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German Pages 179 Year 2010
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 398
Die Auslegung von Testamenten im deutschen und spanischen Recht Von Guido Perkams
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
GUIDO PERKAMS
Die Auslegung von Testamenten im deutschen und spanischen Recht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 398
Die Auslegung von Testamenten im deutschen und spanischen Recht Von Guido Perkams
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Wintersemester 2008 / 2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-13082-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Für Elena
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Muscheler. Ihm möchte ich an erster Stelle danken: für die geduldige Betreuung der Dissertation, für das entgegengebrachte Vertrauen und für die uneingeschränkte Förderung, die ich in meiner Zeit am Lehrstuhl erfahren habe. Herrn Prof. Dr. Christoph Krampe danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und für seine wertvollen Anregungen. Besonderer Dank gebührt ferner Herrn Prof. Dr. Durn Rivacoba, der mir während meines Forschungsaufenthalts an der Universität Oviedo mit hilfreichen Ratschlägen zur Seite stand. Der Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e.V., Bochum, hat mich mit einem großzügigen Forschungsstipendium unterstützt. Auch hierfür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Dank sagen möchte ich meinen Lehrstuhlkollegen, besonders Herrn Michael Janßen, für die stete Diskussionsbereitschaft. Frau Bärbel Dröghoff schulde ich ferner großen Dank für die Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts. Frau Julia Drolshagen und meinen Geschwistern danke ich für das kritische Korrekturlesen. Mein tief empfundener Dank gilt meinen Eltern, die mir jederzeit ein starker Rückhalt waren. Meine Frau Elena Garrido Prez hat die Arbeit mit viel Liebe und Geduld begleitet. Für Ihren Beistand danke ich ihr von ganzem Herzen. Bochum, im September 2009
Guido Perkams
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Testamentsauslegung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Die allgemeinen Auslegungsvorschriften und -methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Der Anwendungsbereich des § 133 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Die natürliche und normative Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Die Anwendbarkeit des § 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4. Der Gedanke des Vertrauensschutzes als übergeordneter Unterscheidungsgrund 21 a) Empfangsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 aa) Das Testament als typische nichtempfangsbedürftige Willenserklärung?
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bb) Auslegung anderer nichtempfangsbedürftiger Willenserklärungen . . . . . 23 (1) Die Auslobung (§ 657 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 (aa) Das Prinzip der Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 (bb) Objektiver Empfängerhorizont im Dienst des Erblassers? . . . . . 25 (2) Die Annahmeerklärung nach § 151 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 (3) Die Dereliktion (§ 959 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Widerruflichkeit von Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 d) Das Testament als Nichtverkehrsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 e) Sonstige, insbesondere moralische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 5. Vertrauensschutz nur im Wege des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Das Verbot, am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Buchstäblicher und wahrer Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
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Inhaltsverzeichnis b) Buchstäblicher und übertragener Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c) Buchstäblicher und gemeingewöhnlicher Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 d) Buchstäblicher und fachsprachlicher Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Die Erforschung des wirklichen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Wirklicher Wille und erklärter Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) „Erforschung“ als Gegensatz zur zwingenden Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Verhältnis des § 133 BGB zu den Vorschriften über Willensmängel . . . . . . . . . 38 a) Die Anwendung des § 116 Satz 1 BGB auf Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Auffassung des Gesetzgebers und der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Meinungsstand in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Die Irrtumsregelung in § 2078 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) § 2078 Abs. 1 BGB als Redaktionsfehler? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (1) Das Willensdogma als Nichtigkeitsdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (aa) Durchsetzung der Willenstheorie gegen die Erklärungstheorie . 42 (bb) Anfechtbarkeit, nicht Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (2) Geltung des Willensdogmas im Rahmen der Auslegung? . . . . . . . . . 43 (aa) Kreis der zu berücksichtigenden äußeren Umstände . . . . . . . . . 44 (bb) Der subjektive Ansatz bei Windscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (cc) Äußerste Wortsinngrenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (dd) Entscheidung gegen das Erfordernis der Andeutung? . . . . . . . . 47 (ee) § 133 BGB als vermeintlicher Nachfolger des Art. 278 ADHGB 48 (ff) Entstehungsgeschichte des Art. 278 ADHGB . . . . . . . . . . . . . . 48 (gg) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 bb) Der verbleibende Anwendungsbereich des § 2078 Abs. 1 BGB . . . . . . . 50 cc) Die Bedeutung des § 2078 Abs. 1 BGB in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Die Andeutungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Unbeachtlichkeit fehlender Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Das „wirkliche Verständnis“ (Wieser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 bb) Andeutung trotz unterlassener Verfügung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 cc) Fehlen einzelner Teile von Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Die Eindeutigkeitsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Auslegungsfähigkeit eindeutiger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Inhaltsverzeichnis
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bb) Die Frage der Eindeutigkeit in RGZ 160, 109 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 cc) Die Auffassung des BGH in der ersten Zeit nach seiner Gründung . . . . 57 dd) Eindeutigkeit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . 58 ee) Die Entscheidung BGHZ 80, 246 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Abkehr von der Eindeutigkeitsrechtsprechung in BGHZ 86, 41 . . . . . . . . . . . 60 d) Trennung zwischen der Auslegungs- und der Formfrage . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Irrelevanz der Einordnung des Andeutungserfordernisses? . . . . . . . . . . . 62 bb) Auswirkungen in den Fällen des § 2078 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 62 e) Kritik an der zweistufigen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 f) Rückkehr zur alten Andeutungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Kritik an der Andeutungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Bevorzugung des weitschweifigen Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Der „versteckte“ Ausdruck: eine Chance für die Geheimsprache? . . . . . 67 bb) Die Vernachlässigung der Andeutungsformel in der Rechtsprechung . . 68 cc) Maßgeblicher Standpunkt für die Beurteilung der Andeutung . . . . . . . . . 69 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Unvereinbarkeit mit der Regel „falsa demonstratio non nocet“ . . . . . . . . . . . 69 aa) Rechtliche Bedeutung der falsa-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Falschbezeichnungen im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 cc) Anwendungsbereich der „falsa demonstatio“ im heutigen Recht . . . . . . 71 dd) Die falsa demonstatio im Testamentsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (1) Bewusste Falschbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (aa) Andeutung auf Grund eines besonderen Sprachgebrauchs? . . . . 74 (bb) Parallele zum geheimen Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (cc) Falsa-Regel als Ausnahme von der Andeutungstheorie? . . . . . . 76 (2) Unbewusste Falschbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (aa) Falschbezeichnung auf Grund eines Inhaltsirrtums . . . . . . . . . . 76 (bb) Falschbezeichnung auf Grund eines Erklärungsirrtums . . . . . . . 78 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 6. Objektive, nicht subjektive Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Beschränkung des Auslegungsmaterials auf „objektive Umstände“ . . . . . . . . 79
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Inhaltsverzeichnis b) Strengere Auslegung von Testamenten als von Verträgen? . . . . . . . . . . . . . . 81
III. Die ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Das Vorliegen einer Lücke als Voraussetzung für die ergänzende Auslegung . . 82 a) Planwidrigkeit der Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Lücke nur bei Undurchführbarkeit einer Verfügung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Rechtfertigung der ergänzenden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4. Die „stillschweigende“ Einsetzung eines Ersatzerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Die Grundsatzentscheidung RGZ 99, 82 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Die Ermittlung der „Willensrichtung“ als Auslegungsziel . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Ablehnung einer Analogie zu § 2069 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) § 2069 BGB als Zweifels-, nicht Vermutungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Die Ansicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 d) Fehlinterpretation der Gesetzesmaterialien durch das RG . . . . . . . . . . . . . . . 89 5. Das Erfordernis der Andeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Bezugspunkt für die erforderliche Andeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Andeutung im Fall der stillschweigenden Ersatzerbeinsetzung . . . . . . . . . . . 92 aa) Andeutung nur bei „nahestehenden Personen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Berücksichtigung außerurkundlicher Umstände für die Nähebeziehung . 93 cc) Nähebeziehung als Vermutung für eine Ersatzberufung . . . . . . . . . . . . . . 94 dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6. Berücksichtigung eines späteren wirklichen Erblasserwillens . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Projizierung des wirklichen Willens auf den hypothetischen . . . . . . . . . . . . . 96 b) Ergänzende Auslegung bei Änderung des Statusverhältnisses . . . . . . . . . . . . 96 c) Uferlosigkeit der zu berücksichtigenden äußeren Umstände . . . . . . . . . . . . . 98 d) Ergänzende Auslegung bei bloßem Anschauungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . 98 e) Verbindlichkeit des späteren Willens bei wortgleicher Verfügung? . . . . . . . . 99 aa) Teleologische Reduktion der Widerrufsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Möglichkeit einer Bestätigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Inhaltsverzeichnis
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7. Verhältnis zwischen ergänzender Auslegung und Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . 101 a) Fehlen einer Lücke beim Motivirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Keine ergänzende Auslegung bei einem „Motivbündel“? . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Völlige Ausschaltung des § 2078 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
C. Testamentsauslegung im spanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Beschränkung auf das gemeinspanische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Stellenwert der Testamentsauslegung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . 105 III. Charakteristika des Testamentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Die fehlende Empfangsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Die besondere Natur und Struktur des Testamentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Anwendungsbereich des Art. 675 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Die erste Regel: Der buchstäbliche Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Bestimmung des buchstäblichen Sinnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Der offizielle akademische Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Der Sinn nach dem mehrheitlichen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Der individuelle Sprachgebrauch des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 dd) Die Gesetzessprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Die Eindeutigkeitsformel („in claris non fit interpretatio“) . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Art. 675 Abs. 1 Satz 1 a.E. CC als Ausschluss der Eindeutigkeitsregel . . . . . . . 113 a) Relativierung der Eindeutigkeitsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Unbedingter Vorrang des Willens vor dem buchstäblichen Sinn? . . . . . . . . . 115 c) Bedeutung des Wortes „claramente“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
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Inhaltsverzeichnis 4. Die Bedeutung des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) „tenor del mismo testamento“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC als Postulat systematischer Auslegung . . . . . . . . . 118 c) Die bewusste Beschränkung auf den „tenor del testamento“ . . . . . . . . . . . . . 119 d) Der „Zweifelsfall“ des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 e) Versuch der Harmonisierung von Art. 675 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 CC . . . . 121 f) Offener Widerspruch innerhalb des Art. 675 Abs. 1 CC? . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5. Die Zulässigkeit der Heranziehung von sog. Externa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Die Auffassung des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Der Wendepunkt in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Weitergeltung der Eindeutigkeitsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 d) Die Berücksichtigung des spezifischen Sprachgebrauchs des Erblassers . . . . 124 e) Berücksichtigung des nur gelegentlichen Sprachgebrauchs? . . . . . . . . . . . . . 124 f) Der Verweis auf die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 03. 06. 1942 . 125 g) Die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 06. 02. 1958 . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Sachverhalt und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Die Begründung des Tribunal Supremo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 cc) Widerspruch zwischen Leitsatz und Urteilsbegründung . . . . . . . . . . . . . . 127 h) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 V. Grenzen der Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Das Erfordernis einer Andeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Andeutungsformel im subjektiven Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
VI. Irrtümliche Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Fehlen einer generellen Regelung des Irrtums im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Die verschiedenen Irrtumsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Art. 767 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Art. 773 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Unmittelbarer Anwendungsbereich des Art. 773 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . 134 bb) Verhältnis zu Art. 675 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 30.01.1997 . . . . . . . . . . . . 135
Inhaltsverzeichnis
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dd) Regelung des „error obstativo“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (1) Aufrechterhalten der fehlerhaften Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Nichtigkeitsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (3) Korrigierende Auslegung entgegen der Erklärung? . . . . . . . . . . . . . . 138 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
VII. Die ergänzende Auslegung („interpretacin integradora“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Voraussetzungen für die ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Die Anknüpfung an das Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Erste Ansätze der ergänzenden Auslegung in der Rechtsprechung . . . . . . . . 142 b) Anerkannter Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung . . . . . . . . . . . 143 c) Irrelevanz des wirklichen letzten Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 d) Die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 29. 12. 1997 . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Verhältnis zwischen Vertrags- und Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Die Klassifizierung der Auslegungsregeln im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Die Vorschriften zur Vertragsauslegung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Art. 1281 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Art. 1282 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Art. 1283 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 d) Art. 1284 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 e) Art. 1285 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 f) Art. 1286 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 g) Art. 1287 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 h) Art. 1288 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 i) Art. 1289 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
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Inhaltsverzeichnis
D. Vergleich zwischen der Testamentsauslegung im deutschen und spanischen Recht 156 I. Problematik eines reinen Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Die objektive und die subjektive Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 III. Die gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Systematik und Inhalt des § 133 BGB und des Art. 675 Abs. 1 CC . . . . . . . . . . 157 a) Vermutung zugunsten des Wortsinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Die Bedeutung des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Auslegungsregeln für Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Irrtumsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 IV. Der Erblasserwille als das oberste Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Eindeutigkeitsregel als Auslegungshemmnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Auslegung und Formproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Die Andeutungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Argumentationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Falsa demonstatio non nocet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 V. Neuregelung der Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Wert der allgemeinen Auslegungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Normierung der Andeutungstheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 E. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
A. Einleitung Was ist die Auslegung nicht alles zu leisten imstande! Sie vermag todgeweihten Rechtsgeschäften neues Leben einzuhauchen, Wasser in Wein zu verwandeln (oder gar eine Bibliothek in einen ganzen Weinkeller), Erklärungen aus dem Nichts zu erschaffen und auf wundersame Weise zu vermehren. Den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit erreicht die Auslegung im Erbrecht. Schließlich kommt hier alles auf den „letzten Willen“ des Erklärenden an. Es sind daher besondere Anstrengungen zu unternehmen, um den wirklichen Willen des Erblassers festzustellen und ihm Geltung zu verschaffen. So lautet jedenfalls der allgemeine Grundtenor. Dennoch verläuft ein tiefer Riss durch das Schrifttum zur Testamentsauslegung. Der Riss trägt den Namen Andeutungstheorie. Während die einen den Willen des Erblassers schlechthin gelten lassen, fordern die anderen, der Wille müsse im Testament irgendwie zum Ausdruck kommen, zumindest angedeutet sein. Die vorliegende Arbeit stellt im ersten Teil diese beiden sich in Deutschland unverrückbar gegenüber stehenden Grundpositionen dar, zeigt ihre Konsequenzen auf und unterzieht sie einer kritischen Prüfung. Die Untersuchung beschränkt sich dabei nicht auf die Darstellung des heutigen Rechtszustandes, sondern geht, soweit erforderlich, auch auf die Entstehungsgeschichte der Auslegungsvorschriften ein und zeichnet die Entwicklungslinien in der Rechtsprechung nach. Im zweiten Teil der Arbeit richtet sich der Blick auf das spanische Recht. Es soll untersucht werden, bis zu welchem Punkt Rechtsprechung und Literatur in Spanien bereit sind, den Erblasserwillen bei der Auslegung zu berücksichtigen und inwieweit sich dort eine Art Andeutungstheorie durchgesetzt hat. Während zu anderen Rechtsordnungen bereits entsprechende rechtsvergleichende Studien in deutscher Sprache erschienen sind,1 fehlt es bislang an einer Darstellung zum spanischen Recht. Abschließend werden die wesentlichen der zu beiden Rechtsordnungen gefundenen Ergebnisse gegenübergestellt. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf den Wert der allgemeinen Auslegungsvorschriften gelegt. Schließlich wird erörtert, ob es sich im Hinblick auf zukünftige Gesetzesvorhaben empfiehlt, eine besondere Auslegungsmethode für Testamente zu normieren.
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So z. B. zum französischen Recht Glaus, Irrtumsanfechtung und Auslegung beim Testament (1982); zum gesamten deutschen Rechtskreis Stagl, Der Wortlaut als Grenze der Auslegung von Testamenten (2003) und zum anglo-amerikanischen Recht Lüderitz, Die Auslegung von Rechtsgeschäften (1966).
B. Testamentsauslegung im deutschen Recht Zur Auslegung von Testamenten im Allgemeinen schweigt das fünfte Buch des BGB. Zwar finden sich in den §§ 2066 ff. BGB zahlreiche spezielle Auslegungsregeln. Sie haben jedoch immer nur eine mehr oder weniger eng umrissene Fallkonstellation, eine Verfügung in concreto im Auge, etwa wenn es um die Zuwendung an die „Verwandten“ (§ 2066 BGB) oder an die „Armen“ (§ 2072 BGB) geht. Hierbei handelt es sich meist um Zweifelsregelungen. Sie kommen nur dann zum Zuge, wenn nicht schon die eigentliche Auslegung zielführend war. Nicht anders verhält es sich bei der scheinbar allgemeinen Vorschrift des § 2084 BGB. Auch diese Norm knüpft an den Punkt an, an dem die Auslegung ergebnislos geblieben ist. Es ist aber gerade die Frage, ob mit den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung ein bestimmtes Ergebnis erreicht werden kann.
I. Die allgemeinen Auslegungsvorschriften und -methoden 1. Der Anwendungsbereich des § 133 BGB Eine allgemeine Regel für die Auslegung von Willenserklärungen stellt allein § 133 BGB auf. Danach ist bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Seiner Stellung im Allgemeinen Teil entsprechend gilt § 133 BGB für sämtliche Willenserklärungen. Nach dem Wortlaut der Norm müssen freilich Willenserklärungen einer bestimmten Art von vornherein aus dem Anwendungsbereich herausfallen: diejenigen, in denen die Erklärung nicht in Worten erfolgt. Hier gibt es keinen buchstäblichen Sinn des Ausdrucks.1 Doch soll nach allgemeiner Meinung § 133 BGB entgegen dem Wortlaut auch für die Auslegung konkludent geäußerter Willenserklärungen herangezogen werden.2 Man soll nicht meinen, für das vorliegende Thema sei diese Frage belanglos, da Testamente ohnehin nur durch die Verwendung von Worten errichtet werden könnten. Da § 2232 Satz 1 BGB seit dem 01.08.20033 keine mündliche Erklärung mehr 1 Vgl. Bork, Rn. 545 m. Fn. 51: „Wo keine Worte fallen, kann nicht vom Wortlaut ausgegangen werden.“ 2 Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 3; MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 33. Für eine bloß entsprechende Anwendung noch Staudinger/Coing11, § 133 Rn. 58. 3 In-Kraft-Treten des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23. 07. 2002, BGBl. I S. 2850.
I. Die allgemeinen Auslegungsvorschriften und -methoden
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verlangt, kann der Erblasser vor dem Notar ein Testament auch auf nonverbale Art und Weise, also etwa durch Gebärden oder sonstige Zeichen, errichten. Die vorliegende Arbeit wird diese Form der Testamentserrichtung unberücksichtigt lassen. Dass für die Testamentsauslegung § 133 BGB eingreift, wird von niemandem ernsthaft bestritten. Nur scheinbar anderer Ansicht war Gareis4 : Er wollte aus dem Anwendungsbereich des § 133 BGB diejenigen Willenserklärungen herausnehmen, bei denen es sich um „reine Formalgeschäfte“ handele. Die Vorschrift des § 133 BGB sei da zu befolgen, wo nicht eine Formvorschrift zwinge, den formellen buchstäblichen Sinn dem materiell gewollten vorzuziehen. Man könnte denken, dies gelte für alle formbedürftigen Rechtsgeschäfte.5 Jedoch bezieht Gareis am Ende seiner Kommentierung zu § 133 BGB diese Norm ausdrücklich auch auf Testamente. Man kann sich fragen, ob es sich überhaupt lohnt, die Auslegungsmethode nur speziell für Testamente zu untersuchen. Wenn man sich, wie es im Allgemeinen getan wird, allein auf § 133 BGB stützt, so ist nicht mit Erkenntnissen zu rechnen, die nicht generell für alle Arten von Willenserklärungen fruchtbar zu machen wären.6 Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass § 133 BGB stets einheitlich angewendet wird. Insofern erscheint die Annahme ausgeschlossen, es könne die Vorschrift für Testamente etwas Besonderes bereithalten.7
2. Die natürliche und normative Auslegung Das Schrifttum ist heute weit davon entfernt, für die Auslegung sämtlicher Willenserklärungen ein einheitliches Prinzip aufzustellen. Vielmehr haben sich im Wesentlichen zwei Auslegungsmethoden herausgebildet: die natürliche und die normative Auslegung.8 Die natürliche Auslegung stellt mit Blick auf § 133 BGB auf den wahren Willen des Erklärenden ab. Die normative Auslegung fragt dagegen danach, wie der Erklärungsempfänger die Willenserklärung nach Treu und Glauben mit Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (Lehre vom so genannten „objek-
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§ 133 Anm. 1 u. 2. Diesen Eindruck vermittelt zumindest Lutz, S. 63 m. Fn. 15, wenn er auf Gareis verweist. 6 Manigk, Willensgeschäft und Willenserklärung, S. 464: „Der § 133 kann jedenfalls ein singuläres Auslegungsprinzip, das nur für die letztwilligen Erklärungen gelten soll, nicht ergeben, da er den für alle Willenserklärungen geltenden obersten Grundsatz der Auslegung statuiert.“ 7 So aber die Einschätzung von Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 22: „§ 133, die Grundnorm für die Auslegung von Willenserklärungen, gilt auch und gerade für Testamente. Ihre Anwendung erfährt dort jedoch eine besondere Ausprägung.“ Einige Zeilen weiter (Rn. 25) heißt es aber: „Bei der Testamentsauslegung ist also § 133 gleichsam wörtlich zu nehmen.“ Stellt es demnach eine Besonderheit dar, wenn eine Vorschrift beim Wort genommen wird? 8 Vgl. Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 7 ff.; Brox/Walker, AT, Rn. 129 ff. 5
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
tiven Empfängerhorizont“).9 Vereinfachend lässt sich auch von subjektiver und objektiver Auslegung sprechen. Beide Auslegungsarten, natürliche und normative Auslegung, werden üblicherweise als Unterfälle der erläuternden bzw. einfachen Auslegung angesehen und der ergänzenden Auslegung gegenübergestellt.10 Die erläuternde Auslegung soll im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Auf die ergänzende Testamentsauslegung wird am Ende eingegangen.
3. Die Anwendbarkeit des § 157 BGB Während die natürliche Auslegung unmittelbar in § 133 BGB aufgeht, entspringt die Formel der normativen Auslegung ersichtlich § 157 BGB. Zwar bezieht sich die dort vorgeschriebene Auslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte nach dem Wortlaut nur auf Verträge. Doch ist die Anwendbarkeit von § 157 BGB auch auf einzelne Willenserklärungen unbestritten. Zumindest für die Erklärungen, die den Vertragsschluss perfekt machen, also für Antrag und Annahme, leuchtet dies ohne weiteres ein. Es wäre unverständlich, die Bestandteile eines Rechtsgeschäfts einem grundsätzlich anderen Auslegungsregime zu unterstellen als das Rechtsgeschäft selbst. Heute hält es niemand mehr für nötig, bei der Auslegung einer einzelnen Willenserklärung § 157 BGB nur analog heranzuziehen.11 Allerdings kann es für die normative Auslegung bei dieser Vorschrift allein nicht sein Bewenden haben, da auch der allgemein geltende § 133 BGB stets anwendbar bleibt. Deshalb werden die §§ 133, 157 BGB einfach nebeneinander zitiert.12 Hat man die Anwendung des § 157 BGB auf vertragliche Willenserklärungen einmal bejaht, so ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf alle anderen Willenserklärungen. Dieser Schritt ist im Grunde genommen zwingend, wenn man davon ausgeht, dass der Grundsatz von Treu und Glauben für das gesamte Privatrecht gilt.13 Die erbrechtliche Literatur lehnt jedoch die Anwendung des § 157 BGB auf Testamente (ausgenommen das gemeinschaftliche Testament, auf das in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen wird) ausdrücklich 9 BGH, NJW 1990, 3206 f.; BGH, NJW 1992, 1446 (1447); Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 9. 10 MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 6; Rüthers/Stadler, § 18 Rn. 25; Olzen, Rn. 564 ff. A.A. Bork, Rn. 511, der die natürliche Auslegung nicht zur erläuternden Auslegung zählt. Erläuternde Auslegung sei – wie die ergänzende Auslegung – normative Auslegung, da sie auf einer wertenden Betrachtungsweise beruhe. Diese Verengung des Begriffs der erläuternden Auslegung leuchtet jedoch nicht ein. 11 Anders noch RG, SeuffArch 59, Nr. 177, S. 310 (311). 12 Z.B. BGHZ 47, 75 (78); BGHZ 103, 275 (280). 13 So Rüthers/Stadler, § 18 Rn. 5 mit Verweisung auf § 157 BGB. Im Ergebnis ebenso AnwKomm/Looschelders, § 133 Rn. 6: „Die §§ 133, 157 gelten für die Auslegung sämtlicher privatrechtlicher Willenserklärungen und Verträge.“
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ab.14 Dadurch gibt sie zu verstehen, dass sich die Auslegung von Testamenten nach ganz anderen Regeln richtet als die „normale“ Auslegung, oder um genau zu sein: dass sich die Auslegung von Testamenten zumindest nicht nach den allgemeinen Regeln richtet. Denn die Besonderheit der Testamentsauslegung wird, wenn man der herrschenden Auffassung folgt, nicht darin sichtbar, dass hierfür eine spezielle Vorschrift eingreift, sondern darin, dass eine andere allgemeine Vorschrift (§ 157 BGB) nicht eingreift. Eine Begründung für die fehlende Anwendbarkeit des § 157 BGB steht allerdings noch aus.
4. Der Gedanke des Vertrauensschutzes als übergeordneter Unterscheidungsgrund Die herrschende Meinung hält die Trennung zwischen den verschiedenen Auslegungsmethoden für notwendig, um der bestehenden Interessenlage im Einzelfall gerecht zu werden. Leitgedanke ist dabei der Vertrauensschutz.15 Je nach Art der Erklärung wird entschieden, inwieweit das Vertrauen des einen oder anderen Beteiligten als schützenswert zu gelten hat. Beim Testament liegt die Lösung auf der Hand: Hier dreht sich alles um den Erklärenden selbst. Eine dritte Person, die auf das Testament soll vertrauen dürfen, gibt es nicht. Daraus wird gefolgert, dass einzig und allein der wahre Wille des Testierenden als Auslegungsziel auszugeben und damit die natürliche Auslegung einschlägig ist. Freilich wird meist nicht einfach nur pauschal auf den Gesichtspunkt des fehlenden Vertrauensschutzes hingewiesen. Das erbrechtliche Schrifttum führt zusätzliche Kriterien an, um die Besonderheit der Testamentsauslegung zu begründen. Letztlich wird dadurch versucht, den Vertrauensaspekt zu verfeinern. a) Empfangsbedürftigkeit Das populärste Argument für die Rechtfertigung unterschiedlicher Auslegungsmethoden liegt in dem Kriterium der Empfangsbedürftigkeit.16 Die Begründung ist so simpel wie einleuchtend: Wo kein Empfänger, da kein Empfängerhorizont. Üblicherweise wird das Argument mit dem des fehlenden Vertrauensschutzes verknüpft: 14 Danz, S. 281; Siber, Festgabe Reichsgericht III, S. 350 (352); E. Schmidt, S. 105; Leipold, Erbrecht, Rn. 361; Michalski, Rn. 339; Jauernig/Stürner, § 2084 Rn. 2; Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 1; Petersen, JuS 2005, 597; Larenz/Wolf, § 28 Rn. 95. 15 Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 7; MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 13 u. 27; Bork, Rn. 513. 16 BGH, NJW 1986, 1681 (1683); BGH, NJW 1992, 1446; Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 1; MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 5; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 24; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 11; Erman/M. Schmidt, § 2084 Rn. 2; Medicus, Rn. 322 („die zutreffende Unterscheidung“); Schlüter, Erbrecht, Rn. 191; Smid, JuS 1987, 283 (284); Olzen, Rn. 561; Michalski, Rn. 334; Frank, § 7 Rn. 1; Kropholler, § 2084 Rn. 1; Prütting/Wegen/Weinreich/ Löhnig, § 2084 Rn. 5; Nieder, ZNotP 1999, 104; Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (664); Löwisch/ Neumann, Rn. 136; Gäbler/Giebel/Baldus, JuS 2004, 130 (132).
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Wo es keinen Empfänger gibt, da gibt es auch niemanden, der auf die Erklärung vertrauen könnte. Demnach ist zunächst kein Grund ersichtlich, beim Testament, das ja keinen Empfänger kennt, nicht auf den wirklichen Willen abzustellen und die Erforschung dieses Willens in irgendeiner Weise zu begrenzen. Eine normative Auslegung, die an die Sicht eines (objektiven) Erklärungsempfängers anknüpft, scheint von vornherein ausgeschlossen. Es lohnt sich jedoch, das Argument der fehlenden Empfangsbedürftigkeit genauer unter die Lupe zu nehmen. aa) Das Testament als typische nichtempfangsbedürftige Willenserklärung? Die These von der fehlenden Empfangsbedürftigkeit von Testamenten ist nicht unbestritten geblieben. Namentlich Manigk17 war der Ansicht, sämtliche Willenserklärungen hätten einen Empfänger. Bei den so genannten „nicht empfangsbedürftigen Erklärungen“ sei nur der Kreis der Erklärungsempfänger ein unbestimmterer.18 Manigk hat mit seiner Ansicht keine Anhänger gefunden. Zu deutlich spricht das Gesetz gegen sie, wenn es bei dem Merkmal der Willenserklärung immer wieder die Einschränkung macht, dass sie „einem anderen gegenüber abzugeben ist“ (§§ 116 Satz 2, 117 Abs. 1, 122 Abs. 1, 130 Abs. 1 Satz 1 BGB; entsprechend bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts: § 143 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die Existenz nichtempfangsbedürftiger Willenserklärungen gänzlich zu leugnen, wie Manigk es tut, ist daher kaum vertretbar. Doch ist Manigk zumindest darin beizupflichten, dass über das Wesen der Empfangsbedürftigkeit keineswegs Klarheit herrscht und eine saubere Abgrenzung zwischen empfangsbedürftigen und nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen bisher nicht gelungen ist. So ist beispielsweise im Palandt19 zu lesen, für die Wirksamkeit einer nichtempfangsbedürftigen Willenserklärung komme es nicht darauf an, dass ein anderer von ihr Kenntnis erlangt. Auf die Kenntniserlangung kommt es allerdings auch bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht an; denn dem Empfänger muss ja nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet werden. Ein weiterer Beleg für die Problematik des Kriteriums der Empfangsbedürftigkeit ist etwa die Frage, ob die Bestätigung im Sinne des § 144 BGB empfangsbedürftig ist oder nicht.20 Die Unsicherheit beim Umgang mit dem Merkmal der Empfangsbedürftigkeit wird auch im Hinblick auf das Testament sichtbar. So wird teilweise gesagt, das Testament sei zwar eine nichtempfangsbedürftige Willenserklärung, es sei jedoch „als Ganzes wie in seinen einzelnen Erklärungen empfangsbestimmt“ und stelle darüber
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Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 314. Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 461; ders., Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, S. 428 (440): „Die Anschauung, daß das Testament und die Auslobung keinen Adressaten habe, ist lebensfremd.“ 19 Palandt/Ellenberger, Vor § 104 Rn. 11. 20 Dafür Larenz/Wolf, § 44 Rn. 28; MünchKomm/Busche, § 144 Rn. 4; Medicus, Rn. 534; dagegen RGZ 68, 398 (399 f.); Palandt/Ellenberger, § 144 Rn. 2; Erman/Palm, § 144 Rn. 1. 18
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hinaus eine „Abschiedserklärung des Erblassers an die Überlebenden“21 dar. Ähnlich äußert sich Wieling22 : „(…) denn das Testament – wenn auch nicht empfangsbedürftig – richtet sich doch an die Personen, mit welchen der Testator lebt und welche die Umstände, aus welchen das Testament zu verstehen ist, kennen.“ Und schließlich Krug23 : „(…) weil sich der Erblasser auch an die Allgemeinheit mit seinen Anweisungen über die Erbfolge wendet und diese den Vollzug derselben garantiert.“ All diese Aussagen bestätigen letztlich die Auffassung Manigks, nach der alle Willenserklärungen ein Gegenüber haben, zumindest relativieren sie den Begriff der Empfangsbedürftigkeit in erheblicher Weise. bb) Auslegung anderer nichtempfangsbedürftiger Willenserklärungen Dass die Empfangsbedürftigkeit einer Willenserklärung nicht über Auslegungsfragen zu entscheiden vermag, ergibt sich auch aus der Betrachtung anderer nichtempfangsbedürftiger Willenserklärungen. Als nichtempfangsbedürftig gelten außer dem Testament im Wesentlichen: die Auslobung (§ 657 BGB), die Annahme gem. § 151 BGB, die Dereliktion (§ 959 BGB), das Stiftungsgeschäft (§ 81 BGB) und der Organisationsakt zur Gründung einer Einmann-GmbH (§ 1 GmbHG) und Einmann-AG (§§ 2, 36 Abs. 2 AktG).24 Die ersten drei der genannten Rechtsgeschäfte sollen im Folgenden näher untersucht werden. (1) Die Auslobung (§ 657 BGB) Fragt man nach der richtigen Auslegungsmethode im Falle der Auslobung, so erhält man fast ausnahmslos zur Antwort, dass nicht das subjektive Verständnis der Auslobenden, sondern das Verständnis derjenigen, die mit der Erklärung bestimmungsgemäß in Kontakt kommen, sprich: der Allgemeinheit, ausschlaggebend ist.25 Es ist dann zwar nicht mehr vom „Empfängerhorizont“ die Rede, sondern vom Horizont der Öffentlichkeit.26 Das ist aber nur ein begrifflicher Unterschied. In der Sache handelt es sich dabei um eine normative und nicht um eine natürliche Auslegung. Denn es geht nicht um die Feststellung des wirklichen Willens des Erklärenden, sondern darum, wie ein Außenstehender die Erklärung auffassen konnte und
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Lange/Kuchinke, § 34 III 3 b) (S. 783), Hervorhebung im Original. Testamentsauslegung im römischen Recht, S. 260 m. Fn. 55. 23 S. 18 m. Fn. 1. 24 Palandt/Ellenberger, Vor § 104 Rn. 11. 25 Bork, Rn. 515 („Obwohl [!] es sich bei der Auslobung um ein einseitiges, nicht empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft handelt, wird hier nicht durch natürliche Auslegung dem wirklichen Willen zur Geltung verholfen.“); Köhler, § 9 Rn. 6; ebenso Staudinger/Singer, § 133 Rn. 17; AnwKomm/Looschelders, § 133 Rn. 40. 26 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 17. 22
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
musste. Dementsprechend wendet auch der BGH27 die §§ 133, 157 BGB an, wenn er den Inhalt einer Auslobung ermittelt. (aa) Das Prinzip der Veranlassung Als Begründung für die Notwendigkeit einer objektiven Sichtweise bei Auslobungen gibt das Schrifttum an, dass die Angehörigen des angesprochenen Personenkreises zu einer bestimmten Handlung veranlasst werden sollen und ihr Vertrauen dementsprechend schützenswert sei.28 Mit diesem Argument wird letztlich das Kriterium der Empfangsbedürftigkeit über Bord geworfen und durch ein anderes ersetzt: durch das Veranlassungsprinzip. Dass der Gesichtspunkt der Veranlassung zumindest im Vergleich zur Empfangsbedürftigkeit auch im Erbrecht vorzugswürdig ist, dafür spricht die Möglichkeit, auch eine letztwillige Verfügung durch öffentliche Bekanntmachung in die äußerliche Form der Auslobung einzukleiden.29 Der Erblasser hängt beispielsweise ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück an einen Laternenpfahl vor seinem Haus mit folgendem Wortlaut: „TESTAMENT: Wer mir meinen entlaufenen Hund Bello wiederbringt, soll aus meinem Nachlass einen Riesen erhalten.“ Der Finder übergibt dem Erblasser den Hund und verlangt nach dem Erbfall von den Erben Zahlung von 1.000 E. Es stellt sich heraus, dass der Erblasser mit dem Wort „Riesen“ nur 100 E meinte.30 Ist in diesem Fall das Vertrauen des Adressaten im Hinblick auf den Inhalt der Erklärung weniger schutzwürdig als bei einer „normalen“Auslobung? Im Ergebnis kann es im Hinblick auf die Frage der Veranlassung nicht darauf ankommen, in welcher äußeren Gestaltung der Erklärende sein Begehren kundgibt. So wird von Otte31 konsequenterweise und zu Recht vertreten, Testamente seien immer dann nicht vom Horizont des Erblassers auszulegen, wenn er einen Nachlassbeteiligten zu einem bestimmten Verhalten veranlassen 27 BGHZ 124, 64 (67). Vgl. auch OLG Karlsruhe, Die Justiz 1980, 436: „Die Bekl. muß den objektiven Erklärungswert ihres Versprechens in der Illustrierten BUNTE Nr. 50/1977 gegen sich gelten lassen (§ 133 BGB) [!]. Dies folgt aus dem Charakter der Auslobung als einseitiger Willenserklärung (…).“ 28 Köhler, § 9 Rn. 6; AnwKomm/Looschelders, § 133 Rn. 40. 29 Freilich liegt keine Auslobung im rechtstechnischen Sinne vor. Der Auslobende ist nach der Vornahme der Handlung an sein Versprechen gebunden (arg. e § 658 Abs. 1 Satz 1 BGB); das Testament bleibt jedoch nach § 2253 BGB zwingend stets frei widerruflich. Zudem wird nicht der Auslobende zur Entrichtung einer Belohnung verpflichtet, sondern nur seine Erben. Die Verpflichtung folgt auch nicht aus § 657 BGB, sondern aus § 2174 BGB. Schließlich wäre denkbar, dass der Erblasser den Finder schlicht als Erben einsetzt. In diesem Fall bestünde überhaupt keine Verpflichtung. 30 Der Fall ist dem von Bork, Rn. 515, angeführten (und, auch ohne erbrechtlichen Einschlag, gut erdachten) Beispiel nachgebildet. Was heute unter einem „Riesen“ üblicherweise verstanden wird, ist nicht ganz klar. Bork behauptete in der ersten Auflage seines Lehrbuchs, im Volksmund sei ein „Riese“ ein 1.000- und nicht ein 100-E-Schein. Dann irrte der Volksmund gewaltig, denn ein 1.000-Schein existiert nicht. In der zweiten Auflage meint Bork, ein „Riese“ sei im Volksmund ein 500-E-Schein. Wahrscheinlich ändert der Volksmund wieder seine Meinung, sollte einmal ein 1.000-E-Schein eingeführt werden. 31 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 24.
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will; dann sei stattdessen der Horizont des jeweils Betroffenen maßgeblich. Das macht freilich stets eine vorgezogene Prüfung notwendig, ob tatsächlich ein Veranlassungswille vorhanden ist oder nicht, und fordert zugleich die Frage heraus, nach welcher Auslegungsmethode diesbezüglich nun vorzugehen ist. Otte nennt als Beispiele, in denen eine Ausnahme vom allgemeinen Auslegungsprinzip bei Testamenten zu machen sei, Zuwendungen unter einer Potestativbedingung, Teilungsanordnungen, Auflagen und Anweisungen an den Testamentsvollstrecker. Die Aufzählung vermittelt den Eindruck der Beliebigkeit. Sie lässt sich anscheinend mühelos fortsetzen. Wie steht es mit dem Vermächtnis? Will der Erblasser nicht den Beschwerten veranlassen, dem Vermächtnisnehmer einen bestimmten Gegenstand zu verschaffen? Und will der Erblasser wirklich, dass der Erbe tatenlos die Hände in den Schoß legt, anstatt mit dem Nachlass verantwortungsvoll umzugehen und zumindest einen Erbschein zu beantragen? Es ist zweifelhaft, ob das Kriterium der Veranlassung nur Ausnahmefälle zu einer allgemeingültigen Methode der Testamentsauslegung hervorbringt. (bb) Objektiver Empfängerhorizont im Dienst des Erblassers? Erstaunlicherweise stützt Otte die von ihm genannten Ausnahmen ausdrücklich nicht auf den Gedanken des Vertrauensschutzes zugunsten des von der Verfügung Betroffenen, sondern darauf, dass auf diese Weise der Erblasserwille am besten verwirklicht werde. Der Erblasser könne jemanden „nur dann zu einem Verhalten veranlassen, wenn dieser seine Anordnung verstehen kann; daher müsse der Erblasser die Anordnung in solchen Fällen vernünftigerweise so wollen, wie sie vom Horizont des Betroffenen her auszulegen ist.“32 Der Hinweis auf die Vernunft des Erblassers ist einigermaßen überraschend, wird doch sonst immer behauptet – hauptsächlich mit dem Hinweis auf § 2078 Abs. 1 BGB, der bei der Frage der Kausalität des Irrtums im Gegensatz zu § 119 Abs. 1 BGB gerade keine objektive Würdigung verlangt –, der Erblasser dürfe auch unvernünftig sein. Bemerkenswert ist schließlich, dass Otte die These von der Unterscheidung nach dem Veranlassungswillen bereits im Jahre 1996 im „Staudinger“ vertreten hat, das übrige Schrifttum seitdem aber nicht dazu Stellung genommen hat.33 Offenkundig lässt sich der Ansatz nicht leicht widerlegen. Ihm soll hier auch durchaus nicht widersprochen werden, im Gegenteil: Es spricht viel dafür, diesen Ansatz zu verallgemeinern und auf alle Arten letztwilliger Verfügungen auszudehnen. (2) Die Annahmeerklärung nach § 151 BGB Nach § 151 Satz 1 BGB kommt unter den dort genannten Voraussetzungen ein Vertrag durch die Annahme des Antrags zustande, „ohne dass die Annahme dem An32
Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 24 (Hervorhebung nicht im Original). Mit Ausnahme von Prütting/Wegen/Weinreich/Löhnig, § 2084 Rn. 8 (ebenso bei Löhnig, Fall 7 Rn. 10), Ottes These zustimmend. 33
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tragenden gegenüber erklärt zu werden braucht.“ In diesem Fall ist die Annahmeerklärung also nicht empfangsbedürftig,34 und nach der aufgestellten Regel müsste die natürliche Auslegung zum Zuge kommen.35 Die herrschende Meinung entscheidet jedoch anders. Sie wertet das Verhalten des Angebotsempfängers aus der Sicht eines „unbeteiligten objektiven Dritten“.36 Dabei lehnt es der BGH „mangels Erklärungsbedürftigkeit der Willensbetätigung“37 zwar ausdrücklich ab, auf den Empfängerhorizont abzustellen, und sträubt sich damit auch gegen die Anwendbarkeit des § 157 BGB. In der Sache besteht jedoch zwischen dem Standpunkt des unbeteiligten Dritten und dem Empfängerhorizont kein wesentlicher Unterschied.38 Denn es bleibt dabei, dass lediglich von nach außen hin erkennbaren, im Umfang beschränkten Indizien ausgegangen und auf dieser Grundlage der Schluss auf den wirklichen (Annahme-)Willen gezogen wird. Der so ermittelte Wille muss aber nicht mit dem tatsächlichen Willen identisch sein. Dieses Ergebnis ließe sich allein mit der natürlichen Auslegung nach § 133 BGB – so wie sie die herrschende Meinung vornimmt – erzielen. (3) Die Dereliktion (§ 959 BGB) Unklar ist schließlich, welcher Auslegungsmaßstab bei der Aufgabe des Eigentums an einer beweglichen Sache gelten soll. Nach § 959 BGB wird eine Sache herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt. Zunächst einmal muss man sich fragen, ob man es hier überhaupt mit einer Willenserklärung zu tun hat. Die Literatur sieht in der Dereliktion einen Doppeltatbestand, bestehend aus einem Realakt (Besitzaufgabe) und – so die einen39 – einer Willenserklärung bzw. – so die anderen40 – einer Willensbetätigung. Manche41 nehmen den Wortlaut ernst und verlangen einen echten Verzichtswillen. Andere42 stellen dagegen allein auf objektive Umstände ab. Bezeichnenderweise
34 Teilweise wird eine Erklärung überhaupt für entbehrlich gehalten, so Flume, § 35 II 3 (S. 655); Kanzleiter, DNotZ 1988, 498 (499). 35 So im Ergebnis Larenz/Wolf, § 28 Rn. 15; wohl auch Pawlowski, Rn. 607 f; in der Lösung der Beispielsfälle in Rn. 608 aber nicht konsequent. 36 BGHZ 111, 97 (101) = NJW 1990, 1655 (1656) (der Einschub, auf den es hier ankommt, ist in der amtlichen Sammlung nicht abgedruckt; unzutreffend daher Palandt/Ellenberger, § 151 Rn. 2b, der mit dem Verweis auf BGHZ 111, 97 [101] behauptet, es käme auf die objektive Erklärungsbedeutung grundsätzlich nicht an); BGH, NJW 1990, 1656 (1657); NJW 2004, 287 (288); Bork, Rn. 514; Soergel/Wolf, § 151 Rn. 8; AnwKomm/Schulze, § 151 Rn. 5. 37 BGHZ 111, 97 (101); BGH, NJW 1990, 1656 (1657). Gemeint ist wohl dagegen „mangels Empfangsbedürftigkeit der Willensbetätigung“; so heißt es zumindest in BGH NJW 2000, 276 (277). In NJW 2004, 287 (288) hat dann der BGH diesen Passus einfach weggelassen. 38 Brehmer, JuS 1994, 386 (388 f.); Staudinger/Bork, § 151 Rn. 15. 39 MünchKomm/Quack, § 959 Rn. 3; Erman/Ebbing, § 959 Rn. 2. 40 MünchKomm/Kramer, Vor § 116 Rn. 33. 41 Pawlowski, Rn. 607 u. 609; Staudinger/Gursky, § 959 Rn. 1. 42 MünchKomm/Quack, § 959 Rn. 6: „Für subjektive Elemente besteht kein Raum.“
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heißt es in einem Urteil des LG Ravensburg43: „Da die Erklärung keinen Empfänger hat, kommt es nur auf den objektiven Erklärungsgehalt an.“ Eine solche Argumentation stellt die Ausgangsposition auf den Kopf. Sie wird von niemandem, auch nicht von der Rechtsprechung selbst, verallgemeinert und schon gar nicht auf das Testament übertragen. (4) Ergebnis Der Vergleich zwischen den verschiedenen Arten von Willenserklärungen macht deutlich, dass der eigentliche Grund für die allgemein angenommene natürliche Auslegung beim Testament nicht in der fehlenden Empfangsbedürftigkeit liegen kann. Die Gruppe der so genannten nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen erscheint als zu heterogen, um sie einem einheitlichen Auslegungsregime zu unterwerfen. Bisweilen werden Erklärungen, die an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet sind, wie die Auslobung oder Satzungen von Einmann-Gesellschaften, vollkommen gesondert, quasi als Willenserklärungen sui generis behandelt.44 Diesem Ansatz ist nicht zu folgen. Es kann bei der Auslegung nur darum gehen, ob der Richter sich voll und ganz in die Situation des Erklärenden hineinzuversetzen hat oder ob er einen wie auch immer zu bestimmenden äußeren Standpunkt einnehmen soll. Um nichts anderes geht es bei der Unterscheidung zwischen natürlicher und normativer Auslegung. Bei dieser Betrachtungsweise findet das Testament bei den übrigen nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen zugunsten der natürlichen Auslegung kaum einen Verbündeten. b) Widerruflichkeit von Testamenten Neben dem Argument der fehlenden Empfangsbedürftigkeit wird häufig die freie Widerruflichkeit von Testamenten (§§ 2253 ff. BGB) angeführt, die ein Vertrauen auf den Bestand und den Inhalt des Testamentes als nicht schutzwürdig erscheinen lasse.45 Dass der Bedachte zu Lebzeiten des Erblassers keine gesicherte Rechtsposition innehat, steht außer Zweifel. Die Frage nach dem Wirksamwerden der Verfügung hat jedoch mit der Frage nach dem Inhalt und der richtigen Auslegungsmethode nichts zu tun. Der Bedachte sagt sich: Ich kann nicht darauf vertrauen, dass der Erblasser das Testament nicht mehr widerruft. Dieses Risiko nehme ich in Kauf. Wenn aber ein Widerruf nicht erfolgt, dann darf ich davon ausgehen, dass das Testament mit dem erkennbaren Inhalt wirksam wird. Da sich das Auslegungsproblem üblicherweise erst mit dem Erbfall stellt, also in dem Zeitpunkt, in dem ein Widerruf nicht mehr in
43 NJW 1987, 3142 m. zust. Anm. K. Schmidt, JuS 1988, 230; ebenfalls zustimmend Palandt/Bassenge, § 959 Rn. 1. 44 Larenz/Wolf, § 28 Rn. 81; Pawlowski, Rn. 608. 45 Leonhard, AcP 120 (1922), 14 (85); Larenz/Wolf, § 28 Rn. 95; MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 5; Olzen, Rn. 561; Schlüter, Erbrecht, Rn. 191; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 5; Michalski, Rn. 334.
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Betracht kommt, müsste doch im Umkehrschluss ein Vertrauensschutz nun gerade anerkannt werden. Medicus46 argumentiert dagegen wie folgt: Der Bedachte könne sich nicht sicher sein, dass nicht noch ein späteres Testament gefunden wird, das das zunächst entdeckte widerrufen hat. Auch hier geht es nur um die Frage nach der Wirksamkeit und nicht um die nach dem Inhalt. Zudem kann die Möglichkeit, dass noch ein Widerrufstestament auftaucht, unter Umständen praktisch ausgeschlossen sein, wenn offenkundig ist, dass der Erblasser das Testament unmittelbar vor seinem Tod errichtet hat. Im Übrigen wäre es verfehlt, die Auslegungsmethode im Zeitpunkt des Erbfalls wegen des nunmehr bestehenden Widerrufsausschlusses zu ändern. Schließlich kommt auch bei der Auslobung niemand auf die Idee zu sagen: Solange die Handlung, für die eine Belohnung ausgesetzt ist, noch nicht vorgenommen wurde, die Auslobung also frei widerruflich ist (§ 658 Abs. 1 Satz 1 BGB), müsse die Erklärung subjektiv aus der Sicht des Auslobenden ausgelegt werden, nach der Vornahme der Handlung dagegen objektiv. Ein solch eigentümlicher Wechsel des Auslegungsmaßstabs ist allerdings im Recht der Stiftung von Todes wegen anzutreffen: Bis zur Anerkennung durch die Stiftungsbehörde soll das Rechtsgeschäft nach „erbrechtlichen Grundsätzen“ ausgelegt werden, nach der Anerkennung nach „allgemeinen Grundsätzen“.47 c) Unentgeltlichkeit Als ein weiteres Argument für die subjektive Auslegung testamentarischer Verfügungen wird die Unentgeltlichkeit genannt.48 Der Bedachte erbringe ja keine Gegenleistung, daher könne er sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Hierzu ist zunächst zu sagen, dass dem Testament keineswegs der Stempel der Unentgeltlichkeit aufgedrückt werden kann. Vielmehr bewegt sich der Erwerb qua Testament vollkommen außerhalb der Kategorien der Entgeltlichkeit und der Unentgeltlichkeit.49 Im Übrigen müsste man die Unterscheidung konsequenterweise auch bei Rechtsgeschäften unter Lebenden treffen und daher Schenkungs- oder Leihverträge auf vollkommen andere Weise auslegen als Kauf- oder Mietverträge. Derartiges wird jedenfalls heute nicht mehr vertreten.50 Schließlich unterscheidet auch § 157 BGB nicht zwischen verschiedenen Vertragstypen.
46
Medicus, Rn. 322. Steffek, S. 120; Schewe, S. 258 f. 48 E. Schmidt, S. 105 („rein einseitige Libertätsakte“); Olzen, Rn. 561; Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (664). 49 Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, S. 36 f. 50 A.A. noch Titze, S. 98 f., der auch die Schenkung und die Leihe als Nichtverkehrsgeschäfte einordnet. Zu dieser Kategorie S. den folgenden Abschnitt. 47
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d) Das Testament als Nichtverkehrsgeschäft Vor allem im älteren Schrifttum ist der Hinweis auf den Unterschied zwischen Verkehrs- und Nichtverkehrsgeschäften anzutreffen, der auch in Auslegungsfragen berücksichtigt werden müsse.51 Da es sich bei letztwilligen Verfügungen nicht um Akte des Verkehrs handele, könne nicht auf die Verkehrssitte als Auslegungsmittel verwiesen werden. Aus diesem Grund komme § 157 BGB nicht in Betracht. Die Unterteilung zwischen Verkehrs- und Nichtverkehrsgeschäften hat sich nicht durchgesetzt. Worin soll genau der Unterschied liegen?52 Und kann man wirklich so tun, als bewege sich das Testament völlig außerhalb des Rechtsverkehrs? Es ist richtig, dass sich der Errichtungsakt klamm heimlich vollziehen kann und der Rechtsverkehr vom Testament zunächst keine Notiz nimmt. Dies ändert sich jedoch mit dem Erbfall, wenn also das Testament Rechtswirkungen erzeugt. Und allein darauf kommt es an. Im Übrigen wird nicht selten über die Errichtung von Testamenten auch kein Geheimnis gemacht. Man lässt sich fachkundig beraten, bespricht sich mit Freunden und Bekannten und wählt vielleicht einfach die gängige Lösung. Insofern kann man durchaus behaupten, auch bei Testamenten könne sich eine Verkehrssitte bilden.53 Für die Eigenschaft des Testamentes als Verkehrsgeschäft lässt sich noch ein weiterer Beleg anführen. Verwiesen sei auf die Frage der formgültigen Unterschrift, insbesondere auf die Problematik, ob eine Unterschrift auf dem Umschlag ausreicht, wenn die darin enthaltene Testamentsurkunde selbst nicht unterschrieben ist. Die Rechtsprechung verlangt, es müsse zwischen Testament und Umschlag ein so enger Zusammenhang bestehen, dass sich die Unterschrift auf dem Umschlag nach dem Willen des Erblassers und (!) nach der Verkehrsauffassung als äußere Fortsetzung und Abschluss der in der Testamentsurkunde verkörperten Erklärung in dem Sinne darstellt, dass der Umschlag als letztes Blatt der Testamentsurkunde die abschließende Unterschrift trägt.54 Es muss also im Hinblick auf die Formwirksamkeit von Testamenten eine Verkehrsauffassung geben; folglich kann auch bei Auslegungsfragen die Verkehrsauffassung zugrundegelegt werden.
51 Danz, S. 281; Titze, S. 95 „Bei Rechtsgeschäften dieser Art darf und muß der Rechtsverkehr weniger parteiisch sein“; Bang, JherJb 66 (1916), 309 (352); Dernburg, DJZ 1904, 1; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 135; Endemann, § 66 II (S. 517); E. Schmidt, S. 105; v. Lübtow, S. 267. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien findet sich, allerdings im Rahmen der Bedeutung der Mentalreservation beim Testament, das Argument, das Testament sei kein Verkehrsgeschäft, Protokolle V, S. 46 = Mugdan V, S. 539. 52 Ein Verkehrsgeschäft wird beispielsweise in den Fällen des Gutglaubenserwerbs verlangt. Voraussetzung dafür ist, dass auf der Erwerberseite mindestens eine Person beteiligt ist, die nicht auch auf der Veräußererseite beteiligt ist, Palandt/Bassenge, § 892 Rn. 5. Auf diese Abgrenzung soll es im vorliegenden Zusammenhang offensichtlich nicht ankommen. 53 Auch das RG, JW 1912, 344 hat betont, dass den Verkehrsgepflogenheiten bei der Testamentsauslegung erhebliche, wenn auch nicht entscheidende Bedeutung zukommt. 54 BayObLG, FamRZ 1985, 1286 (1287); BayObLG, FamRZ 1988, 1211 (1212).
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e) Sonstige, insbesondere moralische Gründe Eine interessante Begründung für die Sonderbehandlung von Testamenten liefert schließlich Franz Leonhard55 : Es dürfte „unanständig sein, gerade von einem Toten etwas wider dessen wahren Willen zu nehmen.“ Aus dogmatischer Sicht ist ein solcher Gesichtspunkt wertlos – immerhin führt ihn Leonhard auch nur hilfsweise an. Wollte man Entscheidungen stets danach treffen, ob sie mit dem Pietätsgefühl vereinbar sind, dann ließe sich das Erbrecht vollständig aus den Angeln heben. Verstöße gegen Formvorschriften müssten für unbeachtlich erklärt werden, wenn der wahre Wille feststünde.56 Dies kann aber auch in rechtspolitischer Hinsicht nicht wünschenswert sein. Ähnlich wie Leonhard argumentiert jedoch Dernburg57. Es sei eine hehre Pflicht des Staates, den letzten Willen zu gewährleisten, weil er dadurch den Spartrieb der Lebenden ansporne, ihnen Beruhigung in ihren letzten Augenblicken gebe und so der menschlichen Gesellschaft eine nicht hoch genug anzuschlagende Wohltat erweise. Zum einen ist fraglich, ob der Spartrieb der Lebenden rechtspolitisch überhaupt erwünscht ist. Zum anderen darf stark bezweifelt werden, dass die Gerichte durch die Art der Auslegungspraxis überhaupt in der Lage sind, einen spürbaren Einfluss auf den Spartrieb des Erblassers auszuüben und beruhigend auf seinen Seelenzustand kurz vor seinem Tod zu wirken. Ginge es wirklich darum, dem Erblasser das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, sein letzter Wille werde auf jeden Fall umgesetzt werden, so dürfte der Auslegung so wenig Spielraum wie möglich überlassen bleiben. Denn nichts ist unsicherer als die Feststellung des wirklichen Willens als einer psychologischen Tatsache, als reinen Internums, und zwar einer Person, die selbst keine Auskunft mehr hierüber geben kann. Hier kommt alles auf die Überzeugungskünste der übrigen Beteiligten an. Sicherheit über das Auslegungsergebnis besteht nur dann, wenn der Auslegungsmaßstab fest umrissen ist. Und das ist nur dann der Fall, wenn das ausschlaggebende Auslegungskriterium objektiv eindeutig bestimmt ist. Die Forderung, dem Erblasser Gewissheit über die Durchsetzung seines letzten Willens zu verschaffen, darf also gerade nicht, wie von Dernburg beabsichtigt, zu einer freien Auslegung führen, sondern muss sie weitestgehend einschränken. In diesem Sinne argumentiert auch Krug, der wie kaum ein anderer – zumindest in der Klarheit seiner Ausführungen – für eine objektive Testamentsauslegung eintritt. Allerdings geht er nicht von der Sicherheit zugunsten des Erblassers aus, sondern von der Rechtssicherheit zugunsten der Allgemeinheit, die höher zu bewerten sei als das Interesse des Erblassers.58
55
AcP 120 (1922), 14 (85). E. Schmidt, S. 20 stimmt dieser Aussage Leonhards zu, bezieht sie jedoch nicht auf den Bereich der Auslegung, sondern den des Motivirrtums. 56 Lutz, S. 60 57 DJZ 1904, 1. 58 Krug, S. 3.
II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB
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5. Vertrauensschutz nur im Wege des Schadensersatzes Ein konkreter Grund für die Rechtfertigung einer besonderen Auslegungsmethode bei Testamenten, die sich an der fehlenden Anwendbarkeit des § 157 BGB festmachen ließe, ist bis heute nicht gefunden worden. Überwiegend wird mit dem Aspekt des Vertrauensschutzes argumentiert. Es ist jedoch zumindest zu hinterfragen, ob die Auslegung überhaupt etwas mit Vertrauensschutz zu tun hat. Dass das Vertrauen bei Testamenten anders als bei anderen Rechtsgeschäften nicht schutzwürdig ist, ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus § 2078 Abs. 3 BGB. Mit dieser Vorschrift bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass derjenige, der auf die Gültigkeit des Testamentes vertraut hat, im Falle einer Anfechtung seinen Vertrauensschaden nicht nach § 122 BGB ersetzt bekommt.59 Das Gesetz bestimmt also über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens allein bei der Frage nach dem Bestand des Testamentes. Diese Frage hat aber nichts mit dem Auslegungsproblem zu tun. Teilweise wird das Argument, § 2078 Abs. 3 BGB belege gerade das Fehlen des Vertrauensschutzes, von einem Teil der Literatur60 regelrecht ad absurdum geführt. Denn die Auslegung soll so weit reichen, dass für die Anfechtung nichts mehr übrig bleibt und § 2078 Abs. 1 BGB, ja sogar § 2078 Abs. 2 BGB überflüssig wird. Dadurch verliert aber auch § 2078 Abs. 3 BGB vollständig seinen Anwendungsbereich. Mit anderen Worten: Man treibt es mit der These des fehlenden Vertrauensschutzes so weit, dass es auf die Vorschrift, die die fehlende Schutzwürdigkeit des Vertrauens ausdrücklich anordnet, nicht einmal mehr ankommt.
II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB § 133 BGB enthält zwei Aussagen: im ersten Halbsatz ein positives Gebot (man soll den wirklichen Willen erforschen) und im zweiten Halbsatz ein negatives Gebot (man soll nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften). Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht üblicherweise der erste Teil der Norm mit dem positiven Gebot, während auf das Verbot, am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, nur selten vertieft eingegangen wird.61 Dies mag zum einen darin begründet sein, dass der Inhalt des zweiten Teils im Gegensatz zum ersten für unproblematisch ge-
59 Die Verweisung auf § 122 BGB ist schief. Ein Testament wird nicht auf Grund der §§ 119, 120 BGB angefochten, sondern nur auf Grund des § 2078 BGB. 60 Siber, Festgabe Reichsgericht III, S. 350 (352); v. Lübtow, S. 273; Stumpf, S. 143. 61 Vgl. MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 8: Die Erforschung des wirklichen Willens sei das einzige von § 133 BGB vorgeschriebene Auslegungsziel. A.A. Flume, § 16, 2 a) (S. 303): Das Schwergewicht des § 133 liegt in dem Gebot, „nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“ und Hölder, § 133 Anm. 2: „der Inhalt seiner Bestimmung ist daher nur der negative, daß für die Auslegung nicht der Wortlaut der ausgelegten Willenserklärung für sich entscheidet, wogegen die dafür außerdem entscheidenden Umstände nicht vom Gesetze bestimmt, sondern aus den Begriffen der Willenserklärung und der Auslegung abzuleiten sind.“
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
halten wird.62 Zum anderen könnte sich das Verbot, eben weil es sich auf eine bloß negative Aussage beschränkt, als im Ergebnis ungenügend erweisen. Wer nach dem Weg fragt und zur Antwort bekommt, wo es nicht langgeht, dem wird die Antwort nicht viel nützen, es sei denn, aus ihr folgt zugleich auch die richtige Richtung, weil es nur eine Alternative gibt. Dagegen wird ein positiver Hinweis von vornherein zum Ziel führen. Daher sollte auch das Gebot in § 133 Hs. 1 BGB hinreichend sein und den zweiten Halbsatz überflüssig machen. Es kann dann nur noch darum gehen, ob die beiden Teile tautologisch sind oder nicht,63 ob also statt „und“ etwa „das heißt“ zu lesen ist oder eher „insbesondere“. Hierzu muss der Sinn des § 133 BGB selbst durch Auslegung festgestellt werden. Dabei wird sich herausstellen, dass der Inhalt des Verbots der Buchstabenauslegung keine scharfen Konturen aufweist. Das hängt vor allem damit zusammen, dass in diesem Bereich der Auslegung ein großes sprachliches Durcheinander herrscht.
1. Das Verbot, am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften Manche64 verstehen unter dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks die Deutung, die nur die Worte einer Erklärung und die Sprachregeln in Betracht zieht. Daran muss sich freilich die Frage anschließen, woraus sich wiederum die Sprachregeln ergeben. Findet man sie verbindlich in Wörterbüchern wie dem Duden festgelegt? Eine einigermaßen feste Grenze muss es ja geben, denn sonst bestünde nicht die Gefahr, am buchstäblichen Sinn zu haften. Der Duden selbst65 versteht unter buchstäblich „genau dem Wortlaut der Vorlage folgend“ und gibt als Beispiel „eine buchstäbliche Auslegung der Gesetze“, was für das Verständnis des § 133 BGB freilich keinen Schritt weiterführt. Vielmehr wird scheinbar an die Stelle des fraglichen Ausdrucks bloß ein anderer („Wortlaut“) gesetzt. Tatsächlich werden im juristischen Schrifttum beide Begriffe ganz häufig synonym verwendet. So ist immer wieder zu lesen, dass wegen § 133 BGB die Auslegung nicht allein auf den Wortlaut beschränkt werden dürfe.66 Die Terminologie ist allerdings keineswegs einheitlich. Es ist oft nicht klar, ob mit Wortlaut bereits ein bestimmter Sinn gemeint ist oder nur der nackte Text.67 Nur wenige68 gebrauchen den Begriff Wortlaut ausdrücklich im engeren
62
Himmelschein, S. 3: „So wenig problematisch die negative Regelung ist, so viel Zweifel ruft die positive Anordnung des Gesetzes hervor.“ 63 Larenz, Auslegung, S. 4. 64 Leonhard, AcP 120 (1922), 14 (79); Lutz, S. 67. 65 Duden, Großes Wörterbuch, Stichwort „buchstäblich“. 66 MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 55; Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 14; Bork, Rn. 545; Lange/Kuchinke, § 34 III 3 a) (S. 783). 67 Vgl. Hegenbarth, S. 32 (in Bezug auf die Gesetzesauslegung): „Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung meint den schriftkonstituierten Text der auszulegenden Vorschrift, Wortlaut als Grenze der Auslegung die Bedeutung der Vorschrift.“ (Hervorhebung im Original.)
II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB
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Sinne – was zum Wohle der Klarheit wünschenswert wäre.69 Meist wird jedoch mit Wortlaut zugleich die Bedeutung eines Wortes angesprochen: Wortlaut und Wortsinn werden dann ohne Unterschied verwendet.70
a) Buchstäblicher und wahrer Sinn Nach dem bisher Gesagten soll der Auslegende nach § 133 Hs. 2 BGB nicht daran gehindert sein, über den Wortsinn hinaus zu gehen. Auf welchen Sinn kommt es aber stattdessen an? Wie lautet, anders gefragt, das Gegenstück zum buchstäblichen Sinn? Larenz71 stellt dem buchstäblichen Sinn den „wahren Sinn des Ausdrucks“ gegenüber; er gibt aber zu, dass immer noch völlig offen bleibt, welches denn nun der wahre Sinn der Erklärung sei. Leicht entsteht auch hier die Gefahr begrifflicher Verwirrung. Nimmt man noch einmal den Duden zur Hand, so findet man unter dem Stichwort „buchstäblich“ als Erläuterung auch „im wahrsten Sinne des Wortes“72. Demnach gibt es wohl mehrere Wortsinne, ja sogar mehrere wahre Wortsinne, und der wahrste Sinn ist der buchstäbliche Sinn! b) Buchstäblicher und übertragener Sinn Die im Duden angegebenen Beispiele machen deutlich, dass es bei dem buchstäblichen Sinn um die eigentliche, gegenständliche Wortbedeutung geht, der man den übertragenen Sinn eines Ausdrucks gegenüberstellen könnte. Der Unterschied soll anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden. Jemand verfügt: „Ich 68 Vgl. Engisch, S. 92 f. m. Fn. 31: „Genaugenommen ist ,Wortlaut Gegenstand der Auslegung, ,Wortsinn, auf dessen Ermittlung es ankommt, Ziel der Auslegung.“ Ebenso BAG, NZA 2007, 47 (50): „Auszugehen ist vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn.“ Auch der Duden, Großes Wörterbuch, versteht unter „Wortlaut“ nur den wörtlichen Text (an sich), mit folgenden Beispielen: auf den genauen Wortlaut lasse ich mich jetzt nicht mehr festnageln / eine Rede im (vollen) Wortlaut veröffentlichen. Richtig daher § 54 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 GmbHG: „Der Anmeldung ist der vollständige Wortlaut des Gesellschaftsvertrags beizufügen“. 69 Die Aussage des BGH (Z 124, 64 [68]), dass „gemäß § 133 BGB nicht am buchstäblichen Wortlaut zu haften“ sei, wird man kaum in die Richtung deuten können, dass es auch einen anderen Wortlaut gäbe. Es ging dem BGH in dieser Entscheidung auch nicht darum, die Reichweite einer Erklärung im Verhältnis zum „Wortlaut“ zu erweitern, sondern unter Berücksichtigung des „erklärten wirklichen Willens“ einzuschränken. 70 Vgl. etwa Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 14 f.; Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 1; Lange/ Kuchinke, § 34 III 3 b) (S. 784). Hegenbarth, S. 33 Fn. 64 bemerkt dazu: „Wortlaut, Wortbedeutung und Wortsinn werden von den juristischen Hermeneutikern teils unterschiedlich, teils als Synonyma verwendet. Am Sprachgebrauch dieser Lehren läßt sich ablesen, von welcher Art die Probleme sind, mit denen sie sich herumschlagen, wie sie hervorgerufen werden und wodurch ihre Lösung verhindert wird.“ 71 Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 4. Ähnlich Henle, Vorstellungs- und Willenstheorie, S. 9; Oertmann, BGB, § 133 Anm. 3 („Kultus des Buchstabens auf Kosten des wahren Sinnes“). 72 Duden, Großes Wörterbuch, Stichwort „buchstäblich“.
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habe mein Leben lang gespart und gespart. Alles Geld, was ich auf die hohe Kante gelegt habe, soll nach meinem Tod X erhalten.“ Auf der hohen Kante im buchstäblichen Sinne, d. h. auf einer besonders hoch angebrachten Ablage,73 wird man kein Geld finden. In diesem Fall muss deshalb, will man X sämtliche Ersparnisse des Erblassers, unabhängig davon, wo sie sich befinden, zusprechen, vom buchstäblichen Sinn des Ausdrucks abgewichen werden. Man wird aber wohl kaum behaupten können, diese Auslegung sei keine Wortlautinterpretation und verstoße gar gegen die Sprachregeln. Zuzugeben ist, dass der Gesetzgeber bei der Fassung des § 133 BGB nicht an den buchstäblichen Sinn in Abgrenzung zum übertragenen Sinn gedacht haben wird. Denn das Abgehen vom eigentlichen, gegenständlichen Sinn ist letztlich eine Selbstverständlichkeit. Andernfalls könnte sich der Gesetzgeber selbst gar nicht zweifelsfrei ausdrücken. Auch im Gesetz wimmelt es nur so von Begriffen, die man nur in der übertragenen Bedeutung verstehen kann und muss. Man braucht sich nur § 133 BGB vor Augen zu führen. Sollte der „buchstäbliche“ Sinn etwa heißen, dass man jeden Buchstaben einzeln zu betrachten hat? Wie ist es möglich, an einem bestimmten Sinn zu „haften“? Und schon bei der „Auslegung“ einer Willensklärung würde man auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, wollte man hier die gegenständliche Bedeutung zugrunde legen.
c) Buchstäblicher und gemeingewöhnlicher Sinn Nach allgemeiner Auffassung ist der Begriff des buchstäblichen Sinnes jedoch nicht in der engen Bedeutung, wie soeben erwogen, zu verstehen. Manche74 formulieren, Buchstabeninterpretation sei „das Kleben an der gemeingewöhnlichen Bedeutung der Worte ohne Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles“. Was gemeingewöhnlich ist, kann immer nur unter Zugrundelegung des beteiligten Verkehrskreises bestimmt werden, sodass der buchstäbliche Sinn im verkehrsüblichen Sinn aufzugehen scheint.75 Dadurch würde § 133 BGB aber in direkten Widerspruch zu § 157 BGB geraten, der die Verkehrssitte gerade positiv berücksichtigt wissen will. Dieser Auslegung, die buchstäblichen Sinn und gemeingewöhnlichen Sinn gleichsetzt, ist Manigk76 zu Recht deutlich entgegengetreten. Er führt das Beispiel eines Dienstvertrages an, in dem „eine vierwöchentliche Kündigungsfrist“ verabredet wurde. Der Richter dürfe den Sinn der Klausel nicht einfach handelsüblich als einmonatige Kündigungsfrist festsetzen, wenn die Parteien sie tatsächlich im wörtlichen Sinn verstanden hätten. Der Ausdruck „wirklicher Wille“ werde in § 133 BGB also 73 Oder in der Weise, dass Münzen, wenn sie abgezählt in Rollen verpackt werden, auf der Kante stehen; vgl. zu den Deutungsversuchen zu diesem Sprichwort Duden, Redewendungen, Stichwort „Kante“. 74 Danz, S. 282; v. Lübtow, S. 268. 75 Olzen, Rn. 568. 76 Irrtum und Auslegung, S. 217.
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nicht nur dem buchstäblichen Sinn gegenübergestellt, sondern auch dem verkehrsüblichen Sinn.77 Das Beispiel zeigt also, dass der buchstäbliche und der gemeingewöhnliche Sinn durchaus getrennte Wege gehen können. Genau anders als Manigk entscheidet dagegen die merkwürdige Vorschrift des § 359 Abs. 2 HGB: Unter einer Frist von acht Tagen sind im Zweifel volle acht Tage zu verstehen. Diese Deutung dürfte gerade nicht dem gemeingewöhnlichen oder handelsüblichen Verständnis entsprechen. d) Buchstäblicher und fachsprachlicher Sinn Ein enges Verständnis vom buchstäblichen Sinn legen diejenigen an den Tag, die als Beispiel für die Anwendung des § 133 BGB die Verwendung von „technischen“ Ausdrücken angeben. Meistens geht es dabei um Begriffe, die nach juristischem Verständnis eine ganz bestimmte Bedeutung haben, die dem juristisch nicht Versierten unbekannt ist. Man könnte die Fälle jedoch ohne weiteres auf jede beliebige Fachsprache ausdehnen. Ein für die Besonderheit der Rechtssprache klassisches Beispiel sind die Begriffe „vererben“ und „vermachen“.78 In § 2087 BGB sagt das Gesetz selbst, dass es den Erblasser an dem Wort „Erbe“ oder an anderen Bezeichnungen nicht festhalten will. Nicht selten entpuppt sich der Erbe als Vermächtnisnehmer, und das Vermächtnis stellt sich als Erbeinsetzung heraus. Da derartige Begriffe von juristischen Laien ohne Unterschied verwendet werden, soll an einem Verstoß gegen die Gesetzessprache nichts hängen. Wer hier den § 133 BGB bemüht, kann daher den buchstäblichen Sinn gerade nicht mit dem Sinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch gleichsetzen, sondern hat vielmehr die fachsprachliche Bedeutung vor Augen. Dies entsprach offenbar auch der Auffassung des Gesetzgebers. Der Sache nach erschien ihm die Aufnahme von § 1788 E1 (§ 2087 BGB) entbehrlich, weil der Grundsatz, dass es auf die Worte, in denen der erklärte Wille seinen Ausdruck gefunden hat, nicht ankomme, sich schon aus der allgemeinen Auslegungsregel des § 73 E1 (§ 133 BGB) ergebe.79 Dabei bezog der Gesetzgeber auch ausdrücklich Stellung gegen die „dem römischen Rechte (…) eigene Strenge“. Das spricht stark dafür, dass der buchstäbliche Sinn nur als fachsprachliche – wenn nicht gar juristische – Bedeutung verstanden wurde und nach wie vor zu verstehen ist.
77 Anders freilich Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 203 m. Fn. 2: „Denn der wirkliche Wille kann nicht besser als durch Berücksichtigung der Verkehrssitte und von Treu und Glauben ermittelt werden.“ 78 Vgl. Petersen, Jura 2005, 597 (598): „Die Bedeutung des § 133 BGB im Erbrecht zeigt sich auch im Zusammenhang mit § 2087 Abs. 1 BGB (…)“. 79 Motive V, S. 61 = Mugdan V, S. 32.
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2. Die Erforschung des wirklichen Willens a) Wirklicher Wille und erklärter Wille Weitaus weniger Verständnisschwierigkeiten als beim Verbot der Buchstabenauslegung scheint es auf den ersten Blick bei der Anweisung des § 133 Hs. 1 BGB zu geben, den „wirklichen Willen zu erforschen“. Rein terminologisch kann der wirkliche Wille nur den inneren Willen als psychische Tatsache bedeuten.80 Allein das, was der Erklärende tatsächlich innerlich gewollt hat, soll offenbar den Ausschlag über den Sinn der Erklärung geben. Diese Ansicht ist bisweilen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzutreffen. So spricht der BGH im Rahmen des § 133 BGB vom wirklichen Willen als einer „sogenannten inneren Tatsache“81. Auch im Schrifttum wird nicht selten betont, dass der wirkliche Wille nur der innere Wille sein kann.82 Ein erheblicher Teil der früheren Rechtsprechung83 hat unter Zustimmung in der Literatur84 dieser Ansicht jedoch eine deutliche Absage erteilt: Der innere Wille allein sei niemals geeignet, positive Rechtswirkungen herbeizuführen. Er müsse auch erklärt werden, also äußerlich in Erscheinung treten. Der wirkliche Wille in § 133 BGB wird nach dieser Auffassung in gewisser Weise „verobjektiviert“85. Er wird so umgewandelt in den „erklärten wirklichen Willen“86 oder den „wirklich erklärten Willen“87. Dass diese Auslegung für sämtliche Willenserklärungen, also auch für Testamente, gilt, wird dabei teilweise ausdrücklich hervorgehoben.88 Andere89 wollen es dagegen im Sonderfall der Testamente bei dem wirklichen (inneren) Willen belassen.
80
Himmelschein, S. 9. BGH, NJW 1984, 721. 82 So Köhler, § 9 Rn. 5, jedenfalls für Testamente: „Hier ist der Grundsatz des § 133 wörtlich zu nehmen.“ Vom Ausgangspunkt her ebenso Enneccerus/Nipperdey, § 205 (S. 1248 f.), wobei damit allerdings noch nicht entschieden sein soll, ob der Wille auch das Endergebnis der Auslegung bildet, s.u. S. 37. 83 RGZ 67, 431 (433); RGZ 131, 343 (350); RG, WarnRspr 1914, Nr. 36: „Gegenstand der Auslegung nach § 133 BGB. ist nicht der innere und innerlich gebliebene Wille, sondern der durch die Willenserklärung in die äußere Erscheinung getretene wirkliche Wille des Erklärenden“; noch deutlicher in RGZ 68, 126 (128 f.): „Was sich (aus dem ganzen Zusammenhange und den wirtschaftlichen Zwecken des Geschäfts) als der Inhalt des Geschäfts ergibt, ist der wirkliche, in die Erscheinung getretene Wille, während der innere Wille nicht in Betracht kommt.“ 84 Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 464; Larenz, AT, § 18 Rn. 1; Soergel/ Hefermehl, § 133 Rn. 1. 85 Vgl. Oertmann, BGB, § 133 Anm. 3 a): „Vielmehr ist der Standpunkt des § 133 ein objektiver; die Frage ist nicht: „was hat der Erklärende erklären wollen?“, sondern „was hat er erklärt?“ 86 BGHZ 124, 64 (68). 87 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 10; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 Rn. 139. 88 Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 464: „Der § 133 schreibt die Ermittlung des inneren Willens hingegen nicht vor, auch nicht für letztwillige Erklärungen.“ 89 Köhler, § 9 Rn. 5; Medicus, Rn. 322. 81
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Diese Auffassung kann keinen Beifall finden. Zwei verschiedene, geradezu entgegensetzte Bedeutungen kann ein Begriff in ein und derselben Vorschrift nicht haben.90 Es gibt wohl kaum einen Begriff im BGB, der derart gegensätzlich ausgelegt wird und deshalb umstritten ist wie der „wirkliche Wille“ in § 133 BGB. Die allgemeine Unsicherheit über die wahre Bedeutung dieses Ausdrucks ist von der Verkündung des BGB bis heute unverändert geblieben. Diese Gefahr hatte Hölder91 bereits während der Gesetzgebungsverfahren vorausgesehen. In seinen Anmerkungen zum Allgemeinen Teil des BGB in zweiter Lesung heißt es bezeichnenderweise: „§ 90 wiederholt wörtlich den § 73 der ersten Lesung, insbesondere die unklare Bezeichnung des bei der Auslegung zu erforschenden wirklichen Willens, von dem man nicht weiß, ob er der wirklich erklärte oder der vom Erklärenden wirklich gehegte ist.“ Allerdings wäre es verfehlt, wenn man die beiden unterschiedlichen Lesarten zwingend als gegensätzlich betrachtete. Es bleibt zwar dabei, dass der wirkliche Wille terminologisch nur der innere Wille sein kann. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Auslegung überhaupt in der Lage ist, tatsächlich bis zum inneren Willen des Erklärenden vorzudringen. Denn das Gebot, den wirklichen (inneren) Willen zu erforschen, könnte unter der (stillschweigenden) Einschränkung stehen, dass der Auslegung von vornherein nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen. Die eingeschränkte Forschung nach dem wirklichen Willen würde im Ergebnis dazu führen, dass der so gefundene Wille stets auch der erklärte Wille ist. Eine Abweichung zum tatsächlich wirklichen (inneren) Willen – im Hinblick auf eine etwaige Anfechtbarkeit – bliebe so immer möglich. b) „Erforschung“ als Gegensatz zur zwingenden Geltung Eine Unsicherheit beim Verständnis des § 133 BGB zeigt sich noch an anderer Stelle: bei dem Merkmal „erforschen“. Teilweise wird gesagt, dass die Vorschrift es zwar gebietet, den wirklichen, inneren Willen erst einmal zu ermitteln. Sie lasse es aber offen, ob der erforschte Wille, also der gewollte Sinn, auch rechtlich maßgeblich ist.92 Dem kann so nicht gefolgt werden. Wenn das Gesetz die Ermittlung des inneren Willens vorschreibt, dann nur zu dem Zweck, eben diesem Willen Geltung zu verschaffen. Andernfalls hätte man auf seine Erforschung ruhig verzichten können.93 Dies bedeutet aber, wie soeben beschrieben, nicht, dass der Erforschung des wirklichen, inneren Willens im Rahmen der Auslegung nicht Grenzen gesetzt sind. Vorrangig zu klären ist die Frage nach dem Umfang des zur Verfügung stehenden Auslegungsmaterials.
90 91 92
Himmelschein, S. 14. JherJb 80 (1893), 1 (33). Enneccerus/Nipperdey, § 205 I 1 (S. 1249); Stathopoulos, Festschrift Larenz, S. 357 f. m.
Fn. 3. 93
Himmelschein, S. 6.
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
3. Verhältnis des § 133 BGB zu den Vorschriften über Willensmängel Diejenigen, die als Auslegungsziel in § 133 BGB nicht den inneren Willen, sondern den „wirklich erklärten Willen“ bestimmen, stützen ihre Argumentation hauptsächlich auf die Irrtumsregelungen (§§ 119, 2078 BGB)94 oder noch weitergehend auf sämtliche Vorschriften über die Willensmängel in den §§ 116 ff. BGB95. Würde der innere Wille schon von vornherein bei der Auslegung der Erklärung berücksichtigt, könnten diese Vorschriften, so wird gesagt, nie zum Zuge kommen. Bei ihnen wird ein Auseinanderfallen von wirklichem und erklärtem Willen gerade vorausgesetzt. Dies ergab sich noch ausdrücklich in der Fassung des ersten Entwurfs zum BGB. In den §§ 95, 97 u. 98 E1 (§§ 116, 118 u. 119 BGB) war wörtlich von der fehlenden „Übereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen“ die Rede. Die §§ 116 ff. BGB unterscheiden danach, ob dem Erklärenden die Divergenz zwischen erklärtem und wirklichem Willen bewusst war oder nicht. Für die Auslegung unmittelbar relevant ist lediglich die zweite, also die Irrtumskategorie, da es dort nur um die Frage geht, welchen Inhalt eine bestimmte Erklärung hat, nicht aber darum, ob die Erklärung auch ernst gemeint ist, also Gültigkeit erlangen soll. Dennoch soll zunächst kurz auf die erste Kategorie eingegangen werden, da es hierbei ebenfalls um das Problem geht, inwieweit dem Willen des Erklärenden rechtliche Bedeutung beizumessen ist. a) Die Anwendung des § 116 Satz 1 BGB auf Testamente Von den §§ 116-118 BGB sind dem Wortlaut nach diejenigen Vorschriften nicht auf Testamente anwendbar, die eine empfangsbedürftige Willenserklärung voraussetzen. Lässt man die Ansicht Manigks, der die fehlende Empfangsbedürftigkeit des Testamentes leugnete und auch insoweit eine Simulation für möglich hielt,96 einmal beiseite, so scheiden demnach die §§ 116 Satz 2 und 117 BGB von vornherein aus. Die Anwendbarkeit des § 118 BGB auf Testamente steht dagegen außer Zweifel.97 Umstritten ist die Frage in Bezug auf § 116 Satz 1 BGB. Danach ist eine Willenserklärung nicht deshalb nichtig, weil der Erklärende sich insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Man kann fragen, ob es beim Testament einen geheimen Vorbehalt überhaupt geben kann.98 Geheim ist der Vorbehalt nur dann, wenn er der 94 Larenz, Auslegung, S. 6 u. 75; Oertmann, BGB, § 133 Anm. 3; Leonhard, AcP 120 (1922), 14 (66 f.); Endemann, § (S. 518); Enneccerus/Lehmann I, § 115 (S. 285); deutlicher dann ab der vierten u. fünften Auflage Enneccerus, § 192 I 2 (S. 491 m. Fn. 4); Himmelschein, S. 18; Wedemeyer, S. 35; Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 7; Trupp, NJW 1990, 1346. 95 RGZ 68, 126 (128); Himmelschein, S. 23 m. Fn. 26. 96 Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 214 m. Anm. 2. 97 Statt aller Palandt/Ellenberger, § 118 Rn. 1. 98 Zweifelnd etwa Windscheid/Kipp, § 75 (S. 381).
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Wahrnehmungssphäre eines Dritten entzogen ist.99 Die Wahrnehmungssphäre eines Dritten soll aber doch bei der Beurteilung, ob überhaupt ein Testament vorliegt, offenbar vollkommen ausgeblendet werden. Hält man einen geheimen Vorbehalt bei Testamenten dennoch für möglich, dann soll die Erklärung nach § 116 Satz 1 BGB – der ja, wie sich aus dem Umkehrschluss zu S. 2 ergibt, gerade auch für nichtempfangsbedürftige Willenserklärungen gilt – grundsätzlich wirksam sein. aa) Auffassung des Gesetzgebers und der Rechtsprechung Die Gesetzgebungsmaterialien sprechen für die Unbeachtlichkeit der Mentalreservation. Der erste Entwurf zum BGB enthielt in § 1779 Satz 2 noch eine Vorschrift, die die Anwendbarkeit des heutigen § 116 Satz 1 BGB auf letztwillige Verfügungen ausdrücklich ausschloss und demnach die Nichtigkeit des Testamentes vorsah. Der allgemeine Gesichtspunkt, dass derjenige, der sich auf eigene Arglist beruft, zur Strafe an der Erklärung festgehalten werden müsse, treffe auf das Testament nicht zu. „Denn hier würde nicht der Erblasser der leidende Theil sein, sondern derjenige, welcher nach dem wahren Willen des Erblassers die Erbschaft (…) erhalten sollte (…)“.100 Die Zweite Kommission strich jedoch § 1779 Satz 2 E1, weil sie der Meinung war, der Erblasser dürfe mit dem Testament kein Spiel treiben.101 Dieser Auffassung hat sich auch die Rechtsprechung102 angeschlossen. Sie hält den geheimen Vorbehalt für unbeachtlich, da „ansonsten leichtfertigem und betrügerischem Testieren Tür und Tor geöffnet wäre“103. „Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“ erforderten es, dass die Verfügung verbindlich und über jeden inhaltlichen Zweifel erhaben ist.104 bb) Meinungsstand in der Lehre Die herrschende Lehre hat sich der Rechtsprechung zu Recht angeschlossen, wobei das Ergebnis häufig nicht näher begründet wird.105 Dagegen hält eine Reihe von Autoren § 116 S. 1 BGB nicht auf das Testament für anwendbar und die Verfü99 Vgl. Krug, S. 17: § 116 BGB setzt somit eine Person voraus, im Verhältnis zu der die Erklärung eine Wirkung äußern soll. Und Windscheid/Kipp, § 75 (S. 379 m. Fn. 1c): „(…) es wird etwas, was nicht gewollt ist, als gewollt erklärt, um denjenigen, an den die Willenserklärung gerichtet ist, zu täuschen.“ Dadurch wird die Mentalreservation letztlich auf die Fälle empfangsbedürftiger Willenserklärungen beschränkt. Ebenso Bork, Rn. 795: Der Erklärende geht davon aus, dass der Empfänger den Vorbehalt nicht erkennt. 100 Motive V, S. 45 = Mugdan V, S. 24. 101 Protokolle V, S. 47 = Mugdan V, S. 539. 102 RGZ 148, 218 (222); BayObLG, FamRZ 1977, 347 f.; OLG Frankfurt, FamRZ 1993, 858 (860). 103 RGZ 104, 320 (322). 104 OLG Frankfurt, FamRZ 1993, 858 (860). 105 Kipp/Coing, § 24 VIII (S. 178); Palandt/Edenhofer, § 1937 Rn. 10; Soergel/Stein, § 1937 Rn. 18; Soergel/Loritz, Vor § 2064 Rn. 7; MünchKomm/Leipold, Vor § 2064 Rn. 2 m. Fn. 3; Erman/M. Schmidt, Vor § 2064 Rn. 10.
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gung damit für unwirksam.106 Sie argumentieren in erster Linie damit, dass es – insbesondere wegen der Möglichkeit des freien Widerrufs – an einem für § 116 BGB notwendigen Vertrauenstatbestand fehle. Interessanterweise wird diese Begründung teilweise von der gegenteiligen, herrschenden Ansicht genau umgekehrt:107 Gerade weil der Erblasser ein Testament jederzeit problemlos widerrufen könne, erleide er durch die vorübergehende Wirksamkeit keinen Nachteil. Das Argument der freien Widerruflichkeit wird damit in beliebiger Weise eingesetzt. Für die Frage der Anwendbarkeit des § 116 Satz 1 BGB auf Testamente ist es unergiebig. Die Widerruflichkeit hat nicht nur mit dem Inhalt der Erklärung nichts zu tun, sondern sagt auch nichts über die Wirksamkeit der Erklärung selbst aus. cc) Ergebnis Eine vor dem Hintergrund des § 133 BGB ausschließlich am Willen des Erblassers ausgerichtete Betrachtung des Testamentes erfährt durch § 116 Satz 1 BGB eine erste Einschränkung. Die herrschende Meinung will zwar grundsätzlich das Vertrauen auf den Bestand des Testamentes nicht schützen. Sie sieht aber denjenigen als noch weniger schutzwürdig an, der ein solches Vertrauen missbraucht. Im Übrigen lässt der Einwand, der Erblasser dürfe mit dem Testament kein Spiel treiben, auch diejenigen nicht unbeeindruckt, die an sich von der Nichtigkeit des Testamentes ausgehen. So soll § 116 Satz 1 BGB ausnahmsweise dann zur Anwendung kommen, wenn der Testator ein „arglistiges“108 oder „frivoles“109 Verhalten an den Tag legt. Diese Ansicht übersieht, dass der Erklärende beim bösen Scherz nach § 116 BGB im Gegensatz zum Fall des § 118 BGB immer arglistig handelt.110 b) Die Irrtumsregelung in § 2078 Abs. 1 BGB Dass dem Willen des Erblassers auch bei der Ermittlung des Testamentsinhalts keine uneingeschränkte Bedeutung zukommt, ergibt sich nach einer verbreiteten Ansicht in der Rechtsprechung111 und im Schrifttum112 aus den Anfechtungsvorschriften 106 Brox21, Rn. 257 (vorsichtiger nun Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 257); Lange/Kuchinke, § 35 I 1 b) (S. 816); v. Lübtow, S. 306; Schlüter, Erbrecht, Rn. 222; Ebenroth, Rn. 287; Harder/ Kroppenberg, Rn. 227. 107 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 13 f. 108 Lange/Kuchinke, § 35 I 1 (S. 816). 109 v. Lübtow, S. 306. 110 So auch Zitelmann, S. 401 f.: „Die Mentalreservation involviert stets eine Lüge, und diese Lüge ist (…) immer eine Unsittlichkeit“. Vgl. auch Wieling, AcP 172 (1972), 297 (304). 111 RGZ 68, 126 (128); RGZ 70, 391; BGH, LM § 2100 Nr. 1. 112 Henle, Gött.gel.Anz. 1908, 427 (471); Endemann, § 66 II b) (S. 518); Manigk, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, S. 428 (441);Schulz, Gedächtnisschrift Seckel, S. 70 (85 f.); Leonhard, AcP 120 (1922), 14 (86 f.); Binder, S. 23 f.; Lutz, S. 67 (allerdings inkonsequent S. 71); Enneccerus/Nipperdey, § 205 I 4 (S. 1250 m. Fn. 17); Wieser, JZ 1985, 407;
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der §§ 2078 ff. BGB. Teilweise wird sogar gesagt, § 2078 BGB setze eine objektive Auslegung voraus.113 Von den beiden in § 2078 Abs.1 BGB genannten Alternativen soll exemplarisch der „gröbere Irrtumsfall“114 ins Auge gefasst werden, in dem der Erblasser eine Erklärung bestimmten Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (sog. Erklärungsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Gemeint sind damit in erster Linie die Fälle des Verschreibens: Der Erblasser will Magda als Erbin einsetzen, schreibt aber aus Versehen Martha.115 Aus § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB geht hervor, dass das Erklärte, d. h. die Erbeinsetzung Marthas, (vorübergehend) gelten soll, aber durch Anfechtung rückwirkend vernichtet werden kann. Wer dagegen dem wirklichen Willen des Erblassers ohne Einschränkung Geltung verschaffen will, wird die Erklärung so auslegen, dass sie die Erbeinsetzung der Magda beinhaltet.116 Da die Auslegung der Anfechtung in methodischer Hinsicht vorgeht, kommt eine Anfechtung nicht mehr in Betracht. § 2078 Abs. 1 BGB läuft leer. Diese Konsequenz wäre bei wertender Betrachtung noch eher verständlich als bei § 116 BGB: Dort war sich der Erblasser ja über sein Verhalten im Klaren, während der Irrtum nach § 2078 Abs. 1 BGB eher verzeihlich erscheint. Auf der anderen Seite wiederholt § 2078 Abs. 1 BGB ausdrücklich die Fälle, die § 119 Abs. 1 BGB ohnehin regelt, mit dem einzigen Unterschied, dass im Erbrecht keine verständige Würdigung des Falles erforderlich ist. Damit wollte der Gesetzgeber die Anfechtungsmöglichkeiten offensichtlich erweitern, und gerade nicht zu Gunsten der Auslegung verringern. aa) § 2078 Abs. 1 BGB als Redaktionsfehler? Wenn sich der wirkliche, innere Wille bereits bei der Auslegung durchsetzt, so büßt § 2078 Abs. 1 BGB seinen Anwendungsbereich vollkommen ein. Manche Autoren117 nehmen diese Konsequenz bewusst in Kauf. Der Vorschrift könne, wenn man ihre Entstehungsgeschichte anhand der Gesetzgebungsmaterialien untersuche, überhaupt keine Berechtigung zukommen. Den Gesetzesverfassern sei das Verhältnis
Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 37. Zu dem Argument im Hinblick auf Willenserklärungen im Allgemeinen und auf die Anwendbarkeit des § 119 BGB s. o. zu Fn. 94. 113 Himmelschein, S. 18 in besonderer sprachlicher Klarheit: „Damit die Erklärung von dem Willen abweichen kann, muß sie erst nach einer objektiven Methode ausgelegt werden. Verwendet man den subjektiven Maßstab, den Willen des Erklärenden, bei der Auslegung, dann kann es zu einer Divergenz zwischen Willen und Erklärung überhaupt nicht kommen; der innere Wille ist dann immer ,erklärt oder, anders ausgedrückt, der Inhalt der Erklärung ist immer der innere Wille.“ 114 MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 17. 115 Nach Endemann, § 66 III a (S. 520). 116 Neben den Anhängern der freien Auslegung merkwürdigerweise auch Lange/Kuchinke, § 36 III 1 a (S. 843), wodurch ein offener Widerspruch zur Verteidigung der Andeutungsformel bei § 34 III 2 b (S. 781) entsteht. 117 Himmelschein, S. 31; Wieser, AcP 189 (1989), 112 (120); Foerste, DNotZ 1993, 84 (91); Stumpf, S. 144.
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zwischen Auslegung und Anfechtung unklar gewesen.118 Auf der einen Seite sei man von der Regel ausgegangen, der wahre Wille solle unabhängig vom Wortlaut des Testamentes gelten. Auf der anderen Seite wurde der Irrtum den Regeln des Allgemeinen Teils unterworfen, wonach die Erklärung als nichtig anzusehen war. Darin liege ein redaktioneller Fehlgriff.119 (1) Das Willensdogma als Nichtigkeitsdogma Der Vorwurf, der Gesetzgeber sei sich nicht über das Verhältnis zwischen Auslegung und Anfechtung im Klaren gewesen, wiegt schwer. Kann es sein, dass der Gesetzgeber eine so grundlegende Frage nicht richtig überschaut und sich nicht einfach nur unklar ausgedrückt hat? Die Gesetzesmaterialien enthalten zu dieser Problematik einige Passagen, die zumindest zu Missverständnissen Anlass geben können. So ging die Erste Kommission von der Prämisse aus, im Erbrecht müsse „der Ausgangspunkt sein, daß der Wille des Erblassers zur Geltung zu bringen ist“120. Für sich betrachtet ist diese Aussage durchaus geeignet, auf Kosten der Anfechtungsregeln einer freien Auslegung ganz im (wörtlichen) Sinne von § 133 BGB Vorschub zu leisten. Jedoch fiel der Satz gerade nicht im Zusammenhang mit Auslegungsfragen, sondern betraf die Vorschriften über Willensmängel, also auch die Irrtumsregelung in § 1779 BGB E1 (§ 2078 BGB). Folgerichtig schloss sich daher der Nachsatz an: „und daß grundsätzlich eine Verfügung nur gültig sein kann, wenn der wirkliche Wille mit dem erklärten übereinstimmt.“ Das war das so genannte Willensdogma, wie es sich die Anhänger der Willenstheorie auf die Fahnen geschrieben hatten. Dieser Grundsatz sollte keinesfalls nur im Erbrecht, sondern möglichst im gesamten Zivilrecht gelten. (aa) Durchsetzung der Willenstheorie gegen die Erklärungstheorie Die Richtigkeit des Willensdogmas in seiner Allgemeinheit wurde jedoch von einer zunehmenden Literaturmeinung in Frage gestellt. Der Gesetzgeber konnte daher an der so genannten Erklärungstheorie nicht ohne weiteres vorbeigehen und stellte sie bei den Beratungen zum Allgemeinen Teil als möglichen Ansatz der Willenstheorie gegenüber: „Stimmen Wille und Erklärung insofern nicht überein, als das in der Erklärung als gewollt Bezeichnete in Wirklichkeit nicht gewollt ist, so ist eine zweifache grundsätzliche Betrachtungsweise möglich. Man legt das Gewicht entweder auf das, was wirklich gewollt ist, oder auf das, was als gewollt erklärt ist. Im ersteren Falle ist die Willenserklärung nichtig, weil das Erklärte nicht gewollt und das Gewollte nicht erklärt ist; in letzterem Falle ist sie gültig.“121 Der erste Entwurf endete in einem Kompromiss zwischen beiden Möglichkeiten: Bei grober Fahrlässigkeit des Irrenden war die Erklärung (definitiv) gültig (§ 99 BGB E1), ansonsten nichtig (§ 98 118 119 120 121
Himmelschein, S. 23 m. Fn. 26. Foerste, DNotZ 1993, 84 (91). Motive V, S. 45 = Mugdan V, S. 24. Motive I, S. 189 = Mugdan I, S. 456 f.
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BGB E1). Die Betonung des Willens kam folglich auch hier in der Nichtigkeit der Erklärung zur Geltung. Dass die Erklärung stattdessen mit dem gewollten Inhalt wirksam werden könnte, davon war während der gesamten Gesetzgebungsarbeiten nie die Rede.122 Das Willensdogma bedeutete damit nichts anderes als ein Nichtigkeitsdogma. Die Forderung, das Willensdogma sei bei „letztwilligen Verfügungen strenger durchzuführen“123, wurde mit erleichterten Voraussetzungen für die Geltendmachung der Unwirksamkeit in § 2078 Abs. 1 u. Abs. 2 BGB umgesetzt.124 Wenn diese Aussage des Gesetzgebers von der Literatur125 auf den Bereich der Auslegung bezogen wird, so stellt dies eine Zweckentfremdung dar. (bb) Anfechtbarkeit, nicht Nichtigkeit Überraschen könnte allenfalls die Abkehr von der Nichtigkeitsfolge, wie sie der erste Entwurf vorsah, hin zur Anfechtbarkeit im zweiten Entwurf und in der jetzt geltenden Fassung. Die Änderung im Allgemeinen Teil des BGB lag begründet im Schutz des Rechtsverkehrs und gutgläubiger Dritter. Diese Überlegung passte aber bei Testamenten offenbar nicht, sodass die Zweite Kommission dahin tendierte, „bei den letztwilligen Verfügungen wieder zur Nichtigkeit zurückzukehren“126; nichtsdestoweniger entschied man sich für einen Gleichlauf mit den Regeln des Allgemeinen Teils. Mit der Anfechtungslösung würde nämlich „der Streit um die Gültigkeit regelmäßig auf die zunächst Betheiligten beschränkt“ und wegen der kurzen Anfechtungsfrist „rasch zur Entscheidung gebracht und die Möglichkeit abgeschnitten, noch nach Jahren die angebliche Ungültigkeit geltend zu machen“127. Somit gaben letztlich doch praktische, dem Schutz der Rechtssicherheit dienende Gründe beim Testament den Ausschlag. (2) Geltung des Willensdogmas im Rahmen der Auslegung? § 2078 Abs. 1 BGB muss also entnommen werden, dass die Auslegung nie ganz bis zum wirklichen, inneren Willen durchdringen kann. Sie muss sich bis zu einem gewissen Punkt mit objektiven Gesichtspunkten begnügen, und die Frage kann nur lauten, wo die Grenze der Objektivität zu ziehen ist. Dem Gesetzgeber wird nun unterstellt, zumindest im Bereich der Testamentsauslegung den objektiven Standpunkt verlassen und in Wirklichkeit eine subjektive Auslegungsmethode eingeschlagen zu haben.128 Als Hauptargument hierfür dient eine Stellungnahme der Ersten Kommission zu dem Vorschlag, für die Testamentsauslegung eine eigene Vorschrift nach dem 122 123 124 125 126 127 128
So auch Foerste, DNotZ 1993, 84 (90). Motive V, S. 45 = Mugdan V, S. 24. Dernburg, DJZ 1904, 1 (Sp. 2). Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 198. Protokolle V, S. 48 = Mugdan V, S. 540. Protokolle V, S. 48 = Mugdan V, S. 540. Himmelschein, S. 21 ff.; Foerste, DNotZ 1993, 84 (91 f.).
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Vorbild des Entwurfs von Mommsen129 aufzunehmen: „(…) so würde eine praktisch sehr wichtige Frage entschieden, ob nämlich die Auslegung bei dem objektiven Sinne der Erklärung, welchen diese nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte hat, stehen zu bleiben habe, oder ob eine ergänzende Auslegung in der Weise zulässig sei, daß, wenn in Ansehung eines nothwendigen Punktes eine unmittelbare Willenserklärung fehlt oder der Willensausdruck ein verfehlter ist, der Willensinhalt aus der Erklärung im Ganzen und aus allen, auch außerhalb der Erklärung liegenden, aber für den Willen des Erklärenden schlüssigen Thatsachen vervollständigt werden und der so vervollständigte Willensinhalt zur Geltung gebracht werden darf, zweitens, ob in Ansehung der formalisirten Willenserklärungen die Benutzung des außerhalb der Erklärung liegenden Auslegungsmaterials ausgeschlossen ist.“130 Es ging demnach einzig und allein darum, entweder das Auslegungsmaterial auf die Worte im Testament zu beschränken oder auf alle sonstigen Umstände zu erweitern. Um die Entscheidung dieser „sehr wichtigen Frage“ machte der Gesetzgeber jedoch kein großes Aufheben. Der „milderen Auffassung“, wie sie sich auch schon aus § 73 BGB (= § 133 BGB) ergebe, sollte ohne weiteres gefolgt werden. Die Auslegung von Testamenten unterscheide sich nicht wesentlich von der Auslegung anderer Willenserklärungen, eine Sonderregelung könne nur zu Missverständnissen führen. Der Gesetzgeber verwarf demnach eine objektive Auslegung, die allein auf die gewöhnliche Bedeutung der Worte abstellt. Stattdessen sollte der „Willenshalt“ zur Geltung gebracht werden. Es liegt daher nahe zu sagen, dass die Willenstheorie auch auf die Auslegungsproblematik übergegriffen hat.131 (aa) Kreis der zu berücksichtigenden äußeren Umstände Dass das Willensdogma auf der Auslegungsseite dem Willensdogma auf der Seite der Willensmängel den Boden abgraben könnte – diese Befürchtung hegte der Gesetzgeber offenbar nicht. Und vielleicht gab es von seiner Warte aus auch keinen Anlass dazu. Möglicherweise hat er dem Satz, dass der Willensinhalt aus allen für den Willen des Erklärenden schlüssigen Tatsachen zu vervollständigen sei, nicht die Bedeutung und Tragweite geben wollen, die er bei unbefangener Betrachtung hat. Hierfür sprechen zwei Dinge. Zum einen bemerkte der Gesetzgeber beiläufig, dass es auf den erkennbaren Willen ankomme.132 Sinn macht das Adjektiv nur, wenn ihm eine die Auslegung einschränkende Funktion zukommt. Zum anderen verwies der Gesetzge129
§ 125: „Die Auslegung eines Testaments hat den Zweck, den Willen des Erblassers zu ermitteln und festzustellen. Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten des Ausdrucks können durch dieselbe berichtigt werden; durch die Auslegung kann aber nicht etwas zur Geltung gebracht werden, was ganz außerhalb der Erklärung liegt.“ 130 Motive V, S. 44 = Mugdan V, S. 23. 131 Himmelschein, S. 19 m. Fn. 22: „Zu radikal ist die mehrfach geäußerte Meinung, daß die Frage der Auslegung mit dem Streite der Erklärungs- und Willenstheorie nichts zu tun habe“, dies ausdrücklich gegen Oertmann, BGB, § 133 Anm. 1; Titze, S. 87 m. Fn. 8; Henle, Treu und Glauben, S. 6 m. Anm. 7. Wie Himmelschein HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 Rn. 35. 132 Motive V, S. 43 = Mugdan V, S. 23.
II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB
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ber ja auf die Diskussionen um den heutigen § 133 BGB, bei denen vor einer „strengen Wortauslegung“ gewarnt und darauf hingewiesen wurde, dass auch andere Umstände bei der Willensforschung in Betracht zu ziehen seien.133 Welche Umstände aber waren gemeint? „Die Uebung des Verkehres, der Sprachgebrauch zur Zeit oder am Orte der Abgabe der Willenserklärung“134, so beginnt die Liste der beispielhaften Aufzählung. Wer heute unter Zuhilfenahme dieser Kriterien eine Willensforschung betreiben wollte, würde nur müde belächelt werden. In Wirklichkeit handelt es sich doch um eine ganz objektive Auslegung, die man bei § 157 BGB ansiedeln würde. Denn sie basiert auf Umständen, die für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Aber die Aufzählung geht noch weiter: „der Gang der Vorverhandlungen, der Zusammenhang mit anderen Verabredungen“. Diese Umstände sind zwar nicht für jeden, aber doch für die unmittelbar Beteiligten erkennbar. Für die Testamentsauslegung spielen sie keine Rolle; um Vorverhandlungen und Verabredungen geht es hier nicht. Insofern passt die Verweisung vom Erbrecht auf den Allgemeinen Teil nicht. Allenfalls könnte man als Äquivalent auf Testamentsentwürfe abstellen. Spätestens hier hätte man den objektiven Standpunkt verlassen und wäre bei einer echten Willensforschung angekommen. So weit wollte man aber offenbar nicht gehen. Denn als letztes Beispiel wird genannt: „der offensichtliche Zweck des Rechtsgeschäfts“, der wieder in objektives Terrain führt. Eine klare Grenzziehung wird somit in der Aufzählung der zu berücksichtigenden äußeren Umstände nicht deutlich. Sie gibt daher zu starken Zweifeln Anlass, dass der Gesetzgeber eine durch und durch subjektive Auslegungsmethode verfochten hat. (bb) Der subjektive Ansatz bei Windscheid Federführendes Mitglied der Ersten Kommission war Windscheid. Manche Passagen aus seinem Pandektenlehrbuch finden sich nahezu unverändert in den Gesetzesmaterialien wieder. Zum Auslegungsproblem gehen die Ausführungen in dem Lehrbuch allerdings noch teilweise darüber hinaus. Sie scheinen die subjektive Auslegungsmethode zu bestätigen. Windscheid geht aus vom Wortsinn, „d. h. von demjenigen Sinne, welcher den gebrauchten Worten nach den Sprachregeln zukommt.“135 Weiter heißt es: „Dabei“ – das Verhältnis zum Wortsinn wird dadurch vernebelt – „ist aber Rücksicht zu nehmen nicht bloß auf den besonderen Sprachgebrauch des Ortes, an welchem die Willenserklärung abgegeben worden ist, sondern auch auf die individuelle Redeweise des Erklärenden“. Dies ist ein starkes Bekenntnis zum Willensdogma auf der Auslegungsebene, das so in den Gesetzgebungsmaterialien gerade fehlt. Im folgenden Absatz knüpft Windscheid jedoch wieder an den Wortsinn an: Sei der Wortsinn zweifelhaft, müsse der wirkliche Sinn der Erklärung gefunden werden, „vorzugsweise mit Berücksichtigung der Gesamtheit der Umstände, unter welchen das Rechtsgeschäft abgeschlossen worden ist“ – um kurz darauf geradeheraus zu 133 134 135
Motive I, S. 154 f. = Mugdan I, S. 437. Motive I, S. 155 = Mugdan I, S. 437. Windscheid/Kipp, S. 445.
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
verkünden, dass diese Mittel auch eingesetzt werden können, um „bei unzweifelhaftem Wortsinn im Gegensatz zu demselben den wahren Willen des Erklärenden zur Geltung zu bringen.“136 Erforderlich sei nur ein echter Nachweis des gegenteiligen Willens, nicht bloß eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Windscheid beruft sich an dieser Stelle zunächst auf das berühmte, von Paulus stammende Fragment zur Eindeutigkeitsregel: „Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio.“137 Die Frage nach der Wahrscheinlichkeit kommt in diesem Satz, anders als im zweiten, auf Marcellus zurückgehenden Fragment, das Windscheid anführt,138 freilich nicht im Geringsten zum Ausdruck. Wieling139 hält den vorzitierten Ausspruch von Paulus für äußerst problematisch. Die römischen Juristen hätten in vielen Fällen, in denen sie bewusst gegen den Wortsinn entschieden, überhaupt keine Auslegung vornehmen dürfen; dass sie es dennoch taten, zeuge davon, dass sie die Regel offenbar nicht wörtlich nahmen. Was Paulus tatsächlich damit sagen wollte, ist nach Wieling nicht ganz klar. Wahrscheinlich habe Paulus nur von einem allzu leichtfertigen Abgehen vom Wortsinn warnen und bloß eine Vermutungsregel aufstellen wollen.140 Auch Windscheid scheint ausweislich der Zitierung des Fragmentes von dieser Deutung ausgegangen zu sein. (cc) Äußerste Wortsinngrenze? Der Versuch, das strenge Verbot, bei eindeutigem Wortsinn noch nach dem Willen zu fragen, mit den gemäßigten Regeln anderer römischer Juristen zu harmonisieren, ist kühn. Paulus hat seine strenge Auslegungslehre noch an anderer Stelle (D. 34, 5, 3), wenn auch indirekt, zum Ausdruck gebracht: „(…) itaque qui aliud dicit quam vult, neque id dicit quod vox significat, quia non vult neque id quod vult, quia id non loquitur.“ Danach wird das, was das Wort oder der Ausdruck bedeutet, als starr und fest umrissen angesehen. Weicht der Wille des Erklärenden davon ab, kann die Auslegung nicht mehr helfen. Die Erklärung ist, so das Willensdogma der Willensmängel, unwirksam. Wieling141 betrachtet auch dieses Fragment mit Skepsis und meint, es könne nicht für allgemeingültig erklärt werden. Ganz anders dagegen Windscheid. Er führt diese Regel an, um die Grenzen der Auslegung aufzuzeigen: Es sei „doch immer erforderlich, daß seine Erklärung als ein irgend welcher Ausdruck seines wahren Willens angesehen werden könne.“142 Dadurch wird freilich der Auslegungsspielraum erheblich eingeschränkt. Wie weit diese Einschränkung geht, ist allerdings un136
Windscheid/Kipp, S. 446. D. 32, 25, 1. 138 D. 32, 69 pr.: „Non aliter a significatione verborum recedi oportet, quam cum manifestum est, aliud sensisse testatorem.“ 139 Testamentsauslegung im römischen Recht, S. 212 f. 140 Wieling, Testamentsauslegung im römischen Recht, S. 213. Ebenso bereits Enneccerus, § 193 IV (S. 495 m. Fn. 7). 141 Testamentsauslegung im römischen Recht, S. 212 f. 142 Windscheid/Kipp, S. 446 (Hervorhebung nicht im Original). 137
II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB
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klar. „Quod vox significat“, das klingt nach einem ganz objektiven Maßstab,143 nach einer äußersten Wortsinngrenze. Dafür spricht auch eine weitere Aussage Windscheids, und zwar speziell zur Auslegung letztwilliger Verfügungen:144 Windscheid sieht hier den Haupt-, wenn nicht einzigen Anwendungsbereich der „eigenen Auslegung des Erklärenden“. Hierzu bemerkt er, dass „die eigene Auslegung nichts in die Worte hineintragen [dürfe], welches dieselben auszudrücken entschieden unfähig sind.“145 Der Richter muss letzten Endes also doch die Bedeutung der Worte im Auge behalten. Wie passt das nun zu der These, die Auslegung könne über den Wortsinn hinausgehen, ja den wahren Willen im Gegensatz zu dem Wortsinn zur Geltung bringen? Überhaupt nicht, ebenso wenig wie die römischen Quellen, auf die sich Windscheid beruft, ohne weiteres miteinander in Einklang gebracht werden können. Zu Recht weist Himmelschein146 darauf hin, dass Windscheid durch den Versuch, die subjektive Auslegungsmethode durch objektive Maßstäbe einzuschränken, in Widerspruch zu seinem Grundprinzip gerate und dass sich dieser Widerspruch durch die gesamte Lehre Windscheids von der Auslegung ziehe. (dd) Entscheidung gegen das Erfordernis der Andeutung? Eine vollkommen freie Auslegungsmethode kann dem Pandektenlehrbuch Windscheids nach dem Gesagten nicht entnommen werden. Mit der Forderung, dass die Erklärung als irgendwelcher Ausdruck des wahren Willens angesehen werden muss, hat sich Windscheid vielmehr auf die Seite derer geschlagen, die in der Sache – aus heutiger Sicht – die Andeutungstheorie befürworten. Himmelschein verweist nun darauf, dass die Einschränkung, wie sie bei Windscheid gemacht wird, weder im Entwurf noch in den Motiven enthalten sei. Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Die Gesetzesmaterialien sprechen sehr wohl davon, dass eine Auslegung nicht schrankenlos möglich sei. Himmelschein selbst147 zitiert die Stelle aus den Motiven hinsichtlich der Testamentsauslegung, in der es heißt: „(…) vielmehr sei die Grenze durch den Begriff der Auslegung, welche einen erklärten Willen voraussetze, gegeben.“148 Der Unterschied zu den Ausführungen im Pandektenlehrbuch Windscheids besteht nur in den Formulierungen. In der Sache geht es beide Male um das gleiche: Der Wille muss sich in der Erklärung wiederfinden lassen.149 An dieser Aussage sollte nicht gerüttelt werden, unabhängig davon, um welche Rechtsgeschäfte es ging. Testamente sollten ja gerade nicht anders ausgelegt werden als andere Willenserklärungen. Es wäre höchst unverständlich, wenn die Mehrheit der Ersten Kom-
143 144 145 146 147 148 149
So auch die Einschätzung von Himmelschein, S. 21 m. Fn. 24. Windscheid/Kipp, S. 447. Windscheid/Kipp, S. 447 m. Fn. 12. S. 21 m. Fn. 21. S. 22 f. Motive V, S. 44 = Mugdan V, S. 23. So zutreffend Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 28.
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mission in dieser zentralen Frage von Windscheids Auslegungslehre, wie sie im Pandektenlehrbuch erläutert war, hätte abweichen wollen. (ee) § 133 BGB als vermeintlicher Nachfolger des Art. 278 ADHGB Es ist der tiefgehenden geschichtlichen Untersuchung Himmelscheins – auch wenn ihr nicht in allen Punkten gefolgt werden kann – zu verdanken, dass die Ungereimtheiten in den Gesetzgebungsmaterialien aufgedeckt und offen ausgesprochen wurden. Himmelschein hat noch ein weiteres Versehen des Gesetzgebers bei der Fassung des heutigen § 133 BGB ausgemacht, indem er auf Folgendes hinweist: Die Erste Kommission neigte an sich dazu, von der Aufnahme einer allgemeinen Auslegungsvorschrift ganz abzusehen. Es handele sich hierbei im Wesentlichen um „Denkregeln ohne positiv rechtlichen Gehalt“; der Richter erhalte „Belehrungen über praktische Logik“.150 Dennoch entschied man sich für die Regelung des § 133 BGB (§ 73 E1), da „der gleiche Ausspruch des HGB. 278 (…) nicht ohne wohlthätige Folge gewesen“ sei. Dabei übersahen die Gesetzesverfasser, so Himmelschein, dass beide Vorschriften in Wirklichkeit gar nicht identisch waren. Denn während sich Art. 278 ADHGB auf Verträge bezog, galt § 133 BGB für sämtliche Willenserklärungen. Die Verallgemeinerung sei nun in einer „äußerst ungeschickten Weise“151 vorgenommen worden. Nach Art. 278 ADHGB kam es entscheidend nicht bloß auf den wirklichen, inneren Willen an, sondern auf den übereinstimmenden Willen. Wenn man die Regelung auf alle Willenserklärungen erstrecken wollte, hätte man sie nach dem Vorbild des bayerischen Entwurfs (Art. 72) fassen müssen:152 „Sind die Worte eines Rechtsgeschäfts klar und unzweideutig, so ist der Sinn anzunehmen, welchen dieselben dem anerkannten Sprachgebrauche gemäß aussprechen, es sey denn, daß eine bestimmte abweichende, bei zweiseitigen Rechtsgeschäften übereinstimmende Absicht der Abschließenden zur vollständigen Gewißheit gebracht ist.“ Für die Frage der Testamentsauslegung wirkt sich die nach der Auffassung Himmelscheins fehlerhaft durchgeführte Verallgemeinerung freilich nicht aus. Denn sowohl nach der vermeintlich richtigen Fassung – wie der des bayerischen Entwurfs als auch nach § 133 BGB – soll es bei einseitigen Rechtsgeschäften allein auf den wirklichen Willen des Erklärenden ankommen. Ob im Endeffekt dieser Wille vollkommen losgelöst von der Erklärung Geltung erlangen kann oder ob er nicht doch irgendwie erklärt sein muss, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. (ff) Entstehungsgeschichte des Art. 278 ADHGB Um der Frage, welche Vorstellung der Gesetzgeber vom „wirklichen Willen“ hatte, auf den Grund zu gehen, soll schließlich noch ein Schritt weiter in die VerganMotive I, S. 155 = Mugdan I, S. 437. Die Ansicht findet sich bereits bei Savigny, S. 206 ff. (211). 151 Himmelschein, S. 16. 152 Himmelschein, S. 26. 150
II. Inhalt und Reichweite des § 133 BGB
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genheit getan und kurz ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Art. 278 ADHGB, den die Verfasser des BGB ja mit § 133 BGB gleichsetzten, geworfen werden. Ausgangspunkt war die Auslegungsnorm des ALR in Teil I., 4. Titel, § 65, wonach der Sinn einer ausdrücklichen Willenserklärung „nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte und Zeichen verstanden werden“ musste. Die Verfasser des preußischen Entwurfs eines HGB hielten die Vorschrift des ALR für dem Handelsleben nicht angemessen: „(…) die Schnelligkeit des Verkehrs bringt es mit sich, daß bei dem Abschluß der Geschäfte weniger genau auf die Form geachtet werden kann, und daß jeder Theil mehr als sonst der Redlichkeit des anderen vertrauen und erwarten muß, derselbe werde sich nicht auf einen nicht ganz sorgfältig gewählten Ausdruck gegen den wahren Sinn des Vertrages berufen. Die im Handel besonders nothwendige Rücksicht auf Treue und Glauben führt dahin, daß bei Beurtheilung der Handelsgeschäfte und Auslegung der Verträge nicht sowohl der buchstäbliche Sinn der Worte, als vielmehr das wirkliche Gewollte maaßgebend sein muß.“153 Schnelligkeit des Verkehrs, Redlichkeit, Vertrauen, Rücksicht auf Treu und Glauben: dies alles sind Begriffe, die im Testamentsrecht nach allgemeiner Auffassung völlig fehl am Platze sind. Es ist bereits merkwürdig, dass der BGB-Gesetzgeber die als Sonderregelung für das Handelsrecht konzipierte Vorschrift überhaupt verallgemeinert hat. Vor allem aber erscheint es geradezu paradox, dass diese nun allgemein formulierte Vorschrift heute so betrachtet wird, als wäre sie der Testamentsauslegung wie auf den Leib geschneidert. Wer will vor diesem Hintergrund noch die These aufrechterhalten, dass die Auslegung von Verträgen und Testamenten sich nach vollkommen anderen Regeln richte? Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass im Gesetzgebungsverfahren zum ADHGB keineswegs, wie einige Jahrzehnte später bei der Schaffung des BGB, Einigkeit bei der Konzipierung einer allgemeinen Auslegungsvorschrift herrschte. Die Mehrzahl der Abgeordneten machte geltend: „wenn der nachgewiesene und übereinstimmende Wille der Contrahenten mit den gebrauchten Ausdrücken im Widerspruch stehe, so werde kein Zweifel sein, daß der Wille maßgebend sei; ein solcher Satz verstehe sich wohl von selbst (…)“.154 So ganz selbstverständlich war dieser Satz aber offenbar nicht, denn eine Opposition sträubte sich hartnäckig gegen seine Aufnahme ins ADHGB: „Jedenfalls sei dessen Fassung nicht richtig, da es gewiß nicht ausschließlich auf die Willensmeinung, sondern unzweifelhaft ebensosehr auf die Willenserklärung der Kontrahenten ankomme, zumal wenn diese ganz unzweideutig wäre.“155 Die Opposition hatte mit ihrem Einwand keinen Erfolg. Ihr Antrag auf Streichung der Norm wurde mit zehn gegen fünf Stimmen abgelehnt. Die spätere Einschätzung der Verfasser des BGB, bei den allgemeinen Auslegungsregeln handele es sich um „Belehrungen über praktische Logik“, erscheint mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Vorläufers von § 133 BGB äußerst gewagt. Einem beachtlichen 153 154 155
Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, Motive, S. 104 f. v. Lutz, Protokolle, S. 407 (Hervorhebung im Original). v. Lutz, Protokolle, S. 1307.
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Teil der Gesetzgebungskommission, genauer gesagt einem Drittel, muss demnach das logische Denkvermögen abhanden gekommen sein. (gg) Ergebnis Ausgangspunkt für die historische Untersuchung war die These, § 2078 Abs. 1 BGB stelle ein gesetzgeberisches Versehen dar und entbehre letztlich jeder Bedeutung. Tatsächlich sei der Gesetzgeber im Testamentsrecht von einem Willensdogma im Rahmen der Auslegung ausgegangen. Daher müsse der wirkliche, innere Wille des Erklärenden bereits im Rahmen der Inhaltsfeststellung Berücksichtigung finden. Eine Anfechtung komme daher nicht mehr in Betracht. Diese These hat sich nach dem Studium der Quellen nicht bestätigt. Die Materialien enthalten zu viel Unklares und Widersprüchliches, als dass sie eine einheitliche Linie erkennen ließen. Wenn ihnen eine bestimmte Grundhaltung zuzuschreiben ist, so noch am ehesten in dem Sinne, dass der Wille immer auch erklärt und damit im Testament zum Ausdruck gebracht werden müsse. Damit spricht die historische Auslegung aber nicht gegen, sondern für die Stärkung des § 2078 Abs. 1 BGB. bb) Der verbleibende Anwendungsbereich des § 2078 Abs. 1 BGB Nicht alle Anhänger der freien, streng subjektiven Testamentsauslegung halten § 2078 Abs. 1 BGB für bedeutungslos. Manche von ihnen156 wollen seinen Anwendungsbereich wenigstens für die Fälle retten, in denen zwar nachgewiesen werden kann, dass der Erblasser das Erklärte nicht wollte, aber unklar bleibt, was er stattdessen positiv testieren wollte. Diese Ansicht sieht sich drei Einwänden ausgesetzt. Zum Ersten stellt sich ein ganz praktisches Problem: Der Nachweis des Nichtwollens wird in der Regel nur durch den Nachweis dessen möglich sein, was in Wirklichkeit gewollt war.157 Dieses Gegenargument ist freilich denkbar schwach, da Beweisschwierigkeiten bei dogmatischer Betrachtung irrelevant sind. Der zweite Einwand weist auf die rechtstechnische Unstimmigkeit hin, dass ein und dieselbe Tatsache, nämlich das Nichtwollen, durch zwei verschiedene Mittel berücksichtigt wird: mal durch Auslegung, mal durch Anfechtung.158 Der dritte – durchgreifende – Einwand deckt schließlich eine Inkonsequenz innerhalb dieser streng subjektiven Theorie auf: Ihr Ausgangspunkt liegt darin, dass der wirkliche Wille der Erklärung ihren Sinn gibt. Wenn der wirkliche Wille nicht ermittelt werden kann, muss auch die Auslegung ins Leere gehen.159 Damit läge von vornherein eine unwirksame und nicht nur anfecht156 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 135; scheinbar zustimmend Leonhard, AcP 120 (1922), 14 (86), wenig später aber (S. 86 f.) die Anfechtungsregeln dennoch ganz verteidigend; Flume, § 16, 5 (S. 335); Lüderitz, S. 195; Foerste, DNotZ 1993, 84 (88); Brox/ Walker, Erbrecht, Rn. 199; R. Foer, S. 141; Wingerter, S. 171. 157 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 19. 158 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 37. 159 Schulz, Gedächtnisschrift Seckel, S. 70 (86 m. Fn. 1); E. Schmidt, S. 107; Oertmann, BGB, § 133 Anm. 5; Larenz/Wolf, § 28 Fn. 85; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 38.
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bare Willenserklärung vor. Dass nun hilfsweise doch auf das tatsächlich Erklärte zurückgegriffen werden soll, dient somit lediglich dazu, § 2078 Abs. 1 BGB ausnahmsweise Geltung zu verschaffen. Eine Rechtfertigung hierfür gibt es nicht. cc) Die Bedeutung des § 2078 Abs. 1 BGB in der Praxis Dass sich jemand beim Testieren derart verschreibt, dass der Inhalt des Testamentes nicht dem Gewollten entspricht, kommt praktisch wohl nur selten vor. Jedenfalls hat die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, noch keinen Fall des Erklärungsirrtums bei Testamenten angenommen. Allerdings finden sich einige ältere Entscheidungen des RG und des BGH, in denen § 2078 Abs. 1 BGB als Argument gegen eine allzu freie, allein am Willen des Erblassers orientierte Auslegung angeführt wird.160 In der Sache verfolgt die Rechtsprechung damit die Linie des Gesetzgebers. Und doch handelt es sich um eine Fehlinterpretation, wenn der BGH ausdrücklich formuliert, das Willensdogma gelte wegen § 2078 Abs. 1 BGB nicht uneingeschränkt. Wie gesehen stellt § 2078 Abs. 1 BGB keine Ausnahme vom Willensdogma, sondern seine eigentliche Umsetzung dar. Damit hatte der schillernde Begriff des Willensdogmas schon bald nach In-Kraft-Treten des BGB unmerklich eine andere Bedeutung gewonnen:161 In Irrtumsfällen sollte der wahre Wille nicht mehr nur das Erklärte beseitigen, sondern an dessen Stellen treten können.
4. Die Andeutungstheorie Um dem – falsch verstandenen – Willensdogma bei der Auslegung einen Riegel vorzuschieben, hat sich in der Rechtsprechung schon früh die so genannte Andeutungs- oder Anhaltsformel durchgesetzt: Danach kann der Wille des Erblassers nur dann Berücksichtigung finden, wenn er in der Verfügung von Todes wegen irgendwie, wenn auch nur versteckt oder andeutungsweise einen Ausdruck gefunden hat.162 Bisweilen wird so formuliert, jede Auslegung finde darin ihre Grenze, dass für sie die vorliegende Willenserklärung irgendwie einen Anhalt bieten muss.163 Diese „Theorie“ hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden;164 manche Autoren165 160 RGZ 70, 391 (393); RG, LZ 1921, Sp. 376 (377); BGH, LM § 2100 Nr. 1; BGH, LM § 2084 Nr. 7. 161 Vom Willensdogma im Rahmen der Auslegung spricht u. a. Endemann, § 66 II b (S. 518). 162 RGZ 99, 82 (83); BGHZ 80, 242 (243). Ebenso für vertragliche Erklärungen, vgl. RGZ 59, 217 (219); RGZ 79, 418 (422). 163 RGZ 160, 109 (111). 164 Im älteren Schrifttum Enneccerus, § 192 I 2 (S. 491); Binder, S. 23 f.; Hölder, BGB, § 133, Anm. 2; Titze, S. 95; von Tuhr II 1, S. 506 f. Heute wird die Andeutungstheorie vertreten von Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 4; MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 14; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 28; Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 8 (von Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 43 zu Unrecht als Gegner der Andeutungstheorie angesehen); Erman/M. Schmidt, § 2084 Rn. 3;
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kritisieren zwar die methodische Vorgehensweise, kommen aber im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen. a) Unbeachtlichkeit fehlender Verfügungen Mit der Andeutungsformel lassen sich die Fälle interessengerecht lösen, bei denen der Erblasser eine Verfügung aus Versehen nicht mit in das Testament aufgenommen hat. Solche Verfügungen können mangels Anhaltspunkten im Testament nicht wirksam werden. Exemplarisch sei hierzu die Entscheidung BGHZ 80, 242 genannt: Die Eheleute hatten in der – als gegeben unterstellten – Absicht, ein so genanntes Berliner Testament nach § 2269 BGB zu errichten, ihre Kinder als Erben eingesetzt, dabei aber vergessen, zuvor die gegenseitige Erbeinsetzung, die noch im Entwurf vorgesehen war, in das Testament aufzunehmen. Der Wille, den anderen Ehegatten zu bedenken, habe, so der BGH, im Testament keinen Niederschlag gefunden. Weder die Verwendung des Wortes „unser“ in der Überschrift des gemeinschaftlichen Testamentes noch das einleitende „wir“ im Testamentstext würden hierfür einen erforderlichen Ausdruck darstellen. Ein entsprechender Wille sei daher unbeachtlich. Mit dem Tod der Ehefrau waren damit die Kinder zu Erben berufen, nicht aber der Ehemann. Diese Lösung leuchtet ein. Sie führt die Wertung des § 2078 Abs. 1 BGB konsequent fort. Denn wenn dem Willen in dem Fall, dass etwas anderes als das Gewollte erklärt wurde, nicht zum Erfolg verholfen werden kann, dann umso weniger, wenn überhaupt nichts erklärt wurde. Im Übrigen ist allgemein anerkannt, dass nur einzelne Verfügungen angefochten werden können, nicht aber pauschal das Testament.166 Überträgt man dies auf die Auslegung, so muss jede einzelne testamentarische Anordnung ausgelegt werden.167 Dort wo nichts angeordnet ist, bleibt auch nichts auszulegen. Für diejenigen, die mit der streng subjektiven Theorie die Hürde des § 2078 Abs. 1 BGB mit der Auslegung überspringen, sollten auch unterbliebene Verfügungen kein unüberwindbares Hindernis darstellen. Namentlich Brox168 hält die Lösung des BGH für verfehlt und die vergessene Verfügung für wirksam. Dagegen sieht Flume169, sonst ebenfalls ein Gegner der Andeutungstheorie,170 in diesem Fall die Grenze als erreicht Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2084 Rn. 20; Jauernig/Stürner, § 2084 Rn. 4; wohl auch Frank, § 7 Rn. 3. 165 Lange/Kuchinke, § 34 III 2 b) (S. 780); Leipold, Festschrift Müller-Freienfels, S. 421 (428 f.). 166 RGZ 70, 391 (394); BGH, NJW 1985, 2025; Palandt/Edenhofer, § 2078 Rn. 2. 167 Lange/Kuchinke, § 34 III 3 a) (S. 782). 168 JA 1984, 549 (557). Brox zieht sein Hauptargument aus dem Vergleich mit BGHZ 87, 150. Dort hatte der BGH die versehentlich unterbliebene Aufnahme eines Flurstücks in den Grundstückskaufvertrag als unerheblich angesehen. 169 NJW 1983, 2007 (2009). 170 Flume, AT, § 16, 5 (S. 332). Dort meint Flume, es sei richtig, im Fall des Erklärungsirrtums den Willen des Testators entgegen der Anordnung des Testamentes positiv, nämlich das
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an und entscheidet, allerdings ohne rechte Begründung, ebenso wie die Rechtsprechung und die herrschende Lehre. Der Ehemann wird demzufolge auf Grund des Testamentes kein Erbe. Allerdings soll er nicht vollkommen leer ausgehen. Vielmehr soll er nach Flume die Verfügung wegen Irrtums seiner Ehefrau anfechten können und so gesetzlicher Erbe werden.
aa) Das „wirkliche Verständnis“ (Wieser) Zu dem gleichen Ergebnis wie Flume gelangt Wieser171. Allerdings beschreitet Wieser einen anderen Weg. Seiner Meinung nach ist nicht danach zu fragen, was der Erklärende wollte, sondern wie der Erklärende selbst die Erklärung verstanden hätte. Im vorliegenden Fall hätten die Eheleute den Satz „Wir setzen unsere Kinder als Erben ein“ nicht in dem Sinne verstanden, dass er auch die gegenseitige Erbeinsetzung enthalte; sie hätten vielmehr zugegeben, diese Verfügung schlicht vergessen zu haben. Deshalb kann nach Wieser die gegenseitige Erbeinsetzung auch auf Grund der vorzunehmenden „empirischen Auslegung“ keine Wirkung erlangen. Es liege jedoch ein Anfechtungsgrund nach § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB vor. Denn die Ehefrau habe – auch nach eigenem Verständnis – erklärt, dass die Kinder bereits den zuerst Versterbenden beerben sollen. Eine Erklärung dieses Inhalts wollte sie jedoch überhaupt nicht abgeben. Wiesers Ansatz fußt auf einer korrigierenden Auslegung des § 133 BGB. Dort stelle das Gesetz auf den „wirklichen Willen“ ab. Richtig müsse es jedoch „wirkliches Verständnis“ heißen. Zutreffend weist Wieser auf den Unterschied zwischen Wille und Verständnis hin, ein Unterschied, der bisweilen außer acht gelassen wird.172 Für den Vorschlag Wiesers spricht, dass die objektive (normative) und subjektive (natürliche) Auslegungsmethode besser aufeinander abgestimmt werden: Bei jener Auslegung kommt es auf das Verständnis nach dem Empfängerhorizont an; dazu passt es auf der anderen Seite, auch beim Erklärungshorizont auf das Verständnis abzustellen. Eine solche Sichtweise greift aber letztlich zu kurz. Denn die normative Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB bleibt unvollständig, wenn etwa der Erklärungsempfänger nicht hinterfragt, ob das, was der andere erklärt hat, er wirklich erklären wollte,173 insbesondere dann, wenn der andere sich etwa verschrieben hat und sich der Schreibfehler aufdrängen musste. In diesem Fall reicht es nicht aus, nur nach dem Verständnis zu fragen. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für einen Redaktionsfehler, da während des Gesetzgebungsverfahrens vom Verständnis des Erklärenden nie die Gewollte statt des Erklärten gelten zu lassen. Allerdings will Flume das Erfordernis des unvollkommenen Ausdrucks im Hinblick auf die Formprüfung aufrechterhalten (S. 334); welche Konsequenzen damit verbunden sind, bleibt jedoch unklar. 171 JZ 1985, 407. 172 Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 11; Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 5: „Es kommt also generell (…) auf das Verständnis des Erblassers (…) an, immer vorausgesetzt, dieser Wille ist formgerecht erklärt.“ 173 MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 13.
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Rede war. Wieser hat seine Ansicht, dass das Verständnis dem Willen vorzuziehen sei, später bekräftigt.174 Allerdings will er nun den behandelten Fall BGHZ 80, 242 anders entscheiden, und zwar so, dass im Ergebnis dem inneren Willen zum Erfolg verholfen wird. Es sei nicht auf das Verständnis abzustellen, das die Eheleute nach ihrem eigenen Sprachgebrauch bei richtiger Lektüre des Testamentes gehabt hätten.175 Auf welches Verständnis stattdessen abzustellen ist und weshalb Wieser von seiner früheren Auffassung abrücken will, ist nicht erkennbar. Als Begründung zieht Wieser einen Vergleich mit der falsa-demonstratio-Regel, wonach „trotzdem (…) das Vergessene miterklärt“ sei. Es ist jedoch höchst fraglich, ob mit der Regel von der Falschbezeichnung überhaupt eine vergessene Verfügung geheilt werden kann. Im Übrigen ist zweifelhaft, wie noch zu zeigen sein wird,176 ob die falsa-Regel im Testamentsrecht überhaupt uneingeschränkt Anwendung findet. bb) Andeutung trotz unterlassener Verfügung? Denkbar ist aber auch eine Konstellation, in der eine Verfügung tatsächlich fehlt, aber dennoch im Testament angedeutet ist. Loritz177 wandelt den soeben geschilderten Fall in der Weise ab, dass die Eheleute das Testament mit „Berliner Testament“ überschreiben, in dem Glauben, damit die gegenseitige Erbeinsetzung erklärt zu haben. Loritz behauptet, die herrschende Meinung verneine in diesem Fall die erforderliche Andeutung und damit einen formgerecht geäußerten Erblasserwillen. Dies ist schon deshalb unrichtig, weil sich zu dem konkreten, von Loritz gebildeten Fall niemand äußert. Vermutlich würden sogar die meisten eine Andeutung eher bejahen, denn sie liegt selbst bei objektiver Betrachtung des Testamentes nahe. Aus subjektiver Sicht ist dagegen nicht nur eine Andeutung, sondern eine vollständige Erklärung gegeben, und man muss überlegen, ob nicht deswegen eine gegenseitige Erbeinsetzung angenommen werden muss. Wer letztwillige Verfügungen allein vom Standpunkt des Erblassers auslegen will, kann am Wirksamwerden der gewollten Verfügung keine Zweifel haben. Interessant wäre es demgegenüber, den Fall zu beleuchten, in dem die Eheleute das Testament zwar mit „Berliner Testament“ überschrieben hätten, die gegenseitige Erbeinsetzung aber, wie in BGHZ 80, 242, versehentlich unterlassen hätten. Auch hier hätten die Eheleute ja zugegeben, dass sie die Erbeinsetzung vergessen hätten. Daher wäre die Verfügung auch nach ihrem Verständnis nicht existent, obwohl aus ihrer Sicht, ja nicht nur aus ihrer, sondern sogar bei objektiver Betrachtung, eine Andeutung gegeben war. Konsequenterweise müsste eine Auslegung, wenn man lediglich auf das Verständnis des Erklärenden abstellt, auch in diesem Fall scheitern. Damit wäre der Andeutungsformel der Boden entzogen. Man sieht also, dass es selbst bei 174 175 176 177
AcP 189 (1989), 112 ff. (insbesondere S. 113 u. 115). AcP 189 (1989), 112 (119 m. Fn. 27). s.u. S. 72. Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 12.
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gänzlich unterlassenen Verfügungen nicht unmöglich ist, eine Andeutung für einen entsprechenden Willen zu konstruieren. cc) Fehlen einzelner Teile von Verfügungen Noch schwieriger zu entscheiden sind die Fälle, in denen der Erblasser nicht eine ganze Verfügung vergessen hat, sondern nur einzelne Teile einer Verfügung. Er hat es etwa ungewollt unterlassen, einen Namen oder einen Gegenstand mit in das Testament aufzunehmen. Bei von Lübtow178 findet sich folgendes Beispiel: Der Erblasser setzt seine Kinder Friedrich und Hans als Erben ein, vergisst dabei aber, seine Tochter Anna zu erwähnen. Die streng subjektive Auffassung scheut sich nicht, das Testament in der Weise zu ergänzen, dass auch Anna ihren Erbteil bekommen soll. Dagegen kann sie nach der Andeutungstheorie nicht Erbin sein, denn für ihre Einsetzung findet sich im Testament kein Anhaltspunkt. Wie aber, wenn der Erblasser hinzufügt: „Denn alle meine Kinder sind mir gleich lieb“? Otte179 sieht hier die von der Andeutungstheorie geforderte Mindestvoraussetzung für eine Erbeinsetzung des nicht namentlich genannten Kindes als erfüllt an. Ob er diesen Fall tatsächlich anders entscheiden und auch Anna ein Erbteil zusprechen würde, ist nicht ganz klar. Anscheinend soll es nach der Andeutungstheorie noch weitere Voraussetzungen geben. Welche das sein können, bleibt ein Rätsel. Man mag dies alles für konstruierte Schulbeispiele halten, die schon deswegen rein theoretischer Natur bleiben, weil ein vom Testamentswortlaut abweichender Wille praktisch kaum zu beweisen sein wird. Jedoch hatte das BayObLG180 einen zumindest vergleichbaren Fall zu entscheiden. Auch hier sollten die Kinder Anna und Hans erben! Der Erblasser schrieb: „Meine persönliche Habe soll mein Sohn Karl an meine lebenden Kinder Anna, Hans und Franz (…) zu gleichen Teilen verteilen.“ Das Gericht war der Auffassung, die Wendung „an meine lebenden Kinder“ biete einen Anhaltspunkt auch für die Miterbenstellung (neben der Stellung als Testamentsvollstrecker) des Karl.181 Eine solche Auslegung ist gewagt, da mit der Formulierung nur die anschließend genannten Personen spezifiziert werden sollen. Die eigentliche Andeutung, so schiebt das BayObLG in einer Art Hilfsbegründung hinterher, liegt wohl darin, dass sowohl die Worte „meine lebenden Kinder“ als auch die Namen aller Kinder, also auch der des Karl, unterstrichen waren. Hierbei handelt 178
v. Lübtow, S. 300. Das Beispiel stellt eine Abwandlung eines von Lange, § 33 III 3 c (S. 357) gebildeten Falles dar. In diesem Ursprungsfall – die bedachten Kinder hießen noch Fritz, Emil und Paul – war erst nach Errichtung des Testamentes noch ein viertes Kind geboren worden. Der Erblasser hatte beim Testieren also noch gar keinen Willen, dieses Kind einzusetzen. Nach Lange würde das vierte Kind im Wege der Auslegung – ohne die Notwendigkeit einer Anfechtung nach § 2079 BGB – einzubeziehen sein. Zustimmend auch insoweit v. Lübtow, S. 300. 179 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 44. 180 FamRZ 1988, 986. 181 BayObLG, FamRZ 1988, 986.
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es sich sicher um einen Grenzfall für die Andeutungstheorie, der deutlich macht, dass die Rechtsprechung die Grenzen äußerst weit zieht. Mit viel gutem Willen mag man vorliegend eine Andeutung entdecken.
b) Die Eindeutigkeitsformel Mit der Andeutungstheorie eng zusammen hängt die von der Rechtsprechung früher gelegentlich gebrauchte Formel, der klare und eindeutige Wortlaut setze der Auslegung eine Grenze.182 Dieser Grundsatz stellt insoweit einen Ausfluss der Andeutungstheorie dar, als eine Erklärung, die nur in eine Richtung interpretiert werden kann, zwangsläufig einer Andeutung dafür entbehrt, dass der Erklärende etwas anderes gemeint haben könnte. aa) Auslegungsfähigkeit eindeutiger Verfügungen Die Eindeutigkeitsformel tritt in zwei unterschiedlichen Gewändern auf: Mal bezogen auf den Wortlaut (so wie eingangs formuliert), mal bezogen auf die Verfügung als solche. So vertrat die Rechtsprechung bisweilen den Grundsatz, die Auslegung dürfe einem unzweideutig ausgedrückten Willen nicht zuwiderlaufen; eindeutige testamentarische Verfügungen seien demnach weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig.183 Auch wenn beide Wendungen häufig in einem Atemzug und ohne Unterscheidungsabsicht genannt werden, so bedeuten sie doch nicht dasselbe. Bezieht man nämlich die Eindeutigkeit auf die Verfügung an sich und nicht auf ihren Wortlaut, so drückt man damit etwas völlig Banales aus. Auslegung heißt, den rechtlich maßgeblichen Sinn einer Erklärung zu ermitteln. Wenn aber nur eine Deutung möglich ist, also nur ein Sinn in Frage kommt, dann bleibt der Auslegung nichts mehr zu tun. Hiergegen wird freilich der Einwand erhoben, schon die Feststellung, dass eine Willenserklärung eindeutig sei, setze ihrerseits Auslegung voraus; die Eindeutigkeit stelle sich dann als Ergebnis, als „Schlussformel“ der in Wahrheit abgeschlossenen Auslegung dar.184 Überzeugend ist das nicht. Man verwickelt sich leicht in Widersprüche, denn man müsste sagen: Ich habe das Testament ausgelegt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erklärung eindeutig ist und es daher überhaupt nichts auszulegen gibt. Offenbar um diesen Widerspruch zu vermeiden, wird teilweise behauptet, es gebe überhaupt keine „an sich“ eindeutigen Erklärungen.185 Hiergegen spricht bereits § 2084 BGB. Diese Norm setzt tatbestandlich verschiedene Auslegungsmöglichkeiten voraus. Die Voraussetzungen im Eingangssatz wären jedoch immer erfüllt und 182 183
BGHZ 26, 204 (211) zu einer Verfügung im Erbvertrag, BGHZ 32, 60 (63). RGZ 70, 391 (393); RGZ 160, 109 (111); BGH, NJW 1951, 959 (960); BGH, LM § 2084
Nr. 7. 184 185
Scherer, Jura 1988, 302 (304); Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (667). Scherer, Jura 1988, 302 (304).
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damit überflüssig, wenn es nicht auch Verfügungen mit nur einer Auslegungsmöglichkeit gäbe.186 Im Übrigen würde es dem Notar quasi unmöglich gemacht, seine gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Denn nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BeurkG soll er die Erklärungen der Beteiligten klar und unzweideutig in der Niederschrift wiedergeben. bb) Die Frage der Eindeutigkeit in RGZ 160, 109 Es gibt nicht viele Entscheidungen, in denen die Rechtsprechung eine testamentarische Verfügung für eindeutig gehalten hat. Ein solches Urteil gab das Reichsgericht etwa in einem Fall187 ab, in dem die Eheleute sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt hatten, dass nach dem Tod des Längstlebenden ihre Kinder zu „Nacherben“ berufen seien. Das RG meinte, die Anordnung sei „völlig eindeutig“ und die Rechtsstellung der Kinder „durch das Wort Nacherbe ganz unmißverständlich umschrieben“: Die überlebende Ehefrau sei daher nur Vor- und nicht Vollerbin.188 Man muss sich davor hüten, dem Reichsgericht eine Überbetonung der fachsprachlichen Bedeutung oder eine übertriebene Wortlautauslegung vorzuwerfen.189 Das Reichsgericht legte besonderes Gewicht darauf, dass das Testament von einem Notar entworfen worden war, dem der mit dem Ausdruck „Nacherbe“ verbundene Begriff „unbedingt geläufig gewesen sein“ musste. Darüber hinaus habe aber auch sonst jeder Anhalt dafür gefehlt, dass der Notar den Willen des Erblassers in eine unrichtige und von ihnen missverstandene Form gebracht hätte. Hätte sich das Reichsgericht von vornherein an die technische Bedeutung des Wortes „Nacherbe“ geklammert, hätte es diese Überlegungen gar nicht erst anstellen müssen. cc) Die Auffassung des BGH in der ersten Zeit nach seiner Gründung Es liegt daher auch keine Änderung der Rechtsprechung vor, wenn der BGH in einer Entscheidung vom 23.04.1951190 die Ansicht vertritt, dass der Begriff des „Ersatzerben“ (§ 2096 BGB) auch in einem notariellen Testament im Sinne von „Nacherben“ (§ 2100) ausgelegt werden könne. Dass nicht die Auffassung des Notars, sondern die des Erblassers entscheidend sei, habe bereits das Reichsgericht191 ausgesprochen. Interessant ist an der Entscheidung des BGH übrigens die Äußerung, wie bei jeder Auslegung sei auch bei Verfügungen von Todes wegen nicht an ihrem Wortlaut 186
Leipold, Festschrift Müller-Freienfels, S. 421 (436). RGZ 160, 109. 188 RGZ 160, 109 (111). 189 Wie es mitunter getan wird, etwa von Kipp/Coing, § 21 II (S. 138) oder Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 56. Selbst der BGH (Z 80, 246 [248]) nennt die Entscheidung des RG im Zusammenhang mit der Phrase, die Auslegung dürfe niemals in Widerspruch zum klaren und eindeutigen Wortlaut geraten. Den Begriff „Wortlaut“ verwendete das RG überhaupt nicht. 190 BGH, LM § 2100 Nr. 1. 191 Verwiesen wird auf RG, HRR 1932 Nr. 1055. 187
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zu haften. Dabei könnten auch Umstände berücksichtigt werden, die außerhalb der Erklärung lägen. Die an § 133 BGB angelehnte Formulierung lässt darauf schließen, dass der BGH „Wortlaut“ mit „buchstäblichem Sinn“ gleichsetzte und darunter die enge juristisch-technische Bedeutung verstand. Der BGH hatte daher auch keine Hemmungen, die Wortlautgrenze zu überschreiten. Umso erstaunlicher ist es, dass derselbe Senat nur drei Tage später den Wortlaut wieder in den Vordergrund rückte, indem er meinte: „Eine letztwillige Verfügung kann nach außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umständen nur ausgelegt werden, wenn der Wortlaut der Testamentsurkunde Zweifel an dem Inhalt der Verfügung aufkommen lässt. Denn auch die Auslegung darf nicht dem unzweideutig ausgedrückten Willen geradezu zuwiderlaufen.“192 Mit dem vorigen Fall hatte der zugrunde liegende Sachverhalt keine Ähnlichkeit. In der Entscheidung ging es nicht darum, ob ein Begriff im gesetzlichen oder einem anderen Sinn zu verstehen sei. Vermutlich dachte das Gericht bei der Verwendung des Begriffs „Wortlaut“ nicht im Geringsten an den „buchstäblichen Sinn“. § 133 BGB taucht in den Entscheidungsgründen nicht ein einziges Mal auf. Was bleibt, ist eine Eindeutigkeitsformel, deren Verhältnis zu § 133 BGB unklar ist. dd) Eindeutigkeit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Immerhin wagte der BGH im Jahr 1956193 eine Konkretisierung der Eindeutigkeitsformel, in dem er als Maßstab den allgemeinen Sprachgebrauch heranzog: Es sei als ein sich aus dem Gesetz ergebender Rechtssatz anerkannt, „daß einer in einem Testament enthaltenen, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch völlig klaren und eindeutigen Erklärung durch die Auslegung kein anderer Sinn beigelegt werden darf.“ Das Anwendungsgebiet dieser Formel sollte allerdings wohl nicht so weit reichen, wie es zunächst den Anschein hat. Denn in dem Urteil sprach der BGH an anderer Stelle vom allgemeinen und dem Sprachgebrauch der Kreise, denen der Erblasser angehörte (so im Leitsatz) bzw. vom allgemeinen Sprachgebrauch „der Kreise, zu denen der Erblasser gehörte“. Davon abgesehen ist es rätselhaft, wie der BGH seinen Rechtssatz aus dem Gesetz ableiten wollte. § 133 BGB spielte offenbar keine Rolle, die Norm blieb – wieder einmal – unerwähnt. Zwar war vom wirklichen Willen die Rede, allerdings nicht im Rahmen der Auslegung: Wenn der „klare und unzweideutig ausgedrückte Wille nicht dem wirklichen Willen“ entspräche, so käme allein eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 BGB in Betracht. Was ist dem Urteil des BGH letztlich zu entnehmen? Der buchstäbliche Sinn kann nicht nach dem allgemeinen oder dem Sprachgebrauch der Kreise, denen der Erblasser angehörte, bestimmt werden, denn bei einer Erklärung, die nach dem allgemeinen oder besonderen Sprachgebrauch eindeutig ist, ist offenbar an diesem zu haften.
192 193
BGH, NJW 1951, 959 (960). BGH, LM § 2084 Nr. 7.
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ee) Die Entscheidung BGHZ 80, 246 Seit den 60er Jahren wurde die Eindeutigkeitsformel vom BGH im Rahmen der Testamentsauslegung kaum mehr gebraucht. In der Literatur regte sich zunehmend Kritik an der Eindeutigkeitsformel, selbst von denen, die grundsätzlich eine Andeutung des Willens im Testament verlangten.194 Auch die Rechtsprechung machte Anstalten, der Andeutungstheorie den Rücken zu kehren und die Eindeutigkeitsregel zu verwerfen. So sah sich der BGH Anfang der 80er Jahre195 auf Grund einer Vorlage durch das OLG Frankfurt196 gezwungen, erneut zu dem Problem Stellung zu nehmen. Über folgenden Sachverhalt war zu entscheiden: Der Erblasser hatte in einem notariellen Testament unter Aufhebung einer früheren Verfügung die „gesetzliche Erbfolge“ angeordnet. Nach den §§ 1922 ff. BGB wäre allein die nichteheliche Tochter als Alleinerbin berufen gewesen. Die Mutter des Erblassers behauptete nun, ihr Sohn habe sie als Alleinerbin einsetzen wollen. Der Notar habe jedoch – in Unkenntnis der nichtehelichen Tochter – den Ausdruck „gesetzliche Erbfolge“ gewählt. Das OLG Frankfurt hielt die Behauptung für entscheidungsrelevant. Der Wille des Erblassers müsse – entgegen der ständigen Rechtsprechung – auch gegen den klaren und eindeutigen Wortlaut Berücksichtigung finden.197 Die zentralen Ausführungen des BGH zur Auslegung sind bemerkenswert, sodass es sich lohnt, sie in Auszügen wiederzugeben. Zunächst zitiert der BGH den Wortlaut des § 133 BGB. Dann heißt es: „Ob es mit dieser (…) Erforschung des Willens des Erklärenden vereinbar ist, der Auslegung mit Hilfe des Wortlauts Grenzen zu setzen – wie das in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher wiederholt geschehen ist –, und sei es auch nur in besonderen Fällen ,klaren und eindeutigen Wortlauts, mag (…) in der Tat zweifelhaft sein.“ Wie kann dies mit Blick auf § 133 BGB zweifelhaft sein?198 Offenbar sagt die Vorschrift nach Ansicht des BGH nichts über die Wortlautgrenze aus, da sonst das Ergebnis – die Wortlautgrenze kann ohne weiteres überschritten werden – klar auf der Hand läge. Merkwürdig ist auch die hilfsweise vorgenommene Einschränkung in Bezug auf den klaren und eindeutigen Wortlaut. Wenn es tatsächlich eine Wortlautgrenze gibt, dann muss sie allgemein gelten, egal ob der Wortlaut eindeutig ist oder nicht. Der BGH macht ferner nicht deutlich, welcher Unterschied zwischen Wortlaut und buchstäblichem Sinn bestehen soll. Ob er überhaupt einen Unterschied gesehen hat, bleibt fraglich. Denn er fährt fort, dass „der Richter der auszulegenden Erklärung durchaus auch eine Deutung geben [darf], die vom 194 Häsemeyer, S. 150; Lüderitz, S. 182; Bernard, S. 62; Flume, § 16, 2 u. 5 (S. 302 f. u. 333 f.). 195 BGHZ 80, 246. 196 RPfleger 1980, 415. 197 Beachtung verdient der Umstand, dass das Amtsgericht angekündigt hatte, den Erbschein zugunsten der Mutter zu erteilen, und sich damit über den eindeutigen Wortlaut hinwegsetzte. 198 Ähnlich HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 Rn. 79, der allerdings vorsichtiger formuliert: „Das Verbot der Buchstabeninterpretation in § 133 scheint der Eindeutigkeitsregel eine deutliche Absage zu erteilen.“
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Wortsinn abweicht.“ Wie gelangt der BGH zu dieser aufsehenerregenden Erkenntnis? Nicht auf § 133 BGB wird verwiesen, sondern auf eine unveröffentlichte (!) Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1977, die zudem ein Rechtsgeschäft unter Lebenden betraf. Die dort angestellten Überlegungen auf das Testament zu übertragen, dazu konnte sich der BGH noch nicht durchringen. Er konnte die Frage dahingestellt sein lassen, indem er befand, dass ein vom Wortlaut abweichender Wille ohnehin am Formerfordernis scheitern würde. Der endgültige Abschied von der Eindeutigkeitsformel ließ jedoch nicht mehr lange auf sich warten.
c) Abkehr von der Eindeutigkeitsrechtsprechung in BGHZ 86, 41 „Auch in den – seltenen – Fällen klaren und eindeutigen Wortlauts ist der Auslegung eines Testaments durch eben diesen Wortlaut keine Grenze gesetzt“, so lautet der Leitsatz der am 09. 12. 1982 ergangenen Entscheidung in BGHZ 86, 41. Nun also war das letzte Bollwerk gegen eine allzu freie Auslegung gefallen. Der BGH griff die Entscheidung BGHZ 80, 246 und die dort geäußerten Bedenken gegen die Wortlautgrenze wieder auf. Wie dort wurde auch jetzt wieder § 133 BGB in vollem Wortlaut zitiert. Die Norm gebiete es, sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts zu beschränken, sondern alle aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranzuziehen.199 In der zentralen Passage auf der folgenden Seite wird § 133 BGB wieder beiseite geschoben. Für die Feststellung, dass der wirkliche Wille des Erblassers auch vor dem klaren und eindeutigen Wortlaut Vorrang hat, beruft sich der BGH auf eine Entscheidung des fünften Senats vom 04.06.1980.200 Dieses Zitat muss in mehrfacher Hinsicht Unverständnis hervorrufen. In jener Entscheidung ging es zunächst einmal nicht um den Erblasserwillen, sondern um einen Nießbrauchvertrag.201 Man fragt sich ferner, warum jene Entscheidung nicht bereits in BGHZ 80, 246 (Beschluss vom 09. 04. 1981) erwähnt wurde. Und schließlich berief sich auch der fünfte Senat seinerseits wiederum auf frühere Urteile. Das, was in BGHZ 86, 41 als Neuerung verkauft wird, ist folglich von Richtern in anderen Senaten des BGH längst anerkannt. Weshalb die Durchbrechung der Wortlautgrenze bei Testamenten mehr Schwierigkeiten bereiten soll als bei anderen Rechtsgeschäften, ist nicht einzusehen. Doch nicht nur die Berufung auf die ältere Rechtsprechung ist schleierhaft, sondern auch die übrigen Entscheidungsgründe. Es ist unklar, weshalb der BGH überhaupt zum Problem des eindeutigen Wortlauts Stellung genommen hat. Denn er hielt den Wortlaut des vorliegenden Testamentes gar nicht für eindeutig. Somit bestand kein Anlass, die alte Eindeutigkeitsformel zu verwerfen.202 Insofern spricht der BGH auch durchaus zutreffend von der „ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeu199 200 201 202
BGHZ 86, 41 (45). WM 1980, 1171. Auch die vom BGH auf S. 46 einige Zeilen weiter zitierten Urteile betreffen Verträge. Leipold, Festschrift Müller-Freienfels, S. 421 (424).
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tigen Willenserklärung.“203 Mit dieser Formulierung wird die Eindeutigkeit aber gerade verneint, da „scheinbar“ im eigentlichen Sinn etwas in Wirklichkeit nicht Vorhandenes meint, im Gegensatz zu „anscheinend“.204 Ob der BGH den Begriff bewusst mit dieser Bedeutung gebraucht hat, ist zweifelhaft. Schließlich wird seine „technische“ Bedeutung häufig verkannt und werden die Begriffe „scheinbar“ und „anscheinend“ in der Umgangssprache unterschiedslos gebraucht.205 Indem der BGH den Ausdruck „klarer und eindeutiger Wortlaut“ in Anführungszeichen setzt, könnte er andeuten wollen, dass er von einem in Wahrheit doch mehrdeutigen Wortlaut ausgeht. Andererseits kann dies aber auch nur die Funktion haben, die Formel als Zitat aus der bisherigen Diskussion kenntlich zu machen.206 Für Letzteres spricht auch, dass der BGH die Fälle des klaren und eindeutigen Wortlauts als selten bezeichnet. Fälle, in denen der Wortlaut nur auf den ersten Blick eindeutig ist, bei näherem Hinsehen dagegen mehrdeutig, dürften vergleichsweise häufiger vorkommen. Und schließlich würde der Hinweis auf den tatsächlich mehrdeutigen Wortlaut wenig Sinn machen, wenn der Auslegung durch den Wortlaut gerade keine Grenzen gesetzt sein sollen. d) Trennung zwischen der Auslegungs- und der Formfrage Die Ausführungen in BGHZ 86, 41 legen die Vermutung nah, der BGH habe sich auf die Seite derer geschlagen, die eine freie, vom Wortlaut völlig losgelöste Auslegungsmethode befürworten. Mit der freien Auslegung soll die Geltung des wirklichen Erblasserwillens aber noch nicht sichergestellt sein. Denn in einem zweiten Schritt muss nun, so der BGH, geprüft werden, ob der Erblasserwille im Testament eine hinreichende Stütze findet und damit formgültig erklärt ist.207 Fällt diese Prüfung negativ aus, so soll die Erklärung gem. § 125 Satz 1 BGB nichtig sein. Damit trennt der BGH strikt zwischen zwei Prüfungsabschnitten. Zuerst stellt sich das Auslegungsproblem, anschließend ist die Formfrage zu klären. Manche Autoren vertreten die Ansicht, die Andeutungstheorie sei in BGHZ 86, 41 tatsächlich nicht aufgegeben worden, und stellen sich bewusst gegen diejenigen, die offenbar das Gegenteil behaupten.208 Der Vorwurf an die Gegenseite, die Haltung des
203 BGHZ 86, 41 (46); MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 10 m. Fn. 13 weist darauf hin, dass der Zusatz „scheinbar“ nicht im einschlägigen Leitsatz enthalten ist. Die späteren Ausführungen ergäben jedoch, dass nichts anderes gemeint war. Was der BGH aber tatsächlich mit „scheinbar“ meinte, verrät Leipold nicht. 204 Duden, Großes Wörterbuch, Stichwort „scheinbar“. 205 Fraglich deshalb ebenso BayObLG, FamRZ 1988, 986. Ähnlich BayObLG, FamRZ 1989, 1118 (1119) „scheinbar eindeutiger Wortlaut“. 206 So Leipold, Festschrift Müller-Freienfels, S. 421 (427). 207 BGHZ 86, 41 (Leitsatz). 208 Erman/M. Schmidt, § 2084 Rn. 4; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 35 meint sogar, in der Abkehr von der Auffassung, ein eindeutiger Wortlaut lasse keine Auslegung zu, liege keine Abkehr von der Andeutungstheorie, sondern stelle ihre konsequente Anwendung auf das
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BGH zur Andeutungstheorie falsch einzuschätzen, ist unberechtigt. Im Rahmen der Auslegung soll nach der Entscheidung des BGH eine Andeutung entbehrlich sein – nichts anderes wird von der Gegenseite behauptet –; erforderlich bleibt sie dagegen bei der Formprüfung. Die Andeutungstheorie ist damit nur auf eine andere Ebene verlagert.209 Diese Verschiebung war im Übrigen keine Überraschung mehr, sondern knapp zwei Jahre zuvor, in BGHZ 80, 242 vorbereitet worden. Dort heißt es im Leitsatz: „Ein Wille des Erblassers, für den sich im Testament kein Anhaltspunkt findet, ist nicht formgültig geäußert.“ Damit waren die Weichen für eine Trennung von Auslegung und Form bereits gestellt. aa) Irrelevanz der Einordnung des Andeutungserfordernisses? Wenn der BGH bei der Bewertung eines Testamentes weiterhin eine Andeutung verlangt und sich die Frage nur für die Formprüfung aufhebt: Hat der Wechsel überhaupt nennenswerte Auswirkungen? Teilweise wird behauptet, der Unterschied bliebe für das Ergebnis ohne Einfluss, da bei fehlender Andeutung das Gewollte letztlich ohnehin keine Wirksamkeit erlange.210 Dieser Satz trifft ohne weiteres auf gänzlich unterbliebene Verfügungen zu wie in dem Fall, in dem die Ehegatten vergessen hatten, sich gegenseitig als Erben einzusetzen (BGHZ 80, 242). Hier geht entweder bereits die Auslegung unter Zuhilfenahme der Andeutungsformel ins Leere oder die durch freie Auslegung geschaffene Verfügung ist nach § 125 BGB formnichtig. Kein Unterschied ergibt sich auch in dem Fall, in dem der Erblasser den Eintritt der „gesetzlichen Erbfolge“ anordnet (BGHZ 80, 246). Der BGH konnte es auch hier dahingestellt sein lassen, ob die Behauptung der Mutter zutreffend war und sie nach dem Willen des Erblassers tatsächlich bedacht sein sollte. Zur gesetzlichen Erbfolge kommt es ohnehin, sei es, weil die Verfügung im Wege einer eingeschränkten Auslegung abweichend vom Willen ausgelegt wird, sei es, weil sie der Formnichtigkeit zum Opfer fällt.211 bb) Auswirkungen in den Fällen des § 2078 Abs. 1 BGB Die Verlagerung der Andeutungstheorie von der Auslegungs- auf die Formebene kann allerdings in den Irrtumsfällen des § 2078 Abs. 1 BGB zu unterschiedlichen Konsequenzen führen. So etwa in dem bereits geschilderten Beispiel für einen ErkläTestament dar. Die Kritik richtet sich etwa gegen Flume, NJW 1983, 2007 (2011); Brox, JA 1984, 549 u. Scherer, Jura 1988, 302 (305). 209 Schlüter, Erbrecht, Rn. 192; anders Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2084 Rn. 9, wonach sich der BGH entschieden habe, die Frage der formgerechten Verkörperung erst in einem zweiten Auslegungsschritt zu prüfen. 210 Olzen, Rn. 563; Frank, § 7 Rn. 3. 211 Freilich kann man mit Staudinger/Otte, § 2078 Rn. 11 fragen, ob in diesem Fall überhaupt ein Verfügungswille vorliegt. Otte sieht in dieser Erklärung in der Regel ohnehin keine echte Verfügung, denn der Erblasser weise nur auf etwas hin, was sonst ohnehin gelten würde.
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rungsirrtum212: Jemand beabsichtigt, seine Nichte Magda als Erbin einzusetzen, schreibt aber aus Versehen „Martha“. Nach der herkömmlichen Andeutungstheorie ist das Testament mit dem objektiven Inhalt (Martha) gültig, und zwar auch formgültig. Die Verfügung kann (und muss) nach § 2078 Abs. 1 BGB erst vernichtet werden. Versteht man die Andeutungstheorie jedoch als reine Formregel, so führt zunächst die Auslegung zur Erbeinsetzung Magdas, die aber gem. § 125 Satz BGB nichtig ist. Folglich tritt von vornherein gesetzliche Erbfolge ein.213 Das Beispiel zeigt die Achillesferse einer unbegrenzten Auslegung, ob mit anschließender Korrektur in der Formprüfung oder ohne: § 2078 Abs. 1 BGB wird ausgehebelt. e) Kritik an der zweistufigen Prüfung Die methodische Vorgehensweise der Rechtsprechung, die Verfügung nach der Auslegung einer Formprüfung zu unterziehen, hat in der Literatur zum Teil Beifall gefunden,214 ist aber weitgehend auf Ablehnung gestoßen.215 Die Kritiker wenden ein, dass ein Wille, der im Testament keinen Niederschlag gefunden hat, nicht nur nicht formgerecht, sondern überhaupt nicht rechtsgeschäftlich erklärt ist.216 Darüber hinaus bestehe die Gefahr überflüssiger prozessualer Ermittlungen. Der Richter müsste jeder Behauptung der Parteien zum vermeintlichen Erblasserwillen nachgehen und umfangreiche Beweisaufnahmen durchführen, die im Ergebnis wegen der fehlenden Andeutung im Testament unergiebig sind.217 Hiergegen wird eingewandt, die Prüfungsreihenfolge, Auslegung vor Formprüfung, habe lediglich materiellrechtliche und keine prozessuale Bedeutung und nötige den Tatrichter nicht zu von vornherein unschlüssigen Beweisaufnahmen.218 Dieser Einwand steht jedoch auf schwachen Füßen. Wenn der BGH selbst Auslegungsgrundsätze erarbeitet und eine Prüfungsreihenfolge vorgibt, dann richtet er sich an niemand anderen als den Richter im Hinblick auf seine praktische Tätigkeit. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der BGH nur dogmatische Ausführungen gemacht hat, die für die Rechtsprechungspraxis nicht bindend sein sollten.
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S. 41. Wieser, AcP 189 (1989) 112 (118). 214 Gerhards, JuS 1994, 642 (645); Stumpf, S. 242; Schmidt-Kessel, WM 1988, SondBeil. 8, 3 (8), der die Prüfungsreihenfolge sogar als logisch zwingend ansieht. Ähnlich Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (665). 215 Leipold, Festschrift Müller-Freienfels, S. 421; Erman/M. Schmidt, § 2084 Rn. 4; R. Foer, S. 163; Lange/Kuchinke, § 34 III 3 b) (S. 783); Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 15. 216 Leipold, JZ 1983, 711 (712); Lange/Kuchinke, § 34 III 2 a) (S. 779). 217 Leipold, Festschrift Müller-Freienfels, S. 421 (428); Olzen, Rn. 563; Kuchinke, JZ 1985, 748 (749). 218 Nieder, ZNotP 1999, 104 (108); Schmidt-Kessel, WM 1988, SondBeil. 8, 3 (8); Scherer, Jura 1988, 302 (305); Wolf/Gangel, JuS 1983, 663 (665). 213
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f) Rückkehr zur alten Andeutungstheorie Die an der Trennung von Auslegung und Form geübte Kritik des Schrifttums blieb nicht ungehört. Anfang 1987, also gut vier Jahre nach der Grundsatzentscheidung BGHZ 86, 41, nahm der BGH219 zu den insbesondere von Leipold220 geäußerten Bedenken gegen die neue Auslegungsmethode Stellung. Die Richter blieben zwar bei der Aussage, dass der Erforschung des wirklichen Willens durch den Wortlaut der Erklärung „prinzipiell keine Grenzen gesetzt“ seien. Damit sei aber nicht gesagt, dass „einer Willenserklärung auch ein solcher Sinn beigelegt werden [dürfe], der in ihr überhaupt nicht zum Ausdruck kommt. Indessen erfordert die Frage nach dem (objektiven) Inhalt der Erklärung bei formgebundenen Verfügungen von Todes wegen im allgemeinen keine zusätzliche Prüfung, weil diese weitgehend mit derjenigen der Wahrung der gesetzlichen Form zusammenfällt.“ Eine ausdrückliche Distanzierung zu BGHZ 86, 41 erfolgt nicht, und als bloße „Klarstellung“ sieht auch die Literatur221 dieses Urteil an. Tatsächlich vollzieht der BGH jedoch eine Rolle rückwärts. Während zuvor betont wurde, die Formfrage stelle sich erst nach der Inhaltsermittlung, so sollen nach jetziger Auffassung beide Prüfungen „weitgehend zusammenfallen“. Die Einschränkung weitgehend macht deutlich, dass der BGH von der von ihm selbst vertretenen Ansicht wieder abrücken will; die Tür zu einer zweistufigen Prüfung soll jedoch noch einen Spalt breit offen bleiben. In welchen Fällen die Trennung von Auslegung und Form erforderlich ist, bleibt schleierhaft. Davon abgesehen ist vollkommen überraschend, dass der BGH von der „Frage nach dem (objektiven) Inhalt“ spricht. Sollen Testamente nun doch objektiv, unter Einschränkung des Auslegungsmaterials, ausgelegt werden? Vom wirklichen Willen würde dann nicht mehr viel übrig bleiben. Eine eigene Sichtweise zur Prüfungsreihenfolge hat das BayObLG222 einige Zeit später kundgetan: Die entsprechende Passage in BGHZ 86, 41 (47) sei „nur im Sinne einer regelmäßigen, nicht aber in jedem Falle zwingenden Prüfungsreihenfolge zu verstehen.“ Das Gericht könne also im Hinblick auf einen angeblich wirklichen Willen des Erblassers zunächst prüfen, ob dieser – unterstellte – Wille im Testament wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck kommt und, falls dies zu verneinen ist, auf eine Ermittlung des wirklichen Willens verzichten. Dieses Verständnis ist, wie ausgeführt, äußerst gewagt, vor allem weil sich das BayObLG auf Teile des Schrifttums stützt, die die in BGHZ 86, 41 vorgegebene Prüfungsreihenfolge strikt ablehnen. Den Beweis für die Notwendigkeit, Auslegung und Form strikt zu trennen, ist die Rechtsprechung somit bis heute schuldig geblieben. In der Sache lässt sich eine Rechtfertigung für diese Trennung tatsächlich nicht finden.
219 220 221 222
FamRZ 1987, 475 (476). JZ 1983, 711 u. Festschrift Müller-Freienfels, S. 421 (430 ff.). MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 10; Olzen, Rn. 562 m. Fn. 633. ZEV 2004, 200 (201).
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5. Kritik an der Andeutungstheorie Das Schwanken der Rechtsprechung in der Behandlung der Auslegungsfrage hat die Andeutungstheorie geschwächt und den Kritikern Auftrieb gegeben. Die Befürworter einer freien Auslegung sind heute wie vor hundert Jahren zahlreich.223 Ihre wichtigsten Argumente sollen im Folgenden überprüft werden. a) Bevorzugung des weitschweifigen Erblassers Manche224 werfen der Andeutungstheorie vor, sie bevorzuge den weitschweifigen Erblasser gegenüber demjenigen, der knapp formuliert. Je ausführlicher das Testament abgefasst sei, desto eher könne sich eine Andeutung für die Absichten des Erblassers finden lassen. Das mag durchaus zutreffen. Aber erfolgt die Bevorzugung denn zu Unrecht? Ist die Verfügung für sich genommen schon objektiv mehrdeutig, dann machen zusätzliche, ausschmückende Bemerkungen dem Richter die Willensforschung doch nur leichter.225 Vermacht der Erblasser etwas „seiner Nichte Martha, die ihn so fürsorglich gepflegt hat“, so kann ein eventuelles Versehen (statt Martha wollte der Erblasser Magda schreiben) viel eher im Wege der Auslegung korrigiert werden als ohne den Zusatz. Den Vorteilen einer weitschweifigen Ausdrucksweise stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Denn wortreiche und umständliche Ausführungen können gerade eine Quelle für Auslegungsschwierigkeiten sein, die es bei knappen Formulierungen nicht gäbe. Zudem macht die Aufnahme von Motiven die Verfügung eher für Anfechtungserklärungen anfällig. Schließlich lässt sich sagen, dass für Verfügungen, die aus Versehen gänzlich vergessen wurden, auch bei einem „geschwätzigen“ Erblasser schwerlich eine Andeutung zu finden sein wird.226
223 Siber, in: Festgabe Reichsgericht III, S. 350; Himmelschein, S. 18; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 135; Danz, S. 288; Lange, Erbrecht, § 33 III 3 b (S. 356); Flume, § 16, 5 (S. 332); Häsemeyer, S. 144; Lüderitz, S. 458; Brox, JA 1984, 549 (557); Brox/Walker, Rn. 200; Harder/Kroppenberg, Rn. 197; MünchKomm/Busche, § 133 Rn. 57; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 28; Bamberger/Roth/Wendtland, § 133 Rn. 26; Foerste, DNotZ 1993, 84; Stumpf, S. 248; Wingerter, S. 187; Petersen, Jura 2005, 597 (599), allerdings nur bezogen auf die ergänzende Auslegung; zur Andeutungstheorie im Rahmen der erläuternden Auslegung nimmt er nicht Stellung. Alle Vorgenannten treten für eine freie, streng subjektive Auslegung ein. Gegen die Andeutungstheorie und dennoch für eine objektive Auslegung Henle, AT, S. 75. 224 Lange, Erbrecht, § 33 III 3 c) (S. 357); Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 200; Harder, Rn. 169; Stumpf, S. 248. 225 Für eine Bevorzugung einer weitschweifigen Ausdrucksweise auch Wieling, Jura 1979, 524 (530); im Ergebnis auch Smid, JuS 1987, 283 (286), 226 Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 8; Olzen, Rn. 572.
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b) Rechtsunsicherheit Die Kritiker der Andeutungstheorie wenden des Weiteren ein, die Andeutungsformel gefährde in hohem Maße die Rechtssicherheit. Es liege in der unkalkulierbaren Entscheidung des Richters, ob er die geforderte (wenn auch noch so unvollkommene) Andeutung des wirklichen Willens in der Erklärung für gegeben hält oder nicht.227 Der Einwand ist im Kern zutreffend. Es sind bereits einige Beispiele genannt worden, bei denen man sich über das Vorliegen einer notwendigen Andeutung trefflich streiten kann. Die Verfechter der Andeutungstheorie haben es bis heute nicht geschafft, die Andeutungsformel auch nur annähernd zu präzisieren, ja sie haben nicht einmal einen ernsthaften Versuch hierzu unternommen. Vielmehr zieht sich die herrschende Meinung hinter die Formulierung zurück, der Erblasserwille müsse zumindest „irgendwie“ in der Testamentsurkunde zum Ausdruck kommen.228 Es ist vollkommen unklar, wonach sich dieses „irgendwie“ bestimmt.229 Nicht besser ist die Wendung, für den Erblasserwillen müsse sich ein noch so „unvollkommener“230 oder „mangelhafter“231 Ausdruck aus dem Testament selbst ergeben. Was hat man sich darunter vorzustellen? Die Folge, dass der Richter mit den schwammigen Formulierungen im Unklaren gelassen wird, dürfte nicht einmal unbeabsichtigt sein. Denn die Rechtsprechung behält sich somit die Möglichkeit vor, stets im Einzelfall zu überprüfen, ob der erforderliche Ausdruck vorhanden ist oder nicht. Aber vielleicht kann man der Rechtsprechung auch gar keinen echten Vorwurf machen, und die Andeutungsformel ist nun einmal nicht besser in den Griff zu bekommen. Diese Einschätzung lässt sich immerhin den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen.232 Und bald nach In-Kraft-Treten des BGB stellte auch von Tuhr233 resignierend fest, dass eine Konkretisierung der Andeutungsformel, obwohl wünschenswert, nicht zu bewerkstelligen sei.
227 Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 200; Smid, JuS 1987, 283 (286); Wieser, JZ 1985, 407 (408); wohl auch Stumpf, S. 248. 228 So bereits in RGZ 160, 109 (111); ähnlich BGHZ 22, 357: „einen irgendwie erkennbaren Ausdruck“. In neurer Zeit etwa in BGHZ 80, 242 (243), wo die bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Testamentsauslegung zusammenfassend dargestellt werden. Die Formel wird in gleicher Weise bei der Auslegung anderer Rechtsgeschäfte, insbesondere von Verträgen, verwandt, z. B. in RGZ 90, 371 (Bürgschaft). 229 So bereits Himmelschein, S. 7 f.; ebenso Smid, JuS 1987, 283 (287); Wingerter, S. 189. 230 RG, WarnRspr 1911, Nr. 335; RGZ 99, 82 (83); BayObLGZ 1988, 165 (169); OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 981 (983) 231 BGH, LM, § 2100 Nr. 2. 232 v. Schmitt, in: Schubert, S. 251: „Die richtige Grenze zu ziehen, ist wesentlich Sache des richterlichen Ermessens.“; Motive V, S. 44 = Mugdan V, S. 24: „Eine zutreffende Vorschrift über die Grenze der Auslegungsfreiheit läßt sich nicht geben. Der Begriff der Auslegung enthält insofern die Grenze, als die Auslegung einen erklärten Willen voraussetzt.“ 233 v. Tuhr II 1, S. 507 Fn. 84: „Ob ein fehlerhafter Wortlaut bei noch so liberaler Auslegung als genügender Ausdruck des wirklich Gewollten gelten kann, läßt sich nicht nach festem logischen Maßstab und daher nicht ohne Willkürlichkeit bestimmen. Und doch muß man der
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aa) Der „versteckte“ Ausdruck: eine Chance für die Geheimsprache? Für das Vorliegen der erforderlichen Andeutung soll es nach der Rechtsprechung ausreichen, dass der wirkliche Wille zumindest „versteckt“234 in der Erklärung zum Ausdruck kommt. Auch bei dieser Wendung gerät man ins Grübeln und ist bemüht, sich einen entsprechenden Fall vorzustellen. Man denke etwa an folgende Situation: Der Erblasser, ein ausgesprochener Rätselfanatiker, formuliert sein Testament derart kunstvoll, dass die zweiten Buchstaben eines jeden Wortes aneinandergereiht ein Vermächtnis ergeben. Ist hier die Verfügung versteckt im Testament enthalten? Gewiss! Die Voraussetzungen der Andeutungsformel wären damit erfüllt. Würde die Rechtsprechung also den Erblasserwillen, vorausgesetzt, er war ernsthaft auf die Geltung des Vermächtnisses gerichtet, positiv berücksichtigen? Dies ist keineswegs gewiss. Der BGH235 hat in einem Fall, in dem ein in Deutschland lebender Jude zur Zeit des Dritten Reiches wegen der damaligen rassischen Verfolgung testamentarisch eine Halbjüdin als Alleinerbin einsetzte, obwohl er sein Vermögen noch weiteren ausgewanderten Personen jüdischer Abstammung vererben wollte, eine Erbeinsetzung in verschlüsselter Form, also durch Verwendung einer Art Geheimsprache, akzeptiert. Er stellte jedoch maßgeblich darauf ab, dass der Erblasser aus zwingenden Gründen seinen wirklichen Willen nicht offen darlegen konnte.236 Der BGH schränkte damit den Anwendungsbereich verschlüsselter Zuwendungen erheblich ein: Der Erblasser müsse sich in einer – auf außergewöhnliche politische Umstände zurückzuführenden – Ausnahmesituation befunden haben. Unter Zugrundelegung der eingangs zitierten Formel, es genüge, dass der Wille versteckt zum Ausdruck kommt, ist dieser Standpunkt inkonsequent. Entweder man lässt eine verschlüsselte Anordnung stets ausreichen oder nie. Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Berücksichtigung einer Geheimsprache des Erblassers liegen auf der Hand. Der Inhalt des Testamentes erschließt sich nicht mehr aus der Testamentsurkunde selbst, sondern aus einer anderen Erklärung, durch die sich das Testament erst entschlüsseln lässt. Der Erblasser könnte etwa in dem obigen Beispiel im Testament selbst den Hinweis geben, dass in dem Testament eine Verfügung versteckt sei und sich der Schlüssel aus einem anderen, nicht formgerechten Schriftstück ergebe. Häsemeyer237 weist zutreffend darauf hin, dass es sich hierbei um ein unzulässiges testamentum mysticum handeln würde. Darin liegt ein starkes Argument gegen die von der Rechtsprechung gebrauchte Andeutungsformel.
Auslegung eine Schranke ziehen, wenn das Erfordernis der Form nicht ganz verflüchtigt werden soll.“ 234 So die Formulierung beispielsweise in BGHZ 80, 242 (243) u. BGHZ 80, 246 (250). 235 BGH, WM 1976, 744. 236 BGH, WM 1976, 744 (745); bestätigt durch BGH, FamRZ 1977, 786 f. und OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 981 (983). 237 S. 280 m. Fn. 82.
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bb) Die Vernachlässigung der Andeutungsformel in der Rechtsprechung Das Problem der Rechtsunsicherheit wurzelt nicht nur in der Andeutungstheorie selbst. Die Rechtsprechung trägt mit ihrer laxen Anwendungspraxis nicht unerheblich zur Verstärkung der Unsicherheit bei. Bisweilen werden Anhaltspunkte aus dem Nichts hervorgezaubert. In einem durch das OLG Brandenburg im Jahr 2003 entschiedenen Fall238 hatte der Erblasser 1967 in der ehemaligen DDR seine Frau, seine Tochter T1, deren Mann und Kinder als Erben eingesetzt. Die beiden anderen Töchter des Erblassers (T2 und T3) blieben unerwähnt. Als Begründung für seine Anordnungen gab der Erblasser in einer maschinenschriftlichen Erklärung an, T2 und T3 hätten die DDR ohne Genehmigung verlassen und daher keinen Nutzen von der Erbschaft. Bei einer eventuellen Änderung der Gesetzeslage sollten sie jedoch den jeweiligen Erbteil der Enkelkinder erhalten. Allein auf diese Erklärung konnte die (Nach-)Erbfolge wegen Formunwirksamkeit nicht gestützt werden. Der in diesem Schreiben ausgedrückte Wille konnte nur bei entsprechender Andeutung im formgültigen Testament Geltung erlangen. Diese Voraussetzung sah das OLG Brandenburg als erfüllt an. Begründung: Der Erblasser habe seine beiden in Westdeutschland lebenden Töchter in dem Testament überhaupt nicht erwähnt!239 Diese Auffassung ist unhaltbar, ja geradezu aberwitzig. Dies war offenkundig auch den Richtern bewusst. Denn sie wichen auf die Hilfsbegründung aus, „dass sogar ein zum Wortlaut des Testaments in Widerspruch stehender, also im Testament nicht angedeuteter Erblasserwille ausnahmsweise berücksichtigt werden kann, wenn der Erblasser aus zwingenden Gründen seinen Willen nicht offen darlegen konnte und daher bewusst eine seine wahre Absicht verdeckende Formulierung verwandt hat“ und verwiesen auf den oben geschilderten Fall der beabsichtigten Einsetzung zweier Jüdinnen im Dritten Reich.240 Jenen Fall für die vorliegende Entscheidung heranzuziehen, war höchst fragwürdig. Denn dort wollte der Erblasser seinen wahren Willen tatsächlich zum Ausdruck bringen, und er tat dies in der Form, dass er Schlüsselbegriffe benutzte. Hier wollte der Erblasser seinen wahren Willen aber gerade nicht in dem Testament niederlegen. Er hat daher auch keine die „wahre Absicht verdeckende Formulierung“ verwandt, sondern es schlicht unterlassen, zugunsten von T2 und T3 zu verfügen. Das OLG Brandenburg ist daher in der Hilfsbegründung richtigerweise von einer fehlenden Andeutung des Erblasserwillens ausgegangen. Dennoch hat es die Nacherbeinsetzung von T2 und T3 bejaht und somit die Andeutungstheorie auf Grund von reinen Billigkeitsgesichtspunkten aufgegeben. Diese Entscheidung verdient keinen Beifall.
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OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 981. FamRZ 2004, 981 (983): „Selbst wenn hierin nur eine äußerst zurückhaltende Andeutung des wirklichen Willens des Erblassers liegt, ist dieser Anhalt unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Andeutungstheorie, den Erblasser vor verfälschenden Behauptungen zu schützen, ausreichend.“ 240 BGH, WM 1976, 744. 239
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Einer unterlassenen Verfügung ist in einem solchen Fall nicht mit der Auslegung beizukommen.241 cc) Maßgeblicher Standpunkt für die Beurteilung der Andeutung Manche Befürworter einer freien Auslegung242 werfen der Andeutungstheorie vor, sie werde ihren eigenen Ansprüchen, nämlich einen zumindest ansatzweise vorhandenen objektivierbaren Anhaltspunkt für den Erblasserwillen im Testament zu fordern, nicht gerecht. Es muss allerdings bezweifelt werden, ob die herrschende Meinung eine solche wie auch immer geartete Objektivierung der Andeutung fordert. Von den Wenigen, die sich überhaupt mit dem Charakter der Andeutung näher beschäftigen, wird ein objektiver Anhalt gerade nicht verlangt. Vielmehr brauche die Andeutung nur vom Standpunkt des Erblassers aus vorzuliegen.243 Freilich lässt sich sagen, dass ein noch so geringer oder unvollkommener Ausdruck spätestens dann zu verneinen ist, wenn der Wille von keinem möglichen Standpunkt aus, also nicht einmal aus Sicht des Erblassers selbst, in der Erklärung einen Niederschlag findet. Ob die Grenzen der Andeutungstheorie so weit zu ziehen sind, ist aber die Frage (s.u. S. 74). dd) Ergebnis Den Gegnern der Andeutungstheorie ist zuzugeben, dass der Gebrauch der Andeutungsformel keine Rechtssicherheit bietet. Denn es fehlt jeder Maßstab, nach dem die Frage, ob der wirkliche Erblasserwille noch im Testament angedeutet ist oder nicht, beantwortet werden soll. Es stimmt zwar, dass die von den Kritikern der Andeutungstheorie propagierte freie Auslegung zu einer weit größeren Verunsicherung führen würde. Denn nach ihr ist jede beliebige Behauptung über den Erblasserwillen und damit über den Inhalt des Testamentes beweiserheblich.244 Dennoch: Die Andeutungstheorie tritt mit dem Anspruch an, im Hinblick auf die Rechtssicherheit entscheidend im Vorteil zu sein. Diesem Anspruch wird sie letztlich nicht gerecht. c) Unvereinbarkeit mit der Regel „falsa demonstratio non nocet“ Hauptkritikpunkt gegenüber der Andeutungstheorie ist die (vermeintlich) fehlende Vereinbarkeit mit dem Grundsatz, dass Falschbezeichnungen unschädlich sind: falsa demonstratio non nocet. Denn Anhaltspunkte für die Gegenstände oder die Personen, die der Erblasser wirklich gemeint hat, sind in den Fällen, in denen die Regel 241 Zutreffend MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 17, der in Fn. 30a allerdings die Entscheidung des OLG Brandenburg als Beispiel für einen auslegungsfähigen Wortlaut anführt. Das ist wiederum offensichtlich widersprüchlich. 242 Scherer, Jura 1988, 302 (304); Wingerter, S. 187. 243 Flume, NJW 1983, 2006 (2008); Kipp/Coing, § 21 Fn. 8 (S. 139); Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 35; Erman/M. Schmidt, § 2084 Rn. 3. 244 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 30a u. 39.
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eingreifen soll, gerade nicht in der Testamentsurkunde vorhanden, sondern nur unter Hinzuziehung von sonstigen Umständen zu ermitteln.245 aa) Rechtliche Bedeutung der falsa-Regel Wer die Regel von der falsa demonstratio als Argument ins Feld führt, setzt selbstverständlich ihre für das geltende Recht verbindliche Kraft voraus. Doch woher bezieht dieser Grundsatz seine Kraft? Bisweilen wird gelehrt, die Unschädlichkeit der Falschbezeichnung sei allgemein anerkannt und entspreche daher Gewohnheitsrecht.246 Ganz so einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Insbesondere bei formbedürftigen Verträgen hat sich ein Teil der Literatur immer gegen die Geltung der falsaRegel ausgesprochen, und auch die Rechtsprechung247 hat, obwohl sie die Regel bisher befolgte, gegen sie Bedenken vorgebracht. Eine allgemeine Überzeugung besteht daher keineswegs.248 Die Geltung der falsa-Regel wird teilweise aus dem „Normgefüge des BGB“ hergeleitet, insbesondere aus den §§ 116, 117, 119 Abs. 1, 133, 154, 155 BGB.249 Der Verweis auf § 133 BGB ist dabei wenig überzeugend, denn ist es gerade die Frage, ob diese Vorschrift zu einer Auslegung rät, die jede Falschbezeichnung richtigzustellen erlaubt. Der Wortsinn des § 133 BGB mag zunächst für die Richtigkeit der These sprechen: Wenn jemand einen bestimmten Gegenstand bezeichnen will und hierfür einen Ausdruck gebraucht, der – dem buchstäblichen Sinne nach – auf einen anderen Gegenstand weist, dann soll sich der Inhalt der Erklärung doch wohl nach dem wirklich Gewollten richten. Dieses Verständnis teilten scheinbar auch die Verfasser des BGB. Für den zweiten Entwurf war mehrfach beantragt worden, dem heutigen § 2078 BGB (§ 1779 E1) den folgenden Absatz anzufügen: „Die unrichtige Bezeichnung des Bedachten oder des Gegenstandes beeinträchtigt die Gültigkeit einer Verfügung nicht.“ Die Aufnahme dieses Passus wurde jedoch „mit Rücksicht auf die allgemeine Bestimmung des § 90 des Entw. II (§ 73 des Entw.)250 für selbstverständlich erachtet“ und daher abgelehnt.251
245 Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 200; Flume, NJW 1983, 2007; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 28. 246 Reinicke, JA 1980, 458 (462); Semmelmeyer, JuS 1996, Lernbogen 9; Staudinger/Wufka, § 311 b Rn. 244 m.w.N. 247 BGHZ 87, 150. 248 Wieling, Jura 1979, 524 (527). 249 Semmelmeyer, JuS 1996, Lernbogen 9, mit unzutreffendem Verweis auf Reinicke, JA 1980, 455 (458 u. 462). 250 § 133 BGB. 251 Protokolle V, S. 49 = Mugdan V, S. 540.
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bb) Falschbezeichnungen im römischen Recht Man muss Zweifel anmelden, ob der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der falsa-Regel tatsächlich so weit fassen wollte, wie er sich bei unbefangener Betrachtung ergibt. Fragt man nach der Herkunft und damit der ursprünglichen Bedeutung der Wendung „falsa demonstratio non nocet“, so ergibt sich ein ganz anderes Bild, als man es üblicherweise von der Rechtsregel hat. Im römischen Recht galt der Grundsatz der Unbeachtlichkeit von Falschbezeichnungen nur mit erheblichen Einschränkungen. Als unschädlich wurden lediglich falsche Zusätze, d. h. an sich überflüssige Beschreibungen angesehen, wenn die Feststellung der bedachten Person oder des vermachten Gegenstandes ansonsten auf Grund der Verfügung möglich war.252 Der Erblasser vermachte beispielsweise253 ein bestimmtes, namentlich bezeichnetes Grundstück, „das ich von X geschenkt erhalten habe“, obwohl er es tatsächlich von Y gekauft hatte. Diese Angabe war unschädlich, weil sie ohne weiteres auch hätte weggelassen werden können. Diese enge Auffassung der falsa-Regel wurde im Übrigen in der Rechtsprechung auch noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein vertreten.254 Die Regel bezog sich also nur auf an sich überflüssiges, „belangloses Beiwerk“255; sie wird daher auch bloß als „Fußnote der Rechtsgeschäftslehre“256 bezeichnet. cc) Anwendungsbereich der „falsa demonstatio“ im heutigen Recht Der Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ wurde im römischen Recht aus der Auslegung von Testamenten heraus entwickelt. Auch dies mag aus heutiger Sicht befremden, wird doch üblicherweise gelehrt, die Regel führe zu einem Vorrang des übereinstimmend Gewollten gegenüber dem objektiven Erklärungswert der Erklärung.257 Als Schulbeispiel wird im Schrifttum258 nach wie vor der „Haa252 Schulz, Gedächtnisschrift Seckel, S. 70 (86 m. Fn. 2); Endemann, § 66 II a 1 (S. 519); v. Lübtow, S. 270 f.; Fischer, JherJb 76 (1926), 1 (22 ff.). 253 Wieling, Jura 1979, 524 (527). 254 Vgl. Sammlung der Entscheidungen des BayOGH 3, 79 (80): „(…) Nachdem aber nach Art. 14 des Notariatsgesetzes alle Verträge, welche die Besitzveränderung an unbeweglichen Sachen betreffen, bei Strafe der Nichtigkeit notariell zu beurkunden sind, so könnte von einer falschen Bezeichnung des Vertragsgegenstandes nur dann die Rede sein, wenn dieser Gegenstand in der Notariatsurkunde selbst in einer Weise ausgedrückt wäre, daß die Beifügung der Steuer-Plannummern nur als nebensächlich, zur bloßen Bezeichnung des Kaufgegenstandes dienlich aufgefaßt werden könnte, was hier gezeigtermaßen nicht der Fall ist.“ Hierzu Zeiler, Gruchot 52 (1908), 224 (232 f.). 255 v. Lübtow, S. 271. 256 Foerste, DNotZ 1993, 84 (86), allerdings im Zusammenhang mit empfangsbedürftigen Willenserklärungen; in die gleiche Richtung Himmelschein, S. 13 m. Fn. 13: „Was die Römer unter dem Ausdruck ,demonstratio verstanden, ist für das heutige Recht ganz belanglos und hat nur für die Geschichte der Auslegungslehre Wert. (…) ,Falsa demonstratio im technischen Sinne war nur ein kleiner Ausschnitt aus dem großen Problem der Auslegung, (…).“ 257 Medicus, Rn. 327; Rüthers/Stadler, § 18 Rn. 13; Köhler, § 9 Rn. 13; Brox/Walker, AT, Rn. 133 u. 244; Löwisch/Neumann, Rn. 137.
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kjöringsköd“-Fall des RG259 angeführt. Die Parteien schlossen einen Kaufvertrag über 214 Fass „Haakjöringsköd“. Die Parteien meinten mit diesem norwegischen Wort „Walfischfleisch“, während es in Wirklichkeit „Haifischfleisch“ bedeutet. Das Ergebnis ist unstreitig. Der Vertrag kommt mit dem gewollten Inhalt zustande. Verkauft ist Walfischfleisch. Umstritten ist allerdings, ob es zur Erreichung dieses Ergebnisses überhaupt der Anwendung der falsa-Regel bedarf. Das RG ist, da die Regel nicht im Urteil erwähnt ist, offenkundig ohne sie ausgekommen, und auch ein Teil der Literatur260 sieht in diesem Beispiel überhaupt keinen Fall der falsa demonstatio. Denn, so wird argumentiert, aus den gesamten Umständen, insbesondere aus den Vorverhandlungen, sei für den Erklärungsempfänger erkennbar geworden, dass Walfischfleisch verkauft werden sollte. Demnach wird das Gemeinte bereits im Wege einer objektiven Auslegung zur Geltung gebracht. Die Heranziehung einer besonderen Regel, nach der die Falschbezeichnung nicht schadet, sei in diesem Fall also unnötig. Freilich führt diese Ansicht zu einer drastischen Reduzierung des Anwendungsbereiches der falsa demonstratio: Die Regel greift allein dann ein, wenn der Empfänger die Erklärung nur ganz zufällig so versteht, wie sie gewollt ist, also nicht, weil sich der wirkliche Wille aus den Umständen ergibt.261 dd) Die falsa demonstatio im Testamentsrecht Welche Bedeutung hat die falsa demonstratio nun in Bezug auf Testamente? Ein Triumph des übereinstimmend Gewollten über das objektiv Erklärte ist hier nicht möglich. Stattdessen soll das subjektiv Erklärte gelten, das gerade aus dem Gewollten gewonnen wird. Stellt man sich von vornherein auf den Standpunkt des Erblassers, so liegt eine Falschbezeichnung ja gar nicht vor: Aus der Sicht des Erklärenden ist die Bezeichnung doch richtig.262 Dennoch ist die Heranziehung der falsa demonstatio auch in diesem Fall gebräuchlich, da die Bezeichnung von einer nach allgemeinen Maßstäben abweichenden Bedeutung – auf die es nicht ankommen soll – abweicht. Das RG263 formulierte so: „Auch bei einseitigen letztwilligen Verfügungen kann eine falsche Bezeichnung insofern vorkommen, als der Erblasser eine Bezeichnung anwendet, unter der er einen bestimmten Gegenstand oder eine bestimmte Person versteht, während andere Personen, welche diese eigenartige Bezeichnungsweise nicht kennen, hierunter etwas anderes verstehen.“ 258 Brox/Walker, AT, Rn. 133; Larenz/Wolf, § 28 Rn. 32; Medicus, Rn. 327; Leipold, AT, § 15 Rn. 30; Kropholler, § 133 Rn. 3. 259 RGZ 99, 147. 260 Wieling, Jura 1979, 524 (525); ihm folgend Foerste, DNotZ 1993, 84 (86). 261 So Wieling, Jura 1979, 524 (525), u. a. mit folgendem Beispiel: Der Verkäufer will 10 Doppelzentner einer bestimmten Ware veräußern, schreibt aber aus Versehen 10 Zentner. Der Empfänger glaubt, ein Zentner habe 100 kg und nimmt das Angebot an. 262 So Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 33; Michalski, Rn. 343. 263 RGZ 70, 391 (393 f.).
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(1) Bewusste Falschbezeichnung Einer „eigenartigen Bezeichnungsweise“ bedient sich ohne weiteres derjenige, der seinen Weinkeller stets „Bibliothek“ nennt und entsprechend testiert. Damit scheint ein typischer Fall der falsa demonstratio vorzuliegen. Die Falschbezeichnung soll unschädlich sein, dem wirklichen Willen soll zum Durchbruch verholfen werden. Dieses Ergebnis ist heute nahezu einhellig anerkannt und zwingend, wenn man auf den Erklärendenhorizont abstellt. Es finden sich aber auch Vertreter der Gegenauffassung. So lässt Krug264 im Bibliotheksfall eine Richtigstellung des Testamentes nicht gelten. Vielmehr sei die Verfügung nach § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB (Inhaltsirrtum) anfechtbar. Denn der Erblasser wolle „subjektiv etwas anderes ausdrücken, als objektiv der Sinn des von ihm dazu benützten Mittels ergeben kann.“ Aber würde man hier wirklich sagen können, es liege ein Inhaltsirrtum vor? Selbstverständlich kennt der Erblasser die eigentliche, objektive Bedeutung des von ihm verwendeten Erklärungsmittels. Insofern irrt er nicht. Es liegt, wenn überhaupt, ein Rechtsirrtum vor, wobei zweifelhaft wäre, ob der Rechtsirrtum überhaupt beachtlich wäre. Der Erblasser verkennt, dass die Bedeutung seiner Worte in rechtlicher Hinsicht – dies muss unterstellt werden – rein objektiv zu bestimmen ist. Unterstellt man mit Krug, dass es bei der Testamentsauslegung eben auf den objektiven Sinn ankommt, so sieht man sich unweigerlich dem Vorwurf ausgesetzt, dem buchstäblichen Sinn gegenüber dem wirklichen Willen den Vorrang einzuräumen und § 133 BGB zu verletzen. Dem widerspricht Himmelschein265, obwohl er selbst ja ein erklärter Verfechter der (streng) subjektiven Auslegung ist: Wenn der Testator seine „Bibliothek“ vermache und nichts im Testament auf den Weinkeller weise, so sei „Bibliothek“ der objektive Sinn der Erklärung. Wer dem Vermächtnis diese Deutung gebe, so Himmelschein, hafte nicht am Buchstaben, sondern interpretiere die Erklärung schlicht objektiv und generell. Den Ausführungen Himmelscheins kann mittelbar entnommen werden, in welchem Fall auch bei objektiver Auslegung vom buchstäblichen Sinn abgewichen werden kann. Es müssen Anhaltspunkte im Testament vorliegen, wonach der Erblasserwille einen anderen Inhalt nahelegt, als er sich aus dem buchstäblichen Sinn ergibt. Diese Auffassung vertritt Henle. Er tritt auch bei der Testamentsauslegung für eine Beschränkung des Auslegungsmaterials ein: „Und zwar wird nicht viel mehr berücksichtigt werden dürfen als das Testament selbst.“266 Er bildet hierzu das Beispiel, dass der Testierende seinem Neffen 100 264 S. 27. Im Ergebnis ebenso, wenn auch unter einer Einschränkung Henle, AT, S. 90: „Nur wenn der Erblasser, der seinen Weinkeller als seine ,Bibliothek zu bezeichnen pflegte, eine Bibliothek überhaupt nicht gehabt hat, mag man seinen Sprachgebrauch zur Auslegung des Testaments benutzen dürfen.“ Demnach hat R. Foer, S. 171 unrecht, wenn er meint, das Ergebnis, „Bibliothek“ müsse im Sinne des Weinkellers verstanden werden, sei unstreitig. 265 S. 12. 266 Henle, Gött.gel.Anz. 1908, 427 (471); im Ergebnis ebenso Krug, S. 27. Allerdings gilt nach Henle die Einschränkung des Auslegungsmaterials nur, wenn der Sinn des Testamentes
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Mark vermacht hat. Wenn aus den beigefügten Ermahnungen und Ratschlägen hervorgeht, dass er versehentlich eine Null vergessen hat, so gehe der wirkliche Sinn auf 1000 Mark. In diesem Fall darf man also nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften. § 133 BGB zielt demnach vor allem auf eine systematische Auslegung ab. Die einzelne Verfügung soll nicht isoliert interpretiert, sondern die übrigen Erklärungen sollen im Testament als Auslegungsmaterial hinzugenommen werden. (aa) Andeutung auf Grund eines besonderen Sprachgebrauchs? Wie steht es nun mit dem von den Gegnern der Andeutungstheorie vorgebrachten Einwand, im Fall der Falschbezeichnung sei die notwendige Andeutung gerade nicht vorhanden?267 Es verwundert nicht, dass die Anhänger der Andeutungstheorie diese Voraussetzung als erfüllt ansehen, auch wenn sich aus dem Testament im Übrigen keine weiteren Anhaltspunkte ergeben. Die Begründungen sind allerdings unterschiedlich. Teilweise wird gesagt, die Andeutung liege bei der bewussten Falschbezeichnung ohne weiteres vor, da es ja auch bei der Frage der Andeutung auf die Sichtweise des Erblassers ankomme.268 Andere stellen dagegen auf den „besonderen Sprachgebrauch des Erblassers ab.“269 Erst wenn der Erblasser den Weinvorrat als Bibliothek „zu bezeichnen pflegte“, sei die nötige Objektivierbarkeit der Umstände gegeben. Darin liegt freilich keine rechte Begründung, sondern eine petitio principii. Warum soll es als objektiver Umstand nicht genügen, wenn der Erblasser einen bestimmten Ausdruck nur ganz gelegentlich verwendet hat? Genauso gut könnte man sagen, es sei vollkommen unerheblich, ob der Erblasser den Ausdruck stets oder nur einmal gebrauchte.270 Im Übrigen wird mit dem Erfordernis des besonderen Sprachgebrauchs eine Voraussetzung ins Spiel gebracht, bei der Abgrenzungsschwierigkeiten vorprogrammiert sind und die so der Rechtssicherheit, die die Andeutungstheorie eigentlich gewährleisten soll, zuwiderläuft. Wie oft muss der Erblasser denn das Wort gebrauchen? Und vor allem: Wem gegenüber muss er es gebrau-
zweifelsfrei ist. Anders dagegen im Fall der „ambiguitas“: Hier müsse „mit Hilfe sämtlicher Mittel“ festgestellt werden, welche der mehreren Deutungen dem letzten Willen des Testators entspricht, Henle, Gött.gel.Anz. 1908, 427 (484). 267 So ausdrücklich für den Bibliotheksfall Harder/Kroppenberg, Rn. 196; Foerste, DNotZ 1993, 84; Scherer, Jura 1988, 302 (304); AnwKomm/Fleindl, § 2084 Rn. 20. 268 So insbesondere Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 35. Vom Vorliegen der erforderlichen Andeutung gehen wohl auch MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 18 und Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 20 aus. 269 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 18: „Dies gilt freilich nicht allein deshalb, weil der Erblasser innerlich den Weinvorrat meinte, sondern im Hinblick auf seinen besonderen Sprachgebrauch.“ Ebenso Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 20. Vom „Sprachgebrauch“ ist auch in BGH, NJW 1993, 256 die Rede. Dazu passt freilich nicht, dass der BGH einige Zeilen weiter den Erblasserwillen als so genannte „innere Tatsache“ ansieht, die der Beweisaufnahme zugänglich sei. 270 So Krug, S. 26 f.
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chen? Reicht es nicht aus, wenn er sich in der entsprechenden Weise wiederholt in seinem Tagebuch ausdrückt, von dem niemand Notiz nehmen soll?271 Die Forderung nach einem wiederholten Gebrauch eines Wortes macht nur Sinn, wenn Dritten, die sich im Umfeld des Erblassers aufhalten, die Ausdrucksweise bekannt sein soll. Wenn man aber einmal auf ihre Position abstellt, dann kann man von vornherein gleich ihren Standpunkt entscheiden lassen.272 Dies ist aber nichts anderes als eine objektive Auslegung, die solche Umstände, die der Erblasser nicht gegenüber anderen kundgetan hat, unberücksichtigt lässt. (bb) Parallele zum geheimen Vorbehalt Die Problematik der Beachtung eines besonderen Sprachgebrauchs wird auch in einer von Schlüter273 gebildeten Abwandlung des Bibliotheksfalls deutlich: Der Erblasser hat seinen Weinkeller nur gegenüber bestimmten Freunden „Bibliothek“ genannt. Seiner Frau zeigt er nun ein Testament, wonach sie Alleinerbin sein soll und die „Bibliothek“ seinem Freund vermacht ist. Nach dem Tode ihres Mannes will die Frau, die nicht weiß, dass hiermit der Weinkeller gemeint war, den Weinkeller verkaufen und tätigt mit Rücksicht auf seinen Wert einige Anschaffungen. In diesem Fall würde die Frau nach allgemeiner Auffassung vermutlich nicht als schutzwürdig angesehen werden.274 Sie hätte eben nicht auf den Inhalt des Testamentes vertrauen dürfen! Dass der Erblasser seine Frau mit der Vorlage des Testamentes vielleicht nur in die Irre führen wollte, wäre dann vollkommen unbeachtlich. Muss man in diesem Fall wirklich Verständnis für den Erblasser haben? Der Gesetzgeber hat, wie gesehen,275 im Zusammenhang mit der Regelung der Mentalreservation gemeint, der Erblasser dürfe mit dem Testament kein Spiel treiben. Genau dies tut er hier aber. Die Parallele zu § 116 Satz 1 BGB liegt durchaus nahe. Henle276 spricht von einer „qualifizierten Mentalreservation“: Der Erklärende wolle nicht nur nicht das Erklärte, sondern an seiner Stelle positiv etwas anderes. Deshalb muss zumindest in den Fällen, in
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Aus diesem Grund eine Berücksichtigung des besonderen Sprachgebrauchs ablehnend gegenüber stehend Henle, Gött.gel.Anz. 1908, 427 (471 f.): „Geht man hier aber weiter bis zu jedem individuellen Sprachgebrauch, so ist alsbald nicht mehr zu ersehen, wo überhaupt noch ein Irrtum über den Inhalt soll ein Unterkommen finden können.“ Zu der Einschränkung, dass nach der Auslegung die Verfügung noch sinnvoll bleiben müsse, s. o. Fn. 264. 272 So Larenz, Auslegung, S. 81: „Ein besonderer Sprachgebrauch des Erblassers kann dabei soweit berücksichtigt werden, als er der Umgebung bekannt ist und dieser darauf rechnen konnte [sic], daß er verstanden würde.“ 273 PdW Erbrecht, S. 80 f. 274 Allerdings hält Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 20 bei vergleichbaren Beispielen, in denen der Erblasser gezielt Missverständnisse erzeugen will, die Grenze der Auslegung für überschritten. 275 s.o. zu Fn. 101. 276 Henle, Treu und Glauben, S. 26 m. Fn. 35, allerdings im Zusammenhang mit vertraglichen Erklärungen. Ähnlich bereits Enneccerus/Lehmann I, § 114 (S. 284).
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denen der Erklärende gerade nicht darauf vertraut, dass der gewollte Inhalt erkannt werde, dem besonderen Sprachgebrauch eine positive Wirkung versagt werden. (cc) Falsa-Regel als Ausnahme von der Andeutungstheorie? Die vorigen Ausführungen dürften die Schwierigkeiten der Andeutungstheorie im Umgang mit der Regel falsa demonstratio non nocet deutlich gemacht haben. Teilweise räumen selbst die Anhänger der Andeutungstheorie ihre Unzulänglichkeit ein, so wie Edenhofer: Die Andeutungsregel werde im Falle einer bloßen Falschbezeichnung durchbrochen. Es handele sich dabei aber nur um eine einfache Ausnahme; die prinzipielle Geltung der Andeutungstheorie werde dadurch nicht in Frage gestellt.277 Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Auslegungsprobleme stellen sich in erster Linie erst dann, wenn der Erblasser seinen Willen entweder unklar oder so ausdrückt, dass der Testamentsinhalt eigentlich auf einen ganz anderen Willen als den wirklichen hindeutet. Gerade in den letzteren Fällen muss sich die Andeutungstheorie bewähren. Es ist widersprüchlich zu sagen, die Andeutungstheorie sei gegenüber einer ganz freien Auslegung vorzugswürdig, wenn es aber darauf ankommt, sprich: wenn die beiden Auslegungsarten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, könne man eben eine Ausnahme von der Andeutungstheorie machen. Denn dadurch wird die Theorie letztlich aufgegeben. (2) Unbewusste Falschbezeichnung Im Vergleich zu den Fällen der bewussten Falschbezeichnung hat der Bereich der unbewussten Falschbezeichnung durch das Schrifttum bisher deutlich weniger Aufmerksamkeit erfahren. Als Anwendungsfall der unbewussten Falschbezeichnung wird praktisch ausschließlich der Erklärungsirrtum nach § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB behandelt. Für die Auslegungsproblematik weitaus interessanter ist jedoch der Inhaltsirrtum nach § 2078 Abs.1 Alt. 1 BGB. (aa) Falschbezeichnung auf Grund eines Inhaltsirrtums Als Inhaltsirrtum fasst man gängigerweise die Konstellation auf, in der der Erklärende über die Bedeutung des von ihm gebrauchten Erklärungszeichens irrt. Er weiß zwar, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt.278 Der Erblasser wendet jemandem beispielsweise sein „Thermometer“ zu in dem Glauben, damit das Barometer richtig 277
Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 4. Diese Widersprüchlichkeit kommt auch an anderer Stelle zum Ausdruck: Einerseits wird gesagt, nur der erkläre Wille sei rechtswirksam (Palandt/ Edenhofer, § 2084 Rn. 4). Andererseits gelte aber, wenn eine Falschbezeichnung vorliege, nicht das Erklärte, sondern das Gewollte (Palandt/Edenhofer, § 2078 Rn. 1; ebenso Bamberger/Roth/ Litzenburger, § 2084 Rn. 14). R. Foer, S. 172 hat diesen Ausspruch zu Recht kritisiert. Er meint – aus der Perspektive der Andeutungstheorie konsequent –, das Gewollte gelte, weil es erklärt sei. 278 Lessmann, JuS 1969, 478 (480).
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bezeichnet zu haben,279 schreibt „Taler“ in dem Irrglauben, ein Taler sei einer Mark gleich,280 oder er vermacht einen Riesen, meint damit aber nur einen 100 E-Schein, während darunter üblicherweise ein 500 E-Schein oder ein Betrag von 1000 E verstanden wird.281 Auf den ersten Blick scheinen dies klare Fälle für die falsa-Regel zu sein. Fragt man danach, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte – so wie es der BGH in letzter Zeit tut282 –, so sollte man den Irrtum im Wege der Auslegung ohne weiteres korrigieren können. Die Verfechter der Andeutungstheorie im Schrifttum sehen dies jedoch offenbar anders. Denn die Voraussetzungen für den Inhaltsirrtum nach § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB sind anscheinend erfüllt, und zur Wahrung ihres Anwendungsbereiches muss der Auslegung nun einmal Einhalt geboten werden.283 Folge: Die Falschbezeichnung schadet doch. Über die Konsequenzen dieser Ansicht sind sich ihre Befürworter möglicherweise nicht im Klaren. Einer Auslegung vom Standpunkt des Erblassers wird damit der Todesstoß versetzt. Zudem verliert das Andeutungserfordernis erneut an Konturen. Ob dem Erblasser die objektiv falsche Bezeichnung bewusst war oder nicht: Das Testament hat beide Male den gleichen Wortlaut. Die Andeutung in dem einen Fall zu bejahen und in dem anderen zu verneinen, ist nicht recht nachvollziehbar. Im Übrigen kann es durchaus sein, dass der Erblasser den Begriff wiederholt falsch verwendet, sodass man es mit einem „besonderen, irrtümlichen Sprachgebrauch“, zu tun hat. Im Bereich des § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB soll der besondere Sprachgebrauch jedoch plötzlich unbeachtlich sein.284 Es ist bezeichnend, dass Otte sich in seiner Kommentierung mit der Feststellung begnügt, bei der unbewussten Falschbezeichnung bestünden Abgrenzungsprobleme zu den Fällen der Irrtumsanfechtung nach § 2078 Abs. 1 BGB.285 Ein Versuch der Abgrenzung wird aber gar nicht erst unternommen. Der Grund liegt auf der Hand: Eine Abgrenzung lässt sich vom Standpunkt der herrschenden Meinung aus zumindest im Hinblick auf den Fall des Inhaltsirrtums tatsächlich gar nicht bewerkstelligen. Entweder man drängt § 2078 Abs. 1 Satz 1 BGB vollständig zurück oder schränkt die Auslegung erheblich ein. Die herrschende Meinung will jedoch weder das eine noch das andere hinnehmen.286 Schließlich ist zweifelhaft, ob in den soeben behandelten Fällen die falsa-Regel zur Anwendung gelangen kann, wenn man die Definition des RG zur Hand 279
Bang, JherJb 30 (1916), 309 (317). Larenz, Auslegung, S. 81. 281 Bork, Rn. 515, s. o. zu. Fn. 30. 282 BGH, FamRZ 1987, 475 (476); BGH, NJW 1993, 256; BGH, NJW-RR 2002, 292. 283 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 19; Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 23; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 47. 284 Inkonsequent daher Larenz, Auslegung, S. 81. 285 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 36 f. u. 47 f. 286 Verharmlosend Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2084 Rn. 17: Die praktischen Unterschiede zwischen den Auffassungen – ob man also die falsa-Regel auch bei einer unbewussten Falschbezeichnung anwendet oder die Lösung über die Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 BGB vorzieht – seien gering. 280
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nimmt. Zwar kann man sagen, dass sich auch derjenige einer „eigenartigen Bezeichnungsweise“ bedient, der die objektive Bedeutung seiner Erklärung nicht kennt. Das RG meint aber bei der allgemeinen Definition der erbrechtlichen falsa demonstratio: „Eine unrichtige Vorstellung liegt dieser Bezeichnung durch den Erblasser, welcher darauf vertraut, daß der Sinn seiner Bezeichnung von anderen nicht verkannt werde, nicht zugrunde.“287 Wem die „wahre Bedeutung“ eines Wortes nicht bewusst ist, der hat zwangsläufig eine falsche Vorstellung vom objektiven Gehalt seiner Erklärung. Man würde auch nicht ohne weiteres sagen, dass derjenige, der sein Barometer „Thermometer“ nennt, den Gegenstand eigenartig bezeichnet und darauf vertraut, der Sinn seiner Bezeichnung werde von anderen erkannt. Das Abstellen auf das Vertrauen des Erklärenden suggeriert, dass ihm die Gefahr eines Missverständnisses bewusst ist.288 Ein derartiges Vertrauen liegt im Fall der unbewussten Falschbezeichnung aber nicht vor. (bb) Falschbezeichnung auf Grund eines Erklärungsirrtums Erfreuliche Einigkeit herrscht im Lager der Andeutungstheorie darüber, dass in den Fällen des Erklärungsirrtums nach § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB die Andeutungsformel und die falsa-Regel sich nicht in die Quere kommen.289 Irrt der Erklärende bereits über das verwendete Erklärungszeichen, schreibt er aus Versehen „Martha“ statt „Magda“290 oder „Waffensammlung“ statt „Wappensammlung“291, so kann dem wirklichen Willen keine Geltung verschafft werden. Von einer „eigenartigen Bezeichnungsweise“ kann in diesen Fällen keine Rede sein. Selbst wenn man den individuellen Sprachgebrauch des Erblassers zugrundelegt, liegt kein Anwendungsfall der falsa-Regel vor.292 Der Erblasser würde nicht sagen, dass er „Martha“ oder die „Wappensammlung“ falsch bezeichnet, sondern dass er versehentlich eine ganz andere Person eingesetzt oder einen anderen Gegenstand vermacht hat. Insofern würde auch bei subjektiver Auslegung die notwendige Andeutung für den Erblasserwillen fehlen.293 Die Möglichkeit des Erklärungsirrtums zeigt übrigens, dass es nicht unproblematisch ist, wenn man, wie der BGH294, bei der Auslegung nur untersucht, was der Erb287 RGZ 70, 391 (394). Das RG würde damit das Beispiel Schlüters wohl anders entscheiden. Denn der Erblasser vertraute gerade nicht darauf, dass seine Ehefrau den Inhalt nicht verkennen werde. 288 Ähnlich Himmelschein, S. 34, der dem RG vorwirft, das Anwendungsgebiet der falsa demonstratio auf einige Schulbeispiele zu reduzieren. 289 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 19; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 49; R. Foer, S. 173 f. 290 s.o. zu Fn. 115. 291 Enneccerus/Lehmann II, § 205 1 a f (S. 562). 292 R. Foer, S. 174, der vom „entscheidenden (!)“ Unterschied zwischen bewusster und irrtümlicher Falschbezeichnung spricht. 293 Nach Larenz/Wolf, § 28 Rn. 97, gilt daher nur eine „abgeschwächte Andeutungstheorie“. 294 s.o. zu Fn. 282.
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lasser mit seinen Worten sagen wollte. „Mit seinen Worten“ wollte der Erblasser, der sich verschrieben hat, überhaupt nichts sagen. Er wollte schließlich einen ganz anderen Ausdruck verwenden. Die vom BGH gebrauchte Formel führt insoweit ins Leere. ee) Ergebnis Durch den Hinweis auf die mögliche Unvereinbarkeit mit der Regel falsa demonstratio non nocet gerät die Andeutungstheorie in arge Bedrängnis. Sie will die Regel grundsätzlich gelten lassen, gleichzeitig aber den Anwendungsbereich des § 2078 Abs. 1 BGB nicht beschneiden. Die Fälle des Erklärungsirrtums will die herrschende Meinung vom Anwendungsbereich der falsa-Regel von vornherein ausnehmen; beim Inhaltsirrtum kommt es dagegen zum Schwur. Wer den Boden des Gesetzes nicht verlassen will, muss die Auslegung einschränken. Folglich schadet die Falschbezeichnung doch.
6. Objektive, nicht subjektive Testamentsauslegung Je weiter die Anforderungen an den erforderlichen Anhalt des Erblasserwillens in der Testamentsurkunde aufgeweicht werden, desto mehr verliert die Andeutungstheorie an Überzeugungskraft. Sie kann ihrem Anspruch, für ein Mindestmaß an Rechtssicherheit zu sorgen, nur dann gerecht werden, wenn sie einen festen Bezugspunkt hat. Dieser Bezugspunkt muss an objektive, für jedermann erkennbare Gegebenheiten anknüpfen. Sobald dieser Grundsatz beherzigt wird, hat man sich von einer subjektiven Auslegung verabschiedet. Testamente werden dann objektiv ausgelegt. a) Beschränkung des Auslegungsmaterials auf „objektive Umstände“ Das Anknüpfen an objektive Gegebenheiten wird am deutlichsten dadurch bewerkstelligt, dass man das Auslegungsmaterial grundsätzlich auf das Testament beschränkt und alle anderen Umstände ausscheidet. Hierzu kann sich jedoch weder die Rechtsprechung noch die Literatur295 durchringen. Es wurde allerdings gezeigt, dass auch die Rechtsprechung mitunter die Tendenz erkennen lässt, in der Sache für eine objektive Testamentsauslegung zu plädieren. So hat der BGH die Behauptung aufgestellt, dass es bei der Testamentsauslegung um die „Frage nach dem (objektiven) Inhalt“296 geht. Ansonsten gilt aber das Wort „objektiv“, wenn es um Testamente geht, als rotes Tuch. Ein eindrucksvolles Beispiel liefert Leipold mit der Erläuterung der Testamentsauslegung beim Übergang von der dritten zur vierten Auflage des Mün295
Mit wenigen, allerdings beachtenswerten Ausnahmen, s. o. zu Fn. 266. BGH, FamRZ 1987, 475 (476). Ähnlich Michalski, Rn. 339: Im Falle der unbewussten Falschbezeichnung gelte die Verfügung mit ihrem objektiv eindeutigen Gehalt. Offenbar hat Michalski diese Formulierung aus der Kommentierung Leipolds im Münchener Kommentar (§ 2084 Rn. 16) übernommen. Leipold ist von dieser Passage später wieder abgerückt, s. sogleich im Text. 296
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
chener Kommentars. In der Kommentierung zur dritten Auflage heißt es noch wörtlich: „Es bleibt also zwar bei einer objektiven Deutung des Sinnes, aber der Auslegende hat sich dabei in die Position des Erblassers hineinzudenken (…)“297. Hier wird zunächst das Wort „objektiv“ betont, unmittelbar danach aber die rein subjektive Auslegungsmethode beschrieben. Leipold sah sich im Nachhinein gezwungen, diesen Widerspruch aufzuheben,298 scheute jedoch offensichtlich den Begriff „subjektive Auslegung“, da er eine reine Willensforschung ablehnte.299 Was sollte nun mit dem Wörtchen „objektiv“ geschehen? Leipold strich es einfach weg, und aus der „objektiven Deutung des Sinnes“ wurde schlicht die „Deutung des Sinnes der Erklärung“300, womit die Frage, um was für eine Deutung es sich handelt, völlig offen bleibt. In ähnlicher Weise verfuhr Leipold auch an anderen Stellen: Die „objektiven Umstände“ verwandelten sich in „konkrete, verfahrensfehlerfrei festgestellte Umstände“301, die „objektive Auslegungsfähigkeit“ wurde zur „Auslegungsfähigkeit innerhalb des allgemeinen Sprachgebrauchs“302, und ein Abschnitt, der von der „in dem Sprachgebrauch liegenden Objektivierung“303 handelt, ist gänzlich weggefallen. Eine Änderung der Auffassung in der Sache dürfte dem Ganzen nicht zugrunde liegen. Der Kampf richtet sich allein gegen die Vokabel „objektiv“; sie soll ausradiert werden, damit jeglicher Verdacht, im Lager einer womöglich willensfeindlichen Auslegung zu stehen, im Keim erstickt wird. Dabei kämpft Leipold gegen Windmühlen. Denn er will bei der Testamentsauslegung – wie die ganz herrschende Meinung – sämtliche relevanten Nebenumstände berücksichtigen und bei „subjektiven Erklärungen“ nur vorsichtiger agieren als bei „objektiven Umständen“.304 Diese Differenzierung ist zumindest fragwürdig. Was sind subjektive Erklärungen des Erblassers im Unterschied zu objektiven? Wenn ein Testamentsentwurf oder irgendeine beiläufige Notiz den wahren Willen des Erblassers erhellt, stellt dieses Schriftstück nicht einen objektiven Umstand dar? In Wirklichkeit müsste man doch, wenn man für eine subjektive Testamentsauslegung eintritt, besonderen Wert auf alle „subjektiven Erklärungen“ legen.
297 MünchKomm/Leipold3, § 2084 Rn. 14. Die Formulierung ist ohnehin unzutreffend: Nicht der Sinn wird gedeutet, sondern die Erklärung, und durch ihre Deutung wird der Sinn ermittelt. 298 Vielleicht missfiel ihm auch die Einschätzung von Wieser, AcP 189 (1989), 112 (118), er (Leipold) frage von vornherein danach, wie das Testament objektiv zu verstehen sei. 299 MünchKomm/Leipold4, § 2084 Rn. 6 f. 300 MünchKomm/Leipold4, § 2084 Rn. 17. 301 MünchKomm/Leipold3, § 2084 Rn. 14 einerseits und MünchKomm/Leipold4, § 2084 Rn. 17 andererseits; am Ende der Rn. 18 tauchen die objektiven Umstände allerdings wieder auf, ebenso Rn. 28 a.E. 302 MünchKomm/Leipold3, § 2084 Rn. 15 einerseits und MünchKomm/Leipold4, § 2084 Rn. 18 andererseits. 303 MünchKomm/Leipold3, § 2084 Rn. 15 (Hervorhebung im Original). 304 MünchKomm/Leipold4, § 2084 Rn. 27 f.
III. Die ergänzende Auslegung
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b) Strengere Auslegung von Testamenten als von Verträgen? Mit der Forderung nach einer wie auch immer gearteten Andeutung läuft die Testamentsauslegung Gefahr, in einen Wertungswiderspruch zur Vertragsauslegung zu geraten. Im Bereich formbedürftiger Verträge steht die Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass eine Andeutung entbehrt werden kann, wenn die Vertragsparteien übereinstimmend etwas anderes wollten, als sie objektiv erklärt haben (falsa demonstratio non nocet).305 Indem diese Ausnahme bei Testamenten trotz der Geltung der falsa-Regel gerade nicht gemacht wird, scheinen Testamente tatsächlich strenger – im Sinne von: objektiver – gewertet zu werden als vertragliche Erklärungen. Wieacker306 nennt dieses Ergebnis „paradox“, ebenso hält Brox307 die Rechtsprechung in Bezug auf Verträge und Testamente für unvereinbar. Bedeutet dies nun, dass die Andeutungstheorie bei der Testamentsauslegung nicht mehr aufrechterhalten werden kann? Genauso gut kann man den Widerspruch auch in die andere Richtung auflösen und die Schrauben bei der Vertragsauslegung wieder enger anziehen. Dies beabsichtigte eigentlich auch der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1983, nur wollte er nicht von der durch die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung entstandene Kontinuität abweichen.308
III. Die ergänzende Auslegung Nach der bewegten Zeit Anfang der 80er Jahre scheint in der Rechtsprechung auf dem Gebiet der erläuternden Auslegung Ruhe eingekehrt zu sein. Der BGH ist zur „alten“ Andeutungstheorie zurückgekehrt und löst mit ihrer Hilfe die in letzter Zeit rar gewordenen Streitigkeiten ohne großes Aufsehen. Die Musik spielt heute mehr und mehr im Bereich der so genannten ergänzenden Auslegung. Hierbei geht es nicht mehr bloß um die Ermittlung des eigentlichen Testamentsinhalts, sondern darum, das Testament den veränderten Umständen anzupassen und einen „neuen Inhalt“ zu kreieren. Man muss daher zweifeln, ob es sich in diesen Fällen noch um echte Auslegung handelt. Manche309 sprechen bewusst von einer Testamentsergänzung in Abgrenzung zur Auslegung. Die ganz überwiegende Auffassung310 sieht die Sache nicht so eng. Sie billigt der Auslegung ohne Bedenken auch eine ergänzende Funktion zu.
305
BGHZ 87, 150 (155). JZ 1967, 385 (389). Die Kritik Wieackers richtete sich unmittelbar gegen Larenz, der bei der Testamentsauslegung Manigks Spuren gefolgt war und das Verständnis des „zur Kenntnisnahme regelmäßig bestimmten Personenkreises“ (Auslegung, S. 80) für maßgeblich hielt. 307 JA 1984, 549 (556). 308 BGHZ 87, 150 (156). 309 v. Lübtow, S. 297 m. Fn. 19; Harder/Kroppenberg, Rn. 172. 310 Vgl. nur Kipp/Coing, § 21 III 5 (S. 141 ff.); Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 8. 306
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
1. Das Vorliegen einer Lücke als Voraussetzung für die ergänzende Auslegung Das Bedürfnis nach Ergänzung besteht immer nur bei etwas Unvollständigem oder Lückenhaftem. Dass auch Testamente Lücken aufweisen können, die der Richter im Streitfall zu schließen hat, wird heute von der ganz herrschenden Meinung anerkannt.311 Man unterscheidet gemeinhin zwischen anfänglichen und nachträglichen Lücken, je nachdem, ob der Mangel schon bei Testamentserrichtung vorliegt (selten) oder erst im Nachhinein auf Grund späterer Entwicklungen entsteht (so im Normalfall).312 Von nachträglichen Lücken zu sprechen ist freilich etwas schief, wenn nicht gar irreführend, denn man kann kaum sagen, dass die letztwillige Verfügung ursprünglich vollständig war. Das Testament ändert ja bis zum Zeitpunkt, in dem es Wirkung entfaltet, seine Gestalt nicht. Würde dem Erblasser während des Testierens die Möglichkeit zukünftiger Veränderungen vor Augen geführt, würde – und müsste – er die entsprechenden Umstände in irgendeiner Weise berücksichtigen. Insofern würde er das Testament von vornherein als lückenhaft beurteilen. a) Planwidrigkeit der Lücke Es ist klar, dass die Lücke im Testament planwidrig sein muss. Verfügt der Erblasser bewusst nur über einen Teil seines Vermögens, weil der übrige Teil der Erbschaft nach der gesetzlichen Erbfolge verteilt werden soll (§ 2088 BGB), dann kommt eine ergänzende Auslegung nicht in Betracht. Das Testament enthält zwar eine gewisse Lücke. Aber weil die Lücke gewollt ist, kann sie nicht durch eine willensorientierte Auslegung geschlossen werden. Vielmehr greifen ergänzend die gesetzlichen Regeln ein. In den Fällen, in denen der Erblasser gewisse Veränderungen bereits voraussah oder für möglich hielt, hierfür im Testament jedoch keine Vorkehrungen getroffen hat, würde man erst gar nicht vom Vorliegen einer Lücke sprechen.313 Die Lückenhaftigkeit des Testamentes kann somit nie bloß objektiv, sondern muss immer aus der Sicht des Testierenden bestimmt werden.314 b) Lücke nur bei Undurchführbarkeit einer Verfügung? Das Hauptanwendungsgebiet der ergänzenden Auslegung liegt in der Veränderung solcher Umstände, durch die eine letztwillige Verfügung undurchführbar oder 311 Der ergänzenden Auslegung überhaupt ablehnend gegenüber stehen Braga, Gedächtnisschrift Schultz, S. 41 (46) und Zöllner, JuS 1984, 985 (989). 312 Nieder, ZNotP 1999, 183 (184). 313 Lange/Kuchinke, § 34 III 6 a) (S. 788). 314 Soergel/Loritz, § 2084 Rn. 38: Eine Lücke „ist gegeben, wenn für etwas eine Regelung fehlt, das der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage geregelt hätte, aber irrtümlich oder unbewusst nicht geregelt hat.“
III. Die ergänzende Auslegung
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ihr Zweck unerreichbar wird.315 Wird die Verfügung hinfällig, stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Regelung ergänzend an ihre Stelle treten soll. Doch soll nach der Rechtsprechung eine ergänzende Auslegung auch dann in Betracht kommen, wenn der im Testament niedergelegte erklärte Wille ohne weiteres umgesetzt werden kann und nach objektiven Gesichtspunkten eine Lücke vollkommen fernzuliegen scheint. So hatte in einer Entscheidung des BayObLG316 die Erblasserin verfügt, dass nach ihrem Ableben ihr Vermögen auf ihre Tochter T und deren (zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung einzigen) Sohn S1 übergehen soll. Noch vor dem Erbfall bringt die Tochter einen weiteren Sohn S2 zur Welt. An sich ist das Testament vollständig. Die Erbschaft ist in vollem Umfang an T und S1, und zwar zu je 12 (§ 2091 BGB), verteilt. Das Gericht entschied jedoch, dass mit der Geburt des zweiten Enkels eine Lücke entstanden sei, da der zweite Enkel im Testament nicht berücksichtigt war. Hätte die Erblasserin gewusst, dass ihre Tochter noch ein zweites Kind bekommen würde, hätte sie auch dieses Kind bedacht. Zur Ausfüllung dieser Lücke musste somit auch S2 in die Erbenstellung einrücken. Formell brauchte das Testament daher nur um einen weiteren Namen ergänzt zu werden. Inhaltlich handelt es sich jedoch nicht bloß um eine Erweiterung. Hätte die Erblasserin ausdrücklich geschrieben: „T und S1 erhalten je die Hälfte des Nachlasses“, so wäre deutlich geworden, dass es nicht nur um eine Ergänzung, sondern um eine Reduzierung der Erbquoten ging. Im Übrigen blieb noch zu klären, zu wessen Lasten die „ergänzende“Auslegung gehen sollte. Da in dem Testament die Erbteile von T und S1 nicht bestimmt waren, hätte es nahegelegen, jedem Erben letztlich 13 des Nachlasses zuzugestehen (§ 2091 BGB!). Der Richter ließ jedoch den Erbteil der T unangetastet und sprach S1 und S2 je ein Viertel zu.
2. Rechtfertigung der ergänzenden Auslegung Die Analyse der Entscheidung des BayObLG drängt dazu, die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung grundsätzlich zu hinterfragen. Überschreitet der Richter dadurch nicht seine Befugnisse?317 Ist es nicht Aufgabe des Erblassers, auf nachträgliche Veränderungen zu reagieren und einer neuen Situation durch Neutestieren zu begegnen? Es steht ihm doch jederzeit frei, das Testament zu ergänzen oder zu widerrufen. So hätte auch in der vorigen Entscheidung die Erblasserin das Testament nach
315
Olzen, Rn. 579. FamRZ 1991, 982. 317 Man braucht den Fall nur in der Weise abzuwandeln, dass nicht die Tochter der Erblasserin, sondern die Erblasserin selbst noch nachträglich ein Kind bekommt. In der Struktur weisen beide Konstellation keinen wesentlichen Unterschied auf. Doch verbietet sich in der Abwandlung eine ergänzende Auslegung, da der Fall speziell in § 2079 BGB geregelt ist: Das Testament ist lediglich anfechtbar. Für einen Vorrang der Testamentsergänzung und für eine Ausschaltung des § 2079 BGB auch insoweit v. Lübtow, S. 300. 316
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
der Kenntniserlangung von der Geburt des zweiten Enkelkindes ändern können.318 Will man dem Erblasser nicht die Verantwortung für ein sorgfältiges Testieren abnehmen, wäre es konsequent, die ergänzende Auslegung generell auf die Fälle zu beschränken, in denen der Erblasser es nicht mehr in der Hand hatte, das Testament den veränderten Verhältnissen anzupassen, ihm das Ausbleiben der Ergänzung also nicht zuzurechnen war.319 Dadurch würden die Fälle der ergänzenden Auslegung freilich drastisch reduziert werden. Letztlich werden die Voraussetzungen für ihren Ausschluss in der Literatur jedoch weitaus enger gezogen: Der Erblasser müsse die Lückenhaftigkeit des Testamentes erkannt haben. Nur wenn er es in diesem Bewusstsein unterlässt, neu zu verfügen, würde sich eine ergänzende Auslegung verbieten.320 Die Rechtsprechung betont dagegen, dass die Erlangung der Kenntnis von der Lückenhaftigkeit des Testamentes zwar für die Ermittlung des hypothetischen Willens erheblich sein könne, die ergänzende Testamentsauslegung aber nicht ausschließe.321 Wollte man die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung davon abhängig machen, ob dem Erblasser eine Änderung des Testamentes tatsächlich noch möglich war oder nicht, müsste die ergänzende Auslegung erst recht ins Spiel kommen, wenn die Änderung der Sachlage nach dem Erbfall eintritt. Die allgemeine Tendenz geht jedoch genau in die andere Richtung. Die ergänzende Auslegung soll in diesem Fall zwar nicht ausgeschlossen sein, es soll jedoch vorsichtiger mit ihr verfahren werden.322 Zum einen stünden Belange der Rechtssicherheit entgegen, da die Verfügung bereits Wirksamkeit erlangt habe. Zum anderen habe der Erblasser die Anordnungen gerade im Hinblick auf den Zeitpunkt des Erbfalls treffen wollen.
3. Rechtsgrundlage Über die Zulässigkeit der ergänzenden Testamentsauslegung herrscht, wie gesagt, weitgehend Einigkeit, nicht dagegen darüber, wie die Zulässigkeit aus dem Gesetz begründet werden kann. Das ist nicht verwunderlich, denn die ergänzende Auslegung von Verträgen wird üblicherweise allein auf § 157 BGB gestützt, § 133 BGB also ge318 In dem Fall BayObLG, FamRZ 1991, 981 bestand die zusätzliche Besonderheit darin, dass es sich um ein gemeinschaftliches Testament handelte. Der Ehemann der Erblasserin war vorverstorben. Daher könnte die Erblasserin gemeint haben, das Testament nicht mehr ändern zu dürfen. Auf eine irrige rechtliche Bewertung darf man freilich keine Rücksicht nehmen und aus diesem Grund eine Ergänzung für zulässig erachten. 319 In diese Richtung wohl Michalski, Rn. 342. 320 Lange/Kuchinke, § 34 III 6 a) (S. 787 f.): Der hypothetische Wille dürfe nicht mit dem wirklichen Willen, der in der Untätigkeit zum Ausdruck kommt, in Widerspruch stehen. 321 So etwa in der behandelten Entscheidung BayObLG, FamRZ 1991, 981 (983), mit der wenig überzeugenden Begründung: „Die spätere Kenntnis von der Geburt des zweiten Sohnes beseitigt nicht rückwirkend die fehlende Kenntnis und nachträglich die Testamentslücke zur Zeit der Testamentserrichtung.“ 322 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 85; MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 106.
III. Die ergänzende Auslegung
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rade nicht für anwendbar gehalten.323 Nun soll § 157 BGB ausgerechnet für Testamente nicht gelten. Das stört jedoch die wenigsten. Dann wird eben doch wieder § 133 BGB herangezogen,324 oder auch § 2084 BGB325 oder am besten beide Normen zusammen.326 Der Hinweis auf § 133 BGB ist verfehlt. Der wirkliche, reale Wille stellt so ziemlich das genaue Gegenteil vom hypothetischen, irrealen Willen dar. Ebenso wenig passt § 2084 BGB, da er sich auf die Ermittlung des bloßen „Inhalts“ des Testamentes beschränkt; die ergänzende Auslegung geht gerade über die bloße Inhaltsermittlung hinaus (s. o. S. 81).327 Eher lässt sich die ergänzende Auslegung an speziellen Auslegungsregeln des BGB wie etwa §§ 2069, 2169 Abs. 3, 2172 Abs. 2, 2173 BGB festmachen.328
4. Die „stillschweigende“ Einsetzung eines Ersatzerben In § 2069 BGB bringt das Gesetz die Möglichkeit einer „stillschweigenden“ Einsetzung eines Ersatzerben zum Ausdruck. Der Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst lediglich die Zuwendung an einen Abkömmling. Die Rechtsprechung sieht in § 2069 BGB jedoch einen Anhaltspunkt dafür, dass auch in anderen Fällen, in denen der eingesetzte Erbe vor dem Erbfall verstorben ist, ein Ersatzerbe gekürt werden kann. Hierbei handelt es sich um einen zentralen Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung.329 Auf ihn sollen sich die folgenden Ausführungen im Wesentlichen beschränken.330 Das RG hat in diesem Zusammenhang die allgemeinen Voraussetzungen und die Methode der ergänzenden Auslegung formuliert. Die grundlegende Entscheidung, auf die die Rechtsprechung in der Folgezeit immer wieder zurückgegriffen hat, soll zunächst dargestellt werden.
323 324
Z.B. BGHZ 9, 273 (276 ff.). BayObLG, FamRZ 1992, 355 (356); Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 201; Löhnig, Fall 9,
Rn. 8. 325
Michalski, Rn. 348. BGH, FamRZ 1962, 256 (257); BayObLGZ 1982, 159 (163); OLG Hamm, FamRZ 1987, 639 (641); OLG Hamm, FamRZ 1991, 1483; Olzen, Rn. 577; Leipold, Erbrecht, Rn. 391. 327 So auch im Wesentlichen, wenn auch vorsichtiger MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 38: Die ergänzende Auslegung lasse sich zwar „nicht unmittelbar“ auf die §§ 2084, 133 BGB stützen, aber doch immerhin auf den Zweck des § 2084 BGB, „nicht angesichts des Testaments vorschnell auf die gesetzliche Erbregelung zurückzugreifen.“ 328 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 69; Michalski, Rn. 348; Frank, § 7 Rn. 7. 329 Mit Hilfe der ergänzenden Auslegung werden insbesondere auch Fälle der sachlichen, wirtschaftlichen (Inflation) und politischen (deutsche Wiedervereinigung) Veränderungen gelöst, vgl. MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 105 ff. 330 Die folgenden Ausführungen finden sich zum Großteil in meinem Aufsatz in ZEV 2005, 510. 326
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
a) Die Grundsatzentscheidung RGZ 99, 82 Die kinderlos gebliebene Erblasserin hatte ihre Nichte und ihren Neffen als Erben eingesetzt. Einige Zeit nach der Testamentserrichtung starb der Neffe und ein Jahr darauf die Erblasserin. Durch den Wegfall des Neffen vor dem Eintritt des Erbfalls ist die Verfügung zu seinen Gunsten an sich hinfällig geworden. § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB sieht für diesen Fall vor, dass der Erbteil der Nichte anwächst, sie also allein erbt. Die neun Kinder, die der Neffe hinterlassen hat – ein zehntes war auch noch vor dem Erbfall verstorben – würden demnach leer ausgehen. Um dieses Ergebnis zu vermeiden und das Anwachsungsrecht der Nichte auszuschalten (§ 2099 BGB), hätte die Erblasserin ihre Großneffen und -nichten als Ersatzerben einsetzen müssen. Dafür gab das Testament jedoch nichts her – meinten jedenfalls einmütig Nachlassgericht, Landgericht und Kammergericht in den Vorinstanzen. Anders das Reichsgericht: Wie sich aus § 2069 BGB ergebe, könne bereits in der Einsetzung des A ein der „ausdehnenden Auslegung“ fähiger Ausdruck für eine Ersatzerbeneinsetzung des B gesehen werden.331 Dass die Erblasserin an die Möglichkeit des Vorversterbens eines eingesetzten Erben nicht gedacht haben mag, sei unerheblich. Im Wege der ergänzenden Auslegung müsse gerade ermittelt werden, „was nach der Willensrichtung des Erblassers zu der Zeit, da die Verfügung von ihm getroffen wurde, als von ihm gewollt anzusehen ist, sofern er vorausschauend das spätere Ereignis bedacht haben würde.“332 Hätte die Erblasserin den eingetretenen Fall vorausbedacht, so könnte sie – wofür hier einiges spreche – das Einrücken der Kinder ihres Neffen gewollt haben.333 b) Die Ermittlung der „Willensrichtung“ als Auslegungsziel Die im Konjunktiv gehaltenen Formulierungen machen deutlich, dass es bei dieser Art der Auslegung nicht um die Geltung des wirklichen Willens geht, sondern um einen bloß hypothetischen, also irrealen Willen. Das hat das RG zwar noch nicht in der Entscheidung im 99. Band offen ausgesprochen, sondern erst ein Jahrzehnt später.334 Man kann jedoch kaum davon ausgehen, den Richtern am RG sei dieser Unterschied in der früheren Entscheidung noch nicht vollends bewusst gewesen. Umso merkwürdiger erscheint es, dass bei der Rechtfertigung der ergänzenden Auslegung im Grundsatzurteil § 133 BGB zitiert wird,335 der doch gerade den wirklichen Willen 331
RGZ 99, 82 (86). RGZ 99, 82 (85) und seitdem ständige Rechtsprechung, z. B. RGZ 134, 277 (280); BGH, NJW 1963, 1150 (1151); BayObLG, FamRZ 1989, 1348 f. 333 Letztlich ließ das RG die Frage unbeantwortet und verwies die Sache an das Nachlassgericht zurück. 334 RGZ 134, 277 (280). 335 RGZ 99, 82 (84): „(…) vielmehr hat in diesen Fällen die Feststellung der Willensrichtung des Erblassers ohne jede Einschränkung durch eine positive Vorschrift der richterlichen Auslegung (§ 133 BGB) anheimgegeben werden sollen.“ 332
III. Die ergänzende Auslegung
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als Auslegungsziel vorgibt und den hypothetischen Willen, anders als etwa § 140 BGB336, nicht kennt. Bei genauer Betrachtung fällt jedoch auf, dass sich das RG weder auf den wirklichen noch auf den hypothetischen Willen bezieht, sondern auf die Feststellung der „Willensrichtung“. Ist damit eine neue Willenskategorie, ein ganz neues Auslegungsziel aus der Taufe gehoben worden? Was das RG mit dem Begriff „Willensrichtung“ gemeint hat, lässt sich für den vorliegenden Fall mittelbar aus den weiteren Ausführungen erschließen. Es komme entscheidend darauf an, ob die Erblasserin die Zuwendung gerade nur der von ihr bedachten Person oder dem ganzen Stamm hat gelten lassen wollen. Der Richter hat also nicht nur den eigentlichen Sinn der Verfügung zu ermitteln, sondern auch der Frage nachzugehen, in welcher Eigenschaft, also vor welchem Hintergrund die bedachte Person eingesetzt werden sollte. Das Schrifttum versteht unter Willensrichtung das der Verfügung übergeordnete „Ziel“337 oder auch die „reale Einstellung“ oder „Motivation“338 des Testierenden. Dieses Ziel bilde den „gemeinsamen Nenner“339 für wirklichen und hypothetischen Willen. In RGZ 134, 277 (280) ist der Begriff „Willensrichtung“ dementsprechend durch „Willenseinstellung“ ersetzt worden.
c) Ablehnung einer Analogie zu § 2069 BGB Auf die in RGZ 99, 82 ff. aufgestellten Grundsätze aufbauend ist der Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung bis heute immer weiter ausgedehnt worden. Manche Gerichte sind dabei bemüht, sich nicht allzu weit vom gesetzlichen Vorbild zu entfernen und sprechen von einer „ausdehnenden Anwendung des § 2069 BGB“.340 Ganz überwiegend betont die Rechtsprechung jedoch, dass die „Sondervorschrift“ des § 2069 BGB nicht auf andere Fälle entsprechend angewendet werden könne, ohne freilich eine rechte Begründung zu liefern.341 Bei der Durchsicht der Entscheidungen wird man den Eindruck nicht los, dass es sich in der Sache doch um den Fall einer Analogie zu § 2069 BGB handelt. Denn es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der dem § 2069 BGB zugrundeliegende Rechtsgedanke nicht nur für diesen Sonderfall Geltung besitze. So könne auch in der Erbeinsetzung anderer Per336 „(…) wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.“ Bei der Umdeutung des Rechtsgeschäfts nach § 140 BGB ist im Übrigen umstritten, ob es sich, eben weil es nicht um wirklichen, sondern nur um den hypothetischen Willen geht, überhaupt um eine Auslegung handelt, vgl. Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts, S. 4 f. u. 139 f. 337 Palandt/Edenhofer, § 2084 Rn. 9; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 87. 338 MünchKomm/Leipold, § 2084, Rn. 45. 339 Gerhards, JuS 1994, 642 (645). 340 KG, DNotZ 1974, 564 (565); ähnlich KG, MDR 1954, 39 („erweiternde Auslegung des § 2069 BGB“). 341 BGH, FamRZ 1973, 133 (136); BayObLG, FamRZ 2005, 555 (556). Vgl. auch Frank, § 7 Rn. 8: „§ 2069 ist zwar auf den Beispielsfall weder direkt noch analog anwendbar, weil die ursprünglich bedachte G die Geliebte des E, nicht aber dessen Abkömmling ist.“ Interessant: Die Analogie zu § 2069 BGB scheitert, weil der Wortlaut der Vorschrift nicht einschlägig ist!
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
sonen als der Abkömmlinge des Erblassers eine durch Auslegung zu ermittelnde Ersatzberufung enthalten sein.342 aa) § 2069 BGB als Zweifels-, nicht Vermutungsregel Der rechtstechnische Unterschied zwischen der ergänzenden Auslegung und den Vorschriften wie § 2069 BGB wird teilweise darin gesehen, dass in den gesetzlich geregelten Fällen der entsprechende Wille des Erblassers widerlegbar vermutet werde, während es bei der ergänzenden Auslegung ganz auf den hypothetischen Willen nach Maßgabe des Einzelfalls ankomme.343 Dem ist zu widersprechen, da § 2069 BGB nach freilich bestrittener Auffassung344 keine echte Vermutungs-, sondern eine bloße Zweifelsregel darstellt. Deswegen hat auch hier die einzelfallorientierte Auslegung zunächst Vorrang.345 Es lässt sich allerdings nicht leugnen, dass § 2069 BGB faktisch Vermutungswirkung zukommt. Denn nicht selten fehlt es überhaupt an Anhaltspunkten für eine konkrete Willensermittlung. Das ist aber in den Fällen der ergänzenden Auslegung im Umfeld des § 2069 BGB nicht wesentlich anders. Es genügt, wenn die Willensrichtung auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung festgestellt werden kann.346 Ob der Erblasser seine Ehefrau, die Geliebte, Schwiegerkinder, Stief-, Paten- oder Pflegekinder einsetzt: die Ersatzerbeneinsetzung der jeweiligen Abkömmlinge lässt sich meist ohne größere Probleme per ergänzender Auslegung bewerkstelligen.347 Es müssen auch nicht immer die Abkömmlinge in die freigewordene Stelle einrücken, sondern es können auch der Neffe, die Mutter oder die Ehefrau als „stillschweigend eingesetzte“ Ersatzerben in Betracht kommen. Mit § 2069 BGB hat das alles nichts mehr zu tun. Das Argument, es gehe um die „Willensrichtung“, jemanden als Ersten seines Stammes einzusetzen, kommt hier nicht mehr zum Tragen.348 342
Vgl. auch KG, FamRZ 1977, 344 (345): „Hierbei handelt es sich nicht um eine entsprechende Anwendung des § 2069 BGB auf den Fall, daß der Bedachte kein Abkömmling des Erbl. ist, sondern um eine Ausdehnung des Normgehalts des § 2069 BGB auf andere Bedachte als Abkömmlinge des Erbl., sofern sich eine entsprechende – gegebenenfalls hypothetische – Willensrichtung des Erbl. im Einzelfall feststellen läßt.“ 343 BGHZ 22, 357 (360) (zu § 2169 BGB). 344 In der Literatur werden teilweise Auslegungsregeln ohne weiteres als Vermutungen bezeichnet, vgl. Erman/M. Schmidt, § 2069 Rn. 1. Auch der Gesetzgeber (Protokolle V, S. 34 = Mugdan V, S. 532) sah etwa in § 2069 BGB eine Vermutung, nicht anders die Rechtsprechung, BGH, FamRZ 1973, 113 (136). Wie hier dagegen u. a. RGRK/Johannson, § 2069 Rn. 12: „§ 2069 enthält keine gesetzliche Vermutung, sondern eine Auslegungsregel“; ebenso Palandt/ Edenhofer, § 2069 Rn. 1. 345 BGHZ 33, 60 (63); MünchKomm/Leipold, § 2069 Rn. 18; Palandt/Edenhofer, § 2069 Rn. 1; Soergel/Loritz, § 2069 Rn. 30. 346 RGZ 134, 277 (280); BayObLGZ 1982, 159 (164); BayObLGZ 1988, 165 (170); BayObLG, FamRZ 1993, 1496 (1497). 347 Nachweise bei Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 28. 348 Ablehnend daher MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 53. Kritisch auch Staudinger/Otte § 2069 Rn. 29 („bedenklich“).
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bb) Die Ansicht des Gesetzgebers Gegen die Möglichkeit, § 2069 BGB auf Zuwendungen an Nicht-Abkömmlinge des Erblassers analog anzuwenden, wird in der Literatur inhaltlich die fehlende Vergleichbarkeit der Sachlage angeführt. So ist nach Leipold „die Abkömmlings-Eigenschaft gerade nach den Wertungen des Erbrechts durch nichts anderes zu ersetzen.“349 Dafür spricht, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 2069 BGB (§ 1773 E1) unter anderem Streitigkeiten über den Pflichtteil vorbeugen wollte;350 dieser Gedanke spielt bei Erbeinsetzungen von Nicht-Abkömmlingen keine Rolle. Auf der anderen Seite haben die Verfasser des BGB tatsächlich erwogen, den Anwendungsbereich des § 2069 BGB auszudehnen, und zwar auf Zuwendungen an andere als die eigenen Abkömmlinge des Erblassers. Ein entsprechender Antrag wurde jedoch wegen „der Zweifelhaftigkeit der Sache und der Unmöglichkeit, eine Grenze zu ziehen“, abgelehnt; vielmehr sollte „ohne einengende gesetzliche Vorschriften Alles der freien richterlichen Auslegung“ überlassen bleiben.351 Damit ist das entscheidende Argument gegen eine analoge Anwendung des § 2069 BGB gefunden: Der Gesetzgeber hat bewusst von einer weitergehenden Regelung abgesehen. Es fehlt also an der Planwidrigkeit der Regelungslücke.
d) Fehlinterpretation der Gesetzesmaterialien durch das RG Auf den zitierten Ausspruch des Gesetzgebers, es solle alles der freien Auslegung überlassen bleiben, hat das RG seine Entscheidung in RGZ 99, 82 hauptsächlich gestützt und im konkreten Fall das Testament ergänzend ausgelegt. Darin liegt eine Fehlinterpretation der Gesetzesmaterialien. Der Gesetzgeber hatte keineswegs im Sinn, bei theoretisch jeder Erbeinsetzung eine ergänzende Auslegung hin zur Ersatzerbeinsetzung zu ermöglichen. Dies ergibt sich aus dem engen Zusammenhang zwischen § 2069 BGB und § 2068 BGB. Beiden Vorschriften ist gemein, dass sie „sich nur auf die eigene Deszendenz beziehen“352. Zu beiden Normen (§§ 1772, 1773 E1) wurden im Gesetzgebungsverfahren Änderungsanträge gestellt, wonach der Anwendungsbereich der Vorschriften auf die Deszendenz eines Dritten erweitert werden sollte.353 Der Gesetzgeber hatte damit nur die Fälle im Auge, dass jemand „in dessen Eigenschaft als Kind eines Anderen“ bedacht wird. Der Antrag zu § 1773 E1 wurde zuerst abgelehnt. Die Fassung schien einigermaßen widersinnig zu sein, denn die Vorschrift sollte lauten: „Ist in einer letztwilligen Verfügung ein Abkömmling des Erblassers oder eines Anderen bedacht, so ist im Zweifel anzunehmen (…)“. Denn wer den Abkömmling eines anderen bedenkt, bedenkt doch immer auch einen anderen und umgekehrt. Problematischer war die Lage hinsichtlich des § 1772 E1, dem heu349 350 351 352 353
MünchKomm/Leipold, § 2084, Rn. 27. Motive V, S. 38 = Mugdan V, S. 20; Protokolle V, S. 34 = Mugdan V, S. 531. Protokolle V, S. 35 = Mugdan V, S. 532. So Protokolle V, S. 34 = Mugdan V, S. 531. Protokolle V, S. 34 = Mugdan V, S. 531.
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
tigen § 2068 BGB. Hauptsächlich auf diese Vorschrift beziehen sich die Ausführungen des Gesetzgebers, denn er spricht ausschließlich von „den Kindern“ des Erblassers (oder eines anderen), während es bei § 2069 BGB um eine Zuwendung an „einen bestimmten Abkömmling“ geht. Auch das von den Befürwortern des Änderungsantrags angeführte Beispiel betrifft den Fall des § 2068 BGB (Einsetzung der „Kinder des …“). Ob in diesen Fällen der Wille des Erblassers dahin geht, die Zuwendung ersatzweise auf die Abkömmlinge zu erstrecken, war nach der mehrheitlichen Ansicht der Gesetzesverfasser zweifelhaft. „Die fragliche Willensrichtung des Erblassers lasse sich (…) bei Zuwendungen an andere als die eigenen Kinder vielleicht dann unterstellen, wenn es sich um die Kinder einer dem Erblasser sehr nahe stehenden Person, etwa eines Bruders handele.“354 Bei den „Kindern“ handelte es sich wohlgemerkt um die Personen, die der Erblasser unmittelbar bedacht hatte. Auf die Eigenschaft „als Kind eines Dritten“ kam es entscheidend an; sie sollte in den Fällen des jetzigen § 2068 BGB ohne weiteres dem Testament entnommen werden können. Bei § 2069 BGB war dies aber gerade nicht möglich. Eine Erweiterung dieser Vorschrift wurde daher rasch abgelehnt. Letzten Endes entschied sich der Gesetzgeber aber auch gegen eine Erweiterung des § 2068 BGB, da eine Grenzziehung unmöglich sei. Wegen der fehlenden Planwidrigkeit der Regelungslücke verbietet sich auch insoweit eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift, wie von der Literatur355 teilweise befürwortet.
5. Das Erfordernis der Andeutung Die Rechtsprechung steht übereinstimmend mit der herrschenden Lehre auf dem Standpunkt, dass der ergänzenden Auslegung Grenzen gesetzt sind. Denn auch die ergänzende Auslegung sei in erster Linie Auslegung und müsse „anhand des Testamentes“ erfolgen.356 Ein Teil der Literatur ist freilich anderer Meinung. Sie unterscheidet streng zwischen Testamentsauslegung und -ergänzung.357 Einmal gehe es um die Frage, was der Erblasser mit seinen Worten erklären wollte, das andere Mal darum, was er bei Berücksichtigung bestimmter Umstände überhaupt erst erklärt hätte. Da es den Vertretern dieser Ansicht schon bei der einfachen Auslegung nicht auf irgendwelche Andeutungen im Testament ankommt, halten sie das Erfordernis auch bei der ergänzenden Auslegung für entbehrlich.358
354 355 356 357 358
Protokolle V, S. 35 = Mugdan V, S. 532. RGRK/Johannsen, § 2068 Rn. 6; MünchKomm/Leipold, § 2068 Rn. 5. BayObLGZ 1988, 165 (169); BayObLG, FamRZ 1992, 355 (356). v. Lübtow, S. 297 m. Fn. 19; Harder/Kroppenberg, Rn. 172; S. hierzu oben zu Fn. 309. Harder/Kroppenberg, Rn. 203; Foerste, DNotZ 1993, 84 (98 f.).
III. Die ergänzende Auslegung
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a) Bezugspunkt für die erforderliche Andeutung Die herrschende Meinung stößt bei dem Versuch, die Andeutungstheorie auch auf dem Gebiet der ergänzenden Auslegung zu befolgen, auf erhebliche Schwierigkeiten. Wie kann das Testament einen Anhalt für etwas bieten, für das es gleichzeitig eine Lücke aufweisen muss? Es nimmt daher nicht Wunder, dass auf diesem Gebiet große Ungewissheit herrscht. Die Rechtsprechung fahndet bisweilen angestrengt nach Anhaltspunkten für einen hypothetischen Willen, also für etwas vollkommen Irreales.359 Dass sie bei der Suche regelmäßig nicht fündig wird, ist nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum keine Überraschung. Denn auch die Befürworter der Andeutungstheorie räumen ein, dass das Ergebnis der ergänzenden Auslegung, der hypothetische Wille, denknotwendig nicht zum Ausdruck kommen kann.360 Die Andeutungstheorie müsse bei der ergänzenden Auslegung anders verstanden werden als bei der einfachen, erläuternden Auslegung. Nicht für den hypothetischen Willen müsse das Testament einen Anhaltspunkt bieten, sondern lediglich für die „Willensrichtung“ des Erblassers.361 Letztlich ist das Verlangen nach einem Anhalt für die einen bestimmten Erfolg anstrebende Willensrichtung allerdings etwas Selbstverständliches.362 Man kann immer sagen, dass das Ziel, das der Erblasser verfolgte, mit dem Mittel – der konkreten Verfügung – irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise zum Ausdruck gebracht wird. Die Frage kann aber doch immer nur sein, ob der Erblasser mit der Verfügung tatsächlich ein weitergehendes oder übergeordnetes Ziel verfolgte. Findet man aber die Willensrichtung im Testament wieder, so kann man auch gleich sagen, dass für den hypothetischen Willen ein Anhaltspunkt besteht. Angenommen, der Erblasser schreibt: Ich setze X und Y als Erben ein. Ich betone ausdrücklich, dass ich beide nicht gerade nur um ihrer Person Willen, sondern als Erste ihres Stammes eingesetzt wissen will. Um zur Einsetzung eines Ersatzerben zu gelangen, bedürfte es wohl kaum einer ergänzenden Auslegung. Die Rechtsprechung tut sich denn auch mit der Andeutungsformel im Rahmen der ergänzenden Auslegung schwer. Das wird daran deutlich, dass manche Gerichte das Andeutungserfordernis entweder allein auf den hypothetischen Willen beziehen363 oder sowohl darauf als auch auf die Willensrichtung und beide Begriffe anscheinend 359
So BGH, FamRZ 1962, 256 (257); OLG Hamm, FamRZ 1976, 552 (554); OLG Hamm, FamRZ 1987, 639 (641 f.); OLG Frankfurt, DtZ 1993, 216 (217); LG Gießen, DtZ 1993, 217. 360 Schlüter, Erbrecht, Rn. 193; Lange/Kuchinke, § 34 III 5 c) (S. 787); Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 87. 361 Deutlich in BGHZ 22, 357 (363). Ebenso Lange/Kuchinke, § 34 III 5 c) (S. 787); MünchKomm/Leipold, § 2084, Rn. 45. Der Bemerkung von Leipold in Fn. 166, Staudinger/ Otte, Vor § 2064 Rn. 87 sehe dies insoweit enger, als er hinsichtlich des Ziels einen Ausdruck des wirklichen Willens im Testament verlangt, vermag ich nicht zuzustimmen. 362 So zu Recht Lange/Kuchinke, § 34 III 5 c) (S. 787). 363 Insbesondere das OLG Hamm, FamRZ 1976, 552 (554) u. FamRZ 1987, 639 (641). MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 81 spricht hierzu von „grober Anhaltstheorie“.
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
synonym verwenden.364 Im Übrigen ist auch die Literatur nicht frei von terminologischen Fehlleistungen. Teilweise ist von der „wirklichen Willensrichtung“365 die Rede, vielleicht um die sprachliche Nähe zu § 133 BGB herzustellen. Nicht besser ist der Ausdruck „hypothetische Willensrichtung“366. Was darunter zu verstehen ist, ist erst recht unklar. b) Andeutung im Fall der stillschweigenden Ersatzerbeinsetzung Es ist fraglich, was die Andeutungstheorie im Rahmen der ergänzenden Auslegung wirklich leisten kann. Die Rechtsprechung lässt das Ergebnis jedenfalls in den seltensten Fällen an fehlenden Anhaltspunkten scheitern. Nimmt man den für die ergänzende Auslegung typischen Fall des Vorversterbens einer bedachten Person, so enthält das Testament im Regelfall nichts weiter als die Zuwendung zugunsten eben dieser Person. Für die Frage, ob sie aus persönlichen Gründen oder nur als erste ihres Stammes bedacht sein sollte, gibt das Testament nichts her, geschweige denn für die Feststellung, wer überhaupt als Ersatzerbe in Betracht kommt. Hat der Erblasser seinen Bruder eingesetzt und (hypothetisch) dessen Abkömmling als Ersatzerben einsetzen wollen, so würde die Rechtsprechung die erforderliche Andeutung immer bejahen. Das Argument liefert § 2069 BGB. Die Vorschrift zeige doch deutlich, dass schon in der Erbeinsetzung als solcher ein notwendiger Anhalt für die Kundgabe des Erblasserwillens gesehen werden kann, bei Wegfall des Bedachten andere Personen, insbesondere seine Abkömmlinge, an dessen Stelle treten zu lassen.367 War dagegen der Wille nicht auf die Einsetzung eines Ersatzerben gerichtet, so ist selbstverständlich auch dieses Ergebnis im Testament angedeutet.368 Es kommt nur darauf an, dass die Willensrichtung irgendwie ermittelt werden kann.
364 Besonders deutlich in BayObLG, FamRZ 1991, 982 (984); des Weiteren in BayObLGZ 1988, 165 (169); BayObLG, FamRZ 1993, 1496 (1497). 365 Lange/Kuchinke, § 34 III 5 b) (S. 786). 366 Leipold, Erbrecht, Rn. 397. 367 RGZ 99, 82 (86); BayObLG, FamRZ 1991, 865; BayObLGZ 1988, 165 (169). In der letztgenannten Entscheidung gelangt das Gericht zu dem interessanten Schluss, dass es für einen Anhalt für den hypothetischen Willen des Erblassers, den Beschwerdeführer als Ersatzerben einzusetzen, insbesondere nicht erforderlich sei, dass in der Urkunde ein Hinweis auf die Person des Ersatzerben enthalten ist. A.A. Braga, Gedächtnisschrift Schultz, S. 41 (46): „Es erübrigt sich, noch hinzuzufügen, daß das Wort ,B [Bruder des Erblassers] im Testament niemals eine Andeutung für die sogenannte stillschweigende Ersatzberufung des D [Sohn des B] sein kann – dies, wenn man die Andeutungstheorie noch nicht ganz verlassen will.“ 368 Widersprüchlich Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 20: Einerseits seien beide Möglichkeiten angedeutet, andererseits sei für den Willen gegen eine Ersatzberufung ein Anhaltspunkt nicht vorausgesetzt.
III. Die ergänzende Auslegung
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aa) Andeutung nur bei „nahestehenden Personen“ Scheinbar ist die Rechtsprechung nicht bereit, in jeder beliebigen Erbeinsetzung auch eine eventuelle stillschweigende Berufung von Ersatzerben zu sehen. Vielmehr müsse ein den äußeren Voraussetzungen des § 2069 BGB irgendwie vergleichbarer Lebenssachverhalt vorliegen.369 Deshalb wird gefordert, dass zwischen dem Erblasser und dem weggefallenen Bedachten Beziehungen bestanden haben, die denen zwischen Erblasser und Abkömmling vergleichbar sind.370 Die herrschende Meinung lässt es meist genügen, wenn der Bedachte ein naher Angehöriger des Erblassers war oder zwischen ihm und dem Erblasser enge persönliche Beziehungen bestanden.371 Häufig wird einfach auch nur verlangt, dass sich Erblasser und Bedachter (besonders) nahestanden.372 Das Merkmal des Nahestehens ist vermutlich der entsprechenden Stelle in den Gesetzesmaterialien entnommen.373 Wie gesehen, geht es dort jedoch darum, dass die Kinder einer dem Erblasser nahestehenden Person eingesetzt sind, nicht die dem Erblasser nahestehende Person selbst.374 bb) Berücksichtigung außerurkundlicher Umstände für die Nähebeziehung Bei der Feststellung einer stillschweigenden Ersatzberufung gerät die Andeutungstheorie arg ins Straucheln. Denn ob die bedachte Person dem Erblasser besonders nahestand oder nicht, lässt sich regelmäßig nur auf Grund von Umständen außerhalb des Testamentes ermitteln. Es ist nicht recht einzusehen, weshalb diese Frage über das Vorliegen einer Andeutung für eine Ersatzerbeinsetzung entscheiden soll. Symptomatisch ist hierfür die Entscheidung des KG in FamRZ 1977, 345. Auf der einen Seite betont das Gericht, bei der Frage nach der Ersatzerbfolge für eine bedachte Person, die kein Abkömmling des Erblassers ist, sei „schon vor der Heranziehung außertestamentarischer Umstände zu fragen, ob der Bedachte irgendwie – sei es auch nur in einem weitgehenden Sinne – einem Abkömmling des Erblassers vergleichbar ist.“ Nach der Feststellung, dass der Bedachte nicht als naher Angehöriger des Erblassers angesehen werden könne, prüft das KG jedoch weiter, ob zwischen beiden ein „besonders enges Freundschaftsverhältnis oder sonstige sehr enge Beziehungen“ bestanden, greift also doch über das Testament hinaus.
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KG, FamRZ 1977, 344 (345); BayObLG, FamRZ 1987, 1086 (1087). KG, FamRZ 1977, 344 (345); BayObLG, FamRZ 1987, 1086. A.A. Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 28 („zu eng“). 371 BayObLG, FamRZ 1987, 1086; BayObLG, FamRZ 1991, 865; KG, FamRZ 1977, 344 (345); MünchKomm/Leipold, § 2069 Rn. 28. 372 KG, DNotZ 1974, 564 (565); BayObLGZ 1988, 165 (169); BayObLG, FamRZ 1991, 865; BayObLG, FamRZ 1993, 1496. 373 s.o. zu Fn. 354. 374 Dies übersieht Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 26. 370
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
cc) Nähebeziehung als Vermutung für eine Ersatzberufung Die Bedeutung des Näheverhältnisses zwischen Erblasser und Bedachtem geht in der Rechtsprechung in methodischer Hinsicht häufig über die einer bloßen Andeutung hinaus. Zwar wird gesagt, dass die Erbeinsetzung einer dem Erblasser nahestehenden Person überhaupt erst zur Prüfung Anlass gibt, ob eine Ersatzerbenberufung gewollt war oder nicht,375 dass also nur in diesem Fall ein der Auslegung fähiger Ausdruck vorliegt.376 Bis der Richter aber zu der Feststellung gelangt, dass zwischen Erblasser und Bedachtem besonders enge persönliche Bindungen bestanden, ist regelmäßig ein großer Teil des verfügbaren – sich außerhalb des Testamentes befindenden – Auslegungsmaterials bereits aufgezehrt. Nun wird bisweilen noch anschließend das Verhältnis zum potenziellen Ersatzerben untersucht;377 dies aber nicht im Rahmen eines neuen, selbständigen Prüfungsschritts, sondern nur unterstützend zugunsten der Ersatzerbenberufung. Die ergänzende Auslegung scheitert beispielsweise nicht am Verhältnis zur Tochter der Geliebten, sondern – wenn überhaupt – am Verhältnis zur Geliebten selbst. Die Entscheidung über die Stärke der persönlichen Beziehungen zum Bedachten präjudiziert somit faktisch das Ergebnis der ergänzenden Auslegung.378 Deswegen ist auch teilweise zu lesen, das bestehende Näheverhältnis zum Bedachten lege den Schluss – wohlgemerkt nicht erst die Prüfung – nahe, dass die Zuwendung des Erblassers nicht nur dem im Testament Bedachten persönlich, sondern als erstem seines Stammes gelten sollte.379 Die von Rechtsprechung380 und Literatur381 zwingend geforderte „individuelle Ermittlung des Erblasserwillens“ fällt demzufolge eher dürftig aus oder findet besser gesagt häufig gar nicht statt. dd) Kritik Indem die Rechtsprechung das Erfordernis der Andeutung mit der Voraussetzung der Nähebeziehung verknüpft, tut sie der Andeutungstheorie keinen Gefallen. Praktisch werden dadurch keine Fälle aus der ergänzenden Auslegung ausgeschieden. Als geeignetes Abgrenzungskriterium taugt dieses Merkmal kaum. Personen, mit denen 375
KG, MDR 1954, 39; KG, FamRZ 1977, 344 (345); BayObLGZ 1982, 159 (160); BayObLG, FamRZ 2005, 555 (556). 376 BayObLG, FamRZ 1987, 1086; BayObLGZ 1988, 165 (169); BayObLG, FamRZ 1991, 865 (866); BayObLG, FamRZ 1992, 355 (356). 377 Vgl. KG, DNotZ 1974, 564 (565): Das Verhältnis des Erblassers zu dem Dritten sowie zu dessen Abkömmlingen muss den Beziehungen vergleichbar sein, die regelmäßig zwischen dem Erblasser und seinen Kindern und deren Abkömmlingen bestehen. 378 Vgl. auch KG, DNotZ 1974, 564 (565): „(…) da hier alleine die Stärke der persönlichen Beziehungen als Indiz für den Zuwendungswillen des Erblassers in Frage steht.“ 379 BayObLGZ 1988, 165 (169 f.); BayObLG, FamRZ 1991, 865; Nieder, ZNotP 1999, 183 (186 f.); MünchKomm/Leipold, § 2069 Rn. 28: „vor allem bei Zuwendungen an engere (insbesondere im konkreten Fall nächste) Verwandte“. 380 BayObLG, FamRZ 2005, 555 (556). 381 Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 27.
III. Die ergänzende Auslegung
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der Erblasser nur ganz entfernt etwas zu tun hatte, werden im Testament eher selten als Erben eingesetzt oder auf sonstige Art bedacht.382 In der Zuwendung zeigt sich doch gerade, wie nahe der Bedachte dem Erblasser wirklich stand! Wenn ein Gericht einmal das Näheverhältnis als nicht eng genug beurteilte, um dem Andeutungserfordernis gerecht zu werden, dann ließ ein anderes Gericht ein solches Verhältnis in einem ganz ähnlichen Fall ausreichen.383 Das Kriterium des Nahestehens ist folglich zu ungenau. So wie die Rechtsprechung mit der Andeutung umgeht, ist dies Wasser auf die Mühlen derer, die die Andeutungstheorie als zu schwammig abtun. Die Prüfung, ob eine Nähebeziehung und damit eine Andeutung für eine Ersatzberufung vorliegt, führt überdies zu Ungereimtheiten. Ausgangspunkt ist stets die Frage, ob der Erblasser den Bedachten als Haupt seines Stammes oder auf Grund persönlicher Beziehungen oder individueller Merkmale einsetzen wollte. Nur im ersten Fall soll eine Ersatzberufung in Betracht kommen. Hierfür wird nun eine Andeutung in Form einer Nähebeziehung vorausgesetzt. Ein Nahestehen wird wiederum bejaht, wenn es sich bei dem Bedachten um einen nahen Angehörigen des Erblassers handelt oder wenn sonst ein besonders enges Verhältnis bestanden hat.384 Je enger die persönlichen Beziehungen zu einer anderen Person waren, desto eher würde man eine Andeutung für eine Ersatzberufung annehmen können. Der Ausgangspunkt war aber, dass bei Zuwendungen auf Grund persönlicher Beziehungen ein übergeordnetes Ziel (Zuwendung an den Stamm) gerade nicht gegeben ist. Setzt der Erblasser beispielsweise seinen Ehegatten oder die Geliebte ein, so tritt doch ganz klar zu Tage, dass die Zuwendung dem Bedachten persönlich gelten soll. Eine eventuelle Ersatzerbeneinsetzung von Abkömmlingen müsste daher gerade fernliegen.
382 Sehr sinnvoll daher der Standpunkt des KG, DNotZ 1974, 564 (565), das v. Lübtow, S. 288 m. Fn. 142 zitiert – der sich wiederum auf Danz, S. 290 beruft –, wonach auch ein Freund des Erblassers zu den dem Erblasser nahestehenden Personen gehören könne: „Eine derartige enge Bindung [wie sie regelmäßig zwischen dem Erblasser und seinen Kindern besteht] ist aber grundsätzlich bei jedem Dritten denkbar (…)“. v. Lübtow und Danz waren übrigens gar nicht danach bestrebt, die ergänzende Auslegung der Andeutungstheorie zuliebe auf einen bestimmten Personenkreis zu beschränken. 383 Einen Anhaltspunkt in der Einsetzung eines Neffen des Ehegatten verneinend KG, FamRZ 1977, 344 (345); BayObLG, FamRZ 1987, 1086 (1987); bejahend BayObLG, FamRZ 2005, 555. Entsprechend hinsichtlich einer Geliebten bzw. Lebensgefährtin: verneinend OLG Hamm, FamRZ 1976, 552 (554 f.); BayObLG, FamRZ 1991, 865 (866) („daß zwar damals schon ein langjähriges Liebesverhältnis mit engen persönlichen Bindungen bestand, aber auch sehr deutlich eine äußere Distanz eingehalten wurde“; bejahend KG, DNotZ 1974, 564 (565); BayObLG, FamRZ 1993, 1496 (1497); BayObLG, FamRZ 2001, 516 (517) (auch wenn dort eine Ersatzberufung im Ergebnis verneint wird). 384 BayObLG, FamRZ 1991, 865; BayObLG, FamRZ 1987, 1086.
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
6. Berücksichtigung eines späteren wirklichen Erblasserwillens Bei der ergänzenden Auslegung ist nach überwiegender Meinung, so wurde bereits gesagt,385 danach zu fragen, was nach der Willensrichtung des Erblassers zu der Zeit, da die Verfügung getroffen wurde, als von ihm gewollt anzusehen ist, sofern er vorausschauend das spätere Ereignis bedacht haben würde. Ausgehend von dieser Definition zieht die herrschende Meinung386 den Schluss, dass der ergänzenden Auslegung in zeitlicher Hinsicht Grenzen gesetzt sind. Es sei ausschließlich der hypothetische Wille zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu ermitteln. Ein später gebildeter wirklicher Wille könne nicht berücksichtigt werden, da sonst eine formlose Abänderung des Testamentes zugelassen und die Formvorschriften über den Widerruf umgangen würden. a) Projizierung des wirklichen Willens auf den hypothetischen Die Forderung nach Simultaneität von Erblasserwillen und Testamentserrichtung klingt im ersten Moment selbstverständlich. Tatsächlich betreibt die herrschende Meinung jedoch, wenn sie ergänzend auslegt, Augenwischerei. Denn sie misst dem späteren wirklichen Willen eine starke Indizfunktion387 für die Frage bei, was der Erblasser bei entsprechender Vorausschau der zukünftigen Entwicklung gewollt haben würde. Der spätere Wille wird in die Situation, in der sich der Erblasser ursprünglich befand, „hineinprojiziert“388. Eine Diskrepanz zum hypothetischen Willen zur Zeit der Testamentserrichtung wird deshalb nur in seltensten Fällen bestehen. Denn ein neuer Willensentschluss wird im Regelfall durch äußere Umstände veranlasst sein. Und im Hinblick auf diese Umstände kann man auch bei einer ex-ante-Betrachtung einen späteren hypothetischen Willen konstruieren. b) Ergänzende Auslegung bei Änderung des Statusverhältnisses Die eigentliche Problematik der ergänzenden Auslegung besteht darin, die Qualität der äußeren Umstände zu bestimmen, die tatsächlich eine Willensänderung bewirkt haben könnten und eine Rückprojizierung auf den Testierzeitpunkt ermöglichen. Es ist allgemein anerkannt, dass zu diesen Umständen solche zu zählen sind, die das Statutsverhältnis zwischen Erblasser und Bedachtem betreffen. Dass eine spätere Scheidung Auswirkungen auf das Testament zeitigt, ergibt sich unmittelbar aus
Protokolle V, S. 35 = Mugdan V, S. 532; S. hierzu oben zu Fn. 332. BGH, FamRZ 1962, 256 (257); BayObLG, FamRZ 1995, 1446; KG, FamRZ 1961, 447 (448); Leipold, Erbrecht, Rn. 397; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 93; Kipp/Coing, § 21 IV 3 (S. 145); Lange/Kuchinke, § 34 III 7 b) (S. 789 f.). 387 BGH, FamRZ 1962, 256 (257); Leipold, Erbrecht, Rn. 397. 388 Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 203; Lange/Kuchinke, § 34 III 7 a) (S. 789). 385 386
III. Die ergänzende Auslegung
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§ 2077 Abs. 1, Abs. 3 BGB.389 Ebenso muss nach herrschender Meinung auch eine Wiederheirat Berücksichtigung finden, zumindest wenn es die geschiedenen Ehegatten selbst sind, die wieder einander heiraten.390 Heiratet der Erblasser, der im Testament beispielsweise seine Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt hat, später eine andere Frau, so soll sich dagegen eine ergänzende Auslegung grundsätzlich verbieten. Die Begründung ist allerdings nicht einheitlich. Der Satz, mit „Ehefrau“ sei die Frau bei Errichtung des Testamentes, nicht eine andere zur Zeit seines Todes gemeint,391 ist zwar richtig, sagt aber nichts über die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung aus. Es geht nicht darum, was der Erblasser gemeint hat, sondern was er gewollt hätte, wenn er den Tod der ersten Frau und seine Wiederverheiratung vorausbedacht hätte. Von anderer Seite wird gesagt, es würde sich bei einer Zuwendung an die neue Ehefrau nicht mehr um ein Weiterdenken der ursprünglichen Verfügung, sondern um eine neue Verfügung handeln.392 Überzeugend ist auch dieses Argument nicht, wird mit der ergänzenden Auslegung doch immer eine neue, wenn auch nur ersatzweise geltende Verfügung geschaffen. Wohl in die gleiche Richtung geht allerdings auch der Einwand, die Einzelanordnung sei keinem weiteren Ziel untergeordnet, denn nach allgemeiner Lebenserfahrung sei es nicht das Ziel des Erblassers, seine „jeweilige Frau“ einzusetzen.393 Immerhin verrät die Einschränkung „nach allgemeiner Lebenserfahrung“, dass die ergänzende Auslegung nicht per se scheitern muss. Der Erblasser kann beim Testieren doch die Einstellung haben, es sei am natürlichsten, das gesamte Vermögen grundsätzlich allein dem Ehegatten zu vererben. Nur auf Grund eines fehlenden Erfahrungswertes hat auch das RG394 in diesem Fall letztlich die ergänzende Auslegung zugunsten der zweiten Ehefrau scheitern lassen.
389 Deshalb muss die Vorschrift nicht gleich ein Anhaltspunkt für die ergänzende Auslegung bedeuten. Denn sie betrifft nur die Frage nach dem Bestand der Verfügung, nicht nach dem Inhalt. Richtig insoweit MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 69: § 2077 BGB stütze nur die Methode der ergänzenden Auslegung. 390 BayObLG, DNotZ 1996, 302 (305) m. Anm. Kuchinke, zu einem Fall des gemeinschaftlichen Testamentes, in dem sich die Eheleute haben scheiden lassen und wenig später wieder einander geheiratet haben: „Die Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten ist jedoch ein den Status der Testierenden in gleicher Weise wie die Scheidung betreffender Umstand, der deshalb bei der ergänzenden Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments (…) Berücksichtigung finden kann.“ Im Ergebnis ebenso Michalski, Rn. 349; Lange/Kuchinke, § 34 III 7 b) (S. 790). 391 Schlüter, Erbrecht, Rn. 193. 392 MünchKomm/Leipold, § 2084 Rn. 98; vgl. auch Lange/Kuchinke, § 34 III 5 c) (S. 787): Die ergänzende Auslegung dürfe nur zu einer Weiterentwicklung der Verfügung führen und nicht zu neuen Regelungen, die der Erblasser nicht getroffen hat. 393 Kipp/Coing, § 21 Fn. 18 (S. 143). 394 RGZ 134, 277 (280).
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
c) Uferlosigkeit der zu berücksichtigenden äußeren Umstände Grundsätzlich scheint es kein Hindernis zu geben, die ergänzende Auslegung im Hinblick auf die äußeren Umstände in irgendeiner Weise zu beschränken. Die Definition des RG ist jedenfalls offen und stellt nur auf „das spätere Ereignis“ ab. Ein Teil der Literatur will daher auch sonstige Umstände wie ein missliebiges Verhalten des Bedachten, ein Zerwürfnis, eine Versöhnung usw. berücksichtigen.395 Die Rechtsprechung ist in diesem Punkt dagegen zurückhaltend und will für die Auslegung „im Regelfall“ nicht der Frage nachgehen, ob sich die Beziehungen des Erblassers mit den bedachten Personen nach der Testamentserrichtung verschlechtert haben.396 Eine Begründung wird hierfür nicht gegeben. Es handelt sich offenbar um eine ganz willkürliche Einschränkung der ergänzenden Auslegung. d) Ergänzende Auslegung bei bloßem Anschauungswandel Nicht mit der ergänzenden Auslegung beizukommen ist in den Fällen, in denen eine Willensänderung nicht unmittelbar durch ein bestimmtes Ereignis veranlasst wurde, sondern sich die Anschauungen der Erblassers im Laufe der Zeit ohne einen konkreten Umstand gewandelt haben. In einem vom BGH397 entschiedenen Fall hatte die Erblasserin ihren Sohn wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus als „Staatsfeind“ angesehen und deswegen enterbt. Später änderte sie ihre politische Einstellung und teilte die Anschauungen ihres Sohnes. Reut sie nun die Enterbung und möchte sie dem Sohn ihr Vermögen zuwenden, muss die Erblasserin ihr Testament ändern. Hier liegt in der Tat ein echter Sinneswandel und somit eine typische Widerrufssituation vor. Wie sollte man hier einen hypothetischen Willen bilden? Man müsste danach fragen, was die Erblasserin gewollt hätte, wenn sie beim Testieren die Möglichkeit eines Anschauungswandels in Betracht gezogen hätte.398 Vom Prinzip her müsste die ergänzende Auslegung diese Frage, die offenbar unsinnig ist,399 durchaus zulassen.
395 Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 219; wohl auch Lange/Kuchinke, § 34 III 7 b) (S. 790); Kuchinke, Festschrift Gaul, S. 357 (363). 396 BayObLGZ 1995, 1446. 397 Nach BGH, LM § 2078 Nr. 4. 398 Der BGH hat solche Erwägungen tatsächlich angestellt und in diesem Fall die Anfechtung wegen Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB für möglich gehalten. Dem Testament habe die „als selbstverständlich angenommene sog. „unbewußte Vorstellung“ zugrunde gelegen, die Erblasserin werde ihre politische Einstellung, die für die Verfügung maßgebend war, auch in Zukunft nicht ändern. 399 H. Foer, AcP 153 (1954), 492 (511). Auch der BGH (Z 42, 327 [333]) hat später entschieden, dass ein Gesinnungswandel für den Bestand des Testamentes vollkommen unbeachtlich sei.
III. Die ergänzende Auslegung
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e) Verbindlichkeit des späteren Willens bei wortgleicher Verfügung? Von der Auffassung, dass ein späterer wirklicher Wille nur ein Indiz für den früheren hypothetischen Willen sein soll, will eine auf Lange400 zurückgehende Auffassung für einen bestimmten Fall eine Ausnahme machen: Wenn der nachträgliche Wille ebenfalls vom Wortlaut der Verfügung gedeckt ist, soll der tatsächliche nachträgliche Wille entscheiden. Als Beispielsfall braucht man den Sachverhalt in RGZ 134, 277 nur unwesentlich abzuwandeln. Der Erblasser setzt seine „Ehefrau“ als Alleinerbin ein, ohne sie jedoch durch die Nennung des Namens oder auf sonstige Art näher zu individualisieren.401 Nach der Scheidung heiratet der Erblasser erneut (eine andere Frau) und möchte nun seine zweite Frau bedenken. Er sieht aber davon ab, neu zu testieren, da das bereits errichtete Testament seinem jetzigen Willen voll und ganz entspricht und ihm die Errichtung eines neuen Testamentes, das er mit dem identischen Wortlaut formulieren würde, unsinnig erscheint. aa) Teleologische Reduktion der Widerrufsvorschriften Nach einer Mindermeinung im Schrifttum402 soll in diesem Fall, in dem nach der Ansicht des Erblassers das ehemals errichtete Testament auch seinen – vom früheren Willen abweichenden – aktuellen Willen widerspiegelt, der aktuelle Wille direkt, also ohne Umweg über den hypothetischen Willen, Geltung erlangen. Für diese Lösung spricht scheinbar das Argument, es sei bloßer Formalismus, den Erblasser auf ein (eventuell bis auf das Datum) wortwörtliches Abschreiben der Urkunde zu verweisen. § 2254 BGB müsse daher, so die Vertreter dieser Auffassung, teleologisch reduziert werden, denn die Zwecke, die mit dieser Formvorschrift verbunden sind – allen voran der Zweck, den Beweis zu sichern und einen klaren und vollständigen Ausdruck des Willens zu schaffen – seien erfüllt.403 Genau das trifft aber nicht zu. Der Erblasser, der nachträglich seinen Willen ändert und seinen späteren Willen zufällig als vom Testament gedeckt ansieht, weiß genau, dass seine Verfügung nicht klar und vollständig ist. Die Möglichkeit, den Sammel- oder Blankettbegriff beliebig mit neuen Inhalten zu füllen, beweist doch gerade seine Mehrdeutigkeit.404 Deshalb liegt es an sich fern anzunehmen, der Erblasser würde seine Erklärung im Normalfall schlicht unverän-
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Lange, JherJb 82 (1932), 1 (18). Lange, JherJb 82 (1932), 1 (24) meint, es könne keinen Unterschied machen, ob der Erblasser die erste Frau als „blond“ bezeichnet hat, diese Bezeichnung aber nicht auf die zweite Ehefrau zutrifft. Denn das Wort blond sei nur schmückendes Beiwort und kein Individualisierungsmittel. Doch wird man nicht sagen können, dass sich der nachträgliche Wille in diesem Fall noch mit dem Inhalt der Erklärung deckt. Es bestünde daher durchaus Anlass, eine neue Verfügung zu errichten. 402 Lange, JherJb 82 (1932), 1 (22); Sonnenschein, S. 87 f.; Keuk, S. 106; Flume, § 16, 5 (S. 337 f.); H. Foer, AcP 153 (1954), 492 (509). 403 Sonnenschein, S. 88; Keuk, S. 106. 404 Ebenso Lüderitz, S. 213. 401
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
dert lassen. Gerade aus Gründen der Klarheit müsste (und würde) er seine Verfügung spezifizieren. bb) Möglichkeit einer Bestätigung? Möglicherweise lässt sich in den Fällen, in denen der Wortlaut auch einen nachträglichen Willen deckt, das Institut der formlosen Bestätigung (§ 144 Abs. 2 BGB) als Argument gegen die Notwendigkeit eines förmlichen Widerrufs heranziehen.405 Auch hierbei geht es um eine Willensänderung, und der Erblasser erhält ja die Möglichkeit, seinem wahren letzten Willen ohne Rücksicht auf die Testamentsform Wirkung zu verleihen. Er will beispielsweise A zum Erben einsetzen, schreibt aber aus Versehen B. Im Nachhinein stellt er seinen früheren Irrtum fest, möchte aber nun tatsächlich B als Erben einsetzen und es beim Erklärten belassen. Dies kann er durch formlose Bestätigung tun und die Erklärung somit anfechtungsresistent machen.406 Über die Frage des Widerrufs sagt dieser Fall jedoch nichts aus. Der Erblasser will ja gerade nicht widerrufen, sondern an der früheren Erklärung festhalten. Sein nachträglicher Wille ist unter Einhaltung der Formvorschriften niedergelegt. Nur beruht die Erklärung auf einem Willensmangel, und dieser Mangel soll durch die Bestätigung geheilt werden. In den „normalen“ Fällen der nachträglichen Willensänderung ist jedoch eine an sich einwandfreie Verfügung in der Welt und soll durch eine andere ausgetauscht werden. Der Umstand, dass es sich um einen echten Widerruf handelt, wird durch den unveränderten Wortlaut nur verschleiert. f) Ergebnis Somit bleibt festzuhalten: Der nach der Testamentserrichtung vorhandene wirkliche Wille des Erblassers kann für den Inhalt niemals verbindlich sein, auch dann nicht, wenn er mit dem Testamentstext noch in irgendeiner Weise in Einklang zu bringen ist. Die herrschende Meinung verschafft dem wirklichen letzten Willen aber regelmäßig dadurch Geltung, dass sie hieraus den früheren hypothetischen Willen entwickelt, der für die ergänzende Auslegung entscheidend sein soll. Das Ganze klingt nach einem Taschenspielertrick. Diese Methode kann keinen Beifall finden, vor allem dann nicht, wenn man am Erfordernis der Andeutung festhalten will. Die herrschende Meinung muss sich im Übrigen vorwerfen lassen, dass ihr eine genaue Abgrenzung, in welchen Fällen die ergänzende Auslegung noch zulässig ist und wann nicht, nicht gelingt. 405
Lange, JherJb 82 (1932), 1 (32). Die Frage ist freilich umstritten. Ein beachtlicher Teil der Literatur, z. B. Kipp/Coing, § 24 VII 1 (S. 178); v. Lübtow, S. 337; Schlüter, Erbrecht, Rn. 246; Soergel/Hefermehl, § 144 Rn. 1 lehnt die Möglichkeit der Bestätigung für den Erblasser ab, da er nicht anfechtungsberechtigt sei. Ihm steht das Anfechtungsrecht aber nur deswegen nicht zu, da er ohnehin das Testament jederzeit ohne weiteres widerrufen kann. Wegen dieses stärkeren Rechts muss ihm die Bestätigung erst recht möglich sein. Wie hier Dernburg, S. 138; MünchKomm/Leipold, § 2078 Rn. 47; Soergel/Loritz, § 2080 Rn. 23; Staudinger/Otte, § 2080 Rn. 22. 406
III. Die ergänzende Auslegung
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7. Verhältnis zwischen ergänzender Auslegung und Irrtumsanfechtung Die ergänzende Auslegung ist aus der Rechtsprechungspraxis nicht mehr wegzudenken. Der in der Literatur407 geäußerten Meinung, die Gerichte wendeten die ergänzende Auslegung mit großer Zurückhaltung an, kann im Hinblick auf die mit § 2069 BGB verwandten Fälle, in denen die Einsetzung eines Erben zugleich eine Ersatzerbeinsetzung beinhalten soll, nicht gefolgt werden.408 Die Andeutungstheorie hat hier als Abgrenzungskriterium ausgedient. Während ein Teil der Literatur dennoch bemüht ist, die Fahne der Andeutungstheorie hochzuhalten, wollen andere gleich auf irgendwelche Begrenzungen verzichten. Teilweise wird sogar behauptet, die ergänzende Auslegung könne grundsätzlich jeden Irrtum des Erblassers berücksichtigen.409 Tatsächlich hat sich die ergänzende Testamentsauslegung auch in der Rechtsprechung zu einer starken Konkurrenz für die Irrtumsanfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB entwickelt. Der Vorteil der ergänzenden Auslegung liegt auf der Hand: Mit ihrer Hilfe kann vermeintlich der hypothetische Wille des Erblassers positiv durchgesetzt werden, während die Anfechtung bloß den erklärten Willen vernichtet. a) Fehlen einer Lücke beim Motivirrtum Es ist bemerkenswert, dass die Rechtsprechung die Vorteilhaftigkeit in den Rechtsfolgen anführt, um den Grundsatz „Auslegung geht der Anfechtung vor“ zu legitimieren.410 Damit wird offen zugegeben, dass sich der Anwendungsbereich des § 2078 Abs. 2 BGB und der ergänzenden Auslegung überschneidet. Das ist deshalb überraschend, weil diese Kollision an anderer Stelle gerade vermieden werden soll: Wie oben (S. 40) gesehen, wird von der herrschenden Meinung die Reichweite der erläuternden Auslegung zugunsten des § 2078 Abs. 1 BGB begrenzt. § 2078 Abs. 2 BGB soll dagegen der ergänzenden Auslegung weichen, weil sie die besseren Ergebnisse liefert – eine frappierende Inkonsequenz. Bei unbefangener Betrachtung kann es zu einer Überschneidung von Motivirrtum und ergänzender Auslegung eigentlich nicht kommen. Während die ergänzende Auslegung eine fehlende Vorstellung über einen bestimmten Umstand voraussetzt, verlangt § 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB eine irrige und damit positive Vorstellung.411 Nach 407
Frank, S. 87; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 107. Vgl. Muscheler, JR 1995, 309 (312 m. Fn. 12: „exzessiv betriebene ergänzende Testamentsauslegung“). 409 Lange/Kuchinke, § 34 III 5 a) (S. 785). Ähnlich Frank, S. 85: „Die ergänzende Testamentsauslegung setzt somit immer eine irrtumsbedingte, ergänzungsbedürftige Lücke voraus.“ 410 BGH, LM § 2100 Nr. 1; BGH, NJW-RR 1997, 1438 (1439); OLG Frankfurt, DtZ 1993, 216. 411 E. Schmidt, S. 123: „(…) so ist deren Abgrenzung gegenüber dem Motivirrtum äußerst einfach, scharf und klar.“ Die Frage ist freilich umstritten. Ein großer Teil der Literatur will im Rahmen des § 2078 Abs. 2 Irrtum und Nichtwissen gleichsetzen. Die Rechtsprechung lehnt dies mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 2078 Abs. 2 BGB zwar vehement ab; mit der Be408
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B. Testamentsauslegung im deutschen Recht
dieser Prämisse hinterlässt die fehlerhaft motivierte Verfügung gerade keine Lücke. Der Erblasser möge seinen Dienstboten A als Alleinerben eingesetzt und seinen anderen Dienstboten B „übergangen“ haben, weil er B für den Täter kleinerer Diebereien hielt. Es stellt sich heraus, dass nicht B, sondern A der Dieb war.412 Eine Lücke, die möglicherweise zu ergänzen wäre, kann hier schwerlich gefunden werden. Die herrschende Lehre413 lässt daher nur die Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB zu mit der Folge, dass weder A noch B erben. b) Keine ergänzende Auslegung bei einem „Motivbündel“? Gegen die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung in den Fällen des Motivirrtums argumentiert Otte414 folgendermaßen: Entschlüsse würden in der Regel einem Motivbündel entspringen. Aus dem irrigen, das Anfechtungsrecht begründenden Einzelmotiv lasse sich daher nicht ohne weiteres der Schluss ziehen, der Erblasser hätte ohne den Irrtum eine bestimmte andere Verfügung getroffen. Das überzeugt nicht. Die ergänzende Auslegung erfordert immer die sichere Feststellung, dass der Erblasser bei Kenntnis eines bestimmten Umstands in dieser oder jener Weise verfügt hätte. Dass hierfür außer dem Anfechtungsgrund unter Umständen mehr Indizien erforderlich sind, spricht nicht gegen die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung. Mit dem Hinweis auf den Regelfall lässt sich das im vorigen Absatz angeführte Schulbeispiel ohnehin schlecht lösen, in dem gerade nicht ein Motivbündel, sondern ein Einzelmotiv (Belohnung des ehrlichen Dienstboten) zu der Verfügung geführt hat.415 Im Übrigen ist der Lösungsansatz Ottes inkonsequent. Er hält eine ergänzende Auslegung doch für gerechtfertigt, wenn der Erblasser das Einzelmotiv als Ziel seiner Verfügung kenntlich macht.416 Das Motiv bleibt aber auch diesem Fall ein Einzelmotiv; an der Feststellung der hypothetischen Zweitverfügung ändert sich nichts. c) Völlige Ausschaltung des § 2078 Abs. 2 BGB Ein nicht unbeachtlicher Teil der Literatur, der bereits den Anwendungsbereich des § 2078 Abs. 1 BGB durch eine freie Auslegung überspielt, ist bereit, auch § 2078 Abs. 2 BGB zugunsten der positiven Berücksichtigung des irrealen Willens zu opfern. Die Methode ist in der Sache die gleiche, auch wenn sie unterschiedlich rücksichtigung von sog. „unbewussten Vorstellungen“ hat sie die Grenze zwischen Irrtum und Nichtwissen jedoch de facto überschritten. 412 Nach Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 90. 413 MünchKomm/Leipold, § 2084; Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 90; Kuchinke, Festschrift Gaul, 357 (360 m. Fn. 15); Keuk, S. 87 f. m. Fn. 318. 414 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 90. 415 Es ist daher auch falsch zu sagen, der Erblasser habe A zum Erben eingesetzt, weil er B für einen Dieb hielt. 416 Staudinger/Otte, Vor § 2064 Rn. 90 a.E.
III. Die ergänzende Auslegung
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tituliert wird. Mal ist von „ergänzender Auslegung“417 die Rede, mal von einer „Testamentskorrektur“418. Andere419 halten die positive Berücksichtigung des Willens in den Fällen des Motivirrtums zwar im Hinblick auf die Gesetzeslage für unzulässig, jedoch de lege ferenda für geboten. Das beliebte Argument, § 2078 Abs. 2 BGB gelte wenigstens für den Fall, in dem kein Anhalt dafür vorliegt, was der Erblasser ohne den Irrtum positiv verfügt hätte,420 wirkt nur wie ein schwaches Trostpflaster zur Rettung einer dem Untergang geweihten Vorschrift. Wie bei der erläuternden Auslegung und ihrem Verhältnis zu § 2078 Abs. 1 BGB gesehen,421 greift das Argument zu kurz, da die Verfügung bei konsequenter Umsetzung des Erblasserwillens unwirksam sein müsste. Ein solches Ergebnis, d. h. die schlichte Unwirksamkeit einer Verfügung, ist unter Beachtung der Methode der ergänzenden Auslegung nicht von vornherein ausgeschlossen. Denn der hypothetische Wille, selbst wenn er mit Sicherheit festgestellt werden könnte, muss nicht notwendig auf eine neue Verfügung gerichtet sein, sondern kann auch ergeben, dass das Erklärte einfach nicht gelten soll. Die Rechtsprechung422 scheut sich nicht, ein Testament im Wege der ergänzenden Auslegung für vollkommen gegenstandslos zu erklären. Es erscheint allerdings paradox, in diesen Fällen von „ergänzender“ Auslegung zu sprechen. Tatsächlich wird das Testament ja nicht erweitert, sondern auf ein Nullum reduziert. d) Ergebnis So wie § 2078 Abs. 1 BGB gegenüber der erläuternden Auslegung einen schweren Stand hat, hat auch § 2078 Abs. 2 BGB größte Schwierigkeiten, sich gegenüber der ergänzenden Auslegung zu behaupten. Zwar plädieren nur wenige Autoren offen für eine Eliminierung der gesetzlichen Regelung des Motivirrtums. Doch tut die herrschende Meinung alles dafür, § 2078 Abs. 2 BGB weitestgehend zugunsten der Auslegung zurückzudrängen. Die Voraussetzungen dafür sind mit dem unheilvollen Schlagwort „Auslegung geht der Anfechtung vor“ gegeben. Die Rechtsprechung begründet die Regel nicht etwa mit dem Gebot der Logik, sondern damit, dass die Wirkungen der Auslegung gegenüber denen der Anfechtung vorteilhaft sind. Ein solches Vorgehen ist gesetzeswidrig. Konsequenterweise müsste man gleich die gesamten §§ 2078 ff. BGB streichen.
417
Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 202 v. Lübtow, S. 302 ff.; Harder/Kroppenberg, Rn. 204. 419 Schulz, Gedächtnisschrift Seckel, S. 70 (78); Wingerter, S. 214 ff. 420 Siber, Festgabe Reichsgericht III, S. 350 (380); v. Lübtow, S. 304 f.; auch Kipp/Coing, § 24 III 3 (S. 170) räumt ein, dass die gesetzliche Lösung nicht voll befriedigt, kann sich aber nicht zu einem Verbesserungsvorschlag durchringen. 421 s.o. S. 50. 422 BayObLGZ 1966, 390 (396). 418
C. Testamentsauslegung im spanischen Recht Wenn vom „spanischen Recht“ die Rede ist, dann bedarf dies auf dem Gebiet des Erbrechts der Präzisierung. Das spanische Erbrecht ist nicht einheitlich geregelt. Vielmehr existieren neben dem gemeinspanischen Recht, das im Zivilgesetzbuch, dem Cdigo Civil (CC) vom 24. 07. 1889, kodifiziert ist, verschiedene so genannte Foralrechte, vor allem in Aragn, im Baskenland, in Galicien, Katalonien, Navarra und auf den Balearischen Inseln. Diese Foralrechte sehen insbesondere auf dem Gebiet der gewillkürten Erbfolge, also auch im Hinblick auf Form und Inhalt letztwilliger Verfügungen, vom gemeinspanischen Recht abweichende Regelungen vor.1 Derartige Spezialregelungen werden vom Cdigo Civil in Art. 13 Abs. 2 „voll anerkannt“, also in den Foralrechtsgebieten vorrangig angewendet. Gleichzeitig ordnet Art. 13 Abs. 2 CC die subsidiäre Geltung des Cdigo Civil an, soweit im Foralrecht keine Regelungen vorhanden sind.
I. Beschränkung auf das gemeinspanische Recht Die vorliegende Arbeit lässt die Foralrechte außer Betracht und konzentriert sich auf die Testamentsauslegung nach gemeinspanischem Recht auf der Grundlage des Cdigo Civil. Im Mittelpunkt der Untersuchung wird dabei die Vorschrift des Art. 675 CC stehen, der die allgemeinen Grundsätze der Testamentsauslegung normiert. Da die meisten Foralrechte keine vergleichbare Vorschrift enthalten, richtet sich die Auslegungsmethode insoweit ebenfalls nach gemeinspanischem Recht.2 Eine eigene, von Art. 675 CC abweichende Fassung findet sich dagegen in Art. 110 des Gesetzbuchs über das Erbrecht im Zivilrecht von Katalonien. Ob sich dadurch allerdings nennenswerte Auswirkungen in der Weise ergeben, dass die Auslegungsmethoden in der Sache voneinander abweichen, ist zweifelhaft.3
1
Ferid/Firsching, Länderteil Spanien, Grundzüge, Rn. 3. In manchen Foralrechten wird der Wortlaut des Art. 675 CC im Wesentlichen übernommen und nur auf Grund von Besonderheiten (z. B. der Möglichkeit des gemeinschaftlichen Testierens) angepasst, so etwa in Art. 101 Abs. 1 des Gesetzes über die Erbfolge von Aragn, vgl. Fn. 67. 3 Nach Vaquer Aloy, S. 18, bringen die Regelungen im gemeinspanischen und katalanischen Erbrecht zwar eine unterschiedliche Intensität des Willens zum Ausdruck. Die Ratio sei jedoch die gleiche. Im Verlauf seiner Untersuchung werden dann auch an verschiedenen Stellen die Gemeinsamkeiten hervorgehoben, so z. B. S. 80 u. 100. 2
III. Charakteristika des Testamentes
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II. Stellenwert der Testamentsauslegung in Rechtsprechung und Literatur Die besondere praktische Bedeutung der Auslegung von Testamenten steht auch im spanischen Recht, wie wohl in allen Rechtsordnungen, die die Testierfreiheit anerkennen, außer Frage. Die Literatur verweist auf die zahllosen Entscheidungen des höchsten spanischen Zivilgerichts, des Tribunal Supremo, die eindrucksvoll belegten, dass das dem Stoff innewohnende Problempotenzial „unerschöpflich“4 und „von ewiger Aktualität“5 sei. Dementsprechend zählt die Testamentsauslegung auch im Schrifttum zu den klassischen Themengebieten. Es gibt kein Lehrbuch zum Erbrecht, das der Auslegungsproblematik nicht ein eigenes Kapitel widmet. Veröffentlichungen, die sich ausschließlich mit der Testamentsauslegung befassen, findet man meist in Form von ausgedehnten Zeitschriftenaufsätzen. Von den Monographien war das Werk „Interpretacin del testamento“ von Jordano Barea aus dem Jahr 19586 lange Zeit der einzige Vertreter. Hinzugekommen sind in neuerer Zeit die Untersuchungen von Vaquer Aloy („La interpretacin del testamento“, 2003) und Mestre Rodrguez („La interpretacin testamentaria“, 2003).
III. Charakteristika des Testamentes Obwohl das spanische Zivilgesetzbuch mit Art. 675 CC eine Norm bereit hält, die die allgemeine Methode der Testamentsauslegung vorgibt, nimmt das spanische Schrifttum die Vorschrift keineswegs immer zum Ausgangspunkt der Untersuchung. Die Herangehensweise ist häufig eine andere: Viele Autoren begegnen dem Thema mit der Frage, auf Grund welcher Charakteristika beim Testament eigentlich eine besondere – um es vorwegzunehmen: subjektive – Auslegungsmethode angezeigt ist. In den Vordergrund rückt damit nicht die gesetzliche Vorschrift, anhand derer allgemeine Auslegungsgrundsätze entwickelt werden, sondern die theoretische Grundlage, die quasi vorgegeben zu sein scheint, ohne dass es auf die Regelung im Gesetz ankommt.7
4
Scaevola, Art. 675, S. 211. Castn Vzquez, RDP 1973, 281. 6 Jordano Barea hat dieses Buch in seine 1999 erschienene Monographie „El testamento y su interpretacin“ mit entsprechenden Aktualisierungen übernommen und als zweiten Teil eingefügt. Im Folgenden wird in erster Linie das spätere Werk zitiert. Wenn es allerdings auf die zeitliche Einordnung der Veröffentlichung ankommt, wird auf die erste Publikation verwiesen. 7 Ein Extrembeispiel bietet das Lehrbuch von Albaladejo, S. 340 ff. Art. 675 CC taucht erstmals im letzten der sechs Abschnitte zur Testamentsauslegung auf. In diesem letzten Abschnitt wird zunächst der Wortlaut der Vorschrift wiedergegeben. Anschließend bemerkt Albaladejo, dieses Gebot stütze alles zuvor Gesagte. Es folgt noch ein Satz mit einer Kurzerläuterung des Art. 675 CC. Damit endet das Kapitel über die Testamentsauslegung. 5
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
1. Die fehlende Empfangsbedürftigkeit Wenn die Rechtsprechung über Auslegungsfragen im Erbrecht zu entscheiden hat, dann lässt auch sie es sich nicht nehmen, hin und wieder grundlegende Ausführungen zur Natur des Testamentes zu machen, quasi als Erläuterung zu Art. 675 CC. So hat das Tribunal Supremo8 des öfteren darauf hingewiesen, dass bei nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen („declaraciones de voluntad no recepticias“), für die das Testament das typischste Beispiel darstelle, dem wirklichen Willen entscheidende Bedeutung beizumessen sei. Auch weite Teile des Schrifttums9 heben, der Rechtsprechung folgend, die fehlende Empfangsbedürftigkeit als eine wesentliche – und für die Frage der Auslegungsmethode entscheidende – Eigenschaft der Testamente hervor. Gegen diese Auffassung hat sich Jordano Barea10 gewandt und dargelegt, dass auch bei anderen nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen, wie bei der Auslobung oder bei einem Angebot an die Öffentlichkeit,11 das Vertrauen auf der Seite dritter Personen, für die die Erklärung bestimmt ist, durchaus zu berücksichtigen sei und daher das Kriterium der Empfangsbedürftigkeit nicht den Ausschlag geben könne. Dieses Argument ist im spanischen Schrifttum bisher ohne Widerspruch geblieben.
2. Unentgeltlichkeit Teilweise wird für eine stärkere Berücksichtigung des Erblasserwillens die Unentgeltlichkeit („gratuidad“) des Testamentes ins Feld geführt. Da der Erblasser für seine Zuwendung keinerlei Gegenleistung erhalte, sei es „logisch“, dass sein Interesse Vorrang haben müsse vor dem Willen des Bedachten.12 Gegen diese These spricht jedoch Art. 621 CC, wonach auf die Schenkung die allgemeinen vertraglichen Regeln, folglich auch die für Verträge geltenden Auslegungsvorschriften der Art. 1281 ff. CC anzuwenden sind und nicht etwa Art. 675 CC. Daraus wird zu Recht abgeleitet, dass das Vertrauen des Beschenkten im Hinblick auf den Inhalt der zugesagten Leistung ebenso schutzwürdig sei wie das Vertrauen des Käufers oder Mieters.13 Zwar macht das Gesetz in Art. 1289 Abs. 1 CC durchaus einen Unterschied zwischen entgeltlichen 8 TS v.08.07.1940 (RJ [Repertorio de Jurisprudencia de Aranzadi] 689); TS v. 06.03.1944, (RJ 303); TS v. 12.02.1966 (RJ 487); TS v. 26.11.1974 (RJ 4490); TS v. 22.04.1978 (RJ 1364); TS v. 01.03.1995 (RJ 1769); TS v. 09.10.2003 (RJ 7273). 9 Gonzlez Prez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 403; Simo Santoja, RDP (Revista de Derecho Privado) 1961, 371 (381); Garca Amigo, RDP 1969, 931 (935); Lledo Yagüe, S. 747; Espn Cnovas, S. 372; Ossorio Morales, S. 409; Reglero Campos, S. 33; Fernndez Hierro, S. 757; Mestre Rodrguez, S. 89; Bonet Ramn, RDP 1940, 331 (332). 10 S. 54; zustimmend Dez-Picazo, ADC (Anuario de Derecho Civil) 1959, 694 (696). 11 Vgl. Traviesas, RDP 1925, 33 (36), der zu den empfangsbedürftigen Willenserklärungen allerdings auch diejenigen zählt, die an eine „unbestimmte Person“ gerichtet sind. 12 Lledo Yagüe, S. 747; die Unentgeltlichkeit betonen ebenfalls Royo Martnez, S. 77 u. Mestre Rodrguez, S. 89. 13 Jordano Barea, S. 50 f.
III. Charakteristika des Testamentes
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und unentgeltlichen Verträgen: Bei unentgeltlichen Verträgen soll, wenn es um einen Nebenumstand des Vertrages geht, im Zweifel weniger geleistet werden. Über die eigentliche Auslegungsmethode sagt diese Vorschrift jedoch nichts aus. Das Gesetz entscheidet sich in erster Linie deshalb für ein Kriterium, weil es die Aufrechterhaltung des Vertrages in jedem Fall für sinnvoller hält als seine Vernichtung.14 Ein Hinweis auf eine eher willensorientierte Testamentsauslegung ist darin nicht zu sehen.
3. Die besondere Natur und Struktur des Testamentes Einen eigenen Ansatz zur Sonderbehandlung des Testamentes in Auslegungsfragen verfolgt Jordano Barea: Für ihn liegt die subjektive, d. h. ausschließlich am Willen des Erblassers orientierte Auslegungsmethode begründet in der „besonderen Natur und Struktur“ der letztwilligen Verfügung.15 Im Gegensatz zu allen anderen Rechtsgeschäften werde mit der Errichtung des Testamentes die Sphäre Dritter in keiner Weise berührt. Der Testator strebe nicht danach, ein rechtliches Band zu einer anderen Person zu knüpfen. Vielmehr sei das Testament darauf angelegt, erst dann Wirkung zu entfalten, wenn der Urheber der Erklärung nicht mehr am Leben sei. Damit sei ein Interessenkonflikt zwischen dem Erklärenden und denjenigen, die durch die Erklärung betroffen sind, unvorstellbar. Diese Überlegungen haben sowohl in der Rechtsprechung16 als auch in der Literatur17 Anklang gefunden. Dagegen hat Vaquer Aloy18 den Ansatz vorsichtig kritisiert. Die dem Testament eigene Natur beruhe lediglich auf mehreren einzelnen Aspekten, etwa auf der Eigenschaft einer Verfügung von Todes wegen, der Einseitigkeit, der fehlenden Empfangsbedürftigkeit, der Bestimmung, keine schuldrechtlichen Verpflichtungen, sondern Erwerbstitel (Erbe oder Vermächtnisnehmer) zu schaffen, sowie der freien Widerrufbarkeit19. Nur aus der Zusammenfassung sämtlicher Charakteristika werde deutlich, dass der Schwerpunkt allein auf den Willen des Erblassers selbst gelegt werden müsse und Vertrauensschutzgesichtspunkte unberücksichtigt bleiben müssten.
14 Jordano Barea, S. 52. Zu Art. 1289 Abs. 1 CC und der möglichen Anwendung auf das Testament s.u. S. 152. 15 Erstmals bei Jordano Barea, Interpretacin, S. 40. 16 TS v. 03.04.1965 (RJ 1965); TS v. 12.02.1966 (RJ 487); TS v. 29.01.1985 (RJ 206); TS v. 26.04.1997 (RJ 3542). Freilich wird Jordano Barea als Urheber dieses Gedankens vom Tribunal Supremo nicht zitiert, so wie grundsätzlich die Autoren in den Urteilen keine Erwähnung finden. 17 Dez-Picazo, ADC 1959, 694 (696); Mestre Rodrguez, S. 87. 18 S. 24 f. 19 Auf den Gesichtspunkt des freien Widerrufs als Ergänzung zur fehlenden Empfangsbedürftigkeit stellt auch Lledo Yagüe, S. 747 ab.
108
C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
4. Ergebnis Es besteht in der Rechtsprechung und unter den Autoren Spaniens Einigkeit darüber, dass das Testament Eigenheiten aufweist, die in Auslegungsfragen eine Sonderbehandlung gegenüber anderen Rechtsgeschäften rechtfertigen. Der ausschlaggebende Gesichtspunkt wird zumeist in der fehlenden Empfangsbedürftigkeit des Testamentes gesehen, zum Teil wird auf die Unentgeltlichkeit abgestellt. Diejenigen, die diese Begründung hinterfragen und sie im Ergebnis ablehnen, verweisen hingegen auf die besondere Struktur und Natur des Testamentes. Eine grundlegend andere Beurteilung im Hinblick auf die vorzunehmende Auslegungsmethode ist dabei nicht beabsichtigt. Es geht lediglich darum, eine Basis zu schaffen, auf die die stärkere Betonung des Willens des Erblassers gestützt werden kann. Damit wird nicht gesagt, dass sich dieser Aspekt nicht auch aus der Auslegungsnorm des Art. 675 Abs. 1 CC selbst ergibt. Es werden jedoch frühzeitig die Weichen so gestellt, dass die Richtung für das Verständnis dieser Vorschrift bereits vorgegeben ist. Im Folgenden soll Art. 675 CC möglichst unbefangen ins Blickfeld genommen werden.
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC In dem Kapitel „Über die Erbschaft“ hält das spanische Zivilgesetzbuch in den Art. 744 ff. CC annähernd ein Dutzend spezieller Auslegungsregeln bereit, die beispielsweise die Zuwendung an die Armen (Art. 749 CC), an die Verwandten (Art. 751 CC), an die Geschwister (Art. 770 CC) oder an eine Person und deren Kinder (Art. 771 CC) betreffen. Daneben gibt das Gesetz dem Rechtsanwender eine Generalnorm an die Hand, die im Zentrum des Konzeptes für die Testamentsauslegung steht. Am Ende des Abschnitts „Über die Testamente im Allgemeinen“ (Art. 667 ff. CC) heißt es in Art. 675 Abs. 120 CC wörtlich: Toda disposicin testamentaria deber entenderse en el sentido literal de sus palabras, a no ser que aparezca claramente que fue otra la voluntad del testador. En caso de duda se observar lo que aparezca ms conforme a la intencin del testador segffln el tenor del mismo testamento. Jede testamentarische Verfügung ist im buchstäblichen Sinn ihrer Worte zu verstehen, es sei denn, es trete klar zu Tage, dass der Wille des Testators ein anderer war. Im Zweifel ist das zu
20 Abs. 2 lautet: „Der Testator darf nicht verbieten, dass ein Testament in denjenigen Fällen bestritten wird, in denen eine vom Gesetz erklärte Nichtigkeit vorliegt.“ Es besteht Einigkeit darüber, dass diese Norm mit der eigentlichen Auslegung nichts zu tun hat und daher die systematische Einordnung fragwürdig ist, Scaevola, Art. 675, S. 243; Castn Vzquez, RDP 1973, 281 (291).
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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befolgen, was der Absicht des Testators nach dem Wortlaut desselben Testamentes am besten zu entsprechen scheint.21
1. Anwendungsbereich des Art. 675 Abs. 1 CC Art. 675 Abs. 1 CC betrifft sämtliche testamentarische Verfügungen. Als zulässige gewöhnliche Testamentsformen sieht das gemeinspanische Recht auf der einen Seite das private eigenhändige Testament („testamento olgrafo“, Art. 688 ff. CC) vor, auf der anderen Seite das vor dem Notar errichtete offene („abierto“, Art. 694 ff. CC) oder verschlossene („cerrado“, Art. 706 ff. CC) Testament. Ausgeschlossen ist nach gemeinspanischem Recht die Möglichkeit, gemeinschaftlich zu testieren (Art. 669 CC). Ebenfalls unzulässig ist der Erbvertrag nach Art. 1271 Abs. 2 CC. Somit steht der Begriff „Verfügung von Todes wegen“ unter dem Regime des CC allein für das Einzeltestament.
2. Die erste Regel: Der buchstäbliche Sinn Wie ist nun bei der Testamentsauslegung methodisch vorzugehen? Nach Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC hat sich der zur Auslegung Berufene zunächst an den buchstäblichen Sinn („sentido literal“)22 der Worte zu halten. Im Grundsatz gilt also die grammatische Auslegung. Vom Tribunal Supremo wird diese Richtschnur auch als „erste Regel“ der Testamentsauslegung bezeichnet.23 a) Bestimmung des buchstäblichen Sinnes Wie der buchstäbliche Sinn eines Wortes zu bestimmen ist, darüber verlieren Rechtsprechung und Literatur Spaniens kaum ein Wort. Teilweise wird gesagt, der buchstäbliche Sinn richte sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch.24 Am ausführlichsten hat sich Castn Vzquez25 mit diesem Tatbestandsmerkmal beschäftigt; seine 21 Die Übersetzung der Vorschriften aus dem CC folgt im Wesentlichen den Vorschlägen von Peuster. Lediglich bei den für die Arbeit zentralen Normen (Art. 675, 773, 767 CC) wurden Abweichungen vorgenommen. 22 „Literal“ wird häufig auch mit wörtlich übersetzt, so etwa bei Ferid/Firsching, Länderteil Spanien zu Art. 110 CS (Cdigo de Sucesiones por causa de muerte en el Derecho Civil de CataluÇa). Ein sprachlicher Unterschied zwischen buchstäblich und wörtlich existiert im Spanischen nicht. Vgl. auch Sohst, S. 145, der „literal“ in Art. 675 CC wiederum mit „wortwörtlich“ übersetzt. 23 „cuando la primera regla interpretativa (…) sea la de la literalidad”: TS v. 26.03.1983 (RJ 1644); TS v. 10.04.1986 (RJ 1846); TS v. 09.06.1987 (RJ 4049); TS v. 29.12.1997 (RJ 9490). 24 Mestre Rodrguez, S. 88. 25 Castn Vzquez, RDP 1973, 281 (297 f.).
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
Einteilung soll vorliegend zugrunde gelegt werden. Nach der Auffassung von Castn Vzquez kommen für die „grammatische“Auslegung „vier Instrumente“ in Betracht: der offizielle akademische Sinn (1), der Sinn, den der Ausdruck für die Mehrheit der Bevölkerung hat (2), der individuelle Sprachgebrauch des Erblassers (3) und die Gesetzessprache (4). aa) Der offizielle akademische Sinn Nach Castn Vzquez ist der Wortsinn normalerweise im offiziellen akademischen Sinn zu suchen, wie er sich aus anerkannten Wörterbüchern ergibt. In Spanien sei etwa das „Diccionario de la Real Academia EspaÇola“ ermächtigt, die Bedeutung von Wörtern zu bestimmen.26 So habe auch die Rechtsprechung dieses Werk bei der Auslegung von Willenserklärungen zu Rate gezogen.27 bb) Der Sinn nach dem mehrheitlichen Sprachgebrauch Die Bedeutung eines Wortes könne sich, so Castn Vzquez, aber ebenso aus dem Sprachgebrauch ergeben, den die Mehrheit der Bevölkerung pflegt. Es sei nichts Ungewöhnliches, wenn die Umgangssprache eigene Wege gehe und vom „offiziellen“ Sprachgebrauch abweiche. Die in dieser Weise vorgenommene Abgrenzung lässt sich jedoch kaum durchhalten. Denn auch das „Diccionario de la Real Academia EspaÇola“ führt, nicht anders als andere Wörterbücher, u. a. die umgangssprachliche Bedeutung eines Wortes auf, sodass diese Bedeutung ebenfalls einen offiziellen Anstrich bekommt. Unklar bleibt ferner, was unter der Mehrheit der Bevölkerung genau zu verstehen und wie weit oder eng der Kreis der Bewohner zu ziehen ist. Muss man bei der Bestimmung des Wortsinns, wenn ein Begriff in verschiedenen Landesteilen eine unterschiedliche Bedeutung hat, auf das Verständnis in der jeweiligen Region Rücksicht nehmen? Hierzu äußert sich Castn Vzquez nicht. cc) Der individuelle Sprachgebrauch des Erblassers Unter das Kapitel über den buchstäblichen Sinn fasst Castn Vsquez sogar die individuelle Sprache des Erklärenden. Als Beispiel gibt er den Fall an, in dem jemand seinen Weinkeller als Bibliothek bezeichnet.28 In diesem Fall müsse dem Ausdruck der Sinn gegeben werden, den ihm der Erklärende selbst gab. Ob man dem im Ergebnis zustimmt oder nicht: Mit dem buchstäblichen Sinn, wie er in Art. 675 CC genannt ist, hat das Ganze nichts mehr zu tun. Es ist daher rätselhaft, wie der besondere 26 Mestre Rodrguez, S. 64. f., hält die Zuhilfenahme dieses Wörterbuchs bei der Auslegung von Testamenten für „uninteressant“, mit dem Argument, letztlich gehe ohnehin der individuelle Sinn vor. Um das Vorrangproblem geht es in diesem Zusammenhang jedoch noch überhaupt nicht. 27 TS v. 07.06.1950 (RJ 1018). 28 Über die Herkunft des Beispiels gibt Castn Vzquez keine Auskunft, im Unterschied zu vielen anderen spanischen Autoren, die auf das deutsche Schrifttum verweisen, s.u. Fn. 96.
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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Sprachgebrauch eines Einzelnen und die offizielle Bedeutung sowie die Umgangssprache unter einen Nenner (grammatische Auslegung) gebracht werden können. Castn Vzquez steht mit diesem Verständnis keinesfalls allein da. So ist auch bei anderen Autoren zu lesen, die wörtliche Auslegung sei „von einem subjektiven Kriterium beherrscht“29 oder nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch des Erblassers „modifiziert“30. Schließlich ist der buchstäbliche Sinn auch vom Tribunal Supremo31 verwässert worden, indem es ausführt, das grammatische Element sei in der dem Erblasser eigenen Sprache zu ermitteln. dd) Die Gesetzessprache Als vierte und letzte Kategorie innerhalb des buchstäblichen Sinnes nennt Castn Vsquez schließlich die Gesetzessprache. Sobald das Gesetz einen Begriff ausdrücklich definiere, müsse bei der Auslegung grundsätzlich diese Definition zugrundegelegt werden, denn es sei nicht angängig, dass die Gerichte, die das Gesetz anzuwenden hätten, Begriffe anders interpretierten, als das Gesetz es tue; hiervon dürfe nur im Ausnahmefall abgewichen werden, nämlich dann, wenn keine Zweifel darüber verbleiben, dass der Erblasser einen Begriff gerade nicht im gesetzestechnischen Sinn verstand.32 Hierzu ist zweierlei zu sagen. Zum einen wird zwischen diesem vierten Kriterium (Gesetzessprache) und dem ersten (offizieller akademischer Sinn) kein wesentlicher Unterschied bestehen, da die Gesetzessprache einem Begriff erst den offiziellen Sinn gibt. Zum anderen betreffen die Ausführungen die viel weiter gehende Frage, welches Gewicht der Gesetzessprache bei der Auslegung letztlich zukommt. Die Auffassung, nach der für die technische Bedeutung eine Vermutung spricht, ist von der Rechtsprechung33 vertreten worden. Das Schrifttum differenziert dagegen nach Art und Urheber der Testamente: Eine Vermutung zugunsten der juristisch-technischen Bedeutung sei lediglich bei Testamenten angebracht, die von einem Notar oder von einem Erblasser, der selbst Jurist war, verfasst wurden. Jedoch müsse selbst bei notariellen Testamenten, so wird von mehreren Autoren34 betont, der Nachweis zugelassen werden, dass der Wille des Erblassers nicht korrekt in die juristische Fachsprache übersetzt worden sei. Denn die besondere gesetzestechnische Ausdrucksweise sei nur Wenigen bekannt, sodass ein Vorrang der Gesetzessprache gegenüber der geläufigen und allgemein üblichen Bedeutung unberechtigt sei.
29
Espn Cnovas, S. 375. de la Cmara Alvarez, S. 153. 31 TS v. 06.02.1958 (RJ 1016). 32 RDP 1973, 281 (298) mit Hinweis auf Snchez Roman, S. 1370. 33 TS v. 27.10.1903 (JC [Jurisprudencia Civil] Nr. 94) u. TS v. 28.06.1947 (RJ 920). 34 Jordano Barea, S. 96 f.; Lacruz Berdejo, S. 235; Garca Amigo, RDP 1969, 931 (956); Rivas Martnez, S. 511 m. Fn. 6. 30
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
ee) Ergebnis Über die Bestimmung des buchstäblichen Sinnes ergibt sich im spanischen Recht kein klares Bild. Teilweise wird der Schwerpunkt auf den allgemeinen Sprachgebrauch gelegt, teilweise auf die juristisch-technische Bedeutung eines Fachbegriffs. Während die meisten stillschweigend von einer mehr oder weniger starren Wortsinngrenze ausgehen, hebt einzig Mestre Rodrguez35 den Nuancenreichtum und die Anpassungsfähigkeit der Sprache hervor, sodass sich aus den Wörtern der buchstäbliche Sinn nicht klar ableiten lasse. Mitunter wird von einigen Autoren eine Grenzziehung völlig unmöglich gemacht, wenn der buchstäbliche Sinn von den subjektiven Anschauungen des Erklärenden beeinflusst werden soll. b) Die Eindeutigkeitsformel („in claris non fit interpretatio“) In der Gerichtspraxis spielt der buchstäbliche Sinn im Rahmen der Testamentsauslegung eine zentrale Rolle. Die Gerichte begegnen dem „sentido literal“ keineswegs mit Argwohn, sondern gehen von der Voraussetzung aus, dass die Wörter den Erblasserwillen im Allgemeinen „treu zum Ausdruck bringen und widerspiegeln“36. Die Auslegung nach dem Wortsinn wird daher häufig als ausreichend angesehen, um zu einem endgültigen Ergebnis zu gelangen: nämlich in den Fällen, in denen der „Text der Testamentsklauseln so klar und deutlich ist, dass die bloße Lektüre für die unmissverständliche Erschließung des Erblasserwillens ausreicht“37. Teilweise formuliert das Tribunal Supremo auch umgekehrt in der Weise, dass „der Richter sich an die grammatische Auslegung halten soll, wenn die Klauseln weder unklar noch zweideutig sind“38, oder dass „der buchstäbliche Sinn vorrangig sei, wenn der Text der testamentarischen Klauseln keinen Anlass gibt, über ihren Inhalt und ihre Reichweite zu zweifeln“39, und schließlich in allgemeinerer Form: Eine Auslegung sei nur dann angebracht, wenn Unklarheit oder Zweifel sie erfordert.40 Die Rechtsprechung hat zwar im Schrifttum einige Anhänger gefunden,41 ist aber wegen der starken Betonung des Wortsinns und wegen des Umgangs mit den „klaren 35
S. 88. TS v. 06.03.1944 (RJ 303): „ha de suponerse que las palabras, por lo general, exteriorizan y reflejan fielmente la voluntad (…)” 37 „(…) que el texto de las clausulas testamentarias sea claro y expresivo, de suerte que baste la simple lectura para colegir por modo inequvoco el propsito e intencin del testador”, TS v. 06.03.1944 (RJ 303); TS v. 09.12.1970 (RJ 5440); TS v. 26.11.1974 (RJ 4490); unwesentlich veränderte Formulierung in TS v. 01.06.1946 (RJ 698). 38 „(…) si no son obscuras o ambiguas las clausulas“, TS v. 23.10.1925 (JC Nr. 64); TS v. 03.06.1942 (RJ 760); TS v. 13.02.1943 (RJ 134); TS v. 19.11.1964 (RJ 5108); TS v. 24.03.1982 (RJ 1501); TS v. 05.03.1990 (RJ 1667); TS v. 04.06.1959 (RJ 3024). 39 TS v. 09.03.1984 (RJ 1206). 40 TS v. 11.03.1898 (JC Nr. 115); TS v. 04.06.1959 (RJ 3024). 41 So etwa Simo Santoja, RDP 1961, 371 (372); de Diego, S. 140; Luna Garca, ADC 1948, 158 (159). 36
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und ausdrücklichen Regelungen“ überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Eine Reihe von Autoren42 wirft dem Tribunal Supremo vor, die „Eindeutigkeitsregel“ – sie wird häufig mit der lateinischen Wendung „in claris non fit interpretatio“ umschrieben – stelle eine bloße petitio principii dar. Denn ob eine Erklärung so klar sei, dass sich eine Auslegung erübrige, könne erst im Wege der Auslegung festgestellt werden. Letztendlich steht die Rechtsprechung hierzu jedoch nicht im Widerspruch, wenn sie die Bestimmung des Wortlauts als erste Auslegungsregel ansieht. Ein eindeutiger Wortlaut würde eben nur dazu führen, dass es keiner weiteren Auslegung mehr bedarf.43
3. Art. 675 Abs. 1 Satz 1 a.E. CC als Ausschluss der Eindeutigkeitsregel Wie verhält sich Art. 675 CC zur Eindeutigkeitsregel? Ein Teil der Literatur ist der Auffassung, diese Maxime könnte bei oberflächlicher Betrachtung auf Art. 675 CC gestützt werden. Denn diese Vorschrift – gemeint ist offenkundig nur Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC – könne bei unbefangener Betrachtung so verstanden werden, dass die Frage nach der Absicht des Testierenden nur im Zweifelsfall gestellt werden dürfe. Diese Zweifel könnten sich allein in den Fällen ergeben, in denen „die Testamentsklauseln objektiv unklar oder zweideutig sind.“44 Überraschenderweise zitiert die Rechtsprechung, wenn sie die Auslegung nur bei unklaren Verfügungen für angebracht hält, aber gerade nicht Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC, sondern gelegentlich Satz 1.45 Sie stellt sich auf den Standpunkt, der Richter müsse sich „immer dann an den Sinn der Worte halten, wenn die Absicht des Testierenden dem nicht zu widersprechen scheint, oder – was das Gleiche ist (!) – wenn der Text der Testamentsklauseln klar und eindeutig ist.“46 Es erscheint paradox, die Eindeutigkeitsformel auf Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC zu stützen. Die Vorschrift will doch genau das Gegenteil anordnen, indem neben den buchstäblichen Sinn als erste Regel mit der Berücksichtigung des sich klar ergebenden Willens des Testierenden eine zweite Regel gestellt wird. Selbst wenn also der Wortsinn ohne weiteres bestimmt werden kann und die Erklärung an sich eindeutig 42 Prez Gonzlez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 402; Hernndez-Gil II, S. 122; Ossorio Morales, S. 411; Jordano Barea, S. 86 ff.; Espn Cnovas, S. 375; Castn Vzquez, RDP 1973, 281 (296); Puig Brutau, AAMN (Anales de la Academia Matritense del Notariado) 1962, 511 (516); Lledo Yagüe, S. 751; Vaquer Aloy, S. 50 f.; Royo Martnez, S. 76. Dagegen Fernndez Hierro, S. 765 m. Fn. 16: Wenn der Erblasser seinen Sohn Juan als Erben einsetzt und nur einen Sohn hat, so sei nicht der geringste gedankliche Prozess erforderlich, der die Bezeichnung Auslegung verdiene. 43 Vgl. hierzu Vaquer Aloy, S. 50 m. Fn. 129. 44 Jordano Barea, S. 86 (Hervorhebung im Original); der Einschätzung zustimmend Vaquer Aloy, S. 50. 45 TS v. 03.06.1942 (RJ 760); TS v. 06.03.1944 (RJ 303). 46 TS v. 06.03.1944 (RJ 303); TS v. 26 11.1974 (RJ 4490).
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ist, muss es nach Art. 675 Abs. 1 Satz 1 a.E. CC Raum dafür geben, die Auslegung weiter zu führen und einen möglicherweise abweichenden Erblasserwillen festzustellen. Dementsprechend wird die Eindeutigkeitsformel von einem Teil des Schrifttums47 gerade mit dem Hinweis auf den Nachsatz des Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC bekämpft. Dieser Nachsatz fehlt in dem Fragment von Paulus in den Digesten („cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio“), das als historisches Fundament für die Eindeutigkeitsregel herangezogen wird.48 Dennoch wird teilweise der Ursprung des Art. 675 CC in der Regel „in claris non fit interpretatio“ gesehen.49 a) Relativierung der Eindeutigkeitsregel Der Vorwurf an die Rechtsprechung, mit den oben zitierten Ausschnitten aus den Leitsätzen eine Eindeutigkeitsregel zu formulieren, die im krassen Gegensatz zu Art. 675 Abs. 1 Satz 1 a.E. CC steht, ist berechtigt. Verkehrt wäre es jedoch, die Rechtsprechung auf Grund dieser Äußerungen einseitig auf die Position festzulegen, wonach bei klaren Verfügungen andere Auslegungsmöglichkeiten auszublenden sind. Selbstverständlich lässt das Tribunal Supremo den Nachsatz „es sei denn, es trete klar zu Tage, dass der Wille des Testierenden ein anderer war“ nicht einfach außer acht. Im Gegenteil, es zitiert den Nachsatz oftmals wortwörtlich, und zwar im unmittelbaren Zusammenhang zu den Wendungen über den klaren Ausdruck! Dass der Inhalt des Nachsatzes auch inhaltlich beherzigt wird, bringt das Tribunal Supremo mitunter anderweitig an sich unmissverständlich zum Ausdruck. Denn es formuliert – teilweise in der gleichen Entscheidung, ja nur einige Zeilen zuvor! –, bei der Auslegung solle gerade „nicht beim scheinbaren und unmittelbaren Sinn stehen geblieben werden, der aus den Worten folgt“.50 Damit werden doch die Bedeutung des Wortsinnes, auf den mit der Eindeutigkeitsformel das Schwergewicht gelegt wird, und die Eindeutigkeitsformel selbst ganz zurückgenommen. Es ist schwer verständlich, wie die Rechtsprechung zwei sich derart widersprechende Grundsätze nebeneinander aufrechterhalten kann. Die Literatur hält sich mit der Kritik an der Rechtsprechung insgesamt sehr zurück. Wenn Kritik geübt wird, dann richtet sie sich meist einseitig gegen die Passagen, die anscheinend den Grundsatz „in claris non fit interpretatio“ widerspiegeln. Einen offenen Widerspruch innerhalb der Rechtsprechung kann das Schrifttum dagegen nicht entdecken. Vielfach werden die betreffenden Ausschnitte aus den Leitsätzen kom47
Dez-Picazo/Gulln, S. 364. So Jordano Barea, S. 86, der der Ansicht ist, die Bedeutung der besagten Digestenstelle werde durch das Fragment D. 32, 69 pr. („non aliter a significatione verborum recedi oportet, quam cum manifestum est, aliud sensisse testatorem“) präzisiert. So einfach lassen sich zwei gegensätzliche Aussagen harmonisieren! Jordano Barea gibt freilich zu, dass das zweite Fragment dem ersten üblicherweise gerade als Kontrapunkt gegenübergestellt wird. 49 Prez Gonzlez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 401 f. 50 „sin limitarse al sentido aparente e inmediato que resulte de las palabras“, TS v. 09.10.1943 (RJ 1033); TS v. 06.03.1944 (RJ 303). 48
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mentarlos nebeneinander gestellt und allesamt für richtig befunden. Vaquer Aloy51 weist zutreffend darauf hin, dass manche Autoren einen „Zick-zack-Kurs“ fahren, indem zwischen den klaren Ausdrücken, bei denen sich eine Auslegung erübrigt, und einer subjektiven, allein auf den Willen des Erblassers ausgerichteten Auslegung hin und her gewechselt wird. Dieser Vorwurf darf aber nicht nur Teile des Schrifttums treffen, sondern muss ebenso oder in erster Linie an die Rechtsprechung gerichtet werden, die von manchen Autoren nur wiedergegeben wird. Die Unentschiedenheit der Rechtsprechung drückt sich beispielsweise in der Entscheidung des Tribunal Supremo vom 28.02.199952 aus: „Wir haben eine buchstäbliche Auslegung des Testamentes in der Form begünstigt, wie sie Art. 675 CC verlangt, wonach man sich an den buchstäblichen Sinn seiner Worte zu halten hat, aber wir haben darüber hinaus auch die Absicht des Testators nach dem Wortlaut des Testamentes ermittelt, (ebenfalls Art. 675 CC).“ b) Unbedingter Vorrang des Willens vor dem buchstäblichen Sinn? Die vorangegangen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Rechtsprechung keineswegs die Wortlautauslegung einseitig überbetont und die nicht bereit ist, die Eindeutigkeitsregel auf Kosten eines möglicherweise abweichenden Willens durchzusetzen. Tatsächlich finden sich in der Rechtsprechung immer wieder gegenteilige Äußerungen, die den wirklichen Willen in den Vordergrund rücken und dem in Art. 675 Abs. 1 Satz CC niedergelegten Verhältnis zum buchstäblichen Sinn viel eher entsprechen. So proklamiert nach Ansicht des Tribunal Supremo der hinter Art. 675 CC stehende Ansatz der Auslegung von Testamenten, gerade im Unterschied zur Vertragsauslegung, einen uneingeschränkt subjektiven Standpunkt.53 Es sei daher das vorrangige Ziel, den wirklichen Willen zu erforschen;54 Art. 675 CC gewähre dem wirklichen Willen einen „notorischen Vorrang“ gegenüber dem buchstäblichen
51 S. 48 f. mit Fn. 126. Dort zitiert er u. a. Snchez Romn, S. 1362 f.; Garca Amigo, RDP 1969, 931 (955); Castn Vzquez, RDP 1973, 281, 296 f.; Puig Ferriol/Badosa Coll, Anmerkungen zu Kipp, S. 235; Lacruz Berdejo, S. 218; Scaevola, S. 212 – 215; de la Cmara Alvarez, S. 153 f. Die Liste ließe sich mühelos fortführen, etwa mit O’Callaghan, S. 259 f.; Romn Garca, S. 158 f.; Castn TobeÇas, S. 326; Espn Cnovas, S. 375; Fernndez Hierro, S. 762 u. 768. 52 RJ 1895: „Hemos propiciado una interpretacin literal del testamento en la forma exigida por el Art. 675 CC, que obliga a atenerse al sentido literal de sus palabras, pero adems hemos indagado la intencin del testador, segffln el tenor del mismo testamento (tambin art. 675)”. Vaquer Aloy, S. 49 f., führt diese Entscheidung als Nachweis für die von der Rechtsprechung vertretene Wortlautauslegung an, zitiert allerdings nur die erste Satzhälfte. 53 „(…) que proclama esencialmente una tesis absolutamente subjetiva“, TS v. 31.12.1996 (RJ 9380); TS v. 09.10.2003 (RJ 7273); ähnlich TS v. 06.02.1958 (RJ 1016): „la interpretacin de los negocios jurdicos ,mortis causa ha de hacerse en funcin subjetiva“. 54 TS v. 03.04.1965 (1979); TS v. 23.06.1998 (RJ 4746); TS v. 18.07.1998 (RJ 6388); TS v. 21.03.2003 (RJ 604); TS v. 09.10.2003 (RJ 7232).
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Sinn der Erklärung55 und belege, dass der Wille das „Gesetz der Erbfolge“ sei.56 Das Schrifttum stimmt durchweg in dieses Lied ein und bezeichnet mitunter den Erblasserwillen nach Art. 675 CC gar als das „oberste Gesetz“ („ley suprema“)57. c) Bedeutung des Wortes „claramente“ Bei genauer Lektüre des Gesetzestextes müssen Zweifel an dem von der Rechtsprechung gepredigten starren Vorrang des Willens gegenüber dem buchstäblichen Sinn aufkommen. Der vom buchstäblichen Sinn abweichende Wille muss nach Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC in besonderer Weise, nämlich „claramente“, zum Vorschein kommen. Was sich hinter diesem Begriff genau verbirgt, ist unklar. Im Schrifttum werden Inhalt und Reichweite dieses Tatbestandsmerkmals nicht problematisiert. Einmal könnte das Merkmal an den Grad der Überzeugtheit desjenigen anknüpfen, der zur Auslegung von Testamenten berufen ist. In diesem Fall käme dem Wort „claramente“ eine bloß prozessuale Bedeutung zu. Soll das Merkmal dagegen auf materiell-rechtlicher Ebene eine Rolle spielen, was näher liegt, so muss es Fälle geben, in denen zwar eine Divergenz zwischen dem buchstäblichen Sinn und dem Willen in Betracht kommt oder sogar feststeht, aber die Divergenz eben nicht offensichtlich ist, sich also erst unter Berücksichtigung verschiedener Umstände ergibt, die nicht auf der Hand liegen. Denkbar scheint eine solche einigermaßen klare Grenzziehung allein in der Weise, dass ein vom buchstäblichen Sinn abweichender Wille aus dem Testament selbst, d. h. auf Grund anderer Passagen, hervorgehen muss. Erschließt sich der Wille erst unter Berücksichtigung von Umständen außerhalb des Testamentes, so könnte man sagen, dass dieser Wille eben nicht klar zu Tage tritt. Die Rechtsprechung hat es bislang vermieden, mit Rücksicht auf Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC eine klare Grenze zu ziehen. Sie weicht teilweise auf nebulöse Formulierungen aus, wonach „die erste Auslegungsregel im Wortsinn besteht und das Entstehen einer anderen das Zusammenkommen einiger Daten und Elemente erfordert, die klar zeigen, dass der Wille des Testators ein anderer war“58. Damit wird der Wortlaut des Art. 675 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 CC nur umschrieben. Zum Teil misst das Tribunal Supremo dem Einschub „claramente“ offenbar überhaupt keine Bedeutung bei, wenn es den Wortlaut der Norm unter Auslassung dieses Wörtchens wiedergibt.59
55 „el art. 675 del Cdigo Civil, que concede notoria supremaca a la voluntad real del testador sobre el sentido literal de la declaracin“, TS v. 06.03.1944 (RJ 303); TS v. 22.04.1978 (RJ 1364); TS v. 09.10.2003 (RJ 7273), dort unter Hinweis auf die römische Rechtsregel „in testamentis voluntates testatium interpretatur [sic]”. 56 „La voluntad es la Ley de sucesin”, TS v. 25.01.1990 (RJ 65); TS v. 09.10.2003 (RJ 7232). 57 Lledo Yagüe, S. 747 f.; übernommen von Fernndez Hierro, S. 765 u. 768 und Rivas Martnez, 502. Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (103). 58 TS v. 09.06.1962 (RJ 2768); TS v. 10.04.1986 (RJ 1846). 59 TS v. 12.02.1966 (RJ 487); TS v. 26.11.1974 (RJ 4490).
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Die Literatur verfährt nicht anders.60 Sie vermittelt dadurch den Eindruck, dass es sich bei dem Merkmal „claramente“ um ein überflüssiges Füllwort handelt.
4. Die Bedeutung des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC Nur vereinzelt ist in Rechtsprechung61 und Literatur62 die Auffassung vertreten worden, die Auslegung müsse ausschließlich anhand des Testamentes erfolgen (sog. „prueba intrnseca“). Es sei gänzlich unzulässig, zur Erforschung des Willens auf Umstände zurückzugreifen, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen („prueba extrnseca“). Begründet wird diese strenge Haltung mit dem Formalcharakter des Testamentes. Der letzte Wille müsse, um Wirkung zu entfalten, in der vom Gesetz vorgeschriebenen Form niedergelegt sein. Würden die Formanforderungen nicht erfüllt, sei das Testament nichtig (so ausdrücklich Art. 687 CC). Durch die Berücksichtigung von Willensbekundungen, die diese Voraussetzung nicht erfüllten, bestünde die Gefahr, den tatsächlich erklärten Willen durch einen anderen zu ersetzen. Vor allem lasse sich dieser Standpunkt, der außerurkundliche Beweismittel ausschließt, auf Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC stützen. Denn dort stelle das Gesetz nicht einfach nur auf die Absicht des Testierenden ab, sondern nur insoweit, wie sie sich aus dem Testamentstext selbst ergebe.63 a) „tenor del mismo testamento“ Die Schwierigkeiten bei der Handhabung des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC beginnen bei der Übersetzung des Wortes „tenor“. Üblicherweise empfehlen die Wörterbücher sowohl „Wortlaut“ als auch „Inhalt“.64 Bei den Übersetzungen des Art. 675 CC wird, soweit ersichtlich, das Wort „Inhalt“65 favorisiert. Daran ist problematisch, dass die Ermittlung des Inhalts erst das Ziel der Auslegung ist; als Auslegungshilfe kann der Inhalt des Testamentes deshalb schlecht dienen.66 Deshalb erscheint es ratsam, bei der Übersetzung vorsichtiger von „Wortlaut“ zu sprechen.67 Freilich besteht auch in die60 Die Einschränkung “claramente” fehlt etwa bei Diez-Picazo/Gulln, S. 364; Mestre Rodrguez, S. 89; Lledo Yagüe, S. 750; Rivas Martnez, S. 509; Puig Ferriol/Badosa Coll, Anmerkungen zu Kipp, S. 230. 61 TS v. 11.04.1958 (RJ 1475). 62 de Diego S. 256; ihm folgend Ossorio Morales, S. 412. 63 Ossorio Morales, S. 411 f. 64 So Becher und Langenscheidt. 65 Sohst, S. 146; Peuster, S. 220; Ferid/Firsching, Länderteil Spanien, Art. 675 CC. 66 Vgl. hierzu das ähnliche Problem bei § 2084 BGB: Wie kann der Inhalt verschiedene Auslegungen zulassen, wenn der Inhalt erst im Wege der Auslegung ermittelt werden soll? 67 So im Übrigen auch Ferid/Firsching, Länderteil Spanien, bei der Übersetzung des Art. 101 Abs. 1 des Gesetzes über die Erbfolge von Aragn, dessen Wortlaut mit dem des Art. 675 CC an sich identisch ist und nur um den Fall des gemeinschaftlichen Testamentes
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sem Fall die Gefahr von Missverständnissen, denn im juristischen Sprachgebrauch wird im deutschen Sprachraum, wie bereits beschrieben,68 zwischen Wortlaut und Wortsinn häufig nicht streng unterschieden. Versteht man jedoch unter Wortlaut bloß den Text als solchen, so ist damit noch nicht die durch Auslegung zu gewinnende eigentliche Wortbedeutung vorgegeben. Diese auf den ersten Blick künstlich anmutende Unterscheidung hat auch das Tribunal Supremo getroffen. Um den Erblasserwillen zu ergründen, müsse man sich, so könnte man übersetzen, vorwiegend an den Wortlaut des Testamentes halten, und innerhalb des Wortlauts an den Wortsinn.69 Dies zeigt, dass im Spanischen die beiden Ausdrücke „tenor“ und „sentido literal“ begrifflich stärker getrennt und inhaltlich in ein Stufenverhältnis gesetzt werden, in dem „tenor“ den Oberbegriff darstellt. Mit „tenor del mismo testamento“ ist in Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC somit nichts weiter als der Text des Testamentes „an sich“ gemeint.70 b) Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC als Postulat systematischer Auslegung Nach Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC soll nun der Interpret im Zweifelsfall dasjenige befolgen, was am ehesten der Absicht des Erblassers nach dem Wortlaut des Testamentes, also nach dem Testamentstext selbst, entspricht. Auf den ersten Blick scheint das Gesetz damit in der Tat, wie von den Vertretern der strengen Auslegungslehre dargelegt, die Auslegungsmittel zu beschränken. Nicht einfach nur nach der Absicht an sich soll entschieden werden, sondern nur, soweit sich die Absicht dem Testament entnehmen lässt.71 Nun scheint diese Einschränkung keinen rechten Sinn zu ergeben, denn sie soll nur „im Zweifel“ gelten. Das setzt voraus, dass die Auslegungstätigkeit an sich abgeschlossen ist und nach dieser Auslegungstätigkeit, die doch zumindest das bloße Lesen des gesamten Testamentes beinhaltet, noch Zweifel über die Absicht des Testators verbleiben. Wie kann dann der Blick auf das Testament noch weiterhelfen? Der Sinn des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC kann sich nur aus dem unterschiedlichen Bezugspunkt im Vergleich zu Satz 1 erschließen: Während in Satz 1 nur von einer (einzelnen) testamentarischen Verfügung die Rede ist, nimmt das Gesetz hier das Testament erweitert wird, sodass zusätzlich von den Testierenden die Rede ist: „En caso de duda, se observar lo que aparezca ms conforme a la intencin del testador o testadores segffln el tenor del testamento.“ 68 s.o. S. 32. 69 TS v. 24.03.1982 (RJ 1501): „el tenor propio del propio testamento, y dentro de su tenor, atenerse a su literalidad.“ Ebenso TS v. 01.02.1988 (RJ 581); TS v. 07.03.1997 (RJ 4465); TS v. 09.10.2003 (RJ 7232). 70 Ebenso TS v. 06.03.1944 (RJ 303): „las propias declaraciones del documento testamentario o, lo que es igual, del tenor del mismo testamento“. 71 So auch die Einschätzung von Jordano Barea, S. 100; Espn Cnovas, S. 375; Lasarte, S. 222; O’Callaghan, S. 260. Im Ergebnis hält jedoch keiner der Autoren diese Sichtweise, wie sie das Gesetz nahelegt, für maßgeblich.
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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als Ganzes in den Blick. Aus dieser Perspektive stellen die Worte „segffln el tenor del mismo testamento“ nicht mehr eine Beschränkung, sondern im Gegenteil eine Ausweitung des Auslegungsmaterials mit Blick auf die Gesamtheit der Verfügungen im Sinne einer systematischen Auslegung dar. In diesem Sinn wird die Vorschrift auch in Rechtsprechung72 und Literatur73 gedeutet. Die Regelungstechnik des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC ist keine Erfindung der Väter des spanischen Cdigo Civil. Schon das portugiesische Zivilgesetzbuch von 1867, das der spanischen Regelung unter anderem als Vorbild gedient hat,74 sprach von der Absicht des Testators gemäß dem Kontext des Testamentes (Art. 1761 „mais ajustado com a vontade do testador, conforme o contexto do testamento“)75. Diese Formulierung macht das Anliegen des Gesetzes, einzelne Testamentsklauseln nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit anderen Verfügungen zu sehen, besser deutlich. Weshalb der spanische Gesetzgeber nicht ebenfalls das Wort „contexto“, das auch im Spanischen ganz geläufig ist, gebraucht hat und ob er es überhaupt ernsthaft in Betracht gezogen hat, lässt sich nicht ermitteln. Offenkundig orientierte sich der Gesetzgeber mehr an der Fassung des mexikanischen Cdigo Civil,76 der ihm auf Grund der gemeinsamen Sprache näher lag. Dort hieß es in Art. 3384 CC: „tenor del mismo testamento“. c) Die bewusste Beschränkung auf den „tenor del testamento“ Die Verfasser des spanischen Zivilgesetzbuchs haben es sich nicht so leicht gemacht, einfach nur die Parallelnorm im mexikanischen CC abzuschreiben. Sie haben eine Änderung vorgenommen, die für das Verständnis und die Stoßrichtung des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC von wesentlicher Bedeutung ist. In Art. 3384 mex. CC hieß es (und heißt es in Art. 1302 mex. CC heute noch)77: „En caso de duda 72
TS v. 06.03.1944 (RJ 303); deutlicher dann TS v. 18.12.1965 (RJ 5898). Roca-Sastre Muncunill, S. 273; vgl. auch Lacruz Berdejo, S. 235, der hierin eine Parallele zu Art. 1285 CC betreffend die Auslegung von Verträgen sieht. Vgl. zu dieser Vorschrift u. S. 150. 74 In den Materialien zum Vorentwurf eines Zivilgesetzbuchs (1882 – 1888) findet sich bei Art. 670, der Vorgängernorm des späteren Art. 675 Abs. 1 CC, der Hinweis auf Art. 1761 des port. CC, s. PeÇa Bernaldo de Quirs, S. 194. Art. 670 des Vorentwurfs und Art. 675 Abs. 1 CC waren nahezu wortgleich; aus „parezca“ in Satz 2 wurde lediglich „aparezca“. Zu diesem sprachlichen Unterschied vgl. Mestre Rodrguez, S. 88. 75 Die Vorschrift findet sich heute praktisch unverändert in Art. 2187 Abs. 1 port. CC wieder. 76 In den Materialien zum Vorentwurf (1882 – 1888) wird neben der portugiesischen Vorschrift auch Art. 3384 mex. CC genannt, PeÇa Bernaldo de Quirs, S. 194. 77 Seinen heutigen Standort in Art. 1302 CC mex. bekam die Auslegungsvorschrift bereits im Zuge der Reform im Jahr 1928 zugewiesen. In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich ein kommentarloser Hinweis auf den spanischen Art. 675 CC, vgl. Garca Tellez, S. 150; dadurch wird der – unzutreffende – Eindruck erweckt, die Fassungen im spanischen und mexikanischen Zivilgesetzbuch seien identisch. 73
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
(…) se observar lo que parezca ms conforme a la intencin del testador, segffln el tenor del testamento y la prueba auxiliar que a este respecto pueda rendirse.“ Die mexikanische Norm begnügt sich also bei Zweifelsfragen über die Absicht des Erblassers nicht mit dem reinen Testamentstext, sondern lässt auch einen „Hilfsbeweis“78 zu. Auf diesen Zusatz hat der spanische Gesetzgeber aber gerade verzichtet. Dadurch wird deutlich, dass mit Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC eine Beschränkung des Auslegungsmaterials beabsichtigt war. In der spanischen Literatur spielt der Unterschied zur mexikanischen Norm, der ein zentrales Argument im Rahmen der historischen Auslegung bilden muss, keine Rolle. Lediglich de Castro y Bravo79 weist überhaupt auf die verschiedenen Fassungen hin. Irgendwelche Schlüsse daraus zieht aber auch er nicht. d) Der „Zweifelsfall“ des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC Die Absicht im Wege einer Gesamtbetrachtung des Testamentes zu erforschen, dieses Gebot gilt nach Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC, wie gesehen, nur „im Zweifelsfall“. Worüber müssen genau die Zweifel bestehen? Bei systematischer Betrachtung liegt es nahe, an den unmittelbar vorhergehenden Satz anzuknüpfen. Dort ist vorausgesetzt, dass der buchstäbliche Sinn der Verfügung zwar feststeht, der Erblasserwille aber in klarer Weise davon abweicht. Der sich anschließende Zweifelsfall könnte demgegenüber die Konstellation meinen, dass bei feststehendem buchstäblichem Sinn eben nicht sicher ist, ob der Wille tatsächlich ein anderer ist. Bei dieser Betrachtung würde Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC freilich ad absurdum geführt. Wenn der Ausnahmefall nicht zweifelsfrei vorliegt, muss es bei der Vermutungswirkung, die dem buchstäblichen Sinn zukommt, bleiben. Somit kann der Zweifelsfall nicht auf den gesamten Satz 1 des Art. 675 Abs. 1 CC Bezug nehmen. Im Allgemeinen wird der Anwendungsbereich des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC auch anders definiert. Das Tribunal Supremo hat in der Entscheidung vom 06.03.194480 ausgeführt, dass sich die Zweifel, auf die sich Art. 675 CC bezieht, in erster Linie81 aus unklaren und zweideutigen Testamentsklauseln („clusulas obscuras o ambiguas“) ergeben. Es geht also offensichtlich nicht um den möglichen Gegensatz zwischen buchstäblichem Sinn und Erblasserwillen, sondern darum, dass schon der buchstäbliche Sinn wegen Unklarheit oder Zweideutigkeit zu keinem Auslegungsergebnis führt. Damit ist der Anschluss des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC an Satz 1 freilich
78 Inhalt und Reichweite der „prueba auxiliar“ sind nicht ganz klar. Der Wortsinn legt die Deutung nahe, dass der Hilfsbeweis, der wohl die Heranziehung außerurkundlicher Umstände erlaubt, erst zum Zuge kommt, wenn auch der übrige Testamentstext den Erblasserwillen nicht erhellt. Möglich wäre aber auch, den Hilfsbeweis als gleichberechtigt neben dem „tenor del testamento“ anzusehen. 79 S. 86 m. Fn. 22. 80 RJ 303. 81 Zur Erweiterung auf die „clusulas inexpresivas“ s.u. S. 142 über die ergänzende Testamentsauslegung.
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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irreführend. Vollständig müsste es heißen: „Ist bereits der buchstäbliche Sinn der Verfügung zweifelhaft, (…)“.
e) Versuch der Harmonisierung von Art. 675 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 CC In der Sache spricht erst einmal nichts dagegen, den Zweifelsfall des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC auf nach dem Wortsinn unklare Verfügungen zu beziehen. Dieser Fall mag, wenn man zur Bestimmung dieses Sinnes mehrere Kriterien einfließen lässt, durchaus häufig vorkommen. Kann es sein, dass es dem Richter nur in diesem Fall gestattet ist, auf die übrigen Testamentsklauseln zurückzugreifen? Wenn der Erblasser seine „Bibliothek“ vermacht und andere Stellen im Testament darauf hinweisen, dass es um Weinflaschen und nicht um Bücher geht, dann ist die Voraussetzung des Art. 675 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 CC ohne weiteres erfüllt. Ein anderer Erblasserwille als derjenige, wie er sich aus dem buchstäblichen Sinn ergibt, tritt klar zu Tage. Auslegungszweifel nach Satz 2 bestehen nicht. Dass die übrigen Teile des Testamentes bei der Auslegung von Verfügungen, die für sich genommen klar sind, zu beachten sind, wird also in Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC vorausgesetzt. Wieso sollte für Verfügungen, die bei isolierter Betrachtung unklar sind, etwas anderes gelten? Satz 2 bringt somit kein neues Auslegungsmaterial ins Spiel, sondern beschränkt die Auslegung auf das, was ohnehin erlaubt ist. In der Sache würde damit kein Unterschied zwischen klaren und unklaren Verfügungen gemacht: Beide Male wäre der Sinn einer Verfügung nach dem Willen des Erblassers zu bestimmen, wie er sich aus dem gesamten Testament ergibt. Dies auszudrücken hätte freilich keiner Aufteilung auf zwei Sätze bedurft. f) Offener Widerspruch innerhalb des Art. 675 Abs. 1 CC? Eine merkwürdige Auslegung des Art. 675 CC findet sich bei Fernndez Hierro82. Nach seiner Auffassung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, dass der Wille des Erblassers immer nur anhand des Testamentes selbst zu ermitteln sei. Denn die Ausdrücke „la voluntad del testador“ und „lo que aparezca ms conforme con la intencin del testador, segffln el mismo testamento“ seien durch einen Punkt getrennt und müssten daher unabhängig voneinander interpretiert werden. Das kann eigentlich nur heißen, dass im Fall des Satzes 2, also bei an sich unklaren Verfügungen, die Auslegung auf das Testament beschränkt ist, bei an sich klaren Verfügungen dagegen nicht! Damit würde Art. 675 Abs. 1 CC freilich einen unerträglichen Wertungswiderspruch in sich bergen. Dieser Widerspruch klingt auch bei Roca-Sastre Muncunill83 an: Art. 675 CC gehe von zwei Situationen aus: zum einen davon, dass ein anderer Erblasserwille klar ist, zum anderen davon, dass Zweifel über den Erblasserwillen bestehen. Offensichtlich solle man sich, so Roca-Sastre Muncunill, nur im Zweifelsfall an 82 83
S. 770. S. 273.
122
C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
den Testamentstext halten. Anschließend hebt er jedoch hervor, dass es – anders als der Gesetzestext es nahelegt – in jedem Fall erlaubt sei, bei der Testamentsauslegung über das Testament selbst hinauszugehen.
5. Die Zulässigkeit der Heranziehung von sog. Externa a) Die Auffassung des Schrifttums Im heutigen Schrifttum werden keine Stimmen mehr laut, die die Zulässigkeit der „prueba extrnseca“, dem außerurkundlichen Beweis, bei der Testamentsauslegung grundsätzlich in Frage stellen. Im Gegenteil, die Berücksichtung aller sonstigen Umstände des Falles sei nicht nur erlaubt, sondern geradezu notwendig, um den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen.84 Dies ergebe sich ohne weiteres aus dem Gesetz selbst, nämlich aus Art. 773 Abs. 1 CC85, wonach der Irrtum über Vornamen, Nachnamen oder über Eigenschaften des Erben der Einsetzung nicht schade, wenn man auf andere Weise („de otra manera“) sicher wissen kann, wer die benannte Person ist. „Auf andere Weise“ könne nur bedeuten, dass auf Grund sonstiger Umstände außerhalb des Testamentes der Erblasserwille festgestellt werden kann. Nur vereinzelt wird die Zulässigkeit dieses Vorgehens auf Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC gestützt.86 Der dadurch drohende Widerspruch zu Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC wird mit folgender Begründung vermieden: Diese Vorschrift beziehe sich nur auf den Auslegungsgegenstand – den Testamentstext –, nicht aber auf die Auslegungsmittel. Deshalb könne sie auch in keiner Weise die Auslegungstätigkeit einschränken.87 Beachtung verdient eine Aussage Jordano Bareas88 mit Blick auf das deutsche Schrifttum: Er hebt hervor, dass jegliche Einschränkung der Auslegungsmittel, wie sie etwa von Manigk oder Larenz befürwortet werde, bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen nicht sinnvoll sei. b) Der Wendepunkt in der Rechtsprechung Auch die Rechtsprechung hat sich frühzeitig dagegen ausgesprochen, Testamente stets nur aus sich heraus zu interpretieren. Als besonderer Markstein wird hierfür von
84
Garca Amigo, RDP 1969, 931 (963); Reglero Campos S. 36 m. Fn. 59; Capilla Roncero, S. 119; Roca-Sastre Muncunill, S. 273; Rivas Mrtinez, S. 513. 85 Salvador Coderch, CCJC (Cuadernos Civitas de Jurisprudencia Civil) 1983, 292 (293); Lledo Yagüe, S. 749; Mestre Rodrguez, S. 151; Vaquer Aloy, S. 76. Zu dieser Vorschrift näher u. S. 133. 86 So Dez-Picazo, ADC 1958, 694, 697 m. Fn. 5: Der vom buchstäblichen Sinn abweichende Wille könne sich immer nur außerhalb der Worte ergeben. 87 Jordano Barea, S. 102; Lacruz Berdejo, S. 233. 88 S. 94.
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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der Literatur89 das Urteil des Tribunal Supremo vom 08.07.194090 angesehen. Darin bekannte sich die Rechtsprechung erstmals ausdrücklich dazu, dass es kein Hindernis gebe, das dem Richter verbiete, bei der Auslegung testamentarischer Bestimmungen auf Umstände außerhalb des Testamentes („medios de prueba extrnsecos“) zurückzugreifen. Auch das Tribunal Supremo selbst91 sieht jene Entscheidung als einen Wendepunkt an, indem es einräumt, bis zu diesem Zeitpunkt der Ausweitung der Auslegungsmittel auf außerurkundliche Umstände ablehnend gegenüber gestanden zu haben. Dagegen weisen manche Autoren darauf hin, dass die Rechtsprechung bereits vorher derartige Umstände zur Auslegung herangezogen hat, etwa in Bezug auf den Bildungsgrad, die verwandtschaftlichen Verhältnisse oder die guten oder schlechten Beziehungen zu anderen Personen.92
c) Weitergeltung der Eindeutigkeitsformel Auch wenn das Urteil vom 08. 07. 1940 unmissverständlich den Weg zu einer freieren, den uneingeschränkten Rückgriff auf jede Art von äußeren Umständen gewährenden Testamentsauslegung geebnet hat: Die Rechtsprechung ist sich bei der Beachtung der selbst aufgestellten Maxime nicht treu geblieben. Einen herben Rückfall erlitt das Tribunal Supremo am 11.04.195893, als es die Zulässigkeit der „prueba extrnseca“ gerade auf Grund der fehlenden Empfangsbedürftigkeit des Testamentes offen untersagte. Seitdem hat sich das Tribunal Supremo zwar nicht mehr in dieser restriktiven Form geäußert.94 Allerdings ist in späteren Entscheidungen95 regelmäßig zu lesen, der Richter dürfe nur bei unklaren oder widersprüchlichen Ausdrücken auf andere Beweismittel als den Testamentstext selbst zurückgreifen. Solange die Worte des Erblassers klar und deutlich seien, müsse sich der Interpret am wörtlichen Sinn halten. Die Rechtsprechung gerät daher mit ihrem eigenen Standpunkt in Widerspruch, wenn sie in der Entscheidung aus dem Jahr 1940 behauptet, es gebe kein Hindernis, außerurkundliche Umstände bei der Testamentsauslegung heranzuziehen. Das größte Hindernis stellen in Wirklichkeit die „klaren Verfügungen“ dar. Es muss deshalb davor gewarnt werden, jene Entscheidung überzubewerten. Der in 89
Jordano Barea S. 101; Castn Vzquez, RDP 1973, 281 (302); Reglero Campos, S. 33 f.; Llopis Giner, S. 360 f. 90 RJ 689: „(…) que no hay obstculo legal que impida al juzgador acudir para la interpretacin del contenido de las disposiciones testamentarias a circunstancias exteriores al testamento“. 91 Entscheidung vom 07.03.1997 (RJ 4465). 92 Jordano Barea, S. 88 und Reglero Campos, S. 34 m. Fn. 52, beide mit dem Verweis auf TS v. 28.05.1912 (JC Nr. 57) u. TS v. 23.10.1925 (JC Nr. 64). 93 RJ 1475 m. abl. Anm. Dez-Picazo, ADC 1958, 694: Das TS habe am 08.07.1940 bereits einen viel fortschrittlicheren Weg eingeschlagen. 94 Auf den Ausnahmecharakter dieser Entscheidung hinweisend Jordano Barea, S. 101; Reglero Campos, S. 34 m. Fn. 54; Mestre Rodrguez, S. 115 und Vaquer Aloy, S. 76. 95 TS v. 06.03.1944 (RJ 303); TS v. 24.03.1982 (RJ 1501); TS v. 01.02.1988 (RJ 581); TS v. 07.03.1997 (RJ 4465); TS v. 26.04.1997 (RJ 3542); TS v. 09.10.2003 (RJ 7232).
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
Frage stehende Ausspruch ist dort auch bloß in einem Nebensatz eingebettet und war letztlich nicht entscheidungsrelevant. Im Ergebnis befand das Tribunal Supremo, der Erblasserwille sei im konkreten Fall in mehrerer Hinsicht nicht ausreichend im Testament niedergelegt.
d) Die Berücksichtigung des spezifischen Sprachgebrauchs des Erblassers Wenn klare Verfügungen der Heranziehung außerurkundlicher Umstände entgegenstünden, so könnte dem Willen desjenigen, der sich im Testament abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch ausgedrückt hat, nicht zur Durchsetzung verholfen werden, jedenfalls dann nicht, wenn das Testament nicht an anderer Stelle einen Hinweis auf das wirklich Gemeinte gibt. Diese Konsequenz wird in der aktuellen spanischen Literatur von niemandem gezogen. Vielmehr wird allseits betont, dass auch der besondere Sprachgebrauch des Erblassers bei der Testamentsauslegung positive Berücksichtigung finden müsse. Zur Erläuterung wird häufig das Schulbeispiel angeführt, in dem der Erblasser seinen Weinkeller mit dem Wort „Bibliothek“ zu bezeichnen pflegte. Das Vermächtnis der Bibliothek sei in diesem Fall daher nicht auf den Bücher-, sondern den Weinbestand zu beziehen.96 Der individuelle Sprachgebrauch müsse Vorrang haben vor der eigentlichen Wortbedeutung.
e) Berücksichtigung des nur gelegentlichen Sprachgebrauchs? Jordano Barea führt den Grundsatz der Berücksichtigung des individuellen Sprachgebrauchs fort und meint, es müsse in jedem Fall der subjektive Sinn der Worte Geltung erlangen, auch wenn er noch so anormal und extravagant sei.97 Er verlangt deshalb nicht einmal, dass der Erblasser einen Begriff üblicherweise in einem bestimmten Sinn verstanden hat. Vielmehr sei sogar eine rein gelegentliche Verwendung ausreichend, sofern sie nur irgendwie nachgewiesen werden könne.98 Allerdings betont Jordano Barea zwei Seiten weiter unter Berufung auf die Auffassung von Salvador Coderch99, dass der Gebrauch einer Chiffre oder einer Geheimsprache unzulässig sei. Denn wenn der Inhalt des Testamentes nur über außertestamentarische Umstände entschlüsselt werden könne, würde es dem Erblasser ermöglicht, den formel96
Roca-Sastre Muncunill, S. 274 m. Fn. 486 (als einziger mit dem Hinweis auf Danz als Urheber des Beispiels); Jordano Barea, S. 97 (Verweis auf die „deutsche Rechtslehre“); Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (108); Garca Amigo, RDP 1969, 931 (955); Lledo Yagüe, S. 750; Vaquer Aloy, S. 98 f.; für die Berücksichtigung des persönlichen Sprachgebrauchs im Übrigen: Castn TobeÇas, S. 328 (der zwar Danz, nicht aber sein Schulbeispiel erwähnt); Castn Vzquez, RDP 1973, 281 (301); de la Cmara Alvarez, S. 153; Lacruz Berdejo, S. 237; Puig Brutau, AAMN 1962, 511 (517); Salvador Coderch, CCJC 1983, 292 (294). 97 S. 97. 98 Jordano Barea, S. 97 (Hervorhebung im Original). 99 CCJC 1983, 292 (294).
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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len Rahmen, den Art. 687 CC vorgibt, zu sprengen. Dass hierin ein gewisser Widerspruch liegen könnte – der Inhalt der Verfügung kann beide Male, also auch wenn der Erblasser nicht bewusst eine Geheimsprache verwendet, nur außerhalb des Testamentes festgestellt werden –, wird nicht gesehen.
f) Der Verweis auf die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 03. 06. 1942 Mit der Berücksichtigung des individuellen Sprachgebrauchs ist die Literatur keineswegs danach bestrebt, eine Gegenposition zur Rechtsprechung einzunehmen. Vielmehr stützt sie sich auf verschiedene Urteile des Tribunal Supremo, aus denen sich vermeintlich die uneingeschränkte Berücksichtigung des Erblasserwillens ergibt. Beliebtes Zitat ist in diesem Zusammenhang eine Passage aus dem Leitsatz der Entscheidung vom 03. 06. 1942, in dem es heißt: „(…) der Richter muss, wie bei jeder anderen Auslegung, alle Umstände des Falles berücksichtigen, um den Worten den Sinn zu geben, der am ehesten der Situation, den Gedanken und den Gewohnheiten des Testierenden entspricht.“100 Beim Zitieren wird aber von einigen Autoren101 geflissentlich der Einleitungssatz übergangen, der als Voraussetzung die Unklarheit oder Widersprüchlichkeit der Verfügungen aufstellt („cuando las clusulas sean oscuras, ambiguas o inexpresivas“). Der besondere Sprachgebrauch findet demzufolge nur eingeschränkte Berücksichtigung; in dem Bibliotheksbeispiel müsste er, wenn im Testament nichts auf den Wein hindeutet, außer Betracht bleiben. Interessant an dem Leitsatz ist im Übrigen der Einschub „wie bei jeder anderen Auslegung“. Man kann die Entscheidung vom 03. 06. 1942 also schlechterdings nicht als Beleg für die Besonderheit der Testamentsauslegung wegen der Berücksichtigung des individuellen Sprachgebrauchs anführen, wie es die Literatur tut.102
g) Die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 06. 02. 1958 Ein klares Bekenntnis zur positiven Berücksichtigung des individuellen Sprachgebrauchs findet sich dagegen in der Entscheidung des Tribunal Supremo vom 06.02.1958103. Darin führt das Gericht aus, das Kennzeichen der subjektiven Auslegung liege darin, dass es nicht entscheidend auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch innerhalb des sozialen Bereichs ankommt, in dem der Erblasser sich befand, sondern 100 RJ 760 („el juez deber, como en cualquier otra intrepretacin, enfocar todas las circunstancias del caso para dar a las palabras el sentido que sea ms conforme a la situacin, ideas y hbitos del testador“). 101 So etwa bei Jordano Barea, S. 95; Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (107); Lledo Yagüe, S. 750. 102 Die beiden in der vorigen Fußnote zuerst Genannten gehen auf den Einschub, obwohl sie ihn zitieren, nicht ein. Lledo Yagüe lässt den Einschub gleich durch die Verkürzung des Zitats aus. 103 RJ 1016.
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
auf seine ganz eigene und eigentümliche Sprache („en el lenguaje propio y peculiar del agente“). Eine Einschränkung wie in der Entscheidung vom 03. 06. 1942 enthält der Leitsatz nicht mehr. Es muss sich also weder um unklare Klauseln handeln, noch braucht die Abweichung von der verkehrsüblichen Bedeutung besonders deutlich hervorzutreten. Die Entscheidung soll im Folgenden näher betrachtet werden. aa) Sachverhalt und Problemstellung Die Erblasserin hatte ihrer Haushälterin neben einer Geldsumme von 2000 Peseten ein landwirtschaftliches Grundstück in Lrida (Katalonien) vermacht. Im Testament war das Grundstück als „huerto“ bezeichnet, was so viel heißt wie Beet oder Garten. Die Haushälterin als Vermächtnisnehmerin und die eingesetzten Erben stritten nun darüber, ob von dem Vermächtnis des Grundstücks auch das darauf befindliche Landhaus umfasst sei. Das erstinstanzliche Gericht verneinte die Frage zugunsten der gesetzlichen Erben. Die zweite Instanz bejahte sie und gab der Vermächtnisnehmerin Recht. Die Revision der gesetzlichen Erben vor dem Tribunal Supremo hatte keinen Erfolg. Das höchste spanische Zivilgericht schloss sich also der weiten Auslegung des Begriffs „huerto“ an. bb) Die Begründung des Tribunal Supremo Das Urteil gibt dem Leser Rätsel auf. Der entscheidende Gesichtspunkt lag nämlich nach Ansicht des Tribunal Supremo nicht etwa, wie der Leitsatz erwarten lässt, darin, dass die Erblasserin tatsächlich mit „huerto“ das betreffende Grundstück mitsamt dem darauf befindlichen Gebäude zu bezeichnen pflegte und im konkreten Fall auch so bezeichnen wollte. Der Richter in der Eingangsinstanz hatte es vielmehr als erwiesen angesehen, dass die Erblasserin sprachlich sehr wohl zwischen dem Grundstück und dem Gebäude unterschied. Für die engere Auslegung des Wortes „huerto“ sprach zudem der Umstand, dass die Erblasserin und die Haushälterin zusammen zur Obst- und Gemüseernte regelmäßig den Garten betraten, nicht aber das Landhaus, das an eine andere Person vermietet war. Weshalb das Berufungsgericht und im Anschluss das Revisionsgericht die enge Auslegung verworfen haben, ist nicht recht nachvollziehbar. Jedenfalls wird nirgendwo gesagt, die Erblasserin habe mit dem Wort „huerto“ auch das Landhaus einschließen wollen. Eine Rolle mag sicherlich gespielt haben, dass das gesamte Grundstück im Grundbuch nur als Einheit eingetragen war. Wie die gesetzlichen Erben anführten, wäre es jedoch ohne weiteres möglich gewesen, das Grundstück im Nachhinein aufzuteilen und das Gebäude vom Garten zu trennen. Das Tribunal Supremo hat sich anscheinend auch nur schlechten Gewissens der weiten Auslegung des Berufungsgerichts angeschlossen. Denn es führt aus, dass das angefochtene Urteil aufrechtzuerhalten sei, solange der vermeintliche Irrtum
IV. Die Grundvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC
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nicht ganz offenkundig zu Tage trete.104 Das Tribunal Supremo belässt es also – wie bei der Testamentsauslegung üblich105 – bei einer bloßen Evidenzkontrolle. cc) Widerspruch zwischen Leitsatz und Urteilsbegründung So verheißungsvoll der Leitsatz der Entscheidung vom 06. 02. 1958 auch klingt, die Urteilsbegründung wird ihm nicht gerecht. Die extensive Auslegung des Vermächtnisses beruht gerade nicht auf der ausdrücklichen Zugrundelegung eines ganz individuellen Sprachgebrauchs der Erblasserin, der vom gewöhnlichen Sprachgebrauch in der Umgebung, in der die Erblasserin lebte, abweicht. Weshalb das Tribunal Supremo diese Differenzierung überhaupt auf die beschriebene Weise vornimmt und dem individuellen Sprachgebrauch nicht einfach den allgemeinen gegenüberstellt, ist unklar. Offensichtlich geht das Tribunal Supremo von einer Dreiteilung aus. Zwischen den individuellen und den allgemeinen wird noch ein weiterer, etwa lokaler oder regionaler Sprachgebrauch gestellt. Der Grund für diese Unterscheidung mag im vorliegenden Fall darin liegen, dass dem Wort „huerto“ in der Gegend um Lrida eine umfassendere Bedeutung als in den übrigen Teilen Spaniens zukommt und sogar ein Stadtteil in den Außenbezirken von Lrida den Namen „lHorta“ trägt.106 Wenn das Tribunal Supremo so sehr betont, dass sich die individuelle und eigentümliche Sprache des Erblassers sogar gegen den besonderen lokalen oder regionalen Sprachgebrauch durchsetzen muss, dann wäre zu erwarten gewesen, dass die Auslegung zu einem engen Verständnis des Begriffs „huerto“ führt. Die Entscheidung hätte folglich genau umgekehrt ausfallen müssen! Der erste Leitsatz der Entscheidung vom 06. 02. 1958 hält übrigens noch eine weitere Ungereimtheit parat. Die Anweisung an den Richter, sich an den besonderen Sprachgebrauch des Erblassers zu halten, wird damit begründet, dass andernfalls die Gefahr bestünde, den wirklichen Willen durch einen anderen, nicht mit letzter Sicherheit bekannten Willen zu ersetzen.107 Von welchem anderen Willen ist hier die Rede? Wenn sich ein Wille nicht exakt ermitteln lässt, dann ist das doch allein der wirkliche, innere Wille.
104
„mientras que el error no resulte muy manifiesto en la sentencia impugnada“. TS v. 05.10.1970 (RJ 4044); TS v. 29.01.1985 (RJ 206); TS 18.04.1985 (RJ 1771); TS v. 29.12.1996 (RJ 9490); TS v. 30.01.1997 (RJ 159); TS v. 26.04.1997 (RJ 3542); TS v. 23.06.1998 (RJ 4740); TS v. 15.12.2005 (RJ 10157); TS v. 20.12.2005 (RJ 2006, 287); TS v. 12.06.2006 (RJ 3364). 106 An dieser Stelle danke ich Herrn Professor Vaquer Aloy von der Universität Lrida für die wertvollen Informationen. In seiner Monographie, S. 76 m. Fn. 223, billigt Vaquer Aloy allerdings das Urteil des Tribunal Supremo, ohne freilich näher auf den Sachverhalt und die Urteilsbegründung einzugehen. 107 „la grave falta de sustituir la voluntad real con otra no conocida con exactitud“. 105
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
h) Ergebnis Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Schrifttum ganz überwiegend die Heranziehung außerurkundlicher Beweismittel bei der Testamentsauslegung für zulässig hält. Ihre Berücksichtigung sei sogar notwendig, um dem wirklichen Willen des Erblassers, etwa in den Fällen des besonderen Sprachgebrauchs, zum Durchbruch zu verhelfen. Die Rechtsprechung ist dagegen zurückhaltender. Sie leitet die Inhaltsprüfung damit ein, es sei im Allgemeinen zu vermuten, dass die Worte den Willen des Erblassers getreulich wiedergeben und ausdrücken.108 Wenn die Klauseln jedoch eindeutig erscheinen, wird dann meist nicht weiter nach dem wirklichen Willen geforscht. Vielmehr wird quasi unwiderlegbar vermutet, dass der Wille mit den Worten übereinstimmt. Im Schrifttum herrscht dagegen die Auffassung vor, dass dem Wortlaut die Wirkung einer bloß widerlegbaren Vermutung zukommt.109 Sobald ein gegenteiliger Wille – wie auch immer – bewiesen werden kann, müsse ihm Geltung verschafft werden. Mit der Regelungstechnik des Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC lässt sich diese Sichtweise, sieht man von dem zusätzlichen Merkmal „claramente“ ab, vereinbaren, drückt die Gesetzesformulierung doch typischerweise ein Regel-AusnahmeVerhältnis und eine Beweislastverteilung zu Ungunsten desjenigen aus, der sich auf eine vom buchstäblichen Sinn abweichende Bedeutung beruft.
V. Grenzen der Testamentsauslegung Auf der einen Seite besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit über den unbedingten Vorrang des Willens vor dem buchstäblichen Sinn. Auf der anderen Seite lässt kaum jemand einen Zweifel daran, dass auch die Testamentsauslegung an ihre Grenzen stößt und nicht jeder Wille Geltung erlangen kann. Denn, so wird gesagt, der Wille müsse, um rechtliche Bedeutung zu erlangen, erklärt sein.110 Dass man in diesem Punkt auch anderer Auffassung sein kann, wonach auf den Erblasserwillen unabhängig von der äußeren Erklärung abzustellen ist, kommt den meisten offenbar nicht in den Sinn. Nur vereinzelt wird auf die Gegenansicht und deren Vertreter vornehmlich aus dem deutschen Rechtskreis (genannt werden insbesondere Oertmann und Danz) hingewiesen;111 Gefolgschaft hat diese Meinung, die für eine von der Erklärung vollkommen losgelöste Testamentsauslegung eintritt, jedoch weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum Spaniens gefunden. Als Hauptar108 „con la presuncin primera de reflejar fielmente la voluntad”, TS v. 24.03.1982 (RJ 1501); ähnlich TS v. 19.12.2006 (RJ 9243). 109 Dez-Picazo/Gulln, S. 364; Lledo Yagüe, S. 751; Vaquer Aloy, S. 48. 110 Garca Amigo, RDP 1969, 931 (947); Capilla Roncero, S. 118; Fernndez Hierro, S. 769. 111 So von Jordano Barea, S. 109 und Fernndez Hierro, S. 769 m. Fn. 23. Vaquer Aloy, S. 98 m. Fn. 286 nennt als Gegner der Andeutungstheorie Brox, Lange/Kuchinke, Stumpf und Foerste.
V. Grenzen der Testamentsauslegung
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gument wird die Formbedürftigkeit des Testamentes bemüht:112 Solange der Wille nicht in der vom Gesetz vorgeschriebenen Form erklärt sei, müsse er der Nichtigkeit anheimfallen (Art. 687 CC).
1. Das Erfordernis einer Andeutung Wann ist aber der Erblasserwille tatsächlich erklärt und wann nicht? In dieser Frage hat das bereits erwähnte Urteil des Tribunal Supremo vom 08.07.1940113, das erstmals ausdrücklich die Beachtung von Umständen außerhalb des Testamentes für zulässig erklärt hat, scheinbar Maßstäbe gesetzt. Das Tribunal Supremo führt aus, es sei „notwendig, dass der durch Auslegung ermittelte Sinn in der Testamentsurkunde einen, wenn auch unvollständigen Ausdruck hat und so die formelle Erklärung als eine Erklärung des Inhalts des Erblasserwillens aufgefasst werden kann.“114 Reglero Campos115 ist der Auffassung, dass diese Formulierung „ganz sicher“ auf die von der deutschen Rechtswissenschaft entwickelte „Andeutungstheorie“ zurückgehe. Jordano Barea116 weist in diesem Zusammenhang auf den von der deutschen Rechtsprechung verwendeten Begriff „Anhalt“ hin, den er mit „apoyo“117 übersetzt und der so auch von anderen spanischen Autoren gebraucht wird.118 Für das Wort „Andeutungstheorie“ gibt es dagegen im Spanischen keine direkte Entsprechung;119 es wird daher von manchen Autoren schlicht übernommen.120 Teilweise wird auf andere Formulierungen ausgewichen und gesagt, der Wille des Erblassers müsse sich auf den Testamentstext zurückführen lassen oder mit ihm in Einklang zu bringen sein.121
112 TS v. 08.07.1940 (RJ 303); TS v. 25.01.1990 (RJ 65); Jordano Barea, S. 99; Albaladejo, S. 345. 113 RJ 303. 114 es menester, (…) que el sentido averiguado y desenvuelto por la interpretacin tenga una expresin, cuando menos incompleta, en el documento y pueda as la declaracion formal ser configurada, por s sola, como una declaracion de la voluntad del testador.“ 115 S. 37. Reglero Campos meint, der Andeutungstheorie stehe die Anhaltstheorie gegenüber, die zwar ebenfalls die Heranziehung von Externa erlaube, allerdings nur unter strengeren Voraussetzungen, so auf S. 37 m. Fn. 64 unter Verweis auf Bartholomeyczik/Schlüter11, § 22 I 2 S. 118 f. Hierbei handelt es sich um eine Fehlinterpretation. Ein Unterschied zwischen der Andeutungs- und der Anhaltstheorie kommt weder bei Bartholomeyczik/Schlüter, noch sonst an irgendeiner anderen Stelle zum Ausdruck. 116 S. 111. 117 Hauptbedeutungen nach Langenscheidt: „Halt“ und „Stütze“. 118 Vor allem Vaquer Aloy, S. 62; ebenso bei Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (789). 119 Reglero Campos, S. 37 m. Fn. 63. 120 Reglero Campos, S. 37 m. Fn. 64 u. 65. Ebenso Vaquer Aloy, Überschrift zu VII 2 (S. 97): „La Andeutungstheorie“. 121 Jordano Barea, S. 103; Vaquer Aloy, S. 62.
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
2. Andeutungsformel im subjektiven Sinn An der 1940 eingeführten Andeutungsformel hat die Rechtsprechung in der Folgezeit festgehalten;122 ein ähnliches Bild bietet auch die Literatur: Mit mehr oder weniger klaren Worten heißt die wohl überwiegende Mehrheit der Autoren die Andeutungstheorie in der Sache gut.123 Das übrige Schrifttum geht auf die Andeutungsformel überhaupt nicht ein. Man kann die entsprechenden Autoren daher auch nicht zu den Gegnern dieser Theorie zählen. Es ist bemerkenswert, dass die Andeutungstheorie von spanischer Seite überhaupt keinen Angriffen ausgesetzt ist. So besteht kein Bedürfnis, die Formel in irgendeiner Weise konkreter zu fassen und zu verfeinern. Eine Ausnahme stellt Jordano Barea124 dar. Er schließt sich ausdrücklich der Auffassung Kretzschmars an, wonach die Andeutung nur vom Standpunkt des Erklärenden aus vorzuliegen brauche. Diese „präzise Formulierung“ erlaube es, nicht nur den Sprachgewohnheiten, sondern auch der Bedeutung, die der Erblasser den Worten bei der bloß gelegentlichen Verwendung im Testament beimaß, Geltung zu verschaffen. Das übrige Schrifttum, das eine solche Unterscheidung nicht trifft, scheint mit der „allgemeinen Andeutungsformel“ und der gleichzeitigen Berücksichtigung des spezifischen Sprachgebrauchs ohne weiteres zurecht zu kommen. So meint etwa Vaquer Aloy, dass im Bibliotheksfall das Erfordernis der Andeutung unproblematisch erfüllt sei, ja dass die Andeutung im Text „ganz offenkundig“ vorliege.125
VI. Irrtümliche Verfügungen Als eigentliche Bewährungsprobe für die Andeutungstheorie erweisen sich die Fälle, in denen dem Erblasser bei der Niederlegung seines letzten Willens ein Irrtum unterläuft. Kann der wirkliche Wille hier in irgendeiner Art und Weise angedeutet sein? Wenn nicht: Welches Schicksal ereilt irrtümliche Verfügungen? Nur wenige spanische Autoren widmen sich überhaupt dem Thema des Irrtums in letztwilligen Verfügungen.126 Die es tun, betonen teilweise die Nähe zur Auslegungsproblematik. Denn ob der Erblasser irrtümlich verfügt hat, könne allein im Wege der Auslegung
122
TS v. 10.04.1986 (RJ 1846); TS v. 07.03.1997 (RJ 4465). Gnzalez Perez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 402 f.; Albaladejo, S. 345; Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (105); de la Cmara Alvarez, S. 153; Gonzlez Pacanowska, CCJC 1987, 4672 (4673 f.); Lacruz Berdejo/Sancho Rebullida, S. 457; Jordano Barea, S. 112; Mestre Rodrguez, S. 91 f.; Vaquer Aloy, S. 97; wohl auch Dez-Picazo/Gulln, S. 365. 124 Jordano Barea, S. 111; ebenso Lacruz Berdejo, S. 234. Beide verweisen auf Kretzschmar, § 24 I 1 (S. 135). 125 Vaquer Aloy, S. 99. 126 Auf diesen Umstand weist Mestre Rodrquez, S. 140 m. Fn. 294 hin. 123
VI. Irrtümliche Verfügungen
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festgestellt werden; in Wahrheit seien Vorschriften über den Irrtum Auslegungsvorschriften.127
1. Fehlen einer generellen Regelung des Irrtums im Erbrecht Dass die erbrechtliche Literatur zum Irrtumsrecht so spärlich ist, dürfte nicht zuletzt an der lückenhaften gesetzlichen Regelung liegen. Eine allgemeine Regelung über die Behandlung von Irrtümern im Erbrecht enthält der Cdigo Civil nicht. Am ehesten hätte man eine entsprechende Erwähnung bei den Nichtigkeitsgründen erwartet. Dazu heißt es jedoch in Art. 673 CC: „Nichtig ist das unter Gewalt, Arglist oder Täuschung errichtete Testament.“128 Der Irrtum fehlt in der Aufzählung und kann folglich allem Anschein nach nicht die Unwirksamkeit des Testamentes – auch nicht durch Anfechtung – herbeiführen. Diese Vermutung wird insbesondere durch einen Vergleich mit der Parallelvorschrift im Vertragsrecht verstärkt. „Die durch Irrtum, Gewalt, Drohung oder Arglist zustande gekommene Einigung ist nichtig“, lässt Art. 1265 CC129 verlauten. Aus der Gegenüberstellung beider Normen kann man vernünftigerweise nur schlussfolgern, dass die Auslassung in Art. 673 CC vom Gesetzgeber beabsichtigt war.130 Schon aus diesem Grund würde sich eine Analogie verbieten. Darüber hinaus enthält das Gesetz jedoch in Art. 743 CC eine ausdrückliche Analogiesperre: „Nur in denjenigen Fällen, die in diesem Gesetzbuch ausdrücklich vorgesehen sind, werden Testamente hinfällig oder testamentarische Verfügungen ganz oder teilweise unwirksam.“131
2. Die verschiedenen Irrtumsfälle Freilich bleibt der Irrtum im Testamentsrecht nicht völlig unerwähnt. So ist beispielsweise nach Art. 862 Abs. 1 CC132 ein Vermächtnis nichtig, wenn der Erblasser nicht wusste, dass die Sache, die er vermachte, eine fremde war. Hier führt die Fehlvorstellung des Erblassers folglich zur Unwirksamkeit der Verfügung. Weshalb gerade in diesem speziellen Fall eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen ist, dass Irrtümer unbeachtlich sein sollen, leuchtet nicht ein. Tatsächlich schenkt der
127 Mestre Rodrguez, S. 131; Espiau Espiau, S. 67; vgl. auch Simo Santoja, RDP 1961, 371 (372): Auslegen heißt herausfinden, bis zu welchem Punkt der erklärte Wille mit dem wirklichen Willen übereinstimmt. 128 „Ser nulo el testamento otorgado con violencia, dolo o fraude.“ 129 „Ser nulo el consentimiento prestado por error, violencia, intimidacin o dolo.“ 130 Albaladejo, RDP 1948, 423 (431); Ossorio Morales, S. 353; Mestre Rodrguez, S. 141. 131 „Caducarn los testamentos, o sern ineficaces en todo o en parte las disposiciones testamentarias, slo en los casos expresamente prevenidos en este Cdigo.“ 132 „Si el testador ignoraba que la cosa que legaba era ajena, ser nulo el legado.“
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
CC dem Irrtumsrecht in zwei allgemeiner gehaltenen Normen Aufmerksamkeit: in Art. 767 Abs. 1 CC und in Art. 773 Abs. 1 CC. a) Art. 767 Abs. 1 CC La expresin de una causa falsa de la institucin de heredero o del nombramiento de legatario, ser considerada como no escrita, a no ser que del testamento resulte que el testador no habra hecho tal institucin o legado si hubiese conocido la falsedad de la causa. Die Angabe eines unrichtigen Grundes für die Einsetzung eines Erben oder für die Benennung eines Vermächtnisnehmers wird als nicht geschrieben angesehen, sofern nicht aus dem Testament hervorgeht, dass der Testator eine solche Einsetzung oder ein solches Vermächtnis nicht getroffen hätte, wenn er die Unrichtigkeit des Grundes gekannt hätte.
Unter Art. 767 Abs. 1 CC wird grundsätzlich jede Art von Motivirrtum („error vicio de la vountad“ oder „error propio“) gefasst; der Ausdruck „causa falsa“ ist nicht im technischen Sinne zu verstehen, sondern betrifft ganz allgemein jeden Beweggrund einer Verfügung.133 Dennoch erklärt das Gesetz den Motivirrtum nur in äußerst eingeschränkter Weise für beachtlich.134 Erstens muss der Beweggrund ausdrücklich in der Verfügung genannt sein. Und zweitens muss sich sein bestimmender Charakter, also die kausale Verknüpfung zwischen Motiv und Erklärung, aus dem Testament selbst ergeben. Der gesetzlichen Regelungstechnik entsprechend dürfte, wenn man den Wortlaut der Vorschrift ernst nimmt, insbesondere die zweite Voraussetzung nur selten erfüllt sein. Der Erblasser müsste also schreiben: „Ich setze X als Erben ein, weil er mir das Leben gerettet hat.“135 Stellt sich heraus, dass Y der Lebensretter war, so könne der Nachweis, dass das irrige Motiv entscheidend für die Verfügung war, ohne weiteres anhand des Testamentes („prueba intrnseca“) erbracht werden. Diese Art des Beweises wird jedoch nur von Wenigen gefordert.136 Der überwiegende Teil des Schrifttums137 stellt geringere Anforderungen und lässt es genügen, wenn sich für das Motiv ein bloßer Anhaltspunkt im Testament findet und der bestimmende Charakter des Motivs auf irgendeine Art und Weise, also auch auf Grund außerurkundlicher Umstände, festgestellt werden kann („prueba extrnseca“). Man sieht es daher als ausreichend an, wenn der Erblasser etwas „seinem treuen Diener“ vermacht und später bewiesen wird, dass es dem Erblasser ganz entscheidend auf die 133
Albaladejo, ADC 1954, 319 (325); Gordillo CaÇas, ADC 1987, 747 (796 f.). Damit ist die Unterscheidung zwischen dem sog. „error motivo“ und dem „error en los motivos“, wie sie im Vertragsrecht gemacht wird, für das Testamentsrecht belanglos, vgl. Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (802). 134 Rechtspolitisch wird die restriktive Handhabung des Motivirrtums kritisiert von Mestre Rodrguez, S. 151 f. 135 Albaladejo, ADC 1954, 319 (325) (Hervorhebung im Original). 136 Albaladejo, ADC 1954, 319 (322); Lacruz Berdejo, Anmerkungen zu Binder, S. 88; Lacruz Berdejo/Sancho Rebullida, S. 465; wohl auch Mestre Rodrguez, S. 151 f. 137 Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (803 ff.); de la Cmara Alvarez, S. 162; de Castro y Bravo, S. 129 f.; Capilla Roncero, S. 115; Jordano Barea, S. 68.
VI. Irrtümliche Verfügungen
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Treue des Dieners ankam.138 Die Literatur geht folglich mit der Voraussetzung „del testamento resulte“ in Art. 767 Abs. 1 Hs. 2 CC ebenso um wie mit „segffln el tenor del mismo testamento“ in Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC. Die allgemeine Auslegungsmethode wird somit in die Feststellung eines Motivirrtums hineingetragen.139 b) Art. 773 Abs. 1 CC Auf der Schnittstelle zwischen Auslegung und Irrtum liegt auch Art. 773 Abs. 1 CC: El error en el nombre, apellido o cualidades no vicia la institucin cuando de otra manera puede saberse ciertamente cul sea la persona nombrada. Der Irrtum über Vornamen, Nachnamen oder Eigenschaften des Erben beeinträchtigt die Einsetzung nicht, wenn auf andere Weise sichere Kenntnis darüber erlangt werden kann, wer die benannte Person ist.
Während Art. 767 Abs. 1 CC den Grundsatz „falsa causa non nocet“ aufstellt, liegt Art. 773 Abs. 1 CC die Regel „falsa demonstratio non nocet“ zugrunde. Man kann fragen, ob man die Regel nicht hätte einfacher formulieren und die zweite Hälfte der Vorschrift einfach weglassen können. Dass die in Wirklichkeit benannte Person bekannt sein muss, suggeriert bereits das Tatbestandsmerkmal „Irrtum über den Namen“. Wenn weder der im Testament angegebene Name noch sonst irgendein Umstand die Identifikation derjenigen Person ermöglicht, die der Erblasser bedenken wollte, mit welchem Inhalt sollte die Verfügung eigentlich wirksam werden? In dieser Konstellation ergäbe sich die Unwirksamkeit der Verfügung unmittelbar aus Art. 750 CC, wonach die Verfügung zugunsten einer ungewissen Person nichtig ist.140 Sinn macht der Nachsatz in Art. 773 Abs. 1 CC nur, wenn man die Betonung auf das Wörtchen „ciertamente“ legt. In der spanischen Rechtswissenschaft äußert sich zur Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals niemand; letztlich steht man vor dem gleichen Problem wie bei der Bedeutung des Wortes „claramente“ in Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC. Eine echte Funktion wird dem Wörtchen weder in dem einen noch in dem anderen Fall beigelegt. Es handelt sich danach um ein bedeutungsloses Füllwort.
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de la Cmara Alvarez, S. 162. Vgl. Roca Sastre/Badosa Coll, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 279: Art. 767 Abs. 1 betrifft nicht ein Problem des Willensmangels, sondern ein Auslegungsproblem. 140 „Toda disposicin en favor de persona incierta ser nula, a menos que por algffln evento pueda resultar cierta.“ Art. 773 Abs. 2 führt diesen Grundsatz konsequent fort, indem – anders als im deutschen Recht (§ 2073 BGB) – die Verfügung auch dann für nichtig erklärt wird, wenn die Bezeichnung des Erben auf mehrere Personen zutrifft und der Gemeinte nicht auszumachen ist. 139
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
aa) Unmittelbarer Anwendungsbereich des Art. 773 Abs. 1 CC Als Bezugspunkt für die Falschbezeichnung nennt Art. 773 Abs. 1 CC zunächst den Irrtum über den Vor- oder Nachnamen und knüpft damit nahtlos an die Bestimmung des Art. 772 Abs. 1 CC141 an, wonach der Testierende den Erben mit Vor- und Nachnamen zu bezeichnen hat. Es soll demnach unschädlich sein, wenn der Erblasser „seinen Neffen Juan Gonzlez Gonzlez“ einsetzt, der richtig „Juan Gonzlez Lpez“ heißt.142 In diesem Fall dürfte die eingesetzte Person auf Grund der zusätzlichen Angabe des Verwandtschaftsverhältnisses ohne weiteres anhand des Testamentes zu ermitteln sein. Man muss überlegen, ob Art. 773 Abs. 1 CC deshalb überhaupt einschlägig wäre. Denn die Kenntnis von der benannten Person wird nicht erst „auf andere Weise“ – was nach allgemeiner Auffassung nur heißen kann: auf Grund von außerhalb des Testamentes liegenden Umständen143 – erlangt, sondern mit Hilfe des Testamentes selbst. Zwingend ist diese Deutung des Merkmals „auf andere Weise“ aber nicht. Denn man könnte den Ausdruck auch folgendermaßen verstehen: auf andere Weise als durch Nennung des Vor- oder Nachnamens, aber doch immer durch eine Angabe im Testament.144 bb) Verhältnis zu Art. 675 Abs. 1 CC Stellt man Art. 773 Abs. 1 CC und Art. 675 Abs. 1 CC gegenüber, so scheinen beide Vorschriften nur schwer in Einklang zu bringen zu sein. Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC erlaubt für die Zweifelsfälle lediglich eine Auslegung „anhand des Testamentes“, während Art. 773 Abs. 1 CC doch scheinbar das Gegenteil zulässt und somit auf den ersten Blick eine beachtliche Ausweitung gegenüber Art. 675 Abs. 1 CC darstellt. Es wurde bereits festgestellt, dass die herrschende Meinung Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC, wohlwollend formuliert, extensiv auslegt und in dieser Norm kein Verbot entdecken kann, außerurkundliche Beweismittel zu berücksichtigen. Art. 773 Abs. 1 und Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC beträfen, so heißt es, verschiedene Aspekte von Auslegungsproblemen: Einerseits gehe es darum, die Mittel festzulegen, mit Hilfe derer der wirkliche Wille ermittelt werden kann. Andererseits sei es erforderlich, die Beziehung zwischen dem wirklichen Willen und der Erklärung festzulegen, damit der Wille Geltung erlange.145 Der vermeintliche Widerspruch zwischen beiden Vorschriften wird auf diese Weise aufgehoben, Art. 773 Abs. 1 CC als bloßer Anwendungsfall 141
„El testador designar al heredero por su nombre y apellidos (…)“. Beispiel von Albaladejo, RDP 1948, 423 (433 m. Fn. 37). 143 s.o. S. 122. 144 In der spanischen Literatur wird diese Deutung nicht diskutiert. Vgl. demgegenüber die Fassung des Art. 625 Abs. 1 ital. CC: „la disposizione ha effetto, quando dal contesto del testamento o altrimenti risulta in modo non equivoco quale persona il testatore voleva nominare“. Es wird also genau unterschieden, ob die Erkenntnis des wahren Willens auf dem Kontext des Testamentes oder auf Umständen außerhalb des Testamentes beruht. 145 Jordano Barea, S. 102. 142
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der allgemeinen Auslegungsvorschrift des Art. 675 Abs. 1 CC betrachtet.146 Diesen Eindruck vermittelt auch die Rechtsprechung, die beide Normen einfach zusammen zitiert.147 Eine der von der Literatur am häufigsten zitierten Entscheidungen soll im Folgenden vorgestellt werden. cc) Die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 30.01.1997148 Der Erblasser hatte vor dem Notar ein Testament errichtet und als Erben zu gleichen Teilen seine Cousins und Cousinen „Leonardo und Jos Camino, und Ma Luisa und Pepita Redondo Solares“ eingesetzt. Der Notar hatte in der Urkunde auf die Möglichkeit hingewiesen, dass auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aussprache des Erblassers der ein oder andere leichte Fehler in Bezug auf die Namen bestehen könnte. Das Gericht der ersten Instanz entschied, alleiniger Erbe sei Don Leonardo Sevilla Camino, ein Cousin des Erblassers. Die übrigen drei eingesetzten Personen seien ungewiss, die Verfügung daher teilweise nichtig. Gegen das Urteil legte DoÇa Mara Josefa Salas Jaln Berufung ein mit der Begründung, sie sei mit der im Testament genannten Pepita Redondo Solares identisch. Das Berufungsgericht und anschließend das Tribunal Supremo gaben ihr recht. Es sei erwiesen, dass der Erblasser mit dem Kosenamen „Pepita“ die Berufungsklägerin zu bezeichnen pflegte. Zwar stimme keiner der im Testament aufgeführten Nachnamen – anders als bei Don Leonardo – mit den wirklichen überein. Dies sei jedoch gem. Art. 773 Abs. 1 CC unschädlich. dd) Regelung des „error obstativo“? Manche Autoren wehren sich gegen die Deutung, Art. 773 Abs. 1 CC stelle lediglich einen Unterfall zu Art. 675 Abs. 1 CC dar. Es könne nicht sein, dass der Gesetzgeber eine Norm ohne einen eigenständigen Anwendungsbereich schaffe. Deshalb sei Art. 773 Abs. 1 CC weniger dem Gebiet der Auslegung, als vielmehr dem Irrtumsbereich zuzuschreiben. Die Vorschrift behandele nämlich den sog. „error obstativo“ (synonym werden verwendet: error impropio, error en la declaracin).149 Unter diesem Begriff versteht man – in Abgrenzung zum Motivirrtum – denjenigen Irrtum, bei dem das Gewollte und das Erklärte auseinander fallen.150 Am ehesten würde man im Deutschen „Erklärungsirrtum“ sagen, und zwar nicht bloß als Bezeichnung für den speziell in § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB aufgeführten Fall, sondern als Oberbegriff zu
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Jordano Barea, S. 70 f.; Mestre Rodrguez, S. 155; Albaladejo, RDP 1948, 423 (436). TS v. 07.01.1928 (JC Nr. 26). 148 RJ 159 = RDP 1997, 379 m. Anm. Albaladejo. 149 Gonzlez Prez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 196 f.; Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (760); Mestre Rodrguez, S. 158; Lacruz Berdejo/Sancho Rebullida, S. 461; Roca Sastre, Anmerkungen zu Kipp, S. 173; Capilla Roncero, S. 115; Jordano Barea S. 70; Romn Garca, S. 159; Puig Brutau, S. 173. 150 Rib Durn, S. 256. 147
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
den beiden in § 2078 Abs. 1 BGB angesprochenen Irrtumsfällen.151 Im spanischen Schrifttum begegnet man einer Differenzierung innerhalb des „error obstativo“ nur selten.152 Damit bleibt unklar, in welchem Gewand der Irrtumsfall auftreten soll. Anwendungsbeispiele sind rar gesät. Sie drehen sich nur um den Fall des Verschreibens („lapsus calami“)153, sodass das Augenmerk auf dem Irrtum in der Erklärungshandlung liegt. (1) Aufrechterhalten der fehlerhaften Verfügung Bei unbefangener Lektüre scheint in Art. 773 Abs. 1 CC für den Fall, dass das Erklärte vom Gewollten abweicht, kein Raum zu sein. Die Vorschrift will offenbar nur über Ungenauigkeiten in der Bezeichnung einer Person hinweghelfen. Die Erklärung darf also nach dem Willen des Erblassers richtiggestellt werden. Eine andere Perspektive nimmt Albaladejo154 ein, der als Erster die These verfocht, Art. 773 Abs. 1 CC gebe für die Behandlung des „error obstativo“ nichts her. Nach seiner Ansicht hätte der Gesetzgeber hierfür die Vorschrift anders formulieren müssen. Am Schluss dürfte es nicht heißen: „(…) wer die benannte (nombrada) Person ist“ sondern „(…) wer die Person ist, die der Testierende benennen wollte (querida nombrar)“. Dieses Argument, so seltsam es im ersten Moment klingt, ist nicht leicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich sagt Art. 773 Abs. 1 CC nichts über den wirklichen Willen des Erklärenden aus, anders als etwa das Pendant im italienischen Codice Civile: Art. 625 Abs. 1 ital. CC lautet am Ende „quale persona il testatore voleva nominare“. Ob der spanische Gesetzgeber bewusst eine andere Fassung gewählt hat, und wenn ja, mit welcher Ratio, ist ungewiss. Albaladejo155 meint, der Cdigo Civil folge dem System der „prueba intrnseca“. Wie die Regelung über den Motivirrtum (Art. 767 Abs. 1 CC) zeige, müsse der Angriff auf das Testament immer eine Basis im Testament selbst haben. Dies sei im Falle des Erklärungsirrtums jedoch von vornherein unmöglich. Ein solches Ergebnis sei zwar rechtspolitisch unerwünscht, müsse aber de lege lata hingenommen werden, auch wenn damit Art. 773 Abs. 1 CC zu einer „vollkommen nutzlosen“156 Vorschrift verkomme. Von anderer Seite wird die Deutung Albaladejos vehement zurückgewiesen. Unter dem Begriff „benannte Person“ könne nichts anderes verstanden werden als die Person, die der Erblasser auch benennen wollte.157 Damit ist aber immer noch nichts dar151
So die Terminologie nach Larenz, AT, § 20 II a) (S. 371); Flume, § 23 (S. 449 ff.). Eine Ausnahme bildet im Vertragsrecht Morales Moreno, S. 113. 153 Albaladejo, RDP 1948, 423 (436 m. Fn. 43); Lacruz Berdejo, S. 234; de la Cmara Alvarez, S. 159 f. 154 Albaladejo, RDP 1948, 423 (433 f.). Zustimmend Espiau Espiau, S. 103 m. Fn. 44. 155 RDP 1954, 319 (322). 156 Albaladejo, RDP 1948, 423 (436): „perfectamente inffltil“. 157 Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (790); im Ergebnis ebenso Dez-Picazo/Gulln, S. 357; Lacruz Berdejo/Sancho Rebullida, S. 461. 152
VI. Irrtümliche Verfügungen
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über gesagt, ob Art. 773 Abs. 1 CC im Ergebnis den „error obstativo“ regelt oder nicht. Denn es könnten in Art. 773 Abs. 1 CC lediglich die Fälle gemeint sein, in denen die Abweichung über den geschriebenen und den wirklichen Namen nur geringfügig und damit der Irrtum offensichtlich ist, sodass man nie sagen würde, die Erklärung weise einen anderen Bedachten aus als den, den der Erblasser wirklich bedenken wollte (so in dem Beispiel o. S. 134).158 Unverständlich ist in diesem Zusammenhang die Aussage, der Meinungsstreit darüber, ob Art. 773 Abs. 1 CC Raum für den „error obstativo“ bietet, sei mehr theoretisch-dogmatischer als praktischer Natur;159 es handele sich lediglich um eine Frage der „Etikettierung“.160 Innerhalb der herrschenden Meinung, die den „error obstativo“ in der besagten Norm ansiedelt, gibt es niemanden, der – wie Albaladejo es tut – die fehlerhafte Verfügung aufrechterhalten will. Die Auffassungen führen somit sehr wohl zu unterschiedlichen, ja geradezu gegenläufigen Rechtsfolgen. (2) Nichtigkeitsfolge Eine weit verbreitete Meinung geht davon aus, dass bei Auseinanderfallen von Wille und Erklärung die Verfügung keine Wirkung entfalten kann. Die Begründungen sind vielfältig. Manche161 berufen sich auf Art. 773 Abs. 1 CC, indem die Nichtigkeitsfolge unmittelbar aus dem Wortlaut dieser Vorschrift hergeleitet wird. Andere162 führen die Digestenstelle D. 34, 5, 3 an (qui aliud dicit quam vult, neque id dicit quod vox significat, quia non vult, neque id quod vult, quia id non loquitur), wieder andere stützen sich auf Art. 675 CC.163 Schließlich wird unverhohlen die analoge Anwendung des Art. 1265 CC aus dem Vertragsrecht vorgeschlagen; die Auslassung in Art. 673 Abs. 1 CC könne kaum vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen sein.164 Nun klingt diese Vermutung, gerade wenn man Art. 673 CC und 1265 CC miteinander vergleicht, ziemlich abenteuerlich; ein Redaktionsversehen dürfte auszuschließen sein, da die Vorgängernorm des Art. 673 CC im Entwurf aus dem Jahr 1882 (Art. 668) nahezu wortgleich war.165 158 So offenbar auch die Ansicht von Puig Ferriol/Badosa Coll, Anmerkungen zu Kipp, S. 276 f., die allerdings auf die Position Albaladejos nicht eingehen. 159 So Reglero Campos, S. 67 f. m. Fn. 71. 160 Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (790). 161 Capilla Roncero, S. 115; Mestre Rodrguez, S. 159. 162 Jordano Barea, S. 70. Diese römische Maxime sei „latent“ in Art. 773 CC enthalten. 163 Traviesas, RDP 1935, 129 (130). 164 Roca Sastre, Anmerkungen zu Kipp, S. 173 f.; Bonet Ramn, Art. 673 u. 674, S. 524. 165 Offensichtlich hat Art. 1748 des alten portugiesischen Cdigo Civil Pate gestanden, der als Nichtigkeitsgründe ebenfalls nur Gewalt, List und Betrug anführte. Vgl. dagegen Art. 2201 des heutigen port. CC: „ tambm anulvel a disposiżo testamentaria determinada por erro, dolo ou coacżo.“ (Auch die durch Irrtum, List und Nötigung bestimmte testamentarische Verfügung ist anfechtbar); zur Vorgeschichte des Art. 673 CC Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (777).
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Für das Schweigen des Art. 673 CC werden allerdings auch inhaltliche Gründe vorgebracht. Zum einen bestehe die Rechtsfolge dieser Vorschrift in der Nichtigkeit des gesamten Testamentes, während der Irrtum sich häufig nur auf einzelne Verfügungen auswirke.166 Zum anderen habe der Gesetzgeber bei der Fassung des Art. 673 CC nur die Willensmängel im Auge gehabt, die durch Dritte hervorgerufen wurden, nämlich die Fälle der Gewalt, der arglistigen Täuschung und des Betruges. Hierfür spreche in besonderer Weise die nachfolgende Vorschrift, die, an eben die Fälle des Art. 673 CC anknüpfend, demjenigen das Recht am Nachlass entzieht, der den Erblasser daran gehindert hat, seinen Willen frei abzufassen.167 Der bloße Irrtum gründe dagegen nicht auf dem Einfluss Dritter und habe deshalb mit dem Schutz der Testierfreiheit nichts zu tun. Andere168 weisen darauf hin, dass der Irrtum in der Sache nicht anders behandelt werden dürfe als der Fall der Arglist, der ja nichts anderes sei als der provozierte Irrtum. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Motivirrtum, der durchaus – wenn auch unter strengen Voraussetzungen – vom Gesetz berücksichtigt wird (Art. 767 Abs. 1 CC). Selbst wenn man aus Art. 673 CC keinen Umkehrschluss zöge und deshalb die Nichtigkeitsfolge beim Irrtum nicht als zwingend ausgeschlossen ansähe, bliebe immer noch das Hindernis des Art. 743 CC: Testamente sollen nur in den durch dieses Gesetzbuch ausdrücklich geregelten Fällen unwirksam sein. Spitzfindige Beobachter würden selbst hierin keine Schwierigkeit erblicken, stellt das Gesetzbuch doch in Art. 1265 CC den Irrtum ausdrücklich als Unwirksamkeitsgrund hin.169 Freilich kann Art. 743 CC nur so gelesen werden, dass mit „Gesetzbuch“ nur der Abschnitt über die Testamente (Art. 662 bis 743 CC) gemeint ist;170 nach Art. 1265 CC sind lediglich durch Irrtum zustande gekommene Verträge nichtig, nicht aber Testamente. Eine analoge Anwendung des Art. 1265 CC bleibt damit ausgeschlossen.171 Manche flüchten deswegen in allgemeine Formulierungen, etwa in der Form, dass es kein Rechtsgeschäft ohne entsprechenden Willen des Erklärenden gebe.172 Mit einer Gesetzesauslegung hat das nichts mehr zu tun. (3) Korrigierende Auslegung entgegen der Erklärung? Die Diskussion um die Behandlung des error obstativo krankt an einem schweren Übel. Anstatt zunächst einmal den gesicherten Anwendungsbereich des Art. 773 Abs. 1 CC festzulegen, entfernt man sich unnötig vom Gesetz, jongliert mit Analo166
Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (776 f.); Capilla Roncero, S. 115. Puig Ferriol/Badosa Coll, Anmerkungen zu Kipp, S. 275 u. 278; Gordillo CaÇas, ADC 1983, 747 (777). 168 Puig PeÇa, S. 119. 169 So de Castro y Bravo, S. 129. 170 Lacruz Berdejo, S. 457. 171 Lacruz Berdejo, Anmerkungen zu Binder, S. 88; Espiau Espiau, S. 77 m. Fn. 170. 172 Mestre Rodrguez, S. 160. 167
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gien und allgemeinen Floskeln. Dadurch verliert das Instrument der Testamentsauslegung vollkommen an Konturen. So äußert etwa Puig Brutau173 etwas lapidar, dass der Fall, in dem der Erblasser etwas anderes erklärt, als er erklären wollte, ein Auslegungsproblem darstelle, ohne näher auf die Problematik einzugehen. Eine derart weitreichende Aussage ist im sonstigen Schrifttum nicht anzutreffen,174 wohl aber in der Rechtsprechung. So hat das Tribunal Supremo gelegentlich verlauten lassen, „der wirkliche Wille sei dem erklärten Willen vorzuziehen.“175 Diese Aussage hat merkwürdigerweise in der Literatur kaum Beachtung gefunden.176 Dabei ist ihr Inhalt revolutionär. Sie lässt eine durch die Andeutungsformel eingeschränkte Auslegung zur Makulatur werden. Die Ansicht, die sich bewusst gegen das Andeutungserfordernis stellt, wird aber von niemandem ausdrücklich vertreten. Gordillo CaÇas scheint zwar in diese Richtung zu gehen, wenn er Flume zitiert.177 An anderer Stelle macht er jedoch eine entscheidende Einschränkung. Um einen Widerspruch zu den allgemeinen Auslegungsregeln zu vermeiden, verlangt auch Gordillo CaÇas178, dass für den Erblasserwillen irgendein Anhalt oder Bezugspunkt im Testament zu finden sein muss. Wenn diese Voraussetzung aber erfüllt ist und das Gewollte deshalb schon durch Auslegung in Geltung gesetzt werden kann, dann kann schon aus logischen Gründen das Gewollte nicht vom Erklärten abweichen. Das Gewollte ist dann ja erklärt.179 (4) Ergebnis Das Thema der irrtümlichen Verfügung stellt im spanischen Recht ein bis heute ungelöstes Problem dar. Zur Behandlung des „error obstativo“ werden beinahe alle denkbaren Lösungen vertreten: Die Erklärung ist nichtig – oben unter (2) – oder (endgültig) wirksam, und zwar wirksam entweder mit dem objektiv erklärten Inhalt (1) oder dem gewollten Inhalt (3). Eigenwillig ist Lösung (1). Dass eine testamentarische Verfügung auch dann gültig sein soll, wenn sie nicht gewollt (also nicht 173
Puig Brutau, S. 172 f. mit dem schlichten Verweis auf sein Schuldrechtslehrbuch. Mit Ausnahme von Dez-Picazo/Gulln, S. 356: Art. 773 CC ermögliche es, das Auseinanderfallen von Erklärung und Wille aufzulösen, indem das Erklärte nach dem Willen richtiggestellt wird. 175 „que es preferente la voluntad real a la voluntad declarada“, TS v. 23.05.1935 (JC Nr. 44); TS v. 27.10.1951 (RJ 2354) und wieder in jüngerer Zeit TS v. 09.10.2003 (RJ 7232), allerdings mit einer sprachlichen Neuerung: „que es preferente la voluntad realmente querida a la declarada“. Der Höhepunkt des Subjektivismus dürfte mit diesem Ausdruck („der wirklich gewollte Wille“) erreicht sein. 176 Mit Ausnahme von Albaladejo, RDP 1954, 319 (332 f.) in scharfer Ablehnung des von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsatzes. 177 ADC 1983, 747 (783 m. Fn. 92). Das Zitat betrifft eine Stelle aus Flumes ,Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts, Das Rechtsgeschäft, in der er den Anwendungsbereich des § 2078 BGB auf ein Minimum reduziert (S. 430). 178 ADC 1983, 747 (788 f. m. Fn. 108). 179 Gonzlez Perez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey S. 403; Albaladejo, RDP 1954, 319 (333). 174
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
nur fehlerhaft motiviert) ist, wird selbst von den Vertretern dieser Ansicht als inakzeptabel empfunden.180 Es scheint in der Tat wertungswidersprüchlich zu sein, wenn der Motivirrtum das Testament eher zu Fall bringen können soll als der Erklärungsirrtum. Auf der Grundlage des Cdigo Civil lässt sich jedoch die Lösung, wonach der Erklärungsirrtum zur Unwirksamkeit der Verfügung führt, nicht überzeugend entwickeln. Vor allem die Herleitung aus Art. 773 Abs. 1 CC ist nicht nachvollziehbar. Am ehesten ließe sich mit dieser Norm noch die Lösung (3) stützen. Denn man könnte argumentieren, die Vorschrift verzichte ausdrücklich auf jegliche Andeutung der benannten Person im Testament. Die Person müsse eben nur auf irgendeine Art und Weise, also auch völlig losgelöst vom Testament („de otra manera“), ermittelt werden.181 Doch würde dadurch ein offener Widerspruch zu Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC entstehen. Ein Widerspruch lässt sich letztlich nur vermeiden, wenn man „de otra manera“ eng auslegt und lediglich auf das übrige Testament bezieht, auch wenn damit die Regel „falsa demonstratio non nocet“ auf einen äußerst schmalen Anwendungsbereich, vergleichbar mit dem unter der Geltung des römischen Rechts, reduziert wird.
VII. Die ergänzende Auslegung („interpretacin integradora“) Ebenso wie das Problem der irrtümlichen Verfügungen fristet auch die Frage, wie die Auslegung mit den Fällen umzugehen hat, die vom Erblasser ungeregelt geblieben sind und daher ergänzungsbedürftig sind, im spanischen Schrifttum ein Randdasein. Eine Vielzahl von Autoren verliert zu diesem Thema kein Wort. Andere begnügen sich im Wesentlichen mit der Feststellung, es sei prinzipiell möglich, durch Auslegung auch vom Erblasser hinterlassene Lücken zu schließen; dies berge jedoch nicht unerhebliche Gefahren in sich. Deshalb sei mit der ergänzenden Auslegung mit äußerster Vorsicht zu verfahren.182 Diese Ansicht wird im Ergebnis überwiegend auch von denjenigen geteilt, die sich ausführlicher mit diesem Problembereich beschäftigen.183
1. Begrifflichkeiten Für die ergänzende Auslegung hat sich der Terminus „interpretacin integradora/ integrativa“ durchgesetzt. Dieser Begriff ist nicht unproblematisch. Die eigentliche 180
Albaladejo, RDP 1954, 319 (332). So die Lesart der herrschenden Meinung, s. o. S. 134. Allerdings könnte man auch sagen, dass die Andeutung immer gegeben ist, wenn man sich auf den Standpunkt des Erblassers stellt. Aus seiner Sicht ist der Bedachte ja richtig bezeichnet. 182 Dez-Picazo/Gulln, S. 364 f.; Albaladejo, S. 346; Lacruz Berdejo, S. 234 f. 183 Hierzu zählen vor allem Garca Amigo, RDP 1969, 931 (967); Jordano Barea, S. 11; Vaquer Aloy, S. 85 ff. 181
VII. Die ergänzende Auslegung („interpretacin integradora“)
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Entsprechung für das Wort „ergänzen“ wäre eigentlich „complementar“184. „Integracin“ meint dagegen soviel wie Eingliederung, wird freilich im Wörterbuch von Becher auch mit Lückenausfüllung übersetzt. Beachtung verdient die Auffassung von Mestre Rodrguez185, die in neuerer Zeit die generelle Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung kritisch hinterfragt hat. Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen die Verwendung des Begriffs „interpretacin integradora“. Nach ihrer Ansicht handelt es sich streng genommen um einen Widerspruch. Entweder gehe es um Auslegung oder aber um Ergänzung. Eine reine Ergänzung des Testamentes sei dem Interpreten jedoch nicht gestattet. Von anderer Seite186 wird dagegen statt von „interpretacin integradora“ offen von „integracin“, also Vervollständigung, gesprochen.
2. Voraussetzungen für die ergänzende Auslegung Bei der Darstellung der ergänzenden Auslegung orientiert sich das spanische Schrifttum zum Teil stark an die in Deutschland aufgestellten Grundsätze.187 Voraussetzung für die ergänzende Auslegung ist zunächst eine Lücke („laguna“). Im Normalfall entstehe die Lücke durch eine nachträgliche Änderung der äußeren Umstände, die der Erblasser nicht vorhergesehen hat; die Lücke könne aber auch schon zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorhanden sein, wenn der Erblasser nicht sämtliche für die Verfügung maßgeblichen Umstände überblickt hat.188 Die ergänzende Auslegung muss nun danach fragen, wie der Erblasser testiert hätte, wenn er das unvorhergesehene Ereignis berücksichtigt hätte. Dieser Wille wird im Allgemeinen „hypothetischer“, häufiger noch „mutmaßlicher“ Wille („voluntad presunta/conjetural“) genannt. Ausdrücklich von einem irrealen bzw. virtuellen Willen spricht nur Jordano Barea189.
3. Die Anknüpfung an das Testament Einigkeit besteht im spanischen Schrifttum darüber, dass die Erforschung des „mutmaßlichen“ Willens von der Erklärung im Testament ausgehen muss. Das Tes184 Vgl die Übersetzung von Becher: ergänzende Auslegung = interpretacin complementaria). Auch Puig Ferriol/Badosa Coll, Anmerkungen zu Kipp, S. 233 sprechen von „interpretacin complementaria.“ 185 Mestre Rodrguez, S. 45 ff. 186 Alfrez Callejn, RCDI 69 (98); Vaquer Aloy, S. 85. 187 Vor allem Garca Amigo, RDP 1969, 931 (968 m. Fn. 100), der u. a. die Entscheidung RGZ 99, 82 zitiert. Mehr noch Vaquer Aloy, der sich fast ausschließlich auf das deutschsprachige Schrifttum stützt und dementsprechend die dortige Kommentarliteratur in großem Umfang berücksichtigt. 188 Garca Amigo, RDP 1969, 931 (968). Vaquer Aloy, S: 87, spricht dagegen nur von nachträglichen Veränderungen. 189 S. 114 f. Vaquer Aloy hält den Begriff des irrealen Willens – aus wenig nachvollziehbaren Gründen – für nicht korrekt.
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
tament muss die Zielsetzung des Erblassers erscheinen lassen, anhand derer die Lücke ausgefüllt werden kann. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Auslegung nicht zu weit von der Erklärung entfernt, sondern das Erfordernis der Andeutung auch bei der ergänzenden Auslegung gewahrt bleibt. Vaquer Aloy190 geht sogar so weit zu sagen, die ergänzende Auslegung kreiere nicht einen Willen des Erblassers, sondern führe nur zu einer Anpassung des existierenden Willens an die veränderten Umstände. a) Erste Ansätze der ergänzenden Auslegung in der Rechtsprechung Die Geburtsstunde der ergänzenden Auslegung in der Rechtsprechung wird von einem Teil der Lehre191 auf den 03. 06. 1942 datiert. In dem an jenem Tag ergangenen Urteil sprach das Tribunal Supremo erstmals von unklaren, zweideutigen und „nicht ausgedrückten“ Klauseln („clusulas inexpresivas“). Was sich hinter dem Adjektiv „inexpresivas“ verbirgt, ist zweifelhaft. Von einer Ergänzung in dem Sinne, dass eine Lücke, die durch die fehlende Regelung durch den Erblasser entstanden war, mit einer neuen Verfügung ausgefüllt wurde, war das Urteil weit entfernt. Es ging darin nicht um die Berücksichtigung unvorhergesehener Ereignisse nach Testamentserrichtung, sondern um die bloße Reichweite eines Vermächtnisses über eine Wohnung. Zu ermitteln war also der wirkliche Wille und nicht ein hypothetischer Wille. Knapp zwei Jahre später griff das Tribunal Supremo192 die soeben erwähnte Formulierung wieder auf und führte sie fort: Der Zweifelsfall, auf den sich Art. 675 CC bezieht, könne nicht nur entstehen, wenn die Testamentsklauseln unklar oder zweideutig sind, sondern auch dann, wenn sie in irgendeinem Punkt ausdruckslos sind. Denn das Gesetz schließe die Möglichkeit nicht aus, dass der Wortlaut derjenigen Verfügungen, die nicht ausreichend ausgedrückt sind, durch den Richter enthüllt und vervollständigt werden könne („puede ser desenvuelto e integrado“). Das Tribunal Supremo gebraucht hier also nicht den Terminus der „ergänzenden Auslegung“, sondern spricht von eigentlicher Ergänzung, die sich allerdings im Rahmen des Art. 675 CC zu bewegen habe. Den Beweis, dass es sich in der Entscheidung um eine echte Ergänzung des Testamentes handelte, ist das Tribunal Supremo jedoch wiederum schuldig geblieben. Der Rechtsstreit betraf die Frage, ob die Verfügung einer „sustitucin fideicomisaria“ (vergleichbar mit einer Vor- und Nacherbschaft) unter einer aufschiebenden Bedingung (des Überlebens einer bedachten Person) stand oder nicht. Das Tribunal Supremo verneinte übrigens die Frage, sodass eigentlich überhaupt kein Anlass bestand, über die generelle Zulässigkeit der Ergänzung zu befinden. 190
S. 92. So etwa Jordano Barea, S. 115; Lacruz Berdejo, S. 235; Ossorio Morales, S. 414; Lledo Yagüe, S. 756 und Dez-Picazo/Gulln nennen in erster Linie die Entscheidung des TS vom 06.03.1944 (RJ 303), die im Wesentlichen allerdings nur die Ausführungen des TS v. 03.06.1942 (RJ 760) wiedergibt. 192 TS v. 06.03.1944 (RJ 303). 191
VII. Die ergänzende Auslegung („interpretacin integradora“)
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b) Anerkannter Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung Im heutigen Schrifttum193 wird als Hauptbeispiel für die ergänzende Auslegung das Problem genannt, ob in der Verfügung einer Vor- und Nacherbschaft („sustitucin fideicomisaria“) eine Ersatzerbschaft („sustitucin vulgar“) enthalten ist. Dieser Fall erfüllt in der Tat die eingangs aufgestellten Voraussetzungen: Der Erblasser hat die Möglichkeit des späteren Ereignisses – das Vorversterben des Vorerben – nicht berücksichtigt. Von einem klassischen oder anerkannten Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung in der Rechtsprechung kann jedoch kaum die Rede sein. Es finden sich nur ganz vereinzelt Entscheidungen zu dieser Konstellation, in denen eine ergänzende Auslegung sogar teilweise abgelehnt wird.194 Jordano Barea195 nennt darüber hinaus den Fall, in dem aus einem Vermächtnis wiederkehrende Leistungen zu erbringen sind, diese Leistungen jedoch auf Grund einer mit der Zeit eintretenden Inflation unmöglich werden. Vaquer Aloy196 merkt dazu an, dass er keine Rechtsprechung in Spanien zu diesem Komplex kenne – auch Jordano Barea zitiere sie nicht –, verweist stattdessen jedoch auf einen Fall des OLG Düsseldorf in ZEV 1996, 466. c) Irrelevanz des wirklichen letzten Willens Im Schrifttum wird im Anschluss an Jordano Barea197 von manchen die Frage thematisiert, auf welchen Zeitpunkt bei der Ermittlung des Willens abzustellen ist. In Betracht gezogen werden der Moment der Testamentserrichtung und der Moment des Todes des Erblassers. Jordano Barea, der das Problem übrigens als eigenständigen Punkt außerhalb der „ergänzenden Auslegung“ abhandelt, hat hierbei auf das Beispiel Langes198 zurückgegriffen, in dem der Erblasser „seine Ehefrau“ ohne nähere Bestimmung als Erbin einsetzt und dabei allein die Frau im Blick hat, mit der er zum Testierzeitpunkt verheiratet ist. Nach dem Versterben der Ehefrau heiratet der Erblasser erneut und will nun die neue Ehefrau bedenken, hält aber eine Änderung des Testamentes für überflüssig. Die Lösung Langes, nach der die Einsetzung zugunsten der neuen Ehefrau gilt, wird von Jordano Barea verworfen. Das Testament sei als Rechtsgeschäft nicht, wie Lange meint, erst im Entstehen begriffen („negocio jurdico in itinere“) und bis zum Todeszeitpunkt frei nach dem Willen variabel, sondern mit der Errichtung abgeschlossen. Ein nachträglich gebildeter Wille könne daher den
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Jordano Barea, S. 115; Vaquer Aloy, S. 94. Darauf weist Jordano Barea, S. 116, selbst hin. 195 S. 118. 196 S. 95. 197 Interpretacin, S. 111. 198 JherJb 1932, 1. Jordano Barea, S. 120 m. Fn. 80, weist darüber hinaus auf einen „identischen Fall“ des Reichsgerichts (RGZ 134, 277) hin. Er geht fälschlicherweise davon aus, auch in jenem Fall hätte eine Verfügung zugunsten der „Ehefrau“ ohne Nennung des Namens vorgelegen. 194
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
Inhalt des Testamentes nicht mehr beeinflussen.199 Dieser Auffassung hat sich das übrige Schrifttum ausnahmslos angeschlossen.200 Die Möglichkeit, dem Beispiel Langes mit der ergänzenden Auslegung beizukommen, wird von Jordano Barea nicht erörtert. Dass hierzu eine gewisse Nähe besteht, wird von ihm allerdings nicht übersehen. Denn einige Seiten weiter behandelt er eine Entscheidung des Tribunal Supremo vom 06.12.1952201, in dem der testamentarisch Bedachte vor dem Tod des Erblassers starb und es darum ging, ob die Verfügung eine stillschweigende Einsetzung eines Ersatzerben enthielt. Das Tribunal Supremo schloss die Möglichkeit der Ersatzerbeinsetzung offenbar nicht grundsätzlich aus, verneinte die Einsetzung jedoch im konkreten Fall, da ein entsprechender Erblasserwille nicht bewiesen sei. Jordano Barea202 kritisiert die Entscheidung des Tribunal Supremo. Zwar könne der spätere Wille durchaus durch die Heranziehung des hypothetischen oder mutmaßlichen Willens zum Testierzeitpunkt berücksichtigt werden; es fehle jedoch der notwendige Anhalt im Testament. Die Auffassung Jordano Bareas wird dadurch unklar. Denn in den vorherigen Ausführungen geht Jordano Barea auf die Frage nach dem Anhalt, den man in dem Beispiel Langes doch gerade bejahen könnte, nicht ein. Zudem wird der nachträgliche Wille von Jordano Barea nicht einmal als zulässiges Auslegungsmittel angesehen.203 d) Die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 29. 12. 1997 Besondere Beachtung im Hinblick auf die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung verdient die Entscheidung des Tribunal Supremo vom 29.12.1997.204 Darin betonte das Gericht, dass es für die Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers auf den Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung ankomme. Nach diesem Zeitpunkt mögen sich, so das Tribunal Supremo, die äußeren Umstände geändert haben; doch der Testierende habe bis zu seinem Tod die Möglichkeit, sein Testament zu widerrufen und ein neues zu errichten. Ein auf Grund späterer Gegebenheiten geänderter Wille könne den Inhalt des bestehenden Testamentes jedoch nicht beeinflussen. Mit diesen Ausführungen wird der ergänzenden Auslegung, so wie sie von einem Teil der Literatur befürwortet wird, eine klare Absage erteilt. Eine Anpassung an Änderung äußerer Umstände soll demnach von vornherein nicht möglich sein.
199
Jordano Barea, S. 125. Häufig mit entsprechender Wiedergabe des Beispiels von Lange, so z. B. bei Albaladejo, S. 346; Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (109 f.); Castn TobeÇas, S. 332; Fernndez Hierro, S. 766; Vaquer Aloy, S. 54 u. S. 91; gegen die Relevanz des wirklichen letzten Willens im Übrigen Lledo Yagüe, S. 750; O’Callaghan, Cdigo Civil, Art. 675 Anm. 3. 201 RJ 2430. 202 S. 128. 203 Jordano Barea, S. 126 f. 204 RJ 9490. 200
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln?
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4. Ergebnis Zu dem Problemkreis der ergänzenden Auslegung, der „interpretacin integradora“, ergibt sich ein diffuses Bild. Es ist nicht klar, in welcher Form und unter welchen Voraussetzungen ein lückenhaftes Testament vervollständigt werden kann. Ein Teil des Schrifttums nimmt sich Rechtsprechung und Lehre in Deutschland zum Vorbild und fragt danach, was der Erblasser gewollt hätte, wenn er die Möglichkeit späterer Ereignisse bedacht hätte. Dementsprechend könne der Inhalt des Testamentes angepasst werden. Das Tribunal Supremo steht dieser Vorgehensweise ablehnend gegenüber, indem es auf die Widerrufsmöglichkeit verweist. Einigkeit besteht allerdings darin, dass ein späterer wirklicher Wille für die Inhaltsfeststellung nicht unmittelbar den Ausschlag geben kann.
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln? Während Art. 675 Abs. 1 CC im Erbrecht die einzige allgemeine Auslegungsregel darstellt, hat der Gesetzgeber im Vertragsrecht mit vergleichbaren Auslegungsregeln nicht gegeizt. Im vierten Buch des Cdigo Civil („De las obligaciones y contratos“) hat er unter dem zweiten Titel („De los contratos“) ein ganzes Kapitel der Auslegung von Verträgen gewidmet. Zwischen den Artikeln 1281 und 1289 CC tummeln sich neun Vorschriften, die generell den Weg der Auslegung weisen, indem sie verschiedene Auslegungskriterien aufstellen und die Bedeutung der Absicht der Vertragsparteien darlegen. Als Vorbild hat offensichtlich der französische Code Civil gedient. Die Formation der Art. 1156 – 1164 frz. CC wurde einmal kräftig durchgeschüttelt und mit einem Abgang (Art. 1164 frz. CC) und zwei Neuzugängen (Art. 1282 u. 1288 CC) im spanischen CC neu aufgestellt.205
1. Verhältnis zwischen Vertrags- und Testamentsauslegung Das quantitative Ungleichgewicht zwischen den Auslegungsregeln stimmt nachdenklich. Ist Vertragsauslegung so viel komplexer als Testamentsauslegung, dass sie gleich ein Vielfaches an Regeln erfordert? Das könnte man fast meinen, wenn man einigen Autoren206 Glauben schenkt: Schließlich hat man es bei Testamenten nur mit einer Willenserklärung zu tun, bei Verträgen dagegen mit mehreren! Die herrschende
205
Die beiden Artikel 1159, 1160 des frz. CC sind in den beiden Absätzen des Art. 1287 CC aufgegangen. Zu den Regelungen über die Vertragsauslegung im französischen Recht und ihren Wurzeln im römischen Recht vgl. Krampe, in: Hundert Jahre japanisches Zivilgesetzbuch, S. 185 (187 f. u. 196). 206 Castn TobeÇas, S. 327 mit dem Verweis auf Cicu, S. 169.
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
Meinung207 hält jedenfalls die Vorschrift des Art. 675 CC wegen der Fülle der Lebenssachverhalte für unzureichend, um auf alle Fragen der Testamentsauslegung eine Antwort zu geben. Deshalb sei es durchaus naheliegend zu untersuchen, ob nicht auch die Regelungen über die Auslegung von Verträgen eine zusätzliche Hilfestellung bieten und entsprechend auf Testamente Anwendung finden können. Diese Fragestellung klingt auf den Blick einigermaßen überraschend, denn in Rechtsprechung208 und Literatur209 werden die unterschiedlichen Eigenschaften von Testamenten und Verträgen betont, die sich in der Wahl der Auslegungsmethoden niederschlagen müssten. Dennoch hat die Ansicht, nach der sich auf Grund der unterschiedlichen Natur der Rechtsgeschäfte eine Analogie der jeweiligen Auslegungsnormen von vornherein verbiete, kaum Anhänger gefunden.210 Während manche sich mit der Aussage begnügen, dass eine analoge Anwendung zwar grundsätzlich möglich, aber mit äußerster Vorsicht vorzunehmen sei,211 unterziehen andere die Art. 1281 ff. CC einer genaueren Prüfung. Dass überhaupt eine Analogie in Betracht kommt, wird damit erklärt, dass der spanische Cdigo Civil – im Unterschied etwa zu anderen, später entstandenen Kodifikationen wie dem BGB – keinen Allgemeinen Teil kennt, der für sämtliche Rechtsgeschäfte Gültigkeit besitzt. Die Art. 1281 ff. CC seien deshalb nur formal auf Verträge zugeschnitten; ihnen könnten durchaus allgemeingültige Aussagen für sämtliche Rechtsgeschäfte entnommen werden.212
2. Die Klassifizierung der Auslegungsregeln im Vertragsrecht Die herrschende Lehre nimmt in der Frage der analogen Anwendung der Art. 1281 ff. CC auf Testamente eine differenzierende Position ein. Sie unterteilt
207
TS v. 29.12.1997 (RJ 9490); Rivas Martnez, S. 505; Garca Amigo, RDP 1969, 931 (949); Llopis Giner, S. 358; Lledo Yagüe, S. 743; A.A. Vaquer Aloy, S. 29, der solche Überlegungen für überflüssig hält und daher bewusst nicht näher auf die Frage der analogen Anwendbarkeit der vertraglichen Auslegungsregeln auf Testamente eingeht. Art. 675 CC halte alle notwendigen Hinweise für die Auslegungstätigkeit im Hinblick auf Testamente bereit, indem er das einzig ausschlaggebende Kriterium vorgibt: die Suche nach dem wirklichen Willen, der Vorrang vor dem erklärten Willen habe. 208 TS v. 03.04.1965 (RJ 1965); TS v. 29.01.1985 (RJ 206); TS v. 31.12.1996 (RJ 9380); TS v. 23.06.1998 (RJ 4746); TS v. 09.10.2003 (RJ 7232). 209 Royo Martnez, S. 77; Jordano Barea, S. 62 f.; Dez-Picazo/Gulln, S. 365; Vaquer Aloy, S. 30. 210 Neben Vaquer Aloy, S. 29 (s. o. Fn. 207), steht noch de Diego, S. 273 f., der Analogiefrage insgesamt ablehnend gegenüber. 211 Ossorio Morales, S. 411; Simo Santoja, RDP 1971, 371 (381 u. 384). 212 Royo Martnez, S. 76 f.; ebenso Dez-Picazo/Gulln, S. 365.
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln?
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die Normen in zwei Gruppen.213 Zu der einen werden die Normen gezählt, die auf die Erforschung des Willens der Vertragsparteien in concreto und damit in erster Linie subjektiv ausgerichtet sind; die der anderen Gruppe zugehörigen Vorschriften seien dagegen durch die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Selbstverantwortung geprägt und zielten daher auf ein eher allgemeines, objektives Verständnis ab. Da für die Testamente allein die subjektive Auslegungsmethode zutreffe, seien nur die Vorschriften der ersten Gruppe analogiefähig. Dieser Sichtweise hat sich im Grundsatz auch die Rechtsprechung angeschlossen. Sie hält im Ergebnis die Art. 1281 bis 1285 CC für entsprechend anwendbar, während die Art. 1286 bis 1289 CC, die eine objektive Auslegung statuierten, nicht auf Testamente zu übertragen seien.214 Doch sollen die Vorschriften der Reihe nach betrachtet werden.
3. Die Vorschriften zur Vertragsauslegung im Einzelnen a) Art. 1281 CC Si los trminos de un contrato son claros y no dejan duda sobre la intencin de los contratantes, se estar al sentido literal de sus clusulas. Si las palabras parecieren contrarias a la intencin evidente de los contratantes, prevalecer sta sobre aquellas. Wenn die Bestimmungen eines Vertrages klar sind und keinen Zweifel über die Absichten der Vertragschließenden zulassen, gilt der buchstäbliche Sinn der Klauseln. Stehen die Worte der offensichtlichen Absicht der Vertragschließenden entgegen, dann gibt diese gegenüber jenen den Ausschlag.
Der den Reigen der Auslegungsregeln eröffnende Art. 1281 CC besticht durch die Ähnlichkeit mit Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC. Auch bei Verträgen gilt, wenn die Worte klar sind, zunächst das Prinzip des buchstäblichen Sinnes. Widerspricht dem buchstäblichen Sinn jedoch der Wille der Vertragsparteien, so setzt sich Letzterer durch. Zu beachten ist insbesondere, dass Art. 1281 Abs. 2 CC eine „offensichtliche“ Absicht verlangt und so auch in diesem Punkt eine Entsprechung zu Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC („claramente“) enthält. Beide Vorschriften stellen also für Verträge und Testamente – darüber besteht Einigkeit215 – den gleichen Grundsatz auf. Wenn aber eine Norm bloß ein Spiegelbild einer anderen darstellt, dann ist sie generell un213
Lpez y Lpez, in: Albaladejo, Comentarios, Vor Art. 1281, S. 23; Jordano Barea, S 73; Lledo Yagüe, S. 754; Mestre Rodrguez, S. 100 f.; anders de Castro y Bravo, S. 80 f., der von einer Dreiteilung ausgeht. 214 TS v. 23.06.1998 (RJ 4746). In der Entscheidung vom 11.04.1956 (RJ 1475) spricht das TS im Zusammenhang mit der Testamentsauslegung von der Anwendung des Art. 675 CC in Verbindung mit den Art. 1281, 1282, 1284 und 1285 CC. Weshalb hier Art. 1283 CC noch ausgelassen wird, bleibt unerfindlich. 215 de Castro y Bravo, S. 81; Jordano Barea, S. 74; Lledo Yagüe, S. 754; Rivas Martnez, S. 506; Gonzlez Prez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 197.
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
geeignet, eine Regelungslücke zu schließen. Eine Analogie kommt somit nicht in Betracht.216 Es ist daher unverständlich, weshalb manche Autoren, die die inhaltliche Übereinstimmung zwischen Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC und Art. 1281 CC bestätigen, für eine Analogiemöglichkeit plädieren.217 In das gleiche Horn stößt allerdings auch das Tribunal Supremo, wenn es Art. 1281 CC, da die Vorschrift der subjektiven Auslegungsmethode zuzuordnen ist, im Testamentsrecht heranzieht.218 Ein praktischer Nutzen ist nicht erkennbar. Mal zieht sich das Tribunal Supremo auf den Standpunkt zurück, Art. 1281 CC habe für den vorliegenden Fall neben Art. 675 CC „nur ergänzende“ Funktion,219 mal verwirft es die Rüge, das Gericht habe bei der Testamentsauslegung Art. 1281 CC verletzt, als zu unspezifisch; denn die beiden Absätze des Art. 1281 CC behandelten unterschiedliche Fragen (!); daher müsse deutlich werden, welcher Teil der Norm durch das angefochtene Urteil vermeintlich verletzt worden ist.220 Dieses Argument überzeugt nicht, denn das, was in Art. 1281 CC auf zwei Absätze verteilt ist, fasst Art. 675 CC im ersten Absatz zusammen. Dort wird vom Tribunal Supremo selbst nicht genau zwischen den Absätzen und Sätzen – geschweige denn Halbsätzen – unterschieden, sondern Art. 675 CC üblicherweise in seiner Gesamtheit zitiert! b) Art. 1282 CC Para juzgar de la intencin de los contratantes, deber atenderse principalmente a los actos de stos, coetneos y posteriores al contrato. Um die Absicht der Vertragschließenden zu beurteilen, ist in erster Linie auf ihre Handlungen während des Vertrages und nach dem Vertrag abzustellen.
Im Unterschied zu Art. 1281 CC hat Art. 1282 CC offenkundig wenig mit Art. 675 CC gemein, im Gegenteil: Art. 1282 CC fordert den zur Auslegung Berufenen auf, für die Willensforschung auch das sonstige Verhalten der Vertragsparteien außerhalb des eigentlichen Vertragsschlusses zu beachten, während Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC ihn vermeintlich eng an das Testament fesselt. Wegen dieser Unvereinbarkeit beider Vorschriften wird teilweise eine Analogie abgelehnt.221 Anders die herrschende Meinung: Indem sie sich über den Wortlaut des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC hinwegsetzt und die Berücksichtigung von Externa zulässt, fügt sich Art. 1282 CC ja problemlos 216 Garca Amigo, RDP 1969, 931 (952), die Nennung des Art. 1282 CC basiert offensichtlich auf einem Druckfehler; gemeint ist Art. 1281 CC. Eine Analogie lehnen ebenfalls ab, wenn auch stillschweigend, Dez-Picazo/Gulln, S. 365 f. 217 Lledo Yagüe, S. 754; Rivas Martnez, S. 506. 218 s.o. S. 147 m. Fn. 214. 219 TS v. 10.10.1969 (RJ 4620). 220 TS v. 09.06.1987 (RJ 1987). 221 Garca Amigo, RDP 1969, 931 (950 f.): Die Ratio des Art. 1282 CC liege in der Erforschung eines erklärten Willens in irgendeiner Form, während dies beim Testament der Wille sei, der in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erklärt sei. Es ist nicht klar, wo darin genau der Unterschied liegt. Garca Amigo hält ja die Berücksichtigung von Externa ausdrücklich auch bei Testamenten für zulässig, RDP 1969, 931 (951).
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln?
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in das Konzept der subjektiven Auslegungsmethode ein.222 Anzumerken bleibt, dass auf Handlungen vor Vertragsschluss (bzw. Testamentserrichtung) keineswegs weniger, wie Art. 1282 CC nahelegen könnte, oder überhaupt keine Rücksicht zu nehmen ist. Das Schrifttum macht zwischen vorhergehenden und nachträglichen Handlungen in der Wertigkeit jedenfalls keinen Unterschied.223 Auch dem Tribunal Supremo wird diese Haltung zugeschrieben, und als Nachweis werden insbesondere von Jordano Barea224 diverse Urteile angeführt, die auf Umstände abstellen, die sowohl vor als auch nach der Testamentserrichtung liegen. Diese Sichtweise hat das Tribunal neuerdings in einer Entscheidung vom 19.12.2006225 bestätigt: Es sei anerkannt, dass auch außerurkundliche Beweismittel für die Testamentsauslegung zugelassen sind, seien sie im Verhältnis zu der Testamentserrichtung vorherhergehend, gleichlaufend oder nachfolgend. In der Sache handelt es sich hierbei um eine doppelte Analogie: Der Anwendungsbereich des Art. 1282 CC wird erstens auf das Testament und zweitens auf Umstände vor Testamentserrichtung erweitert. Man kann freilich schlecht sagen, dass das Tribunal Supremo Art. 1282 CC entsprechend angewandt hat, da die Norm weder in der neueren noch in einer der von Jordano Barea genannten Entscheidungen erwähnt wird. c) Art. 1283 CC Cualquiera que sea la generalidad de los trminos de un contrato, no debern entenderse comprendidos en l cosas distintas y casos diferentes de aquellos sobre que los interesados su propusieron contratar. Wie allgemein auch immer die Vertragsklauseln sein mögen, so darf man keine anderen Sachen und keine abweichenden Fälle als von ihnen erfasst ansehen als die, über die die Parteien vorhatten, den Vertrag zu schließen.
Auch die dritte Auslegungsvorschrift zu den Verträgen stellt den Willen der Erklärenden in den Vordergrund und lässt sich daher nach allgemeiner Ansicht für die Testamentsauslegung nutzbar machen. Anderer Ansicht ist dagegen erneut, wie zu Art. 1282 CC, Garca Amigo226, der auf die engeren Grenzen des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC verweist. Denn dort sei die Möglichkeit, außerurkundliche Umstände heranzuziehen, enger begrenzt.
222 Für eine Analogie daher ausdrücklich Jordano Barea, S. 74 f. u. 90; Mestre Rodrguez, S. 102; Lledo Yagüe, S. 754. 223 Jordano Barea, S. 75; Lledo Yagüe, S. 754; Ebenso das Schrifttum zum Vertragsrecht, vgl. z. B. Lpez y Lpez, in: Albaladejo, Comentarios, Art. 1281 u. 1282 S. 42 f. 224 Vgl. Jordano Barea, S. 75 mit dem Verweis u. a. auf die Entscheidungen des TS v. 08.06.1982 (RJ 3408) und v. 06.11.1962 (RJ 4192). 225 RJ 9243. 226 RDP 1969, 931 (952).
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
d) Art. 1284 CC Si alguno de los contratos admitiere diversos sentidos, deber entenderse en el ms adecuado para que produzca efecto. Wenn eine Vertragsklausel verschiedene Bedeutungen zulässt, muss sie in der Weise verstanden werden, die am geeignetsten ist, Wirkung hervorzurufen.
Mit Art. 1284 CC anerkennt das Gesetz die Geltung des Grundsatzes „favor negotii“. Die Vorschrift setzt erst in dem Zeitpunkt an, in dem bereits sämtliche Auslegungsmittel ausgeschöpft sind.227 Daher lässt sich die Vorschrift nicht in die Kategorien objektive/subjektive Auslegung einordnen, sondern setzt die bereits vorgenommene Auslegung voraus. Insofern nimmt die Vorschrift eine Sonderstellung ein.228 Es ist – jedenfalls im spanischen Schrifttum229 – allgemein anerkannt, dass der in Art. 1284 CC zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ohne weiteres für alle Rechtsgeschäfte und damit auch für das Testament gilt. Der Grundsatz basiere auf der allgemeinen Annahme, dass derjenige, der eine Willenserklärung abgibt, damit ersichtlich Wirkungen herbeiführen will,230 womit freilich wieder ein subjektiver Gesichtspunkt in den Vordergrund rückt. Zum Teil wird auch auf andere Rechtsordnungen hingewiesen, in denen der Grundsatz des favor testamenti festgelegt ist.231 Zudem müsse der Grundsatz im Erbrecht erst recht Anwendung finden, da der Erblasser keine Möglichkeit mehr habe, erneut zu verfügen.232 Das Tribunal Supremo bejaht jedenfalls in der Sache die Anwendbarkeit des Art. 1284 CC auf Testamente, auch wenn die Vorschrift nicht immer explizit genannt wird.233
e) Art. 1285 CC Las clusulas de los contratos debern interpretarse las unas por las otras, atribuyendo a las dudosas el sentido que resulte del conjunto de todas. Die Vertragsklauseln müssen in einer Weise ausgelegt werden, dass die einen ihre Auslegung durch die anderen finden, indem den zweifelhaften der Sinn beigemessen wird, der sich aus dem Gesamtzusammenhang aller Klauseln ergibt. 227
Statt aller Lpez y Lpez, in: Albaladejo, Comentarios, Art. 1284, S. 51. Jordano Barea, S. 73. 229 Jordano Barea, S. 81 und Mestre Rodrguez, S. 106 m. Fn. 222 weisen etwa auf die von Cicu, S. 170 im Hinblick auf den entsprechenden Art. 1367 ital. CC vertretene gegenteilige Auffassung hin, verwerfen sie aber übereinstimmend. 230 Mestre Rodrguez, S. 106 m. Fn. 221, mit Verweis auf D. 34, 5, 12: „(…) quo res de qua agitur magis valeat quam pereat“. Anders Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (112). 231 Simo Santoja, RDP 1961, 371 (384) u. Mestre Rodrguez, S. 106 Fn. 223 mit Verweis auf Art. 1367 ital. CC, Art. 1157 frz. CC und § 2084 BGB. 232 Simo Santoja, RDP 1961, 371 (384); Garca Amigo, RDP 1969, 931 (952); Jordano Barea, S. 81. 233 TS v. 30.10.1944 (JC Nr. 35) (dort unter Erwähnung des Art. 1284 CC); im Übrigen unter Betonung des Grundsatzes, dass die Auslegung vorzuziehen sei, bei der das Testament Wirkung entfaltet TS v. 07.01.1928 (JC Nr. 26); TS v. 26.06.1951 (RJ 1670). 228
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln?
151
Auch Art. 1285 CC lässt die Absicht der Vertragsparteien unerwähnt und scheint daher nicht der Gruppe der Regeln einer subjektiven Auslegungsmethode anzugehören.234 Dennoch ist die Analogiefähigkeit dieser Norm im Ergebnis in Rechtsprechung und Literatur unstreitig. Art. 1285 CC bringt den Gedanken der systematischen Auslegung zum Ausdruck, der jeglicher Form der Interpretation innewohne.235 Gegen eine Analogie kann man einwenden, dass Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC selbst die systematische Auslegung im Blick hat, indem die Worte „a tenor del mismo testamento“ auf die Gesamtheit aller im Testament enthaltenen Verfügungen zu beziehen ist (s. o. S. 119). Auch die Beschränkung auf die zweifelhaften Klauseln findet in Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC („en caso de duda“) eine Entsprechung. Hier wird die subjektive Ausrichtung besonders deutlich, denn die Betrachtung des Kontextes steht ganz im Zeichen der Erforschung der Absicht des Erblassers. Häufig betont die Rechtsprechung allerdings die Bedeutung der Systematik als Auslegungskriterium, ohne Art. 675 Abs. 1 CC oder Art. 1285 CC gesondert zu erwähnen.236 f) Art. 1286 CC Las palabras que puedan tener distintas acepciones sern entendidas en aquella que sea ms conforme a la naturaleza y objeto del contrato. Worte, die verschiedene Bedeutungen haben können, werden in der Bedeutung verstanden, die der Natur und dem Gegenstand des Vertrages am meisten entspricht.
Mit Art. 1286 CC beginnt die Reihe derjenigen Vorschriften, die von der herrschenden Meinung der objektiven Auslegungsmethode zugeschrieben werden und somit den Grundsätzen der Testamentsauslegung geradezu zuwiderlaufen. Der Gegensatz zwischen Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC und Art. 1286 CC fällt schon sprachlich ins Auge. Dort heißt es „ms conforme a la intencin del testador“, hier dagegen „ms conforme a la naturaleza y objeto del contrato“. So wird denn auch die Anwendung des Art. 1286 CC auf Testamente ausnahmslos abgelehnt.237 Dass sich die Vorschrift möglicherweise ganz in den Dienst der Vertragsparteien stellt und auf die Natur des Vertrages Bezug nimmt, um ihrem Willen mangels anderer Anhaltspunkte gerecht zu werden, wird nicht erörtert. Art. 1286 CC will doch nicht objektive Umstände auf Kosten eines eventuell abweichenden wirklichen Willens durchsetzen. Ansonsten würde die Norm in direkten Widerspruch zu Art. 1281 Abs. 2 CC geraten.
234
Lledo Yagüe, S. 755. A.A. Jordano Barea, S. 73. Garca Amigo, RDP 1969, 931 (952); Jordano Barea, S. 75 f.; Mestre Rodrguez, S. 105. 236 TS v. 23.10.1925 (JC Nr. 64); TS v. 09.03.1984 (RJ 1206); TS v. 02.09.1987 (RJ 6042); TS v. 19.12.2006 (RJ 9243). 237 Jordano Barea, S. 76; Garca Amigo, RDP 1969, 931 (951); Lledo Yagüe, S. 755. 235
152
C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
g) Art. 1287 CC El uso o la costumbre del pas se tendrn en cuenta para interpretar las ambigüedades de los contratos, supliendo en stos la omisin de clusulas que de ordinario suelen establecerse. Die Sitten und Gebräuche des Landes werden bei der Auslegung von Mehrdeutigkeiten der Verträge berücksichtigt, wobei in ihnen das Auslassen solcher Klauseln ergänzt wird, die gewöhnlich aufgestellt werden.
Mit den „Sitten und Gebräuchen“ knüpft auch Art. 1287 CC an objektive und damit eigentliche testamentsfremde Kriterien an. Überraschenderweise gibt es jedoch Autoren, die der Vorschrift durchaus eine Bedeutung für das Erbrecht beilegen. Es sei lebensfremd anzunehmen, die Testiergewohnheiten in einer bestimmten Gegend würden die einzelnen Bewohner nicht beeinflussen; an der Analogiefähigkeit bestünden daher keine Zweifel.238 Ein anderer Teil der Literatur lässt diese Argumentation nicht gelten. Denn bei der Testamentsauslegung seien nicht die Gewohnheiten im Umfeld des Erblassers entscheidend, sondern die des Erblassers selbst.239 Auch hier gilt das zu Art. 1286 CC Gesagte: Die Berücksichtigung der Gewohnheiten geschieht lediglich um der Parteien Willen, solange der Wille nicht auf andere Weise festzustellen ist. h) Art. 1288 CC La interpretacin de las clusulas oscuras de un contrato no deber favorecer a la parte que hubiese ocasionado oscuridad. Die Auslegung unklarer Vertragsklauseln darf nicht diejenige Partei begünstigen, die die Unklarheit verursacht hat.
Dass Art. 1288 CC auf Testamente keine entsprechende Anwendung finden kann, darüber sind sich die Autoren in Spanien einig. Dabei lässt man es teilweise als Begründung ausreichen, dass das Testament ein einseitiges Rechtsgeschäft darstellt.240 Dieses Argument würde freilich die Analogiefrage von vornherein ad absurdum führen. Von einem anderen Teil des Schrifttums wird dagegen zu Recht bemerkt, dass es sinnwidrig sei, durch eine nachteilige Auslegung das Verhalten desjenigen zu sanktionieren, der mittlerweile nicht mehr unter den Lebenden ist.241 i) Art. 1289 CC Cuando absolutamente fuere imposible resolver las dudas por las reglas establecidas en los artculos precedentes, si aqullas recaen sobre circunstancias accidentales del contrato, se
238
Dez-Picazo/Gulln, S. 366; zustimmend Llopis Giner, S. 359 und anscheinend auch O’Callaghan, S. 262, der die betreffende Stelle bei Dez-Picazo/Gulln kommentarlos zitiert. 239 Jordano Barea, S. 77 f.; ebenso Lledo Yagüe, S. 755. 240 Lledo Yagüe, S. 755. 241 Jordano Barea, S. 78; Garca Amigo, RDP 1961, 931 (952).
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln?
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resolvern en favor de la menor transmisin de derechos e intereses. Si el contrato fuere oneroso, la duda se resolver en favor de la mayor reciprocidad de intereses. Si las dudas de cuya resolucin se trata en este artculo recayesen sobre el objeto pricipal del contrato, de suerte que no pueda venirse en conocimiento de cul fue la intencin o voluntad de los contratantes, de contrato ser nulo. Ist es vollkommen unmöglich, die Zweifelsfälle nach den Regeln zu lösen, die in den vorhergehenden Artikeln festgelegt sind, dann werden diese Zweifel, wenn sie sich auf unwesentliche Umstände des Vertrages beziehen und dieser unentgeltlich ist, zugunsten der geringsten Übertragung von Rechten und Interessen gelöst. Ist der Vertrag entgeltlich, dann wird der Zweifel zugunsten der größten Gegenseitigkeit von Interessen gelöst. Beziehen sich die Zweifel, um deren Lösung es sich in diesem Artikel handelt, auf den Hauptgegenstand des Vertrages, sodass man zu keiner Erkenntnis darüber kommen kann, welches die Absicht oder der Wille der Vertragschließenden war, dann ist der Vertrag nichtig.
Zu der letzten der neun Auslegungsvorschriften und ihrem Verhältnis zu Testamenten bietet das Schrifttum schließlich wieder ein buntscheckiges Bild. Manche Autoren242 lehnen die analoge Anwendung des Art. 1289 CC pauschal mit dem Hinweis auf die Zugehörigkeit zur objektiven Auslegungsmethode ab. Hiergegen spricht bereits, dass Art. 1289 CC erst eingreift, wenn die Auslegungstätigkeit an sich beendet und zu keinem Ergebnis gelangt ist. Dies ergibt sich, anders als im Falle des Art. 1284 CC, unzweifelhaft aus dem Wortlaut zu Beginn der Vorschrift. Welche Auslegungsmethode bis dahin anzuwenden war, lässt Art. 1289 CC aber offen. Was Art. 1289 Abs. 2 CC anbetrifft, so herrscht über die Analogiemöglichkeit im Schrifttum vordergründig Einigkeit: Wenn der wirkliche Wille des Erblassers unmöglich zu ermitteln ist, so könne dies nur die Nichtigkeit des Testamentes zur Folge haben.243 Dieser Grundsatz sei zudem Art. 773 Abs. 2 CC unmittelbar zu entnehmen.244 Diese Auffassung verkennt den eigentlichen Sinngehalt des Art. 1289 Abs. 2 CC. Die Norm regelt in erster Linie nicht bloß das Schicksal einer einzelnen unverständlichen Vertragsklausel, sondern die Auswirkungen dieser stillschweigend als unwirksam vorausgesetzten und den wesentlichen Teil des Vertrages betreffenden Klausel auf den Rest des Vertrages.245 Die Rechtsfolge besteht in der Nichtigkeit des gesamten Vertrages. Dieses Prinzip lässt sich gerade nicht ohne weiteres auf das Erbrecht übertragen. Auch wenn etwa die Person des eingesetzten Erben nicht durch Auslegung bestimmt werden kann, so muss dieser (Haupt-)Teil des Testamentes nicht ohne weiteres auch die übrigen Bestimmungen in Mitleidenschaft ziehen.246 Eine Analogie ist damit abzulehnen.
242
Romn Garca, S. 160; Espn Cnovas, S. 374. Jordano Barea, S. 79 f.; Alfrez Callejn, RCDI 1973, 69 (113 f.); Dez-Picazo/Gulln, S. 366, allesamt eine entsprechende Aussage des TS v. 08.07.1940 zitierend. Art. 1289 CC bleibt in dem Urteil jedoch unerwähnt. 244 Jordano Barea, S. 79. Zu Art. 773 Abs. 2 CC s. o. S. 133 Fn. 140. 245 Lpez y Lpez, in: Albaladejo, Comentarios, Art. 1289, S. 73. 246 Garca Amigo, RDP 1969, 931 (952). 243
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C. Testamentsauslegung im spanischen Recht
Weitaus mehr Beachtung als dem zweiten Absatz des Art. 1289 CC wird seinem ersten Absatz im Zusammenhang mit der Testamentsauslegung geschenkt. „Celui qui s’oblige ne veut que le moins“, mit dieser Parömie wird der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung sowohl bei unentgeltlichen Verträgen (Satz 1) als auch bei entgeltlichen Verträgen (Satz 2) zusammengefasst.247 Die Vorschrift bezieht sich im Unterschied zu Art. 1289 Abs. 2 CC jeweils nur auf solche Klauseln, die unwesentliche, zusätzliche Umstände zum Gegenstand haben – scheinbar konsequent wird im erbrechtlichen Zusammenhang von der Literatur praktisch nur das Vermächtnis als testamentarische Verfügung behandelt.248 Freilich muss das Vermächtnis nicht bloß einen nebensächlichen Umstand innerhalb des Testamentes darstellen, ja es kann die einzige Verfügung überhaupt sein, wie sich aus Art. 764 Abs. 1 CC249 ergibt. Dass dieser Fall grundsätzlich anders behandelt werden soll als der Fall, in dem ein Vermächtnis neben Erbeinsetzungen nur Beiwerk zu sein scheint, ist nicht recht einzusehen. Ein Teil der Lehre250 hält das Vermächtnis durchaus für mit einem unentgeltlichen Vertrag vergleichbar und befürwortet daher eine entsprechende Anwendung des Art. 1289 Abs. 1 Satz 1 CC. Eine andere Auffassung251 behauptet gerade das Gegenteil und meint, testamentarische Verfügungen müssten im Sinne der Freigebigkeit ausgelegt werden. Eine dritte Auffassung schließlich verneint sowohl das eine als auch das andere. Der Inhalt des Vermächtnisses sei zwiespältig. Was dem Vermächtnisnehmer gegeben wird, wird dem Erben genommen (und umgekehrt). Da aber der Erbe an sich ebenfalls unentgeltlich erwirbt, müsste die Auslegung genauso gut zu seinen Gunsten bzw. Ungunsten ausfallen.252 Dem lässt sich entgegenhalten, dass Erbeinsetzung und Zuwendung eines Vermächtnisses verschiedene Verfügungen sind und daher auch getrennt behandelt werden müssen. Es ist deshalb durchaus möglich, im Zweifel beide Verfügungen in gleicher Weise extensiv oder – wenn man der Marschroute des Art. 1289 Abs. 1 Satz 1 CC folgt – restriktiv auszulegen. Gegen die analoge Anwendung auf das Testament könnte man die jeweils unterschiedliche Ausgangslage anführen. Art. 1289 Abs. 1 Satz 1 CC geht deswegen von dem Grundsatz des favor debitoris aus, weil der uneigennützig Handelnde im Zweifel doch nicht so uneigennützig sein will, sondern den fraglichen Teil für sich behalten will. Diese Überlegung greift beim Testament nicht.
247
Jordano Barea, S. 53 u. 79. Anders Roca-Sastre Muncunill, S. 275, der nicht zwischen wesentlichen und unwesentlichen Verfügungen unterscheidet. 249 „El testamento ser vlido aunque no contenga institucin de heredero (…)“. 250 Dez-Picazo/Gulln, S. 366; zustimmend Lledo Yagüe, S. 755. Bei einer Belastung des Vermächtnisses soll nach Dez-Picazo/Gulln, S. 366 allerdings Art. 1289 Abs. 1 Satz 2 CC zur Anwendung gelangen. 251 Roca-Sastre Muncunill, S. 275 („mayor dosis de liberalidad“). 252 Jordano Barea, S. 79. 248
VIII. Anwendung der vertraglichen Auslegungsregeln?
155
4. Ergebnis Die Analyse der Art. 1281-1289 CC hat ergeben, dass nur bei zwei Vorschriften (Art. 1286, 1288 CC) die Anwendung auf das Testament einhellig abgelehnt wird. Bei den Art. 1287 und 1289 Abs. 1 CC ist die Frage umstritten, ohne dass sich deutlich eine herrschende Meinung herausbildet. Die Art. 1281-1283 CC werden schließlich von fast allen, Art. 1284 und 1285 CC von allen für analogiefähig gehalten. Insgesamt schlägt das Pendel damit eher zugunsten der entsprechenden Anwendung der vertragsrechtlichen Regeln aus. Dadurch gerät freilich das gesamte Fundament, auf dem der vermeintliche Gegensatz zwischen der subjektiven Testamentsauslegung auf der einen Seite und der objektiven Vertragsauslegung auf der anderen Seite fußt, ins Wanken. Vielmehr bleibt festzuhalten, dass die Auslegung vertraglicher Erklärungen gerade nicht völlig anderen Regeln folgt als die Auslegung von Testamenten.
D. Vergleich zwischen der Testamentsauslegung im deutschen und spanischen Recht Die Anwendung der rechtsvergleichenden Methode bereitet in dem relativ eng abgegrenzten Bereich der Testamentsauslegung an sich keine Schwierigkeiten. Das Grundproblem der Auslegung stellt sich in Rechtssystemen, die das Testament als Instrument privatautonomer Rechtsgestaltung anerkennen, gleich dar. Es geht darum, wie der Inhalt der letztwilligen Verfügung am besten ermittelt werden kann und nach welcher Methode dabei vorzugehen ist.
I. Problematik eines reinen Rechtsvergleichs Dennoch gestaltet sich die Gegenüberstellung von deutschem und spanischem Recht zur Testamentsauslegung schwierig. Wenn es bloß darum geht, allgemeine (Auslegungs-)Grundsätze aufzustellen, ist kaum damit zu rechnen, dass eine Rechtsordnung mit irgendwelchen Eigenarten aufwartet. Die wesentlichen Prinzipien scheinen vorgegeben zu sein, sodass der Gesetzgeber erwägen muss, ob er auf eine Regelung nicht ganz verzichten soll. Für den Rechtsvergleich ist deshalb ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, wie die Rechtsprechung die gesetzlichen Regeln im Einzelfall anwendet und ob sie gegebenenfalls weitergehende Maximen entwickelt. Da sich die Gerichte in verschiedenen Ländern unmittelbar kaum gegenseitig beeinflussen, treten Unterschiede am ehesten in der Auslegungspraxis zu Tage. Anders sieht die Situation im Schrifttum aus. Es ist auffällig, dass in der spanischen Literatur der Blick in andere Rechtsordnungen als selbstverständlich erscheint. Bei älteren wie bei jüngeren Werken ist der Anteil der zitierten nichtspanischen Literatur enorm. Dabei sind die Publikationen keineswegs von vornherein auf eine rechtsvergleichende Methode in dem Sinne ausgelegt, dass auf der einen Seite das spanische Recht dargestellt wird und davon strikt getrennt auf der anderen Seite das fremde Recht. Ausländische Autoren werden nicht distanziert als bloße Repräsentanten ihrer Rechtsordnung angesehen. Vielmehr werden ihre Auffassungen – jedenfalls im Bereich der Testamentsauslegung – unmittelbar auf die eigene Rechtsordnung übertragen oder zumindest diskutiert, ohne zu hinterfragen, ob die vorhandenen gesetzlichen Regelungen in den jeweiligen Rechtsordnungen nicht unterschiedliche Voraussetzungen aufstellen, die der Übernahme mancher Aussagen entgegenstehen. So werden spanische und nichtspanische Autoren häufig nebeneinander und ohne Unterschied zitiert. Eine bedeutende Stellung nimmt dabei neben der italienischen die deutsche Rechtswissenschaft ein. Dies lässt sich bereits aus der Zahl der ins Spani-
III. Die gesetzlichen Regelungen
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sche übersetzten und häufig mit Anmerkungen zum spanischen Recht versehenen Bücher deutschsprachiger Autoren ersehen. So liegt etwa die gesamte von Enneccerus begründete Reihe zum Bürgerlichen Recht in spanischer Sprache vor, darüber hinaus Werke von Savigny (System des heutigen römischen Rechts), Danz (Auslegung der Rechtsgeschäfte[!]) und Flume (Das Rechtsgeschäft) sowie speziell im Erbrecht neben dem Lehrbuch von Kipp auch das von Binder. Der Einfluss dieser Autoren auf die spanische Lehre ist nicht von der Hand zu weisen. Der Vergleich zwischen deutschem und spanischem Recht kann so gesehen kaum mehr in reiner Form vorgenommen werden. Im spanischen Schrifttum ist die rechtsvergleichende Arbeit schon zu einem gewissen Teil vorweggenommen.
II. Die objektive und die subjektive Auslegungsmethode Im deutschen wie im spanischen Recht werden bei der Auslegung von Rechtsgeschäften im Allgemeinen zwei Methoden gegenübergestellt. Eine subjektive, „natürliche“ Auslegung, die ganz auf den Willen des Erklärenden abstellt, und eine objektive, „normative“ Auslegung, die den Verständnishorizont desjenigen zugrundelegt, an den die Erklärung gerichtet ist. Damit ist auch gleichzeitig das zumeist angeführte Unterscheidungskriterium angeschnitten: das der Empfangsbedürftigkeit. Die objektive Auslegung soll bei so genannten empfangsbedürftigen Erklärungen greifen. Bei nichtempfangsbedürftigen Erklärungen, deren prominentester Vertreter das Testament darstellt, soll die subjektive Auslegungsmethode vorherrschen. Das Kriterium der Empfangsbedürftigkeit ist im Schrifttum Deutschlands und Spaniens der Kritik ausgesetzt. Es wird darauf hingewiesen, dass vor allem auch die Auslegung von Erklärungen an die Allgemeinheit von objektiven Gesichtspunkten geleitet wird. Eine Reihe von Autoren beider Länder lässt es folglich nicht bei dem Merkmal der Empfangsbedürftigkeit bewenden. Sie argumentieren mit der Unentgeltlichkeit des Erwerbs von Todes wegen, mit dem Pietätsgefühl oder allgemein mit dem Vertrauensschutzgedanken. Von einer einheitlichen Begründung ist man weit entfernt. Das deutet darauf hin, dass es – wie in Deutschland insbesondere im Schrifttum in den ersten Jahrzehnten nach In-Kraft-Treten des BGB vertreten – zwischen Testamenten und anderen Rechtsgeschäften doch keinen grundsätzlichen, sondern allenfalls einen graduellen Unterschied in den Auslegungsmethoden gibt.
III. Die gesetzlichen Regelungen 1. Systematik und Inhalt des § 133 BGB und des Art. 675 Abs. 1 CC Die Methode der Testamentsauslegung findet sowohl im deutschen als auch im spanischen Recht ihre Grundlage in einer bestimmten gesetzlichen Regelung: in
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D. Vergleich zwischen deutschem und spanischem Recht
§ 133 BGB auf der einen und in Art. 675 Abs. 1 CC auf der anderen Seite. Auffällig ist zunächst die unterschiedliche Stellung im Gesetz: § 133 BGB steht im Allgemeinen Teil und gilt damit – wie sich zudem aus dem offenen Wortlaut ergibt – für sämtliche Willenserklärungen, sodass der Schluss naheliegt, bei der Testamentsauslegung gälten keine besonderen Regeln. Die Besonderheit soll sich im Wesentlichen aus der Nichtanwendbarkeit des § 157 BGB ergeben, der auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte abstellt. Demgegenüber scheint der spanische Cdigo Civil im Vorteil zu sein, indem er mit Art. 675 Abs. 1 CC eine auf Testamente zugeschnittene Auslegungsvorschrift bereithält. a) Vermutung zugunsten des Wortsinns Inhaltlich weisen § 133 BGB und Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC überwiegend Gemeinsamkeiten auf. Der buchstäbliche Sinn wird dem (wirklichen) Willen gegenübergestellt, und der Wille soll sich im Konfliktfall durchsetzen.1 Die spanische Regelung macht jedoch im Unterschied zum deutschen Pendant deutlich, dass der Konfliktfall die Ausnahme darstellt. Der Richter soll sich grundsätzlich an den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks halten. Denn er soll regelmäßig davon ausgehen dürfen, dass dieser Sinn mit dem Willen des Erklärenden tatsächlich übereinstimmt. Rechtsprechung und Schrifttum Spaniens messen dementsprechend dem Wortsinn eine Vermutungswirkung bei. In Deutschland wird größtenteils in gleicher Weise verfahren. § 133 BGB lässt sich dieses Verhältnis zwischen buchstäblichem Sinn und wirklichem Willen freilich nicht entnehmen;2 vielmehr erweckt die Vorschrift den Eindruck, dass der buchstäbliche Sinn der Erklärung regelmäßig nicht dem wirklichen Willen entspricht. Insofern trifft es Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC besser. b) Die Bedeutung des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC Eine Eigenart des spanischen Cdigo Civil findet sich in der Vorschrift des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC. Etwas Vergleichbares enthält das BGB nicht. Die Bedeutung der spanischen Regelung und das Verhältnis zum ersten Satz der Vorschrift ist unklar. Die in dieser Untersuchung vorgenommene grammatische und insbesondere die historische Auslegung der Norm haben ergeben, dass das Auslegungsmaterial bei der Testamentsauslegung von vornherein auf die Testamentsurkunde beschränkt sein soll. In diese Richtung wird die Norm von spanischer Seite aber gerade nicht gedeutet. Vielmehr stelle der Satz, so die herrschende Meinung, nur klar, dass Auslegungsobjekt allein das Testament sei, es aber kein Hindernis gebe, alle sonstigen Umstände zur Ermittlung des Erblasserwillens heranzuziehen. Es muss bezweifelt werden, dass ein 1 Ebenso Gonzlez Prez/Alguer, Anmerkungen zu Enneccerus/Nipperdey, S. 401 f. mit der Einschätzung, dass zwischen den Art. 675 u. 1281 CC und § 133 BGB keine wesentlichen Unterschiede bestehen. 2 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 Rn. 80.
III. Die gesetzlichen Regelungen
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Fehlen des Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC die Auslegungsmethode in irgendeiner Weise ändern würde. Denn dass der Wille in der für Testamente erforderlichen Form erklärt werden muss und sich deshalb eine Auslegung unabhängig vom Testamentswortlaut verbietet, darüber herrscht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit.
2. Auslegungsregeln für Verträge Ungewöhnlich wirkt der Umstand, welche Bedeutung die herrschende Lehre in Spanien den allgemeinen vertraglichen Auslegungsregeln für die Testamentsauslegung zukommen lässt. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass die Vertragsauslegung besonders ausführlich geregelt ist und der Cdigo Civil keinen Allgemeinen Teil kennt. Die Vorschriften, die den wahren Willen der Vertragsparteien in den Vordergrund stellen und somit der subjektiven Auslegungsmethode zugeschrieben werden, werden im Testamentsrecht überwiegend für entsprechend anwendbar erklärt. Die übrigen „objektiv“ ausgerichteten Regeln sollen dagegen im Erbrecht keine Berücksichtigung finden. Die Rechtsprechung Spaniens befindet sich mit der Literatur auf gleicher Linie. Allerdings hat man den Eindruck, dass die Rechtsprechung im Erbrecht ohne weiteres auch ohne die vertraglichen Auslegungsregeln auskommen könnte. In Deutschland reduziert sich die Diskussion auf die Nichtanwendbarkeit des § 157 BGB auf Testamente, worum letztlich kein großes Aufheben gemacht wird. Gemeinsam ist beiden Rechtsordnungen im Übrigen die Anerkennung des Grundsatzes „favor testamenti“, der in § 2084 BGB unmittelbar, über die Analogie zu Art. 1284 CC mittelbar im Erbrecht wirkt.
3. Irrtumsregelungen Als indirekte Auslegungsregeln werden von der herrschenden Meinung in Deutschland auch die Vorschriften über den Irrtum, namentlich § 2078 Abs. 1 BGB, angesehen. Sie setzen voraus, dass Wille und Erklärung auseinander fallen können. Da ihr Anwendungsbereich nicht völlig verloren gehen dürfe, müsse der Auslegung eine Grenze gesetzt werden. Eine dem § 2078 Abs. 1 BGB vergleichbare Vorschrift sieht der CC nicht vor – was einige Autoren nicht davon abhält, irrtümliche Verfügungen dennoch als nichtig/anfechtbar anzusehen. Vielfach werden die Fälle des Erklärungs- und Inhaltsirrtums dem Regime des Art. 773 CC zugeschrieben, der jedoch die Verfügung gerade nicht zu Fall bringen will und daher im Vergleich zu § 2078 Abs. 1 BGB eine ganz andere Zielrichtung hat.
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D. Vergleich zwischen deutschem und spanischem Recht
IV. Der Erblasserwille als das oberste Prinzip Bei oberflächlicher Betrachtung gibt es zwischen der Testamentsauslegung im deutschen und spanischen Recht im Grundsatz kaum Unterschiede. Als beherrschendes Prinzip wird von allen Seiten die Durchsetzung des Erblasserwillens gepredigt. Dem wirklichen Willen gebühre der absolute Vorrang gegenüber dem buchstäblichen Sinn der verwendeten Worte. Die Frage scheint nur zu sein, wie der wirkliche Wille ermittelt werden kann. Es besteht im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass für die Willensforschung jedes Mittel recht ist. Das Auslegungsmaterial wird in keiner Weise eingeschränkt; sämtliche außerurkundlichen Umstände sind als Beweismittel zugelassen.
1. Eindeutigkeitsregel als Auslegungshemmnis Wenn in Deutschland wie in Spanien von Rechtsprechung und Literatur auch heute noch die Möglichkeit, außerurkundliche Umstände zu berücksichtigen, besonders betont wird, dann liefert dies einen Beweis dafür, dass der Grundsatz noch nicht allseits in Fleisch und Blut übergegangen ist. Tatsächlich ist die Tür zur freien Ausschöpfung des Auslegungsmaterials lange Zeit durch die Eindeutigkeitsregel zum großen Teil versperrt gewesen. Die obersten Gerichte beider Länder haben sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegentlich der Auslegung von Testamenten verweigert, wenn die Verfügungen vermeintlich klar und eindeutig waren. Das Schrifttum hat dies überwiegend kritisiert. Der hiergegen gerichtete Einwand lautete wie folgt: Die Feststellung, dass eine Erklärung eindeutig ist, könne erst das Ergebnis der Auslegung sein und nicht schon eine Auslegung für obsolet erklären. Der BGH hat sich jedoch erst im Jahr 1982 – unter Hinweis auf § 133 BGB! – ausdrücklich von der Eindeutigkeitsregel verabschiedet. Das Tribunal Supremo warnte bereits in den 40er Jahren den Richter davor, sich auf den Sinn zu beschränken, der sich auf den ersten Blick aus den vom Erblasser gebrauchten Worten ergibt. Damit schien er die Eindeutigkeitsformel in der Sache verworfen zu haben. Nichtsdestoweniger finden sich bis heute Entscheidungen, die der Eindeutigkeitsformel huldigen. Somit kommt den „klaren und eindeutigen“ Verfügung nach spanischem Recht bis heute eine große, auslegungsbeschränkende Bedeutung zu. Diesen Vorwurf kann man den deutschen Gerichten dagegen nicht machen.
2. Auslegung und Formproblematik Die Aufgabe der Eindeutigkeitsformel ist in Deutschland eng mit der Trennung der Auslegung von der Formproblematik verbunden. Nach BGHZ 86, 41 ist in zwei Stufen zu prüfen: Zunächst muss uneingeschränkt nach dem Willen des Erblassers geforscht und anschließend das Auslegungsergebnis einer Formprüfung unterzogen werden. Die Entscheidung hat in der Literatur hohe Wellen geschlagen. Nachdem
IV. Der Erblasserwille als das oberste Prinzip
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die Rechtsprechung mit Blick auf die Bedenken in prozessökonomischer Hinsicht die früheren Aussagen einigermaßen relativiert hat, sind die Wogen längst geglättet. Anzeichen für eine gesonderte Formprüfung im Anschluss an die Auslegung sind zwar noch vorhanden, doch hat die „Methode“ stark an Durchschlagskraft eingebüßt. Von entsprechenden Bestrebungen ist das spanische Recht glücklicherweise verschont geblieben. Dass man zu dem Resultat gelangen kann, der Erblasserwille, der dem „an sich“ formgerecht errichteten Testament seinen Inhalt gibt, sei nicht formgültig erklärt, wird von spanischer Seite nirgends vertreten.
3. Die Andeutungstheorie Im deutschen Recht hat die Andeutungsformel eine ausgesprochen große Popularität erlangt. Die Formulierungen, mit denen diese „Theorie“ umschrieben wird, sind zwar nicht einheitlich, meinen aber im Ergebnis das gleiche: Der Wille des Erblassers muss in der Testamentsurkunde irgendeinen Ausdruck, sei er auch noch so gering und unvollkommen, gefunden haben; der Wille kann sogar „versteckt“ im Testament enthalten sein. Der Anteil derjenigen, die die Andeutungstheorie verwerfen, ist seit InKraft-Treten des BGB in etwa konstant geblieben. Die Gegner der Andeutungstheorie plädieren überwiegend für eine freie Auslegung, die dem Erblasserwillen um jeden Preis zum Erfolg verhilft. Nur ganz vereinzelt finden sich im älteren Schrifttum Vertreter der Auffassung, nach der Testamente objektiv auszulegen sind, ohne dass es der Andeutungsformel bedarf. In Spanien ist die Andeutungstheorie deutlich auf dem Vormarsch. Es mehren sich die Stimmen, die auf die Bedeutung dieser „Theorie“ in Deutschland verweisen und ihre Vorzüge hervorheben. Auch in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo trifft man die Andeutungsformel an, wenn auch eher selten – was nicht heißt, dass das Gericht ansonsten einen grundlegend anderen Auslegungsansatz vertritt. Die Linie ist klar: Der Wille muss im Testament seinen Ausdruck finden, auch wenn nicht mit Zusätzen wie „unvollkommen, irgendwie“ oder „versteckt“ hantiert wird. Es gibt auch in der spanischen Literatur niemanden, der die Andeutungsformel ausdrücklich ablehnt und Testamente frei und streng subjektiv deuten will. So sehr die Monographie von Danz über die Auslegung der Rechtsgeschäfte, begünstigt durch die Übersetzung ins Spanische, Beachtung gefunden hat – seine liberale Auffassung im Hinblick auf die Testamentsauslegung hat in der spanischen Lehre keine Anhänger gefunden. a) Argumentationsstrukturen Dass die Andeutungstheorie in Rechtsprechung und Literatur Spaniens unumstritten ist, mag auf den ersten Blick verwundern. Von den deutschen Autoren wird der Angriff gegen die Andeutungstheorie hauptsächlich mit der Vorschrift des § 133 BGB geführt, die mit Art. 675 Abs. 1 Satz 1 CC durchaus vergleichbar ist. Die Verteidigungsstrategie baut auf § 2078 Abs. 1 BGB auf, einer Vorschrift, die ein Abwei-
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D. Vergleich zwischen deutschem und spanischem Recht
chen des wirklichen Willens vom erklärten Willen voraussetzt. Eine entsprechende Vorschrift hält das spanische Zivilgesetzbuch gerade nicht parat. Stattdessen wird für das Andeutungserfordernis bzw. für eine eingeschränkte Auslegung in erster Linie Art. 675 Abs. 1 Satz 2 CC angeführt. Es wurde aufgezeigt, dass das Verhältnis der beiden Sätze innerhalb des Art. 675 Abs. 1 CC höchst problematisch und eine Harmonisierung praktisch nicht möglich ist (und auch nicht ernsthaft unternommen wird). b) Falsa demonstatio non nocet Weniger praktische als vielmehr theoretische Bedeutung hat sowohl im deutschen als auch spanischen Recht die Regel „falsa demonstratio non nocet“ erlangt. Ihr Verhältnis zur Andeutungstheorie wird allerdings unterschiedlich gesehen. In Deutschland dient die falsa-Regel den Anhängern der freien Auslegungslehre als Argument, die Andeutungsformel zu bekämpfen. Doch sucht die herrschende Meinung nach Wegen, die falsa-Regel irgendwie mit der Andeutungstheorie in Einklang zu bringen. Hierbei verbiegt sich die herrschende Meinung jedoch so sehr, dass von dem Erfordernis der Andeutung kaum etwas übrig bleibt. In Spanien, wo die falsa-Regel in Art. 773 Abs. 1 CC ausdrücklich normiert ist, wird die Vereinbarkeit mit der Andeutungsformel dagegen nicht problematisiert. Stattdessen sieht die herrschende Lehre in Art. 773 Abs. 1 CC eine Regelung über das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung und zieht daraus den Schluss, dass die Erklärung der Nichtigkeit anheimfallen müsse. Diese Ansicht nachzuvollziehen, fällt schwer. c) Ergänzende Auslegung Bedeutende Unterschiede zwischen deutschem und spanischem Recht bestehen im Bereich der ergänzenden Auslegung. In Deutschland ist die Möglichkeit, eine letztwillige Verfügung im Wege der Auslegung zu ergänzen, wenn sich die Umstände nach Testamentserrichtung wesentlich verändert haben, fast ausnahmslos anerkannt. Einen Hauptanwendungsfall stellt das Vorversterben eines testamentarisch Bedachten dar. Die ergänzende Auslegung ermöglicht es, eine Ersatzberufung zu kreieren und somit dem hypothetischen, irrealen Erblasserwillen Geltung zu verschaffen. Von spanischer Seite wird die Frage, ob eine Erbeinsetzung zugleich eine Ersatzberufung der Abkömmlinge enthält, nicht diskutiert. Die Rechtsprechung ist nicht bereit, nach einem hypothetischen, anhand nachträglicher Umstände gebildeten Willen zu fragen. Die Literatur zu dieser Problematik ist uneinheitlich. Teilweise folgt sie der deutschen Praxis, wobei allerdings der Begriff des „hypothetischen Willens“ von manchen tunlichst vermieden wird. Teilweise beschränken sich Ausführungen auf die Aussage, zu der Aufgabe des Richters gehöre es durchaus, Lücken im Testament zu füllen. Er müsse dabei jedoch äußerst sorgfältig vorgehen und den Willen des Erblassers der testamentarischen Verfügung selbst entnehmen. Dabei geht es jedoch offenbar nicht um eine Anpassung des Testamentes an veränderte Umstände, sondern
V. Neuregelung der Testamentsauslegung
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bloß um die „vollständige“ Ermittlung eines wirklichen und nur bruchstückhaft ausgedrückten Willens.
V. Neuregelung der Testamentsauslegung Abschließend soll die Frage erörtert werden, ob es sich empfiehlt, in Zukunft das Problem der Testamentsauslegung überhaupt zu regeln, und wenn ja, in welcher Form. Diese Frage muss sich jeder Gesetzgeber, der das gesamte Erbrecht oder zumindest das Testamentsrecht (neu) kodifizieren will, zwangsläufig stellen. Man wende nicht ein, diese Diskussion sei auf Grund mangelnder Aktualität überflüssig. Es muss ja nicht gleich die Schaffung eines einheitlichen europäischen Zivilgesetzbuches unter Einschluss des Erbrechts sein; in Spanien kommen Gesetzeswerke auf bloß regionaler Ebene in Betracht. Einige Foralrechte haben in den vergangenen Jahren eigene Gesetzbücher über die Erbfolge hervorgebracht; dieser Trend scheint noch nicht beendet zu sein.
1. Wert der allgemeinen Auslegungsvorschriften Gegen das Bestreben, allgemeine Auslegungsgrundsätze verbindlich festzuschreiben, könnte die fehlende Akzeptanz der momentan geltenden Vorschriften sprechen. Zwar wird die Rechtsnormqualität der §§ 133, 157 BGB sowie des Art. 675 Abs. 1 CC heute kaum mehr in Zweifel gezogen. Dennoch scheint ihre Bindungswirkung weniger stark zu sein als bei anderen Rechtsnormen. Flume3 meint, für die Auslegung der Rechtsgeschäfte würde es keinen Unterschied machen, ob die §§ 133, 157 im BGB enthalten wären oder nicht. Brox/Walker4 bringen in ihrem Erbrechtslehrbuch das Kunststück fertig, die Grundsätze der Testamentsauslegung zu erläutern, ohne überhaupt auf § 133 BGB einzugehen. Die Skepsis gegenüber den allgemeinen Auslegungsvorschriften mag, in Deutschland mehr als in Spanien, durch eine verunglückte Fassung begünstigt sein. Von verschiedenen Seiten wird etwa § 133 BGB für missverständlich gehalten.5 Das ist überaus milde ausgedrückt. Man muss dem Wortlaut des § 133 BGB schon Gewalt antun, wenn man aus dem „wirklichen Willen“ einen „wirklich erklärten Willen“ machen will.6 Teilweise wird darauf hingewiesen, dass sich in Theorie und Praxis ein Wandel in Auslegungsfragen neben und sogar gegen die Bestimmungen der §§ 133, 157 BGB vollzogen 3
Flume, § 16, 3 a) (S. 308). Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 197 – 219. § 133 BGB wird ein einziges Mal in Rn. 201 erwähnt, und zwar in einem Klammerzusatz neben den §§ 139, 140 u. 157 BGB, um die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung zu begründen. 5 Medicus, Rn. 332; Himmelschein, S. 10 Fn. 11 („missraten“); Bickel, S. 160 m. Fn. 96; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 1. 6 Himmelschein, S. 27 f. 4
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D. Vergleich zwischen deutschem und spanischem Recht
hat.7 Das hindert den Gesetzgeber freilich nicht, es in Zukunft besser zu machen und eine einwandfrei formulierte Regelung zu schaffen.
2. Normierung der Andeutungstheorie? Eine Auslegungsvorschrift kann nicht einfach nur Auslegungskriterien nennen, die in freier Abwägung zu berücksichtigen sind.8 Sie muss verbindlich die Grenzen abstecken, bis zu denen eine Willenserforschung betrieben werden soll. Wo aber liegen diese Grenzen? Die herrschende Meinung sowohl auf deutscher als auch auf spanischer Seite will einen Mittelweg zwischen einer allzu wortgetreuen und einer völlig freien Auslegung einschlagen. Als Kompass dient die Andeutungsformel. Wie sich herausgestellt hat, arbeitet dieses Instrument jedoch höchst ungenau. Es lässt die Kriterien offen, auf Grund derer die Frage nach dem nötigen Anhalt zu beantworten ist. Entweder man stellt sich auch hier bedingungslos auf den Standpunkt des Erblassers und verzichtet auf jeglichen objektiven Kontrollmaßstab. Oder aber man wechselt die Perspektive und geht zumindest von dem Personenkreis aus, der mit dem Testament bestimmungsgemäß in Berührung kommen sollte und dem nur ein beschränktes Auslegungsmaterial zur Verfügung steht. Nachdem die Andeutungstheorie eine außerordentliche Popularität erlangt hat, ist nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber in Zukunft das Andeutungserfordernis im Rahmen der Auslegung verbindlich festlegen will. Dieses Vorhaben wäre keineswegs neu. Das portugiesische Zivilgesetzbuch hat die Voraussetzung eines „noch so unvollkommenen Ausdrucks des Willens“ festgeschrieben.9 Solange allerdings das Andeutungserfordernis nicht näher konkretisiert wird, werden die Meinungen – wenn sie überhaupt klar und deutlich artikuliert werden – weiterhin auseinander gehen.10 Häufig verlieren sich die Aussagen in nebulösen, teilweise widersprüchlichen Formulierungen.11 Erhellende Beispiele sind Mangelware. In Spanien wird mit ihnen noch 7
HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 Rn. 122. Anders HKK/Vogenauer, § 133, 157 Rn. 122, der das Erfolgsgeheimnis der § 133, 157 BGB gerade in ihrer Flexibilität sieht. 9 So Art. 2087 Abs. 2 port. CC: „E admitida prova complementar, mas nao surtir qualquer efeito a vontade do testador que nao tenha no contexto um minimo de correspondencia, ainda que imperfeitamente expressa.“ (… aber keine Wirkung erzeugt der Wille der Erblassers, der nicht im Kontext eine kleinste, noch so unvollkommen ausgedrückte Entsprechung hat.) Ebenso übrigens Art. 238 port. CC für die Auslegung förmlicher Verträge. 10 Es ist damit HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 Rn. 121 in dem Punkt zu widersprechen, es sei „überraschend, in welchem Maße trotz aller theoretischen Differenzen Einigkeit über die Lösung der einzelnen Sachprobleme besteht.“ Wie hier dagegen Olzen, Rn. 573 m. Fn. 665. 11 Es soll noch einmal Leipold, AT, § 15 Rn. 10 zu Wort kommen: „Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung ist zwar nicht ausgeschlossen, bedarf aber der besonderen Begründung. Eine Auslegung, die mit dem Wortlaut der Erklärung auch unter Berücksichtigung der sonstigen Auslegungsgesichtspunkte keinesfalls in Einklang zu bringen ist, erscheint (…) nicht zulässig.“ Das ist so, als wenn man jemandem sagt: Wenn Du einen triftigen Grund hast, kannst 8
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spärlicher umgegangen als in Deutschland. Es hat den Anschein, als hätte Danz mit dem Schulbeispiel von der Bibliothek und dem Weinkeller das große Geheimnis der Testamentsauslegung gelüftet. Dass alle Welt dieses Beispiel aufgreift und der von Danz vorgeschlagenen Lösung folgt, stimmt nachdenklich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Urheber des Beispiels in der Radikalität seiner Ansichten kaum Mitstreiter gefunden hat. Danz ging es ja gerade nicht darum, für das Auslegungsergebnis irgendeinen Anhalt im Testament zu fordern. Indem die herrschende Meinung in dem Bibliotheksfall eine Andeutung entdeckt, vollbringt sie ein beachtenswertes Kunststück. Davon abgesehen weist die Testamentsauslegung gegenwärtig aber noch an anderen Stellen, insbesondere in der Abgrenzung zum Inhaltsirrtum, wunde Punkte auf. Die Arbeit hat versucht, den Finger in diese Wunde zu legen und deutlich zu machen, dass die Grenze, bis zu der eine Testamentsauslegung zulässig ist, kaum auszumachen ist. Von einer Aufnahme der Andeutungstheorie in den Gesetzestext ist daher abzuraten. Eher sollte man auf eine spezielle Regelung für die Auslegung von Testamenten ganz verzichten. Die Verfasser des BGB haben richtig entschieden. Für das Erbrecht sollten in Auslegungsfragen keine Besonderheiten gelten.
Du von den zehn Geboten abweichen. Aber sieh zu, dass Du Dein Verhalten mit den zehn Geboten irgendwie in Einklang bringst.
E. Schluss Im Kampf um die richtige Auslegungsmethode hat sich die Lehre einer freien Auslegung gegen die Andeutungstheorie zu Recht weder in Deutschland noch in Spanien durchgesetzt. Die Auslegung von Testamenten stößt ebenso wie die Auslegung aller anderen Rechtsgeschäfte an ihre Grenzen; insofern verfolgt die Andeutungstheorie ein richtiges Anliegen. Doch auch sie weist letztlich den falschen Weg. Solange die Marschroute ausgegeben wird, den wirklichen Willen des Erblassers in der Weise zu erforschen, dass alle Umstände in Betracht zu ziehen sind, die für die Ermittlung des Willens von Bedeutung sein können, aber gleichzeitig oder gar erst anschließend überprüft wird, ob der Wille auch in irgendeiner Weise im Testament angedeutet ist, bleibt die Auslegungsmethode im Dunkeln. Allzu leicht verirrt man sich auf der Suche nach dem wirklichen Willen und findet nicht mehr zurück zum Pfad der Andeutung. Überhaupt führt dieser Pfad durch äußerst unwegsames Gelände, da die Grenzen der Andeutung nicht fest abgesteckt sind. Die Andeutungstheorie ist ebenso unvollkommen wie die Andeutung, die sie fordert. Es wäre viel gewonnen, wenn man bei der Auslegung von vornherein auf einen ganz subjektiven Standpunkt des Erblassers verzichtete und das Testament aus der Position eines außenstehenden Dritten betrachtete, mit der Folge, dass das Auslegungsmaterial nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Ein solcher Positionswechsel führt nicht zwingend dazu, dass die Eigenheiten und Gebräuche des Erblassers außer acht zu lassen sind. Vielmehr wären sie bei der Auslegung zu berücksichtigen, wenn und weil sie der Erblasser nach außen hin kundgetan hat und sie daher in seinem Umfeld bekannt waren. Auch auf diese Weise würde es gelingen, eine Bibliothek in einen Weinkeller zu verwandeln. Man muss sich aber fragen, ob man überhaupt so weit gehen will, den individuellen Sprachgebrauch des Erblassers zu berücksichtigen. Will man wirklich die gesamte Auslegungsmethode an einem Fall ausrichten, in dem sich ein höchst sonderbarer Kauz scherzhaft ausdrückt? Dies führt letztlich zu der Konsequenz, dass dem Erklärenden die Möglichkeit genommen wird, das Testament eindeutig zu formulieren. Wer möchte es noch wagen, seine Bibliothek mit eben diesem Begriff zu vermachen, wenn er nebenbei noch einige Weinflaschen sein Eigen nennt? Es kann nie ganz ausgeschlossen werden, dass dem Erblasser mit der Behauptung, er habe einen ganz spezifischen Sprachgebrauch gepflegt, ein anderer Wille untergeschoben wird als der, den er tatsächlich gehabt und bei objektiver Betrachtung auch erklärt hat. Die fehlende Berücksichtigung eines eigentümlichen, individuellen Sprachgebrauchs würde eine erhebliche Vereinfachung der Auslegungsmethode bewirken und der Testamentsauslegung die Aura des Besonderen und Geheimnisvollen nehmen. Die Be-
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fürchtung, hierdurch das Ziel der Verwirklichung des Erblasserwillens aus dem Auge zu verlieren, ist unbegründet. Niemand verlangt, dass der Erblasser sich juristisch korrekt ausdrückt. In diesem Fall würde das eigenhändige Testament all seiner Vorteile verlustig gehen. Es wird auch nicht gefordert, dass der Erblasser seinen Willen unter Zugrundelegung des allgemeinen Sprachgebrauchs klar und präzise formuliert. Sobald der Inhalt des Testamentes für sich genommen unklar oder mehrdeutig ist, kann und muss der Richter sämtliche Umstände, die der Ermittlung des Erblasserwillens dienlich sein können, heranziehen. Verlangt wird nur, dass der Erblasser sich nicht in einer Weise ausdrückt, die an den Verständnismöglichkeiten seines Umfelds vorbeigeht. Beherzigt man diesen Grundsatz, so bedarf es keiner außergewöhnlichen Auslegungskünste mehr. Und man wünschte sich nicht, dass dem Richter, wie Koschaker1 sagt, göttliche Kräfte verliehen werden, um den Erblasser zum Leben aufzuerwecken, so wie es Christus mit Lazarus tat.
1
Koschaker, Conferenze romanistiche, S. 87 (151).
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Sachwortverzeichnis Abkömmlingseigenschaft 88 Andeutungsformel 66 Andeutungstheorie 47, 51 ff., 161 Anfechtung wegen Irrtums 101 Annahmeerklärung nach § 151 BGB 25 Anschauungswandel 98 Anwachsungsrecht 86 Arglist 40 Ausdruck des Willens 46 – unvollkommener/mangelhafter 66 – verschlüsselter 67 Auslegungsmaterial 44, 79, 94, 119, 122, 160, 162 Auslobung 23, 28, 106 außerurkundliche Umstände 93, 122 f., 134, 149, 160 Berliner Testament 52 Bestätigung nach § 144 BGB 22, 100 Bibliotheksfall 73, 75, 110, 121, 124, 130, 165 Blankettbegriff 99 buchstäblicher Sinn 32 ff., 109 claramente 116, 133 clusulas – inexpresivas 142 – oscuras o ambiguas 120 Dereliktion 26 Dienstbotenfall 102 eindeutige Verfügungen 56 Eindeutigkeitsformel 56, 112 ff., 160 Empfängerhorizont 19, 25, 53 Empfangsbedürftigkeit 21, 106, 157 ergänzende Auslegung 81 ff., 103, 140, 162 Erklärungshorizont 53 Erklärungsirrtum 41, 78, 159 error – impropio 135
– obstativo 135 Ersatzerbeneinsetzung 86, 144 fachsprachlicher Sinn 35 falsa-demonstratio-Regel 69 – Durchbrechung 76 – im italienischen Recht 136 – im römischen Recht 71 – im Testamentsrecht 72 – im Vertragsrecht 71 f. Falschbezeichnung – bewusste 73 – unbewusste 76 favor testamenti 150 fehlende Verfügung 52 Foralrechte 104 Formbedürftigkeit 81, 128, 160 Formprüfung 61 freie Auslegung 76 geheimer Vorbehalt 38 f. Geheimsprache 67, 124 gemeinspanisches Recht 104 gesetzliche Erbfolge 59 grammatische Auslegung 69, 110, 112 Grenzen der Testamentsauslegung 128, 165 Haakjöringsködfall 72 hypothetischer Wille 84, 86, 91, 98, 141, 162 in-claris-Regel 112 Inhaltsirrtum 73, 76, 159 innerer Wille 36 interpretacin integradora 140 irrtümliche Verfügungen 130 Irrtumsregelungen 40, 159 klarer und eindeutiger Wortlaut 59, 113, 160 konkludente Willenserklärungen 18
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lapsus calami 136 Lückenhaftigkeit des Testamentes 82, 141 Mehrdeutigkeit 99 Motivbündel 102 Motivirrtum 101, 132 Näheverhältnis 94 nahestehende Personen 93 Natur des Testamentes 107 natürliche Auslegung 19, 53 Neuregelung der Testamentsauslegung 163 nichtempfangsbedürftige Willenserklärungen 22 ff. Nichtigkeitsdogma 42 nonverbales Testament 18 normative Auslegung 19, 53 objektive Auslegung 79 Pietätsgefühl 30 politische Umstände 67 Potestativbedingung 25 Projizierung des späteren Willens 96 prueba extrnseca 117, 123, 132 prueba intrnseca 117, 132, 136 qualifizierte Mentalreservation 75 Rechtsirrtum 73 Rechtssicherheit 39, 43, 66, 74 Rechtsvergleich 156 ff. Sammelbegriff 99 Scheidung 96 Schlüsselbegriffe 68 Simulation 38 Sprachgebrauch – allgemeiner 58 – individueller 124 f., 166 – mehrheitlicher 110 Standpunkt des Erblassers 69, 130 Statusverhältnis 96
Stiftungsgeschäft 28 stillschweigende Verfügung 92 subjektive Auslegung 78, 115, 149 sustitucin fideicomisaria 142 f. systematische Auslegung 118, 151 tenor del testamento 117, 151 Testamentsformen 109 Testamentsvollstrecker 25 testamentum mysticum 67 Treu und Glauben 19 f., 49 übertragener Sinn 33 Umdeutung 87 Undurchführbarkeit der Verfügung 82 Unentgeltlichkeit 28, 106 Unklarheitenregel 152 Veranlassungsprinzip 24 Verkehrsgeschäft 29 Verkehrssitte 19 f., 152, 158 Vermächtnis 25 Vermutungsregel 88 Vertragsauslegung 81, 145 ff., 159 Vertrauensschutz 21, 31, 75, 147 wahrer Sinn 33 weitschweifiger Erblasser 65 Widerruflichkeit 27, 40, 107 Wiederheirat 97 Willensdogma 42 Willensmängel 38 ff., 101 Willensrichtung 86, 90 Willenstheorie 42 f. wirklicher Wille 36 ff., 163 wirkliches Verständnis 53 wortgleiche Verfügungen 99 Wortlaut 32, 58, 118 Wortsinn 45 – als äußerste Auslegungsgrenze 46 Zweifelsregelungen 18, 88 zweistufige Prüfung 61, 160