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German Pages [388] Year 1998
ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE REIHE B: DARSTELLUNGEN · BAND 28
V&R.
ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Joachim Mehlhausen und Leonore Siegele-Wenschkewitz
REIHE B: DARSTELLUNGEN Band 28
Christoph Welling
Die „Christlich-deutsche Bewegung"
G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1998
Die Christlich-deutsche Bewegung" Eine Studie zum konservativen Protestantismus in der Weimarer Republik
von
Christoph Welling
G Ö T T I N G E N · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1998
Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen
Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaufiiahme Welling, Christoph: Die „Christlich-deutsche Bewegung": eine Studie zum konservativen Prostestantismus in der Weimarer Republik / von Christoph Welling. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1998 (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darstellungen; Bd. 28) ISBN 3-525-55728-0
© 1998 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle Druck und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttinger
INHALT
Vorwort
9
Einleitung
11
1.
D i e Christlich-deutsche B e w e g u n g 1 9 3 0 - 1 9 3 1
15
1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.5.
G r ü n d u n g u n d P r o g r a m m der Christlich-deutschen B e w e g u n g . . Das erste Auftreten der Christlich-deutschen Bewegung Der Inhalt der Formel „Christlich-deutsch" Das erste Programm Anfängliche Organisation und Verbreitung
15 15 17 21 24
1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.5. 1.2.6. 1.2.7. 1.2.8.
F ü h r e n d e Personen der Christlich-deutschen B e w e g u n g Werner Wilm Walter Wilm Ewald von Kleist-Schmenzin Bruno Doehring Rüdiger Graf von der Goltz Friedrich von Berg Weitere Personen Konservatives Milieu und konservatives Denken
30 30 33 39 45 52 60 64 72
1.3. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.3.
D i e ersten Kampfziele der Christlich-deutschen B e w e g u n g Gegen den preußischen Kirchenvertrag Eine kirchliche Kampfgruppe Das Verhältnis zur Monarchie
78 78 84 86
1.4. 1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.4. 1.4.5. 1.4.6. 1.4.7.
D i e ersten Schriften der Christlich-deutschen B e w e g u n g Der Stellenwert des Kleinschrifttums Die christlich-deutsche Theologie Der antimodernistische Grundzug Die christlich-deutsche Ethik Die christlich-deutsche Geschichtsdeutung Kirche, Staat und Volkstum Der christlich-deutsche Nationalismus
1.5. N e u e Wege der Volksmission 1.5.1. Walter Wilms volksmissionarisches Wirken 1.5.2. Verbindungen zur Weimarer Rechtsopposirion
91 91 94 96 98 100 104 110 112 112 120
6
Inhalt
1.5.3. Christuskreuz und Hakenkreuz (Friedrich Wieneke) 1.5.4. Eine kirchliche „Harzburger Front" 1.5.5. Die Christliche-deutsche Bewegung zum „Fall Dehn"
129 136 144
2.
149
Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 1 - 1 9 3 2
2.1. D e r R i ß in der kirchlichen „ H a r z b u r g e r F r o n t " 2.1.1. Der Machtanspruch der Nationalsozialisten 2.1.2. Die Entstehung der Glaubensbewegung „Deutsche Christen"
149 149 158
2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3.
D i e U m o r i e n t i e r u n g der Christlich-deutschen B e w e g u n g Zur Person und Linie Heinrich Rendtorffs Ein neues Programm Der Sonderweg des „Süddeutschen Zweiges"
163 163 176 181
2.3. 2.3.1 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5.
D i e christlich-deutsche Zeitschrift u n d ihre H e r a u s g e b e r „Glaube und Volk" Paul Althaus und Emanuel Hirsch Die Theologie des Dienstes Die Theologie der Sanktion „Evangelische Kirche und Völkerverständigung"
194 194 196 199 201 203
2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.3.
N e u e S c h w e r p u n k t e christlich-deutscher T h e o l o g i e Die Überwindung völkischen Schwärmertums Die Begründung rechter Obrigkeit Die Stellung zum Nationalsozialismus
208 208 214 220
2.5. 2.5.1. 2.5.2. 2.5.3. 2.5.4. 2.5.5. 2.5.6. 2.5.7.
D i e A r b e i t s f o r m e n der Christlich-deutschen B e w e g u n g Der organisatorische Aufbau Die Schulungsarbeit in den „Arbeitsgemeinschaften" Die Schulungsarbeit in den „Kampfringen" Veranstaltungen der Christlich-deutschen Bewegung Das „Potsdamer Religionsgespräch" Volksmissionarische Arbeit über die Bewegung hinaus Die Tätigkeit jüngerer Mitarbeiter
226 226 230 235 238 241 247 251
2.6. 2.6.1. 2.6.2. 2.6.3.
Die Die Das Die
255 255 261 269
E n t s c h e i d u n g e n des Jahres 1 9 3 2 Reichspräsidentenwahlen „Kabinett der Barone" und die politischen Wahlen Kirchenwahlen in Preußen
Inhalt
7
3.
Die Christlich-deutsche Bewegung 1933
277
3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4.
Die Durchorganisierung der Bewegung Der engere Kreis der Mitarbeiter Die territoriale Verteilung der Christlich-Deutschen Die sozialen Gruppen der Christlich-deutschen Bewegung Die Finanzierung
277 277 282 283 284
3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6. 3.2.7. 3.2.8.
Die Entscheidungen des Jahres 1933 Die Regierung der nationalen Konzentration Die große volksmissionarische Illusion Worte zur Wende Die Erneuerung der Kirche Die Reichsbischofsfrage Der Eingriff des Staates und die neue Kirche Die Auflösung der Bewegung Der deutsch-christliche Epilog
287 287 289 292 300 309 313 315 317
4. 4.1. 4.2. 4.3.
Ergebnisse Zwischen Anfechtung und Anfeindung Die Krise von Konservativismus und Kirche Zusammenfassung
323 323 326 329
Dokumentenanhang 1. Richtlinien der Christlich-deutschen Bewegung 1930 2. Richtlinien der Christlich-deutschen Bewegung 1932 3. Richtlinien für die Arbeit der Kampfringe der Christlichdeutschen Bewegung in Mecklenburg-Schwerin 1932 4. Liste der Mitglieder u n d Mitarbeiter der Christlich-deutschen Bewegung
333 333 334
Quellen- u n d Literaturverzeichnis
346
Abkürzungen
367
Personenregister
369
Orts- u n d Sachregister
377
336 339
VORWORT
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1994 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen. Für den Druck wurden geringfügige Korrekturen und Ergänzungen eingearbeitet, die auch den Fortgang der Forschung seit 1993 berücksichtigen. Ich möchte an dieser Stelle der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte für die Aufnahme dieser Darstellung in die,Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte" aufrichtig danken. Mein Dank gilt insbesondere Herrn Dr. Carsten Nicolaisen, der sich für den Druck meiner Arbeit nachdrücklich eingesetzt hat. Meinen tief empfundenen Dank möchte ich aber auch all jenen entgegenbringen, bei denen ich Entscheidendes für den Umgang mit der Kirchengeschichte gelernt habe. Geleitet ist meine Untersuchung von dem Interesse, theologische Ideen im Kontext ihres politischen und sozialen Umfeldes darzustellen. Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser, der seinerzeit meine Münsteraner Magisterarbeit im Fachbereich Geschichte betreut hat 1 , hat mich immer wieder darin bestärkt, am Aufweis des Zusammenhangs von Konfession und Gesellschaft zu arbeiten. Als sinnvoll hat es sich erwiesen, dies zunächst im Rahmen kleinerer Fallstudien zu tun, da so eine Abgrenzung des Gebiets und eine Eingrenzung auf einen überschaubaren Personenkreis möglich ist. Für eine solche Fallstudie habe ich Herrn Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild von der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster als Betreuer gewinnen können, dem an dieser Stelle mein besonderer Dank gilt. In Absprache mit ihm habe ich das Thema der Dissertation auf die Geschichte der „Christlichdeutschen Bewegung" (CdB) festgelegt, über die es bislang noch keine erschöpfende Auskunft gegeben hat. Mein Bestreben ist es, zum Verständnis dieser Gruppe beizutragen, insbesondere das sie prägende Milieu und die vorherrschende Mentalität zu verdeutlichen. Danken für ihren fachlichen Rat möchte ich neben den beiden Genannten Herrn Prof. Dr. Kurt Meier und Herrn Prof. Dr. Dr. Kurt Nowak aus Leipzig. Geholfen haben mir außerdem Frau Elisabeth Stephani vom Evangelischen Zentralarchiv in Berlin, Herr Dr. Bernd Hey vom Landeskirchlichen 1 Unter dem Titel „Nationalsozialismus und Protestantismus 1 9 3 0 - 1 9 3 3 . Die Deutung der nationalsozialistischen Bewegung durch die deutsche evangelische Theologie in den letzten Jahren der Weimarer Republik" im Sommer 1991 von der Philosophischen Fakultät Münster angenommen.
10
Vorwort
Archiv Bielefeld, Herr Verlande vom Bundesarchiv Koblenz-Karthause, Herr T. S. Koen vom Reichsarchiv der Provinz Utrecht in den Niederlanden und die Leiter der Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin. Besonders hilfreich zur Seite gestanden haben mir Herr Kirchenarchivrat Erhard Piersig vom Landeskirchlichen Archiv Schwerin, Herr Dr. Helmut Talazko vom Archiv des Diakonischen Werkes in Berlin-Dahlem und Herr Ulrich Duhr vom Landeskirchlichen Archiv Düsseldorf. Ich danke außerdem Herrn Dr. Bodo Scheurig, Herrn Domprediger Martin Beer und Frau Friderun von Senfft für ihre brieflichen Mitteilungen. Herrn Dr. Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Herrn Jürgen Stenzel vom Konsistorium der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg danke ich für ihr Interesse an meiner Arbeit. Die Universität Münster gab ein Stipendium und sicherte damit einen zügigen Fortgang der Studien. Vor allem aber bin ich meinen Eltern zu Dank verpflichtet, ohne deren Unterstützung diese Dissertation wohl kaum möglich gewesen wäre. Meiner Frau, die mich mit Rat und Tat bei der Arbeit begleitet hat, danke ich von ganzem Herzen. Dortmund, im Februar 1998
EINLEITUNG
Die „Christlich-deutsche Bewegung" (im folgenden: CdB) wird in der Literatur zumeist als Vorläufer der „Deutschen Christen" präsentiert, welche diesen Eindruck durch ihre Selbstdarstellungen aus den Jahren 1932 und 1933 zuerst erweckt haben 1 . Gelegentlich wird dieses Urteil präzisiert durch die Bestimmungen „deutschnational" oder „neukonservativ" 2 . Auch in den Arbeiten, in denen die CdB näher thematisiert wird, stoßen wir auf die Schablone deutsch-christlicher Vorläuferschaft 3 . Hans-Joachim Sonne ordnet die intellektuellen Bemühungen der CdB ohne weiteres der „politischen Theologie" der „Deutschen Christen" zu. James A. Zabel, der inhaltlich gewiß stärker differenziert, spricht die CdB durch Titel und Kapitelüberschriften seiner Dissertation gleichwohl als eine von drei deutsch-christlichen Gruppen an 4 . Damit ist an Aufklärung wenig gewonnen, zumal gelegentlich erwähnt wird, daß Christlich-Deutsche sich später der „Bekennenden Kirche" angeschlossen hätten 5 , und wir uns fragen müssen, wie das denn angesichts des national-protestantischen Hintergrunds möglich gewesen sei. Klaus Scholder, Kurt Meier und Jonathan R. C. Wright belegen überdies, daß es innerhalb der CdB die ersten Berührungen von Nationalsozialismus und Kirche gab6. 1 Siehe F. WIENEKE, Glaubensbewegung, S. 9f., A. DANNEMANN, Geschichte der Glaubensbewegung, S. 15f. und F. WIENEKE, Deutsche Theologie, 31 f. 2
H . B U C H H E I M , G l a u b e n s k r i s e , S . 6 0 ; G . v. N O R D E N , S t e l l u n g , S. 3 8 2 f . ; K . M E I E R , EV.
Kirche, S. 25 und besonders S. 56; zuletzt K. MEIER, Kreuz und Hakenkreuz, S. 26. 3 Siehe H.-J. SONNE, Politische Theologie, S. lOf. Nach K. NOWAK, EV. Kirche, S. 220 war die CdB „zunächst altkonservativ" bestimmt, geriet aber „immer stärker in das .nationale Aufbruchsgeschehen' hinein". 4 Siehe Literaturverzeichnis. Die Dreiteilung der „Deutschen Christen" geht auf H . BUCHHEIM, Glaubenskrise, S. 42 zurück, der unter den deutsch-christlichen Oberbegriff eine rechtgläubige, gleichwohl patriotische Gruppe, ein Häuflein „völkischer Erneuerer" und eine Gemeinschaft engagierter Nationalsozialisten subsumiert. Da er anschließend die „Christlich-deutsche Bewegung", die „Deutschkirche" und die Thüringer „Deutschen Christen" vorstellt, müssen diese einer oberflächlichen Lektüre als die drei soeben genannten Gruppen erscheinen, obwohl sie sich mit der 1932 gegründeten Glaubensbewegung „Deutsche Christen" nur zum Teil deckten bzw. nur zeitweise in Übereinstimmung befanden. 5 H.-J. SONNE, Politische Theologie, S. 124. Walter Braun, der selbst der CdB angehört hat, schreibt in ARBEITER IN GOTTES ERNTE, S. 117: „Nach der Machtergreifung Hitlers und dem Ausbruch des Kirchenkampfes spaltete sich der Kreis. Heinrich Rendtorffs Weg führte zur Bekennenden Kirche. Andere hielten sich neutral. Der linke Flügel schwenkte zu den .Deutschen Christen' ab." 6 K. SCHOLDER, Die Kirchen, Bd. 1, S. 252; K. MEIER, Die Deutschen Christen, S. 11; J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 142 und S. I49f.
12
Einleitung
Niklot Beste beschreibt den damaligen Vorsitzenden der CdB, Landesbischof Heinrich Rendtorff (1888-1960), sogar als „Vorkämpfer für das Zusammengehen zwischen Kirche und Nationalsozialismus" 7 . Gerne möchte man mehr über solche Kontakte erfahren, aber hier stoßen wir auf echte Forschungslükken, welche besonders die Frühzeit der Bewegung betreffen. „Wie der Kreis 1930 ... aussah, und ob und was er tat, ist kaum genau festzustellen" 8 , schreibt Scholder und fährt fort: „Wie sich das Verhältnis von Deutschnationalen und Nationalsozialisten in der Christlich-deutschen Bewegung im Lauf des Jahres 1931 entwickelte, ist unklar." 9 Lücken begegnen aber auch in der allgemeinen Geschichtsschreibung, die die Entwicklung der CdB unmittelbar betreffen. „Welchen Stellenwert die protestantische Sache innerhalb ... der Deutschnationalen der Weimarer Republik tatsächlich hatte, müßte ... erst untersucht werden", bemerkt Heinz Gollwitzer, der eine intensivere Beschäftigung des Historikers mit der konfessionellen Problematik des politischen Geschehens der Neuzeit anmahnt. „Bisher ist dies nur in historischen Randbemerkungen berührt worden." 10 Eine nähere Beschäftigung mit der CdB, in der sich die inneren Bezüge von Deutschnationalen und Nationalsozialisten zum Protestantismus irgendwie objektiviert haben müssen, erscheint darum schon an sich gerechtfertigt und wird besonders durch die Tatsache herausgefordert, daß es bislang nur eine primär ideengeschichtliche Annäherung an diese Bewegung gibt 11 . So liefert Wolfgang Tilgner eine beachtliche geistesgeschichtliche Darstellung der sogenannten „Volksnomostheologie", zu der sich zahlreiche ChristlichDeutsche im Anschluß an Wilhelm Stapel (1882-1954) bekannten. Die sie bedingenden Zeitverhältnisse kommen aber nicht in den Blick12. Hans-Joachim Sonne gibt eine präzise Zusammenfassung christlich-deutscher Vorstellungen nach systematischen Gesichtspunkten, aber man vermißt dort die innere Entwicklung der gebotenen Theologie. Die Anstöße, die von außen kamen, werden nicht genannt. Verschiebungen, die durch eine Veränderung der Organisation oder durch eine neue Zusammensetzung der Gruppe verursacht sind, werden nicht bedacht. Selbst der biographische Horizont christlich-deutschen Denkens ist auf Notizen in den Fußnoten beschränkt, wobei die Herkunft und die soziale Stellung der Mitglieder der CdB leider ganz außer acht bleiben. 7
N . BESTE, K i r c h e n k a m p f , S. 5 4 .
8
K . SCHOLDER, D i e K i r c h e n , B d . 1, S. 2 5 2 .
9
Ebd., S. 252f. Die genannten Forschungslücken sind freilich auch auf Lücken im vorhandenen Quellenmaterial zurückzuführen. 10
H . GOLLWITZER, V o r ü b e r l e g u n g e n , S. 2 5 .
" Eine Ausnahme stellt K.-W. DAHM, Pfarrer und Politik, S. 1 Iff. dar, der schon überraschend früh eine soziologische Deutung des sog. „Pastorennationalismus" versucht hat. Auch bei J. A. ZABEL, Nazism, begegnen gelegentlich Hinweise auf das Milieu und die Mentalität der Christlich-Deutschen (S. 54 u. 70). 12 Z u r Kritik an Tilgner siehe K. MEIER, Kirchenkampf, S. 258.
Einleitung
13
Die folgende Arbeit will versuchen, dem hier vorliegenden Defizit abzuhelfen und die Geschichte der CdB in die sie umgreifende Geschichte des Aufstiegs der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) zu stellen, auch wenn wichtige Quellen, die das Bild abrunden würden, als unwiederbringlich verloren anzusehen sind. So läßt sich ein Briefwechsel über die Anfänge der CdB, der zwischen ihrem Gründer Ewald von Kleist (1890—1945) und seinem damaligen Freund Wolfgang Freiherr von Senfft (gest. 1967) geführt worden ist, nicht mehr auffinden 13 . Sehr eingehende Tagebücher, die Heinrich Rendtorff führte, sind durch die Kriegswirren 1945 verlorengegangen. Die Handakten des Landesbischofs wurden auf dessen eigene Anordnung hin Ende 1933 verbrannt 14 . Am schwersten wiegt aber wohl, daß die Akten der CdB, die bei der Verlegung der Geschäftsstelle im Januar 1933 als Frachtgut von Wilhelmshorst nach Schwerin geschickt worden sind, im dortigen Archiv bis auf ein beigefügtes Verzeichnis nicht mehr vorhanden sind. Dieses Konvolut umfaßte nämlich Karteien mit den Namen und den Wohnorten aller Persönlichkeiten, die der Bewegung befreundet waren, Angaben über die Abonnenten der christlich-deutschen Zeitschrift: „Glaube und Volk", den Schriftwechsel mit den verschiedenen Landes- und Provinzialabteilungen, schließlich Bücher, Artikel und Zeitungsausschnitte über die Arbeit der Christlich-Deutschen 15 . Trotzdem ist es möglich, hinreichende Informationen über die Zusammensetzung, die Organisation und die verschiedenen Aktivitäten der CdB in der Zeit ihres Bestehens zu geben. Ich kann mich dabei vor allem auf Akten aus dem Evangelischen Zentralarchiv, dem Archiv des Diakonischen Werkes, dem Landeskirchlichen Archiv Schwerin und dem Utrechter Reichsarchiv stützen, die bislang noch nicht ausgewertet worden sind. Allerdings dürfte sich eine Arbeit wie diese kaum durch den Gegenstand „Christlich-deutsche Bewegung" rechtfertigen lassen. Dieser locker organisierte Kreis war klein, förderte primär eine besinnliche Arbeit und konzentrierte sich auf eine gedankliche Durchdringung des Problems von „Glaube" und „Volk". Größere, quantitativ meßbare Wirkungen gingen von ihm kaum aus, auch wenn man die Bedeutung der Bewegung umgekehrt nicht unterschätzen sollte, denn die Gruppe war hochkarätig zusammengesetzt. Hier hatte sich eine Elite gefunden, die über wichtige Verbindungen verfügte. 13 Frdl. Mitteilung von Friderun Freifrau von Senfft. Kleists Schreiben an Freiherrn von Senfft vom 19. 2. 1931 und die beiliegenden ersten christlich-deutschen Richtlinien konnten freilich noch 1968 von Bodo Scheurig eingesehen und ausgewertet werden (B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 86). 14 Ich habe Herrn Kirchenarchivrat Erhard Piersig zu danken, welcher mir einen Einblick in das „Provisorische Repertorium der Akten und Drucksachen betr. den Kirchenkampf' ermöglichte, das eine Notiz über die Vernichtung der Handakten Rendtorffs und den Verlust seiner Tagebücher enthält. 15 Die handschriftliche Liste über die Akten der Wilhelmshorster Geschäftsstelle befindet sich in dem Ordner LKA Schwerin, I / H .
14
Einleitung
Grundstürzend neue Enthüllungen, die dazu zwingen würden, das (kirchen-)geschichtliche Gesamtbild zu ändern, sind dennoch nicht zu erwarten. Es sei aber darauf hingewiesen, daß diese Arbeit die CdB als Ausdruck einer größeren gesellschaftlichen Formation nimmt: des protestantischen Konservativismus. Dabei wird vorausgesetzt, „daß der Begriff .konservativ' nicht eindeutig ist und daß er nur jeweils vom konkreten historischen Standpunkt aus näher betrachtet und beschrieben werden kann" 16 . Es ist also das Bestreben dieser Arbeit, durch die Quellen selbst zu erfahren, was der Konservativismus im Bewußtsein der Konservativen war und wie er sich gesellschaftlich und politisch darstellte. Mit anderen Worten: durch die Annäherung an die CdB, die gleichsam als Repräsentantin eines Größeren vorgestellt wird, sollen Milieu und Mentalität der evangelischen Konservativen begreifbar gemacht werden. Dabei bleiben die politischen Ereignisse, die sich außerhalb dieser Gruppe zutrugen, nicht unberücksichtigt, da sie unmittelbare Rückwirkungen auf die christlich-konservative Haltung hatten.
16 A. THIMME, Flucht, S. 17. Man kann sich auch W. RIBHEGGE, Konservativismus, S. 121 ff. anschließen, der einen starren „Konservativismus"-Begriff ablehnt, weil die sozialen Träger des Konservativismus und ihre Ideologie andauernder Bewegung unterworfen gewesen seien.
1. D I E C H R I S T L I C H - D E U T S C H E B E W E G U N G 1 9 3 0 - 1 9 3 1
1.1. Gründung und Programm der Christlich-deutschen Bewegung 1.1.1. Das erste Auftreten der Christlich-deutschen Bewegung Am Samstag, den 15. November 1930, versammelten sich im Berliner Landwehrkasino die Vertreter verschiedener rechtsstehender Parteien und Verbände. „Alldeutsche", „Stahlhelm"-Männer, Deutschnationale, ehemalige Offiziere und Nationalsozialisten waren der Einladung zur Jahrestagung der „Vereinigten vaterländischen Verbände Deutschlands" (VvVD) gefolgt, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen den verhaßten Weimarer Staat zu beraten. Die Wahlergebnisse des 14. Septembers boten der Rechtsopposition den Anlaß, auf eine grundsätzliche Wende der deutschen Politik zu hoffen. Bei den Wahlen zum Reichstag hatte die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" (NSDAP) 107 Mandate erringen können und war zweitstärkste Partei geworden. Auch wenn demgegenüber der Stimmenanteil der Deutschnationalen geradezu halbiert worden war, wirkte der sensationelle Zuwachs bei den Nationalsozialisten nach außenhin wie eine Wiederbelebung der Rechten. Rüdiger Graf von der Goltz 1 , der Vorsitzende der VvVD, konnte darum auf der Berliner Tagung die Septemberwahlen in den Mittelpunkt seiner Ansprache stellen: „Die gegenwärtige Lage sei durch die Wahl vom 14. September bedingt. Die stete Warnung vor der Wahl von Splitterparteien und die Aufforderung zum Kampf gegen eine marxistische und wehrfeindliche Bewegung habe die große nationale Opposition geschaffen. Aufgabe aber dieser Opposition sei es, diesen Sieg bis zum Endsieg auszufechten ..." 2 Was dies bedeutete, wurde in der folgenden Entschließung der Versammlung deutlich: „... die Bildung einer über den Parteien stehenden nationalen Reichsregierung, die gestützt auf die nationale Bewegung in- und außerhalb der Parteien sich die Aufgabe stellt, unter Aufrollung der Kriegsschuldlüge die Revision des Versailler Diktats und des Young-Plans, sowie die innenpolitische Gesundung nicht nur in Wirtschaft und Finanzen, sondern auch in sittlicher und kultureller Beziehung herbeizuführen." 3
1
Z u R ü d i g e r G r a f v o n der G o l t z findet sich ein kurzes Porträt in DEUTSCHE ZEITUNG 35/
2 8 7 a , 7 . 1 2 . 1 9 3 0 , S. 3 ; siehe a u c h S. 5 2 f f . dieser A r b e i t . 2
NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 8 3 / 3 2 3 b , 1 6 . 1 1 . 1 9 3 0 , S . 4 .
3
DEUTSCHE ZEITUNG 3 5 / 2 7 0 a , 1 6 . 1 1 . 1 9 3 0 , S . 1.
16
Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
War hier das Ziel ihres Kampfes benannt, so wurden die Teilnehmer der Tagung auch über seine Grundlage nicht im unklaren gelassen. Der pommersche Gutsbesitzer Ewald von Kleist-Schmenzin4 stellte ihnen nämlich eine Bewegung vor, die ihr politisches Vorgehen begleiten und begründen sollte. Sein Auftreten war zugleich das erste Auftreten der „Christlich-deutschen Bewegung" (CdB), das sich quellenmäßig belegen läßt. In seiner Rede führte Kleist aus, daß im Zentrum des neuen Kreises der Glauben stehe und nur aus ihm heraus „die Erneuerung des deutschen Volkes möglich" sei5. Sogleich wandte er sich gegen eine mögliche Fehlinterpretation des Glaubens. Die CdB verstehe darunter weder einen starren Dogmatismus noch eine Gefühlsregung, weder eine bestehende Zustände rechtfertigende Haltung noch ein humanistisches Bekenntnis: „Sie lehnt ab die weitabgewandte Formel, die Verfälschung des Christentums zu einer weichlichen sentimentalen Angelegenheit, die Erstarrung, die in den nur der Zeit angehörenden Formen jeweils die ewigen Ordnungen sieht, ferner die Selbstverherrlichung des Menschen, der irgendwo sich seinem Schöpfer gegenüber behaupten will."6 Den Glauben der CdB umschrieb Kleist demgegenüber mit dem dezisionistischen Begriff der „Entscheidung". Er verstand darunter offensichtlich die Zustimmung zu der Auffassung, daß wir von Gott „als Deutsche in unser deutsches Volk gestellt" seien und darum „unsere deutschen Aufgaben" hätten7. Von hier aus mahnte er auch die Kirche. Sie dürfe die Ökumene nicht überbewerten und müsse „sich gegen pflichtvergessenen Pazifismus wenden und den deutschen Kampf für Freiheit und gegen Lüge und Unrecht unterstützen"8. „Auch sie muß ihre Glieder anhalten zum Kampf gegen Bestrebungen weltlicher Macht, [die] die göttlichen Ordnungen, Staat, Ehe, Familie und alle anderen auflösen wollen. Sie darf der Entscheidung nicht ausweichen, auf daß unserem Volk wieder Obrigkeit geschenkt werde."9 Hiernach trat die CdB von Anfang an für die Uberzeugung ein, daß der Mensch unter Gott stehe und von ihm in bestimmte Verhältnisse hineingestellt worden sei, die schöpfungsgemäß und darum für ihn unbedingt verpflichtend seien. Dies sollte sich vor allem nach zwei Richtungen hin auswirken: auf kirchlichem und auf politischem Gebiet. Die Mission der CdB an den in Berlin Versammelten muß man darin sehen, den politischen Kampf dieser Parteien und Verbände auf die Bindung an die Schöpfungsordnungen festzulegen: auch im politischen Leben spiele der Glauben eine Rolle; er gestalte in letzter Instanz die Geschichte10. 4
5 6
Zu seiner Person siehe S. 39ff. dieser Arbeit. DEUTSCHE ZEITUNG
Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 5 Ebd. 10 Ebd.
35/26%, 15.11.1930, S. 1.
Gründung und Programm
17
Ob die CdB hiermit nur dem Gedankengut der anwesenden Nationalisten einen religiösen Anstrich gab oder ob sie mit ihrem Anliegen gegebenfalls bereit war, die rechte Opposition auch zu hinterfragen, läßt dieses erste Auftreten noch offen. Deutlich ist jedoch, daß die Nation für die CdB in engster Beziehung zu Gottes Schöpferwirken stand, die deutsche Identität also vom Glauben her begründet werden sollte; aber es wurde auch von der Kirche eine klare Stellungnahme zugunsten des deutschen Nationalismus erwartet.
1.1.2. Der Inhalt der Formel „ Christlich-deutsch " Wenn man die Frage beantworten will, in welches Verhältnis Christentum und Nationalismus von der CdB anfänglich gesetzt wurden, so ist auf den Inhalt der Formel „Christlich-deutsch" zu achten. Diese Kombination läßt an sich noch nicht erkennen, ob die neue Bewegung gegenüber den nationalen Verbänden ein genuin christliches Anliegen vertrat oder ob sie umgekehrt eine völkische Reformation in die Kirche hineintragen wollte. Daß das Christliche dem Deutschen vorgeordnet war, läßt der Begriff wohl erahnen. Aber es kam anfangs durchaus auch vor, daß der Bund als „Deutsch-christliche Bewegung" vorgestellt wurde", welche Bezeichnung der der späteren „Deutschen Christen" auffallend ähnelt. Eine sichere Bestimmung dessen, was mit „Christlich-deutsch" gemeint war, wird zudem dadurch erschwert, daß im frühen Auftreten der CdB dieses Begriffspaar wie selbstverständlich eingeführt wurde. Das allerdings läßt darauf schließen, daß der Ausdruck in dem Umfeld, in dem die CdB zuerst wirkte und warb, als bekannt vorausgesetzt werden durfte. Man muß also nach der Verwendung der christlich-deutschen Formel durch die rechten Verbände Ausschau halten und sie in ihren Publikationen suchen. Eine ganz ähnliche Begriffsprägung tauchte bereits im Oktober 1918 auf, als rechte Kräfte darangingen, eine nationalistische Sammlungspartei, die spätere „Deutschnationale Volkspartei" (DNVP), zu gründen. Für diese Organisation war zunächst der Name „Christlich-nationale Partei" vorgesehen: „Das Christlich wendet sich gegen Juden und Religionslose u. strebt konfessionelle Aussöhnung an. Das Wort,national' wendet sich gegen das bekannte Dreiblatt der schwarzen, goldenen u. roten Internationale, das uns ζ. Z. niedergeworfen hat." 12
11 Vgl. ebd.: „Kämpfen will die Deutsch-chrisdiche Bewegung für ihren Glauben." Siehe auch J. GOEBBELS, Tagebücher, Bd. 2, S. 18 (Eintrag vom 9.2.1931): „Abends Dirksens: deutsch-chrisdiche Bewegung. Herr v. Kleist redete darüber." 12 Schreiben des ostpreußischen Superintendenten Ebel an Wolfgang Kapp vom 1 4 . 1 0 . 1 9 1 8 ; zitiert nach D. STEGMANN, Neokonservativismus, S. 223. Kapp und Ebel gehörten im Ersten Weltkrieg zu den Begründern der für einen deutschen „Siegfrieden" agitierenden „Deutschen Vaterlandspartei".
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
Der eigentliche Ausdruck erschien dann in Verbindung mit dem „Bund der Aufrechten", einer nur wenige tausend Mitglieder zählenden Vereinigung, die Anfang 1919 von monarchistischen Kreisen begründet worden war. Das ihnen zugehörende Blatt „Der Aufrechte" führte den Untertitel: „Ein Kämpfer für christlich-deutsche Erneuerung" 13 . Richtlinien forderten die „christlich-deutsche und soziale Erneuerung" 14 . Offensichtlich ging man davon aus, daß der Kampf für die Monarchie und das Eintreten für die christliche Religion eine Einheit bildete. In den politischen Forderungen, die die Gruppe der .Aufrechten" aufstellte, hieß es nämlich: „Sicherung der religiösen sittlichen Arbeit der christlichen Kirchen und Gemeinschaften; Einstellung des gesamten Bildungs- und Erziehungswesens auf die Stärkung des christlich-nationalen Glaubens der deutschen Jugend; Schutz und Förderung der christlichen Familie; Wiederherstellung einer starken Monarchie; Wiedererrichtung von Preußens Führerschaft unter der Hohenzollern-Monarchie ,.."15 Mit der „christlich-deutschen" Parole verband sich also hier eine monarchistische und konservative Losung, die anzeigte, daß man sich mit der Errichtung der Republik nicht abfinden wollte. Ahnlich klang es auf Seiten des „Stahlhelm", der mit mehreren hunderttausend Mitgliedern über einen wesentlich größeren Anhang verfügte 16 . Auch wenn die Forderung einer monarchistischen Restauration unterblieb, wünschte der Verband ehemaliger Frontsoldaten doch ebenfalls „den staatlichen Schutz der christlichen Religion, Erziehung der Jugend im Sinne des Wehrgedankens, Heilighaltung der Ehe und Reinerhaltung des deutschen Lebens von Schmutz und Schund in Presse, Schrifttum und Kunst" 17 . Auf dem „Reichsfrontsoldatentag" von 1929 gebrauchte der „Stahlhelm" dann auch die Formulierung „christlich-deutsch" und sprach von der „Wiederaufrichtung eines christlich-deutschen Staates"18. Deutlicher noch wird die Verwendung des Begriffs „christlich-deutsch" als Äquivalent zu „monarchistisch" oder „konservativ" in einem Artikel, den Al13
Siehe C. HOHBERG/R. ULLRICH, Bund der Aufrechten, S. 196. Zitiert nach ebd., S. 197. Auch in der Korrespondenz mit dem ehemaligen Kaiser Wilhelm II. firmierte der „Aufrechte" als „Kämpfer im christlich-deutschen Geist" (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 15-18). Z u m Beitritt wurde aufgefordert: „Wer an der christlich-deutschen Erneuerung mitarbeiten will!" (GStA Berlin, H A XII.IV, Nr. 280). D a ß es bereits im 19. Jahrhundert eine konservative „Christlich-teutsche Tischgesellschaft" gab, zu der Männer wie Achim von Arnim (1781-1831) und Heinrich von Kleist (1777-1811) gehörten, sei an dieser Stelle nur erwähnt. 15 Zitiert nach C. HOHBERG/R. ULLRICH, Bund der Aufrechten, S. 197. 16 Die Schätzungen für die Jahre 1929-32 schwanken zwischen etwa 250.000 und 500.000 Mitgliedern; siehe B. MAHLKE, Stahlhelm-Bund, S. 145 und V. BERGHAHN, Stahlhelm, S. 286. 17 Stahlhelm-Kundgebung in München am 3.6.1929; zitiert nach MATERIALDIENST 2, 1930, S. 351. 18 Zitiert nach ebd. 14
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fred von Landsberg, ein im westfälischen Velen residierender Freiherr, 1930 für die „Kreuzzeitung" verfaßte. Er forderte darin zur Bildung einer „Christlichen und deutschen konservativen Einheitsfront" auf 1 9 . D e n Sinn dieser Bezeichnung sah er darin, daß eine klare Unterscheidung zu liberalen Strömungen getroffen wurde. „Konservativ" sei nicht länger als beliebig verwendbares Schlagwort zu gebrauchen, wenn es inhaltlich mit Christentum und Deutschtum verbunden werde. Die Abgrenzung von liberalen Gedanken auch im eigenen, politisch konservativen Lager sei so zu erreichen: „ U m ... eine klare Grenzziehung zwischen uns und dem Liberalismus zu gewährleisten, möchte ich empfehlen, dem Worte ,konservativ' grundsätzlich die Ergänzung ,christlich und deutsch' hinzuzufügen. D a m i t würden wir ... den gesamten Liberalismus — in welcher Vertarnung er auch auftreten mag - aus unseren Reihen fernhalten." 2 0 Inhaltlich präzisierte der Adelige die von ihm eingeführte Kombination mit dem Hinweis auf die „christlich-deutsche Kultur" des Mittelalters. D i e schon an sich hochstehende „sittliche und bodenständige Volkskultur" der Germanen sei in jener Epoche mit dem Christentum verschmolzen worden. Damals habe man die Autorität des Herrschers von der Souveränität Gottes abgeleitet; die Freiheit des Menschen habe ihre Begrenzung in einem Sittengesetz gefunden, an das die weltlichen Ordnungen gebunden gewesen seien. Als jedoch diese religiöse Bindung durch den Liberalismus aufgelöst worden sei, habe „ein rapider Verfall unserer gesamten Kultur" eingesetzt. Aus der liberalen Idee von der „Souveränität des Menschen" seien nämlich „Absolutismus", „Manchestertum", „Pseudodemokratie" und „Marxismus" hervorgegangen: „Ganz besonders der Bolschewismus beweist, wohin die Abkehr von Gott fuhren muß. Das erklärte Ziel der Sowjets ist es, auf dem Fundament völliger Religionslosigkeit und absolutesten [sie!] Internationalismus eine ganz neue Menschheitskultur aufzubauen. Das ist Liberalismus in Reinkultur. Ein Blick nach Rußland zeigt uns den Erfolg. Nur die Rückkehr zur Religion und zum Volkstum kann uns retten." Angesichts dessen liegt es nahe, zu behaupten, daß die „christlich-deutsche" Parole einem R u f zurück ins Mittelalter glich, der die Entwicklung von Jahrhunderten ungeschehen machen wollte. D o c h begriff Landsberg-Velen selbst die Sache nicht im Sinne einer solchen naiven Romantik, sondern er erklärte: „Der tiefste Sinn des konservativen Gedankens liegt... darin, die christlich-konservativen Grundsätze zu erhalten, aus denen heraus unsere Vorfahren die fxir ihre Zeit 15 NEUE PREÜSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 8 3 / 2 1 0 b , 2 7 . 7 . 1 9 3 0 , Beiblatt „Zeitenspiegel" 82/ 15, S. 1. Der Herr des Schlosses Velen war zwar katholisch, man wird ihn aber jener „christlichen deutschen Bauernvereinigung" auf dem rechten Flügel des politischen Katholizismus zuordnen dürfen, die bereit war, einen Pakt mit dem konservativen protestantischen Junkertum gegen „gottlose" Sozialisten und Liberale zu schließen. 20 Dies und die folgenden Zitate ebd.
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passenden Formen und Einrichtungen in Kirche, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft geschaffen haben ... Daß man nicht durch eine stumpfsinnige Wiederherstellung des Alten neues Leben aus den Ruinen erblühen lassen kann, weiß niemand besser, als der wirklich konservative Mensch. In dieser Beziehung sind wir fortschrittlich in höchstem Maße. Wir wissen aber auch, daß unsere Kultur rettungslos dem Untergang geweiht ist, wenn es nicht gelingt, auf den alten Grundfesten, Religion und Volkstum eine neue Kultur aufzubauen." Danach war als „christlich und deutsch" also eine solche Haltung zu verstehen, die ausgehend von den religiösen und völkischen Grundwerten der Vergangenheit die Zukunft gestalten wollte. Wenn daher die Rückkehr der Hohenzollern-Monarchie gefordert wurde, hieß das nicht, daß man die Zustände und Einrichtungen des Kaiserreiches von vor 1918 wiederhaben wollte. Ist „christlich-deutsch" im Sinne eines solchen Konservativismus der Prinzipien zu sehen, so muß sich eine Bestätigung dafür auch in den Schriften und Reden der C d B finden lassen. Verstanden die Gründer und Träger der Bewegung ihr eigenes Programm als konservativ? In einer ersten programmatischen Schrift, die der Philosoph Hans Blüher 21 1930 für die C d B schrieb, wurde jedenfalls als eine Art Katechismus formuliert: „Wie nennst du die politische Weltanschauung, die diese Verfassung [sc. der Weimarer Republik] stützt? Vom Standpunkte der Habenden und Mehrhaben-Wollenden heißt sie Liberalismus, vom Standpunkte der Besitzlosen und Haben-Wollenden heißt sie Marxismus. Beide sind Sünde wider den Heiligen Geist, und der Christ darf sich nicht mit ihnen beflecken. Und wie heißt die politische Weltanschauung, die den Staat so fordert, wie er nach göttlichem Schöpfungswillen sein soll? Konservativ."22 Als ein untadeliger Konservativer verstand sich vor allem Ewald von Kleist-Schmenzin, der die C d B als erster in der Öffentlichkeit repräsentierte. Er war 1929 Vorsitzender des „Konservativen Hauptvereins" geworden, der nach der Revolution von 1918 als ein Relikt der alten „Deutschkonservativen Partei" fortbestand 2 3 , und zwang diesen zu einer radikalen Kampfansage gegen die Republik: „Konservativismus ist etwas Unbedingtes, das kein [sie!] Kompromiß zuläßt. Denn er ist eine Weltanschauung, also eine Gesamtschau aller Dinge von einem festen Standpunkte aus. Da er nur religiös zu begründen ist, so ist dieser feste Punkt in Gott und von dort aus ist die Aufgabe des Menschen zu begreifen, nämlich Gottes Willen
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Zu Blüher siehe A. MÖHLER, Konservative Revolution, S. 327 und oben S. 68FF. H. BLÜHER, Katechismus, S. 6. Siehe hierzu J. FLEMMING, Konservativismus, S. 296.
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zu erkennen und zu tun. In dieser Feststellung liegt die Kriegserklärung an die heute herrschende, aber im Zusammenbruch befindliche Welt, liegt der Angriff." 2 4
Deutlich läßt dieser Aufruf erkennen, wie eng sich das Christentum nach Kleist mit der konservativen Haltung verband. Der christlichen Religion entsprang der weltanschauliche wie der politische Konservativismus. Auch für den christlich-deutschen Führer galt also die Identität von christlich, deutsch und konservativ. Worin sich aber das Konservative konkret darstellte, wird der weitere Gang der Arbeit zeigen. Immerhin sind einige Elemente schon benannt worden: die Bejahung der völkischen Eigenart der Deutschen, die Absage an die Republik, der Kampf gegen Liberalismus und Marxismus und der Einsatz für die „rechtmäßige" Staatsform der Monarchie. Sehr wichtig aber scheint zu sein, daß der christliche Glaube an zentraler Stelle immer wieder auftauchte. Es würde offensichtlich in die falsche Richtung führen, sähe man in ihm nur ein Beiwerk. Nicht um eine bloße Verbeugung vor der religiösen Tradition handelte es sich hier, sondern um das, was nach dem Selbstverständnis der C d B das Wesen des Konservativismus ausmachte. Die christliche Weltanschauung war in den Augen der Bewegung konservativ; aber die Gleichung galt auch umgekehrt: Konservativ-Sein hieß Christ-Sein. 1.1.3. Das erste Programm Im ersten Programm der CdB, das noch Ende 1930 verabschiedet wurde, kam das Christ-Sein deutlich zum Ausdruck in der einleitenden Erklärung, „daß nur auf christlicher Grundlage eine deutsche Zukunft erwachsen kann" 25 . Dieser Grundsatz wurde sofort ins politisch Konservative gewendet, wenn ein christlich begründeter Staat und eine christliche Erziehung gefordert wurden, wobei man auch dem Wehrdienst seine Reverenz erwies: „Wir wollen die Volkskirche, weil wir in ihr die erste und letzte Möglichkeit einer gemeinsamen Grundhaltung der Deutschen erkennen, vollends heute nach dem Fortfall der großartigen Volkserziehung durch unsere alte Wehrmacht. Aus Gewissensgründen können wir uns nicht damit begnügen, als deutsche Christen in deutschen Landen ein bescheidenes Lebensrecht zu erbitten. In einem Staat, der die christliche Grundlage ablehnt, ist das Schicksal der deutschen Volkskirche besiegelt.
E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Religiös-konservative Revolution, S. 4. Zitiert nach DEUTSCHES PFARRERBLATT 35, 1931, S. 65. Das Programm der C d B wird hier in weiten Auszügen zitiert. Nach B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 86 stammen die Richtlinien von Ewald von Kleist-Schmenzin. Sie könnten jedoch ebensogut von Werner W i l m stammen. Ein Blatt mit dem vollständigen Text des ersten Programms befand sich in den Unterlagen des Freiherrn Wolfgang Senfft von Pilsach, die Scheurig in den 60er Jahren noch einsehen konnte. Es ist nach freundlicher Mitteilung von Frau Friderun Senfft von Pilsach heute jedoch nicht mehr auffindbar. 24
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Wir bekennen uns daher aus Gewissensernst zu einem christlich-autoritativen Staat, von dem wir als Christen fordern, daß er wehrhaft sei."26 Die CdB trat also für die Kirche aus politisch-konservativen Gründen ein, für den autoritativen Staat aus christlich-kirchlichen Motiven. Ein starker, auf christlichen Uberzeugungen gegründeter Staat hatte den Einfluß der Kirche sicherzustellen, die ihrerseits das deutsche Volk erziehen und zu einer Gemeinschaft einen sollte. Eine solche, dem öffentlichen Leben verpflichtete Kirche konnte nur die Volkskirche sein, für die sich die CdB dementsprechend stark machte: „Wir wollen eine lebendige Verbindung zwischen Kirche und Volk."27 Es wird zu verfolgen sein, inwiefern dieses volkskirchliche Bemühen, Kirche und Volk zusammenzuführen, auch weiterhin im Mittelpunkt der christlich-deutschen Interessen stand. Dabei wird vor allem darauf zu achten sein, wie der Begriff „Volkskirche" jeweils gefüllt wurde. Grundsätzlich lassen sich unterscheiden: a) die Volkskirche als Ausdruck eines bestimmten Volkstums; b) die an das ganze Volk gesandte volksmissionarische Kirche; c) die der gesamten Bevölkerung in ihrer Pluralität Rechnung tragende Kirche; d) die in enger Beziehung zu politischen und staatlichen Mächten stehende Kirche.28 Die Richtlinien der CdB weisen auf den ersten Blick Berührungspunkte mit dem Konzept der Volkstumskirche auf: die Kirche sollte die gemeinsame Grundhaltung der Deutschen formen helfen; sie sollte darin - nach dem Fortfall der allgemeinen Wehrpflicht — die Rolle der kaiserlichen Wehrmacht übernehmen. Allerdings ging man hier deutlich von der Kirche aus. Nicht das deutsche Volkstum sollte sich eine ihm entsprechende Kirche geben, sondern die Kirche hatte in die Nation hineinzuwirken und sie zu gestal26
Zitiert nach DEUTSCHES PFARRERBIATT 35, 1931, S. 65. Die Parole vom „christlichen Staat" wurde von F. Julius Stahl (1802-1861) und dem alten preußischen Konservativismus geprägt. Bei der Begriffsbildung „christlich-autoritativer Staat" lag die Betonung stärker auf einer sittlich bestimmten Staatsflihrung. Vgl. auch K. SONTHEIMER, Antidemokratisches Denken, S. 20Iff. 27 Zitiert nach ebd. 28 Diese Distinktionen nach W. HÄRLE, Kirche, S. 306f. Weitere Definitionen von „Volkskirche", die in der Weimarer Republik von kirchlicher Seite vorgetragen wurden, stellt K. MEIER, Ev. Kirche, S. 16-24 vor, dessen Beitrag flir die zeitgeschichtliche Verknüpfung der Problematik unerläßlich ist. Danach m u ß man das christlich-deutsche Anliegen der Volkskirche in das allgemeine Streben des Protestantismus nach 1918 einordnen, den verstärkten Säkularisierungsprozeß durch volkskirchliche und missionarische Programme aufzufangen, die mit Hilfe volkspädagogischer Argumente die Notwendigkeit und Relevanz kirchlicher Existenz erweisen sollten. Das volkskirchliche Engagement in diesem Sinne war freilich nicht erst nach der Revolution von 1918 virulent, sondern stand bereits bei Adolf Stoecker ( 1 8 3 5 1909) im Mittelpunkt. Sein volksmissionarisches Wirken wie seine politische Agitation hatten das eine Ziel: durch die Entfaltung der Volkskirche die Säkularisierung abzuwenden (siehe hierzu PROTESTANTISMUS UND POLITIK, S. 32-43). Man wird im Laufe der Untersuchung sehen, wie sehr die CdB in Stoeckers Fußstapfen stand. Einige Christlich-Deutsche hatten ihn sogar noch persönlich kennengelernt.
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ten. Damit ist die Auffassung der Volkskirche als eine dem öffentlichen und staatlichen Leben verbundene Kirche berührt. Die C d B forderte gerade einen der christlichen Religion ergebenen Staat. An eine Anknüpfung an den Weimarer Staat und seine Institutionen war dabei freilich nicht gedacht: „Die Revolution von 1918 halten wir für eine Sünde." 2 9 Weil es sich um eine aus der Revolution hervorgegangene Republik handelte, konnte die C d B die Trennung der Kirche von diesem Staat nur gutheißen und mußte jede Verbindung mit ihm bekämpfen. Es ist jedoch zu fragen, ob sie sich unter anderen politischen Umständen nicht zugunsten einer Staatskirche entscheiden mochte. An der bestehenden evangelischen Kirche in Deutschland konnte die C d B nicht so vorübergehen wie an der Weimarer Republik. Sie entsprach in weiten Teilen der geforderten Volkskirche. Doch hatte das Programm auch eine kirchenkritische Tendenz, denn die bestehende Kirche sollte dem Volkstum, dem nationalen K a m p f und einem in Zukunft zu errichtenden starken Staat mehr Rechnung tragen. Man forderte daher auf zu einem Zusammenschluß zwar innerhalb der vorhandenen Kirche, aber doch mit einer deutlichen Spitze gegen sie: „Wir wollen diejenigen, die aus Glaubensernst erkennen, daß sie kämpfen müssen, sammeln. Weite Kreise des Kirchenvolkes sehnen sich danach, solchen K a m p f zu kämpfen. Aber gerade unter diesen Treusten ist das kirchliche Heimatsgefuhl im Wanken; sie fühlen sich von der Kirche verlassen ... und vermissen den klaren, religiös-fundamentierten Kampfwillen und die evangelische B e g r ü n d u n g der deutschen Sendung. Wir hören den Gottesruf an die Deutschen, der uns den Sinn unseres Z u s a m m e n b r u c h s und unsrer Schmach deutet und der uns neue Wege in eine gotterfullte Z u k u n f t weist. So richten wir den R u f an alle, die eines Sinnes mit uns sind." 3 0
Diese Sätze verweisen unterschwellig auch auf die volksmissionarische Richtung der C d B . Sie sah die Gefahr, daß weite Kreise, die nationalistisch gesinnt waren, der Kirche entfremdet zu werden drohten. Ihnen sollte die Kirche durch eine christliche Deutung ihres Tuns wieder nahegebracht werden. Wie das organisatorisch vonstatten gehen sollte, darüber äußerten sich die Richtlinien aber eher unbestimmt. Es war nur ein sehr lockerer Zusammenschluß geplant, weswegen die Kennzeichung als „Kampf- und Schutztruppe", die „den deutsch-protestantischen Geist unserer Väter aus der Reformationszeit wieder in unserem evangelischen Volk erwecken und es zum K a m p f gegen den Bolschewismus mobil machen will" 31 , insofern nicht paßt, als eine entsprechende straffe Ordnung nicht ins Auge gefaßt war. Man sagte vielmehr von sich selbst: 29
Zitiert nach DEUTSCHES PFARRERBLATT 3 5 , 1 9 3 1 , S. 6 5 .
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Zitiert nach ebd. Ebd.
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„Wir sind nicht eine neue kirchliche Organisation nach Art eines Bundes oder eines Vereines; wir wollen sein ein Willenszentrum derjenigen Kreise, die ... christlich und deutsch sind und die aus Gewissensgründen gar nicht anders können, als die lebendige Macht des Glaubens einzusetzen in das Ringen um die religiösen Grundlagen des deutschen Freiheitskampfes."32 Danach konnte man sich die CdB am ehesten als eine Art Führerkreis vorstellen, an dem Leiter verschiedener nationaler Verbände und Parteien zur religiösen Besinnung und Vertiefung teilnahmen. Wie er konkret aussah, soll im folgendem gezeigt werden. Festzuhalten bleibt hier, daß die ersten Richtlinien der CdB sehr stark politisch akzentuiert waren, wiewohl die konservative Forderung nach einem christlich-autoritären Staat unmittelbar mit einem (volks-) kirchlichen Programm verflochten war.
1.1.5. Anfängliche Organisation und Verbreitung Der Geburtsort der CdB war Berlin. Hier bot sich die Möglichkeit, für das christlich-deutsche Gedankengut in weite Kreise hinein zu wirken, in verschiedenen Verbänden zu werben und zu sammeln. Die Adressaten der Botschaft waren dabei in erster Linie rechtsstehende Vereine und Zirkel; aber auch vor kirchlichen Versammlungen, insbesondere Pastorenkursen und Pfarrertagungen 33 , wurde vorgetragen. Die Sprecher der CdB kamen oftmals selbst aus der Kirche, oder sie standen der Kirche und ihrem Glauben nahe. Die Stätten, an denen die CdB auftrat, waren die Versammlungslokale der rechten Parteien, daneben die Kasinos und Vereinshäuser der Veteranenverbände („Stahlhelm", „Kyfifhäuser-Bund", Offiziersbünde) 34 . Wichtige Kontakte wurden im Hause des Botschafters Herbert von Dirksen in Berlin-
Zitiert nach ebd., S. 65f. Genannt seien das Auftreten Bruno Doehrings auf dem 3. Pastorenkursus der Apologetischen Centrale vom 2 8 . - 3 1 . 1 . 1 9 3 1 (WORT UND TAT 7/1, 1 9 3 1 , S. 18f.), der Vortrag Kleist-Schmenzins auf der Arbeitstagung der „Gemeinschaft für lebendige Volkskirche" in Swinemünde (DER REICHSBOTE 59/136, 7 . 6 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche und Schule" S. 1), Pfarrer Gerhard Gensichens Referat auf dem Pfarrertag der Provinz Sachsen vom 4 . - 6 . 5 . 1 9 3 1 (DER REICHSBOTE 5 9 / 1 1 5 - 1 1 6 , 1 4 . 5 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche und Schule" S. 1), sowie Walter Wilms Auftritte auf den Vereinstagen fur Innere Mission in Dresden am 2 1 . 4 . 1 9 3 1 (AELKZ 64, 1 9 3 1 , Sp. 441 f.), auf der Tagung des Gesamtverbandes für Innere Mission in Karlsruhe im Mai 1 9 3 1 (H. KAPPES, Kampf, S. 98) und auf der Jahresversammlung des Brandenburgischen Pfarrervereins in Prenzlau vom 22.-24.6.1931 (DEUTSCHES PFARRERBLATT 35, 1 9 3 1 , S. 4 7 0 und DER REICHSBOTE 59/155, 3 0 . 6 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche und Schule" S. 1). 34 Erwähnt seien folgende Kundgebungen: die bereits erwähnte im Landwehrkasino am 1 5 . 1 1 . 1 9 3 0 (NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 83/323b, 1 6 . 1 1 . 1 9 3 0 , S. 4); im Kriegervereinshaus auf der Berliner Chausseestraße am 2 2 . 1 . 1 9 3 1 (NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 83/18b, 1 8 . 1 . 1 9 3 1 , S. 6); im Berliner Wintergarten am 8 . 2 . 1 9 3 1 (DER REICHSBOTE 59/35, 1 0 . 2 . 1 9 3 1 , S. 3), auf dem Reichsparteitag der DNVP in Stettin am 1 9 . 9 . 1 9 3 1 (NEUE PREUS32
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SISCHE KREUZ-ZEITUNG 8 4 / 2 6 3 b , 2 0 . 9 . 1 9 3 1 , S . 3 ) .
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L i c h t e r f e l d e g e k n ü p f t , d e n n hier veranstaltete seine S t i e f m u t t e r , die w o h l h a bende Grundbesitzerin Viktoria von Dirksen, Gesellschaften u n d Salonabende, die die P r o m i n e n z a n l o c k t e n . „ D i e D i r k s e n s besaßen a u f d i e s e m G e b i e t g r o ß e E r f a h r u n g . Ihr S a l o n in Berlin hatte s c h o n i m Kaiserreich die herrs c h e n d e n Kreise zu gesellschaftlichen V e r a n s t a l t u n g e n vereint u n d d a d u r c h eine nicht zu u n t e r s c h ä t z e n d e Rolle i m politischen L e b e n vor d e m ersten W e l t k r i e g g e s p i e l t . " 3 5 N e b e n A d l i g e n u n d Vertretern v o n D N V P u n d D V P stellte sich A n f a n g der 3 0 e r J a h r e fast regelmäßig a u c h der Berliner G a u f ü h rer der N S D A P , J o s e p h G o e b b e l s , ein 3 6 . A b e r a u c h in G e m e i n d e h ä u s e r n hielt d i e C d B ihre V e r s a m m l u n g e n ab. 3 7 Schließlich f a n d e n d i e G o t t e s d i e n s t e , die die C d B f ü r die rechten G r u p p e n veranstaltete, nicht n u r außerhalb der K i r c h e n als s o g e n a n n t e „ F e l d g o t t e s d i e n s t e " statt 3 8 , s o n d e r n d e n G e i s t l i c h e n der C d B s t a n d e n m i t u n t e r K i r c h e n g e b ä u d e zur V e r f ü g u n g 3 9 . V o n A n f a n g a n w u r d e unterschieden zwischen einer „innerbündischen" u n d einer „überbündischen " A r b e i t . Als i n n e r b ü n d i s c h b e g r i f f m a n „ d i e M i t arbeit i m R a h m e n der n a t i o n a l e n O r g a n i s a t i o n e n " , w o b e i einerseits an ein M i t w i r k e n der C d B „bei F ü h r e r k u r s e n i m R a h m e n des S t a h l h e l m s , des L a n d b u n d e s , der N a t i o n a l s o z i a l i s t e n usw., bei S c h u l u n g s l a g e r n u n d sonsti-
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G . FELDBAUER/J. PETZOLD, Deutscher Herrenklub, S. 113.
Vgl. hierzu die Eintragungen fur den Zeitraum Frühjahr 1930 bis Sommer 1931 bei J. GOEBBELS, Tagebücher, Bd. 1-2, außerdem F. WIENEKE, Kirche und Partei, S. 22 und 25 (EZA 633/11,6). R. G. REUTH, Goebbels, S. 184 spricht zu Recht von der „mit Spenden und Kontakten ihm [sc. Goebbels] stets zur Seite stehenden Gönnerin Viktoria von Dirksen". Näheres berichtet K. W JONAS, Kronprinz, S. 222f.: „Der Traum dieser beredsamen Dame war die Wiedereinführung der Monarchie durch Hitler, der - wenn es nach ihrem Wunsche hätte gehen können - den Kronprinzen dann zum Kaiser ernennen sollte." 37 Walter Wilm hielt seinen christlich-deutschen Vortrag „Die kämpfende Kirche" u.a. im Gemeindehaus der Hochmeisterkirche in Berlin (DEUTSCHE ZEITUNG 35/294b, 16.12.1930, S. 3) und im Saal des Gemeindehauses Halensee (Schreiben Bronischs an Füllkrug vom 29.12.1930; ADW Berlin, CA 380/112). 38 Erwähnt werden muß der Feldgottesdienst anläßlich der Harzburger Tagung der 36
Rechtsopposition am 11.10.1931 (NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 84/285b, 12.10.
1931, S. 2). 39 Genannt seien die „Stahlhelm"-Weihnachtsfeier im Berliner Dom (DEUTSCHE ZEITUNG 35/30 lb, 24.12.1930, S. 6) und der „Heldengottesdienst" für den „Nationalverband Deutscher Offiziere" in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEI-
TUNG 84/327b, 23.11.1931, S. 7). Aufweiche Art und Weise solche Gottesdienste zustande kamen, darüber gibt das Schreiben Dommes' an Füllkrug vom 6.2.1932 Auskunft (ADW Berlin, CA 380/112): „Die deutschnationale Kreisgruppe Potsdam wollte eine kirchliche Weihnachtsfeier veranstalten. Wir wandten uns an den uns besonders nahestehenden Herrn Hofprediger Dr. Vogel, der uns seine Kirche (die Friedenskirche) unter der Bedingung zur Verfügung stellte, dass wir lediglich eine gottesdienstliche Feier beabsichtigten. Zur Abhaltung der Feier gewannen wir Herrn Pastor Wilm. Auch dieser hat seine Zustimmung von der Zusicherung abhängig gemacht, dass es sich um eine streng kirchliche Feier handelt. Dafür habe ich persönlich die Verantwortung übernommen."
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gen Gelegenheiten" gedacht war, andererseits an ein Auftreten vor größerer Öffentlichkeit, wozu „Feldgottesdienste, religiös-weltanschauliche Vorträge in den Ortsgruppen, auch Ansprachen bei besonderen Gelegenheiten" gehören sollten40. Die Gefahr, daß dabei die kirchlichen Belange zu kurz kamen und politische Ziele bloß religiös übertüncht wurden, wurde zwar gesehen, aber man meinte, daß nur aufgrund solcher „Freundschaftsarbeit" das Vertrauen der nationalen Kreise für die „entscheidenden überbündischen Aufgaben" gewonnen werden könnte 41 . Und überbündisch wollte die Bewegung gerade von der Kirche her arbeiten: „Die überbündische Arbeit hat rein volksmissionarisch-kirchlichen Charakter. Wir denken an Schulungstagungen, Freizeiten u. dgl. für ernste, kleine Arbeitskreise ... und an öffentliche Gottesdienste, Volksmissionsvorträge, Evangelisationen für die breite Oeffentlichkeit, unter besonderer Einladung der Anhänger der nationalen Bewe"42
gung... 42 Der eigentliche Aufbau der CdB geschah durch Pastor Walter Wilm, einen vom Central-Ausschuß für die Innere Mission beschäftigten Volksmissionar. Uber ihn wird unten weiteres zu berichten sein. Auf jeden Fall sah er sich selbst als den eigentlichen „spiritus rector" der Bewegung43. Wilm hatte die Kontakte geknüpft zu Ewald von Kleist-Schmenzin, den er wegen seines Ansehens in konservativen Kreisen als Führer der CdB sehen wollte. Auch zu Bruno Doehring, dem bekannten Prediger am Berliner Dom 4 4 , wurden - möglicherweise im Hause der Dirksens - Verbindungen hergestellt. Im Januar 1931 konnte Wilm über die Entwicklung der CdB schreiben: „Herr von Kleist-Schmenzin hat auf meine Bitte die Führung übernommen, Herr Hofprediger D. Doehring die theologische Linienführung und ich übernahm den Außendienst [ s i c ! ] . " 4 i Für diese Aufgabe war Wilm durch seine Arbeit als Volksmissionar geradezu prädestiniert. Für die „Innere Mission" war er zu Vorträgen und Schulungen im ganzen Reichsge40 41
W WILM, Arbeit, S. 144. Ebd.
Ebd. F. WIENEKE, Kirche u n d Partei, S. 2 2 ( E Z A Berlin, 633/11,6). D a z u a u c h F. WIENEKE, G l a u b e n s b e w e g u n g , S. 9f.: „Einen entscheidenden A n s t o ß ... gab im Jahre 1 9 3 0 der d a m a l i g e märkische Provinzialjugendpfarrer W i l m , i n d e m er in V e r b i n d u n g m i t d e n Kreisen der vaterländischen Verbände, des Stahlhelms u n d der D e u t s c h n a t i o n a l e n zur G r ü n d u n g der .Christlich-deutschen B e w e g u n g ' aufrief." D e r entsprechende G r ü n d u n g s a u f r u f ist bislang allerdings nicht a u f g e f u n d e n worden; hat W i e n e k e j e d o c h Recht m i t seiner B e h a u p t u n g , d a ß die C d B b e g r ü n d e t w u r d e , als W i l m noch Leiter des Kirchlichen J u g e n d d i e n s t e s der M a r k B r a n d e n b u r g war, so m u ß das D a t u m ihrer G r ü n d u n g vor d e m S e p t e m b e r 1 9 3 0 liegen, d a W i l m m i t diesem M o n a t seine Tätigkeit als hauptamtlicher Volksmissionar der „Inneren M i s sion" aufnahm. 42 43
4 4 Z u D o e h r i n g siehe unten S. 4 5 f f . sowie das Porträt in DER REICHSBOTE 59/260, 3 0 . 1 0 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche u n d S c h u l e " S . l , w o er als „einer der anerkanntesten Führer der christlich-deutschen B e w e g u n g " bezeichnet wird. 4 5 Schreiben W i l m s a n W i l h e l m II. v o m 2 6 . 1 . 1 9 3 1 ( R A Utrecht, Inv. 14, Nr. 9 6 ) .
Gründung und Programm
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biet unterwegs und konnte diese Reisen nutzen, um in den verschiedenen Ländern und Provinzen für die CdB zu werben 46 . Ihm ist es zu verdanken, wenn die Bewegung bald über Berlin hinausgriff. Schon Ende Januar 1931 meldete Wilm: „Es stehen die Kampfringe evangelisch-deutscher Pfarrer in Berlin, Brandenburg, Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Sachsen. Die entscheidenden Vorbereitungen dazu sind getroffen in Mecklenburg, Königreich Sachsen, Braunschweig, Hamburg, Schleswig-Holstein, Westfalen, Rheinland. Die entsprechenden Kampfringe der Christlich-deutschen Bewegung führen die kämpferischen Laien mit den wirklich entschlossenen Pfarrern zusammen." 47 Damit wird auch die Organisation der CdB etwas anschaulicher. Es gab eine .Arbeitsgemeinschaft Evangelisch-Deutscher Pfarrer" und daneben „Kampfringe", die sich speziell an die Laien im evangelischen Kirchenvolk wandten. Der Vereinigung der Geistlichen wurde Doehring vorangestellt 48 . Ihre Aufgabe umriß Wilm so: „Diese Pfarrerarbeitsgemeinschaft hat die Fühlung mit den führenden Kreisen der nationalen Organisationen aufzunehmen; zunächst im Gesamtrahmen des Landes oder der Provinz, und dann dezentralisiert, am besten bis zum Kirchenkreis." 49 Bereits für Mitte Dezember 1930 läßt sich auch in der Provinz Sachsen diese Gemeinschaft Evangelisch-Deutscher Pfarrer nachweisen, deren Vorsitzender dort Pastor Curt Duda aus Halle war50. Die numerische Größe der Bewegung läßt sich nur schwer abschätzen, da es keine Eintragungen über die Mitglieder gab; aber für den Raum Brandenburg und Berlin kann man von zunächst etwa 30 Pfarrern ausgehen, die sich der CdB und ihrem Arbeitskreis verschrieben51. Dazu gehörten Pfarrer Martin Perwitz von der Paul-Gerhardt-Kirche in Berlin, Superintendent Johannes Grell aus Woldenberg und Superintendent Gotthelf Bronisch aus Züllichau in der Neumark. Mit ihnen und dem Rittergutsbesitzer Ludwig Körte aus Waltersdorf bei Luckau trat Wilm „in nähere Arbeitsverbindung" 52 . 46 Wilms Reiseplan für den Zeitraum November 1930 bis Dezember 1932 läßt sich anhand der Rundschauen in DIE VOLKSMISSION 11-13, 1930-1932 rekonstruieren. Danach war er etwa 170 Tage eines Jahres unterwegs zu Kursen und Schulungstagungen, vorwiegend in Brandenburg, der Provinz Sachsen, Schlesien, dem Freistaat Sachsen und in Mecklenburg. D a ß er diese Reisetätigkeit zur Propaganda für die CdB nutzte, geht aus H . KAPPES, Kampf, S. 98 hervor. 47 Schreiben Wilms an Wilhelm II. vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96). 48 F. WIENEKE, Glaubensbewegung, S. 10: „Der Hofprediger Doehring leitete eine Zeitlang die damit verbundene Arbeitsgemeinschaft deutscher Pfarrer." 49 W WILM, Arbeit, S. 144. 50 Handschriftliche Notiz Füllkrugs zur Person Wilms vom 15.12.1930 (ADW Berlin, CA 380/112). 51 Diese Zahl geht aus einer Notiz von Goebbels über eine Pfarrerversammlung im Hause der Frau von Dirksen hervor (J. GOEBBELS, Tagebücher, Bd. 2, S. 11). 52 Rundschreiben Füllkrugs an die genannten Personen sowie an Doehring vom 22.12.1930 ( A D W Berlin, CA 380/112).
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D i e Christlich-deutsche Bewegung
1930-1931
Für die Kampfringe der CdB konnte Wilm weitere Personen heranziehen, weil er schon vor seiner Beschäftigung als Volksmissionar „Eingang" gefunden hatte in „den vaterländischen Verbänden und völkischen Kreisen" 53 . Die von ihm vor 1930 als Jugendpfarrer der Mark Brandenburg hergestellten Kontakte zum „Stahlhelm", zum „Bund Königin Luise", zum „Konservativen Hauptverein", zur DNVP, zur „Deutschen Adelsgenossenschaft" und zur „Deutschvölkischen Freiheitsbewegung" kamen der CdB nun zugute. Wilm selbst gehörte der D N V P an und trat in ihrem „Evangelischen Reichsausschuß" als Mitarbeiter hervor54. Rüdiger Graf von der Goltz, der zu Anfang erwähnte Vorsitzende der VvVD, war ein enger Verwandter55. Mit dem Führer des „Stahlhelm" in der Provinz Brandenburg, Rittmeister a. D. Elhard von Morozowicz, verband Wilm eine persönliche Freundschaft56. Direkten Kontakt hatte er auch zu Generalmajor a. D. Wilhelm von Dommes, dem Leiter des „Preußenbundes" und Kreisvorsitzenden der Potsdamer Deutschnationalen57, sowie zum preußischen Kronprinzen Wilhelm und seiner Frau. Im Januar 1931 nahm Wilm — neben Doehring - an einer auf dem kronprinzlichen Gute Oels veranstalteten Pfarrerfreizeit teil58, später besuchte er den Kronprinzen auf dessen Schloß Cecilienhof in Potsdam und konnte ihn für die CdB gewinnen59. Eine genaue Aufstellung über den Aufbau der CdB läßt sich für das Jahr 1931 nicht geben. Uberhaupt wurde eine straffere, vereinsmäßige Ordnung mit Mitgliedslisten und Beiträgen abgelehnt. Wohl aber gab es ein Kuratorium, an das die Initiatoren der Bewegung selbst Darlehen gaben, um sie „in Gang bringen zu helfen" 60 . Angesehene Persönlichkeiten hofften auf ihre rasche Entwicklung und förderten sie mit Geldbeiträgen61. Niederschrift der Sitzung der Kommission für evangelistische Volksmission am 12.8.1930, S. 2 (ADW Berlin, CA 1909). 54 Schreiben Füllkrugs an Schian vom 13.1.1931 (ADW Berlin, CA 380/112): „Wilm ist nicht Nationalsozialist sondern gehört, soviel ich weiss, der Deutschnationalen Volkspartei an." Nach G. TRAUB, Geisterkampf, S. 640, Anm. sprach Wilm auf dem Stettiner Parteitag der D N V P „im evang. Reichsausschuß in ausgezeichneter Weise über Christentum und Pazifismus". 55 Das Schreiben Füllkrugs an Wilm vom 15.10.1931 (ADW Berlin, CA 380/112) bezeichnet Goltz als Walter Wilms Onkel. In Wirklichkeit war er jedoch der Onkel von Walter Wilms Frau. Siehe Anm. 93. 56 Schreiben Morozowicz' an den Central-Ausschuß für Innere Mission vom 8.7.1931 (ADW Berlin, CA 380/112). 57 Das geht aus dem Schreiben Füllkrugs an Wilm vom 22.2.1932 (ADW Berlin, CA 380/ 112) hervor, wonach Dommes bereit gewesen war, sich beim E O K fur Wilms Belange einzusetzen. 58 Schreiben Schians an Steinweg vom 7.1.1931 (ADW Berlin, C A 380/112). 59 F. WIENEKE, Kirche und Partei, S. 22-24 (EZA Berlin, 633/11,6). 60 Schreiben Adolf Günthers an Rendtorff vom 25.1.1933 (LKA Schwerin, I/K): „Ich habe der Christlich-Deutschen Bewegung als damaliges Mitglied es Kuratoriums vor etwa 5 Jahren [sic!] RM. 1000,- geliehen, um die Bewegung in Gang bringen zu helfen. Es war seiner53
Gründung und Programm
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Die C d B hatte ihren Sitz in Berlin-Wilmersdorf, Duisburger Straße 2a 62 . Hinter dieser Adresse, die zugleich für den Evangelisch-Deutschen Pfarrerkreis galt, verbarg sich Werner Wilm, der Vater Walter Wilms 6 3 . Er war von Anfang an für die Geschäftsführung zuständig, knüpfte wirtschaftliche Kontakte und gewann einen Verlag für die Publikationen der CdB. Seine Erfahrungen als zeitweiliger Direktor der Audi-Auto-Werke und als Verlagsdirektor konnte er dafür nutzen 64 . Auch wenn es ihm „wiederholt nicht gelungen" war, „die von ihm geleiteten geschäftlichen Unternehmungen zu einem guten Ende zu fuhren" und er dadurch selbst in Existenznot geraten war 65 , führte er den Schriftverkehr, die Akten und die Konten der C d B offensichtlich doch ordnungsgemäß 66 . Darüber hinaus war Werner Wilm auch in der Kirche aktiv und als solcher stellvertretender Synodaler der neunten Generalsynode der altpreußischen Landeskirche geworden 67 . In der C d B tat er sich selbst mit kleinen theologischen Werken hervor, die der Bewegung zur Orientierung dienen sollten 68 . So erschien die C d B anfangs fast wie ein Unternehmen von Vater und Sohn Wilm. Sie hing auf jeden Fall von den Wirkungsmöglichkeiten und der Tüchtigkeit der beiden ab, und die Haltung und Einstellung dieser Männer mußte auch das Profil der Bewegung bestimmen.
zeit damit gerechnet worden, dass die Rückzahlung in absehbarer Zeit erfolgen könne." Daß Doehring und Wilm anfangs Gelder bereitstellten, geht aus den beiden Schreiben Vierecks an den Geschäftsfuhrenden Verein der CdB vom 16.3.1933 und vom 11.7.1933 hervor (LKA Schwerin, I/F). 61 Das geht aus dem Anm. 60 genannten Schreiben Adolf Günthers hervor. Ohne daß Namen genannt würden, heißt es darüberhinaus im Schreiben Körtes an Füllkrug vom 24.12.1930 (ADW, CA 380/112): „Ich weiss nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich seine [sc. Wilms] Tätigkeit im Auftrage einer Reihe hochangesehener Herren, die in führender Stellung im praktischen Leben stehen, mit namhaften Geldbeträgen zu fördern versucht habe. Sie wollen hieraus entnehmen, dass auch diese Herren die Bestrebungen des Herrn Pastor Wilm ... für interessant und Erfolg versprechend halten." 62
D E U T S C H E S PFARRERBLATT 3 4 , 1 9 3 0 , S . 7 9 0 .
63
D a s geht hervor aus den VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE v o m 2 2 . 2 . -
12.3.1930, 1930, Zweiter Teil, S. 9 (Mitgliederverzeichnis), wo die gleiche Adresse neben dem Namen Werner Wilms auftaucht. 64 Als „Verlagsdirektor" wird er in der Anm. 63 genannten Quelle bezeichnet, dagegen heißt es in dem Kriegsranglistenauszug Walter Wilms (ADW Berlin, CA 380/112) über seinen Vater: „Direktor der Audi-Auto-Werke". 65 Vertrauliche Mitteilung des Kirchenbundesamtes an Rendtorff vom 5.11.1932, handschriftlicher Entwurf (EZA Berlin, 1/A2/420). 66 Das geht aus dem Schreiben Werner Wilms an Rendtorff vom 30.1.1933 (LKA Schwerin, I/H) hervor: „Schließlich habe ich auch die Verwaltung des Geldwesens gehabt, und zwar seit 1. Juni [1932] in Zusammenarbeit mit dem Geschäftsftihrenden Verein der Christlichdeutschen Bewegung e.V., dessen Vorstand mich bereits ordnungsgemäß geprüft und entlastet hat." 67 Siehe Anm. 63. 68 Dazu mehr auf S. 85f. und S. 92f.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
1.2. Führende Personen der Christlich-deutschen Bewegung 1.2.1. Werner Wilm Leider lassen sich zur Biographie Walter Wilms nur wenige Angaben machen, über seinen Vater sind wir sogar noch schlechter unterrichtet. Sicher ist nur, daß Werner Wilm während des Kaiserreiches als Direktor der AudiAuto-Werke zum wohlhabenden Bürgertum gehörte. Wenn er später abstieg und zu einem „schwer um seine Existenz ringenden M a n n " wurde 69 , so beeinflußte das offensichtlich nicht seine als Angehöriger der oberen Klassen gefestigte Einstellung. Er blieb dem Hohenzollernhaus in Treue verbunden. Als die Revolution das Summepiskopat beseitigte, sah er darin „die Trennung von jahrhundertelangem Segen für die Kirche" 70 . Der Bund von T h r o n u n d Altar habe nämlich einen auf christlicher Grundlage stehenden Staat garantiert. So lautete sein Wunsch: „Kirche, Volk und Staat sollen oder sollten in innigster Harmonie stehen: die Kirche als Glaubensgemeinschaft, das Volk als Lebensgemeinschaft, der Staat als politische Gemeinschaft. Solange der Staat seine Gesetze und Ordnungen bewußt den Grundsätzen des Christentums anpaßte und der Träger der Kirchengewalt als Träger der Staatsgewalt dies verbürgte, war diese Harmonie vorhanden." 71 Die Weimarer Republik habe dagegen „die Ubereinstimmung mit christlichen Grundsätzen ... bewußt und ausgesprochen aufgegeben" und begünstige als religionsfeindlicher und antichristlicher Staat „allenthalben Verstöße gegen die göttlichen Schöpfungsordnungen" 7 2 . Angesichts dessen sah Werner Wilm die Kirche in die Pflicht genommen, das Volk zu mobilisieren, daß es sich wieder einen nach christlichen Prinzipien eingerichteten Staat schaffe 73 . Da man aber bei der bestehenden Kirche „die Freudigkeit und den Willen zum K a m p f vermisse 74 , gelte es auch umgekehrt, „die erdrückende Mehrheit des Kirchenvolkes" 75 dazu zu bewegen, über die kirchlichen Körperschaften die Kirche in die gewünschte Richtung zu führen 7 6 . Eine bestimmte Kirchenpartei zu empfehlen, daran dachte Werner W i l m nicht. Offensichtlich nahm die konfessionelle Frage bei ihm keinen großen 69 Vertrauliche Mitteilung des Kirchenbundesamtes an Rendtorff vom 5.11.1932, handschriftlicher Entwurf (EZA Berlin, 1/A2/420). 70 W. WILM, Kampf, S. 17. 71 Ebd., S. 18. 72 Ebd., S. 19 und S. 4. 73 Ebd., S. 19. 74 Ebd., S. 4. 75 W. WILM, Krieg, S. 8. 76 Dies eben ist das Thema von Wilms Schrift „Der Kampf um die Kirche und die Kirchenverfassung".
Führende
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Personen
R a u m ein: „ F ü r d e n erbitterten K a m p f u m B e k e n n t n i s u n d D o g m a ,
der
n o c h v o r e i n e m M e n s c h e n a l t e r i m k i r c h l i c h e n L a g e r t o b t e , h a b e n in d e r T a t jetzt weite Kreise des Kirchenvolkes kein Verständnis mehr. E s sind g a n z andere S t ü r m e , die die G e m ü t e r bewegen, u n d die Stellung der K i r c h e zu Leben, Volk u n d V a t e r l a n d scheint vielen v o n weit größerer B e d e u t u n g zu sein als d e r S t r e i t u m B e k e n n t n i s u n d D o g m a . " 7 7 O b w o h l Werner W i l m der „Volkskirchlichen Evangelischen Vereinigung" a n g e h ö r t e , w a r i h m d e r „ B u n d f ü r d e u t s c h e K i r c h e " in m a n c h e m n ä h e r , j e n e r Kreis, der völkische G e d a n k e n in die evangelische K i r c h e h i n e i n t r a g e n wollte 7 8 . J e d e n f a l l s e m p f i n g er v o n d e m P f a r r e r M a x M a u r e n b r e c h e r , d e r e i n e Z e i t l a n g b e i d e n „ D e u t s c h k i r c h l e r n " a k t i v g e w e s e n war, e n t s c h e i d e n d e A n stöße u n d ü b e r n a h m dessen G r u n d g e d a n k e n 7 9 . S o bereitete i h m a u c h die Forderung, daß die Kirche den W ü n s c h e n der nationalen Kreise n a c h k o m m e n s o l l t e , k e i n U n b e h a g e n . W e n n sie e t w a S o n d e r g o t t e s d i e n s t e f ü r d e n „ S t a h l h e l m " a n b o t , e n t s p r a c h d a s s e i n e n I n t e n t i o n e n 8 0 . I n aller D e u t l i c h k e i t f o r m u l i e r t e er: „ W i r v e r l a n g e n v o n d e n O r g a n e n u n d d e n D i e n e r n u n s e r e r K i r c h e , ... daß uns das Evangelium
so gepredigt
werde,
wie wir es verstehen
und
w i e es s i c h in u n s a u s w i r k e n k a n n , u n d d a ß u n s d i e r e l i g i ö s e G r u n d l a g e u n s e -
77 78
W. WILM, Kampf, S. 22. Seine Mitgliedschaft bei der sogenannten „Mittelpartei" läßt sich schließen aus VER-
HANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE v o m 2 2 . 2 . - 1 2 . 3 . 1 9 3 0 ,
1 9 3 0 , Zweiter Teil,
S. 9, wo er als Stellvertreter des Synodalen Professor Dr.Resa aufgeführt wird, welcher nach ebd. S. 33 für die „Volkskirchliche Evangelische Vereinigung" kandidierte. In GLAUBE UND VOLK 1, 1932, S. 105 wird darüber hinaus festgehalten, daß viele Mitglieder der Volkskirchlichen „sich auch organisatorisch in diese [sc. die Christlich-deutsche] Bewegung hineingestellt" hätten. Zur theologischen Haltung der drei alten Kirchenparteien siehe jetzt E. LESSING, Zwischen Bekenntnis, S. 4 0 - 1 3 6 . Darstellungen zur „Deutschkirche" finden sich bei H. BUCHHEIM, G l a u b e n s k r i s e , S . 4 5 - 4 8 , K . M E I E R , K i r c h e n k a m p f , S . 7 0 - 7 3 , K . NOWAK, EV. K i r c h e , S. 2 4 7 - 2 5 0 . 79 Siehe die Hinweise in W. WILM, Kampf, S. 19 und W. WILM Krieg, S. 2. Die Rede von den „deutschen Propheten" in ebd., S. 7f. wurde übernommen von M. MAURENBRECHER, Heiland, S. 6 1 - 9 4 . Zu Maurenbrecher siehe den Nachruf ebd., S. 208 und den Aufsatz von
P a u l H a a r m a n n in D E U T S C H E S V O L K S T U M 1 2 , 1 9 3 0 , S . 9 1 2 - 9 1 6 . 80 Vgl. W. WILM, Kampf, S. 19f.: „Gerade in unserer Zeit gibt es Gruppen von Menschen, die auf Grund gemeinsamer Lebenserfahrung und Lebensauffassung auch religiös viel besser erfaßt werden, wenn man zu ihnen in einer Sprache spricht, die in ihren Geistern und Seelen den richtigen Widerhall findet, während zur örtlichen Gemeinde auch Menschen gehören, die für diese Sprache kein Verständnis haben, ja vielleicht Anstoß daran nehmen. Wenn nun eine solche, über mehrere Gemeinden sich erstreckende Gemeinschaft - als Beispiel sei einmal der Stahlhelm genannt - einmal einen eigenen Gottesdienst mit einem ihr genehmen Geistlichen verlangt, so ist mancher Gemeinde-Kirchenrat nur zu leicht geneigt, auf Grund des Gemeindeprinzips zu verlangen, daß der gemeinsame Gemeindegottesdienst bei dem dafür verordneten Geistlichen besucht werde ... Richtig aber ist es wohl..., in solchen Fällen einmal die örtliche Gemeinde durch die innere Gemeinde zu ersetzen oder, richtiger gesagt, zu ergänzen ..."
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
rer Gesinnung nicht verkümmert werde."81 Die Gefahr des Substanzverlustes fiir die Kirche ist angesichts einer solchen Äußerung spürbar. Politisch stand Werner Wilm in schärfster Opposition zu den Kommunisten, die er als Verbrecher und Sadisten ansah: „Sie sind der fleischgewordene Antichrist."82 Den Sozialdemokraten, „Marxisten sanfterer Färbung", lastete er den „Dolchstoß" in den Rücken des deutschen Volkes an83. Die Demokraten waren für ihn weltfremde Theoretiker84. Den Pazifisten warf er vor, daß ihnen „infolge ihrer seelischen Knochenerweichung die Unterordnung des deutschen Volkes unter fremden Willen richtiger und wichtiger erscheint als die deutsche Ehre"85. Recht täten demgegenüber solche Männer, die die Ehre der Nation über alles setzten. Werner Wilm dachte dabei an Otto von Bismarck und Helmuth von Moltke, an Ernst Moritz Arndt und Emanuel Geibel86. Scharfe antisemitische Ausfälle und - im Ersten Weltkrieg - das Eintreten fur einen Siegfrieden ergänzen das Bild, das von Werner Wilm aus den wenigen vorhandenen Quellen zu zeichnen ist87. Er war kirchlich engagiert und gläubig; aber sein Glaube war von seinen nationalen Empfindungen nicht getrennt, und das konnte dazu fuhren, daß politische Ansichten theologisch verklärt wurden. So hieß es: „Gott schuf das deutsche Volk und gab ihm mit besonderen Gaben auch besondere Aufgaben. Er senkte in unser Blut das heiße Empfinden für des deutschen Volkes Ehre und den entschlossenen Willen, sie zu schützen. Er verlieh den Deutschen wehrhaften Sinn, dessen sie mit Rücksicht auf die Lage ihres Landes in ganz besonderem Maße bedurften." 88
81
82
W. WILM, Krieg, S. 8.
Ebd., S. 3. Ebd. 84 Ebd., S. 3f. 85 Ebd., S. 5. 86 Ebd., S. 6. Otto von Bismarck (1815-1898) wurde von den Rechten immer wieder den regierenden Politikern der Weimarer Republik gegenübergestellt. Helmuth von Moltke (1800-1891) war als preußischer Generalstabschef militärischer Wegbereiter der Bismarckschen Politik. Ernst Moritz Arndt (1769-1869), Historiker und Politiker, warb in Liedern und Gedichten fiir die Erhebung gegen Napoleon. Emanuel Geibel (1815-1884), von Bismarck begeisteter „Reichsherold", schuf eine nationalistische Lyrik voller Pathos. 87 Vgl. ebd., S. 2: „Vom Alten Testament wollen wir schweigen, denn es ist in weiten Teilen ein Kriegsbuch, in dem auch der Krieg aus Eroberungssucht oder Habgier verherrlicht wird, soweit nur die Juden Vorteil davon haben. Heute fuhren die Juden diesen Krieg nicht mehr mit den Waffen, dafür aber mit anderen, grausameren Mitteln und mit unerhörter Zähigkeit und staunenswerter Zielklarheit. An die Stelle der Granaten treten goldene und silberne Kugeln und an die Stelle der Gasschwaden undurchdringliche Wolken von Lügen und einschläfernden Phrasen." Das Eintreten für einen Siegfrieden läßt sich aus ebd., S. 7 schließen. Es ist zu vermuten, daß Werner Wilm für die „Deutsche Vaterlandspartei" votierte, der sich 1917/ 18 zahlreiche Industrielle anschlossen (vgl. D. STEGMANN, Neokonservativismus, S. 220f.). 88 Ebd., S. 5. 83
Führende Personen
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1.2.2. Walter Wilm Über das Leben von Werner Wilms 1893 geborenem Sohn Walter lassen sich folgende Angaben machen, die ein wenig auch seinen Stand und seine Erziehung beleuchten: „Er ist geboren in Berlin, besuchte das Bismarckgymnasium in Berlin-Wilmersdorf und ging als junger Student als Kriegsfreiwilliger 1914 ins Feld. 1917 geriet er in französische Gefangenschaft, wo er drei Jahre blieb. Diese Jahre waren aber nicht verloren, da er dort Gelegenheit hatte, sich theologisch weiterzubilden. Seine theologischen Prüfungen legte er dann in Berlin ab, war ein Jahr lang Pfarrvikar an der Pfingstkirche zu Potsdam, sodann von 1923 bis 1927 Pfarrer in Beveringen und wurde alsdann zum Jugendpastor der Mark Brandenburg berufen. Als solcher hat er den Versuch gemacht, in jugendlichen Kreisen der verschiedensten Stände Arbeits- und Kampfgruppen, die sich um das Evangelium scharten, zu bilden." 89 Diese Hinweise lassen erkennen, daß Walter Wilm durch den Krieg nicht aus der Bahn geworfen wurde wie andere seiner Generation 90 . Das Kriegserlebnis wurde ihm vielmehr zur Bestätigung seines Glaubens, der vor allem das Vertrauen auf Gottes Vorhersehung und Berufung umschloß. Rückblikkend konnte Wilm selbst über seine Soldatenzeit sagen: „Wir haben in tiefstem Ernst unsere Pflicht getan, in heißer Liebe zu unserem Volk; und bei aller Sündhaftigkeit mit reinem Gewissen vor Gott. Wir haben kein Recht, die Gesetze der Geschichte zu korrigieren, sondern wir haben unsere Pflicht zu tun, auf dem Posten, den Gott uns anvertraut." 91 Eingezogen beim Holsteinischen Feldartillerie-Regiment 24 hatte er die Schlachten an der Aisne, der Somme und in der Champagne mitgemacht 92 , aufgrund der Gefangennahme jedoch den Zusammenbruch der Westfront 1918 nicht miterleben müssen. Und nach seiner Rückkehr 1920 hatte er das Studium wiederaufgenommen und sogleich in der Kirche Fuß fassen können; er bestand „die beiden theologischen Examina in Berlin mit I a", „war Lehrvikar bei Pfarrer Krummacher in Potsdam" und heiratete eine von dessen Töchtern 93 . 89
D I E VOLKSMISSION 11, 1 9 3 0 , S. 2 6 0 .
90
Vgl. etwa Ε. M. REMARQUE, Im Westen, S. 155: „Ich finde mich hier [sc. in der Heimat] nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt." 91
92
I n WAS HABEN WIR, S. 17.
Vgl. Wilms Kriegsranglistenauszug, in dem ausdrücklich erwähnt wird, daß er „unverschuldet" in Gefangenschaft geraten sei und würdig des „Eisernen Kreuzes" gewesen wäre. Eine Abschrift findet sich in ADW Berlin, CA 380/112. 93 Schreiben Füllkrugs an Seeberg vom 14.8.1930 (ADW Berlin, CA 380/112). Theodor Krummacher, der Sohn des Hofpredigers Adolf Krummacher, war 1910-1934 Pfarrer an der Pfingstkirche in Potsdam. Seine Frau Elisabeth Gräfin von der Goltz war die Tochter des Wirklichen Geheimen Rats Gustav Graf von der Goltz und die Schwester des Rüdiger Graf von der Goltz. Wilm trat durch seine Heirat somit in ein Verwandtschaftsverhältnis zu dem Führer der VvVD.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
Walter Wilm teilte die politische Ideenwelt seines Vaters. Er war glühender Monarchist und hielt auch nach 1918 zu Wilhelm II., den er sogar in seinem Doorner Exil aufsuchte 94 . Jeweils zum 27. Januar schickte er ihm einen Geburtstagsbrief, in dem er ihn anredete: „Allerdurchlauchtigster Kaiser! Allergnädigster Kaiser, König und Herr!"95 Die 1918 verkündete Abdankung Wilhelms II. hatte für Walter Wilm offensichtlich keine Gültigkeit, die Ausrufung der Republik war seiner Ansicht nach nicht legitim. Er war daher der Ansicht, daß Deutschland „in Todesgefahr" schwebe, „weil es der rechten Herrschaft entbehre" 96 . Als ausgebildeter Pfarrer formulierte er jedoch theologisch weniger unbedacht als sein Vater. Forderte dieser offen die Anpassung der Kirche an die völkische Gedankenwelt, so achtete sein Sohn darauf, daß die Botschaft der Kirche nicht verfälscht wurde. Er wollte eine „rein auf Glauben gegründete Kirche", „die sich in kein Hörigkeitsverhältnis begibt" und „unbestechlich, weder Staat noch öffentlicher Meinung unterworfen, noch großen Wirtschaftsmächten ... dienstbar, sondern einfach gottgehorsam" sein sollte97. Die Zeit des Summepiskopats wurde daher auch etwas kritischer gesehen: „Das war die Gefahr des Landeskirchentums, daß man mit Gottes Glanz irdische Einrichtungen umkleidete." 98 Die Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Kirche wurde jedoch gelegentlich überdeckt durch die große Aufgeschlossenheit für die nationalen Parteien und Verbände. Walter Wilm erkannte sogar selbst, daß bei ihm - wie er es vorsichtig formulierte - „nicht in jedem Falle sämtliche Zentralwahrheiten der Dogmatik zur Verkündigung kommen" 99 . So hielt er auf der Reichstagung der „Deutschvölkischen Freiheitsbewegung" von 1930 einen Gottesdienst, in dem er „Deutschtum und Christentum zu einer innerlichen Gemeinschaft vereinigte. Es war für alle Anwesenden ein erlösendes Symbol, in der Predigt des Pfarrers Wilm die Wirkung des völkischen Geisteskampfes zu spüren, als er sich zu den heiligen Aufgaben der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung gegen die überstaatlichen Gewalten offen bekannte." 100 Mit diesem Auftritt brachte sich Walter Wilm in die Nähe zur „Deutschkirche", die ihrerseits der „Deutschvölkischen Freiheitsbewegung" eng ver94 Das geht aus dem Schreiben Wilms an Wilhelm II. vom 16.1.1931 hervor (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96). 95 So in der in A n m . 94 genannten Quelle. 96 Dies äußerte er anläßlich einer Kaisergeburtstagsfeier, die vom „Bund der Aufrechten"
v e r a n s t a l t e t w u r d e ( D E R REICHSBOTE 6 0 / 2 3 , 2 7 . 1 . 1 9 3 2 , S. 3 ) . 97
DEUTSCHE ZEITUNG 35/294b, 16.12.1930, S. 3. Siehe auch Anm. 98. DER REICHSBOTE 59/96, 22.4.1931, Beilage „Kirche und Schule" S. 1. Wilm war hier gewiß von O t t o Dibelius beeinflußt: siehe R. STUPPERICH, Dibelius, S. 187. 99 W. WILM, Arbeit, S. 144. 100 DEUTSCHE NACHRICHTEN 5/37, 14.9.1930, S. 3. Unter den „überstaatlichen Gewalten" verstand die „Deutschvölkische Freiheitsbewegung" vor allem den Ultramontanismus, den Marxismus und das Judentum, denen sie ein gemeinsames Komplott gegen die Errichtung eines völkischen Staates zutraute. 98
Führende Personen
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bunden war101. Überhaupt schätzte er an den „Deutschkirchlern" das Streben nach einer den Deutschen gemäßen Frömmigkeit: „Auch uns ist es selbstverständlich, daß sich das Christentum mit jedes Volkes Seele in besonderer Art verbindet und daß daher die christliche Frömmigkeit der Deutschen einen anderen Charakter haben muß als die christliche Frömmigkeit der Russen oder Amerikaner." 102 Er ging sogar in der Auffassung der Offenbarung teilweise mit der „Deutschkirche", wenn er schrieb: „Die Christlich-deutsche Bewegung verengert [sie!] den Begriff der Offenbarung nicht auf den Buchstaben der Bibel. Sie bekennt sich dankbar zu den großen Offenbarungen Gottes in Natur und Geschichte: auch in der Geschichte des deutschen Volkes, seinen Märchen und Mythen, seinen großen schöpferischen Männern. Alle diese Fragen und Forderungen sind der Deutschkirche und der Christlich-deutschen Bewegung gemeinsam." 103 Andererseits wußte sich Walter Wilm von der „Deutschkirche" geschieden, wenn er die Betonung auf die „vollkommene" oder „absolute" Offenbarung legte, von der die Bibel zeuge und die Reformation ausgegangen sei. Er stellte daher klar: „Das Deutschchristentum [der,Deutschkirche'] setzt als letzte Instanz nicht die Autorität der Offenbarung, die im Glauben an Christus ergriffen wird, sondern das Volkstum auf rassischer Grundlage. Wir leugnen weder die Bedeutung der Rassenfrage noch des Volkstums ..., aber wir müssen bestimmt und klar dagegen kämpfen, bei allem herzlichen Verbundensein im deutschen Geist, daß sich das Geschöpf über den Schöpfer erhebt... Es steht im Grunde positives reformatorisches Christentum gegen einen religiösen deutschen Idealismus auf arisch-germanischer Grundlage, der aus dem Christentum bestimmte, ihm zusagende Teile beibehalten will. So wird der Mensch das Maß aller Dinge. Und die absolute Offenbarung Gottes in der Bibel, gültig für alle Völker, wird aufgelöst. O b dieser religiöse Idealismus ahnt, wie nahe er dem Geiste der Aufklärung steht, die er mit Recht so bestimmt ablehnt?" 104
Bei dieser Frontstellung gegen die „Deutschkirche" fragt es sich, wie Walter Wilm die Verbindungslinien zu den nationalen Bewegungen und Parteien schlagen wollte. Wie konnte er dem Nationalismus entgegenkommen, ohne Abstriche am Evangelium vorzunehmen? Es gelang ihm einfach dadurch, daß er den „Glauben der Väter" 105 hochhielt! In der reformatorischen Weltsicht lag etwas, was er in der Gegenwart nur zu aktualisieren brauchte. 101
Nach ebd., S. 2 sandte die „Deutschkirche" ihre Vertreter zur „völkischen Reichstagung" von 1930. Eine kurze Darstellung der „Deutschvölkischen Freiheitsbewegung" bietet M . WEISSBECKER, Deutschvölkische Freiheitspartei, S. 554-556. Die in ihr maßgebliche Haltung zur Religion ist am besten zu erheben aus: A. GRAEFE, Harmonie, sowie GLAUBE UND VOLK 1, 1 9 3 2 , S. 5 2 - 5 4 . 102
W . W I L M , D e u t s c h c h r i s t l i c h , S. 2 5 3
103
GLAUBE UND VOLK, W e r b e h e f t 1 9 3 1 , S. 13.
1M
W. WILM, Deutschchristlich, S. 254f. Ebd., S. 254.
105
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
K n ü p f t e er an die lutherische Rede von den weltlichen Ordnungen an, so hatte er unmittelbar Zugang zu den konservativen und völkischen Kreisen, an die er sich wandte: „Auch die irdische, vergängliche Welt ist Gottes, trotz des Abfalls und der Schuld der Menschen. In ihr gelten die Ordnungen, die der Schöpfer in diese Welt hineinlegte. Die Ordnungen dieser Welt sind durch das Reich Gottes nicht aufgehoben. Und wir Christen sind .Wanderer zwischen zwei Welten' - beide Welten aber sind Gottes. Es ist nicht die Aufgabe der Christen, die Welt mit ihren Völkern und Staaten als Reich Gottes auf Erden zu organisieren und etwa den Völkerbund und Internationale Kongresse als Anfänger einer Verwirklichung des Reiches Gottes zu preisen ... Aufgabe der Christen ist es vielmehr, Gehorsam gegen den Schöpfer und das Gesetz seiner Schöpfung zu üben. Wir haben uns nicht geschaffen, sondern wir sind geschaffen worden, als Mann oder Weib, in Ehe, Familie, Stand, Volk, Rasse, Staat. Die Christlich-deutsche Bewegung erkennt es als ihre besondere Aufgabe, dem erwachenden Deutschland die Grundordnungen auch des deutschen Lebens als Schöpfungsordnungen Gottes begreiflich zu machen. Der Kampf um die Sicherung und Neugestaltung dieser Ordnungen ist Gottesdienst. Es gibt keine fromme Flucht aus dieser Verantwortung, in die ausschließliche Sorge um das persönliche Heil oder in eine weitabgewandte Erbaulichkeit ... Das Evangelium enthält keine Verneinung der Staaten und Völker, es enthält auch keine Verneinung der Politik und ihrer Kampfmittel in Krieg und Frieden. Das Evangelium fordert Gehorsam gegen Gott und seine Ordnungen und ein Handeln in der Bindung an Gottes Ordnungen." 106 Die Rezeption einiger lutherischer Kernsätze ist offensichtlich, auch wenn Wilm sich etwas einseitig am reformatorischen Ordnungsverständnis orientierte, um seine Stellung zu Staat und Stand zu markieren. Immerhin ließ er hin und wieder durchblicken, daß der Geltungsbereich der weltlichen Ordnung für ihn durchaus eine eschatologische Grenze hatte: „Gerade als Deutsche und Erben der Reformation ergreifen wir dankbar die klare Unterscheidung des Neuen Testamentes zwischen dieser Welt und der künftigen Welt. Mit Jesus Christus ist eine andere Welt in diese Welt eingetreten, auf deren Vollendung wir warten." 1 0 7 Freilich wurde diese religiöse Überzeugung wiederum, wie die obige Anspielung auf Walter Flex' „Wanderer zwischen beiden Welten" erkennen läßt 108 , durch eine jugendbewegte Deutung von Zeit und Ewigkeit erweitert. GLAUBE UND VOLK, Werbeheft 1931, S. 13. Ebd. 108 In dem genannten Buch verhalf der Schriftsteller und Kriegsfreiwillige Walter Flex (1887-1917) der deutschen Jugend zu ihrem Idol, indem er seinen Freund Ernst Wurche (1894-1916) als makellosen Helden hinstellte. Der Theologiestudent, der als Frontoffizier diente und bei einem Sturmangriff fiel, war der Erzählung zufolge ein der Erde und dem Himmel gleich Naher, ein dem Naturhaften und dem Geistigen gleich Verpflichteter. Diese Verwurzelung in beiden Welten nahm sich unbestreitbar auch Wilm zum Vorbild. Daher wird er auch Luthers Rede von den zwei Reichen nach dem Muster des gleichzeitigen „Wandems" im Sichtbaren und Unsichtbaren verstanden haben. 106 107
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So ließ Wilm die lutherische Einsicht in die Vorläufigkeit des irdischen Daseins in die Forderung der Hingabe des Einzelnen an „Volk" und „Vaterland" aufgehen, die ihm die Flex-Lektüre vermittelt hatte. Damit erfuhren diejenigen Gegebenheiten eine Steigerung, die sich dem Anschein nach nicht der „Selbstherrlichkeit des einzelnen Menschen" verdankten 109 , sondern den Eindruck tatsächlicher, gottgeschaffener Bindungen erweckten, die über den menschlichen Egoismus hinauswiesen. Alles dagegen, was — wie Verfassung und Verträge - als Menschenwerk erkenntlich war, verfiel dem Verdikt der Endlichkeit. Daß aber auch „Ehe", „Stand" und „Staat" auf menschliche Tätigkeit zurückgeführt werden konnten, kam Wilm offenbar nicht in den Sinn. Und sicherlich sah er auch in „Volk" und „Rasse" weit mehr als bloße Gedankenbildungen idealistischen bzw. naturalistischen Gepräges. Man sollte sich allerdings bewußt machen, daß die genannten Größen in den 20er und 30er Jahren nur von wenigen kritischen Geistern, die zumeist dem Liberalismus oder dem Marxismus zuzuordnen sind, hinterfragt worden waren. Umgekehrt war die Familien- und Ständeordnung - insbesondere auf dem Lande oft noch so stabil, daß sie als unveränderlich hingenommen werden konnte. Idealistische Parolen, die „Volk" und „Volkstum" als das eigentlich Maßgebliche darstellten, waren nach wie vor in weiten Schichten der Gesellschaft verbreitet. Schließlich schlug eine sich als seriöse Wissenschaft gebärdende Rassenforschung viele Menschen in ihren Bann. Es war daher durchaus angebracht, daß Walter Wilm „ein Wort Gottes über Eigentum, Stand, Rasse, Volk, S t a a t " " 0 zu formulieren suchte. Wenn die Kirche dazu schwieg, würden andere die sittliche und religiöse Haltung vorgeben: „... dann werden die einzelnen Gruppen der nationalen Bewegung durch ihre kulturpolitischen Ausschüsse zur Selbsthilfe schreiten, und es könnte zur Einmischung politischer Gruppen in das ureigenste Gebiet kirchlichen Lebens kommen." 1 1 1 Dieser Hinweis sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Walter W i l m d e m Eintreten für Rasse und Volk grundsätzlich nicht widersprechen wollte. Er meinte allerdings, daß allein solche Menschen diesen Größen richtig dienen könnten, „die nicht mehr an Selbsterlösung glauben und einem zuletzt oberflächlichoptimistischen Fortschrittsglauben huldigen, die aber dafür sich ganz der G n a d e Gottes anheimgeben, im Tiefsten davon durchdrungen, daß nicht Fortschrittsfähigkeit, sondern Erlösungsbedürftigkeit das Kennzeichen des Menschengeschlechtes ist. D a s sind dann die Menschen des Friedens mit G o t t und der äußersten Härte in Dienst und Opfer. D i e reformatorisch-biblischen Menschen, die auf dem Trümmerund Leichenfeld des Dreißigjährigen Krieges ein Neues bauten, die mit d e m Liede
109
GLAUBE UND VOLK, W e r b e h e f t 1 9 3 1 , S. 12.
110
W. WILM, Deutschchristlich, S. 2 5 3 .
M
W WILM, Arbeit, S. 143.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
,Ο Gott, du frommer Gott' der Schlacht von Leuthen entgegenmarschierten, um nur zwei geschichtliche Bewährungen herauszugreifen.""2
Diese Äußerung zeigt erneut, daß sich Walter Wilms Nationalismus auf „preußischen" Idealen und „lutherischer" Ordnungsliebe aufbaute, welche nicht erst von ihm zu einem „christlich-deutschen" Ganzen zusammengefaßt worden waren" 3 . Der Vorwurf, er habe das Christentum umgebogen oder aus dem Nationalen eine Religion gemacht, würde ihm nicht gerechtwerden, weil er sich nicht an einen deutschen Gott oder eine Vergötterung der Deutschen hielt, sondern an das biblisch-reformatorische Evangelium, wie er es sah114. Nach Wilm gehörte es eben zu dessen Wesen, den Christen in den politischen Raum hineinzusenden, damit dieser dort den rechten Ordnungen diene. Das Evangelium sollte die Politik gerade nicht der Eigengesetzlichkeit überantworten115. Außerdem verbürgte es noch ein weiteres. Walter Wilm sah die Verunsicherung der Menschen „im Chaos unserer Gegenwart"116, er spürte die „Krise", die ausging vom Zusammenbruch der optimistischen „Kulturseligkeit"117, die noch die Vorkriegsära beherrscht hatte. Und er beschrieb sicherlich auch seine persönliche Erfahrung, wenn er angesichts dessen eine Sehnsucht „nach Offenbarung und fester Autorität im Wirrwarr der menschlichen Meinungen" feststellte118. Diese eben erfüllte ihm das Evangelium, wie es ihm durch die Tradition überliefert war. Es war damit auch so etwas wie die Flucht von dem schwankenden Boden autonomer Selbstvergewisserung auf den vermeintlich festen Boden der Transzendenz.
112
W
W I L M , D e u t s c h c h r i s t l i c h , S. 2 5 4 .
113
Der gleiche reformatorisch-nationalistische Ideenkomplex läßt sich schon für die Zeit des deutsch-französischen Krieges ausmachen; vgl. W. TILGNER, Volk, S. 138. Seine Wurzeln dürften aber tieferliegen und mindestens bis ins Jahr 1813 reichen. Hier ist m i c G . GRAF, Mit Gott, S. 491—497 besonders an die Predigt der Befreiungskriege und deren fortlaufende Rezeption im 19. Jahrhundert zu erinnern. F. W. GRAF, Schmerz, S. 458f. bemerkt zudem: „Entstehung und Gestaltwandel des politischen Nationalismus sind in Deutschland stark vom Protestantismus geprägt... Wo immer im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eine spezifische deutsche kulturelle Identität formuliert wird, ist die Reformation das grundlegende Orientierungsdatum ... Deshalb ist der Nationalismus auch nicht als bürgerliche Ersatzreligion, sondern als protestantisch geprägte Zivilreligion zu deuten." 114 W. WILM, Arbeit, S. 143: „Im Mittelpunkt aller Verkündigung bleibt die Botschaft vom Kreuz, die Botschaft von der rettenden und vergebenden Gnade Gottes in Jesus Chris t u s . " Ä h n l i c h a u c h W . W I L M , D e u t s c h c h r i s t l i c h , S . 2 5 3 u n d GLAUBE UND V O L K 2 , 1 9 3 3 , S .
50. 115 Dies war eher das Proprium liberalen Denkens. Erinnert sei an Friedrich N a u m a n n (1860-1919) und an Rudolph Sohm (1841-1917), der die äußere Rechtsordnung eben nicht als Wirkungskreis des Evangeliums bestimmte. 116
GLAUBE U N D V O L K , W e r b e h e f t 1 9 3 1 , S . 1 2 .
117
DEUTSCHE ZEITUNG 3 5 / 2 9 4 b , 1 6 . 1 2 . 1 9 3 0 , S. 3.
1,8
GLAUBE U N D V O L K , W e r b e h e f t 1 9 3 1 , S . 1 2 ; v g l . GLAUBE UND V O L K 2 , 1 9 3 3 , S . 5 0 .
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1.2.3. Ewald von Kleist-Schmenzin Weit mehr als über Vater und Sohn Wilm läßt sich über den nominellen Führer der C d B ausmachen. Durch die gründliche Biographie, die Bodo Scheurig 1968 vorgelegt hat 1 ", erfahren wir wichtige Einzelheiten über Leben und Lebensumstände des Ewald von Kleist. Dabei wird die Einheit von konservativem Milieu und konservativer Weltanschauung und Politik, die die C d B auszeichnete, besonders anschaulich. Zugleich kann Kleist als Beispiel für das junkerliche Element in der C d B dienen, auf das diese sich bis zuletzt in hervorragendem Maße stützen konnte. Der 1890 Geborene wuchs in einer intakten Umgebung und in einer festgefügten Gesellschaft auf. Das Gut seiner Eltern lag im ländlichen Hinterpommern und war weit entfernt von der Unruhe der Großstädte. Die ständische Ordnung galt als selbstverständlich, ebenso die Treue zur Monarchie und zur Religion. Die Kräfte der Beharrung waren auf allen Gebieten mächtig und machten die Heimat von Ewald von Kleist zu einem Bollwerk gegen die Modernisierung: herkömmliche Agrarwirtschaft stand gegen kapitalistische Industriewirtschaft, Miteinander der Stände gegen Auseinandersetzung der Klassen, monarchistischer Legitimismus gegen Liberalismus, Frömmigkeit gegen Aufklärung 120 . In der Religion spiegelte sich die äußere, patriarchalische Ordnung wider: Gott war vor allem der Herr, der unbeeinflußbar alles vorherbestimmte und ordnete 121 . Der Glaube war dementsprechend der Akt der Unterwerfung unter seine Autorität, dabei nicht ein Fürwahrhalten dogmatischer Formeln, sondern schlichter Gehorsam' 2 2 . Dieses Christentum wirkte umgekehrt zurück auf die Politik. Ewald von Kleist bekannte: „Das ist nämlich das Geheimnis des Preußentums..., daß hier der Glaube die bisher vollkommenste politische Darstellung gefunden h a t . . . Es kann nicht oft genug betont werden, daß das Wesen des Preußentums in der ... Pflicht liegt. Pflichterfüllung aber ist gar nichts anderes als die bedingungslose Unterwerfung des ganzen Menschen unter ein geglaubtes höheres, nicht von Menschen gemachtes Gesetz, d. h. auch die Nation ist nicht der letzte Maßstab, sondern G o t t . . . Es kann keinen unbedingten Glauben an Menschen geben, sondern nur an Gott. Siehe Literaturverzeichnis. Hierzu B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 15f. Über Pommern auch R. v. THADDENTRIEGLAFF, A u f verlorenem Posten, S. 78f. 121 Vgl. B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 45. 122 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Glaubt ihr nicht, S. 2 6 9 : „Glaube hat mit Fürwahrhalten nichts zu tun. G l a u b e ist nichts anderes als unbedingter Gehorsam gegen G o t t und unbedingtes Vertrauen ... damit sind Bekenntnisstreitigkeiten ... Fragen zweiter O r d n u n g ... D a s aber ist die Gefahr aller Kirchen, daß sie das Bekenntnis, also Menschenwerk, an Stelle des Glaubens in den Mittelpunkt rücken. D a s bedeutet aber Abfall v o m Christentum, Abfall v o m Glauben, und ist Pharisäertum." 119
120
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
Das ist die segenbringende Größe der preußischen Könige gewesen, ... daß sie keine Verehrung fur sich forderten, sondern auch sich bedingungslos unterwarfen dem göttlichen Gesetz und nur vor ihm Verehrung und Unterwerfung forderten."123
Das Studium an den Universitäten Leipzig und Greifswald veränderte die Einstellung des Ewald von Kleist nicht mehr. Als Jurastudent beschäftigte er sich zwar mit der Problematik der Landflucht, die die ländlichen Traditionen zu zerstören drohte; die von ihm empfohlene Gegenmaßnahme zeigte jedoch, daß er aus seiner ererbten Weltanschauung nicht herauskam: der Glaube an Gott sollte die Landarbeiter davon abhalten, den Lockungen der Stadt zu widerstehen 124 . Selbst der Erste Weltkrieg, der bei Unzähligen überlieferte und liebgewonnene Ansichten zertrümmerte 125 , führte Kleist nicht zum Umdenken. Sein Konservativismus war „längst... in ihm so tief verwurzelt, daß nicht einmal der Krieg seine Weltanschauung anzutasten vermochte" 126 . Auch die Revolution machte ihn nicht irre: er wurde einfach „zu einem Royalisten ohne König" 127 . Dementsprechend herrschte er auch in der Republik über sein Gut von 18.000 Morgen 128 wie der Statthalter eines Monarchen und erklärte: „Solange der König von Preußen widerrechtlich an der Ausübung der Regierung gehindert ist, übernehme ich diese hiermit stellvertretend für Schmenzin." 129 Man würde sich allerdings falsche Vorstellungen machen, wenn man von der Größe des Besitzes und dem Standesbewußtsein des Besitzers auf einen Adeligen schließen würde, der ein luxuriöses Leben führte. Kleist verachtete Standesgenossen, die ihren Reichtum der Prunksucht opferten 130 . Ihm war auch nicht der Glanz des wilhelminischen Hofes Vorbild131, sondern die Schlichtheit und Sparsamkeit, die Friedrich II. ausgezeichnet hatten 132 . Die preußische Tugend der Bescheidenheit, die dem kargen Boden Pommerns entsprach, ging dabei eine eigenartige Verbindung ein mit dem Hochmut des Rittergutsbesitzers, der glaubte, zum Führen geboren zu sein. Ewald von Kleist meinte nämlich, „daß der EigentumsbegrifF, insbesondere bezüglich des Grundbesitzes, nicht nur den Acker, die Gebäude usw. umfaßt, sondern vor allem auch die Herr123
Ebd., S. 271. Diese Wertung des Preußentums wurde Ewald von Kleist sicherlich schon durch seine Ekern beigebracht; vgl. B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 12f. 124 Ebd., S. 22. 125 Vgl. etwa Ε. M . REMARQUE, Im Westen, S. 17. 126
B . SCHEURIG, K l e i s t - S c h m e n z i n , S . 2 4 .
127
Ebd., S. 26. Siehe auch E. NIEKISCH, Erinnerungen, S. 246: „Nie verbarg er, Monarchist zu sein; in Gesellschaft widmete er sein erstes Glas Seiner Majestät dem Kaiser und König." 128 Ebd. 129 Zitiert nach B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 32. 130 Hierzu ebd., S. 42. 131 Ebd., S. 21. 132 Eine seiner Parolen lautete: „Der Geist des friderizianischen Preußens ist nicht erstorb e n " ( E . v . KLEIST-SCHMENZIN, G r u n d s ä t z e , S . 2 5 4 ) .
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schaftsstellung, die keine privatrechtliche Angelegenheit ist". Sie sei vielmehr „die Verpflichtung der Allgemeinheit gegenüber, und eben nicht in erster Linie in volkswirtschaftlicher, sondern in politischer Hinsicht. Unter einer Staatsführung, auf deren staatspolitischen sittlichen Gehalt das Land keinen Einfluß hat, verkümmert das Volk ... Hier liegt Pflicht und Notwendigkeit des Großgrundbesitzes." 133
Konkret erschöpfte sich die politische Mission der Herrenschicht nach Kleist darin, die überlieferte Ordnung wieder aufzurichten. Dabei ist bemerkenswert, daß keineswegs an eine Wiederherstellung der Zustände von vor 1914 gedacht war. Die Wurzeln des Verderbens sah Kleist nämlich schon im Kaiserreich gelegt: „Die Gründerjahre zeigen, wie erschreckend weit der Geist des Materialismus schon eingedrungen war. Hätte man es zulassen dürfen, daß die Industrialisierung Deutschlands sich so vollzog, wie es geschah? Damit das deutsche Volk bald reich werde, die Volkswirtschaft sich hebe, ließ man es zu, daß Industrie und Handel aufblühte um den Preis, daß die Arbeiter unter Lebensbedingungen zusammengepfercht wurden, unter denen die Seele ... verderben mußte ... unter der Herrschaft liberaler Ideen ließ man den Geist des Liberalismus sich verhängnisvoll auswirken ... Die Frucht der Politik des Geschehenlassens war zwar Reichtum, aber auch die Macht der Sozialdemokratie, die in Verkennung ihres wahren Feindes den Staat gestürzt hat." 134
Statt an eine Neuauflage der früheren Verhältnisse war an eine Reaktion radikaler Art gedacht: der Liberalismus sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Daher sollten die Konservativen nicht wie im alten Staat in der Defensive stehen. Es galt, das auch in ihren Reihen eingedrungene liberale Gedankengut auszumerzen, sie zu einen und dann den geschlossenen Angriff auf Weimar als das System des Liberalismus einzuleiten: „Fort mit dem System oder wir sind alle verloren!"135 Das Reich, das nach Beseitigung der Republik errichtet werden sollte, wäre dann von Grund auf konservativ gewesen. Es wäre das „Vaterland" gewesen, das man dem „System" als Ideal gegenüberstellte136. Ewald von Kleist wollte einen echten Machtstaat unter preußischer Führung mit einem Hohenzollernkönig an der Spitze.137 Durch Privilegien und weitreichende Selbstver133
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 2 / 3 0 0 b ,
1 5 . 9 . 1 9 2 9 , S . 1; v g l . E . v .
KLEIST-
SCHMENZIN, Grundsätze, S. 249f. 134 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 7f.; vgl. E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Glaubt ihr nicht, S. 271: „Schon in der Vorkriegszeit haben die verantwortlichen Leiter des Staates über unverzichtbare Dinge Kompromisse geschlossen und nannten das ,mit der Zeit mitgehen'. Der Erfolg war der Zusammenbruch des Staates und die Revolution." 135 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 11. 136 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Grundsätze, S. 252: „Der Feind des Vaterlandes ist das System." Die von Κ. SONTHEIMER, Antidemokratisches Denken, S. 244ff. genannten Leitworte der Republiksgegner müßte um diesen ideologischen Begriff des „Vaterlandes" ergänzt werden. 137 B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 70. Das Staatsideal wurde besonders in E. v. KLEIST-
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D i e Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
waltung hätten die ländlichen, bodenständigen Kräfte ihren Einfluß geltend machen können, während die Städte zurückgedrängt worden wären 138 . In diesem K a m p f sah er sich allerdings großen Schwierigkeiten gegenüber. Auf der einen Seite war die Republik nicht so leicht zu beseitigen, wie er es sich gedacht hatte. Das Scheitern des Kapp-Putsches von 1920, an dem er sich aktiv beteiligt hatte 139 , desillusionierte. Vor allem aber waren die Gegner Weimars keineswegs so einig, wie Kleist das wünschte. Die DNVP, der er selbst angehörte, war keine straff aufgebaute und mit einheitlicher Maxime ausgestattete antirepublikanische Kampffront, sondern eine Integrationspartei, die heterogene Elemente von rechts vereinte. Neben Leuten wie Kleist, die vormals der „Deutschkonservativen Partei" angehört hatten, fanden sich hier dem Fortschritt aufgeschlossenere Freikonservative, Christlich-Soziale, rechte Nationalliberale, imperialistische Alldeutsche und völkische Antisemiten 140 . Auch sozial setzte sich die D N V P aus verschiedenen Gruppen zusammen: Schwerindustrielle standen neben Mittelständlern und Angestellten, die ostelbischen Junker waren in ihr nicht die dominierende Kraft 141 . Entsprechend ihrer Zusammensetzung war auch die Politik der Deutschnationalen nicht einheitlich. Am auffälligsten war das Schaukeln zwischen intransigenter Opposition gegen die Weimarer Republik und taktischer Mitarbeit am neuen Staat. Als die Partei sich zeitweilig an der Regierung beteilig-
SCHMENZIN, Revolution, S. 6f. beschworen: „Der Staat ... ist ein hohes sittliches Gut, die Voraussetzung der Existenz eines Volkes ... Er setzt der Willkür, der Interessenvertretung, allen wilden und schlechten Trieben der Menschen erst Grenzen. In höchster Gerechtigkeit hat er jedem das Seine zu gewähren ... Ohne ihn ist keine Gesittung und Kultur ... denkbar. Darüber hinaus hat er ... positive Aufgaben für die Erziehung des Menschengeschlechts ... Ein Staat, der seiner Aufgabe ins Gesicht schlägt, sein Volk planmäßig entsittlicht, das Rechtsbewußtsein durch Ungerechtigkeit zerstört, sein Wesen, das Macht nach innen und außen ist, verleugnet und damit den Bestand des Volkes gefährdet, hat sein Daseinsrecht verwirkt und muß beseitigt und durch einen anderen ersetzt werden." 138 Näher wurden diese Zukunftsvorstellungen nicht ausgeführt. Ihre Realitätsferne verrät jedoch einiges über die „Enge des Horizonts", die das preußische Junkertum auszeichnete (vgl. J. FLEMMING, Konservativismus, S. 301). Sollte etwa die industrielle Revolution rückgängig gemacht werden? Ahnlich anachronistisch muten auch Kleists Vorschläge zur Lösung der sozialen Frage an (E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Grundsätze, S. 249): „Erst, wenn die Arbeitgeberschaft die Arbeiter als Menschen, für die sie verantwortlich sind [ s i e ! ] , ansieht und nicht nur als Produktionsfaktor, und für ihre Wirtschaft auch noch ein anderes Interesse hat als nur das des Geldverdienens, kann die soziale Frage gelöst werden. Allerdings auch erst dann, wenn die Arbeiterschaft ihrerseits die Ungleichheit unter den Menschen und in den Besitzverhältnissen als göttliche und darum gerechte Weltordnung betrachtet." Dazu J. FLEMMING, a.a.O.: „Sozialpolitik, die die Grenzen patriarchalischer Fürsorge sprengte, stand nicht zur Debatte." 139 Hierzu B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S.38. 140
V g l . W . H . KAUFMANN, M o n a r c h i s m , S . 5 4 ; D . STEGMANN,
Neokonservativismus,
S. 224f. und W. RÜGE, Deutschnationale Volkspartei, S. 487. 141 Eine soziologische Analyse der D N V P vom Standpunkt der DDR-Historiographie findet sich ebd., S. 483-486.
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te, nahm der Schmenziner Abstand von ihr142. Erst als Alfred Hugenberg ihr Vorsitzender wurde und die D N V P auf Feindschaft gegen das „System" einschwor, sah Kleist sie wieder als seine Partei143. Dabei ist zu bemerken, daß sein Kampf gegen Weimar ebenfalls zwei Komponenten hatte: einerseits wollte auch er eine verschiedene Schichten umgreifende vaterländische Einigung, andererseits spielte er mit dem Gedanken einer konservativen revolutionären Elite. Daher konnte man auch bei ihm ein eigenartiges Schwanken ausmachen. Gegen Weimar suchte er, „alle zu sammeln, die die gemeinsame Gegnerschaft verbindet" 144 , dann aber erklärte er: „Es kann eine zahlenmäßig sehr schwache Minderheit genügen, wenn sie geschickt und rücksichtslos entschlossen geführt wird. Der Versuch, die Basis auf Kosten der Unbedingtheit zu verbreitern, wird sogar in der Regel ein grober Fehler sein."145 Diese Haltung macht das Vorgehen des Junkers in den letzten Jahren Weimars verständlich. Er versuchte, eine nationale Bewegung zu sammeln, die das Parteienschema überwand. So Schloß er sich 1930 dem Reichsausschuß für das Volksbegehren gegen den Young-Plan an146. Er wußte aber diesen Einigungsbemühungen stets Grenzen zu ziehen, wenn dabei seine weltanschaulichen und religiösen Grundsätze gefährdet wurden. Zum Schibboleth wurde ihm das Eintreten „für die rechtmäßige Monarchie der Hohenzollem" 147 . Doch ebensowenig wich der prinzipientreue Junker von seinem Bekenntnis: „Die nationale Revolution muß eine religiös-konservative sein."148
142
Vgl. E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 19f. Vgl. ebd. und E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Gegen den Klub, S. 150: „Erst mit dem Jahre 1928 begann ein nationales Erstarken und damit begann der Kampf gegen die Harmlosigkeit ... Der von Hugenberg erzwungene Kurswechsel der Deutschnationalen machte den Anfang mit der, zunächst parlamentarischen, Säuberung." Den gemäßigteren „Volkskonservativen" um Kuno Graf von Westarp, die sich von Hugenberg abspalteten, sprach Ewald von Kleist im N a m e n des „Konservativen Hauptvereins" das Konservativ-Sein rundweg ab (NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 82/388b, 12.12.1929, S. 1). 144 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Revolution, S. 8; vgl. ebd.: „... angesichts der drohenden Gefahr [sc. eines Bürgerkriegs] gilt es, reale Macht zu sammeln, die sich durchzusetzen vermag. D a r u m jeder Einzelne: Hinein in alle Volksschichten und heran an alle in Frage kommenden Organisationen." 145 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 32. 146 Hierzu B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 85. Kleists Teilnahme am Reichsausschuß findet sich auch durch J. GOEBBELS, Tagebücher, Bd. 1, S. 506, Eintrag vom 28.2.1930, bestätigt. Es m u ß daran erinnert werden, daß in diesem Ausschuß die N S D A P erstmals von den Konservativen als gleichberechtigter Partner anerkannt wurde. Die Nationalsozialisten wurden dadurch im Wortsinne „salonfähig". 147 NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 84/263b, 20.9.1931, S. 3. Z u m Monarchismus siehe auch B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 98. 148 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 36. Sie sollte daher auch vom Lande ausgehen, wo noch an gewachsene Strukturen und einen unverfälschten Glauben angeknüpft werden konnte (ebd., S. 16). 143
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Dabei galt ihm die Politik als Bewährung der Religion, die Religion als Fundament der Politik 149 . Danach mußte es stets seinen Einspruch herausfordern, wenn die Rechten vom Glauben ließen. Denn das auf „Vernunft", „Diesseitigkeit" und „Materialismus" aufgebaute System von Weimar war seiner Ansicht nach nur zu beseitigen, wenn die weltanschaulichen „Begründungen aus der entgegengesetzten Anschauungsweise" genommen wurden, „der religiösen, von der allein der konservative Staatsgedanke mit allen seinen Folgerungen zu erhärten ist" 150 . Der pommersche Rittergutsbesitzer griff daher unter den Rechten alle die an, die neuheidnische Ideen vertraten oder einem naturalistischen Rassismus huldigten. Solche gefährdeten seine „konservative Revolution", welche er als vollkommene Beseitigung einer liberalen und religionslosen Welt verstand, ohne sie damit auf einen gewaltsamen Weg festlegen zu wollen 151 . Ewald von Kleist war selbst kirchlich engagiert. Er gehörte der altpreußischen Generalsynode als Vertreter der „Positiven Union" an 152 , jener Kirchenpartei, die die Union von 1817 bejahte und traditionell der preußischen Monarchie besonders verbunden war. Er war zugleich Patron von Schmenzin, einer mit 800 Seelen nur kleinen, doch „sehr kirchliche/«/ Gemeinde" 153 . Aber Ewald von Kleist setzte sich auch von manchen Christen ab. Die C d B hatte unter seiner Führung nämlich eine doppelte Aufgabe: einerseits die rechten Parteien und Verbände auf die christlich-konservative Grundlage zu stellen, andererseits in die Kirche hineinzuwirken, um dort das Christentum so durchzusetzen, wie er es verstand. Auf Tagungen kirchlicher Arbeitsgemeinschaften und vor kirchlichen Körperschaften trug er selbst die Ideen der C d B vor 154 . Dabei machte er vor allem zwei Gegner aus: das liberale Christentum auf der einen und die dem politischen Leben entfremdete, durch Bindung an dogmatische Formeln erstarrte Orthodoxie auf der anderen Sei-
149
E b d . , S. E b d . , S. 151 E b d . , S. als E i n s e t z u n g 150
152
35. 12. 3. D i e konservative Revolution k o n n t e auch auf legalem W e g e erfolgen, etwa einer konservativ-monarchistischen Regierung d u r c h d e n Reichspräsidenten.
S i e h e V E R H A N D L U N G E N DER NEUNTEN GENERALSYNODE v o m 2 2 . 2 . - 1 2 . 3 . 1 9 3 0 ,
1930,
Zweiter Teil, S. 32. 153
D E U T S C H E S PFARRERBLATT 3 4 ,
1 9 3 0 , S. 2 9 ; v g l . B . SCHEURIG,
Kleist-Schmenzin,
S. 44 f . Er w a r a u ß e r d e m Synodaler der p o m m e r s c h e n Provinzialsynode, m i t deren damaligen Präses v. Kleist-Gr. Krössin er jedoch nicht verwechselt werden darf. 154 DER REICHSBOTE 5 9 / 1 3 6 , 7 . 6 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche u n d Schule" S. 1 e r w ä h n t einen A u f t r i t t vor der p o m m e r s c h e n .Arbeitsgemeinschaft f ü r lebendige Volkskirche" in Swinem ü n d e , die sich aus d e n „Freunden f ü r lebendige Volkskirche" u n d Mitgliedern der „Volkskirchlichen Evangelischen Vereinigung" zusammensetzte. Sie w u r d e a n g e f ü h r t von S u p e r i n t e n d e n t H a n s R a t h k e aus Stargard, der wie Kleist der „Positiven U n i o n " a n g e h ö r t e u n d sich ebenfalls der C d B anschloß. Z u der .Arbeitsgemeinschaft" vgl. a u c h R. v. THADDENTRIEGLAFF, Auf verlorenem Posten, S. 6 0 .
Führende Personen
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te155. Es seien „sich ängstlich und geistlos an den Wortlaut klammernde D u n kelmänner", die den Satz: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit" auch auf Weimar anwenden wollten 156 . Dagegen verwies Kleist auf die Religions- und Rechtlosigkeit der Republik und erklärte, daß sie „nicht Obrigkeit" sein könne 157 . „Das heutige System hat... keinen religiösen, keinen sittlichen, keinen rechtlichen Anspruch auf Gehorsam und Anerkennung." 158 Hier wird festzuhalten sein, daß Konservativismus offensichtlich nicht mit Servilität gegenüber dem Staat gleichgesetzt werden darf. Auf dem Stettiner Parteitag der D N V P im September 1931 rief Kleist vielmehr zum „Kreuzzug" gegen Weimar auf: „Unser Kampf... ist ein heiliger Krieg. Ein so geführter Kampf gibt ein Recht auf Führung der Nation." 159 Erneut fällt auf, daß in der CdB nicht eine solche Zwei-Reiche-Lehre gelehrt wurde, die die politische Welt der Eigengesetzlichkeit überlassen hätte. Ewald von Kleist wies vielmehr darauf hin, „daß Religion auf allen Gebieten menschlicher Betätigung, also auch in Politik und Wirtschaft, zu leben ist und daß es keine Eigen- oder Doppelgesetzlichkeit gibt" 160 . Dieses konservative Credo schied ihn gerade auch von den liberalen Christen. Weil sie seiner Ansicht nach das Christliche „zu einer Angelegenheit des Privatlebens und des kirchlichen Lebens zusammenschrumpfen" ließen 161 , warf er ihnen ein „verfälschtes, liberalisiertes, weitabgewandtes Pseudochristentum" vor 162 . Sie seien „zu schlapp" gewesen und hätten Deutschland „kampflos zur D o m ä n e widergöttlicher Mächte werden lassen"163. Die CdB sollte dagegen ein kämpferisches Christentum bezeugen, wonach „das Leben eine Einheit ist, und zwar eine Gott zur Verantwortung stehende Einheit" 164 . 1.2.4. Bruno Doehring „Der ganz im Deutschen wurzelnde M a n n hat seine Kräfte immer aus der Scholle geschöpft, stammte er doch selbst aus einer ostpreußischen Landwirtsfamilie. Den harten ostpreußischen Willen und die auf nichts Rücksicht 155 D a ß Kleist kirchlich ein Liberaler gewesen sei, wie B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 4 6 behauptet, ist so nicht richtig. 156 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Revolution, S. 7. 157 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Grundsätze, S. 252 u n d E. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 14. 158 Ebd. 159 NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 84/263b, 20.9.1931, S. 3; ähnlich auch E. KLEIST-SCHMENZIN, Reformation, S. 13. 160 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Grundsätze, S. 246. 161 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Revolution, S. 4f. 162 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Grundsätze, S. 2 4 7 . 163 Ebd. 164 E. v. KLEIST-SCHMENZIN, Glaubt ihr nicht, S. 270; vgl. für die A n w e n d u n g dieser Formel auf die C d B B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 86.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
nehmende Wahrheitsliebe hat er sich jeder Zeit bewahrt." 165 Dieses zeitgenössische Porträt des 1879 geborenen Bruno Doehring läßt erkennen, daß auch dieser Führer der CdB seine Wurzeln im ländlichen, ostelbischen Raum hatte. Aber nicht nur nach der Herkunft, sondern auch nach der Weltanschauung war er dem pommerschen Junker Ewald von Kleist verwandt. Wie diesem waren auch dem Geistlichen, der 1914 vom preußischen König zum Hofprediger am Berliner Dom ernannt worden war, Pflicht und Ehre, Königstreue und Vaterlandsliebe die höchsten Werte. Selbst in der Herausstellung des Begriffs „Glaube" waren sie sich gleich: auch für den Geistlichen war der Glaube ein unbedingtes Vertrauen zum Lenker der Weltgeschichte, das unmittelbar in das praktische Leben hineinwirkte 166 . Auch für ihn kamen die Bekenntnisse als „Abstraktionen" des Glaubens erst an zweiter Stelle167. Und ebenso wie Kleist wußte sich Doehring von Liberalen und Orthodoxen geschieden, die seiner Ansicht nach beide die Lehre an die Stelle des lebendigen Glaubens zu setzen drohten: „... wir treten ... bewußt und entschlossen von dem unheilvollen Pfade ab, den sowohl die Orthodoxie wie der Liberalismus gegangen sind, u n d der sie beide zu der gleichen Unfruchtbarkeit verdammt hat: wir gründen unsere Stellung zu dem lebendigen G o t t nicht auf ein theologisches Erkenntnis- sondern auf ein religiöses Erfahrungsmoment." 1 0 8
Die Gefahr, daß Doehring auf diesem Wege einem Irrationalismus verfiel, war freilich dauernd gegeben. So erblickte er in dem Geschehen in Politik und Weltgeschichte ohne weiteres Gottes Walten, ohne diese Erkenntnis vor dem Verstände denkerisch rechtfertigen zu können. Seine Predigten waren allerdings sehr anschaulich und lebensnah. Oft erregten sie Aufsehen, so daß man über sie sagen konnte: „Was die Predigten Doehrings auszeichnet, ist die Beziehung zum Leben. Er ist in die Schule der Reformatoren und der großen Kanzelredner aller Zeiten gegangen und hat von ihnen gelernt, nicht ein historisches oder dogmatisches Christentum zu predigen, sondern seine Predigten unter dem Gesichtspunkte zu halten: was hat Christus uns heute zu sagen, in diesem Augenblick." 169 Diese Unmittelbarkeit zum Tagesgeschehen ließ Doehrings Predigten jedoch oftmals abgleiten in bloße politische Reden. Auch der Rekurs auf die Bibel konnte diese Gefahr nicht bannen: das Evangelium von Jesus Christus blieb ihm zwar „die eigentliche Offenbarung" 170 , daneben aber kannte er 165
D E R REICHSBOTE 5 9 / 2 6 0 , 3 0 . 1 0 . 1 9 3 1 , Beilage „ K i r c h e u n d S c h u l e " , S. 1.
166
B. DOEHRING, Burg, S. 371: „Religion ist das wundervolle Bewußtsein der unmittelbaren Gottesnähe, und Glaube ist die persönliche daraus hervorquellende Kraft..." 167 B. DOEHRING, Krieg, S. 29. 168 Ebd., S. 61. Doehring gehörte selbst freilich der Gruppe der „Evangelisch-Lutherischen" an. 169
DER REICHSBOTE 5 9 / 2 6 0 , 3 0 . 1 0 . 1 9 3 1 , Beilage „ K i r c h e u n d S c h u l e " , S. 1.
170
B. DOEHRING, Krieg, S. 33.
Führende Personen
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„eine besondere Offenbarung unseres Gottes an unser deutscher Volk"171, die er vor allem mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges gegeben sah. Wie andere Prediger verklärte auch er in Ansprachen, Predigten oder auf Flugblättern den Waffengang als „heiligen Krieg"' 72 und den Tod der deutschen Soldaten als „Heldentod" 173 . Berühmt aber wurde er durch seine Rede am 2. August 1914 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, mit der er die Kriegsbegeisterung der ersten Tage zum Ausdruck brachte und zugleich die geistige Mobilmachung betrieb: „... wenn wir nicht das Recht und das gute Gewissen auf unserer Seite hätten, wenn wir nicht - ich möchte fast sagen handgreiflich - die Nähe Gottes empfänden, der unsere Fahnen entrollt und unserem Kaiser das Schwert zum Kreuzzug ... in die Hand drückt, dann müßten wir zittern und zagen. N u n aber geben wir die trutzig kühne Antwort, die deutscheste von allen deutschen: ,Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!"' 174
Immerhin nahm Doehring wiederum Abstand von einer romantischen Frömmigkeit, die das spezifisch Christliche ganz fallen ließ und sich einem „deutschen Gott" zuwandte 175 . Vor allem wußte er sich immer wieder durch Martin Luther angeleitet. Der deutsche Reformator war sein großes Vorbild, dem er - manchmal in Verkennung der Realitäten - nachzueifern suchte und den er anderen nahebringen wollte. Im Jahre 1927 setzte er ihm ein Denkmal in einem neuen Medium. Für „Luther — Ein Film der deutschen Reformation" schrieb der Domprediger das Drehbuch und schilderte den Reformator darin „als deutsch-nationale Symbolfigur zur Einigung des Nachkriegsprotestantismus, der kämpferisch versucht, die reine Lehre des Evangeliums in einer neuen Kirche zu verwirklichen" 176 . Als Präsident des „Evangelischen Bundes", dem er 1924 bis 1927 vorstand, brachte Doehring den Lutherforscher Karl Holl dazu, „auf einer Jahresversammlung des Evangelischen Bundes in München ... vor einer großen Öf171
B . D O E H R I N G , B u r g , S. 3 7 0 .
172
Ebd., S. 11 u n d S . 104. 173 Ebd., S. 160 u n d S. 372. 174 Ebd., S. 11. Doehring zitierte hier Bismarcks bekanntes Wort, in das dieser seine Reichstagsrede zur Außenpolitik vom 6. 2. 1888 gipfeln ließ. Allerdings ließ Doehring den zweiten Halbsatz weg. Richtig müßte es heißen: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt; und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen läßt." (O. BISMARCK, Dokumente, S. 403). 175
B. DOEHRING, K r i e g , S. 4 9 .
176
LEXIKON DES INTERNATIONALEN FILMS, B a n d 5 , S. 2 3 4 6 ; F. v . D. H E Y D T , G u t e W e h r , S .
144. Der Streifen belastete das Verhältnis der Konfessionen zueinander, weil Doehring eine scharfe antikatholische Tendenz hineinbrachte. Uberhaupt war der Lutherfilm, an dem auch Werner Wilm einen nicht näher bestimmbaren Anteil hatte (vgl. Schreiben Rendtorflfs an Hosemann vom 14.9.1932 und die diesbezügliche Antwort in EZA Berlin, 1/A2/420), nicht unumstritten. Er wurde in vielen Gemeinden vorgeführt, fand offenbar aber nur im Lager nationalistischer Protestanten ungeteilte Befürworter.
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fentlichkeit das Wort zu der grundlegenden Bedeutung der Reformation für uns Deutsche zu nehmen" 177 . Das Zurück zur Reformation sollte die Epochen der Orthodoxie wie des Liberalismus überwinden 178 und sogar die großen politischen Probleme der Zeit lösen: „Galt es 1517 die Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern, so gilt es heute die Reformation des Volkes an allen seinen Teilen."179 Die damit verbundene extrem antikatholische Haltung sollte Doehring als Führer des „Evangelischen Bundes" allerdings größte Schwierigkeiten bereiten. Ihm nahestehende Kreise sahen die Gefahr, daß konfessioneller Hader geschürt und dadurch die Einigung der nationalen Kräfte verhindert würde180. Den Liberalen auf der anderen Seite war Doehrings Kurs politisch zu einseitig181. So kam es zu einer Führungskrise im „Evangelischen Bund", die erst dadurch überwunden wurde, daß Doehring seine Präsidentschaft niederlegte. Der von ihm daraufhin begründete „Lutherring für aktives Christentum auf reformatorischer Grundlage" konnte sein Anliegen jedoch weitertragen. Die Versammlungen dieser Gruppe dienten ihm vor allem dazu, Reden gegen den Katholizismus, den Liberalismus und den Kommunismus zu halten, die er als die drei Hauptfeinde des reformatorischen Deutschlands ansah182.
177 B. DOEHRING, Lebensweg, S. 98. Zu Karl Holl (1866-1926) siehe die Artikel von J. WALLMANN. Doehring meinte die 28. Generalversammlung des „Evangelischen Bundes" vom 31.8.-1.9.1924. Über seine Präsidentschaft vgl. auch F. v. D. HEYDT, Gute Wehr, S. 141 und S. 143. 178 179
180
B. DOEHRING, Krieg, S. 6 1 . B. DOEHRING, A u f b a u , S. 40.
Siehe J . - C H R . KAISER, EV. Bund, S . 184f„ H. GOTTWALD, Ev. Bund, S . 584f. und H . GOTTWALD, Reformationspartei, S. 60. Vgl. auch das Schreiben Wilhelms II. an Hans Blüher vom 29.8.1929 (H. BLÜHER, Werke, S. 171): „Ich habe ihn [sc. Doehring] öfters warnen lassen, seine antiröm. Politik einzudämmen! Sie thäten ein gutes Werk, wenn Sie diesen prächtigen Mann aus der Tagespolitik herausholen könnten. Da schadet er nur! Sein Gebiet ist klar in einer Predigt über die,Soziale Frage' herausgearbeitet und umrissen. Er bleibe dabei. Im Sommer hat I. M. [i.e. Hermine von Schönaich-Carolath] in meinem Auftrage sehr scharf und ernst mit ihm wegen Rom gesprochen u.ihm zu verstehen gegeben, daß er mein im Stillen fortgesetztes Werk: edle, kluge nationaldenkende Katholiken, Laien wie Priester, zu Mitkämpfern gegen Jehuda zu gewinnen, nicht stören dürfe." 181 Siehe H. GOTTWALD, Reformationspartei, S. 60. 182 Vgl. D E R REICHSBOTE 60/1, 1.1.1932, S. 7: „Parole der Christen unter uns: Bolschewismus, Gegenreformation und liberalistischer Stumpfsinn, diese drei Hauptfeinde, sind nicht nur abzuwehren, sondern anzugreifen." Antikommunistische bzw. antikatholische Vorträge Doehrings vor dem „Lutherring" werden u.a. erwähnt von N E U E PREUSSISCHE K R E U Z Z E I T U N G 82/57b, 25.2.1930, S. 1; D E R REICHSBOTE 59/35, 10.2.1931 S. 3; D E R R E I C H S B O TE 60/131, 1.6.1932, Beilage „Kirche und Schule" S. 1. Aus der Berliner Börsen-Zeitung Nr. 56 vom 3.2.1931 (ADW Berlin, CA/AC-S 161) geht hervor, daß Doehrings „Lutherring" am 8.2.1931 die „christlich-deutsche Kundgebung gegen den Bund der Gottlosen" im Berliner Wintergarten organisierte.
Führende Personen
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Für Doehring bestand das Grundübel der Gegenwart im Abfall vom Glauben. Vor dem „Lutherring" wie vor der CdB trug er immer wieder den antiaufklärerischen Gedanken vor: „Wir müssen uns frei machen von überspanntem, aufgeklärtem Intellekt und gläubige Kinder Gottes werden." 183 Entsprechend wollte er auch die Politik an den Glauben anknüpfen. Am augenfälligsten trat dieses Bemühen in Erscheinung, als er 1928 die „Deutsche Reformationspartei" ins Leben rief 184 . Nicht eine neue Partei neben anderen sollte damals entstehen, sondern eine überparteiliche Kampffront, die die Ideale der alten Zeit wieder aufrichten sollte. Die Staatsmänner sollten wieder als Christen, d. h. ihrem Gewissen verpflichtet, handeln. Diese Staatsgesinnung Bismarcks, die Doehring als Konsequenz des reformatorischen Glaubens begriff, sollte das Bindemittel werden, um aus den verschiedenen rechtsgerichteten Parteien eine große Bewegung zu machen. Das überaus magere Abschneiden bei den Reichstagswahlen machte den hochgespannten Erwartungen allerdings ein rasches Ende. Fortan suchte Doehring im Rahmen der D N V P zu wirken. Als er 1930 das deutschnationale Reichstagsmandat für den Kreis Chemnitz-Zwickau errang185, war das sein wohl größter politischer Erfolg. Für Doehrings politische Einstellung war der Royalismus kennzeichnend: gottlos sei es, „dem Volk das Recht der Auswahl einer beliebigen Staatsform zuzugestehen", denn für Preußen-Deutschland sei allein die Monarchie die gottgebene Staatsform 186 . Entsprechend wurde die Revolution von 1918 „als die alle Lebensgebiete innerlich brüchig machende, die Autorität an sich vernichtende Sünde' hingestellt' 87 . Der Gedanke trat hinzu, daß die Revolution auch an der Niederlage im Kriege schuld gewesen sei: der neunte November habe die Deutschen wehrlos gemacht und ihre moralische Kraft gebrochen 188 . Sogar in seinen Predigten vertrat Doehring die „Dolchstoß"-Legende: „Unser Unglück mußte kommen, als man der Treue in den Rücken fiel."189 Doch an eine Rückkehr zu den Verhältnissen der Vorkriegszeit dachte Doehring ebensowenig wie Kleist. Er meinte zwar: „Das Bismarckreich soll 183
So auf der in A n m . 182 erwähnten christlich-deutschen Kundgebung vom 8.2.1931 (DER REICHSBOTE 59/35, 10.2.1931 S. 3). Vgl. auch B. DOEHRING, Aufbau, S. 218f.: „Wir Deutsche müssen wieder glauben lernen! ... Nicht Aufklärung braucht unser Volk, sondern Glaube tut ihm not!" 184
E i n z e l h e i t e n b e i H . GOTTWALD, R e f o r m a t i o n s p a r t e i , S . 6 0 f . u n d K . N O W A K , EV. K i r -
che, S. 153ff. 185
DEUTSCHES PFARRERBLATT 3 4 , 1 9 3 0 , S. 7 7 5 .
186
So in einem Vortrag „Christentum, Volk u n d Staat" auf dem dritten Pastorenkursus der
A p o l o g e t i s c h e n C e n t r a l e a m 2 8 . 1 . 1 9 3 1 ( W O R T UND T A T 7 / 1 , 1 9 3 1 , S . 1 9 ) . 187
Ebd.
188
B. DOEHRING, A u f b a u , S. 3 4 u n d S. 1 8 9 f .
189
So in seiner Predigt zum Totensonntag 1931 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
( N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 3 2 7 b , 2 3 . 1 1 . 1 9 3 1 , S. 7 ) .
50
Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
nicht fallen!" 190 Aber der „Geist der Väter" sollte es „in neuen Formen neu aufrichten" 191 . U n d das hieß: es sollte viel konservativer werden. Gleich dem Junker sah der Domprediger nämlich die Wurzeln des Übels bereits im Vorkrieg gelegt. Schon damals hätten starke materialistische Tendenzen eingesetzt, die das Leben von den innerlichen, transzendenten Werten abgeschnitten hätten. Die einseitige Betonung des Verstandes, die Vorherrschaft der Technik, die Abwanderung vom Land in die Städte und die sozialdemokratische Agitation waren nach Doehring verantwortlich für die „Entwurzelung" der Menschen 192 . Das Vorkriegsreich konnte also nicht ohne weiteres der Republik gegenübergestellt werden, auch wenn es im Vergleich zu Weimar weit besser abschnitt 193 . Vorbildhaft war für Doehring vielmehr die Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon. Die Erhebung Preußens sei damals nämlich von einer Besinnung auf die inneren und ewigen Werte getragen worden 194 . Aber noch öfter stellte Doehring den Weimarer Verhältnisse eine andere, viel aktuellere Kriegszeit gegenüber: die Augusttage 1914. Mit ihnen war der schärfste Kontrast zu Weimar gegeben. „Eine religiöse Welle von ungeahnter Breite und Höhe türmte sich empor. Die überfüllten Kirchen, das Sichdrängen um die Abendmahlstische, die Gottesdienste unter freiem Himmel, oft aus dem spontanen Bedürfnis des Augenblicks herauswachsend, und gerade deshalb um so wirkungsvoller, sind in unser aller Gedächtnis ... Die Kirche war in jenen Tagen unmittelbarstes Bedürfnis. Diese geschichtlich für alle Zeiten feststehende Tatsache scheint mir die bedeutungsvollste im Rückblick auf das Jahr 1914 zu sein."195 Diese plötzliche Frömmigkeit konnte Doehring nur vergleichen „mit den Anfängen des Christentums und mit seinem Wiedererwachen in der Reformation" 196 . Sie hatte für ihn aber auch eine unmittelbare politische Dimension, denn sie machte Schluß mit allem Parteiwesen. Sie führte dazu, „die Streitaxt der Parteien im Innern unseres Volkes zu vergraben und u m eine Fahne uns zu scharen, auf der zu lesen steht: Mit Gott für König und Vaterland." 197 Dieses Kriegserlebnis aber wollte Doehring für die Nachkriegszeit
1,0
S o a n l ä ß l i c h d e r R e i c h s g r ü n d u n g s f e i e r d e r D N V P a m 2 7 . 1 . 1 9 3 1 ( D E R REICHSBOTE
59/26, 30.1.1931, S. 3). 191 Ebd. 192 B. DOEHRING, Krieg, S. l l f f . 193 B. DOEHRING, Aufbau, S. 211: „Meine Predigten ... sollen ... einwandfreie Zeugen der Tatsache sein, d a ß der neue Geist [sc. der Republik] den H ö h e n des Glaubens in keiner Weise näher g e k o m m e n , vielmehr ganz im Gegenteil noch ungleich tiefer als der alte [sc. des Kaiserreichs] unter sie heruntergesunken ist. 194 Ebd., S. 33f. 195
B. DOEHRING, K r i e g , S. 2 1 .
196
B. DOEHRING, B u r g , S. 3 6 6 .
197
E b d . , S . 1 2 ; v g l . B . D O E H R I N G , K r i e g , S. 5 4 f .
Führende Personen
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fruchtbar machen. Der Weimarer Staat mit seinem parlamentarischen System sollte abgelöst werden durch das keine Parteien mehr kennende „Vaterland", wie es am Beginn des Krieges Wirklichkeit geworden war. D a f ü r nannte Doehring auch die Voraussetzungen: „... wenn ein lebensfähiges ... Vaterland aus den Trümmern des zerschlagenen sich erheben soll, dann muß der Grundton unseres gesamten Verhaltens von innen heraus und von seinen Wurzeln her geändert werden! Dann kommt alles darauf an, daß wir nicht in einem Kampf der politischen Grundsätze uns befehdend verzehren, sondern in einen Kampf um die allerpersönlichsten Grundlagen unseres Lebens ... entschlossen eintreten. Dieser Kampf aber hat zum obersten und ausschlaggebenden Orientierungspunkt nicht das Widereinander sondern das Füreinander und als Ziel nicht das Zerreißen durch zahlenmäßige Majoritäten sondern das Aufbauen aus einem Geist."198 Als Waffe in diesem Kampf wollte Doehring an erster Stelle die Kirche einsetzen. Sie sollte das Kriegserlebnis wiederholen und das überparteiliche Vaterland bauen, das im August 1914 für kurze Zeit sichtbar geworden war. Der Domprediger faßte dabei Kirche u n d Volk als „Korrelate" auf: „... das Volk ... bedarf der Kirche, die sein Innerstes heiligt, und die Kirche bedarf des Volkes, damit sie ihren Auftrag, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, im Vollumfange erfüllen kann. Sie schafft die seelische Basis des Volkslebens, aus der heraus das Gefühl innerster Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit erwächst und im sozialen, kommunalen und staatlichen Leben sich bewährt ... die Volkskirche muß die Seele und das Gewissen des Volkes sein, damit der heilige Geist durch alle Schichten und Stände hindurch verbindend und verpflichtend, die Propädeutik zu einem neuen Volkstum übend wirke."199 Schon unmittelbar bei Kriegsende formulierte Doehring das Ziel, eine solche kirchliche Bewegung zu schaffen, die „der Kirche den Weg ins Volk u n d unserm Volk den Weg in die Kirche" öffnete 200 . Eben dies wollte er in den 30er Jahren mit der C d B erreichen: eine Volkskirche bauen, die die Deutschen zu dem Vaterland seiner Träume einen sollte. Die Religion solle der Nation „die seelische Schwungkraft" verleihen, damit sie nach Beseitigung der Republik einem „dritten Reich" entgegenziehen könne 2 0 1 , erklärte er Ende Januar 1931 auf einer DNVP-Versammlung. Die Kirche erhielt von Doehring also eine unmittelbar politische Funktion zugeschrieben. Aber der Domprediger setzte Nationalismus u n d reformatorisches Christentum in Korrelation: „Das im Erwachen begriffene nationale Deutschland wird unter allen Umständen ein christliches Deutschland sein
198 199
B. DOEHRING, A u f b a u , S. 3 8 f . B. DOEHRING, Krieg, S. 7 0 f .
200
Ebd., S. 71.
201
D E R REICHSBOTE 5 9 / 2 6 , 3 0 . 1 . 1 9 3 1 , S . 3 .
52
Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
«202 Und das hieß umgekehrt auch: ein Nationalismus, der die transzendente, innere Begründung im Glauben vermissen ließ, war für ihn nicht gerechtfertigt. Gerade in der der CdB angeschlossenen .Arbeitsgemeinschaft Evangelisch-Deutscher Pfarrer", der er vorstand, war er darum bemüht, „das Wort Gottes zu stellen über alle Vergötzung des Volkes, des Blutes und der Ras-
1.2.5· Rüdiger Graf von der Goltz Der Führer der VvVD, Rüdiger Graf von der Goltz, der ein Onkel von Walter Wilms Frau war, steht für das soldatische Element innerhalb der CdB. Bis zuletzt waren nämlich neben den Geistlichen und den Agrariern die Militärs eine starke Kraft in ihr. Dabei handelte es sich allerdings nicht um aktive Soldaten, sondern in erster Linie um Angehörige der Armee des Kaiserreichs, insbesondere um Mitglieder des Offizierskorps. Sie waren in der Republik in den Veteranenverbänden wie dem „Stahlhelm", dem „Kyffhäuser"-Bund und dem „Nationalverband Deutscher Offiziere" (NDO) organisiert. Goltz, Jahrgang 1865, entstammte einem alten, in der östlichen Grenzmark angesiedeltem Geschlecht, „das seit Generationen seine Söhne den preußischen Königen als Offiziere und Generale zur Verfügung gestellt" hatte204. Er wurde entsprechend dieser Tradition erzogen, und auch in der Schule wurden ihm die preußischen Tugenden der Pflichterfüllung und des Opfersinns eingeprägt. Er selbst bemerkte über seine Jugend: „Auch wir haben uns als Kinder über alte und verständnislose Lehrer lustig gemacht. Wir wissen aber, daß wir trotzdem in der Schule Arbeiten und Pflichterfüllung gelernt haben. Durch die genossene Erziehung sind die in uns schlummernden sittlichen und religiösen Keime erweckt und gestärkt, sind wir Menschen geworden, die wissen, daß sie nicht für sich, sondern für Familie, Volk und Vaterland da sind und opferbereit zu wirken haben."205
Schon früh übernahm Goltz die konservative Uberzeugung, daß der „Staat" und das „Vaterland" die übergeordneten Größen seien. Die Politik hatte sich für sie einzusetzen und nicht für die Programme von Parteien und ihre besonderen Ideale. Das Zentrum, die Sozialdemokratie und die Fortschrittspartei 202
So in einer Reichstagsrede am
11.5.1932;
zit. nach
KIRCHLICHES JAHRBUCH 5 9 , 1 9 3 2 ,
S. 64. 203
D E U T S C H E S PFARRERBLATT 3 5 , 1 9 3 1 , S. 2 3 4 .
204
J. ALTER, Nationalisten, S. 165. R. v. D. GOLTZ, General, S. 84 erwähnt, daß „ich einer Familie der östlichen Grenzmark entstamme, die durch Generationen die Belange von Deutschtum und Protestantismus gegen slavischen und jesuitischen Chauvinismus sowohl auf dem Lande, wie als Führer der .Dissidenten' auf dem polnischen Reichstage verteidigt hat. Zum Dank erhielt sie nach der ersten Teilung Polens 1772 von den Königen von Preußen den Grafentitel." 205
NEUE PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 8 4 / 2 2 0 b , 8 . 8 . 1 9 3 1 , S. 2.
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standen in dem Ruf, solche Sonderinteressen über das Wohl des „Vaterlandes" zu stellen206. Sie verschrieben sich dem Katholizismus, dem Sozialismus oder dem Liberalismus, solchen Anschauungen also, die nach konservativer Auffassung den Staat und die Nation anderen Prinzipien unterwarfen und somit als überstaatlich und übernational zu gelten hatten. Diese schon während der Vorkriegszeit geweckte Antipathie gegen die Parteien erreichte bei Goltz einen ersten Höhepunkt 1917, als Zentrum, SPD und liberale Fortschrittspartei in einem „Interfraktionellen Ausschuß" zusammengingen und im Reichstag eine Resolution durchbrachten, die sich für einen Verständigungsfrieden aussprach. Der Graf meinte nämlich, daß diese Friedensresolution „den Kampfwillen des gerade damals erlahmenden Entente-Widerstandes neu gestärkt" habe 207 . Von nun an sah er die drei Parteien als eine einzige Gruppe an. Sie habe „vom Juli 1917 ab vor den äußeren Feinden" kapituliert, „den Staatsstreich vom Oktober und die Revolution vom November 1918" herbeigeführt 208 , und damit habe sie „uns Frontsoldaten um den Lohn unserer Blutopfer und Drangsale gebracht" 209 . Die Legende vom „Dolchstoß" übernahm also auch von der Goltz 210 , und er teilte damit verbundene antisemitische Verschwörungstheorien. Er wähnte geradezu ein Komplott von Zentrum, Sozialdemokratie und Liberalen, die er entsprechend ihren Parteifarben und den Farben der Republik abfällig als „schwarz-rot-goldene Internationale" bezeichnete 2 ". Vom entwurzelten Judentum „geistig geführt und geldlich unterstützt" hätten sie sich zusammengetan 2 ' 2 , um den preußisch-deutschen Staat zu stürzen und nach seinem Sturz die Wiedererrichtung eines neuen wehrhaften Reiches zu verhindern. Deutlich sprach Goltz seine Meinung aus, daß in Weimar „nicht der Staat, sondern nur die Partei" 213 herrsche und somit „das heutige Deutschland nur eine Karikatur des Preußendeutschlands der Hohenzollernkönige" darstelle214. In einer 1930 verfaßten Broschüre, die später auch von der CdB vertrieben wurde 215 , führte er aus: 206 Bereits unter Bismarck wurden sie als „Reichsfeinde" den „staatstragenden" Kräften gegenübergestellt. 207
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 3 1 2 b , 8 . 1 1 . 1 9 3 1 , S . 1.
208
R . v . D. G O L T Z , A u f g a b e n , S . 1 9 .
209
R . v . D. G O L T Z , G e n e r a l , S . 1 0 .
210
R . v . D. G O L T Z , A u f g a b e n , S . 7 ; v g l . R . G O L T Z , G e n e r a ) , S. 1 5 3 .
211
R. v. D. GOLTZ, Verbände, S. 176. Ähnlich sprach schon 1912 ein Artikel im „Reichsboten" von einer roten und einer goldenen Internationale, hinter denen das Judentum als Drahtzieher vermutet wurde (siehe D. STEGMANN, Neokonservativismus, S. 210). 2,2 Ebd., vgl. das Zitat bei W. BETHGE, Bund Jungdeutschland, S. 339. 213
R . v . D. G O L T Z , G e d a n k e n , S . 1 9 .
M
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 3 / 2 8 b , 2 8 . 1 . 1 9 3 1 , S . 6 .
215
Nach LKA Schwerin, I/G wurde das Heft „Unsere Aufgaben" im Schriftenvertrieb der C d B verbreitet; LKA Schwerin, I / H weist es unter den Unterlagen der Potsdamer Geschäftsstelle der CdB aus, die bis Ende 1932 bestand. Ein Exemplar des in deutschen Bibliotheken
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„War unsere staatliche Wiedergeburt nach dem Dreißigjährigen Kriege und der Franzosenherrschaft unter Napoleon das Werk des in Preußen gepflegten Staatsbewußtseins und einzelner großer Männer, zuletzt Bismarcks, so ist die Republik im bewußten Gegensatz zu dieser geschichtlichen Entwicklung und Staatsauffassung geboren. Die Parteien der schwarzrotgoldenen Internationale ... regieren heute. Man nennt sie heute Weimarer Koalition ... Wer wirklich regieren und nicht nur weiterwursteln will, muß erkennen, daß ein grundsätzlicher Systemwechsel nötig ist und daß es nicht mehr darauf ankommt, die Verfassung, sondern Deutschland zu retten ... Unserem Untergang können wir nur durch eine überparteiliche straffe Regierung ... entgehen."216
Darum ging es, wenn Goltz wie andere Angehörige der CdB auch eine überparteiliche Haltung bekundete. Die „Uberparteilichkeit"hatte nichts mit politischer Neutralität zu tun, sondern war die Umschreibung für die durchaus politische Entscheidung zugunsten solcher Parteien und Verbände, die die Nation und das Reich auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Dies waren zur Kaiserzeit die Freikonservativen, die Deutschkonservativen und die Alldeutschen, in der Republik die Deutschnationalen, die Deutschvölkischen, die Nationalsozialisten und zahlreiche Splittergruppen. Für Goltz führte der Weg zur Wiedererrichtung des Vaterlandes über die Sammlung dieser Parteien und Verbände. Ein einheitliches Kartell der vielgestaltigen, in Detailfragen oft gegeneinander stehenden Rechten war für ihn die Vorbedingung eines Sieges gegen die „schwarz-rot-goldenen" Kräfte217. Solche politischen Uberzeugungen verband Goltz mit militärischen Uberlegungen. Durch und durch vom Soldatischen durchdrungen, gab er Wehrfragen eine ausschlaggebende Bedeutung. Noch unter Wilhelm I. zum Offizier befördert, war er kurz vor dem Kriege zum Regimentskommandeur aufgestiegen. 1914 befehligte er an der Westfront bereits eine Brigade, 1917 wurde ihm eine ganze Division übertragen. Ein Spezialauftrag führte den Generalmajor 1918 nach Finnland, das er von den bolschewistischen Truppen befreien sollte. Er kämpfte noch nach Ausrufung der Republik gegen die Sowjets, wobei er als Befehlshaber der Freikorps im Baltikum „mit eiserner Hand und ohne Schonung" vorging218. nicht nachweisbaren Pamphlets ist vorhanden in RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 15. Siehe auch die A n n o n c e n i n GLAUBE U N D VOLK 2 , 1 9 3 3 , S . 1 9 u n d S . 1 6 0 . 216
2,7
R . v . D. G O L T Z , A u f g a b e n , S . 1 1 , 1 4 u n d 1 6 .
Damit führte Goltz die „Sammlungspolitik" des preußischen Finanzministers Johannes von Miquel (1828-1901) aus der Vorkriegsära fort und nahm außerdem den Gedanken der „Deutschen Vaterlandspartei" auf, die eine „Bewegung über den Parteien hinweg" sein wollte (siehe D. STEGMANN, Neokonservativismus, S. 215ff; vgl. J. DIEHL, Vaterlandspartei, S. 635f.). Zur „Sammlungspolitik" TH. NIPFERDEY, Deutsche Geschichte 1866-1918, Band 2, S. 721 f. und detailliert G. ELEY, Unification, S. 110-153. 218 So in einer Bekanntmachung an die lettische Bevölkerung vom 24.4.1919; zitiert nach R. v. D. GOLTZ, General, S. 112. In eben diesem Buch gibt Goltz eine genaue Beschreibung seiner Unternehmungen in Finnland und im Baltikum. Uber seine militärische Laufbahn sie-
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Von seiner Perspektive aus war auch die militärische Strategie der Weimarer Republik völlig verfehlt. Statt aus dem Baltikum abzuziehen, hätte man weiterkämpfen sollen, um den Kommunismus niederzuwerfen und ein neues, nationales Rußland als Verbündeten gegen die Westmächte zu gewinnen 219 . Der Graf hing damit einer in konservativen Kreisen weitverbreiteten Ostorientierung an, die auch von Ewald von Kleist und anderen ChristlichDeutschen geteilt wurde 220 . Sie hatte ihre Wurzeln in der gegen Napoleon gerichteten Konvention von Tauroggen von 1812, sowie in dem von Bismarck 1872 geschaffenen, dann allerdings zerfallenen Bündnis von Kaiser und Zar. Die Neuauflage einer solchen Verbindung mit Rußland sollte in erster Linie Polen treffen, das nach dem Ersten Weltkrieg wiedererrichtet worden war221. Aber neben der Umstellung der Außenpolitik zugunsten eines Rußlandbündnisses wollte Goltz die Umstellung der gesamten Innenpolitik sehen: Deutschland sollte wieder wie einst zur Bismarckzeit vom Militärischen beherrscht werden. „Der Wehrpolitik Bismarcks haben wir das Deutsche Reich zu verdanken. Denn sie war die Voraussetzung für die Großtaten des Heeres.
h e a u ß e r d e m D E U T S C H E Z E I T U N G 3 5 / 2 8 7 a , 7 . 1 2 . 1 9 3 0 , S . 3 u n d J . ALTER, N a t i o n a l i s t e n , S . 165 ff. 219 R. v. D. GOLTZ, General, S. 165: „Ich selbst habe die am 19. Juli 1919 von der Entente befohlene R ä u m u n g des Baltikums zu verzögern gesucht in der H o f f n u n g , d a ß durch Besorgung von Geld u n d gesichertem Nachschub es mir möglich sein würde, die Freikorps ... ins Baltikum zu ziehen u n d d a n n mit einem großen Heere nach Sicherung der Basis LitauenLettland den Bolschewismus in Rußland niederzuzwingen, eine ,weiße' Regierung einzusetzen, an ihr einen sicheren Freund fur Deutschland zu gewinnen u n d der inzwischen auch in Berlin eingesetzten u n d mir von der nationalen Opposition versprochenen nationalen Regier u n g einen russischen Bundesgenossen zur Verfügung zu stellen. R u ß l a n d u n d Deutschland gemeinsam ... sollten d a n n den Westmächten ein Paroli bieten u n d uns von Versailles befreien." 220 So gehörte Kleist dem Zirkel des „Nahen Ostens" an, der ein gegen Polen u n d den Westen gerichtetes Bündnis mit den vom K o m m u n i s m u s befreiten u n d zu befreienden osteuropäischen Völkern (Ungarn, Balten, Weißrussen, Ukrainer) propagierte (siehe E. NIEKISCH, Erinnerungen, S. 245f.). Außer ihm gehörten diesem vor allem vom J u n k e r t u m unterstützten Kreis noch J o h a n n Gottlieb Graf Brockdorff-Ahlefeldt u n d M a j o r a.D. Siegfried Wagner an, die gleichfalls in der C d B hervortraten. In DER NAHE OSTEN 3, 1930, S. 3 4 9 schrieb Brockdorff-Ahlefeldt: „ I m m e r klarer wird, d a ß unsere Z u k u n f t nach einem positiven Verhältnis zu R u ß l a n d verlangt, will Deutschland eine mitteleuropäische Sendung erfüllen u n d nicht nur Vorposten u n d Aufmarschgebiet eines alternden Westens gegen den jungen Osten sein." 221 R. v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 15. Offensichtlich war Goltz nach der Etablierung des bolschewistischen Regimes sogar bereit, mit dem „Beelzebub" Sowjetrußland „gegen den Teufel Polen" zusammenzugehen. Einen „Kreuzzug gegen Moskau" Schloß er 1930 sogar aus (ebd.): „Von vielen Seiten wird ein gewaltsames Niederschlagen des Bolschewismus in seiner russischen H e i m a t vorgeschlagen. D a Marxismus u n d Bolschewismus aber nur die Reaktion auf die Proletarisierung i m m e r größerer Bevölkerungsteile u n d diese die Folge der Industrialisierung u n d der Herrschaft der überstaatlichen H o c h f i n a n z ist, so glaube ich nicht an den Erfolg von Gewaltmaßregeln, w e n n m a n nicht gleichzeitig die Verhältnisse selbst ändert."
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Zugleich gab sie der Staatsgewalt die Möglichkeit, sich dem weltfremden Landtage gegenüber durchzusetzen ,.." 222 Solange die Politik und das Militär eins waren, war nach Goltz' Ansicht Deutschlands Stellung in der Welt gesichert gewesen. Die Wehrmacht verbürgte ihm einen starken einheitlichen Staat, da „durch ihr Vorbild unserem Volke ... die gemeinsame, allen innenpolitischen Gegensätze überbrückende, außenpolitische und wehrhafte Front" gezeigt worden sei223. Damit gab sich der „politische General" 224 für die Zeit nach 1918 eine doppelte Zielsetzung: eine über den Parteien stehende Armee war als Lehrmeisterin der Nation ins Auge zu fassen; umgekehrt mußte ein über den Parteien stehender Staat als Voraussetzung für die Wiedereinführung der Wehrpflicht geschaffen werden, da sonst die Gefahr bestand, daß parteiliche Interessen in die Armee hineingetragen wurden225. Zunächst plante von der Goltz Ende 1919 mit seinen ihm treu gebliebenen Truppen vom Baltikum aus den Marsch auf Berlin, um die Weimarer Regierung zu beseitigen226. Da aber dieses Unternehmen nicht zustandekam und der Kapp-Putsch, der gleiches erreichen wollte, wenig später scheiterte, mußten Zwischenlösungen gesucht werden. Der Generalmajor fand sie in zwei Organisationen, die er beide unter dem Gesichtspunkt der „Uberparteilichkeit" führte: dem „Bund Jungdeutschland" (BJD), dem er 1924-1930 vorstand, und den VvVD, deren Vorsitzender er 1925-1933 war. Der B J D hatte die junge Generation paramilitärisch zu schulen, bis eine neue Wehrmacht bereitstand und „die heutige neupreußische Jugenderziehung wieder einer altpreußisch-sittlichen und christlichen weicht" 227 . Die VvVD hatten als Dachorganisation die verschiedenen Vereinigungen von rechts (Wehrvereine, Offiziersbünde, nationale Angestelltenvereine, Frauenbünde) zu sammeln und zu koordinieren, um die Machtergreifung in Preußen und Deutschland vorzubereiten228.
222 Ebd., S. 5. Auch in R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 24 ist der Krieg der Vater aller Dinge: „Wir wurden frei durch die Kriege des Großen Kurfürsten und Friedrichs des Großen und durch die stolze Erhebung von 1813. Wir wurden einig durch die Feldzüge von 1864-1871 ..." Ähnlich E. HIRSCH, Deutschlands Schicksal, S. 104: „Der Krieg ist die große staatenbildende Potenz der Geschichte." 223
R . v . D. G O L T Z , A u f g a b e n , S . 7 .
224
So verstand Goltz sich selbst; vgl. R. v. D. GOLTZ, General, S. 168.
225
R . v . D. G O L T Z , A u f g a b e n , S . 7 .
226
R . v . D. G O L T Z , G e n e r a l , S . 1 6 0 f .
227
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 2 2 0 b , 8 . 8 . 1 9 3 1 , S . 2 .
228 Dazu gibt J. DIEHL, Vaterlandspartei, S. 639 folgende Bewertung: „Obwohl sie ihr angesteuertes Ziel, Kern einer stabilen .Sammlung' der Weimarer Rechten zu werden, nicht erreichte, konnte die V W D doch auf bescheidenerer Ebene als eine Art Sammelbecken der Rechten fungieren, indem sie konservativen Gegnern der Republik Hilfe, Trost und einen ideologisch-organisatorischen Hafen bot."
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Das Fernziel des Grafen, das die VvVD auf ihrer Vertretertagung Ende November 1928 übernahmen 229 , war die Errichtung eines dritten Kaiserreiches230. Wie andere Christlich-Deutsche wollte er nicht die Restauration des wilhelminischen Reiches: „Ich lehne jedes Gerede von der,guten, alten Zeit' rundweg ab."231 Seiner Ansicht nach war man damals nämlich dem Marxismus gegenüber zu nachsichtig und dem Wehrgeist gegenüber zu wenig aufgeschlossen gewesen: „Die Schuld des alten Regiments bestand darin, daß es sich durch die fabelhafte äußere Entwicklung des Kaiserreichs seit den 90er Jahren blenden ließ ... Zwar war der Kaiser selbst ein innerlich frommer Mann, der an den Uberlieferungen seines Hauses festhielt, aber trotzdem gewann die materialistische Lebensanschauung schon damals in weiten Kreisen immer mehr Boden." 232
War daher eine einfache Wiederbelebung der Vergangenheit nicht ratsam, mußte die „Reaktion" 233 auch aus anderen Quellen schöpfen. Das künftige dritte Reich sollte nach Goltz auf den Erfahrungen des Weltkrieges aufgebaut sein: es sollte „großdeutsch, völkisch und sozial sein" 234. Wenn im Kriege Reichsdeutsche gemeinsam mit Österreichern, Sudetendeutschen und Baltendeutschen gekämpft hatten, war nach Goltz' Ansicht Großdeutschland geschaffen worden; wenn im Kriege Blut und Rasse das Zusammengehörigkeitsgefühl bestimmt hatten, war ein völkischer Staat der allein mögliche geworden; und wenn im Kampfe die Standesunterschiede gefallen waren, hatte das künftige Reich auf diesen Frontkämpfer-Sozialismus aufzubauen 235 . Das alles aber mußte seinen Ausdruck finden in einer monarchistischen Staatsform: „Dieser völkische, soziale und großdeutsche Gedanke muß ... uns eine Staatsform geben, die unserer deutschen Eigenart, unserer stammesgeschichtlichen Entwick229 Nach R. v. D. GOLTZ, Verbände, S. 177 sind seine „Ernsten Gedanken", welche im folgenden zitiert werden, „ausdrücklich gebilligt" worden. 230 R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 24: „Ein Staatswesen, das ... internationalen Sozialisten das Staatsruder in die H a n d gibt und jeden Wehrwillen verloren hat, kann keinen Dauerbestand haben, falls wir je wieder frei werden wollen. Darum erstreben wir das dritte Reich ..." 231
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 2 2 0 b , 8 . 8 . 1 9 3 1 , S. 2 .
232
R . v . D. G O L T Z , G e d a n k e n , S . 1 0 ; v g l . a u s s e i n e m A u f s a t z i n GLAUBE U N D V O L K 1,
1932, S. 28: „Durch Schwäche und Feigheit sind wir dahin gekommen, wo wir sind. Schwäche im Kampfe gegen den Marxismus und in mangelnder Rüstung schon vor dem Kriege ..." 233 R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 20. Goltz setzte ebd. S. 23 der restaurativen Reaktion eine „gesunde Reaktion" als erstrebenswert gegenüber. 234 Ebd., S. 24. 235 Ebd., S. 25ff. Ahnlich hatte sich Goltz schon auf der Vertretertagung der VvVD im März 1927 ausgesprochen (K. FINKER, Verbände, S. 319): „Unser Ziel ist das Großdeutschland aller Deutschen ... Deswegen stählen wir die Körper und Seelen unserer Jugend, pflegen in unseren Verbänden den sozialen Gedanken im Sinne der Frontkämpfer-Kameradschaft und arbeiten fiir den Bau eines neuen Staates." Näheres zu der Art des von Goltz gemeinten „Sozialismus" unten S. 98ff.
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lung und auch unseren guten und schlechten Eigenschaften entspricht... Wir brauchen deshalb unbedingt ein über den Parteien und Sonderinteressen stehendes, nicht wählbares Staatsoberhaupt, brauchen eine Monarchie, die dem Arbeiter ebenso nahestehend sich fühlt wie dem Unternehmer, die großdeutsch, völkisch und sozial denkt und die gesamtdeutschen Belange in ebenso würdiger wie starker Weise zu vertreten und zu wehren weiß."236 Damit belebte Goltz neben dem preußisch-konservativen Royalismus zugleich die christlich-sozialen Vorstellungen, denen er sich schon als junger Offizier im Potsdam der Vorkriegszeit geöffnet hatte: „Wir waren damals Anhänger Stöckers und seiner völkischen christlich-sozialen Bestrebungen." 2 3 7 Tatsächlich hatte bereits der Hofprediger Adolf Stoecker die Idee eines „sozialen" Kaisertums vertreten 238 . Zugleich übernahm Goltz von ihm die Wertschätzung der Kirche. Er meinte nämlich, daß das völkisch-militaristische Deutschland der Zukunft so wie das alte Reich nur auf „christlicher Grundlage" erbaut werden könne 2 3 9 . Die Volkskirche wollte er darum erhalten wissen; und umgekehrt wollte er „die christliche Erneuerung und Vertiefung" der nationalen Bewegung 240 . Dabei lautete eine Argumentation für das Zusammengehen von Kirche und Volk: „... ohne Religion keine völkische Erneuerung, und ohne völkischen Idealismus kein Fortbestand des Christentums, weil wir ja die einzigen Vertreter des Idealismus sind, die Grundlage jeder Religion." 2 4 1 Weiter meinte Goltz: „... der schwache Mensch bedarf eines Haltes in den Schicksalsschlägen des Lebens, damit sie ihn nicht umwerfen." 2 4 2 Aus diesen Gründen mußte er der nationalen und sozialen Grundlegung des kommenden Reiches die christliche Erziehung an die Seite stellen. Sicherlich im Hinblick auf Walter Wilm, den Mann seiner Nichte, meinte er 1930: „Wir begrüßen es daher, daß endlich die jungen Pfarrer sich regen und beginnen, unser gesamtes Leben wieder sittlich-christlich zu unterbauen." 2 4 3 So wie er einst der christlich-sozialen Bewegung anhing, mußte Goltz nun ein Anhänger der C d B werden, der er Wirkungsmöglichkeiten verschaffte 236
R.v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 2 7 .
237
R . v. D. GOLTZ, General, S. 9.
2 3 8 Vgl. R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 2 8 . Z u Stoeckers Idee eines sozialen Kaisertums siehe PROTESTANTISMUS UND POLITIK, S. 53f. Zu Stoeckers antijüdischen Ausfällen Ε MASSING, Vorgeschichte, S. 2 2 - 6 2 . Goltz übernahm vor allem auch dieses Erbe Stoeckers. So nannte er die immigrierten Juden „Gesindel", „übereinstimmend in fehlender Kultur und Sittlichkeit" (R. v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 10); und der Nutznießer der Inflation von 1 9 2 3 war fur ihn „der Schieber, der eingewanderte ostgalizische Parasit" (R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 17). 2 3 9 R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 4 . 2 4 0 R . v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 9. 241 R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 2 9 . 2 4 2 R . v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 8. 243 Ebd.
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und in deren engeren Führerkreis er selbst eintrat 244 . Sein Ziel war eine enge Zusammenarbeit von V v V D und CdB, die sich als „Bundesgenossen" anerkennen sollten 245 . Langfristig aber wollte er „ein festes Bündnis" der nationalen und der konservativ-sozialen Kräfte mit der evangelischen Kirche als ganzer 246 . Vereint sollten sie den gemeinsamen Gegner, die „schwarz-rot-goldene Internationale", schlagen und verhindern, daß die Deutschen, von wirtschaftlicher und nationaler Not getrieben, ihre Zuflucht im Bolschewismus suchten. „Denn wenn wir wieder Christen und Kampfnaturen sind ..., was will uns dann der Bolschewismus?" 247 Es dürfte deutlich sein, daß Goltz die Kirche in erster Linie unter dem Gesichtspunkt ihrer politischen Tauglichkeit betrachtete. So machte er ihrer Führung in den 30er Jahren den Vorwurf, gegenüber dem Marxismus und dem Weimarer Staat zu nachsichtig zu sein 248 . Um eine zuverlässige, nationalistische Kirchenleitung zu etablieren, sollte die CdB dementsprechend auch politische und vor allem kirchenpolitische Aktivitäten entfalten. Vermutlich sah Goltz in der Bewegung eine kirchliche Parallele zu den VvVD, so daß ihr als analoge Aufgabe die Sammlung und Mobilisierung der rechten Gruppen in den Gemeinden und auf den Synoden zugewachsen wäre. Außerdem sollte die C d B seiner Ansicht nach die Aufgabe der früheren Wehrmacht übernehmen, die darin bestanden hatte, im Volke einen wehrhaften Geist zu erwekken. 249 Verbunden war damit allerdings die Gefahr einer vorschnellen Identifizierung von Religion und Nationalismus, wie sie ähnlich schon bei Werner Wilm zu beobachten war. So erklärte der gewesene Generalmajor sehr offenherzig, aber in direktem Gegensatz zu seinem christlichen Anspruch: „... wir vergöttern den wehrhaften, sozialen und nationalen Wiedergeburtsgedanken "250
O b sich Goltz mit einer solchen Frömmigkeit in der CdB durchsetzen konnte, wird die weitere Darstellung zeigen. Auch wird zu verfolgen sein, ob sich die Bewegung seinem Vorhaben einer kirchlichen „Sammlungspolitik" anschloß oder andere Wege ging.
244 Nach einer im September 1 9 3 2 aufgestellten Übersicht über die Gliederung der C d B gehörte Goltz ihrem „Engeren Ausschuß" und ihrem „Bündischen Ausschuß" an ( E Z A Berlin, 7 / 4 1 4 6 ) . 245
G L A U B E UND V O L K 1, 1 9 3 2 , S . 2 8 .
246
Ebd. R. v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 15.
247 248
E b d . , S . 9 u n d G L A U B E UND V O L K 1, 1 9 3 2 , S . 2 8 .
„Wir wollen die Volkskirche, weil wir in ihr die erste und letzte Möglichkeit einer gemeinsamen Grundhaltung der Deutschen erkennen, vollends heute nach dem Fortfall der großartigen Volkserziehung durch unsere alte Wehrmacht" (DEUTSCHES PFARRERBLATT 3 5 , 1 9 3 1 , S. 6 5 ) . Diese Formulierung im ersten Programm der C d B ist wahrscheinlich auf Goltz' Einfluß zurückzuführen. 249
250
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1.2.6. Friedrich von Berg Bei den übrigen anfänglich in der CdB wirkenden Personen finden sich ganz ähnliche Einstellungen wie bei den bisher vorgestellten Männern. Der soziale Hintergrund sah oft gleich aus: es dominierte die ländliche Aristokratie mit ihrer starken Bindung an die Kirche, das Kaisertum und das über den Parteien stehende „Vaterland". Namen von Familien tauchten auf, deren Angehörige vor 1918 höchste Ämter in Staat und Armee bekleidet hatten. Die bekanntesten waren Berg, Bernstorff, Boehn, Ditfurth, Eulenburg, Hammerstein, Hardenberg, Levetzow, Maitzahn, Marwitz, Massow, Platen, Plessen, Puttkammer, Rantzau, SchliefFen, Schulenburg, Seydlitz und Wedel251. Eine biographisch genauere Darstellung all dieser Personen ist aufgrund der Quellenlage kaum möglich; sie ist aber auch nicht nötig, da das sie prägende Milieu meist analog zu dem bisher Geschilderten zu denken ist. Etwas besser sind wir unterrichtet über Friedrich von Berg252, der an der CdB von Anfang bis Ende beteiligt war. Er wurde 1866 auf dem ostpreußischen Rittergut Markienen als Sproß einer Familie geboren, die seit Generationen in engster Verbindung zum preußischen Königshaus gestanden hatte253. Er studierte wie Ewald von Kleist Rechtswissenschaften, und er diente gemeinsam mit Graf von der Goltz als Leutnant im Ersten Garderegiment zu Fuß, einer traditionsreichen Potsdamer Einheit254. Nach der obligatorischen Referandarzeit wurde er Assessor, bald darauf Landrat des Kreises Goldap, 1906 Geheimer Regierungsrat im Kabinett, 1909 ostpreußischer Landeshauptmann und 1916 Oberpräsident255. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er aber im Januar 1918, als er zum Chef des Kaiserlichen Zivilkabinetts ernannt wurde256. Die Mitgliedschaft in der gleichen Studentenverbindung und häufige Treffen darüber hinaus hatten ihn bereits zu einem Duzfreund Wilhelms II. werden lassen257, nun aber konnte er diese enge Verbundenheit in seiner Stellung nutzen, um den Kaiser in seinem Sinne zu beeinflussen. Er weckte bei dem schon resignierenden Monarchen neue Zuversicht auf einen deutschen Sieg und spornte ihn an. Wenn er an Abdankung dachte, faßte Berg ihn „wie einst Bismarck Wilhelm I. am preußischen
251 Diese Namen sind der Mitgliederliste der CdB entnommen, die 1933 aufgestellt wurde (LKA Schwerin, I/A). Dabei wurden solche Personen erfaßt, die sich bereits als Mitarbeiter der Bewegung hervorgetan hatten. 252 Die folgenden Angaben stützen sich auf die von H. POTTHOFF, Berg, S. 37-73 vorgelegte Biographie. 253 Ebd., S. 127. 254 Ebd., S. 38f. und J. ALTER, Nationalisten, S. 165. 255
REICHSHANDBUCH
S. 39ff. 256 Ebd., S. 43. 257 Ebd., S. 38 oben.
DER DEUTSCHEN
GESELLSCHAFT, S .
110;
H.
POTTHOFF,
Berg,
Führende Personen
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Portepee" 258 . Grundsätzlich war der ostpreußische Konservative allerdings der Ansicht, daß innen- wie außenpolitisch den liberalen, katholischen und sozialdemokratischen Fraktionen schon zu sehr nachgegeben worden war. Polen hätte nie die Unabhängigkeit erhalten dürfen, da dadurch eine mögliche Verständigung mit Rußland blockiert wurde 259 . Vor allem hätte man bei den ersten Unruhen im Innern viel härter durchgreifen müssen: „Bei den ersten Deserteuren, bei böswilliger Urlaubsüberschreitung hätten einige dutzend Leute totgeschossen werden müssen. Das hätte gewirkt." 260 Der Kabinettschef meinte außerdem, daß die Wehrkraft unter der „sozialdemokratischen Organisation und Hetzerei" litt261. Von seiner leitenden Position aus konnte er den Kriegsverlauf allerdings gut genug verfolgen, um zu erkennen, daß die Niederlage unvermeidlich und kaum einem „Dolchstoß" zuzuschreiben war. Immerhin sah er die Situation bis zuletzt doch nicht als hoffnungslos an: auch wenn an einen Sieg längst nicht mehr zu denken war, sollte doch nach Verhandlungen mit dem Gegner ein solcher Frieden möglich sein, der Deutschland im Westen nur wenige Opfer abverlangte und es im Osten in einer starken Stellung beließ. Selbst nachdem die Heeresleitung den Krieg verloren gegeben hatte, sah Berg noch Chancen. In einer Rückschau schrieb er: „Am Ende unserer Kraft waren wir noch nicht, nach Zurückgehen in die Maaslinie konnten wir uns halten und unter der Hand energische Friedensangebote fördern. Das wäre das Richtige gewesen, dann hätte der Frieden anders ausgesehen ,.."262 Die Voraussetzung dafür wäre nach Bergs Ansicht jedoch eine starke deutsche Regierung gewesen, die das Volk „zu einer letzten großen Anstrengung" aufgerufen hätte 263 . Darum wollte er am Ende des Krieges auch keine Reformen zugunsten einer Parlamentarisierung des Reiches, sondern die „Diktatur" 264 . „Man hätte den Kaiser dazu bringen müssen, seine Macht zu zeigen und den Schießbefehl gegen die Revolutionäre zu erteilen; dann, so glaubte Berg, wäre die Revolution erst gar nicht erfolgt bzw. sofort niedergeschlagen worden." 265 Und es wäre gerettet worden, was noch zu retten war: „die Ehre, die Monarchie, das Vaterland" 266 . Es ist klar, daß Berg sich mit der Republik nie abfinden konnte. Seiner Einstellung nach dürfte er Ewald von Kleist an die Seite zu stellen sein. Wie 258 Zitiert nach ebd., S. 94. Der Satz will sagen, daß Berg ganz wie Bismarck den Monarchen immer wieder daran erinnerte, daß mit dem Königtum auch Preußen fallen würde. 259 Ebd., S. lOOf. 260 Ebd., S. 154. 261 Ebd. 262 Ebd., S. 181. 263 Ebd., S. 195; vgl. S. 191. 264 Ebd., S. 179. 265 Ebd., S. 196, Anm. 3. 266 Ebd., S. 197.
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diesem war ihm das Königtum der Hohenzollern die allein legitime Staatsform. Er hielt Wilhelm II. auch nach dessen Flucht nach Holland, von der er ihm abgeraten hatte 267 , die Treue. Lange und häufige Besuche führten ihn nach Amerongen und später nach Doorn. In den Jahren 1921 bis 1926 war er Minister des Königshauses und damit Vermögensverwalter der Hohenzollern 268 . Politisch suchte Berg Einfluß zu nehmen im Rahmen des „Deutschen Herrenklubs" und der DNVP, deren Abgeordneter im ostpreußischen Landtag er war. In der traditionell konservativen Provinz brachte er es 1919 sogar bis zum Landtagspräsidenten 269 . Außerdem wurde er 1920 zum Vorsitzenden der „Deutschen Adelsgenossenschaft" (DAG) gewählt270, einer den VvVD angeschlossenen Vereinigung271, die nicht nur die Standesinteressen der Aristokratie vertrat, sondern auch unmittelbar politische Ziele verfolgte. Uber die Grundlagen und Ziele der Adelsgenossenschaft schrieb Berg 1931: „Bewußt unserer durch Ehre, Ueberlieferung und Erbgut gebotenen Pflicht halten wir unverbrüchlich fest am Bekenntnis zum Christentum, an der Treue zum monarchischen Gedanken und zur Person des Monarchen und am opferwilligen Kampf für den nationalen Gedanken, der sich stützt auf den Glauben an das deutsche Volk ... Wir kämpfen um die Freiheit unseres Volkes. Die im Versailler Diktat erpreßte Anerkennung der deutschen Schuld am Kriege lehnen wir ab. Wir erwarten von der Reichsregierung tatkräftiges Vorgehen mit dem Ziele, ... uns einen Frieden zu erkämpfen, der dem Lebensbedürfnis unseres Volkes gerecht wird." 272 Noch deutlicher wurde der „Adelsmarschall" wenig später: „... das große, einigende Ziel... ist die Wiederbegründung des Deutschen Reiches, wie es uns von unseren Ahnen überkommen ist... Das Reich als freie Einung seiner Fürsten, also der föderalistische Reichsaufbau, und die konstitutionelle Regierung in ihrer Verbindung mit der Monarchie von Gottes Gnaden, das sind ... wirksame Gedanken der politischen Neuordnung des deutschen Volkes ,.."273
Mit solchen konterrevolutionären Vorstellungen markierte Berg die extrem rückwärts gewandte Position im konservativen Lager. Aber auch darin war er Kleist ähnlich, daß er diese politische Einstellung als Folge seiner Religion begriff. So war für ihn der Glaube an Gottes Führung eine Selbstverständ267 Ebd., S. 196. Der Kaiser sollte nach Berg an die Front, um durch den Heldentod das monarchische Ideal zu retten. 268 Ebd., S. 62f. 269 Ebd., S. 62. Er war auch Vorsitzender des 1919 gegründeten „Ostpreußischen Heimatbundes", der sich unter ihm der CdB korporativ anschloß (vgl. Eintrag Nr. 155 der Mitgliederliste der CdB in LKA, Schwerin I/A). Dazu W. KAUFMANN, Monarchism, S. 102 u n d ausführlich F. CARSTEN, Geschichte, S. 161. 270
H . P O T T H O F F , B e r g , S. 6 9 .
271
Siehe R. v. D. GOLTZ, Verbände, S. I63f. Zur D A G gehörte auch Ewald von Kleist, der die pommersche Landesabteilung vertrat. 272
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 2 9 9 b , 2 6 . 1 0 . 1 9 3 1 , S . 5 .
273
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 3 1 2 b , 8 . 1 1 . 1 9 3 1 , S. 1.
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lichkeit 274 , der in der Erfüllung der Pflichten seine Umsetzung ins Sittliche fand 275 . Wie der pommersche Gutsbesitzer beschrieb der Ostpreuße den Weg heraus aus den schweren Zeiten: „Alter Preußengeist... m u ß erwachen, der Geist der Tüchtigkeit, Schlichtheit, Opferfreudigkeit, der uns nottut in diesen Zeiten moralischen Verfalls, mehr denn je, der Geist der Pflichterfüllung auch im kleinsten, der uns gerüstet macht für die großen Aufgaben, die das Vaterland von uns fordert." 276
Es ist verständlich, daß Berg aufgrund seines christlichen Bewußtseins auch im kirchlichen Leben eine führende Rolle einnahm. Auf der preußischen Generalsynode sprach er als Vorsitzender der „Positiven Union", jener Kirchengruppe, der auch Kleist angehörte 277 . Außerdem brachte er es zum Präses der ostpreußischen Provinzialsynode, zum Vorsitzenden des Provinzialkirchenrats und zum Mitglied des Kirchensenats278. 1926 wurde ihm für seine Verdienste um die Heimatkirche der Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Universität Königsberg verliehen. Darüber hinaus war er Kommendator des protestantischen Johanniter-Ritterordens, einer dem Hohenzollernhaus eng verbundenen Organisation, die sich karitativen Diensten widmete 279 . Für die CdB war Berg von vornherein aufgeschlossen: er rechnete sie zu „den verwandten Bestrebungen" der „Positiven Union" 280 . Es war eine Gruppe, die, „nachdem die Throne zerbrochen" waren, wenigstens den „Sturz der Altäre" verhindern wollte281. Die Kontakte wurden von Kleist-Schmenzin über die „Positive Union", von Doehring und Wilm über die DAG hergestellt282, in deren Zeitschrift christlich-deutsche Beiträge Eingang fanden 283 . Das volkskirchliche Anliegen der CdB teilte Berg, ebenso wollte er das „Vaterland" als höchstes irdisches, gottgegebenes Gut verkündet und gegen Katholizismus, Liberalismus und Marxismus verteidigt wissen284. Schließlich 274
S i e h e VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE v o m 2 0 . - 2 2 . 4 . 1 9 3 1 ,
1931,
S. 43: „Wir leben in unserm Vaterland in schwersten Zeiten; Gott hat sie uns auferlegt, wir müssen sie überwinden helfen mit der Kraft des Glaubens." 275 In GLAUBE UND VOLK 1, 1932, S. 76 spricht Berg davon, daß „der Grundsatz vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen in die allgemeine Dienstpflicht von Männern und Frauen umgesetzt werden" müsse. 276
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 2 2 0 b , 8 . 8 . 1 9 3 1 , S. 1.
277
VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE v o m 2 2 . 2 . - 1 2 . 3 . 1 9 3 0 , 1 9 3 0 , Z w e i -
ter Teil, S. 32. 278 H . POTTHOFF, Berg, S. 41. 279 Ebd. 280
GLAUBE UND V O L K 1, 1 9 3 2 , S . 7 7 .
281
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 4 / 2 9 9 b , 2 6 . 1 0 . 1 9 3 1 , S. 5.
282 Die Anschrift der DAG stimmte mit der Adresse Doehrings überein: Berlin N W 40, Hindersinstraße 7. 283 Walter Wilm schrieb etwa in DEUTSCHES ADELSBLATT 49/14, 1931, S. 213f. 284
GLAUBE UND V O L K 1, 1 9 3 2 , S. 7 7 .
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war er auch einer entsprechenden kirchlichen „Sammlungspolitik" gegenüber aufgeschlossen 285 . 1.2.7. Weitere Personen Neben Berg nahmen noch einige andere Männer an der C d B teil, die führende Amter in der Kirche sowie im Verbandsprotestantismus innehatten. An erster Stelle wird hier Detlev von Arnim zu nennen sein, ein Fideikommißbesitzer aus Kröchlendorff in der Uckermark 286 , der gleichfalls von Anfang bis Ende in der C d B mitwirkte. Schon im Januar 1931 beteiligte er sich an der Seite von Doehring und Wilm an einer christlich-deutschen Kundgebung in Berlin 287 . Wie Berg war er Kommendator des Johanniter-Ordens; und er war ebenfalls Vorsitzender einer großen kirchenpolitischen Gruppe in der altpreußischen Landeskirche: der „Vereinigung der Evangelisch-Lutherischen" 288 , die in Opposition zur Kirchenunion von 1817 das lutherische Bekenntnis als unverrückbare Glaubensgrundlage verteidigen wollte. Im April 1931 wurde Arnim sogar zum Zweiten Vizepräsidenten der Generalsynode gewählt 289 , außerdem war er Mitglied des Kirchensenats und Vorsitzender des Brandenburgischen Patronatsverbands 290 . Auch er war ein M a n n mit extrem konservativen Ansichten. Noch Ende 1930 machte er Wilhelm II. große Hoffnungen auf den Tag, „an dem wir ... die Kaiserkrone der Hohenzollern zurückholen" 291 . Die „Überparteilichkeit" hielt er wie Goltz als Ideal hoch, sofern damit nicht Neutralität gemeint war, sondern das leidenschaftliche Eintreten für das „Vaterland". Eine echte „Staatsregierung" sollte wieder an die Stelle der „Parteiregierung" der Republik stehen. Vor allem die Kirche sollte eine eindeutig nationale, vaterländische Haltung einnehmen und damit zur Vorkämpferin für die Wiederbelebung der alten, preußischen Ideen gegen Katholizismus und Marxismus werden 292 . 285
Ebd., S. 78. Zur Biographie LEBENSBILDER AUS DER BEKENNENDEN KIRCHE, S. 1 Iff. Ein Fideikommißbesitz, der meist große Wald- und Ackerflächen umfaßte, war unveräußerlicher Stammbesitz, dessen Bildung königlicher bzw. ministerieller Genehmigung bedurfte. Der Inhaber durfte nur über die Erträge des Besitzes verfügen, wurde aber steuerlich begünstigt. Der Sinn der Institution war die Sicherung des Bestandes der großgrundbesitzlichen, staatstragenden Familien und die Förderung einer aristokratischen Gesinnung. Um die Jahrhundertwende war eine Fläche etwa von der Größe der Provinz Westfalen an Fideikommisse gebunden. 1919 bestimmte Art. 155 der Weimarer Reichsverfassung ihre Auflösung, die sich faktisch jedoch nur schleppend vollzog. 287 N E U E PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 83/18b, 18.1.1931, S. 6. 288 V E R H A N D L U N G E N DER NEUNTEN GENERALSYNODE vom 22.2.-12.3.1930, 1930, Zweiter Teil, S. 31. 289 N E U E PREUSSISCHE KREUZ-ZEITUNG 83/113b, 23.4.1931, S. 6. 286
290
DEUTSCHES PFARRERBLATT 3 5 , 1 9 3 1 , S . 4 7 1 .
291
Schreiben Arnims an Wilhelm II. vom 30.11.1930 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 224). Vgl. VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE vom 20.-22.4.1931, 1931,
292
Führende
Personen
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Ähnliche Ansichten finden sich auch bei Wilhelm Zoellner 293 , der als Mann der „Inneren Mission" schon seit etwa 1930 mit Walter Wilm in Verbindung stand 294 und dessen Anliegen teilte, von der reformatorischen Botschaft aus Verbindungslinien zu den rechten Parteien und Verbänden zu schlagen, um die an sich begrüßenswerte „völkische Bewegung" auf eine christliche Grundlage zu stellen295. Zoellner saß wie Arnim im Vorstand der „Evangelisch-Lutherischen" 296 und sprach wie dieser von einem „Kampf der Kirche" gegen den Kommunismus mit seinen falschen Erlösungsvorstellungen 297 . Sein Fernziel war die Beendigung des Prozesses der Säkularisierung und der Emanzipation, wodurch der Mensch aus den modernen Städten herausgeführt, zurück „aufs Land" gebracht und wieder mit Familie, Sippe und Volk verbunden werden sollte298. Im September 1931 schrieb der Einundsiebzigjährige: „Wir ringen darum, daß wieder Treu und Glauben und die Willigkeit zum Dienst die Einzelnen miteinander verbinde. Das aber fordert Bindungen und Anerkennungen von Bindungen, die tiefer verankert sind, als das in menschlichen Ordnungen und Gesetzen möglich ist."299 Der bis Ende 1930 amtierende Generalsuperintendent der Provinz Westfalen war schon vor dem Kriege als Kämpfer gegen Liberalismus und Sozialismus hervorgetreten. Dabei bildeten sein theologischer und sein politischer Konservativismus eine Einheit: der Glaube an Gottes Wort richtete sich auch gegen jedes Autonomiebestreben im politischen Bereich300. Von der Erwekkungsbewegung des Minden-Ravensberger Landes und orthodoxem Neuluthertum geprägt301, stand Zoellner aber vor allem dafür ein, daß konservative Anschauungen im kirchlichen Bereich beherrschend blieben. So sorgte er in seinem Amt dafür, daß liberale und sozialdemokratisch engagierte Pfarrer diszipliniert wurden 302 .
S. 63f; DEUTSCHE ZEITUNG 35/279a, 28.11.1930, S. lf; DER REICHSBOTE 59/94, 19.4.1931, S . LF. 293
Die Angaben stützen sich auf die Biographie von W. PHILIPPS, Zoellner. Siehe die Schreiben Füllkrugs an Schian und an Wilm vom 13.1.1931 ( A D W Berlin, CA 380/112); vgl. W. PHILIPPS, Zoellner, S. 87. 295 W. ZOELLNER, Kirche, S. 80ff. 254
296
VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE v o m 2 2 . 2 . - 2 . 3 . 1 9 3 0 , 1 9 3 0 , Z w e i -
ter Teil, S. 31. 297
298
W . ZOELLNER, K i r c h e , S. 7 4 f .
Ebd., S. 75. Ebd., S. 76. Das „Wieder" impliziert, die Verhältnisse seien früher besser gewesen. 300 D a ß Zoellner auch politisch rechts stand, geht aus W PHILIPPS, Zoellner, S. 84f. hervor. 301 Ebd., S. 1 Iff. I6ff. 302 Erinnert sei an die Fälle August Cisar, Gottfried Traub und Emil Fuchs; siehe ebd., S. 37ff. 299
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Im Ersten Weltkrieg sah der Generalsuperintendent Gottes Fügung walten und machte Deutschland ein gutes Gewissen 303 . Auch später noch wertete er „die Tage der großen Erhebung im August 1914" als Rückbesinnung des Volkes auf seine heiligen Bindungen an Familie und Heimat 3 0 4 . Die Revolution von 1918 war für ihn ein Verrat, doch erblickte er im Fortfall des Staatskirchentums immerhin die Chance für den Aufbau einer lebendigen, stark bekenntnisorientierten Volkskirche 305 . So setzte er sich vehement dafür ein, einen konfessionalistischen Vorspruch in die neu zu schaffende Ordnung der altpreußischen Landeskirche aufzunehmen 306 . Der konservative Gegenschlag in der akademischen Theologie der 20er Jahre, der das objektive Bekenntnis allen kritisch-rationalistischen Überlegungen vorordnete, fand seine Zustimmung, und er begrüßte es, wenn nicht länger der Mensch als Maß aller Dinge galt, sondern schöpfungsgemäße Ordnungen wie Familie, Volk und Vaterland wieder in den Mittelpunkt rückten 307 . Als Mitarbeiter der C d B seien ferner aus den Kreisen des Verbandsprotestantismus Friedrich Conze und Hermann Wolfgang Beyer genannt. Wie Kleist, Berg und Arnim war auch Conze auf der neunten Generalsynode der altpreußischen Kirche präsent, wobei er als Vertreter der „Volkskirchlichen Evangelischen Vereinigung" auftrat 308 . Außerdem war er Mitglied der Provinzialsynode und des „Centrai-Ausschusses für die Innere Mission" in Berlin 309 . Im Jahre 1864 als Sohn des Archäologieprofessors Alexander Conze geboren, hatte er die Juristenlaufbahn eingeschlagen und war 1910 Landrat in Posen geworden 310 . Im Rückblick betonte er, daß er als „Ostmarkenlandrat" zugleich „stellvertretender Vorsitzender des Gemeindekirchenrats seiner Kreisstadt" gewesen sei und in dieser Zeit die Verbindung von Deutschtum und Protestantismus als selbstverständlich erlebt habe 311 . Später stieg Conze zum Ministerialdirektor in das preußische Wohlfahrtsministerium auf. Offenbar hatte er sich eine gewisse politische Zurückhaltung auferlegt, denn er blieb auch im neuen preußischen Staat in seinem Amt. Erst nach seiner 1930 erfolgten Pensionierung sprach sich der Angehörige des rechten Flügels der „Deutschen Volkspartei" (DVP) mit aller Deutlichkeit für die Ablösung der Weimarer Republik durch einen Staat aus, der 303 Ebd., S. 60. Wie Doehring ging aber auch Zoellner nicht so weit, den Glauben an einen deutschen Gott zu postulieren. 304 W. ZOELLNER, Kirche, S. 71. 305 W. PHILIPPS, Zoellner, S. 65ff. 306 Ebd., S. 7 4 - 7 8 . 307 Ebd., S. 79ff. 308 VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE vom 2 2 . 2 . - 1 2 . 3 . 1 9 3 0 , 1930, Zweiter Teil, S. 33. 309 REICHSHANDBUCH DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT, 1931, S. 278. 3.0 Ebd. 3 . 1 Zitiert nach J. LELL, Verworrene Zeit, S. 74, Anm. 1.
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von den „alten, in der Reformation wurzelnden Kräften" bestimmt werden sollte 312 . Er tat dies in seiner Eigenschaft als Präsident des „Evangelischen Bundes", den er in den Jahren 1930 bis 1934 als zweiter Nachfolger Doehrings leitete. Unter seiner Leitung ging der „Bund", der 1886 als Wahrer protestantischer Interessen gegen katholische und religionsfeindliche Strömungen begründet worden war und bereits unter Doehrings Ägide Anschluß an die V v V D und die nationalen Gruppen gefunden hatte, dazu über, eine politisch eindeutige Stellung zu beziehen 313 . Hermann Wolfgang Beyer, Professor für Kirchengeschichte in Greifswald und ebenfalls im Präsidium des „Evangelischen Bundes", unterstützte diese Wendung hin zu einer engen Anknüpfung an die völkische Bewegung. Was ihm die Weimarer Republik bedeutete, markierte der ehemalige Frontkämpfer am Ende des Jahres 1931: „Auf seinem Schicksalsweg in den letzten 15 Jahren ist das deutsche Volkstum von zwei Reihen von Männern geführt worden. Die eine ist bezeichnet durch die Namen Scheidemann, Ebert, Hermann Müller, Braun; die andere durch die Namen Erzberger, Wirth, Marx, Brüning. Es war ein Weg in die Tiefe. Niemand hat unter ihm so gelitten wie der bewußt evangelische Volksteil der Deutschen. Wir erwarten von uns selbst, daß wir uns aufraffen, aus der Kraft des Glaubens unseres Volkes Schicksal zu wenden. Ohne diese Kraft kann niemand Deutschland retten." 314
Es ist zu beachten, daß Conze ebenso wie der eine Generation jüngere Beyer dafür sorgten, daß der „Evangelischen Bund" mit seinen über 200000 Anhängern in den letzten Jahren der Weimarer Republik einen ganz ähnlichen Weg ging wie die C d B und dabei auch analogen Brüchen und Orientierungsschwierigkeiten ausgesetzt war. Schließlich sei auf Mitarbeiter der C d B aus dem direkten Umfeld Wilhelms II. hingewiesen. Außer dem schon erwähnten Rittergutsbesitzer Berg und dem Hofprediger Doehring zählte auch Wilhelm von Dommes zu diesem Kreis. Der 1867 Geborene hatte im Ersten Weltkrieg die deutsche Heeresgruppe in Palästina geführt und war Generaladjutant des Kaisers gewesen. Er trat im Jahre 1932 die Stelle des Hausministers von Wilhelm II. an, also jene Position eines Generalbevollmächtigten, die früher Berg eingenommen hatte. Er selbst bemerkte dazu: „Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß ich das Amt, das ich bekleide, nicht übernommen haben würde, wäre ich nicht 3 1 2 E r k l ä r u n g zur Preußenwahl 1 9 3 2 ; zitiert nach J . - C H R . KAISER, D e r Evangelische B u n d , S. 186. 3 1 3 Siehe ebd., S. 183ff. K. FINKER, Verbände, S. 3 1 5 zählt den „Evangelischen B u n d " j e d o c h o h n e Beleg - unter den den V v V D angeschlossenen Vereinigungen auf. U b e r C o n z e s Präsidentschaft siehe Ε v. D. HEYDT, G u t e Wehr, S. 142 u n d S. 156f. 3 1 4 DER REICHSBOTE 6 0 / 1 , 1 . 1 . 1 9 3 2 , S. 7. Philipp S c h e i d e m a n n , Friedrich Ebert, H e r m a n n M ü l l e r u n d O t t o B r a u n waren die führenden Sozialdemokraten im Reich bzw. in Preußen; M a t t h i a s Erzberger, J o s e p h W i r t h , Wilhelm M a r x u n d Heinrich B r ü n i n g waren die f u h renden Zentrumspolitiker.
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durchdrungen von dem tragenden Gedanken der Krone. Nur unter der über allen Parteien stehenden Krone vermag ich mir in unserem Vaterlande stabile Verhältnisse vorzustellen."315 In den Jahren 1925 bis 1934 war Dommes Vorsitzender des nur wenige hundert Mitglieder umfassenden „Preußenbundes", einer den VvVD angeschlossenen Vereinigung316, in der Preußentum, Legitimismus und Christentum als unabdingbare weltanschauliche Grundlagen für die Wiedererrichtung einer staatlichen Ordnung angesehen wurden317. Außerdem war der ehemalige Generalmajor als Gauleiter im „Stahlhelm" aktiv und hatte eine führende Position in der D N V P inne. Er stellte also die Verbindung sowohl von den Hohenzollern als auch vom „Stahlhelm" und den Deutschnationalen zur CdB her, wobei er zusätzlich auch im Führungskreis der ChristlichDeutschen vertreten war318. Zuletzt muß man auch Hans Blüher zu jenen Christlich-Deutschen rechnen, die in engster Verbindung zu Wilhelm II. standen. Er besuchte den Kaiser in seinem Doorner Exil und verwickelte ihn in lange Dialoge, die die Ausformung einer Weltanschauung veranlaßten, in welcher konservative Gedanken mit obskuren Verschwörungstheorien zu einer Legitimation politischer Prätentionen vermengt wurden. Bedeutende Anregungen zu seinen Schriften verdankte er „den Gesprächen, die Seine Majestät der Kaiser mit mir zu führen die Gnade hatte" 319 . Blüher galt dem Ex-Kaiser und seiner Gattin Hermine von Schönaich-Carolath bald als „unser Philosoph" 320 , umgekehrt hielt er seine „königlich-preußische" Gesinnung bis zu seinem Tode aufrecht 321 . Obwohl der 1888 geborene Sproß einer preußischen Beamtenfamilie sich nicht vorrangig mit dem Christentum beschäftigte - er wurde in erster Linie bekannt als Geschichtsschreiber der Jugendbewegung und Verfechter homoerotischer Ideale, gelangte er zu einer Synthese seiner monarchistischen Schwärmerei mit christlichen Glaubensinhalten. So stellte er 1930 mit seinem „Deutschen Katechismus des Christentums" eine erste richtungsweisende Theologie der CdB auf, indem er den verstiegenen Behauptungen seiner Schriften „Die Erhebung Israels gegen die christlichen Güter" und „Der 315 Notiz vom 10.9.1933 für einen Vortrag bei Staatssekretär Hans-Heinrich Lammers (GStA Berlin, B P H Rep. 53, Nr. 167/1). 316 R. v. D. GOLTZ, Verbände, S. 162. 317 Siehe H . GOTTWALD, Preußenbund, S. 594. Über entsprechende Putschpläne von D o m m e s unterrichtet W. H . KAUFMANN, Monarchism, S. 187. Der „Preußenbund" war eng verwandt mit dem „Bund der Aufrechten", der oben S. 18 erwähnt worden ist. 318 Nach der 1932 ausgefertigten Aufstellung über die Gliederung der C d B saß D o m m e s im „Engeren Ausschuß" und im „Bündischen Ausschuß" der C d B (EZA Berlin, 7/4146). 3 , 9 Schreiben Blühers an Wilhelm II. vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96). 320 In der Korrespondenz des Ex-Kaisers mit Blüher ist die Rede von „unserem Philosophen" (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 263). 321 H. BLÜHER, Werke, S. 165.
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S t a n d o r t des C h r i s t e n t u m s in der lebendigen Welt" die F o r m kurzer, prägnanter Lehrsätze gab 3 2 2 . O f f e n s i c h t l i c h hatte D o e h r i n g den in B e r l i n - H e r m s d o r f als freier Schriftsteller u n d T h e r a p e u t W i r k e n d e n für diese Arbeit gewinnen k ö n n e n . Beide hatten s c h o n seit längerem theologische G e s p r ä c h e g e f ü h r t u n d kannten einander gut, da sie in enger B e z i e h u n g zu W i l h e l m II. standen u n d d a r ü b e r h i n a u s in Berlin in den gleichen politischen K l u b s u n d Zirkeln verkehrten 3 2 3 . Z u d e m G r u n d b e s t a n d von Blühers Konservativismus gehörten elitärer D ü n k e l , spekulativer Idealismus, A n t i s e m i t i s m u s u n d der H a ß gegen die westliche Welt. Er verwarf A u f k l ä r u n g , Wissenschaft u n d Liberalismus in B a u s c h u n d B o g e n u n d erklärte, daß die Geschichte in Wirklichkeit keinen Fortschritt kenne: „ D i e Menschheit ist nicht entwickelbar, sie schreitet nicht fort, sondern sie ist erlösungsbedürftig." 3 2 4 D e r Fortschrittsgedanke war nach Blüher das W a h n g e b i l d e einer Religion, nämlich der von J u d e n gestifteten „Menscheitsreligion" 3 2 5 . D i e s e leugne die Geschöpflichkeit u n d S ü n d h a f t i g keit des M e n s c h e n : „Das Judentum hat daran festgehalten, daß der Mensch durch die Werke des Gesetzes gerechtfertigt ist ... Jeder der glaubt, daß das richtig ist, ist seinem Wesen nach Jude, auch wenn er es seiner Rasse nach nicht ist. Wer glaubt, daß die Sache mit dem Menschen irgendwie, wenn auch nach vielen Unterbrechungen, doch eben aufwärts geht und schließlich in Ordnung kommt, der ist Jude von Religion; und um so mehr, wenn er sein eigenes Volk für das auserwählte hält. Im Grunde aber denken alle Völkischen so." 326 D i e s e A u s s a g e läßt klar erkennen, daß Blühers religiöser A n t i j u d a i s m u s scharf zu scheiden ist von d e m Rassenwahn völkischer Kreise. Er wollte die 3 2 2 Siehe Literaturverzeichnis. Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der beiden zuletzt genannten Werke bei R. BREITLING, Blüher und Stapel, Sp. 4 5 1 - 4 5 5 . D i e literarische Form des Katechismus wurde wohl in A n k n ü p f u n g an eine beliebte G a t t u n g aus der Zeit der Freiheitskriege gewählt. Erinnert sei an Ernst Moritz Arndts „Katechismus für den teutschen Kriegs- und W e h r m a n n " von 1813. Eine direkte Anlehnung liegt wohl vor an Heinrich von Kleists patriotische Schrift von 1809, den „Katechismus der Deutschen". S o machte bereits H . KLEIST, Katechismus, S. 9 2 2 die Bindung der Deutschen an den „Verstand", an den „ H a n del" und an „Geld und G u t " verantwortlich für ihren Abstieg; ihre Rettung erwartete er dagegen von einem rational nicht vermittelbaren Glauben an „die höchsten Güter", zu denen er „ G o t t , Vaterland, Kaiser" zählte. Vergeblich aber wird man in diesem Traktat antisemitische Vorurteile suchen: der Judenhaß war noch kein konstitutives Element der Ideologie der Befreiungskriege! Zur Rezeption der „Katechismen" Arndts und Kleists vgl. auch P. ALTHAUS, Vaterland, S. 239f., E. HIRSCH, D i e Liebe, S. 5ff. und H . RENDTORFF, Wort, S. 3. 3 2 3 D a ß Blüher theologische Gespräche mit Doehring führte, zeigt das Schreiben Blühers an Wilhelm II. v o m 2 4 . 1 . 1 9 3 0 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 263). Beide verkehrten im U m f e l d der Viktoria von Dirksen und im „Deutschen Herrenklub". Uber die Zusammensetzung und die Ansichten dieses elitären Klubs siehe H . BLÜHER, Werke, S. 3 2 8 . 324 H . BLÜHER, Katechismus, S. 14. 325 H . BLÜHER, Stellung, S. 41. 3 2 6 Ebd., S. 81f.
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Juden verjagen und ihren geistigen Einfluß beseitigen, - er wollte sie nicht physisch vernichten. 327 Auch begründete er seine Ablehnung des Judentums nicht biologistisch, sondern philosophisch und religiös. Dualistisch schied er zwischen Christentum und jüdischer Religion: „Die Menschenwelt ist ein Krieg zwischen Glauben und Unglauben." 328 Er ließ freilich nur das dogmatisch gebundene Christentum gelten, während er den liberalen Protestantismus als jüdisch beeinflußt verwarf 329 . Die wichtigste Aussage des Dogmas war ihm, daß Gott der Schöpfer der Welt sei. Diese Glaubensgewißheit stand seiner Ansicht nach in schärfstem Widerspruch zur modernen, rationalistischen Weltanschauung. Bezeichnenderweise wollte Blüher aber auch das Volkhafte als Schöpfung Gottes gewertet wissen: er nannte es eine „Sünde wider den Heiligen Geist"330, wenn man das Volk als eine menschliche, geschichtliche Bildung erklärte. „Diese Lehre ist der organisierte Verrat des Volkes an sich selbst, die Verletzung des anvertrauten Gutes und eine Verlästerung Gottes des Schöpfers." 331 Trotz schärferer Formulierungen ist hier kein fundamentaler Unterschied zu anderen Christlich-Deutschen auszumachen: die Verbindung von Volkstum und Schöpfung war allgemein die Grundlage, von der man ausging, um das Christentum mit nationalen und konservativen Strömungen zusammenzuschließen. Blüher wies allerdings deutlicher als andere auf die politischen Implikationen hin: auf die Seite des Christentums gehörten Monarchismus und Konservativismus, weil sie den Protest gegen die menschliche Autonomie teilten; auf die Seite des Judentums gehörten der Humanismus und die auf ihn sich berufenden Mächte wie Frankreich 332 . Darum sollte sich der Christlich-Deutsche als Konservativer und Gegner des Humanismus mitsamt seinen Unterarten Liberalismus und Marxismus verstehen 333 . Er sollte sich zur monarchistischen Staatsform bekennen, weil Gott sie für das deutsche Volk vorgesehen habe und im König ein „Treuhänder des Staates vor Gott" gegeben sei334. Blüher wiederholte die Ideologie, die im Ersten Weltkrieg der deutschen Sache zugeordnet war:
327
Vgl. H . BLÜHER, Werke, S. 167f. H . BLÜHER, Katechismus, S. 4. Der gleiche Dualismus, jedoch ohne antisemitische Spitze, bei E. v. D. KLEIST-SCHMENZIN, Glaubt ihr nicht, S. 270. 329 H . BLÜHER, Stellung, S. 41. Blühers „Dogmatik" war freilich voller Widersprüche und Unklarheiten; vgl. nur H . BLÜHER, Katechismus, S. 10f.: „Man kann es nicht beschreiben, was die Vergebung der Sünde, die Erlösung und das ewige Leben sind." 330 Ebd., S. 6. 331 Ebd. 332 Siehe ebd., S. 13f. 333 Vgl. ebd., S. 6. 334 Ebd., S. 7. 328
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„Ein Haufen von Völkerschaften unter Führung Frankreichs ... greift das Land der Mitte mit erdrückender Übermacht an. Sie kämpfen, wie sie sagen, für die Menschheit' (humanite) gegen die Barbaren ... Sieht man sich also den feuerlodernden Erdball von weitem an, so springt in die Augen das Bild eines umzingelten Volkes, das nicht an die Menschheit glauben will, sondern dessen Losung lautet: Mit Gott für König und Vaterland." 335
Wie in der Weltkriegspropaganda wurden hier die deutsche und die westliche Weltanschauung gegeneinandergestellt 336 , wobei Blüher die Auseinandersetzung zu einem Religionskrieg erhob, wenn er „auf deutscher Seite das Christentum" stellte und „auf der Seite des Feindes" ein „Verratenes Christentum" ausmachte 337 . Allerdings sah er auch Deutschland wiederholt einem unchristlichen Denken erlegen: „Wir haben ja lange schon vor dem Kriege aufgehört, als Nation christlich zu sein, denn wir haben die Gedanken des Feindes in uns aufgenommen." 338 Die Epoche vor 1914 wollte also auch Blüher nicht wiederherstellen. Noch negativer aber bewertete er die Zeit nach 1918: „Wir verrieten auch den königlichen Staat, das dem Volke anvertraute Erbgut des alten Geschlechtes, und nahmen den Standpunkt des Feindes an, der auf humanite lautet." 339 In dieser Lage wuchs nach Blüher einer kleinen Minderheit die Aufgabe zu, die alte christlich-konservative Weltanschauung zu bewahren. Deutlich beschrieb er die Rolle der CdB: „Der Kern des Volkes ... ist treu geblieben ... Eines Tages m u ß das Gebäude des Feindes wie der Turm von Babel zusammenbrechen, und dann m u ß etwas da sein, das dem drohenden Chaos die Stirn bietet. ,Ich habe mir lassen überbleiben sieben Tausend Mann, die nicht haben ihre Knie gebeugt vor Baal.' Das zu sein und Deutschland zu seinem Worte zu verhelfen, das ist die Sache der letzten Christen in Deutschland, die heute in den Katakomben leben." 340
So also sahen sich die Christlich-Deutschen am Anfang selbst: sie verklärten sich zu Märtyrern wahren Christseins, das für sie eine Einheit bildete mit Preußentum und Konservativismus. Allerdings darbten die Christlich-Deutschen keineswegs in den Katakomben, sondern eine großer Teil von ihnen lebte in Gutshäusern. Wenn sie Anlaß hatten, ihre Lage zu beklagen, dann nur in der Hinsicht, daß ihr politischer und geistiger Einfluß in Preußen und Deutschland seit 1918 gebrochen war.
335 336 337 338 339 340
Ebd., S. 13f. Vgl. K. D . ERDMANN, Der Erste Weltkrieg, S. 149. H . BLÜHER, Katechismus, S. 14. Auch dies geschah schon durch die Kriegspropaganda. Ebd. Ebd., S. 15. Ebd. nach l . K ö n 19,18.
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1.2.8. Konservatives Milieu und konservatives Denken Es waren vor allem drei Elemente, die das konservative Weltbild bestimmten und die die Konservativen dem deutschen Reich nach der Revolution wieder aufprägen wollten. Man kann sie als Traditionalismus, Uberparteilichkeit und
Christlichkeit bezeichnen.
Daß die in vielen Generationen erprobte Lebensführung nicht einfach infrage gestellt werden darf, ist die wohl am ehesten einleuchtende Maxime dieser „deutschen Vendee". Man kann ihren positiven Ansatz zusammenfassen in der Feststellung: Die überlieferte Ordnung ist gut. „Den echten Konservativen bedeutete Pflege der Tradition im echten Sinne die Bewahrung und Förderung erprobter Verhältnisse im menschlichen Zusammenleben. Sie lebten und handelten aus einem Gefühl der Ehrfurcht und Verantwortung gegenüber überlieferten Werten, die ihnen Herkunft und Erziehung, Beruf und Selbstbesinnung vermittelt hatten." 341 Es ist zu beachten, daß die hier geschilderte Haltung auch durch den Krieg nicht außer Kraft gesetzt wurde. Während andere an der Front die Entwertung früherer Werte erlebten, hatte der Krieg für die Christlich-Deutschen nicht diese zerstörerische Dimension. Sicher sind dabei auch die Unterschiede zwischen den Generationen zu berücksichtigen. Der Krieg verunsicherte besonders die jüngeren Jahrgänge, die noch keinem Beruf, keiner Familie, keinem Grund und Boden verbunden waren. Die Alteren hatten dagegen Bindungen, an denen sie sich orientieren konnten, und befanden sich in Positionen, in die sie nach dem Kriege zurückkehren konnten. 342 Vor allem muß festgehalten werden, daß der Krieg sehr unterschiedlich wahrgenommen wurde. Erich Maria Remarque bemerkte einmal: „An Hunderttausenden ist natürlich das Erlebnis Krieg abgelaufen wie eine Dusche. Andere sind wenigstens ohne Bruch durchgekommen. Manche haben sich ja auch so sehr daran gewöhnt, daß sie nachher ohne den Krieg gar nicht mehr auskamen. Für die Christlich-Deutschen galt sicherlich, daß ihre konservativen Wertvorstellungen die Zeit zwischen 1914 und 1918 ungebrochen überstanden. Auch die Niederlage deutete man nicht als Niederlage der eigenen Weltanschauung, sondern als Verrat an ihr. Wäre man ihr treu geblieben, so glaubten viele, hätte man gesiegt oder wäre wenigstens von dem schmachvollen Friedensdiktat von Versailles verschont geblieben. Vielleicht führte der Krieg bei den Christlich-Deutschen eher dazu, daß die vorhandenen Einstellungen verschärft wurden. Ihr Konservativismus wurde radikaler und kämpferischer. Da man meinte, sich in einem großen, die Erde umspannenden Gegensatz zur westlichen, von Frankreich und Eng341
DAS GEWISSEN STEHT AUF, S . 1 3 7 .
342
Ε. M . REMARQUE, Im Westen, S. 23 u. 262. Interview Axel Eggebrechts mit Remarque vom 14.6.1929; zitiert nach ebd., S. 306.
343
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land angeführten "Welt zu befinden, wurden dualistische Vorstellungen bestimmend. Dies galt besonders für Rüdiger von der Goltz und Hans Blüher, die auch entsprechende Verschwörungstheorien entwickelten und ein antiwestliches Sendungsbewußtsein vertraten. Überlegungen, im Bündnis mit einem „weißen" Rußland doch noch den Westen in die Schranken weisen zu können, sind ebenfalls hier einzuordnen. Der Nachteil des konservativen Traditionalismus dürfte in seiner Unversöhnlichkeit und Unbeweglichkeit zu sehen sein. Geschichtliche Formen sozialen und politischen Zusammenlebens wurden faktisch verabsolutiert. Statt sich veränderten Verhältnissen immer wieder neu anzupassen, sah der Konservative seine Aufgabe in der Opposition gegen das Neue und in der Verteidigung des Alten. Eine Verkörperung der Moderne war ihm die Großstadt mit ihrer sozialen Unruhe und gelockerten Moral. Die Furcht vor dem von ihr drohenden Chaos führte ihn zur Betonung der Ordnungen, die auf dem Lande, das er bewohnte oder von dem er stammte, gegolten hatten oder noch weiterhin galten. Diese Haltung war für die Rittergutsbesitzer Kleist und Berg ebenso kennzeichnend wie für die Kirchenmänner Doehring und Zoellner. Der ganze Staat sollte wieder in Ordnung gebracht werden. Das hieß nicht einfach die Rückkehr zu den Zuständen des wilhelminischen Reiches, sondern eine darüber hinausgehende, radikale Rückbesinnung auf konservative Prinzipien. Die unternehmerische Freiheit, die das Wirtschaftsleben beherrschte, sollte wieder eingeschränkt werden; mit diesem Antikapitalismus wollte man zugleich den Sozialismus bekämpfen. Die demokratische Freiheit, die den Staat seit der Revolution beherrschte, sollte aufgehoben werden, um das politische Durcheinander zu beenden. Die positiven Forderungen der Christlich-Deutschen waren freilich widersprüchlich und selten konkret. Es blieb offen, ob man die industrielle Revolution rückgängig und Deutschland wieder zu einem Agrarland machen wollte. Ebensowenig wurde geklärt, welche Staatsform in Zukunft gelten sollte. Bei einem klaren Votum für die Monarchie legte man sich jedenfalls nicht auf den genauen Anteil konstitutioneller Elemente am Königtum fest. Auch ließ man offen, wen man als Träger der Krone sehen wollte. Bei aller Verbundenheit mit Wilhelm II. hielten doch einige seine Rückkehr auf den Kaiserthron für nicht wünschenswert344. Das zweite bestimmende Element des Konservativismus war die Uberparteilichkeit. Diese muß man als die grundlegende Ideologie der Konservativen 344 So z.B. Kleist, wenn man sich an die Schilderung von B. SCHEURIG, Kleist-Schmenzin, S. 28f. hält. Nach H . SCHREYER, Monarchismus, S. 296f. war Wilhelm II. bei den Konservativen vor allem deswegen in Ungnade gefallen, weil seine Flucht nach Holland ihren heroischen Idealvorstellungen von Monarchie widersprach. Daher dachte man eher daran, dem Kronprinzen oder seinem ältesten Sohn den Thron anzubieten. Hoffnungen machte man sich auch auf eine Regentschaft der Kronprinzessin Cecilie aus dem Hause Mecklenburg-Schwerin, der ungeteilte Hochachtung entgegengebracht wurde.
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bezeichnen. Die Parteibildung widersprach schon an sich ihrem Bewußtsein, wonach der Staat dem Wohl des Ganzen zu dienen hatte und keineswegs Sonderinteressen. Allerdings identifizierten sich die konservativen Honoratioren selbst mit dem Staat und dem Gemeinwohl, weswegen es ihnen nicht einleuchtete, wenn andere nach politischer Repräsentation trachteten. „Denn die Konservativen fühlten sich immer als ,boni', als diejenigen, die kraft .historischen Rechtes' zusammen mit der Krone zur Herrschaft berufen waren und die als solche den Staat repräsentierten." 345 Vielleicht bemerkte man es selbst nicht, daß hier die Machtfrage hinter der staatspolitischen Frage verschleiert wurde. Jedenfalls war die Überparteilichkeit in dem Moment fraglich geworden, in dem neben den liberalen und sozialistischen Parteien eigene konservative Parteien auftraten. Für einen Augenblick allerdings schien das Ideal der Uberparteilichkeit Wirklichkeit geworden zu sein. Es waren jene Tage im August 1914, als der Kaiser angesichts der überraschenden Kriegsbegeisterung aller Klassen erklärte: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich k e n r ; nur noch Deutsche." 346 Der Erste Weltkrieg brachte also für einen Moment den Gedanken zum Durchbruch, daß das „Vaterland" über allen Sonderinteressen stehen sollte. Tatsächlich erlebten viele, daß an der Front etwas geschaffen wurde, das solchen Begriffen wie „Volk" und „Gemeinschaft" einen Sinn zu geben schien. Selbst der von den Konservativen nach dem Krieg schwer angefeindete Remarque erklärte: „Das Wichtigste aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammengehörigkeitsgefühl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!" 347 Dieses Zugehörigkeitsgefühl wollten die Konservativen nach Kriegsende wiedererwecken. Indem sie den Gedanken der Uberparteilichkeit mit der positiven Erinnerung und Verklärung der Frontgemeinschaft verknüpften, schufen sie sich eine scharfe Waffe gegen die parlamentarische Demokratie. Vor allem die in den Veteranenverbänden wie dem „Stahlhelm" organisierten Christlich-Deutschen traten damit hervor 348 . Auch Doehring gelang in seinen Predigten und Ansprachen eine Verbindung des Kriegserlebnisses mit überparteilichen Ansprüchen. Angesichts der Parteienzersplitterung, der Koalitionsschwierigkeiten, zermürbender Wahlkämpfe und damit verbundener Parteienverdrossenheit war die Parole der Überparteilichkeit wohl tatsächlich verlockend. So gewann der Gedanke weite Kreise, daß die Einheit von Volk und Vaterland nur mit Hilfe solcher Verbände und Organisationen verwirklicht werden konnte, die über den Parteien standen. Das dritte Element des Konservativismus war schließlich die Religiosität. Hier ist vor allem die Konstruktion zurückzuweisen, derzufolge die Anschau345
346 347 348
R - C H R . W I T T , Konservativismus, S. 2 4 0 . Zitiert nach H. D. ERDMANN, Der Erste Weltkrieg, S. 171.
Ε. M . REMARQUE, Im Westen, S. 29. Vgl. V. BERGHAHN, Stahlhelm, S. 68.
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ungen der Konservativen in einen Gegensatz zum Christentum gestellt werden 349 . Dem liegt eine unhistorische, abstrakte Sicht des Christentums und eine unhistorische Typisierung des Konservativismus zugrunde. Aber auch Fritz Sterns Hypothese, die im Unterschied dazu realgeschichtlich orientiert ist, ist zurückzuweisen. Er spricht von einer „stillen Säkularisierung", die das Einfallstor des Nationalismus in den deutschen Protestantismus gewesen sei 350 . Diese These scheint jedoch in Hinblick auf die C d B wie den Konservativismus überhaupt kaum anwendbar. Schon das Faktum, daß die ChristlichDeutschen von Hause aus fromm, extrem gegenaufklärerisch eingestellt, kirchlich äußerst engagiert und in den traditionellen kirchlichen Gruppen vertreten waren, spricht dagegen. Viel eher sollte man von einer mangelnden Säkularisierung sprechen, die die konservative Weltanschauung bestimmte. Die Ehrfurcht vor Königtum und Staat entstand nicht neu im 19. Jahrhundert, sondern die religiösen Wertungen dieser Größen bestanden fort 351 . Die theologische Interpretation des Standes und der Geschichte war nicht ein Produkt der Aufklärung, sondern tief in den Traditionen des deutschen Protestantismus verwurzelt. Das Denken in Nationalitäten kam zwar erst in der Moderne auf, aber die Größen Volkstum und Deutschtum wurden von den Konservativen unter den Stichworten „Schöpfungsordnung" und „Berufung" in ihr vormodernes Weltbild integriert. Darum hat Friedrich Wilhelm Graf recht, wenn er für die deutsche Geschichte den Grundsatz aufstellt: „Der moderne Nationalismus tritt nicht an die Stelle traditioneller Christlichkeit." 352 3 4 9 D i e s e T h e s e wird sehr stark von A . MÖHLER, Konservative Revolution, S. 117-121 propagiert, der d e m konservativen L u t h e r t u m k a u m gerecht werden k a n n . Seine B e h a u p t u n g (ebd., S. 1 1 8 ) , der Brückenschlag überzeugter Christen z u m Konservativismus sei fast i m m e r „ v o n der m a ß g e b e n d e n christlichen T h e o l o g i e " (welcher?) u n d d e m Konservativism u s selbst zurückgewiesen w o r d e n , entbehrt jeglicher G r u n d l a g e . D e m g e g e n ü b e r ist vielm e h r festzustellen, d a ß zahlreichen „völkischen" G r u p p e n u n d G r ü p p c h e n , die M ö h l e r der „Konservativen R e v o l u t i o n " zuordnet, der Konservativismus gerade deswegen bestritten wurde, weil sie christentumsfeindliche Ansichten a n g e n o m m e n hatten. A n d e r s als MÖHLER hat K . v . KLEMPERER, Konservative B e w e g u n g e n , S. 2 7 - 3 7 die religiösen Wesenszüge des Konservativismus grundsätzlich anerkannt. D o c h diagnostiziert er ebd., S. 2 5 lf. bei den ( J u n g - ) K o n servativen der W e i m a r e r R e p u b l i k eine A b w e i c h u n g v o m konservativen Idealtypus. O b w o h l er ü b e r z e u g e n d nachweist, daß im G e f o l g e der R e i c h s g r ü n d u n g , der J u g e n d b e w e g u n g u n d des Krieges neue Ideen in den ursprünglichen Konservativismus eindrangen ( N a t i o n a l i s m u s , Sozialismus, N e i g u n g zur Revolution, Reichsidee), ist d o c h auch d i e K o n t i n u i t ä t des konservativen Weltbildes zu berücksichtigen. D a dies bei ihm nicht geschieht, kann er etwa die D N V P m i t d e m B e g r i f f des ( N e u - ) K o n s e r v a t i v i s m u s nicht z u s a m m e n b r i n g e n (ebd., S. 18f.): ein Versagen, das sich bei K . SONTHEIMER, Antidemokratisches D e n k e n , S. 1 1 4 f f . zu einer K a r i k a t u r der deutschnationalen Position ausweitet. 3 5 0 F. STERN, T r a u m , S. 151f. Dies ist jetzt auch ü b e r n o m m e n w o r d e n von A. BULLOCK, Hitler u n d Stalin, S. 3 0 4 .
G e g e n F. STERN, T r a u m , S. 153. F. W. GRAF, S c h m e r z , S. 4 5 9 . Richtig hebt auch E. NOLTE, Konservativismus, S. 8 hervor, d a ß die Kirche trotz der Säkularisation eine starke M a c h t im öffentlichen L e b e n blieb. 351
352
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Bereits Ernst Troeltsch diagnostizierte „eine enge Verbindung politisch-sozialen Konservativismus, dogmatisch-intellektuellen Archaismus und lebendiger, von den konservativen Traditionen genährter Religiosität" 353 . In einer 1912 vorgelegten Analyse bezog er Konservativismus und christliche Religion in ihren wechselseitigen Auswirkungen aufeinander. Für den liberal-protestantischen Vordenker hing die Position des Konservativismus „eng zusammen mit der Entwicklung des deutschen Luthertums", welches „unter die Uebergewalt der bestehenden Machtverhältnisse" geraten sei, als es „die Berechtigung aller gegen die Erbsünde und die Bosheit geschaffenen weltlichen Gewaltordnungen" anerkannt habe 354 . Dadurch sei es „politisch von den als Träger des göttlichen Gewaltregiments verehrten Staatsgewalten abhängig geworden und sozial auf den Gebieten des Feudalismus zu einer patriarchalischen Verherrlichung der herrschenden Stände ausgeschlagen", die „wiederum ihrerseits die Religion in dem derart bestimmten Sinne gepflegt und verwendet" hätten: „So beruht bis zum Tage die gefühlsmäßige Stellung der Herrenklasse in ihren eigenen Augen ... a u f jenen patriarchalischen Gefühlen der Ergebung in die irdische Autorität, die von G o t t zur O r d n u n g der weltlichen Dinge bestellt und dafür nur an ihr Gewissen gebunden ist." 355
Zuzustimmen ist auch Troeltschs Feststellung, daß der Konservativismus, ausgehend von dieser religiösen Grundlage, politisch „zur Partei der patriarchalisch-autoritativen Lebens- und Gesellschaftsauffassung" geworden sei, die sich selbst als „Erhalterin des alten Ethos gegenüber dem demokratischen Individualismus und der rationalistischen Autonomie" darstelle356. Die Konservativen führten „den politischen Machtkampf mit Hilfe der Kirche und verkirchlichten Schule" und gäben „sich damit ein alle Glaubensleidenschaften entfesselndes ... Programm" 357 . Mit diesen Worten wies Troeltsch auf das Gewicht der Frömmigkeitselemente hin, die nicht nur für den Konservativismus seiner Zeit von ausschlaggebender Bedeutung waren. Auch für die in dieser Arbeit untersuchten christlich-deutschen Konservativen gilt nämlich, daß sie die Machtfrage als religiöse Frage begriffen und Gesellschaftsaufbau wie Staatspolitik unter dem Gesichtspunkt ihrer Glaubensüberzeugungen behandelten. Darum war für die C d B ein solcher Nationalismus kennzeichnend, der sich in ihr reformatorisches Bekenntnis einfügte. Die deutsche Nation galt als höchstes Gut, weil sie nicht als Menschenwerk, sondern als Schöpfung Gottes aufgefaßt wurde; aber Deutschland galt nur als ein irdisches Gut, weil Gott und sein Reich 353
E. TROELTSCH, Kirche, S. 9 4 .
354
E. TROELTSCH, Religion, S. 77f.
355
Ebd., S. 78. Ebd. Ebd., S. 78f.
356 357
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darüber standen. Auf die gleiche Weise wurde auch der Staat beurteilt. Auch er wurde als eine Gott unterstellte Ordnung verstanden. Dabei huldigten die Konservativen keineswegs einem Gouvernementalismus, sondern sie griffen den Staat immer dann an, wenn er ihrer Meinung nach sein Wesen als Staat verleugnete. Dies geschah vor allem in der Weimarer Republik; aber schon das Kaiserreich hielt sich nach konservativer Ansicht nicht immer an seine Aufgabe, die überlieferte, weltliche Ordnung zu schützen 358 . Die Konservativen wollten eine „christliche Politik", wie sie von Bismarck verkörpert worden war: die Obrigkeit sollte ihrem christlichen Gewissen verantwortlich sein und nach christlichen Prinzipien handeln. Ein „christlicher Staat" im Sinne einer Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden wurde dagegen in Anlehnung an Luther als Schwärmerei abgelehnt 359 . Der Staat sollte aber die Religion erhalten und die ursprünglichen Ordnungen von Ehe, Familie und Stand bewahren. Als wünschenswert galt der Monarch, der in seiner Person die Einheit von christlichem Glauben und politischem Handeln verkörperte und garantierte. Dabei wurde von vielen noch die traditionelle Vorstellung vom Gottesgnadentum zur Begründung politischer Souveränität herangezogen. Man denke an Kleist, Berg und Blüher. Danach konnte die Ausrufung der Republik nur als Sünde stigmatisiert werden. Aber auch wegen seiner religionsneutralen Verfassung konnte der Staat von Weimar schwerlich als Obrigkeit anerkannt werden. Weil zudem die konservative Einflußnahme auf die Staatsführung durch Beseitigung und Umformung der alten Machtstrukturen (Herrenhaus und Heer) nicht mehr möglich war, stellten sich die Konservativen auf eine offene Rebellion um. Man sprach fortan sogar von Widerstand und „konservativer Revolution" 360 . Wenn die traditionelle Christlichkeit als konstitutives Element des konservativen Lebens und Denkens betont wird, darf freilich nicht übersehen werden, daß manche Konservative sich gelegentlich zu Aussagen verstiegen, die eigentlich mit ihrem christlichen Bekenntnis nicht mehr vereinbar waren. So vergötterte man vereinzelt den wehrhaften Staat und sprach vom Glauben an das Volk oder an die Wiedergeburt Deutschlands. Hier war der Nationalis358
Vgl. D. STEGMANN, Neokonservativismus, S. 212: „Die Deutsch-Konservativen waren ... nie gouvernemental sans phrase gewesen." Unsinn ist es dagegen, wenn F. STERN, Traum, S. 148 behauptet, daß die deutschen konservativen Eliten „wenig Übung" mit der „Opposition" gehabt hätten. 359
360
V g l . e t w a GLAUBE UND V O L K W e r b e h e f t , 1 9 3 1 , S . 1 3 .
Gegen A. MÖHLER, Konservative Revolution, der von einer unchristlichen (S. 1 l6f.) und gegen die alten Konservativen gerichteten (S. 138) Bewegung spricht, wird an dieser Stelle festzuhalten sein, daß die „Konservative Revolution", wie sie von Kleist-Schmenzin, Hans Blüher und den Christlich-Deutschen verkörpert wurde, lutherisch-christlich und eng mit den royalistisch-konservativen Strömungen der Kaiserzeit verbunden war. Z u r Kritik an Möhler siehe auch K.-W. DAHM, Pfarrer, S. 158 und S. BREUER, Konservative Revolution, S. 603ff., der die Abgrenzungsschwierigkeiten nicht nur gegenüber dem „älteren" Konservativismus als unüberwindlich einstuft.
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mus so sehr ins religiöse Bewußtsein eingedrungen, daß er sich der Kontrolle entzog und verabsolutiert wurde. Anstelle von einer Relativierung der nationalen Idee durch das überlieferte Glaubensgut kann von ihrer Apotheose gesprochen werden. Damit korrespondierte, deutlich erkennbar bei Werner W i l m und Rüdiger von der Goltz, ein gewisser Utilitarismus in Hinblick auf die Kirche, die man gebrauchen wollte, um mit ihrer Hilfe politische Anliegen zu stützen und voranzubringen. Es wird zu fragen sein, ob sich diese Tendenz in der C d B durchsetzen konnte oder die eher gegenläufige, derzufolge die Unabhängigkeit der Kirche von weltlicher Macht gesichert werden sollte. Von hier aus konnte sogar der Trennung von Staat und Kirche durch die Republik eine positive Seite abgewonnen werden. Versucht man abschließend, die drei bestimmenden Elemente Traditionalismus, Uberparteilichkeit und Christlichkeit mit biographischen Stationen im Leben der Konservativen zu verbinden, so dürfte sich etwa folgender Zusammenhang von Bewußtsein und Milieu ergeben: a) Die Verbundenheit mit dem überlieferten Gut wurde durch das Heranwachsen in einem ständisch geordneten, festgefügten, agrarischen Raum erzeugt. b) Tiefe religiöse Bindungen ergaben sich durch die Erziehung in Elternhaus, Kirche und Schule; sie wurden teilweise im Kriegserleben aktualisiert und gewannen eine besondere Bedeutung in ihrem Gegensatz zu aufklärerischen, westlichen, liberalen Ideen. Die konservative Frömmigkeit ging oft einher mit der Übernahme kirchlicher Funktionen. c) Die Überparteilichkeit schließlich wurde während der beruflichen Karriere, die der Konservative in der Armee (als Offizier) oder in der Bürokratie (z.B. als Landrat) machte, als beherrschende Maxime verinnerlicht. Sie implizierte eine politische Entscheidung zugunsten sogenannter „staatstragender" Kräfte gegen die liberalen Demokraten, das katholisches Zentrum u n d die Sozialdemokratie, die als unzuverlässig und zersetzend galten.
1.3. Die ersten Kampfziele der Christlich-deutschen Bewegung
1.3.1. Gegen den preußischen Kirchen vertrag Betrachtet man die Zeit nach 1918 vom Standpunkt der eben erwähnten Konservativen aus, dann schien die evangelische Kirche eine ihrer letzten Bastionen zu sein. Auf den Staat hatten sie nicht mehr wie früher einen beherrschenden Einfluß. Das Heer, einst ihre Domäne, war auf 100.000 M a n n geschrumpft und drückte dem Land nicht mehr seinen Stempel auf. Die Kirche aber war ihnen geblieben: auch wenn der König, der Summus episcopus der Altpreußischen Kirche, außer Landes war, wurden die Synoden und Kir-
D i e ersten Kampfziele
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chenräte von den gleichen Gruppen bestimmt, die auch vor dem Kriege Macht und Einfluß gehabt hatten. Während liberale und sozialdemokratische Positionen im politischen Raum vordrangen, konnten sie sich in der Kirche nicht durchsetzen. Liberale Protestanten blieben auch nach 1918 in der Minderheit, die „religiösen Sozialisten" führten ein Außenseiterdasein 361 . In Brandenburg, Pommern und Mecklenburg gab es zudem auch eine ganz konkrete Form der kirchlichen Abhängigkeit vom konservativen Junkertum: „ D i e protestantische Kirche ... war ... sozusagen zu ,alt'..., wenn m a n sich vergegenwärtigt, d a ß im N o r d e n u n d im O s t e n Deutschlands die Rechtsverhältnisse u n d der finanzielle Lastenausgleich der Kirche a u f d e m L a n d e noch weithin unter d e m Zeichen der sogenannten ,Privatpatronate' standen. Fast mehr noch als das kirchliche Selbstbewußtsein der G e m e i n d e wurde gemeinhin das persönliche Wohlergehen des Pfarrers in H a u s u n d G a r t e n durch diese aus d e m Mittelalter sich herleitende Einrichtung beeinflußt, ja geradezu b e s t i m m t , der der Pastor in der Regel auch schon seine B e r u f u n g verdankte. Fraglos durchaus z u m Vorteil der G e b ä u d e u n t e r h a l t u n g u n d der Kirchenkasse, sehr oft auch z u m inneren Segen der G e m e i n d e u n d überwieg e n d gewiß zur schnellen B e h e b u n g so mancher kleiner N ö t e in der Pfarrfamilie! Aber die Folge war d a n n doch leicht eine eigentümliche soziale Abhängigkeit des geistlichen Amtsträgers von seinem örtlichen weltlichen Beschützer .,." 3 6 2
Diese Lage konnte die Konservativen leicht zu dem Gedanken führen, die Kirche als eine ihnen verbliebene Ausgangsposition zur Rückgewinnung geistigen Einflusses und politischer Macht zu benutzen. Allerdings sollte sich zeigen, daß ihnen auch hier Grenzen gesetzt waren. Auf der einen Seite gab es innerhalb der kirchlichen Rechten - ähnlich wie bei den Deutschnationalen im politischen Raum - eine starke Strömung, die bereit war, auf die neuen Verhältnisse positiv einzugehen. Hier handelte es sich gleichsam um kooperative und moderate Konservative, die von den radikalen christlich-deutschen Konservativen als Opportunisten angesehen wurden, weil sie sich dem Kampf gegen Weimar verweigerten. Auf der anderen Seite aber suchten auch 361 Hermann Wolfgang Beyer konnte darum in GLAUBE UND VOLK 2,1933, S. 184f. sagen: „Meiner Überzeugung nach hat es in diesen vierzehn Jahren [der Weimarer Republik] nur zwei große Körperschaften in Deutschland gegeben, die in sich einigermaßen rein und sauber geblieben sind: das ist die deutsche Reichswehr und das ist die deutsche evangelische Kirche." K. NOWAK, EV. Kirche, S. 67f. nennt die verschiedenen Gründe, warum die Konservativen ihren Einfluß in der Kirche behalten konnten. 362 R. v. THADDEN-TRIEGLAFF, Auf verlorenem Posten, S. 25f. Die Patronatsstellung, die unter den Christlich-Deutschen etwa Kleist und Arnim innehatten, beeinflußte nach ebd., S. 30 wiederum die Zuwahl zu den höheren kirchlichen Körperschaften: „Schon bei der Auswahl der Laienmitglieder der Kreis- und Provinzialsynoden waren es in Pommern, Ostpreußen oder Schlesien manchmal nicht so sehr bewährte Männer und Frauen des Gemeindedienstes, der Jugendarbeit oder des christlichen Gemeinschaftslebens, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkten, als vielmehr angesehene .Patrone', Notabein des Landes, die schon ohnehin alle Ehrenämter in der Wirtschaft, in den Aufsichtsräten und Landtagen auf sich vereinigten."
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solche Republikgegner Einfluß auf die Kirche zu nehmen, die die konservativen Ideale nicht oder nur scheinbar teilten: die Nationalsozialisten. Über die an erster Stelle stehenden Aufgaben der CdB schrieb Walter Wilm dem vormaligen Kaiser Wilhelm II. anläßlich seines 72. Geburtstages: „Im Jahre 1931 will ich die energische Orientierung der wichtigsten Führerkreise weiter durchführen. Außerdem werden wir zu öffentlichen Kundgebungen und zur Vorbereitung des kirchenpolitischen Großkampfes übergehen. Erstes und wichtigstes Kampfziel ist der Angriff auf die Preußische Generalsynode." 363 Damit meinte Wilm, daß die CdB einen solchen Einfluß auf die Generalsynode nehmen sollte, daß der dort zur Abstimmung stehende Vertrag zwischen dem Freistaat Preußen und der altpreußischen Landeskirche zu Fall kam. Uber diesen Vertrag wurde schon seit einigen Jahren zwischen dem Evangelischen Oberkirchenrat (EOK) und der preußischen Regierung verhandelt. Weil für die evangelische Kirche nach der Revolution keine rechtliche Absicherung ihrer äußeren Stellung gegenüber dem Staat mehr bestand 364 , hielten viele Personen in leitenden Kirchenämtern ein Konkordat für wünschenswert 365 , wie es die katholische Kirche mit Preußen bereits 1929 geschlossen hatte. Finanzielle Zuwendungen sowie staatliche Garantien für die kirchlichen Einrichtungen und theologischen Fakultäten hätten sich daraus ergeben, für die Kirche wäre jedoch auch die Verpflichtung einer gewissen Loyalität dem Staat gegenüber entstanden. Gerade darin aber sahen die christlich-deutschen Konservativen die Crux des Vertrages. Eine erste Kundgebung der CdB gegen den Kirchenvertrag fand im Berliner Kriegervereinshaus auf der Chausseestraße am 22. Januar 1931 statt. Doehring und sein „Lutherring" hatten diese Veranstaltung unter dem Motto „Um die Freiheit und Zukunft der evangelischen Kirche" organisiert. Detlev von Arnim war als Redner geladen und sprach davon, daß der Vertrag „in entscheidenden Funktionen die Freiheit der evangelischen Kirche gefährde"366. Er wies vor allem auf die sogenannte „politische Klausel" hin, die das zuständige preußische Ministerium einbringen wollte, um zu erreichen, daß nur solche Personen im höheren Kirchendienst (z.B. als Generalsuperintendent) beschäftigt wurden, die eine loyale Haltung zur Verfassung einnahmen 367 . Der preußische Staat wollte also der Besetzung hoher Kirchenämter nur dann stattgeben, wenn er gegen die Kandidaten keine politischen Bedenken hegte. Das aber forderte den Widerspruch der Christlich-Deutschen heraus, die einen Eingriff des Staates in die innerkirchlichen Verhältnisse be-
363 364 365
Schreiben Wilms an Wilhelm II. vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96). Sieht man einmal von den Artikeln 137-141 der Weimarer Reichsverfassung ab. J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 44.
366
D E R REICHSBOTE 5 9 / 2 1 , 2 4 . 1 . 1 9 3 1 , S. 4 .
367
Vgl. J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 57ff.
Die ersten Kampfziele
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fürchteten, vor allem aber eine Annäherung der Kirche an den preußischen Freistaat verhindern wollten, der sozialdemokratisch regiert wurde und nicht wie das alte Königreich Preußen „überparteilich" und „christlich". Nachdem Arnim seine Rede beendet hatte, wurde eine Entschließung gefaßt, die die Opposition gegen die „politische Klausel" deutlich werden ließ: „Die Teilnehmer der evangelischen Kundgebung ,Um die Freiheit und Zukunft der evangelischen Kirche' richten an den Kirchensenat die dringende Bitte, der drohenden Politisierung der Kirche, die durch die politische Klausel unvermeidlich herbeigeführt wird, durch die Ablehnung dieser Klausel vorzubeugen, - auch auf die Gefahr hin, daß der Kirchenvertrag unter der gegenwärtigen, marxistisch bestimmten Regierung nicht zustande kommt. Wir machen im höchsten Ernste darauf aufmerksam, daß die fur den Abschluß des Vertrages verantwortlichen kirchlichen Stellen im Falle der Annahme der politischen Klausel, sei es mit oder ohne Schiedsgericht, eine Vertrauenskrise innerhalb der evangelischen Kirche heraufbeschwören, die dieser zu allerschwerstem Schaden gereichen muß."368 Hier waren die hauptsächlichen Argumente der CdB gegen den Vertrag zusammengestellt: man strich erstens die Gefahr einer politischen Einflußnahme auf die Kirche heraus; man machte zweitens darauf aufmerksam, daß die evangelische Kirche und die marxistische Sozialdemokratie ungeeignete Vertragspartner seien; und drittens wies man daraufhin, daß es bei einer Annahme des Vertrages zu einem Bruch zwischen Kirchenvolk und Kirchenleitung kommen könne. In einem sehr scharfen Artikel hatte Arnim bereits im November 1930 vor einem Vertrag mit dem Marxismus gewarnt, der seiner Ansicht nach einem Vertrag mit „Shylock" gleichkam. Außerdem wies er darauf hin, daß sich Kirche und Volkstumsbewegung wegen eines solchen Vertrages verfehlen könnten 3 6 9 . Nach solchen Presseveröffentlichungen und Kundgebungen war die Richtung vorgegeben, die die christlich-deutschen Vertreter auf der außerordentlichen Tagung der altpreußischen Generalsynode einschlagen mußten, welche über den Kirchenvertrag abzustimmen hatte. In der abschließenden Debatte am 22. April 1931 ergriffen nacheinander Berg, Conze, Arnim und Kleist das Wort, wobei einer schärfer und deutlicher als der andere die Ablehnung des Vertragswerkes forderte. Der Ostpreuße Berg sprach noch sehr moderat davon, daß der Vertrag keinen genügenden Schutz vor einem Mißbrauch der politischen Klausel biete. Doch er markierte bereits die Feindschaft gegenüber dem republikanischen Staat, wenn er mit einer rhetorischen Frage der Unterzeichnung des Vertrags widerriet: „... soll ich mich freiwillig einem Gegner unterwerfen, solange es nicht unbedingt notwendig ist, sich zu fügen?" 370 368
DER REICHSBOTE 59/21, 24.1.1931, S. 4. DEUTSCHE ZEITUNG 35/279a, 28.11.1930, S. lf. Shylock ist der hartherzige, geldverleihende Jude aus William Shakespeares (1564-1616) „Merchant of Venice". 370 VERHANDLUNGEN DER NEUNTEN GENERALSYNODE vom 20.- 22.4.1931, 1931, S. 42. 365
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Conze argumentierte, daß es ein neutrales Schiedsgericht geben müsse, welches über die Anwendung der politischen Klausel durch den Staat zu befinden hätte. Vor allem wies er darauf hin, daß „in der Gegenwart, bei den gegebenen Parteiverhältnissen" 371 die Erhebung politischer Bedenken gegen kirchliche Amterbesetzungen von parteipolitischen Gesichtspunkten abhängig sei und dadurch „in die Auswahl der Kirchenführung M o m e n t e hineingetragen" würden, „die mit dem Religiösen nichts zu tun haben" 3 7 2 . Daran Schloß sich Arnim mit der Erklärung an: „Ich bin ein grundsätzlicher Gegner des Vertrages mit der politischen Klausel, ... weil er außerhalb der Kirche stehenden Dritten, die nicht evangelisch zu sein brauchen, die Israeliten oder Dissidenten sein können, das Recht gibt, hineinzureden in maßgebende und wichtigste Dinge der Kirche ..." 3 7 3 Sein „Hauptbedenken" 3 7 4 aber war, daß durch die politische Klausel die Opposition der Kirche gegen das nachrevolutionäre System eingeschläfert werden würde. Deutlich brachte er seinen H a ß auf Weimar und seine Sympathie für die konservativen und nationalen Gruppen zum Ausdruck: „Wer durch das Leben der letzten 13 Jahre mit offenen Augen und Ohren gewandelt ist, der weiß, daß wir nach der Revolution einen Niedergang von Zucht und Sitte im deutschen Volke erlebt haben, wie es in der Vergangenheit wohl noch niemals der Fall gewesen ist, und daß als automatische Gegenwirkung gegen diesen Niedergang eine starke Strömung durch das deutsche Volk hindurchgeht, die die Wiederbelebung derjenigen Grundsätze, Anschauungen und Leistungen fordert, die den Preußischen Staat groß gemacht haben, weil sie genau weiß, daß ein Staat nur groß und auf der Höhe bleiben kann, wenn die Grundsätze und Maßnahmen, die ihn geschaffen haben, dauernd in Anwendung bleiben. Diese Strömungen sind groß und mächtig, und sie sind nicht nur politischer Art, sondern sie werden getragen von einer heißen Sehnsucht in allen Herzen: hin zum Glauben unserer Väter, hin zur Kirche! ... Wenn diese Millionen von Menschen, deren Kampf sich vielfach richten muß gegen diejenigen, die sich in der preußischen Staatsregierung nicht mit ihnen identifizieren, jetzt sehen, daß wir diesen, ihnen entgegenstehenden Persönlichkeiten und Kreisen hier ein Recht geben, zu dem wir nach der Reichsverfassung nicht verpflichtet sind, so besteht die Gefahr ..., daß diese weiten Kreise, Millionen e v [ a n g e l i s c h e r ] Volksgenossen, sich vor den Kopf gestoßen fühlen." 375 Demgegenüber formulierte Arnim unter Beifall der rechten Synodalen das christlich-deutsche Anliegen einer kämpfenden Kirche, die die nationalen Belange nicht verleugnete: „Wir wollen, daß unsere Kirchenleitung kämpferischer eingestellt ist, als das bisher von ihr gesagt werden konnte, und wir wollen, daß uns die Möglichkeit nicht verschränkt wird, daß die Kirchenlei371 372 373 374 375
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S. S.
55. 53. 61. 62. 63.
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tung kämpferische Männer in das Amt des Generalsuperintendenten hineinsendet." 376 Auch brachte Arnim die volksmissionarische Einstellung der CdB zur Sprache, wenn er daran erinnerte, daß die Kirche „die Pflicht" habe, „alle ev[angelischen] Christen zu betreuen; ... auch diejenigen, die noch zur schwarz-weiß-roten Fahne schwören" 377 . Dabei wies er daraufhin, „daß hohe Kirchenträger in ihrer Einwirkung auf weite Kreise unseres Volkes zum mindesten gehemmt sind, wenn sie das marxistisch-jesuitische Plazet erhalten haben". Auch sei gerade dadurch die „Uberparteilichkeit" gefährdet, an die sich die Kirche halten sollte378. Am heftigsten von den Christlich-Deutschen aber ereiferte sich Ewald von Kleist. Für ihn bedeutete der Vertrag, daß „ein der Kirche gegensätzliches, gottwidriges Wesen" - damit meinte er den preußischen Staat unter sozialdemokratischer Führung - Einfluß in die innerkirchlichen Angelegenheiten nehmen konnte. Ganz unbefangen sprach er aus, „daß bei dem gegenwärtigen Staate die Grenze überschritten ist, bei der man es noch zulassen darf, daß er eine Einwirkung auf innere Dinge der Kirche jemals gewinnen könnte ... Ich hätte darum gewünscht, daß die G[eneral] S[ynode] diesen Vertrag abgelehnt hätte mit der Begründung, daß sie es mit ihrer Glaubenshaltung nicht vereinbaren könnte, etwas auf die Kirche einwirken zu lassen, was wider Gott ist."379 Zielte die politische Klausel auf die Loyalität der Kirchenmänner gegenüber der demokratischen Verfassung, forderte Kleist, daß die Kirchenführer sich „dem Vaterlande" verpflichteten: „Wir dürfen doch nicht verkennen, daß wir auch als Kirche ... hier in unser deutsches Volk von Gott gestellt sind "380 £) e r christlich-deutsche Wunsch nach einer kämpfenden Kirche sprach sich hier aus, während die bestehende Kirche nach Kleist durch den Vertrag mit Preußen geradezu domestiziert sein würde: „Was wir eben nicht gebrauchen können, das sind Männer, die gewiß ehrenhaft, aber letzten Endes harmlos sind." 381 Daran also hielten die Christlich-Deutschen auf der Generalsynode im April 1931 fest: daß die Kirche gefährlich blieb für den nachrevolutionären, demokratischen Staat, der ihrer Ansicht nach widerchristlich regiert wurde, nämlich von Jesuiten, Juden und Marxisten. Mit diesen Kräften sollte die Kirche nichts zu schaffen haben, sondern die „schwarz-weiß-rote" Opposition unterstützen, die sie und ihre Wertvorstellungen bejahte. Zu beachten bleibt, daß die CdB ihren Widerstand gegen den Vertrag al376 377 378 379 380 381
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S. S. S.
62. 63. 64. 74. 75. 76.
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D i e Christlich-deutsche Bewegung
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lerdings auch mit dem Argument verteidigte, daß der "Weg der Kirche „nicht in der Richtung verstärkter Bindung der ev. Kirche, sondern in der Richtung noch freierer Selbstverwaltung liegen müßte" 382 . Dem lag eine Einsicht zugrunde, die zu einem anderen Zeitpunkt auch Opposition gegen ein der C d B politisch genehmeres System hervorrufen konnte, wenn dieses die Unabhängigkeit der Kirche gefährdete. Mit der Ablehnung des Kirchenvertrages konnte sich die C d B 1931 allerdings nicht durchsetzen: die Synode verabschiedete den Vertragsentwurf einschließlich der politischen Klausel in namentlicher Abstimmung mit 166 gegen 47 Stimmen; am 11. Mai fand im preußischen Staatsministerium die Unterzeichnung des Vertrages des Freistaates Preußen mit den preußischen Landeskirchen statt 383 . Für die CdB war dies ein schwerer Schlag. Sie „erlahmte" 384 , denn das erste große Kampfziel war nicht erreicht worden. Die konservative „Kreuz-Zeitung" titelte im Sinne der Christlich-Deutschen: „Mehrheit der Generalsynode für den Kirchenvertrag. Der Opportunismus siegt." 385 Jetzt stand man vor der Frage, ob man nicht eine andere Kirche brauchte, die die durch das Konkordat erfolgte Annäherung an das Weimarer „System" wieder rückgängig machen würde. Auf der anderen Seite waren die christlich-deutschen Ansichten in der bestehenden altpreußischen Kirche stark verbreitet, denn bei der Abstimmung über den Vertrag hatten immerhin etwa 22 % der Synodalen gegen ihn votiert. Auch daraus konnte sich eine Möglichkeit ergeben, wenn man auf der Grundlage dieses bereits bestehenden Einflusses die begonnene Arbeit gegen Weimar fortsetzte. 1.3.2. Eine kirchliche Kampfgruppe Aber offensichtlich dachte die CdB zunächst daran, eine eigene Kirchenpartei zu bilden, die die evangelische Kirche erobern und auf Kurs gegen Weimar bringen sollte. So führte Walter Wilm in dem oben zitierten Brief an Wilhelm II. weiter aus: „Die großen politischen Organisationen haben sich bereit erklärt, mit ihren Gefolgschaften den Angriff der Christlich-deutschen Bewegung zu unterstützen (Stahlhelm, Luisenbund, Nationalsozialisten, Deutschnationale, Vereinigte Vaterländische Verbände und andere mehr). Wir dürfen also auf eine große kirchliche Kampfgruppe hoffen, die im Sinne der Tradition und der unbedingten Opposition gegen das Heute marschieren soll." 386 Anfänglich wurde also die C d B von kirchenpolitischen Vorstellungen beherrscht, nach denen die rechtsstehenden politischen Parteien und Gruppen 382 383
Friedrich Conze in ebd., S. 55. J. WRIGHT, Über den Parteien, S. 61 f.
384
B . SCHEURIG, K l e i s t - S c h m e n z i n , S . 8 7 .
385
N E U E PREUSSISCHE K R E U Z - Z E I T U N G 8 3 / 1 1 3 b , 2 3 . 4 . 1 9 3 1 , S . 5 .
386
Schreiben Wilms an Wilhelm II. vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96).
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als treibende Kräfte in die Kirche hineinwirken sollten, um diese zum Verbündeten gegen den Weimarer Staat zu gewinnen. Wer sich später an diese Zeit erinnerte, dachte darum besonders an „die erste Kampfgemeinschaft gegen Marxismus, Pazifismus und weiche Kirchenführung" 3 8 7 . Z u diesem Bild stand allerdings Walter Wilms anderer Gedanke, demzufolge die Kirche umgekehrt die nationalistische Bewegung christlich beeinflussen sollte, in großer Spannung. Gerade diese Frage wurde für die C d B entscheidend: Sollte man von der Kirche aus missionierend zu den Nationalisten gehen oder von den Nationalisten aus politisierend in die Kirche hineinwirken? Die Alternative lautete also: volksmissionarische Gemeinde oder völkische Kirche. Vor allem Walter Wilms Vater setzte sich dafür ein, daß die C d B kirchenpolitische Aktivität im letzteren Sinne entfaltete. Uber die bestehende Kirche urteilte er nämlich: „Weiteste Kreise des bewußt evangelischen Kirchenvolkes vermissen bei der Kirche ... den Willen zum Kampf. Die Kirche schweigt, wo sie reden und abwehren müßte, sie schweigt erst recht, wo sie angreifen könnte und sollte." 388 Werner Wilm wollte, daß in den kirchlichen Körperschaften christlichdeutsche Einsichten bestimmend wurden und die Kirche daraufhin zur Vorkämpferin eines nationalen Staates wurde. Zu diesem Zweck verfaßte er 1931 eigens eine Broschüre mit dem Titel „Der Kampf um die Kirche und die Kirchenverfassung". Dieses Heft, das später auch die „Deutschen Christen" als Anleitung nahmen, sollte als Ratgeber dienen für kommende Kirchenwahlen: es machte vertraut mit dem Aufbau der Landeskirchen, den kirchlichen Parteien und den kirchlichen Wahlmodi. Als Aufruf stand voran: „Ihr alle, die ihr wollt, daß die Kirche für die Geltung der Schöpfungsordnungen Gottes auch in unserem Volke, in unserem Staate kämpfe, daß sie eintrete für Ehe und Familie, für ein christliches Volk und einen in christlichem Geiste geleiteten Staat, daß sie eine kämpfende Kirche werde, Ihr habt es in Eurer Hand, das alles zu erreichen: kämpft um die Kirche! ... Die Waffen gibt die Verfassung der Kirche." 389 Offensichtlich verfügte die C d B zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht über eine solche organisatorische Festigkeit und Entschlossenheit, die es Werner Wilm erlaubt hätte, sie als neue Kirchenpartei vorzustellen. Er stellte sie zwar „allen bisherigen Gruppen oder Vereinigungen" gegenüber und schrieb, daß sie „überall im Lande ganz außerordentlich starke Zustimmung gefunden" habe 390 ; doch stand sie nach seiner Darstellung nicht selbst zur Wahl, sondern sollte bei den Kirchenwahlen lediglich als Auskunftsstelle 387
388
389 390
F. WIENEKE, Theologie, S. 31. W. WILM, Kampf, S. 4.
Ebd., S. 4f. Ebd., S. 22.
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behilflich sein391. Das wirkt, als hätte die CdB zunächst gezögert, sich als kirchliche Kampfgruppe zu formieren. Die Ursache dafür läßt sich vermuten. Die Grundhaltung der Konservativen war immer gegen Versuche gerichtet, auf populistischem Wege, also „von untenher" aktiv zu werden. Deswegen stieß die Vorstellung auf Bedenken, das Kirchenvolk zu mobilisieren. Gehörte es nicht vielmehr zu den Methoden des verhaßten Systems der Moderne, durch Wahlen zahlenmäßige Mehrheiten in den Körperschaften zu gewinnen? Dem Konservativismus entsprach es dagegen, „von obenher", ausgehend von vorhandenen Machtstellungen in Kirche und Gesellschaft, Veränderungen zu bewirken 392 . Ein früherer Mitarbeiter der CdB äußerte später kritisch: „Die ,Christlich-Deutsche Bewegung' hatte in sich vorzügliches Material, besaß aber wenig Verbindung mit den breiten Massen und beschränkte sich im Großen und Ganzen auf die Gewinnung vornehmer Kreise, die mit der völkischen Gegenwartsbewegung nur geringe Verbindung besaßen." 393 Hier ist der Spannungsherd in der CdB benannt. Die Nationalsozialisten, die sich ihr anschlossen, wollten mit den Mitteln der Moderne die Moderne zerschlagen. Sie sollten geradezu darauf drängen, daß ihre auf Massenwirkung abzielenden Methoden der Politik auch auf die Kirchenpolitik angewandt wurden. Viele Konservativen aber wollten diesen Weg nicht mitgehen. 1.3.3. Das Verhältnis zur Monarchie Das die Christlich-Deutschen am Anfang deutlich heraushebende Merkmal war die Bejahung der Monarchie. Die Verbindungen zum vormals regierenden Herrscherhaus waren sehr eng, wie aus der obigen Darstellung führender Persönlichkeiten bereits hervorging. Dabei ist interessant zu sehen, daß Anregungen zur Gründung der Bewegung auch von Wilhelm II. kamen. Dies ergibt sich aus einem Bericht Walter Wilms an den Ex-Kaiser, in dem auf einen Besuch in Doorn im Mai 1930 eingegangen wird: „Eure Majestät geruhten ... zu bemerken, daß auch der Glaubensstreit mit der gleichen Energie geführt werden müsse, wie der Kampf mit Bajonett und Handgranate. Wir waren bestrebt in diesem Geiste zu verfahren und hoffen in Bescheidenheit melden zu dürfen, daß der Angriff der ,Christlich-deutschen Bewegung' sich in der Entwicklung befindet." 394 Es muß darauf hingewiesen werden, daß die politischen Ambitionen des Kaisers nach seiner Flucht nach Holland keineswegs erloschen waren. Ver391
Ebd., S. 26. Konservativer Einstellung entsprang auch Bismarcks „Reform von obenher" (siehe Bismarcks Runderlaß vom 27.5.1866 in O . v. BISMARCK, Dokumente, S. 202), insofern sie dem Staat die Initiative überließ und unliebsame Veränderungen „von unten" blockierte. 3.2
3.3
F. W I E N E K E , T h e o l o g i e , S. 3 1 .
394
Schreiben Wilms an Wilhelm II. vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96).
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bindungen bestanden zu den rechten Parteien und Gruppierungen der Weimarer Republik. Veteranen der kaiserlichen Wehrmacht versicherten auch nach 1918 dem früheren Oberbefehlshaber ihre Treue395. Die D N V P erklärte in ihren Grundsätzen: „Die monarchische Staatsform entspricht der Eigenart und geschichtlichen Entwicklung Deutschlands. Über den Parteien stehend verbürgt die Monarchie am sichersten die Einheit des Volkes, den Schutz der Minderheiten, die Stetigkeit der Staatsgeschäfte und die Unbestechlichkeit der öffentlichen Verwaltung." 396 Wilhelm II. hoffte fest auf seine Rückkehr auf den Thron und hatte die Illusion, „wenn in Deutschland alles drunter und drüber geht und es am Rand des Abgrundes steht, dann würde sich die Lage ergeben, daß man ihn als Kaiser zurückruft" 397 . Mit dieser Vorstellung war die Ansicht verbunden, daß die Kirche ebenfalls seines Amtes bedürfe. So meinte er 1930, „in Deutschland schlafe die ganze Kirche. Das käme davon, daß man ihn als Obersten Bischof vergessen, ignoriert und verraten habe. Und damit habe man auch den Herrn verraten, in dessen Auftrag er doch gearbeitet und durch Gott eingesetzt sei! Christus habe immer als Kämpfer in vordester Schützenlinie gestanden, das müßten wir ihm nachmachen ,.."398 Daß unter diesen Umständen die CdB das Wohlwollen des Kaisers finden mußte, war klar: hier fanden sich Kämpfer gegen die neuen Verhältnisse in Deutschland, die ihn keineswegs vergessen hatten. Als in Finnland unter starker Beteiligung protestantischer Geistlicher die Lapua-Bewegung enstand, die mit ihrer rechtsradikalen, antikommunistischen Zielsetzung vor allem die großbäuerliche Elite erfaßte 399 , hatte Wilhelm II. bereits seinen Wunsch zu verstehen gegeben, daß auch in Preußen eine solche antibolschewistische Bewegung aus den Kreisen der Kirche gebildet werden möge400. Er wünschte daher Walter Wilm, nachdem dieser ihm erstmals über die CdB berichtet hatte: „Guten Erfolg Ihrer treuen Arbeit." 401 Die Sympathie des Monarchen für Wilm und die CdB blieb auch in den folgenden Jahren bestehen, so daß 355
Vgl. den Aufsatz von Sylvia Andler in D E R LETZTE KAISER, S. 1 4 3 - 1 4 9 ; außerdem Kaiser, S. 88ff. und D I E Z E I T 47/28, 3 . 7 . 1 9 9 2 , S. 7 0 . 396 Zitiert nach D E R NATIONALE W I L L E , S. 1 5 5 . Dazu muß man ebd., S . 1 5 5 - 1 6 1 die Auslegung dieses Programmpunktes lesen: so war beim Minderheitenschutz nicht an die fremdsprachigen Minderheiten gedacht, sondern an die Protektion der Fabrikanten, Landwirte und Mittelständler vor dem Mehrheitswillen. 3,7 Nach S. v. ILSEMANN, Kaiser, Band II, S. 172. Vgl. auch Wilhelms II. Notiz vom 26.8.1928 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 248): „So bleibt uns nur noch eins übrig: Mit ganzer Leidenschaft, mit schärfster Logik, mit klarstem Zielbewußtsein Entfachung der großen Nationalen Bewegung [sie!] mit dem Ziel der Wiederherstellung der Monarchie, und uns auf diese Weise ein neues Deutsches Reich unter mir erobern." 398 Nach S. v. ILSEMANN, Kaiser, Band II, S. 143. 399 Siehe E. NOLTE, Bewegungen, S. 238. 400 S. v. ILSEMANN, Kaiser, Band II, S. 143. 401 Handschriftlicher Vermerk Wilhelms II. auf dem Schreiben Walter Wilms vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96). W . GUTSCHE,
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noch 1933 der Gruß aus Doorn lautete: „Ihrem mannhaften Kampf weiter guten Erfolg." 402 Zu beachten ist auch, daß der Kaiser mit seiner Frömmigkeit den Christlich-Deutschen Doehring und Blüher nahe verwandt war. Wie Blüher huldigte er einem antijudaistischen Dualismus, der Christentum und Judentum zu gegensätzlichen Weltanschauungen werden ließ403. Er wollte sogar das Alte Testament aus der Bibel entfernt sehen404, womit er freilich über die christlich-deutschen Forderungen hinausging und in ideologische Nähe zur „Deutschkirche" geriet. Mit Doehring wiederum teilte Wilhelm II. die Betonung des Kriegserlebnisses. Er meinte sogar, „daß man wohl auf Kant und Goethe verzichten könne, aber niemals auf Friedrich den Großen und dessen Erbe, den,Frontgeist'. Dieser hatte seinen Höhepunkt im Jahre 1914, wo fast alle Deutschen sich unter Ausschaltung aller persönlichen Wünsche nur für eine Sache eingesetzt haben. Dieser Frontgeist müsse wieder in das Volk hineinkommen, er bilde die einzigen Säulen, auf denen Deutschland wieder aufgebaut werden kön-, ne." 405 Umgekehrt nahm der Monarch in der Propaganda der CdB eine große Rolle ein. Wilm erinnerte daran, daß der Kaiser stets einen „zuversichtlichen Gottesglauben vorgelebt habe" 406 . Blüher machte ihn zu einem Märtyrer, denn allein auf ihn hätten die Feindmächte und charakterlose Deutsche die Schuld am Kriege geworfen 407 . Der christlich-deutsche Pfarrer Georg Schultze aus Altrüdenitz in der Neumark erinnerte in den ausufernden Sätzen einer volkstümlichen Schrift daran, „was ... das gottbegnadete Geschlecht der Hohenzollern unserem Volke gewesen ist mit betonter evangelischer Bekenntnistreue, mit nationalem Aufbau, mit Sicherung der Arbeit, in Handel und 402 Handschriftlicher Vermerk Wilhelms II. auf d e m Schreiben Walter W i l m s v o m 2 5 . 1 . 1 9 3 3 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 262). 403 Schreiben Wilhelms II. an Blüher vom 2 9 . 8 . 1 9 2 9 (zitiert nach H . BLÜHER, Werke, S. 172f.): „Bruderliebe ist Christenart, allgem. Menschen- u. Nächstenliebe Jüdisch. Mein Bruder ist, wer mit (mir) freiwillig sich verbindet u m gemeinsam mit mir O p f e r zu bringen z u m W o h l u n d Heil unseres Volkes unseres K ö n i g t h u m s unseres Staates ... Jehuda ... spricht v o n Nächstenliebe, Brüderlichkeit der sog. .Menschheit' auf Erden, u. stiehlt d e m anderen .Nächsten' d e m Nicht-Jehuda alles f o r t . . . Der .Fürst dieser Welt' ist der Weltsinn, der Erdensinn, der trotz göttl. G e b o t e zur Herrschaft ... über Jehuda kam, w o er das Symbol f ü r den G e w i n n irdischer Güter, irdischer M a c h t , Weltherrschaft wurde ... Die Personifizierung dieser Weltherrschaft ist Jahwe! Er ist himmelweit verschieden von d e m Begriff,Gott-Vater', den Christus uns auf Gottes Befehl überbracht hat, auf d a ß wir seine Kinder w ü r d e n ... Jahwe u n d G o t t haben nichts fur uns Christen miteinander gemein. Es war Jahwe,... der durch J e h u d a ... den Sohn Gottes ans Kreuz schlagen ließ. D a m i t ist i h m Jehuda ein f ü r alle M a l verfallen u. bleibt Christi u n d seiner Gläubigen Feind!! [sie!]" 404 S. v. ILSEMANN, Kaiser, Band II, S. 53f. 405 Ebd., S. 82. 406
D E R REICHSBOTE 6 0 / 2 3 , 2 7 . 1 . 1 9 3 2 , S. 3 .
407
H . BLÜHER, Katechismus, S. 15.
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Wandel, mit Gründung der Heeresmacht, mit Schaffung eines pflichttreuen, selbstlosen Beamtenstandes, mit Verinnerlichung der Volksseele durch Kulturwerte aller Art" 408 . Auch für Ewald von Kleist war mit „der Idee des Hohenzollernthrones ... eine ganze Reihe sittlicher und politischer Vorstellungen verbunden, die ein führerloses Volk vor Verirrungen bewahren und die besten Kräfte zu neuem Leben erwecken. Insbesondere ist es der Gedanke der Pflicht... Pflicht ist der opferbereite, rücksichtslose Kampf gegen alles, was der Nation schadet. Niemals darf der Monarchist und der Konservative das Schädliche anerkennen oder sich damit abfinden oder es gar stützen helfen. Es ist Zeit, in diesem Sinne den Kampf für die Monarchie wieder in den Vordergrund treten zu lassen."409 Neben diesen eher kulturpolitischen und moralischen Begründungen wurden in der CdB aber auch religiöse Argumente für die Monarchie vorgebracht. Während etwa Goltz nur den Wunsch nach einer „irgendwie geartete/n/ Monarchie" aussprach410, dachte Blüher durchaus an eine Rückkehr Wilhelms II. aus der „Verbannung", wenn „Gott ihm und dem Volke die Kraft verleiht. Denn Königtum ist Gottesgnadentum." 411 Bis dahin allerdings sollte die CdB nach der Devise handeln: „Wir sind königstreu, und da wir den König nicht haben, so machen wir den Staat königlich." 4 ' 2 Außer aus diesem traditionellen Legitimismus ergab sich auch aus dem Sendungsgedanken eine theologische Begründung der Monarchie. Ein Beispiel dafür ist die Rede, die Walter Wilm anläßlich des 73. Geburtstages des Kaisers in der Berliner Singakademie vor dem „Bund der Aufrechten" hielt. Wenn er davon schwärmte, daß „in Zukunft ein deutscher Kaiser als Schirmherr des Christenglaubens einmal wieder an der Spitze eines mächtigen deutschen Reiches stehen werde"413, machte er sich die Vorstellung zu eigen, nach der das Deutsche Kaiserreich als Schutzmacht eines christlichen Europas eine Sendung zu erfüllen habe. Dabei verbanden sich romantische Reichsvorstellungen mit dem Gedanken der göttlichen Berufung, der hier in die politische Sphäre übertragen war414. Eine solche theologische Interpretation des Kaisertums führte dazu, daß der Kampf gegen den Thron zugleich als Kampf gegen den Altar verstanden werden mußte. „Eine große Auflehnung gegen Gott gehe durch die Welt" 415 , legte Wilm nämlich weiter dar. „Sie habe zuerst 408
G. SCHULTZE, Verantwortung, S. 5f.
409
EISERNE BLÄTTER 14, 1 9 3 2 , S. 1 5 2 .
410
R. v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 14. H. BLÜHER, Katechismus, S. 7. Ebd.
411 412 413
D E R REICHSBOTE 6 0 / 2 3 , 2 7 . 1 . 1 9 3 2 , S. 3 .
414
Zur Reichsidee der Weimarer Rechtsopposition siehe K. SONTHEIMER, Antidemokratisches Denken, S. 222ff. 4,5
D E R REICHSBOTE 6 0 / 2 3 , 2 7 . 1 . 1 9 3 2 , S. 3 .
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D i e Christlich-deutsche B e w e g u n g
1930-1931
1789 in Frankreich begonnen. Indem sie dort zum Sturz der Monarchie und zur Zerstörung der alten Königsgräber führte, habe sie schon darauf hingewiesen, daß der Weg zur Gottlosenherrschaft: über die Zertrümmerung der monarchischen Staatsform gehen müsse. 1917 sei sie in Rußland siegreich gewesen, 1918 habe sie die Hand nach dem deutschen Volke ausgestreckt. Seitdem taumeln wir am Abgrunde. Mit dem Sturze der Fürsten hat der Antichrist die erste Etappe gewonnen." 416 Danach galt umgekehrt selbstverständlich, daß die Wiedererrichtung des deutschen Kaiserreiches mitsamt des preußischen Königtums ein wichtiges Ziel der christlich-deutschen Gegenoffensive gegen den modernen Atheismus bildete. Wilm war bestrebt, die C d B in diesem Sinne aktiv werden zu lassen, wenn er sowohl zum Ex-Kaiser als auch zum Kronprinzen Wilhelm Kontakte pflegte. Er war zu Gast im Hause Doorn ebenso wie auf Schloß Oels 417 . Er führte Christlich-Deutsche auf den Potsdamer Cecilienhof, um sie dort mit dem Kronprinzen bekannt zu machen 418 , der 1923 aus dem holländischen Exil zurückgekehrt war. Auch gewann er diesen und die Kronprinzessin Cecilie für die CdB 4 1 9 . Der Kronprinz stand zwar selbst in einem gespannten Verhältnis zum Christentum und war sogar für die Idee einer völkischen Religiosität aufgeschlossen 420 , aber er war bestrebt, die Einigung der rechten Kräfte voranzutreiben 421 . Daher mußten ihm das Vorhaben Wilms und des Grafen von der Goltz zusagen, die DNVP, „Stahlhelm", V v V D und N S D A P zu einer christlich-nationalen Front zusammenbringen wollten. Wilm konnte zudem in Wilhelm-Dietrich von Ditfurth einen Fürsprecher 416 417
Ebd. Schreiben Wilms an Wilhelm II. vom 26.1.1931 (RA Utrecht, Inv. 14, Nr. 96); Schrei-
b e n W i l m s a n F ü l l k r u g v o m 1 4 . 1 . 1 9 3 1 u n d v o m 1 6 . 5 . 1 9 3 1 ( A D W Berlin, C A 3 8 0 / 1 1 2 ) ; D I E VOLKSMISSION 12, 1 9 3 1 , S . 7 3 .
F. WIENEKE, Kirche und Partei, S. 22-24 (EZA 633/11,6). Ebd., S. 22; vgl. außerdem die Mitgliederliste des Vorstands der C d B vom 21.7.1933 (LKA Schwerin, I/F). 420 Vgl. S. v. ILSEMANN, Kaiser, Band II, S. 279: „Der Kronprinz hat seinem Vater jetzt nach seinem Besuch bei Ludendorff begeistert von diesem Ehepaar und ihrer vernünftigen Religion geschrieben, die allerdings nur fur wenige Gebildete geeignet sei." Der ehemalige Generalquartiermeister Erich Ludendorff (1865-1937) und seine Frau Mathilde (geb. von Kemnitz) hatten in den 20er Jahren eine okkulte Weltanschauung geschaffen und den „Tannenberg-Bund", einen Dachverband rechtsextremer Soldaten- und Jugendbünde, zum Träger ihrer antisemitischen und antichristlichen Ideen gemacht. 421 Vgl. das Schreiben des Kronprinzen an Bernhard von Bülow vom 3.5.1924 (nach K. JONAS, Kronprinz, S. 203), in dem es heißt, daß „das größte Unheil in unserem Vaterlande die ungeheure Zersplitterung aller Kräfte" ist: „Die Führereitelkeit stellt eines der größten Impedimente für ein Wiedererstarken unseres Vaterlandes dar. Der Kampf der Deutschvölkischen mit den Deutschnationalen ist ein ungemein trübes und beklagenswertes Kapitel. Möchte sich ein Mann finden, der die beiden Richtungen wieder vereinigt, sonst sehe ich ziemlich schwarz in die Zukunft." 418
419
Die ersten Schriften
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gewinnen. Der Hofmeister und Berater des Kronprinzenpaares, dem auch die Erziehung der Kronprinzensöhne oblag, nahm bald eine führende Position in der C d B ein 422 , während ihr aus der kronprinzlichen Verwaltung stattliche Beträge zuflössen 423 . Es wird an dieser Stelle festzuhalten sein, daß der Royalismus für die Christlich-Deutschen einer der Angelpunkte war, an dem sich ihre politischen und religiösen Zielvorstellungen berührten und jene Einheit bildeten, welche ein Kennzeichen der konservativen Weltanschauung war. Ob der große Stellenwert, den sie der Monarchie beimaßen, allerdings auch in den Jahren 1932 und 1933 in Geltung blieb, wird die weitere Darstellung zeigen.
1.4. Die ersten Schriften der Christlich-deutschen Bewegung
1.4.1. Der Stellenwert des Kleinschrifttums Nur mit einigen wenigen Kundgebungen, die vor allem den Kirchenvertrag zum Thema hatten, trat die CdB zunächst vor die Öffentlichkeit. Die Resonanz war dementsprechend spärlich 424 . Einfluß gewann die Bewegung eher über persönliche Beziehungen und Kontakte, die in kleinen Kreisen zustandekamen. Solche Zusammenkünfte wurden „Deutsch-christliche Sprechabende" genannt 425 . Sie fanden „in einzelnen Häusern" statt, „wechselweise, mit Gastfreundschaft verbunden" 426 . Geeignet für solche Veranstaltungen waren besonders die Höfe der ostelbischen Gutsherren, da dort in hinreichendem Maße für die Verpflegung und Unterbringung der Tagungsteilnehmer gesorgt war 427 . Auf diesen internen Treffen ging es um die Klärung und 4 2 2 K. JONAS, Kronprinz, S. 169f.: „Hauptmann [in Wirklichkeit war er sogar Major a.D.] Wilhelm-Dietrich von Ditfurth war mehr als bloß ein Lehrer und Vorbild ihrer Kinder [sc. der Söhne der Kronprin&ssin]. Er wurde bald zum engsten persönlichen Berater und Vertrauten der Kronprinzessin." Eine Aufstellung vom September 1932 erwähnt von Ditfurth (1886— 1939) als Mitglied des Engeren Ausschusses der CdB (EZA Berlin, 7/4146); noch 1933 korrespondierte er mit der CdB (Postkarte in LKA Schwerin, I/E). 423 Das Kontobuch der CdB für das Jahr 1933 weist eine Summe von insgesamt 250 RM als Zuschuß aus der Kasse des Kronprinzlichen Hofamtes aus; der Haushaltsplan für das gleiche Jahr nennt 600 RM als Zuschuß aus der Kronprinzlichen Verwaltung (LKA Schwerin, 1/ F). Es ist davon auszugehen, daß in den Jahren 1931-32 entsprechende Summen an die CdB flössen, auch wenn sich entsprechende Dokumente bislang nicht haben auffinden lassen. Für damalige Verhältnisse handelte es sich bei diesen Spenden um viel Geld, denn ein Monatslohn von 300 RM galt bereits als höheres Gehalt. 424 Dies erldärt auch, warum in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Quellen aus jener Zeit so wenig über die CdB berichtet wird.
425
F. WIENEKE, Christentum, S. 46.
Ebd. Auch andere Verbände trafen sich auf den Höfen des ostelbischen Adels. So schrieb Gerhard Füllkrug über eine Tagung des „Luisenbundes" ( D I E VOLKSMISSION 1 2 , 1 9 3 1 , 426 427
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
Vertiefung der eigenen Position, während vor der Öffentlichkeit Vorträge in einfacher, volkstümlicher Weise gehalten wurden. Das Ziel war in beiden Fällen dasselbe: eine weltanschaulichen Linie sollte ausgearbeitet und hergestellt werden, die die rechten Parteien und Verbänden zu einer gemeinsamen Front gegen Weimar verbinden konnte. Wahrscheinlich war es Werner Wilm, der als erster darauf drängte, daß für die christlich-deutsche Arbeit auch Publikationen zur Verfügung standen. In Verbindung mit dem Verlag der Buchdruckerei „Carl Adler" in Küstrin wurde eine „Christlich-Deutsche Schriftenreihe" herausgegeben, die am Ende fünf Hefte umfassen sollte428. Das erste Pamphlet stammte von Hans Blüher und war der bereits erwähnte „Deutsche Katechismus des Christentums". Ebenfalls noch 1930 erschien „Unsere Verantwortung vor Gott und vor der Geschichte", geschrieben von Pfarrer Georg Schultze aus der Neumark. Das dritte Heft hieß „Christentum und Nationalsozialismus" und hatte Friedrich Wieneke zum Autor, der damals als Dom- und Kreisjugendpfarrer in Soldin wirkte. Die 1931 folgenden Schriften stammten beide von Werner Wilm und waren betitelt: „Nie wieder Krieg - eine falsche Parole!" und „Der Kampf um die Kirche und die Kirchenverfassung". Das Werk von Schultze und das erste Heft von Wilm erschienen als „volkstümliche Schriften" der CdB: aus dem Stil ist zu schließen, daß sie aus Vorträgen vor breiterer Öffentlichkeit hervorgingen. Rhetorische Fragen, Zitatanhäufungen und überschüssige Wiederholungen machen in diesen beiden Schriften deutlich, daß die damals in der CdB verbreiteten Ansichten kaum rational begründbar und vermittelbar, sondern in ihrer Beweiskraft vor allem auf das Wecken von Emotionen und Vorurteilen angewiesen waren. Ein Satz wie dieser ist mit seiner hohlen Phraseologie kennzeichnend: „Wir wollen eine Gemeinde von Kämpfern rüsten, unser sittlich Gut und irdisch Vermögen hingeben für den Aufbau eines im Heiligsten gesunden, Gott wohlgefälligen, christlichen und freien Deutschland. Treue und Ehre und Gut, Mut, Blut und Kraft für unser gottgegebenes Volk und Land, S. 218): „Auf dem Rittergut R. im Kreise Pyritz fand eine religiöse Freizeit für Führerinnen und Mitglieder des Luisen-Bundes statt, zu der die Gutsherrschaft eingeladen hatte." Bei E. NIEKISCH, Erinnerungen, S. 246 heißt es über den konservativen Kreis, der sich um die Zeitschrift „Der Nahe Osten" gesammelt hatte: „Eine große Anzahl pommerscher und brandenburgischer Großgrundbesitzer unterstützten [ s i e ! ] den Nahen Osten. Diese stellten von Zeit zu Zeit ihre Gutshöfe zur Verfügung, um dort Vortragszyklen fur Studenten durchzuführen. Zuweilen wurde auch ich dorthin zuVorträgen eingeladen ... Einmal war ein solcher Kurs bei Kleist-Schmenzin vorbereitet ... Eine Galerie war an das Gutshaus angebaut, und dort versammelten sich die Studenten." Die großen Tagungen der C d B im Juli 1932 und Februar 1933 fanden ebenfalls auf einem Gutshof statt: es war Carl Hans Graf von Hardenberg (1891-1958), der sein Gut Neuhardenberg zur Verfügung stellte (EZA Berlin, 7/4146; L K A Schwerin, I/F). 428 Nähere bibliographische Angaben zu den im folgenden genannten Schriften im Literaturverzeichnis.
Die ersten Schriften
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das Volk unserer Väter und Kinder, das Land unserer Liebe!"429 Sachliche Argumente tauchten in diesen Heften nur vereinzelt auf, dafür sollten ins Ubermaß gesteigerte Stilmittel wie Superlative, Pleonasmen und Metaphern den Adressaten Tatsachen suggerieren430. Wesentlich mehr Tiefgang hatte demgegenüber die Schrift von Wieneke, die sich durchaus einer Diskussion mit gegnerischen Anschauungen stellte, auch wenn die eigenen Ansichten letztlich nur aus dem subjektiven Erlebnis begründet werden konnten. Interessanterweise sprach sich hier ausgerechnet der Nationalsozialist unter den Christlich-Deutschen aus! Um der Bedeutung willen, die seine Ansichten für die weitere Entwicklung der CdB hatten, soll die Besprechung seiner Schrift aber an dieser Stelle zurückgestellt werden. Auch auf das kleine Werk von Blüher soll hier nicht näher eingegangen werden, da bereits oben das Nötige dazu gesagt worden ist431. Es steht auf hohem intellektuellen Niveau, geht aber von irrationalen Voraussetzungen aus, die als selbstverständliche Wahrheiten genommen werden. Wilms Anleitung zum kirchlichen Wahlkampf endlich ist das wohl sachlichste Heft der CdB, obwohl es sich auch hierbei um eine tendenziöse Schrift handelt, so daß die Darstellung des kirchlichen Lebens unter Einseitigkeiten leidet432. Eine große Verbreitung fand die „Christlich-Deutsche Schriftenreihe" nicht 433 , wenn man von zwei Ausnahmen absieht. So stieß das gerade genannte Heft Werner Wilms anläßlich der 1932 anstehenden Kirchenwahlen in Preußen auf stärkeres Interesse und wurde besonders von der Glaubensbewegung „Deutsche Christen" als eine Art Handreichung für den Kirchenkampf benutzt 434 . Vom Verlag wurde es ebenfalls als „Rüstzeug für die kommenden Kirchenwahlen" empfohlen und dementsprechend „bei Mengenbezug billiger" angeboten 435 . Daneben fand Wienekes Schrift zum Verhältnis von Christentum und Nationalsozialismus große Beachtung. Es war die erste grundsätzliche Arbeit über dieses Problem, zudem konnte der Autor in zahlreichen Zeitschriftenar429
G . SCHULTZE, V e r a n r w o r t u n g , S . 8 .
430
Die bissige Kritik, die H . GLASER, Spießer-Ideologie, S. 58 an der Sprachkultur der deutschen Nationalisten im allgemeinen übt, ist auch auf die frühen Äußerungen der CdB anwendbar. 431 Siehe S. 68ff. dieser Arbeit. 432 So n i m m t es W. WILM, Kampf, S. 4 als Tatsache, daß „die Kirche dem heißen deutschen, vaterländischen Empfinden zu wenig Raum gebe, aber dem Marxismus, dem Pazifismus, dem Internationalismus zu weit entgegenkomme". 433 Dementsprechend sind heute nur noch wenige Exemplare der Traktate vor handen. In dieser Arbeit wurden die Hefte der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin, Unter den Linden 8) benutzt. 434 Vgl. dazu die Empfehlung in F. WIENEKE, Glaubensbewegung, S. 31. 435
S i e h e d i e A n z e i g e n i n GLAUBE UND VOLK 1, 1 9 3 2 , S. 3 2 , S. 1 1 2 , S. 1 2 8 , S . 1 6 0 u n d 2 ,
1933, S. 79.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1 9 3 0 - 1 9 3 1
tikeln auf sein Büchlein aufmerksam machen 436 . Außerdem wurde die Schrift von nationalsozialistischen Führern über die „Sturmabteilungen" (SA) verbreitet, da sie auch von dieser Seite als grundlegende Orientierungshilfe zum Thema „Kirche und NSDAP" begriffen wurde 437 . Im Herbst 1931 erlebte die Schrift bereits ihre zweite Auflage als ,Aussprache-Schrift der Christlichdeutschen Bewegung", was man als Andeutung dafür nehmen kann, daß die verantwortlichen Leute der Bewegung sich nicht völlig mit Wienekes Beitrag identifizieren konnten, ihn aber zur Diskussion stellen wollten. 1.4.2. Die christlich-deutsche Theologie An dieser Stelle sollen die in den genannten Schriften verstreuten Äußerungen der Christlich-Deutschen im Zusammenhang dargestellt werden, um die Eigenarten und das besondere Profil ihrer Weltanschauung deutlich zu machen 438 . Weitere Traktate christlich-deutscher Autoren und Redebeiträge sollen hier und da zur Vervollständigung des Bildes mit berücksichtigt werden. „Gemeinsam wollen wir bekennen, daß Gott allein die Ehre gebührt. Wir beugen uns unter ihn." 439 Nach diesem Bekenntnis war Gott der mächtige Herr, der über allem thronte. In seiner Majestät blieb er unerreichbar und unfaßbar. Von Walter Wilm wurde als eine theologische Grundlage formuliert: „Daß es schwere Sünde ist, irdische Größen an die Stelle des ewigen Gottes zu setzen."440 Man wird der CdB also den Vorwurf nicht machen können, daß sie sich ein Gottesbild nach ihrem Belieben zurechtgemacht hätte. Vielmehr blieben Gottes Transzendenz und Universalität gewahrt; man Schloß sich also den traditionellen kirchlichen Vorstellungen an. Auf der anderen Seite aber meinte man, Gottes Willen genau zu kennen. Werner Wilm sprach sogar von „Offenbarungen des göttlichen Geistes, des göttlichen Willens", die durch die großen Deutschen verkündet worden seien441. Gott wollte danach verschiedene Völker auf Erden, die je ihre eigene Art und ihre
436
Vgl. etwa D E U T S C H E S PFARRERBLATT 34, 1930, S. 790. Das geht aus einer Anfrage von Goebbels an das SA-Zeughaus hervor, ob das Heft von Wieneke dort vertrieben würde. Darüber und über die bejahende Antwort der SA-Ausrüstungsstelle findet sich eine postalische Nachricht an Wieneke in EZA Berlin, 633/1,1. 438 Im Gegensatz zur systematischen Darstellung der christlich-deutschen Theologie bei H.-J. S O N N E , Theologie, S. 102-112 sollen hier die frühen Schriften und Äußerungen der Christlich-Deutschen zugrundegelegt werden, die dort kaum berücksichtigt worden sind. 439 Walter Wilm in W A S HABEN WIR, S. 17. 440 Ebd., S. 12. Nach R . v. D. G O L T Z , Aufgaben, S. 8 „liegt eine riesengroße Überheblichkeit vor, wenn unser Ameisenhaufen auf einem kleinen unter Millionen Sternen glaubt, das Weltall und den ihn durchwehenden Geist übersehen zu können. Hier gilt das Wort eines großen Naturforschers: ,Wir werden ihn nie erkennen, ihn nie begreifen.'" 437
441
W. WILM, Krieg, S. 7.
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eigene Aufgabe hätten. Die Christlich-Deutschen schlossen das aber auch aus einer anderen Offenbarung: „Die Bibel Alten und Neuen Testaments weiß nichts von der demokratischen Anschauung unserer Tage, die alle Völker aller Zeiten als gleichartig, gleichwertig und gleichberechtigt erklären will; für die Bibel gibt es keinen Völkerbrei, kein Sammelsurium alles dessen, was Menschenantlitz trägt. Die Bibel unterscheidet Volk von Volk u n d wertet die einzelnen Völker nach ihrer besonderen Wesensart u n d ihrer besonderen geschichtlichen Bestimmung. ,Gott schuf jedes in seiner Art', - auch jedes Volk innerhalb der eben nach Völkern gegliederten Menschheit." 4 4 2
Im Grunde blieben die Christlich-Deutschen auch mit dieser Vorstellung der Tradition verhaftet. „Gott denkt in Völkern" 443 , mit einem solchen Satz Schloß sich etwa Walter Wilm direkt an Leopold von Rankes bekanntes Diktum an, daß die Völker Gedanken des Allmächtigen seien444. Wichtiger als das Gottesbild der CdB war ihr Menschenbild, da sich hier eine direkte Verbindung zum politischen Kampf ergab. Ein ausgeprägter Dualismus war auszumachen. Dabei lautete das Gegensatzpaar nicht „Proletarier — Kapitalist" wie im Kommunismus und auch nicht,Arier — Nichtarier" wie in Hitlers Weltanschauung, sondern es hieß „Gläubiger - Gottloser". Die traditionell-christliche Grundlage ist auch hier deutlich zu erkennen. Nicht Rasse oder Klasse befanden primär über die Güte des Menschen, sondern seine Stellung zu Gott: „Entweder der Mensch stellt sich unter den ewigen u n d heiligen Willen Gottes, ... oder der Mensch verzichtet auf diese Einwirkung, die von oberhalb ... kommt, ... u n d er bliebt dann weiter nichts als ein zu einem eigentümlichen Dasein erwecktes Staubkorn ... Das ist das Bild des Menschen, wie er ist: er ist der Typus eines ohne Gott unzulänglichen Geschlechts. Eines Geschlechts, das, weil gottlos, an seiner Haltlosigkeit zugrunde gehen muß." 4 4 5
Gemeinhin hob man nicht in erster Linie den deutschen, sondern den christlichen Menschen als positiv hervor, der sein Sündersein erkannt und sich im Glauben Gott unterworfen hatte. Die lutherische Anthropologie mit ihrem Protest gegen alle menschliche Hybris war hier Vorbild. In düsteren Farben aber malten die Christlich-Deutschen den gottfeindlichen Menschen, der 442
G. SCHULTZE, Verantwortung, S. 2. Gen. 1,25 war überhaupt die Schriftstelle zur Bestätigung der Volkstumsideologie, wonach Gott jedem Volk ein eigenes Wesen zuteilte. Allerdings spricht die Bibel an dieser Stelle nicht von Völkern, sondern von Tieren. 443
DEUTSCHE ZEITUNG 3 5 / 2 9 4 b , 1 6 . 1 2 . 1 9 3 0 , S. 3.
444
Das konservative Geschichtsbild ist überhaupt nur dann zu verstehen, wenn man sich bewußt macht, wie sehr es von den historischen Darstellungen Leopold von Rankes (17951886) und des späten, antisemitisch gewendeten Heinrich von Treitschke (1834-1896) geprägt wurde. Zur Rezeption dieser beiden Historiker und ihrer Staatsvorstellungen siehe auch Ε ALTHAUS, Staatsgedanke, S. 66f. und E. HIRSCH, Deutschlands Schicksal, S. 40f., 82, 91, 104. 445
B. DOEHRING, Entscheidungskampf, S. 5f.
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ihrer Ansicht nach die verschiedenen Bewegungen in Gang gesetzt hatte, die den christlich-konservativen Überzeugungen zuwiderliefen. Als widergöttlich konnten dabei neben- und nacheinander das Judentum, der Bolschewismus und die Freimaurerlogen genannt werden 446 . 1.4.3. Der antimodernistische Grundzug Grundsätzlich wurde die Moderne als von Gott abgefallene Epoche verurteilt. Mit ihr verdammte man auch die Weimarer Republik, weil die Fundamente, auf denen diese aufbaute, der neuzeitlichen Aufklärung oder anderen modernen Gedankengebäuden entstammten: „Wir haben einen Staat, der sich den an tausend Stellen sichtbar werdenden besten Regungen des eigenen Volkes feindlich gegenüberstellt und sie freiheit-feindlich mit Gewalt und Riesengeldmitteln unterdrückt, der sich stützt entweder auf Ideen und Mächte des uns feindlichen Westeuropa oder des bolschewistischen Rußland."447 Als Grundlage für den Rundumschlag gegen die moderne Welt wurde angegeben, daß in ihr das Prinzip der Autonomie des Menschen gelte. Mit der Aufklärung, die in den Ideen der französischen Revolution von 1789 gipfelte, begann für die CdB der Aufstand des selbstherrlichen Menschen gegen Gott 448 . Damit wurden alle Umformungen des Christentums in der Neuzeit - etwa der liberale Protestantismus - geleugnet oder heruntergespielt, die christlichen Einflüsse auf die Aufklärung und die daraus erwachsenden politischen Systeme übersehen. Als „christlich" galt nur, was gegen die Moderne, gegen die Säkularisierung, gegen den Liberalismus war. Diese Einseitigkeit macht allerdings verständlich, warum die CdB ohne weiteres Christentum und Konservativismus miteinander identifizieren konnte. Der Antisemitismus muß in diesem Zusammenhang des Protestes gegen die Moderne verstanden werden. Rassistische Erwägungen tauchten zwar auf, insbesondere bei den in der CdB mitarbeitenden Nationalsozialisten 449 , 446 G. SCHULTZE, Verantwortung, S. lf. und S. 3f. Etwas verworrener sind die Verschwörungsphantasien, denen Goltz in GLAUBE U N D V O L K 1, 1932, S. 28 huldigt. Sie grenzen bereits an Okkultismus: „... Frankreich ist nur das Schwert der internationalen jüdischen Freimaurerloge Grand Orient und fast die letzte rein katholische Weltmacht, auf die ultramontane politische Herrschaftsansprüche sich stützen können." 447
448
R. GOLTZ, G e d a n k e n , S. 19; vgl. R. v. D. GOLTZ, Aufgaben, S. 11.
Walter Wilm in D E R REICHSBOTE 6 0 / 2 3 , 2 7 . 1 . 1 9 3 2 , S. 3 . Ähnlich W. ZOELLNER, Kirche, S. 79: „Wir haben einen ungeheuren Verweltlichungsprozeß in den letzten 200 Jahren erlebt, d. h. einen Prozeß, wo alles von Gott losgelöst und auf den Menschen gestellt wurde. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurden von Gott gelöst." Es ist darauf hinzuweisen, daß die Christlich-Deutschen mit der negativen Sicht der französischen Revolution dem frühen Konservativismus des 19. Jahrhunderts, etwa Leopold von Ranke, folgten. Siehe hierzu H . BERDING, Ranke, S. I6f. 449 Wenn die Konservativen von „Rasse" sprachen, war meist nicht deutlich zu erkennen,
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aber bei den konservativen Trägern und Führern der Bewegung dominierte ein eher religiöser Antijudaismus 4 5 0 . D e m z u f o l g e galt das J u d e n t u m als die dem Christentum entgegenstehende Macht, die letztlich auch als treibende Kraft hinter dem Fortschritt der M o derne und d e m Niedergang christlich-konservativer Werte vermutet wurde: „Man weiß doch, wer die Verfasser jener Spott- und Giftgedichte sind, weiß, in wessen Händen die Zotenbühnen Berlins (und nicht nur Berlins) liegen; man weiß, wer die Schlager der Neuzeit dichtet mit dem bewußten Stich ins Kitzliche, und weiß, wer die Presse herausgibt, bearbeitet und druckt, jene gesamte Tagespresse, die den Marxismus predigt; man weiß doch, wer der Urheber der marxistischen Lehre war mit ihrem Kampfe gegen das Privateigentum und ihrer Predigt vom Klassenhaß; man weiß, wer die Erfinder der Mode sind und ihre Nutznießer in dem doppelten Sinne der Entsittlichung und des guten Geschäfts; man weiß, wer den Mord von Serajewo [ s i e ! ] heraufbeschworen hat und den Weltkrieg und die Revolution; weiß, wer den neudeutschen Staat geschaffen und ihm seine undeutsche Verfassung gegeben; man weiß, wer die Früchte erntet und ernten will aus aller Verbastardierung unseres Blutes, unseres Staats- und Kulturlebens .,." 451 D e n J u d e n wurde angelastet, die christliche Weltanschauung abzulehnen und stattdessen den Gedanken zu verbreiten, der Mensch könne von sich aus bestehen. D i e darauf sich gründende Idee der universalen „Menschheit" oder „ H u m a n i t ä t " steckte nach christlich-deutscher Auffassung in unterschiedlicher Form hinter den Bestrebungen des Liberalismus, der Freimaurerei, der Sozialdemokratie und zuletzt des Bolschewismus. Deren menschheitsverbrüdernde Parolen seien das genaue Gegenteil des nationalen Volkstumsgedankens und eben darauf gerichtet, den Völkern ihre (von G o t t gegebene) Eigenart auszutreiben. D a s Endziel aber, welches die jüdischen Hintermänner mit ihrer Propaganda für die internationale „Menschheit" verfolgten, sei ihre eigene Weltherrschaft, denn bei der Beseitigung der Unterschiede zwischen den Nationen ließen sie das eigene Volk unangetastet: „ / d i e Völker werden vergehen, Israel aber wird ewig leben.' Das ist Altes Testament in jüdischer Lesart. An dieser Stelle macht sich die Theologie der heutigen Judenschaft bemerkbar, fiir die es nur ein Volk gibt, das wahrhaft Volk ist, nämlich die Juden, während die Gojim nur ein Scheindasein haben, das früher oder später aufgelöst werden soll. So entsteht die politische Aufgabe der Juden, in der Zerstreuung ihre Gastvölker von der Auflösbarkeit der Nationen zu überzeugen ... Sie lehren und fördern eine Auffassung von Volk und Staat, wonach die Völker aus der Summe ihrer Staatsbürger bestehen, also gewissermaßen überhaupt kein eigenes Dasein haben; denn nur von Gott Geschaffenes hat eigenes Dasein. Wird diese Lehre geglaubt und was überhaupt gemeint war, da der Begriff für sie nicht unbedingt eine biologische Bedeutung hatte. Verwiesen sei auf die Darstellung S. 150ff. 450 Es wird an anderer Stelle zu beobachten sein, wie es gerade in dieser Frage zu einem Klärungs- und Scheidungsprozeß innerhalb der C d B kam. 451 G . SCHULTZE, Verantwortung, S. 5.
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angenommen (und sie ist angenommen in der Demokratie), so haben die Völker aufgehört zu sein, indem sie sich selbst verrieten, wie Judas den Herrn."452
1.4.4. Die christlich-deutsche
Ethik
Eine sehr starke Rolle erhielt die Ethik in der Weltanschauung der CdB. Sie war in der Anthropologie im Grunde enthalten, wenn derjenige als guter Mensch galt, der sich Gott unterwarf und die Autonomie von sich wies. Dementsprechend war Antimodernismus das erste Gebot für die CdB. „Entweder Christentum oder Fortschritt" 453 , lautete die Losung, die den Protest gegen die angeblich gottlose Neuzeit als Gehorsam gegen Gott ausgab. Positiv aber hielt man sich an die traditionellen Normen der patriarchalischen Agrargesellschaft. Die Rückständigkeit galt geradezu als Ausdruck von Sittlichkeit: „... wenn man unser Volk dazu verfuhrt, dem Götzen einer zum mindesten zweifelhaften Mode seine Opfer zu bringen in zweideutiger und schon nicht mehr zweideutiger Kleidung, ... wenn man planmäßig, raffiniert planmäßig, alle sittlichen Werte ins Lächerliche zieht, umbiegt und zu Grabe lästert, und das Gold der deutschen Seele ummünzt in Blech, und das Göttliche in unserem Volke verludert und zertritt in planmäßiger Entsittlichung, in kalter Bolschewisierung, dann fordert das unsern unablässigen Kampf..."454 Im Mittelpunkt der christlich-deutschen Weltanschauung stand die Ordnungsethik. Alles kreiste um die Ordnungen, die man nach lutherischer Uberlieferung aus der Schöpfung und dem göttlichen Willen zur Erhaltung der Welt ableitete 455 . Nach Walter W i l m mußte ohne die „Ordnungen des Schöpfers im irdischen Leben... alles Leben unter den Menschen zusammenbrechen" 456 . Sie waren die Bastionen, die der modernen Entwicklung standhalten sollten. Sie garantierten stabile Verhältnisse, während die neuzeitliche Autonomie des Menschen alles infragestellte 457 .
452 H. BLÜHER, Katechismus, S. 9f. Die Vorstellung, die Juden strebten nach der Weltherrschaft, findet sich auch bei W. WILM, Krieg, S. 5 und Walter Wilm in WAS HABEN WIR, S. 13. 453 454
H. BLÜHER, Standort, S. 8 8 . G . SCHULTZE, V e r a n t w o r t u n g , S. 4f.
455 Der dogmatische Grundsatz, daß aufgrund des Sündenfalls die Integrität auch der Schöpfung infragegestellt war, war zwar bekannt, blieb aber ohne Nachhall. So meinte Walter Wilm im Januar 1 9 3 2 auf der Tagung einer kirchlichen Rechtsgruppe, des „Positiven Verbandes für Bibel und Bekenntnis", „daß die Sünde zwar die ganze Welt unter das Gericht Gottes gebracht hat, aber die grundlegenden Schöpfungsordnungen dadurch nicht aufgehoben sind" (DER REICHSBOTE 60/11, 1 3 . 1 . 1 9 3 2 , Beilage „Kirche und Schule", S. 1). 456 Walter Wilm in WAS HABEN WIR, S. 14. 457 Walter Wilm in DER REICHSBOTE 59/96, 2 2 . 4 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche und Schule", S. 1
u n d in DEUTSCHE ZEITUNG 3 5 / 2 9 4 b , 1 6 . 1 2 . 1 9 3 0 , S. 3 .
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Sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Probleme ging die C d B von der Ordnungsethik her an. Das Eigentum wurde als Schöpfungsordnung verteidigt, wobei man allerdings darauf Wert legte, daß der Besitzer mit dem Eigentum eine besondere Verantwortung vor Gott und dem Volke übernahm 4 5 8 . D e m liberalen Laissez-faire-Prinzip wollte man auf keinen Fall das Wort reden. Ernsthaft dachte man an eine Abkoppelung Deutschlands vom Weltmarkt, offensichtlich ohne sich überhaupt der Konsequenzen bewußt zu sein: „Nicht Weltwirtschaft', sondern deutsche Nationalwirtschaft soll unserem Volke Brot und Lohn geben." 459 Die sozialen Probleme wurden ebenfalls dilettantisch angegangen 460 , auch wenn man ihnen sehr viel Beachtung schenkte und es für wesentlich hielt, daß die Nation vor sozialen Unruhen bewahrt wurde. Das war nach Ansicht der C d B zu erreichen, wenn man verhinderte, daß immer größere Teile des Volkes vom Eigentumserwerb ausgeschlossen wurden und ins Proletariat abrutschten 401 . Konkret dachte man dabei an die Ansiedlung von Arbeitern und Arbeitslosen als Kleinbauern in Ostelbien: „Man hat die Erfahrung gemacht, daß tüchtige Kleinbauernfamilien, die ihr Land ohne fremde Hilfskräfte selbst bebauen können, auch in der jetzigen Notzeit sich werden halten können. Ebenso wichtig ist die Seßhaftmachung der ländlichen Arbeiter durch Landzuteilung ... Für uns ist der Bauer unsere H o f f n u n g für die innere Gesundung .,." 4 6 2
Die Schranken aber, die man gegen den Kapitalismus aufrichten wollte, den man theologisch als „Mammonismus" verdammte 463 , entstammten der vorindustriellen Zeit. Die lutherische, konservative Ständeordnung sollte wieder in Achtung gesetzt werden, um die Besitzenden an ihre Pflichten zu binden und die Arbeiter wieder in die Gesellschaft einzufügen: „Als Erben Luthers bejahen wir die Botschaft vom Stand; jeder übe sein Amt in seinem Stand, vor Gott und dem Volke verantwortlich ... Wir lehnen als Christen mit aller Entschiedenheit jede Gleichmacherei ab. Wir haben alle vor Gott die gleiche Schuld und die gleiche Würde. Die Ehre eines Königs ist nicht mehr wert als die Ehre eines Arbeiters. Aber das Leben, im organischen Aufbau, ist erst möglich durch 458
Ebd.
G . SCHULTZE, Verantwortung, S. 8. 4 6 0 K e n n z e i c h n e n d d a f ü r war etwa Walter W i l m s Slogan: „Jenseits von Proletariat u n d Bourgeoisie!" (DER REICHSBOTE 5 9 / 9 6 , 2 2 . 4 . 1 9 3 1 , Beilage „Kirche u n d S c h u l e " , S. 1). 461 Walter W i l m in WAS HABEN WIR, S. l 4 f . ; vgl. R. GOLTZ, A u f g a b e n , S. 4: „ D a s Schlagw o r t .Schutz des Privateigentums' g e n ü g t nicht, wenn nicht möglichst alle D e u t s c h e n ein Privateigentum besitzen. D e n n wir wollen nicht den jetzigen Klassenstaat schützen u n d verewigen. Was wir anstreben müssen, ist das Gegenteil des Zieles der S . R D . , die ... alle D e u t schen zu Proletariern u n d unselbständigen Staatsangestellten ... m a c h e n will." 459
462
E b d . , S. 10.
463
Walter W i l m in WAS HABEN WIR, S. 12 im A n s c h l u ß an F. WIENEKE, C h r i s t e n t u m ,
S. 33f.
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die von G o t t geschaffene Verschiedenheit. Biologisch, nach Begabung, Tradition sind die Menschen ungeheuer verschieden. U n d gerade darum ist einer dem andern im Stande zugeordnet - der M a n n der Frau — die Eltern den Kindern - die Obrigkeit den Untertanen - der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer - und so wächst ganz organisch und gesund: Autorität, Führung und Gehorsam. Je höher einer steht, desto größer seine Verantwortung. U n d die deutliche Antwort des Glaubens lautet: eine solche ständische Gliederung, bis zum erhofften Staatsaufbau, ist nur möglich, wenn jeder in seinem Stande, und sonderlich die Führenden, im Tiefsten gebunden sind an G o t t . So erst wird Verantwortung und wirkliche Bruderschaft entscheidend gesichert. So erst ist es uns möglich, den Stand als Schöpfungsordnung zu bejahen, weil er sonst sofort wieder zur Klasse oder Kaste herabsinkt." 4 6 4
Selbstverständlich verband sich hier mit religiösen Vorstellungen die „Lawand-order"-Mentalität derjenigen, die ihre Position durch die Umbrüche in Staat und Gesellschaft gefährdet sahen. Daneben dürfte die Verunsicherung angesichts der unübersichtlich gewordenen Welt der Technik und der chaotisch wirkenden Zustände in den modernen Großstädten das Streben nach natürlichen, organischen Strukturen begünstigt haben. Eine Tatsache ist jedenfalls, daß die Krisenmentalität, die in Deutschland insgesamt den Fortschrittsoptimismus der Kaiserzeit abgelöst hatte, bei den Christlich-Deutschen besonders stark ausgeprägt war. 1.4.5. Die christlich-deutsche Geschichtsdeutung „In dieser Krise rüstet sich grinsend der Bolschewismus, die entgottete Welt in einen Kirchhof des gemordeten Seelentums zu verwandeln."465 Das Horrorgemälde, das die CdB von der Neuzeit zeichnete, erhielt durch die Beschwörung der „roten" Gefahr seinen letzten Strich. Die russische Abart des Kommunismus wurde geradezu zum Sinnbild für das Zerbrechen von Ordnungen. Die Schreckensvision war allerdings auch durch persönliche Erfahrungen untermauert, so bei Graf von der Goltz: „ W e r . . . als deutscher Soldat 1 9 1 8 und 1 9 1 9 den russischen Bolschewismus kennengelernt hat, wird mit mir die bolschewistische Gefahr als die bei weitem größte fiir unser Volk erkennen ... ein Sowjet-Deutschland, besonders seine Großstädte und Industrie-Zentren, sind einfach dem Tode verfallen, nicht nur durch Erschießen [sie!] und unerhörte Grausamkeiten, sondern einfach durch Hunger, ganz abgesehen von d e m Verlust aller Kulturgüter." 4 6 6
Auch der von der Moskauer Universität vertriebene Professor Iwan Iljin, den Doehring für eine christlich-deutsche Kundgebung gegen den Bolschewismus gewonnen hatte467, sprach aus eigener Anschauung, wenn er ausführte: 464 465 466
467
Walter W i l m in WAS HABEN WIR, S. 15. Walter W i l m in DEUTSCHE ZEITUNG 3 5 / 2 9 4 b , 1 6 . 1 2 . 1 9 3 0 , S. 3. R . v. D. GOLTZ, Aufgaben, S . 16.
Siehe Berliner Börsen-Zeitung Nr. 56 vom 3.2.1931 (ADW Berlin, CA/AC-S 161).
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„Der Hauptangriff galt der Kirche jeder Konfession; denn nur so konnte man das Sittengesetz völlig auf den Kopf stellen. Heute sei man in Rußland so weit, daß jede Autorität der Eltern untergraben sei, jede Eheform, auch die Inzestehe, gestattet ist, u n d der Mensch statt ein Diener Gottes, ein Sklave des gottlosen Menschen ist. Besinne sich Deutschland nicht zur Buße, so drohe ihm das gleiche Schicksal." 468
Ein Satz wie der letzte zeigt, daß die antikommunistische Propaganda der CdB aber auch den Sinn hatte, Weimar infragezustellen. Wenn man die Republik so darstellte, daß sie einer bolschewistischen Machtergreifung nicht standhalten könne oder gar wolle, erschien das Schreckgespenst des Kommunismus dem deutschen Publikum als echte Bedrohung, und der Wunsch wurde genährt, das demokratische System durch einen anderen, starken Staat zu ersetzen. Die Agitation gegen Weimar beweist zudem, daß die ChristlichDeutschen die Ordnungen keineswegs zu absoluten Größen erhoben. Vielmehr konnten sie sogar selbst zur Zerstörung von Ordnungen aufrufen, wenn diese — wie die demokratische Grundordnung von Weimar - in ihren Augen von den gottlosen Kräften der Neuzeit errichtet worden waren. Man unterschied darum zwischen heiligen und unheiligen Ordnungen, wobei das „Volk" zur „heiligsten, irdischen Ordnung" aufrückte 469 , die auf Menschenrechte aufgebaute Verfassung hingegen geschmäht wurde, weil das Volk „größer und wichtiger ist als der einzelne Mensch" 470 . Unverblümt wurde der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit von Weimar aufgekündigt und mit Apg. 5,29 das Widerstandsrecht gegen die demokratische Ordnung begründet 471 . Angesichts solcher Äußerungen ist es völlig verfehlt, den lutherischen Konservativen einen passiven Untertanengehorsam zu unterstellen 472 . Die Konservativen der CdB befanden sich stattdessen im Widerstand - gegen den Staat von Weimar!473 Der preußisch-deutsche Staat von vor 1918 galt ihnen
468 D E R REICHSBOTE 59/35, 10.2.1931, S. 3; vgl. zur Interpretation des Bolschewismus als widergöttliche Macht auch G. SCHULTZE, Verantwortung, S. 2 und W. WILM, Krieg, S. 3. 469 Walter Wilm in W A S HABEN WIR, S. 15.
470
471
W. WILM, Krieg, S. 2.
G. SCHULTZE, Verantwortung, S. 6f.; vgl. W. WILM, Kirche, S. 4: „Wenn nun die von der weltlichen Macht vorgenommene Gestaltung oder Handhabung dieser Schöpfungsordnungen [sc. Ehe, Familie, Volk, Staat] dem Sinne des göttlichen Stifters nicht entspricht oder gar ihm zuwiderläuft, so ist es die Pflicht der Kirche, zu mahnen und nötigenfalls zu kämpfen." 472 Krasse Beispiele fur diese Sichtweise in D I E DEUTSCHEN UND LUTHER, S. 135f. und S. 197ff. K.-W. DAHM, Staat, S. 441 stellt demgegenüber fest, daß der Republik der Gehorsam verweigert wurde, weil der obrigkeitliche Gedanke auch nach 1918 an die Monarchie gebunden blieb. 473 Dabei ist zu beachten, daß bereits konservative Lutheraner des 19. Jahrhunderts das Recht auf Widerstand gegen den Staat proklamiert hatten, wenn dieser die Emanzipation von der christlichen Sittlichkeit betreiben sollte. Den Nachweis dafür erbringt F. W GRAF, Kulturluthertum, S. 56f., während K.-W. DAHM, Staat, S. 437f. auf den Protest der christlichen Konservativen gegen die Kulturkampfmaßnahmen des Bismarck-Staates eingeht.
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dagegen - auch wenn kritische Einschränkungen folgten - als die Macht, die nach innen und nach außen Ordnung schaffte: „... ein Volk kann nur durch den autoritativen nationalen Staat gesichert werden. Ihn hat der König von Preußen gewährleistet, und wir Heutigen müssen darum kämpfen. Ist es doch fürwahr nicht gleichgültig, ob Wilhelm I. und Bismarck einen Staat führen, oder Trotzki und Lenin!" 474 Bei der Verklärung der deutschen Vergangenheit spielte auch der prädestinatorische Gedanke hinein, daß Preußen-Deutschland eine göttliche Bestimmung hatte. Die lutherische Berufsethik wurde gleichsam auf den politischen Bereich übertragen, wenn man davon sprach, daß Deutschland seit den Befreiungskriegen einen besonderen Stand in der Welt habe. Seine Aufgabe war die einer antimodernen, antifranzösischen „Sendungsmacht" 4 7 5 . Dadurch erhielt die Nation ihre Weihe. D a jedoch der Inhalt der historischen Sendung, das deutsche Volkstum, einer spekulativen Geschichtsmetaphysik entsprang, entfernte sich die christlich-deutsche Weltanschauung an dieser Stelle sehr weit von ihren christlichen Voraussetzungen. Andererseits beruhte ihre idealistische Deutung der Begriffe von Volk und Nation immer noch auf herkömmlichen Vorstellungen, die nicht aus der unmittelbaren Gegenwart stammten, sondern aus den Zeiten der Freiheitskriege und der Romantik. Ein Kritiker konnte darum bemerken: „Wir haben hier jenen guten alten Volksbegriff vor Augen, wie ihn unsere Väter in ihren besten Zeiten besaßen und wie er in den idealgesinnten preußisch-konservativen Kreisen besonders gepflegt wurde. Er wird theologisch vertreten von jenen M ä n nern, die ... in der sogenannten ,Christlich-Deutschen Bewegung' gesammelt sind ... Vielfach wird dieser Volksgedanke mit einem Prädestinationsglauben verbunden, der dann allerdings, wie beim Hofprediger Doehring, im Volkstum der Hohenzollern-Monarchie seinen letzten entscheidenden Ausdruck fand." 4 7 6
Es wird weiter unten zu beobachten sein, wie es gerade im Zusammenhang mit diesem Volksbegriff zu einem Konflikt zwischen den Konservativen und den Nationalsozialisten kam, die ihre ganz anders geartete naturalistische und „blutsmäßige" Interpretation des Volkstums in die Bewegung hineintragen wollten. Einigkeit bestand aber unter allen Christlich-Deutschen darin, daß man den Ausgang des Ersten Weltkrieges nicht als endgültiges Schicksal hinnehmen durfte. Die deutsche Sache war ihrer Ansicht nach eine gerechte gewesen: Deutschland hatte als christliche Nation gegen die von Gott abgefallenen Großmächte Frankreich und England gekämpft, welche die - vom Judentum stammenden - humanitären Ideale auf ihre Fahnen geschrieben
474 475 476
Walter W i l m in DEUTSCHE ZEITUNG 3 5 / 2 9 4 b , 1 6 . 1 2 . 1 9 3 0 , S. 3. H . BLÜHER, Katechismus, S. 13. F. W I E N E K E , T h e o l o g i e , S . 2 3 f .
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hatten 477 . Eine solche Sicht erhob den Weltkrieg zum „Religionskrieg" 478 und ließ den Tod der deutschen Soldaten als Martyrium erscheinen 479 . Es bedarf keines Nachweises, daß auch damit nichts Neues ausgesprochen, sondern an der wilhelminischen Kriegspropaganda festgehalten wurde, für die sich einzelne Christlich-Deutsche bereits in der Zeit von 1914 bis 1918 eingesetzt hatten. D a aber Gott als Lenker auch der Geschichte nach 1918 galt, mußte der Niederlage und der Aufrichtung der Republik irgendwie ein Sinn abgerungen werden. Hier tauchte das Stichwort „Prüfung" auf: „... die Erkenntnis, d a ß G o t t über den Völkergeschicken walte, lehre auch die Prüf u n g verstehen, die G o t t über unser Volk verhängt habe. Unser Volk hätte die Treue halten müssen. Aber weil es abfiel von G o t t u n d die Treue brach, ist es trotz glänzenden Aufstiegs u n d so vieler ruhmvoller Siege schließlich ins Elend g e k o m m e n . " 4 8 0
Gott hatte also der deutschen Nation durch Versailles und den Weimarer Staat etwas auferlegt, was zur Selbstbesinnung treiben mußte. Wenn 1918 Schwäche und Untreue in den eigenen Reihen den deutschen Sieg vereitelt hatten, so war in den Augen der Christlich-Deutschen nun alles daran zu setzen, daß sich dieses Schauspiel niemals wiederholen konnte. Waren die gottwidrigen Mächte, die der Nation den „Dolchstoß" gegeben hatten, ausgetrieben, mußte Deutschland wieder groß werden. Darum rief man: „ M ä n n e r des G l a u b e n s gehören an die Front! Gehören in jegliche Werkstatt, w o a m Schicksal unseres Volkes gearbeitet wird: in die Regierungen (des Reiches u n d der Länder), in die Verwaltungen, in die Parlamente, in die Organisationen, B ü n d e u n d Verbände; - Persönlichkeiten, die vor G o t t stehen u n d sich G o t t verantwortlich wissen u n d verantwortlich der Geschichte unseres Volkes ... Heiligernste Verantwort u n g vor der Geschichte ist es d a r u m , mitzuarbeiten, d a ß etwas N e u e s werde, ein besseres D e u t s c h l a n d , ein reineres Volk, ein stolzeres Vaterland ... W i r k ä m p f e n u m das dritte Reich, den Staat der sittlichen Verantwortlichkeit, w o die Besten im Volke die Staatsmacht in den H ä n d e n haben unter der Verantwortlichkeit eines arteigenen Führers." 4 8 1
Solche Wünsche nach einem neuen, großen und gesunden Reich traten allerdings in einen merkwürdigen Widerspruch zu der grundsätzlichen Skepsis der Konservativen in Hinblick auf den Fortschritt in der Geschichte. So gestand Walter Wilm im Gegensatz dazu: „Wir wissen, daß auch Deutschland 477
H . BLÜHER, K a t e c h i s m u s , S . 13f. u n d W. WILM, K r i e g , S. 5.
478
H . BLÜHER, K a t e c h i s m u s , S. 13.
479
W . W I L M , K r i e g , S . 2 f . u n d G . SCHULTZE, V e r a n t w o r t u n g , S . 6 .
480 Walter Wilm in DER REICHSBOTE 60/23, 27.1.1932, S. 3; vgl. G. SCHULTZE, Verantwortung, S. 8. 481 Ebd., S. 7; vgl. R. v. D. GOLTZ, Gedanken, S. 23ff. Zur Idee des dritten Reiches, die bekanntlich nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt war, siehe K. SONTHEIMER, Antidemokratisches Denken, S. 237ff.
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zu den irdischen Größen gehört, die einmal wie Staub und Rauch verwehen." 482 Auch die behauptete reformatorische Glaubensgrundlage wurde von einigen Christlich-Deutschen verlassen, wenn der Aufstieg des Vaterlandes oder die Wiedergeburt der Nation in das Zentrum ihrer Hoffnungen rückten und damit existentiell bedeutender wurden als traditionelle Glaubensinhalte, die allerdings — das darf man nicht vergessen — keineswegs geleugnet wurden. So pries der christlich-deutsche Pfarrer Schultze die Entwicklung „zur Höhe einer gottgewollten Vollkommenheit unseres Volkstums" 483 und forderte mit Johann Gottlieb Fichte: „Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben, A n deines Volkes Auferstehn! Laß diesen Glauben dir nicht rauben Trotz allem, allem, was geschehn!"484
1.4.6.
Kirche, Staat und Volkstum
Schaut man etwas genauer auf die christlich-deutsche Weltanschauung, so blickt man durchweg auf traditionelle Vorstellungen. M a n darf pointiert sagen: das Wesen dieser Bewegung war es gerade, nichts Neues zu bringen. Sämtliche Grundgedanken ihrer Botschaft waren schon einmal dagewesen. Einiges tauchte auf in der Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges, anderes in den Begründungen des wilhelminischen Imperialismus, weiteres in der vaterländischen Dichtung der Befreiuungskriege, noch anderes bereits im Zeitalter der Reformation und der Gründungszeit des brandenburgischpreußischen Staates 485 . Die von den christlich-deutschen Autoren verwende482
W A S HABEN WIR, S . 1 7 .
483
G . SCHULTZE, V e r a n t w o r t u n g , S. 4.
Ebd., S. 8. Fichte (1762-1814) war neben Luther der Kronzeuge schlechthin für die Ansichten des deutschen konservativen Protestantismus der 20er und 30er Jahre. Das wird besonders bei M. MAURENBRECHER, Heiland, S. 69-78 deutlich. Auch Emanuel Hirsch ist ohne die Kenntnis der Fichteschen Schriften nicht zu verstehen. 485 Ein Vorläufer christlich-deutschen Denkens war Friedrich August von der MarwitzFriedersdorf (1777-1837), der gegen die stein-hardenbergschen Reformen mit der Berufung auf „die von Gott eingeführte Ordnung" argumentierte und schon seinerzeit Moderne, Judentum und Irreligiosität in eins setzte (F. CARSTEN, Geschichte, S. 89ff.). Am augenfälligsten sind aber sicherlich die Parallelen zur konservativen Opposition gegen die Erhebung von 1848. Die damaligen Konservativen lehnten die papierne Verfassung ab, sahen Libertinismus und Heidentum drohend heraufziehen und bekundeten ostentativ ihre Treue zum Hohenzollernhaus als Hort des Gottesgnadentums. Wie die Christlich-Deutschen nach 1918 wollten sie nach der Revolution das Vaterland neubauen, den Gehorsam zur Obrigkeit wiederherstellen und die Gläubigkeit wieder einsenken (ebd., S. 111-114). Albrecht von Roon (1803-1879) differenzierte bereits zwischen dem „eigentlichen Volk" und der vom Judentum aufgestachelten Menge und sah im Heer „unser Vaterland" (ebd., S. 105f.). Ein gewichtiger Unterschied ist freilich zu vermerken: der Konservativismus von 1848 hatte sich noch nicht 484
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ten Zitate zeigen das auch: es waren neben Luther die Feldherren des Weltkrieges, die Schmiede des zweiten Kaiserreiches, die Prediger der Freiheitskriege, die konservativen Vordenker des 19. Jahrhunderts, die die C d B als ihre Gewährsmänner anführte 486 . Schöpferisch im eigentliche Sinne waren die Christlich-Deutschen also nicht, ihre Leistung bestand nur darin, daß sie die konservativen Ideen zu geschlossenen Gedankengebäuden zusammenfügten und für ihre Zeit aktualisierten. Ihre Eigenart im politischen Raum bestand darin, daß sie im Vergleich zu anderen Kräften von rechts, nämlich rassenbiologisch argumentierenden Nationalisten, ihre Verbundenheit mit dem lutherischen Christentum herausstrichen. Ihre Eigenart im kirchlichen Raum aber ist darin zu sehen, daß sie dogmatische Fragen zurückstellten vor ethischen Fragen. Die Christlich-Deutschen konnten orthodox eingestellt sein oder einer eher spiritualistischen Auslegung des Glaubens das Wort reden. Man denke etwa an Zoellner auf der einen und an Doehring auf der anderen Seite. Doch solche Unterschiede wurden zurückgestellt, denn entscheidend war ihnen, daß eine deutliche und wertende Stellungnahme zu den Problemen der Politik und Gesellschaft gefunden wurde. Sie schufen also eine konservative Theologie der Kultur und Politik. Und wenn man bei ihnen von einer Zwei-Reiche-Lehre sprechen will, so hatte sie jedenfalls nichts mit jener Haltung gemein, die die weltliche Ordnung sich selbst überließ. Für die Christlich-Deutschen war es vielmehr selbstverständlich, daß die Welt dem Christentum unterworfen blieb. Auf der anderen Seite wird man ihnen den Vorwurf nicht machen können, daß sie „schwärmerisch" Gottesreich und weltliche Ordnung identifiziert hätten. Vielmehr machte Walter Wilm „die Spannung zwischen unserer Bürgerschaft: im Reiche Gottes und unserer Bürgerschaft im Deutschen Reich" deutlich: „Wir können nicht mehr vorschnell, oberflächlich die Ebenen harmonisieren. Dazwischen steht die Schuld des Menschen und die Dämonien alles irdischen Kampfes." 4 8 7 Werner Wilm erhob gerade darum auch seinen Einspruch gegen christliche Pazifisten, „die den seligen Frieden des Gottesreiches schon für die jetzige Menschheit herbeisehnen und wähnen, ihn durch die Macht ihres Wortes mit dem Nationalismus verbunden, sondern war sehr stark durch den preußischen Partikularismus bestimmt. 486 Konkret handelte es sich um Fichte (vgl. Anm. 484), um Ranke (vgl. Anm. 444 und 448), um Arndt, Geibel, Bismarck und Moltke (vgl. Anm. 86). Außerdem wurde gerne Richard Wagner (1813-1883) angeführt, der tatsächlich krasse völkisch-antisemitische Äußerungen getan hatte. Als unpassend, aber unvermeidlich muß man dagegen die aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate aus den Werken von Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) und Friedrich Schiller (1759-1805) hinnehmen; eine Berufung auf diese Klassiker gehörte sozusagen zum Pflichtprogramm nationaler Redner und Schreiber. 487 Walter Wilm in WAS HABEN WIR, S. 12. Implizit war hier eine Abkehr von einigen Inhalten der Kriegspredigt von 1914 vollzogen, an deren Zielsetzung sonst grundsätzlich festgehalten wurde.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
herbeiführen zu können" 488 . Mit der Aufhebung einer auf Gewalt und Macht beruhenden Ordnung in Deutschland würde vielmehr die Voraussetzung geschaffen für den Einmarsch der Feindvölker, für Chaos und Untergang 489 . Walter Wilm stimmte dem bei: „Gesicherter Frieden in Europa wird erst wieder sein, wenn ein frommes, wahrhaftes, einiges deutsches Volk zum Letzten entschlossen ist ... wenn die christlichen Völker des Abendlandes, gestützt auf die niederträchtige Lüge von der Schuld Deutschlands am Kriege, ein großes, tapferes Volk kaltherzig zugrunde gehen lassen - dann müssen wir im Namen des Glaubens vorspringen: Bis hierher und nicht weiter!... Aus diesem Geist und Willen wird eine neue Ordnung Europas erwachsen. Und durch solche gottverantwortliche, nationale Entschlossenheit werden wir dem Frieden auf Erden und den andern Völkern den besten Dienst leisten." 490
Das war nicht einfach Schönfärberei deutscher Revanchegelüste, sondern in enger Anlehnung an reformatorische Ordnungsvorstellungen formuliert, wonach die Gewaltanwendung zu einem notwendigen Christendienst werden konnte, wenn sie dem Schutz vor allgemeinem Chaos diente. Argumente aus lutherischer Tradition begegneten auch, wenn Walter Wilm die Autorität des Staates begründete: „Wir wissen ..., daß die Menschen in ihrer Gesamtheit niemals freiwillig im Gehorsam gegen Gott die Ordnungen Gottes achten. Weil wir um die furchtbare Macht der Sünde wissen. Und darum hat Gott noch eine andere irdische Ordnung gesetzt: den Staat, dessen Wesen Recht, Macht, Zwang ist... Der Staat m u ß durch Gesetze ... das gesamte Volksleben im Gehorsam gegen die Schöpfungsordnung aufzubauen suchen ..., wenn es sein muß, mit äußerster Härte ... Er m u ß das Volkstum in allen seinen Gliedern und Ständen vor Untergang bewahren." 491
Ein Unterschied zu Luther ist allerdings zu bemerken: hatte dort die Obrigkeit die rechtschaffenen „Frommen" zu schützen492, so bei Wilm das „Volkstum". Hier ist ein Begriff eingedrungen und in die reformatorische Weltsicht eingefügt worden, der einem anderen Kontext entstammte, nämlich der romantischen Volkstumsideologie des 19. Jahrhunderts. Legitim, d. h. in Luthers Sinne, wäre die Einsetzung des Volkes anstelle der „Frommen" nur, wenn die Deutschen in ihrem Wesen wirklich ein Volk von Christen wären. Aber eben damit rechnete die CdB. Hier wirkte in einem besonderen Maße die volkskirchliche Konzeption Adolf Stoeckers nach, mit der vor allem die Mitarbeiter aus der „Inneren Mission" vertraut waren. Danach besaß das deutsche Volk in seinem Kern einen „christlich-deutschen Charakter", der durch geeignete politische und volksmissionarische Maßnahmen wieder zur Gel488
489
W . WILM, Krieg, S. 4.
Ebd., S. 4f. Walter Wilm in WAS HABEN WIR, S. 16. 4 " Ebd. 492 WA Bd. 18, S. 389 und S. 391f., vgl. WA Bd. 11, S. 249-252. 490
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tung gebracht werden konnte, so daß die christliche Erneuerung dann umgekehrt die Nation festigen und stärken konnte 493 . Das „in der Kirche verbundene christliche Volk"494 war auch für die CdB die Grundlage, auf der sich Christentum und Deutschtum zur Synthese verbanden. Diese Auffassung erklärt manche Eigentümlichkeit der christlichdeutschen Botschaft hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche, Gesetz und Evangelium, die schon im 19. Jahrhundert in den christlich-sozialen Anschauungen Stoeckers begegnete. Die Rede von einem „christlichautoritativen Staat"495 wird von hier aus verständlich, der zwar nicht die Rolle der Kirche übernehmen, aber auf seine Weise alles daransetzen sollte, die Deutschen als christliche Nation zu erhalten. Ein Staat dagegen, „der meint, religiös-neutral sein zu können, steht damit schon auf der Seite des Antichristen" 496 . Man muß hier von einer doppelten Abwehrhaltung reden. Auf der einen Seite sollte sich das politische Gemeinwesen nicht als Gottes Reich aufspielen oder theokratische Züge annehmen, auf der anderen Seite sollte es nicht eigener Gesetzlichkeit folgen. Der rechte Staat sollte vielmehr gläubig geführt werden und „der Kirche Gelegenheit... geben, dafür zu sorgen, daß die göttlichen Grundordnungen des Lebens freiwillig befolgt werden" 497 . Die Rolle der Kirche schränkte die CdB ebenfalls nach zwei Seiten hin ein: einerseits sollte sie keineswegs in den Staat aufgelöst werden, andererseits sollte sie auch nicht abseits des politischen und gesellschaftlichen Lebens stehen. Frei sollte die Kirche von modernen Einflüssen sein, frei insbesondere vom Weimarer Staat, wie bereits der christlich-deutsche Einspruch gegen den preußischen Kirchenvertrag gezeigt hatte. Weil dieser Staat die christlichen Grundsätze verlassen habe und „in den ihn beherrschenden Gewalten antichristlich geworden ist, bedarf allerdings die Kirche der Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat. Daß es dazu gekommen ist, ist aber nicht ein Glück für sie, sondern ein notwendiges Übel." 498 493 Zit. nach PROTESTANTISMUS UND POLITIK, S. 46. Vgl. ebd., S. 23 aus einem Artikel Stoeckers anläßlich des Krieges von 1870/71: „Es gilt, das vaterländische Gefühl mit der christlichen Herzensverfassung zu verschmelzen ..." Zu den volkskirchlichen Ansichten bemerkt Martin Greschat ebd., S. 57: „Wie die meisten Programme zur Rechristianisierung der Gesellschaft basierte auch dasjenige Stoeckers auf der Voraussetzung, daß die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes noch immer christlich gesinnt sei. Erst auf diesem Hintergrund wird sowohl Stoeckers großes Vertrauen in gesetzgeberische Maßnahmen zur Durchsetzung des öffentlichen Einflusses der Kirchen voll verständlich wie auch sein politisches Engagement für die Verwirklichung seines Leitbildes für Kirche überhaupt." 494 W. WILM, Kirche, S. 18. 4,5 Erste Richtlinien der CdB nach DEUTSCHES PFARRERBLATT 35, 1931, S. 65; vgl.
G . SCHULTZE, V e r a n t w o r t u n g , S. 8 . 496
Walter Wilm in DEUTSCHE ZEITUNG 35/294b, 16.12.1930, S. 3. Dies war selbstverständlich gegen den Staat von Weimar gerichtet. 497 Walter Wilm in DEUTSCHE ZEITUNG 35/294b, 16.12.1930, S. 3. 498 W. WILM, Kirche, S. 19.
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Danach war langfristig durchaus an die Wiedereinsetzung eines Staatskirchentums gedacht, denn in einem christlichen Staat mußte sich die innerliche Verbindung von Kirche und Staat einen entsprechenden Ausdruck schaffen. In der Zwischenzeit aber war das Ziel die freie Bekenntniskirche als Volkskirche, die die Einheit von Volkstum und Christentum verteidigte bzw. neu herstellte499. Gern sprach die CdB von der „ecclesia militans", die in der Epoche des Abfalls von Gott für das Evangelium zu streiten habe500. „ D i e Gemeinschaft unseres Volkes im Tiefsten ist zerstört, u n d wir ersticken im Gewirr der menschlichen Meinungen. Wir wären verloren, wenn nicht jetzt die Sehnsucht nach O f f e n b a r u n g , der Hunger nach dem ewig gültigen Worte Gottes erwachten. Trotz aller menschlichen Unvollkommenheit m u ß eine straff organisierte Kirche die Gottesbotschaft verkündigen, frei und unabhängig von allen weltlichen Gewalten." 5 0 1
Was aber war das Evangelium in den Augen der Christlich-Deutschen? Noch einmal stoßen wir auf eine zweifache Bestimmung: es bedeutete ihnen einerseits „die innerste, persönliche Angelegenheit jedes einzelnen Gläubigen"502; andererseits sollte „das eine Evangelium Lehre, Kraft und Text für alle Verhältnisse und für alles Geschehen des Lebens" geben503. Walter Wilm entfaltete den Inhalt des Evangeliums konkret anhand des apostolischen Glaubensbekenntnisses: Es gehörte dazu die Botschaft des zweiten Artikels von der Erlösung und die des dritten Artikels von der Heiligung. Darin waren „die ewigen Dinge" beschlossen, „das Reich Gottes, das nicht von dieser Welt ist, das Verhältnis der einzelnen Menschenseele zu Gott" 504 . Aber zum Evangelium gehörte nach Wilm auch der erste Artikel von der Schöpfung und damit die Botschaft „von dem Gott, der die Welt geschaffen hat und noch erhält — der auch unsere Erde geschaffen hat, auch unser Deutschland"505. Das aber Ebd. So in dem Schreiben Greils an Füllkrug vom 28.12.1930 (ADW Berlin, CA 380/112). Vgl. über die frühe Kundgebung der CdB unter dem Titel „Die kämpfende Kirche" DEUTSCHE ZEITUNG 35/294b, 16.12.1930, S. 3. Bei der „ecclesia militans" dachte man nicht an die herkömmliche dogmatische Auffassung der Kirche als Märtyrerkirche, sondern an Stoeckers Verwendung des Begriffs, der die Kirche zum Kampf aufforderte „gegen die Strömungen, Parteien, Persönlichkeiten, Verhältnisse, welche die Kirche zerstören" (zit. nach PROTESTAN499 500
TISMUS UND POLITIK, S . 7 5 ) . 501
W. WILM, Kirche, S. 3.
Ebd. Ebd., S. 19; vgl. auch Walter Wilm in DER REICHSBOTE 59/96, 22.4.1931, Beilage „Kirche und Schule", S. 1: „Eine gesunde Partei-Politik ohne das Evangelium ist auf die Dauer unmöglich. Geist und Ton und Höhenlage, die Ethik in der Partei-Politik, die Ritterlichkeit zueinander beeinflußt das Evangelium ... eine politische Partei hat nicht das Evangelium zu verkünden, die Partei-Politik kann nur von einer Partei getrieben werden. Aber trotzdem greift das Evangelium hinein!" 504 Walter Wilm in WAS HABEN WIR, S. 11. 502 503
505
E b d . ; vgl. W WILM, Deutschchristlich, S. 2 5 3 .
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war in den Reden und Schriften der C d B die Hauptsache: daß das Evangelium den Christen zum Dienst an den Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen verpflichtete. Und das war gemeint, wenn man die Ausrichtung des staatlichen und politischen Lebens auf das Evangelium anmahnte und den Wunsch aussprach, „daß alle unsere Volksgenossen die Liebe zu Volk und Vaterland fest auf das Evangelium gründen möchten" 5 0 6 . Fraglich wird damit allerdings, ob das Evangelium überhaupt als neue Lebensmacht anerkannt wurde. So erscheint es auf der einen Seite (als Botschaft des zweiten und dritten Artikels) als transzendentes Fundament und Erschließung metaphysischer Bindungen. Auf der anderen Seite (als Entfaltung des ersten Artikels) aber ist es das eine Mal die Affirmation von Ordnungen, denen die Urheberschaft des Schöpfers zuerkannt wird, das andere Mal die Negation von Ordnungen, die als widergöttlich hingestellt werden. N u n ist diese Sicht des Evangeliums der C d B keineswegs als dogmatische Abweichung oder Häresie anzulasten, insofern sie in den Bahnen der Tradition blieb, wenn sie die biblische Botschaft einerseits auf das abstrakte Innere des Einzelnen bezog oder in einen transzendenten Raum verlagerte und andererseits zur Legitimation der empirischen Welt, genauer: der konservativen Institutionen, verwandte. Eine Überraschung aber ist es, daß einzelne Christlich-Deutsche - im Widerspruch dazu - das Evangelium auch kritisch gegen die eigene Position richten konnten und damit als wirklich verändernde Macht ernst nahmen. So stand der bloßen Affirmation der Schöpfungsordnungen krass entgegen, was Doehring einmal in Anlehnung an einen eschatologischen Ausspruch Jesu formulierte: „Die Frage, welche unser Herr ... aufwirft, ist keine geringere als die: gibt es eine Gemeinschaft, die wertvoller ist als diejenige des Blutes? Sind gar die Bande des Blutes dazu bestimmt zu zerreißen, wenn Bande heiligen Geistes sich knüpfen? Er selbst beantwortet diese Frage mit einem vorbehaltlosen Ja." 507 Hier war die innerliche Gewissensbindung nach außen gekehrt und kritisch gegen die naturhafte Ordnung und ihre Autorität gerichtet. Der Streitfall, der sich hieraus für die C d B ergeben konnte (und sollte), bestand darin, daß die Verfechter der Anpassung an die (vermeintlich) natürlichen Schöpfungsverhältnisse zusammenstießen mit den Vertretern des Primats der idealen, geistlichen Werte, die durch das Evangelium neu geschaffen wurden.
506
507
W. WILM, Krieg, S. 8. B. DOEHRING, Entscheidungskampf, S. 9.
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1.4.7. Der christlich-deutsche
1930-1931
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Faßt man die systematische Auswertung der Reden und Traktate der C d B zusammen, ergibt sich eine enge Anlehnung an das lutherische Erbe, das den Christlich-Deutschen sicherlich durch die zeitnahe Repristination reformatorischen Gedankengutes in den 20er und 30er Jahren, aber auch eine ältere Rezeptionsgeschichte vermittelt worden war 508 . Insbesondere ist an die Scheidung von innerlicher und äußerlicher Christenheit zu erinnern, an die Bestätigung der weltlichen Ordnungen und Bräuche, an die ständische Berufsethik und an das Miteinander der beiden Reiche in einem Staat, der dem Chaos wehrte und der Kirche dadurch ihre Verkündigung ermöglichte. Allerdings übertrug die C d B die vormoderne, zeitgebundene Vorstellungswelt des Reformators in die Gegenwart, ohne die zeitgebundene Form der lutherischen Weisungen in jedem Fall von ihrem gültigen Gehalt zu trennen. Gleichwohl hielten die Christlich-Deutschen an den wesentlichen Inhalten der reformatorischen Botschaft fest. So wiesen sie zurück, was einer Selbsterlösung gleichgekommen wäre, und betonten die Bedürftigkeit und Endlichkeit auch des deutschen Menschen. „Wir wissen, daß all unser menschliches Tun unter dem Gericht steht und unter der Vergänglichkeit." 509 Dieses Bekenntnis Walter Wilms war kennzeichnend für viele Christlich-Deutsche 510 . Dementsprechend wird man die Stilisierung Jesu zu einem germanisch-arischen Nationalheros vergeblich bei ihnen suchen, und völkisch-rassische Vorzüge sollten wenigstens vor Gott nichts bedeuten 511 . So gilt für die C d B 508 Die aktuelle Lutherrezeption, von der die CdB unmittelbare Anregungen empfing, war vom 400. Reformationsjubiläum 1917 ausgegangen und hatte Karl Holl (1866-1926) und seine Schüler als Träger. Die ältere Tradition, in der die CdB ebenfalls stand, hatte ihre Wurzeln dagegen im Luthertum des 19. lahrhunderts. Damals wurden bei der Aktualisierung Luthers die Begriffe geprägt, die dann in der christlich-deutschen Theologie eine entscheidende Rolle einnahmen. Dazu bemerkt F. W. GRAF, Kulturluthertum, S. 37f.: „Leitbegriffe der neulutherischen Theologie der zwanziger und dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts ... wie Schöpfungsordnung und ... Erhaltungsordnung, Anordnung Gottes, Uroffenbarung, Volkstum und Volksgesetz, prägen den ethischen Diskurs im Luthertum spätestens seit den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die im Verhältnis zur theologischen Arbeit des liberalen Protestantismus relativ hohe Begriffskonstanz in der lutherischen Tradition läßt erkennen: Die neulutherischen Theologien des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ... können überhaupt nur im Zusammenhang der positioneilen Verfestigung lutherischer Tradition im 19. Jahrhundert angemessen verstanden werden." 509 Walter Wilm in DER REICHSBOTE 59/155, 30.6.1931, Beilage „Kirche und Schule", S. 1. 510 Von solchen Formulierungen war allerdings G. SCHULTZE, Verantwortung, S. 4 weit entfernt, der sich zu der (in sich widersprüchlichen) Aussage verstieg, die deutschen Tugenden seien „dem deutschen Volke in seinem Blute ... gegeben", sie seien geboren „aus der Gemeinschaft eines frommen Herzens mit dem lebendigen Gott". Nationaler Blutkult und christlicher Spiritualismus standen hier unverbunden nebeneinander. 511 Wenn Albrecht von Graefe in GLAUBE UND VOLK 1, 1932, S. 52 als Vertreter deutschkirchlicher Ansichten zu Worte kam, geschah dies bezeichnenderweise mit dem Hinweis,
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im besonderen, was Karl-Wilhelm Dahm als allgemeines Kennzeichen der konservativ-nationalen Pfarrerschaft der Weimarer Zeit ausgemacht hat: „Der Nationalismus..., wie ihn die Masse der Pastoren verstand und vertrat, ... sollte an die Synthese christlich-deutsch gebunden bleiben. Jede von der Synthese ,Nation und Altar' abgelöste Tendenz zur Verabsolutierung des Nationalismus wurde nachdrücklich abgelehnt." 512 Allerdings stand der Nationalismus selbst niemals zur Debatte. An etlichen Stellen war er in die traditionelle religiöse Gedankenwelt eingedrungen und hatte dort einen Platz gefunden. Dabei machte man es sich manchmal gar zu leicht. So ließ man besondere Offenbarungen sprechen, die die Nation als Ergebnis des göttlichen Willens ausweisen sollten. Die Bibel wurde dann nur noch als Steinbruch zur Untermauerung der bereits getroffenen Feststellung herangezogen, daß Gott die Völker voneinander geschieden haben wolle. Bessere Argumente für den Nationalismus lieferten Erweiterungen der reformatorischen Ordnungslehre und eine bestimmte Geschichtsmetaphysik, wonach gerade die Deutschen zur höchsten Aufgabe berufen waren: zur Verteidigung des Christentums gegen eine anbrandende Welt von Gottlosen. Im Ergebnis wurde bei einigen der Glaube an Deutschland existentiell wichtiger als der Glaube an Christus, was man als Hinweis darauf nehmen kann, daß bei der Rezeption des reformatorischen Erbes durch die C d B allerdings Luthers christozentrischer Ansatz zu wenig Beachtung fand. Schwärmerische Zukunftsvisionen, die so gar nichts mit der grundsätzlichen konservativen Zurückhaltung gegenüber dem geschichtlichem Fortschritt zu tun hatten, waren nicht eben die Ausnahme. Am schwersten aber wiegt, daß es keinem Christlich-Deutschen gelang, konstruktiv an den Weimarer Staat anzuknüpfen. So verband sich ihr Nationalismus zwangsläufig mit jenen politischen Strömungen, die sich gegen die Errichtung einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft bereits gebildet hatten oder neu bildeten. Hätten die Christlich-Deutschen einen theologischen Ansatz gefunden, die menschliche Autonomie positiv zu würdigen, wie es der liberalen Theologie oder auch einem „religiösen Sozialisten" wie Paul Tillich gelang 513 , wäre dieses Bündnis wohl kaum zustandegekommen. Doch dazu waren sie weder von ihrer sozialen Herkunft noch von ihrem religiösen Bewußtsein her in der Lage, denn sie fürchteten den Fortschritt als Auflösung ihrer traditionellen Bindungen und Sozialformen und folgten einer christlichen Frömmigkeit, daß der Autor „in nicht unwesentlichen Punkten abweicht von den Grundlinien, an denen in dogmatischer Hinsicht die christlich-deutsche Bewegung ihrerseits festhalten zu sollen glaubt". 512 K.-W. DAHM, Staat, S. 443; dazu auch K.-W. DAHM, Pfarrer, S. 195f. 513 Die menschliche „Autonomie" wurde von Tillich ( 1 8 8 6 - 1 9 6 5 ) zwar dialektisch beschrieben, aber gerade dadurch auch positiv gewürdigt. Seine Sympathie für die Aufklärung und den Liberalismus war außerdem durch seine Interpretation des „Protestantischen Prinzips" bedingt.
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931
die den Menschen der Aufklärung zum finsteren Antipoden des gläubigen Menschen machte 514 .
1.5. Neue Wege der Volksmission 1.5.1. Walter Wilms volksmissionarisches Wirken Bei der Darstellung der christlich-deutschen Theologie fiel die Schlüsselstellung auf, die man der Volkskirche als einer Deutschtum und Christentum vereinigenden Größe zuschrieb. „Wir wollen eine lebendige Verbindung zwischen Kirche und Volk" 515 , hieß es schon im ersten Programm der ChristlichDeutschen. Dazu aber bedurfte es der Volksmission, und die C d B mußte zugleich eine konservative und eine volksmissionarische Bewegung werden. A m Anfang wurde der volksmissionarische Kurs der C d B durch Walter Wilms Tätigkeit in der „Evangelistischen Volksmission" bestimmt, einer Abteilung des Centrai-Ausschusses (C.A.) für die „Innere Mission". Bereits im Frühjahr 1930 hatte Wilm sich wegen einer möglichen Anstellung an Gerhard Füllkrug, den Direktor der evangelistischen Abteilung, gewandt 516 . Doch erst nachdem dort eine Stelle frei geworden war, konnte er als Volksmissionar eingestellt werden. Sein Berufungsschreiben wies auf seine „besondere Aufgabe" hin, „das Evangelium den vaterländischen Verbänden und völkischen Kreisen, sowie der vaterländischen aber auch marxistischen Jugend zu verkündigen, und die geeigneten Wege dafür zu suchen" 517 . Damit wurde von der „Inneren Mission" eine neue Richtung eingeschlagen: erstmals wandte sich eine ihrer Abteilungen speziell an die nationale Bewegung, weil sie sich verpflichtet fühlte, „die Arbeit der Volksmission auch auf diese Gebiete auszudehnen" 518 . Dies darf als Zeichen dafür genommen werden, daß es in den völkischen Gruppen - ähnlich wie in der Arbeiterbewegung - Bestrebungen gab, sich von der Kirche abzusondern. In Pfarrer Wilm aber sahen Verantwortliche der „Innere Mission" den richtigen Mann, der die Verbin514 D i e Wechselbeziehung von gesellschaftlicher Stellung und theologischem Erbe dürfte offensichtlich sein. 515
D E U T S C H E S PFARRERBLATT 3 5 , 1 9 3 1 , S . 6 5 .
Schreiben Füllkrugs an Reinhold Seeberg vom 1 4 . 8 . 1 9 3 0 ( A D W Berlin, C A 3 8 0 / 1 1 2 ) : „Er war schon Ausgang des Winters einmal an mich herangetreten mit der Bitte, ihn als Volksmissionar bei uns einzustellen." Neben der evangelistischen Abteilung der Volksmission bestand eine apologetische Abteilung, der die von Walter Künneth ( 1 9 0 1 - 1 9 9 7 ) u n d Carl Schweitzer ( 1 8 8 9 - 1 9 6 5 ) geleitete „Apologetische Centrale" im Spandauer Johannesstift zugehörte. Z u Füllkrug siehe E . BEYREUTHER, Kirche, S. 2 1 3 , S. 219f., S. 233. 517 Berufungsschreiben v o m 3 0 . 1 0 . 1 9 3 0 , ebenso in der Dienstanweisung v o m 1 . 1 1 . 1 9 3 0 ( A D W Berlin, C A 1909). 518 Schreiben Füllkrugs an das brandenburgische Konsistorium vom 1 7 . 1 1 . 1 9 3 0 ( A D W Berlin, C A 1909). 5,6
Neue Wege der Volksmission
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dung zu diesen Verbänden und Parteien wieder herstellen konnte. Als seine Einstellung besprochen wurde, hieß es: „Pfarrer Wilm ... hat als Jugendpfarrer der Mark Brandenburg besonders unter den vaterländischen Verbänden und völkischen Kreisen aber auch unter der vaterländischen und marxistischen Jugend gearbeitet und Eingang in diese Kreise gefunden ... Da ... viele Kreise durch die bisherige Arbeit nicht erreicht werden, ist die Einstellung von Pfarrer Wilm begründet und notwendig. Es ist ein Weg Wicherns, der hier beschritten wird." 519 Die feste Anstellung durch den C.A. war Wilm sehr willkommen: schon eher hätte er gerne ein solches Werk „angepackt" 520 , doch die äußeren Voraussetzungen waren seiner Ansicht nach nicht die richtigen gewesen. Er selbst schrieb darüber: „Ich hätte es auch schon früher im Glauben gewagt. Aber die Stimme des Gewissens sagte mir, daß gerade in der heutigen Lage eine solche Arbeit nicht aus materiellen Gründen in die Nähe politischer Hörigkeit rücken darf. Aber nun kann ich frei atmen." 521 In dieser Überlegung kommt Wilms Absicht zum Ausdruck, seine evangelistische Verkündigung so zu betreiben, daß sie sich ihren Adressaten nicht politisch anpaßte. Er achtete also bewußt darauf, nicht zum Befehlsempfänger der nationalen Verbände zu werden. Daß er keine Bindungen im politischen Sinn einging, darauf sah aber auch der C.A., denn er hielt es für notwendig, der Berufung Wilms folgende Erläuterung beizufügen: „Wir erwarten ... von Ihnen, dass Sie es vermeiden, parteipolitische Bestrebungen in die Arbeit der Volksmission und des Centrai-Ausschusses für Innere Mission hinein zu tragen [sie!].'"'22 Das wirkliche Leben machte es Wilm allerdings schwer, sich eine solche Unabhängigkeit zu bewahren. Vielmehr sah er sich oft: gezwungen, sein Vorgehen gegenüber seinen Vorgesetzten rechtfertigen zu müssen. So traf bereits
515 Niederschrift der Sitzung der Kommission für evangelistische Volksmission vom 12.8.1930 ( A D W Berlin, C A 1909). Vgl. das Schreiben Füllkrugs an Seeberg vom 14.8.1930 ( A D W Berlin, CA 380/112): „P. W i l m erhält den besonderen Auftrag, Volksmission zu treiben unter den vaterländischen Verbänden u n d völkischen Kreisen, besonders auch unter der vaterländischen sowie der marxistischen Jugend. Z u allen diesen Kreisen hat er jetzt schon lebhafte Verbindungen, die unsere anderen Volksmissionare nicht haben, so dass wir hoffen, jetzt eine offene T ü r zu solchen Kreisen zu finden, die weder von der Kirche noch von der Gemeinschaft [d. h. der pietistischen, dem Gedanken der Evangelisation verpflichteten „ Gemeinschaftsbewegung"] noch von den anderen Evangelisten des C. A. erreicht werden." Johann Hinrich Wichern ( 1 8 0 8 - 1 8 8 1 ) , auf den man sich bei der Einstellung Wilms berief, hatte 1848 die „Innere Mission" begründet, u m die entchristlichten Bevölkerungsschichten zum Glauben zurückzufuhren. Es war nicht unbegründet, wenn man den neuen Volksmissionar in seinen Spuren wandeln sah, denn schon Wichern hatte, wie W. TILGNER, Volksnomostheologie, S. 65 hervorhebt, im Volkstum ein von G o t t anvertrautes G u t gesehen. 520 Schreiben Wilms an Füllkrug vom 22.7.1930 ( A D W Berlin, CA 380/112). 521 Ebd. 522 Schreiben Seebergs an W i l m vom 22.10.1930 ( A D W Berlin, C A 380/112).
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im Oktober 1930 ein Schreiben des Berliner Generalsuperindenten Emil Karow beim C.A. ein, in dem dieser sich entsetzt über eine Beteiligung Wilms an der Reichstagung der „Deutsch-völkischen Freiheitsbewegung" äußerte: „Dass Wilm den Kreisen um die Deutschkirche so nahe steht, war mir nicht bekannt... Die Volksmissionsabteilung wird mit allem Ernst daraufhinwirken müssen, dass durch seine sonstige Betätigung nicht der Anschein erweckt wird, als stände der C.A. hinter seinen deutsch-völkischen Anschauungen." 523 Daraufhin sah sich Gerhard Füllkrug als unmittelbarer Vorgesetzter Wilms genötigt, ein Rundschreiben aufzusetzen, in dem er verschiedene Personen darum bat, „uns eine vertrauliche Beurteilung über die volksmissionarische Methode in der Arbeit von Pfarrer Wilm an der vaterländischen Bewegung und den dem Christentum und der Kirche entfremdeten vaterländischen und völkischen Kreisen ... geben zu wollen. Es liegt uns daran, ein objektives Bild von der Arbeit des Herrn Pfarrer Wilm, die natürlich hier und da auf Widerstand stösst, zu erhalten." 524 Da aber Füllkrug sich mit diesen Zeilen ausschließlich an die Wilm nahestehenden Kampfgefährten aus der CdB wandte, konnte das Urteil nicht negativ ausfallen. So schrieb der Superintendent Johannes Grell aus Woldenberg: „Im Laufe der letzten Jahre habe ich 2 Versammlungen politisch rechtsgerichteter Gutsbesitzer beigewohnt, vor denen Bruder W i l m ... darlegte, daß die vaterländische Bewegung versanden müsse, wenn sie nicht christlich vertieft und verankert würde ... N a c h meinem Eindruck ist Br. W i l m der geeignete M a n n , u m Verbindungslinien zu schaffen zwischen einer evangelischen ecclesia militans und den vaterländischen und völkischen Kreisen." 5 2 5
Ähnlich zustimmend äußerte sich Martin Perwitz, Pfarrer an der Paul-Gerhardt-Kirche in Berlin-Schöneberg 526 . Ausführlicher und etwas zurückhaltender nahm der Rittergutsbesitzer Ludwig Körte Stellung, der darauf hinwies, daß Wilms Arbeit von gesellschaftlich hochstehenden Persönlichkeiten finanziell unterstützt werde:
Schreiben Karows an Seeberg vom 7 . 1 0 . 1 9 3 0 (ADW Berlin, CA 380/112). Rundschreiben Füllkrugs an Ludwig Körte, Johannes Grell, Bruno Doehring, Martin Perwitz und Gotthelf Bronisch vom 22.12.1930 (ADW Berlin, CA 380/112). Dazu auch E. BEYREUTHER, Kirche, S. 230: „Praktisch erreichte er [sc. Wilm] nur vaterländische Gruppen. Nationale Kreise, wie sie sich ζ. B. um den Kronprinzen in Oels sammelten, verschafften Wilm dort Eingang. Füllkrug beschwor ihn einmal, Stillschweigen über die Gelder zu bewahren, die zur Bekämpfung der Gottlosigkeit zur Verfügung gestellt worden waren." 523
524
Schreiben Greils an Füllkrug vom 2 8 . 1 2 . 1 9 3 0 (ADW Berlin, CA 380/112). Schreiben Perwitz' an Füllkrug vom 2 8 . 1 2 . 1 9 3 0 (ADW Berlin, CA 3 8 0 / 1 1 2 ) : „Ich bejahe den Weg, den Pfarrer Wilm geht, und glaube feststellen zu können, daß gerade seine Persönlichkeit geeignet ist, den erwähnten Kreisen Christus und die Kirche nahezubringen." 525
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„Sie wollen hieraus entnehmen, dass auch diese Herren die Bestrebungen des Herrn Pastor Wilm besonders unter der Arbeiterjugend für interessant und Erfolg versprechend halten ... Was nun die Arbeit in der vaterländischen und völkischen Bewegung anbetrifft,... so weiss ich von verschiedenen, hier im Kreis hochangesehenen Herren, dass sie Herrn Wilms Arbeitsweise mit besonderem Beifall beobachtet und begrüßt haben. Freilich haben weder sie noch ich eine ins Einzelne gehende Kenntnis, wie sich die Arbeit im Kleinen abspielt und auswirkt. Unser Urteil ist daher zweifellos bis zu einem gewissen Grade beeinflusst durch den Eindruck der Redegabe und der Persönlichkeit Wilms ... Das Bild, das ich im Grossen und Ganzen von Wilm und seiner Arbeit erhalten habe, ist das, dass sich hier etwas regt, was wir mit allen Kräften unterstützen sollten. Besonders wesentlich scheint mir hierbei, dass die Arbeit von derselben Persönlichkeit gleichzeitig im vaterländischen und sozialistisch-kommunistischen Lager geleistet wird. Wenn es Wilm gelänge, diese Linie zu halten, so würde damit m.E. etwas ganz Grosses geleistet werden, nämlich der Nachweis, dass unser evangelisches Christentum gleichzeitig den widersprechenden politischen Richtungen zu dienen sich befugt und befähigt halten darf." 527 Ungeteilten Z u s p r u c h erhielt W i l m schließlich v o m Superintendenten Gotthelf Bronisch aus Züllichau, der sich seinem christlich-deutschen Unternehmen voller Lobes anschloß 5 2 8 . Nachdem er ihn „öfters in grundlegenden Besprechungen des Aktionsausschusses ftir Männerdienst, auch auf Jugendtagungen und vor kurzem in einer größeren Versammlung im Saal des Gemeindehauses Halensee über das Thema: ,die kämpfende Kirche'" hatte reden hören, fällte er über Wilm das Urteil, „daß ich in ihm eine unserer evangelischen Kirche und unserm deutschen Volke von Gott geschenkte Kraft sehe, von deren Wirksamkeit ich eine starke Belebung unseres wirklichen und nominell evangelischen Volksteils in allen Kreisen und Schichten erwarte. Festgegründet im biblisch-reformatorischen Glauben, schlägt er mit völliger Beherrschung der Materie des öffentlichen Lebens der Gegenwart ... die Brücke von Evangelium und Kirche hinüber in die Wirklichkeit unserer gegenwärtigen Zustände, treibt im besten Sinne des Wortes eine großartig angewandte Evangelisation an unserm Volke, dessen Lebensnöte und -Rechte und -Aufgaben [ s i e ! ] er in das Licht der unumstößlichen Wahrheiten der biblischen Offenbarungsreligion stellt. Die jeder bewußten Verbindung von nationaler und evangelischer Arbeit innewohnende Gefahr eines etwaigen Überwiegens hochwertiger nationaler Momente über die heilige Souveränität des Evangeliums hat er klar erkannt und es ebenso klar ausgesprochen, daß in der Verbindung von Christlichem und Nationalem, wie er sie mit seiner Arbeit vertritt, der Hauptton immer auf dem Christlichem ruht und ruhen wird, sonst wäre s e i n e Arbeit unmöglich. Eben deshalb trifft sein Wort das Gewissen und ruft zum Opfer auf, statt chauvinistisch zu schmeicheln und zu versprechen. Hier ist wirkliches ,Salz des Evangeliums'. Ich kann nur bekennen, daß ich glücklich bin, sein Wirken erleben und nach Kräften mit meiner Mitarbeit begleiten zu dürfen. Ich bin 527 Schreiben Körtes an Füllkrug v o m 2 4 . 1 2 . 1 9 3 0 ( A D W Berlin, C A 3 8 0 / 1 1 2 ) . Leider nennt Körte keine der hochgestellten Persönlichkeiten beim N a m e n . 528 Bronisch gehörte 1932 zur Führungsspitze der C d B (Siehe die Aufstellung über den Aufbau in E Z A Berlin, 7 / 4 1 4 6 ) .
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überzeugt, daß sich in ihm eine neue Bewegung anbahnt, die mit elementarer, jugendfrischer Kraft vielfach Überaltertes in unserm bisherigen kirchlichen Parteigetriebe überrennen und beseitigen wird. Widerspruch, der ja unausbleiblich ist, darf ihn und uns nicht irre machen."529 Diese Äußerungen zeigen, daß Wilm sowohl in der Kirche nahestehenden als auch in kirchenfernen Gruppen wirkte: konkret handelte es sich um den Männerdienst und evangelische Jugendbünde auf der einen, um völkische Adelige und andere rechtsgerichtete Persönlichkeiten auf der anderen Seite530. Interessant ist, daß Wilm darüber hinaus auch Zugang zur marxistischen Jugend erlangte und diese in die CdB mit einbeziehen wollte. Fraglich ist allerdings, ob ihm dabei bleibender Erfolg vergönnt war, denn die vorliegenden Informationen über die weitere Entwicklung der CdB zeigen eindeutig, daß nur wenige aus der arbeitenden Bevölkerung zu ihr fanden. Von diesen dürfte der ehemalige Metalldreher Carl Miedbrodt aus Berlin-Tegel erwähnenswert sein, der seinen Kampfbund „Glaube und Arbeiter" der CdB anschloß 531 . Jedoch muß man berücksichtigen, daß diese mit dem hehren Ziel der Evangelisation im marxistischen Volksteil gegründete Vereinigung gerade 20 Männer umfaßte, deren Mission sich in Aktionen gegen die kommunistische „Gottlosenbewegung" erschöpfte 532 . Aus den Beurteilungen Wilms geht weiter hervor, daß der Volksmissionar auch gegenüber den nationalen Kreisen Wert darauf legte, die Reinheit des Evangeliums zu bewahren. „Allen Parteien rufen wir zu: Haltet den Boden der Kirche rein und habt Achtung vor ihrem Botenstand!" 533 , solche und ähnliche Appelle konnte man wiederholt in seinen Reden hören. Aber Wilm machte ebenso deutlich, daß er an der grundsätzlichen Synthese von Nationalismus und Christentum nicht rütteln wollte. Als Volksmissionar stellte er sich also hinter die nationalen Ziele der rechten Gruppen, sofern diese nicht in einen direkten Widerspruch zur christlichen Botschaft traten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die von Bronisch benutzte Unterscheidung von Nationalismus und Chauvinismus. Daran orientierte sich offensichtlich auch Wilm und die CdB mit ihm. Der Nationalismus war aus dieser 529
Schreiben Bronischs an Füllkrug vom 29.12.1930 (ADW Berlin, CA 380/112). Weitere Berichte liegen vor über sein Wirken im „Stahlhelm", im „Bund Königin Luise" und in deutschnationalen Gruppen, auf die weiter unten eingegangen werden soll. 531 Siehe die Auflistung der dem „Bündischen Ausschuß" der CdB angehörenden Verbände in EZA Berlin, 7/4146. Wie aus Wilms Reiseplan hervorgeht, der sich aus den Rundschauen der Zeitschrift DIE VOLKSMISSION (Jahrgänge 11-13) rekonstruieren läßt, traf der Volksmissionar ab Februar 1931 fast monatlich mit dem Kampfbund in Potsdam zusammen, um an Schulungstagungen für Arbeiter teilzunehmen. 532 Vgl. Wilms Referat über den Kampfbund nach dem Sitzungsbericht des Arbeitsausschusses der evangelistischen Abteilung der Volksmission vom 22.7.1931 (ADW Berlin, CA 380/B I). 533 Wilm am 23.6.1931 auf dem brandenburgischen Pfarrertag in Prenzlau nach DER 530
REICHSBOTE 5 9 / 1 5 5 , 30.6.1931, Beilage „Kirche u n d Schule", S. 1.
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Sicht gut, solange er im evangelischen Sinne beeinflußbar war; verselbständigte er sich aber zum Chauvinismus und verabsolutierte er die Nation, war er nicht mehr zu rechtfertigen, denn dann näherte er sich einem heidnischen Götzenkult. Aus den Berichten über Wilms Auftritte ergibt sich schließlich, daß dieser auch kritische Worte gegen die bestehende Kirche fand. Für Bronisch entstand der Eindruck, als solle das herkömmliche kirchliche Parteiengefüge durch eine „neue Bewegung" abgelöst werden. Damit aber konnte nur die CdB gemeint sein, so daß man feststellen muß, daß Wilm von seiner dienstlichen Anstellung Gebrach machte, um für die Christlich-Deutschen zu werben. Dies wirft die Frage auf, wie er die „Innere Mission" und die CdB einander zuordnete. Es scheint, daß er eine enge Verbindung der beiden Größen anstrebte. Auch die zuständigen Stellen waren unterrichtet, daß er die volksmissionarische mit der christlich-deutschen Arbeit verknüpfte 534 . Wie eng sich beides für Wilm berührte, zeigt ein Artikel in der Zeitschrift der evangelistischen Abteilung der „Inneren Mission", in dem er die praktische Arbeit der Volksmission mit dem Aufbau der CdB identifizierte: „Voraussetzung einer wirklich geordneten Volksmission an der nationalen Bewegung ist die Bereitstellung einer Arbeitsgemeinschaft von Pfarrern, die sich als Spezialmissionstruppe im nationalen Lager weiß." 535 Das war ein direkter Hinweis auf die christlich-deutsche .Arbeitsgemeinschaft Evangelisch-Deutscher Pfarrer". Auch auf der Tagung des „Gesamtverbandes für Innere Mission" in Karlsruhe im Mai 1931 verband Wilm die Volksmission mit der CdB. Denn indem er über „Neue Wege der Volksmission" sprach, entwickelte er „das Programm der ,christlich deutschen Bewegung', wonach in die politischen Rechtsparteien Kampfgruppen von Pfarrern und Laien eingebaut werden müssen, welche an der politischen Bewegung und an den politisch tätigen Pfarrern bewußt missionarische Dienste leisten"536. Wie sich Wilm konkret das Verhältnis von CdB und „Innerer Mission" vorstellte, zeigte er im Juli 1931 auf einer Arbeitssitzung der evangelistischen Abteilung der Volksmission. Vor Füllkrug und anderen Verantwortlichen berichtete er über seine „Missionsarbeit innerhalb der vaterländischen Bewegung. Die Christlich-Deutsche Bewegung und die Arbeitsgemeinschaft Evangelisch-Deutscher Pfarrer sind für ihn die Vermittlungsstellen für den Eingang zu den vaterländischen Kreisen. Es ist sein aussichtsvolles Bemühen,
534 Vgl. etwa das Schreiben Füllkrugs an Heinrich Rendtorff vom 11.11.1931 (ADW Berlin, CA 380/112): „Gestern abend war unser Mitarbeiter in der Volksmission mehrere Stunden bei mir und erzählte mir von seinen verschiedenen Reisen und der Entwicklung der Christlich-Deutschen Bewegung. Mit grosser Freude habe ich seinem Berichte zugehört." 535 W. WILM, Praktische Arbeit, S. 144. 536 H. KAPPES, Der theologische Kampf, S. 98.
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mit Hilfe der Führer diese Kreise bei der Kirche und dem biblisch-reformatorischen Christentum zu halten oder dafür zu gewinnen. Die Arbeitsgemeinschaften Evangelisch-Deutscher Pfarrer in den verschiedenen Ländern und Provinzen werden für die Unterstützung der Evangelistischen Volksmission geworben. Die Christlich-Deutsche Bewegung wie auch die Arbeitsgemeinschaft Evangelisch-Deutscher Pfarrer sind von der Evangelistischen Abteilung der Volksmission vollkommen unabhängig." 5 3 7 Danach waren die C d B und die evangelistische Volksmission organisatorisch und finanziell getrennt; ihre Ziele aber waren nach Wilm die gleichen, und in seiner Person war die Arbeit beider Vereinigungen zusammengeschlossen. Bei aller Nähe muß man aber auch die Unterschiede sehen: die C d B stand politisch eindeutig auf Seiten der Rechten, während die „Innere Mission" eine solche Einseitigkeit ablehnte. Außerdem hatte die C d B zu dieser Zeit kirchenpolitische Ambitionen, weil sie so etwas wie eine neue übergreifende Kirchenpartei werden wollte. Sie nahm deshalb eine Stellung gegen bestimmte Verhältnisse in der Kirche ein, wie sie von ihrer politischen Orientierung her zu erwarten war. Für Wilms Arbeit resultierte daraus eine spannungsgeladene Verkündigung: er missionierte im Dienst der Kirche, indem er den nationalen Kreisen das reformatorische Evangelium nahebrachte; er missionierte aber auch gegen die bestehende Kirche, indem er kirchenkritische Positionen der Rechten aufnahm und „sich um die Erneuerung der Kirche im vaterländischen Geist bemühte" 5 3 8 . Daher war seine Volksmission eine Mission an der völkischen Bewegung, aber auch eine in ihr und mit ihr. Und eben daraus ist auch das Für und Wider zu erklären, daß Wilm von Seiten kirchlicher Stellen erfuhr. Die einen stellten nicht ohne Begeisterung fest, daß er eine Brücke von der Nation zur Kirche schlage, die anderen aber fürchteten, daß er die Kirche an die Nation fessele. Über seine Arbeit in der Grenzmark Posen-Westpreußen beklagte sich etwa der zuständige Generalsuperintendent, sie sei „parteipolitisch aufgezogen", und Wilm treibe „Opposition gegen das Kirchenregiment" 539 . Auch der schlesische Generalsuperintendent Martin Schian äußerte sich besorgt darüber, daß der Volksmissionar „eine Vortragstätigkeit im Sinne der nationalen Bewegung" entfalte 540 . Dagegen beschrieb der Leipziger Oberkirchenrat Gerhard Hilbert enthusiastisch, wie Wilm sich den Nationalisten zuwandte:
5 3 7 Sitzungsbericht des Arbeitsausschusses der evangelistischen A b t e i l u n g der Volksmission v o m 2 2 . 7 . 1 9 3 1 ( A D W Berlin, C A 3 8 0 / B I). 5 3 8 F. WIENEKE, Kirche u n d Partei, S. 19 über W i l m ( E Z A Berlin, 633/11,6). 5 3 9 Schreiben Füllkrugs an W i l m v o m 1 8 . 7 . 1 9 3 1 ( A D W Berlin, C A 3 8 0 / 1 1 2 ) . Beschwerd e f ü h r e r war G e n e r a l s u p e r i n t e n d e n t O t t o H e g n e r aus S c h n e i d e m ü h l . 5 4 0 Schreiben S c h i a n s an Steinweg v o m 7 . 1 . 1 9 3 1 ( A D W Berlin, C A 3 8 0 / 1 1 2 ) . Schian ( 1 8 6 9 - 1 9 4 4 ) war 1 9 2 4 - 1 9 3 3 Generalsuperintendent des Sprengeis Liegnitz in Schlesien.
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„Den Vortrag hielt er so, daß nach ihm beide Teile erklärten: so können wir mit. Sowohl die,Völkischen' als die Gegner derselben, die sehr stark waren. Seitdem geht es hier vorwärts. Eine Arbeitsgemeinschaft bespricht die Fragen, Verhandlungen mit völkischen Führern schließen sich an, öffentl. Vorträge w [erden] gehalten. Kurzum: wir alle u. ich persönlich ... sind Pf. ~W[ilm]sehr dankbar und gehen ganz in gleicher Richtung wie er. Er war ebenso energisch im Festhalten des Evangeliums ohne alle Konzession wie verständnisvoll fur Wesen u. Bedeutung der völkischen Bewegung. "S41 Derart gegensätzliche Wertungen lassen unmittelbare Rückschlüsse zu auf das spannungsreiche Verhältnis von CdB und evangelischer Kirche insgesamt. Danach darf man beide Größen nicht einfach identifizieren und den nationalistischen Konservativismus der CdB der Gesamtkirche zuschreiben, denn etliche Kirchenmänner waren wie Schian besorgt über „die Gefahr der Vermischung und Verwechslung" 542 von Evangeliumsverkündigung und politischer Agitation. Umgekehrt aber muß man es als eine Tatsache anerkennen, daß die christlich-deutschen Anschauungen weit über den eigentlichen Kreis der CdB hinaus in der Kirche verbreitet waren, weil es dort viele als dringlich ansahen, „die völkische Bewegung volksmissionarisch zu beeinflussen, damit sie sich nicht wie einst die sozialist. Bewegung ... antikirchlich ... entwickelt, weil die Kirche sich von ihr zurückzieht" 543 . Vor allem Geistliche, die in der „Inneren Mission", dem „Männerdienst" und der „Frauenhilfe" arbeiteten, bemerkten diese Gefahr, weil sie in ihrer Arbeit „vor den Toren der geordneten Kirche" (J.H. Wichern) die wachsende Entfremdung von der Kirche hautnah erleben konnten. Es verwundert daher nicht, wenn gerade sie der C d B beitraten, nachdem sie mit dieser Bewegung bekannt gemacht worden waren 544 . Wilms Vorgesetzter Gerhard Füllkrug wird hier an erster Stelle zu nennen sein. Ebenso Schloß sich Pastor Gerhard Hoppe vom „Evangelischen Männerdienst" in Potsdam an und nahm schon bald leitende Positionen in der CdB ein. Hinzu kamen Geistliche verschiedener Provinzialverbände und Landesvereine der „Inneren Mission", so aus dem Freistaat Sachsen, aus Mecklenburg und Ostpreußen 545 . Schreiben Hilberts an Füllkrug vom 11.2.1931 (ADW Berlin, CA 380/112). Wie Anm. 540. 543 Wie Anm. 541. 544 Es wird bei dieser Gelegenheit an die zahlreichen Reisen Wilms zu erinnern sein, die ihn 1931 mit den verschiedenen Vertretern der regionalen Vereine für die „Innere Mission" bekannt machten. Außerdem war ihm der „Dienst an der Männerwelt... besonders aufgetragen", weshalb er „in Gemeinschaft auch mit dem Männerdienst des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins" stand (DIE VOLKSMISSION 12, 1931, S. 73). 545 Als Mitarbeiter der CdB aus diesen Kreisen lassen sich nennen Theodor Rohrdantz und Niklot Beste von der Volksmission, Wilhelm Studemund von der „Inneren Mission" Mecklenburgs, Pfarrer Adolf Wendelin vom sächsischen Landesverein für „Innere Mission" (Dresden) und Generalsuperintendent Paul Gennrich vom ostpreußischen Provinzialverband fur „Innere Mission" (Königsberg). 541
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Die Christlich-deutsche Bewegung 1930-1931 1.5.2. Verbindungen zur Weimarer Rechtsopposition
Ebenso wie das Verhältnis von CdB und Kirche als zwiespältig zu bezeichnen ist, muß auch die Beziehung der CdB zum deutschen Nationalismus differenziert dargestellt werden. Die Christlich-Deutschen sahen sich als die konservativen Nationalisten, denen die Kirche und ihre Botschaft noch selbstverständliche Grundlagen der Weltanschauung waren. Zugehörig, oft auch im Sinne der Mitgliedschaft, fühlten sie sich den „kirchenfreundlichen völkischen Kreisen"546, die sich bewußt zum Christentum bekannten, aber einige Einwände gegen das Verhalten der offiziellen Kirche hatten 547 . Man zählte hierzu den Nationalsozialismus548, den „Stahlhelm", den „Bund Königin Luise" und die VvVD. Nach Walter Wilm waren diese Kreise „an sich gewillt", „dem Glauben der Väter, also dem biblisch-reformatorischen Christentum, die Treue zu halten"; sie fühlten sich aber „durch die religiös-sittliche Haltung der Kirche zu den Fragen von Freiheit, Ehre, Vaterland, Volkstum, wehrhaft-nationalem Staat unbefriedigt"549. Von ihnen unterschieden wurden die deutschreligiösen und deutschchristlichen Bewegungen wie der „Tannenbergbund" und die „Deutschkirche", welche in den Augen der Christlich-Deutschen bereits dazu übergingen, „den Glauben der Väter aus völkischem Geist und Wesen zu ergänzen und umzuwandeln"550. Mit diesen ging man nicht mit, sondern wies ihre unzutreffenden Behauptungen und Unterstellungen in Bezug auf das traditionelle Christentum zurück551. In
546 Formulierung nach Walter Künneths Leitsätzen „Kirche und national-völkische Bewegung" in WORT UND TAT 8, 1932, S. 62. Künneth gehörte der CdB nicht an. 547 Übel nahm man der offiziellen Kirche vor allem die negative Einstellung gegenüber solchen Geistlichen, die aktiv in politischen Bewegungen wie dem „Stahlhelm" mitwirken wollten. Dazu A. KLOTZBÜCHER, Stahlhelm, S. 47. 548 Grundlage dieser Einschätzung bildete der bekannte Punkt 24 des Programms der NSDAP von 1920 (DER NATIONALSOZIALISMUS, S. 30): „Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden." 549 w . WILM, Deutschchristlich, S. 251. 550 Ebd., S. 251. 551 Besonders richtete sich Wilm in ebd., S. 2 5 5 gegen den Vorwurf, die christliche Erlösungslehre schwäche die nationale Widerstandskraft: „Wir müssen den Glauben festhalten, daß nur der Erlöste, der Sünder, dem Gott vergeben,... mit letzter Hingabe und Leidenschaft kämpfen kann. Weil er Frieden hat mit Gott, weil er der Gotteskindschaft in Demut und Seligkeit gewiß ist." Zu Wilms Vorgehen gegen den deutschvölkischen Irrglauben bemerkte außerdem Füllkrug in einem Schreiben an Hilbert vom 8.2.1931 ( A D W Berlin, CA 380/ 112): „Die Arbeit unseres neuen Volksmissionars Pfarrer Wilm sucht neue Wege zu beschreiben. Wir wollen nach Möglichkeit mit dem Evangelium an die sogenannten vaterländischen Kreise herankommen und die Bewegung vor falschen Bahnen bewahren, auf die sie Deutschkirche und Tannenbergbund und andere Bestrebungen zu locken suchen." Ahnlich hieß es in DIE VOLKSMISSION 12, 1931, S. 229: „Er [sc. Wilm] hat mehr Rufe, als er befriedigen kann. Es ist bekannt, daß die vaterländischen Kreise in der neuesten Zeit durch den Tannenbergbund und andere völkische Geistesbewegungen bedroht sind und in Gefahr stehen, sich dem bib-
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Hinblick auf die anderen Bewegungen einschließlich der N S D A P aber galt es, drohender „Entfremdung" zuvorzukommen und die noch aufnahmebereite Haltung gegenüber dem Christentum für die volksmissionarische Arbeit auszunutzen 552 . Es war eine Gratwanderung, die man auf sich zukommen sah, denn einerseits mußte eine christliche Stellungnahme zum politische Kampf der Rechten gefunden werden: „Je länger wir zögern,... desto mehr werden die politischen Bewegungen gezwungen sein, sich selbst eine Antwort zu suchen ... Wir stehen vor der ungeheuren Gefahr, daß beste Kräfte unseres Volkes sich eigne Wege suchen und damit die Gemeinschaft des Glaubens und der Kirche unterhöhlen." 553 Andererseits aber sollte die volksmissionarische Antwort nicht zum politischen Werbedienst werden: „Man ersehnt nicht den Pfarrer, der schlechte politische Reden hält oder die Predigt des Wortes Gottes mit Parteiagitation verwechselt - nein, man ersehnt den Pfarrer als geistlichen Führer und christlichen Bruder ,.." 5 M Vielleicht kann man Wilm folgen, wenn man in der C d B so etwas wie eine rechte Entsprechung zum „religiösen Sozialismus" sieht 555 . Stellte sich dieser bewußt auf die Seite der Sozialdemokratie, sympathisierte die C d B offen mit der politischen Rechten und bekannte sich zur „Mitarbeit im Rahmen der nationalen Organisationen" 5 5 6 . Suchte der „religiöse Sozialismus" nach Verbindungslinien zwischen Christentum und Sozialismus, fand die C d B eine Synthese von lutherischem Christentum und konservativem Nationalismus. Beide Richtungen waren bestrebt, eine Abwendung vom christlichen Glauben aufzuhalten. Argumentierten die einen besonders gegen die atheistische „Gottlosenbewegung", richteten die anderen ihre Apologetik gegen den „Tannenbergbund" und verwandte völkische Sekten. Schließlich bestand eine Ähnlichkeit auch darin, daß ein Teil der kirchenkritischen Einwände der jeweiligen Adressaten übernommen wurde: die „religiösen Sozialisten" wollten eine Kirche, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt wurde; die Christlich-Deutschen dagegen wünschten sich eine solche Kirche, die den nationalen Widerstand der Deutschen gegen die 1918 eingetretenen Verhältnisse bejahte. Beide Bewegungen wurden wegen politischer Einseitigkeiten von führenden Kirchenmännern angegriffen; beide wurden ebenso in ihrer Wichtigkeit für die Volksmission anerkannt.
lischen und reformatorischen Evangelium zu entfremden. Darum ist die Gegenwirkung im Sinne der Volksmission besonders nötig." 552 W. WILM, Praktische Arbeit, S. 143. 553 Wilm in WAS HABEN WIR, S. 11 und S. 13. 554 Ebd., S. 11; vgl. ebd., S. 14 und W. WILM, Praktische Arbeit, S. 143. Noch in GLAUBE UND VOLK 2, 1933, S. 50 wiederholte Wilm diesen Gedanken fast wortwörtlich. 555 Vgl. W WILM, Deutschchristlich, S. 251. 556 W. WILM, Praktische Arbeit, S. 144.
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Die Kette der Analogien ließe sich fortsetzen; fest steht auf der anderen Seite, daß sich beide Gruppen nicht nur in der politischen Orientierung erheblich unterschieden. Schon das intellektuelle Niveau führender „religiöser Sozialisten" (Paul Tillich, Aurel von Jüchen, Heinz Kappes, Gotthilf Schenkel u.a.) war der geistigen Welt vieler Christlich-Deutscher in weiten Teilen überlegen. Die einen ließen sich auf die Moderne ein und suchten das Wesen des Protestantismus für die Neuzeit zu formulieren, während die anderen eher an das Gefühl als an den Verstand appellierten, wenn sie ihre konterrevolutionären Parolen verbreiteten und für ihre patriarchalischen Vorstellungen warben. Von ihrer gesellschaftlichen Stellung her aber waren die „religiösen Sozialisten" die Unterlegenen: sie waren nur eine winzige Minderheit in der Kirche und auch in der sozialdemokratischen Bewegung ohne nennenswerten Einfluß 557 . Dagegen konnte die CdB, auch wenn sie sich organisatorisch noch nicht gefestigt hatte, davon ausgehen, in den nationalen Verbänden vorwiegend der agrarisch geprägten Gebiete Ostelbiens einen festen Anhang zu rekrutieren und unter den konservativ geprägten Kirchenmännern überzeugte Mitarbeiter zu finden. Hier ist der Ort, die konkreten Gruppen und Verbände einmal zu nennen, zu denen die CdB Kontakte herstellte, wobei jeweils erwähnt sei, welche führenden Personen für die christlich-deutsche Arbeit gewonnen werden konnten. Zunächst wird man zwischen einer parlamentarischen und einer außerparlamentarischen Opposition unterscheiden müssen 558 . Zur parlamentarischen Opposition gegen Weimar gehörte die DNVP, seitdem Alfred Hugenberg sie 1928 auf unbedingte Republikgegnerschaft festgelegt hatte 559 . 557 Vgl. die Darstellungen u n d Hinweise bei K. NOWAK, EV. Kirche, S. 281 u n d F.-W. BALZER/K. U. SCHNELL, D e r Fall, S. 25. 558 Eine weitere Unterscheidung, die von inhaltlichen Differenzen ausginge, wäre die zwischen der „vaterländischen" u n d der „völkischen" Bewegung. Weil aber infolge der A n n ä h e rung der Rechtsgruppen im Ersten Weltkrieg die unterschiedlichen Ansichten vielfach miteinander v e r b u n d e n wurden, fällt von da ab eine klare Scheidung zwischen „Vaterländischen" u n d „Völkischen" schwer. So f ü h r t e die monarchistische, „vaterländische" Adelsgenossenschaft unter ihren Mitgliedern bereits 1920 einen „Arierparagraphen" ein (G. H . KLEINE, Adelsgenossenschaft, S. 110), w ä h r e n d der völkisch-rassistische .Alldeutsche Verband" auf der anderen Seite eine Wiederaufrichtung des Vaterlandes u n d des Kaisertums forderte. Wilhelm II. selbst war völkischem G e d a n k e n g u t gegenüber sehr aufgeschlossen. Außerdem wären Organisationen wie der „Stahlhelm" u n d die D N V P nicht zu erfassen, da sie „Vaterländische" u n d „Völkische" integrierten. Wer d e n n o c h g e m ä ß diesen Begriffen differenzieren will, stößt wie K. SONTHEIMER, Antidemokratisches D e n k e n , S. 131 auf das Problem einer „mangelnden Konturiertheit" der P h ä n o m e n e . 555 Eindringliche Darstellungen zur Geschichte der D N V P in den letzten Jahren der Weimarer Republik geben S. NEUMANN, Parteien, S. 6 Iff. u n d der Beitrag F. Hiller von Gaertringens in DAS ENDE DER PARTEIEN, S. 543ff. Wichtige Grundlagen der deutschnationalen Mentalität werden in der sozialpsychologischen Studie von A. THIMME, Flucht, S. 1 l4ff. herausgestellt, w ä h r e n d W. RÜGE, Deutschnationale Volkspartei, S. 506ff. eine einseitig politische Darstellung der Partei liefert.
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Vor allem zum „Evangelischen Reichsausschuß" dieser Partei, der von der Studienrätin und Abgeordneten Frau D. theol. Magdalene von Tiling geleitet wurde, konnte die C d B enge Verbindungen herstellen. Prominente Deutschnationale in ihren Reihen waren darüber hinaus der Reichstagsabgeordnete Bruno Doehring und Wilhelm von Dommes, Vorstandsmitglied der D N V P und Leiter ihres Potsdamer Kreisvereins. Der Nationalsozialismus verfügte sowohl über parlamentarische als auch außerparlamentarische Stützen. Neben der N S D A P bestanden die Großformationen der „Sturmabteilung" (SA), die elitäre „Schutzstaffel" (SS), die Jugendorganisation der „Hitlerjugend" (HJ) sowie zahlreiche weitere Gruppen wie etwa das „Nationalsozialistische Kraftfahrkorps" ( N S K K ) . Wie sich die Christlich-Deutschen zu den Nationalsozialisten verhielten, verdient jedoch gesondert dargestellt zu werden. Der bekannteste nicht-nationalsozialistische Verband außerhalb der Parlamente war der „Stahlhelm", der 1931 etwa 280000 „Frontsoldaten" 560 unter der alten Reichskriegsflagge und in feldgrauer Tracht zu Wehrsportübungen und Aufmärschen sammelte und sich selbst, wohl aufgrund seiner zahlenmäßigen Größe, als „ d i e deutsche Freiheitsbewegung" 561 verstand. Mit ihm stand die C d B in engem Kontakt: „Evangelische Geistliche spielten in der Stahlhelm-Organisation eine erhebliche Rolle: Sie nahmen z.T. hohe Führerstellungen ein und betätigten sich als ,Stahlhelmpfarrer' bei den zahlreichen Fahnenweihen und Feldgottesdiensten ..." 562 Umgekehrt war der brandenburgische Stahlhelmführer Morozowicz eng mit Walter Wilm befreundet 563 ; der Leiter des ostpreußischen „Stahlhelm", Siegfried Graf zu Eulenburg aus Wicken, konnte für die C d B ebenso gewonnen werden wie der mecklenburgische Landesverbandsführer von Vieregge und der Leiter des pommerschen Landesamtes Kurt Sprengel 564 . 1932 bestanden sogar Verbin560 Dieser Begriff umschloß nach A. KLOTZBÜCHER, Stahlhelm, S. 118 nicht nur ehemalige Weltkriegssoldaten, sondern auch Jugendliche aus der Nachkriegsgeneration, sofern sie zum Fronteinsatz bereit waren; er Schloß umgekehrt alle Veteranen aus, welche das Fronterlebnis entweder nicht berührt oder gar zu Pazifisten gemacht hatte. Die Zahl nach B. MAHLKE, Stahlhelm, S. 145. 561 D e r Stahlhelmführer Franz Seldte ( 1 8 8 2 - 1 9 4 7 ) nach A. KLOTZBÜCHER, Stahlhelm, S. 1 1 6 . Dabei galten nach ebd., S. 122f. die politischen Sympathien nicht nur der Monarchie, sondern auch dem italienischen Faschismus, der als „ K a m p f b e w e g u n g von Frontsoldaten" verstanden wurde. Eine sehr bissige, soziologisch jedoch nicht unzutreffende Schilderung des „Stahlhelm" gibt D . GU£RIN, Pest, S. 24ff. Vgl. auch E. NIEKISCH, Erinnerungen, S. 161.
A. KLOTZBÜCHER, Stahlhelm, S. 47. Dieser M a n n verfaßte 1928 die bekannte „Haßbotschaft" von Fürstenwalde (siehe ebd., S. 16%). 564 Diese und die folgenden Angaben über christlich-deutsche Verbindungsleute zu den nationalen Verbänden sind erschlossen aus dem 1933 angelegten Mitgliederverzeichnis der C d B ( L K A Schwerin, I/A) und besonders dem 1932 aufgestellten Plan über den Aufbau der C d B ( E Z A Berlin, 7 / 4 1 4 6 ) . Mitgliederangaben aus dem Jahre 1931 liegen leider nicht vor, aber das wenige vorhandene Material zeigt deutlich, in welche Richtung die Kontakte aufge562 563
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düngen bis ins „Stahlhelm"-Bundesamt in Berlin, dessen Leiter Hildebrand zusammen mit dem „Bundeskanzler" Siegfried Wagner zur CdB fand 565 . Darüber hinaus traten zahlreiche Unterführer und Ortsgruppenvorsitzende der CdB auf regionaler Ebene bei. Ausgezeichnete Kontakte bestanden außerdem zu den mit dem „Stahlhelm" befreundeten Frauenorganisationen wie dem „Bund Königin Luise" und dem „Stahlhelm-Frauenbund" 566 . Auch aus diesen Kreisen konnten Mitarbeiter für die CdB gewonnen werden: es waren Frau Direktor Lilienthal, die Landesführerin des mecklenburgischen „Luisen-Bundes", Theodora Gräfin von der Schulenburg, die Untergauführerin des Bundes in der Altmark, und Frau Meta Vogel, die Vorsitzende des „Stahlhelm-Frauenbundes". Als weiterer Veteranenverband neben dem „Stahlhelm" bestand der „Deutsche Reichskriegerbund Kyffhäuser" mit 2,5 Millionen Mitgliedern in nahezu 30000 Ortsvereinen. Außerdem gab es drei kleinere Bünde, die die revanchistischen Anschauungen der politisch aktiven Mitglieder des alten kaiserlichen Offizierskorps pflegten: der „Deutsche Offiziersbund" (DOB), der „Reichsoffiziersbund" (ROB) und der „Nationalverband Deutscher Offiziere" (NDO) 5 6 7 . Der Vorsitzende des zuletzt genannten, extrem monarchistisch eingestellten Bundes, der ehemalige Generalleutnant Richard Waechter, war zugleich in der CdB aktiv. Die Ortsgruppe Halle des D O B trat der Bewegung sogar korporativ bei. Auch zum „Kyffhäuser"-Verband, der sich im Gegensatz zu den Offiziersbünden politisch viel stärker zurückhielt und sich vor allem der Traditionspflege verschrieben hatte, besaß die Bewegung in Dr. Wölbling einen Verbindungsmann. baut wurden. Außerdem enthalten die 1932 und 1933 angelegten Verzeichnisse nicht Namen von Leuten, die erst in diesen Jahren in die CdB eintraten, sondern es handelt sich jeweils um Listen von bereits seit längerer Zeit aktiv mitwirkenden Personen, die lediglich zwecks engerem Zusammenschluß entsprechend erfaßt wurden. 565 Über den 1881 geborenen Siegfried Wagner, der nach dem Kriege die Danziger Einwohnerwehr befehligte, schreibt E. NIEKISCH, Erinnerungen, S. 162: „Hauptmann [in Wirklichkeit Major a.D.] Wagner fühlte sich als das militärische Gehirn des Stahlhelm, als dessen Generalstabschef. Vor einer Karte entwickelte er mir einmal seine militärische Konzeption. Man müsse, sagte er, Polen gegenüber ebenso verfahren, wie einst Bismarck gegenüber Österreich verfahren sei. In einem Blitzkrieg müsse man Polen niederwerfen; noch ehe eine europäische Macht Zeit zur Besinnung gefunden habe, müsse schon der Friede mit dem zerschmetterten Lande geschlossen sein. So hole man sich Westpreußen und damit Deutschland die Landverbindung mit Danzig wieder zurück." Siehe außerdem REICHSHANDBUCH, S. 1 9 7 1 . 566 Ausfuhrliche Untersuchungen zu den Frauenverbänden des „Stahlhelm" liegen m.W. nicht vor; verwiesen sei daher auf die Vorstellung des „Luisenbundes" durch Füllkrug, die oben S. 129 zitiert ist. Ferner muß auf R. v. D. GOLTZ, Verbände, S. 172 hingewiesen werden. 567 Zu den drei Offiziersbünden siehe ebd., S. 161f. und K. FINKER/R. GIERSCH, Offiziersverbände, S. 539-543. Zum Kyffhäuserverband, der sich nach dem Thüringer Bergrücken benannt hatte, in welchem der Sage zufolge Barbarossa seiner Wiederkunft harrte, siehe D . F R I C K E / W BRAMKE, Kyffhäuser-Bund, S. 336-340.
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Als Dachverband für zahlreiche außerparlamentarische Rechtsgruppen fungierten schließlich die V v V D , die seit 1925 Goltz unterstanden. Angeschlossen waren ihnen d e r , A l l d e u t s c h e Verband" (AV), d e m J o h a n n - G o t t lieb G r a f Brockdorff-Ahlefeldt angehörte, der „Reichslandbund" (RLA), in d e m ostelbische Großagrarier wie H a n s Bone von Schwerin, Wilhelm von Oertzen u n d Erich von Falkenhagen wirkten, die „Deutsche Adelsgenossenschaft" ( D A G ) unter Friedrich von Berg und die genannten Offiziersbünde 5 6 8 . Außerdem zählten die „Fichte-Gesellschaft" dazu, der „Deutsche Hochschulring", der „Deutsche Ostmarkenverein" unter dem „Stahlhelm"Bundeskanzler Wagner, der „Preußenbund" unter Wilhelm von D o m m e s und der „Ostpreußische H e i m a t b u n d " unter d e m „Adelsmarschall" Berg 5 6 9 . D a n e b e n fanden wirtschaftsfriedliche, „vaterländische" Arbeitnehmervereinigungen wie der „Reichsbund Deutscher Angestellten-Berufsverbände" ( R D A ) u n d der „Reichslandarbeiterbund" unter seinem Geschäftsführer Friedrich Förster zu den V v V D 5 7 0 . D o c h auch konfessionell geprägte Vereinigungen wie der „Evangelische B u n d " (EB) unter Friedrich C o n z e und der „Deutsch-Evangelische Frauenbund" von Paula Mueller-Otfried aus H a n n o ver standen der rechten Dachorganisation nahe 5 7 1 . H i n z u kamen Jugendverbände wie der „ B u n d Jungdeutschland" ( B J D ) unter Goltz, der „ B u n d Deutscher J u n g m a n n e n " und der „Deutsche Jungmädchendienst" unter Gertrud von Willich 5 7 2 . 5 6 8 Vgl. die A u f s t e l l u n g der zu den V v V D gehörenden B ü n d e n bei K . FINKER, Verbände, S . 3 1 4 f f . Z u m A V siehe außerdem E. HARTWIG, Alldeutscher Verband, S. 3 4 ^ 4 2 ; z u m R L A J . CERNY/L. FAHLBUSCH, R e i c h s - L a n d b u n d , S. 7 0 1 - 7 0 9 u n d ausführlich D . GESSNER, Agrarverbände. Z u r D A G siehe D . FRICKE/U. RÖSSLING, Adelsgenossenschaft, S. 5 3 6 - 5 3 9 u n d genauer G . H . KLEINE, Adelsgenossenschaft, S. 1 0 2 - 1 1 5 . 5 6 9 Darstellungen liegen vor z u m O s t m a r k e n v e r e i n u n d z u m P r e u ß e n b u n d (E. HARTWIG, O s t m a r k e n v e r e i n , S. 2 4 0 f . u n d H . GOTTWALD, P r e u ß e n b u n d , S. 5 9 6 f ) . Z u m O s t p r e u ßischen H e i m a t b u n d vgl. A n m . 2 6 9 . Z u m H o c h s c h u l r i n g siehe weiter unten S. 1 4 6 u n d R . v . D. GOLTZ, Verbände, S. I 6 2 f . Z u r Fichtegesellschaft siehe ebd., S. 1 7 5 u n d H . LÜBBE, N e u f i c h t e a n i s m u s , Sp. 1 4 1 0 . 5 7 0 H i e r z u R . v . D. GOLTZ, Verbände, S. 170 u n d D . FRJCKE, Reichslandarbeiterbund, S. 6 8 5 . 5 7 1 F r a u D . theol. Mueller-Otfried war außerdem A b g e o r d n e t e der D N V P im Reichstag u n d M i t g l i e d des D e u t s c h e n Evangelischen Kirchenausschusses ( D E K A ) . U n m i t t e l b a r nach d e m A b s c h l u ß des Versailler Friedensvertrages hatte sie geschrieben (zitiert nach J . - C H R . KAISER, Frauen, S. 114): „ D i e E r i n n e r u n g an das, was D e u t s c h l a n d einst war, m u ß in die Herzen des h e r a n w a c h s e n d e n Geschlechts tief eingesenkt werden, d a m i t der heiße, feste Wille entstehe u n d wachse, d e n S c h a n d f r i e d e n von 1 9 1 9 in besseren Zeiten wieder niederzuzwingen ... Kraftlose, undeutsche, a u f d a s Internationale gerichtete G e s i n n u n g , Arbeitsscheu, Materialism u s , Ichsucht, Glaubenslosigkeit haben uns geschwächt u n d vernichtet. J e m e h r M e n s c h e n für ein m u t i g e s C h r i s t e n t u m , wirkliche Opferfreudigkeit, Geistigkeit, Arbeitswillen, starkes D e u t s c h g e f ü h l u n d nationale Festigkeit g e w o n n e n werden, je mehr werden wir wieder erstark e n . " Dieses sittliche Verständnis des C h r i s t e n t u m s war bezeichnend für den F r a u e n b u n d wie für die C d B insgesamt. 572 Z u m B J D siehe W. BETHGE, B u n d J u n g d e u t s c h l a n d , S. 3 3 8 - 3 4 5 . Ideologisch waren die J u g e n d v e r b ä n d e a u f die G e d a n k e n des G r a f e n von der G o l t z festgelegt.
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„Trügt die Erinnerung nicht, so ist die Zahl der Organisationen, die damals den .Vereinigten vaterländischen Verbänden Deutschlands', kurz V.v.V.D. genannt, angeschlossen waren, mit ihnen in einer Art von Kartellverhältnis standen oder sich wenigstens in ihren Sitzungen vertreten ließen, auf weit über hundert zu beziffern. Eine stattliche, in gewissem Sinne aber auch erschreckende Zahl, hätte jeder dieser Verbände in Wirklichkeit etwas bedeutet. In Wahrheit handelte es sich jedoch bei ihrer Mehrzahl u m Organisationen, die kein Mensch auch nur dem N a m e n nach kennt, und deren einziger Zweck offensichtlich darin besteht, irgendeinem ämterbeflissenen, wichtigtuerischen Zeitgenossen wenigstens zur W ü r d e eines Vereinsvorsitzenden zu verhelfen." 5 7 3
Die eben genannten Verbände besaßen allerdings „Rang und Ansehen" 5 7 4 , waren zum Teil schon in der Kaiserzeit begründet worden und verfügten über ansehnliche Mitgliederzahlen, die oftmals einige Zehntausende umfaßten. Daß gerade in diesen Gruppen eine enge Verbundenheit mit der C d B erwuchs — die erwähnten Personen wurden allesamt Christlich-Deutsche —, ergab sich wohl daraus, daß die Bewegung ihre Werbetätigkeit zuerst in den Versammlungen der V v V D entfaltete. Hier gelang es, ein weites, wenn auch grobmaschiges Netzwerk über zahlreiche Organisationen der Rechten auszuwerfen. Umgekehrt muß man davon ausgehen, daß die Christlich-Deutschen aufgrund solcher Beziehungen in den genannten Vereinigungen wie auch in den zuvor erwähnten Bünden wirken konnten. Einige Beispiele für diese Arbeit, die „Feldgottesdienste" und Vorträge umfaßte 575 , lassen sich geben. Dabei ging es nicht nur um die Beeinflussung der Rechtsopposition im Sinne der christlichen Botschaft, sondern auch um handfeste (kirchen-)politische Ziele. So hatte Walter Wilm - wahrscheinlich in Absprache mit dem „Stahlhelm"-Bundeskanzler Siegfried Wagner 576 - eine interessante Konzeption für die Zusammenarbeit von „Stahlhelm" und Kirche entwickelt. In Vorträgen vor ostelbischen Pfarrerkreisen promulgierte er seinen „Plan, die Kreise des Stahlhelms besonders für die christlich-kirchlichen Belange und die entsprechenden Arbeiten zu interessieren, um den Charakter der Ostgebiete Deutschlands auf diese Weise zu formen und zu vertiefen" 577 . D a der
573
J . ALTER, N a t i o n a l i s t e n , S. 1 5 9 .
Ebd. Die verschiedenen Arbeitsformen werden von W. WILM, Praktische Arbeit, S. 144 vorgestellt. 576 Wagner wollte die kolonisatorische Vergangenheit Preußens im Osten gegen polnische Expansionsbestrebungen Wiederaufleben lassen. Grundsätzlich hatte er zu diesem Thema bereits 1930 in seinem Buch „Die polnische Gefahr" Stellung bezogen. 577 L. HEINE, Geschichte, S. 16. Aus dem Schreiben Füllkrugs an Wilm vom 18.6.1931 (ADW Berlin, CA 380/112) ergibt sich, daß der von L. HEINE, Geschichte, S. 15 erwähnte jüngere Pfarrer, der „Werbevorträge" für die CdB „zunächst in Pfarrerkreisen hielt", nur Walter Wilm gewesen sein kann. Dementsprechend fand der Zusammenstoß Wilms mit Generalsuperintendent Hegner nicht erst 1932 statt, wie Heine sich zu erinnern glaubt, sondern bereits 1931. 574
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„Stahlhelm" in den östlichen Provinzen über eine große Anhängerschaft verfügte, erschien vielen Geistlichen Wilms Vorhaben sehr aussichtsreich, „mit dem Schwergewicht dieser Organisation kirchliche Ziele zu verbinden" 578 . Der neumärkische Superintendent Grell war von der Perspektive besonders angetan und stellte sich sogleich der C d B zur Verfügung 579 . Allerdings regte sich auch Widerspruch. Der damalige Superintendent von Schneidemühl in Posen erinnert sich, wie vor der geplanten Verbindung von „Stahlhelm" und Kirche gewarnt wurde: „ D i e weitaus größte Zahl der Stahlhelmer im Osten gehörte der Deutschnationalen Volkspartei an, in der der Grundbesitz das Ubergewicht hatte. D i e evangelische Kirche hätte also a u f d e m gedachten Wege folgerichtig eine parteipolitische B i n d u n g b e k o m m e n , welche ihrer Arbeit am Volke aller Schichten und Stände hinderlich hätte werden müssen. D a s durfte nicht geschehen." 5 8 0
Hier wurde erkannt, wie sehr Wilm volksmissionarische und politische Ansätze miteinander verwob. Diese Verbindung kennzeichnete jeden Auftritt der Christlich-Deutschen, wobei allerdings zu beachten ist, in welcher Reihenfolge das Christliche und das Nationale jeweils behandelt wurden. Anläßlich des Osterfestes von 1931 konnte Wilm aus der „Deutschen Adelsgenossenschaft" (DAG) die nationale Sehnsucht heraushören: „Ostern wird vielen, die um ihr Volk sich verzehren, zum deutschen Symbol, in Deutschlands Nacht und Schande ein Sinnbild für den deutschen Morgen." 581 Dann aber rief er die deutschen Adeligen zur Buße: „Osterträume von der Auferstehung Deutschlands zu neuer Macht und Herrlichkeit sind keine Kraftquelle, sofern sie an der innersten Entscheidung vorübergehen. D i e Entscheidung liegt in unserm festen, bedingungslosen Ja zum Osterglauben. O b in Deutschland Menschen wach werden, die wirklich mit letzter Inbrunst glauben an den lebendigen G o t t , - das ist die Schicksalsfrage ... M ö g e der christliche Adel deutscher N a t i o n sich prüfen, wieweit er entschlossen ist, ... eine N e u b i l d u n g christlich-deutschen Edelsinnes führend, vorkämpfend mit zu gestalten." 5 8 2
Eine ähnliche Abfolge von Nationalem und Christlichem läßt sich auch bei Doehring finden. Der Domprediger konnte in einem Weihnachtsgottesdienst den „Stahlhelm" glorifizieren: „Wenn alles heute düster erscheine, wenn jeder verzagt sei, wenn niemand wisse, was die nächste Zeit bringe, dann könne trotzdem und gerade der Stahlhelm hellen Auges u n d erhobenen H a u p t e s in die Z u k u n f t sehen. Er brauche sich nicht unterkriegen zu lassen, weder seelisch noch politisch, denn seine Stärke sei die freiwillig über578
L. HEINE, Geschichte, S. 16.
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