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German Pages 56 [61] Year 1954
DEUTSCHE A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N Institut für hellenistisch-römische Philosophie Direktor:. Prof. Dr. Johannes Stroux
Veröffentlichung Nr. 1
OTTO
LUSCHNAT
ZUM TEXT VON PHILODEMS SCHRIFT DE MUSICA
1953
AKADEMIE-VERLAG
BERLIN
Copyright 1953 by Akademie-Verlag, Berlin Alle Rechte vorbehalten
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Lizenz-Nr. 202 . 100/111/52 Satz, Druck und Einband: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestell- und Verlagsnummer: 2053/1 Printed in Germany
Inhalt Vorwort
5
A. Die Ausgabe von Johannes Kemke: Philodemi de musica librorum quae extant, Lipsiae 1884 B. Die Grundlagen des Textes von Philodem de musica
. 14
C. Die Ausgabe von Dirk Andree van Krevelen: Philodemus — De Muziek, met Vertaling en Commentaar, Phil. Diss. Amsterdam 1939 I. Fehlender Abdruck von Zeichen bei sonst restituierten Zeilen I I . Inkonsequenz 1. Bezeichnung der Lesungen des Papyrus und der Neapler Kopisten . . . . 2. Die Frage der Punktierung „verstümmelter, doch nicht zweifelhafter Buchstaben" 3. Inkonsequenz iii der Setzung der Punkte ü b e r den Buchstaben 4.' Inkonsequenz in der Wiedergabe des iota mutun. . I I I . Fehler, Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten 1. Übernahme solcher Fehler von Kemke, Gomperz oder v. Arnim 2. Eigene Fehler, Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten van Krevelens . . . . a) Flüchtigkeiten b) Unsicherheit in der Anwendung der eigenen Methode . c) Mangelndes Verständnis IV. Editionstechnische Mängel 1. Fehlen der Seitenzahlen von Kemkes Ausgabe 2. Fehlende oder falsche Zeilenzählung 3. Antike Zeichensetzung " D. Die Anwendung des Leidener Klammersystems auf Philodems Schrift de musica Tafel I — I X
7
17 18 19 19 20 25 25 26 26 28 28 28 29 31 31 31 32
. 34
Vorwort Die Schrift des Epikureers Philodem über die Musik gehört zu den von der Forschung vernachlässigten Werken der griechischen Literatur. Das kann nur zum geringen Teil an dem schlechten Erhaltungszustand liegen, in dem sie auf uns gekommen ist, denn es gibt viel lückenhaftere Stücke der griechisch-römischen Hinterlassenschaft, mit denen sich die verschiedenen Zweige historischer Forschung immer wieder befaßt haben. Ja, man könnte sagen, daß gerade das Fragmentarische den Scharfsinn der Forscher zu allen Zeiten gereizt hat, sich an Rekonstruktionen und Deutungen zu versuchen, auch wenn es sich dabei nicht um die Herstellung verlorener Kunstwerke ersten Ranges handelte. Eher wäre die Meinung zu vertreten, daß sich keine der modernen Disziplinen eigentlich zuständig für diese Schrift fühlt, da sie ein Problem behandelt, das auf der Grenze zwischen Ästhetik, Psychologie, Pädagogik und Philosophie liegt und doch in keins dieser Gebiete in ihrer heutigen Umgrenzung zu fallen scheint, weil ihre Kampfstellung gegen die antike Ethoslehre in der Musik sie als abseitig und nur für den Musikhistoriker belangvoll erscheinen läßt. Der Hauptgrund für die Vernachlässigung ist aber doch wohl die eigentümliche Tatsache, daß seit den Tagen des Altertums bis in die Neuzeit hinein auf allem, was epikureisch hieß, ein Bann lag, den nur selten ein selbständiger Denker wie GASSENDI zu durchbrechen wagte, und der sogar noch heute nachwirkt. Die Erörterung dieser Erscheinung gehört nicht hierher, sie wurde nur erwähnt, um darauf hinzuweisen, daß die Forschung mit ihrer in neuester Zeit in verschiedenen Ländern einsetzenden Beschäftigung mit der Gedankenwelt Epikurs und seiner Schule nicht nur eine alte Schuld abzutragen beginnt, sondern auch auf Ergebnisse hofien kann, wie sie auf anderen, oft beackerten Feldern kaum mehr zu erwarten sind. Der einzige, der Philodems Schrift eine eingehende Würdigung zuteil werden ließ, ist HERMANN ABERT in seinem Buche Die Lehre vom Ethos in der griechischen Musik, Leipzig 1899. E r ordnet Philodem mit Recht in die geistige Strömung ein, die sich seit der Mitte des 5. Jahrhunderts auf allen Gebieten vom Autoritätsglauben loslöst und alle Erscheinungen des individuellen und sozialen Lebens einer unvoreingenommenen Kritik zu unterziehen wagt. ABERT sieht in der Anwendung dieser Kritik auf die Musiktheorie nicht nur das Destruktive, sondern auch und vor allem den ersten Versuch, „der Musik aus ihr heraus ästhetisch beizukommen". Der Bericht über die „Anschauungen" Philodems, den er auf S. 27 bis 32 seines Buches gibt, enthält mehr an eindringender Interpretation, als es auf den ersten Blick scheinen könnte; auch kommt er in mehreren Aufsätzen wiederholt auf unsere
6 Schrift zurück 1 ). Trotzdem kann man, ohne Á B E R T S Leistung herabzusetzen, sagen, daß ihre Auswertung noch in den Anfängen steht. Um der Fülle des von Philodem ausgebreiteten Materials beizukommen, wird es vor allem nötig sein, nicht nur von musikhistorischen Gesichtspunkten auszugehen, sondern die einzelnen Argumente daraufhin zu untersuchen, wie sie sich in die epikureische Lehre fügen, und welche gegnerischen Anschauungen dabei durchschimmern. Bei dieser Betrachtungsweise, die also historisch-philosophisch sein müßte, würde sich, ähnlich wie bei D I E L S ' Kommentar zu Philodems Schrift neqi &eä>v, noch weiterer reicher Gewinn ergeben. Ehe jedoch die hier geforderte Arbeit in Angriff genommen werden kann, muß der T e x t der Schrift so vorgelegt werden, wie es modernen Editionsgrundsätzen entspricht. Die vorliegenden Untersuchungen verfolgen einen doppelten Zweck: Erstens sollen sie über das berichten, was bisher an diesem Text geleistet worden ist, und zeigen, was noch zu leisten ist, und sollen insofern der vom Institut für hellenistisch-römische Philosophie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorbereiteten Neuausgabe der Schrift vorarbeiten 2 ); zweitens aber — und das mag zur Rechtfertigung einer vielfach ins Einzelne gehenden Besprechung der beiden vorliegenden Ausgaben dienen — sollen sie die besonderen methodischen Gegebenheiten, wie sie sich bei Editionen von herculanischen Papyri ständig wiederholen, an einem Musterbeispiel vor Augen führen. Trotz der durch das Leidener System weitgehend geklärten Situation auf dem Gebiet der Papyruseditionen überhaupt ergeben sich immer wieder Sonderfragen aus der Tatsache, daß wir es hier oft nicht mit den Papyri selbst, sondern mit modernen Abschriften von solchen zu tun haben, die für uns, da die Originale — falls überhaupt erhalten — ständig weiter zerfallen, an die Stelle der letzteren treten müssen. Es ist klar, daß unter solchen Umständen besonderes Augenmerk auf die Veränderungen gerichtet werden muß, die der Text unter den Händen der neuzeitlichen Abschreiber erlitten hat, damit nicht Eigentümlichkeiten der Neapler diseyni ins Altertum zurückprojiziert werden. Vor solchen Fehlern bewahrt uns nur eine saubere Editionsmethode, die in Übereinstimmung mit dem Leidener System, aber unter sinngemäßer Anwendung auf die besonderen Verhältnisse der herculanischen Papyri, ausgearbeitet werden muß. Einen Beitrag zur Festlegung einer solchen Methode wollen die nachstehenden Ausführungen nebenbei liefern. J ) Besonders: Die Stellung der Musik in der antiken Kultur, 1926 und Der gegenwärtige Stand der Forschung über die antike Musik, 1921: Gesammelte Schriften und Vorträge, hrsg. von FR. BLUME, Halle 1929, S. 1 und 35. Der zuerst genannte Aufsatz erschien in der „Antike" II 1926. 2
) D i e Bearbeitung liegt i n d e n H ä n d e n v o n ANNEMARIE J . NEUBECKER.
A. Die Ausgabe von Philodemi
JOHANNES KEMKE
de música librorum quae exstant, Lipsiae
1884
Hinter diesem Titel, der auf den ersten Blick nur eine der üblichen Fragmentsammlungen zu versprechen scheint, verbirgt sich in Wirklichkeit eine beachtliche Leistung, denn bis zum Jahre 1884 gab es nur die mit mehr Aufwand als wissenschaftlichem Ertrag hergestellte VeröfEentlichung der Reste des vierten Buches in Band I der Neapler Volumina Herculanensia, Collectio Prior, vom Jahre 1793. Durfte nun schon das Erscheinen einer neuen Ausgabe dieses Buches bei den Fachgelehrten einiges Interesse beanspruchen, so in noch höherem Grade die Ankündigung des Titels, daß jetzt auch die Reste der übrigen Bücher dieser Schrift Philodems lesbar sein sollten. Ein Blick in KEMKES Text zeigt, daß er die inzwischen (1862—65) in den Bänden VII, V I I I , I X und X I der Collectio Altera publizierten und von COMPARETTI1) unserer Schrift zugewiesenen Fragmente nicht einfach aneinanderreiht, sondern eine Rekonstruktion der Bücher I und I I I unserer Schrift wagt. Die Rechtfertigung der Zuweisung und Anordnung dieser über hundert Einzelstücke gibt KEMKE in seiner Praefatio, doch ist diese infolge ihrer Zitierweise und ihrer nur andeutenden Gedankenführung außerordentlich schwer lesbar, was wohl der Hauptgrund dafür ist, daß KEMKE SO wenig Nachfolger in seiner Arbeit gefunden hat. Der einzige, der bald nach dem Erscheinen der Ausgabe ihre Vorzüge voll würdigte, zugleich aber auf verschiedene Schwächen hinwies, ist THEODOR GOMPERZ, der 1885 eine kleine Einzelschrift, Zu Philodems Büchern von der Musik, ein kritischer Beitrag, bei Holder in Wien erscheinen ließ, und er ist wohl auch der einzige geblieben, der KEMKES Praefatio wirklich durchgearbeitet hat. Auf den Seiten 6—8 gibt er mit eigenen Worten KEMKES Gedankengang wieder, der ihn zur Wiederherstellung der Bücherl und I I I führte. Dabei ist besonders verdienstlich, daß er auch die Archivnummern der benutzten Papyri angibt, die nur im Schlußband der Collectio Altera, jedoch nicht bei KEMKE stehen. Es ist hier nicht der Ort, GOMPERZ' Ausführungen zu wiederholen 2 ), jedoch soll alles, was die Benutzung der Volumina Herculanensia und der Ausgabe KEMKES erleichtern kann, hier festgehalten werden. Die K E M K E praef. p. V gibt nur den Titel der Abhandlung: ,,relazione sui papiri Ercolanesi. G O M P E R Z , ZU Philodems Büchern von der Musik (Wien 1885), teilt dazu mit: „ R o m 1880". Er scheint, aus den Seitenzahlen zu schließen, einen Sonderdruck vor Augen gehabt zu haben. Heute ist die Arbeit zu finden in: Atti della R. Accademia dei Lincei 1879/80 serie 3, vol. 5, pag. 145—179. 2 ) Sie finden sich in fast wörtlicher Übersetzung bei D. A. VAN KREVELEN, Einleitung zu seiner Ausgabe Philodemus — De Muziek, Diss. Amst. 1939, S. X I — X I I .
8 Herausgeber der Collectio Altera reproduzierten Faksimilezeichnungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert, die von zerbrochenen Rollen größeren und geringeren Umfangs in fortlaufenden Nummernfolgen angefertigt waren. Nach den Angaben von
GOMPERZ u n d v o n DOMENICO BASSI, Papiri
Ercolanesi
Disegnati,
R i v . di
1094
VII
1—11
1 8 2 3 F . CASANOVA
a
1578
VIII 7—25
1—24
( 1 8 2 5 — 4 7 ) C. MALESCI
225
VIII 142—160
1—26
1 8 2 2 G. B . CASANOVA
ß Y
186—190
411
I X 63—73
1—14
1 8 2 5 G. B . CASANOVA
1572
X I 69—80
1—12
( 1 8 4 4 ?) F . CELENTANO
1575
X I 81—92
1—23
1 8 2 5 F . CASANOVA
Ò s C
Zuweisg. zu Buch, (durch Kemke)
Kopist (disegnatore) mit Jahr d. Abschrift
Zugeh. zu Gr. (nach Gomp.)
Nr.
Voll. Herc. Coli. Altera, Band und S.
Zeichen b. Gomp.
Pap.
Nr. der Fragmente in Voll. Herc. Coli. Alt.
Fil. 1913, 427—464, läßt sich folgende Tabelle aufstellen:
B III B III B III außer ( F r . l u . 2 Fr.lu.2 1 ) zu I) A I A I B III
Die von GOMPERZ mit den Buchstaben A und B bezeichneten Gruppen von Fragmenten gehören nach KEMKE in der Weise zusammen, daß sowohl die Fragmentreihen der Gruppe A wie die von B auseinandergerissene Stücke je nur einer Rolle darstellen. Zum Beweis genügen die bei KEMKE als Fr. I 21 (S. 11) und III 43/44 (S. 39f.) abgedruckten, aus zwei bzw. vier halben Kolumnen zusammengefügten Fragmente: Nachdem KEMKE ihre Zusammengehörigkeit erkannt hatte, konnte er auf die Suche nach weiteren Verklammerungen gehen, die bei der Gruppe B sehr erfolgreich war. Die von KEMKE auf S. XIV—XV nur andeutungsweise begründete, auch von GOMPERZ nicht ausführlich behandelte Zuweisung zu den Büchern I und III ist neuerdings von R. PHILIPPSON im Artikel Philodemos, RE. Bd. 19, 1938, Sp.- 2457/59 nachgeprüft und bestätigt worden ; in dieser Hinsicht steht also die Forschung jetzt auf festem Grunde. Sobald man jedoch die Absicht hat, die Anordnung der Fragmente innerhalb der beiden Bücher I und III nachzuprüfen, sieht man sich gezwungen, auf KEMKES Praejatio zurückzugreifen, die aber, wie gesagt, sehr schwer lesbar ist, weil sie die Fragmente nur mit Bandnummer, Seiten- und Fragmentzahl der Voll. Herc. bezeichnet. Doch selbst wenn man die unhandlichen Volumina beständig aufschlüge, wäre ein Verfolgen seines Beweisganges sehr mühsam, da man sich in jedem Falle inhaltlicher Argumentation erst das Fragment in seiner Ausgabe suchen müßte. Um dies zu erleichtern, ist im Anhang eine Tabelle (I) beiGOMPERZ b e n u t z t gerade Y Fr. 1, u m die Zugehörigkeit der ganzen Gruppe B zu Philodems Schrift darzutun. D a s ist nicht i m Sinne KEMKES, denn dieser löst es aus d e m polemischen B u c h I I ( = B) heraus und reiht es unter die berichtenden Fragmente v o n B u c h I ein, vgl. praef. p. X V und unsere Tabelle I.
9 gefügt, die in der ersten Spalte die Numerierung der Voll. Herc., in der zweiten die Fragmentnummern von KEMKE bietet. Die Kemkeseiten in Spalte 3 dienen dem schnelleren Auffinden. Bevor wir in die Erörterung von KEMKES Beweisgang eintreten, sollen einige störende Versehen berichtigt werden, zu deren Auffindung uns z. T. diese Vergleichstabelle verhalf: S. S. S. S. S. S.
VII XI XI XI 1 36
Zeile 12 v. o. lies: cf. 24,9 Zeile 3 v. o. ,, I X 72 fr. 13 B Zeile 8 v. o. ,, I X 72,12 Zeile 18 v. o. ,, X I (81—92) Überschrift „ X I 69 fr. 1 Überschrift „ VII 186 fr. 3
statt 24,19 X I 72 fr. 13 B X I 72,12 X I (69—81) I X 69 fr. 1 V I I I 186 fr. 3
Auf dem sichersten Boden bewegt sich der Herausgeber bei der Anordnung der Fragmente I 21—32 (aus den Stücken d und e), da er hier die feststehende Abfolge der Kolumnen in Buch IV, 1—24 als Leitfaden benutzen kann. Der Epitome einer Musikschrift des Diogenes Babylonius in Buch I entspricht Punkt für Punkt die Polemik in Buch IV (KEMKE Praef. S. V—IX). Beim dritten Buch, d. h. bei den Fragmentgruppen a, ß, y und C, läßt sich dies Verfahren nicht anwenden, da sie selber die polemischen Partien darstellen und Gegner bekämpfen, die zeitlich vor dem Stoiker Diogenes liegen. Ein „Leitfaden" existiert hier also nicht. Aber gerade der Umstand, daß an einzelnen Stellen die Polemik gegen Plato und Aristoteles (bzw. ihre Schulen) noch zu fassen ist, hilft KEMKE, wie wir noch sehen werden, zur Aufstellung einer annähernd sicheren Reihenfolge. Zunächst ist ein äußeres Merkmal der einzuordnenden Stücke wichtig: Alle Fragmente der Gruppen a und £ stammen vom oberen Rand der Kolumnen, die der Gruppen ß und z. T. y1) vom unteren Rand. Nachdem es nun KEMKE gelungen ist, außer dem schon erwähnten Fragment I I I 43/44 eine ganze Reihe anderer aus linker und rechter Hälfte bestehender Kolumnenteile zu vereinigen (S. I X f.), stellt er auch das lückenlose Anschließen solcher oberen Kolumnenhälften an die vorhergehenden unteren in drei Fällen fest (S. X f.) und gewinnt damit feste Punkte, um die sich weitere Fragmente nach ihrem Inhalt gruppieren lassen. Ehe er jedoch an die Aufstellung einer fortlaufenden Reihe geht, macht er noch die wichtige Entdeckung, daß die Fragmente des VIII. Bandes (Gruppe ß und y) nicht so völlig durcheinandergeraten sind wie die der anderen Bände. Eine Begründung dieser Feststellung gibt er nicht, doch kann man aus seiner Aufstellung auf S. X I oben, wo seine Nummern I I I 75, 53, 41 und 25 als Polemik gegen I 12, 6, 5 und 3 erkannt werden, in Verbindung mit den Zitaten S. X I I aus Plato (zu I I I 25) und S. X I I I aus Aristoteles (zu I I I 53) schließen, daß ihn diese inhaltlichen Bezüge zu der Entdeckung geführt haben. Jetzt kann er bereits eine Gruppierung versuchen: auf S. X I unten I) KEMKES Formulierung S. X Absatz 2 ist irreführend, da in Gruppe y nur elf Fragmente vom unteren Rand 15 Mittelstücken gegenüberstehen. Für den Beweisgang ist das jedoch ohne Bedeutung.
10 gibt er die Zusammensetzung seiner Nummern I I I 7—17 an, wobei er als inhaltliches Hilfsmittel ein Selbstzitat Philodems im IV. Buch benutzt. Aus Gründen, die später zu erörtern sind, ist es nun wichtig, auch für die übrigen Fragmente des I I I . Buches eine solche schematische Darstellung zu besitzen; sie hat zunächst den großen Vorteil, daß man nur so KEMKES Darlegungen anschaulich machen kann. Sie ist auf den Tafeln I I — V I in folgender Weise zu geben versucht worden: 1. Die Fragmente sind mit der Numerierung der V. H. 2 und in der Reihenfolge des KEMKEschen Textes aneinandergereiht, wobei die Stücke aus a und £ an den oberen, die aus ß und y an den untern Rand gestellt sind. Die Nummern in Kreisen geben KEMKES Fragmentzählung im dritten Buch an. 2. Sind zwei aufeinanderfolgende Kolumnen durch eine nicht unterbrochene Linie verbunden, so bedeutet es eine Aufeinanderfolge, die durch äußere Indizien gesichert ist. Zwei Arten solcher automatischen Verklammerung kommen vor: a) erkennbare Fortsetzung eines Wortes oder Satzes am Anfang der an zweiter Stelle folgenden Kolumne, z. B. ( 9 ) — @ u n d b) Nachbarschaft einer linken und einer rechten Kolumnenhälfte (vom oberen oder unteren Rand) auf ein und demselben Papyrusfetzen, z. B. — Durch gleichzeitiges Auftreten beider Arten der Verklammerung lassen sich Gruppen von vier und mehr Fragmenten völlig sicher aneinanderfügen, vgl. Fr. @ bis 3. Die unterbrochenen Linien bedeuten eine von KEMKE vermutete oder festgestellte inhaltliche Verbindung zwischen zwei oder mehreren Fragmenten. Die Sicherheit solcher Feststellungen ist natürlich von Fall zu Fall verschieden, was KEMKE selbst des öfteren durch ,,sequitur fortasse" andeutet. 4. Wo die soeben unter 2 und 3 genannten Mittel der Verknüpfung versagen, folgt KEMKE der Anordnung in V. H . 2 Band V I I I , und zwar so, daß bei ß die Nummernfolge rückwärts läuft, bei y vorwärts, vgl. Tafel I und die fett gedruckten Nummern des Schemas Taf. I I — V I . 5. Vor Fr. 48 vermerkt KEMKE ,,deest fortasse una pagina". Auch in anderen Fällen, wo die Verklammerung fragwürdig ist, muß man damit rechnen, daß ganze Kolumnen verlorengegangen sind. Unser Schema soll gerade auch auf solche Möglichkeiten hinweisen. Im ganzen ergibt sich, daß im dritten Buch eine weitgehend gesicherte Reihenfolge von Fragmenten vorliegt, und bei der Interpretation wird man ihre schematische Darstellung mit Nutzen zu Rate ziehen können. Nun kann man noch einen Schritt weitergehen und an Hand des Schemas die Faksimilia der Fragmente selbst an einzelnen Stellen zu Kolumnen zusammenfügen. Dies ist sicherlich schon von KEMKE ZU heuristischen Zwecken gemacht worden, doch blieben bisher einzelne Fragen offen, die noch besser geklärt werden können. Als erste ist folgende zu nennen: Wenn es an verschiedenen Stellen gelungen ist, „ganze" Kolumnen herzustellen, so müßte sich doch wenigstens annähernd angeben lassen, wieviel Zeilen zwischen dem jeweils oberen und unteren Teil fehlen. Tatsächlich ist dies durch Benutzung einer Pause oder Photokopie möglich, und es
11 soll hier am Beispiel der Fragmente I I I 61—66 geschehen (vgl. Tafel VII). Zugrunde zu legen ist die Kolumnenlänge im vierten Buch, die durchschnittlich 44 Zeilen beträgt. Danach fehlen zwischen Fragment 61 und 62 neun Zeilen, zwischen 63 und 64 fünf und zwischen 65 und 66 sieben Zeilen. Die entsprechenden Angaben kann man mit Sicherheit noch für die Fragmentgruppen I I I 23—29 und 40—47 machen. Es fehlen zwischen 22 A (am. K) 23 24 25 26 27 28 29 13 zwischen 40
41 12
42
43 11
44
45 11
46
15
6
16
Zeilen,
47 16
Zeilen.
Eine neue Ausgabe, die dem Interpreten diese Hilfsmittel böte, könnte sich um die Auswertung unserer Philodemschrift recht verdient machen. Eine weitere Frage taucht auf, wenn man versucht, die Fragmente I I I 27/29 und I I I 41/43 zu Kolumnen zusammenzustellen. Für die erstere Gruppe ist das auf Taf. VIII durchgeführt. Geht man von Fragment I I I @ aus, so ist klar ersichtlich, daß die Hälften VIII 17,16 B und VIII 147, 8 A richtig vereinigt sind (vgl. z. B. Zeile 10/11 (MÄaTtOfjLe-\\v(av). Wie aber ist es möglich, die linke Hälfte von VIII 17,16 (von KEMKE mit A bezeichnet) zur Herstellung von Fr. zu benutzen 1 KEMKE hat wahrscheinlich Pausen benutzt, die er so auseinanderschnitt, wie unsere Tafel V.III es mit Hilfe der Fotokopie zeigt, und der durch die Zusammensetzung entstehende Wort- und Sinnzusammenhang in Fr. rechtfertigt sein Verfahren durchaus. Was man jedoch vermißt, ist eine Erklärung für das Abtrennen oder doppelte Anlegen von VIII 17,16 an VIII 147,8 und ein Hinweis darauf, wie sich der Herausgeber die Lage der fraglichen Stücke auf der Papyrusrolle dachte. Die Erklärung muß davon ausgehen, daß der Zusammenhang der Stücke VIII 17,16 A und B unmöglich ursprünglich sein kann, sondern nur durch die Faksimilezeichnung vorgetäuscht wird. Stellen wir uns diesen auf Taf. VIII rekonstruierten Teil des Papyrus vom Schluß her aufgerollt vor, und zwar so, daß ihr Durchmesser etwa 5 cm beträgt, dann kommt die abgetrennte Halbkolumne VIII 17,16 A genau auf den durch die Abtrennung entstandenen leeren Raum links neben VIII 17,16 B zu liegen. Die Schlußfolgerung ist einfach: VIII 17,16 A blieb beim Öffnen der Rolle auf der darübergewickelten, also jetzt darunterliegenden Schicht kleben und wurde nicht als sovrapposto erkannt. Das ist um so eher möglich, als die hier in Frage kommenden Papyri 1578 und 225 nach dem Erscheinungsbild der meist vertikal halbierten Kolumnen zu denen gehören, die nicht nach PIAGGLOS Verfahren aufgerollt, sondern der Länge nach durchschnitten wurden, so daß sie in zwei Halbzylinder zerfielen1). Gewöhnlich wird die dann folgende Entzifferung so beschrieben, daß die oberen Flächen nach erfolgter Abschrift abgeschabt wurden, bis die nächste Schicht erschien (z.B. KARL PREISENDANZ, Papyrusfunde und Papyrusforschung, Leipzig 1933, S. 46). Nehmen wir aber ein sovrapposto an, so kann dies Verfahren hier nicht angewandt worden sein, weil dabei ja die untere Schicht hätte zum Vorschein kommen müssen. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß man bei Rollen,deren Schichten nicht völlig miteinander verklebt waren, die einzelnen Lagen der Halb! ) V g l . W . CRÖNERT, R h . M u s . 5 3 , 1 8 9 8 , S . 5 8 8 / 8 9 .
12 Zylinder ablöste und dann abschrieb: Dabei konnten dann leicht zwei Schichten sta.tt einer abgehoben werden. Daß beim Papyrus 225 ( = y = V I I I 142—160) wirklich so verfahren wurde, geht auch daraus hervor, daß noch B Ä S S I im J a h r e 1910 neunzehn Reste dieser Rolle sah und verglich 1 ), die also nicht, wie der Schlußband der Coli. Altera angibt 2 ), verloren, d. h. durch Abschaben zerstört ist. Die unter der Nummer 1578 (= ß = V I I I 7—25) zusammengefaßten Fragmente, die heute als verloren gelten, können also, da sie ja nur ein Teil von 225 sind, ebenfalls nicht schon beim Entziffern zerstört worden sein, sondern sind auf andere Weise abhanden gekommen. Sollte sich V I I I 17,16 dennoch wiederfinden, so könnte nach dem soeben Dargelegten versucht werden, die darunterliegende Schicht wiederzugewinnen, die die rechte Hälfte von Fr. V I I I 145,6 B ( = I I I 25 K.) bilden würde. Diese unmittelbare Nachbarschaft von Fr. 25 und 27 am untern R a n d der Rolle k a n n man jetzt nach der Versetzung des Stückes V I I I 17,16 A mit größerer Sicherheit behaupten als KEMKE, der die Aufeinanderfolge Fr. 25, 26 und 27 nur aus inhaltlichen Gründen, wahrscheinlich wegen yv/uvaoTixij in 25 und 26, annahm. Solange man sich nämlich nicht Rechenschaft über die ursprüngliche Stellung der Halbkolumnen gibt, muß das versetzte Stück als Fremdkörper neben Fr. 25 erscheinen und KEMKES Angaben: ,,sequitur" im Text und „insequens pagina" in der Praefatio (S. X I I ) als fragwürdig erscheinen lassen. Als Nebenergebnis unserer Bemühungen u m Wiedergewinnung des alten Kolumnenbildes fällt noch ein kleineres Fragment mit 13 Zeilenschlüssen ab, welches, von KEMKE ausgelassen, zwischen Fr. 22 und 23 einzufügen ist (vgl. Tafel I I I und VIII). Bei dem zweiten der oben (S. 11) erwähnten Fälle,Fr. 41/43, können wir uns kürzer fassen, weil genau derselbe Sachverhalt vorliegt (vgl. Taf. IV und IX). Fragment V I I I 11,9 A ist abzutrennen und zu V I I I 1 4 9 , 12 B zu stellen; darunter wäre dann die rechte Hälfte des verlorenen Fragments verborgen, das nach Tafel IV seinen Platz zwischen 38 und 41 finden müßte. Ferner ist durch diese Umstellung auch die Verbindung zwischen Fr. I I I 43 und 44 durch das Wort ävaiQsri-xov und damit die ganze Abfolge dieser größten zusammenhängenden Partie des dritten Buches von Fr? 40 bis 47 gesichert, was f ü r die Interpretation von Bedeutung ist. Als Ergebnis unserer bisherigen Darlegung können wir festhalten, daß die Anordnung der Fragmente, wie sie KEMKE im Text durchführt und in der Praefatio begründet, sich auf mehrere feste P u n k t e stützen kann (bes. 1 21—32, I I I 23 bis 29, 40 bis 47, 61 bis 66, 69 bis 70); dadurch bekommt die ganze Rekonstruktion so viel Halt, daß es nicht als angebracht erscheint, an seiner Gruppierung etwas zu ändern. Nur starke inhaltliche Anstöße könnten zur Umstellung einzelner Fragmente oder Fragmentgruppen führen, doch ist dergleichen bisher weder unternommen worden, noch ist es wahrscheinlich, daß auf diesem Wege etwas zu gewinnen ist. Eine Eigenart von KEMKES Arbeitsweise darf aber nicht unerwähnt bleiben, die GOMPERZ S . l l als „Launenhaftigkeit" tadelt: daß er nämlich,,Reste, deren Deutung ihm nicht gelungen ist, bald hinsetzt, bald wegläßt". GOMPERZ hat hierbei nicht Fälle wie das eben erwähnte Fr. X I 88,14 A (wozu noch das nach I I I 77 B einzu*) Riv. di Fü. 38, 1910, S. 321, 1 (vgl. unten S. 16). 2
) Vgl. CRÖNERT, Rh. Mus. 53, 1898, S. 588, Anm. 3.
13 fügende Fr. V. H. 2 VIII 160, 26 B kommt) im Auge, sondern die verstümmelten Zeilen am Anfang und Schluß der abgedruckten Fragmente. Hierzu macht er noch folgende grundsätzliche Bemerkungen: „Er mußte sich doch die Frage vorlegen, ob er nur Leser im Auge habe, die nichts mehr als Leser sind, oder auch solche, die an dem Restituierungswerke mitarbeiten sollen. Im ersten Falle konnte von der Mitteilung unverständlicher Brocken abgesehen werden, im letzteren mußte darin Vollständigkeit und Genauigkeit erstrebt werden. Für beide Verfahrungsweisen lassen sich plausible Gründe beibringen (ich würde die erstere in diesem Falle vielleicht rätlicher gefunden haben), aber unter allen Umständen mußte eine Wahl getrofien werden. Dies ist jedoch so wenig geschehen, daß manchmal bloße Buchstaben und Wortbestandteile mitgeteilt, dann wieder halb und ganz verständliche Reste selbst von einem halben Dutzend Zeilen dem Leser vorenthalten werden." Dieser Kritik läßt sich entgegenhalten, daß KEMKE nicht ganz so unentschieden ist, wie es GOMPERZ darstellt. Zunächst: für Mitarbeiter am Werke der Restituierung hat KEMKE seine Publikation offenbar nicht bestimmt; das geht schon daraus hervor, daß er drucktechnisch nur den Unterschied zwischen gelesenen und ergänzten Buchstaben macht. Halbe oder unsichere Buchstaben werden nicht bezeichnet, und seine Messung der Lücken ist noch recht unsystematisch. Es kommt ihm nur darauf an, alles mitzuteilen, was seiner Ansicht nach einem fachkundigen Leser zum Verständnis des I n h a l t s von Wichtigkeit sein könnte. Daher auch die „Mitteilung unverständlicher Brocken". KEMKE hofft eben, daß zukünftige Leser auch aus zusammenhanglosen Worten noch einen Sinn herauspressen könnten; er gibt ja stets nur Buchstabenfolgen wieder, die entweder mögliche griechische Worte sind oder sich zu solchen ergänzen lassen. Allerdings muß man GOMPERZ zugeben, daß KEMKE in dieser Hinsicht längst nicht weit genug gegangen ist, daß also die verstümmelten Anfangs- und Schlußzeilen der Fragmente in viel weiterem Umfang hätten wiedergegeben werden müssen. Doch selbst damit wäre keine Ausgabe entstanden, die dem Forscher eine ausreichende Grundlage zu weiterer Arbeit gäbe. Dazu fehlt schon der moderne drucktechnische Apparat: punktierte Buchstaben bei unsicherer Lesung, Majuskeln für ungedeutete Buchstabengruppen, Zeichen zur Wiedergabe halber Buchstaben und ganz allgemein: Wiedergabe des Kolumnenbildes durch die Anordnung des Textes im Druck. Da KEMKE all dies nicht kennt, muß man, wenn man von einzelnen Unebenheiten und Flüchtigkeiten absieht, von denen noch zu sprechen sein wird, zu dem Urteil kommen, daß er dem gesteckten Ziel, eine kleine Handausgabe zu liefern, durchaus gerecht geworden ist. Hier muß jedoch ein Einwand gegen die Zielsetzung als solche erhoben werden: der Text der philodemischen Schrift ist in einem Zustand auf uns gekommen, der eine Scheidung zwischen „gut erhalten und verständlich" und „hoflnungslos verstümmelt" nicht zuläßt. Die gelungenen Ergänzungen von GOMPERZ, v. ARNIM und KuiPER an scheinbar hoffnungslosen Stellen beweisen, daß selbst kleinste Anhaltspunkte der Restitution als Stütze dienen können. Anderseits gibt es verhältnismäßig lange zusammenhängende Stücke, wo eine Deutung nicht gelingen will, weil die eigentlich sinntragenden Worte ausgefallen sind. Bei dieser Sachlage ist die einzig brauchbare Methode die, daß man zunächst alles so vorlegt, wie es die Reproduktionen der Papyri in den Voll. Herc. zeigen.
B. Die Grundlagen des Textes von Philodem de musica Bevor wir auf die Ausgabe des Niederländers VAN KREVELEN ZU sprechen kommen, ist hier von den verfügbaren Grundlagen der Textgestaltung kurz zu berichten. Solange der Weg über die deutschen Grenzen zu den noch vorhandenen Originalen, die sich seit 1910 in der Biblioteca Nazionale di Napoli befinden 1 ), so schwierig ist, sind wir ausschließlich auf die Faksimilia in den Neapler Volumina Herculanensia angewiesen 2 ). Buch IV (d. h. was davon erhalten ist — vom Anfang fehlt eine große Partie) erschien als erste Publikation der Voll. Here., Collectio Prior, Band I, Neapel 1793, mit einem Restaurationsversuch und Kommentar von Bischof ROSINI, der, „wie man mit Grund annimmt, zum guten Teil vom Canonicus MAZOCCHI herr ü h r t " (GOMPERZ S. 6 nach COMPARETTI, Relazione S. 161). Eine Oxforder Abschrift existiert nur von diesem Buch unter den Bodleian Facsimiles, die von HAYTER 1806 nach England gebracht wurden; diese ist jedoch weder von KEMKE noch von VAN KREVELEN ZU Rate gezogen worden. Dagegen hat GOMPERZ sie an einigen Stellen benutzt und, wie es scheint, selbst flüchtig überprüft: „Bei diesem Anlaß will ich bemerken, daß nur das vierte Buch von Philodems Musikwerk überhaupt in den Oxforder Facsimiles vorhanden und daselbst durch eine Kopie vertreten ist, welche nur wenige und kaum jemals bedeutendere Eigentümlichkeiten aufweist. Mitunter fehlt in 0 ein Stück, welches in N erhalten ist, so ein Mittelstück in col. X I . " (S. 37f.). Eine weitere, etwas genauere Nachricht gibt WALTER SCOTT in seinem Buche .fragmenta Herculanensia, a descriptive catalogue of the Oxford copies of the Herculanean rolls, Oxford 1885, Seite 46 f. Dort erscheint die Kopie unter Vol. VI, Nr. 1497 3 ). S C O T T macht folgende Angaben: „Title, cols. 7 to 29 and 32 to 38, some of them in duplicate.... The Naples engraved facsimile very closely resembles Ox.; and as the ,disegni' from which the engravings were copied are known to have been removed to London, and the pages of Ox. bear the same signature (Malesci del.) as those of Nap., it might naturally be inferred that the Naples engravings were copied from the Oxford
Vgl. D O M E N I C O B A S S I , L' officina dei papiri Ercolanesi nella biblioteca nazionale di Napoli, Riv.diFil.41,1913, p. 193—201. Vom Pap. 1497 ( = n . f i w o . A ) sagt Bassi S. 195, er sei in 8 Rahmen mit Goldleisten an einer Wand des Saales der Direktion aufgehängt und mit grünem Tuch überdeckt (vgl. allgemein über die Schicksale der Papyri W. L I E B I C H , Wiss. Annalen 2, 1953, 304-313; über die Überführung B A S S I Riv. di Fil. 38, 1910, p. 589: sie geschah auf Veranlassung von COMPARETTI). 2 ) (Korr.-Notiz:) Das trifft insofern nicht mehr zu, als A . V O G L I A N O Photographien aller Kolumnen des 4. Buches gütig zur Verfügung gestellt hat. 3 ) Unter dieser Nummer wird das vierte Buch in der Neapler officina geführt, s. B A S S I , i n A n m . 1.
15 facsimiles. A closer examination, Jiowever, shows that differences exist, the probable explanation of which is, that the plates, after being engraved from Ox., were corrected by comparison with the original. Cóls. 1 to 51), 30, and 31 in Ox. appear to have been lost ; while two pages belonging to other rolls (1675, col. 11, and 1426, col. 13) are now bound up as pp. 25 and 32 of Ox., having been transferred to iheir present position by some mistake. ' ' Wenn die hier ausgesprochene Annahme zutrifft, daß die Oxforder Kopien die Vorlage f ü r die Kupfertafeln der Neapler Veröffentlichung waren 2 ), u n d daß diese durch Nachvergleichung mit dem Original berichtigt sind, so könnte eine erneute Heranziehung der Oxforder Kopie als zwecklos erscheinen. Trotzdem lassen sich zwei Gründe f ü r einen neuen sorgfältigen Vergleich mit 0 beibringen : 1. Beim Gravieren der Kupfertafeln können Abweichungen entstanden sein, die der Korrektor entweder übersah oder f ü r geringfügig hielt 3 ). In. solchen Fällen k a n n 0 die Schriftzüge des P a p y r u s treuer wiedergeben. Das von GOMPERZ S. 37 angeführte Beispiel col. X I I vs. 3, wo 0 den Schlußstrich von K, nämlich , h a t GOMPERZ überzeugend dargetan. (Korr.-Zusatz: Die Photographie des Originals bestätigt 0 und GOMPERZ' Interpretation.) 2. Die Lesung des Korrektors b r a u c h t n i c h t die richtige zu sein. Das lehrt jede Philodem-Ausgabe, der zwei unabhängig voneinander gemachte Abschriften zur Verfügung stehen. I m übrigen können zur Zeit der Korrektur schon Veränderungen am P a p y r u s vor sich gegangen sein, die eine genauere Lesung verhinderten oder sogar eine falsche herbeiführten. Eine künftige Ausgabe von Tispl /lovoixfjt; m ü ß t e also schon aus diesen Gründen die Oxforder Abschrift f ü r das vierte Buch neu und gründlich vergleichen. Vielleicht ließe sich dabei auch über ihr Verhältnis zu ROSINIS Veröffentlichung noch näheres feststellen. (Eine Schlimmbesserung ROSINIS auf einem Blatt der Oxforder Abschrift erwähnt GOMPERZ S. 39 zu col. X X I I , 35). Eine sehr wichtige Nachricht bringt ferner DOMENICO BASSI, Riv. di Fil. 1913, S. 460 und nach ihm M. LENCHANTIN, Riv. di Fil. 68,1940, S. 310: die Neapler Officina besitze neue Zeichnungen von allen 38 Kolumnen (außer Kol. 4) und dem Titel, die zum größten Teil auf Veranlassung von GENOVESI hergestellt worden seien. Offenbar handelt es sich u m die im Katalog bei BASSI auf derselben Seite genannten Zeichnungen von C. MALESCI und G. B. MALESCI jun. (1853—55) und von V. CRISPINO (1863). Auch diese Kopien müßten bei einer Neuherausgabe von TIEQI fj,ovaixfjg herangezogen werden 4 ). J
) Muß heißen: 1 to 6, siehe Anm. 2 und S C O T T selbst am Anfang: Erhalten sind 7—29. ) D. B A S S I , Papiri Ercolanesi disegnati, Riv. di Fil. 1913 macht S. 460 im Rahmen seines Gesamtkataloges aller bis dahin abgezeichneten Papyri genauere Angaben : Danach sind die ersten 5 Kolumnen der Collectio Prior Band I nach Zeichnungen von PIAGGIO, dem svolgitore selbst, hergestellt ; die übrigen Kolumnen, von G. B. M A L E S C I d. Ä . nicht nach 1781 kopiert, „ora si trovano a Oxford, ma non ci sono tutti: mancano (cioè andarono -perduti) quelli delle colonne 1—6, 30 e 31." 3 ) Einen entsprechenden Sachverhalt faßt H . D I E L S ntql &eä>v I I I , Text, Abh. der Beri. Ak. 1917, S. 4 ins Auge: „Einiges ist wohl auch bei dem Stich interpoliert worden." 4 ) Erkundigungen nach diesen Zeichnungen bei der officina hatten bisher keinen Erfolg. 2
16 Daß auch eine Vergleichung des Originals notwendig ist, mag sein Zustand so schlecht sein wie er will, verstellt sich von selbst. Schon 1910 erhob DOMENICO BASSI (Riv. di Fil. 38,1910, S. 321, Anm.L) die Forderung, die Ausgabe KEMKES „direkt auf Grund der Originale zu erneuern, die er nicht sah". BASSI bezeugt ausdrücklich, daß vom Pap. 1497 ( = Phil, de mus. IV. Buch) alles existiere, was KEMKE publiziert hat. Von 225 und 1094 gebe es 19 bzw. 9 Reste von Kolumnen (225 = y = V I I I 142—160; 1094 = a = V I I 186—190). BASSI fährt fort: „In mehr als einem der Bruchstücke (pezzi) von 225 gibt es einiges mehr als in den entsprechenden Abzeichnungen (Coli. Alt. V I I I 142—160), wie ich bei einer minutiösen Vergleichung dieser und des Originals habe feststellen können." Leider bringt BASSI keine Einzelheiten, doch dürfte auch heute noch manches Ergebnis zu gewinnen sein. Dieser Meinung ist auch M. LENCHANTIN, Riv. di Fil. 1940, S. 310 (Bespr. der Ausgabe von VAN KREVELEN).
An eine Philodem-Ausgabe, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll, wären etwa folgende Forderungen zu stellen: 1. sie soll ein Bild der Überlieferung geben, d. h. a) die Anordnung muß, auch und gerade an zerstörten Stellen, zeigen, wie die Worte und Wortreste im Original zueinander stehen; b) die Schreibart des herculanischen Schreibers muß gewahrt bleiben; das gilt auch für orthographische Eigentümlichkeiten und Korrekturen; c) die Zahl der Punkte soll möglichst die Zahl der ausgefallenen Buchstaben angeben. Zur Unterscheidung der starken Interpunktion von diesen Punkten wäre ein besonderes Zeichen nützlich; d) außerhalb der eckigen Klammern [ ] dürfen nur Buchstaben stehen, die wirklich gelesen sind. Sind sie unsicher, so sind sie mit einem Punkt unter der Zeile zu kennzeichnen. Man wird höchstens solche Buchstaben unbezeichnet lassen, die der Zeichner des Faksimile in einer vom Üblichen etwas abweichenden Form bietet oder die so wenig verstümmelt sind, daß ein Zweifel nicht entstehen kann, z. B. bei einem nicht ganz geschlossenen O; e) der Apparat hat alle Abweichungen des restituierten Textes von der Überlieferung anzugeben, nach Möglichkeit auch die Form verstümmelter Buch • staben. Der Apparat hat ja weitgehend das Faksimile zu ersetzen. 2. Sie soll eine Übersicht über die erwägenswerten bisherigen Ergänzungsversuche geben, so daß sich ein jedesmaliges Nachschlagen aller Publikationen erübrigt. 3. Sie soll die ratio restituendarum sententiarum angeben (A. VOGLIANO, Epicuri et Epicureorum scripta, Berlin 1928, S. VII). In diese Aufgabe teilen sich Kommentar und Übersetzung, vgl. CHRISTIAN JENSEN, Philodemos Über die Gedichte, 5. Buch, Bln. 1923, S. V H I f . Darüber hinaus hat der Kommentar die Aufgabe, Material für die Interpretation vorzulegen.
C . Die Ausgabe von DIRK ANDREE VAN K.REVELEN Philodemus
— De Muziek,
met Vertaling en
Phil. Diss. Amsterdam
Commentaar,
1939
Um diese Ausgabe beurteilen zu können, muß man sich zunächst vergegenwärtigen, welches Ziel sich der Herausgeber steckt. Darüber äußert er sich allerdings nicht. Nur indirekt kann man aus seiner Einleitung S. X I I f. schließen, daß er GOMPERZ' und V. ARNIMS Arbeiten verwerten und die fünf von BÄSSI entdeckten neuen Fragmente 1 ) einfügen will. KEMKES Lesung bezeichnet er ausdrücklich als Grundlage seines Textes (S. XIV), will nur an einzelnen Stellen die Worttrennung am Zeilenende nach den von CRONERT festgestellten Regeln berichtigen. Eine Bereicherung des KEMKEschen Textes verspricht der Titel: Ubersetzung und Kommentar; doch findet sich keine Bemerkung über die Grundsätze, nach denen diese ausgearbeitet sind. Einen weiteren Schluß auf die von KREVELEN befolgte Methode könnte man aus der Liste der sigla (S. 1) ziehen. Dort stehen außer den schon von KEMKE benutzten Zeichen die Buchstaben aaa ,,litterae 'papyri mutilae, sed non dubiae". Diese Formulierung entspricht derjenigen, die CHR. JENSEN in seinen Ausgaben von Philodems Schriften in der Bibl. Teubneriana wählt; bei ihm gehören sie allerdings zusammen mit [aaa] = litterae dubiae (oder: litterae valde incertae). Es wäre nun vertretbar, wenn man die wirklich unsicheren Buchstaben so behandelt wie ergänzte, d. h. unbezeichnet in die Klammern setzt, wie es KEMKE tut; verspricht man jedoch die verstümmelten, aber nicht unsicheren Buchstaben durch Punkte zu bezeichnen, so müßte dies Versprechen auch gehalten werden. In unserem Falle würde es bedeuten, daß KEMKES Text einer genauen Durchsicht unterzogen wird, mit dem Ziel, festzustellen, welche außerhalb der Klammern stehenden Buchstaben als nicht zweifelhaft zu betrachten sind. Wir werden sehen, daß dies nur ganz selten geschehen ist, und zwar bisweilen in dem Sinne, daß der Punkt nicht nur verstümmelte Buchstaben bezeichnet, sondern auch solche, die vom Neapler Zeichner offensichtlich oder wenigstens wahrscheinlich verlesen sind (vgl. H. DIELS, Philodemos Über die Götter, erstes Buch, S. 8: „AAA = verlesene oder teilweise gelesene Zeichen des Papyrus"). Näheres hierüber s. S.20ff. Diese methodische Unentschiedenheit in einer wichtigen editorischen Frage läßt also keinen Schluß auf KREVELENS Zielsetzung zu, es bleibt noch die Verwertung D . BASSI, Frammenti 1910, 321. „ Luschnat
inediti di opere di Filodemo
in papiri Ercolanesi,
Riv. di Fil. 38,
18 der Ergänzungsvorschläge seines Lehrers W. E. J. KuiPER, die wohl das Wertvollste an dieser neuen Ausgabe sind. Doch hierüber können wir nur an Hand des Textes selbst urteilen, da sich VAN KREVELEN nicht darüber äußert, in welcher Form ihm diese Vorschläge vorlagen: ob schriftlich in Form eines Manuskripts oder nur als eigene Aufzeichnungen etwa nach den Verhandlungen in einem Universitäts-Seminar. Der folgenden Besprechung von Einzelheiten liegt eine Vergleichung der Volumina Herculanensia zugrunde, deren Lesung ich mit N bezeichne, wie sich dies in allen neueren Ausgaben eingebürgert hat; im übrigen folge ich VAN KREVELENS Abkürzungen : VA VON ARNIM, Stoic. Vet. Fr. I I I (1903), p. 221 - 2 3 5 B oder Bu BUECHELER (bei KEMKE im Apparat, sofern nichts anderes vermerkt) Cr M. EL ÜRÖNERT, Memoria Graeca Herculanensis (1903) ,G TH. GOMPERZ, ZU Philodems Büchern von der Musik (Wien 1885) H
HOLZER, P h i l o l o g u s 66, 1907, S. 4 9 8 - 5 0 2
K vK WK
KEMKE", Philodemus de musica (1884) VAN KREVELEN (Diss. Amst. 1939) W. E. J. KuiPER (bei vK).
Die Bezeichnung der Bruchstücke erfolgt nach der Zählung KEMKES, mit der vK übereinstimmt. Vollständigkeit in der Aufzählung von Mängeln bei KREVELEN ist nicht angestrebt und wäre auch nur bei Vorlage des gesamten Textes möglich; es sollen an Hand anschaulicher Beispiele, die unter Stichworten zusammengefaßt sind, die Hauptprobleme des uns heute zur Verfügung stehenden Textes erörtert werden.
I. F E H L E N D E R ABDRUCK VON ZEICHEN B E I SONST R E S T I T U I E R T E N ZEILEN Überall ist zu bemerken, daß vK den Auslassungen KEMKES folgt, trotz GOMPERZ' K r i t i k :
I 4,1 2 5
VOYTEI N, om. K, vK. iNXPHCI N, HN om. K, vK. INQCETYX N, 'd>g hvX- K, wg ervxlev WK, vK.
I I I 48,11 KEMKE teilt die Zeile unvollständig mit: cai]ovsfisiv xal (xai om. K, vK), desgl. Zeile 12 NA Ttaideveiv (va om. K, vK). I I I 62,15 TEINETÜN.I N (rcov om. K, vK) Auch die Hasta am Ende müßte korrekterweise noch wiedergegeben werden. I I I 67,7
TOCAAOWIIIPOCA N liloyoi nQog K, vK. Ebenso ist in den Zeilen 10, 13 und 16 die Auswahl der mitgeteilten Reste ganz willkürlich; vK druckt auch hier nur KEMKE ab.
18 der Ergänzungsvorschläge seines Lehrers W. E. J. KuiPER, die wohl das Wertvollste an dieser neuen Ausgabe sind. Doch hierüber können wir nur an Hand des Textes selbst urteilen, da sich VAN KREVELEN nicht darüber äußert, in welcher Form ihm diese Vorschläge vorlagen: ob schriftlich in Form eines Manuskripts oder nur als eigene Aufzeichnungen etwa nach den Verhandlungen in einem Universitäts-Seminar. Der folgenden Besprechung von Einzelheiten liegt eine Vergleichung der Volumina Herculanensia zugrunde, deren Lesung ich mit N bezeichne, wie sich dies in allen neueren Ausgaben eingebürgert hat; im übrigen folge ich VAN KREVELENS Abkürzungen : VA VON ARNIM, Stoic. Vet. Fr. I I I (1903), p. 221 - 2 3 5 B oder Bu BUECHELER (bei KEMKE im Apparat, sofern nichts anderes vermerkt) Cr M. EL ÜRÖNERT, Memoria Graeca Herculanensis (1903) ,G TH. GOMPERZ, ZU Philodems Büchern von der Musik (Wien 1885) H
HOLZER, P h i l o l o g u s 66, 1907, S. 4 9 8 - 5 0 2
K vK WK
KEMKE", Philodemus de musica (1884) VAN KREVELEN (Diss. Amst. 1939) W. E. J. KuiPER (bei vK).
Die Bezeichnung der Bruchstücke erfolgt nach der Zählung KEMKES, mit der vK übereinstimmt. Vollständigkeit in der Aufzählung von Mängeln bei KREVELEN ist nicht angestrebt und wäre auch nur bei Vorlage des gesamten Textes möglich; es sollen an Hand anschaulicher Beispiele, die unter Stichworten zusammengefaßt sind, die Hauptprobleme des uns heute zur Verfügung stehenden Textes erörtert werden.
I. F E H L E N D E R ABDRUCK VON ZEICHEN B E I SONST R E S T I T U I E R T E N ZEILEN Überall ist zu bemerken, daß vK den Auslassungen KEMKES folgt, trotz GOMPERZ' K r i t i k :
I 4,1 2 5
VOYTEI N, om. K, vK. iNXPHCI N, HN om. K, vK. INQCETYX N, 'd>g hvX- K, wg ervxlev WK, vK.
I I I 48,11 KEMKE teilt die Zeile unvollständig mit: cai]ovsfisiv xal (xai om. K, vK), desgl. Zeile 12 NA Ttaideveiv (va om. K, vK). I I I 62,15 TEINETÜN.I N (rcov om. K, vK) Auch die Hasta am Ende müßte korrekterweise noch wiedergegeben werden. I I I 67,7
TOCAAOWIIIPOCA N liloyoi nQog K, vK. Ebenso ist in den Zeilen 10, 13 und 16 die Auswahl der mitgeteilten Reste ganz willkürlich; vK druckt auch hier nur KEMKE ab.
19 Beispiele dieser Art sind fast auf jeder Seite zu finden, doch ließe sich, wenn man überhaupt den Grundsatz befolgt, nicht alles abzudrucken, die Auswahl im einzelnen verschieden treffen. Methodisch bedenklich wird dies Verfahren erst, wenn dem Benutzer des Textes durch Verschweigen der Überlieferung die Möglichkeit genommen wird, verschiedene vorgeschlagene Ergänzungen zu beurteilen. Ein solcher Fall liegt I I I 22, 20 vor, wo AIA&ECEI. EIJTQK überliefert i s t . K schreibt nur diaUaei, während GOMPERZ aus dem Schluß der Zeile \ji\enra»t\yiag herstellt. vK druckt dies im Apparat ab, nicht die Schreibung von N, und folgt einer ganz anders lautenden Ergänzung KuiPERS, die das erhaltene enxmx nicht benutzt. An einer andern Stelle, I I I 66, 3, ist zwar die Überlieferung als avvi o pap. über KEMKE hinaus im Apparat angegeben, doch führt die Anzahl der Punkte irre. In Wirklichkeit ist zwischen dem / und 0 nur Raum für einen, höchstens zwei Buchstaben, was zur Beurteilung von KuiPERS Ergänzung rjov[%toi old' wichtig ist. Im Text setzt vK merkwürdigerweise die Klammer nicht hinter av, wie eben angegeben, sondern schon hinter??, wohl aus dem Grunde, weil K nach rj abbrach (. .de\o(poQLaq rj K), und vK sich von der Lesung bei K nicht freimachen kann. Zu I I I 14,17 gibt vK zwar die Vorschläge von H und W K im Apparat an, nicht jedoch die Überlieferung ENIOICTAN (evioig . . [ovx K), so daß man nicht sehen kann, daß H und WK durch ihre Vorschläge dXK bzw. o\ßxoi die Zeichen TAN ersetzt haben. Zum Glück gibt es eine Reihe von Fällen, wo BuECHELER, GOMPERZ oder andere Gelehrte die Zeilen vollständiger als KEMKE wiedergegeben haben: dann, aber auch fast nur dann finden wir die Überlieferung auch bei vK verwertet, z. B. I 13, 7 fjS]r] TiQoäysi Adfxcuva BUECHELER, Rh. Mus. 1885, S. 311 und nach ihm GOMPERZ S. 10. KEMKE hatte nur nQoayei Ad/umva. Dortselbst Zeile 9 gibt v K richtig die Reste IC vor ayzbov mit BUECHELER als To wieder. Näheres über diese Stelle, wo die Angaben bei vK im Apparat irreführen, siehe unter I I I , 2a (S. 28). Bei I I I 52, 10 tadelt GOMPERZ S. 27 KEMKES Gewaltsamkeit (ye statt re und e^[et] für EIX) und sagt, diese Abweichungen von der Überlieferung wären jedenfalls irgendwie kenntlich zu machen gewesen; v K rettet KEMKES Lesung durch KuiPERS Vorschlag wg e%\ei M-\\yov] statt wg e%[ei ¡jLE-\\Xog] und gibt die Überlieferung im Apparat an. Findet er aber bei seinen Vorgängern keine solchen Hinweise, so geht er von sich'aus nicht über KEMKE hinaus, wie bei dem von GOMPERZ S.10 sehr geförderten Fr. I I I 77 A, wo in Zeile 12 auch von G die Zeichen XPI hinter rag äoe.xav noiorrjWji, v K jedoch, von Cr. M. H. S. 61 auf N verwiesen, wo 1 0 steht, [E]^ (pojvfjQ schreibt. Auf andere Stellen hat GOMPERZ den Herausgeber hingewiesen, so auf I I I 4.2,1: CATHNN,. . . aa xi]v K, ecr]%drt]v vK („Rest v o n ^ noch erhalten" G S. 24). Ferner ebenda, am Ende der Zeile, /HAIIS, öum[T(ü-cr\i[v] vK mit G S. 24, sodann I I I 50,11 o[ü avfi-^ßrjaea&ai vK mit WK, der seinerseits GOMPERZ' Vorschlag [ovx äjio-]ßrj0E(r&(u benutzt. Uberliefert ist noch C. „Verstümmelung" liegt wahrscheinlich auch vor, wenn, wie z. B. in I I I 58, 5, ein C statt eines E in N überliefert ist. Die Sicherheit, mit der ein Buchstabenrest als ein bestimmter Buchstabe gedeutet wird, ist natürlich nicht in allen Fällen gleich groß, und dem subjektiven Ermessen bleibt ein großer Spielraum. Ja, man kann sagen, in den meisten Fällen, wo neuere Herausgeber einen Buchstaben punktieren, wollen sie damit andeuten, daß die im Papyrus oder in der Abschrift sichtbaren Spuren wahrscheinlich oder möglicherweise, jedoch gerade nicht zweifelsfrei einen von ihnen geforderten Buchstaben darstellen. So kommt es, daß ÜRÖNERT in dem zuerst angeführten Beispiel [e]^ qxDvf/t; . . IV Col. X I I I , 19 das¡x geradezu als incertum bezeichnet, was vK S. 167, Anm. zu Zeile 19 ausdrücklich anerkennt. Daß hier ein Problem liegt, ist klar, und es sind verschiedene Versuche gemacht worden, den größeren oder geringeren Grad der Sicherheit einer Lesung durch verschiedene Zeichen (a, a, [a], [a]) anzudeuten. Man neigt jedoch heute allgemein dazu, nur einen Unterschied zwischen ,unsicheren' und ,sehr unsicheren' Buchstaben zu machen (s. Abschnitt D). Bei einer weiteren Gruppe von Punktierungen kann man von „Verlesungen der Kopisten" sprechen. Hier würde dann ,,litterae mutilae" nicht verstümmelte, sondern e n t s t e l l t e Buchstaben bedeuten. Der Abzeichner h a t z . B. aus/1 einiV herausgelesen ( I I I 74, 11) oder aus einem undeutlichen O ein£'(IV Col. XIV, 15 und 43). Hierher gehören auch die im vorigen Abschnitt behandelten Fälle, wo im Papyrus höchstwahrscheinlich K stand, N jedoch X zeigt. Bei der folgenden, weitaus größten Gruppe von Verlesungen kann man schon nicht mehr sagen, daß die Buchstaben „entstellt" seien. Es sind vielmehr vom Neapler Kopisten (damit ist hier stets der moderne Zeichner, der disegnatore, gemeint) ganz andere Buchstaben „gesehen" worden, als nach dem Sinn gefordert werden müssen. Wenn z. B. GOMPERZ S. 10 in den von KEMKE nicht mitgeteilten Anfangszeilen von I 13 schreibt xai ri]v ¿'£[1]v 7ioi-\iqaeiv aQ/n]ovixa>TaTr]v, so liegen dem die Reste ESÄNFFOIund ECONIKÜTATHN zugrunde. VAN KREVELEN setzt die substituierten Buchstaben nicht in Klammern, sondern punktiert sie: xai TYjV e^iv 7U)i-[rj£Q\si
EIKAI E N . . G .
.
aavxcov
IIIQN TEIG
[_nia]xsig
mit
Bu
A
IV, XXXII, 16
^}OXPIN
ßvxa\vi,xai Tcávrcov
ev[egyei]cöv
G
QV&HOLQ
||
£v]éyxai
Ev[eQy]ei&v
[ jedoch h a t gar keinen Sinn, denn dieser B u c h s t a b e ist unbestritten, aber selbst unter dem t dürfte der P u n k t nach der Methode des Herausgebers konsequenterweise nicht stehen. (Vgl. auch S. 26 Mitte.) Als Ergebnis dieses Abschnittes können wir festhalten, daß v K sich über die Grenzen der Anwendbarkeit des P u n k t e s nicht genügend klar geworden i s t 2 ) und daher den Benutzer seines Buches vielfach verwirrt s t a t t a u f k l ä r t . E s wäre besser gewesen, KEMKES S y s t e m beizubehalten, s t a t t in der an sich notwendigen R e t r a k tation seines Textes auf halbem Wege stehenzubleiben 3 ). 3. I n k o n s e q u e n z i n d e r S e t z u n g d e r P u n k t e ü b e r d e n B u c h s t a b e n . D a nach S. 1 (sigla) diese P u n k t e nur die antiken Tilgungen bezeichnen und für moderne die Doppelklammer benutzt wird, ist es inkonsequent, eine von ARNIM vorgenommene Tilgung in I 21, 12 durch die P u n k t e über der Zeile zu bezeichnen, zumal v A selbst die eckigen K l a m m e r n benutzt, die bei ihm an Stelle der bei v K üblichen Doppelklammern stehen. 4. I n k o n s e q u e n z in d e r W i e d e r g a b e d e s iota
mutum.
Der hier zu erhebende Vorwurf trifft hauptsächlich KEMKE, dem v K f a s t überall im Subskribieren des stummen t folgt. U m darzutun, daß die Subskribierung zu Inkonsequenzen führt, braucht man nur wenige Beispiele herzusetzen, so I I I 26, 5f. wo K und vKot5