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German Pages 106 [123] Year 1956
DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU B E R L I N I n s t i t u t für griechisch-römische Altertumskunde Arbeitsgruppe für hellenistisch-römische Philosophie
Veröffentlichung Nr. 5
ANNEMARIE
JEANETTE
NE ÜB ECKER
DIE BEWERTUNG DER MUSIK BEI STOIKERN UND EPIKUREERN Eine Analyse von Philodems Schrift De musica
1956
AKADEMIE-VERLAG
• BERLIN
Die Hefte 1 — 4 dieser Eeihe sind "als Veröffentlichungen des Instituts für hellenistisch-römische Philosophie erschienen
Copyright 1955 by Akademie-Verlag, Berlin Alle Rechte vorbehalten
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin W 8, Mohrenstraße 39 Lizenz-Nr. 202. 100 276 55 Gesamtherstellung: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestell- und Verlagsnummer: 2053,5 Printed in Germany
Inhalt Seite
Einleitung
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Erster Teil: Interpretation und Analyse von Philodem De musical 21—32 und IV 1 B, 1—24, 9
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Inhaltszusammenfassungen der erschlossenen Schrift des Diogenes Babylonius über die! Musik 22, 29, 35, 41, 44, 46, 54, 61, 68 Zweiter T e i l : Aufbau und Inhalt der Schrift des Diogenes . . . .
70
Übersicht über die verschiedenen Eichtungen griechischer Musikauffassung
75
Würdigung der Schrift des Diogenes
84
Würdigung der Schrift Philodems
88
Nachtrag, betr. H. Koller, Die Mimesis in der Antike
91
Übersicht über die Analyse
94
Literatur
99
Eegister
101
Vorwort Die vorliegende Arbeit basiert auf der Verzettelung des gesamten Wortmaterials von Philodems Schrift De musica, welche die Verfasserin im Rahmen der Arbeiten des Instituts für hellenistisch-römische Philosophie an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin durchführte. Zugrunde gelegt wurden dabei neben den Ausgaben von J . Kemke und D. A. van Krevelen die Erstveröffentlichungen der betreffenden Papyri in den Volumina Herculanensia; für das ganze vierte Buch der Schrift wurden auch noch Photographien des Papyrus selbst kollationiert, die Herr Professor Achille Vogliano freundlich zur Verfügung gestellt hatte. Ferner wurden herangezogen: die Ausgabe der Fragmente des Diogenes Babylonius bei H. v. Arnim, Stoicorum veterum fragmenta Bd. I I I , verstreute Behandlungen von Einzelstellen der Schrift Philodems sowie alle erreichbare Sekundärliteratur. Hierbei ergab sich vielfach eine Neukonstituierung des Textes; daneben entstand eine deutsche Übersetzung. Bei der Textkonstitution erwies es sich als nötig, eine Gruppe von Fragmenten des ersten Buches, die Auszüge aus einer Schrift des Stoikers Diogenes über die Musik enthalten, mit Partien des vierten Buches, die sich polemisch auf sie zurückbeziehen, zu vergleichen: hieraus erwuchs die Aufgabe, durch ausführliche Interpretation dieser Teile das Bild der Schrift des Diogenes genauer zurückzugewinnen, als das bisher gelungen war. Zugleich wurde angestrebt, durch eine Gegenüberstellung dieser Rekonstruktion mit Philodems Polemik unsere Kenntnis der stoischen wie auch der epikureischen Bewertung der Musik zu erweitern. Angeregt und betreut wurde die Arbeit von Herrn Dr. Otto Luschnat, als Dissertation angenommen wurde sie von Herrn Professor Johannes Stroux; nach seinem Tode übernahmen die Durchsicht und Begutachtung die Herren Professoren Ernst Grumach und Walther Vetter. Allen, die mir geholfen haben, möchte ich auch an dieser Stelle herzlich danken.
Einleitung Die Rekonstruktion von Philodems Schrift IIsqI /j,ovaixfjg verdanken wir im wesentlichen dem ersten Herausgeber des gesamten Werkes, JOHANNES KEMKE1). Das durch Schlußtitel signierte Buch 4 war schon 1793 als Band I der Collectio Prior der Volumina Herculanensia veröffentlicht worden2); KEMKE stellte ihm die sechs inzwischen in der Collectio Altera namenlos veröffentlichten Fragmentgruppen 3 ), die von D. CoMPARETTI4) als zu liegt /uovoixrjg gehörig erkannt worden waren, sowie einige Fragmente des vorher nicht veröffentlichten Pap. 424 voran, nachdem er sie scharfsinnig als Überreste von Buch I und I I I gedeutet und geordnet hatte. Die Gründe, die ihn zu seiner Einteilung veranlaßten, gibt er in der Praefatio bekannt. Durch geglückte Zusammensetzungen konnte er nachweisen, daß alle in der Collectio Altera veröffentlichten Stücke ursprünglich zu nur zwei Rollen gehört haben, also Reste zweier Bücher sein müssen. Daß diese dem vierten Buch vorausgingen, liegt schon darum nahe, weil das Ende dieses Buches so gehalten ist, daß es die ganze Schrift abzuschließen scheint. Dazu kommt, daß eine große Zahl von Fragmenten der einen rekonstruierten Rolle in referierender Form Auffassungen über den ethischen Wert der Musik vorträgt, die im vierten Buch unter teilweise wörtlicher Bezugnahme widerlegt werden. Es handelt sich dabei um stoische Lehren oder doch um solche, die Stoiker von anderen philosophischen Schulen übernehmen. Der Hauptgegner Philodems ist hier, wie sich aus dreimaliger Namensnennung5) im vierten Buch ergibt, Diogenes von Seleukeia, genannt der Babylonier. Die gleiche Rolle enthält aber auch Berichte über platonische und aristotelische Musikauffassungen. Es darf als sicher angenommen werden, daß die Referate über die verschiedenen Lehrmeinungen in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge geordnet waren, ferner, daß dieses berichtende Buch das erste des Werkes war, auf das sich dann die folgenden polemisch zurückbeziehen6). Da die Überreste der anderen Rolle vielfach 1 ) Philodemi de musica librorum quae exstant, ed. J O A N N E S K E M K E , Leipzig 1884 (im folgenden wird seine Ausgabe mit K bezeichnet). 2 ) Herculanensium Voluminum quae supersunt, Tom. I, Neapel 1793. 3 ) Tom. VII 186—190, VIII 7—25; 142—160, 1X63—73, X I 69—80; 81—92 (erschienen 1871—76). 4 ) D O M E N I C O COMPARETTI, Relazione sui papiri Ercolanesi, in: COMPARETTI-DE P E T R A , La villa Krcolanese, Torino 1883, 55 ff. 6 ) IV 7, 23; 21, 19; 23,28. s ) Eine ähnliche Anordnung findet sich in Philodems Schriften IIeqI Tzoirjßdzmv und
TIEOL QTjTOQixrjg.
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Einleitung
als Kritik an peripatetischen Gedanken kenntlich sind, hat KEMKE sie als Buch 3 angesetzt. Das verlorene Buch 2 hätte dann die Widerlegung der Platoniker enthalten. Diese völlig einleuchtende Rekonstruktion wurde auch durch verschiedene spätere Nachprüfungen anderer Gelehrter bestätigt, so in der Einleitung eines KEMKES Ausgabe weitgehend ergänzenden Aufsatzes von TH. GOMPERZ1), in der ausführlichen Untersuchung von Philodems Schrift durch R. PHILIPPSON2) und in der neuesten Behandlung der Textgrundlagen durch 0 . LUSCHNAT3). E i n z i g M. SCHÄFER h a t — noch vor d e m Erscheinen von PHILIPPSONS R E -
Artikel — KEMKES Einteilung für falsch erklärt4). Nach seiner Ansicht gehört alles Erhaltene zu einem, dem 4. Buch. Ferner sei die Schrift nicht durch die Bekämpfung verschiedener Schulen gegliedert, sondern Philodems Leitmotiv seien die einzelnen Stoffgebiete gewesen: IY col. 1—21 Geschichte, Wirkungen und Verwendungsgebiet der Musik; 22—32 ßecogia der M.; 33—Ende oxpeXeia der M. Zu diesen Gebieten zitiere Philodem jeweils gegnerische Anschauungen ohne Rücksicht auf schulische oder zeitliche Folge. Beweis: Pythagoreer werden nach den Stoikern behandelt, Kleanthes nach Diogenes. Was sich in KEMKES ersten Büchern an platonischem und peripatetischem Gedankengut findet, seien Zitate des Diogenes, die Philodem seinerseits genau wiederhole. Obwohl diese Auffassung durch PHlLIPPSONs Untersuchungen überholt ist, soll kurz auf einige Punkte eingegangen werden, da PHILIPPSON den Aufsatz nicht erwähnt. Die Begründungen, auf die SCHÄFER sich stützt, beruhen auf Mißverständnissen. Nicht die Pythagoreer selbst werden col. 31 behandelt, sondern bei der Bekämpfung von Anschauungen ungenannter Gegner, bei denen es sich aber höchstwahrscheinlich um Stoiker handelt, wird gesagt, daß diese Gedanken letztlich auf gewisse Pythagoreer zurückgehen. In ähnlicher Weise werden Aussprüche des Kleanthes nur im Zusammenhang mit anderen zitiert: ,,. . . wenn 'sie' nicht etwa Behauptungen aussprechen wollen, die den Sätzen gleichen, die bei Kleanthes stehen: . . . " Was die 'Einteilung nach Sachgebieten' betrifft, so genügt es, darauf hinzuweisen, daß Philodem mehrfach ein Thema mit der Begründung übergeht, daß er darüber schon hinreichend gesprochen habe (z. B. IV 5, 13-—15; 13, 4—8; 12, 11—15), also doch sicherlich bei der Behandlung anderer Gegner; einmal fügt er ausdrücklich hinzu: älla de xal Xalrfiriaetai TIQOQ äAAovg yiXoaocpovq (IV 6, 26-—31). Schließlich ist in dem ganzen Teil IV 1—23 klar zu verfolgen, wie Philodem der Sachgebietseinteilung des Diogenes folgt, nicht einer von ihm selbst getroffenen; das haben schon KEMKE und H. V. ARNIM6) gesehen, und die vor1) T H E O D O R G O M P E R Z , Zu Philodems Büchern über die Musik, Wien 1885 (im folgenden: Go), 7—9. 3 ) Art. Philodemos, R E X I X 2, 1938, Sp. 2457—60. 3) O T T O L U S C H N A T , Zum Text von Philodeme Schrift De musica, Berlin 1953, 7—12. 4
) MAXIMILIAN
bes. 178ff. 5
)
SCHÄFER,
S . N. S . 9 A . 3 .
Diogenes als Mittelstoiker, Philologus 91, 1936, 174—196,
Einleitung
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liegende Arbeit versucht es im einzelnen herauszustellen. Im übrigen sei bezüglich der Bucheinteilung auf PHILIPPSON und LUSCHNAT verwiesen. Auch die vor einiger Zeit erschienene neuere Ausgabe der Schrift Philodems von D. A. VAN KREVELEN1) hat an der Einteilung KEMKEs nichts geändert; die inzwischen von D. BASSI noch ebenfalls IJEQI /lovaixrjg zugewiesenen fünf Fragmente des Pap. 15832), die die Herstellung eines zusammenhängenden Textes nicht mehr zulassen, sind dort zwischen Buch 3 und 4 gesetzt, wohin auch KEMKE schon einige undeutbare Fragmente des Pap. 424 und des bis dahin ebenfalls unveröffentlichten Pap. 1576 verwiesen hatte. Soviel zum Rekonstruktionsgerüst unserer Schrift. Im folgenden soll nun versucht werden, bei denjenigen Teilen, in denen das Zurückgreifen der Polemik auf den referierenden Teil deutlich und auf eine längere Strecke hin zu verfolgen ist, nämlich bei den stoischen, soweit sie sich auf Diogenes Babylonius beziehen, durch eine Gegenüberstellung der entsprechenden Partien in Buch I und IV und genaues Verfolgen des Gedankenganges einige nähere Aufschlüsse sowohl über die zugrunde liegende Schrift des Diogenes als auch über Philodems Argumentierungsweise und die bei beiden zutage tretenden Anschauungen zu gewinnen. Eine solche Gegenüberstellung hat schon H. V. ARNIM3) vorgenommen, aber dem Charakter seiner Fragmentsammlung gemäß sich mit der bloßen Aneinanderreihung der einander entsprechenden griechischen Textstücke, wie sie schon von KEMKE durch Verweise in der Praefatio und im kritischen Apparat seines Textes vorgezeichnet war, begnügt, ohne den Versuch zur Schaffung von Verbindungslinien und zur Ergänzung fehlender Partien zu machen. So stößt der Benutzer, der sich eine Vorstellung von der Schrift des Diogenes bilden möchte, auf einige Schwierigkeiten. Er ist genötigt, sich die Anschauungen des Stoikers aus verschiedenartigen Elementen erst selbst zusammenzustellen, da er sie teils den wenigen positiv berichtenden Fragmenten' von Buch I entnehmen, teils nach den entsprechenden widerlegenden Partien von Buch IV ergänzen muß, einen weiteren beträchtlichen Teil schließlich nur aus der Polemik erschließen kann. Die vorliegende Arbeit versucht es, ihm diese Mühe zu erleichtern. In ihrem Verlauf läßt sich zwar bei der Rekonstruktion des stoischen Gedankengangs ein Hin- und Herspringen zwischen Buch I und IV nicht vermeiden, auch soll ja gleichzeitig vorgeführt werden, mit welchen Argumenten der Epikureer dem Stoiker jedesmal entgegentritt, doch ist das für Gedankenfolge und Aufbau der stoischen Schrift Gewonnene jeweils in den Zusammenfassungen fortlaufend wiedergegeben, die jedem Sinnabschnitt folgen. Diese Untersuchung erstrebt also zunächst eine Rekonstruktion der Schrift des Diogenes und, damit gleichzeitig, teilweise eine Wiederherstellung der Schrift des Philodem; sie arbeitet mit den Mitteln philologischer Interpretation und kann insofern als Vorläufer eines Gesamtkommentars zu Philodems Schrift genommen * ) D I R K A N D R E E VAN K R E V E L E N , Philodemos De Muziek, met vertaling en commentaar, Hilversum 1939 (im folgenden als v K bezeichnet). Vgl. hierzu L U S C H N A T a. O. 17ff. 2) D O M E N I C O B A S S I , Frammenti inediti di opere di Filodemo (jiegi /iovotxfjg, nroi dewv, mei Qt]TOQixrjg) in papiri Ercolanesi, R i v . di fil. 38 (1910), 323—26. 3) J O A N N E S A B A R N I M , Stoicorum veterum fragmenta I I I , 1 9 0 3 (im folgenden: vA), S. 221—235.
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Einleitung
werden. Soweit Interpretationen, textkritische Bemerkungen, Hinweise auf Parallelen u. dgl. zur Begründung der Aufbauanalyse notwendig erschienen, sind sie in den Text aufgenommen worden; soweit sie für den eigentlichen Gedankengang nicht unmittelbar von Bedeutung sind, aber doch Hervorhebung verdienen, finden sie sich in den Anmerkungen. Im zweiten Teil der Arbeit sind die Erkenntnisse zusammengefaßt, die sich im Verlauf der Analyse über die unterschiedliche Bewertung der Musik durch die beiden von Diogenes und Philodem repräsentierten Schulen gewinnen ließen.
Erster Teil
Interpretation und Analyse von Philodem De musica I 21 — 32 und IV lB, 1 — 24,9 Der erhaltene Teil des vierten Buches setzt mit der Bekämpfung einer gegnerischen Anschauung ein, die als Referat nicht mehr vorliegt. Die Tätigkeit der [wwixoi und der Musikliebenden muß darin gelobt und es muß behauptet worden sein, daß die Musik eine bildende und veredelnde Wirkung auf den Charakter ausübe (nach IV 1B, 1—11). Die Kritik hieran kleidet Philodem offenbar 1 ) in die auch anderweitig 2 ) von ihm verwendete Form, daß er sie als Einwände vorbringt, die mehrere gedachte Personen machen könnten : hiernach wird das Musizieren vom einen durchaus nicht als lobenswert beurteilt, sondern als eine — doch wohl beim Symposion — bei Trunk und Völlerei ausgeübte Beschäftigung, verbunden mit unziemlicher, plumper Bewegung, zu der die Musiker auch die anderen bringen wollen; von anderer Seite wird die Möglichkeit günstiger sittlicher Beeinflussung durch die Musik überhaupt abgestritten. Die letzten unvollständigen Zeilen vor einer großen Lücke deuten auf ein im weiteren Verlauf des Buches sehr häufig auftretendes Argument 3 ): „ w e n n veredelnde Wirkungen im Gefolge der Musikausübung auftreten, 'mitgezogen' 4 ) werden, . . . (zu ergänzen vermutlich:) dann liegt die Ursache in anderen Dingen"; sie werden häufig als r à avfjLTienXeynÉva, das „Mitverflochtene" bezeichnet, womit im allgemeinen der Text von Liedern bzw. dessen Gedankengehalt gemeint ist. Eine Äußerung dieser Art wird noch einen Teil der folgenden zwölf Zeilen langen Lücke gefüllt haben. Für den weiteren Inhalt der Lücke geben die wenigen leserlichen Buchstaben keine Anhaltspunkte. Da aber die anschließenden Zeilen die Widerlegung einer Erörterung über die Aisthesis enthalten, die als Referat noch in einem längeren Fragment (I 21) bewahrt geblieben ist, dürfen wir schließen, daß die Lücke die Polemik gegen einen Gedankengang enthielt, der in Diogenes' Schrift notwendig vom Lob der sittlichen Wirkung der Musik zum Problem der Wahrnehmung geführt haben 1 ) Nach der einleuchtenden Ergänzung W . K U I P E R S (im folgenden mit W K bezeichnet) in vK's Ausgabe vor Z. 1 : ó nèv Xéyei, analog zu 6 ò' Z. 8; dies erscheint mir besser, als mit P H I L I P P S O N (RE Sp. 2 4 5 7 ) anzunehmen, daß 6 SÉ einen vorher genannten Epikureer bezeichne, wie er annimmt, Zenon. Es ist auch sonst nirgends ein epikureischer Gewährsmann genannt. 2 ) IV 10, 15—28; Kritik in der Form des Einwandes eines beliebigen einzelnen z. B. auch IV 4, 28 ff. und IV 5, lff. 3 ) Z. B. IV 11, 16—18; 18, 16—19; 34, 15—17. 4 ) Zu lesen ist entweder avvecpehconév[rf\, medial auf die Musik, oder -/j.ÍV[t¡V], passivisch auf ra[vTijv] (sc. anovór¡v) bezogen.
Diogenes vor I 21
Philodem IV I B , 1 bis 13; 1. Teil der Lücke 14-25
Biogenes vor I 21
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Philodem 2. Teil der Lücke" IV 1B, 1 4 - 2 5 Diogenes
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Interpretation und Analyse
muß: sicherlich war dort gesagt worden, daß der Musiker zur Erzielung des gewünschten Einflusses über genaue Kenntnisse der Vorgänge bei der Aisthesis verfügen und wissen müsse, welche Wahrnehmungseindrücke ihren Zweck jeweils passend erfüllen, und in welcher Weise er diese zu gestalten habe. Für eine solche Annahme sprechen auch die Zeilen IV 3,3 — 7: dort wird es von Philodem, nach Aufführung der Gegengründe, abschließend als nichtig verurteilt, wenn ein Musiker Kenntnisse von den Wahrnehmungen erstrebe; eben diese muß also doch Diogenes vorher gefordert haben. Mit solcher Begründung wird er zu der Erörterung der Aisthesis übergegangen sein, über die in I 21 berichtet wird, und Philodem wird im zweiten Teil der Lücke IV 1 B, 14—25 gegen einen solchen Gedankengang zunächst grundsätzlich Stellung genommen haben. Das Fragment I 21 gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste (1-—15) enthält die Kennzeichnung verschiedener Arten von Aisthesis, mit dem Vermerk, daß Diogenes h i e r i n — anscheinend im Gegensatz zu vorher genannten Meinungsabweichungen — mit einem änderen Philosophen (avrwi) übereinstimme. Genannt werden eine avxo(pvrjQXLTidL eine ematfj/Mvixrj
aur&rjaig. E i n e gewisse K a t e g o r i e v o n E r s c h e i n u n g e n , so
Wärme und Kälte, bedarf der ersteren, uns von Natur aus gegebenen; um dagegen aufzunehmen, ob etwas den Gesetzen der Harmonie entspricht oder nicht, ist eine vom Wissen geformte Aisthesis nötig. Ob die Übereinstimmung mit dem vorher erwähnten avrog so weit reicht oder noch weiter geht, ist zunächst ungewiß. — E s wird nun als weitere Wahrnehmungsart, die mit dieser (Singular!) zumeist verbunden sei, ein Aufnahmevermögen für die Lust- und Schmerzwirkungen, die jedem wahrgenommenen Ding folgen, festgestellt. Im ganzen werden somit dreierlei Aisthesis-Arten genannt und charakterisiert, doch scheint es, daß die beiden ersten im Grunde zusammengehören, nur daß im zweiten Fall aus dem von Natur aus vorhandenen durch Wissen und Ausbildung ein geschultes Wahrnehmungsvermögen geworden ist. Anders kann man den Singular [xoi]avrrji (9) wohl nicht erklären. Die Aufnahmefähigkeit für Lust- und Schmerzeindrticke ist davon ausdrücklich als Bxeqa abgehoben und, wie es scheint 1 ), auch durch die Angabe unterschieden, daß sie nicht bei allen in der gleichen Weise auftritt. Nachdem so die Bereiche der verschiedenen ala&riaeig abgegrenzt sind, wird im zweiten Teil (16—21; der Einschnitt ist durch Verstümmelung unsicher) vermerkt, daß über gewisse Eigenschaften eines Gegenstandes, die offensichtlich in den Bereich der ersten Wahrnehmungsart fallen 2 ), zwischen zwei Wahrnehmungen (zu verstehen *) Falls v. A R N I M S ansprechende Ergänzung ovaa[v ov näai\ rrjv avrrjv richtig ist; die Lücke läßt, soweit feststellbar, nur fünf Buchstaben zu. Auch verlangt die Paragraphos einen Einschnitt in dieser Zeile, aber falsche Paragraphoi finden sich vereinzelt auch sonst, z. B. IV 17, 18/19. Inhaltlich wird die Ergänzung jedenfalls durch Z. 19—21 gestützt. 2 ) Der Text ist leider an dieser wichtigen Stelle zweifelhaft: (17—20) [jiegi] fiev TO mtOWE/- || \p\evov avß\jp\uivel''v^, olov Sri || [. .]IHrONHA[. . ] H P O N . [(JXX]TIQOV rj a[vaj]r]Qov K, [rj ff]rjyov fj a[var]rjgov Go, fortasse mxgov fj a. vA. Jedenfalls ist es wahrscheinlicher, daß hier Eigenschaften der erstgenannten Art, wie warm und kalt, als von allen Menschen gleichmäßig aufgenommen genannt worden sind, als solche von der Art wie harmonisch und unharmonisch, die von der geschulten Wahrnehmung erfaßt werden. Hier würde Diogenes eine Gleichheit bei allen Menschen kaum ohne weiteres behauptet haben; bei einer ,, Schulung" sind zumindest verschiedene Grade anzunehmen.
avrotpvfjQ u n d ¿mortj/iovixii
aio&tjou;
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als: den Wahrnehmungen zweier Menschen) stets Übereinstimmung bestehe, während die Lust- oder Unlustempfindungen, die eben dieser Gegenstand in ihnen auslöst, sich unterscheiden. Die Reste der letzten vier Zeilen (22—25) leiten anscheinend zur Anwendung dieser Darlegung auf das Gebiet der musikalischen hindeuten. Aisthesis über, worauf die Worte yiveo&cu, avfj,ßaiveiv, neql [wvoixfjg Soweit das Fragment. Suchen wir nach einer Erläuterung für den Begriff emcrcrjfiovixrj alcrihpig, so findet sich u. W. als einzige Stelle, an der diese Wortverbindung, sonst noch vorkommt, ein bei Sextus Empiricus erhaltenes Speusippfragment 1 ), auf das schon KEMKE hingewiesen hat 2 ). Hier wird unter Zugrundelegung der platonischen Anschauung, daß alle Dinge sich in vorjxa und aia&rfta scheiden, als Urteilsmaßstab (xQixrjQWv) für jene der emarrjfiovixog Ao'yo?3), für diese die ¿marrj/iovixrj aiaß-rjaig genannt. Letztere wird definiert als diejenige Wahrnehmung, die an der logosgemäßen Wahrheit Teil hat. Zwei Vergleiche erläutern d a s : so wie die Fingerfertigkeit des Aulos- oder Saitenspielers nicht von selbst erwächst, sondern erst mit Hilfe der Verstandestätigkeit durch Übung erworben wird, und wie auch das Wahrnehmungsvermögen eines Musikers Harmonisches und Unharmonisches nicht von Natur aus, sondern erst infolge einer Mitwirkung des Verstandes zu unterscheiden vermag, so ist es auch bei der sTiunrj/xovixrj aicr&rjOig das Hinzutreten des Logos, das ihr zum Besitz einer geschulten Übung verhilft, so daß sie ein untrügliches Urteil über die Dinge fällen kann. Die Berührungspunkte mit unserem Fragment sind auch in der Brechung des Speusipptextes bei Sextus wohl noch deutlich genug, daß man sie für mehr als zufällig halten darf: 1. Die Verbindung emarr)[xm>ixrj aioihjoig scheint sich nur hier zu finden; 2. eine Gegenüberstellung avtoqjvrjg — emorrjfwvixri ist zwar nicht direkt für die Aisthesis vorgenommen, ergibt sich aber faktisch aus der Erläuterung der emaxrjftovixi) aiaßrjaiQ durch die beiden Vergleiche, in denen jedesmal die naturgegebene Fähigkeit der unter Verstandesmitwirkung erworbenen, geschulten entgegengestellt wird; im zweiten Vergleich findet sich auch das Wort avxoqmrjg, wenn auch nicht für die Aisthesis des Musikers selbst, so doch für ihre Wirksamkeit (ivegyeia); 3. kommt hinzu, daß gerade ro rjQfwofievov xai ävaQfiocrvov als Beispiel dafür gewählt ist, wann eine durch Wissen geschulte Wahrnehmung nötig ist bzw. die naturgegebene nicht ausreicht. Somit spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß es Speusipp ist, auf den Diogenes sich hier direkt oder indirekt bezieht. Die Scheidung von voryca und aia&rjrä kennt die Stoa allerdings nicht; bei ihr beruht zunächst alles auf den Wahrnehmungen 4 ), wenn auch im weiteren Verlauf des Erkenntnisvorganges der er') Sextus Empiricus adversus mathematicos V I I 1 4 5 / 6 = fr. 2 9 L A N G . 2 ) Praefatio p. VI, n. 3 ) Dieser Terminus — allerdings gekoppelt mit do£aonxos Xoyoi; — findet sich noch im mittleren Piatonismus: Albinos, Didaskalikos p. 154,24 H E R M A N N , vgl. U . E . W I T T , Albinus and the history of Middle Platonism, Cambridge 1937, 14f. — Daß die Sinne selbst die Fähigkeit des XQIVEIV haben (Albinos p. 174,20 u. 35), entspricht der Auffassung bei Ptolemaios Jlegi XQITT]Q(OV xai fjye[iovixov 11 und 12 Anfang (frdl. Hinweise von 0. L U S C H N A T ) . 4
) Vgl. Sext. E m p . adv. m a t h . V I I I 56 =
yivsxai
rj ov xcagls ala&rjaean;
xrX.
S V F I I 88: näaa yaQ vorjoic ano aia&rjaeoK
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Interpretation und Analyse
fassende Logos hinzutritt. Daher könnte die Ablehnung dieser Einteilung in den Zeilen vor I 21, 2: avvo)¡ioXoyr¡y.évai 6' avr&i... enthalten gewesen sein. Das, worin Diogenes dem Speusipp zustimmte, wäre dann in den Zeilen 3—8 enthalten, während die anschließende Behauptung über Subjektivität der Lust- und Schmerzempfindung wieder Diogenes' eigene Anschauung darstellt. Die Vorstellung von einem durch Übung und Logostätigkeit ausgebildeten Wahrnehmungsvermögen, wie wir sie hier finden, ist kennzeichnend für eine Entwicklung, deren Verlauf sich an einigen Punkten noch verfolgen läßt, wie es M . P O H L E N Z ) gezeigt hat: Es handelt sich um das Bestreben, auf dem Gebiete der Künste besondere Gesetze der Wertung zu gewinnen, wobei nicht mehr der Logos, sondern die Wahrnehmung des betreffenden Sinnesorgans, das freilich „geschult" sein muß, als Kriterium dient. Als ersten entschiedenen Vertreter solcher Betrachtungsweise auf musikalischem Gebiet kennen wir Aristoxenos. Für die Beurteilung der Dichtkunst läßt sie sich später bei Aristón von Chios nachweisen, der in der Seele zwei Erkenntnisvermögen unterscheidet, den vovg und das aia&rjnxóv2)', aus Philodem liegt Tzoirjfiáxcov3) wissen wir, daß er die Beurteilung des durch richtige Gestaltung bewirkten Wohlklanges eines Gedichtes nicht dem vovg (bzw. hier Myog) zuwies, sondern sie ex rrjgxaraTrjvaxofjVTQißrjg erfolgen ließ. Aus der gleichen Schrift Philodems ergibt sich, daß solche Beurteilung auch bei den hellenistischen Dichterkritikern üblich war 4 ). Auf dieser Linie ist die Darlegung des Diogenes einzuordnen 5 ). In seiner Charakterisierung zweier Formen der Aisthesis schließt er sich an Speusipp an. Schon bei diesem6) können wir einen Schritt in der genannten Richtung feststellen; denn mit der Annahme eines Wahrnehmungsvermögens, das durch Wissen ausgebildet werden und sichere Urteile fällen kann, unterscheidet er sich bereits in einem wesentlichen Punkt von Plato, bei dem die Aisthesis ja immer als unzuverlässig und trügerisch gilt. Wenn es nun auch in unserem Fragment Speusipps eigentliches Anliegen ist, den émarr¡fim>ixoQ Xóyoq und die émarr¡fiovixr¡ aíadr¡ait; als unsere für die beiden Erkenntnisbereiche zuständigen Aufnahme- und Beurteilungsfunktionen zu definieren, während eine geschulte Aisthesistätigkeit auf künstlerischem Gebiet nur beiläufig im Vergleich erwähnt wird, so zeigt diese Erwähnung immerhin, daß Speusipp eine solche Vorstellung geläufig war. Bei Diogenes ist dagegen die Erörterung der éniarrjfiovixr] aícrdr¡aiQ offenbar nur auf den künstlerischen Bereich bezogen. Diese Aisthesis dient bei ihm als Kriterium in Fragen, die wir auch heute „ästhetische" nennen. Das bedeutet aber nicht, daß für Diogenes zur Bewertung der Musik nur noch solche Gesichtspunkte gelten. Wie schon die zu Anfang aus Philodems Kritik erschlossenen Sätze sowie der ganze weitere Verlauf seiner Schrift zeigen, bleibt er durchaus bei der Tradition der ethischen Wirkung und sieht in ihr 1
MAX POHLENZ, TO JIQÉKOV, NGG 1933, 76ff.; Ders., Der hellenische Mensch, Göttingen 1947, 268—70. 2 ) Porphyr. De anim. facult. ap. Stob. Ecl. I, p. 347, 21 W. = SVF I 377. 3 ) Philod. Ilegi 7ioir¡fiázo>v V ed. C H R I S T I A N J E N S E N , col. 2 0 , 2 1 ff. 4 ) V 18, 14—18; 24, 7—11 J. Vgl. P O H L E N Z , TO TIQÉTIOV 77, A. 3; 78, A. 1. 6 ) Nach ihm darf noch sein Schüler Panaitios genannt werden, der den Vorzug der menschlichen vor den tierischen Sinnesorganen in der Fähigkeit zu kritisch wertender Beurteilung der erfaßten Erscheinungen sah (Cic. De nat. deor. II 58). 6 ) Das Speusippfragment wird von P O H L E N Z nicht herangezogen.
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