischen Sammlungen deudich und lag in Detmold bei einem Viertel, in den übrigen lippischen Städten bei einem Drittel und in den Ämtern des Landes erwartungsgemäß bei nur 6,5 Prozent. Insgesamt umfaßten diese Gruppen nur etwas mehr als zehn Prozent der lippischen Spender. Weitere zehn Prozent stellten die kleinen Beamten und Angestellten, Lehrer, Küster und Verwalter. Dank staatlicher Sammlungen entfiel der Großteil der Spender auch hier auf die Gruppe der städtischen und ländlichen Handwerker (22,3%) und vor allem auf die bäuerliche Bevölkerung. Fast die Hälfte der lippischen Spender für das Hermannsdenkmal waren Vollbauern (45,1%) oder, in weit geringerem Umfang, Kleinbauern (1,7%) oder Einlieger und Tagelöhner (1,5%), die ausschließlich über die Sammlungen der Amtleute erreicht wurden und in den Ämtern sechzig Prozent der Spender insgesamt stellten. Der Anteil der Frauen war auch in den 60er Jahren ausgesprochen gering und erreichte im lippischen Durchschnitt nicht einmal vier Prozent (Tab. 22). Über die Hälfte der lippischen Spenderinnen waren Witwen und ein Zehntel unverheiratete Frauen. Weitere achtzehn Prozent bezeichneten sich als »Colona«, wobei zwar nicht eindeutig zu klären, aber dennoch anzunehmen ist, daß es sich um Witwen handelte. Jedenfalls standen ihre Ehemänner nicht mit auf den Spendenlisten. Nur drei der Spenderinnen waren verheiratete, bürgerliche Frauen, vier waren die Ehefrauen von kleinen Beamten oder Handwerkern. Die Beteiligung der Frauen folgte dem Verfahren der Steuererhebung, die Frauen nur dann berücksichtigte, wenn sie selbständig einen Haushalt führten. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, war Frauen, gleichgültig welcher sozialen Klasse, die Beteiligung an öffentlichen Spenden versperrt, da der Mann als Vertreter der Familie nach außen fungierte. Verheiratete Frauen waren von der Subskription nicht nur bei Sammlungen in geselligen Kreisen, sondern auch bei Haussammlungen ausgeschlossen, auch wenn sie vielleicht in der Praxis den Beitrag aushändigten. 159

In Hannover und in Mecklenburg-Schwerin läßt sich ein ähnliches, wenn auch nicht so ausgeprägtes Bild der regionalen und sozialen Verteilung feststellen wie in Detmold, da sich die Vereine hier auf vergleichbare Mittel der staatlich gelenkten Mobilisierung stützten. Jedoch ist in diesem Fall der Anteil der hohen, aber auch der kleinen Beamten in Mecklenburg-Schwerin (Tab. 13), wo ausschließlich die Amtsstuben ftir die Bewegung benutzt wurden, besonders hoch. Die hohen Beamten stellten in der Stadt Schwerin zwei Drittel der Spender. In dem Maße, wie ihre Beteiligung in anderen Städten des Territorialstaates (44,5%) und in den Amtern (19,6%) abnahm, stieg der Anteil der kleinen und subalternen Beamten deutlich an (3% in Schwerin, 9,6% in den Städten und 26,7% in den Amtern). Dies deckt sich mit der sozialen Ausdehnung der Subskription im ganzen. Während in der Stadt Schwerin kaum unterbürgerliche Schichten an der Subskription teilnahmen - auf Haussammlungen wurde hier offenbar verzichtet - , wurden über die kleinen subalternen Beamten in den Städten und Ämtern die Handwerker und die bäuerliche Landbevölkerung erfaßt. In der Stadt Hannover, aber auch in den anderen Städten des Königreichs, deckte sich die soziale Beteiligung weitgehend mit den Ergebnissen der nationalen Subskription insgesamt (Tab. 11). Auffällig ist in der Stadt Hannover jedoch vor allem der hohe Anteil der Handwerker, die 16,8 Prozent der Hannoveraner Spender stellten. Neben wiederholten Haussammlungen ist dies vor allem auf die Spenden der Mitglieder eines kleinbürgerlichen, geselligen Vereins, dem Ballhorn-Club, zurückzuführen, in dem offenbar alle Mitglieder einen geringen Beitrag leisteten. Über welche Kontakte diese Spenden zustande kamen, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Der ausgesprochen hohe Anteil der Militärangehörigen (18,5%) in Hannover läßt sich dagegen leicht erklären. Da ein Mitglied des Vereins für das Hermannsdenkmal in Hannover, der Major Heyse, dem Militär angehörte, bestanden hier enge Kontakte. Unter den Sammlern in Hannover und im Königreich befanden sich dementsprechend weitere acht Militärangehörige. Die Hannoveraner Ämter wurden erst mit einer zweiten Subskriptionsaufforderung 1841 in die Bewegung einbezogen. Erst dadurch wurde die Spenderschaft auf die Landbevölkerung ausgedehnt, auch wenn ihre Beteiligung weit hinter der der lippischen Bauern zurückblieb. An diesem Beispiel jedoch wird besonders deutlich, daß die soziale Beteiligung weit weniger breit gewesen wäre, wenn der Verein in Hannover sich auch 1841 - wie 1838 - darauf beschränkt hätte, ausschließlich private, bürgerliche Kontakte für die Unterstützimg des Hermannsdenkmals zu bemühen. Die zweite Subskription des Hannoveraner Vereins in den sechziger Jahren zeigt dies deutlich (Tab. 17). Da nicht die Amtswege für die Subskription benutzt wurden, entfiel die Beteiligung unterbürgerlicher 160

Schichten in den Städten, vor allem aber auf dem Land. Stattdessen wandte sich der Verein in Hannover in den 60er Jahren an alle Magistrate und den jeweiligen Primus der Gymnasien in ganz Deutschland und »verschickte 2 0 . 0 0 0 Exemplare von Aufrufen an Magistrate, Gesang-, Turnvereine, Gymnasien, Schulen«. 68 1 1 4 Magistrate und 187 Gymnasien und Bürgerschulen antworteten auf diese direkten Aufforderungen mit der Einsendung von Spenden. Während sich die Magistrate jedoch in der Regel mit einem Beitrag aus der Stadtkasse begnügten und nicht - wie noch im Vormärz die Bürger ihrer Stadt zum Spenden aufforderten sammelten die Gymnasiasten in ihren Klassen und veranstalteten teilweise Konzerte oder Schulfeste zugunsten des Hermannsdenkmals. Offensichtlich war die Aussicht auf einen Erfolg der Aufrufe an die männliche Jugend erheblich größer als bei den Erwachsenen. Hatte der »vor etwa sechs Jahren an die Lehrer geratene Aufruf so gut wie gar keinen Erfolg«, 69 so stellten die Sammlungen, die von den Primi der Gymnasien 1 8 6 9 / 7 0 veranstaltet wurden, während des zweiten Zeitraumes der Subskription allein 2 7 , 7 Prozent der Gesamtsumme der von dem Verein in Hannover während der zweiten Subskription gesammelten Spenden (Tab. 18), obwohl die einzelnen Beiträge der Schüler erheblich niedriger lagen als die ihrer Väter. 70 Vielleicht fühlten sich die Gymnasiasten durch die persönlichen Aufforderungen besonders geehrt oder in die Pflicht genommen, so daß sie sie nicht ignorierten wie ihre Lehrer. Außer der Tatsache, daß die Schüler einen größeren nationalen Enthusiasmus an den Tag legten als ihre Väter, die durch die Enttäuschungen der Revolution, aber auch des Krieges gegen Österreich und der preußischen Großmachtpolitik vor allem gegenüber Hannover in ihrer nationalen Emphase in den sechziger Jahren weit gedämpfter reagierten, scheint es jedoch der Zeitpunkt der Aufforderungen gewesen zu sein, der den großen Erfolg der Sammlungen in den Gymnasien beförderte. Vor allem nach Beginn des Deutsch-Französischen Krieges reagierten Jugendliche mit enthusiastischen Briefen auf die Spendenaufforderungen. Der Primus des Gymnasiums von Altona interpretierte das Hermannsdenkmal sogar zu einem Kriegerdenkmal für sich und seine Mitschüler um, die im Begriff waren, »die Feder mit dem Schwerte [zu] vertauschen«. Hier stifteten nicht die Überlebenden - um der Deutung von Reinhart Koselleck zu folgen 71 - ex post den Sinn des Todes durch ein Kriegerdenkmal, sondern hier antizipierten die Noch-Lebenden den Sinn ihres eigenen Todes und projizierten ihn auf das Hermannsdenkmal. »Zu gleicher Zeit wird auch dies Denkmal ein ewiges ruhmvolles Andenken gewähren an diejenigen unserer deutschen Brüder, welche im bevorstehenden Todeskampfe den Tod für Freiheit und Vaterland, für deutschen Ruhm und deutsche Ehre sterben werden. Allein von uns Primanern stehen in wenigen Tagen 16 in der Freiwilligenuniform; wer weiß, wie viele und ob wir zurückkehren.«72

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Auch wenn dieser Brief in seiner nationalen Rhetorik und Todessehnsucht einmalig war, scheinen die Gymnasiasten die Gruppe der Spender zu stellen, die den größten Eifer für die Subskription aufbrachte, wenn sie auch nicht ohne spezielle persönliche Aufforderung spendeten. Auch in Bayern lief die Subskription des Vormärz fast ausschließlich über staatliche Kommunikationswege. Während sich die Schweriner Beamten jedoch im Vormärz bemüht hatten, trotz relativer Distanz zum Denkmal über Haussammlungen breite Kreise der Bevölkerung in die Subskriptionsbewegung zu integrieren, verzichteten ihre bayerischen Kollegen nahezu völlig auf dieses Mittel der Mobilisierung. In Bayern (Tab. 12) verließen die Subskriptionslisten kaum die Amtsstuben, sondern zirkulierten vor allem innerhalb der staatlichen und kirchlichen Einrichtungen. Dementsprechend war die Beteiligung des Bildungsbürgertums, das in den Städten des Königreichs vor allem aus Beamten zusammengesetzt war, besonders ausgeprägt. Auch hier läßt sich eine Verschiebung innerhalb der Beamtenhierarchie feststellen. Unterzeichneten in München vor allem die höchsten und hohen Amtsträger, verlagerte sich in den kleineren Städten die Beteiligung stärker zu den kleinen Beamten. In den bayerischen Ämtern stellten zwar auch die hohen und kleinen Staatsdiener einen beträchtlichen Anteil an der Subskription. Die größte Gruppe machte jedoch die katholische Geistlichkeit aus: 251 Pfarrer, ein Drittel aller Spender in den bayerischen Ämtern. Dieses Ergebnis belegt die enge Verbindung von Klerus und staatlicher Beamtenschaft in Bayern.73 Von den 110 Landrichtern, die einen Beitrag zum Verein für das Hermannsdenkmal nach München schickten, sandte mehr als die Hälfte (58) die Spenden ohne spezifizierende Listen ein. Einige von ihnen vermerkten jedoch die Spender zumindest kollektiv und deuteten die Kontaktwege der ländlichen Subskriptionen an: »durch den königlichen Landrichter Gied 33 Fl. 42 Kr. Nämlich: das königl. Landgerichts-, Rentamts-, Hauptzollamts-, Spezialsteuer-, Liquidations-Kommissionspersonal, die Herren Pfarrer, Magistrat, Postverwaltung, Gutsbesitzer, Schullehrerpersonal, Lottokollekteur.«74

Andere bezogen noch die Landwehroffiziere und Gemeindevorsteher in die Subskription ein. In einigen wenigen Fällen tauchen auch »Landleute« auf,75 so daß die Landbevölkerung auch in Bayern über den Verwaltungsapparat und zwar ausschließlich über ihn für das Hermannsdenkmal spendete. In den bayerischen Städten außerhalb der Hauptstadt München war daneben vor allem die Landwehr, die direkt den Zivilbehörden der Landgerichte unterstand und als Bürgermiliz nach Vorbild der französischen Nationalgarde die gesamte männliche Bevölkerung erfaßte,76 ein geeignetes Mittel, um breite Kreise der Bevölkerung zu erreichen. Da die Spender 162

der Landwehr nur über ihre militärischen Grade aufgeführt wurden, können keine genauen Angaben über ihre soziale Zusammensetzung gemacht werden. Unterscheidet man schließlich für Preußen zwischen den Spendern, die über bürgerliche Kontakte und denen, die über die staadichen Dienstwege erschlossen wurden (Tab. 14), so zeigen sich deudiche Unterschiede in der sozialen Zusammensetzung der Spender. Während der Anteil des Bürgertums an der ersten Gruppe äußerst groß war und das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum zusammen nahezu zwei Drittel der Spender stellte, schrumpfte dieser Anteil bei den staadichen Sammlungen auf 40 Prozent zusammen. Dementsprechend stieg hier der Anteil der kleinen Beamten deudich an. Gestaltete sich die Beteiligung der Handwerker auch in beiden Gruppen nahezu gleich, so weist die Tatsache, daß die bäuerliche Landbevölkerung ausschließlich in den amdichen Sammlungen vertreten war, auf ein ähnliches Phänomen wie in den anderen deutschen Staaten hin. Auch in Preußen wurde die Bevölkerung außerhalb der Städte ausschließlich über staadiche Kommunikationswege erfaßt. Die Bauern stellten in den bürgerlichen Sammlungen weniger als zwei Prozent, in den Sammellisten der preußischen Landräte jedoch mehr als sechzehn Prozent der Spender. Entsprechend der oben beschriebenen Vorauswahl der Spender, aufgrund derer die Beamten oftmals auf systematische Haussammlungen verzichteten und gezielt bestimmte »Personen, von denen eine kräftige Mitwirkung zu erwarten« war, ansprachen, fiel der Anteil der Gutsbesitzer an der staatlichen Subskription mit 7,7 Prozent der Spender relativ hoch aus. Diese konzentrierten sich vor allem auf die ösüicheren Provinzen. Über den preußischen Staat wurden auch die Junker an der Errichtung des Hermannsdenkmals beteiligt. Sicherlich kann man ihnen nicht global eine liberale, nationale Überzeugung unterstellen, zumal da die Provinzen Sachsen und Pommern, deren Landtage im Vormärz konservativ ausgerichtet waren, einen großen Anteil der Spender aus Gutsbesitzerkreisen stellten.77 Vielmehr ist hier wohl der Einfluß des preußischen Staates und der enge Kontakt zwischen Junkern und Landräten, die häufig aus der Mitte der Gutsbesitzer gewählt wurden und »Standesgenossen und Gutsnachbarn« darstellten, als Erklärung für den hohen Anteil der Gutsbesitzer heranzuziehen. 78 Da hinter den Spendenaufforderungen die preußische Monarchie und Verwaltung stand und die Landräte eine vermittelnde Funktion erfüllten, wurde das Hermannsdenkmal von den Junkern sicherlich nicht als ein liberales oder gar oppositionelles Symbol aufgefaßt. Vielmehr scheint es, daß sie den Aufforderungen der Landräte vor allem und aufgrund des gehörigen Drucks - in Erfüllung ihrer Pflichten als führender sozialer Gruppe in ihrer Provinz nachkamen. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die soziale und regionale 163

Verteilung der Spender fiir das Hermannsdenkmal allein nichts über die Verbreitung nationaler oder liberaler Auffassungen aussagt. Von den südwestdeutschen Linksliberalen Rotteck und Welcker79 über den aufgrund seiner politischen Überzeugungen aus Preußen ausgewiesenen frankophilen Heinrich Heine »hab selber subskribieret«80 - spannte sich im Vormärz das Netz der Subskriptionsbewegung bis zu dem Bielefelder Reaktionär Junkermann 81 und den ostelbischen Junkern. Es umfaßte darüber hinaus sowohl die protestantischen lippischen Pastoren als auch die bayerischen katholischen Pfarrer. Vom kleinen lippischen Tagelöhner oder Wanderarbeiter über die mecklenburgische Handwerkerwitwe bis hin zum bayerischen Staatsminister erfaßte es darüber hinaus auch nahezu alle sozialen Gruppen der vormärzlichen Gesellschaft. Ohne die Kontakte über staadiche Institutionen hätte jedoch weder der katholische Geistliche in Bayern oder der ostelbische Gutsbesitzer noch der lippische Tagelöhner oder die mecklenburgische Witwe »ihr Scherflein« zum Hermannsdenkmal beigetragen (Tab. 16).82 Zwei Drittel der kleinen Beamten, Angestellten und Verwalter, der gleiche Anteil der Arbeiter, nahezu drei Viertel der Handwerker, fast neunzig Prozent der Gutsbesitzer, nahezu alle Voll- und Kleinbauern und alle Einlieger und Tagelöhner sind im Vormärz ausschließlich mittels der staatlichen und bürokratischen Verwaltungsstrukturen und des entsprechenden Drucks in die Subskriptionsbewegung eingebunden worden. Das gleiche gilt für mehr als sechzig Prozent der Schüler und nahezu achtzig Prozent der Schülerinnen. Der Anteil der Frauen an der Subskription wäre ohne diese Kommunikationsstrukturen noch geringer gewesen. Nur etwas mehr als dreißig Prozent der Frauen wurden über bürgerliche Kontakte in die Subskriptionsbewegung einbezogen, obwohl zumindest die bürgerlichen Frauen in täglichem Kontakt mit den Vereinsmitgliedern und Sammlern für das Hermannsdenkmal standen. Nur die Beteiligung des bürgerlichen Publikums, der Bildungsbürger und der Kaufleute, war in beiden Formen der Subskription relativ ausgeglichen und verteilte sich zu fast gleichen Teilen auf beide Gruppen. Das Wirtschaftsbürgertum wurde erwartungsgemäß, da es nicht mit der Beamtenschaft in diensdichem Kontakt stand und aus den bürokratischen Kommunikationswegen weithin ausgeschlossen war, über bürgerliche Kontakte stärker erfaßt als über staadiche Strukturen. Die Söhne und Töchter der Bürger, die Gymnasiasten und Schülerinnen der höheren Töchterschulen, stellten hingegen die einzige Gruppe im Vormärz dar, die fast ausschließlich - wenn auch im Falle der Mädchen nur ausgesprochen gering - über die familiären Kontakte zu ihren Vätern und nicht über bürokratische Maßnahmen für die Errichtung des Hermannsdenkmals mobilisiert wurden. Nur durch staatliche Einflußnahme konnte das Bild einer »klassenlosen Bürgergesellschaft« 164

in den Spendenlisten suggeriert werden. Die Gesellschaft erschien jedoch eher als Staatsbürgergesellschaft denn als bürgerliche Gesellschaft. Die bürgerliche Gesellschaft reduzierte sich in der Subskription für das Hermannsdenkmal - weitgehend auf die bürgerlichen Männer und ihre Söhne. Die nationale Gesellschaft stellte sich unterhalb der imaginären Gemeinschaft als ein föderales Gebilde regionaler Gesellschaften dar, das vor allem über die staadichen Institutionen der Dynastien kommunizierte und zusammengehalten wurde. Der Hort der nationalen bürgerlichen Gesellschaft war in diesem Kontext paradoxerweise der dynastische Territorialstaat.

3.1.4. Soziale Distinktion Das Ideal der »klassenlosen Bürgergesellschaft«, das die Subskriptionsbewegung - wenn auch in weitem Ausmaß nur mit staatlicher Unterstützung - mit der Integration aller sozialen Gruppen suggerierte, stellte die Realität der Klassengesellschaft nicht grundsätzlich in Frage, sondern bildete die sozialen Unterschiede und Hierarchien vielmehr symbolisch ab und schrieb sie fest. Die Spendenaktion dokumentierte ihrem Anspruch nach nicht nur die Beteiligung einzelner Individuen an der Errichtung des Nationaldenkmals und damit ihre Anbindimg an die Nation, sondern sie bot darüber hinaus ein ausdrucksstarkes Mittel sozialer Distinktion. Da die Spendenlisten öffentlich zirkulierten und publiziert wurden, bestimmten die einzelnen Spender ihren Beitrag nicht nach ihrem individuellen Interesse an der Errichtung des Denkmals oder ihrem nationalen Engagement, sondern sie orientierten sich eindeutig an der Spendenhöhe ihrer Mitbürger und ihrer sozialen Position innerhalb der (regionalen oder lokalen) Gesellschaft. 83 In der durchschnittlichen Spendenhöhe einzelner Berufsgruppen, die exemplarisch für Lippe, Bayern und das Königreich Hannover berechnet wurde, kommt die Bedeutung der sozialen Selbsteinschätzung zum Ausdruck. Auch wenn sich die Angaben zum Teil auf geringe, nicht immer repräsentative Mengen stützen und für eine streng statistische Auswertung nicht geeignet erscheinen, läßt sich aus den Angaben (Graph. 1 bis 3) doch eine deutiiche Tendenz herauslesen. Am unteren Ende der Skala der Spendenhöhe befanden sich zunächst die Kinder und Jugendlichen. Bei ihnen war das Alter offenbar für die Höhe des Beitrags entscheidender als die Zugehörigkeit zu einer über ihre Eltern definierten sozialen Klasse. Zwar spendeten die Schüler und Schülerinnen der bürgerlichen Gymnasien und Töchterschulen in der Regel etwas mehr als die der Elementarschulen, beide Gruppen blieben jedoch in der Regel 165

weit hinter den Beiträgen ihrer Eltern zurück und fielen aus der sozialen Hierarchie der Erwachsenen heraus. Für die unterbürgerlichen Schichten lassen sich hingegen deutliche Zeichen der sozialen Hierarchisierung feststellen. Tagelöhner, Arbeiter und Gesellen spendeten viel weniger als die Mitglieder des Kleinbürgertums. Zwischen Handwerkern, kleinen Beamten und Angestellten, Lehrern und Küstern, Verwaltern und ähnlichen Berufsgruppen bestanden dagegen keine deutlich größeren Unterschiede in der Beitragshöhe. Die soziale Nähe dieser Berufe in ihrer Selbsteinschätzung, sowohl in den Städten als auch auf dem Lande, könnte die hohe Mobilisierung von unterbürgerlichen Schichten durch die Beamtenschaft erklären, die durch die kleinen Beamten Kontakte zum Kleinbürgertum anknüpfen konnte. Besonders deutlich läßt sich die hierarchische Gliederung in der ländlichen Gesellschaft ablesen. Vom Einlieger zum Vollbauern definierten sich die ländlichen Berufsgruppen durch ein differenziertes System der Beitragshöhe zum Hermannsdenkmal. Die Vollbauern siedelten sich leicht oberhalb der ländlichen Handwerker an, die Kleinbauern und landlose Bevölkerung deutlich darunter. Die bildungsbürgerlichen Berufsgruppen der Rektoren, Professoren, Geistlichen und anderen Akademiker, der freien Berufe und hohen Beamtenschaft setzten sich dagegen - in der Stadt weit deutlicher als auf dem Lande - von den kleinbürgerlichen Gruppen ab. Die Tatsache, daß vor allem die hohen Beamten mit ihren Beiträgen die bürgerlichen Spender anführten, muß als Beleg dafür gelten, daß weniger das Einkommen als vielmehr das soziale Ansehen die Beitragshöhe bestimmte. Als Träger der Vereinsbewegung für das Hermannsdenkmal sowie als direkte Ansprechpartner und Multiplikatoren der Vereine demonstrierten sie ihre zentrale Rolle durch eine überdurchschnittlich hohe Spende. Kaufleute sind dagegen nur bedingt als einheitliche bürgerliche Gruppe klassifizierbar und weisen die höchsten Schwankungen in der sozialen Selbsteinschätzung auf. Das ist vor allem aus der Vielfalt der als >Kaufleute< Bezeichneten zu erklären. Die Unterschiede zwischen einem Krämer und einem Großkaufmann können über die Berufsbezeichnung nicht erfaßt werden. Tendenziell scheint sich hier vor allem ein Stadt-Land-Unterschied auszudrücken. Während sich die >Kaufleute< in den Städten mit ihrem Beitrag weit stärker den bürgerlichen Berufsgruppen annäherten, drückten die ländlichen >Kaufleute< eher ihre Nähe zum Kleinbürgertum aus.84 War ihre prozentuale Beteiligung an der Subskription auch relativ gering, so demonstrierten Gutsbesitzer, hohe Adlige und Militärangehörige über sehr großzügige Beiträge ihre exklusive Stellung in der vormärzlichen Gesellschaft. In fast allen Fällen rangierten sie an der Spitze der sozialen Skala. Auch hier verweisen die hohen Beiträge weniger auf ein besonderes 166

Engagement in der nationalen Bewegung, sondern vielmehr auf den symbolischen Ausdruck ihrer sozialen Position innerhalb der Gesellschaft. Der Maßstab der Selbsteinschätzung bezog sich jedoch keineswegs nur auf die Position innerhalb der Gesellschaft, die aus der jeweiligen Berufsstellung oder aus der Höhe des Einkommens erwuchs. Räumliche Kriterien bestimmten Unterschiede in der sozialen Differenzierung zwischen der Bevölkerung der jeweiligen Hauptstädte, der Städte und des Landes. Außer den hohen Beamten, Adligen und Gutsbesitzern blieben alle Berufsgruppen in den bayerischen Sammlungen (Graph. 3a bis 3c) auf dem Lande mit ihrem Beitrag unterhalb von 50 Kreuzern. In den Städten und vor allem in München bezahlten dagegen fast nur kleine Beamte und Handwerker weniger als 50 Kreuzer. Veranschlagten die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Berufsgruppen ihre Spende in den bayerischen Städten noch immer deutlich unter hundert Kreuzern, wenn auch hier die Differenzierung zunahm, so lag der Beitrag aller bürgerlichen Gruppen in München weit über diesem Betrag. Während die bayerischen Handwerker ihren Beitrag zum Hermannsdenkmal weitgehend unabhängig von ihrem Wohnort ähnlich gewichteten, zahlten die hohen Münchner Beamten durchschnittlich viermal soviel wie ihre Kollegen in den Landgerichten und mehr als doppelt soviel wie die anderer Städte. Abgesehen von der Tatsache, daß die höchsten Beamten in der Zentralregierung saßen, war das Bedürfnis, die sozialen Differenzierungen der bürgerlichen Gesellschaft symbolisch abzubilden, in den Städten offenbar deutlich ausgeprägter als auf dem Lande und innerhalb der Beamtenschaft stärker als in anderen bürgerlichen Gruppen. Eine ähnliche Zunahme der internen Differenzierung vom Land über die Städte bis zur Hauptstadt wies auch das Königreich Hannover auf (Graph. 2a bis 2c). Auch hier blieb fast die gesamte ländliche Bevölkerung - mit Ausnahme des Adels, der Gutsbesitzer und der hohen Beamtenschaft - mit ihrem Beitrag unterhalb eines Reichstalers. Für alle Berufsgruppen - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung je nach Kategorie - stieg der durchschnittliche Beitrag dagegen in den Städten, vor allem in Hannover, an und erhöhte die Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen. Bezahlte ein hoher Beamter in den Hannoveraner Ämtern durchschnittlich nur etwa fünfmal soviel wie ein Handwerker, so spendete ein hoher Beamter in der Hauptstadt durchschnitdich mehr als das Zehnfache des Handwerkers seiner Stadt. Diese Unterschiede können zum einen mit einem generellen StadtLand-Gefälle erklärt werden, da der Lebensstandard in der Stadt - und besonders in der Residenzstadt - in der Regel höher lag als auf dem Land. Da jedoch die Unterschiede in der Spendenhöhe zwischen Stadt und Land innerhalb der unterbürgerlichen Schichten weit weniger stark ausgeprägt 167

waren, sondern sich vor allem städtische, bürgerliche und adlige Eliten hervortaten, ist anzunehmen, daß darüber hinaus in der Stadt das Bewußtsein der Differenzierung und nicht zuletzt auch das Bedürfnis, sie darzustellen, ausgeprägter waren als auf dem Land, wo sich vor allem die traditionellen Eliten von einer insgesamt homogeneren Gesellschaft absetzten. Die Abgrenzung nach unten zeigte sich damit dort am deutlichsten, wo die bürgerliche Gesellschaft am stärksten ausgeprägt war: in der Stadt. Die Differenzierung der sozialen Gruppen über den Beitrag zum Hermannsdenkmal stellte sich 1838 bis 1843 in Lippe (Graph, la bis l b ) nicht nur noch ausgeprägter dar als in den anderen Staaten - hier spendete bereits ein hoher Beamter auf dem Land das achtfache eines Handwerkers - , sondern hier lag auch der Durchschnittsbeitrag aller Spender, vor allem aber der bürgerlichen Gruppen, höher als in den anderen deutschen Staaten. So blieben die durchschnittlichen Spenden in Bayern und Hannover - bis auf wenige Ausnahmen - für alle Berufsgruppen unterhalb von drei Reichstalern, und nur die städtischen Eliten zahlten im Durchschnitt mehr als zwei Reichstaler für das Hermannsdenkmal. In Lippe hingegen stellten die bürgerlichen Gruppen auf dem Land und in den Städten bereits mehr als einen Reichstaler zur Verfugung. Die Pastoren und hohen Beamten gaben hier sogar zwei oder drei Reichstaler. In der Residenzstadt Detmold spendeten nahezu alle Mitglieder des Bürgertums mehr als drei Reichstaler und erreichten im Fall der Beamtenschaft sogar einen Durchschnittsbetrag von mehr als zehn Reichstalern. Während die Beiträge der Unterschichten und des Kleinbürgertums in Lippe - mit Ausnahme von Detmold - wie die der Mitglieder ihrer sozialen Gruppen in anderen Staaten unter einem Reichstaler blieben, hob sich vor allem das lippische Bürgertum, aber eingeschränkt auch das Detmolder Kleinbürgertum, mit einer besonders hohen Spende für das Hermannsdenkmal von den Spendern in anderen Staaten ab. Die Nähe zum (Verein für das) Hermannsdenkmal erhöhte die Spendenfreudigkeit des lippischen, vor allem des Detmolder Bürgertums. Das verdeutlicht einmal mehr die lokale und regionale Bedeutung des Hermannsdenkmals. Nicht etwa nationale Begeisterung bestimmte die Höhe des Beitrages, sondern soziale Verpflichtung und regionale Loyalität. Abgesehen vom besonderen Lokalstolz der lippischen Bürger, ein nationales Symbol auf lippischem Boden zu errichten, spielten auch ihre besonderen Beziehungen und ihre soziale Verflechtung mit den Mitgliedern des Detmolder Vereins für das Hermannsdenkmal eine gewichtige Rolle für ihr höheres finanzielles Engagement. Es war für die Detmolder oder lippischen Bürger nicht nur weitaus schwieriger, einen Beitrag gegenüber den führenden Persönlichkeiten der Detmolder Gesellschaft zu verweigern, sondern 168

auch inopportun, sich in der lippischen Öffentlichkeit - und hier wurden die Spendenlisten gedruckt und gelesen - als geizig oder gar als bürgerlichen Verpflichtungen standesgemäßer Lebensführung nicht gewachsen zu präsentieren. Wie wichtig es für die lippischen Bürger und Beamten war, mit einem angemessenen Beitrag in den gedruckten Spendenlisten des vor allem ein bürgerliches Publikum erreichenden »Lippischen Magazins« vertreten zu sein, belegt die Korrektur eines Druckfehlers. Irrtümlicherweise war der Beitrag des Syndikus der Stadt Blomberg in einer Spendenliste mit nur einem Reichstaler angegeben worden, obwohl er - standesgemäß - zwei Reichstaler gespendet hatte. Prompt wurde in den nächsten »Nachrichten über das Hermannsdenkmal« dieser Fehler korrigiert. Der Hinweis auf diesen Fehler kann mit Sicherheit nur durch den Syndikus Schröter selbst erfolgt sein, der um sein Bild in der Öffentlichkeit fürchten mußte. Hatte dieser als Sammler und Kontaktperson des Detmolder Vereins die Spendenliste seiner Stadt nicht nur in der Reihenfolge der Spender, sondern auch mit dem höchsten Betrag angeführt, wurde er durch den Fehler mit anderen Subskribenten gleichgesetzt. Wer anders als er selbst hätte diesen kompromittierenden Fehler bemerken und um seine Korrektur gebeten haben können?85 Die Variation der durchschnitdichen Spendenhöhen innerhalb der gleichen Berufsgruppen in Lippe, Hannover und Bayern machen darüber hinaus deutlich, daß sich die Spender keineswegs an einem abstrakten Wert orientierten, sondern daß die jeweilige lokale Gesellschaft den Betrag des einzelnen bestimmte. Die Höhe des individuellen Beitrags wurde je nach der lokalen Bedeutung der Subskription von neuem >ausgehandeltdeutsche< Könige im Ausland wurden von den Vereinen um Spenden angegangen und gewährten meist großzügige Summen für das Hermannsdenkmal. Im Zeitraum von 1838 bis 1843 stellten die deutschen Fürsten fast ein Viertel der gesamten Spenden. Im Zeitraum 1862 bis 1871 lag ihr Anteil sogar noch etwas höher (Tab. 23). Die königliche Spende übertraf in mehreren deutschen Staaten das durch die bürgerliche Subskription erbrachte Ergebnis oder ersetzte gar die fehlenden Beiträge der Bevölkerung (Tab. 7). Das war vor allem in Württemberg, Lichtenstein, Luxemburg und den Anhaltischen Staaten der Fall, aber auch in Schaumburg-Lippe und in den Thüringischen Staaten. Darüber hinaus stellten die regierenden Häuser - oft unterzeichnete neben dem Fürsten auch die Fürstin, der Kronprinz sowie die Prinzen und Prinzessinnen - auch in Österreich, im Königreich Sachsen und im Großherzogtum Baden einen erheblichen Anteil der Subskription. Die Beiträge der deutschen Fürsten wurden in den Subskriptionslisten nicht nur denen der Bevölkerung vorangestellt, sondern in den Berichten und Zeitungsartikeln über das Hermannsdenkmal auch besonders erwähnt und hervorgehoben, da sie »auch für die Teilnahme des Publikums nicht ohne günstigen Erfolg geblieben sein würde(n)«. 86 Nationales Engagement und einzelstaatliche Loyalität schlössen sich nicht aus, sondern wurden gerade über das monarchische Prinzip zusammengehalten. Die Nation stellte sich in der Bewegung für das Hermannsdenkmal als föderale Einheit der einzelstaatlichen Monarchien dar: »Dem erhebenden Beispiel seiner hohen Fürsten folgend, hat das gesamte deutsche Volk zur Förderung des dem Helden seiner Nation verherrlichenden Denkmals sich vereinigt«. 87 Die Existenz des bayerischen, preußischen oder lippischen Staates wurde wie das dynastische Prinzip nicht in Frage gestellt, sondern beides ging eine Symbiose mit der Nation ein. »Der Bayerische Landbote« berichtete etwa immer wieder über das besondere, bereits früher häufig dokumentierte deutsche Engagement des bayerischen Königs, das er mit seiner Spende für das Hermannsdenkmal zum Ausdruck brachte, und beschrieb die Subskription für das Denkmal als eine Angelegenheit »welche eines jeden Deutschen Herz berühren muß, weß Gaues er ist; jeden Bayer aber um so mehr bewegt, als sein König auch hier bei diesem schönen Unternehmen des gemeinsamen Vaterlandes mit großartiger Beisteuer als erster deutscher Fürst voranging.« 8 8

Gleichwohl wurde die Nation nicht nur als dynastische Einheit verstanden. Mit der Monarchisierung der Nation ging auch eine Nationalisierung und Verbürgerlichung der Monarchien einher. Der Monarch erschien nicht mehr als souveräner Herrscher seines Staates, sondern als Repräsentant der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und Nation. 89 Allein die Tatsache, daß 171

die Monarchen nicht mehr nur als Herrscher eines Territorialstaates, zum Beispiel als König von Bayern oder Preußen, als Herzog von Oldenburg oder Fürst von Lippe wahrgenommen, sondern kollektiv als deutsche Fürsten bezeichnet und in dieser Eigenschaft um eine Spende für das Hermannsdenkmal ersucht wurden, unterstellte sie einer höheren Einheit. Sie wurden eines Teils ihrer Souveränität beraubt, die auf das »deutsche Volk« überging. »Deutsch muß das Blut sein, welches in Deutscher Fürsten Adern fließt, damit ihre Macht tief in der Brust ihrer Völker die Wurzel habe.« 90 Indem sich die Vereine auch an die Familien der Herrscher wandten, erschienen die Repräsentanten des Staates gleichzeitig als Privatmänner und Familienväter. Die monarchische Dynastie rückte in die Nähe der bürgerlichen Familie. Aus dem Monarchen und seinen Familienangehörigen wurden Privatpersonen, die mit ihrer Spende ihrem individuellen nationalen Engagement Ausdruck gaben. In seinen untertänigen Bitten um Spenden für das Hermannsdenkmal an die Fürsten der deutschen Staaten vergaß der Verein für das Hermannsdenkmals nicht, darauf hinzuweisen, daß das Denkmal dem Helden geweiht sei, »der die Reihe der deutschen Fürsten glorreich eröffnet«.91 Gleichzeitig stellte der Verein recht deutlich heraus, welche Rolle der Monarch in der bürgerlichen Gesellschaft spielen sollte. »Wo es sich um Deutschlands Ruhm und Größe handelte, haben die Deutschen Völker auf ihre erhabenen Fürstengeschlechter stets vertrauensvoll hingeblickt und die gegenwärtige Zeit verdankt Deutschlands Herrschern und ihrem weisen und gerechten Zepter die ungetrübte Fortdauer eines glücklichen Friedens, unter dessen segensreichem Schutze die Pflege der Künste und Wissenschaften und sonst jedes rühmliche Beginnen von jeher Gedeihen gesucht.« 92

Die Pflege der Künste und Wissenschaften stand zwar unter dem Schutz des Monarchen. Sie wurde ihm jedoch als autonomer Bereich der bürgerlichen Gesellschaft entzogen und verlangte für ihr Gedeihen ein gerechtes, das heißt geregeltes Zepter. Wie sich Nation und Territorialstaat nicht ausschlössen, sondern in einer föderalen Einheit verbunden wurden, standen bürgerliche Gesellschaft und Monarchie nicht im prinzipiellen Gegensatz zueinander. Die Monarchie bildete vielmehr den symbolischen und organisatorischen Rahmen für die nationale bürgerliche Gesellschaft. Wenn ein Unbekannter aus Braunschweig 1841 zur Fertigstellung des Denkmals vor 1848 mahnte, so sah er ebensowenig hellseherisch die Revolution voraus, wie er sicherlich nicht den Sturz der Monarchie beschwor. Er gedachte im Gegenteil des Jahrestages des westfälischen Friedens und damit gerade der Einheit der deutschen Fürsten: »Möge die Hermannssäule sich erheben, ehe das Jahr 1848 herannahet, eine Sühnung der früheren 172

Schmach, eine Verheißung besserer Zukunft.« 93 Das Hermannsdenkmal symbolisierte nicht die Revolution oder den Sturz der Monarchie. Es war dennoch ein Symbol der bürgerlichen Gesellschaft. Auch wenn in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts der prozentuale Anteil der Beiträge der deutschen Fürsten an der Gesamtsumme der Spenden mit 27,6 Prozent noch etwas höher lag als im Vormärz, so wurde diese Tatsache nun nicht mehr als unproblematisch erfahren. Zumindest der Verein für das Hermannsdenkmal im von Preußen annektierten Hannover stand dem dynastischen und territorialstaatlichen Prinzip zunächst ablehnend gegenüber. Während der Verein in Detmold und vor allem Bändel, dem es wahrscheinlich mehr auf die Fertigstellung seines Lebenswerkes ankam als auf politische Rücksichten, weiterhin Bittschreiben an die deutschen Fürsten aufsetzten, verzichtete der Verein in Hannover in den ersten Jahren auf diese Einnahmequelle. 94 Der Vorsitzende des Vereins, Lüders, fand 1866 dafür in einem selbstverständlich privaten Brief an den Konsul Meier in Bremen deutliche Worte, wobei seine Treue zu den Weifen die zentrale Rolle für seine feindliche Haltung gegenüber der (preußischen) Monarchie spielte: »Wenn freisinnige Deutsche, wie Sie, hochverehrter Herr Consul, der Denkmalssache den Rücken zuwenden, so muß diese wahrhafte Volksangelegenheit fast am Ziel ihrer Vollendung zum schmachvollen Zeichen deutscher Uneinigkeit entweder verderben oder durch Bettelei bei den Fürsten zu einem Fürstenwerke werden, statt Herrn von Bandeis Idee von vorn herein sie zu einer Volkssache zu machen beabsichtigte. Diesen Erfolg würde ich tief beklagen, und werde deshalb, so viel ich kann, ihn zu hindern suchen.« 95

Noch ein Jahr zuvor hatte sich Lüders über Gerüchte, der König von Preußen werde eine Ausstellung des Kopfes der Hermannsfigur in Köln besuchen, ausgesprochen erfreut geäußert und den Kölner Bankier Eduard Oppenheim gebeten, den König zu einer Spende zu bewegen. Wie bereits die Vereine im Vormärz, erhoffte er sich davon eine Belebung der privaten Spendenfreudigkeit. 96 Als schließlich die Spenden für das Hermannsdenkmal nach dem Krieg gegen Schleswig-Holstein fast vollständig ausblieben, wandte sich der Verein in Hannover gegen alle politischen Überzeugungen direkt an den preußischen König, der gerade erst zweitausend Reichstaler bewilligt hatte, und bettelte um weitere 14.000 Reichstaler für die endgültige Fertigstellung des Denkmals: »Auf Allerhöchste Gewährung dieser submissesten Bitte geben wir uns um so zuversichtlicher hin, als daß auch das Hermannsdenkmal die Taten eines Fürsten verherrlicht, welche Hand in Hand gehen mit dem hochherzigen Bestreben Seiner Majestät des Königs für das Erstarken unseres Deutschen Vaterlandes.« 97

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War das Hermannsdenkmal im Vormärz noch ein Denkmal von Fürsten und Volk gewesen, so kapitulierte der Verein am Ende der sechziger Jahre und zog die Fertigstellung des Hermannsdenkmals als »Fürstenwerk« der Ruine eines Volksdenkmals vor. Auch nach der Gründung des Deutschen Reiches, die als Verwirklichung der im Denkmal symbolisierten Einheit gefeiert wurde, erließen die Vereine in Detmold und Hannover keine neuen Aufrufe zur Subskription, um die noch fehlende Summe von 10.000 Reichstalern aufzubringen, sondern wandten sich mit einem Gesuch an den Reichstag.98 Diese Petition an die Volksvertreter hatte jedoch lediglich einen demokratischen Anstrich, da nicht der Reichstag, sondern in erster Instanz die Vertreter der Bundesstaaten im Bundesrat über die Bewilligung verfugten." Die Petition an den Reichstag wurde zwar veröffentlicht und in vierhundert Exemplaren an die Presse übergeben, aber die entscheidende Petition an den Bundesrat stillschweigend an diesen übersandt.100 Die Vereinsmitglieder in Hannover und Detmold waren sich über die symbolische Bedeutung dieser Petition an die Fürsten-, und nicht an die Volksvertreter, durchaus im Klaren, wiesen aber Bedenken, die etwa von dem Bielefelder Verein erhoben wurden, zurück.101 Das Vertrauen in das Mittel der bürgerlichen Subskription war offensichtlich zerstört, damit aber verlor auch das Hermannsdenkmal seine von den Initiatoren selbst formulierte Bedeutung, die durch den Erfolg der Subskription die Existenz der Nation symbolisieren sollte. Das Denkmal der Nation wurde zum Denkmal des deutschen Nationalstaates. Als 1874 erneut die Gelder ausgingen, verzichteten die Vereine schließlich auf jeden demokratischen Schleier und fragten direkt beim Reichskanzleramt um Gelder aus dem Dispositionsfonds des Kaisers an. Den positiven Bescheid aus Berlin bejubelte der Vereinsvorsitzende Lüders in Hannover, der sich einige Jahre zuvor noch vehement gegen die Umwandlung des Hermannsdenkmals in ein »Fürstenwerk« ausgesprochen hatte, mit einem: »Hoch dem Kaiser!«102 Das Hermannsdenkmal konnte vollendet werden, der bürgerliche Charakter des Nationalsymbols blieb auf der Strecke - wenn auch, wie die Analyse der Denkmalsfeste zeigen wird, die bürgerliche Gesellschaft die Reichsgründung überdauerte und das Hermannsdenkmal weiterhin einen Ort bürgerlicher Repräsentation darstellte.

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3.2. Subskription fiir die Vercingetorixdenkmäler in Clermont-Ferrand 1 8 6 9 / 7 0 und 1 8 8 6 / 8 7 Ihrem Anspruch nach waren die Subskriptionsbewegungen für die Vercingetorixdenkmäler in Clermont-Ferrand bzw. Gergovia dem vergleichbar, was im Fall des Hermannsdenkmals dargestellt wurde. Auch in ClermontFerrand strebten sowohl die Akademie als auch die Société d'Emulation eine nationale Subskription an, um alle Teile der französischen Gesellschaft zu vereinen. Als die Akademie von Clermont-Ferrand 1865 zum ersten Mal konkrete Schritte diskutierte, wie das Vercingetorixdenkmal in Gergovia zu realisieren sei, schwebte ihr eine der deutschen Bewegung formal vergleichbare Struktur der Subskriptionsbewegung vor. Sie sollte durch ein Zentralkomitee in Clermont-Ferrand gesteuert werden und durch Aufrufe in den Zeitungen und Korrespondenzen an einflußreiche Persönlichkeiten - an erster Stelle stand der französische Kaiser - einen nationalen Charakter erhalten. Ähnlich wie in Deutschland orientierte sich der proklamierte nationale Charakter der Subskriptionsbewegung nicht an der französischen Staatsnation. Zumindest bis 1871 stand in dem nationalen Bekenntnis der Subskription fur das Denkmal des großen Auvergnaten ein >ethnisch< und kulturell begründetes Verständnis der Nation im Vordergrund, das auch die Beteiligung nichtfranzösischer Subskribenten einschloß. Dabei konnten sich, wie zum Beispiel im Falle des Rheinlandes, die Kriterien der nationalen Zugehörigkeit zur >gallischen Rasse< in Frankreich mit denen der deutschen Kulturnation durchaus überschneiden. Die Kommission der Akademie in Clermont hatte in den sechziger Jahren beschlossen, »alle Nationalitäten mit gallischem Blut aufzufordern, die Lombardei, die Schweiz, das preußische Rheinland, Belgien, Luxemburg, Holland, bis zu den Grafschaften Wales und Cornwall in England«. 103 In den achtziger Jahren hingegen wurden die nationalen Grenzen der Subskription fur das Vercingetorixdenkmal auf der Place de Jaude in Clermont-Ferrand nicht mehr durch >ethnischenatürliche< Grenzen des französischen Staates gezogen, die der Rhein im Zeichen der Revanche nun deutlich markieren sollte.104 Die nationale Ausdehnung der Subskriptionsbewegung wurde vor 1 8 7 0 / 7 1 von der Akademie und nach dem Krieg von der Société d'Emulation auf verschiedene Weise definiert. Dabei spielte der unterschiedliche soziale Anspruch beider Institutionen eine wichtige Rolle. Da die Akademie das Vercingetorixdenkmal als ein Denkmal der »Gelehrtenrepublik« definierte, spielten nationale Staatsgrenzen eine geringe Rolle. Die Akademiebewegung überschritt die Grenzen des französischen Staates und stand über ein internationales Netz von Korrespondenten in Kontakt mit ausländischen Gelehrten. Dagegen

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definierte die Société d'Emulation das Vercingetorixdenkmal, wenn auch nicht explizit, als Denkmal der französischen Republik, die einerseits politisch als Staatsnation, andererseits - und gerade im Zeichen der Revanche mit Hilfe territorialer Zugehörigkeiten und eindeutiger Grenzen definiert wurde. In Frankreich spielten >objektive< neben politischen, >subjektiven< Kriterien für die Zugehörigkeit zur Nation eine wichtige Rolle. Jenseits von unterschiedlich artikulierten nationalen, politischen und sozialen Ansprüchen zielten beide Subskriptionsbewegungen auf die Bildung einer regionalen Bewegung ab. In beiden Subskriptionsbewegungen für die Vercingetorixdenkmäler sollte die >Auvergne< als sozialer Raum geschaffen und dargestellt werden. Das läßt sich nicht nur an den Aufrufen zur Subskription ablesen, die stets das besondere Interesse der >Auvergne< an einem Vercingetorixdenkmal hervorhoben,105 sondern ebenfalls an den Subskriptionsbewegungen selbst, die sich in ihren Kommunikationsstrukturen und den von ihr mobilisierten Spendern fast ausschließlich auf die >Auvergne< beschränkten und den Anspruch nationaler Denkmäler nicht einlösten. Der Verdacht drängt sich sogar auf, daß die nationale Rhetorik der Subskriptionsbewegung nicht etwa einem Nationaldenkmal diente, sondern benutzt wurde, die Region selbst zu definieren und ihre Existenz im nationalen Gewand zu legitimieren. Ohne den Rekurs auf die Nation konnte die >Auvergne< nicht definiert werden, da die >großen Mannen ihre Größe vor allem über »nationale« Taten erworben hatten und auf die Region übertrugen. Ohne den Bezug zur Nation und die Abgrenzung gegen das Zentrum Paris existierte die >Auvergne< nicht. Damit reduzierte sich auch die nationale Bewegung auf die Zugehörigkeit zur >AuvergneAuvergne< sprachen, beriefen sie sich ausdrücklich auf eine frühere Region, die in ihren Augen von den Arvernern des Vercingetorix über die Provinz des Ancien Régime bis in die Gegenwart Bestand hatte: »Trotz der politischen und territorialen Revolutionen hat die Auvergne fast immer die gleichen Grenzen beibehalten.«107 Außer den Bemühungen, die modernen Departements über eine historische Kontinuität an die historische Provinz anzubinden, verdeudichte vor allem die Subskription, die einerseits ihren Schwerpunkt eindeutig im Departement Puy-de-Dôme fand, andererseits aber auch Departements miteinbezog, die nicht zur historischen Auvergne zählten, daß die >Auvergne< als festbegrenzte und definierte Region allenfalls in den Köpfen der Notabein existierte. In der Praxis wurden je nach Bedarf andere Grenzen gezogen. >Auvergne< konnte auch einfach als Synonym für das Massif Central stehen. In diesem Fall bezeichnete sie vor allem eine sozial und ökonomisch vergleichsweise rückständige Region mit hoher Emigration.108 Außerhalb der >Auvergne< im weitesten Sinne wurden 1869/70 nur insgesamt 1,6 Prozent der Spendensumme für das Denkmal beigetragen, wobei sogar mehr als die Hälfte dieser Summe nicht aus Frankreich, sondern von einer französischen (»auvergnatischen«?) Familie in Heidelberg beigesteuert wurde. Ein weiterer Spender lebte in Bordeaux und zwei andere in Paris, die, so ist anzunehmen, über besondere Beziehungen zur Akademie oder zur Region verfugten. Die Subskription für das Vercingetorixdenkmal der Akademie fand also, obwohl es ausdrücklich außerhalb von Clermont-Ferrand errichtet wurde, in erster Linie Resonanz in der Stadt 177

Clermont-Ferrand bzw. im Departement Puy-de-Dôme. Als Denkmal der >Auvergne< konnte es nur bedingt gelten. Eine nationale Subskription wie in Deutschland fand, trotz zahlreicher anderslautender Erklärungen von Seiten der Akademie, überhaupt nicht statt und wurde auch nicht verfolgt. Da die Akademie durchaus über nationale Kontakte, zumindest zu anderen regionalen sociétés savantes, verfugte, spiegelte dieses Ergebnis sicherlich nicht einen geringeren »Nationalisierungsgrad« der französischen Gesellschaft gegenüber der deutschen wider. Vielmehr ist anzunehmen, daß die Beschränkung der Subskription auf den regionalen Raum als symbolischer Ausdruck der Eigenständigkeit der Region gegenüber der französischen, zentralistischen Staatsnation gelten sollte. Nicht die Nation, vielmehr die Region, als soziale und kulturelle Basis der Notabeingesellschaft, sollte entdeckt und symbolisch zum Leben erweckt werden. Auch wenn es der Société d'Emulation in der Subskription von 1 8 8 6 / 8 7 gelang, etwas mehr als das Vierfache der Summe der Akademie in den sechziger Jahre zu sammeln, gestaltete sich die regionale Verteilung der Spenden der zweiten Subskription ähnlich (Tab. 26). Wieder entfiel mehr als die Hälfte der Gesamtsumme auf Clermont-Ferrand und mehr als ein Drittel auf die restlichen Kommunen und Gemeinden des Departements Puy-de-Dôme, die ihren Anteil an der Subskription im Vergleich zur ersten Sammlung der Akademie noch erhöhten. Das Departement Puy-de-Dôme brachte erneut, diesmal mit mehr als 85 Prozent, mit Abstand die größte Summe für das Vercingetorixdenkmal auf. Daneben wurden die dem Puyde-Dôme benachbarten Departements an der Subskription beteiligt, wobei vor allem das Departement Allier mit fast neun Prozent an der Spitze stand. Nur ein politisches Vertretungsorgan außerhalb des Departements Puy-deDôme, der Generalrat des Departements Tarn-et-Garonne, bewilligte - auf welchem Wege, ist nicht bekannt - eine Spende fur das Vercingetorixdenkmal. Obwohl sich in Paris innerhalb der »auvergnatischen Kolonie« ein »Nationalkomitee« gegründet hatte, entfielen auf die Hauptstadt nur 1,6 Prozent der Gesamtspenden fur das Vercingetorixdenkmal. Weitere 1,2 Prozent wurden in Reims gespendet, wo offenbar ein Verwandter von François Vazeilles, einem der engagiertesten Mitglieder der Société d'Emulation, für das Vercingetorixdenkmal sammelte. 109 Zwei Beiträge wurden darüber hinaus aus dem Ausland nach Clermont-Ferrand eingesandt, wobei jedoch der Kontakt zwischen Spendern und der Société d'Emulation unbekannt ist.

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3.2.2. Kommunikationsstrukturen Die Konzentration der Spenden fur die Vercingetorixdenkmäler auf die Stadt Clermont-Ferrand und das Departement Puy-de-Dôme muß, wie in Deutschland, vor allem auf die von den Initiatoren eingeschlagenen Kommunikationswege zurückgeführt werden.110 So äußerte die Akademie in den sechziger Jahren zwar die Absicht, die bestehenden nationalen Verbindungen zwischen den einzelnen sociétés savantes fur eine nationale Subskription zu nutzen und sich mit einem Rundschreiben an ihre >Mitbrüder< in den französischen und ausländischen sociétés savantes zu richten,111 jedoch fehlt von einer solchen Korrespondenz jede Spur. Es wird jedoch erneut deutlich, wie eng das Vercingetorixdenkmal mit den elitären Zielen der Akademie verbunden war. Zwar erhob man auch hier den Anspruch, alle Franzosen an der Subskription für das Denkmal zu beteiligen, jedoch reduzierten sich die nationalen Kontakte fast ausschließlich auf das Kommunikationsnetz der gelehrten Gesellschaften. Letztlich haben sich die Mitglieder der Akademie wahrscheinlich weitgehend darauf beschränkt, bei Freunden und Bekannten in Clermont-Ferrand bzw. in ihren Gemeinden auf dem Land zu sammeln. Darüber hinaus scheint der Rektor der regionalen Schulbehörde (Académie) sich an die Schulinspektoren gewandt zu haben, die wiederum die Lehrer in den Kommunen fur die Subskription mobilisiert haben. Zahlreiche Spenden vor allem auch außerhalb des Departements Puy-de-Dôme - wurden von Lehrern eingesandt, die in ihren Schulen und Kommunen für das Vercingetorixdenkmal gesammelt hatten. Auch in Frankreich wurde, wenn auch in weitaus geringerem Umfang als in Deutschland, für die Subskriptionsbewegung auf staatliche, bürokratische Strukturen zurückgegriffen. Obwohl die Société d'Emulation den nationalen und patriotischen Charakter des Vercingetorixdenkmals und der Subskription betonte - »Vorwärts! Es ist für das Vaterland! Es ist für Frankreich!« - , konzentrierte sie ihre Aktivitäten von vorn herein auf die Region.112 Ihre Mitglieder erklärten sich »überzeugt, daß die Teilnahme nur von der Stadt und von der Bevölkerung von Clermont-Ferrand kommen« könne und überließen den »Auvergnaten von Paris« die nationale Agitation. So knüpfte die Société zwar anläßlich der Beerdigung von Victor Hugo, zu der sie einen Vertreter nach Paris schickte,113 Kontakte zu einflußreichen Männern der >Auvergne< in der Hauptstadt, vor allem zu Abgeordneten und Senatoren, beließ es jedoch dann bei einer strikten Aufgabenteilung. Von Clermont-Ferrand aus führte der Sekretär der lokalen Kommission für das Vercingetorixdenkmal zwar umfangreiche Korrespondenzen, 114 er beschränkte sie jedoch offenbar auf die Stadt, das Departement Puy-de-Dôme und die umliegen179

den Departements der >AuvergneAuvergne< im 20. Jahrhundert stützen diese Vermutung. 139 Das Militär erfüllte offenbar in der Subskription fiir das Vercingetorixdenkmal eine besondere symbolische Rolle. Immerhin stammten nicht nur 1,4 Prozent der Gesamtsumme aus Sammlungen innerhalb der Kaserne von Clermont-Ferrand. Auch die starke Beteiligung der paramilitärischen Gymnastikvereine unterstreicht diese Tatsache. Der erste Spender auf der ersten Subskriptionsliste war darüber hinaus mit dem ansehnlichen Beitrag von hundert Francs der kommmandierende General der in der Stadt stationierten Truppen. 140 Nationale Bekundungen waren für die die Sub184

skriptionsbewegung irritierenden Notabein immer, seit 1 8 7 0 / 7 1 sogar noch verstärkt, mit militärischer Erziehung und militärischen Symbolen besetzt und räumten dem Militär in der republikanischen Geselligkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle ein. Insgesamt jedoch läßt sich auch in den Kasernen eine »Republikanisierung« feststellen, da Sammlungen innerhalb der Truppen ein größeres Gewicht beigemessen wurde als den individuellen Spenden einzelner hoher Militärs wie noch in den sechziger Jahren. Zeitungen waren, gemessen an der großen Bedeutung, die ihnen von den Initiatoren der Subskriptionen immer wieder zugesprochen wurde, mit nur 4,6 Prozent der Subskriptionssumme auch im französischen Fall von untergeordneter Bedeutung für die Kommunikationsstrukturen der Bewegung. Persönliche Kontakte und Beziehungen waren auch in Frankreich erheblich wichtiger als anonyme, wenn auch flammende Aufforderungen zur Subskription in den Zeitungen. Wenn jedoch der Anteil der Subskribenten, die über die Presse erreicht wurden, in Frankreich deutlich höher lag als im deutschen Fall, so läßt sich das weniger auf die dichtere französische Presselandschaft zurückführen, 141 sondern ist vor allem mit dem regionalen Charakter der Bewegung zu erklären. Wie in Deutschland erfolgten die Beiträge, die über Zeitungsredaktionen beigesteuert wurden, nicht nach Aufrufen in Zeitungen außerhalb des Departements Puy-deDôme, wenn diese sich auch zur Mithilfe anboten. 142 Vielmehr kamen fast alle diese Beiträge durch Sammlungen des »Moniteur du Puy-de-Dôme« zustande. Daß sie nicht nur über gedruckte Aufforderungen einflössen, belegt die Tatsache, daß auch der Direktor dieser Zeitung in seiner Redaktion und in seiner Druckerei sammelte oder sammeln ließ143 und auch hier persönliche Kontakte die entscheidende Rolle für die Teilnahme spielten. Da außerdem auch Sammlungen von Vereinen und Schulen als Subskription des Moniteur ausgegeben wurden, 144 liegt es nahe zu vermuten, daß die Redaktion der Zeitung weniger als Motor der Bewegung, sondern vielmehr als Koordinationsstelle fungierte, an die einzelne Sammler ihre Beiträge einsenden konnten. Schließlich entfielen 6,4 Prozent der Spenden für das Vercingetorixdenkmal auf die Gemeinde- und Generalräte. Mit Ausnahme des Generalrats des Departements Tarn-et-Garonne, der auf nicht bekanntem Wege hundert Francs beisteuerte, beschränkte sich auch diese Beteiligung auf die Kommunen des Puy-de-Dôme. Von der nationalen Subskriptionsaufforderung des Pariser Komitees findet sich keine Spur in den Subskriptionslisten. Es ist nicht eindeutig, ob sie nie an ihre Empfanger abgesandt wurde oder aber bei ihnen keine Resonanz fand. Da es im 19. Jahrhundert durchaus üblich war, daß städtische oder regionale Vertretungen Gelder für Denkmäler für mehr oder weniger bekannte >große Männer< anderer französischer Regionen bewilligten,145 ist wahrscheinlicher, daß das Pariser Komitee nie in 185

Aktion getreten ist. Die Beschränkung der Beiträge der Stadt- und Gemeinderäte des Departements Puy-de-Dôme scheint vielmehr Ausdruck einer Entscheidung des Komitees in Clermont-Ferrand gewesen zu sein als Ergebnis der Ablehnung von Spenden in anderen französischen Regionen. Allerdings belegen die Spenden auch der kleinsten Gemeinden des Departements erneut die besondere Bedeutung des auvergnatischen Helden im Departement Puy-de-Dôme, aber auch die Existenz besonderer sozialer Beziehungen zwischen Clermont-Ferrand und den Kommunen auf dem Land. Auch im französischen Fall wurde die Teilnahme an der Denkmalsbewegung nicht durch nationale oder politische Loyalitäten und Überzeugungen allein bestimmt. Republikanische und/oder nationale Ideen mischten sich mit Lokalstolz, bürokratischen und paternalistischen Strukturen, sozialen Beziehungsnetzen, dem Streben nach Sozialprestige und geselligem Vergnügen. Erst alle Faktoren zusammen scheinen die individuelle Bereitschaft zur Spende für das Denkmal bestimmt zu haben. Dieses Ergebnis läßt zweifeln, ob und inwieweit nationale oder republikanische Symbole zur Ausbildung von politischem Bewußtsein der Bevölkerung in Stadt und Land beitrugen. Die Frage nach der Ausbreitung eines republikanischen oder nationalen Bewußtseins in der französischen Stadt- und Landbevölkerung stellt eines der meistdiskutierten Probleme in der französischen und vor allem amerikanischen Frankreichforschung zum 19. Jahrhundert dar.146 So formuliert Eugen Weber einen deutlichen Widerspruch zwischen lokalen und nationalen (republikanischen) Loyalitäten und sieht die Nationalisierung der ländlichen Bevölkerung erst mit der Jahrhundertwende als vollendet an. 147 Dagegen weist Maurice Agulhon bereits fur die Zweite Republik moderne Formen von politischer Kultur in den Dörfern der Provence nach und betont die Verschmelzung traditioneller und moderner, lokaler und nationaler Komponenten im politischen Bewußtsein der ländlichen Bevölkerung. 148 Für die Regionen des Massif Central betont Alain Corbin hingegen die archaischen politischen Strukturen einer isolierten und verspäteten Region, die erst mit Beginn der Dritten Republik langsam durch moderne Formen politischer Kultur und Geselligkeit ersetzt wurden. 149 Geht man jedoch davon aus, daß sich die verschiedensten Identitäten lokaler, regionaler und nationaler Art verbanden und republikanische Einstellungen sich auch in der Dritten Republik mit persönlichen, sozialen und paternalistischen Beziehungen mischten, so erscheint die Datierung eines politischen oder nationalen Bewußtseins zweitrangig. Wichtiger ist hingegen zu untersuchen, wie es den französischen Notabein gelang, jenseits der zahlreichen politischen Brüche im 19. Jahrhundert eine relativ stabile bürgerliche Gesellschaft zu konstruieren. Dabei wirkten außer politischen Überzeu186

gungen in starkem Maße persönliche, regionale und lokale soziale Beziehungen. Ein Vercingetorixdenkmal - und wahrscheinlich auch eine Büste von Marianne - war nicht nur Vehikel nationaler oder republikanischer Überzeugungen und Zeugnis der politisch verfaßten Gesellschaft, sondern in viel stärkerem Maße ein Ort der Geselligkeit und Symbol der - harmonischen - gesellschaftlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen und Klassen.150

3.2.3. Soziale Ausdehnung Die Subskriptionen der Akademie in den sechziger Jahren und die der Société d'Emulation in den achtziger Jahren zeigen deudiche Unterschiede in der sozialen Beteiligung; das liegt angesichts der unterschiedlichen sozialen Strategien und Ziele der beiden Vereinigungen auf der Hand. Da jedoch die Initiatoren der Subskription durch die Art und Weise der eingeschlagenen Kommunikationswege über die Beteiligung der verschiedenen sozialen Gruppen und Klassen entschieden, verbietet es sich, die soziale Ausdehnung der Subskriptionsbewegung von 1869 bis 1886 als Zeichen der Veränderung des politischen Bewußtseins unterbürgerlicher Gruppen zu interpretieren. Vielmehr drückt der Wandel in der Subskriptionsbewegung vor allem den der städtischen Notabein aus und beleuchtet ihr verändertes Verhältnis zu den unterbürgerlichen Schichten. Die Durchsetzung der Republik war vor allem das Werk der republikanischen Eliten und weit weniger der unterbürgerlichen Schichten. Die Subskription der Akademie in den sechziger Jahren beschränkte sich fast ausschließlich auf die Mitglieder der Notabeingesellschaft (Tab. 28). Bereits die kleine Zahl der Subskribenten bestätigt, daß sich die Mitglieder der Akademie weitgehend darauf beschränkten, in ihren eigenen Kreisen zu sammeln. Nur 305 Spender sind mit Angabe ihres Namens in den gedruckten Subskriptionslisten aufgeführt. Da diese jedoch fast sechzig Prozent der Gesamtsumme stellten, ist anzunehmen, daß auch die Spenderzahl insgesamt sehr begrenzt blieb. Von nur insgesamt 278 Spendern sind ihr Beruf oder ihre soziale Stellung bekannt. Drei Viertel dieser Spender können im weitesten Sinne als Notabein bezeichnet werden, wobei die Berufsangabe allein zunächst wenig über ihre soziale Stellung aussagt (Tab. 31). Nur 4,7 Prozent geben sich zum Beispiel ausdrücklich als »propriétaire« aus. Inwieweit die anderen über Landbesitz und unabhängige Einkünfte verfugten, muß offenbleiben. Die exklusive Stellung der Akademiemitglieder in der regionalen Gesellschaft läßt vermuten, daß zwischen den Notabein der Akademie und den Spendern eine gewisse soziale Nähe bestand. Das ist umso wahrscheinlicher, da allein mehr als 187

zehn Prozent der Spender selbst Mitglieder der Akademie waren und sich die Berufsangaben der Subskribenten weitgehend mit denen der Akademie zum Zeitpunkt der Subskription deckten (Tab. 29). Neben den klassischen Notabein aus Adel (2,2%), Militär (3,6%) und Grundbesitzern (4,7%), beteiligten sich vor allem hohe Beamte und Magistrate (23,7%), Mitglieder der freien Berufe (12,9%) sowie Abgeordnete und Senatoren (13,7%) an der Subskription. Darüber hinaus spielten Geistliche (5,4%), die auch in der Akademie ihren festen Platz hatten, eine wichtige Rolle. Auffällig ist die geringe Zahl von Kaufleuten und Fabrikanten, deren Berufe nicht zu den klassischen Tätigkeitsfeldern der Notabein gehörten und die aus ihren Verkehrskreisen - zumindest in der industriell schwachen Region - noch nahezu vollkommen ausgeschlossen waren.151 Unterbürgerliche Gruppen wurden kaum an der Subskription beteiligt. Zwar war der Anteil der Lehrer mit 16,9 Prozent erstaunlich hoch, diese standen jedoch keineswegs in direktem Kontakt mit den Notabein, sondern wurden nur vermittelt über das staatliche Bildungssystem erreicht. Über ihre, wenn auch verglichen mit den Mitgliedern der Akademie, begrenzte Bildung und ihr besonderes Interesse für lokale Angelegenheiten verfugten sie gleichwohl über eine gewisse Affinität zu den Notabein. Abgesehen von einigen Angestellten (4%), die vor allem als öffentliche Angestellte in beruflichem Kontakt mit den Beamten und Magistraten standen, und nur drei Handwerkern waren die Notabein in der Subskriptionsbewegung unter sich. Der elitäre Charakter der Akademie, der das Denkmal einem gebildeten Publikum reservierte, drückte sich auch in der Subskription aus. Der hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern von Elementarschulen immerhin wurden über Schulsammlungen 14,6 Prozent der Gesamtsumme der Subskription eingebracht deutet jedoch daraufhin, daß das Vercingetorixdenkmal auch außerhalb der Notabelnkreise eine soziale Funktion erfüllen sollte. Nicht politische Erziehung der erwachsenen Bevölkerung, wohl aber historische >Bildung< der nächsten Generation, mithin die Erziehung der Jugend im Sinne regionaler Werte und >TraditionenAuvergne< war zwar ohne Rekurs auf die Nation nicht denkbar. Eine nationale 194

Subskription oder gar staatliche Subventionen hätten jedoch die Denkmäler in erster Linie zu Symbolen der französischen Nation und des französischen Staates gemacht und alle Bemühungen der regionalen Eliten, die >Auvergne< als eigenständigen sozialen Raum zu konstituieren, unterlaufen. Keine der beiden Initiativen in Clermont-Ferrand brachte indes die nötigen Mittel allein durch die Subskription auf. Obwohl die geplanten Denkmäler dem regionalen Charakter der Subskription entsprechend in weit bescheideneren Dimensionen geplant wurden als das Hermannsdenkmal, wurden auch in Frankreich die Effektivität einer öffentlichen Subskription und das Engagement der regionalen Bevölkerung weit überschätzt. So wurde der Subskriptionsbewegung der Akademie durch den Deutsch-Französischen Krieg ein Ende gesetzt, ohne daß sie in dem vorausgegangenen Jahr großen Widerhall gefunden hatte. 163 Ohne äußeren Einfluß lief auch die Subskription für das Vercingetorixdenkmal der Société d'Emulation nach einem Jahr aus. Mit nicht einmal 1 5 . 0 0 0 Francs hatte sie weniger als 15 Prozent der später tatsächlich entstehenden Kosten für das Denkmal eingebracht. 164 Erst gegen Ende des Jahrhunderts, nachdem der Künstler F.A. Bartholdi dem Komitee erneut sein Werk angeboten hatte, traten die früheren Mitglieder wieder in Aktion. Diesmal wandten sie sich jedoch nicht erneut mit Subskriptionsaufforderungen an die Vereine des Departements, sondern an den Ministerpräsidenten und den Ministre de l'Instruction Publique, des Beaux-Arts et des Cultes und baten um öffentliche Subventionen. 165 Zugleich stellten sie an den Stadtrat von Clermont-Ferrand den Antrag, die Kosten für die Errichtung des Sockels und den Ausbau der Place de Jaude zu übernehmen. Auch wenn die Denkmalsinitiative der Société d'Emulation in den achtziger Jahren zwar einen republikanischen Charakter hatte, verzichtete sie doch auf offene politische Bekenntnisse. Sie versuchte vielmehr, das Denkmal durch Appelle an die nationale und regionale Loyalität zu einem parteienübergreifenden und politische Konflikte schlichtenden Symbol zu gestalten, es »gegen alle Schwierigkeiten, Hindernisse und Gleichgültigkeiten, sogar selbst gegen alle Revolutionen« fertigzustellen und zu einem »Zeichen des Patriotismus« zu machen, »inmitten der Kämpfe, die uns von der Zerrissenheit hin zur Machtlosigkeit tragen«. 166 Vor allem der Appell an regionale Bindungen der Bevölkerung stellte - außer der paternalistischen Einflußnahme auf die unterbürgerlichen Schichten - für die republikanischen Eliten eine gewisse Garantie für die Aufrechterhaltung des sozialen und politischen Friedens der Dritten Republik dar. Durch die Einbeziehung der republikanischen Institutionen verlor das Denkmal jedoch seinen parteienübergreifenden Charakter. So sah sich das Denkmalskomitee verpflichtet, in seinem Bittschreiben an die Minister in Paris 195

hinzuzufügen, daß sie zur Einweihung des Denkmals auf die Anwesenheit der »Hohen Vertreter der Regierung der Republik« zählten.167 Während die Mitglieder des Komitees immer darauf verzichtet hatten, in öffentlichen Verlautbarungen den Begriff der Republik im Zusammenhang mit dem Vercingetorixdenkmal zu benutzen und vielmehr von Nation, Vaterland und nationaler Verteidigung sprachen, wurde das Denkmal schließlich über den Rekurs auf die staatlichen Institutionen republikanisiert und politisiert. Auch der Stadtrat von Clermont-Ferrand, der die größte Summe fiir die Fertigstellung des Denkmals bereitstellte und die Organisation des Einweihungsfestes weitgehend bestimmte, gab dem Denkmal einen politischen Charakter. »Um den Helden, der nicht nur der Auvergne, sondern ganz Frankreich gehört und den Patriotismus verkörpert, noch würdiger zu feiern, haben wir gedacht, daß es angemessen sei, die Regierung der Republik an unserem Fest zu beteiligen. Auf diese Weise könnte Clermont-Ferrand eine wirklich französische, patriotische und republikanische Demonstration erleben.«168

Der Rekurs auf die >ethnische< und historische Zugehörigkeit zur Region war zwar nicht antirepublikanisch, jedoch unterlief er - wie sich zeigen wird, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts relativ erfolgreich - die offizielle, vor allem politische und soziale Definition der Zugehörigkeit zur französischen Republik und Nation.

3.3. Vergleichende Zusammenfassung Obwohl alle Subskriptionsbewegungen für das Hermannsdenkmal sowie für die Vercingetorixdenkmäler einen nationalen Anspruch erhoben, unterschieden sie sich doch gerade in diesem Aspekt deutlich voneinander. Während es dem Verein für das Hermannsdenkmal gelang, Spenden aus nahezu allen Staaten des deutschen Bundes und teilweise auch von Deutschen im Ausland zusammenzutragen, blieben die Beiträge für die Vercingetorixdenkmäler in Clermont-Ferrand fast ausschließlich auf den näheren Umkreis des Denkmals, auf die >AuvergneAuvergne< symbolisierte Vercingetorix in erster Linie regionale Identität, die jedoch erst unter Berufung auf die Nation als Teil eines größeren Ganzen definiert werden konnte. Nur das Verhältnis von staatlicher Realität und im Symbol dargestelltem imaginären Raum fiel dabei aufgrund der unterschiedlichen staatlichen Strukturen in beiden Ländern gegensätzlich aus und bestimmte die Ausdehnung der Subskriptionsbewegung als Ausdruck des jeweils über die Repräsentation zu schaffenden imaginären Raumes. In Frankreich erfand der Mythos einen imaginären Raum als Teil des Staates, in Deutschland schuf der Mythos die imaginäre Gemeinschaft aus seinen staatlichen Teilen. Nationale und regionale Identitäten mischten und stützten sich jedoch in beiden Bewegungen. Die sozialen Räume, in denen sich die bürgerliche Gesellschaft konstituierte, stellten in beiden Ländern die Regionen dar. Auch in Deutschland war die gesellschaftliche Kommunikation vorwiegend regional bestimmt. Während die sozialen Beziehungen auf nationaler Ebene ausschließlich über ein dünnes Netz von persönlichen oder staatlichen Kontakten zwischen einzelnen Personen liefen, entwickelten sie sich nur in der Region über bürgerliche Kontakte, gesellige Zusammentreffen sowie staatliche und paternalistische Herrschaftsstrukturen zu einem verdichteten Netz der - zum Teil klassenübergreifenden - Kommunikation. Aufgrund dieses Befundes stellt sich für beide Länder die grundsätzliche Frage, inwieweit »nationale« Symbole und Subskriptionsbewegungen als Ausdruck eines politischen oder nationalen Bewußtseins oder gar »nationalen Erwachens« zu interpretieren sind. Die Analyse der Kommunikationsmittel, die bei den Subskriptionen verwandt wurden, zeigte, daß fast niemand seinen Beitrag zum Denkmal aus eigenem Antrieb gab, daß also weniger eine abstrakte Überzeugung bei der Subskription eine Rolle spielte, als vielmehr die soziale Stellung des einzelnen innerhalb einer regionalen oder lokalen Gesellschaft und die spezifische Anbindung an die Kommunikationsstrukturen . Die Öffnung der Bewegung für unterbürgerliche Schichten reflektierte daher vor allem das Bemühen der bürgerlichen Organisatoren, diese in die 197

Bewegung zu integrieren und sie darüber an die eigene soziale Klasse zu binden. Da die Notabein der Akademie die Subskription weitgehend auf Kontakte innerhalb der Notabeingesellschaft beschränkten und nur hier sammelten, waren unterbürgerliche Schichten in den Spendenlisten der ersten Subskription in Clermont-Ferrand kaum vertreten. Die einzige Brücke, welche die Subskription zwischen den Notabein und unterbürgerlichen Schichten schlug, stellten die Sammlungen der Lehrer in den Schulen dar. Zu den Erwachsenen dieser Schichten wurde kein Kontakt aufgenommen, so daß sie fast völlig aus der Subskription ausgeschlossen waren. Dagegen versuchte die Société d'Emulation in den achtziger Jahren verstärkt, die Subskription auf alle sozialen Schichten auszudehnen und die Subskription als symbolischen Ausdruck einer republikanischen, egalitären Gesellschaft erscheinen zu lassen. Vor allem das paternalistisch geführte Vereinswesen diente hier als Mittel, die ganze Bevölkerung auf eine von den Notabein kontrollierte Weise in die Bewegung einzubinden. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich das Bürgertum zwar bemühte, auch unterbürgerliche Schichten in die Bewegung zu integrieren, sie aber weder in den vierziger noch in den sechziger Jahren als aktive Sammler und Kontaktpersonen beteiligte, traten die kleinbürgerlichen Vereine in Frankreich als Sammler und Kontaktstellen zwischen republikanischen Eliten und unterbürgerlichen Schichten in Aktion. Das Vereinswesen stellte einen Ort dar, der zwar die republikanische Gesellschaft fiir alle Mitglieder der Gesellschaft öffnete, jedoch gleichzeitig Ordnungsgarantien und Kontrollmechanismen bereitstellte, die die führende Rolle der lokalen Honoratioren stützten. In Deutschland spielten Vereine und gesellige Anlässe eine wichtige Rolle für die Kontakte innerhalb der Subskriptionsbewegung. Es handelte sich jedoch bei diesen fast immer um bürgerliche Vereine, die die Kommunikation innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft gewährleisteten. Zwar nahm das Bürgertum auch in Deutschland, vor allem im Vormärz, über die paternalistische Vereinsgründung und -fuhrung auf die moralische Verbesserung der unterbürgerlichen Schichten Einfluß. Diese Vereine spielten jedoch in der bürgerlichen Bewegung keine Rolle. Unterbürgerliche Schichten wurden hier fast ausschließlich über staatliche Herrschaftsstrukturen eingebunden und traten nie als aktive Mitglieder der Bewegung in Erscheinung. Obwohl die Subskriptionsbewegung in Deutschland alle sozialen Schichten auf die nationale Idee verpflichten sollte, stellte sie die aktuelle Gesellschaft nicht als egalitär dar. Während das Bürgertum die Leitung und Durchfuhrung der nationalen Bewegung fur sich beanspruchte, wurden unterbürgerliche Schichten an ihr nur über die staadiche Kontrolle der (bürgerlichen) Beamtenschaft beteiligt. Die »klassenlose Bürgergesellschaft:« wurde als Ideal durchaus vertreten, in der Realität jedoch 198

durch eine strikte Trennung der bürgerlichen Öffentlichkeit von den durch staatliche Einflußnahme noch zu erziehenden unterbürgerlichen Schichten auf die Zukunft vertagt. Während sich die französische bürgerliche Gesellschaft der Dritten Republik mehr bemühte als die deutsche im Vormärz oder in den sechziger Jahren, die unterbürgerlichen Schichten zu integrieren, öffnete sich die deutsche Gesellschaft: in weit stärkerem Maße für bürgerliche Frauen als die französische Gesellschaft. Frauen waren zwar als Spenderinnen in beiden Ländern unterrepräsentiert und aus den männlich dominierten Verkehrsund Kommunikationskreisen ausgeschlossen. Dennoch wurde den bürgerlichen Frauen in Deutschland ein eigener und aktiver, wenn auch über Geschlechtscharaktere definierter und von der männlichen Sphäre abgetrennter Raum zugewiesen. Bürgerliche Frauen wurden aufgefordert, eigene Vereine zu gründen, in denen sie vor allem mit Handarbeiten zur Finanzierung des Hermannsdenkmals beitragen sollten. Das Bekenntnis zur Nation war in Deutschland nicht an die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht gebunden, sondern bezog Männer und Frauen in polarisierten Geschlechtsrollen ein. In Frankreich hingegen waren Frauen aus der Subskriptionsbewegung weitgehend ausgeschlossen. Sie trugen zwar individuell mit ihren Spenden zur Subskription bei, wobei besonders Arbeiterinnen und Angestellte in den öffentlichen Raum einbezogen wurden. Eine aktive Rolle, aus der sie ein politisches Recht hätten ableiten können, wurde ihnen jedoch auch in der republikanischen Gesellschaft nicht zugestanden. Während in Deutschland die aktive Teilnahme an der bürgerlichen Gesellschaft und den bürgerlichen Verkehrskreisen weitgehend auf das Bürgertum beschränkt blieb, Frauen jedoch bedingt in die öffentliche bürgerliche Kultur einbezogen wurden, blieben Frauen in Frankreich nicht nur aus der Notabeingesellschaft, sondern auch aus der sich egalitär darstellenden Republik ausgeschlossen. Trotz des Unterschieds zwischen Deutschland, wo unterbürgerliche Schichten vor allem im Vormärz über hierarchische Strukturen und staatliche Herrschaftsmechanismen in die Bewegung eingebunden waren, und Frankreich, wo die Notabein zunächst auf jeden Kontakt mit unterbürgerlichen Schichten verzichteten und erst die »neuen Schichten« in der Dritten Republik über das Vereinswesen ein stärker egalitäres gesellschaftliches Modell propagierten, zeigen die Subskriptionsbewegungen gleichermaßen eine Differenzierung innerhalb der Gesellschaft und den Führungsanspruch bürgerlicher Gruppen. Auch wenn unterbürgerliche Schichten über den Rekurs auf die Nation oder gar auf die Republik an die bürgerliche Bewegung gebunden wurden, grenzten die Subskriptionen in beiden Ländern bürgerliche Verkehrskreise von nichtbürgerlichen Schichten ab und unterstrichen - vor allem in den individuellen Beiträgen zu den Denkmä199

lern - den Klassencharakter der nationalen Gesellschaft in Deutschland und Frankreich. Zwar standen die Subskriptionsbewegungen des Vereins fur das Hermannsdenkmal und der Société d'Emulation formal allen Mitgliedern der Gesellschaft: gleichermaßen offen. Jedoch lieferten sie gleichzeitig über die Höhe des gespendeten Beitrags ein Mittel, die sozialen Unterschiede innerhalb der Gesellschaft symbolisch zum Ausdruck zu bringen und festzuschreiben. Die Ergebnisse in beiden Ländern belegen die symbolische Bedeutung der Subskription als Mittel sozialer Integration und Distinktion. Für jeden Spender war es offenbar selbstverständlich, in seinem Beitrag auch seine soziale Stellung auszudrücken. Das soziale Raster, das dabei zugrunde gelegt wurde, ergab sich zwar aus lokalen und regionalen Maßstäben und variierte, das hat vor allem der deutsche Fall gezeigt, zwischen Stadt und Land und zwischen einzelnen Regionen. Das System der sozialen Differenzierung an sich war jedoch regional übergreifend weitgehend identisch. Die soziale Selbsteinschätzung der Subskriptionsbewegungen erscheint als Produkt des Habitus, der die Klassenbildung über ein abstraktes und objektives System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen regelte, die von jedem Mitglied der Gesellschaft internalisiert und akzeptiert waren, jedoch ihren gesellschaftlichen Ausdruck individuell in den konkreten sozialen Beziehungen fanden. Die persönliche Selbsteinschätzung des Spenders in seinem lokalen und regionalen Umfeld korrespondierte mit seiner Selbst- und Fremdzuschreibung zu einer abstrakten und nicht über lokale Beziehungen definierten sozialen Gruppe oder Klasse. Indem jeder Spender sich diesem System der Differenzierung anpaßte und damit die Differenzierungskriterien als selbstevident ansah, spiegelte die Subskription gleichzeitig auch die allgemeine Akzeptanz der bürgerlichen Gesellschaft als einer ungleichen wider.

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4. Fest Die These, daß Denkmäler keine ihnen immanente Bedeutung haben, sondern erst durch die auf sie bezogene symbolische Praxis der durch das Denkmal kommunizierenden Individuen und sozialen Gruppen einen Sinn erhalten, weist der Festkultur eine zentrale Rolle in der Analyse von Denkmälern zu. Denkmäler sind nicht aus sich heraus anschauliche Symbole der in ihnen zu Stein gewordenen nationalen Ideen, sondern sie schaffen sakrale Orte, die für die Feier nationaler Feste prädestiniert sind und in denen abstrakte nationale Ideen mit Leben gefüllt werden. »Die Kuppel des Berges selbst ist wie dazu geschaffen, daß hier am Fuße der Arminstatue Volksfeste im großen Stil in Zukunft begangen werden«, prophezeite 1875 die »Weser-Zeitung« ihren Lesern,1 und auch die Initiatoren der Vercingetorixdenkmäler in Clermont-Ferrand dachten bei der Errichtung ihrer Denkmäler immer daran, diese ins Zentrum der Festkultur zu stellen. François Vazeilles sah das Denkmal für Vercingetorix auf der Place de Jaude als »eine mitreißende und ergreifende Statue, an der die Musik- und Gymnastikvereine sowie die Regimenter während der zivilen und militärischen Feiern mit ihren Bannern und wehenden Fahnen vorbeiziehen werden.«2

Durch die Feier von Festen am Fuß eines Denkmals erhielt es einen über die rein symbolische Form hinausgehenden praktischen Sinn. Im nationalen Fest sollte die im Denkmal symbolisierte nationale Gemeinschaft real erfahren werden. Indem sich Individuen von verschiedener sozialer und regionaler Herkunft in fesdicher Stimmung zusammenfanden, wurden die im Denkmal versinnbildlichten Vorstellungen erst gesellschaftlich wirksam. Jedoch bestimmte nicht das Denkmal die Feste, sondern die Feste interpretierten immer von neuem die Inhalte des Denkmals und setzten sie einem steten Wandel aus, der die formale, statische Zuordnung des Denkmals zu einer bestimmten nationalen Vorstellung unterläuft. Zwischen Denkmal und Fest besteht also mehr als eine formale Affinität. Das Fest ruft nicht die im Denkmal präsentierten historisch-politischen Denkschemata »mehr oder weniger automatisch ab« und eignet sich damit, wie Wolfgang Hardtwig es sieht, zur Analyse von Denkmälern, weil es »empirischen Boden unter die Füße« gibt. 3 Das Fest und die dazu versammelten Individuen und gesellschaftlichen Gruppen erzeugen, interpretie201

ren und reinterpretieren vielmehr den sozialen Sinn des Denkmals, das den Festort schmückt. Nicht umsonst ist jedes Denkmal mit einem Raum ausgestattet, der im Fest sozial aufgeladen wird. Diese Überlegungen laden dazu ein, die im Fest repräsentierten gesellschaftlichen Beziehungen, Vergesellschaftungsprozesse und Abgrenzungsmechanismen des sozialen Raumes herauszuarbeiten. Damit geht die Analyse zugleich über die bisherige Forschung zur Festkultur des 19. Jahrhunderts in ihrer zu engen politischen Orientierung hinaus und revidiert ein dichotomes Bild zweier völlig unterschiedlicher politischer Kulturen in Deutschland und Frankreich zugunsten einer differenzierten Sichtweise der bürgerlichen Gesellschaft in beiden Ländern. Alle politischen Regime Frankreichs repräsentierten sich während des 19. Jahrhunderts in zyklisch wiederkehrenden, zentral aus Paris angeordneten und synchron im ganzen Land gefeierten politischen Festen. Zwar vermittelte die offizielle Staatssymbolik der Fêtes du Roi, der Fêtes de l'Empereur oder der Fêtes du 14 Juillet je unterschiedliche Modelle politischer Loyalität. Allen Festen war jedoch gemein, daß sie in erster Linie als staatliche Feste von oben verordnet und institutionalisiert worden waren und auf die Herstellung politischer Loyalitäten der Bevölkerung gegenüber dem französischen Zentralstaat abzielten. Diese politischen Feste des 19. Jahrhunderts stehen in der Erforschung der französischen Festkultur im Vordergrund des Interesses. 4 Die zeitliche und räumliche Stabilität und Allgegenwart der politischen Staatssymbolik in Frankreich, aber vor allem der auf den Zentralstaat fixierte Blick der politischen Mentalitätsgeschichte in Frankreich, mögen dazu beigetragen haben, daß die Festkultur des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich auf ihre politischen Inhalte befragt worden ist. Vor allem das »republikanische Fest« der Dritten Republik steht im Zentrum des Interesses und wird fast ausschließlich daraufhin befragt, in welcher Weise es zur Politisierung und Nationalisierung der französischen Bevölkerung beigetragen hat. Bürgerliche Festkultur wird als politische Festkultur des Zentralstaates untersucht und zum Propagandainstrument im Dienste des monarchischen, autoritären oder republikanischen Staates reduziert. Die Tendenz der französischen Historiographie, die Festkultur des 19. Jahrhunderts über die politischen Systeme zu klassifizieren, in die sie zeitlich eingebettet war, überschätzt jedoch den Wandel politischer Systeme und versperrt den Blick auf Kontinuitäten sozialer und kultureller Repräsentation im bürgerlichen Fest. Neben den zentral verordneten, offiziellen, politischen Festen wurden im gesamten 19. Jahrhundert in den französischen Provinzstädten lokale und regionale Feste veranstaltet, in denen die offizielle Staatssymbolik zwar zum Teil präsent war, jedoch keineswegs im Zentrum stand. In diesen

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Feiern, die am Beispiel der Feste zu Ehren der >großen Männer< der Auvergne in Clermont-Ferrand untersucht werden, stand die Repräsentation des lokalen und regionalen sozialen Raumes im Vordergrund und verdrängte oftmals die politischen Inhalte der offiziellen Staatssymbolik. Stattdessen wurde eine über die Region vermittelte soziale Ordnung und Harmonie der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt. »Indem wir dieses Denkmal errichten«, begrüßte der Vizepräsident des republikanischen Gymnastik- und Musikvereins »L'Arvernoise« 1 8 8 5 die Initiative für ein Vercingetorixdenkmal in der Stadt Clermont-Ferrand, »werden wir den zweitausendsten Jahrestag dieser homerischen Zeiten begehen, und unsere Stadt wird, indem sie sich jedes Jahr von neuem feierlich erinnert, den Anlaß geben für ein großes Lokalfest, das uns bis heute fehlt.« 5

Die Tatsache, daß der Autor dieser Zeilen trotz der Einfuhrung des 14. Juli als Nationalfeiertag seit 1 8 8 0 den Mangel an lokalen Festen beklagte, verdeutlicht nicht nur den regionalen Charakter des Vercingetorixdenkmals, sondern unterstreicht auch eindringlich, daß öffendiche Feste keineswegs nur als politische Manifestationen verstanden werden können. Auch die republikanischen Eliten waren nicht nur daran interessiert, die junge Republik in zentral verordneten und synchron im ganzen Land gefeierten Nationalfesten politisch zu stabilisieren, sondern wollten auch eigene, lokale Feste schaffen, die die regionale Gesellschaft und ihre soziale Geschlossenheit feierten. Auch das Hermannsdenkmal und der es umgebende Teutoburger Wald stellten im 19. Jahrhundert die Kulisse für zahlreiche, spontane oder von langer Hand vorbereitete, kleinere oder große Zusammenkünfte, Feierlichkeiten und Feste. Das Denkmal und der durch die nationale Natursymbolik überhöhte Wald machten diesen Ort zur nationalen Feststätte par excellence, ohne daß die Inhalte der Feste dadurch im einzelnen festgelegt waren: Herrschte bei den Festen während des 19. Jahrhunderts eine antifranzösische Stimmung, versammelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Mitglieder einer Friedensgruppe, des ostwestfälische Friedensrings, am Hermannsdenkmal, um »nach so viel Krieg und Elend« für Frieden und Völkerverständigung einzutreten, und definierten mit einer Gedenktafel das Denkmal zu einem Friedensdenkmal um: »Deutsche Frauen und Männer bekennen sich anläßlich des 75jährigen Bestehens des Hermannsdenkmals einmütig zur Einigung der Völker durch den Frieden.« 6 Kameradschaftstreffen von ehemaligen SS-Verbänden und Sonnenwendfeiern von Neonazis hingegen interpretierten das Hermannsdenkmal immer wieder als ein rassistisches, völkisches Denkmal. 7 Angesichts des breiten Spektrums der Interpretationen wird deudich, daß dem Denkmal bis heute seine Bedeutung im jeweiligen Fest zugeschrieben wurde.

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Aber auch private, bürgerliche und gesellige Feste fanden am Fuße des Denkmals statt. So fanden sich 1875 die Mitglieder des Detmolder Vereins für das Hermannsdenkmal mit ihren Ehefrauen hier ein, um - unterstützt durch die Detmolder Gesangvereine - den Geburtstag Ernst von Bandeis zu begehen.8 Das nahe dem Denkmal errichtete Wirtshaus, über dessen gut bürgerliche Führung der genannte Verein wachte, war darüber hinaus häufig die Stätte feuchtfröhlicher Feiern, wenn auch 1876 der lippischen Regierung eine öffentliche Tanzveranstaltung an dem nationalen Orte unangebracht erschien und sie deshalb den Verein aufforderte, »solche Lustbarkeiten« in Zukunft zu untersagen.9 Wenn sich schließlich 1904 die traditionsbewußte lippische Beamtenfamilie Petri am Fuße des Hermannsdenkmals zum Familientag vereinigte10 und damit die Verdienste ihres Vorfahrens und jahrzehntelang fuhrenden Mitgliedes des Vereins für das Hermannsdenkmal, Moritz Leopold Petri, unterstrich, wird deutlich, daß nationale und bürgerliche, öffentliche und private Elemente in der Festkultur Hand in Hand gingen. In der Erforschung der bürgerlichen Festkultur in Deutschland ist es üblich, das vormärzliche Bekenntnis zur nationalen Einheit als ein politisch-oppositionelles, gegen die partikularstaatliche, das heißt monarchische Situation gerichtetes Bekenntnis zu deuten. Vormärzliche Feste werden vorschnell als oppositionelle, antifurstliche Feste mit primär innenpolitischer Stoßrichtung beschrieben, deren offene politische Artikulation durch die restriktiven Überwachungs- und Verfolgungsmechanismen der Obrigkeit symbolisch verdeckt werden mußte. Vörmärzlichen nationalen Festen wird damit ein »Camouflage-«, ein »Verhüllungs- und Tarncharakter« zugesprochen, ohne daß die Inhalte der Feste im einzelnen kritisch daraufhin untersucht werden.11 Dagegen müssen die Feste des Kaiserreichs - mit ihren monarchisch-dynastischen Repräsentationsformen, ihren militaristischen Zügen und ihrer gegen Katholiken und Sozialdemokratie gerichteten Propaganda - als deutlicher Bruch in der bürgerlichen Festkultur erscheinen. Dieser Bruch müßte konsequent als Aufgabe vorheriger Ziele des Bürgertums, als Verlust an politischer Kultur oder gar als »Defizit an Bürgerlichkeit«12 interpretiert werden. Untersucht man jedoch Feste nicht nur auf ihre politischen Aussagen, sondern als komplexe Gebilde, in denen sich soziale und gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen widerspiegeln und prägen sowie Vergesellschaftungsprozesse symbolisch abgebildet werden,13 so lassen sich oberhalb des deudichen Wandels Linien von Kontinuität festmachen, die die Feste des 19. Jahrhunderts als bürgerlich beschreibbar machen. Auch wenn 1875 das Kaiserreich als Erfüllung des im Hermannsmythos angelegten nationalen Bekenntnisses gefeiert wurde oder Vercingetorix 1903 Anlaß für ein republikanisches Fest in Clermont-Ferrand gab, so verweisen zahlreiche Ele204

mente der Festkultur in beiden Ländern darauf, daß sich die politischen Aussagen der Feste weder in Clermont-Ferrand noch in Detmold auf ein Bekenntnis zur »Staatsnation« oder gar auf Propagandainstrumente der politischen Systeme reduzieren lassen. Für beide Länder läßt sich zeigen, daß außer dem nationalen (politischen) Bekenntnis regionale Loyalitäten im gesamten 19. Jahrhundert die bürgerliche Festkultur prägten. Indem die Nation im regionalen Fest gefeiert wurde, bildete sie nicht nur eine »imaginäre Gemeinschaft« von abstrakt zu ihr zählenden Individuen, sondern sie wurde in einen konkreten sozialen Raum eingebunden, in dem sich die gesellschaftlichen Beziehungen und Konflikte sozialer Gruppen reflektierten.14 Die nationale Festkultur wird daher als eine bürgerliche interpretiert, die trotz des politischen Wandels die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung und Prägekraft bürgerlicher Werte und Geselligkeitsformen unterstreicht. Darstellungen und Repräsentationen bürgerlicher Kultur waren in allen Festen dominant und bestimmten unabhängig von ihren konkreten politischen und nationalen Inhalten die Festkultur des 19. Jahrhunderts. Um den Wandel bürgerlicher Repräsentation im Fest und damit den Wandel des im Denkmal symbolisierten Sinns während des 19. Jahrhunderts in beiden Ländern zu vergleichen, werden mehrere Feste im Zeitraum von 1840 bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Detmold und Clermont-Ferrand im Zentrum der Darstellung stehen. Abgesehen von den genannten kleineren Festen stand das Hermannsdenkmal im »langen« 19. Jahrhundert dreimal im Zentrum von großen überregionalen Feierlichkeiten. Am 9. September 1841, drei Jahre nach Baubeginn, wurde das Grundsteingewölbe des Denkmals im Rahmen eines nationalen Festes geschlossen. Am 16. September 1875 wohnte Kaiser Wilhelm I. dem Festakt bei, mit dem das Denkmal eingeweiht und dem »deutschen Volk« übergeben wurde. Vom 15. bis 23. August 1909 wurde schließlich »von deutschen Frauen und Männern« eine Woche lang die 1900-Jahrfeier der Hermannsschlacht in Detmold und am Hermannsdenkmal begangen. In drei Zeitschnitten - im Vormärz, zu Beginn und kurz vor Ende des Kaiserreiches - wird am Beispiel des Hermannsdenkmals die bürgerliche Festkultur im 19. Jahrhundert untersucht und die Attraktivität des nationalen Symbols »Hermann« in der deutschen Gesellschaft verfolgt. In Frankreich muß zu Zwecken des synchronen Vergleichs auf einen >methodischen Trick< zurückgegriffen werden. Zwar entstanden auch in Clermont-Ferrand in den 1840er Jahren, also nahezu zeitgleich zu Detmold, Denkmalspläne für ein Vercingetorixdenkmal. Da die Denkmäler jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts fertiggestellt wurden und im 19. Jahrhundert nur ein Vercingetorixfest 1886 gefeiert wurde, bezieht die folgende Analyse auch andere Feste der >großen Männer< der Auvergne ein. 205

Dieses Vorgehen rechtfertigt sich vor allem dadurch, daß Vercingetorix als einer der >großen Männer< der Auvergne durchaus vergleichbar zu den im 19. Jahrhundert regional gefeierten Helden war. Er war zudem bei allen Festen im 19. Jahrhundert mehr oder weniger »anwesend«: als improvisierte Statue auf einem Triumphbogen, als berittener Anfuhrer des historischen Festzuges oder aber in den Köpfen der Redner und Berichterstatter. Außerdem wurden solche Feste ausgesucht, deren Initiative in der Region selbst entsprangen und an deren Vorbereitung und Durchfuhrung die beiden gelehrten Gesellschaften, die Akademie und die Société d'Emulation, beteiligt waren. Das waren neben den Vercingetorixfesten (1886 und 1903) vor allem zwei Feste für Desaix (1848 und 1900) und ein Fest für Papst Urban II. (1895). Die offiziellen Nationalfeiertage werden dagegen ausgeblendet, da ihre oftmals stereotype Berichterstattung wenig aussagekräftig ist.15 Allerdings wird der Besuch Napoleons III. in Clermont-Ferrand und Gergovia 1862 einbezogen, da hier erstens Vercingetorix im Zentrum des Festes stand und zweitens, weil an diesem Beispiel vergleichend zur Einweihung des Hermannsdenkmals 1875 - das Verhältnis von nationalstaatlicher Repräsentation und regionaler Inszenierung in der symbolischen Praxis des Festes in den Blick gerät. Dem Fest der Einweihung des Vercingetorixdenkmals auf der Place de Jaude 1903 wird schließlich besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da es, wie zu zeigen sein wird, in mehrfacher Hinsicht als Abschluß der Entwicklung französischer Festkultur im 19. Jahrhundert gelten kann. Die im folgenden beabsichtigte »dichte Beschreibung« der Feste macht noch eine methodische Vorüberlegung notwendig. Die der Ethnologie entlehnte Methode der teilnehmenden Beobachtung kann nicht unmittelbar auf eine historische Analyse übertragen werden. Während die Ethnologie in direktem und dialogischem Kontakt mit den beobachteten handelnden Subjekten steht, kann die Geschichtswissenschaft: die Handlungen und die in sie einfließenden sozialen Ordnungsvorstellungen nur vermittelt - in der Regel über schriftliche Quellen - von zeitgenössischen Beobachtern oder den Handelnden selbst erfassen. Ein Journalist, der ein Fest beschreibt, gibt keine >objektive< Darstellung von dem, was sich in diesem Fest vollzieht, sondern selektiert, auch dann, wenn er um eine >wahrheitsgemäße< Berichterstattung bemüht ist, seine Beschreibung nach >subjektiven< Kriterien. Da er jedoch als Mitglied der im Fest sich repräsentierenden Gesellschaft und zugleich als Mitglied der das Fest dominierenden sozialen Klasse - er ist Bürger, Mann sowie zum Beispiel Deutscher, Lipper und Detmolder die Ordnungsvorstellungen der Festteilnehmer teilt und kennt, ist auch seine Darstellung, wie das Fest selbst, als soziale Repräsentation zu verstehen. Diese filtert, auch wenn sie >subjektiv< ist, die Symbolik des Festes durch die in ihr dargestellten bürgerlichen Ordnungsvorstellun206

gen. In diesem Sinne ist seine Darstellung >objektivBefreiungskriege< als »zweite Hermannsschlacht« abzielenden Weihegeschenken verewigte man die Namen, Portraits und Regierungsdaten der gerade regierenden deutschen Fürsten und Könige sowie die aktuellen politischen Grenzen der deutschen Staaten - letztere auf Porzellan gebrannt - und besonders des Fürstentums Lippe, dessen Karte und statistische Nachrichten, aber auch die Wappen und Stammtafel des lippischen Fürstenhauses der Nachwelt überliefert wurden. Schließlich fehlte nicht die Liste der Spender zum Hermannsdenkmal, den einzelnen Bürgern aus verschiedensten Teilen Deutschlands, voran die Fürsten der deutschen Staaten - und Fürst Metternich. Die deutsche Einheit - das wird jedem Besucher des Festes, der die auf einem Tisch neben dem begonnenen Denkmalsbau für den Cheruskerfürsten ausgestellten Einlagen betrachtete, deutlich geworden sein - bestand für die Stifter keineswegs in der Auflösung der deutschen Einzelstaaten oder gar in der Infragestellung der monarchischen Verfassung. Vielmehr

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verbarg sich hier ein Bekenntnis zur nationalen Einheit, das diffus an Traditionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation anknüpfte und eine föderale Struktur in einer nicht weiter konkretisierten Form, in einer »Einheit von Fürsten und Volk«, anstrebte. Die Forderung nach einer liberalen Verfassung konnte mit nationalen Forderungen durchaus einhergehen, war aber nicht notwendig in dem Bekenntnis zur nationalen Einheit inbegriffen. Konnte der Detmolder Verein mit dem Resultat seiner Aufrufe zur Spende von Einlagen in den Grundstein in dem Sinne zufrieden sein, als diese aus verschiedenen Teilen Deutschlands eingeschickt worden waren und dem Fest durchaus einen nationalen Charakter gaben, so beschränkte sich die Teilnahme am Fest selbst weitgehend auf die lippische Bevölkerung. Zwar ließ der Verein nach dem Fest verbreiten, daß sich 15.000 Deutsche und Vertreter »fast aller deutschen Volksstämme von nahe und fern«22 zur Feier eingefunden hätten, jedoch stellt sich bei näherem Zusehen heraus, daß es sich nur um halb so viele Festgäste handelte und die Detmolder die Zahl wissentlich verdoppelten. 23 »Aus dem Ausland« außerhalb Lippes hatten nur die nahegelegenen preußischen Städte Lippstadt eine zehnköpfige Delegation »der dortigen bewaffneten Bürgerschaft«24 mit ihren Schützenkönigen, und Bielefeld alle Schützen und Sänger, insgesamt 170 Personen auf 12 Leiterwagen, geschickt. Den Bielefeldern kam durch ihre zahlenmäßige Präsenz eine besondere Rolle zu, so daß nicht nur die Lipper die Bielefelder als Vertreter der Nation besonders feierten. Auch die Bielefelder selbst blickten nicht ohne Lokalstolz auf ihre überdurchschnittliche Präsenz. Wahrscheinlich war es der liberale Bielefelder Leinenkaufmann Johanning und Freund Petris, der sich »als Bielefelder« gedrungen sah, »über die Feier einige Worte an meine Mitbürger zu richten, indem es mir ein Bedürfnis des Herzens ist, das wohltuende Selbstgefühl, welches mich erfüllte, als ich unsere Schützen und Liedertäfler den Glanz und die Bedeutung des Festes in so hohem Grade vermehren sah, indem sie dasselbe, das nichdippische deutsche Vaterland auf eine würdige Weise repräsentierend, aus einem lippischen zu einem deutschen erhüben.« 25

Seinen Teilnehmern zufolge war das Fest also vornehmlich ein regionales Fest, in dem sich die Bevölkerung Lippes und einiger Nachbarstädte als Vertreter der Nation feierten. Das nationale Bekenntnis abstrahierte jedoch keineswegs von lokalen Bezügen. Die Gäste sahen sich als Vertreter ihrer Stadt oder ihres Territorialstaates. Johannings Verbindungen zur nationalen Bewegung und seine zahlreichen Vereinsaktivitäten unterstrichen zum Beispiel seine sozial und politisch herausragende Stellung in der Bielefelder Bürgerschaft. 210

In der Hermannsfahne und anderen Symbolen, die in den beiden Festzügen mitgeführt wurden oder auf dem Festplatz angebracht waren, mischten sich verschiedene Räume. Die Schützen schwenkten stolz die Fahnen ihrer Städte, Stadtviertel oder Bauernschaften.26 Die Detmolder Schützen trugen als Repräsentanten der Residenzstadt eine gelbseidende Fahne mit dem Wappen des Lippischen Landes, der Rose, »ein Geschenk aus fürstlicher Hand«. 27 Sechs Jahre später, einige Monate vor Ausbruch der Revolution, sollte der Fürst zu Lippe dieses Geschenk wiederholen und ausdrücklich vermerken, daß er hoffe, daß »meiner zuweilen beim Anblick der Fahne gedacht« werde.28 Die Hermannsfahne schließlich war »ganz mit dem Lipper Fürstenwappen ausgefüllt«.29 Führte zum Beispiel die WeserDampfschiffgesellschaft in ihren Flaggen »statt der Farben irgend eines deutschen Staates, das Bild des Helden als Symbol deutscher Einheit«30 und umging damit den Mangel eines offiziellen nationalen Symbols mit dem politisch unumstrittenen Hermann, so band die Hermannsfahne - in Lippe bei jedem Fest im 19. Jahrhundert präsent - den Nationalhelden eng an das lippische Vaterland. Über dem Tisch, auf dem die Einlagen für den Grundstein ausgestellt waren, flatterte ebenfalls eine rotgelbe, lippische Fahne. Lediglich auf der Baustelle des Hermannsdenkmals hatte man eine Pyramide von 20 Fuß langen Lanzen errichtet, die in den Landesfarben der deutschen Bundesstaaten ummalt und als Zeichen der Einheit mit einem Kranz aus Eichenlaub an ihren vergoldeten Spitzen zusammengebunden waren. Auch hier wurde die Nation als föderative Einheit der Fürsten dargestellt. Eine schwarz-rot-goldene Fahne als politisches, oppositionelles Symbol der nationalen Einheit hat das Hermannsdenkmal im gesamten 19. Jahrhundert offenbar nicht gesehen. Während der Feierlichkeiten stimmten vierhundert Sänger der lippischen Liedertafeln, begleitet von der lippischen Hofkapelle und untermalt durch Salven der von lippischen Truppen »bei Waterloo erbeuteten 9-Pfunder Kanonen«,31 das Arndtsche Vaterlandslied an. »Für alle Festgenossen war es von höchst ergreifender und erhebender Wirkung.«32 Aber auch wenn alle Festteilnehmer einstimmten in das »Nein, das Vaterland muß größer sein!«, so unterstrichen doch die lippischen Symbole die Koexistenz unterschiedlicher Vaterländer. Noch am Tag vor der Feier hatten sich die Liedertafeln, besetzt »mit Sängern aus allen Ständen«, in der Stadt Detmold zu ihrem alljährlichen Liederfest zusammengefunden, um sich gegenseitig musikalisch willkommen zu heißen in »dem schönen Land der Rose, das wie ein Rosengarten blüht«.33 Vielleicht haben sie dort auch das »Lied vom Westfalenland« gesungen, das unterlegt mit der Melodie des Arndtschen Liedes, von dem liberalen Apotheker Rudolf Brandes für die lippischen Liedertafeln gedichtet worden war, in das aber auch die Lippstädter und Bielefelder mit einstimmen konnten: 211

»Westfalenland, Dich lieben wir Für Land und Fürsten angestammt, Schlägt unser Herz, und hoch entflammt... Hoch, hoch das teure Vaterland.«34

Der regionale Charakter des Nationalfestes schlug sich auch in der sozialen Ordnung der Feier nieder. Das Fest fügte die Teilnehmer vermittelt durch ihre konkreten sozialen Räume in die lokale und nationale Gesellschaft ein und machte die gesellschaftliche Ordnung für alle Teilnehmer sichtbar und unmittelbar erfahrbar. Vor allem die Mitglieder des lippischen Bürgertums konnten sich individuell als Mitglieder der führenden sozialen Gruppe der regionalen Gesellschaft und gleichzeitig als Repräsentanten der Nation und bürgerlichen Gesellschaft darstellen. Der Festzug, der am Morgen des 8. September von Detmold, »an dem fürstlichen Residenzschlosse« vorbei, zum Hermannsdenkmal führte, wurde - »an 900 Mann stark« mit 30 bis 35 Fahnen - ausschließlich von Schützen, also Vertretern der überwiegend lippischen Städte und Gemeinden, nach Stadtvierteln geordnet und beflaggt, gestellt. Den >auswärtigen< Schützen aus Bielefeld und Lippstadt folgten die lippischen aus Detmold, Lemgo, Horn, Blomberg, Bad Salzuflen, Barntrup, Lage, Schlangen, Schötmar, Horn, Heiligenkirchen und Berlebeck, geführt vom Hauptmann Runnenberg »hoch zu Roß, in unverwüstlicher Jugendkraft, ein Volksführer reinster Art, der mit Feldherrnauge die Bewaffneten überblickt umd mit bürgerlichem Wohlwollen dem einzelnen zum Genüsse des Festes verhilft«35 Die Vertreter des lippischen Bildungsbürgertums, vorwiegend Beamte der fürstlichen Regierung und Vertreter der Magistrate und Amter, verzichteten nicht auf eine eindrucksvolle Repräsentation auf dem Platz vor dem Denkmal, nachdem sie den Berg im Wagen erklommen hatten. Begutachtet von ihren Frauen und Töchtern, einer »liebreizende[n] Menge in schönem Kranz«,36 auf den für die Damen errichteten Tribünen, begaben sie sich durch ein Spalier, das von den Schützen und den Arbeitern am Denkmal »mit ihren blankgeputzten Arbeitsgeräten«37 gebildet wurde, zum Denkmal. Einem Musikchor folgten die Söhne der Detmolder Bürger, die Schüler des Gymnasiums, in altdeutscher Tracht und mit Schärpen in den lippischen Landesfarben geschmückt, die die von den Ehefrauen der Bürger gestickte Hermannsfahne trugen. Ihnen folgten die Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal mit vier Prinzen des Hauses Lippe in ihrer Mitte. Dem Verein schlössen sich die Mitglieder der Regierung und der übrigen hohen Behörden - sofern sie nicht schon im Verein vertreten waren - an. Schließlich folgten die Abgeordneten der Magistrate und Amter »unseres Landes«. Die Festbeschreibung läßt ihnen noch die »Vertreter der übrigen Deutschen Städte und Stämme« folgen. Da diese bei der 212

sonst sehr detaillierten Beschreibung nicht weiter genannt wurden, ist davon auszugehen, daß sie auf den Bürgermeister von Lippstadt und die beiden Bielefelder Leinenhändler, Schützenoberst Delius und Schützenmajor Johanning, beschränkt blieben. Den lippischen Stadtbürgern 38 und Schützen, hauptsächlich Handwerkern und Gewerbetreibenden, präsentierte sich das lippische Bildungsbürgertum in seiner Funktion als Beamte des lippischen Staates, hierarchisch gegliedert und mit den Vertretern der lippischen Monarchie in ihrer Mitte. Auch wenn der Anlaß des Festes ein nationaler war, bildeten sich im Festzug die lokalen sozialen Verhältnisse ab. Die lippischen Bürger setzten sich als die lokalen Vertreter der nationalen bürgerlichen Gesellschaft in Szene. Ihr Handlungsraum war weitgehend auf den lippischen Staat begrenzt, ihre Legitimation als fuhrende soziale Gruppe hingegen lieferte die Nation. Aber auch die bürgerliche Familie war präsent. Während die Stadtbürger als Vertreter ihres Haushaltes in der Schützenkompagnie ihres Stadtviertels auftraten und den Festzug zum Hermannsdenkmal ohne Begleitung ihrer Familienangehörigen antraten, präsentierten sich die bürgerlichen Männer zusammen mit ihrer Familie. Die Hermannsfahne, von den »Denkmalsfrauen«, den Ehefrauen der Vereinsmitglieder gestickt, wurde von ihren Söhnen und vor ihren Augen in die Öffentlichkeit getragen. Sowohl die »Polarität der Geschlechtscharaktere« in der bürgerlichen Gesellschaft, die Trennung von männlicher Öffentlichkeit und weiblicher Privatsphäre, als auch die Bedeutung der Söhne als Symbol der Zukunft von bürgerlicher Familie und Nation, deren bürgerliche und vaterländische Erziehung Vätern und Müttern in unterschiedlichen, aber komplementären Räumen zukam, wurde hier sinnfällig gemacht und als Modell propagiert. 39 An die beiden Umzüge schloß sich eine Festrede an, die von Kanzleirat Moritz Leopold Petri gehalten wurde. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des deutschen Volkes band Petri in dieser Rede zusammen durch »unseres Volkes Sprache, Sitte und Freiheit«, die von Hermann gegen die Römer verteidigt und durch die Vorsehung über Jahrhunderte hinweg erhalten worden sei. Revolutionäre politische Forderungen stellte Petri nicht, jedoch sprach aus seiner Rede ein bürgerliches Selbstbewußtsein, das in der bürgerlichen Gesellschaft im Bund mit den Fürsten und vor allem in der Ausübung des Rechts eine friedliche Entwicklung des deutschen Volkes voraussah. Damit drückte der Jurist Petri auch in seiner Festrede die Vorstellung einer komplementären Einheit von Bürgern und Beamten in der Realisierung der bürgerlichen Gesellschaft aus. Wohl forderte er eine bürgerliche Verfassung der Gesellschaft, doch setzte Petri auf eine reformerische Entwicklung, in der die Beamten und Juristen die Gewähr für eine Freiheit boten, »die da sitzt auf dem Throne der Ordnung und des Rechts« 213

und nicht - wie im französischen Fall - eine Freiheit, »die ihre Wurzeln treibt, und die wuchert in dem Moder der Selbstsucht«. 40 Petri, und mit ihm seine Kollegen und Vorgesetzten in der lippischen Verwaltung und im Verein für das Hermannsdenkmal sahen sich selbst als Garanten zugleich der bürgerlichen Gesellschaft und des monarchischen (Klein-) Staates. »Freudiger Mut belebt uns bei dem Blick von dieser Höhe in die Vergangenheit, freudiger Mut zugleich bei dem Blick in die Gegenwart rings umher. Sehen wir nicht rings umher das gesamte weite Vaterland im Schmucke der Waffen, und der Künste des Friedens stark durch den Bund, der die Fürsten und die Volksstämme vereint, und geachtet im Reigen der Völker. Sehen wir nicht überall ein frisches, lebendiges Streben für Sitte, Verkehr, Wissenschaft, Kunst und bürgerliche Ordnung. Nicht täglich mehr erstarken, die Bande der Liebe und Treue, die das Glück des Volkes zur Freude des Herrschers machen. Gibt nicht endlich unser heutiges Fest selbst eine freudige Gewähr für die Zukunft.« 41

Die bürgerliche Ordnung, die Petri in seiner Rede als Grundlage einer zukünftigen Gesellschaft propagierte, sollte auch in der Festordnung wirksam werden und damit ihre überlegene Kraft als Modell der bürgerlichen Gesellschaft unter Beweis stellen. Obwohl das Fest in seinem Ablauf minutiös geplant war, stellte doch die Präsenz nichtbürgerlicher Schichten, des Publikums »aus allen Ständen, besonders aus den mitderen Bürgerklassen, Männer und Frauen, Burschen und Mädchen« 42 eine gewisse Beunruhigung für die bürgerlichen Organisatoren dar. Bei »etwaigen Unordnungen oder Exzessen« standen der Hauptmann Runnenberg und der Amtmann Piderit, »als Beamter durch seine Autorität« besonders wirkungsvoll, mit einigen Unterbedienten zum Eingreifen bereit. 43 Auf die sichtbare Präsenz von Polizei und Militär verzichtete man jedoch absichtlich. Gerade ihre Abwesenheit, auf die besonders hingewiesen wurde, indizierte für die bürgerlichen Organisatoren die Allgemeingültigkeit und selbstregulierende Kraft bürgerlicher Ordnungsvorstellungen. Das Fest war in allen Einzelheiten vorausgeplant worden, so daß für Spontanität kein Raum blieb. Teilnehmer und Zuschauer waren eingebunden in die Festordnung. Die Organisatoren befanden sich in einer widersprüchlichen Situation. Sie fürchteten sich zwar vor Unruhen oder Exzessen, glaubten also selbst nicht recht an die beschwichtigende Wirkung bürgerlicher Werte auf die Unterschichten. Gleichzeitig sollte das Fest jedoch als utopischer Entwurf einer bürgerlichen Gesellschaft gelten, die allein aus sich heraus und ohne Androhung staadicher Repressionen in der Lage war, Ordnung zu halten. Allein die Festordnung sollte den Ablauf des Festes regeln und die Allgemeingültigkeit und selbstregulierende Kraft der bürgerlichen Gesellschaft beweisen. Diese sozialintegrative und -disziplinierende Funktion des Festes 214

entsprach durchaus der vormärzlichen Utopie der »klassenlosen Bürgergesellschaft«. Sie wurde jedoch gleichzeitig durch klare und scharfe Grenzziehungen des Bürgertums gegenüber den unterbürgerlichen Schichten in Frage gestellt. Das Fest vereinigte zwar die gesamte lokale Gesellschaft, ließ jedoch keine Kontakte zwischen Bürgertum und nichtbürgerlichen Gruppen zu, sondern offenbarte eine deutliche kulturelle und soziale Trennung der Festteilnehmer. Die strikte Ordnung auf dem Festplatz zeigte das bereits. Nach dem Festakt wurde diese Trennung noch einmal deudich unterstrichen. In der Rückschau atmeten die Organisatoren sichdich auf - »kein ungesittetes Wort, keine unziemliche Gebärde wurde bemerkt; die Hoheit des Festes hielt alles Gemeine fern«.44 Erleichtert zogen sich die Bürger nach dem Festakt zum gemeinsamen Festmahl mit ihren Frauen zurück insgesamt 436 Personen nahmen daran teil - und überließen den Teutoburger Wald der Menge. Während man dafür gesorgt hatte, daß ganz im Sinne des Mäßigkeitsvereins, in dem auch Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal vertreten waren, in den Festzelten am Denkmal »labende Getränke zur Genüge, nur nichts von dem tückischen Feuergeiste«45 zur Verfugung standen, gaben die Bürger unter sich die straffe Ordnung auf und überließen sich »in gemütvolle[m] Durcheinander« 46 dem französischen Champagner - dem »Herzblut« des »Erzfeindes« - und dem Johannisberger. »Weißt du nicht, daß wir gute Deutsche sind; wir essen desto weniger und trinken desto mehr.«47 Zahlreiche Trinkspüche auf das deutsche Vaterland, auf Hermann, auf die deutschen Fürsten und Volksstämme, auf das lippische Fürstenhaus, auf den Erbauer des Denkmals und auf die Festordner untermalten das Heben der Gläser. »Ein schönes Fest, ein herrlicher Tag, eine echt deutsche Feier!«48 Blieben sie unter sich, bestand bei den Lipper Bürgern und ihren bürgerlichen Gästen auch bei reichlichem Alkoholgenuß keine Gefahr fiir die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung. Das Fest war eine deutsche Feier, sowohl in Bezug auf die einzelnen Festelemente als auch auf die antifranzösische Stimmung. Es war aber auch ein Fest des lippischen Kleinstaates, mit dem die Loyalität gegenüber der lippischen Monarchie gefestigt und erneuert werden sollte. Vermitder zwischen Nation und Region waren die lippischen Beamten, die als Vertreter der lippischen Regierung und Bürokratie, aber gleichzeitig auch als Vertreter des Bildungsbürgertums konstant eingebunden waren in die doppelte Loyalität gegenüber dem monarchischen Kleinstaat und der Nation. Sie hatten das Fest vorbereitet und organisiert, sich als Repräsentanten des Staates in Szene gesetzt und gleichzeitig über die Respektierung bürgerlicher Werte und Kultur gewacht. Nationale und territorialstaatliche, bürgerliche und monarchische Elemente mischten sich mit stadtbürgerli215

chen und populären, öffentlichen und privaten Elementen - wenn auch in der Topologie des Festes, wo möglich, voneinander getrennt - zu einem typischen bürgerlichen Fest des Vormärz. 4.1.2. Die »Übergabe des Hermannsdenkmals an das deutsche Volk« 1875: Die Untertanengesellschaft? Das Fest der »Übergabe des Hermannsdenkmals an das deutsche Volk«, wie die Einweihungsfeier des Denkmals offiziell bezeichnet wurde, stand ganz im Zeichen der Reichsgründung und stellte den deutschen Kaiser als »Arminius Wilhelmus«49 ins Zentrum der Feierlichkeiten. Die Begeisterung war groß, als man erfuhr, daß sich der Kaiser zur Einweihung des Hermannsdenkmals trotz mühevoller Anfahrt - die letzten zwanzig Kilometer mußten wegen der fehlenden Eisenbahnlinie in der Kutsche überwunden werden - in die kleine Residenzstadt Detmold begeben wollte. Man hatte einige Konzessionen in der Festgestaltung, aber auch hinsichtlich des Termins der Feier machen müssen, um Kaiser Wilhelm I. zur Teilnahme am Fest zu bewegen. Hatte der Verein für das Hermannsdenkmal zunächst einen Tag im Juli 1875 für die Einweihung des Denkmals angestrebt, entschied man sich schließlich für den 16. August, da zu dieser Zeit das 6. Westfälische Infanterieregiment Nr. 55 in Detmold zu Übungen konzentriert wurde und dem Kaiser mit einer Parade seiner preußischen Truppen ein zusätzlicher Anreiz zur Teilnahme entstand. 50 Der Termin fiel mitten in die Erntezeit, was nicht nur, wie man durchaus bedauerte, die Landbevölkerung weitgehend von der Feier fernhalten sollte, sondern auch organisatorische Probleme mit sich brachte. Für den Transport der Festgäste von den Bahnhöfen nach Detmold war man auf die Pferde und Wagen der Bauern angewiesen, die teuer bezahlt werden mußten, um sie zur Unterbrechung ihrer Feldarbeit zu bewegen.51 Außerdem war gerade an dem Tag, an dem der Kaiser eintreffen sollte, Vollmond, so daß man auf die Illumination der Stadt, die Beleuchtung des Denkmals und auf Freudenfeuer auf den Bergen verzichten mußte. 52 Auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers mußte auch das Festprogramm geändert werden. Um die Strapazen für den alten Herrn nicht übermäßig zu steigern, wurde das Programm zeitlich auf ein Minimum reduziert. 53 Gleichzeitig wurde es aber um einen geistlichen protestantischen Festbestandteil erweitert. Der Hofmarschall des Kaisers hatte den Verein wissen lassen, »daß seine Majestät der Kaiser und König nach nochmaliger Durchsicht des Festprogramms die bei einer so erhebenden Feier übliche Mitwirkung der Geistlich-

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keit vermißt haben und wünschen, daß eine kurze, etwa 10 Minuten währende Ansprache durch einen Geistlichen gehalten und ebenso durch einen solchen der Einweihungssegen gesprochen werde.«54 Bändel hatte auf einen ähnlichen brieflichen Vorschlag von einer ihm unbekannten Frau ein Jahr zuvor noch sehr ironisch reagiert. »Unter Gesang frommer Lieder ein Zug vom Berg hinab zur Kirche, oben Kanonendonner, unten Glockenläuten, der Marktplatz zum Gottesdienst gerichtet.«55 Jetzt aber stellte der Verein dem bereits veröffentlichten Festprogramm eine geistliche Rede und den Einweihungssegen voran und ließ die Feier mit »Abblasen eines kraftvollen Chorals« beginnen. Hatte man sich zunächst auf den Choral »Lobet den Herrn« geeinigt, der bei Katholiken und Protestanten auf ungeteilte Zustimmung gestoßen wäre, setzte sich schließlich der Oberstlieutnant von Seeckt mit seinem Vorschlag durch, »unser Protestantenlied >Ein feste Burg ist unser Gott< blasen zu lassen.«56 Mit dem Kaiser hielt auch der Kulturkampf Einzug in das Fest, und der General-Superintendent Koppen ließ es sich nicht nehmen, in seiner geistlichen Ansprache auf die Feinde im Innern hinzuweisen, die auf die Zertrümmerung Deutschlands spekulierten.57 Waren die Vertreter der Monarchie beim Fest der Grundsteinschließung 1841 in das Festgeschehen und damit gleichsam in die bürgerliche Gesellschaft integriert worden - die Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal führten die lippischen Prinzen in ihrer Mitte - , war nun das ganze Fest auf den Kaiser ausgerichtet. Auf dem Festplatz stellte eine schwarzweiß-rote Kaisertribüne den Kaiser als exponierten Vertreter der Nation heraus. Die Presse berichtete in begeisterten Artikeln von dem »donnernden Jubelruf«, 58 der dem Kaiser auf dem Platz vor dem Denkmal entgegenschlug. »Soll ich ihnen beschreiben, mit welchem freudemütigen Geschrei - lassen sie es mich so nennen - denn was sind Zurufe dagegen - diese kräftige Menge, diese vielen, vielen tausend Herzen voll kochenden Blutes sich Luft machten, als der geliebte Mann erschien, dessen Dasein das Sehnsuchtsbild unserer Jugend sichtbar und körperlich macht.«59 Die Ankündigung der Anwesenheit des Kaisers am Festakt hatte tatsächlich seine Wirkung nicht verfehlt. Sicherlich waren viele der Zuschauer zum Fest erschienen, um den Kaiser zu sehen. »Gewiß ist, daß bei dem Landvolk die Lust am Kaiser den Hermannskultus weit überragte.« 60 Die Zeitungen in Norddeutschland - in Süddeutschland überging man das preußischprotestantische Fest weitgehend 61 - berichteten wie nie zuvor über das Denkmal und das nahende Fest. Aus allen Himmelsrichtungen, aus verschiedenen deutschen Städten, aber auch aus Österreich, Frankreich, Italien, Dänemark und den Vereinigten Staaten trafen Grußtelegramme von 217

Deutschen auf der eigens für das Fest auf dem Berg neben dem Denkmal errichteten Telegrafenstation ein.62 Der Verein nutzte die Gunst der Stunde, um für die Stadt oder das Fürstentum einflußreiche Personen zum Fest einzuladen.63 Die Schätzungen der Teilnehmer schwankten zwischen dreißig- und siebzigtausend. Die unteren Werte dieser Angaben scheinen am ehesten der Wirklichkeit zu entsprechen, da die Gastwirte auf der Grotenburg weitgehend auf ihren Vorräten sitzen blieben.64 Ebenso blieb der Absatz für Billetts der Sonderzüge aus Berlin, Frankfurt, Köln, Bremen und Hannover 65 weit hinter den Erwartungen zurück.66 Offenbar wirkte die Anziehungskraft des Kaisers vor allem auf die Bevölkerung der nächsten Umgebung. Während Vereine das Fest zum Anlaß eines Vereinsausflugs machten und aus zahlreichen norddeutschen Städten, vor allem aus Westfalen, aber auch aus Hamburg und Straßburg, Turn-, Krieger- und Sängervereine der Einladung folgten, konnten individuell reisende Besucher nur in begrenztem Umfang angelockt werden. Sie warteten offenbar - mit guten Chancen - auf eine Reise des Kaisers in ihre Nähe. Wenn auch die bürgerlichen Organisatoren mit der Festinszenierung ihre volle Zustimmung zur Verwirklichung der Nation im deutschen Kaiserreich ausdrückten und den Kaiser als Symbol des Nationalstaates feierten, hatten sie doch Schwierigkeiten, das deutsche Volk mit dem deutschen Reich gleichzusetzen. Um das Denkmal als Ergebnis der nationalen Subskriptionsbewegung des Vormärz und der 1860er Jahre darzustellen, also als Werk und Eigentum der Nation, sollte es - das sagte bereits der Titel der Feier - dem »deutschen Volk« übergeben werden. Das Festprogramm sah für diesen Höhepunkt eine Festrede des ältesten noch lebenden Mitgliedes des Vereins für das Hermannsdenkmal, des Geheimrats Preuß, und das Hissen der deutschen Fahne am Denkmal unter Gesang und Kanonendonner vor. Bei der Planung dieses Programmpunktes traten allerdings Probleme auf. In seinen vorbereitenden Notizen für die Vereinssitzung am 23. Juli 1875 fragte sich der Vorsitzende Eschenburg: »Welche Fahne am Denkmal aufziehen? Im Programm heißt es deutsche Flagge.«67 Erst in der Vereinssitzung scheint man sich auf die schwarz-weiß-rote Reichsfahne als Symbol des deutschen Volkes geeinigt zu haben. Es war offensichdich nicht nur das Fehlen eines offiziellen Symbols des deutschen Staates, das die Wahl schwierig machte.68 Vielmehr scheint es für die Vereinsmitglieder keineswegs eindeutig gewesen zu sein, das deutsche Volk mit dem Kaiserreich gleichzusetzen, zumal das Hermannsdenkmal zunächst als Symbol der deutschen »Kulturnation« konzipiert worden war. Das deutsche Volk ließ sich offensichtlich auch nach 1871 mit der Reichsfahne nicht befriedigend darstellen. Als im Verlauf der Feier der Augenblick gekommen war, das Denkmal 218

dem deutschen Volk zu übergeben, wählte der Festredner einen schwammigen Kompromiß zwischen der Alternative »Reich« oder »Nation«. Er verzichtete auf die Nennung des deutschen Volkes als zukünftigem Eigentümer des Denkmals, verwies auf die Symbolik des deutschen Kaiserreiches und übergab das Denkmal schließlich dem »gesamten deutschen Vaterland«, 69 das offensichtlich weder mit dem Reich noch mit dem Volk identisch war. Man hatte die Beiträge für das Denkmal aus Österreich und von den Deutschen im Ausland nicht vergessen. So herrschte allgemeine Verwirrung darüber, wie man den zentralen Festakt bezeichnen konnte. Nur selten findet man den Wortlaut der offiziellen Bezeichnung der »Übergabe des Denkmals an das deutsche Volk«. Entweder berichteten die Zeitungen schlicht von der Enthüllung des Denkmals, 70 die angesichts seiner riesigen Dimensionen unmöglich war, oder man sprach von der »Übergabe des Denkmals«, ohne den Empfänger zu nennen. 71 Nur für die preußische konservative »KreuzZeitung« war die Sache eindeutig, die »durch das Aufhissen der deutschen Flagge die Übergabe des Denkmals an Kaiser und Reich versinnbildlicht« sah. 72 Das Fest war zwar offiziell von staatsnationaler Loyalität zu Kaiser und Reich dominiert, es ging jedoch in seiner Symbolik nicht darin auf. Staatsnationale Loyalität mischte sich mit nationalen Vorstellungen aus der Zeit vor der Reichsgründung. Zahlreiche Symbole, die eher die kulturelle nationale Einheit betonten, hatten überlebt. Man sprach weit weniger als noch 1841 von der deutschen Kultur, Geschichte und Sprache als den Grundlagen der deutschen Nation, doch blieb die Natursymbolik, die eine zeidose Kontinuität der deutschen Kultur - jenseits spezifischer politischer Verhältnisse oder gar Grenzen - symbolisierte, zentral für die Feier und das dargestellte Nationalbewußtsein. Kein Bericht von der Feier unterließ es, auf die spezifisch deutsche Symbolik des Teutoburger Waldes hinzuweisen. Besonders die deutsche Eiche blieb neben der Reichsfahne ein zentrales Symbol. 73 Aber auch die Symbole der deutschen Territorialstaaten waren omnipräsent. Über dem mit Reichssymbolen ausgestatteten Kaiserzelt schwebte auch die lippische Flagge. 74 Die Fahnen - über tausend waren vom Verein ftir das Hermannsdenkmal, vom Magistrat der Stadt Detmold und vom Amt Detmold aus Bielefeld, Leipzig und Bremen ausgeliehen 75 und ein geringer Anteil angekauft worden bildeten ein buntes Gemisch aus Reichsflaggen und den Fahnen der deutschen Reichsländer. Die lippischen und preußischen dominierten jedoch. Auf dem eigentlichen Festplatz vor dem Denkmal, für dessen Ausschmückung der Verein für das Hermannsdenkmal verantwortlich zeichnete, wehten vor allem die Fahnen des Reiches und der Reichsländer. Von der Leipziger Dekorations- und Theater219

leihanstalt hatte man allein 180 »deutsche Flaggen« ausgeliehen. Allerdings verzichtete man nicht auf einige gut plazierte lippische Akzente. In Stadt und Amt Detmold dominierten offensichtiich die lippischen Farben. Das Amt hatte auf den Ankauf von schwarz-weiß-roten Fahnen völlig verzichtet und nur neue lippische Fahnen auf der Straße, die der Festzug passierte, aufstellen lassen. Die Stadt verfugte über zehn neue deutsche Flaggen, die jedoch immer in Kombination mit lippischen Symbolen präsentiert wurden. »Aus allen Häusern wehten deutsche und lippische Fahnen, Guirlanden und Kränze zierten die Fronten.« 76 Aber auch andere Symbole unterstützten den Eindruck vielfältiger Loyalität: »Ist doch kaum ein Fenster heute in Detmold, aus dem nicht Blumen, Kränze, Fahnen, Inschriften, Büsten, eiserne Kreuze, deutsche Reichsadler, das preußische Wappen, die lippische Rose usw. angebracht sind, keine Häuserfront, die nicht mit Eichenlaub und Tannengrün geziert, ist kein Dach, von welchem nicht deutsche, lippische und vereinzelt auch preußische und schwarzburgische [Herkunft der lippischen Fürstin Elisabeth, C.T.] Fahnen wehen. Wohin der Blick fällt, ruht er auf Blumen- und Blütenschmuck, auf großen Kränzen von Eichenblättern, auf Tannengrün, auf schwarz-weiß-roten, rot-gelben [lippischen, C.T.], schwarz-weißen [preußischen, C.T.] und weiß-blauen [Schwarzburg-Rudolstädtischen, C.T.] Flaggen.« 77

Der Eklektizismus der politischen und nationalen Symbolik ist Ausdruck der Unsicherheit in der nationalen Loyalität für Kaiser und Reich. Diese Unsicherheit ist zum einen auf das Fehlen einer offiziellen und einheitlichen Staatssymbolik des jungen deutschen Reiches zurückzufuhren. Zum andern wird jedoch auch deutlich, daß das nationale Bekenntnis bei allem Jubel für Kaiser und Reich, die durchaus als Verwirklichung der im Hermannsmythos prophezeiten nationalen Einheit galten, nicht vollständig im Kaiserreich aufging. Das deutsche Volk wurde zwar nach wie vor nicht politisch als souveränes Volk definiert, aber es war auch nicht deckungsgleich mit den Untertanen des kleindeutschen Kaiserreichs. Dieses Problem wurde jedoch nicht offen benannt, sondern vielmehr von einer bunten Mischung nationaler Symbole diverser Herkunft und Bedeutung überlagert. Daneben wurde die Nation durch die äußere Abgrenzung, durch den erneuten Sieg über den französischen Erbfeind, legitimiert. Deutschlands Macht und Herrlichkeit, der durch das Kaiserreich ermöglichte Aufstieg zur europäischen Großmacht, vermischt mit antifranzösischen Ressentiments aus der Zeit des Vormärz, überdeckten die innenpolitische Unsicherheit des Nationalstaats. »Wir stehen wieder da, geehrt und gefürchtet im Rate der Völker, ihnen nicht bloß ein Volk der Dichter und Denker, sondern nun auch wehrbereit und waffengewaltig, ein Volk der selbstbewußten Tatkraft.« 78

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Nationale Symbole mischten sich außerdem mit territorialstaatlichen und städtischen und machten das deutsche Fest damit zugleich zu einem lippischen und Detmolder Ereignis. Hatte das Fest 1841 hauptsächlich auf dem Berg, außerhalb der Stadt, stattgefunden, organisierte der Magistrat der Stadt Detmold 1875 einen großen Teil des Festprogramms. Die Stadt wurde zum Festort und setzte ihre Behörden, Vereine und Korporationen in Szene. Der Kaiser war Gast, der gebührend empfangen wurde. Die Gastgeber waren jedoch die Stadt Detmold und das Land Lippe, die sich selbstbewußt präsentierten. Städtisches, bürgerliches Selbstbewußtsein und monarchisches Bekenntnis, regionale und nationale Loyalitäten standen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern waren komplementär. Das nationale Bekenntnis zu Kaiser und Reich stellte die Liebe und Anhänglichkeit zum lippischen Fürstenhaus nicht in Frage; ein nationales Fest bot vielmehr die Möglichkeit, das Fürstentum Lippe öffentlich zu feiern. Dieses präsentierte sich und seine Bevölkerung als eigenständige Einheit und gleichzeitig sozial und regional differenziert: Beamte, Stadtbürger und Landbewohner, Bürger, Kleinbürger und Arbeiter feierten zusammen und doch jeweils unter sich ihre Stadt oder ihr Dorf, die Haupt- und Residenzstadt Detmold, das Land Lippe, ihre Vereine, Korporationen und Behörden. Das Bekenntnis zum Reich blieb vermittelt durch die Zugehörigkeit zu sozialen Räumen. Sicherlich machte gerade auch die föderale Struktur, die das Überleben der Einzelstaaten sicherte, eine der Gründe für die breite Akzeptanz des deutschen Reiches aus. »Für das Lippische Land sind die Tage des 15. und 16. August hohe Ehrentage gewesen. Jedes Dorf, jede Stadt, auch diejenige, welche der Kaiser nicht passierte, hatte ein fesdiches Gewand angelegt, die Bevölkerung bewegte sich im Feiertagskleid.« 79

Außer dem monarchischen und militärischen Pomp, der weitgehend auf den Empfang des Kaisers und den Festakt am Denkmal beschränkt blieb, bot das Fest ein facettenreiches Bild von bürgerlicher Geselligkeit und Festkultur. Deshalb lohnte es sich auch, für die Anwesenheit des Kaisers Konzessionen in der Festgestaltung zu machen »immerhin wird die Beteiligung eine außerordendiche Ausdehnung annehmen, wenn wirklich, wie man hofft, Se. Majestät der Kaiser das Fest durch seine Gegenwart zu einem wahrhaft deutschen, den Tag zu einem Ehren- und Gedenktage für ganz Deutschland erhebt.« 80 Seine Anwesenheit versprach, dem Fest eine nationale, über Lippe hinausreichende Bedeutung zu geben. Sie rückte die kleine Residenzstadt Detmold - und damit ihre Bewohner - in die Schlagzeilen der Zeitungen. »Alle höchsten Spitzen, wie man zu sagen pflegt, sind nun Vereinsmitglieder, natürlich weil die allerhöchste Kaiserspitze und einige Fürstenspitzen kommen werden.« 81 In der Tat fand sich die Elite 221

von Hof, Militär und Verwaltung zusammen, um zahlreiche Ausschüsse zu dirigieren. Die Teilnahme an der Vorbereitung des Festes war weniger als eine untertänige Huldigung des Kaisers zu verstehen, sondern als Repräsentation der sozialen Stellung in der lokalen Gesellschaft. Während Ausschmückungs- und Gesangskomitee, die für den Ablauf des Festes selbst verantwortlich zeichneten, fest in Händen der Bildungsbürger und Beamten lagen, überließ man die praktische Arbeit, den Transport der Gäste von den Bahnhöfen in die Stadt und ihre Unterbringung in Privat- und Massenquartieren, den Kleinbürgern, den Handwerkern und Gewerbetreibenden. 82 Auch wenn das Fest, oberflächlich betrachtet, den Anschein eines rein monarchischen Festes gab, spiegelte sich doch auf der lokalen Ebene die soziale Differenzierung der Gesellschaft: wider.83 Sogar das traditionelle Ritual der Königseinholung, mit dem der Kaiser in Detmold empfangen wurde, 84 enthält Komponenten bürgerlicher Selbstdarstellung. Der Kaiser, in Begleitung des Kronprinzen, wurde am Bahnhof von Schieder vom Fürsten zur Lippe empfangen und im vierspännigen Wagen eingeholt. Ein offizieller Empfangsakt an der Detmolder Stadtgrenze durch den Bürgermeister, umringt von weißgekleideten Jungfrauen, mußte auf Wunsch des Kaisers unterbleiben. Man ließ es sich jedoch nicht nehmen, den Adventus wenigstens anzudeuten. Der Bürgermeister stand mit den obligatorischen fünfzig weißgekleideten Bürgerstöchtern, die vor allem die Sittsamkeit der bürgerlichen Familie und Ordnung symbolisierten, und einer großen Menschenmenge an der Stadtgrenze bereit, um Hochrufe auszubringen und Sträuße von Kornblumen - des Kaisers Lieblingsblumen - auf dessen Wagen niederregnen zu lassen.85 Glockengeläut und Kanonendonner begleiteten die hohen Herrschaften durch reich geschmückte Straßen bis zum Schloß. Die Wege waren von einer jubelnden Menge auf den Bürgersteigen und Blumen werfenden jungen Frauen an den Fenstern der Bürgerhäuser gesäumt. Die Ehefrauen und Mütter begleiteten die Söhne. Der spätere Pastor Rüter hatte als fünfjähriger Junge zusammen mit seinem jüngeren Bruder den Einzug des Kaisers miterlebt. Sie wurden begleitet und angeleitet durch die Mutter, die ihren Söhnen schwarz-weiß-rote Schärpen gekauft und sie ermahnt hatte, mit den Fähnchen zu schwenken und »dabei aus Leibeskräften dreimal Hurra zu rufen«. Die Rolle der Frau, die selbst nicht schreien oder rufen durfte und mit Blumen statt Fahnen ausgestattet war, für die patriotische und monarchische Erziehung der Söhne wird hier besonders deutlich. »Und dann kamen die Majestäten, und wir schrien so kräftig unser Hurra, daß der Kaiser und der Kronprinz es nicht überhörten und lachend uns zunickten. Unserer Mutter, die hinter uns stand, liefen die hellen Tränen über die Backen.« 86

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Um den versäumten Empfang des Kaisers nachzuholen, wurde abends ein Fackelzug in den Straßen der Stadt veranstaltet. Gesäumt von dazu abkommandierten Soldaten als Fackelträgern und untermalt von der RegimentsMusik des 6. Westfälischen Infanterie-Regiments Nr. 55, zogen Detmolder und Lipper Vereine und Korporationen, die Schützen-, Sänger-, Turnerund Kriegervereine, die Detmolder Feuerwehr, die Mitglieder der försdichen Regierung und die übrigen Behörden des Landes, der Magistrat, das Stadtverordnetenkollegium und das Stadtgericht von Detmold, gefolgt von den Deputationen der anderen lippischen Städte sowie der übrigen (männlichen) Bürgerschaft zum Schloßplatz, wo dem Kaiser ein Lied gesungen wurde und der Bürgermeister eine Begrüßungsrede für Kaiser und Festteilnehmer hielt.87 Auch wenn der Fackelzug zu Ehren des Kaisers stattfand und die Hochrufe auf den Kaiser nicht enden wollten, zumal als dieser sich der Menge am Fenster des Schlosses zeigte, war dieser Umzug vor allem eine Selbstdarstellung der Stadt Detmold, die sich als Gastgeberin präsentierte und (stadt-) bürgerliches Selbstbewußtsein zur Schau stellte. Der Festzug bildete das gesellschaftliche Geföge der Stadt und des Landes minutiös ab und nahm in seiner Einheit deudiche soziale Grenzziehungen vor. Außerdem betonte man durch die monarchische Huldigung, wie auch schon durch den Adventus am Stadtrand, daß die Einladung an den Kaiser nicht vom Fürsten ausgegangen war, sondern vom Verein für das Hermannsdenkmal und dem Magistrat der Stadt Detmold. Während sich die Mitglieder des Festkomitees am folgenden Tag durch schwarz-rot-goldene Schleifen kenndich machten, trugen die Festordner an diesem Abend rotgelbe, lippische Schleifen, und hoben damit die lokale Bedeutung dieser Selbstdarstellung hervor. Nach dem Fackelzug zog man sich, je nach sozialer Stellung, in die verschiedenen Lokale und Festzelte zurück, um unter Kaiserbüsten und Germaniastatuen88 zu feiern und je nach sozialer Stellung, Schnaps oder Champagner zu trinken. Jetzt standen nicht mehr religiöse oder patriotische Lieder auf dem Programm, sondern das populäre Hermannslied: »Als die Römer frech geworden«.89 In den Sälen und Gärten des Detmolder Gesellschaftshauses, der Ressource, versammelten sich »viele Notabilitäten aus Regierungs- und Beamtenkreisen« mit Journalisten aus dem Ausland und aus Norddeutschland sowie den auswärtigen Gästen in bürgerlicher Geselligkeit: »man singt und trinkt noch lange«.90 Auch die Ordnung auf dem Festplatz betonte nicht nur die Kaisertribüne, die den Kaiser gegenüber den Zuschauern hervorhob, sondern sie wies auch dem Bürgertum eine herausragende Stellung im Festgeschehen zu. Den Vertretern des Bürgertums standen zahlreiche Plätze auf den Tribünen zur Verfügung, die sie von der Masse der Zuschauer ab- und dem Kaiser näherrückten. Von den ca. 1.800 zum Preis von drei bis fünf Mark 223

angebotenen Stehplätzen auf den Herrentribünen blieben jedoch über tausend unbesetzt. 91 Nur die 216 Sitzplätze auf der Damentribüne, gleich neben der Kaisertribüne erbaut, waren ausverkauft. Über die Hälfte der verkauften Plätze war bereits im Vorfeld des Festes, meist an Detmolder oder Lipper Beamte, hohe Militärangehörige und Kaufleute sowie einzelne Handwerker und Gastwirte verkauft worden. Nur fünfzehn Plätze waren aus der näheren Umgebung außerhalb Lippes, dreizehn aus dem Ruhrgebiet und neunzehn aus weiter entfernten Städten, aus Köln, Kassel, Bremen, Lübeck, Berlin und Jena reserviert worden. Ein Fünftel der Detmolder Männer, weniger als ein Achtel der übrigen Lipper und nur zwei Gäste von auswärts kamen in Damenbegleitung. Für die bürgerlichen Vertreter war das Fest in erster Linie ein Fest der Männer. Einige Damen kamen offensichdich ohne Herrenbegleitung oder schauten ihren Männern im Festzug zu. Keine bürgerliche Frau nahm jedoch allein an dem Fest teil, entweder stand ihr Ehemann auf einer anderen Tribüne und hatte sie sicherlich vorher bis zur Damentribüne begleitet, oder sie kam in Begleitung anderer Frauen. Es ist anzunehmen, daß sich die Präsenz des Bürgertums, neben den auf Freiplätzen stehenden Vertretern der lippischen Behörden und Städte, auf die rund tausend Personen auf den Tribünen beschränkte. Das ergibt sich nicht nur daraus, daß die Billets für bürgerliche Geldbeutel durchaus erschwinglich waren, sondern vor allem aus der Tatsache, daß die bürgerlichen Besucher sich in der trinkenden und grölenden Menge,92 »in dem rücksichtslosen Gedränge neugieriger Patrioten«, 93 sicherlich fehl am Platze fühlten. Das »Brevier der guten Gesellschaft« von 1876 verbot es bei Androhung von Gefahr für Leib und Leben, sich bei öffentlichen Festen unters Volk zu begeben. »Wenn große Paraden, Einweihungen von Denkmälern und öffentlichen Gebäuden, Einholungen von fürstlichen Personen stattfinden, pflegt sich stets ein großes Menschengewühl auf Straßen und Plätzen zu entwickeln. Es ist für Mitglieder der guten Gesellschaft nicht ratsam, sich darunter zu mischen, namendich sollen Damen dies sorgsam vermeiden Jeder wohlgekleidete Mann sollte sich hüten, in ein Gewühl von lärmenden rohen Volkshaufen zu geraten. Denn schon ein besserer Anzug erregt dessen Aufmerksamkeit und fordert die Zerstörungslust des eigendichen Pöbels heraus.«94

Vorsichtshalber hatten die Detmolder Bürger Verstärkung bei den preußischen Gendarmen angefragt, die beritten nach Detmold kamen und während des Festes den Platz vor den Tribünen von der Menge freihielten, so daß die Topographie des Festes eine eindeutige Hierarchie vermittelte. Im Zentrum befand sich die Kaisertribüne, ausgeschmückt mit über hundert laufenden Metern schwarz-weiß-rotem Fahnenzeug, einem Kaiserbanner und vier Reichsfahnen. Daneben und ihr gegenüber befanden sich die 224

Abb. 3: Einweihung des Hermannsdenkmals

restlichen Tribünen der Damen und Herren sowie der Sänger. Zwischen den Tribünen versammelten sich die Teilnehmer des Festzuges, die Vereine mit ihren Flaggen und Fahnen, die gleichsam als Puffer zu der Menge fungierten, die dem Geschehen und den direkten Blicken von Kaiser und zahlenden Festgästen entzogen war. Die Organisatoren hatten zwar im Vorfeld des Festes ausdrücklich betont, daß das Fest ein Volksfest »in der eigenüichen Bedeutung« sein und die Teilnahme »allen Klassen der Bevölkerung« offenstehen sollte. Daher fanden sie es unzulässig, die Teilnahme von »der Erlegung eines Beitrages zu den Kosten« abhängig zu machen. Gleichzeitig sorgten sie jedoch dafür, daß für besondere Zwecke, wie für einen Platz auf der Tribüne und die Teilnahme an einem »kostbareren Festessen«, eine Ausnahme gemacht werden konnte. 95 Das Volksfest demonstrierte die gesellschaftliche Einheit über alle Klassen hinweg und gleichzeitig eine scharfe soziale Distinktion des Bürgertums. Auch wenn man dem »Volk« einen eigenen, abgetrennten Raum im Fest zuwies, hatte man doch dafür gesorgt, daß es das offizielle Fest nach bürgerlichen Vorstellungen beging. Auch ein Volksfest war für die bürgerlichen Organisatoren nicht mit »rauschenden zur Unterhaltung dienenden Vergnügun225

gen« in Einklang zu bringen, sondern mußte in »würdiger Weise« gefeiert werden. 96 Bestand diese räumliche Trennung des Festes bereits im Vormärz, hatte sich doch seitdem das Verhältnis des Bürgertums zu den unterbürgerlichen Schichten grundlegend geändert. Während die Festorganisatoren des Vormärz noch auf die Erziehbarkeit der unterbürgerlichen Schichten und ihre grundsätzliche Integrierbarkeit in die bürgerliche Gesellschaft gesetzt hatten, indem sie davon ausgegangen waren, daß die bürgerliche Ordnung des Festes automatisch alle Festteilnehmer in ihren Bann ziehen würde, drückte die bürgerliche Ordnung zu Beginn des Kaiserreiches eine unüberwindliche Distanz des Bürgertums zu den unterbürgerlichen Schichten aus. Bei der Vorbereitung des Festes hatte der Festausschuß streng darüber gewacht, daß keine Schaubuden und Vergnügungsstände auf der Grotenburg oder in Detmold aufgebaut wurden. 97 Es gab jedoch zahlreiche Erfrischungszelte zweier Kategorien, einerseits Weinhandlungen, die das bürgerliche Publikum mit ausgestellten Wein- und Champagnerkörben anlockten, und andererseits »bescheidender ausgestattete Schnaps- und Bierbuden«,98 die von den bürgerlichen Organisatoren als »ländlich« klassifiziert wurden. 99 Essen und Trinken gehörten schließlich klassenübergreifend zur Festkultur. Die soziale Differenz drückte sich jedoch darin aus, was man zu sich nahm. Hatte der Verein für das Hermannsdenkmal 1841 noch darauf geachtet, daß das Fest nicht in ein Saufgelage der Unterschichten ausartete und daher den Konsum von hochprozentigem Alkohol auf dem Festplatz unterbunden, hatte er 1875 die Hoffnung auf die moralische Verbesserung des Volkes aufgegeben und setzte verstärkt auf eine räumliche Trennung, um den Genuß des Festes für die bürgerlichen Teilnehmer nicht zu beeinträchtigen. Der Schnaps wurde nicht mehr verboten, sondern zum Symbol der kulturellen und sozialen Differenz. Auch die Gefahr von Ausschreitungen und Exzessen durch die trinkende und grölende Menge wurde nicht mehr wie 1841 hinter vorgehaltener Hand geäußert, sondern durch die offene und massive Präsenz von Militär, aber auch durch eine Militarisierung des Festes, gebannt. Bürgerliche Ordnungsvorstellungen, bürgerliche Verhaltensweisen und -normen hatten ihren utopischen, grundsätzlich sozial offenen Charakter verloren. Als klassenübergreifende und integrierende Ordnung fungierten im Fest von 1875 militärische Ordnungsprinzipien, die weniger an die moralische Einheit der Teilnehmer appellierten als vielmehr über Mechanismen von Hierarchie und Gehorsam funktionierten. Nach der Einweihung eines Kriegerdenkmals für die Gefallenen von 1 8 7 0 / 7 1 durch den Magistrat der Stadt Detmold, die am ersten Abend des Festes unter Beteiligung zahlreicher Kriegervereine stattfand, einem Fakkelzug am zweiten Tag, der von Soldaten und Regimentsmusik begleitet 226

wurde, begann der Tag der Einweihung des Hermannsdenkmals mit einer Reveille durch die Militärmusik. Während die Teilnehmer des Festzuges sich auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz versammelten, nahm der Kaiser in Begleitung des Fürsten, unter Ausschluß der ÖfFentiichkeit, die Parade des westfälischen Regiments ab. Aber auch der Festzug ähnelte eher einer Militärparade. Während sich der Festzug 1841 zum Denkmal »begab«, den Platz vor dem Denkmal »durchschritt« und vor diesem »anhielt«, wimmelte die Ordnung für den Festzug jetzt von militärischen Ausdrücken. Die Vereine »rückten« auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz an und nahmen ihre »Stellungen« zwischen vierzehn numerierten »Frontpfählen«. Auf den Befehl »Tête links schwenk - marsch«, »rückten« sie »ab« und »marschierten« Richtung Denkmal. Ein Teil des Zuges »nahm Marschrichtung« von dem Wirtshause her zum Festplatz. Der andere Teil, die Kriegervereine, »rückte über den Kaiserweg«, wo er »in zwei Sektionen zu je 16 Mann Front« »Stellung« nahm. Ein »Rückmarsch« nach Art des »Aufmarsches« erfolgte nicht. 100 Die militärische Ordnung des Festzuges scheint jedoch eher in den Köpfen der bürgerlichen Organisatoren stattgefunden zu haben. Die »Ordnung, die freilich manches zu wünschen übrig ließ«,101 zeigte, daß die Festteilnehmer nicht durch und durch militarisiert waren. Vor allem aber täuschte die militärische Ordnung keineswegs über soziale Differenzen hinweg. Die Tatsache, daß sich die militärische Ordnung des Festes vor allem auf jene Programmpunkte erstreckte, in denen das Bürgertum in direkten Kontakt mit dem Volk kam, legt nahe, das militärische Modell vor allem als ein vom Bürgertum propagiertes Ordnungsprinzip für nichtbürgerliche Schichten zu interpretieren. Ein Musikcorps führte den Festzug, an dem laut Pressemitteilungen viertausend Männer mit zwei- bis dreihundert Fahnen teilnahmen, an.102 Ihm folgten wie 1841 in hervorgehobener Stellung die Detmolder Gymnasiasten mit der - lippischen -*• Hermannsfahne und die Mitglieder der Vereine für das Hermannsdenkmal aus Detmold und Hannover mit den Arbeitern am Denkmal - »mit neuen Röcken und kleinen Hämmern« 103 an ihrer Seite. Darauf folgten die lippischen und städtischen Behörden, zunächst die Regierungsmitglieder, dann die Detmolder und schließlich die übrigen lippischen Deputationen, gefolgt von den Geisdichen. Zeitungsberichte sprachen von katholischen und protestantischen Geisdichen, die am Fest teilnahmen. Das ist jedoch angesichts der Kulturkampftöne im protestantischen Lippe äußerst unwahrscheinlich und reflektiert eher das Wunschdenken der protestantischen Journalisten nach der Unterordnung der katholischen Kirche im protestantischen Staat. Daran schlössen sich die Krieger- und Turnvereine an. Letztere, angeführt von den bürgerlichen Abgesandten der Deutschen Turnerschaft,

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stellten mit fünfzig überwiegend preußischen Vereinen104 das größte Kontingent im Festzug, da der rheinisch-westfälische Turnverein mit der Feier einen Turnwettbewerb verbunden hatte. Schließlich folgten die lippischen Schulen in alphabetischer Reihenfolge, einzelne sonstige Vereine aus westfälischen Städten, Abgesandte von studentischen Verbindungen im vollen Wichs und die - nach langen Debatten unbewaffneten - Schützenvereine aus Lippe und Lippstadt. Besonders stolz waren die Beobachter auf die Präsenz der deutschen Gesangvereine aus New York und Wien sowie der Turner aus Straßburg, deren Banner begeistert beklatscht wurde. Ordner mit schwarz-weiß-roter Armbinde wachten über den reibungslosen Marsch des Zuges. Angeführt wurde der Festzug von dem Detmolder Gymnasiallehrer und Mitglied des Hermannsdenkmalsvereins Thorbecke hoch zu Pferd, der sich auf Kosten des Vereins über längere Zeit hin ein Pferd gehalten hatte, um Reiten zu lernen und nicht während des Festzuges vom Pferd zu fallen.105 Militärische Rituale waren nicht Teil des bürgerlichen Lebensstils, sondern mußten für das Fest erst erlernt werden. Hatte es 1841 zwei getrennte Festumzüge gegeben, präsentierten sich 1875 Deutsche und Lipper, Bürger, Kleinbürger und Arbeiter, Regierungsmitglieder und untergebene Beamte, Stadtbürger und Vertreter der Ämter, sowie mehrere Generationen, von den Schülern, Gymnasiasten, Studenten und Turnern bis zum gesetzten Regierungsvertreter, in einem gemeinsamen Festzug, wobei jedoch durch die Reihenfolge hierarchische Akzente gesetzt wurden. Die Vertreter des lippischen Kleinstaates, sozial und regional hierarchisch gegliedert, wurden den Vereinen vorangestellt. Die Kriegervereine hatten sich innerhalb der Vereinslandschaft die erste Stelle erkämpft, während die städtischen Schützenkorporationen sowohl zahlenmäßig als auch in der Stellung im Festzug seit dem Vormärz deutlich zurückgefallen waren. »Das wallte und flatterte in allen Formen, Farben und Zeichen: die meist schlicht-ernste Fahne des Kriegers neben dem [von Frauenhand, C.T.] reichgestickten Banner des Sängers und Turners.«106 Die soziale Geschlossenheit, die der Zug versinnbildlichen sollte, wurde indessen nicht bis zum Ziel durchgehalten. Um sich den mühsamen Aufstieg zu ersparen und sich nicht schweißgebadet auf der Tribüne zu präsentieren, hatten sich die Mitglieder des Vereins für das Hermannsdenkmal und die Vertreter der Regierung eine Sondergenehmigung erwirkt, den Weg im Wagen zurücklegen zu dürfen. Nachdem sie ein Stück im Festzug mitmarschiert waren, stiegen sie in den Wagen um und empfingen den Zug ausgeruht oben auf dem Berg. Die übrigen bürgerlichen Gäste auf den Tribünen und die Damen hatten sich bereits früher im Wagen dort hinbegeben müssen, da der Berg nun für den reibungslosen Aufzug des Festzuges, aber vor allem für die Wagen der allerhöchsten und höchsten Herrschaften, für das fahrende Publikum gesperrt war. 228

Das Fest der »Übergabe des Hermannsdenkmals an das deutsche Volk« ließ außer der Verherrlichung des dynastischen Staates breiten Raum für die Inszenierung bürgerlicher Werte und die Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft im monarchischen Staat. Auch wenn das Fest zunächst den Anschein eines rein monarchistischen Kultakts hatte, spiegelte sich doch auf lokaler Ebene in vielfaltiger Weise die soziale und kulturelle Differenzierung der Gesellschaft wider. Die Teilnehmer des Festes waren keineswegs ausschließlich Untertanen des Kaisers, sondern eingebunden in eine deutlich differenzierte bürgerliche Gesellschaft. Die Teilnahme am Fest bedeutete für die Detmolder und Lipper Bürger keine einseitige untertänige Huldigung gegenüber dem Kaiser, sondern ermöglichte eine Repräsentation der eigenen sozialen Stellung in der lokalen Gesellschaft. Auch wenn der Kaiser als Symbol der Staatsnation durchgängig anerkannt und sogar bejubelt wurde - wobei fraglich bleibt, ob die Bürger in das »freudemütige Geschrei«107 der Menge einfielen - , galt er nicht als Oberhaupt einer Untertanengesellschaft, sondern als Monarch in der bürgerlichen Gesellschaft.

4.1.3. Die 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald 1909: Die »klassenlose Volksgemeinschaft«? Aus Anlaß der 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald lud die Stadt Detmold 1909 zum dritten Mal zu einer überregionalen Nationalfeier ein. Eine Woche lang sollten, das wünschte der Festausschuß, »in festlichen frohen Stunden sich viele Tausende deutsche Männer und Frauen unseres herrlichen Vaterlandes und seiner großen Vergangenheit freuen und aufs Neue Stolz empfinden, daß sie Deutsche sind.«108 Hatte das Einweihungsfest des Hermannsdenkmals 1875 vor allem das Kaiserreich und den Kaiser als Symbol der deutschen Einheit ins Zentrum des nationalen Bekenntnisses gerückt, vermieden es die Detmolder Bürger vierzig Jahre später, die Nationalfeier mit dem deutschen Kaiser in Verbindung zu bringen. Kaiser Wilhelm II. eignete sich in Lippe seit dem lippischen Thronfolgestreit nicht mehr als Symbol nationaler Einheit und Eintracht. Vielmehr stellte er hier ein Symbol der politischen Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Konservativen dar. Der lippische Thronfolgestreit hatte in den Jahren 1895 bis 1905 die öffentliche Meinung in dem Kleinstaat entlang zweier, um die Fürstenwürde konkurrierender Linien des lippischen Hauses gespalten und zu »dynastischen Unstimmigkeiten«109 zwischen dem schließlich siegenden Biesterfelder Fürsten und dem Kaiser geführt, der seinen Schwager, den Schaumburger Prinzen, in diesem Streit offen protegiert hatte. Kleinstaat-

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liehe und reichsdeutsche Loyalität der lippischen Bürger waren in dieser Auseinandersetzung vor allem durch den Eingriff des Kaisers, der gegen die Mehrheit des Lippischen Landtages agierte, in Konflikt geraten und politisiert worden. Höfische und kleinstaatliche Repräsentation, von Regierung und Bürgertum gleichermaßen in Szene gesetzt, hatte in dieser Auseinandersetzung an Ausmaß und Aufwand einen Höhepunkt erreicht und war, da der Kaiser indirekt involviert war, zumindest für die Biesterfelder Fraktion immer zugleich eine Demonstration gegen den Kaiser.110 Diente der monarchische, kleinstaatliche Kult in dieser Auseinandersetzung vornehmlich als politische Demonstration, sollte das Nationalfest zur Erinnerung an die Schlacht im Teutoburger Wald nach Beilegung des Konfliktes dazu beitragen, die nationale Loyalität der lippischen Bevölkerung neu zu beleben und die politischen Gräben zwischen den Parteien zu überwinden. »Möge kein Vaterlandsfreund die Gelegenheit unbenutzt lassen, die tägliche Mühe und Sorge für kurze Zeit abzulegen, allen Parteihader, unter dem unser teures Vaterland so unendlich leidet, zu vergessen, um sich mit vielen Gleichgesinnten an den Bildern aus alter Zeit, in der blonde Recken die ersten Ruhmeskränze um den deutschen Namen wanden, zu erquicken und aufs neue geloben, sich alle Zeit des deutschen Namens würdig zu erweisen.«111

Die Bekenntnisse zum »deutschen Namen« bezogen sich angesichts des gewünschten Harmonisierungseffektes des Festes weniger auf Kaiser und Reich, sondern flüchteten in die Vergangenheit, beschworen ein völkisch gegründetes »Alldeutschland« und setzten zugleich lippische Akzente. »Mit offenen Armen wird das Rosenland Alldeutschland empfangen.« 112 Die im Festverlauf offiziell auf Kaiser und Reich ausgebrachten Hochrufe blieben ausgesprochen rar und waren mit einem Hoch auf den lippischen Fürsten, auf die Bundesfursten und die freien Städte verbunden. 113 Damit rekurrierten die Veranstalter auf die föderale Verfassung des deutschen Reiches und wandten sich gegen die zentralisierenden Tendenzen des wilhelminischen Regimes. Indem der Kaiser als Symbol der nationalen Loyalität ausschied, offenbarte sich die Unsicherheit im Umgang mit alternativen nationalen Symbolen. Das Fest stellte in weiten Teilen mehr ein volkstümelndes Kostümfest als eine Inszenierung politischer Rituale dar. Das Urteil über die Feier fiel äußerst unterschiedlich aus. Eine »deutsche Nationalfeier«, ein »alldeutsches Nationalfest« sahen die einen. Die anderen sprachen von einer »fursdich-lippischen Volksfeier« oder einem »Heimatfest in des Wortes weitestem und schönstem Sinne«.114 Außer dem Fehlen einer eindeutigen nationalen Symbolik scheint jedoch auch die Attraktivität und Anziehungskraft des Festes unter den Auswirkungen des Thronfolgestreites gelitten zu haben. So sahen es zumindest einige Journalisten. »Denn der deutsche Durchschnittsbürger bringt noch 230

immer gar zu gern seine nationalen Gefühle mit dem Tun und Treiben der höchstgestellten Persönlichkeiten in Einklang.«115 Der Detmolder Festausschuß hatte Einladungen an »Fürsten und Volk« ergehen lassen - der Kaiser war nicht persönlich eingeladen worden jedoch waren, wie der Berliner »Tag« notierte, von den gekrönten Häuptern »die Könige gar nicht, von den Großherzögen nur der Oldenburger, von den anderen Fürstlichkeiten nur der Landesherr von Lippe-Detmold« 116 der Einladung gefolgt. Vor allem aber beklagten die preußischen Zeitungen das Fehlen eines Vertreters ihres Staates.117 Ein Nationalfest ohne preußische Beteiligung erschien ihnen unsinnig. Die Abwendung des lippischen Festes von der monarchisch-dynastischen Reichssymbolik ist deshalb vor allem als Reaktion auf die partikulare politische Situation in der Auseinandersetzung um die lippische Thronfolge zu verstehen und reflektierte keine Veränderung in der deutschen nationalen Symbolik überhaupt. Sie dokumentiert jedoch einerseits, daß das nationale Bekenntnis auch am Ende des Kaiserreichs nicht in der dynastischen Staatssymbolik aufging, sondern sich aufgrund politischer oder einzelstaatlicher Loyalität bewußt davon absetzen konnte. Andererseits belegt die Flucht des Festes in die mythische Vergangenheit der »blonden Rekken« und die Beschwörung alldeutscher, über den Nationalstaat hinausweisender, völkischer Loyalität gerade um so mehr, daß es zum Symbol des Kaisers keine Alternative für das Bekenntnis zum deutschen Nationalstaat gab. Der alldeutsche Charakter des Festes spiegelte sich bereits in den geladenen Vereinen und Interessengruppen wider. Auf der Einladungsliste des Detmolder Festausschusses118 standen die Vorstände bürgerlicher alldeutscher Interessengruppen, die im Imperialismus, in der Propagierung deutscher Großmachtpolitik und nationalen Prestigedenkens über das reichsdeutsche Staatsbewußtsein hinausreichten." 9 Außer an zahlreiche Burschenschaften, die als Vertreter der deutschen Jugend den Organisatoren besonders am Herzen lagen, wandte sich der Festausschuß unter anderem an die Vorstände des Alldeutschen Verbandes, des deutschen Flottenvereins, der deutschen Kolonialgesellschaft, des alldeutschen Sprach- und Schriftvereins und des Jungdeutschen Bundes sowie an zahlreiche deutsche Landsmannschaften im In- und Ausland, vorzugsweise in Österreich und Amerika. Besonders die aus Amerika - »wo deutsche Zunge klingt und deutsches Wesen hauset«120 - angereisten deutschen Landsmannschaften galten der Presse als Beweis des alldeutschen Charakters des Festes. Das nationale Bekenntnis des Festes ging weit über die konkrete klein- oder großdeutsche staatliche Loyalität hinaus und offenbarte die »weltgeschichtliche« Bedeutung der Hermannsschlacht als Begründung völkischer Einheit. 231

Gleichzeitig unterstützten die völkischen Ideen aber gerade die Militärund Kolonialpolitik des Deutschen Reiches und verteidigten die soziale Machtverteilung des Kaiserreiches im Innern. So erging auch an den »Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie« eine Einladung, die die sozial ausschließende Funktion der völkischen Ideologie betonte und den einheitsstiftenden Anspruch des Nationalfestes auf die bürgerlichen, liberalen und konservativen Kreise beschränkte. Bei der Einweihung des Hermannsdenkmals 1875 hatte die sozialdemokratische Presse zwar bereits von sich aus ihren Lesern von der Teilnahme an dem Fest abgeraten. Da die gewerkschaftliche und sozialdemokratische Organisierung in Lippe erst in den 80er Jahren langsam einsetzte,121 verzichtete die Feier 1875 jedoch noch auf Angriffe gegen den politischen Feind im Innern. Nach der Jahrhundertwende wurden das Nationalfest und seine alldeutsche Ausrichtung jedoch von den bürgerlichen Organisatoren als ideologische Waffe gegen den Feind im Innern benutzt. Wurde die sozialdemokratisch organisierte Arbeiterschaft sozial und ideologisch aus dem Fest ausgeschlossen, richtete sich die aggressive nationale Ideologie, wie die Einladung verschiedener Organisationen des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes bezeugt, vor allem an die Vertreter des »neuen Mittelstandes«. Die völkischen Aussagen des Festes verbanden sich mit einer sozialen Integrationsideologie, in der einerseits die Gruppe der Angestellten in ihrer sozialen Abgrenzung nach unten als Stütze gegen die Sozialdemokratie fungierte und in der andererseits die Propagierung berufsständischer Inhalte die Überwindung von Klassengegensätzen sowie die Stabilisierung der Gesellschaft versprach.122 Die vorhergehenden Feste hatten sich vor allem an die Schützen-, Sänger-, Turner- und später auch die Kriegervereine der Region, vor allem Lippes und Westfalens, gewandt. Am Ende des Kaiserreichs spielten diese vorwiegend gesellig ausgerichteten Vereine im Festgeschehen nur noch eine untergeordnete Rolle. Der deutsche Turnerbund und verschiedene Gesangvereine wurden zwar eingeladen, doch nicht mehr in das Fest selbst integriert. Eines der wichtigsten Elemente des bürgerlichen Festes, der Festzug, in dem sich die Bürger, Beamten und Vereine in ihrer sozialen Geschlossenheit präsentierten und die Geselligkeit als ordnendes Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft darstellten, entfiel bei diesem letzten Fest des Kaiserreichs völlig. Die Vertreter der deutschen Turnerschaft aus Lippe und Westfalen wurden zwar durch ein Turnfest angelockt. Dieses fand jedoch am Montag der Festwoche statt. An den beiden Wochenenden, den eigentlichen Festtagen, standen die Turner - falls sie überhaupt anwesend waren und nicht nur für einen Tag anreisten - höchstens als Zuschauer am Rande des Geschehens. Ebenso verhielt es sich mit den auswärtigen Sängervereinen. Sie befan232

den sich zwar, »da sie immer in erster Reihe gestanden [hatten], wenn es galt, einer vaterländischen Sache zu dienen«, ebenfalls auf der Einladungsliste des Festausschusses. Doch wurde auch ihnen keine Rolle im Festgeschehen zugewiesen. Die Organisatoren schlugen ihnen vielmehr vor, eine Sängerfahrt in den Teutoburger Wald zu unternehmen und stellten ihnen sogar anheim, diese »zu irgend einer andern Zeit dieses Jubeljahres, das den Besuch des Hermannsdenkmals und eine Gedächtnisfeier daselbst besonders nahe legt«,123 zu veranstalten. Offensichdich waren die bürgerlichen Organisatoren weit weniger daran interessiert, daß sich ganze Vereine aus der näheren Umgebung in Detmold präsentierten, sondern vielmehr daran, daß einzelne bürgerliche Vertreter einflußreicher Interessengruppen an dem Fest teilnahmen. Diese wurden in der Eröffnungsversammlung, die hinter verschlossenen Türen stattfand, der Presse vorgestellt. Das Nationalfest symbolisierte und praktizierte nicht mehr ein in weiten Linien utopisches - Bild der sozialen Geschlossenheit aller Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, die aktiv am Fest teilnahmen und in der die geselligen Vereine zugleich als Bindeglied ihrer Mitglieder untereinander und als Garant und Symbol der bürgerlichen Ordnung fungierten. Die Feier diente vielmehr den bürgerlichen Interessengruppen zur Propagierung ihrer nationalen und völkischen Ideologien, die auf die Sicherung des gesellschaftlichen und politischen Status quo abzielten. Spielte gerade die aktive Teilnahme aller sozialen Schichten an der symbolischen Praxis im Vormärz eine große Rolle, so daß - wenn auch eingeschränkt - in den Festen das Ideal einer »klassenlosen Bürgergesellschaft« zum Ausdruck kam, versinnbildlichte die militärische Ordnung im frühen Kaiserreich, daß das Bürgertum dieses Ideal aufgegeben hatte und nun auf die unterordnende Integration der nichtbürgerlichen Schichten in die Klassengesellschaft setzte. Am Ende des Kaiserreichs verzichtete das Fest sogar auf die symbolische Praxis überhaupt und begnügte sich mit der ideologischen Integration der Massen, die nur noch als Zuschauer zugegen waren. Angesichts der im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmenden politischen, sozialen und ökonomischen Krisenerfahrung galt die bürgerliche Gesellschaft nicht mehr als allgemeingültiges Modell, sondern konnte als Klassengesellschaft ihre Mitglieder nur noch ideologisch binden. Diese Bedeutungsverschiebung des Nationalfestes von einem im lokalen Raum stattfindenden geselligen Ereignis mit überregionaler symbolischer Bedeutung hin zu einem vor allem auf nationale politische Interessen ausgerichteten ideologischen Kampfmittel spiegelte sich im Wandel des Organisationsverhaltens des Detmolder Bürgertums im 19. Jahrhundert. Der Detmolder Verein für das Hermannsdenkmal, der sich nach Einweihung des Hermannsdenkmals auflöste, war durch seine Mitglieder fest in das exklusive bürgerliche gesellige Leben der Stadt eingebunden und 233

propagierte gleichzeitig in vielfältiger Weise das Vereinswesen in kleinbürgerlichen und ländlichen Kreisen des lippischen Landes. Die führenden Mitglieder des Festausschusses von 1909, der eigens zum Fest zusammentrat, wirkten dagegen als lokale Vermittler der politisch orientierten nationalen Verbände oder aber leiteten gewerbliche oder agrarische Interessengruppen in Lippe, deren Ziele jedoch zunehmend national ausgerichtet waren.124 Die lokale Geselligkeit, in der die Einheit und Differenzierung der bürgerlichen Gesellschaft symbolisiert worden war, trat hinter die ideologischen und politischen Ziele auf nationaler Ebene zurück. Der Wandel der Hermannsfeste vom lokalen geselligen Ereignis, das in seiner Ordnung zugleich symbolisch die soziale Hierarchie und Differenz der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt und das Modell einer harmonischen Einheit der Nation vermittelt hatte, hin zu einem in die völkische Ideologie flüchtenden alldeutschen Spektakel, an dem die lokale Gesellschaft nicht mehr aktiv beteiligt war, spiegelte sich im Festgeschehen wider. Vor allem ein auf der zentralen Langen Straße in Detmold am Samstagabend stattfindender Festkommers, mit dem das Fest eingeleitet wurde, und ein als Hauptattraktion der Festwoche angekündigter und an beiden Sonntagen wiederholter Germanenzug belegen diesen Befund. Vor allem aber zeigen sie erneut, wie eng nationale und soziale Vorstellungen miteinander verknüpft waren. Der erste Abend des Festes stand ganz im Zeichen des Vergnügens. Außer der als Eröffnungsversammlung bezeichneten Pressekonferenz fanden keine Empfangszeremonien, kein Fackelzug und keine nationalen Reden statt, sondern man trank, sang und tanzte. Der Kommers, der Name erinnert wohl zu recht an Burschenschaftsgelage, hatte zwar durchaus einen nationalen Anspruch und sollte »deutschen Männern und Frauen« die Gelegenheit geben, »bei hellem Lied und kühlem Trank sich ihres Vaterlandes«125 zu freuen, jedoch blieb es bei dieser schwammigen Programmatik. Der Anspruch vorausgegangener Feste, die Deutschen der verschiedenen Teile der Nation zusammenzubringen, Freundschaften zu stiften und die Kommunikation zu fordern, wurde nicht mehr erhoben. Offensichtlich hegte man inzwischen Zweifel an der erhebenden Wirkung von Nationalfeiern und von geselligen Ereignissen. Die liberale »Frankfurter Zeitung« stellte fest, daß die Nationalfeste in Deutschland, die Feiern der Schlachten bei Leipzig und Sedan verblaßt seien, und sich politische Leidenschaften und nationale Erregtheit keineswegs mehr an Erinnerungsfesten entzündeten, sondern vielmehr an bedeutenden gegenwärtigen Ereignissen. Feste wie das Hermannsfest könnten daher vor allem dazu beitragen, den Alltag vergessen zu machen, »einen Strahl der Freude in das Werkeltagsdasein« zu werfen und sich des Lebens zu erfreuen. »Die Schwere des Daseins ist eine Woche lang aufgehoben - kann ein Fest eine 234

bessere Wirkung haben?« 126 Die Berichterstattung über diesen Abend war recht einträchtig. Man freute sich über das »fidele Leben bei Sang und Becherklang«, 127 über die fröhliche Stimmung auf den Straßen und fühlte sich sogar »nach Paris versetzt, in eine Feier des 14. Juli«. 128 Die Festfreude war vor allem auf das Vergessen des Alltags beschränkt. Bürgerliche Geselligkeit als Ausdruck nationaler und sozialer Einheit spielte im »Volksfest« keine Rolle mehr, sondern fand nur noch hinter verschlossenen Türen statt. Das spiegelte sich auch im Gesang dieses Abends wider. Im Vormärz standen patriotische - nationale oder kleinstaatliche - Gesänge auf dem Programm der feuchtfröhlichen geselligen Runden, die die Geselligkeit durch einheitsbeschwörende Lieder überhöhten. 1 9 0 9 vergnügten sich die Festteilnehmer in den Kneipen - und diese Tendenz war auch schon 1875 feststellbar - mit dem populären, komischen Lied »Als die Römer frech geworden«, das keine gesellschaftlichen Vorstellungen vermittelte. 129 Auch auf die Darstellung sozialer Distinktion, die bei vorausgegangenen Festvergnügen eine wichtige Rolle gespielt hatte und Teil der bürgerlichen Selbstdarstellung gewesen war, wurde angesichts dieses entpolitisierten Kommerses verzichtet. Es war nicht mehr die Rede von verschiedenen Festorten, an denen sich unterschiedliche soziale Gruppen zusammenfanden. Alles spielte sich auf offener Straße ab, wenn sich auch dort sicherlich verschiedene soziale Räume voneinander absetzten. Die räumliche Trennung des Festes war nicht mehr Teil der Festkultur und bedurfte daher auch keiner Erwähnung mehr. Der Festausschuß hatte jedoch auch hier Vorkehrungen für die öffentliche Ordnung getroffen und Polizeiverstärkung angefordert, zumal man mit der Präsenz von »Taschendieben, Dirnen und sonstige[m] Gesindel« rechnete. 130 Damit unterstrichen die Festorganisatoren wieder einmal, daß die Harmonie des Festes mehr Programm als Wirklichkeit war. Am Morgen nach dem Festkommers zog ein vielgepriesener und bejubelter Germanenzug durch die Straßen Detmolds. Die »Berliner Neueste Zeitung« zeigte sich erleichtert darüber, daß »die gefährliche Klippe des Erhabenen zum Lächerlichen glücklich vermieden« 131 worden war. Dieses Urteil erscheint aus heutiger Sicht keineswegs so eindeutig. Neunhundert als Germanen verkleidete Männer, Frauen und Kinder, mit langhaarigen blonden Perücken und langen Gewändern ausgestattet, zum Teil Menschenschädel und Pferdeköpfe tragend oder mit Methörnern in der Hand, zogen zu Fuß, zu Wagen oder zu Pferd durch die Stadt und vermittelten ein harmonisches und verklärendes Bild der deutschen Frühgeschichte, das sich durch die Flucht in die Vergangenheit und den Verzicht auf aktuelle politische Aussagen auszeichnete. Der Germanenzug sollte »die siegreiche Heimkehr der Deutschen« nach

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der erfolgreichen Hermannsschlacht darstellen, wie sie von ihren Frauen und Kindern empfangen wurden. »Da wurden die wackeren Helden und minniglichen Frauen des germanischen Altertums in realistischer Anschauung vor Augen gefuhrt.« 132 Knaben und Mädchen zogen den siegreichen Kämpfern entgegen, »sorgende Frauen«133 brachten ihren Männern Methörner entgegen und trugen die Waffen der Verwundeten, andere hatten »den heimkehrenden Gatten neben sich, zu dem der Knabe an des Vaters Hand stolz empor« blickte.134 Eine Jungfrau brachte ihr Geschmeide als Dankopfer dar. Zwischen diesen idyllischen Familienbildern zogen acht festlich geschmückte Wagen durch die Stadt. Der erste stellte die Wala, eine germanische Seherin, dar, die den glücklichen Ausgang der Schlacht prophezeite. Darauf folgte die Walhalla, in der die gefallenen Helden beim Metgelage saßen. Ein Wagen des Handwerks, der von Handwerkern umgeben war, zeigte eine Schmiede, in der ein blondlockiger Jüngling sein Schwert schmiedete. Ein Erntewagen folgte, begleitet von Schnittern und Schnitterinnen, Edelherren und Landleuten. Ein Einbaum zeigte einen Fischer und seine Frau bei der Arbeit: sie beim Netzflicken und ihn beim Fischen. Eine Metbrauerei, aus der Germanen »immer wieder das köstliche Naß reichten«, ließ auch hier das Bier fließen. Ein Hochzeitszug und ein Wagen stellten eine altgermanische Trauung dar. Der Wagen am Ende des Zuges versinnbildlichte die Erinnerung. Ein Darsteller mit langem Bart verkörperte den 1876 verstorbenen Schöpfer des Hermannsdenkmals, Ernst von Bändel, der in nahezu biblischer Manier die Geschichte der Varusschlacht in einen Steinblock meißelte. Ein lippischer Landmann erzählte Kindern vom dem Leben und den Taten Hermanns. Im Zentrum des Zuges, von der Menge frenetisch begrüßt, ritt Hermann auf einem weißen Schimmel, umringt von germanischen Edlen und gefolgt von Thusnelda, seiner Ehefrau, im Kreis ihrer Frauen. »Nun kam der von sechs Rindern gezogene Wagen der Thusnelda, einer prachtvollen Frauengestalt in langem Blondhaar unter Eichbäumen thronend.« 135 Dieser historische Festzug hatte mit denen der vorausgegangenen Feste kaum mehr als den formalen Aufbau eines Umzuges gemein. Die Festzüge von 1841 und 1875 hatten die lippische und die aus dem benachbarten preußischen Westfalen angereiste Bevölkerung nicht nur als Personen, sondern auch symbolisch in das Festgeschehen integriert und zugleich ein Ab- und Wunschbild der lokalen und nationalen Gesellschaft dargestellt. Der Germanenzug beschränkte sich dagegen auf die Darstellung des imaginären Aufbaus einer - ausschließlich historisch legitimierten und nicht mehr räumlich faßbaren - nationalen Gesellschaft. Die an dem Festumzug beteiligten Individuen setzten sich nicht mehr symbolisch in Beziehung zur Gesellschaft, sondern waren auf - verkleidete - Statisten reduziert, die eine erfundene Rolle in einem fiktiven Schauspiel darstellten. 236

Die Liste der Darsteller des Germanenzuges fuhrt Namen, aber keine Berufsbezeichnung der teilnehmenden Personen auf, so daß nicht eindeutig ist, welche sozialen Gruppen beteiligt wurden. Daraus läßt sich schließen, daß die soziale Stellung nicht wichtig für die zu spielende Rolle war. Außer den Festzugsordnern, die weitgehend aus dem kleinbürgerlichen Milieu stammten und wohl aufgrund ihrer Ordnerfunktion zum weiteren Festausschuß zählten, nahm kein Vertreter der bürgerlichen Organisatoren am Festzug teil.136 Nicht die soziale Stellung in der lokalen Gesellschaft oder gar die Mitgliedschaft in einem Verein bestimmte die Auswahl der Darsteller, sondern es war an alle Männer, Frauen und Kinder der Stadt ein Aufruf ergangen, sich zum Festzug anzumelden. 137 Der Zuspruch der Bevölkerung war jedoch nicht sehr groß. Verpflichtete das geschlossene Auftreten von Vereinen in den vorhergegangenen Festzügen die einzelnen Vereinsmitglieder zur Teilnahme, stieß die allgemeine, an alle gleichermaßen ergangene Einladung auf wenig Interesse. Die Detmolder Bürger zogen es offenbar vor, dem Festzug zuzuschauen, anstatt in ihm eine imaginäre Rolle zu spielen. So versicherte der Festausschuß, daß man den Zug als Teilnehmer besser in seiner Gesamtheit sehen könne denn als Zuschauer. Schließlich wurden die Detmolder Gymnasiasten und Seminaristen über ihre Schulen verpflichtet.138 Die Annahme, daß die Rollenverteilung nicht sozialen Kriterien entsprach, sondern die Darsteller tatsächlich nur als Rollenträger fungierten, wird durch die Tatsache belegt, daß die Mehrzahl der germanischen Knaben durch Mädchen dargestellt wurde, die über die notwendige »germanische« Haarpracht verfugten. 139 Eine allerdings bedeutsame Ausnahme stellte die Besetzung des Cheruskerfursten und der berittenen germanischen Edelherren dar, die ausschließlich durch lippische (bürgerliche) Gutsbesitzer und -pächter verkörpert wurden. 140 Dieses exklusive Recht ist sicherlich einerseits darauf zurückzufuhren, daß die Gutsbesitzer über die Pferde und die nötige Reiterfahrung verfugten. Andererseits unterstreicht es jedoch die im Festzug dargestellte Anbindung der agrarischen, ständisch geprägten Gesellschaft an das städtische Fest und die imaginäre nationale Gesellschaft. Den lippischen Gutsbesitzern, aber vor allem dem Gutspächter Scharenberg, der zu den einflußreichsten konservativen Vertretern der agrarischen Gesellschaft Lippes zählte141 und das Vorrecht innehatte, Hermann darzustellen, dienten der Germanenzug und die Übernahme der Hauptrollen in ihm zur sozialen Selbstdarstellung ihrer an politischem Einfluß gewinnenden, ständisch legitimierten sozialen Gruppe. Im Gegensatz zum Bürgertum zeigten sie keine Berührungsängste mit den wohl hauptsächlich kleinbürgerlichen Teilnehmern und der im Festzug symbolisierten ständisch überhöhten nationalen Einheit. Die Einbeziehung der agrarischen Gesellschaft in das städtische Fest war 237

ebenso neu wie bezeichnend für die im Festzug dargestellte völkische Einheit der nationalen Gesellschaft, die als eine historisch unwandelbare, berufsständisch differenzierte Einheit vorgeführt wurde. An der Spitze der Gesellschaft stand der Cheruskerfürst mit den Edelherren an seiner Seite. Handwerker und Landbevölkerung, letztere gegliedert in Edelherren, Bauern und Landarbeiter, stellten das Volk, zusammengesetzt lediglich aus traditionellen Stadtbürgern und Landbevölkerung, dar. Die Gesellschaft präsentierte sich als eine traditionelle Erwerbsgesellschaft, nicht jedoch als eine auf sozialer Ungleichheit beruhende Klassengesellschaft. Neue soziale Schichten oder Klassen, zum Beispiel die städtischen Arbeiter, aber auch das Bürgertum als Organisator des Festzuges, hatten in diesem idyllischen, traditionellen Gesellschaftsbild keinen Platz. Gezeigt wurde ein auf ständischer Ungleichheit beruhender, über Jahrhunderte hinweg stabiler Aufbau der Gesellschaft, in der sozialer Wandel und soziale Konflikte unbekannt waren. Verbunden waren jedoch alle Mitglieder dieser Gesellschaft durch den Krieg. Die Verbindung von nationaler Großmachtpolitik und einer mittelständischen sozialen Ideologie, wie sie für die zum Fest geladenen alldeutschen Vereine typisch war, deckte sich mit dem propagierten Gesellschaftsbild des Germanenzugs. Die Nation war hier nicht mehr identisch mit der bürgerlichen Gesellschaft, sondern wurde als eine egalisierende Volksgemeinschaft mit berufsständischem Einschlag dargestellt. Ein weiterer zentraler Unterschied zu den früheren Festen war die Präsenz von Frauen im Festzug. Hermann und Thusnelda, Krieger und Ehefrauen, der Fischer und seine Frau wie auch der germanische Hochzeitswagen versinnbildlichten ein in Kriegs- und Friedenszeiten auf konträren, aber komplementären Geschlechtscharakteren aufgebautes Bild von Gesellschaft und Nation. 142 Dieses Bild war zwar im gesamten 19. Jahrhundert im Hermannskult und in den Festen präsent, unterschied sich aber hier deudich von den vorhergehenden Festen dadurch, daß die für die bürgerliche Gesellschaft typische Trennung von weiblicher Privat- und männlicher öffentlicher Sphäre, die vor allem in der räumlichen Trennung des Festes versinnbildlicht war, zugunsten der Volksgemeinschaft aufgegeben wurde. Die Geschlechtscharaktere der bürgerlichen Familie blieben zwar bestehen, jedoch wurde die Frau direkt in die Gemeinschaft eingebunden und nahm nicht mehr nur vermittelt über den (Ehe ) Mann an der Gesellschaft teil. Schließlich verschob sich in diesem Festzug die historische Perspektive der geschichtlichen Erinnerung. Sie diente hier nicht mehr, wie noch 1841, als Vorgriff auf die Zukunft oder 1875 als Apologie der Gegenwart, sondern als Flucht in die Vergangenheit. Die historisch legitimierte nationale Einheit des deutschen Volkes füngierte im Vormärz als soziale Utopie 238

der »klassenlosen Bürgergesellschaft«, die die fortschreitende Integration der unterbürgerlichen Schichten in die Gesellschaft versprach. 1875, nach der Revolutionserfahrung von 1848 und den zunehmenden sozialen und politischen Konflikten, hatte die Nation ihren emphatischen und utopischen Charakter verloren. Das gegenwärtige Kaiserreich stellte nicht nur die Lösung der nationalen, sondern auch der sozialen Frage dar, integrierte jedoch die unterbürgerlichen Schichten nicht mehr durch eine allgemeingültige bürgerliche, sondern eine militärische, hierarchische Ordnung in die Gesellschaft und garantierte die zukünftige soziale Einheit der Nation. Am Ende des Kaiserreichs blieb die historische Erinnerung in einer mythischen Vergangenheit gefangen. Die gegenwärtige Gesellschaft hatte im historischen Festzug keinen Platz mehr. Die Nation stellte sich vielmehr als eine historisch gebundene, traditionell ständisch gegliederte und ausschließlich ideologisch zusammengehaltene soziale Einheit dar. Es war ausgerechnet ein »Landmann«, der Vertreter einer ländlich geprägten, vormodernen Gesellschaft, der im Festzug als Symbol des kollektiven Gedächtnisses die Erinnerung an die Hermannsschlacht an die nachfolgenden Generationen weitergab und die deutsche Geschichte als unwandelbare, archaische Einheit darstellte. Die Flucht in die mythische Vorgeschichte des deutschen Volkes ermöglichte es jedoch, die soziale Harmonie als Inbegriff nationalen Wesens in einer auf Ungleichheit aufgebauten Gesellschaft auf die Gegenwart zu übertragen und für die Zukunft festzuschreiben. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren zwar immer im Denkmal und im Fest präsent, doch ihr Verhältnis zueinander verschob sich. Drückte die symbolische Praxis im Vormärz das Auseinanderrücken von »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« in der bürgerlichen Gesellschaft aus, wurden sie am Ende des 19. Jahrhunderts im Mythos wieder aneinandergerückt. 143 Die Tatsache, daß die bürgerlichen Mitglieder des Festausschusses auf die Teilnahme am historischen Festzug verzichteten, läßt vermuten, daß dieser Programmpunkt zwar von ihnen geplant und organisiert wurde, aber nicht der eigenen Selbstdarstellung und der eigenen Position in der Gesellschaft gerecht wurde. Der Festzug diente vielmehr als ideologisches Angebot an die breiten Massen, vor allem die unterbürgerlichen Schichten des »neuen Mittelstandes«. In der Tat ging das Fest insgesamt nicht in diesen völkisch überhöhten, egalisierenden Vorstellungen auf, sondern schuf daneben und räumlich abgetrennt - dem Detmolder Bürgertum die Möglichkeit, sich über das Fest als distinkte soziale Gruppe mit eigenen kulturellen Werten und Ausdrucksweisen von der Masse abzusetzen. Die interne Struktur des Detmolder Festausschusses mit seinen zahlreichen Beziehungen zum Detmolder Vereins- und Verbandswesen einerseits und ein Festakt am ersten Sonntagnachmittag auf der Grotenburg zu Füßen des Her239

mannsdenkmals verweisen auf die neben der Volksgemeinschaftsideologie im Fest wirkenden Mechanismen sozialer Differenzierung. Eine anläßlich eines Abendessens im Detmolder Gesellschaftshaus »Ressource«, zu dem alle an der Festgestaltung beteiligten Personen eingeladen waren, erstellte Anmeldeliste 144 nennt die Namen von 61 Festgästen. Sie umfaßt hohe Beamte der lippischen Regierung, Mitglieder des Detmolder Bildungsbürgertums und angesehene Kaufleute, aber auch Angestellte, Handwerker - vornehmlich Hofhandwerker - und Gastwirte. Das Kleinbürgertum wurde durchaus an der Festorganisation beteiligt. Jedoch vermittelt diese Liste gleichzeitig eine Differenz zwischen achtzehn Mitgliedern des gehobenen Detmolder Bürgertums, die in alphabetischer Ordnung die Liste anführten und offenbar den Vorstand des Festausschusses stellten, und den restlichen Festorganisatoren, die in nicht erkennbarer Ordnung diesen nachgestellt wurden. Die Mitglieder der ersten Gruppe gehörten gemäß ihrer sozialen Stellung und aufgrund ihrer Mitgliedschaft in den Vorständen der fuhrenden Vereine und Interessengruppen der Detmolder bürgerlichen Elite an. 145 Sie verfügten über zahlreiche Verbindungen sowohl zu den exklusiven bürgerlichen, geselligen Vereinen wie etwa der Ressource, zu den Vorständen der gewerblichen Interessengruppen wie zum Beispiel zur Handelskammer, zum Teutoburger Waldverein und auch zu den Vorständen der in Lippe bestehenden regionalen Abteilungen der politischen Agitationsverbände, deren nationale Vorstände zum Fest eingeladen worden waren, nämlich des deutschen Flottenvereins, des Kolonialvereins und des Alldeutschen Verbandes. Waren diese Verbände auch grundsätzlich sozial offen und erreichten in Lippe bis zu tausend Mitglieder, wurden sie von einer kleinen, exklusiven Elite des Detmolder Bürgertums geleitet, die sich auch in der Organisation des Festes sozial abhob. Diese bürgerliche Elite nahm offenbar nicht nur bei dem genannten Abendessen einen ihrer sozialen Position entsprechenden Platz ein. Auch in der Gestaltung wird sie eine dominierende Rolle gespielt haben. Die Funktion der restlichen Teilnehmer, unter denen sich Bürger und Kleinbürger befanden, reduzierte sich dagegen eher auf organisatorische Tätigkeiten. Die in der Festvorbereitung und -Organisation wirksam werdenden Mechanismen sozialer Differenzierung kamen dadurch zum Ausdruck, daß sich der Festzugsausschuß aus Mitgliedern des Bürgertums, die Aufseher des Zuges dagegen aus Kleinbürgern zusammensetzten. Kleinbürgerliche Gruppen wurden zwar praktisch und ideologisch in das Fest eingebunden, sie verfugten jedoch über keinen Einfluß auf die Gestaltung. Die Mitgliedschaft in den Vorständen der lokalen und nationalen Vereine und Verbände sowie im Festausschuß der 1900-Jahrfeier sicherte dem Detmolder Bürgertum eine führende Rolle in der politischen Agitation und diente gleichzeitig zur Repräsentation seiner exklusiven sozialen Position innerhalb der

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städtischen und regionalen Gesellschaft. Die Tatsache, daß die Eröffnungsveranstaltung, in der »die leitenden Herren die offiziellen Vertreter«146 begrüßten und der Presse vorstellten, hinter geschlossenen Türen stattfand und auf die bürgerlichen Vertreter der Stadt und der Nation beschränkt blieb, unterstrich noch einmal die doppelte Funktion des Festes. In diesem Sinne war auch das Fest von 1909 ein bürgerliches Fest. Der Festausschuß spiegelte in seiner Zusammensetzung noch ein weiteres Motiv für die 1900-Jahrfeier wider. Außer ihrer Mitgliedschaft in zahlreichen Verbänden und Interessengruppen gehörten einige der fuhrenden Vertreter des Ausschusses dem Vorstand des Teutoburger Waldvereins an,147 der sich die touristische Erschließung des Teutoburger Waldes und des lippischen Landes zum Ziel gesetzt hatte und auf dessen Initiative das Fest letztlich zurückging. Dem Hermannsdenkmal wuchs außer der Darstellung des nationalen Selbstverständnisses eine neue Aufgabe zu. In dem Maße, wie die Besucherzahlen am Hermannsdenkmal zugenommen hatten - von 1.500 bis 1.800 jährlich nach Fertigstellung auf ca. 35.000 am Anfang des 20. Jahrhunderts 148 - , war es als Hauptanziehungspunkt des Tourismus in der industriell schwachen Region entdeckt und als Werbeträger eingesetzt worden. Es war deshalb ein zentrales Motiv für das Fest, möglichst vielen Besuchern die Schönheit der lippischen Landschaft vor Augen zu fuhren. Das Hermannsfest war daher beides: ein Nationalfest und ein werbewirksames Spektakel. Bürgerlicher Geselligkeit wurde auch deshalb im Fest weniger Wert beigemessen als der unterhaltsamen Zurschaustellung der Stadt Detmold, des Teutoburger Waldes und des Hermannsdenkmals an ein bürgerliches, zahlungskräftiges Publikum. Die gezielte Einladung an einflußreiche nationale, bürgerliche Vereine versprach in diesem Sinne mehr als die Präsenz von Massen kleinbürgerlicher Vereine. Ein neues bürgerliches Freizeitverhalten und nationale Großmachtvorstellungen mischten sich in dem Fest. Auch in dieser Hinsicht war es ein bürgerliches Fest, auch wenn es als »Volksfest« veranstaltet wurde und vor allem die breiten Schichten der näheren Umgebung anzog. Der bürgerliche Charakter des Festes trat vor allem am Sonntagnachmittag am Hermannsdenkmal im offiziellen Festakt zur Erinnerung an die Schlacht im Teutoburger Wald zutage. Dieser Festakt war eindeutig an ein bürgerliches Publikum gerichtet. Er drückte in den nationalen Vorstellungen ein bürgerliches Selbstbewußtsein aus und setzte sich vom Germanenzug des Vormittags ab. So sah der »Münsterische Anzeiger« im Festakt ein »glanzvolles Gegenstück« zum historischen Festzug und betonte, daß diese Feier am Hermannsdenkmal »mitten im Gegenwartsleben« stand.149 Der »Hannoversche Courier« gewährte dem Festakt in seiner Berichterstattung einen weit größeren Raum als den anderen Festbestandteilen. Für ihn waren der Germanenzug und ein in der Festwoche mehrfach aufge241

fuhrtes Theaterstück eines Detmolder Künstlers »Hermann der Cherusker« im Gegensatz zur Feier am Hermannsdenkmal »nicht notwendige Bestandteile des Festes«. 150 Diese Stimmen belegen den hier behaupteten doppelten Charakter des Festes als volkstümliches und dezidiert bürgerliches Fest und betonen die wichtige Rolle des bürgerlichen Festaktes in der Festgestaltung insgesamt. Konnten sich die Zuschauer des - sehr kostspieligen - Germanenzuges am Vormittag unentgeldich an dem Spektakel erfreuen, wurde für die Teilnahme am Festakt, dessen Organisation einen geringeren finanziellen Aufwand erforderte, ein Beitrag von fünfzig Pfennig erhoben. 151 Noch 1875 hatte der Verein für das Hermannsdenkmal ausdrücklich von Eintrittsgeldern abgesehen, um dem Fest nicht den Charakter eines wahren Volksfestes zu nehmen. 1 9 0 9 wurde nun zum ersten Mal ein Unkostenbeitrag von den Zuschauern eines offiziellen Festprogrammpunktes erhoben. Dieses Eintrittsgeld war mehr als ein symbolischer Ausdruck eines sozial und kulturell bürgerlichen Festes. Wenn man zugrundelegt, daß 85 bis 9 0 Prozent der lippischen Bevölkerung im Jahr 1 9 0 0 zur dritten Wählerklasse mit einem Höchsteinkommen von 1 . 3 0 0 bis 1 . 5 0 0 Mark jährlich zählten, 152 stellten fünfzig Pfennig immerhin mindestens ein Achtel des täglichen Budgets dar und bedeutete für viele eine unüberbrückbare Hürde, zumal wenn nicht nur das Familienoberhaupt an der Feier teilnehmen wollte - richtete sich das Fest doch ausdrücklich an deutsche Männer und Frauen. Der offizielle Festakt sprach daher vor allem ein zahlungskräftiges, bürgerliches Publikum an. Der Festakt trennte die Festteilnehmer aber nicht nur nach sozialen, sondern auch nach kulturellen Kriterien. Die Inhalte des Festaktes und der Festrede setzten deutlich bürgerliche Akzente, die die kulturelle Distinktion des Bürgertums ausdrückten und zugleich eine politische Funktion erfüllten. Die Abwendung vom Kaiser als zentralem Symbol der deutschen Staatsnation war hier besonders deudich. Der Festakt vollzog sich unter dem Vorsitz des lippischen Fürsten, der das Protektorat für das ganze Fest übernommen hatte 153 und für alle Festteilnehmer in einem »in den lippischen Landesfarben prangenden Pavillon« 154 sichtbar war. Außerdem waren unter den Flaggen und Fahnen, die die Straßen der Stadt schmückten, die lippischen Landesfarben vorherrschend. Ob Reichssymbole den Festplatz schmückten, geht aus keiner der Beschreibungen hervor. Die monarchische Treue des lippischen Bürgertums drückte sich stärker in der Präsenz des lippischen Fürsten als im deutschen Kaiser aus. Kaiser und Reich standen im Hintergrund; neben einigen großmachtstaatlichen Anklängen feierte die Festrede vor allem die Rolle der deutschen bürgerlichen Kultur für die nationale Entwicklung. Zwar erklang Wagners Kaisermarsch vor den ersten beiden Strophen des

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»Deutschland, Deutschland über alles«, doch zielte die Festrede nicht auf Hochrufe fiir Kaiser und Reich. Sie begnügte sich vielmehr mit der Darstellung der nationalen Geschichte. Diesmal allerdings stand nicht die mythische Vorgeschichte wie beim Germanenzug auf dem Programm, sondern eine >objektive< historische Darstellung. Der liberalkonservative Berliner Geschichtsprofessor Hans Delbrück hielt am Fuße des Hermannsdenkmals eine historische Vorlesung im akademischen Stil, wobei er sich weitgehend auf eine quellenkritische Beschreibung der Schlacht im Teutoburger Wald beschränkte. »Sein Pathos war gedämpft.« 155 Der Professorentalar, mit dem er bekleidet war, unterstrich für die Zuhörer die Objektivität seiner Darstellung und stellte ihn gleichzeitig als einen exponierten Vertreter des Bürgertums dar, der sich ausschließlich an ein gebildetes Publikum wandte. Delbrück setzte nicht nur durch Kleidung und Stil deudiche Akzente bürgerlichen Selbstbewußtseins, sondern auch in seiner Rede. Am Schluß seiner Vorlesung ging er auf die einheitsstiftende Funktion der Geschichte ein und hob vor allem die Rolle der bürgerlichen Kultur darin hervor. Weniger Kaiser und Reich repräsentierten hier das »deutsche Volkstum«, sondern einzelne Persönlichkeiten und die »Geschlechter der Vergangenheit«. Wenn er sich auch nicht der Faszination des »Heldentum[s] im Bärenfell« entziehen konnte, standen doch die Entwicklung der deutschen Kultur und ihre bürgerlichen Vertreter der Dichter und Denker - er nannte Goethe, Hegel und Beethoven - im Vordergrund seiner Ausfuhrungen. »Mit allem, was Deutsch spricht und denkt, fühlen wir uns in diesem Augenblick in unserem Volkstum zu einer höheren Einheit verbunden. Unserm Volk aber ist es gegeben, vor andern auf eine besonders reiche Geschichte zurückblicken zu können, deshalb, weil es sich von Stufe zu Stufe verfolgen läßt bis zu den höchsten Gipfeln der Kultur.« Hier blieb geschichdiche Erinnerung nicht an eine mythische Vergangenheit gebunden, sondern zielte auf die Legitimation der bürgerlichen Sonderstellung in der gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaft. Nur beiläufig kam Delbrück auf die historische Rolle des Kaiserreichs zu sprechen, betonte jedoch die historische Kontinuität der deutschen Einheit bis zum Kaiserreich und stellte die deutsche Kultur als einheitsstiftenden Faktor über die staatliche Verfassung des Reiches. 156 Das Fest ging nicht in bürgerlicher Staatsloyalität auf, sondern betonte zumindest in seinem fiir ein exklusives Publikum bestimmten Festakt den bürgerlichen Charakter der nationalen Einheit. Allerdings stieß der »Pragmatismus« des Berliner Historikers keinesfalls auf allgemeine Gegenliebe. Sogar die liberale »Frankfurter Zeitung« fand es unangemessen, angesichts eines Kolossaldenkmals eine Rednertribüne im Bergwald für historische Feststellungen zu nutzen, 157 auch wenn sie

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nicht, wie das »Westfälische Volksblatt« eine »das nationale Bewußtsein entflammende wahre Festrede« einklagte. »Die Menge wollte keine trockene geschichtliche Vorlesung. Sie wollte eine Rede, die begeistern sollte zu neuem Treueschwur für Kaiser und Fürst, zu einem neuen Gelöbnis steter echter und wahrer Liebe zur Heimat und zum Vaterland.« 158

Diese Forderung ging jedoch an den Intentionen des Detmolder Bürgertums vorbei und mißverstand die soziale und politische Bedeutung dieses Festaktes. Die Menge war bei diesem Festakt nicht anwesend und sollte von ihm auch nicht angesprochen werden. Für das »Volk« war der Germanenzug bestimmt gewesen. Vielmehr sollte der Festakt gerade der sozialen und kulturellen Distinktion des Bürgertums gegenüber der Menge dienen. Außerdem waren die Detmolder Bürger angesichts der politischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Kaiser nicht zu Hochrufen auf das Staatsoberhaupt gestimmt, sondern suchten gerade in der Distanzierung vom Kaiser die innere Geschlossenheit des lippischen Bürgertums als sozial und kulturell, aber auch politisch dominierende Klasse der Region unter Beweis zu stellen.

4 . 2 . Feste für Vercingetorix u n d die >großen Männer< der >Auvergne< Die Akademie von Clermont-Ferrand trat während des gesamten 19. Jahrhunderts in den städtischen Festen zu Ehren der >großen Männer< der >Auvergne< an zentraler Stelle in Erscheinung. Diese Feste stellten in der exklusiven kulturellen Praxis der Akademie eine Ausnahme dar. Hier repräsentierten sich die Notabein vor einem großen Publikum auf der Straße, ohne jedoch die Grenze zwischen Notabein und Bevölkerung zu verwischen. Die Vormachtstellung der Notabein in der französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die über den Wechsel der politischen Systeme noch bis weit in die Dritte Republik Bestand hatte, wurde in der öffentlichen Repräsentation sinnfällig. In der Symbolik der Feste und ihrer Ordnung drückten sich die sozialen Vorstellungen der Notabein, ihre Stellung innerhalb der regionalen Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Gesellschaft insgesamt aus. Unabhängig von den politischen Systemen, in denen die Feste stattfanden und abgesehen von einzelnen Versuchen, sie zu politischen Manifestationen zugunsten des jeweiligen Regimes zu machen, gestalteten sich alle Feste des 19. Jahrhunderts als typische Ausdrucksformen der Notabeingesellschaft. Bereits die Besetzung der Festkomitees, in denen die Notabein 244

und Mitglieder der Akademie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vertreten waren, reflektiert das ungebrochene soziale Prestige dieser Gruppe in der Region. Darüber hinaus garantierte der Rekurs auf die Region, die bei den Festen der >großen Männer< im Zentrum stand, nicht nur, daß soziale und politische Konflikte ausgeklammert blieben, sondern wertete die spezifische Kultur der Notabeingesellschaft und ihrer Mitglieder auf. Schließlich war auch die Ordnung der Feste auf der Straße durch die Distinktionsmechanismen der Notabeingesellschaft geprägt. In der topographischen Ordnung der Feste kam die soziale und kulturelle Vormachtstellung der Notabeln auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck. Darüber hinaus banden ständische, korporative und militärische Ordnungsprinzipien die Menge fest in die hierarchische Ordnung der Notabeingesellschaft ein. Trotz des gesellschaftlichen und politischen Wandels in der Dritten Republik und trotz der sozialen Konkurrenz, die den konservativen Notabeln der Akademie mit den »neuen Schichten« erwuchs, kann von ersten Anzeichen für ein »Ende der Notabein« in der regionalen Festkultur erst Anfang des 20. Jahrhunderts gesprochen werden. Das läßt sich einerseits an einem internen Wandel der städtischen Eliten ablesen, der die konservativen Notabein vor allem über den Rekurs auf die Republik aus der Festkultur ausschloß. Andererseits fand das »Ende der Notabein« aber auch auf der Straße statt, indem sich die Menge nicht mehr widerspruchslos in die hierarchische Ordnung der regionalen Gesellschaft einfügen ließ.

4.2.1. Feste der Notabeingesellschaft. Der Einfluß der Notabein auf die Festgestaltung Als im ersten Jahr der Zweiten Republik, 1848, das Denkmal fiir den General Desaix auf der Place de Jaude in Clermont-Ferrand eingeweiht wurde, sollte dieses Ereignis nach dem Willen des Präfekten und seiner Verwaltung ein republikanisches Fest werden. Bei der Besetzung des Festkomitees konnte der Präfekt jedoch nicht umhin, die städtische soziale Hierarchie zu berücksichtigen und die konservativen Notabein der Stadt, die nach wie vor an den einflußreichen Stellen des öffentlichen Lebens saßen, an der Festgestaltung zu beteiligen. Außerdem hatte sein Vorgänger für die Realisierung des Denkmals eng mit dem Generalrat des Departements und der Akademie zusammengearbeitet, so daß das Denkmal geistiges Eigentum« der Notabein war.159 Hatte der Präfekt 1838 in die Kommission, die er mit der Planung des Denkmals vertraute, vor allem Mitglieder der Akademie berufen, setzte sein Nachfolger zwar zehn Jahre später andere Akzente, überließ jedoch weiterhin den Notabein der Stadt und - in untergeordneter Rolle - den 245

Notabein des Departements die Festgestaltung. Die politischen Beamten des republikanischen Systems konnten das Fest offiziell zu einem republikanischen erklären, in der Zusammensetzung der Kommission mußten sie jedoch auf die sozialen Strukturen der Stadt Rücksicht nehmen. Nicht politische Kriterien zählten für die Besetzung der Kommission, sondern vor allem soziale. Die Notabeingesellschaft bestimmte auch die Feste der Republik. »Zu diesem Zweck hat er [der Präfekt, C.T.] eine Kommission eingesetzt, in der die Beamten und die Delegierten der verschiedenen Arrondissements und des Hauptortes, unter ihnen die Richterschaft, die Verwaltung, die Wissenschaft, der Handel usw., vertreten waren.« 160

Über die Vertreter der Wissenschaft wurden auch die Mitglieder der Akademie in die Kommission aufgenommen. Auf der Einladungsliste der Vertreter der Kommission stand der Präsident der Akademie an dritter Stelle, hinter dem Präfekten, der gleichzeitig als Präsident der Kommission fungierte, und den Vertretern des Militärs, denen offensichtlich eine wichtige, weil ordnungsstiftende Funktion im Festgeschehen zukommen sollte. Es folgten die Präsidenten der Handelskammer und des Zivilgerichts, die Vorsitzenden der »Société d'agriculture« und der »Société d'horticulture«, der Anfuhrer der Nationalgarde, Mitglieder des Stadtrats von ClermontFerrand und einige Beamte der fur die Festorganisation wichtigen Verwaltungen. Alle genannten Personen kamen aus Clermont-Ferrand und stellten die Mehrheit der Kommissionsmitglieder. Aus den Arrondissements wurden durch die Unterpräfekten nur jeweils zwei Vertreter in die Kommission entsandt. Auf Wunsch des Präfekten sollte jeweils einer von ihnen Offizier der Nationalgarde sein. Der Stadt Riom wurde jedoch eine Sonderstellung eingeräumt; sie konnte außerdem noch einen Vertreter des dortigen Appellationsgerichts, dem Hort der Riomer Notabein, entsenden. Sowohl das soziale Prestige der Mitglieder der Akademie in der regionalen Gesellschaft als auch die fuhrende Rolle der Notabein in Verwaltung und Gesellschaft sicherten ihnen ihren Platz in der Festkultur, auch wenn sich die proklamierten politischen Inhalte der Feste nicht mit den Überzeugungen der Notabein deckten. Auch in der Dritten Republik, als die »neuen Schichten« aufgrund der zunehmenden politischen Stabilität des Systems in weit stärkerem Maße über zentrale Positionen in Verwaltung und öffentlichem Leben verfügten, gelang es den traditionellen Notabein weiterhin, ihren Einfluß auf die Festgestaltung geltend zu machen. Zwar schloß die Société d'Emulation bei der feierlichen Eröffnung der Subskription 1 8 8 6 die Akademie aus ihrem Fest aus. Als offizielle Vertreter war die »Notabilité« der Stadt und des Staates, voran der Bürgermeister, der Präfekt und der General und

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Kommandant der in Clermont-Ferrand stationierten Truppen, eingeladen worden. 161 Die Akademie erhielt keine offizielle Einladung. Damit unterstrichen die Mitglieder der Société d'Emulation sowohl den sozialen Konflikt zwischen beiden Gesellschaften als auch ihre Distanz zu den Denkmalsplänen der »Schwestergesellschaft«. Die Tatsache, daß die Mitglieder der Akademie in einer ihrer Sitzungen ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck brachten und sogar protokollarisch festhielten, belegt den offenbar willentlich herbeigeführten Affront der Notabein der Akademie. 162 Jedoch bedeutete das Fest und der Ausschluß der Akademie keineswegs eine Zäsur in der Festkultur der Dritten Republik. Abgesehen von der Eröffnung der Subskription für das Vercingetorixdenkmal der Société d'Emulation gingen die regionalen Feste zu Ehren der >großen Männer< noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von der Initiative der Akademie aus. An diesen Festen beteiligten sich neben den traditionellen Notabein sogar die neuen republikanischen Eliten. Vom 16. bis 19. Mai 1895 beging die Stadt Clermont-Ferrand ein Fest zum 8 0 0 . Jahrestag des Konzils von Clermont-Ferrand und der ersten Kreuzzüge. Außer dem katholischen Klerus mit dem Bischof von Clermont-Ferrand an der Spitze war die Akademie mit den Festvorbereitungen für das weltliche Rahmenprogramm zum katholischen Fest beteiligt. Sie hatte einen eigenen Festausschuß, bestehend aus neun Akademiemitgliedern, gebildet, der sich auf Vorschlag des Bischofs mit der Errichtung eines Denkmals für Papst Urban II. beschäftigte und im Rahmen des Festprogramms eine Feier der Grundsteinlegung für dieses Denkmal und eine öffentliche Akademiesitzung zur Erinnerung an die Kreuzzüge veranstaltete. 163 Außer einer Prozession zog aus diesem Anlaß ein historischer Festzug durch die Straßen der Stadt, der auf die Initiative des Lokalhistorikers und Mitglieds der Akademie, Ambroise Tardieu, zurückging und - so wird noch zu zeigen sein - typisch für die Notabein der Akademie war.164 Im Jahr 1 9 0 0 taten sich sogar die Notabein der Akademie und die republikanischen Eliten der Société d'Emulation zusammen, um gemeinsam den hundertsten Todestag General Desaix' zu feiern. 165 Auf Initiative der Akademie wurde ein Festausschuß gegründet, bestehend aus »zivilen und militärischen Autoritäten des Departements« zu denen sich die Mitglieder der Akademie durchaus zählten. Neben je vier Vertretern der Akademie und der Société des Amis de l'Université, der Nachfolgegesellschaft der Société d'Emulation, gehörten dem Festausschuß der Bischof von Clermont-Ferrand, der Präfekt, die Bürgermeister der Hauptorte des Departements, Vertreter der Familie Desaix - der Comte de Bonnevie und der Baron Desaix - sowie hohe Vertreter des Militärs an. 166 Republikaner, Konservative, Armeeangehörige und die katholische Kirche fanden sich in einem Ausschuß zusammen, der die Vorbereitung des Festes übernahm.

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Unterbürgerliche Schichten wurden nie an der Festplanung beteiligt. Sie konnten allenfalls bei einzelnen Festen in Stadtteilkomitees bei der festlichen Ausschmückung der Straßen oder an der Vorbereitung von Festen in den Stadtvierteln mitwirken. Auf die Ordnung der Feste hatten sie jedoch während des gesamten 19. Jahrhunderts keinen Einfluß.

4.2.2. Der Regionalkult in der Festkultur Auch wenn den Differenzen zwischen der Société d'Emulation und der Akademie ein sozialer Konflikt zwischen »neuen Schichten« und Notabein zugrunde lag, verband beide Gesellschaften und die in ihnen vertretenen Gruppen über gesellschaftliche und politische Konflikte hinweg ein gemeinsames Interesse an der Feier der >großen Männer< der Region. Die historische Erforschung und Aufwertung der Region, die gleichermaßen zum Programm beider Vereinigungen gehörte, überlagerte während des ganzen 19. Jahrhunderts nahezu alle politischen Konflikte in der lokalen Festkultur und diente beiden Gruppen gleichermaßen zur sozialen und kulturellen Identitätsstiftung. Der regionale Heldenkult bot die Möglichkeit, politische Differenzen zugunsten einer alle regionalen Gruppen umfassenden einheitlichen Verehrung der gemeinsamen auvergnatischen Vorfahren zu überdecken und sicherte den Notabein, die diesen Kult erfanden und pflegten, ihre fuhrende soziale und kulturelle Stellung in der Gesellschaft. Indem die neuen republikanischen Eliten diesen Regionalkult übernahmen, standen sie in ihren Repräsentationsformen den Notabein äußerst nahe. Auch wenn das Fest der Einweihung des Desaixdenkmals 1848 als »republikanisches Fest« bezeichnet wurde,167 bot der gefeierte Held gerade die Möglichkeit, politische Differenzen zugunsten einer alle regionalen Gruppen umfassenden einheitlichen Verehrung des gemeinsamen Vorfahrens und Auvergnaten zu überdecken. Der Heldentod des Generals in Marengo und seine auvergnatische Abstammung - aus einer Notabelnfamilie - machten ihn zum >großen Mann< der Auvergne, wobei sich offenbar niemand daran stieß, fur welches politische System er gefallen war. Die regionale Abstammung ermöglichte einen breiten Konsens in der >AuvergneAuvergne< und auf dem Schlachtfeld in Gergovia, bei dem die Notabein zwar völlig aus der zentral organisierten Planung und Vorbereitung ausgeschlossen wurden, setzte der Regionalkult der politischen Botschaft des Festes deutliche Grenzen. Das Fest, das zu Ehren des Kaisers stattfand und als staatliche und monarchische Repräsentation des Kaisers intendiert war, stellte keine einseitige Huldigung der Stadt ClermontFerrand und ihrer Notabein gegenüber dem Staatsoberhaupt dar. Die regionale Gesellschaft setzte sich vielmehr gegenüber dem Staatsoberhaupt selbstbewußt in Szene und benutzte die Anwesenheit des Empereurs, um die historische Bedeutung der >Auvergne< hervorzuheben. Die Helden Vercingetorix und Desaix, die zwar als Kontrahent Cäsars bzw. als General der bonapartistischen Armee zur historischen Legitimation Napoleons III. beitragen sollten, aber doch in erster Linie auvergnatische Helden waren, gaben dem Fest den Charakter der gegenseitigen Huldigung. Die >Auvergne< huldigte Napoleon III., aber Napoleon III. huldigte auch der >Auvergne< und ihren Helden. 170 Auf dem Weg, den Napoleon III. vom Bahnhof zur Präfektur zurücklegte, erwartete ihn eine provisorische Vercingetorixstatue eines einheimischen Künstlers. In seinem Kabinett im Rathaus stieß er auf eine Büste des auvergnatischen Helden. »Als er diese künsüerische Arbeit eines Sohnes der Auvergne betrachtete, konnte sich der Kaiser davon überzeugen, daß unser schönes Land in jeder Beziehung seiner Aufmerksamkeit und seiner Zuwendung würdig war.« 171

Als sich der Empereur am letzten Tag seines Besuchs nach Gergovia begab, um dort die neuesten Ausgrabungen zu begutachten, mußte man für die kundige Beratung des Kaisers auf einen Vercingetorixspezialisten der Akademie zurückgreifen, der ihm die Etappen der Schlacht beschrieb. Zwar säumte eine große Menschenmenge die Straßen und empfing Napoleon III. auf dem Berg. Vielleicht herrschte auch Feststimmung, als der Empereur erschien. Der Besuch von Gergovia war jedoch nur ein Ausflug des Kaisers als quasi wissenschaftlich interessierte Privatperson, kein Fest zu Ehren des Kaisers. Es gab kein Festprogramm, keine Reden, Umzüge oder 249

Gesänge, nur einige Triumphbögen in den Orten, die sein Wagen passierte. 172 Beim Aufenthalt an dem historischen Ort war der Kaiser Gast der Notabein, die ihn durch historische und archäologische Vorträge belehrten. Er wurde nicht als Staatsoberhaupt, sondern allenfalls als gleicher unter gleichen empfangen. Das offizielle Fest, das zu Ehren des hohen Besuchs gefeiert wurde, hatte bereits einen Tag vorher in Clermont-Ferrand stattgefunden. Aber auch beim offiziellen Fest wußten die Notabein auf ihre >großen Männer< und damit auf sich selbst und ihre Stellung in der Region aufmerksam zu machen. Das Fest in Clermont-Ferrand begann am Abend des 8. Juli mit der Einholung des Kaisers durch den Bürgermeister und den Stadtrat. Der Empfang vollzog sich als monarchisches Zeremoniell des Königseinzugs, wenn auch, zeitgemäß, nicht am Rande der Stadt, sondern im reich geschmückten Empfangssaal des Bahnhofs. Napoleon III. wurden dabei als Zeichen der Huldigung die Schlüssel der Stadt übergeben. 173 Der Bürgermeister der Stadt, Franciscque Mège, gleichzeitig Mitglied der Akademie, würdigte den monarchischen Charakter des Festes wohl, indem er daraufhinwies, daß seit Charles IX. im Jahr 1565 kein Souverän mehr die Stadt besucht habe. Er vergaß jedoch nicht zu erwähnen, daß der König von dem damaligen Kanzler Michel de l'Hôpital begleitet worden war einem Sohn der Auvergne. Die Notabein nahmen zwar am Fest für Napoleon III. teil, jedoch äußerten sie im Privaten ihre Ablehnung des bonapartistischen Regimes. Das macht ein Zwischenfall deutlich, der ausgerechnet mit Gergovia zusammenhing. Schüler des Kleinen Seminars von Clermont - die Söhne der Notabein - hatten kurze Zeit vor dem Fest mit ihren Lehrern das Plateau von Gergovia besucht und auf dem Weg dorthin mit Kreide 2 1 8 antibonapartistische Parolen - ein Polizist hat sie offenbar genau gezählt - auf den Mauern hinterlassen. Der Generalstaatsanwalt von Riom, der deshalb Anzeige in Paris machte, lag wahrscheinlich richtig mit seiner Vermutung, daß die acht- bis zehnjährigen Jungen den »Einflüsterungen, die sie im Schoß ihrer Familien erhalten hatten«, gefolgt waren. 174 Gergovie war der Ort der Notabein, den sie gegen die Inbesitznahme durch Napoleon III. im Sinne einer quasi-monarchischen Legitimation seines populären Regimes verteidigten. Die >großen Männer< der Region entzogen sich auf diese Weise der zentralstaatlichen Legitimation. Wenn die lokalen Eliten, unabhängig davon, ob es sich um die Notabein der Akademie oder die neuen republikanischen Eliten der Société d'Emulation handelte, ihre Helden unter sich und nicht auf Weisung der staatlichen Verwaltung feierten, verzichteten sie offenbar bewußt auf jegliche Art der (partei-politischen Inanspruchnahme der Feste. Sogar die Société d'Emulation, die ihre jährlichen öffentlichen Sitzungen mit der Marseillaise

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eröffnete, gestaltete ihr Fest zur Eröffnung der Subskription für das Vercingetorixdenkmal 1 8 8 6 als betont unpolitisches Fest der lokalen Gesellschaft. Der Festredner Emmanuel des Essarts hob in seiner Ansprache besonders die einheitsstiftende Rolle des auvergnatischen Helden für die Gesellschaft hervor und spielte sogar alle sozialen und politischen Differenzen als »Mißverständnisse« herunter. 175 Im Sinne der beschworenen Einheit wurde auf politische Äußerungen verzichtet. Für die Veranstalter stellte zwar die Republik den Rahmen dar, in dem die gesellschaftliche Befriedung stattfinden sollte, sie wurde jedoch nicht ausdrücklich gefeiert. Weder in den Reden des Präsidenten und des Sekretärs des Denkmalskomitees noch im musikalischen und künstlerischen Rahmenprogramm der eingeladenen Vereine fiel der Begriff der Republik. Die anwesenden Musikvereine, die sowohl dem republikanischen als auch dem katholischen Milieu angehörten, 176 sangen nicht etwa die Marseillaise, sondern brachten patriotische Lieder und militärische Märsche zur Aufführung. Wie das Theater geschmückt und ob die Trikolore präsent war, ist nicht bekannt. Es fällt jedoch auf, daß in keinem Bericht, auch nicht in dem über den anschließenden Festzug durch die Straßen der Stadt, ein Hinweis auf republikanische Symbole auftauchte. Ganz anders, aber in ähnlicher Einmütigkeit, gestaltete sich das Fest zum 800. Jahrestag der ersten Kreuzzüge. Obwohl es an den ersten drei Tagen ein rein katholisches Ereignis war, zu dem zahlreiche Vertreter des katholischen Klerus angereist waren und auf der Kanzel aggressive Töne gegen die Republik fielen,177 zog der weltliche Teil des Festes auch überzeugte Republikaner in seinen Bann. Die republikanische Lokalzeitung konnte ihre Begeisterung nicht verhehlen. Der »Moniteur du Puy-de-Dôme« agitierte zwar gegen die »Anführer der klerikalen Partei«, freute sich aber über die zahlreichen Besucher des Festes, den Festschmuck und den historischen Anlaß, der die Stadt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. »Seit langem haben wir schon nicht mehr so viele Leute, so hübsche Kleider und ein so reges Leben gesehen. Um 9 Uhr war es schwer, auch nur ein kleines freies Plätzchen zu finden.«178

Das Dilemma zwischen der Ablehnung der politischen Tendenz und der Begeisterung für das historische Lokalfest löste die Zeitung dadurch, daß sie die große Anzahl der Zuschauer vor allem mit deren Neugierde begründete. 179 Nicht aus politischer oder religiöser Überzeugung, hieß es, nahm die Menge »die vor allem vom Land gekommen war« 180 - an dem Ereignis teil, sondern lediglich aus unpolitischen Motiven. Katholiken und Republikaner feierten gemeinsam den historischen Anlaß, wobei letztere sich jedoch genötigt sahen festzustellen, daß die Bevölkerung immun gegen klerikale Propaganda war. Sie reflektierten aber keineswegs darüber, 251

welche Motivation die Bevölkerung zur Teilnahme an republikanischen Festen bewegte. Niemand stieß sich am religiösen Charakter dieses Festes. Der historische Festumzug wurde vom republikanischen und antiklerikalen »Moniteur du Puy-de-Dôme« als »große populäre Attraktion« 181 gefeiert. Der historische Anlaß warf unabhängig von seinem politischen Inhalt einen Teil seines Glanzes auf die Stadt und ihre Bewohner. Daß die Kreuzzüge Anlaß fur ein religiöses Fest gaben, in dem außerdem der französische Adel eine privilegierte Stellung einnahm, wurde allgemein akzeptiert. Sogar der Republikaner Emmanuel des Essarts betonte die religiöse Bedeutung der Kreuzzüge, wenn er auch versuchte, ihren zivilisatorischen, nationalen und patriotischen, aber auch ihren regionalen Charakter hervorzuheben. 182 Ein religiöses und patriotisches Fest faszinierte auch die Republikaner, solange es nicht zu offenen politischen Angriffen gegen die Republik kam. Es bestand ein unausgesprochener Konsens in der Stadt, daß regionale Feste keine politischen Manifestationen sein sollten, sondern Anlaß zum Feiern flir alle Gruppen der Bevölkerung. Nur offene politische Angriffe, die bei diesem Fest ausschließlich auf der Kanzel gefallen waren und keineswegs im Rahmen des weltlichen Festes, riefen den Protest der anderen Seite hervor. Doch war das keine politische Auseinandersetzung um die Inhalte des Festes, vielmehr zeigte sich die republikanische Lokalpresse erzürnt darüber, daß es bei einem regionalen Fest zu politischen Attacken kommen konnte. 183 Gleich zwei Wochen später wurde von offizieller, republikanischer Seite auf das religiöse Fest geantwortet. Am 31. Mai und 1. Juni war der Präsident der Republik, Félix Faure, Gast in Clermont-Ferrand und wurde mit einem großen Fest begrüßt. 184 O b es sich um einen Zufall handelte, daß der hohe Besuch in so rascher Folge Anlaß zum Feiern gab, oder aber dieses Fest gegen das katholische geplant worden war, läßt sich nicht feststellen. Dem »Moniteur du Puy-de-Dôme« allerdings kam es sehr gelegen. Schon nach Beendigung des 8 0 0 . Jahrestages der Kreuzzüge mutmaßte die Zeitung, daß die Besucher des religiösen Festes sicher am Ende des Monats wiederkämen, um den Präsidenten zu feiern und freute sich nachher sichtlich darüber, daß zum Empfang des Präsidenten doppelt so viele Besucher in die Stadt geströmt seien als zum vorhergehenden Anlaß. 185 Gab sich der Journalist im einen Fall überzeugt, daß einzig die Neugierde die Massen zur Prozession und zum Festzug gelockt hatte, war er nun sicher, daß ausschließlich republikanische Überzeugung die Massen mobilisierte: »Die Bevölkerung der Auvergne hat gestern in den Straßen von Clermont, am Rande des Umzugs des Präsidenten, eine große republikanische Demonstration veranstaltet.«186 Der Konflikt zwischen den »deux France« war also durchaus präsent. Es

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scheint jedoch, als habe er sich weitgehend zwischen Kanzel und Zeitungsredaktion abgespielt. Die Tatsache, daß sich die gleichen Zuschauer - das unterstellt sogar der »Moniteur« - zu beiden Festen einfanden, daß zwei Musikvereine, die anläßlich der Feier des 800. Jahrestages der Kreuzzüge gesungen hatten, die »Société Lyrique Clermontoise« und »La Gauloise d'Ambière«,187 auch am Empfang des Präsidenten teilnahmen und daß Emmanuel des Essarts schließlich bei beiden Festen anwesend war,188 belegt, daß die lokalen Feste außerhalb ihrer politischen Rhetorik eine starke integrative Kraft besaßen. Ob das Kreuz oder die Trikolore, religiöse Lieder oder die Marseillaise die Symbolik des Festes bestimmten, für die meisten war nur wichtig, daß in Clermont-Ferrand gefeiert wurde. Meldete der »Moniteur« angesichts des Besuchs des Präsidenten, daß das Kaufhaus am Place de Jaude fast tausend Fahnen in Erwartung des Festes verkauft habe und es in keinem Geschäft der Stadt mehr welche zu kaufen gäbe,189 hatte er auch zwei Wochen vorher nicht darauf verzichtet, anläßlich der religiösen Feier den Festschmuck der Straßen zu beschreiben und damit die Akzeptanz auch dieses Festes in der Stadt hervorzuheben. »Triumphbögen sind bereits errichtet worden; Spruchbänder überspannen die Straßen; Wohnungen und ganze Häuser sind geschmückt.«190 Auch fur überzeugte Republikaner hatte zumindest der weldiche Teil des religiösen Festes eine große Anziehungskraft als regionales und patriotisches Fest.

4.2.3. Der militärische Kult in der Festkultur Ein weiteres einheitsstiftendes Element der Feste in Clermont-Ferrand stellte die Armee und der militärische Heldenkult dar, mit dem die lebenden und toten Soldaten der Region ihren Beitrag zum Fest und seiner Symbolik leisteten. Der militärische Heldenkult, der sowohl in der Allgegenwart des Militärs und militärischer Symbolik als auch in den gefeierten Helden - seien es der General Desaix, Vercingetorix oder die Kreuzritter zum Ausdruck kam, ermöglichte einen breiten Konsens, der jenseits der politischen Differenzen die Nation als Heiligtum aller erscheinen ließ.191 Der Armee, die bereits 1848 bei der Einweihung des Desaixdenkmals als einheitsstiftender Faktor der Gesellschaft eine zentrale Rolle spielte, wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle in der Festkultur zugeschrieben.192 So räumte vor allem das Festprogramm zum hundertsten Todestages des Generals Desaix 1900 dem Militärkult die wichtigste Stellung im Fest ein. »Weil es sich keineswegs um ein Fest einer Partei oder Gruppierung handelt, sondern um eine nationale und patriotische Ehrenbezeugung. Man wird sicherlich überall rufen: Hoch lebe die Ar253

mee!«193 Vertreter der Regimenter, die zusammen mit Desaix in Marengo gekämpft hatten, sollten mit ihren Fahnen im Festzug die besondere Attraktion des Festes darstellen. Allein fünftausend Francs für die Fahrtkosten hatte die Kommission für diesen »Clou«194 angesetzt. Kurz vor dem Fest traf aber eine Depesche des Kriegsministers ein, in der dieser seine Genehmigung unter dem Vorwand verweigerte, daß die Regimenter zu verstreut lägen. Diese Nachricht wurde im Festausschuß ausgesprochen kühl aufgenommen. 195 Obwohl gerade die Dreyfus-Affaire die innere Zerrissenheit der Nation und des Militärs gezeigt hatte, besaßen militärische Helden, Rituale und Symbole offensichtlich, in Frankreich ebenso wie in Deutschland, eine sehr große Anziehungs- und Integrationskraft über die Parteien hinweg. Das Fest zum Todestag Desaix' begann dennoch ausgesprochen militärisch mit der Ankunft des Ministers am Bahnhof der Stadt, dessen Anwesenheit dem Fest einen nationalen Anstrich geben sollte.196 Als der Minister aus dem Bahnhof trat, wurde er durch die Truppen und Offiziere der Stadt empfangen, die das Gewehr präsentierten »tandis que tambours, clairons et musique de l'école d'artillerie vont >aux champsAuvergne< und für die Nation darzustellen. »Leuchtender Führer, strahlendes Vorbild, Vercingetorix erhebt sich als Zeitgenosse all derer, die Frankreich groß, herrlich und ewig wollten und wollen.«263 Sogar der reaktionäre »Avenir« kam nicht umhin festzustellen, daß alle Zuschauer dieser »wunderschönen Ansprache« Beifall spendeten.264 Erst die Rede des Kriegsministers General André schürte das Feuer der Polemik, indem er mit Vercingetorix gleich auch Jeanne d'Arc in den politischen Kampf gegen Rom ziehen ließ. Zwei verschiedene Feste fielen hier zusammen. Zum einen wurde ein Fest für den großen Helden der >Auvergne< gefeiert, dem sich die gesamte lokale Gesellschaft verbunden fühlte. Der Präsident des Denkmalskomitees und sogar der politische Vertreter der Stadt waren dieser Festform verbunden und als Repräsentanten der regionalen Gemeinschaft anerkannt. Das regional vermittelte Nationalgefuhl, das hier zum Ausdruck kam, war eben nicht politisch für oder gegen die Republik motiviert, sondern nährte sich aus der regionalen Gemeinschaft und einem nach außen gerichteten Gefühl der Größe bei gleichzeitiger Bedrohung der Nation. Zum anderen war es ein politisches Fest, in dem der innere politische Feind bekämpft und ausgegrenzt wurde. Erst auf dieser Ebene öffnete sich der Mythos für zwei einander entgegengesetzte Interpretationen, die sich je nach der politischen Einstellung zur Republik trennten. Beide Variationen des Festes und die damit verbundenen Deutungen des nationalen Mythos widersprachen einander zwar, sie koexistierten jedoch und wurden je nach Bedarf abgerufen. Die Konservativen konnten einerseits den Kabinettschef ausbuhen, andererseits jedoch seinem Parteifreund, dem Bürgermeister, der ihn eingeladen hatte, begeistert Beifall spenden. Nicht nur die Konservativen schwankten zwischen diesen beiden Variationen des Festes hin und her, sondern auch die Republikaner folgten in der Festgestaltung diesem Schema. Der Bürgermeister und Stadtrat gab am ersten Abend des Festes ein Abendessen im Rathaus zu Ehren der Pariser Gäste. Wie bei den vorhergegangenen Festen standen auf der Einladungsliste außer den hohen Beamten der Stadt und des Departements die Vertreter des Militärs, der Bischof von Clermont-Ferrand, die Mitglieder des Denkmalskomitees, die Präsidenten der Anwaltskammer und des Gewerbegerichts, die Direktoren der Straßenbahn- und der Gasgesellschaft, der Direktor der Banque de France sowie die Verleger und Chefredakteure der regionalen Zeitungen, des republikanischen »Moniteur« und des reaktionären »Avenir du Puy-de-Dôme«. 265 Die Liste zeigt eindeutig, daß die Einladungen nach wie vor der Funktion des Gastes in der lokalen Gesellschaft folgten und politische Kriterien keine Rolle spielten. Hatte der 276

Präfekt als politischer Beamter drei Jahre zuvor ein Duell riskiert, verstand der Bürgermeister den Empfang nach wie vor als Repräsentation der lokalen Notabeingesellschaft und nicht als politische Demonstration. Zu dem am folgenden Tag stattfindenden »demokratischen Bankett« wurde dagegen nach politischen Kriterien eingeladen. Der »Avenir du Puy-deDôme« erhielt auch auf Anfrage beim zuständigen Ausschuß keinen Platz am Journalistentisch. »Wir können nicht annehmen, daß es fiir den Avenir du Puy-de-Dôme angenehm sein kann, an einer republikanischen Demonstration teilzunehmen«, antwortete der Vorsitzende des Vorbereitungsausschusses, der einen Tag vor dem Bankett ebenso am Empfang im Rathaus teilnahm, der offenbar keine »republikanische Demonstration« darstellte. 266 Auch im Fackelzug vermischten sich die verschiedenen Aspekte des Festes. Er war alles auf einmal: militärische Parade, politische Demonstration, Defilee der Berufsgruppen und Gewerkschaften, und er bekundete außer der nationalen unterschiedliche Arten regionaler Loyalität. Außer den Gymnastik-, Musik- und Veteranenvereinen stellten die Gewerkschaften und Unterstützungsvereine der Arbeiter und Angestellten mit insgesamt 29 teilnehmenden Gruppen nahezu die Hälfte der den Festzug bildenden 67 Vereine. Auch die Straßenbahngewerkschaft, die noch am Tag zuvor mit Streik gedroht hatte, war anwesend. Hier zeichnete sich ein einschneidender Wandel in den gesellschaftlichen Organisations- und Repräsentationsformen ab. Nicht mehr die durch die bürgerlichen Vertreter gesteuerten, ihrem Anspruch nach klassenübergreifenden Vereine bildeten das Hauptkontingent der im Festzug marschierenden Gruppen. Jetzt stellten beruflich, aber vor allem durch ihre Klassenzugehörigkeit konstituierte Interessengruppen das Gros der Teilnehmer.267 Der Festzug stand nicht mehr nur den Vereinsmitgliedern offen, sondern die Teilnahme wurde nun individuell, nach sozialen Kriterien gesteuert. Die Gewerkschaften hatten ausdrücklich außer ihren Mitgliedern alle nichtorganisierten Arbeiter aufgefordert, »den Zug hinter dem Transparent zu verstärken«.268 Die Gewerkschaften zeigten ihre Präsenz in der lokalen Gesellschaft, vor allem aber ihre - zahlenmäßige - Stärke für den Fall des Konflikts. Die Legitimation der regionalen Notabeingesellschaft wurde durch den Rekurs auf die Klassengesellschaft von unten in Frage gestellt. Dieser Wandel läßt sich weniger an der am Festbankett im Rathaus teilnehmenden regionalen Elite ablesen, vielmehr spiegelte er sich in den Formen der gesellschaftlichen Organisation der Bevölkerung, die in den Straßen der Stadt defilierte. Die Tatsache, daß der Direktor der Straßenbahngesellschaft im Rathaus speiste, während die Mitglieder der Straßenbahngewerkschaft draußen vorbeimarschierten, verweist zwar einerseits auf die räumliche Trennung

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des Festes entlang sozialer Grenzen, belegt jedoch andererseits die große soziale Integrationskraft der Dritten Republik. Immerhin feierten der Direktor und die Arbeiter, die sich am Tag zuvor erbittert bekämpft hatten - wenn auch getrennt voneinander - , das gleiche Fest. Hier wird auch die Brisanz des Konflikts ersichtlich. Im Falle eines Streiks hätte sicherlich nicht allein die Straßenbahngewerkschaft Umzug und Fest boykottiert, sondern es stand für die Organisatoren zu befürchten, daß sich andere Gewerkschaften mit ihren streikenden Kollegen solidarisierten269 und am gleichen Tag nicht als Festzug, sondern als Streikdefilee270 durch die Straßen zogen. Das Fest wäre kein klassenübergreifendes, wenn auch räumlich nach sozialer Zugehörigkeit getrenntes Fest der ganzen regionalen Gesellschaft gewesen, sondern in zwei sich sozial bekämpfende Feste auseinandergefallen.271 Die prekäre soziale Harmonie der »Notabelngesellschaft« wäre offenkundig geworden. Auch das Militär, das den Fackelzug begleitete und schmückte, hätte im Fall des offenen Konflikts eine andere Rolle gespielt. Obwohl die große Anzahl der Soldaten in der Stadt mit dem angedrohten Streik zusammenhing,272 fungierte das Militär beim Festzug gleichzeitig als soziale Ordnungsmacht und nationales Integrationssymbol. Im Fall des Streiks und eines Defilees der streikenden Arbeiter wäre es zur Ordnungsmacht geschrumpft und zum Instrument des Klassenkampfes geworden. Die Tatsache, daß die verschiedenen Rollen im Fest so nahtlos zwischen Solidarität und Konfrontation wechseln konnten, belegt einmal mehr die hohe Integrationskraft der regionalen Symbolik. Während die Gewerkschaften im Festzug ihre soziale Geschlossenheit und Stärke demonstrierten, blieben die Unterstützungsvereine der handwerklichen Berufsgruppen in eine korporative Tradition eingebunden. Sie grenzten sich weniger als soziale Klasse ab, sondern konstituierten ihre Geschlossenheit durch handwerklichen Stolz und gewerbsmäßige Solidarität. Beide Organisationsformen bestanden jedoch im Festzug nebeneinander und wurden für alle Teilnehmer und Zuschauer sichtbar. So trug zum Beispiel der Unterstützungsverein der Lieferanten und Kutscher ein Transparent mit der Devise »Einheit, Solidarität, Arbeit, Justiz« und der der Gipser und Anstreicher ein Spruchband mit der Erklärung der Menschenrechte und bekundeten so politische und soziale Forderungen. Einige Arbeiter sangen die Internationale. Als traditionelle Handwerkergewerbe präsentierten sich dagegen die Schneider mit einem riesigen Bügeleisen, die Konditoren mit einem überdimensionalen Kuchen mit den Insignien und den Werkzeugen ihrer Berufsgruppe oder die Kellner mit einem Bacchus, der auf einem Faß ritt. Daß diese Festteilnehmer in den Gesang der Internationale einstimmten, ist wenig wahrscheinlich. Nicht soziale, sondern berufsorientierte Solidarität stand hier im Vordergrund. 278

Die kleinbürgerlichen Gruppen verorteten sich in ihrer sozialen Zugehörigkeit in unterschiedlicher Weise. Während sich die Angestellten eher mit den Arbeitern in Gewerkschaften zusammenschlössen und ihre soziale und politische Geschlossenheit demonstrierten, definierten sich die selbständigen Gewerbetreibenden als korporative Solidaritätsgemeinschaft und betonten ihren Berufsstolz. Nachdem die Vertreter der Berufsgruppen in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Repräsentation als ständische Gruppe zugunsten einer egalitären Repräsentation in der Nationalgarde aufgegeben hatten, lebten in den Unterstützungsvereinen der Handwerksmeister gewisse Anknüpfungspunkte an die zünftische Organisation als »erfundene Tradition« stadtbürgerlichen Stolzes wieder auf,273 mit der zugleich die soziale Grenze zwischen selbständigem Kleinbürgertum und Arbeiterschaft markiert wurde. Die Musik-, Gymnastik- und Krieger vereine traten hingegen als sozial übergreifende Vereinigungen auf und demonstrierten ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit durch ihre regionale und patriotische, nur indirekt republikanische Loyalität. Die »Arvernoise«, deren Namen bereits auf die regionale Verbundenheit ihrer Mitglieder verwies, erinnerte stolz an ihre Rolle bei der Errichtung des Vercingetorixdenkmals und trug ein Transparent mit dem Denkmal und den Worten »Ehre und Vaterland«. Die »Indépendance« zeigte Gymnastikszenen und ein Transparent mit den Worten »Pro Patria«. Verschiedene Musikvereine, die zum Teil wie die Philharmonie der Eisenbahner oder der Fabrik Bergougnan berufsmäßig, zum Teil als freie patriotische Vereine wie die »Société lyrique« oder die »Musique des anciens soldats« organisiert waren, spielten sicherlich die Marseillaise und Marschmusik. Verschiedene Arten von Loyalität mischten sich in einem Festzug. Die Frage, inwieweit sie sich in den einzelnen Individuen verbanden und welche Kriterien den einen zum Vertreter der Berufsvereinigung, den anderen dagegen zum Repräsentanten seines Vereins machten, muß offenbleiben. In ihrer sozialen Zusammensetzung scheinen sich die patriotischen Vereine von den Gewerkschaften und Berufsgruppen wenig unterschieden zu haben, so daß Doppelmitgliedschaften nicht unwahrscheinlich sind. Angesichts des Festumzuges mußten jedoch Prioritäten gesetzt werden, ob man als Gewerbetreibender bzw. Arbeiter oder als Vereinsmitglied seine Mitgliedschaft zur regionalen und nationalen Gesellschaft oder internationalen Klasse darstellte. Jedenfalls wird deuüich, daß die französische Gesellschaft in weit höherem Maße als die deutsche verschiedene politische und soziale Formen von Loyalität in sich vereinigen und Konflikte abschwächen konnte. Nicht zuletzt marschierten im Fackelzug auch drei in Clermont-Ferrand ansässige Heimatvereine der in den Departements Allier, Cantal und 279

Corrèze gebürtigen Auvergnaten. Ihre Mitglieder definierten sich zwar als Auvergnaten, trafen sich jedoch, je nach ihrem Geburtsort, in nach Departements getrennten Vereinen, in denen sie ihre »Gefühle der Einheit und Verbundenheit zwischen den Abkömmlingen des gleichen Landstrichs« pflegten.274 Definierte sich die auvergnatische Kolonie im Exil in Paris275 ausschließlich durch ihre Zugehörigkeit zur >AuvergneAuvergne< selbst noch einmal nach Departements. Die Region war kein homogener Raum, sondern zerfiel in verschiedene soziale Räume. Alle Heimatvereine stellten diese doppelte Loyalität im Festzug dar. Die Mitglieder der »Châtaigne« folgten der Devise »Der Limoges und die Auvergne sind unzertrennlich«. 276 Die »Amicale Cantalienne« beteiligte die Kinder der Vereinsmitglieder »als Auvergnaten des Cantal verkleidet« am Festzug.277 Die Heimatvereine dokumentierten durch ihre Teilnahme mindestens vier verschiedene, aber komplementäre Arten räumlicher Solidarität: Als gebürtige Cantaliens und zugleich Auvergnaten, um ein Beispiel herauszugreifen, waren sie Mitglied in einem Verein, als Bewohner Clermonts nahmen sie am Festzug teil und als Franzosen sangen sie vielleicht die Marseillaise oder bestaunten die Uniformen der den Festzug begleitenden Soldaten. Vercingetorix, der gefeierte Held des Tages, versinnbildlichte alle diese Solidaritäten - die zum Fest geladenen Minister dagegen nur die nationalstaatliche, republikanische Loyalität. Fand sich zum Festzug die städtische, in Vereinen und Korporationen organisierte Gesellschaft zusammen und zog gemeinsam durch die Stadt, zerfiel das Fest am nächsten Nachmittag und Abend in verschiedene, räumlich voneinander getrennte, aber gleichzeitig stattfindende Feste. Die einzelnen Stadtviertel stellten eigene Festkomitees, die in ihren Vierteln Konzerte, Volksbelustigungen, Kinderspiele und Bälle veranstalteten.278 Die Feste der Stadtviertel hatten einen anderen Charakter als die offiziellen Programmpunkte. Hier wurde die Teilnahme nicht in erster Linie sozial oder politisch definiert - auch wenn nicht alle sozialen Gruppen vertreten waren - , sondern vor allem räumlich. Die Geselligkeit der Vereine, Gewerkschaften und Korporationen trat hinter die Geselligkeit der individuellen Bewohner und der Familien des Viertels zurück. Stellte der vorabendliche Festzug eine Form der männlichen Geselligkeit dar - außer einigen kostümierten Mädchen in einem der Heimatvereine scheinen Frauen nicht teilgenommen zu haben - , richteten sich die Feste der Stadtviertel ausdrücklich an Männer, Frauen und Kinder. Unterschiedliche soziale Räume korrespondierten mit verschiedenen Formen der Geselligkeit und Festkultur. Im Fest spiegelten sich die verschiedenen Arten sozialer und räumlicher Solidarität der lokalen Gesellschaft wider, die erst in ihrer Komplexität die Bindung des Individuums an die Gesellschaft ausmachten. 280

Der Festakt zur Einweihung des Vercingetorixdenkmals, der Empfang im Rathaus wie auch der gleichzeitig stattfindende Fackelzug der Vereine und Korporationen durch die Straßen der Stadt und die Feste in den einzelnen Stadtvierteln lassen sich nicht auf eine politische Manifestation zugunsten der Republik oder gar der amtierenden Regierung reduzieren. In diesen Programmpunkten ähnelte das Fest weit stärker den vorhergehenden lokalen Festen, in denen sich die verschiedenen Gruppen in ihren sozialen und räumlichen Bezügen präsentierten. Die Organisationsprinzipien der einzelnen Gruppen und ihr Verhältnis zueinander hatten sich verändert, jedoch gelang es immer noch, das Fest als eines der ganzen Region zu feiern und soziale und politische Konflikte im regionalen Bezugsnetz zu verdrängen. Ganz anders gestaltete sich das »demokratische republikanische Bankett«. Die Teilnahme am Festmahl und an dem dorthin führenden Defilee war ausschließlich politisch bestimmt. Sie bekundete individuelle Zustimmung zur Republik und zum politischen Programm des republikanischen Blocks. Außer den »republikanischen Komitees« des Departements, die als politische Organisationen geschlossen auftraten, waren die Eintrittskarten frei käuflich und ermöglichten jedem die Teilnahme, vorausgesetzt, daß er männlichen Geschlechts war. Diese Einschränkung wurde zwar an keiner Stelle ausgesprochen, scheint aber für alle Anwesenden selbstverständlich gewesen zu sein. Das Festessen war kein »Familienbankett«, wie es von den Heimatvereinen am gleichen Abend veranstaltet wurde, sondern es war eine politische Veranstaltung, die sich nur an die wahlberechtigten Männer des Departements richtete. Die einzigen anwesenden Frauen scheinen die Serviererinnen gewesen zu sein. Das Festkomitee hatte sich an den Riomer Abgeordneten Clémentel mit der Bitte gewandt, erneut die Arbeiterinnen der Riomer Tabakfabrik zum Fest mitzubringen, aber diesmal nicht für den Festzug wie 1900, sondern zum Bedienen der Gäste.279 Während ihre männlichen Kollegen vielleicht als Festteilnehmer anwesend waren und ihre politische Überzeugung beim Essen kundtaten, wurden die Arbeiterinnen nur in ihrer weiblichen, dienenden Rolle als Serviererinnen zugelassen. Der »Avenir du Puy-de-Dôme« stellte sich die Frauen als mit der phrygischen Mütze bekleidet vor.280 Sogar als Serviererinnen schienen sie fehl am Platz, so daß man sie sich nicht anders als in einer allegorischen Rolle vorstellen konnte. Als politisch interessierte Individuen oder gar als Vertreterinnen einer sozialen Gruppe wurden sie weder von den bürgerlichen Vertretern noch von ihren Klassengenossen wahrgenommen. Die individuelle und egalitäre Teilnahme der männlichen Festgäste kam in der Ordnung des Festzuges und in der Tischordnung zum Ausdruck. Außer der Einteilung der Festteilnehmer in räumliche Kategorien folgte der Zug keiner inneren Ordnung. Natürlich schritten die politischen Re281

Präsentanten - die Minister, der Präfekt, die Abgeordneten und der Bürgermeister - am Kopf des Zuges und nahmen später den Ehrentisch ein, die Aufstellung der Teilnehmer und die Sitzordnung jedoch erfolgte ausschließlich nach Arrondissements, wobei die Reihenfolge ausgelost wurde. Soziale Gruppen oder Beziehungen spiegelte der Festzug nicht wider. Er unterschied sich dadurch von demjenigen am Vorabend. Als politische Veranstaltung wich das Bankett von den anderen Programmteilen der beiden Festtage und der vorausgegangenen Feste ab. Es war seinem Anspruch nach keine Veranstaltung der gesamten lokalen Gesellschaft, sondern im Gegenteil: Es markierte deutliche Grenzen zwischen Anwesenden und Abwesenden. Es konnte nicht als Fest eines sozialen Raumes verstanden werden, in dem sich die gesellschaftlichen Beziehungen der Teilnehmer widerspiegelten. Es zählte nicht, welche Gruppen, Vereine oder Berufsgruppen im einzelnen anwesend waren, sondern allein die Masse der Teilnehmer. Die politische Loyalität machte sich weniger an einem konkreten Raum und seinen sozialen Beziehungen fest, sondern an der individuellen Zustimmung zur Republik und ihren politischen Repräsentanten. Der Ort der Feier war weitgehend austauschbar. Entsprechend richtete Emile Combes seine Rede nicht speziell an das anwesende Publikum, sondern nutzte das Festbankett, um eine Regierungserklärung abzugeben, die am nächsten Tag in allen nationalen Zeitungen abgedruckt wurde. Ob alle Festgäste sich für diese Regierungserklärung interessierten und ob sie bei der schlechten Akustik in dem zur Festhalle ausgestalteten Militärdepot bereit und fähig waren, über eine Stunde lang den Ausfuhrungen zu folgen - und das nach reichlichem Weingenuß - , ist ausgesprochen fraglich. Kaum jemand der anwesenden viertausendfünfhundert Festgäste konnte die Rede des Präsidenten von seinem Platz aus verstehen. Einige verließen ihre Plätze und drängten sich so eng um die Rednertribüne, daß sie durch das Militär - das auch hier vorsichtshalber bereitstand - geschützt werden mußte. Andere verließen die Feier, bevor der Redner geendet hatte.281 Der nationale Demonstrationscharakter des Banketts, das vor allem durch die Masse der Teilnehmer nach außen wirken sollte und kaum Festcharakter hatte, kam schließlich auch in der Resolution zum Ausdruck, die von den Veranstaltern vorbereitet worden war und der die Teilnehmer zuzustimmen hatten. »Die auvergnatischen Republikaner, die in einem brüderlichen Bankett zu mehr als 4.500 vereint sind, drücken ihre volle Zustimmung zur Politik der republikanischen Verteidigung und Aktion, die ihnen der Minister dargelegt hat, aus.«282

Obwohl die soziale Zusammensetzung der Teilnehmer keine Rolle spielte, sondern der gemeinsamen politischen Überzeugung untergeordnet wurde, verwandten die bürgerlichen Festorganisatoren dennoch, wie bei anderen 282

Festen auch, viel Mühe auf einen geregelten Ablauf. Soziale Ordnungsvorstellungen flössen auch in die politische Demonstration ein. Eines der Hauptanliegen der Veranstalter war die äußere Ordnung des Festzuges und des Banketts. Mehrmals ließen sie im Vorfeld die Teilnehmer durch die republikanische Presse wissen, welche Ordnungsvorschriften getroffen wurden und mit welchen Aufgaben die Festordner betraut waren: Der Erfolg des Festes hinge davon ab, so hieß es, daß »jeder Bürger die größte Ruhe und die größte Ordnung während der gesamten Dauer der Demonstration, besonders aber beim Umzug« einhalte.283 Den Gästen wurde eingeschärft, daß sie sich während des Banketts, vor allem aber während der Reden, still verhalten, sich nicht von ihren Stühlen erheben und nicht ihre Plätze tauschen sollten.284 Das gemeinsame Essen als Ausdruck von Feststimmung und -freude war ein klassenübergreifender Ausdruck der republikanischen Elite wie auch der städtischen und ländlichen unterbürgerlichen Schichten. Die Ansprüche an die Tischsitten der Festteilnehmer waren jedoch unterschiedlich. Spontane Festfreude hatte in den geregelten bürgerlichen Tischsitten keinen Platz. Stellten das gemeinsame Essen und die große Zahl der Festteilnehmer ein Zeichen der Demokratisierung der Gesellschaft dar, hing der Erfolg des Festes fur die bürgerlichen Organisatoren davon ab, daß die unterbürgerlichen Schichten die bürgerlichen Werte und Verhaltensweisen respektierten. Mit dem Bankett bezweckten die Veranstalter nicht nur eine Demonstration der politischen Stärke der Republik, sondern auch einen Beweis der ordnenden und erziehenden Kraft der bürgerlichen, republikanischen Gesellschaft. Mit der Integration der unterbürgerlichen Schichten in die Republik sollten nicht nur politische Mehrheiten abgesichert, sondern auch bürgerliche Werte und Ordnungsvorstellungen vermittelt werden.285 In dieser Hinsicht war das »demokratische Bankett« für die Veranstalter ein Desaster. Die große Zahl der Festgäste war zwar zunächst ein großer Erfolg und wurde als »die bedeutendste Demonstration, die möglich ist« gefeiert. Sie überforderte jedoch den mit der Küche beauftragten Gastwirt. Niemand erhielt ein komplettes Menü, das aus sechs Gängen bestehen sollte. Viele konnten sich ausschließlich an den Wein halten, der in ausreichender Menge vorhanden war. »Daraus entstanden natürlich unangenehme Vorkommnisse«, war zunächst das einzige, was der »Moniteur du Puyde-Dôme« über das daraus entstehende Chaos zu berichten wußte. 286 Für die rechte Presse waren die leeren Teller ein gefundenes Fressen: »Es war grandios!«287 Voller Schadenfreude berichteten die einheimischen und Pariser Zeitungen von den tumultartigen Reaktionen der hungrigen Menge.288 Nachdem die Festgäste zunächst vor ihren leeren Tellern ausgeharrt hatten, nahmen sie ihr Schicksal selbst in die Hand. Sie stürmten die Küche, erbeuteten ganze Schinken und Käse, die sie unter dem Arm zurück an ihre 283

Tische trugen. Man zerschlug die leeren Teller, Flaschen und Gläser. Den Serviererinnen gelang es nicht mehr, die Speisen zu den Tischen zu tragen, weil sie ihnen unterwegs abgenommen wurden. So blieb auch der Ehrentisch von der Versorgung abgeschnitten. »Am Ehrentisch ... fastete man wie die Karthäuser!«289 Angeblich ließ der Präfekt schließlich die »Präsidentenkeule« durch den Polizeikommissar vor dem Volkszorn schützen und zum Ehrentisch eskortieren. »Endlich, nach einer Stunde des Wartens und der Unordnung, tat man, was wir vorausgesehen hatten. ManriefArtilleristen, um den Ehrentisch zu bedienen. An den anderen Tische zerschlug man weiterhin das Geschirr.«290 Der Grund, weshalb sich die politischen Gegner so sichdich an dem Tumult erfreuten, liegt auf der Hand. Nicht nur die Gaumenfreuden der republikanischen Elite am Ehrentisch waren beeinträchtigt worden, sondern das Scheitern ihrer ordnenden und erzieherischen Bemühungen nicht nur bei Tisch, sondern auch in der Gesellschaft trat offen zutage. Die Minister und Ehrengäste mußten vor ihrer eigenen Wählerschaft, vor dem latent revolutionären Volk, verteidigt werden. Das kam fur die Gegner einer Kapitulation der Republik vor ihren eigenen demokratischen und erzieherischen Idealen gleich. In der Tat sollte am ordendichen Ablauf des Banketts der Erfolg der republikanischen Demonstration für die Anhänger, aber auch für die Gegner, manifest werden. Die Verbreitung der Richtlinien vor dem Fest und die genauen Instruktionen der Festordner belegen die Motivation der bürgerlichen Veranstalter, eine allgemeine Durchsetzung bürgerlicher Ordnungsvorstellungen als Werk der republikanischen Verfassung zu feiern und die erfolgreiche Integration der unterbürgerlichen Schichten in die Gesellschaft zu demonstrieren. Die Schadenfreude der einen und die verzweifelten Bemühungen der anderen, das Chaos beim Bankett herunterzuspielen, 291 zeigen deutlich, daß sich die Vorstellungen der bürgerlichen Elite der Konservativen und Republikaner in ihren sozialen Ordnungsprinzipien, in der Verteidigung bürgerlicher Werte gegen revolutionäre Übergriffe, nicht grundsätzlich unterschieden. Der Streitpunkt war eher, wie die Gesellschaft politisch organisiert und in welchem Maße die unterbürgerlichen Schichten in das politische System integriert werden sollten. Die bürgerliche Ordnung stand nicht zur Disposition. Trotz der gescheiterten Demonstration der vorbildlichen republikanischen Ordnung feierte die republikanische Presse das Bankett als großartige politische Manifestation. »Ob mit oder ohne Yorkschinken, mit oder ohne Pâté der Auvergne« - auch beim Essen wurde räumliche Identität ausgedrückt - »ob mit oder ohne Erlaubnis des Avenir war das demokratische Bankett am Sonntag eine großartige republikanische 284

und antiklerikale Demonstration, die einige Zwischenfälle von zweifelhafter Bedeutung nicht beeinträchtigen können.« 292

Aber nicht nur das Bankett war in den Augen des »Moniteur« eine politische Demonstration, sondern das gesamte Fest wurde als »großartige Demonstration« bezeichnet. Die ganze Stadt habe hier ihre Verbundenheit mit der Regierung ausgedrückt. Es ist richtig, daß das Fest zur Einweihung des Vercingetorixdenkmals in einigen Teilen politisiert war, jedoch standen das Vercingetorixdenkmal und seine Einweihungsfeierlichkeiten, das Defilee der Vereine und Berufsgruppen, das Festessen im Rathaus sowie die Volksbelustigungen und Bälle und andere Festelemente mehr in der Tradition des lokalen Festes, das seinen Reiz für die Veranstalter weniger durch politische Demonstrationen, sondern durch die soziale und kulturelle Darstellung kleinräumlicher, hierarchischer Identifikationsmuster erhielt. Die Tatsache, daß das Denkmalskomitee, dessen Mitglieder eindeutig republikanisch gesinnt waren, nicht am »demokratischen Bankett« teilgenommen hat, belegt noch einmal die deudiche Trennung der beiden Festelemente. Daß seine Mitglieder aber auch auf die Repräsentation im Festzug verzichtet hatten und sich räumlich nach unten abgrenzten, verdeutlicht gleichzeitig die Aufrechterhaltung der Distanz in der französischen Gesellschaft. François Vazeilles, Sekretär des Denkmalskomitees seit 1886, war mit der politischen Deutung des Festes durch den »Moniteur du Puy-de-Dôme« nicht einverstanden. In seinem Festbericht, der in der »Revue d'Auvergne« veröffendicht wurde, schrieb er ungeniert fast wördich einzelne Passagen der Festbeschreibung des »Moniteur« ab. Er veränderte jedoch die Stellen, die dem Fest eine politische Konnotation geben konnten. Der »Moniteur« hatte die Festteilnehmer vor allem politisch zugeordnet: »Von der Vercingetorix- bis zur Desaixstatue erhebt sich ein wahrhaftiges Menschenmeer, aus dem die Fahnen der republikanischen Komitees und die Flaggen der verschiedenen Vereine, die an den Feierlichkeiten teilnehmen wollten, herausragten.« 293

Vazeilles betonte dagegen den räumlichen Bezug der Festteilnehmer; aus der republikanischen und nationalen Demonstration wurde ein patriotisches und regionales Fest: »Von der Vercingetorix- bis zur Desaixstatue erhebt sich ein wahrhaftiges Menschenmeer, aus dem die Fahnen und Standarten der Gruppen und Vereine, die aus allen Teilen des Departements am patriotischen Fest teilnehmen wollten, herausragten.« 294

Das Fest war beides, ein regionales Fest zu Ehren des auvergnatischen Vercingetorix und eine politische Demonstration zu Ehren des republikani285

sehen Vercingetorix; ein Fest der sich ständisch repräsentierenden Notabelngesellschaft und ein Fest der ihrem Anspruch nach egalitären republikanischen Gesellschaft.

4.3. Vergleichende Zusammenfassung Die auf den Festen in Clermont-Ferrand und Detmold während des 19. Jahrhunderts propagierten nationalen Gesellschaftsmodelle der führenden sozialen Gruppen, der Notabein und »neuen Schichten« einerseits und des Bürgertums andererseits, zeigen zunächst das Bild einer gegenläufigen Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in beiden Ländern. Das zeichnet sich vor allem in der Funktion der historischen Erinnerung und der den Festen innewohnenden zeitlichen Perspektive ab. Während die Perspektive der Gesellschaftsentwürfe der traditionellen Notabein in den französischen Festen zunächst eine rückwärtsgewandte war und auf die Restauration ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft zielte, entwarfen die »neuen Schichten« seit den achtziger Jahren zunehmend ein offenes, zukunftsorientiertes Bild der gesellschaftlichen Entwicklung. Das Bürgertum in Deutschland zeichnete dagegen in seinen Festen im Vormärz eine gesellschaftliche Utopie der »klassenlosen Bürgergesellschaft«, die in den Festen des Kaiserreichs grundlegend revidiert wurde. Während das Fest im frühen Kaiserreich eine Apologie der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse darstellte, verfiel das Fest 1909 in eine historisch verklärte Vergangenheit und propagierte den Mythos einer »klassenlosen Volksgemeinschaft«. Das Ziel der Notabelnkultur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es nicht - wie in Deutschland zur selben Zeit die Gesellschaft schrittweise in eine, zunehmend weitere soziale Schichten integrierende, bürgerliche Gesellschaft umzubauen, sondern vielmehr die exklusive, ständisch geprägte soziale Stellung der Notabein in allen gesellschaftlichen Bereichen zu konsolidieren und ihre durch die Französische Revolution und die Zweite Republik - in Frage gestellte Position in der lokalen und regionalen Gesellschaft zu verteidigen und abzusichern. Die Feste zu Ehren der >großen Männer< der >Auvergne< repräsentierten nicht die politisch verfaßte Nation, sondern waren der Ort ständischer Repräsentation der regionalen Notabeingesellschaft. Dagegen zielten die »neuen Schichten« mit dem Rekurs auf die Nation weit stärker auf die Integration der nichtbürgerlichen Schichten in die Gesellschaft. Auch wenn die Feste der Dritten Republik noch deudich durch die Notabein kontrolliert wurden, versuchten die »neuen Schichten« 286

durch Öffnung gegenüber der republikanischen Gesellschaft und ihrem kleinbürgerlichen Vereinswesen, das in der Festkultur der Dritten Republik seinen festen Platz hatte, die Massen schrittweise - vor allem auf dem Weg über die Jugend - in die Gesellschaft zu integrieren. Damit suchten sie den sozialen Wandel, das »Ende der Notabein«, von unten herbeizufuhren. Suchten die »neuen Schichten« einerseits den Anschluß an die Notabeingesellschaft, waren sie andererseits in ihrer Frontstellung gegen die ständischen Privilegien des Ancien Régime auf die Republik, und das heißt auf die Massen angewiesen. Zum einen orientierten sie sich kulturell nach oben und übernahmen traditionelle Unterscheidungsmerkmale der Notabeingesellschaft. Zum anderen wirkten sie durch die paternalistische Führung und Einbeziehung der lokalen Vereine in die Festkultur auf die Integration der Massen in die bürgerliche Gesellschaft hin. Sie suchten das »Ende der Notabein« nicht durch einen internen sozialen Wandel der lokalen Eliten herbeizufuhren, sondern durch eine interne Veränderung der Gesellschaft insgesamt. Mit diesem Balanceakt zwischen Republik und Notabeingesellschaft gelang es den »neuen« Notabein einerseits, die traditionellen Eliten zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus ihrer sozial exklusiven Stellung zu verdrängen. Andererseits jedoch verstanden sie es, die Distinktionsmechanismen der Notabeingesellschaft: aufrechtzuerhalten und ihre eigene soziale Stellung als lokale Elite zu wahren. Die Einheit der Klassengesellschaft, die damit doppelt, national und regional zusammengehalten und legitimiert wurde, konnte auf diese Weise konserviert werden. In Deutschland entwarf das vormärzliche Fest am Hermannsdenkmal ein prinzipiell alle Mitglieder der nationalen Gesellschaft erfassendes, utopisches Konzept der bürgerlichen Gesellschaft. Nach und nach sollte, so propagierte es die Symbolik des Festes, die bürgerliche Gesellschaft alle Lebensbereiche und alle sozialen Gruppen, die Fürsten und das ganze Volk, erfassen und durch ihre selbstregulierenden Ordnungsmechanismen zu einer gesellschaftlichen Einheit gestalten. Dieses Zukunftsbild wich Anfang des 20. Jahrhunderts dem Konzept einer rückwärtsgerichteten, mythischen Volksgemeinschaft, die die unterbürgerlichen Schichten nicht mehr aktiv an der bürgerlichen Gesellschaft beteiligte. Sie wurden entweder nur noch ideologisch an die Nation gebunden oder aber als Teil der Arbeiterschaft ganz aus der Nation ausgeschlossen. Mit der »Nationalisierung der Massen« trennten sich Nation und bürgerliche Gesellschaft in der ideologischen Aussage des Festes, während sie in Frankreich zumindest in der Utopie der Republik enger zusammenrückten. Propagierte die nationale Ideologie der Feste in beiden Ländern Anfang des 20. Jahrhunderts - wenn auch mit gegensätzlichen Konzepten - eine Nivellierung der sozialen Ungleichheit in der nationalen Gesellschaft, stellte die soziale Repräsentation der bürgerlichen Schichten in Deutsch287

land und Frankreich im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine gewisse Kontinuität dar. Das verweist auf grundsätzliche Ähnlichkeiten in den Mechanismen von Vergesellschaftung und Distinktion der bürgerlichen Eliten in Deutschland und Frankreich in ihrem jeweiligen regionalen Einflußbereich.

288

Schluß

Nation und bürgerliche Gesellschaft waren im 19. Jahrhundert durch ein Spannungsverhältnis von integrativen und abgrenzenden, von vergemeinschaftenden und vergesellschaftenden Mechanismen bestimmt. Während die Nation durch die Differenz nach außen als Einheit wahrgenommen wurde, indem die innerhalb bestehender oder fiktiver Grenzen lebende Gemeinschaft als homogene Einheit gegen andere, jenseits der Grenzen lebende Gemeinschaften abgegrenzt wurde, konnte sie zugleich im Innern als sozial differenzierte, als bürgerliche Gesellschaft erscheinen, ohne daß ihre Einheit dadurch grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Der Vergleich der in Hermann und Vercingetorix symbolisierten nationalen Gründungsmythen hat gezeigt, daß die Abgrenzung nach außen ein konstituierendes Element in der Repräsentation der inneren Einheit in Deutschland und Frankreich darstellte. Beide Mythen entstanden durch die direkte Konfrontation mit dem jeweils anderen Mythos und erhielten erst durch die Opposition zueinander ihre inhaltliche Bestimmung. Der in den Mythen zum Ausdruck kommende Unterschied zwischen einer o b jektivem Nation in Deutschland und einer >voluntaristischen< Nation in Frankreich erscheint auf diesem Hintergrund als Resultat eines Konstrukts der nationalen Selbst- und Fremdbeschreibungen der deutschen und französischen Nation als komplementär aufeinander bezogener und in Opposition zueinander stehender Wirklichkeiten. In der Rekonstruktion der nationalen Stereotypen in vergleichender Perspektive verliert das dichotome Modell zweier nationaler Gesellschaften, der deutschen Kulturnation und der französischen Staatsnation, seine analytische Trennschärfe. Es ist nicht nur deutlich geworden, daß sich beide Mythen >objektiver< und >subjektiver< Kategorien bei der Definition der Nation bedienten. Darüber hinaus mahnt das den Mythen zugrundeliegende dichotome Konstruktionsprinzip zur Vorsicht, die nationalen Selbstbeschreibungen nicht unreflektiert auf die Realität der nationalen Gesellschaft zu übertragen. Um den Dichotomien der nationalen Ideologien bei der Beschreibung der deutschen und französischen Gesellschaft zu entgehen, wurde im weiteren Verlauf der Untersuchung die Ebene des Vergleichs verschoben. Die nationalen Symbole wurden weniger auf die ihnen zugrundeliegenden 289

abstrakten Ideen der Nation befragt, sondern das auf die nationalen Symbole bezogene Handeln sollte Auskunft geben über räumliche und soziale Ordnungsprinzipien. Damit richtete sich der Blick stärker auf die der Nation immanenten Ordnungsprinzipien, auf Formen der Vergesellschaftung, auf das Verhältnis von Nation und bürgerlicher Gesellschaft. Indem die sich in nationalen Symbolen darstellenden bürgerlichen Bewegungen verglichen wurden, standen als Vergleichseinheiten nicht Nationen oder Nationalstaaten, sondern regionale Räume im Vordergrund. Diese Räume, die >Auvergne< in Frankreich und der Kleinstaat Lippe in Deutschland, stellten nicht nur Räume verdichteter Kommunikation dar. Sie wurden darüber hinaus in der auf das jeweilige Nationaldenkmal ausgerichteten symbolischen Praxis als soziale Räume der bürgerlichen Gesellschaft repräsentiert und wahrgenommen. Eine Fallstudie, die sich auf den Vergleich von zwei Regionen stützt, in denen die Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts noch kaum eingesetzt hatte, in denen ein Wirtschaftsbürgertum ebenso wenig ausgebildet war wie eine Arbeiterklasse und in denen die das ganze 19. Jahrhundert charakterisierenden sozialen Konflikte fehlten oder allenfalls über die nationale Gesellschaft vermittelt wahrgenommen wurden, kurz, in denen die ökonomische und soziale Transformation noch wenig spürbar war, kann nicht den Anspruch erheben, für Deutschland und Frankreich repräsentative Ergebnisse im Hinblick auf Nations- und Klassenbildungsprozesse im 19. Jahrhundert vorzulegen. Um nur einige wichtige Besonderheiten im Hinblick auf die Zusammensetzung des Bürgertums in Erinnerung zu bringen, dominierte während des ganzen 19. Jahrhunderts im Kleinstaat Lippe und in der Residenzstadt Detmold die lippische Beamtenschaft, so daß die enge Verbindung von regionalem Staat und bürgerlicher Beamtenschaft sich hier besonders deutlich niederschlug. Ebenso könnte fur Frankreich argumentiert werden, daß das »Ende der Notabein« sich besonders in jenen Regionen verzögerte, die, wie das Departement Puy-de-Dôme oder die >AuvergneAuvergnevor OrtCorporationBerufsgruppen< übersetzt werden kann, vgl. Sewell, S. 256ffi Sewell weist nach, daß der Begriff, der erst im 18. Jahrhundert über die Gegner des korporativen Systems in die französische Sprache eingeführt wurde, im 19. Jahrhundert von den Arbeitern und Gesellen fur die Bezeichnung ihrer »Compagnonages« und »Sociétés de secours mutuelle« benutzt wurde und daß »die Arbeiter weiterhin in einer Welt lebten, die man immer noch als korporativ bezeichnen kann«. (S. 259) Die Tatsache allerdings, daß vor 1848 offenbar erst zwei Unterstützungsvereine im Departement, und zwar in Clermont-Ferrand, gegründet worden waren (die Société du bienfaisance et de secours mutuels des ouvriers platiers et peintres habitant la ville de Clermont-Ferrand am 22.12.1840 und die Société de secours mutuels des ouvriers chapeliers de Clermont-Ferrand 1847), die Unterpräfekten aus den Hauptstädten der Arrondissements jedoch berichteten, daß sich die »Corporations« bereits seit langer Zeit nicht mehr trafen, weist daraufhin, daß die Notabein bei ihrer Einladung nicht an die Unterstützungsvereine dachten, sondern tatsächlich an traditionelle Korporationen. Auf dieser Voraussetzung basiert zumindest die folgende Interpretation. Vgl. ADPD M 0907 202 Vgl. Rundbrief des Präfekten, 11.8.1848, ADPD M 0133. 203 Vgl. Girard, Garde, S. 292ff.; Haupt u. Lenger, S. 322. 204 M. Barse an Unterpräfekt von Riom, 9.8.1848, ADPD M 0133. 205 Vgl. Monument à Desaix; AM Clermont-Ferrand M199; Commission Générale pour la fête de l'inauguration de la statue du général Desaix; ADPD M 0 133. 206 Vgl. Ozouf, Fête, S. 71. 207 Die Akademie erhielt allein 10 Karten fur die Ehefrauen ihrer Mitglieder. Vgl. Vizepräsident der Akademie an Präfekt, 11.8.1848; ADPD M 0133. 208 Präfekt PD an Sous-Préfets PD, 7.8.1848; ADPD M 0133. 209 Vgl. ADPD M 0133. 210 Architekt PD an Präfekt PD, o.D.; ADPD M 0133. 211 Vgl. Girardet, Société, S. 199f. 212 L'Ami de la Patrie, 15.8.1848. 213 Ribeyre, S. 139. 214 Vgl. ADPD M 0129. 215 Vgl. Bürgermeister von Mauzon an Präfekt PD, 3.7.1862, ADPD M 0129. 216 Vgl. ADPD M 0129. 217 Bürgermeister von Saint-Sauves an Präfekt PD, 7.7.1862; ADPD M 0129.

333

Anmerkungen zu S. 262-270 218 Ribeyre, S. 139. 219 Ebd., S. 214; vgl. ADPD M 0129; Ronserail, S. 173. 220 Vgl. zum formellen Verhalten der Teilnehmer von Bällen das Beispiel aus Marburg von Elias, Studien, S. 64ff. u. 138. 221 Der Sekretär des Denkmalskomitees der Société d'Emulation, François Vazeilles, saß im Vorstand der »Société Lyrique«, des Gesangvereins »Les enfants de l'Auvergne« und des Gymnastikvereins »L'Arvernoise«. Vgl. ADPD T 0421; AP 14.2.1886; MPD 16.3.1886. 222 Ebd. 223 Ebd., 15.3.1886. 224 Die Mitgliedschaft der Vereine war, soweit es die vorliegenden Mitgliederlisten ersehen lassen, auf Männer beschränkt. Es hatte zwar 1877 eine Vereinsgründung eines weiblichen Gymnastikvereins stattgefunden, dessen männlicher Präsident, Doktor Blatin, gleichzeitig Präsident der »Arvernoise« war. Der Verein »L'Innovatrice« verfugte 1877 über 22 aktive weibliche, zumeist unverheiratete Mitglieder aus dem Kleinbürgertum. Wie die männlichen Kollegen waren auch sie zwischen 15 und 25 Jahre alt. Dieser Verein war jedoch nicht zum Fest erschienen, obwohl seine Satzung durchaus vorsah, sich bei öffentlichen Veranstaltungen zu präsentieren. Entweder er hatte sich bereits wieder aufgelöst oder war nicht eingeladen worden. Vgl. ADPD M 0904. 225 Vgl. Sewell, S. 256ff. 226 Vgl. ADPD M 0908 u. M 0910. 227 Des Essarts, S. 138. 228 Vgl. MPD 16.3.1886. 229 Vgl. CPD 21. u. 24.6.1900; MPD 2.7.1900. 230 CPD 24.6.1900; vgl. auch MPD 2.7.1900. 231 CPD 24.6.1900. 232 MPD 2.7.1900. 233 Vgl. etwa Notre-Dame-du-Port. 234 Vgl. Recueil de pièces relatives aux fêtes célébrées à Clermont-Ferrand, à l'occasion du 8e centenaire des croisades, BN Li31927 235 Cortège historique. Liste des familles nobles représentées au groupe des chevaliers croisés, ebd. 236 Invitation d'Ambroise Tardieu aux fêtes célébrées à Clermont-Ferrand, ebd. (Hervorhebung im Original). 237 Ähnlich argumentiert auch: Charle, Histoire, S. 275. 238 CPD 14.6.1900; Jules Romains hat in seinem Roman »Les copains« (1921) die topographische Ordnung des Einweihungsfestes eines fiktiven Vercingetorixdenkmals in Issoire treffend beschrieben. Vgl. Romains, S. 135f. 239 Vgl. MPD 14.6.1900, 16.6.1900, 21.6.1900 u. 2.7.1900. 240 Vgl. Koselleck, Kriegerdenkmale, S. 267ff. 241 MPD 1.7.1900. 242 Der Riomer Rechtsanwalt wurde 1905 in die Akademie von Clermont-Ferrand aufgenommen; vgl. Listes des membres de l'Académie (1910), in: BHS, Jg. 30, 1910, S. 8. 243 MPD 2.7.1900. 2 4 4 Die Tatsache, daß der Verleger des »Avenir« auf die Provokation des Präfekten mit einer Satisfaktionsforderung reagierte, legt die Vermutung nahe, daß das Duell ähnlich wie in der deutschen bürgerlichen Gesellschaft fest in der französischen Gesellschaft verankert war. Anscheinend hat die Duellfreudigkeit der französischen Notabein sogar in der Dritten Republik zugenommen. Da die Duelle der Dritten Republik - außer ihrem Fortleben im

334

Anmerkungen

zu S. 270-280

militärischen Milieu vor allem als Mittel der politischen Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Republikanern dienten, liegt es nahe, sie als Zeichen des sozialen Aufstiegs der »neuen Schichten« in die Notabeingesellschaft zu deuten. Oberhalb der politischen Polarisierung verband der gemeinsame Ehrenkodex die alten und neuen Notabein. Trifft es zu, daß in Frankreich, anders als in England, das Duell im 19. Jahrhundert zum Habitus der »neuen Schichten« gehörte, so würde dies um so mehr die These von Ute Frevert unterstreichen, nach der das Duell und die satisfaktionsfähige Gesellschaft nicht als Zeichen einer »Feudalisierung des Bürgertums« beschrieben werden können, sondern als dezidiert bürgerlich gelten müssen. Nicht Deutschland wäre dann allerdings als Sonderweg zu untersuchen, sondern England. Vgl. Frevert, Bürgerlichkeit; dies., Ehrenmänner; vgl. auch Elias, Studien, S. 6 1 - 1 5 8 . Für Frankreich liegen über das Duell im 19. Jahrhundert keine Forschungen vor. Erste Hinweise auf die oben aufgestellte These geben Billacois; Voulquin; Chalmin. 245 Vgl. Des Essarts, S. 137f. 246 Vgl. Les Fêtes de Vercingétorix, Discours prononcé à l'inauguration du M o n u m e n t , le dimanche 11 octobre 1903, par M. Des Essarts, in: Revue d'Auvergne, Jg. 20, 1903, S. 391f. 2 4 7 Vgl. Sperber, S. 114. 248 Vgl. M P D 12.10.1903; L'Autorité, 13.10.1903. 249 Les fêtes de Vercingétorix, in: Revue d'Auvergne, Jg. 20, 1903, S. 362. 250 M P D 10.10.1903. 251 La Libre Parole, 12.10.1903. 252 Vgl. Reberioux, S. 6 4 - 7 1 . 253 Délibérations du Conseil Municipal de Clermont-Ferrand, 9.6.1903, in: Bulletin Municipal de la Ville de Clermont-Ferrand, Jg. 29, 1903, S. 87 254 Commissaire Central de la Ville de Clermont-Ferrand an Präfekt P D u. Innenminister, 14.9.1903; A D P D M 04585; vgl. auch Innenminister an Präfekt PD, 23.7.1903, ebd. 255 Commissaire Central de la Ville de Clermont-Ferrand an Präfekt P D , 1.10.1903; A D P D M 04585. 256 Commissaire Central an Präfekt PD, 7.10.1903; A D P D 10 M 64. 2 5 7 M P D 10.10.1903. 258 A P D 4.10.1903. 259 M P D 8.10.1903, 10.10.1903; A D P D 10 M 64. 260 M P D 10. u. 11.10.1903. 261 Ebd., 11.10.1903. 262 A P D 12.10.1903. 2 6 3 Les Fêtes de Vercingétorix. Discours prononcé par Emmanuel des Essarts, in: Revue d'Auvergne, Jg. 20, 1903, S. 362. 264 APD 12.10.1903. 265 Vgl. Bankett du 10 octobre 1903. Liste des invités de la Municipalité, A D P D M 04585. 2 6 6 A P D 5.10.1903. 2 6 7 Vgl. M P D 10.10.1903. 268 Ebd., 10.10.1903. 269 Vgl. Commissaire Central an Präfekt PD, 7.10.1903; A D P D 10 M 64. 270 Vgl. Robert, S. 434f. 271 Vgl. zum Festcharakter des Streiks Perrot, Bd. 2, S. 5 4 8 - 5 8 7 272 Vgl. Präfekt PD, Oktober 1903, A D P D 10 M 64. 2 7 3 Vgl. dagegen Haupt, Kleinbürgertum, S. 302f.; ders., Sozialgeschichte, S. 200. 274 M P D , 13.10.1903.

335

Anmerkungen zu S. 280-293 275 Vgl. Raison-Jourde. 2 7 6 MPD 11.10.1903. 277 Ebd., 7.10.1903. 278 Vgl. ebd., 7.10.1903, 10.10.1903, 12.10.1903 u.13.10.1903. 279 APD 4.10.1903. 280 Ebd., 4.10.1903. 281 Ebd., 12.10.1903. 282 MPD 12.10.1903. 283 Ebd., 8.10.1903; vgl. auch ebd., 7 u. 12.10.1903. 284 Vgl. ebd., 8.10.1903. 285 Vgl. Prost, Bd. 2, S. 192. 286 MPD 12.10.1903. 287 APD 12.10.1903. 288 Vgl. La Libre Parole, 12.10.1903; Le Gaulois, 12.10.1903; Le Figaro, 11.10.1903; APD 12.10.1903. Die republikanische Presse enthielt sich dagegen weitgehend der genauen Beschreibung des Chaos beim Festbankett, oder widmete ihm nur einen kurzen Hinweis. Vgl. La Lanterne, 13.10.1903, La République Française, 12.10.1903, Le Temps, 12.10.1903. Daß die beschriebenen Szenen vielleicht leicht übertrieben wurden, jedoch tatsächlich stattfanden, belegt der Artikel des MPD (13.10.1903), der die Vorfälle eingestand, jedoch versuchte, ihre Bedeutung herunterzuspielen. 289 290 291 292 293 294

APD 12.10.1903. Ebd. Vgl. MPD 13.10.1903. Ebd. Ebd., 12.10.1903 (Hervorhebung von mir, C.T.). Vazeilles, S. 439. (Hervorhebung von mir, C.T.).

Schluß 1 Lepsius, Nation und Nationalismus, S. 13; ähnlich Alter, Nationalismus, S. 23. 2 Vgl. u.a. Mosse, Nationalization of the Masses; Nora, Les lieux de memoire; Agulhon, Marianne au combat; ders., Marianne au pouvoir; Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal; Hardtwig, Nationsbildung und politische Mentalität; ders., Bürgertum, Staatssymbolik und Staatsbewußtsein; Hobsbawm, Mass-Production Tradition, S. 265; Bauer, Gehalt und Gestalt, S. 10. 3 Weber, Peasants into Frenchmen, S. 489. 4 Vgl. u.a. Weber, Peasants into Frenchmen;Martel, Regionale Identität; dagegen: Haupt, Konstruktion der Regionen; besonders dezidiert zuletzt Noiriel (La question nationale), der sogar die nationale Assimilation durch staadiche Institutionen zum Forschungsdesiderat einer »Histoire sociale du national« erklärt; für Deutschland vgl. u.a. J. Kocka, Probleme der politischen Integration, S. 1 1 8 - 1 3 6 ; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1 8 6 6 - 1 9 1 8 , Bd. 2, S. 262; Hardtwig, Nationsbildung und politische Mentalität, S. 264ff.; in Gellners theoretischen Überlegungen zum Nationalismus nehmen staadiche Agenten als Vermittler einer nationalen Hochkultur eine zentrale Rolle ein; vgl. Gellner, Nations and Nationalism, S. 3ff. 5 Dies hat vor allem Peter Sahlins in seiner Studie über die Entstehung der französisch-

336

Anmerkungen zu S. 293-296 spanischen Grenze in den Pyrenäen verdeutlicht, in der er nachweist, daß die Grenzziehung und Nationsbildung keinesfalls allein als Produkt staatlicher Setzung zu verstehen ist, sondern in vielfacher Weise in die soziale Praxis der lokalen und regionalen Bevölkerung einbezogen war. Vgl. Sahlins, The Making of France; ders., The nation in the Village, S. 234-263; ders., Natural Frontiers Revisited, S. 1423-1451; vgl. auch die Ausgabe der Zeitschrift Sowi zum Thema Grenzen, vor allem: Medick, Zur politischen Sozialgeschichte. 6 Ähnlich argumentiert auch Kaelble, Bürgertum, S. 139. 7 Vgl. Julliard, S. 208ff. 8 Vgl. Rohkrämer, S. 39ff. 9 Bloch, S. 40.

337

Quellen und Literatur 1. Ungedruckte Quellen 1.1. Staatsarchiv

Detmold

L115ATit. 1 Nr. 1 Generalakten Vol. I bis Vol. VII 1837-1881 Nr. 2 Dubletten von Druckschriften (ausgesucht aus den Akten des Hermannsdenkmalsvereins) L115A Tit. 2 Nr. 1 Unterzeichnungen fiir das Hermannsdenkmal 1838-39 Nr. 2 Sammlungen des Frauenvereins 1838 Nr. 4 Gedichte 1838 Nr. 5 Grundsteinlegung 1841-42 Nr. 6 Allgemeine Korrespondenzen Nr. 7 Verhandlungen mit Bändel 1857-61 Nr. 8 Wiederbeginn der Arbeiten 1863 Nr. 9 Verhandlungen wegen des Kupfers 1863 Nr. 10 Allgemeine Korrespondenzen 1862-68 Nr. 11 Neu- und Ausbau des Wächter- und Restaurationsgebäudes Übertragung der Aufsicht 1866-80 Nr. 12 Drucksachen Nr. 13 Aufruf von 1841. Sammellistenformulare L115A Tit. 3 Einweihung des Hermannsdenkmals Nr. 1 Korrespondenzen betr. Vorbereitung 1875 Nr. 2 besondere Vorbereitungen der Einweihung 1874—75 Nr. 3 Einladungen zur Feier 1875 Nr. 4 Vorbereitungen der einzelnen Ausschüsse Nr. 5 desgl. Nr. 6 Drucksachen, Formulare, Listen, Programme, Pläne Nr. 7 Drucksachen, Gedichte, Broschüren Nr. 8 Musikalien Nr. 9 Zeitungsausschnitte L115ATit.5 Sammlungen A-Z L115A Tit.6 Nr. 1 Statut des Hannoverschen Vereins Nr. 2 Korrespondenz 1862ff. Vol I-TV Nr. 3 Verhandlungen mit dem Detmolder Verein 1862-82

338

Nr. 4 Nr. 5 Nr. 6

Briefwechsel des Justizrats Lüders 1874-76 Einladungen zu den Sitzungen 1862-75 Beiträge 1862ff.

L115ATit. Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 6 Nr. 7

8 Neunzehnhundertjahrfeier Nachlaß Hinrichs, Vol. I-V, 1908ff. Einladungen zu den Sitzungen und Sitzungsberichte 1908f. Garantiefonds, Voranschlag, Rechnungssachen 1908f. Einnahme und Ausgabebelege 1908f. Festspiel Drucksachen Zeitungsausschnitte

D72 Nachlaß M. L. Petri Nr. 1 Mäßigkeitsverein, Konversationsclub Nr. 2 Einweihung des Hermannsdenkmals Nr. 4 Geschenk des 4. Standes für den Fürsten 1845 Nr. 10 Lippisches Magazin und Intelligenzblatt Nr. 11 Vaterländische Blätter Nr. 13 Gewerbeverein Nr. 20 Landwirtschaftlicher Hauptverein Nr. 42 Berichte Petris D72 Nachlaß F. S. Petri - Geh. Sanitätsrat Nr. 48 Fotokopien des Schriftwechsels zwischen F.S. Petri und seinem Sohn M.L. Petri 1820-23 D 75 Staatsministerium Nr. 366

Entwurf zu einem Hermannsdenkmal von Schinkel und Rauch 1839

D 106 Detmold Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

115 205 206 2434 2435 2436 2439 2440 2480 2487 2489 2554 2589 2592

D 107 Nr. 1 Nr. 2 Nr. 8

Bürger-Schützengesellschaft Kriegs- und Friedensfeier 1 8 7 0 / 7 1 50jähriger Gedenktag der Schlacht bei Leipzig 1863 Hermannsdenkmal; Einquartierungen zur Hermannsfeier Hermannsdenkmal Hermannsdenkmal; unerledigte Korrespondenz 1875 Hermannsdenkmal; Ausschmückungskomitee 1875 Hermannsdenkmal; Kosten des Hermannsfestes 1875 Verein für das Hermannsdenkmal Mäßigkeitsverein Bürgerschützengesellschaft Lippischer Sängerbund 1838-1957 Sedansfeiern (Festprogramme) 1872-97,1910 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald 1908f.

Detmold Ressource Ressource Ressource

339

1.2. Stadtarchiv

München

Vereine 257 Kunstverein PMB Personalakten F 257 Freiherr Wilhelm Zu Freyberg PMB Personalakten Z 58 Freiherr Friedrich Zu-Rhein 1.3. Stadtarchiv

Bielefeld

Bi K 130/12 Konvolut betr. Bau des Hermannsdenkmals Westermann-Sammlung, Lippe-Detmold II, Bd. 28 1.4. Archives Nationales F lc I 144 F lc I 163 F lc I 195 F lc I 199 F lc III F7 6698 F 7 12457 F 17 3015 F 17 3036 F 17 3082 F 19 5804 F 21 4832 73 AP 8

Paris

Statues et monuments d'hommes célébrés; noms d'hommes célébrés attribués à des rues ou places 1859-1910, Côte d'Or desgl., Puy-de-Dôme Hommage public, Puy-de-Dôme Rapports det correspondances des préfets sur l'esprit public, An 11-1881 Elections de 1830, Puy-de-Dôme Associations, loges maçonniques, sociétés diverses 1816-1830, Puy-de-Dôme Surveillance des nationalistes dans les départements (1899-1908) Puy-de-Dôme Institution d'un concours entre les sociétés savantes des départements 1858-1870 Sociétés savantes par départment, Puy-de-Dôme Congrès des Sociétés savantes, 1904 Police des Cultes 1850-80, Puy-de-Dôme Administration des Beaux-Arts, Puy-de-Dôme, 1896-1942 Adresses de félicitation à Emiles Combes, président du Conseil, 1902-1905, Puyde-Dôme

1.5 Archives de l'Académie 2D60

Concours de l'Académie Française 1865

1.6. Archives Départementales Série M 0122 0123 0124 0125 0126 0127 0128 0129 0130 0131 0132 0133 0134 0865

340

Française

du Puy-de-Dôme,

Clermont-Ferrand

Police - Fêtes publiques, An VIII-1807 Police - Fêtes publiques, 1808-1811 Police - Fêtes publiques, 1812-1815 Police - Fêtes publiques, 1816-1817 Police - Fêtes publiques, 1818-1825 Police - Fêtes publiques, 1826-1843 Police - Fêtes publiques, 1844-1862 Police - Fêtes publiques, 1862 Police - Fêtes publiques; Voyage de l'Empereur, 1862 Police - Fêtes publiques; Fédération 1815 Police - Fêtes publiques; 14 Juillets 1875-1892 Police - Fêtes publiques; Fête de Desaix 1838-1890 Délégations au Centennaire de Desaix 1900 Fêtes publiques, 1816-1895

0900 0904 0905 0907 0908 0910 0913 0914 01167 03182 04585

Associations diverses 1879-1903 Sociétés d'agrément qui ont cessé d'exister 1840-1876 Sociétés n'existante plus Cercles ou sociétés d'agrément 1825-1859 Sociétés d'agrément recencement 1882-1897 Sociétés et cercles 1871-1888 Sociétés de tir et de gymnastique. Renseignement sur l'armement 1885-1896 Sociétés sportives 1872-1900 Sociétés savantes et amicales 1859-1901 Fête de l'Empereur et de l'Impératrice, 1852 L'inauguration du monument de Vercingétorix en 1903

Sous-série M 10 M 64

Syndicats patronaux mixtes et de professions libérales, 1869-1939

Séries T 0219 Sciences et arts. Hommages publics, érections de statues 1846-63 0421 Sociétés d'Emulation d'Auvergne 1.7. Archives Municipales de Clermont-Ferrand M 199

Le monument de Vercingétorix sur la place de Jaude

1.8. Archives Municipales 3011 M l

de

Bordeaux

Statues et monuments

2. Gedruckte Quellen 2.1. Periodika Almanach du Drapeau. Livret du patriote du marin et du Soldat, 1902 L'Ami de la Patrie (Clermont-Ferrand), 1848 Annales scientifiques d'Auvergne, publiées par l'Académie des Sciences, Belles-Lettres et Arts de Clermont-Ferrand, 1828-1858 L'Autorité, 1903 L'Auvergnat de Paris, 1885-1887 L'Avenir du Puy-du-Dôme, 1903 Der Bayerische Landbote, 1838-1841 Berliner Neueste Nachrichten, 1909 Bulletin historique et scientifique de l'Auvergne, publié par l'Académie des Sciences, BellesLettres et Arts de Clermont-Ferrand, 1881-1914 Courrier du Puy-du-Dôme, 1900 Les Dépeches, 1965 Detmolder Anzeiger, 1842-1843 Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger, 1875 Deutscher Sprachwart, 1873

341

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