Die Bezeichnung temporal-deiktischer Begriffskategorien im französischen und spanischen Konjugationssystem 9783111328003, 9783110984675


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German Pages 252 [260] Year 1963

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Table of contents :
I. Einleitung
1. Langue und parole
2. Semasiologie und Onomasiologie
3. Definitorische und deiktische Begriffe
a) Definitorische und deiktische Bezeichnungsweisen
b) Außendeiktische und innendeiktische Bezeichnungsweisen
4. Synchronie und Diachronie
II. Die begrifflichen Kategorien der temporalen Deixis
1. Die Zeitstufen
2. Die Aspekte
3. Interferenzen in einem kombinierten Zeitstufen- und Aspektsystem
4. Andere Aspekttheorien
III. Die Bezeichnung von Zeitstufen und Aspekten im Französischen und Spanischen
1. Begriffliches Kategoriensystem und onomasiologische Fragestellung
2. Das lateinische Bezeichnungssystem und seine gemein-west-romanische Entwicklung
3. Die Entwicklung des französischen Bezeichnungssystems
a) Die ursprünglichen Tempora
b) Bezeichnungen für die Aspektopposition imperfektiv / perfektiv
c) Bezeichnungen für die differenzierten Zeitstufen
d) Bezeichnungen für die doppelt differenzierten Zeitstufen
e) Zusammenfassung
4. Die Entwicklung des spanischen Bezeichnungssystems
a) Die ursprünglichen Tempora
b) Bezeichnungen für die Aspektopposition imperfektiv / perfektiv
c) Bezeichnungen für die Opposition nachzeitiger / gleichzeitiger Bezugspunkt der perfektiven Perspektive
d) Bezeichnungen für die differenzierten Zeitstufen
e) Bezeichnungen für die doppelt differenzierten Zeitstufen
f) Zusammenfassung
IV. Zusammenfassung
Bibliographie
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Die Bezeichnung temporal-deiktischer Begriffskategorien im französischen und spanischen Konjugationssystem
 9783111328003, 9783110984675

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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE B E G R Ü N D E T VON GUSTAV GRÖBER f FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG H E R A U S G E G E B E N VON KURT BALDINGER

104. HEET

Klaus Heger Die Bezeichnung temporal-deiktischer Begriffskategorien im französischen und spanischen Konjugationssystem

MAX NIEMEYER VERLAG / T Ü B I N G E N 1963

Die Bezeichnung temporal-deiktischer Begriffskategorien im französischen und spanischen Konjugationssystem

von Klaus Heger

MAX NIEMEYER VERLAG / TÜBINGEN 1963

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Alle Rechte vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag Tübingen 1963 Printed in Germany Satz und Druck: H. Laupp jr Tübingen

VORWORT

Der vorliegende Beitrag zu der seit über hundert Jahren geführten und gerade heute wieder aktuellen Diskussion um die Probleme von „Zeit" und „Aspekt" ist als Habilitationsschrift der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karl-Universität zu Heidelberg vorgelegt worden. Sein Entstehen war von einer langen Reihe vielfaltiger Berührungen mit dem Thema bestimmt. Neben den Anregungen, über die die Bibliographie Rechenschaft gibt, und neben denen, die sich aus slavistischen und orientalistischen Studien ergaben, sind für das Zustandekommen der endgültigen Form dieses Beitrags drei Stadien von entscheidender Bedeutung gewesen. Ihrer möchte ich an dieser Stelle in besonderer Dankbarkeit gedenken: des ersten Anstoßes zur Beschäftigung mit Aspekten und Aktionsarten im Französischen in einer Basler Seminarübung bei Herrn Professor Walther von Wartburg; der Diskussion über einen ersten Versuch der Einführung außersprachlicher Kriterien in den von Herrn Professor Gerhard Hess geleiteten Doktoranden-Kolloquien und der dabei angebrachten Kritiken aus dem Kreis meiner Freunde, insbesondere der Herren Professoren Karl August Ott und Hans Robert Jauß; und der Heidelberger Seminarübung über Semasiologie und Onomasiologie bei Herrn Professor Kurt Baldinger und der daraus entstandenen Gespräche mit ihm, die die Arbeit bis zu ihrem Abschluß begleitet haben und für ihre theoretische Grundlegung entscheidend waren. Ihm darf ich hier gleichzeitig meinen aufrichtigen Dank dafür aussprechen, daß ich nur durch seine Hilfe nach längerer Unterbrechung überhaupt zur Auseinandersetzung mit Fragen wie denen von „Aspekt" und „Zeit" zurückkehren konnte.

INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung 1. Langue und parole 2. Semasiologie und Onomasiologie 3. Definitorische und deiktische Begriffe a) Definitorische und deiktische Bezeichnungsweisen . . . b) Außendeiktische und innendeiktische Bezeichnungsweisen 4. Synchronic und Diachronie Π. Die begrifflichen Kategorien der temporalen Deixis

1 1 3 13 15 19 20 22

1. Die Zeitstufen 2. Die Aspekte 3 Interferenzen in einem kombinierten Zeitstufen- und Aspektsystem 4. Andere Aspekttheorien

36 49

ΠΙ. Die Bezeichnung von Zeitstufen und Aspekten im Französischen und Spanischen

68

1. Begriffliches Kategoriensystem und onomasiologische Fragestellung 2. Das lateinische Bezeichnungssystem und seine gemein-westromanische Entwicklung 3. Die Entwicklung des französischen Bezeichnungssystems . a) Die ursprünglichen Tempora b) Bezeichnungen für die Aspektopposition imperfektiv / perfektiv c) Bezeichnungen für die differenzierten Zeitstufen . . . . d) Bezeichnungen für die doppelt differenzierten Zeitstufen e) Zusammenfassung 4. Die Entwicklung des spanischen Bezeichnungssystems . . a) Die ursprünglichen Tempora b) Bezeichnungen für die Aspektopposition imperfektiv / perfektiv c) Bezeichnungen für die Opposition nachzeitiger / gleichzeitiger Bezugspunkt der perfektiven Perspektive . . .

24 34

68 74 95 99 120 126 136 153 158 160 177 189

d) Bezeichnungen für die differenzierten Zeitstufen . . . . 202 e) Bezeichnungen für die doppelt differenzierten Zeitstufen 210 f) Zusammenfassung 221 IV. Zusammenfassung

226

Bibliographie

235

Beilagen: Beilageblatt Schemastrukturen und -legende Beilageblatt Schema des doppelt differenzierten Zeitstufensystems Beilage Schema I: Das nfr. Bezeichnungssystem Beilage Schema II: Das nsp. Bezeichnungssystem

vni

I. EINLEITUNG

Die Entwicklung, die die Sprachwissenschaft in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist durch die Herausbildung einer Vielzahl verschiedenster Fragestellungen und methodischer Ansatzpunkte gekennzeichnet, mit deren Hilfe man sich dem gemeinsamen Untersuchungsgegenstand Sprache zu nähern versucht. Für jede neue Untersuchung erweist es sich daher als notwendig, zunächst eine Bestimmung des eigenen Standortes innerhalb dieser vielfältigen Möglichkeiten vorzunehmen und sich über das Wesen der Fragen Rechenschaft abzulegen, deren Beantwortimg sie sich zum Ziel setzt. In besonderem Ausmaß gilt diese Notwendigkeit für eine Untersuchung, die zur Klärung eines Fragenkomplexes beitragen will, der materiell die Interessen sämtlicher Einzelphilologien berührt und der methodisch seit langem das Betätigungsfeld der verschiedensten sich gegenseitig ergänzenden oder ausschließenden, meist sich unversöhnlich befehdenden Ansichten bildet. Für die einleitenden Kapitel der vorliegenden Untersuchung ergibt sich hieraus die Aufgabe darzustellen, auf welchem Wege und unter welchen methodischen Gesichtspunkten wir zu dem gelangen, was wir temporal-deiktische Begriffskategorien nennen. Der Frage nach ihrer systematischen Gliederung ist der erste, derjenigen nach ihrer Bezeichnung in den Konjugationssystemen des Französischen und des Spanischen der zweite Hauptteil unserer Arbeit gewidmet. 1. Langue

und parole

Die von Ferdinand de Saussure eingeführte Gegenüberstellung von langue und parole ist heute als methodische Unterscheidimg1 Gemeingut 1

Die Betonung des methodischen Charakters dieser Unterscheidung bedeutet gleichzeitig, daß mit ihr keine Zweifel an einer einheitlichen Konzeption der Sprache als „Realität" verbunden sind; cf. COSERIU 58, p. 9: „Pero mäs importante aun es mostrar que en realidad los pretendidos abismos [zwischen langue und parole] no existen, mejor dicho, que han surgido sölo por la frecuente confusiön entre el piano del objeto investigado y el piano del proceso investigativo, por im verdadero transitus ab intellectu ad rem." Of. ibd. p. 13-14 (zu entsprechenden Unterscheidungen vor de Saussure) und p. 146 (zu Deutungen von langue / parole bei de Saussure selbst).

1 1

Heger, Begriffskategorien

der Sprachwissenschaft und bedarf hier weder einer näheren Erläuterung noch einer erneuten Rechtfertigung. Als polare Alternative zwingt sie den Sprachwissenschaftler, darüber Auskunft zu geben, auf welcher der beiden möglichen Betrachtungsebenen er seine Fragen zu stellen und seine Ergebnisse zu suchen beabsichtigt. Die vorliegende Untersuchung entscheidet sich in dem schon von de Saussure selbst und seitdem in zahlreichen Äußerungen2 vertretenen Sinne und schließt sich der Ansicht an, daß eine eigentlich linguistische Untersuchung auf die Klärung von Fragen im Bereich der als langue verstandenen Sprache ausgerichtet sein muß. Eine solche Vorentscheidung ist gleichzeitig eine Selbstbeschränkung, die das Bewußtsein der damit gezogenen Grenzen8 implizieren muß. Insbesondere muß die Tatsache dauernd gegenwärtig bleiben, daß sowohl die Unterscheidung von langue, und parole als auch der Begriff langue, selbst Abstraktionen und als solche nirgends einem Tinmittelbaren Be-greifen zugänglich sind. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse sind so alt wie die Gegenüberstellung der beiden Betrachtungsebenen4: jede Aussage über eine Erscheinung im Bereich der langue, das heißt über einen „linguistischen Gegenstand", kann nur durch Beispiele belegt oder illustriert werden, die aus dem Bereich der parole stammen und die deswegen niemals der für Abstraktionen gültigen Forderung nach begrifflicher Reinheit entsprechen werden; und der Vollzug jeder in dem Bereich der langue, angenommenen historischen Veränderung kann nicht anders als auf der Ebene der paroU vorgestellt werden. Es trifft also zu, daß „der Sprachwissenschaftler ... auch die Rede, die individuelle Manifestation, über die jede sprachliche Neuerung sich vollzieht, nicht außer acht 2 Cf. u. a.: BÜHLER 34 „Jedenfalls ist und bleibt es so, daß Sätze über das konkrete Sprechereignis ebensowenig in die reine Phonologie, die Wortlehre (Morphologie) und Syntax gehören wie Sätze über Bäume und Äpfel in die reine Arithmetik" (p. 50); ITLLMANN 51 „Whenever [the ,langue-parole' duality] cuts a branch of study into two complementary halves, as has been the case with phonetics versus phonology, only that part belonging in ,1a langue' will fall within linguistics; the other half will be a science of ,1a parole'. The duality has therefore no direct bearing on the structure of linguistics" (p. 40); BALDINGER 57 „Das eigentliche Objekt der Sprachwissenschaft ist die Sprache, das sprachliche System" (p. 12) (cf. Anm. 5). 8 Deutlich weist LIPPS 38 die Grenzen sprachwissenschaftlicher Sprachdeutung auf: „Nur sofern ich Englisch s p r e c h e , ist es eine f r e m d e Sprache. Der Sprachwissenschaft dagegen können Deutsch und Englisch nur als v e r s c h i e d e n e Sprachenerscheinen. Denn auf Sprachbau, Grammatik usw. verglichen sind sie O b j e k t der Untersuchimg. Diese Supposition ent-stellt aber Sprache. Sie löst sie aus dem Verband ihres Ursprungs. Denn je ist es menschliche Existenz, was in einer Sprache zu Wort kommt" (p. 79 η. 1). 4 Vgl. hierzu den forschungsgeschichtlichen Überblick bei POLLAK 60,

p. 12-14. V g l . ferner MARTINET 60, p. 31: ,,Ce Η'est que par l'examen de la

parole et du comportement qu'elle determine chez les auditeurs que nous pouvons atteindre ä une connaissance de la langue."

2

lassen darf"6. Jedoch wäre es verfehlt zu folgern, daß deswegen die Abstraktion langue abzulehnen und Aussagen über sie unzulässig seien. Abstraktionen bilden die Voraussetzung wissenschaftlichen Umgehens mit Untersuchungsgegenständen und bringen notwendig deren, ,Ent-stellung'' (cf. Anm. 3) mit sich. Mit jeder bewußten Selbstbeschränkung ist die Anerkennung der Tatsache verbunden, daß Wert und Interesse all dessen, was außerhalb der vorgenommenen Abgrenzung zu liegen kommt, unberührt bleiben. Wir ziehen also in keiner Weise die Legitimität einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der als parole verstandenen Sprache in Zweifel; ob eine solche Beschäftigung als „linguistisch" zu bezeichnen ist, ist eine Frage der Terminologie, der gegenüber wir uns denen anschließen, die sie verneinen. Daß es auch möglich ist, andere Antworten ins Auge zu fassen, zeigt das Bestreben, die Linguistik auf einer Weise des Sprachverständnisses aufzubauen, in der man je nach dem eigenen Standpunkt eine Synthese oder einen Kompromiß aus langue und parole erblicken mag®. Und daß es ungeachtet der Frage nach der Anwendbarkeit des Terminus .linguistisch' möglich ist, die faita de parole beispielsweise zum Gegenstand stilistischer Untersuchungen zu machen, ist eine Selbstverständlichkeit. All dies besagt, daß sich die für unsere Untersuchung vollzogene Standortbestimmung gegenüber der Alternative von langue und parole als methodologische Zweckmäßigkeitsentscheidung und nicht als wie auch immer aufzufassende Wertung versteht7. 2. S e m a s i o l o g i e und Onomasiologie Ihre entscheidende methodologische Anregung verdankt die Fragestellung unserer Untersuchung den von der modernen Lexikologie entwickelten und mit Frfolg angewandten Arbeitsweisen. Ausgehend von dem fundamentalen Doppelcharakter eines jeden sprachlichen Zeichens, im Falle des Wortes der Unterscheidung von Wortkörper und Bedeutungsinhalt, sind dort als zwei einander entgegengesetzte und sich wechselseitig ergänzende Forschungsweisen die Semasiologie und die Onomasio* BALDINGBR 5 7 , p . 1 3 .

• Cf. Ροτ,τ,AK 60,1. cit. 7 Wertenden Charakter trägt unsere Entscheidung jedoch dort, wo sie eine Abgrenzung gegenüber unklaren oder verallgemeinernden Verwendungen der Termini langue und parole darstellt. Bin solcher Fall scheint uns beispielsweise vorzuliegen, wenn MOIGNET 59 die in Frage stehende Unterscheidung mit der anderen von eignifiant und eignifii gleichsetzt: „La premiere pröcaution du linguiste doit done etre de faire le depart entre ce qu'on exprime, qui est de la parole, et ce avec quoi l'on exprime, qui est de la langue" (p. 9); cf. unsere Besprechung dazu, p. 150—151.

3 ι

logie entstanden8. Während die eine von dem Wortkörper ausgeht und nach den von ihm bedeuteten Begriffen fragt, ist für die andere der Begriff der Ausgangspunkt und der ihn bezeichnende Wortkörper der Gegenstand der Fragestellung. 8

Wir zitieren hierzu die neuerliche Zusammenfassung dieser Fragen bei BALDINGER 60, p. 522-523: „Der entscheidende theoretische Atisgangspunkt scheint mir das Ullmannsche Dreieck zu sein, das seinerseits auf Saussure u n d Ogden / Richards b e r u h t :

. . . Die Bedeutung ist a n einen Wortkörper gebunden; der Begriff ist eine Abstraktion, die aus der individualistischen Vielzahl der sachlichen Realität (Sache) gewonnen, also eine Vorstellung, die theoretisch nicht a n einen Wortkörper gebunden ist, aber praktisch n u r mit Hilfe eines Wortkörpers faßbar wird (faßbar heißt kommunizierbar, d . h . mitteilbar u n d die Mitteilung ist a n die Sprache gebunden). . . . Aus dem gleichen Schema ergeben sich auch Semasiologie und Onomasiologie als zwei verschiedene, gleichberechtigte, methodisch entgegengesetzte Betrachtungsweisen, als zwangsläufige Konsequenz aus der Dualität des sprachlichen Zeichens. Die Semasiologie geht vom Wortkörper aus u n d untersucht die Bedeutungen, d . h . die Verbindungen von einem Wortkörper zu verschiedenen Begriffen... Die Onomasiologie geht vom Begriff aus und untersucht die Bezeichnungen, d.h. die Verbindungen von einem, Begriff zu verschiedenen W o r t k ö r p e r n . . . " Zu welchen Unklarheiten die Vernachlässigung der von Baldinger betonten Unterscheidung zwischen Bedeutung u n d Begriff f ü h r e n muß, sei zunächst n u r a n dem Beispiel von BLAKE 38 illustriert: „There are t h u s two possible ways of approaching t h e s t u d y of language, corresponding to its two parts. We m a y either s t a r t with the forms a n d study their meanings, or we m a y start with the meanings a n d study how t h e y are expressed b y the various forms" (p. 241) u n d „Formal grammar answers the question - W h a t does this form mean?, semasiological [ = in unserer Terminologie „onomasiologisch" ] grammar, the question W h a t form is used to express this idea?" (p. 249); ob diese meanings und ideas ,,an einen Wortkörper gebunden" sind oder aber i m Sinne des unabhängigen Begriffs von verschiedenen Wortkörpern mehr oder minder zutreffend bezeichnet werden können, bleibt unklar. Cf. unten Anm. 22. - Zu der Dreieckskonstruktion von Wortkörper, Begriff u n d Sache vgl. die Auseinandersetzung u m linguistic sign, .concept' und ,thing-meant' bei SANDMANN 54, besonders pp. 45 u n d 72, zu ihrer letztlich aristotelischen H e r k u n f t BÜHLER 34, pp. 185 bis 186 und 230. Vgl. ferner den wissenschaftsgeschichtlichen Überblick bei BALDINGER 57; hier findet sich auch die wichtige Betonung, daß es sich bei der Gegenüberstellung von Semasiologie und Onomasiologie und damit von 4

Daß der Doppelcharakter des sprachliehen Zeichens keine spezifische Eigenart des Wortes ist, sondern sich als Dualität von formaler und begrifflicher Seite ein und desselben Phänomens überall dort wiederfindet, wo mehr als bloß distinktive Funktionen vorliegen, ist längst bekannt®. Dies gilt für den Bereich der Konjugationsformen und -systeme nicht minder als anderswo10. Die sich auf Grund dieser Feststellung anbietende Übertragung des in der Lexikologie ausgebildeten Zusammenspiels semasiologischer und onomasiologischer Betrachtungsweisen scheint uns bislang jedoch nur selten 11 mit der genügenden Konsequenz vorgenommen worden zu sein. Ein solches Zögern kommt nicht von ungefähr. Eine unmittelbar methodisch auswertbare Parallele zwischen Lexikologie und der Betrachtung der Konjugation einer Sprache scheint sich zunächst nur auf der Ebene des isolierten Wortes und der isolierten Konjugationsform und ihrer jeweiligen formalen und begrifflichen Seiten ziehen zu lassen. Nun hat jedoch die grammatikalische Betrachtung der Konjugation einer Sprache zeit ihres Bestehens sich mehr für das gesamte Konjugationssystem als für einzelne isolierte Konjugationsformen interessiert. Sie ist damit im Grunde schon immer von dem Prinzip der Systemhaftigkeit der Sprache ausgegangen, das in vielen anderen Bereichen der Sprachwissenschaft erst seit de Saussure Anerkennung gefunden hat. Gerade die Lexikologie befindet sich in einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit diesem Prinzip, dort nämlich, wo sie sich auf die Suche nach neuen Bedeutung u n d Bezeichnung u m eine Trennung von UntersuchungsmeiAoden und nicht von Untersuchungs^ejfensiö'nden handelt: „Semasiologie und Onomasiologie erscheinen uns heute als zwei Methoden, die denselben Gegenstand von verschiedenen Seiten her untersuchen" (p. 11). — Die bibliographisch nützliche Arbeit QUADRI 52 ist f ü r grundsätzliche Prägen unergiebig, d a sie sich auf eine schlichte Bejahung der Frage beschränkt, „ob es vom wissenschaftlichen S t a n d p u n k t aus verantwortlich sei, die onomasiologische Forschung zu pflegen, ohne sich als Linguist u m die [sprach-]philosophische Diskussion zu k ü m m e r n " (p. 3). 9 Vgl. hierzu den wissenschaftsgeschichtlichen Überblick bei BERNDT 56, p. 13—14, der auch eine Zusammenstellung der zahlreichen Definitionen gibt, die f ü r die Opposition vorgeschlagen worden sind, f ü r welche wir die Termini formal u n d begrifflich gebrauchen. 10 Zum Grundsätzlichen ist hier besonders auf TBSNIÄRE 59, p. 35-36, zu verweisen, dessen Unterscheidung von exprimende und exprimS und von eene u n d marquant weitgeilend derjenigen von Begriff und Wortkörper und von Bedeutung u n d Bezeichnung entspricht. An Arbeiten aus dem engeren Bereich des Fragenkreises von Zeit und Aspekt, die diese Unterscheidung in der einen oder anderen F o r m berücksichtigen, seien hier SCHOSSIG 36 (bes. p. 207-208), YVON 51 (p. 265), RAITH 51 (p. 1) genannt; vgl. auch unten Anm. 22. 11 Besondere Erwähnung verdient hier die onomasiologische Darstellung des neuspanischen Konjugationssystems durch BULL 60 (vgl. auch unsere Besprechung dazu), der von einem theoretischen Zeitstufensystem als „nonlinguistic f r a m e of reference" (p. 3-4) ausgeht. Sodann ist an die Arbeiten von E . Koschmieder, insbesondere KOSCHMIEDER 29, zu erinnern.

5

Kriterien zur Ordnimg des Wortschatzes begeben hat, nachdem sich die herkömmliche alphabetische Ordnung als ungeeignet zur Widerspiegelung der in einer Sprache gegebenen formalen Struktur des Lexikons oder gar zur Wiedergabe einer begrifflichen Ordnung erwies12. Von hier aus erheben sich zwei Forderungen, die nicht nur in der Lexikologie gelten, sondern deren Berücksichtigung uns auch die Übertragung von Semasiologie und Onomasiologie auf die Betrachtung von Konjugationssystemen zu ermöglichen scheint. Die Voraussetzung für die semasiologische Betrachtung sprachlicher Systeme sind geeignete formale Kategorien, für die onomasiologische Betrachtung sind es entsprechend geeignete begriffliche Kategorien. Vor jeder Untersuchung des Konjugationssystems einer gegebenen Sprache hat somit eine Untersuchung der Kategorien zu stehen, mittels deren diese Untersuchimg unternommen werden soll. Wichtigstes Postulat ist dabei, daß die benutzten Kategorien sich in einem einheitlichen System aufeinander zuordnen lassen. Diese Forderung hat nichts mit einem Versuch zu tun, sprachliche Gegebenheiten in die Zwangsjacke eines apriorischen Systems hineinzupressen : nicht um die Sprache, sondern um die zu ihrer Untersuchung benutzten Kategorien geht es in diesem ersten Stadium. Daß es keine Sprache gibt, die ausschließlich von dem Willen nach logischer Präzision geprägt wäre, ist eine bekannte Tatsache, die weder übersehen werden, noch aber zur Rechtfertigung eines Verzichts auf logische Präzision in der Sprachwissenschaft mißbraucht werden darf18. Aus der in Semasiologie und Onomasiologie gegebenen doppelten ist damit eine vierfache Fragestellung geworden. Zu der Frage nach dem Begriff, den eine gegebene formale Kategorie bedeutet, tritt die weitere nach der Stellung dieser Kategorie im formalen System, zu derjenigen nach der Form, durch die eine gegebene Begriffskategorie bezeichnet wird, die weitere nach der Stellung dieser Kategorie im begrifflichen System14. Dabei unterscheiden sich die beiden neuen Fragen in einem 12 Cf. BAXDINGER 60: neben die herkömmliche Erforschung lexikalischer Mikrostrukturen tritt diejenige der Makrostrukturen des Gesamtwortschatzes einer Sprache. 13 Cf. unten Anm. 23, besonders die Zitate aus KOSCHMIEDEB 45 und KOSCH-

MIEDER 51. 14 Die beiden „neuen" Fragestellungen entsprechen der Frage nach den Makrostrukturen der Lexikologie (cf. Anm. 12); schematisch ließe sich ihr Verhältnis zu den Mikrostrukturen in der folgenden Skizze verdeutlichen:

formale Formales Kategoriensystem

Kategorie

"bedeutet" "»//Z

G

Durch einen einfachen Vorgang läßt sich dieses Dreistufenschema weiter unterteilen. Eine abermalige Projektion verwandelt die drei Zeitstufen in sekundäre Bezugspunkte, auf die die Opposition von „vorher" und „nachher" erneut bezogen werden kann. Wir halten es dabei nicht für opportun, an dieser Stelle eine Unterscheidung von absoluten und relaVgl. beispielsweise die entsprechenden. Konstruktionen in den Arbeiten Guillaumes, cf. MOIGNET 5 9 : „ . . . la conception specifique du pr&sent, qui est celle du franchissement perp^tuel d'une ligne par un mouvement allant de l'avenir vers le passe, par lequel une parcelle de futur se transforme incessamment en parcelle de passe. Le present, congu non com me un point sans duröe, mais comme la juxtaposition constamment detruite et recreöe d'une parcelle de futur (le chronotype α) et d'une parcelle de passe (le chronotype ω ) . . . " (p. 91); hier wird also eine Art Differentialformel für die Gegenwart als „d (Zukunft) + d (Vergangenheit)" aufgestellt, während man sich sonst meist mit der entsprechenden Differenzenformel „Δ (Zukunft) + Δ (Vergangenheit)" zu begnügen pflegt, so z.B. K A H N 5 4 („... le präsent enonce quelquefois le τέίέΓέ du radical comme strictement simultane au moment de la parole. Mais presque toujours cette simultaneity s'accompagne d'une part d'antörioritö et de posteriorite plus ou moins considerable. La dur^e continue ou discontinue auquel se rapporte le radical peut depasser celle du moment de la parole sym6triquement ou asymetriquement dans le passe et dans l'avenir. Dans le cas du present gnomique [cf. unten Anm. 168], ce depassement peut aller jusqu'ä l'infini", p. 70-71) oder SANDMANN 5 4 („the present is an epoch consisting of the juxtaposition of past and future time-particles", p. 186). 60

G.

27

tiven Zeitstufen51 einzuführen, denn im Grunde genommen ist jede Zeitstufe, die Gegenwart nicht ausgenommen, relativ, nämlich mit Bezug auf den jeweiligen Standort des Sprechenden62. Vielmehr heben wir diese terminologische Differenzierung für den Moment auf, in dem der oben p. 19-20 gezeigte Unterschied zwischen außen- und innendeiktischen Bezeichnungsweisen von Bedeutung sein wirdB3. Wichtiger ist hier die Frage, wieviel Zeitstufen das durch die neue Unterteilung entstehende differenzierte Schema enthält; auf den ersten Blick erscheint sie absurd, denn mit der größten Selbstverständlichkeit folgt aus dem gezeigten Vorgehen das Schema Zukunft

Gegenwart

(Z)

(G)

-Nachzukunft

(NZ)

-Zukunft

(Z)

-Vorzukunft

(VZ)

-Nachgegenwart

(NG)

-Gegenwart

(G)

-Vorgegenwart

(VG)

-Nachvergangenheit (NV) Vergangenheit (V)

61

-Vergangenheit

(V)

-Vorvergangenheit

(W)

Zu der Diskussion u m die terminologische Opposition absolut j relativ vgl. den Überblick YVON 51; wir schließen uns der Ansicht an, die SANDMANN 54, p. 183 v e r t r i t t : „The epochs seen in direct relation t o the present are sometimes referred t o as absolute past and absolute f u t u r e ; epochs only indirectly related to t h e present are referred t o as relative past or relative future epochs. I t would be clearer and less misleading t o talk of directly related past and f u t u r e and indirectly related past and f u t u r e . " Auf das jeweilige Gesamtschema bezogen, werden wir i m folgenden von einfachem und differenziertem Zeitstufenschema sprechen. 52 Bs ist a n dieser Stelle nochmals (cf. oben Anm. 35) zu betonen, daß f ü r die temporal-deiktischen Begriffskategorien die Frage, ob ein realer oder ein fiktiver S t a n d p u n k t des Sprechenden vorliegt, völlig unerheblich bleibt. Dies gilt auch f ü r die als praesens historicum usw. bekannten Verwendungsweisen bestimmter Kategorien, die als „Deixis a m P h a n t a s m a " ausschließlich dem Bereich der als parole verstandenen Sprache angehören. E s ist eine unnötige Komplizierung, wenn in semasiologischen Darstellungen das hier vorliegende Phänomen des fiktiven Standpunktes auf die einzelnen Tempora, a n denen es sich beobachten läßt, verteilt u n d nicht als einheitliche Erscheinung behandelt wird. Noch weniger gerechtfertigt ist es, das praesens historicum, zum selbständigen Tempus zu machen, als das es RENICKE 61, pp. 35-37 u n d 60-72 unter der Bezeichnung „Zweite synthetische Zeitstufe (der Vergangenheit)" einstuft, oder es zu den Aspekten zu stellen, in die es HERMANN 43, p. 603-605, als „Erlebnisschau" einordnet. 53 Cf. unten p. 72-73.

28

oder in graphischer Darstellung: G

VG W

NG

G NV VZ

NZ

In dieser graphischen Darstellung wird auch deutlich, daß die im Schema unter einander aufgeführten Zeitstufenpaare VZ / NG und VG / NV keine unmittelbare Beziehung aufweisen und sich auch nicht gegenseitig begrenzen. Ob die Zeitstufen VZ und NV im Verhältnis zu G vor-, gleichoder riachzeitig sind, bleibt offen und wäre nur durch eine doppelte deiktische Fixierung zu bestimmen, mit der jedoch eine mittelbare quantitative Angabe impliziert und damit das Wesen der temporalen Deixis grundlegend verändert würde54. Theoretisch denkbar ist eine solche Möglichkeit66; da uns jedoch kein Fall bekannt ist, in dem für die damit entstehenden neuen Oppositionen sprachliche Bezeichnungen vorlägen, verM

Trotz ihrer Unbestimmtheit steht eine solche Quantitätsangabe dem Skalar (cf. oben Anm. 48) nahe, allerdings ohne dessen Zugehörigkeit zum Bereich definitorischer Begriffskategorien zu teilen. - B U L L 60 postuliert „meaning can be conveyed in terms of only one axis of orientation a t a t i m e " (p. 22). Eigenartig ist allerdings die Kompromißlösung, der zufolge er anschließend zwar der Nachvergangenheit eine unbegrenzte Ausdehnung zuschreibt (,,RAP [ = NV] m a y be anterior to P P [ = G], actually identical with P P , or posterior to P P . The vector system can be understood only by returning to the axiom t h a t events, like points on a line in space, can be meaningfully organized only in terms of one axis of orientation a t a time", p. 24), die in der Vorzukunft (bzw. in der Vor-Nachvergangenheit, VNV) liegenden Vorgänge jedoch durch die Gegenwart (bzw. Vergangenheit) begrenzt sein l ä ß t : ,,E(AP-V [ = VZ]) cannot place a n event anterior to P P [ = G], and similarly E(RAP-V [ = VNV]) cannot place an event anterior to R P [ = V ] " (ibd.); vgl. auch sein Schema p. 25. 68 Die entsprechende Untergliederung der Zeitstufen VZ, NG, V G und NV — außer ihnen kommt keine f ü r eine Kombination verschieden gerichteter Vektoren in Betracht — h ä t t e folgendermaßen auszusehen (die Bereiche, innerhalb deren sich der doppelt deiktisch fixierte Vorgang befinden kann, sind jeweils in Klammern angegeben): Zeitstufe VZ NG VG NV

unbegrenzt

begrenzt ausschl. Grenze einschl. Grenze VZ NG VG NV

(Z) (VZ) (NV) (V)

VZ NG VG NV

(Z, G) (VZ, Z) (NV, V) (V, G)

YZ NG VG NV

(Z, G, V) (VZ, Z, NZ) (NV, V, W ) (V, G, Z)

29

ziehten wir im Interesse einer größeren Übersichtlichkeit unserer Schemata auf ihre weitere Berücksichtigung64. Das oben aufgestellte Neunstufenschema ist also mit dieser Einschränkung vollständig57 und in seiner begrifflichen Fundierung einwandfrei. Jedoch widerspricht ihm ein bisweilen anzutreffendes68 Siebenstufenschema, in dem die Zeitstufen Nachgegenwart und Vorgegenwart fehlen. Dieser Widerspruch der beiden Schemata beruht auf einer Identifizierung von Nachgegenwart und Zukunft, und von Vorgegenwart und Vergangenheit. Eine solche Identifizierung kann entweder von der Annahme ausgehen, daß in kaum einer Sprache das Bedürfnis für eine Bezeichnung der begrifflichen Differenzierungen NG / Ζ und VG /V existieren wird; dies wäre jedoch eine unzulässige Hereinnahme sprachlich-formaler Gegebenheiten in die Frage nach der systematischen Ordnung begrifflicher Kategorien und außerdem eine in ihrer Richtigkeit völlig unbewiesene Spekulation mit Wahrscheinlichkeiten. Oder aber man bestreitet die Existenz einer begrifflichen Differenzierung zwischen den fraglichen Zeitstufen. Dieser Einwand wäre schwerwiegend, er würde aber die Tatsache übersehen, daß die Vorgegenwart (und analog die Nachgegenwart) ebenso wie die Vorzukunft und die Vorvergangenheit in einer sekundären Relation zur Gegenwart steht und sich damit prinzipiell von der ausschließlich primär bezogenen Vergangenheit unterscheidet. Diesem Unterschied entsprechen die Opposition von einem temporal unmittelbaren Vorzeitigkeitsbezug im Falle VG und einem temporal mittelbaren Vorzeitigkeitsbezug im Falle V, und die auf semasiologischem Weg in der Anglistik erarbeitete Gegenüberstellung von Fehlen imd Vorhandensein einer „Zeitlücke"69. Im doppelt (oder mehrfach) differenzierten Zeitstufenschema 66

Vgl. auch unten p. 43-44. Es ist selbstverständlich, daß wir genau wie bei dem deiktischen Begriff' Gegenwart und seiner Projektion auf die Zeitlinie der Nicht-Gegenwart auch bei der Erstellung des differenzierten Neunstufenschemas keine terminologische Unterscheidung zwischen deiktischem Begriff und seiner Projektion eingeführt haben, denn als Grundlage einer onomasiologischen Fragestellung kommt per definitionem nur der erstere in Frage. Unser Neunstufenschema unterscheidet sich damit wesentlich von dem hypothetical tense system bei BULL 60, in dem sich E(PP-V) ( = Vorzeitigkeit zu der Projektion von G) und E(RPOY) ( = Gleichzeitigkeit zu der Projektion von V) und entsprechend Ε (PP +V) ( = Nachzeitigkeit zu der Projektion von G) und E(APOV) ( = Gleichzeitigkeit zu der Projektion von Z) als verschiedene Systemstellen gegenüberstehen (cf. unsere Besprechung pp. 551 und 555—556). Cf. unten p. 162. 48 Vgl. die Gegenüberstellung verschiedener derartiger Schemata bei DIET67

RICH 55, p. 1 2 9 - 1 3 1 . 69 Vgl. den forschungsgeschichtlichen Überblick bei DIETRICH 55, P. 138 bis 188, der immer wieder „die Bedeutung des Vorhandenseins bzw. des Fehlens der „Zeitlücke" als eines wichtigen Charakteristikums für den Gebrauch des [Präteriturns] bzw. des [Perfektums]" (p. 162) betont. Auf roma-

30

schiebt sich zwischen beide Oppositionsglieder ein (oder mehrere) neutrales Zwischenglied ein und führt zum Entstehen einer drei- (oder mehr-) gliedrigen Kette unmittelbarer / neutraler / mittelbarer Vorzeitigkeitsbezug (das heißt: Abwesenheit / Irrelevanz / Anwesenheit einer „Zeitlücke")60. Die graphische Darstellung des Neunstufenschemas ist somit in der folgenden Weise zu modifizieren: Gl·

VG VV

Gl·

• NG-

NV

vz

NZ

Diese Darstellung des Verhältnisses von Vorgegenwart und Vergangenheit und von Nachgegenwart und Zukunft darf nun aber nicht übersehen lassen, daß zwischen diesen Zeitstufen jeweils eine besonders enge begriffliche Beziehung besteht. Von Wichtigkeit ist diese Beziehung jedoch nicht für die systematische Gliederung als solche, sondern erst für das, was oben61 im Hinblick auf eine spätere diachronische Fragestellung als mögliche Entwicklungstendenz bezeichnet wurde. Falls eine Sprache über zwei verschiedene formale Kategorien zur Bezeichnung von Vergangenheit und Vorgegenwart (oder Zukunft und Nachgegenwart) verfügt, so ist die Möglichkeit (aber auch nur diese) gegeben, daß in Anbetracht der besonderen Nähe dieser begrifflichen Kategorien das Bedürfnis nach der Bezeichnimg ihrer Differenzierung allmählich schwindet und damit die nistischem Gebiet entspricht dem die Deutung der spanischen Opposition ha cantado j cant6 bei ALABCOS LLORACH 47: „De la misma manera que el pluscuamperfecto (,habia cantado') y el futuro compuesto (,habrö cantado') son tiempos relativos, medidos desde el pret&rito y desde el futuro absolutos, respectivamente, el perfecto compuesto (,he cantado') es un tiempo relativo, puesto que expresa una relaciön con el presente y no simplemente una acciön sucedida absohitamente en el pasado" (p. 127). Daß Alarcos Llorach dabei die Termini relativo und absoluto (cf. oben Anm. 51) so benutzt, daß sie das genaue Gegenteil von unserer Gegenüberstellung unmittelbar / mittelbar zu besagen scheinen, liegt an der verschiedenen Blickrichtung: der semasiologischen Betrachtung geht es um die Beziehungen „Sprechender - Presente — ha cantado" und „Sprechender - cantö", während für die begriffliche Gliederung die Beziehungen „G - VG" und „G - Zeitlücke - V " im Vordergrund stehen. Cf. unten -Anm. 362 und 380. Bin Beispiel für eine solche dreigliedrige Oppositionskette liefern die Bezeichnungsverhältnisse im Neufranzösischen, cf. unten p. 145-146 und Schema 16. 41 Cf. oben p. 20-21.

31

formale Opposition gegenstandslos wird. Dies kann zum Untergang eines der beiden Oppositionsglieder oder zur Bezeichnung einer neuen, sich nachträglich aus derjenigen von primärer und sekundärer Relation zur Gegenwart ergebenden Opposition führen. Als solche käme beispielsweise eine Unterscheidung zwischen naher und ferner Vergangenheit (oder Zukunft), also eine Kombination aus temporal-deiktischen und quantitativdefinitorischen62 Begriffskategorien in Frage. Es ist in diesem Zusammenhang auf eine weitere mögliche Entwicklungstendenz einzugehen, die Teile des bisherigen Zeitstufenschemas betrifft. Die begrifflich gleichwertige Opposition von Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit stellt zwei psychologisch völlig verschieden zu bewertende Dinge einander gegenüber. Während psychologische Faktoren bei einer systematischen begrifflichen Gliederung irrelevant sind, ist ihre Berücksichtigung hingegen bei einer Betrachtung der Wechselwirkungen von Bezeichnung und Bedeutung unumgänglich. Bei der Frage nach möglichen Entwicklungstendenzen im Bereich der Bezeichnungen von Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit darf daher nicht übersehen werden, daß im Gegensatz zu dem einst ein „jetzt" gewesenen „vorher" den Bezeichnungen des noch nicht „jetzt" gewesenen „nachher" ein dem affektiven Umkreis des semantischen Feldes eines Wortes43 vergleichbarer psychischer Faktor der Unsicherheit eignet. Dieser Faktor kann zu einer Verschiebung der Bedeutung von der begrifflichen Kategorie der Zeitstufe zu der der Modalität führen, es kann ebenso leicht der umgekehrte Vorgang eintreten64. Betroffen sind hiervon die Bezeichnungen aller in irgend 82 In der Terminologie von B U L L 60 (cf. oben Anm. 48) lägen hier Tensor-, d.h. kombinierte Vektor- und Skalarangaben vor. Für die Bezeichnimg solcher Tensorangaben verfügen beispielsweise die Bantu- (cf. apud T O G E B Y 51, p. 179 „en bantou il y a 7 temps: remote past, regular past, near past present - near future, regular future, remote future") und einige nordamerikanische Indianersprachen (cf. apud B U L L 60, p. 20 „Whorf suggests that Hopi has some tensor suffixes which place events at three different .distances' from the speaker. Chinook very clearly has tensor affixes which distinguish between immediate, near, far, and remote past. It may be presumed that there are other languages which employ the tensor system, but it is obvious that no well-known language does") über besondere formale Kategorien. Cf. unten p. 92. 63

Cf. BALDINGEB 6 1 , bes. p.

14-15.

Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung möglicher Entwicklungstendenzen im Bereich der Zukunftsbezeichnungen bei C O S E R I U 58, p. 89—100, aus der wir die folgenden Stellen (p. 95-97) zitieren: „Lo que universalmente se comprueba es una duplicidad del futuro, que oscila entre dos polos: el que se suele indicar como ,puramente temporal' y el ,modal'... Para una explicaciön fundada de la duplicidad del futuro hay que . . . partir de la ,compresencia' existencial de los momentos del tiempo — destacada principalmente por el gran pensador italiano P.Carabellese y por M.Heidegger —, mejor dicho, de la distinciön entre el tiempo interiormente ,vivido', .compresente' 61

32

einer Weise auf dem „nachher" gründenden Zeitstufen, in dem Neunstufenschema also NZ, Z, VZ, NG und NV. Weitere Unterteilungen dieses Neunstufenschemas lassen sich mit Hilfe des aufgezeigten Vorgehens ohne jede Schwierigkeit ad infinitum vornehmen, wobei die Anzahl der möglichen Zeitstufen der jeweiligen Potenz von drei entspricht. Es ist jedoch anzunehmen, daß schon bei einem Schema von 27 Zeitstufen in kaum einer Sprache das Bedürfnis nach en sus tres dimensiones, y el tiempo pensado como sucesiön exterior, ,espaciado' ο jdisperso' en momentos no-simultäneos. . . . el pasado corresponde al ,conocer', el presente al ,sentir' y el futuro al,querer'... Por consiguiente, el futuro concretamente vivido es necesariamente un tiempo ,modal'...". Vgl. ferner SÄNCHEZ RUIPISBEZ 54, p. 91-92. Bei fehlender Unterscheidung zwischen Begriff und Bedeutung ist damit, wie auch aus der zitierten Stelle bei Coseriu hervorgeht, einer Vereinnahme der Zukunft in die Kategorien der Modalität bzw., bei fehlender Unterscheidung von formaler und begrifflicher Kategorie, des Futurs in die Modi der Weg geebnet. Ausgebaut wurden entsprechende Theorien, auf die wir unten bei der Besprechung der lt. cantare habebam — Formen (Anm. 202) zurückkommen werden, vor allem von K T J B Y Z.OWICZ 56 („Le plan de l'avenir s'oppose au plan present + paasS pris ensemble comme plan de la τέαΐϋέ. La representation du rapport passS : ρτέsent: futur par une ligne droite correspond Α im concept physico-math6matique et non linguistique. Le futur releve du plan modal, different du plan aspectal. C'est en s'opposant h l'indicatif (present) que le mode de la supposition acquiert la fonction de futur.", p. 26; von hier übernommen und um eine historische „Begründung" - cf. oben Anm. 38 - vermehrt bei R U N D G R E N 59: „Das Futur stellt ja in der Tat kein mit der Opposition Gegenwart : Vergangenheit vergleichbares Tempus dar. Das Futur ist vielmehr als ein Modus zu betrachten, was ja schon aus der Entstehungsgeschichte so vieler Futurformen der verschiedensten Sprachen klar hervorgeht", p. 32) und von A L A B cos LLORACH 59 ( IL faudrait trouver un terme commode et univoque qui recouvre ces valeurs essentielles de la signification de cantarS et cantaria. Puisque la posteriority dans l'avenir et la possibility dans le passe et le present, sont toutes deux des notions förc&nent non-rielles, il semble preferable de parier d'un mode ,potentiel"', p. 11); vgl. auch Anm. 150. — Zur Abhebimg von diesen Theorien sei ausdrücklich betont, daß einmal es sich für uns um die begriffliche Kategorie der Modalität und nicht um die formale Kategorie des Modus handelt, und daß andererseits die in Frage stehende Affinität zwischen Zeitstufe und Modalität eine Erscheinung auf der Ebene der sprachlichen Bezeichnungen beider darstellt und nichts mit möglichen Beziehungen zwischen ihnen als begrifflichen Kategorien zu tun hat. Solche Beziehungen können nur indirekt existieren, da es sich bei den Zeitstufen um temporaldeiktische Begriffskategorien, bei den Modalitäten hingegen um anaphorisch verstandene definitorische Kategorien handelt, deren eingehende Herleitung allerdings den Rahmen unserer Untersuchimg sprengen würde. Nur so viel ist zu sagen, daß wir es hier mit dem „degree of belief or conviction" (SANDMANN 54, cf. bes. p. 123-125) des Sprechenden gegenüber seiner Aussage zu tun haben. - Wiederum etwas anderes sind die philosophischen Modalitätskategorien Möglichkeit, Dasein und Notwendigkeit (vgl. auch unten Anm. 168). Allein schon eine Entwirrung der terminologischen „Polysemien" wäre in diesem Bereich nicht von Schaden.

33 8 Heger. Begriffäkategorlen

deren Bezeichnung durch ein System von ebenso vielen formalen Kategorien bestehen wird. Wo im Laufe unserer Untersuchung derartige mehrfach differenzierte Zeitstufen vorkommen, werden wir sie analog zu denen des Neunstufenschemas durch die entsprechende Kombination großer BuchstabeneB kenntlich machen. Als Beispiel sei hier die Zeitstufe V W ( = Vor-Vorvergangenheit) genannt, die etwa im Französischen durch das Plusqueparfait surcompost {j'avais tu fait) bezeichnet werden kann. 2. Die A s p e k t e Zu Beginn dieses Abschnittes (cf. p. 22-23) wurde gezeigt, daß die fundamentale Aspektopposition aus der Unterscheidung zwischen dem einer Darstellung des Vorgangs von innen her entsprechenden imperfektiven und dem einer Darstellung von außen her entsprechenden perfektiven Aspekt besteht. Über ein ausschließlich diese Unterscheidung bezeichnendes formales Kategoriensystem verfügen beispielsweise die semitischen Sprachen. Die beiden sogenannten Tempora etwa des Arabischen bezeichnen den imperfektiven und perfektiven Aspekt und sind dem Zeitstufensystem gegenüber indifferent, das heißt sie können implizit jede beliebige Zeitstufe bezeichnen66. Analog zu dem bei den Zeitstufen eingeschlagenen Verfahren könnte man nun zum Zweck einer weiteren Untergliederung der Aspektopposition daran denken, im Falle des perfektiven Aspekts für den außerhalb des Vorgangs liegenden Standpunkt des Sprechenden die Vorstellung der Zeitlinie heranzuziehen. Nach der Projektion des imperfektiven Aspekts auf sie wäre dann zu unterscheiden, ob sich jener außerhalb liegende 6 5 I n den seltenen Fällen mehrgliedriger Oppositionsketten (cf. oben Amn. 60) stehen die Sigel v o m T y p V Z (Vorzukunft) f ü r die einfach und diejenigen vom T y p VMZ („Vor-Mit-Zukunft") f ü r die doppelt differenzierte Zeitstufe. ββ Vgl. hierzu B R O C K E L M A N N 51 (bes. p. 137ss. zum Akkadischen, p. 146ss. zum Hebräischen und p. 151s. zum Arabischen) und R U N D G R E N 59, bes. p. 30 „ D a s Semitische kennt von H a u s aus keine an sich temporalisierten Verbformen i m westeuropäischen Sinne, sondern nur die zwei subjektiven Anschauungeformen, die in den zwei Flexionsweisen jedes Verbums ihren formalen Ausdruck erhalten" und p. 312 „ F r a g e n wir dann, was uns die semitischen Sprachen f ü r die allgemeine Theorie des Aspekts lehren können, so bleibt zunächst a u f die prinzipiell bedeutsame Tatsache hinzuweisen, daß in diesen Sprachen die Kategorie des r e i n e n A s p e k t s grammatikalisiert erscheint, wie auch die Aktionsarten in den sog. abgeleiteten S t a m m f o r m e n ein eigenartiges Mittel der Grammatikalisierung erhalten haben, wodurch die Aspekte schon im B a u des Verbums von den Aktionsarten getrennt gehalten werden." Beispiele f ü r die Fähigkeit beider arabischen „ T e m p o r a " (al-mudärie und al-mädl), jede beliebige Zeitstufe zu bezeichnen, bringt R E C K E N D O R F 21, p. 10—15. — Zu der ebenfalls von Rundgren betonten Abhebung der Aspekte von den Aktionsarten vgl. oben p. 17 und Amn. 30 sowie hier p. 35-36.

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Standpunkt zu dem als perfektiv gezeigten Vorgang im Verhältnis der Vorzeitigkeit oder der Nachzeitigkeit befindet®7. Da jedoch die Zeitlinie die möglichen Standpunkte des Sprechenden repräsentieren soll, muß sie in diesem Fall auch ein wesentliches Charakteristikum der Weise der Zeiterfahrung88 dieses Sprechenden, nämlich die Irreversibilität der erfahrenen Zeit, implizieren und als deren geometrische Metapher einsinnig gerichtet sein. Damit aber wird die theoretische Möglichkeit, einen Vorgang von einem ihm gegenüber vorzeitigen Standpunkt her als perfektiv, das heißt als „abgeschlossen" und von außen her erfaßbar zu zeigen, zur contradictio in adjecto. Die Alternative Vorzeitigkeit / Nachzeitigkeit besteht also nur scheinbar, und damit erweist sich auch eine weitere Untergliederung der fundamentalen Aspektopposition als unmöglich. Die Zweizahl der Aspekte ist prinzipiell unveränderlich und kann lediglich durch die in Kap. II, 3 zu behandelnden Interferenzen von Aspekten und Zeitstufen modifiziert werden. Mögliche Verschiebungen im Bezeichnungssystem lassen sich aus einer polaren Opposition nicht ablesen. Es ist jedoch schon an dieser Stelle daraufhinzuweisen, daß im Gegensatz zu den semitischen die indogermanischen Sprachen sich durch eine starke Tendenz auszeichnen, die gleichen formalen Mittel zur Bezeichnimg sowohl aspektualer als auch von Aktionsarten-Oppositionen zu verwenden. Besonders deutlich ist dies in den slavischen Sprachen zu beobachten69, aber auch im Bereich der romanischen Sprachen werden uns entsprechende Erscheinungen begegnen. Der häufigste Fall der hier vorliegenden Homonymie70 basiert auf 67 Diese Konstruktion könnte den Eindruck erwecken, als sei sie ein Beweis für die Unvereinbarkeit von perfektivem Aspekt und Gleichzeitigkeit = Gegenwart (cf. oben Anm. 49). Wer diese Folgerung aus ihr ziehen möchte, müßte jedoch konsequenterweise auch eine Unvereinbarkeit von imperfektivem Aspekt und Nicht-Gegenwart postulieren. In Wirklichkeit kann von einer solchen Gleichsetzung von Aspekt und Zeitstufe in dem einen Fall so wenig wie in dem anderen die Rede sein; cf. unten Eap. II, 3. 68 Cf. oben Anm. 46. 68 So vor allem an der Doppelfünktion der Verbalpräfixe: russ. iracaTt / Ha-nncaTL bilden eine reine Aspektopposition, nncaTt / sa-nncaTt eine Aspekt- und Aktionsartenopposition und iracaTt / aa-mrc-uB-aTi, eine reine Aktionsartenopposition; vgl. hierzu vor allem S O B B N S B N 49, bes. p. 89-99. 70 E s dürfte sich nach allem bisher Gesagten erübrigen zu betonen, daß eine solche Homonymie (oder Polysemie, was in der ahistorischen Sicht theoretischer Erörterungen dasselbe ist) keinen Einwand gegen die begriffliche Unterscheidung von Aspekten und Aktionsarten (cf. oben p. 17 und Anm. 30) darstellt. E s ist vielmehr selbstverständlich, daß eine onomasiologische Untersuchung auf Schritt und Tritt auf Bezeichnungen stößt, die nicht ausschließlich den zu Grunde gelegten begrifflichen Kategorien entsprechen, sondern darüberhinaus noch andere Bedeutungen haben; „aucun systfeme verbal ne poss£de des formes distinctes pour toutes les idöes que le verbe peut th£oriquement representor; c'est pröcis^ment le choix entre les id6es

35 3*

einer Gleichsetzung von deiktischer Aspektbezeichnung und definitorischer quantitativer Zeitangabe, das heißt der beiden Begriffapaare imperfektiv I perfektiv und durativ j punktuell. Ihr Ergebnis ist bei ursprünglich durativer Aktionsart, daß die Bezeichnung des perfektiven Aspekts in die einer punktuellen, nämlich ingressiven oder egressiven Aktionsart71, und bei ursprünglich punktueller Aktionsart, daß die Bezeichnung des imperfektiven Aspekts in die der iterativen als der einzig denkbaren quantitativen Ausdehnung der punktuellen Aktionsart umgedeutet wird72. 3. I n t e r f e r e n z e n in einem k o m b i n i e r t e n Z e i t s t u f e n - und A s p e k t s c h e m a Aus den oben (cf. Arnn. 67) erwähnten theoretischen Gründen ebenso wie in Anbetracht der Möglichkeit, daß in einer Sprache das Bedürfnis besteht, sowohl die Zeitstufen als auch die Aspekte durch formale Kateexprimables qui definit le systkme verbal d'une langue donn6e" (COHEN 24, p. 2). Was aus dem vorliegenden Fall von Homonymie oder Polysemie allerdings notwendig folgt, ist die Unmöglichkeit, im Rahmen rein semasiologischer Untersuchungen der indogermanischen Sprachen zu einer überzeugenden Unterscheidung von Aspekt und Aktionsart zu gelangen (cf. unsere Besprechimg zu P O L L A K 60 p. 164-165). - Vgl. auch unten K a p . I I , 4, 71 Vgl. hierzu die Diskussion u m die Deutung von Formen wie gr. έβασίλενσε, cf. u n t e n p. 104 u n d Amn. 441. Ob die punktuelle als ingressive oder als egressive Aktionsart erscheint, hängt von einer weiteren Unterscheidimg ab, die S Ä N C H E Z R U I P Ä R E Z 5 4 klar herausgestellt h a t : „ E s t a s consideraciones nos permiten establecer que: 1.° E n u n semantema transfonnativo la nociön de t&mino opera con el t^rmino final del contenido verbal. 2.° E n u n semant e m a no-transformativo la nociön de t^rmino opera con el törmino inicial del contenido verbal" (p. 62); eemantemaa tranaformotivoa u n d semantemas no-transformativos sind folgendermaßen definiert: „Semantemes transformativos son aquellos que expresan u n a transformaciön, una modificaciön del estado. E s indiferente que esta transformaciön afecte al sujeto, cuyo estado resulta modificado 'v. gr., ϋνησκειν ,morir'...) ο al o b j e t o . . . Semantema» no-transformativos son aquellos cuyo significado excluye t o d a idea de modificaciön t a n t o en el sujeto como en el objeto. Asi είναι , s e r ' . . . " (p. 53). Mit dieser Unterscheidung wäre in einer den Aktionsarten gewidmeten Untersuchung die von B U L L 6 0 , p. 4 3 - 4 7 , vorgenommene Gegenüberstellung von cyclic und non-cyclic zu konfrontieren. 72 Beispiele f ü r die iterative Bedeutung von Tempora wie fr. (il) chantait (cf. u n t e n p. 102-104) u n d sp. cantaba (cf. unten p. 164-165) bringt jede Schulgrammatik. Daß die von hier aus zu erklärende Verwechslung d e r entsprechenden begrifflichen Kategorien bis in die Semitistik hineinreicht, zeigt B R O C K E L M A N N 51: „Iterative Aktionsart und kursiver [ = imperfektiver] Aspekt stehen einander j a ganz n a h e ; sie unterscheiden sich nur dadurch, daß der Vorgang einmal als Ganzes, ein ander Mal als in Abschnitte zerfallend vorgestellt wird [was eine Definition der Opposition semelfaktiv / iterativ ist]. So ist ja auch im Slav, die iterative Aktionsart dem System der Aspekte angeglichen, ohne dies zu s t ö r e n . . . " (p. 140).

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gorien zu bezeichnen, ergibt sich die Fragestellung dieses Kapitels. Wie hat ein begriffliches Kategorienschema auszusehen, in dem Zeitstufen und Aspekte in ihren sämtlichen möglichen Kombinationen enthalten sind? Bei der Beantwortung dieser Frage werden wir der Übersichtlichkeit halber für die Zeitstufen zunächst das Dreistufenschema zu Grunde legen und die daran gewonnenen Ergebnisse erst nachträglich auf die differenzierten Schemata zu übertragen versuchen. Auf den ersten Blick scheint der natürliche Weg zu einem kombinierten Zeitstufen- und Aspektschema der einer einfachen Multiplikation zu sein: imperfektiv (i)

perfektiv (p)

Zukunft

(Z)

Zi

Zp

Gegenwart

(G)

Gi

Gp

Vergangenheit (V)

Vi

Vp

Ein solches Schema wäre einleuchtend und keineswegs neu, findet es sich doch nicht selten als Grundlage des Versuchs einer begrifflichen Ordnung der Konjugationssysteme auch der romanischen Sprachen73, und scheint 73

Den Auegangspunkt bildete dabei vor allem das lateinische Konjugationsschema, wie es in einer der oben wiedergegebenen entsprechenden Form von MEIIXET 21, p. 185, aufgestellt worden war; a n der darin implizierten Gleichsetzung von formalen und begrifflichen Kategorien ist verschiedentlich Kritik geübt worden, vgl. u . a . BURGEB 49 („Quoi qu'il en soit, en latin classique le systöme formel et le systeme des valeurs ne se recouvrent pas exactement", p. 22), BASSOLS 51 („no representa esta teoria otra cosa que u n ingente esfuerzo para conseguir la relaciön semäntica correspondiente al paraleliamo atestiguado en el terreno de la morfologia", p. 142) und KRAVAR 61 („In conclusion, it must be underlined t h a t the imperfect and perfect in Latin behave in general as two preterits of different aspectual value", p. 308). Auf das Französische angewandt findet sich dieses Schema u.a. bei BRUNOT-BRUNEAU (cf. p. 530), wobei das erstaunliche Phänomen entsteht, daß Imparfait und Pass6 simple gleichermaßen der action non achevee zugeordnet werden. Wieder erstanden ist es m i t einer konsequent formal-strukturalistischen Betrachtungsweise, so bei K. Togeby in der folgenden F o r m : Vergangenheit imperfektiv

(Imperfekt)

perfektiv

(Pass4 simple)

Gegenwart (Prae-

Zukunft (Konditional)

sens)

(Futur)

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es doch genau dem formalen Kategorienschema der als besonders logisch bekannten lateinischen Konjugation zu entsprechen: i

Ρ

Ζ

cantabit

cantaverit

G

cantat

cantavit

V

cantabat

cantaverat

Die Tatsache allein, daß in zahlreichen anderen Sprachen keine solche restlose Symmetrie anzutreffen ist, würde dieses einfache Schema noch nicht ernsthaft in Frage stellen. Daß einem begrifflichen ein formales System genau und in sämtlichen Punkten entspricht, ist ohnedies ein Ausnahmefall, mit dessen Vorkommen die Sprachwissenschaft nur in den seltensten Fällen rechnen kann. Jedoch ist ein prinzipieller Einwand geltend zu machen. Zwar ist an der einfachen Zuordnung des imperfektiven Aspekts auf die verschiedenen Zeitstufen nichts zu beanstanden. Die kombinierten Kategorien Zi, Gi und Vi besagen, daß der bezeichnete Vorgang in einem bestimmten zeitlichen Bezug zu dem Sprechenden steht und von diesem von innen her gesehen und dargestellt wird. Während Gi ohne weiteres einleuchtet, enthalten Zi und Vi durch die Kombination eines zeitstufenmäßigen „nichtjetzt" mit einem aspektmäßigen „jetzt" eine gewisse Schwierigkeit. Sie ist nicht begrifflicher - denn welche Notwendigkeit bestünde für eine Identität von dem „jetzt" des Sprechenden mit dem des Vorgangs sondern psychologischer Natur und besteht darin, daß die Feststellung eines „nicht-jetzt" durch den Sprechenden mit seinem Sich-Versetzen in dieses „nicht-jetzt" vereinbart werden muß. Diese Schwierigkeit kann für ein sprachliches Bezeichnungssystem dann von Bedeutung werden, wenn es zu einer wechselseitigen Beeinflussung zweier Sprachen kommt, von denen nur die eine formale Kategorien, das heißt einen Ausdruck des Bewußtseins für die begrifflichen Kategorien Zi oder Vi besitzt. Zunächst werden in einem solchen Fall die Träger der anderen Sprache mit diesen Kategorien nicht sehr viel anzufangen verstehen und zur Einschränkung der Häufigkeit ihres Gebrauchs tendieren74. Die eingetragenen neutralen Bezeichnungen sind durch die entsprechenden französischen - nach T O G E B Y 51, p. 173-179 - bzw. spanischen - nach T O G E B Y 53, p. 8 — Tempusbezeichnungen zu ersetzen. 74 Vgl. unten p. 106 zu dem Bückgang des Imparfait in der frühesten altfranzösischen Zeit.

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Wesentlich weniger einfach aber gestaltet sich die Zuordnung des perfektiven Aspekts auf die verschiedenen Zeitstufen. Hier nämlich stellt sich wiederum die in Kap. II, 2 besprochene Frage, in welchem zeitlichen Verhältnis der „außerhalb" des Vorgangs liegende Standpunkt des Sprechenden zu diesem Vorgang steht. Sobald die Aspekte mit den Zeitstufen kombiniert werden, ist automatisch ein solcher zeitlicher Bezug hergestellt und die Vorstellung eines als unabhängig von jeglicher Zeitlinie gedachten „außerhalb" ausgeschlossen. Die Zuordnung des perfektiven Aspekts auf die Zeitstufen erhält somit einen doppelten Charakter: sie umfaßt einerseits, genau wie bei dem imperfektiven Aspekt, die zeitstufenmäßige Fixierung des bezeichneten Vorgangs und andererseits, darüberhinaus, die zeitstufenmäßige Fixierung des Standpunktes, von dem aus der bezeichnete Vorgang als perfektiv - und das heißt auf die in diesem Fall als gerichtet (cf. oben p. 35) aufzufassende Zeitlinie bezogen: als abgeschlossen - gesehen ist. Daraus ergibt sich die folgende Erweiterung des oben aufgestellten Schemas: imperfektiv (i) Zukunft

perfektiv (P) gesehen von VergangenGegenheit wart

Zukunft

(Z)

Zi

Zp z

Zp«

Zp T

Gegenwart

(G)

Gi

Gp*

Gps

GpT

Vergangenheit (V)

Vi

Vpz

Vp*

Vp»

Innerhalb der neun perfektiven Kategorien dieses Schemas sind nach der Art der zeitlichen Relation zwischen Standpunkt des Sprechenden und Vorgang die folgenden drei Gruppen zu unterscheiden: 1. Zpz, GpB, Vp T . - In diesen drei Kombinationen wird ein in die Zeitstufe X verlegter Vorgang von der gleichen Zeitstufe her als abgeschlossen gesehen (Typ Xp x ). Angesichts einer solchen Identität der Zeitstufe des Vorgangs mit der des außerhalb liegenden Standpunktes, den der Sprechende durch die Deixis des perfektiven Aspekts einnimmt, ist es besonders wichtig, die Wesensverschiedenheit der beiden auf die gleiche Zeitstufe verlegten Momente nicht aus den Augen zu verlieren. Bei ihrer Identifizierung würde die Gefahr der verschiedenartigsten Fehldeutungen drohen; so könnte man versucht sein, aus der für die drei in Frage stehenden Kombinationen gegebenen Definition eine Gleichzeitigkeit von Verlauf und Abgeschlossensein des Vorgangs herauszu39

lesen - eine Gleichzeitigkeit, die bei Vorliegen der punktuellen (momentanen) Aktionsart selbstverständlich, in jedem anderen Falle hingegen widersinnig wäre. Am leichtesten läßt sich der Unterschied, um den es hier geht, an Hand der Kombination Gp® aufweisen. In ihr liegt die Umkehrung des Falles vor, den wir oben in den Kombinationen Zi und Vi beobachtet haben, indem sich hier ein zeitstufenmäßiges „jetzt" mit einem aspektmäßigen „nicht-jetzt" verbindet. Für den auf der gleichen Zeitstufe wie der Vorgang liegenden Standpunkt des Sprechenden bedeutet dies, daß er nicht etwa mit jenem in einem gemeinsamen deiktischen Begriff zusammenfallt, daß er nicht in ihn, sondern an ihn gelegt wird und damit weiterhin ein „außerhalb" bleibt. An Stelle der irrtümlichen Deutung, in den Kombinationen vom Typ Xpx seien Verlauf und Abgeschlossensein des Vorgangs in die gleiche Zeitstufe verlegt, darf also nur gesagt werden, daß in ihnen Verlauf und Abgeschlossensein des Vorgangs auf die gleiche Zeitstufe bezogen sind. Es liegt in ihnen also die begriffliche Kategorie vor, die man häufig mit dem Terminus perfectum praesens (resp. seinen Entsprechungen in den anderen Zeitstufen) intendiert78. Zu ihrer formalen Bezeichnung 76

Die Deutungen, die diesem perfectum. praesens bzw. den es bezeichnenden formalen Kategorien zuteil geworden sind, zeichnen sich durch besondere "Vielfalt und Widersprüchlichkeit aus. Schuld daran ist auch hier wieder die Tatsache, daß in den meisten Sprachen, a n denen entsprechende Untersuchungen vorgenommen wurden, Polysemien vorliegen, die jede semasiologische Untersuchung in die Irre f ü h r e n müssen. F ü r das Französische deutlich erkannt h a t dies C H R I S T M A N N 59: „ D a s Charakteristikum der zusammengesetzten Zeiten wäre demnach die Angabe der Vorzeitigkeit. Diese Auffassung ist zweifellos vertretbar, in vielen Fällen sogar die einzig mögliche (ζ. B. in il me dit que eon ρ ire avail έΐέ malade), u n d sie k o m m t der Sache sicherlich näher als die Ansicht, es handle sich u m verschiedene Aspekte. Aber die zusammengesetzten Zeiten bezeichnen vielfach auch lediglich die Abgeschlossenheit einer Handlung, u n d m a n k a n n bei dieser Verwendungsweise strenggenommen nicht von Vorzeitigkeit reden. Hierher gehört der Gebrauch des passe composS als praeteritum praesens, welches hinsichtlich des Tempus ein present darstellt, das m a n prisent de Vaccompli oder present acheve genannt h a t " (p. 7-8). Wichtig ist dabei auch die Betonung, daß mit dem perfectum praesens (dieser Terminus scheint uns weniger sich selbst zu widersprechen als der von Christmann gewählte praeteritum praesens) keine Vorzeitigkeit impliziert ist. Daß die Zuordnung auf die Gegenwart wesentlich wichtiger ist als die Möglichkeit, einen Teil des perfektiv gesehenen Vorgangs der Vergangenheit zuzuordnen — auf die Bedeutung dieser Möglichkeit f ü r die die Kombinationen X p x bezeichnenden formalen Kategorien u n d ihre allgemeinen Entwicklungstendenzen wird noch zurückzukommen sein, cf. unten p. 48—49 —, betont auch D I E T R I C H 55, wenn er von dem e. Present Perfect schreibt, „das Pf. ist die einzige Zeitform, die die Vorstellung der [ Gegenwart] in Verbindung mit der der [Vergangenheit], ,the conjunction of the present with the past as a c o n t i n u u m ' . . . , wachzurufen vermag" (p. 167), u n d es sei eine „irrige Vorstellung..., als ob das Pf. die Vg. m i t der Gw. (statt richtig

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können beispielsweise im Spanischen die Zusammensetzungen vom Typ tener -f Participio76 herangezogen werden. 2. Gpz, Vpz, Vpe. - In diesen drei Kombinationen wird ein in die Zeitstufe X verlegter Vorgang von einer ihr gegenüber nachzeitigen Zeitstufe her als abgeschlossen gesehen (Typ Xp nx ). Prinzipiell ist dieser Fall ohne weiteres einsichtig und bietet wohl kaum Anlaß zu Fehldeutungen. Hingegen sind die Unterschiede, die die drei Kombinationen von einander trennen, hier von größerer Bedeutung als in der ersten Gruppe. a) Υρβ. - Der in die Vergangenheit verlegte und von der Gegenwart her als abgeschlossen gesehene Vorgang ist gewissermaßen der Normalfall dieser Gruppe und bedarf als solcher keines besonderen Kommentars. Im Gegensatz zu der entsprechenden differenzierten Zeitstufe VG(p«) betont er durch die Abgeschlossenheit der Handlung gleichzeitig das Vorhandensein einer „Zeitlücke"77. b) Gpz. - Wird ein Vorgang in die Gegenwart verlegt und von der Zukunft her als abgeschlossen gesehen, so liegt theoretisch das gleiche Verhältnis vor wie unter a). Dies gilt jedoch nur im Rahmen des Systems und nicht in Bezug auf den Standpunkt des Sprechenden. Während dieser im Falle Vp« von seinem „jetzt" aus die perfektive Perspektive anlegt, muß er sich hierzu im Falle Gpz zunächst aus diesem seinem „jetzt" heraus in eine andere Zeitstufe transponieren. Dadurch entsteht eine doppelte Brechimg, die den Vorgang in einer von der Gegenwart her durch die Zukunft gesehenen Gegenwart erscheinen läßt. Dieser komplizierte Charakter der Kombination Gpz stellt relativ hohe Anforderungen an das Abstraktionsvermögen, und man wird daher ohne großes Risiko jeder sie bezeichnenden formalen Kategorie ein besonderes Maß an Labilität vorhersagen können. Besonders naheliegend sind dabei Verschiebungen von dem Begriff der Gegenwart zu dem in dieser Kombination beteiligten umgekehrt!) verbinde, und daß mithin die Blickrichtung des Perfektdenkaktes Vg. -> Gw. sei" (p. 180). Vielfach hingegen hat man sich mit Deutungen begnügt, die von einem resultativen oder noch allgemeineren Bezug einer eigentlichen Vergangenheit zu der Gegenwart des Sprechenden ausgehen; daß mit diesem „Bezug zur Gegenwart" überhaupt nichts besagt ist, da er jeder Zeitstufe eigen ist, hat REID 55 zu Recht gegen solche Deutungen geltend gemacht: „Such definitions are obviously useless. If the speaker refers to the process at all, it must evidently bear some relation to his present, arouse some interest in him, have a place in his memory; and it is therefore impossible on this basis to distinguish between the function of the form j'ai fait and that of any other tense-form referring to past time" (p. 25). 76 Cf. unten p. 189-202. 77 Cf. oben p. 30-31 und Anm. 69, sowie unten p. 44.

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der Zukunft, wofür die slavischen Sprachen gute Beispiele bieten78. Einfacher liegen die Verhältnisse nur in einem Sonderfall dieser Kombination, dem viel diskutierten sogenannten Koinzidenzfall, in dem Aussage des Vorgangs und ausgesagter Vorgang identisch sind79. c) Vp z . - Der in die Vergangenheit verlegte und von der Zukunft her als abgeschlossen gesehene Vorgang vereinigt die Problematik der Kombination Gp z mit dem Fall Vp« und unterscheidet sich darüberhinaus von diesen beiden dadurch, daß der Abstand zwischen Vorgang und Standpunkt der perfektiven Schau zwei Zeitstufen beträgt. All dies macht deutlich, daß es sich hier um einen zwar theoretisch möglichen, aber derart konstruierten Fall handelt, daß kaum je ein Bedürfnis nach einer Bezeichnung für ihn anzunehmen sein wird. d) Für die in den Fällen a) bis c) vorliegende Art der DeixLs, durch die ein Vorgang in die Zeitstufe X verlegt und von einem ihr gegenüber nachzeitigen Standpunkt aus perfektiv gesehen wird, ergab sich die gemeinsame Typenformel X p n x . Damit lassen sich Gp z auch als Gp n s und Vp z und Vp£ als Varianten ein und desselben Vp n v definieren. Dieses Vorgehen hat zunächst den Vorteil, den Unterschied Vp z / Vρβ auch theoretisch als sekundär zu erweisen. Darüberhinaus macht es einen Mangel des p. 39 aufgestellten Schemas sichtbar, der im Widerspruch zu der Kombinationsfähigkeit der Typenformel X p n x mit dem Zeitstufenschema steht. Es ist ihm deshalb eine Systemstelle Zp n z hinzuzufügen, das heißt die Stelle eines zukünftigen Vorgangs, der von einem ihm gegenüber nachzeitigen Standpunkt aus perfektiv gesehen ist. Wie weit mit einem Bedürfnis nach einer besonderen Bezeichnung dieser Systemstelle zu rechnen ist, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Besonderen Gefährdungen sind solche Bezeichnungen im Gegensatz zu denen von Gp z = Gp n « nicht ausgesetzt, da hier sämtliche beteiligten Momente den Begriff Zukunft unterstreichen. 3. Ζρβ, Zp v , Gp v . - Daß ein in die Zeitstufe X verlegter Vorgang von einer ihr gegenüber vorzeitigen Zeitstufe her als abgeschlossen gesehen 78

Wir können hier die Auseinandersetzung um die Formen vom Typ russ. a Hannray nicht im einzelnen darstellen. Im wesentlichen einig ist man sich über ihre perfektive Bedeutung, während ihre zeitstufenmäßige Zuordnung zu zahlreichen und verschiedenartigen Deutungen sowie zu der in viele Lehrbücher aufgenommenen Kompromißformel „praesentische Form mit futurischer Bedeutung" geführt hat. Die Ausführungen von SOBENSBN 49, bes. p . 1 6 8 - 1 6 9 , u n d ISAÖENKO 6 0 , b e s . p . 8 4 - 8 7 , b e i d e a u f b a u e n d a u f KARCEVSKI

27, rechtfertigen es jedoch, in dem „perfektiven Praesens" primär eine Bezeichnung der Systemstelle Gp z zu erblicken, die aber auf Grund der oben angenommenen Labilität dazu tendiert, in Richtung auf Systemstellen wie NGp z und VZp z umgedeutet zu werden. Vgl. auch die folgende Anmerkimg. 79 Typ „hiermit erkläre i c h . . . " ; vgl. hierzu KOSCTTMTEDER 35 und KOSCHMIEDER 4 5 p . 2 8 , f e r n e r RUNDGREN 5 9 p p . 3 8 - 3 9 u n d 1 1 2 - 1 1 3 .

42

wird (Typ Xp v x ), ist entsprechend dem oben p. 34-35 Gesagten per definitionem unmöglich. Diese drei Kombinationen scheiden daher als mögliche begriffliche Kategorien aus. Damit ergibt sich die folgende endgültige Form für das kombinierte Zeitstufen- und Aspektschema. Die möglichen Varianten des jeweiligen Kombinationstyps X p n x fähren wir mit auf, deuten jedoch mit Hilfe des sie verbindenden Gleichheitszeichens entsprechend den unter 2c und 2d gemachten Beobachtungen an, daß es sich bei ihnen um sekundäre Unterscheidungen handelt. Hinzu kommt, daß die von ihnen gebildeten Oppositionen sich bei der Anwendung des Schemas auf die onomasiologische Untersuchung romanischer Sprachen als irrelevant erweisen. imperfektiv

perfektiv pnx

P

z

Pg

Zukunft

Zi

Zpnz

Zpz

Gegenwart

Gi

Gpn« ==

Gpz

Gp*

Vergangenheit

Vi

Vp* ==

Vp*

Vpnv

=

=

PT

VpT

Eine Vereinfachung dieses Schemas scheint nahezuliegen. Wenn schon auf die Trennung der verschiedenen Varianten vom Typ X p n x verzichtet wird, so könnte man argumentieren, dann wäre es doch übersichtlicher, eine symmetrische Darstellung mit den drei Zeitstufen auf der senkrechten und den drei Aspekttypen Xi, X p n x und Xp x auf der waagrechten Koordinate zu wählen. Ein solches Schema würde aber nur mehr eine Übersicht über den Bestand der zu bezeichnenden temporal-deiktischen Kategorien geben und keinen Einblick in deren begriffliche Struktur gewähren. Beispielsweise ginge die Evidenz der gemeinsamen Zugehörigkeit von Gp g und Vp g = Vp n v zu dem Strukturtyp Χρβ verloren, aus der sich wichtige Bedeutungsverschiebungen in der Geschichte der Formen erklären lassen, die diese Kategorien bezeichnen (cf. unten Anm. 90). Bei Zugrundelegung des differenzierten Zeitstufenschemas gestaltet sich das kombinierte Zeitstufen-Aspekt-Schema folgendermaßen (p. 44). Die Hinzufügung der Kolonne p n x ist entsprechend dem oben unter 2d Gesagten und analog zu dem Dreistufenschema erfolgt. Ebenfalls analog hierzu haben wir auf eine Ausführung sämtlicher Varianten des Kombinationstyps X p n x verzichtet80. Eine Sonderstellung nehmen die Systemstelle NVpe mit ihrer nicht eingetragenen Variante NVpv® und die ebenfalls nicht eingetragenen Stellen NGp vz und Gp vz ein. In diesen vier Fällen führt die Kombination der zeitstufenmäßigen Fixierung einerseits des Vorgangs und andererseits des Standpunkts des Sprechenden zu einer 80

Zu der Funktion des Gleichheitszeichens vgl. zu Schema p. 43. 43

i

Ρ

pnx

P Pz

z

pnz

pvz

pni

P8 Pg

pvg

pnv

Pv Pv

pTV

NZ NZi NZp nnz NZpnz ΖΖ

Zi

Zp n z ==Zp n z

Zp z

VZ VZi YZpnvz

=

VZp z VZp v z

NG NGi NGpnn VXp v x erwarten und diejenige von X p * > V X p n v x als doppelte Verschiebung erscheinen lassen; man sähe sich somit genötigt, für die „veränderte" aspektuale Zuordnung eine Erklärung zu suchen, die sich mit dem schwindenden Aspektbewußtsein vereinbaren lassen müßte. 91 Vgl. auch oben pp. 31-32 und 38. 9 2 P O L L A K 6 0 , p. 3 0 - 1 0 1 ; ferner verdienen besondere Erwähnung der Forschungsbericht bei D I E T R I C H 55, p. 24-48, sowie die inzwischen allerdings schon zu weit zurückliegende Dissertation HOT.T.MANN 3 7 . 93

Cf. BALDINGEB 5 7 .

49 4

Heger, Begriffskategorien

einem Tempus getragenen Bedeutungskategorie zuerst in denjenigen Einzelphilologien gestellt wurde, deren Untersuchungsgegenstand sich einer restlosen Erklärung mit Hilfe nur der Zeitstufen am meisten widersetzte. In den reinen „Zeitstufen-Sprachen" - zu denen sich mit einigen Kunstgriffen das Latein und die meisten modernen romanischen und germanischen Sprachen zurechtbiegen lassen - einerseits und in den reinen „Aspekt-Sprachen" wie den semitischen andererseits kann man recht gut mit dem einen Terminus Tempus für die in Frage stehende formale Kategorie auskommen. Nicht mit einer solchen Vereinheitlichung auszukommen war hingegen in der Gräzistik, die sich seit Dionysios Thrax mit der verschiedenartigen Bedeutungsweise der „Tempora" auseinandersetzt, und in der Slavistik, in der als erster der um 1600 lebende tschechische Grammatiker Benedikt Vavfinec von Nudozer sich mit dem Aspektsystem seiner Muttersprache beschäftigt 94 . Zu einer „fruchtbaren Begegnung" beider Disziplinen kam es in den Arbeiten des Gräzisten G.Curtius um 1850, und von hier aus dringt der slavische Terminus vid resp. seine Übersetzungen in die vergleichende Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jhdts. ein. Im deutschen Sprachgebiet wird er zunächst als Aktionsart übernommen95 und vereinzelt in dieser Form auch später noch undifferenziert für Aspekte und Aktionsarten gebraucht9®. Im französischen Sprachgebiet war schon seit der von Ch.Ph.Reiff 1829/30 publizierten Übersetzung der russischen Grammatik von Grec der Terminus aspect als Übersetzung von vid bekannt. Insbesondere durch die Arbeiten von D.Barbelenet, A.Meillet, J.Vendryes und F.Brunot dringt er nun in die linguistische Standardterminologie ein und wird schließlich, undifferenziert in Bezug auf Aspekte und Aktionsarten, durch die Aufnahme in J.Marouzeaus terminologisches Lexikon97 kanonisiert. Von da an ist sein Gebrauch in allgemeinen grammatischen Werken nicht nur in Frankreich, sondern auch in den übrigen romanischen Ländern und in dem englischen Sprachgebiet eine Selbstverständlichkeit98.

94

Vgl. hierzu u n d z u m folgenden POLLAJK 60, p. 3 0 - 3 3 .

95

So vor allem in den Arbeiten von Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg und Wilhelm Meyer-Lübke. " In der Romanistik vor allem bei HANCKEL 30 und in den Arbeiten von Karl von Ettmayer. 97

C f . MAROUZEAD 3 3 , p . 3 4 .

98

So z.B. neuerdings bei IMBS 60: „Lorsque, au lieu de la place qu'il occupe par rapport au repöre temporel choisi, on considere le proces sous V angle de son döroulement interne, on est en pr6sence de la catögorie de V aspect. L'aspect est une des qualitös inhärentes au proces. II est ötroitement Ιχέ & la catögorie du temps, sans pourtant se confondre avec lui: se situant sur la meme ligne progressive que les divisions du temps verbal, il n'inclut pourtant pas la notion de repere, essentielle a celles-ci" (p. 15); vgl. hierzu unsere B e s p r e c h u n g p. 5 6 0 - 5 6 1 .

50

Mit der Unterscheidung von Tempus und vid und mit diesem Terminus bzw. seinen Übersetzungen hatte die Slavistik den übrigen philologischen Fachrichtungen aber auch die ihrem Formensystem inhärente G-leichsetzung von Aspekt und Aktionsart beschert". Als dann auch noch mit dem berühmt gewordenen „falschen Beispiel" Leskiens100 eine unmittelbare Identifizierung der Oppositionspaare imperfektiv / perfektiv und durativ / punktuell möglich schien, wurden die Unstimmigkeiten so groß, daß man begann, zwischen verschiedenen Arten von Aktionsarten oder Aspekten101, zwischen Aktionsarten und Zeitcharakteren102 und dergleichen mehr zu unterscheiden103. Für die terminologiegeschichtliche Entwicklung im deutschsprachigen Bereich am wichtigsten erwies sich dabei die Unterscheidung zwischen Aspekten (imperfektiv / perfektiv) und Aktionsarten, die erstmals von S. Agrell104 vorgeschlagen und später insbesondere von der Indogermanistik ausgebaut und angewandt wurde106. Cf. oben p. 35, bes. Anm. 69. In seiner Grammatik der altbulgarischen Sprache hatte A. Leskien die slavische Opposition imperfektiv / perfektiv dadurch verständlich zu machen gesucht, daß er die Wortpaare poln. gonii / dogoniö, russ. RHATT / ,ΙΙ,ΟΓΜΤΒ mit ihrer deutschen Übersetzung jagen / erjagen konfrontierte. Dies ist zwar richtig, aber unvollständig; dem d. jagen entspricht das Wortpaar poln. gonic (imperfektiv) / pogoni6 (perfektiv), russ. raaTt ( I ) / ΠΟΓΜΤΒ ( Ρ ) , dem d. erjagen hingegen das Wortpaar poln. dogoniac (i) / dogoniö (p), russ. ΑΟΓΟΗΗΤΒ (i) /flornaTi.(p). Zur Diskussion um dieses „falsche Beispiel" vgl. besonders K O S C H M I E D E R 2 9 , p. 2 9 - 3 2 , und P O L L A K 6 0 , p. 3 4 - 3 7 ; cf. auch unten Anm. 163. - Gelegentlich findet sich der Typ der Leskienschen Gleichsetzung in neuen Formen wieder, so etwa bei MALINE 68: „ A partir de la notion d'inachevi, l'imperfectif arrive a un sens de de conatu, par opposition au resultat atteint dans le perfectif. Ainsi ,trouver' sera le perfectif de ,chercher', les verbes ,chasser' ou ,pecher' signifieront plus exactement a l'imperfectif ,essayer d'attraper un animal ou im poisson' — le perfectif seulement aura la valeur d',attraper', pour de bon" (p. 873). 101 So z.B. in den Arbeiten von B.Trnka. 102 So z.B. in den Arbeiten von M.Deutschbein, cf. unten p. 54-56. 103 Besondere Erwähnimg verdient hier die bezeichnenderweise aus der Semitistik (cf. oben p. 34, bes. Anm. 66) kommende Warnung, „un point important est que l'inaccompli ne doit pas etre pris pour un duratif" (COHEN 24, p. 13). 99

100

1M

AGRELL 08.

In erster Linie sind hier die Versuche zu nennen, die Unterscheidung zwischen Aspekt und Aktionsart mit der Opposition subjektiv / objektiv (cf. oben Anm. 30) zu begründen und für die die Arbeiten von H.Jacobsohn und E.Hermann richtungweisend waren. Unter den weiteren an diesem Stadium der Diskussion beteiligten Forschern hat besonders W. Porzig immer wieder den Unterschied zwischen Aspekten und Aktionsarten betont. Dank seinem Einiluß ist diese Gegenüberstellung auch in der Romanistik bekannt geworden, vor allem durch die Arbeit von SCHOSSIG 36, bei dem sie jedoch in der praktischen Anwendung für eine semasiologisch ausgerichtete Untersuchung wieder völlig verwischt wird. Große Überzeugungskraft konnte die 106

51 4*

Es ergab sich dabei genau die Situation, die gemäß dem oben Anm. 70 Gesagten früher oder später eintreten mußte. Man erkannte zwar die Notwendigkeit einer Differenzierung, war aber auf Grund der formalen Gegebenheiten der indogermanischen Sprachen nicht dazu in der Lage, auf dem üblichen semasiologischenWege eine überzeugende Begründung für sie zu liefern. Mögliche Hilfe hätte hier von der Semitistik kommen können, und vor allem in der grundlegenden Arbeit von Marcel Cohen fehlte es auch nicht an entsprechenden Hinweisen (cf. oben Anm. 103). Da jedoch die semitischen Sprachen ihrerseits in ihrem Formensystem die Unterschiede zwischen Aspekt und Zeitstufe und zwischen Aktionsart und Rektion oder Diathese zu ignorieren scheinen, setzte sich die Ansicht durch, die in Frage kommenden sprachlichen Systeme seien zu verschieden, um überhaupt Vergleiche zuzulassen. Mit dieser Situation waren drei mögliche Wege für die weitere Behandlung des Problems von Aspekt und Aktionsart vorgezeichnet. Entweder zog man die Konsequenz aus den Polysemien der indogermanischen Konjugationssysteme und versuchte, von der begrifflichen Seite her zu einer Klärung zu gelangen, oder man beschränkte sich — aus prinzipiellen Gründen wie der formale Strukturalismus, oder einfach aus alter Gewohnheit - weiterhin auf semasiologische Interpretationen. In diesem zweiten Falle konnte man entweder die einmal vorhandene Unterscheidung je nach den Gegebenheiten der untersuchten Sprache anwenden und so zu Aspekten und Aktionsarten gelangen, die von Sprache zu Sprache jeweils etwas anderes sind, oder aber man tat konsequenterweise ihre Unterscheidung als ein Phantom ab, das zwar bei einigen Sprachwissenschaftlern, aber in keiner Sprache existierte. Den einzigen folgerichtig durchgeführten Versuch, das Aspektproblem von der begrifflichen Seite her anzugehen, hat E.Koschmieder unternommen10®. Seine Arbeiten sind zwar in erster Linie slavistischen Problemen gewidmet, seine Aspekttheorie stellt aber den Anspruch, allgemein gültig und anwendbar zu sein107. Mit einem solchen Anspruch mußte das Arbeit von Schossig daher nicht ausstrahlen, zumal die deutsche Romanistik zu dieser Zeit unter dem Einfluß Croces und Voßlers an eine wesensmäßig zu anders geartete Weise der Behandlung morphologischer und syntaktischer Fragen gewöhnt war (cf. besonders die Arbeiten von E.Lorck, B.Lerch und E.Winkler). 104 Cf. oben Anm. 23. - Vgl. im einzelnen K O S C H M I E D E R 27, K O S C H M I E D E R 28, K O S C H M I E D E R 34 und vor allem KOSCHMTEDER 29. 107 So Z . B . K O S C H M I E D E R 29, p. 17: „Bevor wir weitergehen, wird es nötig sein, die wesentlichen Seiten des Zeitbezugs noch einmal begrifflich — nicht grammatisch — an einem Beispiele zu erläutern. Das Grammatische nämlich muß vorläufig gemieden werden, da wir uns erst im nächsten Kapitel mit der prinzipiellen Frage des grammatischen Auedrucks der bis jetzt logisch dargestellten Kategorien zu beschäftigen haben." Anschließend exemplifiziert

52

Hauptwerk über „Zeitbezug und Sprache" eine grundsätzliche Diskussion hervorrufen108. In ihrem Vordergrund stand zunächst weniger der begriffliche Ausgangspunkt als solcher109 als vielmehr seine Ausführung in der Form des sogenannten Zeitrichtungsbezugs110. Dieser Zeitrichtungsbezug allerdings erweist sich theoretisch wegen der vorausgesetzten Bewegung in der Zeit (oder Bewegung der Zeit) als unzureichendes Fundament eines universell brauchbaren begrifflichen Systems und entpuppt sich überdies bei näherem Hinsehen als Konstruktion, die primär zu dem Zweck erstellt wurde, gewisse Besonderheiten der formalen Systeme der slavischen Sprachen zu erklären111. Sein Anspruch, allgemein gültig und auch auf andere als slavische Sprachen sinnvoll anwendbar zu sein, mußte infolgedessen auf berechtigten Widerspruch stoßen. Während die Arbeiten Koschmieders in der Romanistik unbeachtet blieben112, wurden sie in der Anglistik vor allem durch die Dissertation von E.Hollmann113 bekannt und führten dort als Alternative zu den von Koschmieder seine Theorie nicht n u r a n slavischen, sondern auch a n deutschen, englischen, lateinischen, griechischen, akkadischen und hebräischen Beispielen. LOS VGL. v o r allem D E B R U N N E R 3 0 , H E R M A N N 3 3 , K O S C H M I E D E R 3 5 und HERMANN 36. loe

Hieran haben vor allem SCHOSSIG 3 6 („Die Koschmiedersche Abhandlung veranlaßt uns zu folgendem grundsätzlichen E i n w a n d : Die These vom Zeitrichtungsbezug ist . . . f ü r das Wesen der Sprache a n sich nicht gültig, k a n n es nicht sein. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil diese Art von denkpsychologischen Überlegungen den eigentlichen Charakter der Sprache nicht zu treffen vermag", p. 1 3 ) u n d P O L L A K 6 0 (cf. oben Anm. 2 3 letzter Absatz) Kritik geübt. Bei beiden scheint uns die a n der zitierten Stelle herausgestellte Verwechslung sprachlicher und sprachwissenschaftlicher (cf. auch oben Anm. 26) Kategorien vorzuliegen. 110 Koschmieder unterscheidet die zwei Zeitrichtungsbezüge Vergangenheit -v Zukunft und Vergangenheit •*- Zukunft, „je nachdem, ob das Ich bei Darstellung seiner Bewußtseinsinhalte eine Parallelität zwischen dem Geschehensverlauf und seinem eigenen Zeitbewußtsein (das die Zukunft als .Vorwärtsrichtung' empfindet) einbezieht oder, die eigene .Bewegung' in der Zeit unbeachtet lassend, die Ereignisse aus der Zukunft auf sich zukommen und in der Vergangenheit verschwinden sieht" (SCHLACHTER 59, p. 39). Grundlage einer solchen Unterscheidung ist die Vorstellung einer „Bewegung in der Zeit", wie Koschmieder a n der oben Anm. 46 zitierten Stelle b e t o n t ; vgl. dort auch unsere Kritik a n dieser Vorstellung u n d damit an der Unterscheidung zweier Zeitrichtungsbezüge im Sinne Koschmieders. Neben den in Anm. 1 0 8 genannten sind hierzu noch die Kritiken bei H O L T 4 3 , p. 9 , u n d R E N I C K E 5 0 , p. 1 7 4 - 1 7 7 (cf. unten Anm. 1 1 7 ) , vor allem aber die bei POLT.AK 6 0 , p. 6 5 - 6 8 , zu nennen. 111 Besonders deutlich wird dies a n der Koschmiederschen Auffassung von der Gegenwart, die nach ihm per deflnitionem keine Verbindung m i t dem perfektiven Aspekt eingehen k a n n (vgl. hierzu oben Anm. 49 und 78). 112 Außer bei SCHOSSIG 36 und P O L L A K 60, cf. oben Anm. 109. 113

HOLLMANN 37.

53

Μ. Deutschbein114 entwickelten Ansichten zu einer ausführlichen Auseinandersetzung. Aus den Arbeiten von H.Jacobsohn, E.Hermann und W. Porzig hatte Deutschbein die Unterscheidung von Aktionsarten und Aspekten übernommen. Er fügte ihr einerseits die weitere Trennung zwischen Aktionsart und Zeitcharakter115 hinzu und revolutionierte sie andererseits durch eine Dreiteilung der Aspekte, mit der diese in Wirklichkeit den differenzierten Zeitstufen gleichgesetzt werden116. Mit seiner auf rein semasiologischemWeg aus dem Englischen und Deutschen deduzierten Theorie ist Deutschbein ein typischer und gleichzeitig einer der wichtigsten Vertreter des zweiten der aufgezeigten drei Lösungsversuche. Die Diskussion um das Gegeneinander seiner und der Koschmiederschen I N Vgl. besonders D E U T S C H B E I N 17, D E U T S C H B E I N 39 und die Grammatik der englischen Sprache; vgl. auch die Darstellung bei D I E T R I C H 55, p. 38-48. 115 D E U T S C H B E I N 39: „Aspekte, Aktionsarten und Tempora sind also Mittel des Gefüges der menschlichen Bede; hingegen gehört der Zeitcharakter eines Wortes, streng genommen, der Bedeutungslehre a n . . . Wir unterscheiden dem Zeitcharakter nach ,durative und nichtdurative Verben'" (p. 135). Schon hieran zeigt sich deutlich die semasiologische Herkunft dieser Theorien; f ü r begriffliche Kategorien ist die Frage ihrer Bezeichnungsweise irrelevant (cf. oben A i m . 24). Auch die Unterteilungen der Aktionsarten basieren ausschließlich auf semasiologischen Deutungen und erscheinen in ihren Zusammenstellungen wie der auf einen Nenner gebrachten Reihe ingressiv / progressiv / egressiv / resultativ (ibd. p. 139) als rein zufällige Gruppierungen. 118 Auch hierin sind Deutschbeins Theorien auf semasiologischem Wege deduziert: „Bs herrscht Übereinstimmung, daß es grundsätzlich nur zwei Aspekte gibt: einen perfektiven und imperfektiven Aspekt (allerdings wird sich im Laufe unserer Ausführungen eine Dreizahl von Aspekten, wenigstens f ü r das Neuenglische, ergeben)" ( D E U T S C H B E I N 39, p. 129). Im einzelnen sieht diese Herleitung folgendermaßen aus: „ F ü r das Ne. Sprachempfinden ist das Bewußtwerden eines Prozesses der Gegenwart nicht bloß im imperfektiven und perfektiven Aspekt möglich, sondern es besteht noch eine dritte Auffassung, die sprachlich durch die Formel: ,1 am going to write' ausgedrückt wird. Diese Formel t r i t t neben den beiden anderen in eine geschlossene Reihe, z.B. ,1 do not know what has happened, what is happening, what is going to happen'. Bs ergibt sich f ü r uns also eine dreifache Aspektmöglichkeit, f ü r die ich die Bezeichnung: prospektiver Aspekt, introspektiver Aspekt und retrospektiver Aspekt vorschlagen möchte; vgl. dagegen die Zeitabstufung (Tempora): Even now there is no certainty what i t . . . m e a n t when given, what it m e a n s to-day, or what it w i l l m e a n to-morrow..." (ibd. p. 145-146). Wie der implizierte Ausgangspunkt einer Gleichsetzung der Formen I am writing / I have written mit der Aspektopposition imperfektiv / perfektiv m i t welcher der in den Dreißigerjahren vorgeschlagenen Aspekttheorien auch immer in Einklang gebracht werden soll, ist unklar. Was das Ergebnis in Wirklichkeit darstellt, h a t Deutschbein wesentlich besser gesehen, als es seiner Terminologie nach den Anschein h a t : im Anschluß an die zuletzt zitierte Stelle stellt er seinen prospektiven, introspektiven und retrospektiven Aspekt m i t Nachgegenwart, Mitgegenwart und Vorgegenwart gleich. Seine Opposition Zeitabstufung / Aspekt entspricht damit genau dem, was wir oben in Kap. II, 1 als einfache und differenzierte Zeitstufen unterschieden haben.

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Theorie wurde vor allem in den Arbeiten von H. Renicke117, W. Azzalino11S, J.Raith119, G.Dietrich120 und W.Schlachter121 geführt. 117 R E N I C K E 50 t r ä g t u n v e r k e n n b a r apologetischen Charakter u n d ist schon i n seiner Ausgangsposition so s t a r k von Deutschbein abhängig, d a ß er zur Stütze von dessen Theorie k a u m Neues beizubringen im S t a n d e ist. Gegen Koschmieder richtet er die folgende K r i t i k : ,,K. spricht gewissermaßen imm e r als Slawist, notwendig ist aber eine sprachwissenschaftlich-theoretische I d e e v o m Aspekt, die m i t dem B l i c k p u n k t auf die geschwisterlichen Satzkategorien A s p e k t u n d T e m p u s e n t s t a n d e n ist. Koschmieder aber systematisiert u n d generalisiert slawische SprachVerhältnisse, a n s t a t t v o n einer möglicherweise allgemeingültigen Aspekttheorie a n sich zur A n w e n d u n g zu komm e n " (RENICKE 50, p . 175). Der in diesen Worten e n t h a l t e n e Vorwurf scheint u n s entsprechend d e m oben Gesagten n i c h t unberechtigt, n u r m ü ß t e er d a n n gerechterweise in noch höherem A u s m a ß a u c h a n andere Theorien gerichtet w e r d e n ; d a ß ihn ausgerechnet ein Anhänger Deutschbeins erhebt, ist erstaunlich. — Die Abhängigkeit v o n Deutschbein in den hier interessierenden F r a g e n zeigt sich a u c h n o c h bei R E N I C K E 61 u n d R E N I C K E A S P E K T P A A R E 61, gewissermaßen vorläufigen Zusammenfassungen v o n Renickes „langjähriger Beschäftigung m i t d e m so schwierigen wie interessanten P r o b l e m der Aspekte u n d A k t i o n s a r t e n " (RENICKE 61, p . 5). Mit der Verlagerung des Schwergewichts der Darstellung v o m Englischen z u m Neuhochdeutschen u n t e r Beib e h a l t u n g v o n Deutschbeins semasiologischem Prinzip ergibt sich allerdings notwendigerweise eine Verselbständigung, die jedoch vielfach h i n t e r einer b e w u ß t eigenwilligen Terminologie verborgen bleibt. Trotzdem ist n i c h t zu verkennen, d a ß Renicke a u c h hier bei aller prinzipiellen A n e r k e n n u n g der Vorzüge, die eine Unterscheidung zwischen sprachlich-formalen u n d begrifflichen Kategorien in sich birgt, von jener H y p o t h e s e einer I d e n t i t ä t von langue u n d pensSe (cf. oben A n m . 20) ausgeht, die letztlich jeder semasiologischen D e d u k t i o n begrifflicher Kategorien zu Grunde liegt. N u r so l ä ß t sich i n seinem Sinn n a c h „Wesen u n d F u n k t i o n " einer formalen Kategorie fragen, a u c h w e n n m a n die A n t w o r t nicht m e h r von dieser Kategorie selbst, sondern „ n u r a u s d e m größeren Z u s a m m e n h a n g des Textes h e r a u s " e r w a r t e t ( R E N I C K E 61, p . 65), u n d n u r so gelangt m a n — logischerweise - zur A n n a h m e v o n Aspekten, die v o n Sprache zu Sprache jeweils e t w a s anderes sind (vgl. R E N I C K E A S P E K T P A A R E 61, p. 88: „ B e i m d e u t s c h e n Aspekt h a n d e l t es sich u m eine syntaktisch-stilistische Grenzgröße", Sperrung von uns). 118

A Z Z A L I N O 50 basiert ebenfalls auf der Theorie Deutschbeins, unterscheidet sich von diesem aber in einigen seiner Folgerungen: „Die besondere A r t , in der sich der Vorgang darbietet, h e i ß t A k t i o n s a r t . Sie stellt einen objektiven T a t b e s t a n d d a r ; sie ist in d e m T a t b e s t a n d g e g e b e n . . . . Der A s p e k t zeigt die Blickrichtung oder Perspektive an, u n t e r der der Sprechende einen Vorgang sieht oder anblickt. Die Existenz des Aspektes h ä n g t also von der Auffassung des Sprechenden oder des Beobachters a b . Die A k t i o n s a r t h ä n g t n i c h t v o n der Auffassung des Sprechenden oder des Beobachters a b ; sie ist vielmehr in d e m o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d gegeben. Sein subjektiver Charakter m a c h t den A s p e k t zu einem S t i l m i t t e l . . . . Die Aktionsarten gehören wie die T e m p o r a in die S y n t a x , die Aspekte in die S t i l k u n d e " (p. 110). Der Widerspruch zu Deutschbein (cf. oben A n m . 115) ist ein Beweis f ü r die Unmöglichkeit, begriffliche oder a u c h n u r Bedeutungs-Kategorien b e s t i m m t e n linguistischen Fachgebieten zuzuordnen, die d u r c h die formalen Gegebenh e i t e n ihres Untersuchungsgegenstandes abgegrenzt sind (cf. oben A n m . 24).

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- Die Deutschbeinsche Dreiteilung der Aspekte glaubt Azzalino dadurch m i t der herkömmlichen. Zweiteilung kombinieren zu können, daß er den retrospektiven Aspekt mit dem perfektiven gleichsetzt und den prospektiven und introspektiven zu Unterarten des imperfektiven Aspekts deklariert. Das Ergebnis gestaltet sich folgendermaßen: perfektiver Aspekt imperfektiver Aspekt retrospektiv: prospektiver A.: introspektiver A.: Rückschau Vorschau Innenschau, Umschau I have written I am going to write I am writing I wrote I was going to write I was writing Zum mindesten die eigenartige Gleichsetzung von I have written und I wrote als Gegenwart bzw. Vergangenheit ein und desselben Aspekts sowie das Fehlen von I had written zeigen, daß dieses Schema nicht nur mit einer Theorie, die im Aspekt eine bestimmte begriffliche Kategorie erblickt, sondern auch m i t den formalen Strukturverhältnissen des Englischen nur schwer zu vereinbaren sein dürfte. 118 R A I T H 5 1 stellt wohl den wichtigsten Versuch dar, die Theorie Koschmieders auf die Anglistik anzuwenden. Neben der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Aspekt und Aktionsart (die Kosebmieder und Deutschbein gemeinsam ist) betont er vor allem nach dem Vorbild des ersteren die Gegenwartsunfähigkeit des perfektiven Aspekts. Von ihr ausgehend wendet er sich einerseits gegen den Terminus present perfect (p. 13); letzteres ist insofern berechtigt, als diese Form im heutigen Englisch längst nicht mehr unserer Systemstelle Gp* entspricht. Andererseits dient sie ihm zu einer neuen Deutung einiger Verwendungsweisen des einfachen Present tense: „ I n den Sprachen, die den Zeitrichtungsbezug (Aspekt) unterscheiden, ist die Sache [der Ausdruck des zeitlosen Tatbestands] sehr einfach. Da die Gegenwart n u r imperfektiv (aus der Vergangenheit in die Zukunft) bezogen sein kann, bleibt das perfektive Präsens ungenutzt und steht zur Bezeichnimg der zeitlosen Tatbestände zur Verfügung: ,the sun rises in the East and sets in the West'. Wenn wir hier von Präsens sprechen, so ist das nur cum grano salis zu verstehen: das eigentliche Präsens (Gegenwart) ist ,the sun is rising'" (RAITH 61, P. 29). 120 D I E T B I C H 55 ist die selbständigste und wichtigste der hier genannten Arbeiten. Im Rahmen seiner rein semasiologischen Zielsetzung, „einer einheitlichen Grundfunktion" bestimmter englischer Konjugationsformen auf die Spur zu kommen (cf. oben Anm. 20), kann er sich damit begnügen, sowohl Koschmieders als auch Deutschbeins Vorstellungen jeweils dort heranzuziehen, wo sie ihm nützlich erscheinen. Die dabei erzielten Ergebnisse sind in Einzelfallen trotz den supponierten einheitlichen Grundbedeutungen häufig nicht nur f ü r die Anglistik wertvoll und aufschlußreich (cf. oben Anm. 59 und 75). 121 Sern.ACHTER 59 bildet das Gegenstück zu R E N I C K E 50, auf den er ausführlich eingeht (p. 50-63). Auch hier sind die Abhängigkeit des Ausgangspunktes, diesmal von Koschmieder, und der apologetische Charakter der gesamten Arbeit so stark ausgeprägt, daß zur Entwicklung eines eigenen Beitrages kaum Gelegenheit bleibt. Um so auffälliger ist als wesentlicher Unterschied zu Koschmieder das Bekenntnis zu der „unlösbaren Verbindung von Form und Bedeutung" (p. 49), das eine Abkehr von dem Versuch darstellt, das Aspektproblem von der begrifflichen Seite her zu klären (cf. oben Anm. 23). Die Konsequenzen, die sich daraus f ü r die Lehre Koschmieders hätten ergeben müssen, h a t Schlachter nicht gezogen.

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In der Romanistik sind die Theorien Koschmieders und Deutschbeins122 zunächst ohne Einfluß geblieben, und erst in den Fünfzigerjähren finden sich hier wichtige Versuche, den Unterschied zwischen Aspekt und Aktionsart auf semasiologischem Wege zu begründen und gegen den inzwischen vor allem von den verschiedenen strukturalistischen Schulen begangenen dritten Weg einer Identifizierung beider Kategorien zu verteidigen. Hierzu gehören die Einführung des stark an Deutschbeins Aspekte erinnernden Begriffs des stage durch T.B.W.Reid123, E. Gamillschegs Versuch, den Unterschied von Aspekt und Aktionsart durch den von langue und parole zu erklären124, die Anwendung dessen, was eine semasiologische Deutung der slavischen Verhältnisse über diesen Unterschied auszusagen vermag, auf die Romanistik bei G.Ivänescu126 oder 122

Eine Ausnahme bildet C H M E L I Ö E K 30, der sich jedoch nur auf die früheren Arbeiten Deutschbeins berufen und die spätere Ausarbeitung von dessen Theorie noch nicht kennen konnte. 123 Zu ß e i d s primär semasiologischem Vorgehen vgl. oben Anm. 22. Den Begriff des stage definiert er folgendermaßen: ,,The category which has been most frequently misunderstood is t h a t of stage. Here the speaker envisages the process referred to in relation to its own intrinsic development. The process m a y be considered as, in itself, in being (stage of actuality, the normal or neutral member), or as having been (stage of completion), or as about to be (stage of imminence). The category of stage is entirely independent o f t h a t of time, so t h a t a process situated in a given time m a y be assigned to any one of the three stages; . . . For Modern French the three stages are well illustrated b y a sentence quoted from Maurras b y Damourette and Pichon (§ 1767, p. 276): ,L'heure difficile et dangereuse ne va pas sonner, ne sonne pas, elle a d6j& sonnd.' The time is throughout present; the striking of the hour is considered successively a t its stages of imminence, actuality and completion" ( R E I D 55, p. 27). Die Parallelen zu Deutschbeins Aspekten sind evident. 121 G A M X L L S C H B G 57, p. 325, schreibt, „daß die Auffassung eines isolierten Verbums betreffs Verlauf und Entwicklung nicht identisch ist m i t der Auffassung, die das gleiche Verbum im Satzzusammenhang andeuten kann. So steht neben der Aktionsart des isolierten Verbums der Aspekt des in der Bede aktualisierten Verbums; Aktionsart und Aspekt verhalten sich zueinander wie Bedeutung und Meinung beim Einzelwort." Mit dieser Zuordnung des Aspekts auf die Ebene der parole und der Aktionsart auf die der langue werden die beiden als begrifflich letzten Endes doch identisch behandelt; dies erweist sich an Gamillschegs undifferenziertem Gebrauch der Termini perfektivisch und imperfektivisch, so etwa, wenn es an der gleichen Stelle zu dem Beispiel les bombes iclataient heißt, „die Grundbedeutung des Verbums bleibt perfektivisch. I m Imperfekt f ü h r t die Handlung aber in keinen neuen Zustand über. Die Gesamtvorstellung ist also imperfektivisch." 12T I V A N E S C U 57 gehört zu den konsequentesten Vertretern einer Anschauung, die sich aus einer berichtigten Deutung des Leskienschen falschen Beispiels (cf. oben Anm. 100) ableiten ließ: den Aspektgegensatz exemplifiziert die formale Opposition russ. OH ruaji / OH noniaji = poln. gonil / pogonil = fr. il chaeeait / il chaesa, also ist der Aspekt eine grammatische Kategorie; und den Aktionsartengegensatz durativ / punktuell exemplifiziert die for-

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Ε . de Felices Auseinandersetzung mit der Aspekttheorie A. Burgers12®. Einen ausführlichen Überblick über die Arbeiten dieser Jahre vermittelt ein Aufsatz von H.H.Christmann 1 2 7 . Die umfassendste Behandlung hat das Aspekt- und Aktionsartenproblem innerhalb der Romanistik dann durch W.Pollak erfahren, der die Unterscheidung zwischen beiden Kategorien an zahlreichen Einzelinterpretationen exemplifiziert. Was bei ihm jedoch fehlt - und angesichts seiner semasiologischen Grundausrichtung 128 fehlen muß - , ist eine überzeugende theoretische Begründung dafür, daß er in einem Fall von Aspekt und in einem anderen Fall von Aktionsart spricht. Seine hierfür gegebene Erklärung ist von der gleichen slavistischen Herkunft bestimmt, wie sie sich etwa auch bei Ivänescu beobachten läßt 129 . Den dritten der p. 52 aufgezeigten möglichen Wege haben, wie schon erwähnt, in erster Linie die Arbeiten der verschiedenen strukturalistischen male Opposition russ. niaTi, (ΠΟΓΜΤΒ) / ^ΟΓΟΗΗΤΙ. (ßorHaTt) = poln. goniö (pogonic) / dogonia6 (dogonii) = d. jagen I erjagen = fr. chaeser / attraper, also ist die Aktionsart eine lexikalische Kategorie: „ . . . ,dur£e de Taction', ,Aktionsdauer'. Ce que l'on doit entendre par cette expression, c'est le caractöre duratif, momentane et unique ou iteratif de Taction verbale, done des sens purement lexicaux, exprim6s au moyen de thfemes distinets. . . . La duree de Taction est totalement differente de l'aspect verbal, qui comprend seulement le degrä de realisation, d'accomplissement, de Taction... De toutes ces categories de faits, seule celle que nous d^signons du nom d'aspect verbal entre dans le domaine de la grammaire, car eile seule a une expression verbale; les autres appartiennent au domaine de la lexicologie, n'ayant qu'une expression lexicale" (IVANESCU 57, p. 29); vgl. auch oben Anm. 24. 128 DE FELICE 57, bes. p. 1 - 9 ; da es de Felice um eine Deutung altfranzösischer Konjugationsformen geht, kann er sich - ähnlich wie in einem entsprechenden Fall DIETBICH 55, cf. oben Anm. 120 - mit der Heranziehung dessen, was ihm nützlich erscheint, begnügen und auf eine eigene Aspekttheorie verzichten. 127 CHRISTMANN 59 geht vor allem auf die Arbeiten von Dietrich (cf. Anm. 120), Deutschbein (cf. p. 54-50), Burger (cf. Anm. 132), Beid (cf. Anm. 123) und de Feiice (cf. Anm. 126) ein. 128 Diese Grundhaltung findet beispielsweise auch in dem Einwand gegen Koschmieders „Apriorismus" ihren Ausdruck, vgl. oben -Anm. 23 und 109. 129 „Aspektforschung in diesem Sinne ist ein eminent syntaktisches Anliegen auf morphologischer Basis und kommt in der grundsätzlichen Sonderung der vorwiegend semantisch-lexikalisch bedingten Aktionsart von den Aspekten als morphologisch-syntaktischen Komplementärbegriffen zum Ausdruck. Von A s p e k t sollte nur dort gesprochen werden, wo gewisse verbale, morphologisch unterschiedene F o r m k a t e g o r i e n , die primär weder modalen, temporalen, numeralen und personalen Differenzierungen, bzw. der Unterscheidung der Genera verbi dienen, in einem p a r a d i g m a t i s c h e n Zusammenhang stehen" (POLLAK 60, p. 203-204). Eine unter diesem Gesichtspunkt an den indogermanischen Sprachen durchgeführte Analyse kann per definitionem zu keiner Begründung für die Unterscheidung von Aspekt und Aktionsart gelangen, cf. oben Anm. 70. 58

Schulen beschritten. Tatsächlich ist es nur konsequent, wenn eine auf die formalen Strukturen gegebener Einzelsprachen ausgerichtete Forschungsmethode aus der in den indogermanischen Sprachen zumeist nicht vorhandenen formalen Differenzierung die Berechtigung ableitet, die Unterscheidung von Aspekt und Aktionsart überhaupt abzulehnen. Wesentlich erstaunlicher als diese Ablehnimg scheint uns die Tatsache, daß man in strukturalistischen Arbeiten überhaupt einen so umstrittenen Terminus wie den Aspekt antrifft, während man es doch mit einer im Grunde völlig willkürlichen Terminologie130 zu tun zu haben glaubt, die im Gegensatz zu der herkömmlichen grammatikalischen Nomenklatur keinerlei Anspruch auf bedeutungsmäßige Aussagewerte zu erheben vorgibt. Dieser Widerspruch dürfte dadurch zu erklären sein, daß der in strukturalistischen Arbeiten benutzte Terminus Aspekt nicht von der bisher referierten Diskussion beeinflußt ist, sondern lediglich ein Ergebnis der Kanonisierung des vor-Agrellschen Aspekts durch Marouzeau darstellt und in einem entsprechend allgemeinen Sinn verstanden werden muß. Damit könnte es scheinen, als erübrige sich ein weiteres Eingehen auf den strukturalistischen Aspektbegriff im Rahmen einer Übersicht, deren Zweck in der Abhebung unserer eigenen Anschauung von Aspekt und Aktionsart besteht. In Wirklichkeit ist jedoch „Strukturalismus" eine Sammelbezeichnung, unter der recht verschiedene Ansichten und Methoden zusammengefaßt zu werden pflegen. Eine kurze Darstellung der wichtigsten Arbeiten über den wie auch immer verstandenen Aspekt ist daher auch hier angebracht. Zunächst sind zwei Beiträge aus der Genfer Schule zu nennen, die eine Art semantischen Strukturalismus vertreten und ihre Strukturformeln nicht auf die formalen sprachlichen Gegebenheiten, sondern auf deren psychologische Interpretation gründen. Es ist dies einmal der Versuch A. Burgers, für das klassische und nachklassische Latein eine aspektuale Dreiteilung nachzuweisen, um die auf Grund von Vergleichen mit dem Griechischen seit der Antike postulierte Doppelfunktion des Perfectums131 unterbringen zu können. Im Unterschied zu der Deutschbeinschen Dreiteilung ist diejenige Burgers ein heterogenes Gemenge von aspektualen Vgl. beispielsweise SOBENSEN 49, p. 18-19: „ S u i v a n t la möthode que nous adoptons ici, celle de la linguistique structurale, on ne peut entreprendre aucun etablissement de categories ni de subdivision ä, l'intörieur de la categorie en se fondant sur le sens du contenu, mais uniquement en se basant sur des fonctions. . . . Consid^ree du point de vue purement structural, la denomination des objets linguistiques est, comme nous le dömontrcrons plus tard, parfaitement arbitraire. Si l'on adopte ce point de vue, on peut naturellement, pour des buts pratiques, se servir aussi bien des denominations traditionuelles que d'autres denominations." 1 8 1 Cf. unten p. 75-77. 130

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auf der einen und Zeitstufen-Oppositionen auf der anderen Seite132. Sodann ist die Arbeit von F.Kahn zu erwähnen, die noch stärker als diejenige Burgers einen semantischen Strukturalismus vertritt und in der Behandlung der Zeitstufen sogar dem begrifflichen Ausgangspunkt nahekommt, wie ihn W.E. Bull bietet133. In der Behandlung der Aspekte jedoch beschränkt sich Kahn auf die Übernahme einer rein empirischen Aufzählung möglicher Kategorien von H.Frei 134 , und den aspektualen Gegensatz (il) a chantd / (ü) chantait136 umgeht er durch die Bezeichnungen passd und prdsent par rapport au passd139. Als wichtigster Vertreter der Kopenhagener Schule pflegt im Bereich der Aspektstudien die im wesentlichen auf Untersuchungen am Griechischen basierende Arbeit von J.Holt zitiert zu werden. Neben seiner funktionalen benutzt Holt jedoch noch eine zweite, im Grunde genommen begriffliche Aspektdefinition137. Ist eine solche Doppeldefinition nach völlig verschiedenen Kriterien schon ein bedenkliches Unterfangen, so wird darüberhinaus derWert der Holtschen These dadurch beeinträchtigt, daß seine zweite Aspektdefinition die Forschung wieder auf den Stand vor S. Agrell zurückzuwerfen droht. Seine Festlegung der Aspektopposi132 B U R G E R 4 9 unterscheidet einen unvollendeten oder parallelen (videbat), einen narrativen oder prospektiven (vidit) und einen vollendeten oder retrospektiven Aspekt (viderat). Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als entspräche diese Dreiteilung dem, was sich in unserem kombinierten ZeitstufenAspekt-Schema als Nebeneinander der Kombinationstypen Xi, X p n l und X p x ergeben hat. Daß Burger sein System nicht so versteht, zeigt der Vergleich, mit dem er die Termini parallel, prospektiv und retrospektiv einführt: „Prenons l'image d'un bateau remontant le cours d'une riviöre; le passager peut regarder ce qui se passe de trois points de vue: parall&ement ä la marche du bateau, il voit se d^rouler sous ses yeux le paysage comme u n tableau mouvant: aspect paralläle; de la proue, il voit surgir devant lui successivement les objets, u n arbre, une maison, un p o n t : aspect prospectif; de la poupe, il voit le panorama immobile de ce qu'il a laissö derriöre lui: aspect retrospectif" (p. 31). Zu der entfernten Ähnlichkeit mit Deutschbein vgl. auch CHRISTMANN 59, p. 4. — Vgl. auch unten Anm. 195 zu der Futurdeutung Burgers. 133

V g l . d a s S c h e m a K A H N 54, p . 125. Z u BULL 6 0 v g l . b e s . A n m . 11, 47,

48 u n d 57. 134 KAHN 54, p. 50-51, unterscheidet mit Frei bei den Aspekten zwischen temps parcouru (ingressiv, kursiv, terminativ), tempe mesurS (momentan, durativ) und temps nombre (singulativ, iterativ-frequentativ, iterativ-alternativ). 136 Das Pass0 simple kommt in der von Kahn untersuchten Umgangssprache nicht vor. 136 Cf. unten p. 102. 137 HOLT 43, p. 81: ,,ΟΗ peut döflnir L'aspect comme une categorie de morphemes verbaux fondamentaux qui präsente la direction homonexuelle. P a r cette fonction eile est s^par^e de la categorie du temps qui präsente la direction homonexuelle et la direction heteronexuelle ä la fois. La categorie de

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tion auf die Bezeichnung von terrne oder non terrne des Vorgangs ist in neuer Formulierung nichts anderes als die alte, an Leskiens falschem Beispiel illustrierte Gleichsetzung von imperfektiv und durativ bzw. perfektiv und punktuell. Auch sieht sich Holt entsprechend seiner Doppeldefinition veranlaßt, zwischen verschiedenen Aspektarten zu trennen je nach dem, ob der Aspekt durch lexikalische, morphologische oder syntaktische Mittel bezeichnet wird138. Ein solches Ergebnis ist in onomasiologischer Sicht selbstverständlich, in semasiologischer Sicht hingegen und erst recht im Sinne des Strukturalismus - scheint es uns die Berechtigung zur Benutzung des einheitlichen Terminus Aspekt für formal völlig verschiedene Kategorien doch sehr in Frage zu stellen. Wesentlich konsequenter als Holt legt K.Togeby in seinen speziell die Romanistik betreffenden Arbeiten die formalen Gegebenheiten der untersuchten Sprachen seinen Aspektdefinitionen zu Grunde138 a . Es ist selbstverständlich, daß eine solche Art der Aspektdeutung auf jeden Versuch, eine universell gültige Definition zu erreichen, verzichten und sich mit Aufzählungen, welche Sprachen wie viele und welche Aspekte besitzen139, begnügen muß. Für das Französische und das Spanische ergibt sich dabei auf Grund formaler140 und funktionaler141 Argumente ein Schema, das neben einem l'aspect exprime le t e r m e ou le non t e r m e d u proems. S'il s'agit de l'aspect m o r p h & n a t i q u e , le t e r m e est οοηςτι com m e röel, si nous sommes en presence d ' u n aspect th&natique, celui-ci d&igne u n t e r m e virtuel. P a r u n proces sans t e r m e on indique une action qui est en m o u v e m e n t vers son terme, le proems avec son t e r m e döaigne u n e action qui est ωτχνέβ ä ce point et qui s'en i l o i g n e . . . " — Zu der B e h a n d l u n g des Zeitstufenproblems bei H o l t vgl. oben .Anm. 48. 138 HOLT 43, p . 74: „ . . . il existe plusieurs esp6ces d'aspect, ä, savoir l'aspect flexionnel, l'aspect dörivatif, l'aspect radical et l'aspect s y n t a g m a t i q u e . iss» E i n e n deutlichen Ausdruck findet die asemantische Ausrichtung seiner A r b e i t e n in Togebys E i n w a n d gegen POLLAK 60: „ S i v r a i m e n t on v e u t faire progresser l'ötude d u passö difini e t de r i m p a r f a i t en fran^ais, il f a u t aller plus loin d a n s la voie de Μ. Pollak, ou p l u t ö t il f a u t s'engager p o u r de bon d a n s la voie qu'il n ' a f a i t qu'indiquer, en se libörant entterement de l'emprise de la s&nantique pour s'en tenir exclusivement a u comportement des formes v e r b a l e s " (TOGEBY POLLAK 61, p . 167). V g l . a u c h A n m . 19.

139 TOGEBY 51, p. 174: „ D a n s d ' a u t r e s langues on t r o u v e des systemes aapectuels dififörents. E n latin il y a 2 aspects: l ' i n f e c t u m e t le perfectum. E n grec il y a en outre i m aspect n e u t r e qui, selon M. H o l t , ne f a i t pas p a r t i e d u systäme temporel: l'aoriste. L e t a o s semble possöder u n systöme identique ä celui d u fran^ais. E n hopi il n ' y a p a s moins de 7 aspects (y en a-t-il qui sont dörivatifs?): ponctuel, duratif, ingressif, progressionnel, projectif, spatial, continuatif. E n anglais le partieipe seul präsente u n e flexion d ' a s p e c t : la forme e n -ing e t le partieipe pass£ y expriment des nuances correspondent k Celles de l'aspect p u r e m e n t verbal d ' a u t r e s langues." 140 TOGEBY 51, p . 1 7 3 - 1 7 4 : , , L e s y s t e m e a s p e c t u e l q u i Η ' e x i s t e qu'Ä. L'in-

dicatif comprend 3 formes t o u j o u r s n e t t e m e n t distinetes: 1. l'aepect imperfectif ( r i m p a r f a i t et le conditionnel) d o n t les desinences s o n t -ais, -aie, -ait,

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aspektual neutralen Präsens die Gleichung (il) chanta : (il) chantera = (il) chantait: (il) chanterait zum Inhalt hat 1 4 2 . Nicht nur die Frage, welches der semantische Wert eines so definierten Aspekts ist, sondern auch die, ob überhaupt ein gemeinsamer semantischer Nenner existiert, bleibt dabei offen. Den durch die Gegebenheiten der untersuchten Sprache diktierten Versuch, die Methoden der Hjelmslev-Schule mit der Berücksichtigung des Bereichs der Bedeutungen auszusöhnen, unternimmt H.Ch. Serensen in seiner Aspektstudie zum Slavischen. Er verzichtet auf funktionale Definitionen, da sie zu innerhalb der slavischen Sprachen einander widersprechenden Ergebnissen führen müßten 143 . Ausgehend von den oben Anm. 69 erwähnten Überschneidungen im Bereich der Verbalpräfixe ersetzt er sie durch die Benutzung von Kriterien aus dem Bereich der svhstance, dem Hjelmslevschen Terminus für das, was im vorliegenden Falle Bedeutungen sind 144 . Der Erfolg ist die Übernahme der Agrellschen -ions, -iez, -aient, 2. l'aspect perfectif (le passe defini et le futur) qui se termine au singulier de la 1. conjugaison en -ai, -as, -a (parlai — parierai) mais dont les desinences sont par ailleurs difiterentes, 3. l'aspect neutre (le present) qui n'est pas pourvu de desinences sp^cialement marquees"; und T O G E B Y 5 3 , p. 8: „C'est surtout la distinction entre aspect et temps qui est discutable. Nous venons d'en donner une raison fonctionnelle, qui est l'argument principal [cf. Anm. 141]. Mais il faut dire que cette interpretation trouve un fort appui dans la forme ext^rieure des desinences: le temps futur (le futur et le conditionnel) contient -r par opposition au passe, et, dans la deuxitete et la troisi&me conjugaisons, l'aspect imperfectif (le conditionnel et l'imparfait) a les desinences - ί α . . . " 141 T O G E B Y 5 1 , p. 1 6 2 : le preterit (passe defini ou imparfait) exige l'existence de l'aspect imperfectif (l'imparfait ou le conditionnel (ou bien encore le present neutre)) dans une proposition completive ou une proposition interrogative suivante: Le chäteau bräla, mais: II me raconta que le chdieau brülait, et: II vieridra demain, mais: II me raconta qu'il viendrait le lendemain"; und T O G E B Y 53, p. 8 : „A l'interieur de la serie de 5 elements [-aw, -areia, -ariais, -asteis, -abais}, -ariais et -abais sont d'un emploi constant apr£s un verbum sentiendi et declarandi au passe, ce qui nous fait en reconnaitre l'eiement aspectuel." 142 Cf. oben Anm. 73; diese Gleichung wird uns noch des öfteren wieder begegnen, cf. unten Anm. 150, Anm. 195, p. 94, p. 102 und p. 163. 14S S O R E N S E N 49, p. 4 9 : l'etablissement des categories sur la base de la selection nexuelle nous conduit a determiner aspect et temps en vieux slave comme deux categories differentes, alors que dans certaines autres langues slaves, lis ne forment qu'une seule categorie. Le resultat parait peu satisfaisant k qui s'est donn6 pour but d'arriver ä. la description la plus simple de cette matiöre en slave. Car bien que dans les langues slaves ou elles ont la meme direction nexuelle on puisse s^parer les deux categories en se basant sur la theorie des dimensions de categorie etablie par M.Hjelmslev..., il parait cependant decevant d'etre oblige de s'appuyer sur des bases differentes pour etablir les categories par exemple en vieux slave et en serbo-croate." 144 S O R E N S E N 4 9 , p. 1 0 0 : „Mais si la linguistique structurale doit eviter 62

Unterscheidung von Aspekt und Aktionsart, allerdings mit der Einschränkung, daß es für Sarensen ausschließlich um Bedeutungen geht, während bei Agrell und seinen Nachfolgern implizit dauernd Gleichsetzungen von Bedeutungs- und Begriffskategorien erfolgten 146 . Dennoch ist es kaum ein Zufall, daß der Anstoß zu der in strukturalistischer Sicht erfolgten Differenzierung ebenso wie der zu der vierzig Jahre zuvor in „traditioneller" Sicht unternommenen von der Slavistik ausgegangen ist. Mit dieser traditionellen Sicht verbinden den Weg Sorensens nun aber nicht nur die Tatsache, d a ß er zwischen Aspekt und Aktionsart unterscheidet, und das w a r u m dieser Unterscheidung, sondern auch die imbefriedigende Antwort auf die Frage, was letzten Endes die substance oder der contenu des Aspekts sei. Trotz allen Fortschritten gegenüber Holt trifft dieser Vorwurf auch für die Form zu, in der Serenaen dessen bedeutungsmäßige - und von da her letztlich doch begriffliche - Aspektdefinition übernimmt 146 . toute tentative de baser une thöorie linguistique uniquement sur une analyse de la substance, ceci ne signifie pourtant pas qu'elle doive όviter un examen et une description des substances constituees dans les formes de contenu et les formes d'expression comme ne l'interessant pas." 1 4 5 S C R E N S E N 49, p. 38: „Oes quelques remarques d&nontrent que la voie suivie par Agrell dans la description des rapports des prefixes, η'est pas praticable d'un point de vue de linguistique structurale. Rien n'empeche que l'on parte du contenu linguistique, mais il faut effectuer la description sur la base de l'ipreuve de commutation, de fa^on ä etablir des formes de contenu et non des sens de contenu." 1 4 6 S O R B N S E N 49, p. 110: „Que la notion de limite soit un Element constitutif decisif de la zone sömantique des categories d'aspect, nous parait indiscutable. Cette opinion est sans doute preferable k l'idie fort röpandue qu'il s'agit de notions telles que ponctualite ou momentaneite, puisque les verbes perfectifs peuvent tr£s bien designer une action de duree relativement longue" und p. 118: „Le resultat de cet examen est done pour le moment que la notion de limite entre comme element dans ce contenu, mais dans tous les cas, il s'agit pour les verbes perfectifs d'une limite ä l'une er k l'autre extremite ou de tous les cötes". Unter Heranziehung der üblichen, auch von Siarensen benutzten graphischen Metaphern heißt dies, daß für ihn · -*—·, • -»-— und ->—· zum perfektiven Aspekt gehören und einzig und allein -*•— den imperfektiven repräsentiert (vgl. hierzu unsere Anwendimg dieser Metaphern zur Aktionsartendarstellung oben p. 17). Zwar vermeidet er damit tatsächlich die nicht nur am meisten störende Gleichsetzung von perfektiv und punktuell im Sinne von ·. Wo aber, um bei Leskiens bewährtem Irrtum zu bleiben, der Unterschied zwischen diesen Aspekten und beispielsweise der deutschen Opposition jagen (-»•—) j erjagen (-»-—) liegen soll, bleibt verborgen. Geändert gegenüber früher hat sich nur die Verteilung von punktuell, egressiv, ingressiv und durativ auf die Aspektopposition, die implizite Gleichsetzung von Aspekt und Aktionsart ist die alte geblieben. — Für slavistische Fragen im Speziellen, aber auch allgemein von Interesse ist die in diesem Zusammenhang erfolgende Auseinandersetzung Serensens mit der Theorie B. Koschmieders. Dessen begrifflicher Ausgangspunkt und die damit gegebene 63

Im Prinzip den gleichen Versuch einer Aussöhnung strukturalistischer Methoden im Sinne der Kopenhagener Schule mit der Berücksichtigung des Bereichs der Bedeutungen unternimmt der vor allem von E.Alarcos Llorach und M. Sanchez Ruip6rez getragene spanische Strukturalismus147. Ähnlich wie bei Serensen führt dieser Versuch auch hier zu einer Wiederaufnahme der Unterscheidung von Aspekt und Aktionsart in neuem Gewände. Sanchez Ruiperez lehnt sie in dieser Terminologie zwar ab und erblickt in dem, was seit Agrell als Aktionsart bezeichnet wird, lediglich verschiedene Realisationsweisen der Aspekte148 - was für die Bedeutungen der formalen Gegebenheiten des von ihm untersuchten Griechischen auch durchaus zutrifft - ; zur Begründung dieser unterschiedlichen Reaktionsweisen sieht er sich dann aber genötigt, die Unterscheidungen zwischen semantemas transformativos und no-transformativos sowie zwischen semantemas momentdneos und durativos einzuführen149. Im Sinne der Kopenhagener Schule ließe sich dahinter die Gegenüberstellung von morphologisch und lexikalisch bezeichnetem Aspekt erblicken; für die Interpretation der Bedeutungsinhalte ist diese Opposition von Aspekten und verschiedenartigen semantemas eine abermals modifizierte Unterscheidung dessen, was man natürlich auch mit anderen Termini als Aspekt und Aktionsart belegen kann. Wo seine semantemas begrifflich einzuordnen sind, läßt S4nchez Ruipörez offen und begnügt sich ausschließlich mit ihrer Feststellung. - Im Bereich der Romanistik hat dieser Weg jedoch das große Verdienst, die „Sinnlosigkeit" - im wörtlichen Sinne, nämlich die Unbrauchbarkeit auf der Ebene der Bedeutungen - der Togebyschen Gleichung (il) chanta : (il) chantera = (il) chantait: (il) chanterait aufgedeckt zu haben150. Mit der Reduktion der Aspektopposition auf das, polare Opposition zum strukturalistischen Verfahren werden von Sarensen nicht ausdrücklich herausgestellt, jedoch scheint sich in der Art der Auseinandersetzung mit Κoschmieder eine Anerkennung der Tatsache auszudrücken, daß dieser Weg im Gegensatz zu psychologischen Bedeutungsanalysen eine legitime Alternative zur strukturalistischen Methode darstellt. 147 Zur grundsätzlichen Einstellung zum Verhältnis von formalen und begrifflichen Kategorien cf. oben Anm. 19. 148

149

SANCHEZ RUIP£REZ 54, cf. bes. p p . 4 1 - 4 2 u n d 88.

Zu der Unterscheidung transformative / no-transformativo vgl. oben

Anm. 71; sie kann sich mit der zweiten Unterscheidung momentdneo / durativo kombinieren: „Conviene, pues, distinguir desde este otro punto de vista 2 tipos: semantemas moment&neos y durativos. U n semantema no-transformativo es ο moment&neo (άστράψαι cuando se refiere a una sola αστραπή) ο durativo (νοσεΐν ,estar enfermo'). Por el contrario, un semantema transformativo ο es momentdneo (βήναι ,dar un paso') ο es indiferente a esta clasificaciön, de suerte que unas veces puede aparecer como momentäneo (cuando la transformaciön es r&pida) y otras como durativo (cuando la transformaciön se produce durante una cantidad de tiempo perceptible)" (SANCHEZ RUIPEREZ 54, p. 74). 150

64

AXABCOS LLORACH 50, P. 5—7: „Nous n'avons rien ä objecter au sujet

was im Spanischen durch die formale Opposition cantö / cantaba bezeichnet wird, kann sich Alarcos Llorach begnügen, denn die formalen Gegebenheiten des untersuchten Bereichs des spanischen Konjugationssystems - der alle zusammengesetzten Verbformen unberücksichtigt läßt - verlangen von sich aus weder nach weiteren aspektualen Differenzierungen noch nach einer Unterscheidung zwischen Aspekt und Aktionsart. Dieser Gegensatz zu den am Slavischen bzw. Griechischen erarbeiteten Ergebnissen Serensens und S&nchez Ruiperez' vervollständigt die Parallele zu der vierzig Jahre zuvor eingetretenen Entwicklung. Wiederum eine andere Art strukturalistischer Aspektdeutung stellt die von J.Kurylowicz vorgeschlagene Lösung dar, deren theoretische Grundlegung in der Zuordnung der Zeitstufen zu dem deiktischen und der Aspekte zu dem definitorischen Bereich besteht151. In der konkreten Ausführung seines vierpoligen Aspektschemas162 ist Kurylowicz ähnlich de la difference aspectuelle entre cante-caniaba, puisque ces opinions coincident avec les nötres. Mais, comme nous l'avons d^ja fait remarquer, a u t a n t M. Ruiperez (Word, 10, pägs. 94-98) que nous meme (Archivum., 5, pags. 172-175), il semble excessif d'introduire l'aspect comme £16ment diftörentiel entre cantare et cantaria, qui seraient alors dans des rapports identiques & ceux que nous sommes d'accord d'attribuer aux passes cante-cantaba. . . . la distinction entre cantare et cantaria se base sur leur dififörente perspective, ainsi que l'ont fait remarquer Bello et le regrette J e a n B o u z e t . . . : cantare est en rapport avec le „speech event", cantaria en ommet toute reference et prend comme point de depart le „passö". . . . Cela prouve que llegaria comporte les memes valeurs que UegarS, mais e n v i s a g e s du passe. L'aspect n ' y joue aucun role." Entsprechend dem oben Anm. 64 Gesagten läßt sich die Auffassimg Alarcos Llorachs folgendermaßen schematisieren: modality zero: participation: d^tachement:

canto cantaba, cante

possibility, postöriorite: cantare cantaria

modalite pleine: cante cantase, cantara

161 Hierauf wurde schon oben Anm. 30 eingegangen; cf. ferner Anm. 39 und 64. 162 KURYZOWICZ 56, p. 26: „Mais l'opposition imperfectif: perfectif n'epuise pas le systöme d'aspects. L ' e t a t resultant d'une action accomplie en est u n troisieme et le present (temps) general u n quatrieme. Muni de marques de reference (negative ou positive) le syst&me d'aspects fournit le systeme temporel que voici: (räfSrence au moment de parier) I I (reference k u n moment du pass£)

B,

ß. 65

5 Heger, Begriffekategorien

wie etwa Burger von dem Bestreben geleitet, die immer wieder zu Unklarheiten führende Erscheinung des perfectwm praesens153 befriedigend unterzubringen. Angesichts des ambivalenten Wertes dieser Form in allen zur Exemplifizierung herangezogenen Sprachen ist es nicht erstaunlich, daß auch Kurylowiczs Neuauflage des „etat resultant d'une action accomplie" keine überzeugende Lösung dieser Frage gelingt. Seinen nur im Sinne einer Analogie in der Zuordnung auf das Symbolfeld Bühlers verstandenen Vergleich von Numerus und Aspekt hat F. Rundgren in seiner unter dem Einfluß Kurytowiczs stehenden Arbeit bis zu einer bedeutungsmäßigen Parallele erweitert164 und auf die semitischen Sprachen übertragen. Auf der Gleichung Kollektiv : Plural = integral: summativ = perfektiv: imperfektiv baut Rundgren reihenweise weitere Oppositionsgleichungen auf 165 . Sie mögen zwar für die Deutung der frühsemitischen Verhältnisse einen gewissen Wert haben; angesichts der nur in unzureichendem Ausmaß durchgeführten methodischen Trennung zwischen synchronischen und diachronischen Fragestellungen (cf. oben Anm. 38 und 64) drängt sich jedoch der Verdacht auf, daß an dieser Reihengleichung lediglich die historische Entwicklung semitischer Konjugationssysteme noch den gemeinsamen Terminus Aspekt rechtfertigt. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Unterscheidung zwischen Aspekt und Aktionsart, die dem Semitisten von der Struktur der ihn interessierenden Sprachen nahegelegt wird (cf. oben Anm. 66) und die Rundgren in Umkehrung einer früheren Terminologie mit den vagen Epitheta objektiv und subjektiv einander gegenüberstellt. Die Schwächen seiner Arbeit resultieren aus ihrer konsequenten Ausrichtung auf das von vornherein feststehende Ziel einer bestimmten Deutung der akkadischen Verhältnisse. Thm zuliebe muß der Aspekt dazu herhalten, einerseits als formale Kategorie durch die gesamte semitische Sprachgeschichte hindurch die OppoL'anglais oflre un systeme complet: Γχ I write, Bj I am icriting, ß1 I have written, γ1 I have been ivriting; Γ21 wrote, B2 I was writing, β2 I had written, γ.21 had been writing." Vgl. auch unten p. 102-103. 163 Cf. oben Anm. 75. 1 4 4 RUNDGREN 59, p. 24: „ A n sich gut und fruchtbar ist Kurylowiczens Versuch, das Wesen des Aspekts in der Formel Aspekt : Tempus = Numerus : Artikel a n n ä h e r n d zu fassen, u . a . weil zwischen Kollektiv - Singular individueller Plural und Konstativität - Kursivität - Iterativität eine begriffliche Affinität besteht, aber auch so läßt sich die Erscheinung des Aspekts nicht ganz begreifen", und p. 27: „ S o können wir von diesem Gesichtspunkt aus die Opposition perfektiv : imperfektiv als integrale bzw. summative Totalität bezeichnen, d.h. als J : Σ". 1 6 8 RUNDGREN 59, p. 95: „Die Opposition Ruhe : Bewegung ist zunächst als die von Sein : Geschehen aufgefaßt worden, was sich unschwer als Zustand : Handlung interpretieren ließ. Hieraus hat sich die Aspektkorrelation konstativ : kursiv e r g e b e n . . . " ; weitere damit gleichgesetzte Oppositionen sind Stativ : Fiens, generelles Präsens : duratives Präsens usw.

66

Bition vom T y p ar. qatala j yaqtulu zu bezeichnen, andererseits aber auch eine begriffliche Kategorie zu sein, die es ermöglicht, den „röemploi de l'intensif " in der akk. Opposition ikSud / ikaSSad als Übergang der Bedeutungsfunktion einer Form aus dem Bereich der Aktionsarten in den der Aspekte zu erklären 1M . Daß ein solches Verfahren selbst bei einer überzeugenderen Aspekttheorie als derjenigen Kurylowiczs zu inneren Widersprüchen führen müßte, liegt auf der Hand. Gegenüber allen bisher referierten völlig eigene Wege scheint auf den ersten Blick die Deutung des französischen Konjugationssystems in den Werken Gr. Guillaumes zu gehen167. Wo jedoch in Wirklichkeit die von einer anspruchsvollen psychologischen Terminologie verschleierte tautologische (cf. oben Anm. 22) Baeis seiner Theorien zu suchen ist, zeigt die aspektuale Dreiteilung in aspect tensif, aspect extensif und aspect bi-extensif, die sich dadurch definieren, daß sie durch die jeweiligen formes simples, formes camposies und formes surcomposies des Französischen bezeichnet werden1®8. Die Theorien Guillaumes sind außerhalb des Kreises seiner eigenen Schüler fast einhellig auf ablehnende Stimmen gestoßen, unter denen hier vor allem die ausführliche Kritik durch W.Pollak 1 5 9 genannt sei; Ergänzungen dazu, die uns notwendig erschienen, haben wir an anderer Stelle publiziert180. Ein abermaliges Eingehen auf diese „zur Wortmagie gewordene Sprachwissenschaft"141 erübrigt sich. Wir beenden damit den Überblick über die wichtigsten vorliegenden Aspektdeutungen und -theorien und können abschließend feststellen, daß im Sinne der in Kapitel I , 2 skizzierten vier methodischen Möglichkeiten in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle der semasiologische oder der auf vorherigen semasiologischen Deutungen aufbauende pseudo-onomasiologische Weg beschritten wurde. Eine systematische Ordnung formaler Kategorien ohne gleichzeitige beabsichtigte oder unbewußte Berücksichtigung ihrer Bedeutung fanden wir in reiner Form nur bei K.Togeby vorgenommen, und den Versuch einer onomasiologischen Aspektuntersuchung auf der Grundlage von begrifflichen Kategorien, die nicht einer vorgängigen Deutung formaler Kategorien entstammen, hat als einziger E.Koschmieder unternommen. Seinem Beispiel folgt unser eigener Weg zu einem Aspektverständnis; was uns von ihm trennt, haben wir bei der Betrachtung der Zeitstufen als temporal-deiktischer Begriffskategorien (cf. oben Anm. 46) dargestellt.

1M

V g l . bes. R U N D G R E N 59, p. 103-108.

is7 ygi. hierzu auch oben. .Anm. 46, 50, 84 und 85. iss V g L bes. GULLLAUME 29, p. 20, u n d GUILLAUME 51, p. 39. 159 Cf. ΡΟΤ,Τ,ΑΚ 60, p. 62-77. 1.0

Cf. unsere Besprechung zu MOIGNET 59.

1.1

POLLAK 60, p . 70.

67 6*

I I I . DIE BEZEICHNUNG VON ZEITSTUFEN UND ASPEKTEN IM FRANZÖSISCHEN UND SPANISCHEN 1. B e g r i f f l i c h e s K a t e g o r i e n s y s t e m und onomasiologische Fragestellung Bevor wir in diesem zweiten Hauptteil unserer Untersuchung die onomasiologische Frage nach den Bezeichnungen für Zeitstufen und Aspekte in zwei westromanischen Sprachen stellen, sind einige prinzipielle Gegebenheiten zu klären, deren Berücksichtigung die zu erwartenden Antworten erst im richtigen Licht erscheinen lassen wird. Fast schon ein Gemeinplatz ist die Feststellung, daß man bei keinem begrifflichen Kategoriensystem damit rechnen kann, in irgend einer Sprache für jede Kategorie eine eigene Bezeichnung zu finden (cf. oben Anm. 70) und daß im Gegenteil eine völlige Kongruenz von begrifflichem und formalem Kategoriensystem einen extrem seltenen Sonderfall darstellen würde. Dies hat zur Folge, daß, vom begrifflichen Kategoriensystem her gesehen, es immer Schemastellen geben wird, die „frei" bleiben, für die keine eigene Bezeichnung besteht. Ein solches Fehlen besagt natürlich nicht etwa, daß die betreffende Sprache unfähig wäre, diese Schemastelle durch - wenn auch noch so umständliche - Umschreibungen zu bezeichnen; nur wird die Opposition zwischen ihr und derjenigen oder denjenigen ihrer Nachbarstellen, deren Bezeichnung(en) normalerweise auch zu ihrer Bezeichnung herangezogen wird, nicht als dringlich genug empfunden, um eine obligatorische Bezeichnung162 zu rechtfertigen. Erst wenn die Bezeichnungen für eine ganze Stellenserie und damit für die betreffende begriffliche Kategorie als solche fehlen und durch fakultative Umschreibungen ersetzt werden müssen, wird man von einem Fehlen dieser Kategorie in dem jeweiligen Sprachbewußtsein sprechen dürfen. So scheint etwa die Tatsache, daß das deutsche Konjugationssystem keine Bezeichnung für die Aspektopposition kennt, auf ein Fehlen der Kategorie Aspekt im Sprachbewußtsein des Deutschen hinzuweisen163. 182 Cf. u.a. H O U S E H O L D E R 55, p. 94: „ I t is not the ability to express, but the inability to leave unexpressed that usually shows the presence of a category, though there are also genuine categories which are optional." 163 Seit Leskien (cf. oben Anm. 100) sind immer wieder Versuche unternommen worden, deutsche Parallelen für Oppositionen wie die von russ. a nnmy / a nannray, fr. il chantait / il chanta, ar. yaqtulw / qatala usw. aufzufinden, teilweise aus allgemein sprachwissenschaftlichem Interesse, teilweise aber auch mit dem unmittelbaren pädagogischen Zweck, dem Lernenden der betreffenden Sprache das Verständnis für aspektuale Oppositionen zu erleichtern. An Leskiens Beispiel war so viel richtig, daß man im Deutschen normalerweise er jagte im Sinn von gonil, OHraa-n,il chassait (und nicht von pogonil, OH norHa.i, il chassa), also imperfektiv, er erjagte hingegen im Sinn

68

von dogonil, OH ^ΟΓΗΛΛ, il attrapa {und nicht von dogonial, OH ΛΟΓΟΗΗΛ, il attrapait), also perfektiv verstehen wird. Dies besagt aber lediglich, daß die gemeinindogermanische Erscheinung der Benutzung ein und derselben formalen Kategorie zur Bezeichnung sowohl der Aktionsartenopposition durativ / punktuell als auch der Aspektopposition imperfektiv / perfektiv im Nhd. zu einem restlosen Synkretismus geführt h a t . Da f ü r das deutsche Sprachbewußtsein in solchen Fällen ausschließlich eine Aktionsartenopposition vorliegt, wäre in ihnen also eine Bestätigung f ü r das Fehlen der Kategorie Aspekt zu erblicken. Andere Versuche, deutsche Aspektumschreibungen aufzufinden, h a t H O L L MANN 37, p. 42-47, zusammengestellt. Nach Hollmann schlägt M E Y E R 28 vor, in der Art der Ortsangaben bei Bewegungsverben implizite Aspektbezeichnungen zu sehen u n d Gegenüberstellungen wie er verschwand ins Dunkle / er verschwand im Dunkeln im Sinne der Opposition imperfektiv / perfektiv zu deuten; da sich dieses Beispiel jedoch ebenso wie das Leskiensche in den slavischen Sprachen in eine viergliedrige Opposition auflöst, gilt m u t a t i s mutandis auch hier das oben Gesagte (eine andere, auf die Aktionsarten bezogene Deutung der Gegenüberstellung Meyers gibt H E R M A N N 43, p. 599, der seinerseits p. 602-603 nach dem Vorbild von v. d. Gabelentz und Η . Paul die Opposition von er wurde j er ward als seltene Möglichkeit, die Aspektopposition imperfektiv / perfektiv i m Deutschen zu bezeichnen, vorschlägt). Weiterhin erwähnt E. Hollmann die Opposition vom T y p er schrieb / er hat geschrieben, bei der jedoch nur „der Norddeutsche noch einen Unterschied herausfühlen" k a n n (HOLLMANN 37, p. 45) u n d zu dem wir daher leider keinen Kommentar zu geben vermögen (vgl. außerdem zu dem „aspektualen" Wert dieser Gegenüberstellung die Kritik bei R E N I C K E 61, p. 39-46), sowie Gegenüberstellungen vom Typ das Entstehen / die Entstehung, das Fahren / die Fahrt usw., die als Nomina jedoch den Nachteil haben, daß sie mögliche ursprüngliche deiktische Kategorien in definitorische übersetzen u n d damit bestenfalls einen pädagogisch nützlichen Annäherungswert darstellen. Neuerdings h a t Horst Renicke, besonders R E N I C K E A S P E K T P A A R E 61, „einige Satzpaare, die ich [ = Renicke] f ü r aspektisch halte, zur Diskussion gestellt" (p. 86). I m Sinne des Aspekts als temporal-deiktischer Begriffskategorie scheinen uns die meisten dieser Beispiele allerdings kaum zutreffend; dies gilt sowohl f ü r die schon aus der Zusammenstellung von HOT.T.MANN 37 bekannten Kasusoppositionen wie . . . verschwand in die Ferne / ... verschwand in der Ferne (p. 93) und nominalen Transpositionen in definitorische Kategorien wie klug vorausschauend... I in kluger Voraussicht... (p. 96) und beim Tanzen I beim Tanz (ρ. 98), als auch f ü r die Beispiele der „Es-" (es öffnete eich die Zimmertür / die Zimmertür ging auf, p. 95), „Modal-" (ich würde morgen gern kommen / ich wäre morgen gern gekommen, p. 90 Anm. 12) und „Partikel-Aspekte" (ich habe das Brett durchgebohrt / ich habe das Brett durchbohrt, p. 97) sowie erst recht f ü r den „Präfixaspekt" in der Gegenüberstellung sie haben das Haus in kurzer Zeit gebaut / sie erbauten das Haus in kurzer Zeit (p. 97), m i t deren Opposition bauen / erbauen Renicke auf den Stand von Leskien zurückkehrt. Am ehesten läßt sich noch in den Beispielen ich sah die Kinder spielen / ich sah, daß die Kinder spielten (p. 92) und sie bauten 14 Tage an dem Haus / sie bauten das Haus in 14 Tagen (p. 95) eine periphrastische Aspektbezeichnung erblicken; auch hier handelt es sich aber mehr u m eine Bestätigung der Tatsache, daß im Prinzip jede Sprache — wenn auch mit noch so umständlichen Umschreibungen - alles bezeichnen kann, als u m den Ansatz zu einer in sprachlichen Kategorien formalisierten Aspektbezeichnung.

69

Wichtiger in unserem Zusammenhang ist jedoch die Beobachtung, daß unbezeichnete begriffliche „ersatzweise" durch formale Kategorien bezeichnet werden können, deren Grundbedeutung anderswo liegt und die dadurch - um in dem in der Lexikologie gebräuchlichen Bilde zu bleiben - zusätzlich eine oder mehrere Randbedeutungen erhalten. Dabei ist es nicht einmal notwendig, daß sich diese Randbedeutungen ausschließlich auf unbezeichnete begriffliche Kategorien beziehen. So kann in vielen Sprachen das Präsens, dessen Grundbedeutung die Gegenwart ist, auch zur Bezeichnung der Zukunft dienen, obgleich auch für diese Zeitstufe ein eigenes Tempus existiert164. Bei einer von den formalen Gegebenheiten ausgehenden Betrachtung pflegt daher bei jeder Opposition zwischen extensiven, das heißt über ihre Grundbedeutung hinausgreifenden (in unserem Beispiel das Präsens), und intensiven, das heißt nur innerhalb ihrer Grundbedeutung gebrauchten formalen Kategorien (in unserem Beispiel das Futur) unterschieden zu werden186. Bei der dem umgekehrten Auf den einzigen uns überzeugenden derartigen Ansatz im Nhd. haben 29 u n d D I E T R I C H 55, p. 42—43, hingewiesen, nämlich ,,Wendungen wie: „er ist am Schreiben" = he is icriting = pisze = γράφει, die der Unterhaltungssprache besonders einiger Gegenden des Westens eigentümlich sind" ( K O S C H M I E D E R 29, p. 82). Nur würden wir die von Koschmieder erwähnte regionale Begrenzung noch enger sehen und den Übergang von der nominalen Periphrase zur verbalen Vorgangsbezeichnung nur dort als gegeben anerkennen, wo die Form er ist am Schreiben auch transitiv gebraucht werden kann, wo m a n also (wie im ripuarischen Dialektgebiet) il ecrivit la lettre j il ecrivait la lettre m i t er schrieb den Brief / er war den Brief am Schreiben wiedergeben kann. In den Gegenden hingegen, die nur den intransitiven Gebrauch kennen, h a t er ist am (oder beim) Schreiben denselben nominalen Charakter wie er ist an (oder bei) der Arbeit. - Eigenartigerweise lehnt R E N I C K E A S P E K T P A A R E 61 ausgerechnet hier das Vorliegen einer aspektualen Opposition ab. Seine Begründung — „weil diesen angeblich ,imperfektiven' Gliedern [er war (den Brief) am Schreiben] entsprechende echt komplexive [er schrieb (den Brief)] fehlen" - ist angesichts des seit J A K O B S O N 32 k a u m noch bezweifelten partizipativen Charakters vieler sprachlicher Oppositionen (vgl. unten Anm. 165) nicht minder erstaunlich. 164 Von solchen Fällen zu unterscheiden ist die fiktive Transposition des Sprechenden, wie sie im praesens historicum vorliegt, cf. oben Anm. 35 und 52. 165 Der hier vorüegende Begriff der partizipativen Opposition wurde von J A K O B S O N 3 2 in die Sprachwissenschaft eingeführt und von L.Hjelmslev weiter ausgebaut, vgl. K A H N 5 4 , p. 3 1 - 3 2 : „ S u i v a n t M . L . Hjelmslev, ,le systeme [linguistique] n'est pas construit comme u n systeme . . . d'oppositions entre termes positifs et n^gatifs. . . . les oppositions qu'il contracte sont soumises ä la loi de participation: il n ' y a pas d'opposition entre Α et non-A, il n ' y a que des oppositions entre A d ' u n cöt£ et A + non-A de l'autre.' P a r t a n t de la phonologie . . . M. R.Jakobson ötait arriv^ & la meme idee, mais il l'a pr0sent£e de fagon plus nuancöe: ,Eine der wesentlichen Eigenschaften der phonologischen Korrelation besteht darin, daß die beiden Glieder eines Korrelationspaares nicht gleichberechtigt sind: das eine Glied . . . wird als m e r k m a l h a l t i g bezeichnet, das zweite — m e r k m a l l o s . . . Dieselbe DefiKOSCHMIEDER

70

Vorgehen zu Grunde liegenden onomasiologischen Fragestellung ist entsprechend zwischen der normalen und den Gelegenheits- oder Ersatzbezeichnungen einer begrifflichen Kategorie zu unterscheiden. Im Prinzip sind dabei nur die ersteren für die Erstellung eines Systems formalisierter Bezeichnungen von Interesse. Eine Verfolgung sämtlicher Gelegenheitsbezeichnungen hingegen würde unsere Darstellungen ins Uferlose erweitern und kann daher nur dort erfolgen, wo besondere diachronische Gründe dafür vorliegen. Wir werden daher zwar in den jeweiligen Einzeldiskussionen in einer Reihe von Fällen auf die Frage eingehen, ob wir es mit extensiven oder intensiven Bedeutungsfunktionen zu tun haben. Hingegen wird es bei der Zuordnung gegebener Konjugationsformen auf unser temporal-deiktisches Kategoriensystem nicht möglich sein, mehr als die normalen Bezeichnungen zu berücksichtigen. Ebenso wenig ist es im Rahmen einer onomasiologischen Fragestellung möglich, das Phänomen der Polysemie, das heißt diejenigen Fälle zu erfassen, in denen die zur Bezeichnung einer gegebenen ZeitstufenAspekt-Kombination dienende formale Kategorie mit der einen oder anderen ihrer sonstigen Bedeutungsfunktionen in den Bereich anderer begrifflicher Kategorien hineinreicht. Eine solche Polysemie liegt beispielsweise vor, wenn ein Futur entsprechend dem in Kap. II, 1166 Gesagten neben seiner temporalen auch eine modale Bedeutung aufweist oder sogar überhaupt erst von dieser seiner ursprünglichen Grundbedeutung her zur Bezeichnung der Zukunft wird. Das Gleiche gilt für den mehrfach erwähnten Fall einer Bezeichnimg von Aspekt- und Aktionsartenoppositionen durch ein und dieselbe formale Opposition187, und es gilt ebenso für Erscheinungen wie das viel diskutierte gnomische Präsens1β8. Aus nition kann zur Grundlage der Charakteristik der m o r p h o l o g i s c h e n K o r r e l a t i o n e n dienen. . . . die a l l g e m e i n e n B e d e u t u n g e n der korrelativen Kategorien verteilen sich [folgendermaßen]: falls die Kategorie I. das Vorhandensein von Α ankündigt, so kündigt die Kategorie II. das Vorhandensein von Α nicht an, d. h. sie besagt nicht, ob Α anwesend ist oder nicht. Die allgemeine Bedeutung der Kategorie II. im Vergleich zu der Kategorie I. beschränkt sich auf den Mangel der „A-Signalisierung". Falls in einem gewissen Kontext die Kategorie II. das Nichtvorhandensein von Α ankündigt, so ist es bloß eine der Anwendungen der gegebenen Kategorie: die Bedeutung wird hier durch die Situation bedingt, und wenn es sogar die geläufigste Funktion dieser Kategorie ist, darf dennoch der Forscher nicht die statistisch vorherrschende Bedeutung der Kategorie mit ihrer allgemeinen Bedeutung gleichsetzen.'" - Vgl. ferner S O R B N S E N 49, p. 101, und SANCHEZ R U I P 6 R E Z 54, pp. 6 und 15. 166 Cf. bes. oben Anm. 64. 187 Cf. oben p. 35-36. 1,8 Dieser Fall, den man u.a. auch als gnomiscTie Aktioneart (so SCHOSSIG 3 6 , bes. p. 2 2 0 ) und als aspect gnomique (so K A H N 5 4 , bes. p. 6 1 - 6 5 ) zu klassifizieren versucht hat und der beispielsweise in dem Präsent in deux et deux 71

diesen Beispielen für „störende" Polysemien ergibt sich erneut die Forderung nach einem Zusammenwirken onomasiologischer und semasiologischer Betrachtungsweisen. Nur in gegenseitiger Ergänzung können sie ein Bild von der ganzen Sprachwirklichkeit geben, während jede für sich genommen immer nur zu partiellen Ergebnissen gelangen kann. Daß allerdings auch ein partielles Ergebnis seinen Wert besitzt, ist bei der vorliegenden Untersuchung impliziert. Eine weitere wichtige Frage grundsätzlicher Art stellt sich mit der in Kap. I, 3 b gemachten Unterscheidung zwischen außendeiktischen und iimendeiktischen Bezeichnungsweisen. Wenn ein Tempus in innendeiktischer Funktion als temps de perspective169 gebraucht wird, ändert sich zwar nicht unbedingt seine Zuordnung auf das begriffliche Kategoriensystem, wohl aber das für eine diachronische Betrachtimg wichtige Ausmaß der in ihm liegenden Entwicklungsmöglichkeiten. Je mehr seine innendeiktische Funktion, etwa im Rahmen einer festen consecutio temporum, die außendeiktische in den Hintergrund drängt, desto mehr wird

font quatre vorliegt, gehört u . E . in den Bereich der (philosophischen) Modalitätskategorien (cf. oben A s m . 64). Bekanntlich entsprechen bei K a n t den drei Kategorien Möglichkeit, Dasein und Notwendigkeit die transzendentalen Schem a t a von Dasein zu irgendeiner Zeit, Dasein zu bestimmter Zeit und Dasein zu aller Zeit. Hierauf bezogen h a t es jede temporale Deixis mit einem Dasein zu bestimmter Zeit zu tun. Soll nun aber ein Vorgang als möglich oder als notwendig bezeichnet werden, so tritt - falls dafür keine besondere formale Kategorie zur Verfügung steht - das ein, was K O S C H M I E D E R 59 (bes. p. 20-21) die Aufhebung einer morphologisch-syntaktischen Opposition und was B U L L 60, p. 68-69, die nonsystemic function eines Tempus nennt. Der „gnomischen" Bedeutung entspricht die Bezeichnung eines axis-free continuum, d.h. eines Daseins zu aller Zeit, während der Bezug auf eine time-free axis of orientation die Bezeichnung eines Daseins zu irgendeiner Zeit darstellt. I m ersten Fall werden sämtliche Zeitstufenbedeutungen des betreffenden Tempus aufgehoben, im zweiten Fall nur diejenigen, die die Fixierung der Bezugsachse beinhalten, während relative Zuordnungen auf diese nicht fixierte Bezugsachse ebenso gut möglich sind wie bei der Bezeichnung eines Daseins zu bestimmter Zeit (diese Einschränkung h a t I M B S 60, p. 28, bei der Behandlung des temps indivis übersehen, vgl. unsere Besprechung p. 558-559). iss Ygi. Imbs 60, p. 14: „Le temps en perspective est une categorie grammaticale qui exprime ce fait qu'une forme temporelle abandonne tout ou partie de sa valeur temporelle propre, pour la subordonner ä celle d'un autre verbe. Le rapport entre les deux verbes est im rapport de terme domine a terme dominant, qui ressemble de prea au phenomöne de Yaccord grammatical." In der innendeiktischen Funktion des temps de perspective liegt also ein typischer Fall von servitude grammatical (cf. oben Anm. 20, zweiter Absatz), von partieller Erstarrung der eigenen Bedeutungsfunktion des betreffenden Tempus vor. Von den beiden in dem Zeitstufenbegrüf vereinigten Faktoren bezeichnet das temps de perspective nur noch die deiktische Richtung oder den Vektor, während die Origo oder Bezugsachse durch das übergeordnete Tempus festgelegt ist. 72

es zu einem relativen Tempus1'0, dessen deiktische Bedeutung nur mehr in Bezug auf ein anderes, weiterhin absolut gebrauchtes Tempus existiert. Es wird daher in seiner Entwicklung völlig von diesem seinen „Leittempus" und der zu ihm bestehenden Relation abhängig sein, und es wird andererseits von sich aus lediglich im Falle einer doppelten consecutio temporum Leittempus für weitere formale Kategorien sein können. Ein Beispiel für ein solches fast ausschließlich auf seine innendeiktische Funktion reduziertes Tempus ist das französische Pass6 anterieur, das lediglich im syntaktischen Bezug auf ein Passe simple gebraucht wird. Es ist daher im Gegensatz zu den anderen mit der Periphrase „avoir + Participe pass6" gebildeten Tempora außer Stande, ein Passe anterieur surcomposö zu bilden. Ein solches Tempus wäre zwar formal möglich und hat daher auch Eingang in grammatikalische Darstellungen gefunden, ist jedoch nirgends als in der Sprache existent belegt171. Auf die Beschränkung unserer onomasiologischen Untersuchung auf die „normalen" Bezeichnungen der temporal-deiktischen Begriffskategorien bezogen, führt die Unterscheidung zwischen außen- und innendeiktischen Bedeutungsfunktionen zu einer weiteren Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Jede Zuordnung einer formalen Kategorie auf eine bestimmte Systemstelle setzt entweder eine außendeiktische oder eine an ein einziges Leittempus gebundene innendeiktische Funktion voraus. Solche Tempora hingegen, die ausschließlich innendeiktische Funktionen besitzen und mehreren außendeiktisch fungierenden untergeordnet werden können, variieren in ihrer temporal-deiktischen Bedeutung je nach dem übergeordneten Tempus und werden daher unberücksichtigt bleiben. Es trifft dies im Französischen ausnahmslos und im Spanischen bis auf die Formen cantara und cantare für sämtliche nichtindikativischen 172 Tempora bzw. deren temporal-deiktische Bedeutung zu. Nur die letztere interessiert in unserem Zusammenhang; die Möglichkeit, daß nicht-indikativische Tempora in anderen Bedeutungsbereichen selbständig, das heißt in außendeiktischer oder -definitorischer Funktion auftreten173, ist für die Frage nach der Bezeichnung temporal-deiktischer 170

Cf. oben p. 27-28. Cf. unten pp. 83-84, 116-117, 140-141 und 173-176. 172 Der terminologischen Eindeutigkeit wegen erinnern wir daran, daß es sich beim Indikativ usw. um Modi, nicht um Modalitäten handelt; cf. oben Anm. 64, zweiter Absatz. 173 Vgl. für das Französische IMBS 60, p. 180: ,,Employe en proposition principale ou independante, le subjonctif ne connait que le temps du sujet parlant..., c'est-a-dire le present. Les oppositions des formes concernent ou bien Vaspect (les formes composies expriment Vaccompli, et par consequent le regret, qui porte toujours sur de l'inchangeable, comme par exemple dans: Ahl Qu'eile η e f ü t jamais neel ou l'appröhension devant l'inövitable, comme par exemple dans: Pourvu qu'il η 'ait pas encore invents quelque nouvelle 171

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Begriffskategorien unerheblich. Eine Sonderstellung nimmt hierbei allerdings der Imperativ ein, der zwar entsprechend dem spezifischen Charakter der von ihm bezeichneten reflected modality174 Zeitstufendifferenzierungen gegenüber neutral ist, dessen verschiedene Formen jedoch dazu in der Lage sind, aspektuale Oppositionen vom Typ (Xi, Xp n x ) / Xp x 1 7 5 zu bezeichnen176. Damit erweist er sich, was seine temporal-deiktischen Bedeutungsfunktionen betrifft, als Variante des Present bzw. Pasaö compose und kann, da die ihn von diesen abhebende modale Funktion hier nicht interessiert, ebenfalls im folgenden unberücksichtigt bleiben. Entsprechend dem hier Gesagten benutzen wir in den Schemata, die die Zuordnung der jeweils untersuchten Konjugationsformen auf das temporal-deiktische Kategoriensystem veranschaulichen sollen, die folgenden Hilfszeichen: für partizipative Oppositionen in den Fällen, in denen sie als solche herausgestellt werden sollen, die Trennungslinie Λ Λ Λ Λ ( Α > Α + nicht-A); für überwiegend innendeiktisch fungierende, >

aber ausschließlich von einem einzigen Leittempus bestimmte Formen eckige Klammern [ ]; für nur unvollständig grammatikalisierte, das heißt in einem formalen Kategoriensystem fest verankerte, periphrastische Formen, deren Zuordnung auf die betreffende Systemstelle also mehr einem fait de parole als einem fait de langue entspricht, runde Klammern (). 2. Das lateinische Bezeichnungssystem und seine gemein-westromanische Entwicklung Der onomasiologische Teil unserer Untersuchung soll, wie in Kap. I, 4 ausgeführt wurde, nicht nur synchronischer Natur sein, sondern gleichzeitig die historischen Veränderungen im Bereich von zwei westromaastuce!), ou la modaliti (souhait rialisable: Plaise k Dieu que...; soühait irrealisable: Plut k Dieu que...)." Zu dem ersten Teil dieser Beobachtung

ist zu sagen, daß uns in Gegenüberstellungen wie Qu'eile ne füt jamais nie / *Qu'elle ne naquit jamais eine Opposition eher von relativen Zeitstufenbezügen als aspektualer Natur vorzuliegen scheint. Darüberhinaus tendiert auch hier die von dem jeweiligen Tempus getragene Bedeutungsfunktion (regret, Ι'ίηέvitable) ähnlich wie in dem zweiten Fall in den Bereich der Modalität. 174

Cf. S A N D M A N N 5 4 , p . 1 2 4 .

175 Vgl, insbesondere unten die Zusammenfassung p. 155-158. ΐ7β Vgl. FÜP DAG Französische IMBS 60, p. 149: ,,... comme un ordre ne peut etre donne pour le passe, s'il y a une forme compos^e [de l'impöratif], eile ne peut avoir une valeur de pass4, eile est necessairement l'expression de 1'aspect accompli." Hierbei ist die „normale" Funktion des Imperativs, d.h. die Bezeichnung eines von dem Sprechenden an den Angesprochenen gerichteten Befehls vorausgesetzt. In allen anderen Verwendungen wie etwa der im Konditionalsatz (cf. ibd. p. 150) gilt für ihn das Gleiche wie für die übrigen nicht-indikativischen Tempora.

74

machen Sprachen darstellen. Es bedarf daher wohl kaum einer besonderen Begründung dafür, daß wir an seinen Anfang eine Skizzierung der Bezeichnung der temporal-deiktischen Begriffskategorien im lateinischen Konjugationssystem stellen. Das oben p. 38 aufgeführte klassische Schema ergibt, wenn wir zunächst einmal das infectum Meillets als imperfektiv und sein perfectum als „perfektisch", das heißt als perfektiv im Sinne des Kombinationstyps X p x (cf. oben Anm. 75) ansetzen, in unserem System das folgende Bild:

(Zi)

(Zp

nz

)

(Zp-)

cantat

(Gi)

cantavit a

(Gp *)

(Gp*)

cantabat

(Vi)

(Schema 1)

cantaverit

cantabit

cantaverat

(Vpnv)

(Vpv)

Ebenso alt wie das Meilletsche Schema sind einige dagegen vorgebrachte Einwände, deren wichtigster - aus dem sich alle weiteren ableiten - bezeichnenderweise einer letztlich onomasiologischen Fragestellung entstammt. Zwar war es nicht ein außersprachliches System begrifflicher Kategorien, sondern das gegebene Konjugationssystem einer zu Vergleichszwecken herangezogenen zweiten Sprache, das den direkten Anstoß zu dieser Fragestellung gab. Daß aber ein derartiger Vergleich im Grunde eine onomasiologische Blickrichtung impliziert, wurde oben p. 7-8 schon gezeigt. Im vorliegenden Fall handelte es sich um den Vergleich mit dem Griechischen, und zwar speziell um die Gleichung (cantavit) = (πεπαίδενκα) + (έπαίδενσα). Da ein ausführlicher Exkurs über die besonderen Probleme des altgriechischen Konjugationssystems den Rahmen einer Skizzierung der lateinischen Verhältnisse weit hinter sich lassen würde, müssen wir uns hier mit einer schematisierenden Aufzählung einiger weniger Grundtatsachen begnügen. Die zahlreichen Anstöße, die die Aspektdiskussion der Gräzistik verdankt und von denen einige in Kap. II, 4 erwähnt wurden, gingen von dem Versuch aus, der Struktur des formalen Kategoriensystems der griechischen Konjugation eine befriedigende Deutung zu geben. Als Hauptproblem erweist sich dabei die Dreiheit von Präsensstamm, Aoriststamm und Perfektstamm, die man durch Bezeich75

nungen wie duratif j momentarid / achevd177 oder durch paarweise Oppositionen178 zu fassen versucht hat. Für den Vergleich mit dem Latein genügt dabei die Stellung der drei Vergangenheitstempora, die nach einer Scheidung der ihnen zugeschriebenen Charakteristika in aspektuale und Aktionsarten-Bedeutungen179 auf Grund der ersteren die folgende Zuordnung auf unsere Schemastellen rechtfertigen dürften: επαίδευον έπαίδενσα έπεπαιδενκειν

(Präsensstamm) = Vi (Aoriststamm) = Vp n v (Perfektstamm) = Vp v

Auf die Gleichung (cantavit) = (πεπαίδευκα) -f (έπαίδενσα) angewandt bedeutet dies, daß cantavit sowohl als Gpß als auch als Vp® in unserem Schema erscheinen muß und daß damit auch schon im Latein an die Stelle einer scheinbar symmetrischen Struktur das oben p. 45—47 dargestellte asymmetrische Überwiegen der Vergangenheitstempora tritt. Eine solche „Doppelfunktion" aber verlangt nach einer Erklärung. Sie ergibt sich aus dem, was oben p. 48-49 allgemein über die Möglichkeiten von Verschiebungen im Bereich von Perfektivität und Vorzeitigkeit beobachtet wurde. Wenn eine der Systemstelle Gp g entsprechende und in dieser Bedeutung in dem Oppositionensystem Zi — Gi —Vi / Zpz — Gpe - V p v fest verankerte Form gleichzeitig als Bezeichnung von Vp® fungiert, so liegt auf Grund des dort Gesagten die Annahme nahe, daß diese zweite Bedeutung sekundär und auf dem Umweg über VGps entstanden ist. Dies wiederum läßt das Vorliegen der parallelen Entwicklungen Zpz >VZp z undVp v > VVp v vermuten, das heißt die Bezeichnung einer Vorzukunft durch cantaverit und die einer Vorvergangenheit durch cantaverat. Beide Bedeutungen liegen bekanntlich von Anfang an im Latein vor und stellen die weiteren Einwände gegen das Meilletsche Schema dar. Dabei besagt die Annahme einer derartigen Entwicklung selbstverständlich nicht, daß mit dem Auftauchen der Bedeutungen VZpz, VGp«, W p v die alten Be177

178

Cf. MEILLET 21, p. 1 8 4 - 1 8 5 .

SÄNCHEZ RUIPÄREZ 54 stellt den Perfektstamm gegenüber den beiden anderen als merkmalhaltig (im Sinne Jakobsons, cf. oben Anm. 165) heraus und definiert ihn als „[expresiön del] contenido verbal despu^s de su termino" (p. 62; vgl. auch oben Anm. 71); in der verbleibenden Opposition erblickt er in dem Präsensstamm das merkmalhaltige Glied, das als durativ definiert wird und das somit dem Aoriststamm als doppelt merkmallosem Glied gleichzeitig einen punktuellen Bedeutungswert zuschreiben läßt (p. 79-84). Ohne auf die Struktur des gegebenen formalen Kategoriensystems einzugehen, gelangt LEROY 58 zu Ergebnissen, die in den angenommenen Bedeutungen denen von Sanchez Buipörez sehr nahe stehen: Präsensstamm und Perfektstamm entsprechen bei ihm der Opposition voninacheve und acheve (p. 129-132), Präsensstamm und Aoriststamm derjenigen von duratif und momentane, die auch hier mit imperfektiv und perfektiv gleichgesetzt werden (p. 132-133). us y g l . auch unten p. 104 und Anm. 441.

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deutungen Zpz, Gp®, Vp v hinfällig geworden seien. Daß vielmehr solche Doppelfunktionen nicht nur lange Zeit bestehen, sondern sogar in einer Restitution zu Gunsten der jeweiligen historisch älteren Bedeutung enden können, zeigt das spätere Schicksal der cantaverat-Formeii. Das klassischlateinische Schema muß also zunächst folgendermaßen berichtigt werden: (Schema 2) cantabit

cantaverit

I cantat

cantabat

cantavit

1V ι

cantaverat

I

Aus diesem Schema heraus stellt sich jetzt die Frage, wie das Latein die Kombinationen Zp nz und Gpn® bezeichnet hat. In einer sekundären Bedeutung Gp n g ließe sich in Analogie zu dem bei cantavit Beobachteten die Form cantaverit erwarten. Tatsächlich existieren Beispiele, die einer solchen Verwendungsweise nahekommen, so ego certe meum reipublicae atque imperatori officium praestitero (Caesar IV 25, 3)180. Häufiger als das Futurum exactum dürfte als Bezeichnung von Gpn® jedoch das Praesens gewesen sein. Dies gilt sowohl für die allgemeine Bedeutung einer zukunftsbezogenen Gegenwart181 als auch für die spezielle des sogenannten Koinzidenzfalles (cf. oben Anm. 79). Noch eindeutiger liegen die Verhältnisse bei der Bezeichnung der Systemstelle Zp nz . Der Vergleich mit einer Sprache, die für die Opposition Zi / Zp nz eine normal gebildete Bezeichnung in ihrem formalen Kategorienbestand aufweist, läßt die Zuordnung des Futurums auf die Kombination Zi als völlig willkürlich erkennen: ein lateinisches veniam kann im Englischen sowohl mit I shall be coming (Zi) als auch mit I shall come (Zp nz ) wiedergegeben werden. In abermals berichtigter und nun von allen scheinbar unbezeichneten Stellen befreiter Form muß das klassisch-lateinische Schema lauten: 180

Zitiert nach GAMILLSCHEG 13, p. 19; vgl. auch unten p. 113 zu entsprechenden Erscheinungen im Französischen. 181 Cf. GAMTLLSCHEG 57, p. 385: „In der Volkssprache wird das Futurum entweder durch die zeitstufenlosen Präsensformen ausgedrückt, zu denen, wenn der Ausdruck der Zeitstufe unerläßlich ist, ein Zeitadverbium treten kann: ,ich komme später, bald', u.ä. Oder es wird, z.B. bei den Verben der Bewegung, die schon durch ihre Bedeutimg auf die Zukunft hinweisen, daa Futurum ohne Zusatz durch das Präsens ersetzt." 77

NZ Ζ VZ

(Schema 3) cantabit

Λ Λ Λ ν ΛΛΛ

NG G

cantat

YG

NV Y vv

cantaverit

cantavit

I

V cantabat

cantaverat

I

Den Vorteil, den bezeichnungsmäßigen Gregebenheiten des lateinischen Konjugationssystems in höherem Maß als das Meilletsche Schema zu entsprechen, hat diese Verteilung mit einer erheblichen Störung der schönen Symmetrien von jenem erkauft. Diese Störung stellt aber nicht nur ein Ärgernis für den Linguisten dar, sondern läßt auch einige labile Punkte in dem System erkennen, die für die weitere diachronische Betrachtung von Interesse sind. Es fallt auf, daß 1. unter dem Gesichtspunkt einer strengen Aspektscheidung a) die Differenzierung Xi / Xp nur auf der Zeitstufe der Vergangenheit durchgeführt ist, auf den beiden anderen hingegen fehlt; b) die ursprünglich vorhandene Differenzierung (Xi + ) X p n x / X p x gefährdet ist, da die zu ihrer Bezeichnung dienenden Tempora gleichzeitig die Zeitstufenopposition X /VX bezeichnen können; 2. unter dem Gesichtspunkt einer strengen differenzierten Zeitstufenscheidung a) Bezeichnungen für differenzierte Zeitstufen nur im Bereich des perfektiven Aspekts zu existieren scheinen; b) die Eindeutigkeit der Bezeichnung der differenzierten Vorzeitigkeit unter der gleichen Polysemie leidet, die unter l b als Gefahrdung der Bezeichnung der Opposition X p n x / X p x erscheint; c) die im Falle der Vorzeitigkeitsbedeutung der Tempora des Perfektstammes als symmetrische Ergänzung zu erwartenden Bezeichnungen einer differenzierten Nachzeitigkeit völlig fehlen. In fast allen dieser Fälle jedoch verfügt das Latein über periphrastische Bezeichnungsmöglichkeiten, die für die weitere Entwicklung fruchtbar geworden sind. 1. a) - Die Opposition Xi / X p kann verdeutlicht werden, indem als fakultative Bezeichnungen des imperfektiven Aspekts die Periphrasen der Typen „esse + Participium praesentis" 182 oder „(Verbum der Buhe 182 ygi. Gamtt.t.scheg 5 7 , p. 4 3 7 : „ I n der Verbindung mit esse ist das [.Präsens-] Partizip im klassischen Latein selten, wird aber spätlateinisch häufig..

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oder der Bewegung) + Ablativus gerundii"183 eintreten; sie können zum Entstehen einer partizipativen Opposition Xi / Xi -f Xp n x führen, als deren extensives Glied die Tempora des Präsensstammes fungieren. Von den möglichen Bedeutungen, die die beidien Periphrasen im Zuge ihrer Grammatika]isierung annehmen können - solange sie lose Fügungen gleichberechtigter Verben sind, kann von einer festen Bedeutung ohnehin keine Rede sein sind in unserem Zusammenhang natürlich nur die aspekt- oder zeitstufengebundenen von Interesse. Dieser Hinweis muß deswegen erfolgen, weil auch hier die schon mehrfach beobachtete Polysemie vorliegt, die ein und dieselbe formale Kategorie dem Bereich sowohl der Aspekte als auch der Aktionsarten zuordnet. Von der Funktion unserer Periphrasen als Durativum, Iterativum oder dergleichen sehen wir daher ab und beschränken uns auf die in ihnen angelegte Möglichkeit, als Bezeichnung des imperfektiven Aspekts Verwendung zu finden. Das Gewicht, das dieser virtuellen Aspektbedeutung zukommt, ist bei den verschiedenen in Frage kommenden Tempora verschieden groß: 1) est cantans (das hier gleichzeitig für stat cantando und entsprechende Formen steht) und erit cantans als Bezeichnungen der Systemstellen Gi und Zi eröffnen die Möglichkeit einer Herausbildung der partizipativen Oppositionen est cantans (Gi) / cantat (Gi + Gpn®) und erit cantans (Zi) / cantabit (Zi + Zpnz) oder sogar einer Einschränkung von cantat und cantabit auf die Systemstellen Gp ng und Zpnz. Daß das Latein auch den ersten Weg nur fakultativ beschritten hat, ist bekannt

drückt hier aber nicht nur eine Eigenschaft aus, sondern wird eine durative Verbalumschreibimg, die im Galloromanischen bis ins 17. Jh. erhalten bleibt.

Traneeuntia ergo erunt elementa ,sie werden vorübergehen', (Filastrius)..." Zu der Möglichkeit, in der Ausbreitung dieser Periphrase einen griechischen Einfluß zu erblicken und diesen seinerseits auf eine Nachahmung aramäischer und hebräischer Syntagmata in der christlichen Übersetzungsliteratur zurückzuführen, vgl. D I E T R I C H 5 5 , p. 4 - 7 . iss Vgl. CHMELIÖEK 30, p. 8-9: „Die äußeren Vorbilder zu jenen romanischen Formen sind vorhanden und im Spätlatein sogar ziemlich häufig:

... cum prope eiluam ueniaset, at et it diu cunctando ... aber sie zeigen überall nur die Anfangsstufe der Entwicklung, die die Komposition im Romanischen genommen hat. Während das Verb der Bewegung oder der Buhe im Romanischen unter Aufgabe seiner Eigenbedeutung mit dem Gerundium eine feste Bindung eingegangen ist, stehen wir bei den lateinischen Beispielen noch überall auf der Stufe der Entwicklung, wo das finite Verb seine Eigenbedeutung bewahrt hat. . . . Andrerseits zwingt die Tatsache, daß wir schon im ältesten [spanischen] Literaturdenkmal, dem Cid, das Verb ,ir' in Verbindung mit dem Gerundium in einer Verwendung antreffen, wo sein Charakter als Hilfsverb deutlich zutage tritt: ,Hya les va pesando alos yfantes de Carrion' (Cid 2985) zu dem Schluß, daß der Anfang des Prozesses, aus ,ir' + Gerundium eine Einheit zu bilden, schon auf ein hohes Alter zurückgehen muß." Cf. ferner GAMILLSCHEG 57, p. 442.

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und dürfte mit der Situation bei den übrigen Tempora der Periphrase zusammenhängen. 2) erat cantans als Vi figuriert bei ausschließlicher Berücksichtigung seiner aspekt- und zeitstufengebundenen Bedeutungen als Variante von cantabat. Diese Synonymie läßt erwarten, daß seine primäre Bedeutung, die es von cantabat abhebt, im Falle einer Grammatikalisierung eher im Bereich der Aktionsartenoppositionen zu suchen sein wird. 3) fuerit cantans als VZi und fuerat cantans als V V i sind unter der Voraussetzung der Integrität eines Systems, das gleichzeitig zwischen differenzierten Zeitstufen und zwischen Aspekten unterscheidet, zwei nützliche Tempora. Allerdings zeigen sich kaum irgendwelche Ansätze zu einer Grammatikalisierung in dieser Bedeutung, die etwa im Englischen bei den Formen he will have been singing (VZi) und he had been singing ( W i ) vorliegt. Hindernd dürfte dabei die ambivalente Stellung gewirkt haben, die sich für fuit cantans ergeben hätte. Als VGi (parallel zu he has been singing) hätte dieses Tempus zwar ebenfalls eine sinnvolle Funktion, in der ihm auf Grund der Doppelfunktion von fuit gleichzeitig zukommenden Bedeutung Vi müßte es jedoch mit erat cantans und damit auch mit cantabat aspekt- und zeitstufenmäßig synonym werden. Angesichts der für das Latein ebenso wie für die aus ihm hervorgegangenen Sprachen fundamentalen Aspektopposition erat j fuit ist eine solche Synonymie jedoch kaum zu erwarten. Eine Bedeutungsfixierung von fuit cantans bleibt daher im Bereich von Aspekt und Zeitstufe unwahrscheinlich und wird, wenn überhaupt, eher in dem der Aktionsarten anzunehmen sein. Für die späteren Entwicklungen bleiben somit in erster Linie nur die mit den Formen est cantans und erit cantans gegebenen virtuellen Differenzierungen von Gi / Gp n g und Zi / Zp n z festzuhalten. Daneben besteht in den unter 3) genannten Formen theoretisch die weitere Mögüchkeit zur Bezeichnimg des imperfektiven Aspekts im Bereich der differenzierten Vorzeitigkeit. 1. b) - Für die mehrdeutig gewordenen Bezeichnungen des Kombinationstyps X p x besitzt das Latein seit frühester Zeit einen Ersatz in der aus „habere + Participium perfecti" gebildeten Periphrase. Ihr Vorkommen seit Plautus und ihre spätere Entwicklung haben schon verschiedentlich den Gegenstand ausführlicher Untersuchungen gebildet184. Wir können daher hier auf ein ausführliches Nachzeichnen verzichten und uns auf eine schematisierte Wiedergabe der Entwicklung beschränken. Zu 184 ygi_ besonders GAMILLSCHEG 57, p. 414-426, und POLLAK 60, p. 102

bis 129, die gleichzeitig einen. Überblick über die umfangreiche ältere Forschung bieten. Eine ausführliche Darstellung der ähnlich gelagerten Verhältnisse im Englischen bietet der dem Wesen und Gebrauch des Präteritums und des Perfektums gewidmete zweite Teil der Arbeit DIETRICH 55 (p. 128-210).

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betonen ist dabei abermals der summative Charakter derartiger Bedeutungsentwicklungen: das Erreichen eines späteren Stadiums impliziert in keiner Weise, daß mit ihm das Weiterleben der einem früheren Stadium entsprechenden Bedeutung ausgeschlossen wäre. Erst wenn diese Bedeutung von einer anderen formalen Kategorie übernommen wird, kann ihr Verlust bei ihrem ursprünglichen Träger als sicher, weil in einer neuen formalen Opposition nachweisbar, angesetzt werden. In diesem Sinn können an dem klassischen Musterbeispielsatz in alas divisum socialem exercitum habebat (Livius 31, 21, 7) bzw. seiner leicht modifizierten Form ... habet vier auf einander folgende Entwicklungsstadien entsprechend den nachstehenden vier Bedeutungen von divisum habet unterschieden werden: Erstes Stadium: „er hat das in Flügel geteilte Heer". Hierbei fungieren habet als selbständiges Yollverb, das der Schemastelle Gi oder Gpne zugeordnet ist, und divisum als zeitstufenmäßig indifferentes Verbaladjektiv mit virtueller, das heißt im Fall eines verbalen Gebrauchs aktualisierbarer perfektiver Bedeutung, das von einem zweiten selbständigen Vollverb dividere gebildet ist185. In gewisser Weise trifft hierauf die verschiedentlich vorgeschlagene Definition „Dauer des resultierenden Zustande"188 zu, wobei sich „Dauer" aus der durativen Aktionsart des Vollverbs habere ergibt. Für die aspektuale Bestimmung der späteren Stadien ist diese Feststellung allerdings irrelevant. Zweites Stadium: „he has the troups divided into wings"187. In diesem Stadium liegt eine Fusion der beiden ursprünglich selbständigen verbalen Bestandteile zur sich fixierenden Periphrase vor. Das hier als Bezeichnung der Kombination GpK fungierende habet divisum ist zu einem Vollverb dividere gebildet; habere ist zum Hilfsverb geworden. Die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sind aus den schon dargestellten Bedeutungsentwicklungen von cantavit bekannt: Drittes Stadium: „he has divided the troups into wings", wo habet divisum als Bezeichnung von VGp® = VGp nvg fungiert, und Viertes Stadium: „er hat das Heer in Flügel geteilt" = „he divided the troups into wings", wo habet divisum als Bezeichnung von Vp® = Vp n v fungiert. 185

Diese virtuelle perfektive Bedeutung des Participium perfecti liegt allgemein vor und hat nichts mit den von GAMILLSCHEG 57, p. 414-416, gemachten Unterscheidungen zu tun; die dort gebrauchten Termini perfekiivisch und imperfektiviech beziehen sich in Wirklichkeit auf Aktionsarten (cf. oben Anm. 124). ιββ vgl. den kritischen Kommentar von SÄNCHEZ RUIPÄRBZ 54, p. 47, zu dieser Perfektdefinition. 187 Zu den englischen Oppositionen vom Typ I have the letter written /1 have written the letter vgl. DIETRICH 55, p. 133 n. 3. - Für das zweite und dritte Stadium besteht im Deutschen keine genaue Wiedergabemöglichkeit.

81 β

Heger. Begriffekategorien

Als mögliche Bezeichnung des Kombinationstyps Xp x im Sinne des zweiten Stadiums, das nach Auskunft der in den genannten Arbeiten verwerteten Beispiele im Latein erreicht war, paßt sich die „habere + Participium perfecti"-Periphrase wie folgt in unser Schema: NZ >

VZ

> (erit > cantabit cantans) >

habebit cantatum

(fuerit cantans)

cantaverit Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ

habuerit cantatum

Λ Λ Λ Λ

NG

G

VG

>>

, . > cantat cantans) > (fuit cantans) Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ Λ .

NV cantabat W

(fuerat cantans)

Zu diesem Schema ist zweierlei anzumerken. Einmal enthält es ein erstes typisches Beispiel für das Ineinandergreifen von begrifflichen und formalen Faktoren bei der Motivierung sprachgeschichtlicher Veränderungen. Ausgangspunkt unserer Betrachtung war die Suche nach möglichen eindeutigen Bezeichnungen für die Systemstellen Zpz, GpB und Vp v . Auf Grund formaler Analogiebildungen weist die gefundene Lösung aber auch Bezeichnungen für die Stellen VZpvz (habuerit cantatum), VGpve (habuit cantatum) und VVp v v (habuerat cantatum) auf, das heißt sie eröffnet Möglichkeiten, die über den Ausgleich eines festgestellten Mangels hinausgehen. Eine solche Situation kann zu der Ausnutzung der vom formalen System nahegelegten Bezeichnung differenzierter Zeitstufen führen 82

und gegebenenfalls sogar ein Bedürfnis nach entsprechenden Differenzierungen an anderen Systemstellen entstehen lassen. Ebenso gut kann aber auch ein Verzicht und damit entweder das Ausscheiden der entsprechenden möglichen Formen oder ihre Nutzbarmachung für Bezeich-

(Schema 4)

habet cantafcum cantavit ΛΛΛΛΛΛΛΛ

habuit cantatum

Λ Λ Λ

jhabebatt \ habuit j cantatum cantaverat

habuerat cantatum

nungsbedürfnisse außerhalb der temporal-deiktischen BegrifFskategorien die Folge sein. Sodann erscheint entsprechend der doppelten Bedeutungsfunktion von cantavit (VGpg und Vp«) die Form habuit cantatum als Bezeichnung nicht nur von VGpve, sondern auch von Vp v . An dieser Stelle trifft sie jedoch mit habebat cantatum in gleicher Funktion zusammen. Was sich dabei in onomasiologischer Sicht als partielle Synonymie darstellt, ist in semasiologischer Sicht die bekannte Frage nach der Bedeutungsopposition jener beiden Tempora, die im Französischen als Plusqueparfait und Passe ant&ieur und im Spanischen als Pluscuamperfecto und Preterito anterior wiederkehren werden. Wir werden daher im einzelnen auf diese Frage 83 β·

noch zurückzukommen haben; hier genügt ein Aufweis der theoretischen Möglichkeiten, auf denen die späteren Entwicklungen beruhen. a) Der einfachste Weg zur Vermeidung der drohenden Synonymie ist ein Rekurs auf das erste Stadium im Sinne einer Bezeichnung der „Dauer des resultierenden Zustands"; habere bleibt dabei als Vollverb zwar nicht in seiner definitorischen Bedeutung - es wird zu einer Art kausativer Kopula jedoch in Bezug auf die bezeichneten temporaldeiktischen Kategorien erhalten: die Opposition habebat cantatum / habuit cantatum entspricht der von Vi / V p g .

b) Ausgehend von der Situation des ersten Stadiums kann der Aspektgegensatz, parallel zu den entsprechenden Erscheinungen bei den einfachen Tempora, zu einem Aktionsartengegensatz umgedeutet werden. Wie oben p. 35-36 schon dargestellt wurde, kommen dabei in erster Linie die Gleichsetzungen von imperfektiv mit durativ oder iterativ und von perfektiv mit punktuell (einschließlich ingressiv und egressiv) oder einmalig in Frage. Nach einer solchen Umdeutung kann die p. 81 skizzierte Entwicklung auch die weiteren Stadien einschließen, also etwa zur Punktion der Opposition habebat cantatum / habuit cantatum

als Vp v (durativ) / Vp v (punktuell) führen. c) Die Entwicklung von habuit cantatum zur Bezeichnung von Vp v kann ungeachtet der Gefahr einer Synonymie eintreten und zur völligen oder partiellen Ausscheidung einer der beiden konkurrierenden Formen führen. Die in den romanischen Sprachen zu einem großen Teil durchgeführte partielle Ausscheidung besteht in dem Verlust der außendeiktischen Funktionen der habuit cantatum - Form und ihrer Beschränkung auf innersprachlich fest uxnrissene, das heißt innendeiktische Funktionen (cf. oben p. 72-73). Innerhalb der letzteren ist eine Abhebung von der habebat cantatum-Form, die allein die außendeiktischen Funktionen übernimmt, unter den verschiedensten Gesichtspunkten möglich. Es ist selbstverständlich, daß ein gleichzeitiges Beschreiten der aufgewiesenen Wege nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich ist und daß daraus kontinuierliche wechselseitige Einflußmöglichkeiten entstehen, die ihrerseits zu neuen Fixierungen in den verschiedensten Richtungen Anlaß geben können. 2. a) - Für die Bezeichnung differenzierter Zeitstufen im Bereich des imperfektiven Aspekts kann das Latein die entsprechenden Tempora der Periphrasen der Typen „esse + Participium praesentis" und „(Verbum der Ruhe oder der Bewegung) + Ablativus gerundii" eintreten lassen, vgl. sub l a und 2c. 2. b) - Die Eindeutigkeit der Bezeichnung der Opposition VX(p x ) / X(p x ) ist wieder hergestellt, sobald entsprechend dem unter 1 b Gesagten eine neue formale Kategorie in der Bedeutung X p x erscheint und damit 84

die Funktion der Tempora des Perfektstamms auf die Bezeichnung der Kombination V X p x = V X p n v x eingeschränkt ist. Weiterhin bestehen bleibt allerdings die Polysemie im Falle der Bezeichnung von VGpe = VGp n v g . Die Form cantavit fungiert sowohl in dieser Bedeutung als auch in der von Vp g = Vp n v , und es findet sich im Latein kein Ansatz zur Grammatikalisierung einer formalen Differenzierung der beiden Bedeutungen. 2. c) - Für die Bezeichnung einer differenzierten Nachzeitigkeit stehen, sobald ein Bedürfnis nach festen formalen Kategorien für diese Zeitstufen empfunden wird, im Zweifelsfall in jeder Sprache periphrastische Ausdrucksweisen zur Verfügung. Oben p. 32-33 wurde auf die enge Verwandtschaft aufmerksam gemacht, die unter einem psychologischen Gesichtspunkt zwischen Nachzeitigkeit und Modalität besteht. Sie bedeutet, daß jede Periphrase mit der Bedeutung des Könnens, Wollens oder Sollens virtuell eine Bezeichnung der Nachzeitigkeit darstellt, ebenso wie umgekehrt jede Bezeichnung einer Nachzeitigkeit zu den genannten Bedeutungen tendieren kann. Bekanntlich hat das Latein nicht nur über eine ganze Reihe derartiger Periphrasen verfügt, sondern es haben auch mehrere unter ihnen zu teilweise in Ansätzen erkennbaren und teilweise voll ausgebildeten formalen Systemen einer Nachzeitigkeitsbezeichnung geführt. Im Hinblick auf die weitere Verfolgung der Entwicklung in den westromanischen Sprachen beschränken wir uns hier auf die seit den ersten nachchristlichen Jahrhunderten sich verbreitende Periphrase „habere + Infinitiv"188; die sich dabei ergebenden prinzipiellen Fragen sind bei allen Nachzeitigkeitsperiphrasen die gleichen189. Von ihr kommen im einzelnen als Bezeichnungen temporal -deiktischer Begriffskategorien die folgenden Tempora in Frage, zu denen wir jeweils die Art der Belege angeben, die in den einschlägigen Spezialuntersuchungen zitiert zu werden pflegen: - für die Zeitstufe NZ: cantare habebit; keine Belege. - für die Zeitstufe NG: cantare habet; Typ Quid habes igitur dicere ? (Cicero), vgl. die Belege und Kommentare bei BUBGEB. 49 (p. 33), REGULA 56 (§ 57), GAMILLSCHEG 57 (p. 385-386) und MOIGNET 59 (p. 183-184). iss w j j . gehen dabei von der fast allgemein akzeptierten Herleitung cantare habeo > cantaraio > chanterai, cantari (cantarlo he) aus. I m Widerspruch hierzu steht BECKER 47, der von einer Analogiebildung ai habeam, daream aus ai habeam, darem ausgehen möchte und den Anschluß an eine Periphrase „habere + Infinitiv" bis hin zur Tmesis im Spanischen und Portugiesischen als nur sekundäre Erscheinung anerkennt. 189 Dies gilt auch f ü r jene lateinische Nachzeitigkeitsperiphrase, die ihrer Herkunft nach sogar als primäre Zeitstufenbezeichnung angesprochen werden könnte und deren Schicksal vorzügliche Beispiele f ü r den Ü b e r g a n g von temporal-deiktischen zu modalen Bedeutungen liefert: „esse + Participium f u t u r i " ; vgl. GAMILLSCHEG 13, bes. pp. 41-42 und 302-303.

85

- für die Zeitstufe NV: cantare habebat; Typ Sanare te habebat Deus, si... (cf. Migne 39, col. 2214), vgl. die Belege und Kommentare bei GAMILLSCHEG 13 (pp. 4 2 - 4 7 , 129-131 u n d 301-305), MOIGNET 59 (pp. 180 und 189) und GAMILLSCHEG 57 (pp. 391 und 395); - und cantare habuit;

Typ Nisi bona vestra nobis qui audivimus suasissent, nulla ilium habuimus ratione suscipere (Gregor von Tours), vgl. die Belege und Kommentare bei GAMILLSCHEG 13 (pp. 4 4 - 4 7 und 301-305), GAMILLSCHEG 57 (p. 395) und MOIGNET 59 (pp. 179 u n d 189-190) 1 9 0 .

- für die Zeitstufe NVZ: cantare habuerit; für dieses Tempus werden keine Belege zitiert, GAMILLSCHEG 13, p. 130-131, nimmt es jedoch als Vorform späterer rumänischer Entwicklungen an und setzt dabei rein modale Bedeutungsfunktionen voraus. - für die Zeitstufe NVG: cantare habuit müßte wie alle zu cantavit analog gebildeten Formen auch hier in einer Doppelfunktion, nämlich mit den Bedeutungen NVG und NV auftreten; vgl. oben bei NV. - für die Zeitstufe N W : cantare habuerat; Typ Nisi Deus admonuisset me node in visione habueram peccare in te (Arnobius Junior, Comm. in Psalmos 104, Migne 53, 4 8 0 d), vgl. GAMILLSCHEG 13 (pp. 44 und 47) 1 9 1 . Bezeichnend ist das völlige Fehlen von Angaben für cantare habebit und für ein anders als modal zu verstehendes cantare habuerit. Ebenso wie die überwiegende Mehrzahl der Belege für die übrigen Tempora beweist es, daß in lateinischer Zeit diese Periphrase niemals primär zur Bezeichnung der Nachzeitigkeit wurde, sondern immer ihre modale Bedeutung bewahrt hat. Während Bezeichnungen einer NachVergangenheit und einer Nachgegenwart unabhängig von ihrer Herkunft immer auch eine modale Bedeutung haben werden, ergibt sich bei einer zur Bezeichnung der Nachzukunft dienenden Form unter dem Gesichtspunkt der Modalität ieo Für das Zusammentreffen von cantare habebat und cantare habuit auf der Zeitstufe N V gilt entsprechend das oben p. 83-84 zu habebat cantatum und habuit cantatum Gesagte. In welcher Richtung die Bedeutung der formalen Opposition in dem vorliegenden Fall hätte gesucht werden müssen, wenn sie grammatikalisiert worden wäre, hat GAMILLSCHEG 13 wohl zutreffend dargestellt: ,,... so ergibt sich, daß der toskanische Typus cantarei zu dem Typus der übrigen Romania cantaria sich verhält wie cantavissem zu cantarem, d.h. cantarei und cantaria sind nicht begrifflich gleichwertig, sondern sind ursprünglich in der Zeitstufe geschieden; auch in Mittelitalien werden sie ursprünglich nebeneinander bestanden haben, ersteres als Irrealis Praeteriti, letzteres als I. Praesentis. Erst sekundär, wohl nicht vor dem 10. Jahrhundert, wurden die beiden Formen gleichwertig und verschmolzen" (p. 45). Trotz Gamillschegs Terminologie würde es sich also um eine primär modale und weder zeitstufenmäßige noch aspektuale Bedeutungsopposition gehandelt haben. 191 Zu entsprechenden Bildungen mit konjunktivischen Tempora vgl. GAMILLSCHEG 1 3 , p p . 4 2 , 4 7 , 1 2 9 - 1 3 1 u n d 3 0 2 - 3 0 5 , u n d GAMILLSCHEG 5 7 ,

p. 3 8 6 .

86

keine sinnvolle Opposition zu den Bezeichnungen der einfachen Zukunft, die schon die gleiche modale Bedeutungsnuance besitzen. Auf Schema 3 (cf. p. 78) bezogen, das heißt zunächst ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Zeitstufenbezeichnung ergibt die Periphrase ,,habere -f- Infinitiv" die folgende Situation: (Schema 5) cantare habebit

cantabit cantare habuerit cantaverit

cantare habet

cantat cantare habuit cantavit

~ τ ~ cantare

{

habebat! habuit /

cantabat

cantavit

cantare habuerat

w

1

cantaverat

Ähnlich wie bei der Periphrase „habere + Participium perfecti" ist auch hier ein Ineinandergreifen von begrifflichen und formalen Faktoren bei der Herausbildung von Neuerungen festzustellen. Die von dem zur Verfügung stehenden formalen System gebotenen Möglichkeiten gehen über den Ausgleich des festgestellten Mangels an Bezeichnungen für die differenzierte Nachzeitigkeit hinaus und umfassen in drei Fällen eigene Bezeichnungen für die doppelt differenzierten Zeitstufen vom Typ NVX. Abermals kann eine solche Situation theoretisch zu der Ausnutzung der formalen Möglichkeiten, hier in Richtung auf ein doppelt differenziertes Zeitstufensystem mit insgesamt 27 Systemstellen, oder aber zum Ver87

vvvvv

NZ (esse habebit cantans)

ΛΛΛΛΛ

(erit cantans)

Ζ vz

(fuerit cantans)

NG

(esse habet cantans)

VVVVV

ΛΛΛΛΛ1

NV V

habebit cantatum

cantabit

1

cantare habet

habuerit cantatum

l (cantaverit)

cantat

(fuit cantans)

(--irr) cantans)

jV V V V V

VG

habere habebit cantatum

cantaverit

(est cantans)

G

cantare habebit

cantare

habebat! habuit )

cantabat

YV (fuerat

cantans)

zieht auf die entsprechenden Formen bzw. zu ihrer Verwendung für andere Bezeichnungsbedürfnisse - im vorliegenden Fall also in modalen Bedeutungen - führen. Da das Latein bzw. die aus ihm entstandenen romanischen Sprachen den zweiten Weg beschritten und im Lauf der weiteren Entwicklung die fraglichen drei Formen ausgeschieden haben, können wir sie bei der folgenden Kombination der Schemata 4 und 5 unberücksichtigt lassen. Zum Zweck einer solchen Kombination sind zunächst die Verbindungen zu untersuchen, die die „habere + Infinitiv'' - Formen mit den unter l a und 1 b behandelten Periphrasen eingehen können. Anders ausgedrückt, es ist die Frage nach der aspektualen Zuordnung der „habere + Infinitiv"Periphrase zu beantworten. Als Verbindung eines Hilfsverbs mit einem Infinitiv sind ihr von Hause aus auch dessen aspektuale Charakteristika zuzuschreiben192. Da nun die formale Opposition cantare / cantavisse in 192 Wohingegen die jeweilige Zeitstufenbedeutung durch den sich aus dem

88

(Schema β)

habere habet cantatum habet cantatum

cantavit

habuit cantatum ha- j habebat) bere \ habuit i cantatum

l cantavit

ihabebatl (habuit f cantatum cantaverat

habuerat cantatum

ihrer aspektualen Bedeutung derjenigen von cantat / cantavit usw. entspricht, ist somit auch für unsere Periphrase eine Indifferenz gegenüber der Opposition Xi / Xp n x , jedoch verbunden mit der Unfähigkeit zur Bezeichnung des Kombinationstyps Xp x , anzusetzen. Zur Illustration benutzen wir das auch oben p. 77 für cantabit angewandte Verfahren: ob ein caviare habet als he is going to be singing (NGi) oder als he is going to sing (NGp nn e) zu verstehen ist, geht aus der bloßen periphrastischen Form ohne jeden Textzusammenhang nicht hervor. Ebenso wie cantat usw. bieten sich daher - jedenfalls theoretisch - auch cantare habet usw. zu einer sekundären Differenzierung X i / X p n x mit Hilfe der unter 1 a aufgeführten Periphrasen an und lassen die Aufstellung einer partizipativen Opposition vom Typ esse habet cantans / cantare habet zu. Für ihr erstes Glied gilt entsprechend das unter 1 a, für die möglichen Tempora Tempus des Hilfsverbs ergebenden Bezugspunkt und durch die in der Periphrase als solcher gegebene Bezugsrichtung der Nachzeitigkeit bestimmt ist.

89

das hier allgemein zu der Periphrase „habere + Infinitiv" Gesagte. Daß es sich bei diesen doppelt periphrastischen Formen zunächst um rein virtuelle Kategorien handelt, bedarf keiner besonderen Betonung. Die nun noch fehlenden Bezeichnungen für die Kombinationen vom Typ N X p n x können durch eine Verbindung der „habere + Tnfinitiv"Periphrase mit der unter l b dargestellten „habere + Participium perfecti"-Periphrase gebildet werden, indem in der ersten an die Stelle des einfachen der zusammengesetzte Infinitiv habere cantatum tritt. Diese Verbindung ist ebenfalls im Prinzip auf allen Zeitstufen durchführbar; entsprechend dem oben Anm. 190 Gesagten ergibt sich dabei auf der Systemstelle N V p n v eine partielle Synonymie der Formen habere habebat cantatum und habere habuit cantatum. Als Kombination aus den Schemata 4 und 5 entsteht somit das in Schema 6 (p.88-89) wiedergegebene Bild193. Damit liegt ein Bezeichnungssystem vor, das allen im Anschluß an Schema 3 aufgewiesenen möglichen Erfordernissen gerecht wird. Ein solches System setzt jedoch einen derart hohen Grad an Bewußtheit der Kategorien eines einfach differenzierten Zeitstufen- und Aspektsystems voraus, daß es auch ohne Kenntnis der späteren romanischen Konjugationsschemata nicht schwer fiele, im Hinblick auf die allgemeinen sprachlichen Entwicklungstendenzen in der Zeit des „Vulgärlateins" und der Entstehung der romanischen Sprachen eine Tendenz zur Vereinfachung bzw. zur Nicht-Ausnutzung vorhandener formaler Möglichkeiten vorherzusagen. Am labilsten muß sich bei einer solchen Entwicklungstendenz die teilweise ohnedies sehr theoretische Differenzierung im Bereich von Zukunft und Nachgegenwart erweisen. Die drohende Synonymie und der daraus resultierende Konkurrenzkampf von cantabit und cantare habet sind bekannte Tatsachen, ebenso ihre Konsequenz: der Typus cantabit ist nach 700 nur noch als vereinzeltes Relikt in afr. (i)ert erhalten, das mit dem 14. Jhdt. ebenfalls verschwindet194. Daß dieser Kampf zu Gunsten von cantare habet ausgegangen ist, dürfte nicht zuletzt aus den Gregebenheiten der Opposition Ζ / N G selbst zu erklären sein. Angesichts des besonderen Charakters der Nachzeitigkeit erscheint es nur natürlich, daß gegenüber einem abstrakten, ausschließlich als Bezeichnung von Ζ fungierenden Tempus solche Formen als ausdrucksstärker empfunden und deshalb 193 U n t e r einem rein formalen Gesichtspunkt konstruierbar, praktisch jedoch unbrauchbar wären die jeweiligen umgekehrten Periphrasenverbindungen *cantare habens est, die gegenüber cantare habet keine auswertbare Bedeutungsdifferenz aufzuweisen hätte, u n d *cantare habet habutum, die einer Systemstelle N G p * ( = N G p v n « ) entsprechen u n d somit die per definitionem unmögliche perfektive Perspektive mit vorzeitigem Standpunkt des Sprechenden (cf. oben pp. 34-35 und 42-43) voraussetzen würde. 194 Cf. u . a . BUBGER 49, p. 32-33; K U E N 52, bes. p. 160; und MOIGNET 59, p. 147-148.

90

bevorzugt werden, die die Bedeutung Ζ mit modalen Funktionen vereinen und die vor allem als ursprüngliche Bezeichnungen von NG den deiktischen Bezug vom „jetzt" her eindeutiger herausstellen196. Das Verschwinden von cantabit zieht einerseits das von allen formal von ihm abhängigen Formen - also esse habebit cantans, cantare habebit, höhere 195 Hinzu kommen die bekannten formalen Argumente der uneinheitlichen Bildungsweise des lt. Futurums und der im Zuge lautgeschichtlicher Entwicklungen entstandenen Gefährdungen in Form von Homonymien wie cantabit / cantavit > *kantdߣt oder scribet / scribit > *sJcriß&t, die das Resistenzvermögen der Futurformen erheblich schwächten. Vgl. u.a. GAMTT.T.S C H E G 57, p. 385, sowie die ausführliche Diskussion dieser Fragen bei C O S E R I U 58, p. 89-100 (cf. oben Anm. 64). Eine eigene Erklärung gibt B U R G E R 4 9 , p. 3 2 - 3 4 , gefolgt von S T I M M K A H N 57, p. 217. Entsprechend seiner oben Anm. 132 skizzierten Aspekttheorie stellt Burger für das „roman commun vers la fin du VII e siecle environ" das folgende Schema auf: passe präsent futur asp. parallele (cantabat) (cantat) (cantabit) asp. prospectif (cantavit) — (cantare habet) asp. rötrospectif (cantaverat) (habet cantatum) (cantaverit) Die Verdrängung von cantabit durch cantare habet erkläre sich nun daraus, daß auf der Zeitstufe der Zukunft die Bezeichnimg eines aspect prospectif wichtiger sei als die eines aspect parallele. Wir wollen hier nicht nochmals auf Burgers uns nicht überzeugende Aspekttheorie und auch nicht auf sämtliche Einzelheiten seines Schemas eingehen, das nur einen Teil der effektiv existierenden Tempora umfaßt. Wichtig ist jedoch, daß hier die Ansicht vertreten wird, cantare habet sei aspektual auf der Zeitstufe der Zukunft das, was auf der der Vergangenheit cantavit ist, eine Ansicht, die Burger mit den Theorien teilt, denen die Gleichung cantavit: cantare habet = cantabat: cantare habebat zu Grunde liegt. In all diesen Fällen — neben T O G E B Y 51 und 53 (cf. oben Anm. 73 und p. 61-62) sowie der kritischen Stellungnahme von A L A R C O S L L O R A C H 59 (cf. oben Anm. 150) sind hier als Vertreter der gleichen Ansicht wie Togeby u.a. G U I L L A U M E 29 (bes. p. 71), P O T T I E R 58 (§§ 215 und 266ss.) und I M B S 60 (bes. pp. 8, 107 und 238) zu nennen — wird cantavit als Bezeichnung vonVp n v verstanden, der Systemstelle also, deren Entsprechimg auf der Zeitstufe der Zukunft die Stelle Zp nz ist. Daß die späteren Funktionen von cantare habet jedenfalls auch, unter Berücksichtigung der virtuellen partizipativen Opposition zu esse habet cantans sogar vorzugsweise, auf Zp nz zugeordnet werden können, wird durch das bisher Gesagte bestätigt (daß dabei allerdings die schon von Alarcos Llorach kritisierte Zuordnung von cantare habebat auf Zi unhaltbar ist, wird sich bei der Behandlung dieser Form erweisen). Das gleiche gilt aber schon für cantabit und seine mögliche Opposition zu erit cantans, womit die Erklärung Burgers hinfällig wird. Sein Hauptirrtum scheint uns darin zu bestehen, daß er für die Zeit vor der Grammatikalisierung der „habere + Infinitiv"-Periphrase ein Bezeichnungssystem angesetzt hat, in dem unter anderen die Stelle des aspect prospectif auf der Zeitstufe der Zukunft unbezeichnet bleibt (cf. B U R G E R 49, p. 22). Ein derartiges Schema aber ist unvollständig, denn der Bedeutungsumfang einer formalen Kategorie kann nur durch Bedeutungs- und nie durch Begriffsoppositionen bestimmt werden.

91

habebit cantaium, erit cantons und habebit cantatumm - und andererseits das Aufrücken von cantare habet von N G nach Ζ nach sich. Zu dieser zweiten Behauptung ließe sich die Frage stellen, ob denn nicht cantare habet auch weiterhin mehr der direkt an das „jetzt" anschließenden Stufe N G als der durch eine „Zeitlücke" (cf. oben Anm. 59) von ihm getrennten Stufe Ζ entspricht. Sachlich wäre diese Frage durchaus berechtigt, aber formal erübrigt sie sich, denn die Opposition NG/ Ζ (oder VG/V) = ohne „Zeitlücke" / mit „Zeitlücke" existiert natürlich nur unter der Voraussetzung eines differenzierten Zeitstufenschemas. Im einfachen Zeitstufenschema ist sie neutralisiert, das heißt Ζ umfaßt hier beide Möglichkeitenlflea. Parallel zu dieser Aufgabe der differenzierten Zeitstufen NZ und N G schwindet allmählich das Bewußtsein für die Besonderheit der Stufen VZ, VG und W . Für die Form cantavit bedeutet dies das Ende ihrer ohnehin störenden Doppelfunktion und die endgültige Festlegung auf die Bezeichnung vonVp gieeb . Die Formen cantaverit, derenBedeutungsfunktion Gpz nie mehr als virtuellen Charakter besessen hat, und cantaverat hingegen haben theoretisch nur die Möglichkeit, auf ihre Ausgangspositionen Zp z und Vp v zurückzukehren. Hier drohen sie jetzt jedoch mit den neuen Formen habere habet cantatum und habebat (oder habuit) cantatum synonym zu werden. Die Folge davon ist ihreVerwendung im Sinne eines nicht näher spezifizierten Zp bzw. Vp 1 · 7 ; gelegentlich ist dabei die Tendenz zu beobachten, die ursprüngliche Perfektivität oder differenzierte Vorzeitigkeit in eine temporale Quantitätsangabe1*8 umzudeuten und insbesondere cantaverat zur Bezeichnung einer weit zurückliegenden Vergangenheit werden zu lassen1ββ. Häufiger noch ist ihr Ausweichen in andere als zeitstufenmäßige oder aspektuale, nämlich modale Bedeutungen. Bei canZ u der Deutung entsprechender Formen vgl. auch STIMM 57, p. 600. i««a Dies besagt selbstverständlich nicht, daß die Sprache damit unfähig würde, die Opposition N G / Ζ zu bezeichnen. Sobald ein neuerliches B e d ü r f nis hierfür vorliegt, kann sich der Prozeß, der zur Integrierung von cantare habet in das romanische Konjugationssystem geführt hat, an irgendeiner ähnlichen Periphrase wiederholen, cf. oben p. 85-90, sowie unten pp. 126-136 und 202-210 zu der schon im Latein angelegten Periphrase fr. „aller + I n finitif" und sp. ,,ir + (a + ) Inflnitivo". 198b Vgl. allerdings unten K a p . I I I 4 a, sub 5. Ι»» VGL. GAMILLSCHEG 57, p. 377: „ . . . daß im Vulgärlateinischen die relativen Zeitformen, also Plusquamperfekt und F u t u r u m exactum zwar erhalten blieben, aber den Ausdruck der Relativität verloren. D a s F u t u r u m exactum wird zum einfachen Futurum (so im Altitalienischen erhalten), das Plusquamperfekt wird i m Nordfranzösischen (und Iberoromanischen) zum Ausdruck der Vergangenheit, die v o m Sprechenden aus als abgeschlossen betrachtet w i r d . " 188 Z u derartigen Tensorangaben vgl. oben A n m . 62. 199 Cf. GAMILLSCHEG 13, p. 153-172, und BUBGEB 49, p. 27-28. 1,6

92

taverit liegt ein solcher Übergang sowohl auf Grund der Nachzeitigkeitsbedeutung als auch wegen des weitgehenden formalen Zusammenfalle mit den Formen des Coniunctivus perfecti nahe200, bei cantaverat ist er durch den schon klassischen, ursprünglich auf die modalen Hilfsverben begrenzten Gebrauch des Plusquamperfectums im irrealen Konditionalsatz201 vorbereitet und wirkt sich vor allem auf das Latein Hispaniens, Südfrankreichs und Unteritaliens aus. Die einzigen „Überlebenden" bei dieser Aufgabe des differenzierten Zeitstufensystems sind somit cantare habebat und cantare habuit sowie ihre Satelliten habere habebat cantatum und habere habuit cantatum. Ihre Erhaltung, die sie wohl nicht zuletzt der Stützung durch die formale Analogie zu der nun auch im einfachen Zeitstufensystem verankerten Form cantare habet verdanken, ist allerdings eingeschränkt durch ihre temporal-deiktische Synonymie (cf. oben Anm. 190), die in der Westromania zum Verschwinden von cantare habuit und im Italienischen von cantare habebat führt. Hinzu kommt die bekannte Tatsache, daß die fraglichen Formen und ihre romanischen Nachfolger mindestens ebenso häufig wie zur Bezeichnung einer Nachvergangenheit unter Aufhebung ihrer temporal-deiktischen Funktionen zur Bezeichnung modaler Begriffskategorien verwandt werden202. Was sie hingegen mit keiner ihrer Grund-, 200

Cf. GAMILLSCHEG 13, bes. p. 20-24; hinzu k o m m t die Tatsache, daß das F u t u r u m exactum schon von einigen antiken Grammatikern als konjunktivisches Tempus angesehen wurde, vgl. die diesbezüglichen Angaben bei MOIGNET 59, p . 65. 201 C f . GAMILLSCHEG 1 3 , p . 4 5 - 4 7 . 202 I n leicht veränderter F o r m scheint sich hier die altbekannte Frage zu stellen, ob der sogenannte Konditional ein Tempus oder ein Modus ist. Nur als Musterbeispiele zitieren wir zwei einander entgegengesetzte Stellungn a h m e n : ,,Que la forme en -rait soit pr£c£d6e d'une conjonction de subordination comme que ou quand, qu'elle soit d^terminee par une hypothese ou non, sa marque modale de ηοη-ΓέβΙ l'oppose ä l'indicatif, sauf dans la phrase hypothetique non-r6elle - ού il y a neutralisation - , et dans les expressions fig^es comme on dirait que, j'aimerais + infinitif ou que oü le temps correspondent de l'indicatif a u n sens t o u t different. Puisque nous nous sommes propose d'studier les temps de l'indicatif — qui n'indique ni la presence ni l'absence d'une marque modale —, la forme en -rait, mode du non r^el, n'entre pas dans notre s u j e t " ( K A H N 54, p. 44-45; cf. dagegen S T I M M K A H N 57, p. 215-216) und „Oes paradigmes temporeis groupös abusivement sous le nom de mode conditionnel sont en räalitä u n passö post^rieur (pass6-futur) et un pass£ postdrieur anterieur (pass^-futur antärieur) d u mode indicatif... On ne dira jamais assez qu'il n ' y a pas de mode conditionnel en fran^ais e t quel m a l peut faire k la saine conception grammaticale d u fran^ais la fausse notion de ce prätendu mode dont les limites d'emploi ne concordent d'ailleurs pas avec Celles de l'expression de la condition, puisqu'il ne l'exprime qu'exceptionellement et qu'il sert par contre couramment k exprimer t o u t autre chose" (TESNIÄRE 59, p. 592). I n ihrer einfachen Alternative Tempus oder Modus scheint uns die Frage nach dem Wesen des Konditional falsch formu-

93

Band- oder Gelegenheitsbedeutungen und zu keinem Zeitpunkt ihrer Entwicklungsgeschichte bezeichnet haben, ist die Systemstelle Zi, die ihnen auf Grund der oben Anm. 195 zitierten Gleichung cantavit: cantare habet ~ cantabat: cantare habebat zukommen müßte. Zeitstufenmäßig ist diese Zuordnung derart abwegig, daß es schwer fällt, überhaupt ein sinnvolles Argument dafür zu finden, das zu widerlegen erforderlich wäre. Aber auch die aspektuale Zuordnung, der zuliebe die Gleichung ursprünglich aufgestellt wurde, ist unvereinbar mit dem, was oben p. 88-89 zu den Aspektbedeutungen der „habere + Infinitiv"-Periphrase beobachtet werden konnte. Auch hier gilt, daß einem dijo que cantaria (und seinen verschiedenen romanischen Parallelformen) nicht anzusehen ist, ob ihm im Englischen ein he said that he was going to (oder would) be singing oder ein he said that he was going to (oder would) sing entspricht; und daß darüberhinaus auf Grund der virtuellen partizipativen Opposition esse habebat cantans / cantare habebat die letztere Form im Falle des Verlusts ihrer aspektualen Indifferenz zur Bezeichnung des perfektiven und gerade nicht des imperfektiven Aspekts wird. Während die Bezeichnungen für die differenzierten Zeitstufen bis auf eine Ausnahme verschwunden sind und diejenigen für die Opposition Xi / Xp - die Formen der Periphrasen „esse -f Participium praesentis" usw. - ohnedies nur virtuellen Charakter haben und somit einstweilen liert zu sein; u m sinnvolle Antworten zu ermöglichen, m ü ß t e sie dahin gehen, ob die Opposition Konditional / χ temporale oder modale Bedeutung besitzt. Als χ k a n n dabei theoretisch jede behebige andere Konjugationsform fungieren; da m a n aber normalerweise m i t „Tempus" auf nicht-gegenwärtige Zeitstufen und m i t „Modus" auf nicht-indikativische Modalitäten - wir nehmen diese inkonsequente Vermengung begrifflicher u n d formaler Kriterien hier in Kauf, um der Notwendigkeit einer Herleitung der begrifflichen Kategorien der Modalität zu entgehen, cf. oben Anm. 64 und 172 - abzielt, wird im Zweifelsfalle der Indikativ Präsens als χ eintreten. Auf unseren Zusammenhang angewandt, ergibt sich somit die Antwort, daß die Opposition cantare habebat / cantat sowohl temporale als auch modale Bedeutung besitzen k a n n und in ihrem Wesen identisch ist mit der Opposition cantare habet / cantat. Alles weitere ist eine Frage der Definition. Definiert m a n jede formale Kategorie, die u n t e r a n d e r e m als Bezeichnimg einer Zeitstufenopposition zur Gegenwart fungiert, als Tempus, so sind Konditional u n d F u t u r Tempora; definiert m a n hingegen n u r solche formale Kategorien als Tempora, die a u s s c h l i e ß l i c h als Bezeichnung einer Zeitstufenopposition zur Gegenwart fungieren, so sind Konditional und F u t u r (und mit ihnen noch einige weitere gewöhnlich als Tempora geführte formale Kategorien - m a n denke beispielsweise a n das französische Imparfait) Modi. Mit dieser zweiten Auslegung stünde m a n in der Nähe der von S Ä N C H E Z R Ü I P E R E Z 54, KTNTYZ,owicz 56 u n d A L A R C O S L L O R A C H 59 vertretenen Anschauung (cf. oben Anm. 64 u n d 150), mit der wesentlichen Einschränkung allerdings, daß es hier u m eine Einstuf u n g des F u t u r s als Modus und nicht der Zukunft als Modalität geht, während in den genannten Arbeiten diese Unterscheidung nicht mit genügender Klarheit betont ist.

94

vernachlässigt werden können, hat die Periphrase „habere + Participium perfecti" selbst in einem „vulgärlateinischen" Bezeichnungssystem ihren festen Platz. Zwar ist auch sie nicht in einer eindeutigen Bedeutung fixiert und schwankt zwischen dem ersten und zweiten der p. 81 unterschiedenen Entwicklungsstadien. Trotzdem wird man für die Zeit des Übergangs vom Latein zu den romanischen Sprachen eine im wesentlichen ungefährdete Stellung der Bezeichnung der Opposition Xi + Xp n x / Xp x ansetzen können. Als Alisgangspunkt für die weiteren Entwicklungen, die von nun an nur noch im Rahmen der einzelnen romanischen Sprachen verfolgt werden können, ergibt sich auf Grund all dieser Vereinfachungen gegenüber Schema 6 eine Situation, die bis auf zwei Ausnahmen in großen Zügen dem in Schema 3 dargestellten Ausgangszustand des lateinischen Konjugationssystems entspricht. Die beiden strukturellen Neuerungen sind die Bezeichnung einer Nachvergangenheit und die formale Differenzierung der Systemstellen Gpe und Vpe (cf. oben p. 76). Auf unser Schema der temporal-deiktischen Begriffskategorien übertragen ergibt sich damit das in Schema 7 (p. 96) wiedergegebene Bild. 3. Die Entwicklung des französischen Bezeichnungssystems Den Ausgangspunkt der Entwicklung des französischen Bezeichnungssystems für temporal-deiktische Begriffskategorien bildet die entsprechende Transposition von Schema 7. In Anbetracht der formengeschichtlichen Gregebenheiten können dabei von vornherein die folgenden Vereinfachungen vorgenommen werden: 1) cantabit lebt ausschließlich in der vereinzelten Form (i)ert weiter (cf. oben p. 90) und kann daher als eigene formale Kategorie unberücksichtigt bleiben. 2) cantaverit als ohnehin schon gefährdete Form (cf. oben p. 92-93) wurde in der nördlichen Galloromania zusätzlich durch den formalen Zusammenfall mit cantaverat bedroht203. Es liegen somit genügend Motive vor, die sein Ausscheiden aus der Sprache und das Fehlen jeglicher Spuren von ihm im Französischen erklären. Ebenfalls untergegangen ist die von ihm abhängige Form habuerit carvtatum. 3) cantare habuit und das von ihm abhängige habere habuit cantatum sind in der gesamten Westromania zu Gunsten von cantare habebat und habere habebat cantatum ausgeschieden worden (cf. oben p. 93). 4) habuerat cantatum ist eine angesichts des afr. Weiterlebens von cantaverat theoretisch mögliche Form, für die jedoch keine Belege existieren. 203

Cf.

GAMILLSCHEG

13, p. 173-174.

95

(Schema 7)

Ζ

(cantabit) 1 cantare habet/

{

habere habet cantatum

cantaverit

G

cantat

NV

, cantare

habuerit cantatum

habet cantatum

habere

cantabat

vv

96

{

ihabebat) ^ ^

habebat I habait J

cantatum

cantavit

ί habe- ] { bat 1 habuiti

cantatum cantaverat

habuerat cantatum

Da in dem gleichen Ausmaß, in dem sich die ,,habere + Participium perfecti"-Periphrase bedeutungsmäßig fixiert, cantaverat mehr und mehr von habebat cantatum und habuit cantatum verdrängt wird, ist es leicht erklärlich, daß die von dem Vorliegen der beiden einander entgegengesetzten Entwicklungstendenzen abhängige Form habuerat cantatum nie tatsächlich existiert hat204. Die Transposition von Schema 7 gestaltet sich demnach folgendermaßen (Schema 8, siehe folgende Seite). Auf Grund dieses Schemas erhebt sich zunächst die Notwendigkeit einer detaillierten Darstellung der in ihm vertretenen Formen, das heißt einer Untersuchung, ob ihre jeweilige Zuordnung auf das temporal-deiktische Kategoriensystem für das Französische gerechtfertigt ist (Abschnitt a). Sodann lassen sich aus ihm ähnlich wie aus Schema 3 (cf. oben p. 78) eine Reihe möglicher, in der vorliegenden Form unzureichend befriedigter Bezeichnungsbedürfnisse ablesen. Es fallt auf, daß 1. unter dem Gesichtspunkt einer strengen Aspektscheidung a) die Differenzierung Xi / Xp nur auf der Zeitstufe der Vergangenheit durchgeführt ist, auf den beiden anderen hingegen fehlt. Diese isolierte Stellung der Opposition Vi / Vp kann zu verschiedenen Tendenzen Anlaß geben. Eine mögliche Folge wäre die völlige Aufgabe der Differenzierung Xi / Xp. Für die Opposition (il) chantait / ((ü) chanta + chantira + (il) avait chantd + (il) ewt chantd) würde dies die Aufgabe eines ihrer Glieder oder die Verschiebung von dessen Bedeutungsfunktion auf andere als temporal-deiktische Begriffskategorien mit sich bringen. Eine weitere Möglichkeit wäre das Entstehen eines Bedürfnisses zur Herstellung einer durchlaufenden Xi/Xp-Differenzierung, zu der man sich der schon im Latein angelegten periphrastischen Bezeichnungsmöglichkeiten (cf. oben p. 78-80) bedienen könnte (Abschnitt b). Schließlich kann aber auch, bei Erhaltung des gegebenen Formenbestands, die in diesem Fall durch das lt. Vorbild nahegelegte Beschränkung der Differenzierung Xi / Xp auf die Zeitstufe der Vergangenheit, das heißt die Bewahrung des in Schema 8 vorliegenden Zustande, die Folge sein. b) die Differenzierung (Xi + ) Xp n x / Xp x wenn nicht streng durchgeführt, so doch auf allen bezeichneten Zeitstufen in der „avoir + Participe pass£''-Periphrase angelegt ist (vgl. Abschnitt a). 2. unter dem Gesichtspunkt einer strengen differenzierten Zeitstufenscheidung lediglich die Stufe NV eine eigene Bezeichnung besitzt. Auch 204 Zu derartigen. Fällen vgl. die Unterscheidung der durch substitution historique (hier: cantaverat > habebat / habuit cantatum) und durch genese structurale (hier: cantaverat > habuerat cantatum) gestifteten Beziehungen bei TESNIÖKE 39, pp. 169 und 181-182.

97 7 Heger, Begriffekategorien

(Schema 8)

(il) chantera

Q

(il) chante

NY

(il) chanterait

(il) chantait

W

98

(il) aura chante

(il) a chante

(ü) aurait chante

(il) chanta

(il) lavaiti \ eut / chante chantera

hier sind verschiedene Tendenzen möglich. Sie können zu einer Aufgabe auch der letzten differenzierten Zeitstufe bei Beschränkung von (il) chanterait und (il) aurait chantd auf ihre modalen Bedeutungen oder jedenfalls auf innendeiktische Funktionen (cf. Abschnitt a) führen. Oder aber es kann das Ergebnis in der Wiederherstellung eines vollständigen Formensystems zur Bezeichnung der differenzierten Zeitstufen mit Hilfe periphrastischer Bildungen und entsprechend den schon im Latein eingeschlagenen Wegen bestehen (Abschnitt c). a) Die ursprünglichen Tempora Einzelerörterungen wie die hier folgenden tragen im Gegensatz zu den Fragestellungen, die zu ihnen hinführen, einen semasiologischen Charakter. Für die Reihenfolge der darzustellenden Fälle ist es daher angebracht, statt von begrifflichen von formalen Ordnungskriterien auszugehen und dabei jeweils diejenige Form an den Beginn zu stellen, die auf Grund der Häufigkeit ihres Gebrauchs am ehesten als Vorbild für Entwicklungen in Frage kommt, die sich auf sämtliche analog gebildeten Formen erstrecken. Wir werden daher zunächst alle einfachen und anschließend alle mit der Periphrase „avoir -f- Participe passö" gebildeten Tempora darstellen und bei der ersten Gruppe mit dem Präsent, bei der zweiten mit dem Passö composö beginnen. 1) (il) chante („Präsent") gibt als Bezeichnung der Systemstellen Gi und Gp ng weder synchronisch noch diachronisch wesentliche Probleme auf. Die zeitstufenmäßige Zuordnung auf die Gegenwart kann als allgemein unbestritten gelten, wenn auch bisweilen unzureichende Gegenwartsdefinitionen (cf. oben p. 26-27) oder Versuche, Verwendungen des Präsent zur Bezeichnung eines Daseins zu jeder oder zu irgendeiner Zeit (cf. oben Anm. 168) im Sinne von Zeitstufen- statt Modalitätsbedeutungen zu erklären, sie in Frage zu stellen scheinen. Die aspektual ambivalente Zuordnung auf ein nicht differenziertes Gi/Gpn«, jedoch unterschieden von dem außerhalb des Bedeutungsfeldes des Präsent liegenden Gp8, erfolgt ebenfalls überall dort fast einhellig, wo in ungefähr mit der unseren vereinbare Aspektdefinitionen vorliegen208. 205

S o e t w a b e i TOGEBY 51 (cf. o b e n A n m . 73), b e i KUBYI,OWICZ 56, der

p. 27 das fr. (il) chante so definiert, daß ihm im Englischen sowohl (he) is einging als auch (he) singe entsprechen, oder bei IMBS 60, der p. 22-23 zwei Arten von Präsent unterscheidet: „le präsent momentan^ repräsente dans le präsent ce que le paesS simple repräsente dans le pass^" und „le präsent non momentan^ represent© dans le präsent ce que l'imparfait repräsente dans le passö". Im Gegensatz hierzu steht der Versuch bei STIMM KAHN 57, dae Präsent nur als Bezeichnung von Gi anzuerkennen und daraus eine Aspektopposition zwischen dem in extensiver Verwendung zur Bezeichnimg der Zukunft dienenden Präsent und dem nach dem Vorbild von BUBGER 49 (cf.

2) (il) chantera („Futur") ist als Bezeichnung der Zeitstufe Zukunft ebenso allgemein anerkannt wie der partizipative Charakter der Opposition Futur ( = Z) / Präsent ( = Ζ + nicht-Z), das heißt wie die Möglichkeit, das Present dort zu verwenden, wo im Sinne einer privativen Opposition das Futur zu erwarten wäre. Keine Einhelligkeit hingegen besteht über die aspektuale Zuordnung des Futur, dem sowohl perfektive20® als auch imperfektive Bedeutungen zugeschrieben werden207. Da in all diesen Fällen die Zuordnungen weniger von dem Wesen des Futur als von der jeweiligen Aspekttheorie und ihrer Systematik bedingt sind, bilden sie entsprechend dem oben p. 88-89 und Anm. 195 Gesagten keinen Einwand gegen die Annahme eines Weiterlebens der aspektualen Funktion von cantare habet in (il) chantera. Solange also keine sekundäre Differenzierung mit Hilfe von Periphrasen von der Art des lt. Typs „esse + Participium praesentis" eintritt, gilt weiterhin die Zuordnung von (il) chantera auf die Systemstellen Zi und Zp nz . Daß das Futur neben diesen seinen temporal-deiktischen auch modale Bedeutungsfunktionen besitzt208, bedarf hier nur eines summarischen Hinweises, nachdem die entsprechenden Erscheinungen in ihrer allgemeinen Bedeutung ausführlich berücksichtigt worden sind (cf. oben Anm. 64, 150 und 202). 3) (il) chanterait („Conditionnel") ist ebenfalls durch das Nebeneinander modaler und temporal-deiktischer Bedeutungsfunktionen charakterioben Anm. 195) als ausschließlich perfektiv angesetzten Futur herzuleiten: „im Gesamtsystem müssen sich dann dieses present „futur" und das F u t u r auf -ra, entsprechend das imparfait als ,präsent „futur" par rapport au passe' und die Form auf -rait, hinsichtlich des Aspektes so zueinander verhalten wie das imparfait (als ,present par rapport au ραββέ') zum passe simple" (p. 217). Auf die bemerkenswerte Zuordnung von (il) chanterait auf den perfektiven Aspekt werden wir bei der Betrachtung dieser Form noch zurückkommen; die Deutung, die Stimm anschließend einem als Beleg f ü r seine Gleichung herangezogenen Beispielsatz gibt, unterscheidet nicht zwischen dem im Sinne Burgers verstandenen Aspekt und der Aktionsartenopposition durativ / punktuell. Damit aber wird auch seine Aspektdeutung hinfällig. 206 Cf. oben Anm. 195; ferner W E B E R 54, p. 180-187, dessen Stellungnahme allerdings unter der dieser Arbeit eigenen verschwommenen Terminologie leidet (vgl. die Besprechungen von H.Pilch undW.Pollak). 207 Zu beiden Zuordnungen vgl. die Hinweise und Kritik bei C H B I S T M A N N 59, p. 11: „Gibt es innerhalb eines Tempus, also hier des Futurums, nur eine Form, so kann sie beide Aspekte ausdrücken, und es ist unmöglich, sie ausschließlich f ü r e i n e n Aspekt in Anspruch zu nehmen. Das gilt sowohl f ü r das lateinische (synthetische) wie f ü r das romanische (analytische) F u t u r u m . " Soweit m a n wie Christmann mit „beide Aspekte" die Opposition Zi / Z p n z meint, stimmen wir seiner Kritik völlig zu; unberührt davon bleibt die Bezeichnung der Systemstelle Zp z , vgl. unten zu (il) aura chanU. 208 Y G I . U . A . B R U N O T - B R U N E A U , p . 5 3 3 ; W A R T B T J R G - Z U M T E I O R , p . 3 0 7 - 3 0 8 ; GAMILLSCHEG 5 7 , p p . 3 8 7 u n d 3 9 0 ; u n d IMBS 6 0 , p . 5 0 - 5 4 .

100

siert. Seibat bei einer ursprünglichen NachVergangenheitsbezeichnung würde ein solches Nebeneinander nicht überraschen. Ihre Umdeutung in die Bezeichnung einer an keine bestimmte Zeitstufe gebundenen Möglichkeit liegt immer nahe, denn die deiktische Fixierung eines Vorgangs als in der Vergangenheit zukünftig läßt die Frage, ob er „wirklich" stattfindet, selbst dann offen, wenn der intendierte Zeitpunkt vom Standpunkt des Sprechenden aus gesehen schon der Vergangenheit angehört. Auf die somit sowohl sprachgeschichtlich als auch jederzeit synchronisch motivierbaren modalen Funktionen sind wir oben bei der Besprechung der cantare habebat- und cantare habuit-Yormen (cf. Anm. 202) näher eingegangen und können uns deshalb hier auf den Hinweis beschränken, daß sich an der Existenz dieser Funktionen im Lauf der französischen Sprachgeschichte nichts geändert hat209. Bei der temporal-deiktischen Zuordnung des Conditionnel herrscht weitgehend Übereinstimmung über seine Funktion als Bezeichnung der Nachvergangenheit, das heißt einer „Zukunft der Vergangenheit"210. Wichtig ist dabei, daß mit dieser Formulierung nicht nur eine Erklärung für die abstrakte Zeitstufe NV gegeben, sondern gleichzeitig an die Tatsache erinnert werden soll, daß diese Bedeutungsfunktion an das Vorhandensein einer Vergangenheitsbezeichnung im syntaktischen Zusammenhang gebunden ist211. Mit anderen Worten handelt es sich bei der Nachvergangenheitsbedeutung des Conditionnel um eine in erster Linie innendeiktische Funktion, die der oben p. 97-99 angedeuteten Tendenz zur Aufgabe der Bezeichnungen für differenzierte Zeitstufen zu entsprechen scheint. Selbst das syntaktisch unabhängige Auftreten des Conditionnel im sogenannten style indirect libre212 ist im Grunde eine innendeiktische, in diesem Fall von dem durch die Stilfigur der „erlebten Rede" gesetzten Rahmen abhängige Funktion, die überdies erst in nfr. Zeit zu nachweislicher Bedeutung gelangt ist. Schließlich hat auch noch die sich allmählich herausbildende Bedrohung durch ein partiell synonymes (il) attait chanter (cf. unten p. 129-130) in der gleichen Richtung auf die Entwicklung des Conditionnel eingewirkt. Entsprechend dem p. 97-99 Gesagten ist mit der Betonung dieser innendeiktischen Funktion das störende Moment der ver209 Im Widerspruch zu dieser Auffassung von einer Kontinuität der modalen Punktionen des Conditionnel steht die von den Theorien G. Guillaumes abhängige Deutung bei MOIGNET 59, vgl. unsere Besprechung p. 154—155. Zur Geschichte der modalen Bedeutungen vgl. GAMLLLSCHBG 13, p. 193—195,

u n d GAMILLSCHEG 57, p. 3 9 1 - 3 9 7 , u n d z u ihrem Vorhandensein i m N f r . WARTBURG-ZUMTHOR, p . 3 4 7 - 3 4 9 , u n d IMBS 6 0 , p . 7 0 - 8 0 . 210 Cf. u . a . B R U N O T - B R U N E A U , p . 5 2 9 , u n d WARTBURG-ZUMTHOR, p . 3 4 3

bis 344. 211 Zu dieser „Abhängigkeit" des Conditionnel vgl. bes. GAMILLSCHEG 57, p. 393, u n d IMBS 60, p. 6 2 - 6 4 . 212

V g l . POLLAK 6 0 , p . 1 7 8 - 1 9 4 , d a z u j e t z t IMBS 6 0 , p . 6 4 .

101

einzelten Bezeichnung einer differenzierten Zeitstufe in den Hintergrund getreten, ohne daß damit jedoch im Prinzip eine spätere Wiederentfaltung außendeiktischer Punktionen und ein möglicherweise von ihr ausgehender Anstoß zur weiteren Ausbildung von Bezeichnungen für andere differenzierte Zeitstufen ausgeschlossen worden wären. Von einem Aufgeben jeglicher Zeitstufenbedeutung kann bei dem Conditionnel jedenfalls keine Rede sein. Uneinigkeit besteht im Gegensatz hierzu über die aspektuale Zuordnung des Conditionnel. Im Sinne der schon verschiedentlich zitierten Gleichung (il) chanta: (il) chantera = (il) chantait: (il) chanterait213 wird er als Bezeichnung des imperfektiven, in der Weiterentwicklung der Burgerschen Aspekttheorie durch Stimm214 als Bezeichnimg des perfektiven Aspekts angesehen. Ähnlich wie bei der Zuordnung des Futur handelt es sich auch hier um die Auswirkungen verschiedener Aspekttheorien, die weder in der einen noch in der anderen Richtung einen Einwand gegen die p. 93-94 begründete Zuordnung der Nachfolgeformen von cantare habebat auf die Systemstellen NYi und NVp n n v darstellen. 4) (il) chantait („Imparfait") ist wohl das fr. Tempus mit der am meisten umstrittenen Zuordnung auf Zeitstufen, Aspekte und andere Kategorien216. Einer der vielen Versuche, zu einer dem Wesen des Imparfait gemäßen Formulierung zu gelangen, ist seine Definition als „Präsens in der Vergangenheit"21®. In ihrer scheinbar paradoxen Form liegt das Bemühen vor, genau dem gerecht zu werden, was wir oben bei der Betrachtung der Systemstellen Zi und Vi (cf. p. 38) als die Schwierigkeit der Kombination eines zeitstufenmäßigen „nicht-jetzt" mit einem aspektualen „jetzt" herausgestellt haben. Ebenso betrifft die Mehrzahl der vielen Imparfait-Deutungen weniger die Zuordnung dieses Tempus auf die Systemstelle Vi, über die - soweit ungefähr vergleichbare Zeitstufenund Aspektdeutungen zu Grunde liegen - fast völlige Einmütigkeit herrscht, als eben die dieser Systemstelle selbst innewohnende Problematik. Darüberhinaus aber verbergen sich, zum mindesten hinsichtlich der aspektualen Zuordnung des Imparfait, häufig recht erheblich von einander abweichende Auffassungen hinter einer identischen oder scheinbar 213 V g L zuletzt oben p. 93-94, wo wir ihre Unbrauchbaxkeit für die semasiologische Deutung von cantare habebat und seinen romanischen Nachfolgern dargelegt haben. 214

STIMM K A H N 5 7 , c f . o b e n A n m . 2 0 6 .

215

Einen nützlichen Überblick über eine Reihe von Deutungsversuchen

b i e t e n WEBER 54, p. 35—36, u n d DIETBICH 55, p. 4 9 - 5 3 ; a n n e u e r e n Stellung-

nahmen sind REGULA 58, ein kurzer Exkurs bei MOIGNET 59, p. 98, und vor allem POLLAK 60, bes. p. 1 4 0 - 1 5 0 , z u n e n n e n . 216

V g l . u . a . K A H N 5 4 , p . 8 6 (cf. o b e n p . 6 0 ) , u n d b e s . POIXAK 6 0 , p p . 9 2 ,

158-160 und 177.

102

ähnlichen Terminologie. Einer der relativ seltenen Fälle, in denen ein solches Abweichen in einer offenbaren Divergenz von der Zuordnung auf Vi greifbar wird, liegt in der Deutung J. Kurylowiczs vor. Er spricht dem Imparfait die zwei Stellen seines Systems zu, die im Englischen durch die Opposition he sang / he was singing geschieden werden217. Diese nach allen bisher herangezogenen romanisch-englischen Parallelen erstaunliche Gruppierung erklärt sich aus einem Phänomen, das in einem anderen Zusammenhang von H.Marchand218 aufgedeckt wurde. Während im Latein und den romanischen Sprachen entsprechend einer gemeinindogermanischen Tendenz (cf. oben p. 35-36) die Bezeichnungen des imperfektiven Aspekts häufig mit denen einer durativen und sekundär einer iterativen Aktionsart identifiziert erscheinen, liegt im Englischen insofern ein umgekehrter Fall vor, als hier die sogenannten 'progressive tenses den imperfektiven Aspekt unter Ausschluß der iterativen Aktionsart bezeichnen. Unter dem Gesichtspunkt einer Aktionsartenopposition trifft Kurylowiczs Gleichung somit zu und muß vollständig lauten ( i l ) chantait ( = imperfektiv) = (he) sang (= imperfektiv iterativ) + (he) was singing ( = imperfektiv semelfaktiv). Einzuwenden bleibt allerdings, daß (he) sang daneben noch den perfektiven Aspekt, und zwar ungeachtet jeder Aktionsartenopposition, bezeichnet und daß die Opposition (he) sang / (he) was singing daher ebenso für die bei einem Vergleich mit dem fr. Imparfait wesentlich interessantere aspektuale Opposition perfektiv / imperfektiv wie für die von Kurylowicz zu Grunde gelegte der Aktionsarten iterativ / semelfaktiv steht. Derartige implizite Gleichsetzungen von Aspekten und Aktionsarten sind nun aber, wie in Kapitel II, 4 gezeigt wurde, an der Tagesordnung und beeinträchtigen in erheblichem Ausmaß den Wert der scheinbaren Einmütigkeit über die aspektuale Zuordnung des Imparfait. So wird ihm immer wieder zusammen mit dem imperfektiven Aspekt eine durative Aktionsart zugeschrieben. Dies ist deswegen ein gefährliches Verfahren, weil die Opposition (il) chantait j (il) chanta, ebenso wie ihre Entsprechungen schon im Latein und auch in den übrigen romanischen Sprachen, zwar die Aktionsartenopposition durativ/punktuell bezeichnen kann, aber nicht muß. Es finden sich daher auch Fälle, in denen das Imparfait bei punktueller Aktionsart steht219 und die bei mangelnder Unterscheidung von Aspekt und Aktions-

217 218

KTTRYLOWICZ 56, p. 27. MARCHAND 65, bes. p. 51, cf. unten A n m . 408. WEBER 54, p. 158, zitiert einen. Fall, in dem ein fr.

il avait envie mit d. er bekam Lust wiederzugeben ist, wo also eine punktuelle, nämlich ingressive Aktionsart durch das Imparfait bezeichnet wird. Vgl. POLLAK 60: „Aber eines steht fest: der imperfektive Aspekt des Russischen ist ebenso wie das französische Imparfait mit der nicht-durativen Aktionsart ... vereinbar" (p. 38).

103

art zu erheblichen Verwirrungen Anlaß geben. Ein unter den verschiedensten Gesichtspunkten durchdiskutiertes Beispiel ist die griechische Opposition von Imperfekt und Aorist in den beiden Satztypen 1° έβασίλευεν / έβασίλευσεν (τριάκοντα ετη) = il etait roi j il fut roi (pendant trente ans) — er war (30 Jahre lang) König, und 2° έβασίλευεν / έβασίλευσεν = il etait roi J il fut roi = er war König / er wurde König220. Daß der bedeutungsmäßige Unterschied nur auf der Basis einer Trennung von Aspekt (1°: imperfektiv / perfektiv) und Aktionsart (2°: durativ / punktuell, hier als ingressiv, cf. oben Anm. 71) befriedigend dargestellt werden kann, scheint uns ebenso evident wie die Unmöglichkeit, aus einer semasiologischen Untersuchung der griechischen (oder französischen) Konjugationsformen den Gegensatz zwischen den beiden begrifflichen Kategorien zu deduzieren (cf. oben Anm. 70). Gegenüber der Problematik des richtigen Verständnisses der aspektualen Zuordnung des Imparfait scheint seine zeitstufenmäßige Fixierung auf die Vergangenheit auf den ersten Blick selbstverständlich zu sein. Trotzdem gibt es auch hier Zweifel, die sich in erster Linie auf Beispiele wie Galilee a demontre que la terre tournait (neben tourne) autour du soleil2il und auf den Gebrauch des Imparfait im style indirect libre222 stützen. Während im ersten Fall eine Einschränkung auf eine Vergangenheitsbedeutung in innendeiktischer Funktion vorliegt, ließe sich in dem zweiten ebenso gut schon ein erstes Stadium einer Entwicklung erblicken, die das Imparfait unter Neutralisierung223 seiner Zeitstufenbedeutung in eine Art Modus der indirekten Rede224 verwandelt. Die gleiche Neutralisierung liegt bei allen anderen modalen Bedeutungsfunktionen des Im220

V g l . HEBMANN 43, p . 6 2 5 - 6 2 6 ; DIETRICH 55, p. 3 3 - 3 4 ; u n d SANCHEZ

54, pp. 77 und 84. Vgl. ferner die ausführliche Darstellung französischer Parallelerscheinungen bei POLLAK 60, p. 199-202. 221 Zu der Frage einer consecutio temporum, die sich an diesem Beispiel

ΚυιρέκΕΖ

s t e l l t , v g l . n e u e r d i n g s POLLAK 6 0 , p . 1 7 2 - 1 7 8 , u n d IMBS 6 0 , p . 2 0 7 - 2 1 6 . 222

Cf. o b e n A n m . 2 1 2 ; vgl. a u c h GAMTLLSCHEQ 57, p. 413, u n d IMBS 60,

p. 94-96. 223 Zu dem Begriff der Neutralisierung oder Oppositionsaufhebung vgl. u.a. SANCHEZ RUIPEREZ 5 4 , p . 2 6 - 2 7 , u n d KOSCHMXEDER 5 9 ; s i e s e t z t d i e n o r m a l e

Existenz der neutralisierten Bedeutungsopposition voraus - ein Hinweis, der notwendig ist, um so abwegigen Folgerungen zu begegnen wie der von WEBER 54, „daß das Geschehnis im impf, von der Erscheinungsart in der Wirklichkeit — also auch von der zeitlichen Stufung — und vom Eontext unabhängig ist" (p. 250). 224 Aufschlußreich ist hierzu die von TOGEBY 51, p. 176-177, zusammengestellte Liste von Fällen, in denen einem französischen Imparfait ein deutscher Konjunktiv entspricht. Im Zusammenhang mit den dadurch aufgeworfenen Fragen ist die Eompromißlösung zwischen romanischen und deutschen Konjunktivbedeutungen zu sehen, die der surselvische Dialekt des Rätoromanischen durch die Ausbildung der zwei „Konjunktive" (el) cantavi und (el) cantassi gefunden hat (vgl. auch GAMILLSCHEG 13, p. 203). 104

parfait vor228. Auf den ersten Blick könnte der bei einer Nachzeitigkeitsbezeichnung ohne weiteres einsichtige Übergang zu modalen Bedeutungen bei einer die Systemstelle Vi bezeichnenden Form überraschend wirken. In Wirklichkeit handelt es sich aber auch hier um eine natürliche Konsequenz aus der dieser Systemstelle inhärenten Problematik. Besonders deutlich läßt sie sich an einem Fall erklären, der sowohl noch als temporal-deiktische als auch schon als modale Bedeutungsfunktion eingestuft werden kann. In dem sogenannten imperfectum de conatu226 und seinen romanischen Nachfolgern liegt eine Umdeutung der Aspektopposition Vi/Vp n v in deflatorische Begriffskategorien vor, die sich ausschließlich bei Vorgangsbezeichnungen in punktueller Aktionsart findet. Als Gegensatz zu dem von der Gegenwart her perfektiv gesehenen vergangenen Vorgang (Vpg = Vp nv ) wird der in der Vergangenheit imperfektiv gesehene (Vi) zu einem von der Gegenwart her „imperfektiv", nämlich unvollendet gesehenen vergangenen Vorgang. Aus diesem „nicht zur Vollendung gelangend" gesehenen Vorgang wiederum macht die Auflösung der bei punktueller Aktionsart besonders spürbaren psychologischen Schwierigkeit der Vi-Vorstellung einen „nur versuchten Vorgang", der nun im Gegensatz zu dem der Vpnv-Bezeichnung entsprechenden „tatsächlich realisierten Vorgang" steht. Eine Umdeutung dieser Opposition in die weitere von mißlungenem und gelungenem Versuch und damit des Imparfait in eine Bezeichnung modaler Kategorien im Bereich des Potentiellen und des Irrealen stellt jetzt keinen großen Schritt mehr dar. Alle diese einschränkenden Faktoren sind zwar kein Einwand gegen die Zuordnung des Imparfait auf die Systemstelle Vi, aus der sie sich vielmehr großenteils erst erklären. Sie zeigen aber, daß dieses Tempus neben seinen temporal-deiktischen über eine Reihe weiterer, teilweise in Ansätzen vorhandener und teilweise voll ausgebildeter Bedeutungsfunktionen verfügt hat und verfügt. Damit aber wäre es auch jederzeit möglich gewesen, daß sich die oben p. 97 angedeutete Tendenz zur Aufgabe der Vi / Vpnv-Opposition durchgesetzt hätte, ohne daß es deshalb zu einem völligen Untergang des Imparfait (oder eines anderen Tempus) hätte kommen müssen. Daß Ansätze zu einer entsprechenden Entwicklung in der Zeit des Übergangs vom Latein zum Französischen vorhanden waren, zeigt sich daran, „daß das Imperfektum in vorhistorischer Zeit seine präteritale Geltung zum größten Teile verloren hatte" und daß „auch im Rolandslied ... das Imperfekt als Form der Aussage fast ganz 226

Zum Vorhandensein dieser modalen Bedeutungsfunktionen des Imparfait - deren wichtigste seine Verwendung im Konditionalsatz, Typ s'il chantait..., ist — während der gesamten französischen Sprachgeschichte und zu ihrer heutigen Stellving vgl. bes. GAMTT.T.SCHEQ 13, pp. 176-177 und 187-191, und I M B S 60, pp. 73, 75 und 98-100. 226 Vgl. S Ä N C H E Z R U I P 6 R E Z 5 4 , pp. 87-88 und 1 1 0 ; GAMILLSCHEG 57, p . 4 1 1 - 4 1 2 ; u n d b e s . POLLAK 6 0 , p . 4 2 - 4 3 .

105

durch das Präteritum ersetzt [ist]" 227 . Neben den hier interessierenden strukturellen Gegebenheiten und den von W.Pollak 228 angeführten stilistischen Gründen könnte im Sinne des oben p. 38 Gesagten auch der von E. de Feiice 229 angenommene fränkische Superstrateinfluß zum Entstehen dieser relativen Seltenheit des Imparfait beigetragen haben. 5) (il) chanta („Passe simple") ist als Bezeichnung der Systemstelle Vp n v schon immer in enger Korrelation zu dem Imparfait, daneben auch zu dem Passe compose gesehen worden230. Dies entspricht im Grunde einer onomasiologischen Blickrichtung, denn was diese drei Tempora verbindet, ist die Bezeichnung der Zeitstufe der Vergangenheit. Die entsprechende Zuordnung des Passe simple ist allgemein anerkannt und von keiner Seite bestritten. Dabei handelt es sich um eine Vergangenheit nicht nur als Gegensatz zur Gegenwart und Zukunft, sondern auch zu einer Vorgegenwart. Das Vorhandensein einer „Zeitlücke" (cf. oben Anm. 59) ist, wenn auch in anderen Formulierungen, verschiedentlich als dasjenige Merkmal herausgestellt worden, das das Passe simple von Formen wie (il) α chante oder (il) vient de chanter unterscheidet231. Im Sinne eines virtuellen einfachen Zeitstufenschemas umfaßt die Bedeutung V in scheinbar extensiver Funktion auch die hier nur theoretische Stufe yy232_ Weniger klar liegen die Verhältnisse bei der aspektualen Zuordnung des Passe simple. Die weitgehende scheinbare Einhelligkeit ist angesichts der komplexen Struktur der Kombination Vpe = Vp n v noch unzuverlässiger als bei der entsprechenden Zuordnung des Imparfait. Umgekehrt brauchen auch scheinbar abweichende Meinungen, von denen hier nur 227

228

13, p. 191; vgl. auch p. 21-29.

GAMILLSCHEG

FELICE 5 7 ,

GAMILLSCHEG

57, p. 399, und

DE

Cf. POLLAK 6 0 , p . 1 4 0 .

Vgl. D E F E L I C E 57, p. 30: ,,Ε una spiegazione richiede il fatto - veramente singolare - che l'imperfetto, cosi vitale in tutto il latino, anche tardo e medioevale, e in tutte le altre lingue romanze, sia cosi raro e per lo piü. limitato a alcuni tipi lessicali nella fase piü antica del francese. Esclusa per l'assenza di corrispondenze ascendenti e collaterali la possibility di una spiegazione „genealogica" diretta, esclusa a fortiore ogni possibile azione ο reazione di un remoto sostrato (data anche la particolare natura grammaticale, morfologico-sintattica, del fenomeno), il campo delle ricerche viene a restringersi quasi automaticamente al superstrato ο ai parastrati non latini, e cio& germanici. Ε appunto il germanico, e in questo caso il superstrato francone, oflre la sola spiegazione non solo possibile, ma sufficientemente probabile." 230 Vgl. den forschungsgeschichtlichen Überblick bei P O L L A K 60, p. 134 bis 139. 22Β

231

C f . u . a . W A H T B U B G - Z U M T H O R , p p . 3 1 4 u n d 3 2 6 ; u n d ΙΜΒΘ 6 0 , p p . 8 4

und 185. 232 Vgl. χHBs go, p. 85, und das dort zitierte Beispiel aus J.Green: „tu as vole l'argent de ce voyage k im seigneur en £change du mal que tu lui

donnas." 106

die Klassifizierung des Passe simple als passe non acheve bei BrunotBruneau233 und die nicht sehr überzeugende Unterbringung des „temps de narration" als Variante anderer Systemstellen bei J.Kuryiowicz234 genannt seien, nicht unbedingt in tatsächlichem Widerspruch zu unserer Zuordnung zu stehen. Die meisten dieser Unklarheiten entstammen analog dem zum Imparfait Beobachteten der Tatsache, daß das Passe simple neben dem perfektiven Aspekt auch eine punktuelle Aktionsart bezeichnen kann, jedoch nicht muß 235 . Häufig wird daraus eine Identifizierung der beiden begrifflichen Kategorien hergeleitet, die jedoch angesichts der Fälle, in denen es unmöglich ist, dem Passe simple eine punktuelle Aktionsart zuzusprechen23®, nur noch eine erstaunte Resignation zuläßt237. Auch hier liegen somit eher Bestätigungen für als Einwände gegen die Zuordnung von (il) chanta auf die Systemstelle Vp« = Vp n v vor. Darüberhinaus finden sich im Gegensatz zum Imparfait beim Passe simple praktisch keine Verwendungen, die durch eine Neutralisierung der temporal-deiktischen Bedeutungsfunktionen die Stellung von (ü) chanta als Bezeichnung von Vp n v bedrohen. Eine seltene Ausnahme bildet seine gelegentliche Verwendung zur Bezeichnung eines Daseins zu jeder Zeit (cf. oben Anm. 168)238. In diachronischer Sicht ergibt sich aus dem zum Imparfait Gesagten für das frühe Afr. ein sehr reicher Gebrauch des Pass6 simple, der bisweilen sogar in das Bezeichnungsfeld von Vi hineinzureichen scheint und der nur allmählich zu Gunsten des Imparfait zurückgeht. Seit etwa 1300 tritt dann als neue Konkurrenzform in der Bedeutung von Vpe = Vp n v 288 231

235

B R U N O T - B R U N E A U , p. 630; C f . KURYI,OWICZ 5 6 , p . 3 0 .

cf. oben Anm. 73.

Vgl. oben zu der gr. Opposition εβασίλενεν / έβασίλευσεν, bes. -Anm.

220. Zum Ρβββέ simple in punktueller Bedeutung vgl. ferner RAITH 51, p. 30, und GAMELLSCHEG 57, p. 408-409, und in semelfaktiver Bedeutung Ροτ,Τ,ΑΚ 60, p. 194-199. 238

Vgl. POT.T.AK 60, p. 134-139.

287

So schreibt IMBS 56 zum altfranzösischen Tempusgebrauch: „Nous rencontrerons aussi des cas oü le verbe subordonni d£gage une r£elle impression de dur^e, bien que ce verbe soit k une forme en principe non durative, notamment au parfait (pass6 simple); il faut admettre alors que c'est le simantdme verbal qui exprime de lui-meme la dur0e, et c'est en effet l'interpr0tation qu'imposent les exemples" (p. 274). Wesentlich zutreffender würde uns auch hier das erscheinen, was Imbs zu den entsprechenden neufranzösischen Verhältnissen schreibt: „Le passö simple reprösente P6v£nement vu du dehors, dans sa globalitä impenetrable k l'analyse. II n'exclut pas la durde, mais il en fait abstraction, quitte ä l'exprimer par un moyen lexical. Ainsi il est parfaitement correct de dire: L'entretien dura environ deux h e u r e s . . . " (IMBS 60, p. 86).

äse Vgl. JHBS eo, p. 85, und das dort zitierte Beispiel aus Boileau: Reprenez vos esprits; et souvenez-vous bien Qu' un diner rechauffe ne valut jamais rien.

107

das Passe compose auf und engt den Anwendungsbereich des Passe simple mehr und mehr ein239. In der nfr. „Umgangssprache" (cf. unten p. 144) hat dieser Konkurrenzkampf bekanntlich zum weitgehenden Verschwinden des Passe simple geführt, wenngleich von einem völligen Untergang im heutigen Französisch keine Rede sein kann. Behauptungen, die in diese Richtung gehen240, sind nicht ohne berechtigten Widerspruch geblieben241. 6) chanterα als Fortsetzung des lateinischen Plusquamperfectum wurde schon oben p.92-93 als Form charakterisiert, die nach der Auflösung des im Latein anzusetzenden differenzierten Zeitstufensystems keine spezifische Bedeutungsfunktion mehr besaß und als von verschiedenen Seiten bedrohte Bezeichnung eines nicht näher bestimmbaren Vp einzustufen ist. Ansatzweise läßt sich auch im späten Latein Nordgalliens und im Altfranzösischen eine Verlagerung auf modale Bedeutungsfunktionen beobachten242, wie sie schon klassisch-lateinisch angelegt war und von anderen romanischen Sprachen weiterentwickelt wurde243. In der Mehrzahl der Fälle jedoch fungierten die im Afr. erhaltenen chantera-Yormen als Bezeichnungen von Vp und konnten je nach dem Einzelfall mehr zu einem Vp nv , zu einem Vp v oder zu einem VVp n v v tendieren244. Zur Wiederherstellung einer festen Zuordnung zu einer dieser spezielleren Bedeutungsfunktionen ist es nicht mehr gekommen; die überall drohenden partiellen Synonymien lassen es leicht erklärlich erscheinen, daß chantera mit der allmählichen Fixierung des afr. Bezeichnungssystems ausgeschieden wurde. 7) (il) a chante, („Passe compose") kann entsprechend dem oben pp. 80-84 und 94r-95 Gesagten im Afr. sowohl als Kombination zweier 238 Vgl. hierzu CORNU 63, p. 235, wo die Beziehung zum Aufkommen der formea aurcompoaiea betont wird, und insbesondere die Darstellung des Konkurrenzkampfes von Pass0 simple und Passö compose bei POLLAK 60, p. 114 bis 129. 240

S o z . B . i m p l i z i t b e i KAHN 54, vgl. STIMM KAHN 5 7 : „ A u s g e s c h l o s s e n

aus der Untersuchung bleiben pause simple und die temps surcomposis, die in den 2000 gesprochenen Sätzen vom Gewährsmann des Verf. nicht gebraucht wurden, worin ja auch ein Ergebnis der Untersuchung gesehen werden kann" (p. 215). 241 So YVON ASPECTS 51, p. 165: „II est vrai . . . qu'il est possible actuellement ,sous condition de ne pas s'^carter du style adäquat, d'6crire un gros ouvrage sans recourir jamais au parfait defini'", und dazu die Anmerkung „G. Guillaume, Temps et verbe, p. 22. II s'agit du passö simple. Le gros ouvrage envisage n'est certainement pas im livre d'histoire." Vgl. ferner die Häufigkeitsvergleiche bei IMBS 60, p. 2 2 3 - 2 2 4 , sowie ΡΟΤ,Τ,ΑΚ 60, cf. o b e n ANM. 239. 242

V g l . GAMILLSCHEG 1 3 , p . 1 7 3 - 1 7 8 , u n d GAMILLSCHEG 5 7 , p . 3 7 8 .

243

Zu lt. vgl. oben p. 92-93, zu sp. unten p. 168.

244

Cf. GAMILLSCHEG 1 3 , p . 1 7 9 - 1 8 5 ; B U B G E B 4 9 , p . 2 8 - 2 9 ; DE FELICE 5 7 , p . 2 0 - 2 1 ; u n d GAMILLSCHEG 5 7 , p . 3 7 7 - 3 7 8 .

108

Vollverben mit den finiten Formen von avoir in der temporal-deiktischen Bedeutung von Gi oder Gp ng als auch als Periphrase aus Hilfsund Vollverb verstanden werden. Nur in dieser zweiten Funktion, in der es der Systemstelle Gpe zuzuordnen ist, ist es im Rahmen unserer onomasiologisch ausgerichteten Fragestellung von Interesse. Angesichts der vielfältigen Deutungen, die den Bezeichnungen dieser Systemstelle zuteil geworden sind (cf. oben Anm. 75), und ihrer noch verwirrenderen Terminologien sehen wir hier von dem Versuch ab, die Interpretationen des afr. Passe compose245 auf ihre Vereinbarkeit mit der von uns vorgeschlagenen Zuordnung hin zu überprüfen. Die vom Afr. zum Nfr. führende Entwicklung verläuft in der p. 81 dargestellten Form, wobei abermals betont werden muß, daß der Verlust einer früheren Bedeutungsfunktion erst dann angesetzt werden kann, wenn sie von einer anderen formalen Kategorie übernommen wird. Da dieser Fall im Französischen jedenfalls bisher nicht eingetreten ist, muß die „Entwicklung" Gp« > VGpe > Vpg sowohl einer diachronischen Betrachtung der fr. Sprachgeschichte als auch einer synchronischen Darstellung der nfr. Bedeutungsfunktionen des Passe compose als Grundlage dienen. In diachronischer Sicht ergibt sich, daß der Übergang von Gp® zu VGpK = VGpnv® ungefähr um 1200 anzusetzen ist246. Als abgeschlossene Entwicklung könnte er erst dann gelten, wenn (il)a chante als Bezeichnung von VGp nv e zu einer neuen, die Systemstelle Gpß bezeichnenden Form in Opposition stünde. Ansatzweise läßt sich eine solche Opposition in der sekundären Unterscheidung j'ai ecrit la lettre (VG) / j'ai la lettre ecrite (GpS) erblicken. Jedoch ist diese Differenzierung zu keinem Zeitpunkt der französischen Sprachgeschichte zu einer tatsächlichen Granimatikalisierung gelangt. Da überdies, wie gleich zu zeigen sein wird, im heutigen Fr. die Form (il) α chante noch in der Bedeutungsfunktion Gpe vorkommt, kann hier nur von einer virtuellen partizipativen Opposition die 245

Aus jüngeren Beiträgen seien hier zitiert DE FELICE 57: „II ,passe indiflni' dell'antico francese, come in generale - con ri i fferenziazioni quantitative nei diversi tipi e nelle diverse epoche — delle diverse lingue e parlate romanze, e caratterizzato dalla funzione di esprimere un'azione passata sottolineandone il risultato presente, collegandola cioö con il presente del locutore" (p. 40); und CHRISTMANN 58: „Das passe compose ist im Altfranzösischen ein parfait; es bezeichnet eine abgeschlossene Handlung, deren Folgen noch andauern, den aus einer Handlung sich ergebenden Zustand bzw. die Vorzeitigkeit zum Präsens" (p. 96). 24« VGL, IMBS 56: „Nous avons montr^ comment dans l'aire de la posteriori te non-sp0ciiique l'opposition des temps simples et des temps composes, apres avoir servi surtout k l'opposition de l'inachevö et de l'achevö, servait de plus en plus, dös le döbut du X I I I e si^cle, k l'expression du rapport d'ant&ioritö-post&ioritö, et comment du meme coup l'opposition des formes se prösentait avec une symötrie de plus en plus rigoureuse" (p. 412); cf. ferner ibd. p . 3 4 0 - 3 4 1 , u n d POLLAK 60, p. 1 1 6 - 1 2 9 .

109

Rede sein 247 . - Der nächste Schritt von einer Bezeichnung von VGp n v e zu der von Vp& = V p n v wäre in seinen ersten Ansätzen seit etwa 1300 zu datieren, das heißt von dem Moment an, als das Pass6 composö zur Konkurrenzform des Pass6 simple wird. Ein wirklicher Konkurrenzkampf und damit das Drohen einer partiellen Synonymie kann allerdings erst dort angenommen werden, wo künstliche Barrieren wie die falsch verstandene 24-Stunden-Regel 248 errichtet werden, also frühestens im 17.Jhdt. Dazu kommt, daß eine temporal-deiktisch vollständige Synonymie der beiden Tempora mit der Aufgabe der Bedeutung VGp n y e durch das Passe compose verknüpft sein müßte. Dies wiederum würde voraussetzen, daß eine neue Form diese Bedeutungsfunktion übernimmt und das Passe compose aus ihr verdrängt. Wie weit eine solche Voraussetzung mit dem Passe recent (il) vient de chanter gegeben ist, oder ob man in diesem noch eine freie Variante erblicken kann, die synonym mit (il) a chante gebraucht wird 249 , wird unten p. 145-146 bei der Darstellung der „venir + de + Infinitif"-Periphrase zu untersuchen sein. Für eine synchronische Darstellung der nfr. Bedeutungsfunktionen des Passe compose gilt in noch höherem Maße, daß eine Verwertung der ihm üblicherweise zuteil werdenden Deutungen zum mindesten aus terminologischen Gründen überaus schwierig wenn nicht unmöglich sein würde 2S0 . 247

Vgl. auch unten Anm. 278. Vgl. hierzu POLLAK 6 0 , p. 1 1 4 - 1 1 6 ; in der dort zitierten Formulierung bei H.Estienne entspricht die rigle des vingt-guatre heures dem Gebrauch, der heute im Englischen die Opposition von he sang und he has sung bestimmt. Erst mit ihrer Umwandlung in eine effektive, nämlich meßbare 24-StundenRegel, und das heißt mit der Umwandlung einer temporal-deiktischen Bedeutungsfunktion in die Bezeichnung temporaler Quantitätsangaben nimmt sie den künstlichen Charakter an, von dem hier die Bede ist. 218 Diese Ansicht vertritt IMBS 60: ,,... la possibility d'employer le paesö compost pour exprimer Vantirioriti, par rapport ä, un moment prisent suggör6 ou explicits par le contexte. Le fait anterieur peut appartenir au ρβββέ le plus recent ou ä Tin passö 61oign0 (la distance temporelle doit etre exprimee par une expression adverbiale: il est sorti il y a un instant, s'oppose, du point de vue grammatical, mais non du point de vue du sens, ä : U vient de sortir)" (p. 101—102); der Unterschied zwischen beiden Tempora läge somit in der Entfernungs-, d.h. Quantitäts- oder Skalarangabe (cf. oben Asm. 62), die der Form (il) vient de chanter zusätzlich eignet, nicht jedoch in ihrer temporal-deiktischen Funktion (vgl. jedoch unten p. 146 und Anm. 327). 250 Gelegentlich finden sich Deutungen, in denen man den Versuch vermuten könnte, dem Pass£ composö die Bezeichnung einer erinnerten Vergangenheit im Sinne der „retentionalen Abschattungen" bei H U S S E R L 28 (cf. oben Anm. 46) zuzuschreiben. Selbst wenn eine derartige Vermutung zutrifft - sicher ist dies weder bei der eigenartigen Aspekttheorie G. Guillaumes noch bei der verschwommenen Terminologie von W E B E R 6 4 („Im Gegensatz zum d6f. zeigt [das Passö composi] die Geschehnisse jedoch nicht in der Vergangenheit, sondern als Abbild in der Gegenwart. Die Eigenart des frz. indif. besteht gerade in dieser Projektion des vorzeitigen Geschehnisses auf eine prisent248

110

Wir beschränken uns daher auf einige wenige Schlußfolgerungen, die sich aus der diachronischen Darstellung ergeben. Die Bezeichnung der Systemstelle GpK ist heute nur noch eine seltene Randbedeutung, deren Vorliegen man in Fällen wie j'ai fini (= ich bin fertig) ansetzen kann. An sie anzuschließen ist eine weitere Randbedeutung, die allerdings nicht mehr temporal-deiktischer Natur ist. Aus der schon oben p. 39—40 erwähnten Fehldeutung251 der Kombination Gpe als einer Gleichzeitigkeit von Verlauf und Abgeschlossensein eines Vorgangs erklärt sich leicht die Umdeutung des Pass6 compose in die Bezeichnung eines schnell ablaufenden Vorgangs, als die man es in Fällen wie j'ai fini dans un instant252 (mit zusätzlicher extensiver Bedeutungsverschiebung auf die Systemstelle NGp ng ) anzusehen pflegt. Die schriftsprachliche Normalfunktion des Pass6 compose aber ist die Bezeichnung der Systemstelle VGp nv s, in Opposition zu dem der Stelle Vp n v zugeordneten Passe simple; die einstweilen nicht berücksichtigte Opposition zu dem Passe recent wird diese Zuordnung in ihrer Bedeutung zwar modifizieren, als solche jedoch bestätigen (cf. unten p. 145-146). Die Bezeichnung der Systemstelle Vp n v schließlich ist die „umgangssprachliche" (cf. unten p. 144) Normalfunktion des Pass6 compose, das heißt seine dort gültige Bedeutung, wo die Opposition zu dem Pass6 simple durch dessen Ausscheiden aufgehoben worden ist und nur noch diejenige zu dem Passe recent besteht. Nach all dem braucht kaum besonders betont zu werden, daß ein derartiges Nebeneinander verschiedener Bedeutungsfunktionen einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor in die genannten Oppositionen hineinträgt und das Passe compost zu einem Tempus macht, dessen genaue Zuordnung in besonders hohem Ausmaß von den jeweils auf der Ebene der als parole verstandenen Sprache aktualisierten Oppositionen abhängig ist. Sowohl die diachronischen als auch die synchronischen Feststellungen zum Passe compose gelten mutatis mutandis auch für die übrigen mit Hilfe der Periphrase „avoir + Participe passe" gebildeten Tempora. Wir Ebene, insbesondere auf die Gegenwart des Sprechenden, so daß es zu einem Bestandteil von dieser wird", p. 68) wäre es schwierig, aus einer solchen Pass0 compos0-Deutung eine sinnvolle Opposition zu dem Passö simple abzuleiten. Als Bezeichnung einer nicht erinnerten Vergangenheit wird man es wohl kaum einstufen wollen. SH Methodologisch von Interesse ist die Tatsache, daß hier das, was bei der Erstellung eines begrifflichen Kategoriensystems als Fehldeutung vermieden werden muß, bei der Darstellung der zu seiner Bezeichnung dienenden formalen Kategorien und ihrer Bedeutungen sich als nützliche Erklärung erweist. Es ist dies einer der vielen Fälle, in denen jede Interpretation, die ohne die Unterscheidung von Begriff und Bedeutung auszukommen versuchte, sich in unauflösliche Widersprüche verwickeln müßte (cf. oben Anm. 8). äM Vgl. IMBS 60, p. 101; cf. ferner R E I D 65, p. 29 n. 2 (cf. unten Anm. 273). 111

werden im folgenden uns daher im wesentlichen auf eine Herausstellung der jeweiligen Besonderheiten dieser Formen, die sie von den im Passe compose vorliegenden allgemeinen Entwicklungen abheben, beschränken können. 8) (il) aura chante („Futur anterieur") ist in seinem Entwicklungsgang einerseits durch die Analogie zum Passe compose und andererseits durch die ihm zukommenden besonderen Merkmale einer Nachzeitigkeitsbezeichnung bestimmt. Aus der Analogie zum Passe compose ergeben sich seine Bedeutungsfunktionen entsprechend den vier p. 81 unterschiedenen Entwicklungsstadien. Das erste Stadium einer Kombination zweier Vollverben, in dem aura die temporal-deiktischen Bedeutungen Zi und Zpnz besitzt, kann gelegentlich noch für afr. Verwendungen des Futur anterieur angenommen werden263. Die dem zweiten Stadium entsprechende Bezeichnung der Systemstelle Zpz ist entgegen der Analogie zum Passe compose nicht nur im Afr., sondern auch noch im Nfr. als eine der Hauptfunktionen des Futur anterieur anzusehen. Sie liegt etwa in dem häufig zitierten Beispiel j'aurai fini dans dix minutes (= ich werde, in zehn Minuten fertig sein)251 vor. Ähnlich wie beim Passe compose besteht auch hier die Möglichkeit der Umdeutung in eine Bezeichnung des schnell ablaufenden Vorgangs285. Dem dritten Stadium entspricht die Bezeichnung der Systemstelle VZpz = VZp nvz , die in den Schulgrammatiken meist an erster Stelle genannt und daher bisweilen in übertriebener Opposition geleugnet wird256. Sie ist heute die zweite Hauptbedeutung des Futur anterieur, wobei ihre Herausbildung allerdings vornehmlich in innendeiktischer Funktion erfolgt ist267. Diese innendeiktische Funktion liegt bei allen als Belege für die Bedeutung VZp nvz angeführten nfr. Beispielen vom Typ quand j'aurai termine avec lui, je serai ä vos ordres258 vor. Trotzdem dürfte es übertrieben sein, von einer völligen Einschränkung der differenzierten Zeitstufen-Bedeutung auf innendeiktische Funktionen zu sprechen; nur läßt sich bei absolutem Gebrauch des Futur anterieur kaum je mit Sicherheit entscheiden, ob die Bedeutung Zpz oder VZp nvz vorliegt. Die dem vierten Stadium ent263

264 255

C f . GAMILLSCHEG 5 7 , p . 4 2 0 . GAMILLSCHEG 57, pp. 391 und 434, und IMBS 60, C f . GAMILLSCHEG 5 7 , p . 4 2 0 , u n d IMBS 6 0 , p . 1 1 0 .

Cf.

p. 109-110.

268 So z.B. in dem folgenden, von der Aspekttheorie G.Guillaumes abhängigen Passus bei CORNÜ 53: „Ainsi, la difference qui oppose le futur simple au futur anterieur n'est pas une difference de temps, mais une difference d'aspect; le futur simple et le futur anterieur sont deux aspects d'une seule et meme forme temporelle" (p. 3); vgl. dazu die u.E. berechtigte Kritik

b e i CHKISTMANN 5 8 , p . 8 4 . 2 8 7 C f . IMBS 5 6 , p . 3 4 1 . 2 6 8 C f . WABTBURG-ZUMTHOR, p. 309,

60, p. 114-117.

112

GAMILLSCHEG 5 7 , p . 3 9 1 , u n d

IMBS

sprechende Bezeichnung der Systemstelle Gpz = Gp n e schließlich, die eine Analogie zu der oben p. 77 für lt. cantaverit beobachteten Entwicklungstendenz darstellt, ist eine relativ seltene Funktion. Sie könnte in der Verwendung des Futur anterieur zur Bezeichnung eines Urteils erblickt werden, das von der Zukunft aus über einen dann vergangenen, für den Sprechenden aber gegenwärtigen (oder sogar vergangenen - womit der seltene Fall einer Vpz-Bezeichnung vorliegen würde) Vorgang gefällt wird269. Eine solche Deutung hat allerdings den Nachteil, mit der Tatsache in Einklang gebracht werden zu müssen, daß diese Verwendung des Futur anterieur auch schon afr., beispielsweise im Rolandslied, vorkommt 280 und daß, durch dieses Argument gestärkt, der Einwand gemacht werden könnte, die Bezeichnung eines solchen zukünftigen Urteils sei doch eher an die Zukunftsbedeutung gebunden. Gerade deswegen ist jedoch mit der Annahme einer Bedeutungsverschiebung Zp z > Gpz die Möglichkeit gegeben, in der Entwicklung der Bezeichnung des zukünftigen Urteils eine Gewichtsverlagerung von dem Ausdruck des Urteils zu dem des beurteilten Vorgangs anzusetzen. Sie scheint uns in den von Gamillscheg zitierten Beispielen von Tant vus avrai en curt a rei portee (Roland 446) bis hin zu La trkve (dauert im Moment an)... n'aura pas ete de longue durie (Figaro, 1951) vorzuliegen. Aus den besonderen Merkmalen einer Nachzeitigkeitsbezeichnung ergeben sich analog zum Futur (cf. oben p. 100) die modalen Bedeutungsfunktionen des Futur anterieur261. Die Abhängigkeit dieser Umdeutung von der Analogie zum Futur erweist sich daran, daß mit ihr kein völliger Verlust der temporal-deiktischen Funktion verbunden ist. Nur die Nachzeitigkeitsbedeutung des Futur anterieur wird durch seine modale Verwendung neutralisiert; seine der Periphrase „avoir + Participe passe" entsprechende sekundäre Vorzeitigkeitsbedeutung hingegen bleibt erhalten und macht aus ihm einen Potentialis der Vergangenheit. Sowohl für das zu den temporal-deiktischen als auch für das zu den modalen Funktionen Gesagte gilt eine praktische Einschränkung. Im Gegensatz zu den bisher behandelten Fällen (mit Ausnahme von chantera, das seines frühen Untergangs wegen eine Sonderstellung einnimmt), aber ähnlich wie bei einer ganzen Reihe der im folgenden darzustellenden formalen Kategorien handelt es sich bei dem Futur anterieur um ein vergleichsweise selten gebrauchtes Tempus262. Dies tangiert zwar nicht seine Stellung im Rahmen der als langue verstandenen Sprache und ihrer Struktur, wohl aber beeinträchtigt es die Verifizierbarkeit der über diese seine 259

Cf. IMBS 60, p. 111-113.

280

C f . GAMILLSCHEG 5 7 , p . 3 8 9 - 3 9 0 u n d BAUHUT 5 7 . C f . WARTBUBG-ZUMTHOR, p . 3 1 0 , GAMILLSCHEG 5 7 , p . 3 8 6 , u n d

281

60, p. 113-114. 262 Vgl. die Häufigkeitsvergleiche bei

IMBS

IMBS

60, p. 223-224.

113 8

Heger, BegrUfekategorien

Stellung gemachten Aussagen an Hand von „Belegen", das heißt von Aktualisierungen auf der Ebene der als parole verstandenen Sprache. Es liegt hier wie in allen „seltenen" Tempora ein Übergangsstadium zu jenen rein virtuellen Bezeichnungen vor, wie sie etwa oben mit lt. cantare habebit angesetzt wurden. Ihre Zuordnung auf die temporal-deiktischen Begriffskategorien muß daher von Fall zu Fall die bei den häufig gebrauchten Tempora überflüssige Frage berücksichtigen, ob ihre Seltenheit oder völlige Abwesenheit einem Nichtvorhandensein auf der Ebene der als langue verstandenen Sprache oder einem mangelnden Bedürfnis nach der Aktualisation durchaus vorhandener Möglichkeiten entspringen. Bei dem Futur anterieur liegt ohne Zweifel der zweite Grund vor. 9) (il) aurait chante („Conditionnel passe") ist als Kombination zweier Vollverben mit aurait in der Funktion einer Bezeichnung von N V i bzw. N V p n n v nicht belegt, was bei der in afr. Zeit - die allein hierfür in Frage kommt - nur wenig ausgebildeten Neigimg zur genauen Fixierung differenzierter Zeitstufen kaum erstaunen kann. Ebenso ist die Existenz einer Bedeutungsfunktion N V p n v für den zur Periphrase aus Hilfs- undVollverb zusammengewachsenen Conditionnel passe afr. nicht belegt und für das Nfr. wohl zu Recht bestritten worden263. Die einzige temporal deiktische Funktion von (il) aurait chante ist somit die Bezeichnung der Systemstelle V N V p n v n v in Sätzen wie Elle espera qu'on ne saurait pas qu'ette y aurait ete2M. Entsprechend dem oben p. 100-102 zum einfachen Conditionnel Gesagten liegt also auch bei dem Conditionnel passe eine eindeutige Beschränkung der temporal-deiktischen Bedeutung auf eine innendeiktische Funktion vor. Selbst in diachronischer Sicht besteht dabei keine Notwendigkeit, die Existenz von früheren Entwicklungsstufen anzunehmen, die der Bezeichnung von V N V p n v n v vorangegangen wären. Der Conditionnel passe ist als formale Kategorie zeit seines Bestehens überwiegend in modaler Funktion verwandt worden und kann ohne weiteres direkt von hier aus in Analogie zu den temporal-deiktischen Funktionen des Conditionnel einerseits und der übrigen Temps composes andererseits in die Bedeutungsfunktion V N V p n v n v eingetreten sein. Diese modalen Funktionen des Conditionnel passe266 ergeben sich analog zu denen des einfachen Conditionnel (cf. oben p. 101) und bringen eine weitgehende Neutralisierung seiner temporal-deiktischen Bedeutungsfunktionen mit sich. Im Unterschied zum Futui anterieur ist beim Conditionnel passe davon auch die der Periphrase „avoir -f Participe 2,3 Vgl. IMBS 60: ,,A la difference du futur anterieur, le conditionnel paes£ n'exprime jamais l'accompli pur. L'aspect de l'accompli y est toujours combing avec une valeur temporelle ou une valeur modale" (p. 117). 264 Saint-Simon, zitiert nach IMBS 60, p. 117-118; cf. auch WABTBUBG-

ZUMTHOR, p . 345. 265 C f . GAMTT.T.SCBEG 57, p . 397, u n d IMBS 60, p . 118-121.

114

pass6" entstammende tertiäre Vorzeitigkeitsbedeutung betroffen, die nur mehr in innendeiktischer Funktion existiert2ββ. Erscheint die Opposition Conditioimel / Conditionnel passe hingegen in außendeiktischer bzw. -defmitorischer Funktion {je viendrais demain / je serais venu demairi), so geht sie auch ihrerseits in eine modale Opposition potential / irreal über. Dies entspricht der Tendenz eines jeden Potentialis der Vergangenheit, zu einem Irrealis zu werden, es liegt hier also die gleiche Erscheinung vor, wie sie bei den Tempora des Konjunktivs voll ausgebildet ist (cf. oben Anm. 173). 10) (il) avait chante („Plusqueparfait") und (il) eut chante („Passe anterieur") erscheinen aus den p. 83-84 genannten Gründen auf ein und derselben Systemstelle und sind daher zusammen zu behandeln. Daß die in onomasiologischer Sicht sich ergebende Funktionsgleichheit nicht identisch zu sein braucht mit einer totalen Synonymie im semasiologischen Sinn, wurde ebenfalls p. 83-84 schon gezeigt. Für die historische Entwicklung folgt daraus das dauernde Gegeneinander der Tendenzen, die aus der Identität der in beiden Bezeichnungsfunktionen enthaltenen temporal-deiktischen Kategorien eine totale Synonymie zu machen drohen267, und der Gegentendenzen, die eine solche Synonymie zu vermeiden suchen. Die letzteren ergeben sich nicht nur aus der natürlichen Reaktion, die von der Existenz zweier verschiedener formaler Kategorien hervorgerufen wird, sondern auch aus der dauernd wirksamen Analogiebeziehung zu den entsprechenden einfachen Tempora Imparfait und Passe simple und deren Bedeutungsoppositionen. Daß bis heute im Französischen diese Gegentendenzen stärker gewesen sind als die Tendenz zu einer totalen Synonymie, ist bekannt und kann auch nicht durch das statistisch für verschiedene Epochen nachweisbare erhebliche Überwiegen einer der beiden Formen gegenüber der anderen widerlegt werden. Die Seltenheit des Plusqueparfait im Afr.268 steht in kausalem Zusammenhang mit der gleichzeitigen Seltenheit des Imparfait (cf. oben p. 105-106) und bedarf zu seiner Erklärung nicht der drohenden Synonymie mit dem Passe anterieur ; die extreme Seltenheit dieses letzteren Tempus im heutigen Französisch269 könnte als Folge nicht nur des allmählichen Verschwindens des Passe simple (cf. oben p. 107-108), sondern tatsächlich auch eines eigenen Zurückweichens angesehen werden, jedoch eines Zurückweichens nicht 2ββ VGL. IMBS 60, p. 119, und das dort zitierte Beispiel aus A . Dumas fils: „Quand la sati^tö eerait venue, quand vous n'en voudriez plus enfln, que /eriez-vous pour la dedommager de ce que vous lui auriezfait perdre?" 267 Die Feststellung von FOULET 25, „au X I I e et au X I I I e siecle, le pass6 anterieur et le plus-que-parfait sont presque synonymes" (p. 204), ließe sich bei entsprechender Auswahl der Beispiele auf praktisch sämtliche Epochen der fr. Sprachgeschichte anwenden. 2,8

C f . GAMTLLSCHBG 5 7 , p . 4 3 5 , u n d D E F E L I C E 5 7 , p . 5 1 η . 1 .

2,8

V g l . d i e H ä u f l g k e i t s v e r g l e i c h e b e i IMBS 6 0 , p . 2 1 8 - 2 2 4 .

115 8*

vor dem Plusqueparfait, sondern vor der neuen formalen Kategorie des Pasa6 surcompose (cf. unten p. 138-139). Damit wäre aber lediglich eine andere Formulierung gewonnen, denn das Verhältnis Passe anterieur: Passe surcompose ist seinerseits ein Abbild des Verhältnisses Passe simple : Passe compost. Am eindeutigsten liegt eine Bedeutungsopposition Plusqueparfait / Passe anterieur auf der ersten Entwicklungsstufe der Temps composes vor, auf der sie Kombinationen zweier Vollverben darstellen und die Opposition Vi / Vp n v bezeichnen. Mit Sicherheit nachweisbar ist dieses Stadium zwar schon im Afr. nicht mehr, jedoch stammt aus ihm die analog zu der Opposition Imparfait / Passe simple (cf. oben pp. 102-104 und 106-107) entwickelte Umdeutung des aspektualen in einen Aktionsartengegensatz von den Typen durativ / punktuell oder iterativ / semelfaktiv270. Die zweite Entwicklungsstufe einer Bezeichnung von Vp v kommt theoretisch beiden Tempora gleichermaßen zu, jedoch ist in der Praxis eine durch die gesamte fr. Sprachgeschichte hindurch zu beobachtende Bevorzugung des Pass£ anterieur in dieser Funktion 271 gegenüber dem Plusqueparfait272 zu belegen. Sie läßt sich ohne Schwierigkeiten aus der formalen Verwandtschaft von Plusqueparfait und Imparfait erklären. Wenn für die Bezeichnung des dritten Gliedes der Oppositionsreihe V i / V p n v / Vp v schon zwei formale Kategorien zur Auswahl stehen, ist es nur natürlich, daß man derjenigen den Vorzug gibt, die die formalen Anklänge an die Bezeichnung von Vp n v und nicht an die von Vi aufweist. Noch eindeutiger gilt diese Bevorzugung des Passe anterieur bei der analog zum Passe compose und zum Futur ant6rieur auch bei den Bezeichnungen der Systemstelle Vp v festzustellenden Umdeutung in eine Bezeichnung eines schnell ablaufenden Vorgangs, wie sie in Fällen wie dem viel zitierten La Fontaine-Beispiel Et le drole eut lape le tout en un moment273 vorliegt. Das Plusqueparfait wird in dieser Umdeutung nirgends erwähnt; eine zusätzliche Erklärung hierfür liegt in der Umdeutung der beiden Tempora auf den Aktionsartengegensatz punktuell / durativ. Die punktuelle Bedeutung ist mit der Bezeichnung der Schnelligkeit naturgemäß viel eher vereinbar als eine durative. Wieder anders liegen die Verhältnisse auf der dritten Entwicklungsstufe 2,0 C f . BRUNOT-BRUNBATJ, p . 6 2 8 ; WARTBURG-ZUMTHOR, p . 3 3 0 ; ΓΓΑΜΤΤ.Τ,SCHEG 6 7 , p . 4 3 4 - 4 3 5 ; u n d I M B S 6 0 , p . 1 2 8 . 271 C f . H E I D 5 5 , p . 3 0 ; IMBS 5 6 , p . 1 5 3 ; D E F E L I C E 5 7 , p . 4 7 - 5 1 ; u n d IMBS

60, p. 122. 2,2 Auf gelegentliche Ausnahmen vom Typ je vous l'avais bien dit machen p. 2 9 , und I M B S 6 0 , p. 1 2 5 (hier ausdrücklich als „rare" qualifiziert), aufmerksam. 273 Cf. GAJVULLSCHEG 57, p. 434, und I M B S 60, p. 122; gegen die Interpretation als Schnelligkeitsbezeichnung wendet sich R E I D 55, p. 30-31, bei dem jedoch die dem Passö anterieur zugeschriebene mid als attainment deBUBGEB 49,

116

einer Bezeichnung von W p v = W p n v v , für die, wenn auch nicht ohne gelegentlichen Widerspruch274, sowohl das Plusqueparfait als auch das Passe anterieur als Bezeichnungen angenommen zu werden pflegen. Dabei ist jedoch ein wichtiger Unterschied festzustellen, auf den schon oben pp. 72-73 und 83-84 hingewiesen wurde. Nur das Plusqueparfait kann als „Normalbezeichnung" der Systemstelle W p n v v angesehen werden, da nur es sie sowohl in außen- als auch in innendeiktischer Funktion bezeichnet 276 . Das Passe anterieur hingegen kommt von Anbeginn an, das heißt seit dem Übergang von der Bezeichnungsfunktion Vp v zu der von W p n v v 2 7 e , hierfür nur in innendeiktischer Funktion in Frage277. Dem Vorwiegen des Passe anterieur bei der Bezeichnung von Vp v steht somit eine bevorzugte Stellung des Plusqueparfait bei der Bezeichnung von W p n v v gegenüber. Diese Unterscheidung stellt nach der Umdeutimg in Aktionsarten-Oppositionen einen zweiten Ansatz der Sprache dar, die drohende Synonymie der beiden Tempora durch eine sekundäre Funktionsdifferenzierung aufzufangen278. Einen weiteren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Opposition Plusqueparfait / Passe anterieur leistet schließlich die in Analogie sowohl zum Imparfait (cf. oben p. 104-105) als auch zum alten synthetischen Plusquamperfectum chantera (cf. oben p. 108) zu erklärende modale Bedeutungsfunktion. Sie kommt ausschließlich dem Plusqueparfait zu279, wähfinierte Mischung von perfektivem Aspekt und punktueller Aktionsart schon weitgehend, die gleichen Begriffsbestimmungen enthält und deshalb die Definition als Bezeichnung einer „rapidity of completion of the process" erübrigt bzw. dem Verdacht aussetzt, sich ausschließlich auf adverbiale Zusätze vom Typ en un moment zu stützen. 27i

Cf. z . B . REID 55, p p . 2 8 u n d 3 0 .

275

Cf. IMBS 6 0 , p . 1 2 5 - 1 2 8 .

27

« Cf. I M B S 56, pp. 340-341 und 412 (cf. oben Anm. 246). 277 v g i . I M B S 00: le pass0 anterieur exprime aussi [d.h. neben seiner Funktion als Bezeichnung von V p v ] l'anteriorite dans une subordonnde introduite par une conjonction ou locution conjonctive de temps. Les conjonctions ou locutions conjonctives les plus employees devant le passe anterieur expriment ou bien la simple coincidence du moment de Taction principale avec le point d'accomplissement du proces subordorme (quand, lorsque), et c'est alors le rapport temporel des verbes en presence qui est k lui seul chargö de traduire le rapport d'antörioritö...; ou bien la post&riorite de Taction principale, et il peut s'agir alors de la poeierioriie pure et simple (apres que)...·, ou de la poeteriorite immediate..." (p. 123); cf. ibd. p. 128. 278 Mit dieser Herstellung einer virtuellen Opposition (il) eut chanU / (il) avait chantd = Vp v / W p n v T erübrigt sich auf der Zeitstufe der Vergangenheit die oben p. 109-110 bei der Darstellung des Passö compost erwähnte, nur ansatzweise vorhandene Differenzierung vom Typ j'ai Scrit la lettre (VG) / j'ai la lettre Scrite (GpK) vollends. Die entsprechenden Plusqueparfait- und Passe antörieur-Pormen können somit auch bei der Zuordnung virtueller Systemstellenbezeichnungen außer Betracht bleiben (cf. unten Schema 12, p. 125). 279 Cf. I M B S 60, p. 129-130.

117

(Schema 9)

(il) chantera

Ο

(il) chante

NV

[(il) chanterait]

V (il) chantait

W

118

(il) aura chantö

(il) a chantö

(il) chanta

chantöra

(il) |/(avait)\ \ eut / chantt

rend sie bei dem Passe anterieur wegen dessen struktureller Herkunft aus einem Tempus, das eine Systemstelle des Typs Vp bezeichnet, kaum denkbar wäre. Die zusammenfassende Auswertung der Einzeluntersuchung der in Schema 8 (cf. p. 98) enthaltenen ursprünglichen Tempora führt zu zwei verschiedenen Resultaten. Wenn für die Temps composes die Entwicklungsstufe Xp x , und das heißt der für das Afr. ausschließlich oder jedenfalls überwiegend zutreffende Fall zu Grunde gelegt wird, ergibt sich das in Schema 9 (p. 118) wiedergegebene Bild; es wird noch deutlicher, wenn wir auf die Berücksichtigung des nur in innendeiktischer Funktion vertretenen Conditionnel verzichten und die folgende vereinfachte Form zu Grunde legen: (Schema 10) (il) ch > > > > > > > > >

(

NV

> >

SS!,j

t(il) c h a n t e d ]

> >

V

(il) chantait

w

124

(il) chanta

(chant^ra)

(il) ί eut 1 |(avait)j chants

lediglich in frühester afr. Zeit bedroht gewesen ist (cf. oben p.105-106). Daneben läßt sich, allerdings nur unter Vorbehalten, für die Zeit bis ins 17. Jhdt. auf den einfachen Zeitstufen G und Ζ und in innendeiktischer Funktion auf der differenzierten Zeitstufe NV eine fakultative Xi / XpDifferenzierung mit Hilfe partizipativer Oppositionen ansetzen. Im Prin-

Μ)

!

i s

s

w

Sο

Λ ο •3 £ a s

2

§ u

Μ . TO

iäÄs·!*·

3

s Λ Ο

i-H

V beim Pass6 composö zusammen324. Die grammatikalische Fixierung erfolgt dabei so langsam, daß noch im 16. Jhdt. andere Bildungen wie der Typ „ne faire que + de + Infinitif" als Konkurrenzformen auftreten können. Gegenüber der sekundären Vorzeitigkeitsbezeichnung durch die Temps composes hat die Periphrase „venir -f- de -f- Infinitif" den Vorteil sowohl der eindeutigeren Betonung der Abwesenheit jeder „Zeitlücke" als auch der ursprünglichen Indifferenz gegenüber der Aspektopposition imperfektiv / perfektiv. Zwar hat das Französische außerhalb der Zeitstufe der Vergangenheit auf mehr als fakultative Bezeichnungen der Opposition X i / X p verzichtet (cf. oben p. 120-126) und läßt in diesem Verzicht eine nur durch die Existenz des Imparfait eingeschränkte relative Indifferenz gegenüber dieser Opposition erkennen. Nur eine vollständige Indifferenz aber würde es gestatten, die Temps compos6s, ursprünglich Bezeichnungen der Systemstellen Xp x , als Bezeichnungen der jeweiligen Zeitstufe V X im Sinne nicht nur von V X p n T X , sondern auch von V X i zu verstehen. Diese Einschränkung entfallt bei der Periphrase „venir + de + Infinitif" dank ihrer Herkunft aus dem aspektual indifferenten Infinitiv (cf. oben p. 127-128). Der Kormalfall der Periphrase ist die Form (il) vient de chanter, das sogenannte Pass6 recent325. Seine Bedeutungsfunktion ist im Kähmen der „Umgangssprache" eindeutig der Zeitstufe V G zugeordnet, es bildet hier also das Äquivalent dessen, was in der „Schriftsprache" das Pass6 compos£ ist326. Diese Äquivalenz wäre unter Vernachlässigung der soziologisch-stilistischen Unterscheidung der zwei Sprachschichten eine partielle Synonymie. Sie braucht jedoch auch in der „Schriftsprache" nicht einzutreten, da nur (il) vient de chanter auch der Systemstelle VGi und nur (il) a chanti auch der Systemstelle V p n v zugeordnet werden können. Mit dieser Ambivalenz des Passe composö aber liegt nun jene dreigliedrige m Vgl. hierzu GAMILLSCHEG 67, p. 538: „Die Wendung ist afrz. noch zweigliedrig... Seit dem 13. Jh. verliert die Wendung den Hinweis auf das Kommen, sie wird eingliedrig." 825

Cf. IMBS 60, p. 81-82.

828

Vgl. IMBS 60, p. 101-102 (cf. oben Anm. 249).

145 10 Heger, Begriffskategorfen

Oppositionskette von Abwesenheit / Irrelevanz / Anwesenheit einer Zeitlücke vor, die als theoretische Möglichkeit schon oben p. 30-31 dargestellt wurde. Während das Passe r£cent eindeutig die Abwesenheit jeder Zeitlücke betont, und während das Passe simple ebenso eindeutig deren Vorhandensein herausstellt, kann dem neutralen Passe compose hier die eine und dort die andere Punktion zugeschrieben werden. Es ergeben sich so die Zuordnungen Pass6 recent = VMG, Passe compose = VG und Passe simple = V 827 . Zu beachten bleibt allerdings, daß im Gegensatz zu (il) chanta = V p n v und (il) a chanti = VGp n v e die Form (il) vient de chanter von Hause aus sowohl VMGp nvm ® als auch VMGi bezeichnet328. Ebenso darf die Tatsache nicht übersehen werden, daß das Passe recent laut Auskunft statistischer Untersuchungen329 nicht nur erheblich seltener als das Pass6 composö oder das ihm in gewisserWeise symmetrisch entsprechende Futur proche, sondern selbst in der Zeitungssprache, in der man vielfach eine Übergangsform zwischen „Schriftsprache" und „Umgangssprache" zu erblicken geneigt ist, auch seltener als das Passe simple vorkommt. Bei der gleichfalls nicht sehr häufigen Form (il) venait de chanter läge es zunächst nahe, sie analog den beim Einrücken von cantaverat und (il) avait chanti in die Bedeutungsfunktion einer differenzierten Vorzeitigkeit (cf. oben pp.76-77 und 116-117) gemachten Erfahrungen der Zeitstufe VV zuzuordnen. Jedoch besteht, entsprechend dem zu (il) vient de chanter Festgestellten, auch hier die Möglichkeit einer Opposition (il) venait de chanter / (il) avait chante330. Sie erweist die Notwendigkeit, zwischen 827

Zu der Bedeutungsopposition (il) vient de chanter / (ü) a chanti vgl. auch W E B E R 64: „Das frz. r£c. gehört in dieselbe Kategorie wie das denn es stellt ein Geschehnis als in bezug auf das prösent vorzeitig dar, und wie beim indöf. ist die Beziehung zur Gegenwart nicht vorwiegend zeitlicher Art. Der Unterschied zwischen beiden Tempora besteht darin, daß im r0c. nur solche Geschehnisse ausgedrückt werden können, die im letzten homogenen Stück der Zeit liegen, das sich bis zum prösent erstreckt, d.h. Ereignisse, die nach der letzten entscheidenden Wendung im Ablauf der Zeit stattgefunden haben" (p. 78—79). - Der Unterschied zwischen Pass£ recent und Pass4 composö basiert also nicht nur auf einer (durchaus möglichen) impliziten Skalarangabe bei dem ersteren, wie es nach der oben Anm. 249 zitierten Ansicht von IMBS 60 scheinen könnte. 828 Es sei denn, man zöge den rein theoretischen Fall einer Opposition zu *(il) vient d'aUer chantant oder *(ü) vient d'itre en train de chanter als Bezeichnungen von VMGi in Betracht. 326 Vgl. die Häufigkeitsvergleiche bei IMBS 60, pp. 218 und 223. äse Yg]< Iubs 60: „Pour l'antirioriU immediate par rapport k un passö on a recours k la periphxase venir de + infinüif, le verbe venir 0tant mis k l'imparfait" (p. 128); vgl. ferner das ibd. p. 126 zitierte Beispiel für die Auswertung der Opposition zum Plusqueparfait bei Barres: „La lecture de l'ouvrage de M.Mandrolle venait de Vexciter prodigieusement, et comme le lui avait conseille l'imprudent Pfere Magloire, il allait voir..."

146

doppelt und einfach differenzierter Vorvergangenheit zu unterscheiden und (il) venait de chanter als Bezeichnung von VMV, das heißt einer die Abwesenheit jeder „Zeitlücke" betonenden Vorvergangenheit einzustufen. Das gleiche gilt analog für die vereinzelten Fälle, in denen die Form (il) viendra de chanter vorkommt, die demgemäß der Zeitstufe VMZ zuzuordnen ist331. Andere von der Periphrase „venir + de -f- Infinitif" gebildete Formen scheinen nicht belegt zu sein; sowohl *(il) viendrait de chanter als auch die mit zusammengesetzten Tempora gebildeten Formen der Typen *(il) est venu de chanter und *(il) vient d'avoir chante würden mindestens dreifach differenzierten Zeitstufen zuzuordnen sein. Ihr Auftreten als grammatikalisierte Bezeichnungen temporal-deiktischer Kategorien ist daher extrem unwahrscheinlich. Unter Zugrundelegung der „Schriftsprache" ergibt sich damit für den Formenbestand des Nfr. die Erweiterung zu Schema 15, die in der Darstellung in Schema 16, p. 148-149, enthalten ist. Zu ihm ist zunächst anzumerken, daß die drei neuen unbezeichneten, mit > > > >

NZ

> estarä > cantando >>

Ζ

habrä cantado t t 1 1 [cantare]

cantarA

VZ ([estuviere cantando]) NQ G

> > > > > > estA > cantando > >

canta

VG NV [estaria cantando] V

> > > > >

[cantaria]

cantaba

w

[estuviera cantando]

die p. 169-176 verschiedentlich erwähnten Formen der Periphrase „ t e u e r + Participio pasado" getreten. Zwar kommen sie gelegentlich auch schon asp. vor, sind jedoch noch sehr selten und an Verwendungen gebunden, deren Deutung am ehesten an die erste Entwicklungsstufe (cf. oben p. 81) einer Kombination zweier Vollverben denken läßt420. Selbst im Nsp., das neben dieser auch die zweite Entwicklungsstufe der Bedeutungsfunktion Xp x aufweist421, ist die Abhängigkeit von der ursprünglichen Struktur „teuer + attributiv gebrauchtes Partizip", in der das Objekt gleichzeitig Objekt von teuer und von dem im Partizip erschei«20 ygi. η β non fu6 seguro ... que lo non pudiera conplir, e dexarfa algunas cosas que tenia comengadae de que avria provecho" (Calila y Dimna, zitiert nach G a l m J s s d e F u e n t e s 56, p. 44). Im Cid findet sich kein Beispiel, in der nsp. Übersetzung von Alfonso Reyes hingegen einmal der Typ tiene cantado, zweimal der T y p tenia cantado u n d einmal der T y p tuvo 481 V g l . A i i A K C O S L l o r a c h

190

47,

pp.

126

und

137,

cantado.

cf. oben

A n m .

382.

(Schema 21)

ha cantado

cant6 [habria cantado] l cantö, cantara

/(habia) can-1 \hnbo tado 1 cantara 1 1 ' l habia cantado, [cantara]

nenden Verb ist, noch deutlich erkennbar. Aus ihr erklärt sich die Einschränkung der fener-Periphrase auf transitive Verben 422 , die ihrerseits das Weiterleben der zusammengesetzten Tempora in der Xp x -Bedeutung bei intransitiven Verben ermöglicht hat. Ein weiteres Indiz für die auch im Nsp. noch nicht restlos durchgeführte Grammatikalisierung der tenerPeriphrase ist schließlich ihre Austauschbarkeit mit Parallelformen, unter denen die Typen „Uevar + Participio pasado", „traer + Participio pa«22 VGL. G m G A Y A : „Tener + participio, puede emplearse sölo cuando el participio sea de verbo transitive y usado en acepciön transitiva. Por eato no puede decirse tengo eetado en Madrid ni tienes sido eoldado, por no ser transitivos los verbos estar y eer, y tampoco tengo comido con gusto, por no ser transitiva en este caso la acepciön de comer" (p. 107). Hierin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zu der Situation im Portugiesischen, wo die mit ter gebildete entsprechende Periphrase zum Ausfall der Aaftere-Zusammensetzungen geführt und sich auch auf Fälle wie tenho eetado ausgedehnt hat. 191

nsp. (ohne Berücksichtigung der Periphrasen „ir + Gerundio" und NZ Ζ VZ

[estarä cantando] t 1 estarä cantando

JSIV

>

>

1

cantarä,

>

habrä cantado > > > > >

estä cantando

VG

ι

habrä estado cantando

NG G

>

> [cantarä] i > > t

> > > >

canta

ha estado cantando [[eetarla cantando]] [estaria cantando]

> [[cantaria]] > [cantaria]

[habria estado cantando^

cantaba

V

W

habia estado cantando1" Zu den mit * bezeichneten Formen existieren innendeiktische Varian-

sado" und „dejar + Participio pasado" die häufigsten sind 423 . Ähnlich wie bei den Varianten von „estar -f Gerundio" (cf. oben pp. 182 und 186-188) ist in den beiden ersten Formen die Möglichkeit einer temporaldeiktischen Umdeutung im Sinne einer Zeitstufenbezeichnung - bei „Uevar -f- Participio pasado" als Nachzeitigkeitsnuance wie bei „ir cantando" und bei ,,traer -f- Participio pasado" als Vorzeitigkeitsnuance wie bei „venir cantando" - angelegt. Von einer Grammatikalisierung dieser Möglichkeit ist die Sprache jedoch noch weit entfernt. Grundsätzlich stellt die Periphrase „teuer + Participio pasado" eine Bereicherung des sp. Bezeichnungssystems dar, die im Französischen keine Parallele besitzt. Zwar steht sie in ihrer Bedeutungsfunktion den 428

192

C f . G I L I GAYA, p . 1 0 7 , u n d B O C A P O N S 6 8 , b e s . p . 9 0 .

,venir

+ Gerundio"):

(Schema 22a)

ha cantado

Η * 1 [habria cantado] ihubo cantado\ \ cantara /

cantö habia cantado, ten mit dem Hilfsverb im Pret&ito anterior.

fr. Temps sur composes nahe, deren Fehlen im Spanischen somit nicht das völlige Fehlen einer Bezeichnung für die ihr zugeordneten Systemstellen bedeutet. Während jedoch die Temps surcomposes ebenso wie die Temps composes als Bezeichnungen sowohl der Systemstellen X p x als auch derjenigen des Typs V X p n v x fungieren, liegt bei der sp. tenerPeriphrase - im Gegensatz zu ihrer formalen Parallele im Portugiesischen, wo die Verhältnisse durch den Ausfall der Aafcere-Zusammensetzungen abermals anders gelagert sind — nur die erste der beiden Bedeutungen (Xp x ) vor. Für die einzelnen Tempora der Periphrase „ t e u e r + Participio pasado" gilt zum mindesten theoretisch die gleiche unbegrenzte Bildungsmöglichkeit, die auch bei den anderen bisher behandelten sp. Periphrasen beobachtet wurde. Uneingeschränkt trifft dies für die mit einem einfachen 193 13 Heger, Begriffekategorien

ηβρ. (mit Berücksichtigung der Periphrasen

ii& cantando

> > > > > > > >

[cantarft]

tri cantando estarf cantando

> >

cantari

vendrA cantando habrA ldo cantando habrf cantado

habri eetado cantando habri venldo cantando

va cantando

> > > > > > >

va cantando eatä cantando

>

canta

Tlene cantando ha ido cantando ha eetado cantando ha yenido cantando [lila cantando]

[ [cantarla] ]

[estarla cantando]

[cantarla]

[yendrla cantando] / [habria egtado cantando] Iba cantando

(fa6 cantando)

cantaba venia cantando

(vino cantando)

habialdo cantando habfa estado cantando * habla yenido cantando

Zu den mit * bezeichneten Formen existieren innendeiktische

194

,ir + Gerundio" und „venir + Gerundio"):

(Schema 22b)

ba cantado

hnbo cantado > cantata

/

[habrla cantado]

cantd

habla cantado, {

Γ }

Varianten mit dem Hilfsverb im Pret&ito anterior. 195 13·

NZ estarä cantando

Ζ

vz

[can tare] > > > > >

estä cantando

> > > > >

canta

VG

V

w

cantö [estaria cantando] cantaba

ΛΛΛΛΛ

NV

habrÄ cantado

cantar4

([estuviere cantando])

NG G

>> >> > > > > > >

ι [cantaria] 1 cantö, cantara

[estuviera cantando]

Tempus des Hilfsverbs gebildeten Formen zu. Von ihnen bereiten tendrd cantado, tiene cantado und tendria cantado mit ihren Zuordnungen auf die Systemstellen Zp 2 , Gpe und N V p n v 4 2 3 a keine Schwierigkeiten. Für die verbleibenden Formen tenia cantado und tuvo cantado würde sich auf der Systemstelle Vp T die schon von habia cantado und hvbo cantado (cf. oben p. 173-176) und von (il) avait chante und (il) ewt chanti her bekannte partielle Synonymie ergeben. Angesichts der Tatsache jedoch, daß die tener-Periphrase auch im Nsp. noch als Kombination zweier m * Da tendria cantado wie alle strukturell von cantaria abhängigen Tempora auf innendeiktische Punktionen beschränkt ist, gilt für seine Zuordnung auf die Systemstelle NVp nv allerdings analog das oben p. 140-141 beim fr. Pass6 anterieur surcompose über die Problematik einer nur innendeiktisch fangierenden Xp*-Bezeichnung Gesagte; tendria cantado dürfte daher in temporal-deiktischer Bedeutung nur in den seltensten Fällen anzutreffen sein und sein ohnedies nicht häufiges Vorkommen zum größten Teil seiner modalen Bedeutung zu verdanken haben.

196

(Schema 23)

ha cantado

[habria cantado] (habla)\ hubo / cantado cantara

Ϊ hahia cantado, [cantara]

Vollverben im Sinne des ersten der p. 81 aufgeführten vier Entwicklungsstadien und nicht nur als Bezeichnung der Systemstellen X p x fungiert, scheint uns ein Verzicht auf die Aufnahme von tenia cantado in das nsp. Bezeichnungssystem geboten. Eine Form, die noch in der Bedeutung Vi ( + attributives Partizipialobjekt) realisiert werden kann, ließe sich nur unter großen Vorbehalten einer Systemstelle im Bereich des perfektiven Aspekts zuordnen. Es ist daher vorzuziehen, tenia cantado ausschließlich in der genannten Bedeutung des ersten Entwicklungsstadiums zu verstehen424. Als Bezeichnung der Systemstelle Vp v verbleibt somit nur tuvo cantado, das dort mit den Formen hubo cantado und cantara zusam424 Ausgeschlossen ist eine VpT-Bedeutung von tenia cantado, zumal im Hinblick auf künftige Sprachentwicklungen, damit natürlich nicht. In diesem Fall ist eine Differenzierung der beiden temporal-deiktisch synonymen Formen am ehesten im Sinne der schon verschiedentlich beobachteten XJmdeutung einer ursprünglich aspektualen in eine Aktionsartenbedeutung zu erwarten, also tenia cantado = Vp T durativ / tuvo cantado = Vp T punktuell.

197

NZ

[eet&rA oantando] t estari oantando

Ζ

VZ

NV

V

t

1

oantar&

tendr& oantado

habri oantado > > > > > >

esti oantando

VG

> > > > > >

[oantari]

habri ostado oantando

NO

α

> > > > > >

> > > > > >

oanta

ha eatado oantando [[«staria oantando]] > τ >•" [estaria oantando] > [habria estado oantando]

[[oantarla]] [oantaria]

oantaba

w

h&bfa estado oantando*

mentrifft. Trotz der Häufung von gleich drei verschiedenen Formen kann diese Konkurrenz toleriert werden, da kein sehr lebendiges Bedürfnis zu einer eindeutigen Bezeichnung von Vp T vorliegt (cf. oben p. 175). Bemerkenswert an diesem Nebeneinander ist das Eintreten einer partiellen Synonymie bei drei Formen, die ihrer formalen Bildung nach drei gänzlich verschiedenen Sprachperioden angehören, die aber alle drei auf dem gleichen Weg zu Bezeichnungen der Systemstelle Vp v geworden sind. Für doppelt zusammengesetzte Tempora der iewer-Periphrase, also Formen vom Typ ha tenido cantado, sind uns keine Belege bekannt. Theoretisch könnte man sie den Systemstellen VZp vz , VGpT«, VNVp v n v und W p v v zuzuordnen versuchen (cf. unten Änm. 440). Neben der Unwahr198

(Schema 24a)

Zu den mit * bezeichneten Formen existieren innendeiktische Varianten mit dem Hilfsverb im Pretdrio anterior.

tiene oantado

[tendils oantado]

ha oantado

[h&brla oantado] oant6

Γ tuvo oantado λ { hubo cantado > [ eantara j * oantado] ) > habla oantado ,ί< [hubo ( [cantara] J

scheinlichkeit eines Bedürfnisses zur Bezeichnung dieser Systemstellen, neben der komplizierten formalen Bildungsweise dieser Tempora und neben ihrem hypothetischen Charakter steht einer solchen Zuordnung aber auch eine in der herzustellenden Bezeichnungsbeziehung liegende Schwierigkeit im Wege. Die am ehesten in Betracht zu ziehende Form wäre ha tenido cantado. Die in ihr vorliegende Verdoppelung der Participios pasados insistiert auf der Bezeichnung dessen, was sowohl als Perfektivität (tiene cantado) als auch als Vorzeitigkeit (ha tenido) gedeutet werden kann, und stellt daher eine Gefährdung der Bezeichnung des für die Zeitstufe VG charakteristischen und sie vonV differenzierenden Fehlens einer „Zeitlücke" dar (cf. oben p. 44). Diese Gefahrdung braucht sich nicht 199

> >

NNZ NZ VNZ NMZ Ζ

ir4 cantando

> >

ϊτά cantando

?

[cantarä]

estar4 cantando

>

cantarä

1

VMZ

vendrA cantando

NVZ

habrä ido cantando

VZ

habrA estado cantando

tendr4

habrä cantado

W Z habrä, venido cantando > >

NNG NG

va cantando

VNG NMG G

> > > >

va cantando esfcä cantando

VMG

viene cantando

NVG

ha ido cantando

>

VG

ha estado cantando

WG

ha venido cantando

NNV

[iria cantando]

>

[estaria cantando]

>

NV VNV

[vendria cantando] / [habria estado cantando]

NMV

iba cantando

V

ha

[[cantarfa]] t [cantaria]

(fu0 cantando)

cantaba

VMV

venia cantando

NW

habia ido cantando *

W

canta

(vino cantando)

habia estado cantando *

W V l habia venido cantando * Zu den mit * bezeichneten Formen existieren innendeiktische Varian-

200

(Schema 24b)

cantado

tiene cantado

cantado

[tendria cantado] [habria cantado]

cantö

tuvo cantado hubo cantado cantara

, ,, , . frhubo cantado]! habia cantado, j [cantara] )

ten mit dem Hilfsverb im Pretörito anterior. 201

auszuwirken oder kann, wie das fr. Passe surcompos6 zeigt (cf. oben p. 138-139), umgangen werden. Ihre bloße Möglichkeit jedoch genügt, um die für rein theoretische Zuordnungen erforderlichen Voraussetzungen zu zerstören. Das für das Nsp. aufgestellte Bezeichnungsschema erfahrt somit die in Schema 24a (p. 198-199) bzw. unter Berücksichtigung der Periphrasen „ir + Gerundio" und ,,venir + Gerundio" sowie unter Verzicht auf eine für alle Aspekttypen einheitliche Zeitstufendifferenzierung die in Schema 24b (p. 200-201) aufgenommenen Ergänzungen.

d) Bezeichnungen für die differenzierten Zeitstufen Die dritte im Anschluß an Schema 18 p. 160 gestellte Frage nach der möglichen Bezeichnung differenzierter Zeitstufen ist zu einem großen Teil schon mit den bisher erzielten Ergebnissen sowohl für das Asp. (cf. Schema 23, p. 196-197) als auch für das Nsp. (cf. Schema 24, p. 198bis 201) beantwortet. Ihre weitere Verfolgung läßt sich in onomasiologischer Sicht streng genommen nur durch das Fehlen einer Bezeichnung der Nachgegenwart im Bereich des perfektiven Aspekts rechtfertigen. In Bezug auf diese Systemstelle liegt die gleiche Situation vor, die wir im Französischen im Anschluß an Schema 12 (cf. oben p. 125-127) und schon vorher im Latein (cf. oben p. 85) angetroffen haben und in der jede Sprache über eine ganze Reihe meist modaler Periphrasen verfügt, die jederzeit als Aushilfsbezeichnungen für Nachzeitigkeitsverhältnisse eintreten können. Obgleich das Spanische an solchen „halbfuturischen" Periphrasen - es sei hier nur an die entsprechenden Verwendungen von „hoher + de + Infinitivo", „tener + que + Infinitivo" oder „deber + (de + ) Infinitivo" erinnert - alles andere als arm ist, hat sich im Lauf der Sprachgeschichte auch hier eine Analogie zum Französischen herausgebildet. Die wichtigste und am weitesten grammatikalisierte Nachzeitigkeitsperiphrase ist die in dieser Funktion ansatzweise schon im Latein ausgebildete (cf.obenp. 126-127) Zusammensetzung aus einem Verbum, das ursprünglich eine gezielte Bewegung bezeichnet, und dem Infinitiv. Ihr häufigster Typus ist die Periphrase „ir + Infinitivo" bzw. „ir + a -f- Infinitivo". Von ihren auch nsp. noch lebendigen Varianten sind vor allem „pasar + a + Infinitivo" und „echar + a -f Infinitivo" 425 zu nennen. Sie unterscheiden sich von dem Normaltypus nicht nur lexikalisch-semantisch, sondern auch durch Bedeutungsnuancen im Bereich der Aktionsarten. Im Prinzip verläuft die Bedeutungsentwicklung der spanischen Formen 126

202

Cf. G M

G A Y A , p . 101-102.

völlig analog zu der von fr. „aUer + Infinitif" (cf. oben p. 126-127), unterscheidet sich von dieser jedoch durch das Nebeneinander der Formen mit und derjenigen ohne Präposition. Im Asp. überwiegt eindeutig die präpositionslose Form, der gegenüber die Periphrase „ir + a + Infinitivo" meist mehr in der Bedeutung der ursprünglichen Verbindung von Bewegungsverb und Zweckbestimmung gebraucht wird426. Nsp. hingegen hat sich die präpositionale Form durchgesetzt427 und die Periphrase „ir + Infinitivo" in die Rolle eines archaisierenden Stilmittels verdrängt428. In diesem zweimaligen Vollzug der Bedeutungsentwicklung von der Bewegungsbezeichnung mit Zweckbestimmung zu einer temporaldeiktischen Funktion läßt sich einerseits ein mißlungener Versuch zur Differenzierung der beiden Entwicklungsstufen durch die Bildimg formal verschiedener Bezeichnungen, andererseits aber auch eine Reaktion auf das Drohen einer im Bereich der Zeitstufen unerträglichen Homonymie erblicken. In Anm. 295 wurde erwähnt, daß im Katalanischen und Gaskognischen die präpositionslose Periphrase zur Vergangenheitsbezeichnung geworden ist. Im Asp. sind Ansätze zu einer solchen Entwicklung zwar eher seltener als im Afr., jedoch ist anzunehmen, daß spätestens mit der Unterwerfung des katalanischen Sprachgebiets unter die Herrschaft der kastilischen Schrift- und Verwaltungssprache das kat. va caviar als Katalanismus in das Spanische eindringt und als Bezeichnung von Vp n v die gleichlautende sp. Bezeichnung der Zeitstufe NG zu bedrohen beginnt. Diese Bedrohung fällt mit dem Ersatz von asp. va cantar durch nsp. να α cantar fort. Abgesehen von diesem besonderen Problem gilt für die zeitstufenmäßige Zuordnung der Formen von asp. „ir + Infinitivo" und nsp. „ir + a + Infinitivo" das Gleiche wie für die von fr. „aller + Infinitif". Wie im Nfr. lassen sich auch im Nsp. Ansätze zu einer Verwischung der Grenze zwischen ihnen und denen des Futuro beobachten; besonders in dem in Süd- und Mittelamerika gesprochenen Spanisch ist damit ein Vordringen von να α cantar auf Kosten von cantard verbunden429. Die aspektuale «2« Ygi, folgende Beispiel aus dem Cid: con cinquaenta vezes mill de annae — todos foron conplidos, entraron sobre mar, — en las barcas son metidos, van a buscar a Valencia - a mio Qid don Rodrigo. (LXXXVIII, 5-7) Allerdings finden sich auch Fälle, in denen kaum von einer Differenzierung zwischen präpositionsloser und präpositionaler Form die Rede sein kann:

El Qid a dona Ximena - ibala a abragar; dofia Ximena al Qid - la manol va besar (XVIII, 75-76) Cf. G I L I G A Y A , p. 99-100. 428 Vgl. das folgende Beispiel aus der nsp. Cid-Übersetzung von Alfonso Reyes: „Cuando ven que el Cid va abandonar el Castillo" (XLVI, 1; aep.: ,,... quiso quitar"). 427

428

Cf. AXVAR 60, p. 6 1 3 .

203

Zuordnung von „ir + (α + ) Infinitivo" ist ursprünglich durch die aus dem Infinitiv stammende Indifferenz gekennzeichnet (cf. oben p. 127-128). Jedoch können durch die im Sp. stärker durchgeführte Grammatikalisierung der Periphrasen „estar + Gerundio" und „ir + Gterundio" (cf. Abschnitt b) partizipative Oppositionen entstehen, die die Formen vom Typ va a cantar auf den perfektiven Aspekt zwar nicht einschränken, aber doch vorzugsweise festlegen. Auf sie wird von Fall zu Fall einzugehen sein. Wie zu den fr. wird gelegentlich auch zu den sp. Formen die Ansicht vertreten, eine echte Periphrase liege nur dort vor, wo das Hilfsverb im Presente oder Imperfecto steht480.Wie weit diese Einschränkung gerechtfertigt ist, kann auch hier nur eine Einzelbetrachtung der jeweiligen Kombinationsmöglichkeiten zu klären versuchen. Aus praktischen Gründen trennen wir im folgenden zwischen den dem Asp. und Nsp. gemeinsamen und denjenigen Formen, die nur in dem einen oder dem anderen der beiden Sprachzustände möglich sind. 1) Dem Asp. und Nsp. gemeinsame Formen: - va (a) cantar, der Normalfall der Periphrase431, bezeichnet die Zeitstufe NG und ist in dieser Funktion deutlich von dem Futuro als der Bezeichnimg von Ζ unterschieden (zu regional begrenzten nsp. Abweichungen hiervon vgl. oben Anm. 429). Die der Form eigene aspektuale Polysemie (NGi = NGp n n e) ist kaum eingeschränkt, da eine Opposition zu va cantando eher dessen Begrenzung auf die Bezeichnung von NMGi zur Folge hat (cf. oben p. 188). - ird (a) cantar ist der Zeitstufe NZ zuzuordnen, die bislang im Asp. überhaupt nicht und im Nsp. nur durch ein umgekehrt innendeiktisch bedingtes cantard (cf. oben p. 162), das heißt mittels einer sekundären Bedeutungsfunktion, bezeichnet ist. Für das Verhältnis von ird (a) cantar (NZi = NZp n n z ) zu ird cantando (NMZi) gilt entsprechend das zu va (a) cantar / va cantando Gesagte. Ebenso wie fr. (il) ira chanler kommt auch ird (a) cantar sowohl asp. als auch nsp. in Verwendungen vor, die eine temporal-deiktische, nämlich Nachzukunftsbedeutung mitenthalten432. Auch hier scheint uns «SO YGI, G I L I GAYA, p. 1 0 0 - 1 0 1 ; während die von Gili Gaya für fvA α cantar unter bestimmten Umständen vertretene Annahme eines periphrastischen Charakters und dessen Ablehnung für die Verbindungen mit zusammengesetzten Tempora von ir durchaus überzeugen, sind die dazu gegebenen Begründungen infolge des unklaren Gebrauchs des Terminus tiempoe perfectoa schwer verständlich. Ebensowenig ist einzusehen, warum „una duplicidad de futuro . . . deshace el sentido de la fräse verbal" und die Möglichkeit eines Vorkommens des Typs ird α cantar als Bezeichnung einer Nachzukunft ausschließen soll. 431

Vgl. die Beispiele bei B U L L 60, p. 81.

432 Vgl, (jje folgenden Beispiele aus dem Cid, in denen die grammatikalisierte Einheit der Periphrase durch die Stellung der Objektpronomina unterstrichen wird:

204

somit trotz der in Anm. 430 zitierten Ansicht keine hinreichende Rechtfertigung für einen völligen Ausschluß aus dem temporaldeiktischen Bezeichnungssystem vorzuliegen. Das geringe Bedürfnis nach der Bezeichnung der Zeitstufe NZ stellt eine ausreichende Begründung für die Seltenheit der Form ird (a) cantar in dieser Funktion dar (cf. oben p. 128-129). - iria (a) cantar bildet als Bezeichnung der Zeitstufe NNV prinzipiell eine zu ird (a) cantar völlig analoge Erscheinung. Dies gilt auch für sein Verhältnis zu dem umgekehrt innendeiktisch als Bezeichnung von N N V fungierenden cantaria (cf. oben p. 163). Aus der Opposition von iria (a) cantar und iria cantando ergibt sich die gleiche Schwierigkeit, die wir oben p. 188 bei der Gegenüberstellung von habria estado cantando und vendria cantando angetroffen haben. Auch hier verzichten wir auf eine Lösung, da uns ein in so hohem Ausmaß theoretischer Fall die Einführung dreifach differenzierter Zeitstufen nicht zu rechtfertigen scheint. Lediglich die formale Existenz von iria (a) cantar, die durch die dem einfachen Potencial entsprechende modale Bedeutungsfunktion gestützt ist433, verbietet seinen Ausschluß aus dem Bestand theoretisch jederzeit möglicher Bezeichnungen für temporal-deiktische Begriffskategorien. - iba(a) cantar*3* ist als Bezeichnung derZeitstufe NV partiell synonym mit estaria cantando und cantaria. Dabei unterscheidet es sich jedoch von dem ersteren im Sinne der partizipativen Opposition estaria cantando = NVi / iba (a) cantar = NVi -+- NVp n n v , und beiden Konkurrenzformen gegenüber hat es den Vorteil, auch in außendeiktischer Funktion auftreten zu können. Darüberhinaus ist iba (a) cantar wie seine fr. Parallelform (il) allait chanter (cf. oben p. 129-130) nur in den wenigsten Fällen dazu in der Lage, die modalen Funktionen von cantaria (bzw. estaria cantando) zu übernehmen. Die p. 130 als dritte genannte Möglichkeit einer Differenzierung mas quando έΐ me lo busca, - ir gelo he yo demandar. (LYI, 7) el obispo don Jerome — soltura nos dar4, dezir nos ha la missa, — e penssad de cavalgar; ir los hemoe fferir, - non passar4 por 41 (XCIII, 10—12) Einer temporal-deiktischen Deutung weniger zugänglich ist die nsp. Übersetzung der letzten Stelle bei Alfonso Reyes: „e iremos a atacarlos"; ein „y los iremos a atacar" wäre dem asp. Original nähergekommen. «83 Vgl. das folgende Beispiel aus dem Cid und der nsp. Übersetzung von Alfonso Reyes; in der nsp. Version läßt die Stellung des Objektpronomens die grammatikalisierte Einheit der Periphrase deutlich werden: Non era maravilla — si quisiesse el rey Alfons, fasta do lo falMssemos — buecar lo iriemos nos (CH, 71-72) = Si el rey quisiera y me llamase a su presencia, yo le iria a buscar hasta dar con έΐ. 481

V g l . die Beispiele bei G M

G A Y A , p . 100, u n d B U L L 60, p. 99.

205

von (il) albit chanter und (il) chanterait als Bezeichnungen der Zeitstufen NMV und NV besteht im Spanischen hingegen nicht, da iba (a) cantar zu iba cantando (bzw. fue cantando) als schon vorhandener NMV-Bezeichnung in der gleichen Opposition steht wie va(a) cantar zu va cantando. - fue (a) cantar kommt im Gegensatz zu fr. (il) atta (oder fut) chanter (cf. oben p.130-131) sowohl asp. als auch nsp. auch in vorwiegend periphrastischer Funktion vor. Die ursprünglich aspektuale Opposition zu iba (a) cantar ist dabei in einen Aktionsartengegensatz umgedeutet. Die Verbindimg der punktuellen Aktionsart mit der allgemeinen Nachzeitigkeitsbedeutung der Periphrase ,,ir -f (a + ) Infinitivo" läßt dabei fue (a) cantar zur Bezeichnung einer ingressiven Aktionsart werden436. Im Nsp. wird diese Bedeutung mit dem modalen Charakter jeder Nachzeitigkeitsperiphrase verschmolzen und macht die Formen des Typs fvA α cantar zu „expresiones de conatu"*3*. In seiner temporal-deiktischen Funktion hingegen stellt dieser Typ eine bloße Variante zu iba (a) cantar dar und kann als solche bei den schematischen Darstellungen des sp. Bezeichnungssystems unberücksichtigt bleiben. 2) Nur dem Asp. eigene Formen: a) Einfache Tempora von ir. - Hierunter fallen die Formen fuere cantar und fuera cantar, die in aspektual indifferenter Funktion den Zeitstufen NVZ und N W zuzuordnen sind. Der ohnedies sehr hypothetische Charakter dieser Zuordnungen wird zusätzlich durch die selbst unsicheren Zuordnungen von cantare und cantara sowie durch deren vorwiegend innendeiktische Funktion unterstrichen. Trotzdem finden sich vereinzelt Fälle437, in denen eine temporal-deiktische Bedeutungsfunktion der beiden Formen nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden kann. b) Zusammengesetzte Tempora von ir. - Eine Kombination von dem Typ *ha ido cantar würde bei der für das Asp. zu Grunde gelegten Xpx-Bedeutung der zusammengesetzten Tempora einer Systemstelle NXp x = N X p v n x zuzuordnen sein und somit die per defini«5 Vgl. die folgenden Beispiele aus dem Cid: Sinava la cara, — a Dios se fo acomendar ( X X , 1) Martin Antolinez — en pie se fo levantar (CXLVI, 1). 1 8 8 GILI GAYA, p. 100; vgl. auch die dort angeführten Beispiele wie „en cuanto fui a comemar mi explicaciön, not£ que estaban distraidos". 437 Vgl. das folgende Beispiel aus dem Cid, in dem die Annahme der Bedeutungsfunktion NVZ für föredee ferir dem Sinn ebenso gut entspricht wie die des innendeiktisch bedingten Gebrauchs eines der servitude grammaticale (cf. oben Anm. 20) unterliegenden Konjunktivs: dadme

= partizipative Opposition (A > A + nicht-A) = nur unvollständig grammatikalisierte oder nur virtuell existierende Bezeichnung = nur innendeiktisch fungierende Bezeichnung

Beilage

Schema des d o p p e l t d i f f e r e n z i e r t e n Z e i t s t u f e n s y s t e m s : NNZ

Nach-Nachzukunft

NZ

Nachzukunft

VNZ NMZ

-

Vor-Nachzukunft

=

„Nach-Mit-Zukunft" *

Ζ

=

Zukunft

VMZ

=

„Vor-Mit-Zukunft" *

NVZ

=

Nach - Vorzukunft

VZ

=

Vorzukunft

WZ

=

Vor-Vorzukunft

NNG

=

Nach-Nachgegenwart

NG

=

Nachgegenwart

VNG

=

Vor-Nachgegenwart

NMG

=

„Nach-Mit-Gegenwart" *

G

=

Gegenwart

VMG

=

,, Vor-Mit- Gegenwart *''

NVG

=

Nach-Vorgegenwart

=

Vorgegenwart

WG

=

Vor-Vorgegenwart

NNV

=

Nach-Nachvergangenheit

NV

=

Nachvergangenheit

VNV

=

Vor-Nachvergangenheit

NMV

=

, ,Nach-Mit-Vergangenheit'

V

=

Vergangenheit

VMV

=

„Vor-Mit-Vergangenheit"'

=

Nach-Vorvergangenheit

=

Vorvergangenheit

=

Vor-Vorvergangenheit

YG

NW YV VW

Zu den mit * bezeichneten Zeitstufen vgl. Anm. 65.

Beilage zu „Heger, Begriffskategorien"

Beilage zu „Heger, Begriffskategorien"

Schema I entspricht mit geringfügigen Abänderungen Schema 16 (p. 148-149); zu den mit 0 und ® gekennzeichneten Systemstellen vgl. p. 142-144, zu den mit © gekennzeichneten p. 147. Darüber hinaus ist f ü r die wichtigsten d a f ü r in Frage kommenden Bezeichnungendas Ausmaß der Extensivität ihrer Bedeutungsfunktion (cf. p. 70-71) durch die Kennzeichnung

angegeben. Schema I vermittelt somit gleichzeitig ein semasiologisches Bild der B e d e u t u n g s Verhältnisse, jedoch nur insofern, als die Bedeutungsfunktionen sich auf den begrifflichen Bereich der temporalen Deixis beziehen. Die verschiedene Linienführung gibt in der Reihenfolge durchlaufende - unterbrochene - punktierte Linien die hierarchische Abstufung der Extensivit ä t an, z.B. (il) chanie (durchlaufende Linien) ist extensiv gegenüber (il) chantera (unterbrochene Linien), (il) chantera (unterbrochene Linien) ist im Bereich der Systemstelle V Z p n v z extensiv gegenüber (il) aura chante (punktierte Linien). Nur bedingt trifft diese Abstufung auf das Verhältnis von (il) chanta zu (il) α chante zu (cf. pp. 106-112 und 144).

Beilage zu „Heger, Begriffskategorien"

Schema I I entspricht Schema 27b (p. 218-219); zu den mit © , [+] und g] gekennzeichneten Systemstellen vgl. p. 207-209, zu den mit © gekennzeichneten p. 217; zu den m i t * gekennzeichneten Formen existieren innendeiktische Varianten mit dem Hilfsverb im Preterito anterior. Darüber hinaus ist f ü r die wichtigsten dafür in Frage kommenden Bezeichnungen das Ausmaß der Extensivität ihrer Bedeutungsfunktion (cf. p. 70-71) durch die Kennzeichnung

ffi

angegeben. Schema I I vermittelt somit gleichzeitig ein semasiologisches Bild der B e d e u t u n g s v e r h ä l t n i s s e , jedoch nur insofern, als die Bedeutungsfunktionen sich auf den begrifflichen Bereich der temporalen Deixis beziehen. Die verschiedene Linienführung gibt in der Reihenfolge durchlaufende - unterbrochene - punktierte Linien die hierarchische Abstufung der Extensivität an, ζ. B. cania (durchlaufende Linien) ist extensiv gegenüber cantarä (unterbrochene Li/1 /ι nien), caniarä (unterbrochene Linien) 1—r ist extensiv gegenüber estard cantando (punktierte Linien). \I VI -

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